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German Pages 636 [640] Year 2007
Phraseologie Phraseology HSK 28.1
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Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft Handbooks of Linguistics and Communication Science Manuels de linguistique et des sciences de communication Mitbegründet von Gerold Ungeheuer (†) Mitherausgegeben 1985"2001 von Hugo Steger
Herausgegeben von / Edited by / Edite´s par Herbert Ernst Wiegand Band 28.1
Walter de Gruyter · Berlin · New York
Phraseologie Phraseology Ein internationales Handbuch der zeitgenössischen Forschung An International Handbook of Contemporary Research Herausgegeben von / edited by Harald Burger, Dmitrij Dobrovol’skij, Peter Kühn, Neal R. Norrick 1. Halbband / Volume 1
Walter de Gruyter · Berlin · New York
" Printed on acid-free paper which falls within the guidelines of the ANSI to ensure permanence and durability.
Library of Congress Cataloging-in-Publication Data Phraseologie : ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung # Phraseology : an international handbook of contemporary research / edited by Harald Burger ... [et al.]. p. cm. " (Handbooks of linguistics and communication science # Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft ; 28.1"28.2) Includes bibliographical references and index. ISBN 978-3-11-017101-3 (v. 1 : alk. paper) ISBN 978-3-11-019076-2 (v. 2 : alk. paper) 1. Phraseology. I. Burger, Harald. II. Title: Phraseology. P326.5.P45P4687 2007 418"dc22 2006039480
ISBN 978-3-11-017101-3 ISSN 1861-5090 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ” Copyright 2007 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, 10785 Berlin, Germany. All rights reserved, including those of translation into foreign languages. No part of this book may be reproduced or transmitted in any form or by any means, electronic or mechanical, including photocopy, recording or any information storage and retrieval system, without permission in writing from the publisher. Printed in Germany Typesetting: bsix, Braunschweig Coverdesign: Rudolf Hübler, Berlin
Vorwort Phraseologie ist eigentlich ein Zweig der Linguistik mit einer bereits hundertjährigen Tradition, die bis zu Charles Ballys “Traité de stilistique française” (2 Bde., Heidelberg 1909) zurückreicht. Ballys Ideen wurden nicht unmittelbar weitergeführt, sondern erst in den 40er Jahren von V.V. Vinogradov aufgenommen. Dies führte zur Entstehung zahlreicher Arbeiten am russischen Material. Doch erst in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts hat sich die Phraseologie zu einem international anerkannten und expandierenden Forschungsgebiet entwickelt. In den 70er und 80er Jahren gaben verschiedene Forscher (Adam Makkai “Idiom Structure in English” 1972 für den anglistischen Bereich, Harald Thun “Probleme der Phraseologie” 1978 für den romanistischen Bereich, Harald Burger/Annelies Buhofer/ Ambros Sialm “Handbuch der Phraseologie” 1982 und Wolfgang Fleischer “Phraseologie der deutschen Gegenwartssprache” 1982 für den germanistischen Bereich, um nur einige wichtige Publikationen zu nennen) mit sehr unterschiedlichen Konzeptionen von Phraseologie einen Überblick über die Phraseologieforschung der damaligen Zeit. Seither ist das Interesse an der Phraseologie sprunghaft gewachsen, wie die Vielzahl an internationalen Tagungen und neuen Publikationen in den verschiedensten Teilbereichen des Gebietes zeigt. Es gibt auch bereits zusammenfassende Überblicksdarstellungen, die allerdings keinesfalls den Status von Handbüchern haben (z.B. Christine Palm “Phraseologie – Eine Einführung” 1997 und Harald Burger “Phraseologie – Eine Einführung am Beispiel des Deutschen” 2. Aufl. 2003). 1999 wurde die “Europäische Gesellschaft für Phraseologie” (EUROPHRAS) gegründet. Angesichts der Tatsache, dass sich die Phraseologie zu einer eigenständigen linguistischen Disziplin entwickelt hat, drängt sich nunmehr wieder eine aktuelle handbuchartige Übersicht über die neuen Forschungen auf. Das Handbuch “Lexikologie” (2002, HSK) widmet der Phraseologie bereits ein Kapitel, allerdings nur unter dem Aspekt “besondere Formen lexikalischer Einheiten”, womit der Status der Phraseme nur partiell erfasst wird. Es sind auch bereits umfangreiche Bibliographien (Joachim Lengert “Romanische Phraseologie und Parömiologie” 1999; in elektronischer Form die EURALEX- und EUROPHRAS-Bibliographien) vorhanden, deren Auswertung in einem Forschungsüberblick sich aufdrängt. Während in den 70er Jahren noch diskutiert wurde, ob man eine “enge” (strikt strukturalistisch orientierte) oder eine “weite” (auch pragma-, sozio- und psycholinguistische Aspekte einbeziehende) Konzeption von Phraseologie vertreten solle, besteht heute weitgehend Konsens darüber, dass Phraseologie ein sehr breites Feld linguistischer Phänomene und Fragestellungen umfasst. Ebenso ist nicht mehr zu bezweifeln, dass Sprichwörter zumindest auch wichtige phraseologische Aspekte aufweisen. Eine für die Phraseologie insbesondere im kontrastiven Bereich interessante Frage ist das Verhältnis von Wortbildung und Phraseologie, das in verschiedenen Sprachen sehr unterschiedlich sein kann. Aus dieser Perspektive ist es vielleicht wichtiger, die idiomatischen Aspekte der Wortbildung hervorzuheben, als strikte Grenzen zwischen den Bereichen zu ziehen. Manche Autoren sprechen z.B. von “formelhafter Sprache” in einem sehr weiten Sinne, um Verwechslungen mit einer im engen Sinne strukturalistisch verstandenen “Phraseologie” zu vermeiden. Die Herausgeber des vorliegenden Handbuchs halten
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diese terminologische Vorsicht für unangebracht, angesichts der zunehmenden Verwendung des Ausdrucks “Phraseologie” im weiten Sinne (vgl. dazu Art. 1.). Ein Handbuch “Phraseologie” wird also auch den großen Bereich der nur schwach idiomatischen Wortverbindungen (“Kollokationen” und ähnliche Erscheinungen) berücksichtigen müssen, ebenso wie die “Routineformeln” und die linguistischen Aspekte von Sprichwörtern und verwandten satzwertigen Verbindungen, schließlich sogar die phraseologischen Aspekte von Texten bzw. Textmustern. Die neueren Entwicklungen haben dazu geführt, dass die Fragen der Klassifikation und der Terminologie (vgl. dazu Art. 1), die in den Anfängen der Forschung dominant waren, in den Hintergrund gerückt sind. Nach wie vor aktuell sind morphosyntaktische, semantische, pragmatische und textlinguistische Aspekte der Phraseologie. Eine Reihe von Fragestellungen, wie z.B. die kognitive Orientierung der Phraseologie oder interkulturelle und kultursemiotische Gesichtspunkte, haben sich in den letzten Jahren als besonders produktiv erwiesen. Die empirische Basis der Phraseologieforschung ist in jüngster Zeit beträchtlich erweitert worden. Die großen Korpora, wie sie zuerst im angelsächsischen Sprachraum, neuerdings aber auch z.B. in Deutschland, Frankreich, Österreich, der Tschechischen Republik und Russland erstellt wurden, ermöglichen nicht nur eine stärkere Absicherung theoretischer Annahmen (zu verschiedenen der oben genannten Problembereiche können von der Korpuslinguistik neue Aufschlüsse erwartet werden), sondern eröffnen auch neue methodische Zugänge zur Auffindung und Abgrenzung phraseologischer Erscheinungen. Insbesondere auch der Bereich der Kollokationen wird durch diese Methoden besser erschließbar. Die Situation ist also in verschiedener Hinsicht grundlegend anders als zur Zeit des Handbuchs von Burger/Buhofer/Sialm (1982), als es in vielen Bereichen darum ging, relevante Fragestellungen überhaupt erst zu formulieren. Das neue Handbuch kann bereits auf breitem Wissen und reichhaltiger Forschung aufbauen. Gesichertes Wissen zusammenzufassen ist also das erste Ziel. Darüber hinaus sollen selbstverständlich offene Fragen diskutiert und Desiderata der Forschung formuliert werden. Trotzdem sind wir uns darüber im Klaren, dass auch nur annähernde Vollständigkeit des Themenspektrums nicht zu erreichen war. Verzögerungen, die mit einem Handbuchunternehmen naturgemäß verbunden sind, und unterschiedliche Schwerpunktsetzungen der einzelnen Autoren haben dazu geführt, dass nicht alle Themen in gleicher Weise vertreten und ausgearbeitet sind. Der Umfang der einzelnen Beiträge hängt nicht nur vom Thema des Artikels, sondern ebenso sehr auch von der jeweiligen Forschungslage und der Aktualität des Themas ab. Ebenso liegt es in der Natur eines gedruckten Handbuchs, dass Literatur der allerjüngsten Zeit nicht vollständig berücksichtigt werden kann. Das Handbuch besteht aus zwei Teilbänden. Die Aufteilung wurde aus technischen Gründen vorgenommen. Der erste Teilband umfasst die Kapitel I-XIII (Artikel 1-51), der zweite Teilband die Kapitel XIV-XX (Artikel 52-95) einschließlich des Namenund Sachregisters. Insgesamt haben 96 Autorinnen und Autoren an diesem Handbuch mitgearbeitet. Im ersten Teilband werden nach einer kurzen Diskussion terminologischer und klassifikatorischer Grundprobleme die grundlegenden strukturellen, semantischen und semiotischen Aspekte der Phraseme behandelt. Diese Darstellung wird durch die pragmatische
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Perspektive erweitert, wobei es zunächst um grundsätzliche pragmatische Fragestellungen geht, die anschließend auf die Textebene und die Frage von Schriftlichkeit und Mündlichkeit ausgedehnt werden. Die Verwendung von Phrasemen wird weiter spezifiziert unter soziolinguistischen, fachsprachlichen, arealen, sowie kontrastiven und interkulturellen Gesichtspunkten. Im zweiten Halbband wird die Perspektive erweitert auf die Phraseologie einzelner Sprachen. Darüber hinaus geht es um kognitive und psycholinguistische Aspekte der Phraseologie sowie um den Spracherwerb. Ein wichtiger Akzent liegt auf dem Theorie-Praxis-Verhältnis und den Anwendungsbereichen Phraseodidaktik, Phraseographie sowie um computer- und korpuslinguistische Aspekte der Phraseologie. Den Abschluss bildet ein Überblick über die historische Phraseologie von Einzelsprachen. In Kapitel I, das den ersten Teilband eröffnet, geht es um den Objektbereich der “Phraseologie”, dessen Umfang und Merkmale, und damit verbunden um Grundfragen der Terminologie und Klassifikation. Die Herausgeber des Bandes stellen auf der Basis aller vorliegenden Artikel die von den Autoren verwendeten Konzepte von “Phraseologie” und die entsprechende Begrifflichkeit vergleichend dar und diskutieren u.a. die Frage, ob eine Vereinheitlichung der Terminologie sinnvoll und wünschbar ist. In Kapitel II werden strukturelle Aspekte der Phraseme behandelt. Es wird eine Übersicht über die relevanten morphologischen Besonderheiten der Phraseme gegeben und das Verhältnis zwischen Wortbildung und Phraseologie erläutert. Berücksichtigt wird auch die Rolle der Orthographie für die schriftsprachliche Konstitution und die Abgrenzung von Phrasemen. Aus dem Bereich der Syntax werden valenztheoretische und generative Ansätze herausgegriffen sowie die Beschreibung der Phraseme im Rahmen der Grammar. In Kapitel III geht es um die Semantik der Phraseme. Es beginnt mit Überlegungen zu einer für die Analyse von Idiomen geeigneten Metasprache. In einem weiteren Artikel wird die semantische Rolle einzelner Wörter in Phrasemen und die Motivation der Phraseme (Metapher, Metonymie, usw.) behandelt, wobei die Quellen und Arten der Idiomatizität und Grade der Analysierbarkeit unterschieden werden. In einem dritten Artikel geht es um die Darstellung der paradigmatischen Strukturen in Phrasemen (semantische Felder, Synonymie, Antonymie, usw.). Ein letzter Artikel beschäftigt sich mit den Lexikalischen Funktionen der Meaning-Text-Theory als Werkzeug für die Analyse von Phrasemen. Kapitel IV bezieht sich auf die Pragmatik, Stilistik und Rhetorik der Phraseme. An pragmatischen Gesichtspunkten werden angesprochen: Phraseme als Sprechakte; Phraseme im Rahmen der Grice’schen Pragmatik und der Relevanztheorie; Phraseme aus der Perspektive der Höflichkeitstheorie und damit zusammenhängender Konzepte, schließlich aus der Sicht der Konversationsanalyse. Ein zweiter Artikel betrifft die Frage, welche Rolle die Phraseme für die Ausprägung von Textstilen spielt. Hierbei geht es u.a. um Einstellungskundgaben, Selbstprofilierung, Adressatenorientierung usw. Ein dritter Artikel greift exemplarisch einen für die Phraseologie besonders wichtigen Aspekt der Rhetorik heraus: die Argumentation. Semiotische Aspekte der Phraseme werden in Kapitel V behandelt. Hier geht es um die Darstellung des speziellen Zeichencharakters von Phrasemen, da Phraseme ein sekundäres semiotisches System bilden. Es kommen die semiotischen Dimensionen (Semantik, Syntaktik, Pragmatik) zur Sprache sowie das semiotische Verhältnis von Phra-
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seologie und Parömiologie und die Rolle der Frequenzanalyse. Dabei wird eine mögliche Verankerung der Phraseologie in verschiedenen semiotischen Richtungen und Traditionen diskutiert. Das Kapitel VI, Phraseme im Diskurs, beginnt mit allgemeinen Überlegungen zur Funktion der Phraseme in gelesener, gehörter, geschriebener und gesprochener Form. Ein weiterer Artikel befasst sich mit der besonderen Rolle der Phraseme bei Textbildung und Textprogression. Aufgrund ihres polylexikalischen Aufbaus und ihrer semantischen Spezifik haben Phraseme besondere Möglichkeiten und Aufgaben textstruktureller Art. Aus dem großen Bereich der soziolinguistischen und diskursanalytischen Fragestellungen werden zwei Bereiche herausgegriffen, die sich unter phraseologischer Perspektive als besonders interessant herausgestellt haben: Jugendsprache und Stadtsprache. Zu Phrasemen in einzelnen Text- und Gesprächssorten (Kapitel VII) gibt es bereits eine Vielzahl von Einzelstudien. Die Artikel dieses Kapitels sind einigen Textarten gewidmet (Texte der Printmedien, der audiovisuellen Medien, politische Rede, Werbetexte, Witze, Comics, populärwissenschaftliche Texte sowie populäre Kleintexte wie z.B. Horoskope), die sich durch besonders interessante Phrasemverwendungen auszeichnen. Sowohl in den generellen Überlegungen wie bei den einzelnen Textsorten wird das Konzept der “Funktion” des Phrasems problematisiert und diskutiert. In Kapitel VIII, Phraseologie in literarischen Texten und Autorenphraseologie, wird zunächst die Frage nach den spezifischen Funktionen von Phrasemen in literarischen Texten behandelt. Anschließend wird der Gebrauch der Phraseme bei einigen Autoren untersucht, die bereits die Aufmerksamkeit der Phraseologieforschung auf sich gezogen haben (Spenser, Emerson, Kraus, Proust, Dostoevskij). Schwerpunkte sind die kontextuelle Einbettung der Phraseme, ihre Rolle bei der Gestaltung größerer Textabschnitte, autorenspezifische Modifikationen von Phrasemen, das Verhältnis zwischen dem Zeitspezifischen und dem Autorspezifischen. Die Verschiedenartigkeit der ausgewählten Autoren dient dazu, die unterschiedlichen Aspekte des Begriffs “Autorenphrasem” zu zeigen. Sprichwörter (Kapitel IX) werden sowohl als Phraseme als auch als kulturelle Einheiten oder Gegenstände der Volkskunde betrachtet. Der erste Artikel behandelt die sprachwissenschaftlichen Besonderheiten von Sprichwörtern. Es werden Sprichwörter von verwandten Erscheinungen wie Idiomen, Zwillingsformeln, Klischees, Sentenzen, Aphorismen, Anspielungen usw. abgegrenzt. Diskutiert werden charakteristische Sprichwortmuster und -rahmen sowie die formelhaften Eigenschaften von Sprichwörtern, wie Prosodie, Parallelismen und Bildhaftigkeit, sodann auch systematische Beziehungen zwischen Sprichwörtern, wie z.B. Synonymie und Antonymie. Der zweite Artikel behandelt Sprichwörter als kulturelle Einheiten und Gegenstände der Volkskunde, insbesondere auch die Entstehung und Weiterentwicklung von Sprichwörtern. Das Auftreten und die Funktionen von Sprichwörtern in der Werbebranche, in der Popmusik, in den Medien, in der Literatur usw. werden thematisiert. Im letzten Artikel werden Nachschlagewerke für Sprichwörter in verschiedenen Sprachgemeinschaften, insbesondere auch unter methodologischen Aspekten, besprochen. In Kapitel X werden Besondere Typen von Phrasemen behandelt. Es geht dabei um Phraseme mit einer charakteristischen Struktur (Zwillingsformen, komparative Phraseme) sowie Funktionsverbgefüge. Pragmatisch determinierte Phrasemtypen wie Routi-
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neformeln, Slogans und andere Spruchsorten werden ebenfalls behandelt. Zum Schluss werden phraseologische Fragestellungen auf die Textebene hin erweitert. Kapitel XI widmet sich der Fachphraseologie. Diskutiert wird zunächst der spezifische Gebrauch von Phrasemen in Fachtexten, auch unter dem Aspekt des Verhältnisses von Fachsprache und Gemeinsprache. Sodann werden exemplarisch zwei Bereiche ausgewählt: Phraseme in juristischen und medizinischen Texten. Areale Aspekte der Phraseologie stehen im Mittelpunkt von Kapitel XII. Ein erster Artikel behandelt am Material verschiedener Sprachen den Forschungsstand und die Methoden der Erforschung der dialektalen Phraseologie. Dabei geht es vor allem um kognitiv-basierte und kultursemiotische Ansätze. Ein zweiter Artikel widmet sich aus germanistischer Perspektive der Phraseologie der deutschen Dialekte, der bisherigen Erfassung und Beschreibung dialektaler Phraseme u.a. in Lexika und Sprachatlanten und diskutiert neue empirische Methoden und Fragen des Sprachkontakts. In einem dritten Artikel geht es um die standardsprachliche Binnendifferenzierung des Deutschen aus phraseologischer Perspektive (Teutonismen, Helvetismen, Austriazismen etc.). Der letzte Artikel befasst sich mit den nationalen Varietäten im britischen und amerikanischen Englisch. Ausgangspunkt von Kapitel XIII, Phraseme im Sprachvergleich und in der Übersetzung, ist eine Diskussion zentraler Begriffe der kontrastiven Phraseologie, darunter vor allem des Begriffs der “Äquivalenz” und der verschiedenen Auffassungen dieses Konzepts. In diesem Zusammenhang werden auch praktische Anwendungsmöglichkeiten der Ergebnisse kontrastiver Studien besprochen. Im zweiten Artikel fällt bei der Untersuchung interkultureller Aspekte der Phraseologie vor allem die Kategorie des Kulturwissens ins Gewicht. Es handelt sich dabei um bestimmte kognitive Strukturen (vom kulturspezifischen Alltagswissen bis hin zu semiotisierten sekundären Zeichen), die in der lexikalischen Struktur bestimmter Phraseme in verschiedenen Formen fixiert sind. Berücksichtigt werden Untersuchungsergebnisse konkreter Sprachvergleiche. Den Fokus des dritten Artikels bilden theoretische und praktische Problemen des Übersetzens von Phrasemen. Es werden vor allem literarische, aber auch Gebrauchstexte berücksichtigt. Der zweite Teilband beginnt mit Kapitel XIV, der Phraseologie einzelner Sprachen. Exemplarisch werden einige indoeuropäische und nicht-indoeuropäische Sprachen (inkl. Plansprachen) ausgewählt, deren Phraseologie entweder bereits hinreichend untersucht ist oder zu denen wenig Literatur zugänglich ist (z.B. Chinesisch oder Arabisch). Wünschenswert wäre natürlich eine breitere Palette von Sprachen, doch der limitierte Umfang des Handbuchs und die beschränkten Möglichkeiten, Autoren zu gewinnen, reduzieren das Wünschbare auf das Machbare. Berücksichtigt werden dabei u.a. die in der betreffenden Sprache vorkommenden phraseologischen Klassen und ihre Besonderheiten sowie das Verhältnis zwischen Phraseologie und Wortbildung, kulturspezifische Züge, Auffälligkeiten der Metaphorik sowie auch die jeweilige Forschungstradition. Die Gewichtungen der Gesichtspunkte sind je nach Sprache und Autor unterschiedlich. Kognitive und psycholinguistische Aspekte der Phraseologie bilden den Schwerpunkt von Kapitel XV. Wichtigstes Ziel der kognitiv orientierten Phraseologieforschung ist die Aufdeckung der Rolle der bildlichen Bedeutungskomponente beim Funktionieren der Idiome (erster Artikel). Viele Besonderheiten der Semantik, Pragmatik und Syntax
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von Idiomen lassen sich auf die Spezifik der zugrundeliegenden Metaphernstruktur zurückführen. Unter psycholinguistischer Perspektive werden Fragen der Speicherung von Phrasemen, die psychischen Prozesse bei der Produktion sowie beim Verstehen und Verarbeiten behandelt, und zwar einerseits mit Fokus auf der amerikanischen (zweiter Artikel) und der europäischen (dritter Artikel) Forschungstradition. In Kapitel XVI, Spracherwerb und Didaktik der Phraseme, geht es zunächst um die Frage der altersspezifischen Entwicklung des Gebrauchs und Verstehens von Phrasemen. Dabei kommen sowohl naturalistische (Beobachtung, Aufzeichnung auf Datenträger) als auch experimentelle Methoden zur Sprache. In zwei Artikeln werden diese Probleme für den Erstspracherwerb und für den Zweitsprachenerwerb behandelt. Das Kapitel beschäftigt sich ferner mit dem aus phraseologischer Sicht bisher vernachlässigten Gebiet des Muttersprachen- und Fremdsprachenunterrichts. Im Artikel über die Behandlung der Phraseme im Muttersprachenunterricht geht es vor allem um historische, stilistische und pragmatische Fragestellungen. Im Bereich des Fremdsprachenunterrichts stehen dagegen das Erlernen, Üben, Behalten und situationsadäquate Anwenden von Phrasemen im Vordergrund. Die beiden einleitenden Artikel von Kapitel XVII, Phraseographie, behandeln die theoretischen, methodologischen und praktischen Probleme der ein- und zweisprachigen Phraseographie. Im Weiteren werden die phraseographischen Traditionen verschiedener Sprachen dargestellt. Die Phraseographie ist in den hier besprochenen Sprachen sehr unterschiedlich ausgeprägt und entwickelt. In den jeweiligen Artikeln werden sowohl die historische Entwicklung der Phraseographie als auch die gegenwärtige Situation der ein- und zweisprachigen Wörterbücher dargestellt. In Kapitel XVIII, Computerlinguistische Aspekte der Phraseologie, werden Phraseme im Kontext der maschinellen Übersetzung, automatischen Spracherkennung und Spracherzeugung thematisiert. Ein wichtiges computerlinguistisches Problem besteht darin, Phraseme automatisch als solche zu erkennen. Die Schwerpunkte des ersten Artikels sind Methoden der Datengewinnung aus den Korpora, Identifikation der Phraseme durch Kodierung und syntaktische Analyse sowie ihre semantische Repräsentation im Lexikon. Der zweite Artikel konzentriert sich auf Phraseme in NLP-Anwendungen und auf Entwicklungstendenzen und neuere methodologische Ansätze. Im Kapitel XIX, Korpuslinguistische Aspekte der Phraseologie, werden die für die Phraseologie relevanten Ergebnisse der aktuellen korpusbasierten Projekte beschrieben. Aus theoretischer Sicht sind folgende Aspekte zu erwähnen: Das korpuslinguistische Herangehen führt zu einer neuen Sicht vieler Begriffe und Probleme der Phraseologie (darunter Frequenz, Gebräuchlichkeit, Festigkeit/Stabilität vs. Variabilität und ihre Grenzen, Lexikalisierung, Usualisierung). Aus lexikographischer Sicht ermöglicht das korpuslinguistische Herangehen, die Gestaltung der Lemmata zu präzisieren, ein enormes empirisches Material auszuwerten und auf seiner Grundlage relevante semantische, pragmatische und kombinatorische Eigenschaften der Phraseme aufzudecken und zu beschreiben. Der erste Artikel behandelt korpuslinguistische Methoden anhand englischer Korpora, der zweite Artikel anhand deutscher Textkorpora. Der dritte Artikel befasst sich mit dem WWW als Korpus für Phraseme. In allen Artikeln des Kapitels XX, Historische Phraseologie, werden zum einen Grundfragen behandelt, die sich für alle Sprachen stellen: Methodische Probleme der Erfassung von Phrasemen und ihrer Bedeutungen in historischen Texten, Prozesse der
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Entstehung von Phrasemen, Herkunftsbereiche, Verfestigungsprozesse, lexikalischer, morphosyntaktischer und semantischer Wandel, Aussterben von Phrasemen. Wichtige Aspekte sind ferner die Standardisierung der Schriftsprachen und die Rolle der Dialekte für die Genese der Phraseme. Zum anderen wird das Spezifische der einzelsprachlichen historischen Entwicklung in den Vordergrund gestellt. Dabei wird so weit möglich die Geschichte der Phraseologie auf dem Hintergrund der allgemeinen Sprachund Kulturgeschichte dargestellt. Die Auswahl der berücksichtigten Sprachen richtet sich nach bereits vorliegenden einschlägigen Untersuchungen. Namen- und Sachregister im zweiten Teilband schließen das Handbuch ab. Auf ein Abkürzungsverzeichnis wurde verzichtet, da sowohl in den Artikeltexten als auch in den Literaturverzeichnissen (wissenschaftlich) konventionalisierte Abkürzungen verwendet wurden. Folgende Schreibkonventionen wurden vereinbart, die bei den meisten Artikeln eingehalten werden: metasprachlich erwähnte Phraseme und sonstige sprachliche Ausdrücke in Kursivschrift, Bedeutungsangaben in einfachen Anführungszeichen, die wörtliche Bedeutung eines Phrasems gegebenenfalls in doppelten Anführungszeichen; ebenfalls Zitate, Termini und Titel von Wörterbüchern in doppelten Anführungszeichen. Die Vernetzung der Artikel kommt u.a. auch in den Artikelverweisen (vgl. Art.) zum Ausdruck. Das neue Handbuch soll verschiedenste Adressatengruppen ansprechen: Linguisten, Literaturwissenschaftler, Lexikographen, Didaktiker, Übersetzer, Psychologen, Ethnologen und Soziologen. Wir möchten unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern danken, die uns bei der Redaktion, den Korrekturen und der Übersetzung geholfen haben: Maximiliane Frobenius, Johannes Glembek, Gabi Hennen, Hiloko Kato, Stephen Miller und Corinna Norrick. Die Herausgeber hoffen, dass das Handbuch “Phraseologie” zur Konsolidierung und zur Integration der Phraseologie beiträgt sowie ihre Entwicklung durch konzeptionelle Forschungsimpulse voranbringt. August 2006
Harald Burger (Zürich) Dmitrij Dobrovol'skij (Moskau) Peter Kühn (Trier) Neal R. Norrick (Saarbrücken)
Foreword Phraseology is a branch of linguistics with a significant tradition reaching back to Charles Bally’s “Traité de stilistique française” (2 vols., Heidelberg, 1909). Bally’s ideas were not extended immediately, but they were taken up by V.V. Vinogradov in the 1940s, leading to the initiation of numerous publications on Russian materials. Phraseology did not, however, become an internationally recognized and expanding area of research until the 70’s of the previous century. In the 70’s and 80’s various scholars (Adam Makkai “Idiom Structure in English” 1972 for English, Harald Thun “Probleme der Phraseologie” (1978) for the Romance Languages, Harald Burger/Annelies Buhofer/Ambros Sialm “Handbuch der Phraseologie” (1982) und Wolfgang Fleischer “Phraseologie der deutschen Gegenwartssprache” (1982) for German, to name just a few important publications) gave an overview of phraseology for that era from very different perspectives. Since then interest in phraseology has grown by leaps and bounds, as demonstrated by the abundance of international conferences and new publications in the various special areas of the field. There are also already summary overviews of phraseology, though none with the status of proper handbooks. Palm (1997) and Burger (1998) represent new introductions to phraseology. 1999 saw the establishment of the “European Society for Phraseology/ Europäische Gesellschaft für Phraseologie” (EUROPHRAS), a sign of the necessity for international exchange in this area of research. Now that phraseology has evolved into an independent linguistic discipline, an up-to-date handbook representation of recent phraseological research has become a compelling obligation. The “Handbook of Lexicology/Handbuch der Lexikologie” (2002 HSK) dedicated a chapter to phraseology, but only under the heading of “special forms of lexical units”, so that set phrases as units in their own right were only indirectly included. In the meantime, comprehensive new bibliographies have appeared (Joachim Lengert: “Romanische Phraseologie und Parömiologie” 1999; the Euralex and Europhras Bibliographies in electronic form), awaiting evaluation in a fresh overview of relevant research. While in the 70s the discussion still raged whether we ought to propagate a “narrow” (strict formal-structuralist orientation) or a “wide” (including pragmatic, sociolinguistic and psycholinguistic perspectives) conception of phraseology, today there is a general consensus that phraseology encompasses a very broad palette of linguistic phenomena and issues. Similarly, it can no longer be denied that proverbs possess important phraseological characteristics. An interesting issue for phraseology, especially from a contrastive linguistic point of view, is the relationship between word-formation and phraseology, since this relationship manifests itself in different ways from one language system to the other. From this perspective, it is perhaps more important to stress the idiomatic character of word-formation, rather than to draw a strict line between the two areas. Some authors speak of “formulaic language” in a very general sense to avoid confusion with a narrowly structuralist definition of phraseology. The editors of this Handbook consider this terminological caution unnecessary, in light of the increasing use of the term phraseology in the more general sense (compare Article 1). This new Handbook of Phraseology therefore includes the large territory of weakly idiomatic word
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groups (collocations and similar phenomena), along with the routine formulae and the linguistic characteristics of proverbs and related sentence-level units, as well as phraseological aspects of texts and text patterns. The new developments in phraseology have led to a re-evaluation and re-definition of the questions and terminology (see Article 1) which were dominant at the beginning of research in this field. Of continuing interest are morphological, syntactic, semantic, pragmatic, and textlinguistic aspects of phraseology. In the meantime, certain special areas of research in phraseology have come to assume a central role, namely: the cognitive basis of phraseology (as an area of Cognitive Linguistics, especially in connection with cognitive linguistic research on metaphor), along with intercultural and cultural semiotic aspects of phraseology. The empirical basis of research in phraseology has expanded considerably in recent years. The large corpora, initially produced in the Anglo-American language community, but now in Germany, France, Austria, the Czech Republic and Russia as well, are rendering our theoretical assumptions more testable (we can expect new impulses from corpus linguistics for some of the above mentioned areas), but they are also opening new methodological approaches for discovering and distinguishing phraseological phenomena. Especially the area of collocation is becoming more clearly defined through corpus linguistic methods. The situation is thus in many respects fundamentally different from the era of the Handbook by Burger/Buhofer/Sialm (1982), in so far as they were concerned with initial formulations of relevant issues in many cases. This new Handbook already builds on a basis of broad knowledge and rich research. Summarizing established knowledge is therefore the first goal of the new Handbook. Beyond that, of course, open questions are discussed and desiderata for future research are formulated. We are nevertheless aware that we have only been able to achieve an approximation to completeness in the areas represented. Delays, which are unavoidable in the undertaking of a handbook, and the special interests of the contributing authors conspire to ensure that all topics do not receive the same kind or the same amount of attention. The coverage and length of the individual articles depends not only on the topics themselves, but also very much on the current research situation and the interests of the authors themselves. It is also in the nature of a handbook that the most recent literature cannot receive as much attention as it may deserve. The handbook falls into two volumes for technical reasons. The first volume contains chapters I-XIII (articles 1-51), and the second volume contains chapters XIV-XX (articles 52-95) along with the name and subject indexes. All together ninety-six authors contributed to this handbook. In the first volume, following a brief consideration of terminology and classification, fundamental structural, semantic and semiotic aspects of set phrases are discussed. This discussion extends to comprise pragmatic perspectives, initially fundamental pragmatic issues and then text-linguistic matters, including written versus oral discourse. The forms and functions of formulaicity are further investigated under the perspectives of sociolinguistics, language for special purposes, and areal linguistics as well as contrastive and intercultural points of view. In the second volume, the scope broadens to embrace phraseology in individual languages. In addition, cognitive and psycholinguistic aspects of phraseology along with language acquisition come in for attention. The handbook places special emphasis on
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the relation between theory and practice and on areas of application: phraseodidactics and phraseography along with computer and corpus linguistic aspects of phraseology. An overview of the historical phraseology of individual languages rounds out the second volume. Chapter I, which opens the first volume, concerns the subject area of phraseology, its range and characteristics, and in relation to them, fundamental issues of terminology and classification. On the basis of the articles assembled here, the editors of the volume describe and compare different concepts of phraseology and the terminology used by the authors in their respective articles. They further discuss the desirability and practicability of a standardization of terminology. The second chapter covers Structural aspects of set phrases. It gives an overview of the relevant morphological features of fixed expressions and describes the relationship between word-formation and phraseology, as well as considering the role of orthography for the written instantiation and distinction of set phrases. In regard to syntax, it sketches valence theoretical and generative approaches as well as problems concerning the description of set phrases in Construction Grammar. The third chapter concerns the Semantics of set phrases. It begins with a discussion of the metalanguage appropriate to the study of set phrases. A further section covers the semantic role of single words in set phrases and the motivation of set phrases (metaphor, metonymy etc.), distinguishing sources and types of idiomaticity, degrees of analyzability. A third section contains a treatment of paradigmatic structures in set phrases (semantic fields, synonymy, antonymy etc.). A final section is devoted to Lexical Functions in Meaning-Text Theory as a tool for analyzing restricted collocations. The fourth chapter addresses Pragmatic, stylistic, and rhetorical issues in phraseology. It considers Gricean Pragmatics and Relevance Theory, discussing set phrases and implicature, single stage versus two-stage interpretation. It also contains a discussion of set phrases and politeness theory, including face-threatening acts, power, rapport and inference, finally, from the perspective of Conversation Analysis as well. A second article contains a discussion of stylistic properties and functions of set phrases in discourse, including who uses set phrases, with whom, and to what effect; where set phrases occur in discourse; set phrases as discourse markers, set phrases and deixis and so on. A third section concentrates on the role of set phrases in a central area of discourse analysis, namely argumentation. Semiotic aspects of set phrases stand at the center of interest in the fifth chapter. This chapter deals with the specific sign character of set phrases from the particular perspectives of syntax, semantics and pragmatics, in so far as set phrases form a secondary semiotic system, while covering the possible embodiment of phraseology in different semiotic directions and traditions. In particular, it considers the relationship between phraseology and paremiology, and the role of frequency analysis. The sixth chapter, Set phrases in discourse, begins with a general consideration of set phrases in reading and listening, writing and speaking. A second article explores the special role set phrases play in the formation and progression of texts, due to their polylexemic structure and their characteristic semantics. From the disciplines of sociolinguistics and discourse analysis, two important topic areas have been chosen for their special significance from a phraseological perspective: adolescent language and city language.
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On the topic of Set phrases in types of texts and conversation (chapter VII) there are already a number of individual investigations. The articles in this chapter address various types of texts marked by their characteristic use of set phrases: printed and audiovisual texts, spoken political texts, advertising texts, jokes and comics, popular science texts and short personal-interest texts such as horoscopes. Authors address the concept of the “function” of set phrases in general as well as in individual text types. Chapter VIII, Phraseology of literary texts and individual authors, initially addresses the question of specific functions of set phrases in literary texts. Following this general consideration of phraseology in literary texts, it selects just a few exemplary authors who have previously attracted the attention of phraseology researchers, namely Spenser, Emerson, Karl Kraus, Proust, and Dostoevskij. The linguistic description goes beyond a systematic structural analysis to focus on the contextualisation of set phrases, their role in the constitution of larger textual units, particular authorial modifications of set phrases and the relationship between the authors’ usage and that characteristic for their respective language eras. The diversity of the authors chosen serves to demonstrate the various aspects of the term “authorial set phrase”. Proverbs (chapter IX) are treated both as set phrases and as cultural artifacts or items of folklore. The first section on proverbs as set phrases covers linguistic features of proverbs. It distinguishes proverbs from related units such as idioms, binomials, clichés, sayings, gambits, epigrams, allusions etc. It explores characteristic proverb patterns and proverb frames. It deals with the formulaic properties of proverbs such as prosody, parallelism and imagery. Systematic semantic relations between proverbs such as synonymy and antonymy receive attention. Figurative properties of individual proverbs are treated as well. The section on proverbs as cultural artifacts and items of folklore covers the genesis and evolution of proverbs. It treats proverb occurrence and functions in advertising, in popular songs, in the various media, in literature and so on. A final section covers proverb dictionaries in different language communities, especially from a methodological point of view. Particular types of set phrases come in for attention in chapter X: first those with a characteristic structure such as binomials, similes and light verb constructions (including contrastive perspectives), then pragmatically fixed types of set phrases, such as routine formulae, slogans and the like. Finally, it addresses issues surrounding formulaicity at the text level. Chapter XI considers Set phrases in technical language. It treats the specific use of set phrases in language for special purposes, especially from the perspective of the relationship between technical language and common language. The articles cover the special features of set phrases and describe the functions of set phrases in two chosen areas: legal texts and economic texts. Areal aspects of phraseology make up the subject matter of chapter XII. The first article addresses the state of the art and research methods in the phraseology of dialects, based on data from various language communities. It focuses primarily on important results from research on dialect phraseology from a cultural semiotic perspective. The second article – from the perspective of German dialectology – concerns the phraseology of dialects, the collection and description of dialectal set phrases, e.g., in lexical and language atlases, along with questions of language contact. A third article treats standard language differences within German from a phraseological perspective
XVI
Foreword
(Teutonisms, Helvetisms, Austrianisms, etc.). The last article deals with phraseology in the national varieties of English. The starting point for chapter XIII, Contrastive phraseology and translation, is a discussion of central concepts of contrastive phraseology, in particular the notion of equivalence. Various practical applications of research on equivalence are discussed. In the investigation of intercultural aspects of phraseology in the second article, the category of cultural knowledge looms especially large. Certain cognitive structures (from culture specific, everyday knowledge all the way to semiotized secondary signs), which are fixed in the lexical structure of specific set phrases in different ways, are considered. Research results from concrete language comparisons receive attention as well. The third article then focuses on theoretical and practical problems of translation. A successful translation of a set phrase is not necessarily a set phrase. Both literary and practical texts are considered. The second volume of this handbook begins with chapter XIV, the Phraseology in individual languages. It singles out a few languages whose phraseology is already well researched (including phraseology in planned languages) for purposes of exposition, as well as languages for which little research on phraseology exists (e.g. Chinese and Arabic). Of course, a broader palette of languages would be desirable, but limitations of space in the Handbook and the difficulty of finding appropriate authors have reduced the ideal to the possible. Classes of set phrases which occur in the languages in question and their special properties as well as the relationship between phraseology and word formation, culture specific characteristics, conspicuous patterns of metaphor, will be considered. The weighting of these various factors differs by language and author. Cognitive and psycholinguistic aspects of phraseology constitute the topic of chapter XV. One main topic (first article) in a cognitive approach to phraseological research is the role of image components of meaning in the functioning of idioms and the applicability of the cognitive theory of metaphor to idiomaticity. Many special characteristics of the semantics, pragmatics and syntax of idioms follow from the details of their metaphoric structure. This chapter also considers memorization of set phrases and psychological processes during the production and comprehension of set phrases, on the one hand, in the American tradition (second article), and on the other hand, in the European tradition (third article). Chapter XVI, Language acquisition and language teaching, considers the age-specific development of set phrase use and comprehension. It takes both naturalistic (observation, records) and experimental methods into consideration. Two separate articles treat this topic with regard to first language acquisition and second language acquisition. It also treats the often neglected field of phraseology in first and second language teaching. The article concerning the topic of set phrases in first language teaching contemplates primarily historical, stylistic and pragmatic problems. In the area of second language teaching, by contrast, the acquisition, practice, memorization and adequate use of set phrases are at the center of attention. The first two foundational articles in chapter XVII, Phraseography, deal with the theoretical, methodological and practical problems of monolingual and bilingual phraseography. Further, traditions of phraseography in different language communities are considered. Phraseography has developed in divergent ways in the languages treated
Foreword
XVII
here. The various articles describe not only the historical development of phraseology but also the current situation in monolingual and bilingual dictionaries. Chapter XVIII, Computer linguistic aspects of phraseology, covers set phrases in the context of machine translation, automatic language recognition and production. One of the central problems facing computer linguistics with regard to phraseology is the automatic recognition of set phrases. The focal points of the first article are methods of data collection from corpora, identification of set phrases through coding, and syntactic analysis along with the semantic representation of set phrases in the lexicon. The second article concentrates on set phrases in Natural Language Processing and on recent developments and new methods. The chapter on Corpus linguistic aspects of phraseology (XIX) describes the results of current corpus-based projects relevant to phraseology. From a theoretical perspective, the following must be mentioned: a corpus linguistic approach leads to a new view of many phraseological terms and problems (including frequency, familiarity, stability versus variability and its boundaries, lexicalization, entrenchment). From a lexicographical perspective, the corpus linguistic approach offers more precision in the creation of lemmata, as well as enabling the evaluation of an enormous quantity of empirical material. In this way, it also makes the appraisal and description of relevant semantic, pragmatic and combination characteristics possible. The first article treats corpus linguistic methods with English corpora, while the second article treats those with German corpora. A final article explores the use of the World Wide Web as a resource for research in phraseology. Finally, in the articles in chapter XX, Historical phraseology, we come to basic phraseological questions which can be raised for any language: methodological problems in the study of set phrases and their meaning in historical texts; the development of set phrases; their origins, their gradual entrenchment as a permanent part of a language, and their eventual disappearance from it; lexemic, morphosyntactic and semantic changes. Important issues are also the standardization of written languages and the role of dialect in the genesis of set phrases. In addition, the specifics of monolingual phrase history are explored, illustrating the history of phraseology with the help of the general history of language and culture. Besides considering phraseological and paremiological work in the narrow sense, those lexicological, language-historical and folkloric studies with a phraseological component are taken into account. A few languages have been selected on the basis of apposite available research. An index of names and subjects in volume two completes the Handbook. The following writing conventions were established, and they are reflected in most of the contributions: metalinguistically cited set phrases and other linguistic items in italics, meanings and glosses in single quotes, the literal meaning of a set phrase in double quotes where necessary; double quotes also for quoted passages, technical terms and titles of dictionaries. No index of abbreviations was deemed necessary, since standard (scholarly) abbreviations appear in the articles and their bibliographies. Cross-references within the articles themselves, as in: (see Art.), contribute to the interrelatedness of the individual contributions. This new Handbook seeks to address a broad and varied readership: linguists, literary scholars, lexicographers, pedagogues, translators, psychologists, ethnologists and sociologists.
XVIII
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We would like to thank our colleague and assistants, who have helped us with editing, correction and translation: Maximiliane Frobenius, Johannes Glembek, Gabi Hennen, Hiloko Kato, Stephen Miller, and Corinna Norrick. The editors hope that the Handbook of Phraseology contributes to the consolidation and integration of phraseology and advances its development through conceptual research impulses. August 2006
Harald Burger (Zurich) Dmitrij Dobrovol'skij (Moscow) Peter Kühn (Trier) Neal R. Norrick (Saarbrücken)
Inhalt/Contents 1. Halbband/Volume 1 Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Foreword . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII
I.
Einführung/Subject area, terminology and research topics
01.
Harald Burger, Dmitrij Dobrovol’skij, Peter Kühn, Neal R. Norrick 1a. Phraseologie: Objektbereich, Terminologie und Forschungsschwerpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1b. Phraseology: Subject area, terminology and research topics . . . . . . . . 10
II.
Strukturelle Aspekte der Phraseme/ Structural aspects of set phrases
02. 03. 04. 05.
František Čermák, Idioms and morphology . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Irmhild Barz, Wortbildung und Phraseologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anke Levin-Steinmann, Orthographie und Phraseologie . . . . . . . . . . . . Barbara Wotjak, Antje Heine, Syntaktische Aspekte der Phraseologie I: Valenztheoretische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Koenraad Kuiper, Syntactic aspects of phraseology II: Generative approaches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Helmuth Feilke, Syntaktische Aspekte der Phraseologie III: Construction Grammar und verwandte Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . .
06. 07.
. 20 . 27 . 36 . 41 . 53 . 63
III.
Semantik der Phraseme/Semantics of set phrases
08. 09. 10. 11.
Anatolij Baranov, The problem of the metalanguage Harald Burger, Semantic aspects of phrasemes . . . Kristel Proost, Paradigmatic relations of phrasemes Igor Mel’čuk, Lexical Functions . . . . . . . . . . . . . .
IV.
Pragmatik – Stilistik – Rhetorik der Phraseme/ Pragmatic, stylistic, and rhetorical issues in phraseology
12. 13. 14.
Natalia Filatkina, Pragmatische Beschreibungsansätze . . . . . . . . . . . . . . 132 Barbara Sandig, Stilistische Funktionen von Phrasemen . . . . . . . . . . . . 158 Jan Wirrer, Phraseme in der Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
V.
Semiotische Aspekte der Phraseme/ Semiotic aspects of set phrases
15. 16.
Peter Grzybek, Semiotik und Phraseologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Elisabeth Piirainen, Phrasemes from a cultural semiotic perspective . . . . 208
. . . .
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. . . .
77 90 110 119
XX
Inhalt/Contents
VI.
Phraseme im Diskurs/Set phrases in discourse
17.
Stephan Stein, Mündlichkeit und Schriftlichkeit aus phraseologischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Annette Sabban, Textbildende Potenzen von Phrasemen Claus Ehrhardt, Phraseme in der Jugendsprache . . . . . . Lorenz Hofer, Phraseologie in Stadtsprachen . . . . . . . .
. . . .
. . . .
. . . .
220 237 253 264
VII.
Phraseme in einzelnen Text- und Gesprächssorten/ Set phrases in types of texts and conversation
21. 22. 23. 24. 25. 26. 27.
Mariann Skog-Södersved, Phraseologismen in den Printmedien . . . . . Lutz Köster, Phraseme in audiovisuellen Medien . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Elspaß, Phrasemes in political speech . . . . . . . . . . . . . . . . . Marjo Vesalainen, Phraseme in der Werbung . . . . . . . . . . . . . . . . . Neal R. Norrick, Set phrases and humor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lutz Köster, Phraseme in populären Kleintexten . . . . . . . . . . . . . . . . Kathrin Kunkel-Razum, Phraseme in populärwissenschaftlichen Texten
. . . . . . .
. . . . . . .
269 275 284 292 302 308 312
. . . .
316 330 337 348
18. 19. 20.
. . . .
. . . .
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. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
VIII. Phraseme in literarischen Texten und Autorenphraseologie/ Phraseology of literary texts and individual authors
33.
Wolfgang Eismann, Phraseme in literarischen Texten . . . . . . . . . . . Charles Clay Doyle, Proverbs in the works of Edmund Spenser . . . Wolfgang Mieder, Proverbs in the works of Ralph Waldo Emerson . Evelyn Breiteneder, Phraseme bei Karl Kraus . . . . . . . . . . . . . . . . Michel Martins-Baltar, Marcel Proust, Pragmatiker der „gebräuchlichen Ausdrücke“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anatolij Baranov, Dmitrij Dobrovol’skij, Phraseme bei Dostoevskij .
IX.
Sprichwörter/Proverbs
34. 35. 36.
Neal R. Norrick, Proverbs as set phrases . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 Wolfgang Mieder, Proverbs as cultural units or items of folklore . . . . . . . 394 Tamás Kispál, Sprichwörtersammlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414
X.
Besondere Typen von Phrasemen/ Particular types of set phrases
37. 38.
Csaba Földes, Phraseme mit spezifischer Struktur . . . . . . . . Jeroen van Pottelberge, Funktionsverbgefüge und verwandte Erscheinungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heinz-Helmut Lüger, Pragmatische Phraseme: Routineformeln Ulla Fix, Der Spruch – Slogans und andere Spruchtextsorten . Ulrich Dausendschön-Gay, Elisabeth Gülich, Ulrich Krafft, Phraseologische/formelhafte Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28. 29. 30. 31. 32.
39. 40. 41.
. . . .
. . . .
. . . .
. . . . 355 . . . . 366
. . . . . . . . 425 . . . . . . . . 436 . . . . . . . . 444 . . . . . . . . 459 . . . . . . . . 468
XXI
Inhalt/Contents
XI.
Fachphraseologie/Set phrases in technical language
42. 43. 44.
Rosemarie Gläser, Fachphraseologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482 Anne Lise Kjær, Phrasemes in legal texts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 Gertrud Gréciano, Phraseme in medizinischen Texten . . . . . . . . . . . . . . 516
XII.
Areale Aspekte der Phraseme/ Areal aspects of phraseology
45. 46. 47.
Elisabeth Piirainen, Dialectal phraseology: Linguistic aspects . . . Peter Zürrer, Phraseme aus germanistisch-dialektologischer Sicht . Regula Schmidlin, Phraseological expressions in German standard varieties . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karin Aijmer, Set phrases in the national varieties of English . . . .
48.
. . . . . 530 . . . . . 540 . . . . . 551 . . . . . 563
XIII. Phraseme im Sprachgebrauch und in der Übersetzung/ Contrastive phraseology and translation 49. 50. 51.
Jarmo Korhonen, Probleme der kontrastiven Phraseologie . . . . . . . . . . . 574 Annette Sabban, Culture-boundness and problems of cross-cultural phraseology . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 590 Werner Koller, Probleme der Übersetzung von Phrasemen . . . . . . . . . . . 605
2. Halbband/Volume 2 XIV. Phraseologie einzelner Sprachen/ Phraseology in individual languages 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. 59. 60. 61. 62. 63. 64. 65. 66. 67.
Neal R. Norrick, English phraseology Peter Kühn, Phraseologie des Deutschen: Zur Forschungsgeschichte Kurt Feyaerts, Dutch phraseology Claudine Moulin, Natalia Filatkina, Phraseology of Luxembourgish Simon Neuberg, Phraseologie des Jiddischen Christine Palm Meister, Phraseologie des Schwedischen Salah Mejri, French phraseology Stefania Nuccorini, Italian phraseology María Teresa Zurdo, Phraseologie des Spanischen Dmitrij Dobrovol’skij, Tatjana Filipenko, Russian phraseology Peter Ďurčo, Slovak phraseology Irma Hyvärinen, Phraseologie des Finnischen Moufida Ghariani Baccouche, Arabic phraseology Yong Liang, Phraseologie des Chinesischen Mi-Ae Cheon, Phraseologie des Koreanischen Sabine Fiedler, Phraseology in planned languages
XXII
Inhalt/Contents
XV.
Kognitive und psycholinguistische Aspekte/ Cognitive and psycholinguistic aspects
68. 69.
Dmitrij Dobrovol’skij, Cognitive approaches to idiom analysis Raymond W. Gibbs, Jr., Herbert L. Colston, Psycholinguistic aspects of phraseology: American tradition Annelies Häcki Buhofer, Psycholinguistic aspects of phraseology: European tradition
70.
XVI. Spracherwerb und Didaktik der Phraseme/ Language acquisition and language teaching 71. 72. 73. 74.
Annelies Häcki Buhofer, Phraseme im Erstspracherwerb Alison Wray, Set phrases in second language acquisition Peter Kühn, Phraseme im Muttersprachenunterricht Stefan Ettinger, Phraseme im Fremdsprachenunterricht
XVII. Phraseographie/Phraseography 75. 76. 77. 78. 79. 80. 81. 82. 83. 84. 85.
Rosamund Moon, Phraseology in general monolingual dictionaries Sophia Lubensky, Marjorie McShane, Bilingual phraseological dictionaries Anthony Cowie, English phraseography Peter O. Müller, Kathrin Kunkel-Razum, Phraseographie des Deutschen Ken Farø, Danish phraseography Joachim Lengert, Phraseographie des Französischen Massimo Fanfani, Phraseographie des Italienischen Antonio Pamies, Spanish phraseography Tatjana Filipenko, Valerij Mokienko, Phraseographie des Russischen Jarmo Korhonen, Phraseographie des Finnischen Vilmos Bárdosi, Regina Hessky, Phraseographie des Ungarischen
XVIII. Computerlinguistische Aspekte der Phraseologie/ Computational linguistic aspects of phraseology 86. 87.
Annely Rothkegel, Computerlinguistische Aspekte der Phraseme I Ulrich Heid, Computational linguistic aspects of phraseology II
XIX. Korpuslinguistische Aspekte der Phraseologie/ Corpus linguistic aspects of phraseology 88. 89. 90.
Rosamund Moon, Corpus linguistic approaches with English corpora Manfred Sailer, Corpus linguistic approaches with German corpora Jean-Pierre Colson, The World Wide Web as a corpus for set phrases
Inhalt/Contents
XX.
Historische Phraseologie/Historical phraseology
91. 92. 93. 94. 95.
Charles Clay Doyle, Historical phraseology of English Jesko Friedrich, Historische Phraseologie des Deutschen Claude Buridant, Historische Phraseologie des Französischen Ottavio Lurati, Historische Phraseologie des Italienischen Valerij Mokienko, Historische Phraseologie der slawischen Sprachen
Namenregister/Index of names Sachregister/Index of Subjects
XXIII
1
I. Einführung/Subject area, terminology and research topics 1a. Phraseologie: Objektbereich, Terminologie und Forschungsschwerpunkte 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
12. 13. 14.
Die Problematik Der Oberbegriff für das gesamte Gebiet Der Oberbegriff für die sprachliche Einheit Termini für Subklassen Termini für Grundbegriffe Aussterbende Termini Synonyme Termini Fachliche und alltagssprachliche Begrifflichkeit Probleme einer exhaustiven Klassifikation Interessenabhängigkeit der Terminologie Aspekte und Termini aus benachbarten Disziplinen Desiderata Fazit Literatur (in Auswahl)
1.
Die Problematik
9. 10. 11.
Bei der Konzeption des vorliegenden Handbuchs haben die Herausgeber versucht, zu Händen der Autoren eine einheitliche Terminologie und Klassifikation zu erstellen. Seit sich die Phraseologieforschung außerhalb der damaligen Sowjetunion zu konstituieren begann, gibt es Klagen über die terminologische Uneinheitlichkeit, und diese Klagen sind bis heute nicht verstummt (vgl. etwa die Listen von Termini bei Pilz 1981, 25ff., Schemann 1993, XXVII ff., auch noch Wray 2002, 44ff.). Die Unzufriedenheit mit dem (anfänglichen) Begriffswirrwarr führte zu einzelnen Versuchen, konsistente terminologische und klassifikatorische Systeme aufzustellen, die aber nicht zu einer grundsätzlichen Vereinheitlichung in der Forschung geführt haben. Das neue Handbuch bietet die Gelegenheit, auf diesem Weg einen Schritt weiterzukommen. Nach langen Diskussionen sind die Herausgeber des Bandes allerdings zum Schluss gelangt, nur vorsichtig in die terminologischen Usancen der Autoren eingreifen zu wollen. Bei bestimmten Artikeln, wo es leicht möglich war, haben sie die Autoren um Vereinheitlichung gebeten, bei anderen musste aber von vornherein darauf verzichtet werden. Der folgende Beitrag soll u.a. zeigen, welches die Gründe dafür sind, dass es letzten Endes nicht sinnvoll ist, auf einer Vereinheitlichung zu bestehen. Zugleich soll gezeigt werden,
wie man trotz terminologischer Differenzen zu einer innerfachlichen Verständigung gelangen kann. Auch soll der Beitrag als Anregung dienen, künftig auf terminologische Idiosynkrasien zu verzichten, wenn es sich sprachlich und sachlich verantworten lässt. Verschiedene Autoren haben von sich aus Überlegungen zur Terminologie angestellt (Filatkina Art. 12, Fix Art. 40, Zurdo Art. 60, Hyvärinen Art. 63, Ghariani Baccouche Art. 64, Cheon Art. 66, Lubensky/McShane Art. 76, Cowie Art. 77, Farø Art. 79, Colson Art. 90), die in den folgenden Punkten berücksichtigt werden. Einige Autoren, vor allem aus den romanischsprachigen Ländern, die ihre Artikel auf Deutsch oder Englisch geschrieben haben, haben sich den deutschen oder englischen Terminologien angepasst. Einige haben dennoch die in ihrer eigenen Sprache üblichen Termini diskutiert, andere haben darauf verzichtet, so dass nur für einen Teil der behandelten Sprachen ein Terminologievergleich möglich ist.
2.
Der Oberbegriff für das gesamte Gebiet
Das linguistische Gebiet hat nicht überall einen allgemein gebräuchlichen Namen, der außerhalb der engeren fachlichen Kreise verstanden wird. Immerhin hat sich “Phraseologie”/“phraseology”/“phraseologia” u.ä. deutsch, englisch, in den slavischen (russ. “фразеология” = “frazeologija”) und einem Teil der romanischen Sprachen weiträumig durchgesetzt. Selbst in der Forschung in nicht-indoeuropäischen Sprachen (zum Arabischen und Koreanischen vgl. Art. 64 u. 66) hat teilweise eine Anpassung an diese Forschungstradition stattgefunden: So ist beispielsweise in der chinesischen Forschung “shuyu” als Übersetzung des englischen “phraseology” bzw. des Russischen “frazeologija” eingeführt (vgl. Liang Art. 65). Im Französischen scheint keine derartige Übereinstimmung zu herrschen (unter anderem, weil “phraséologie” außerhalb der linguistischen Disziplin eine pejorative Konnotation haben kann). Mejri rückt statt dessen den Ter-
2
I. Einführung/Subject area, terminology and research topics
minus “frozenness” (entspricht frz. “figement”) als zentrale Eigenschaft der phraseologischen Phänomene in den Vordergrund, ohne das Gebiet selber einheitlich zu benennen. Einige Autoren behalten das (ältere) Nebeneinander von “Phraseologie” und “Parömiologie” explizit oder implizit (wie sich an den Termini für die sprachlichen Phänomene zeigt) bei (vgl. Bárdosi/ Hessky Art. 85, Eismann Art. 28). In der modernen russischen Forschung ist “Phraseologie” eigentlich der Name für das ganze Gebiet und man spricht von “Parömiologie” nur, wenn man bewusst auf diesen Teilbereich eingeht. Dann wird “Phraseologie” im Sinne von ‘Rest der Phraseologie’ gebraucht, was aber eher selten ist. Die Herausgeber des Handbuchs schlagen vor, künftig auf die Dichotomie “Phraseologie” und “Parömiologie” zu verzichten und das ganze Gebiet als “Phraseologie” zu bezeichnen. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass ein einheitlicher Terminus noch keinesfalls eine einheitliche Extension des Gebietes garantiert. Es gab in der Anfangsphase der Phraseologie die Tendenz, das Forschungsgebiet um der Konsolidierung willen gegen andere linguistische Gebiete abzugrenzen. In jüngster Zeit ist aber eher eine gegenläufige Tendenz zu beobachten, insbesondere seit durch die Korpuslinguistik Fragestellungen aufgekommen sind, die eine starke Verwandtschaft mit herkömmlichen phraseologischen Fragen haben, ohne sich aber mit diesen vollständig zu decken. Daten in bisher nicht gekanntem Umfang, neue Arten von Daten, neue Analysemethoden führen zu neuen Fragestellungen oder zur Neuformulierung alter Fragestellungen.
3.
Der Oberbegriff für die sprachliche Einheit
Es ist offensichtlich nicht leicht, sich auf einen umfassenden generischen Begriff zur Bezeichnung der phraseologischen Wortverbindungen zu einigen. Im Deutschen war und ist immer noch “Phraseologismus” weit verbreitet. Im Russischen bezeichnet “фразеологизм” = “frazeologizm” (“Phraseologismus”) allerdings je nach Konzeption entweder eine Unterklasse (die in der deutschen Terminologie als “Idiom” bezeichnet wird) oder ist der
Oberbegriff für feste Wortkomplexe jeder Art (manchmal mit Ausnahme von Sprichwörtern). Einige Autoren unterscheiden dabei Phraseologismen im engeren und im weiteren Sinne: Phraseologismen im engeren Sinne sind durch das Merkmal der Idiomatizität gekennzeichnet, während bei den Phraseologismen im weiteren Sinne Kollokationen, Sprichwörter und formelhafte Texte mit einbezogen werden (z. B. Filatkina Art. 12, Häcki Buhofer Art. 70); gelegentlich gelten als Phraseologismen im engeren Sinne diejenigen unterhalb der Satzgrenze, während diejenigen im weiteren Sinne Satzcharakter aufweisen (vgl. Liang Art. 65). In jüngster Zeit wird zunehmend der Terminus “Phrasem”, engl. “phraseme” verwendet (z. B. Baranov Art. 8, Burger Art. 9, Proost Art. 10, Mel’čuk Art. 11, Sandig Art. 13, Wirrer Art. 14, Piirainen Art. 16 und 45, Stein Art. 17, Baranov/Dobrovol’skij Art. 33, Kjaer Art. 43, Gréciano Art. 44, Sabban Art. 50, Dobrovol’skij/Filipenko Art. 61, Häcki Buhofer Art. 70, Kühn Art. 73, Lubensky/ McShane Art. 76: “We will call phraseological units “phrasemes” in order to circumvent the more semantically restricted label of “idiom”. [...] The rationale for discussing phrasemes instead of idioms per se is that pedagogical and practical (e.g., in natural language processing) experience has shown that knowledge of a broad range of (semi-)fixed entities is advantageous”, Filipenko/Mokienko Art. 83, Rothkegel Art. 86, Heid Art. 87, Mokienko Art. 95), gelegentlich kommen “Phraseologismus”/engl. “phraseologism” und “Phrasem”/“phraseme” nebeneinander vor (z. B. Ďurčo Art. 62, Gläser Art. 42) oder “phraseme” und “phraseological unit” (Sailer Art. 89). In den deutschsprachigen Artikeln des vorliegenden Handbuchs finden sich “Phraseologismus” (z. B. Hofer Art. 20) und “Phrasem” als Oberbegriff, wobei beide etwa gleich oft gebraucht werden. Im Russischen wird der Terminus “фразема” = “frazema” äußerst selten verwendet, diese Funktion erfüllt der herkömmliche Terminus “фразеологизм” = “frazeologizm”, der schon aus der Schulgrammatik allgemein bekannt ist. Englischsprachige Autoren sind jedoch oft nicht bereit, sich auf den Terminus “phraseme” einzulassen. So wird “idiom” als Oberbegriff verwendet (z. B. Gibbs/Colston Art. 69), daneben aber auch “collocation” (in seiner älteren Bedeutung, vgl. 10.1.). Dies kann zu Missverständnissen mit denjenigen Termi-
1a. Phraseologie: Objektbereich, Terminologie und Forschungsschwerpunkte
nologien führen, bei denen “Idiom” und “Kollokation” Subklassen von “Phrasemen” sind. Ein im Englischen weitgehend akzeptierter Terminus ist “set phrase” (Norrick Art. 25 und 52, Aijmer Art. 48, Cowie Art. 77, Colson Art. 90), der zumindest den Vorteil hat, mit keiner der anderen Terminologien zu kollidieren. Colson (Art. 90) spricht auch von “semi-fixed phrases” als Subklasse von “set phrases” und macht die Sprachgebundenheit der Termini explizit: “The general term set phrase will be used as an English equivalent of the German Phraseologismus in the broad sense, as defined by Burger (1998). It thus includes all fixed expressions of a language, such as collocations, idioms, quasi-idioms, catch phrases, routines, proverbs.” Verschiedentlich finden sich auch “phraseological expressions” (Schmidlin Art. 47, Feyaerts Art. 54) oder “phraseological unit” (Fiedler Art. 67, Nuccorini Art. 59). In den Artikeln zum Französischen, die allerdings auf Deutsch oder Englisch geschrieben sind (vgl. 1.), gibt es keine einheitliche Praxis. Neben “Phrasem” finden sich “Phraseologismus”, “phraseologische Einheit” (Lengert Art. 80, der dies durchgehend als Oberbegriff verwendet). Eine eigene Terminologie, weil von der Literaturwissenschaft herkommend, hat Martins-Baltar (Art. 32), der die von ihm dargestellten Phänomene (die nicht durchwegs alle phraseologischen Merkmale aufweisen, wie er explizit vermerkt) in der deutschsprachigen Version als “gebräuchliche Ausdrücke” bezeichnet. Mejri (Art. 58), der – wie gesagt – als dominierende Eigenschaft “frozenness” in den Vordergrund stellt, hat keinen stabilen Terminus für die sprachliche Erscheinung, schließt sich aber meist dem englisch dominanten Terminus “set phrase” an. Im Spanischen scheint sich “unidad fraseológica” (= “phraseologische Einheit”/“phraseological unit”) durchzusetzen (Zurdo Art. 60, Pamies Art. 82). Einige Autoren (z. B. Hyvärinen Art. 63) haben gar keinen Oberbegriff für alle phraseologischen Erscheinungen, sondern verwenden als zwei Hauptklassen “Phrasem” und “Sprichwort” (vgl. 1.). Diejenigen Autoren, die sich mit Sprichwörtern befassen (Mieder Art. 30 und 35, Norrick Art. 34) sprechen von “proverb” (und verwandten Phänomenen). Sie diskutieren nicht das Verhältnis zur gesamten Phraseolo-
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gie, haben entsprechend auch keinen Oberbegriff für den gesamten Bereich. Als internationaler Terminus würde sich “Phrasem”/“phraseme” eignen, wenn auch die angelsächsischen Autoren sich darauf verständigen könnten. Angesichts der Dominanz des Englischen als Wissenschaftssprache wird man wohl eher bei einem Nebeneinander von “Phrasem/phraseme” und “set phrase” bleiben müssen. Der Terminus “Phrasem” hat allerdings den Nachteil, dass durch das Suffix -em stark der Systemaspekt betont wird (vgl. “Phonem”, “Morphem”, “Lexem”, “Textem”). Es ist wohl nicht möglich, damit alles Formelhafte außerhalb der Idiome, Kollokationen usw. abzudecken. Sobald der engere Bereich der Phraseologie verlassen wird und Weiterungen in irgendeiner Richtung stattfinden, ist “Phrasem” nur noch mit Einschränkungen brauchbar. Die Herausgeber schlagen vor, “Phrasem”/“phraseme” – dort, wo der Terminus gebraucht wird – für den engeren Bereich der Phraseologie (also als Oberbegriff für Idiome und Kollokationen) zu verwenden, bei einer weiten Konzeption aber auf andere Termini als Oberbegriffe auszuweichen (z. B. “formelhafte Sprache”, “formulaic language” – so Norrick Art. 52, Wray Art. 72, “feste Wortverbindung”, “formelhafte Texte” – so Dausendschön-Gay/Gülich/Krafft Art. 41). Dennoch ist es ratsam, für das linguistische Gebiet als Ganzes – in seinen engeren oder weiteren Konzeptionen – den nunmehr doch eingebürgerten Terminus “Phraseologie” zu verwenden.
4.
Termini für Subklassen
Die Bezeichnung von Subklassen hängt natürlich auch von der Wahl des Oberbegriffs ab. Störende Konkurrenzen von terminologischen Systemen ergeben sich dann, wenn derselbe Terminus in einer Terminologie den Oberbegriff, in einer anderen eine Subklasse bezeichnet. Das ist besonders bei “Idiom” oder “Kollokation”, aber auch bei anderen Termini der Fall, und hier muss man sich jeweils vor Augen führen, welchem System der Begriff zuzuordnen ist. Cowie verwendet z.B. (Art. 77) “set phrase” als Oberbegriff und “pure idiom”/“figurative idiom”/“collocation” als Unterbegriffe. Bei Moon (Art. 88) sind “set phrases”, “idioms” und “formulae” Unterklassen von “phraseology”:
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I. Einführung/Subject area, terminology and research topics
“Phraseology is used very generally to refer to recurrent lexicogrammatical patterning; set phrases to those recurrent patterns that have specialized meanings or functions; idioms to set phrases which are typically figurative and which have non-compositional meanings. Formulae is used to refer to recurrent phrases with specific functions but which are not necessarily problematic for meaning. Other terms, including proverb, simile, and phrasal verb, have their standard meanings” (gekürzt). Terminologisch schwierig gestaltet sich die Begrifflichkeit, wenn in einer bestimmten Sprache die Subklassen durch sprachliche und kulturelle Besonderheiten gekennzeichnet sind und eine Vergleichbarkeit eigentlich nicht möglich ist. Dies ist beispielsweise im Chinesischen der Fall, in dem die Subklassen der “shuyu” hinsichtlich ihrer besonderen morphosyntaktischen Struktur, ihrer melodiösen Rhythmik, ihrer metaphorischen Struktur sowie auf Grund ihrer speziellen kommunikativen und kulturspezifischen Verwendung gekennzeichnet sind und typisiert werden müssen. Die dabei verwendeten übersetzten Termini wie z. B. “idiomatische Redewendung”, “Redensart” oder “Sprichwort” sind nur bedingt mit denen der europäischen Phraseologieforschung identisch und könnten zu Missverständnissen führen (vgl. Liang Art. 65). Im Koreanischen (Cheon Art. 66) gibt es eine wichtige Subklasse, die in mancher Hinsicht den “Geflügelten Worten” im Deutschen entspricht, aber doch ihre völlig eigenen historischen und kulturspezifischen Bedingungen hat: aus alten chinesischen Texten stammende “sayings”, die heutzutage in soziolinguistischer Hinsicht markiert verwendet werden, einen hohen Grad von Gebildetheit anzeigen usw. Es hat keinen Sinn, hier alle in den Artikeln besprochenen Subklassen aufzuführen. Erwähnt werden soll nur die auf Charles Bally zurückgehende, für die russische Tradition grundlegende Klassifikation (vor allem Vinogradov 1946, 121ff.; 1947, 143ff.), weil sie Vorbild für zahlreiche spätere Klassifikationen war: 1. “frazeologičeskie sraščenija” (“phraseologische Ganzheiten”) = völlig unmotivierte Idiome, deren Bedeutung von den Bedeutungen ihrer Konstituenten nicht abgeleitet werden kann. 2. “frazeologičeskie edinstva” (“phraseologische Einheiten”) = motivierte Idiome mit einer “lebendigen” inneren Form, d. h. Idiome mit einer transpa-
renten bildlichen Grundlage, die ihre aktuelle Bedeutung als Ergebnis der semantischen Derivation erscheinen lässt. 3. “frazeologičeskie sočetanija” (“phraseologische Verbindungen”) = Kollokationen, deren Bedeutung sich aus den Bedeutungen ihrer Konstituenten zusammensetzt, wobei eine der Konstituenten in ihrer “phraseologisch gebundenen” Bedeutung auftritt, d.h. als Kollokator fungiert (nach Dobrovol’skij/ Filipenko Art. 61).
Die heute international vorherrschende Klassifikation des phraseologischen Materials basiert auf Vinogradovs Unterteilung in relativ homogene Klassen (mit verschiedenen Variationen), nämlich in Idiome (die den ersten beiden Klassen von Vinogradov entsprechen), Kollokationen (= Klasse 3 bei Vinogradov) und Sprichwörter (vgl. z. B. Mel’čuk Art. 11, Baranov/Dobrovol’skij Art. 33, Sabban Art. 50, Feyaerts Art. 54, Dobrovol’skij/Filipenko Art. 61, Hyvärinen Art. 63, Häcki Buhofer Art. 70, Lubensky/McShane Art. 76, Rothkegel Art. 86, Heid Art. 87, Sailer Art. 89, Mokienko Art. 95). Oft werden auch “Routineformeln” als eine selbständige Klasse behandelt, in anderen Konzeptionen werden sie je nach Idiomatizitätsgrad teils den Idiomen, teils den Kollokationen zugeordnet. Auf weitere Details gehen wir hier nicht ein. Im Übrigen ermöglicht der Weg über das Register die Suche nach spezifischen Klassen.
5.
Termini für Grundbegriffe
Termini für die Grundbegriffe der Phraseologie wie “Polylexikalität”, “Idiomatizität”, “Figuriertheit”, “Festigkeit”, “frozenness”, “figement”, “semantische Autonomie”, “semantische Teilbarkeit” usw. werden in den entsprechenden Artikeln besprochen. Bei einem Vergleich der Artikel zu indoeuropäischen Sprachen und zu Sprachen anderen Typs zeigt sich, dass die Grundbegriffe unter Umständen eine je nach Sprachtyp wechselnde Bedeutung annehmen (beispielsweise ist das Merkmal der “Polylexikalität” in einer Sprache wie dem Koreanischen in einer gegenüber dem Deutschen oder Englischen modifizierten Weise anzuwenden, vgl. Cheon Art. 66). Abgesehen von solchen sprachspezifischen Differenzen sei darauf hingewiesen, dass manche Autoren die Begriffe deutlich abweichend vom gebräuchlichen Verständnis verwenden (z. B. gebraucht Mejri, Art. 58, “idiomaticity”
1a. Phraseologie: Objektbereich, Terminologie und Forschungsschwerpunkte
in einem viel grundsätzlicheren – zeichentheoretischen – Sinn, als es sonst üblich ist).
6.
Aussterbende Termini
Einige Termini, die im Lauf der Forschungsgeschichte eine Zeitlang Verwendung fanden, haben sich auf die Dauer nicht durchsetzen können. Das gilt z. B. für “Phraseolexem” oder “Schematismus” oder “Wortgruppenlexem”. Symptomatisch dafür ist ein Artikel wie der von Kunkel-Razum (Art. 27), in dem ältere Termini (wie “Phraseolexem”) in Zitaten aus eigenen Arbeiten der Autorin auftauchen, die aber im Übrigen den Terminus “Phrasem” verwendet und daneben auch “Phraseologismus”, aber nur in einem Zitat aus einer neueren Arbeit. Ähnliches ist z.B. bei Ehrhardt (Art. 19) und Skog-Södersved (Art. 21) zu beobachten. Der Terminus “sprichwörtliche Redensart”, der eine lange europäische Tradition hat (vgl. 10.), bzw. seine englische Entsprechung “proverbial phrase”, wird heute noch in der Sprichwortforschung (Norrick Art. 34) verwendet, darüber hinaus aber wohl nur noch dann, wenn ein Autor seine Affinität zu volkskundlichen/ethnologischen Forschungstraditionen betonen will (Eismann Art. 28) oder wenn mit dem Terminus ausgedrückt werden soll, dass ein Phrasem von einem Sprichwort abgeleitet ist (so Buridant, Art. 93). Aus der Perspektive der Phraseologieforschung ist er ungeeignet bzw. redundant, weil es keine stichhaltigen strukturellen Kriterien gibt, die eine Abgrenzung gegenüber “Idiom” usw. erlauben würden. Der früher verbreitete Terminus “Klischee” (“cliché”), der den stereotypen Charakter mancher Phraseme akzentuierte, ist heute kaum mehr in Gebrauch.
7.
Synonyme Termini
Es gibt mehrere Termini, die verschiedenen Sprach- und Forschungstraditionen entstammen, aber total synonym verwendet werden, z.B.: dt. “Zwillingsformel”, “Paarformel”, engl. “binomial”; dt. “komparativer Phraseologismus”, “phraseologischer Vergleich” (wobei die beiden deutschen Termini ihrerseits synonym verwendet werden), engl. “simile”;
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dt. “Routineformel”, “kommunikative Formel”, “kommunikativer Phraseologismus”, “pragmatischer Phraseologismus”, “Konversationsformel”, “Gesprächsformel”; engl. “routine formulae”, “speech formulae”; dt. “verbnominale Konstruktion”, “Funktionsverbgefüge”, “Funktionsverbfügung”, “Streckverb” (die beiden letzteren werden kaum noch verwendet), engl. “light verb construction”, “composite predicate”, “expanded predicate”, “thin verb”, “stretched verb construction”, “support verb construction”, frz. “locution verbale”, “verbe support”, “construction à verbe support”, span. “verbo soporte”, ital. “verbo supporto”.
Wenn man eine Vereinheitlichung anstreben würde, wären solche Dubletten, Tripletten etc. am ehesten Kandidaten dafür. Aber selbst dieses scheinbar einfache Problem ist kaum lösbar, weil die gewachsenen terminologischen Traditionen stark sind und eine terminologische Änderung zu Verfremdungen führen würde.
8.
Fachliche und alltagssprachliche Begrifflichkeit
Von den Fachtermini zu unterscheiden sind alltagssprachliche Termini und Kategorisierungen, die in den einzelnen Sprachen geläufig sind. Z.B. dt. “Redensart”, “Sprichwort”, engl. “proverb”, frz. “proverbe”, “locution” usw. Es empfiehlt sich, diese Kategorien/Termini nur dort in die wissenschaftliche Terminologie zu übernehmen, wo es einen großen Deckungsbereich gibt (wie bei “Sprichwort”). Eine besondere Situation ergibt sich für die Phraseographie: Titel von Wörterbüchern können nicht nach rein fachlichen Gesichtspunkten gewählt werden, sie müssen schon aus ökonomischen Gründen die alltagssprachlichen Kategorisierungen berücksichtigen. So ist es verständlich, dass der Duden-Band 11 “Redewendungen” heißt. Im Russischen ist – was Nicht-Slavisten überraschen wird – “Phraseologie” der alltagssprachlich gebräuchliche Oberbegriff, so dass auch populäre Wörterbücher so gut wie ausschließlich “фразеология” = “frazeologija” (“Phraseologie”) oder “фразеологический” = “frazeologičeskij” (“phraseologisch”) im Titel tragen können. Auch in russischen Schulbüchern wird die (ursprünglich) fachliche Terminologie verwendet. So wird in einem Lehrbuch für die 8. – 11. Klasse (“Russische Sprache: Theorie”) die Phraseologie kurz abgehandelt. Es
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I. Einführung/Subject area, terminology and research topics
heißt, dass es im lexikalischen System einer Sprache einen besonderen Bereich gibt, der aus Phraseologismen bzw. phraseologischen Einheiten besteht. Die Phraseologismen werden als bildliche, idiomatische Einheiten des Lexikons charakterisiert, die aus zwei und mehr Wörtern bestehen. Es werden Beispiele gebracht, die ausschließlich Idiome sind, so dass es unklar bleibt, ob auch andere phraseologische Klassen unter “Phraseologismen” subsumiert werden. Anschließend wird gesagt, dass es eine besondere linguistische Disziplin gibt, die “Phraseologie” heißt und sich mit Phraseologismen befasst. Die Anbindung an Laien-Traditionen enthebt die allgemeinsprachlichen und die spezialisiert phraseologischen Wörterbücher aber nicht der Verpflichtung, in den Vorwörtern und Gebrauchsanleitungen eine Systematisierung anzustreben, die sich auf der Höhe der phraseologischen Forschung befindet – was nur bei wenigen Wörterbüchern einigermaßen erreicht ist. Kispál (Art. 36) weist darauf hin, dass Sprichwörtersammlungen meist die Besonderheit aufweisen, dass sie nicht nur Sprichwörter, sondern “auch Redewendungen, eigentlich fast den ganzen Bereich der Phraseologie zum Gegenstand haben”. Dies spiegelt die alltagssprachliche, aber auch von der Volkskunde favorisierte Auffassung, dass “Sprichwörter” auch den Bereich der “sprichwörtlichen Redensarten” umfassen (vgl. 10.).
9.
Probleme einer exhaustiven Klassifikation
Grundsätzlich ist es, angesichts der offenen Grenzen des Gebietes und der sachgegebenen Unschärfe der Kategorien, weder möglich noch wünschbar, eine exhaustive Klassifikation und entsprechende Terminologie zu erstellen. Eher kann das (inzwischen weit über den ursprünglichen Wittgensteinschen Kontext hinaus für viele Kategorisierungsprobleme adaptierte) Konzept der “Familienähnlichkeiten” ein passendes Modell liefern. Je nachdem welche Ähnlichkeiten man in den Vordergrund rücken will, kann und muss auch die Terminologie modifiziert werden. Manche terminologische Probleme ergeben sich einfach daraus, dass ein und dieselbe Wortverbindung unter verschieden Gesichtspunkten, also mehrfach klassifiziert werden kann:
So gehört z. B. engl. live and learn strukturell zu den “Zwillingsformeln”/“binomials”, und zwar zum speziellen Typus der “irreversiblen Zwillingsformeln”/“irreversible binomials” und syntaktisch zum Typus V + V, kann aber hinsichtlich Gebrauch und Verbreitung als “Sprichwort” gelten. Idiomatisch ist live and learn bei manchen Verwendungen, wo es so viel bedeutet wie ‘man lernt nie aus’, aber manchmal ist es auch wörtlich zu verstehen, z. B. als einfache Aufforderung. Je nach Interesse des Forschers (Systemlinguistik oder Pragmatik/Diskursanalyse oder Phraseographie) kann die eine oder andere Typisierung im Vordergrund stehen. Als Vertreter einer jungen Disziplin fühlen sich manche Phraseologieforscher verpflichtet, eine terminologische Einheitlichkeit anzustreben, wie sie angeblich in anderen linguistischen Teildisziplinen bereits erreicht sei. Bei genauerem Hinsehen gibt es aber allerorten Konkurrenz terminologischer Bräuche – man führe sich nur die Differenzen zwischen romanistisch oder anglistisch orientierter Semantik vor Augen oder die Uneinheitlichkeit in der Wortartenklassifikation des Deutschen. Die verschiedenen Terminologien der Syntaxforschung zeigen deutlich, dass es auch theorie- und sachbedingte unvermeidbare Differenzen der Klassifikation und Terminologie geben kann. Das Alter einer Disziplin spielt allenfalls innerhalb einer Sprachtradition eine Rolle. So ist auch die phraseologische Terminologie im Russischen viel einheitlicher als in anderen Sprachen, weil das Russische eine lange terminologische Tradition hat. Demgegenüber ist im Koreanischen oder Arabischen noch der Einfluss verschiedener anderssprachiger Terminologien zu registrieren, so dass die Situation momentan noch konfus erscheint. In manchen Ländern ist die terminologische Lage klar durch eine Forschungstradition bestimmt (z. B. in Finnland durch die deutschsprachige germanistische Forschung).
10. Interessenabhängigkeit der Terminologie Terminologie und Klassifikation sind stark interessenabhängig, wie die folgenden Überlegungen zu einigen Termini zeigen. 10.1. Kollokation und Idiom “Kollokation” galt und gilt z.T. noch als Leitbegriff für korpusbasierte Untersuchungen
1a. Phraseologie: Objektbereich, Terminologie und Forschungsschwerpunkte
(obwohl die korpusbasierten Arbeiten zur Phraseologie in der Regel eine viel feinere Differenzierung vornehmen, die dem heutigen internationalen Usus entspricht; vgl. 4. und Sailer Art. 89). Der Begriff hatte zunächst mit Phraseologie nur partiell zu tun, weil Wortverbindungen jeglicher Art darunter erfasst wurden (‘alles was zusammen vorkommt’). Von Seiten der Phraseologie wurde er anfänglich abgelehnt, weil kein dezidiert phraseologisches Merkmal damit verbunden war. Inzwischen hat “Kollokation” einen festen Platz in der Phraseologie als Subkategorie (mit schwacher oder gänzlich fehlender semantischer Umdeutung), die den “Idiomen” als den semantisch markierten Phrasemen gegenübersteht. Hausmann (2004) spricht von einem “Kollokationskrieg”, der durch die Verwendung des Begriffs im “Oxford Collocations Dictionary for Students of English” (2002) einerseits, “A Dictionary of English Collocations” (1994) andererseits repräsentiert ist. Während das erste Wörterbuch einen Kollokationsbegriff im engeren Sinne (wie er von Hausmann definiert wurde, mit einer primär zweiteiligen Struktur von “Basis” und “Kollokator” – ähnlich auch Sailer Art. 89) vertritt, arbeitet das zweite mit der linguistisch kaum fassbaren korpuslinguistischen Auffassung von mehr oder weniger usuellen Wortverbindungen. Eine Überlappung ergibt sich beim engeren Kollokationsbegriff mit der in der Germanistik verbreiteten semantisch definierten Teilklasse der “teilidiomatischen Phraseologismen” oder “Teil-Idiome” (vgl. Burger 2003, 32, 38, im Anschluss an zahlreiche ältere Arbeiten) wie Bauklötze staunen oder Geld zum Fenster hinauswerfen, wo jeweils eine Konstituente (staunen bzw. Geld) wörtlich und die andere idiomatisch zu verstehen ist. Hausmann (2004, 313ff.) zeigt, dass auch diese Art Konstruktionen unter seinem Kollokationsbegriff subsumierbar sind. In der Psycholinguistik (amerikanischer Richtung) wird demgegenüber alles Phraseologische als “idiom” bezeichnet und man interessiert sich auch primär für die Probleme, die sich mit der Verarbeitung von idiomatischen (im semantischen Sinn) Sprachzeichen ergeben. In der europäischen Tradition dagegen wird der Terminus “idiom” in Bezug auf die Phraseme gebraucht, die den Kernbereich des phraseologischen Systems bilden (vgl. Häcki Buhofer Art. 70).
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10.2. Sprichwörtliche Redensart Im Deutschen wurden Termini wie “sprichwörtliche Redensart” oder “bildliche Redensart” vor allem im 19. Jahrhundert (vgl. Müller/Kunkel-Razum Art. 78) von Autoren ideologisch aufgeladen, denen es um romantisierende, z.T. kulturhistorische und erzieherisch-lehrhafte, z.T. um nationale oder nationalistische Aspekte der Phraseme ging. Man versprach sich aus der Betrachtung der Phraseologie einen Erkenntnisgewinn über die “Natur”, das “Wesen” der eigenen Sprache und Kultur. Bei “Redensart” handelt es sich um eine Lehnübersetzung vom französischen “façon de parler”, die erstmals 1605 bei Johann Arndt (“Vom wahren Christentum”) belegt ist. Die Bezeichnung “sprichwörtliche Redensart” findet sich zuerst in Justus Georg Schottels “Ausführlicher Arbeit von der Teutschen Hauptsprache” (1663). Heutzutage werden die Bezeichnungen “sprichwörtliche Redensart” (“idiomatische Redewendung” bei Röhrich/Mieder 1977, 15), “bildliche Redensart”, “Redensart” oder “Redewendung” bzw. “Wendung” vor allem noch in Deutschdidaktiken und Sprachbüchern verwendet. Im Zentrum steht dabei die “sprichwörtliche Redensart”, die vor allem von Rudolf Hildebrand (1917, 80f. u. 93f.) inhaltlich bestimmt wurde. Dabei spielen ganz unterschiedliche Aspekte eine Rolle, die letztlich dazu geführt haben, dass die unterschiedlichen Termini in ihrer Bestimmung bis heute recht unscharf geblieben sind: Als “hervorstechendes Merkmal” sprichwörtlicher Redensarten gilt in der Deutschdidaktik (1) (2)
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die Bildhaftigkeit (“Der Bilderreichtum unserer Sprache offenbart sich auch in den sprichwörtlichen Redensarten”), die Volkstümlichkeit (“[...] tatsächlich ist der Ursprung der meisten bildhaften Redensarten im Volksmund zu suchen. Sehr viele von ihnen kommen aus den Sonderwortschätzen und der speziellen Phraseologie der verschiedenen sozialen Gruppen unseres Volkes, den sog. Standes-, Berufs- und Fachsprachen”), ihre kultur- und sprachgeschichtliche Bedeutung (“Manche dieser Redensarten haben uns wertvolles altes Sprachgut erhalten und künden als sprechende Zeugen der Vergangenheit von längst untergegangenen Einrichtungen, Anschauungen und Gewohnheiten”), ihre Anschaulichkeit und Verständlichkeit (“Viele bildhafte Redensarten sind heute noch plastisch und anschaulich, so daß ihre Bilder für jeden Sprachgenossen verständlich sind” bzw. verständlich gemacht werden sollen),
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I. Einführung/Subject area, terminology and research topics
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die “volkstümliche Kürze und Prägnanz ihres Ausdrucks”, (6) “die ebenfalls für das Volkstümliche bezeichnende Vorliebe für groteske Übertreibungen” (z. B. da lachen ja die Hühner), (7) ihr teilweise euphemistischer Charakter (z. B. lange Finger machen für stehlen), (8) die gelegentlichen Wortspiele (z. B. Einfälle wie ein altes Haus haben), (9) “Namensscherze” (z. B. nicht aus Gebersdorf sein), (10) “die Vorliebe für formelhafte Wendungen wie Wortpaare” (z. B. in Bausch und Bogen) oder (11) “veraltete Sprach- und Wortformen” (z. B. mit Kind und Kegel) (vgl. Schmidt 1959, 232ff.).
Diese Funktionalisierung auf die Kultur- und Sprachgeschichte bleibt bis weit in die siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts dominierender Bezugspunkt der Redensartendidaktik (vgl. Kühn Art. 73). 10.3. Phrase In der populären deutschsprachigen Stilistik (z. B. Reiners 1951) wurde ein Terminus wie “Phrase” in einem vor-phraseologischen Sinn verwendet, um die “Plattheit”, die “Phrasenhaftigkeit” oder den “Stilschwindel” (Reiners 1951, 190) bestimmter Wortverbindungen zu markieren. Die Vertreter dieser Richtung warnen vor “gewohnten, abgegriffenen Bildern unserer Alltagssprache” (Reiners 1951, 263), vor “abgedroschenen” Wendungen mit “Schablonenbildern” wie in Staub aufwirbeln, eine Frage anschneiden oder Dampf machen (Engel 1913, 399). Karl Kraus, der wohl berühmteste deutschsprachige Sprachkritiker, argumentiert sehr viel differenzierter (vgl. Breiteneder Art. 31): Als “Raum- und Zeitgenosse” thematisiert er den journalistischen und ideologischen Gebrauch der Phrase in der von ihm in den Jahren 1899 bis 1936 herausgegebenen Zeitschrift “Die Fackel”, insbesondere analysiert er die Propagandaphrasen des Ersten Weltkrieges (Platz an der Sonne, Schulter an Schulter, Serbien muß sterbien) und die “Revindikation des Phraseninhaltes” durch die Nationalsozialisten (Salz in offene Wunden streuen, mit einem blauen Auge davonkommen, aus einem Menschen “ein Gulasch zu machen”; “Krümmt auch weiterhin keinem Juden auch nur ein Haar”). Aber auch in der wissenschaftlichen Stilistik wurde die “Klischiertheit” mancher Wortverbindungen hervorgehoben, so schon von Charles Bally, einem der ersten Vertreter einer
wissenschaftlichen Phraseologie (zu Bally vgl. Mejri Art. 58).
11. Aspekte und Termini aus benachbarten Disziplinen Der Einfluss der Pragmatik bzw. der Gesprächs- und Konversationsanalyse sowie der Forschungen zur ritualisierten Kommunikation auf die Phraseologie zeigt sich zum einen im Bereich der Terminologie: Seit Mitte der siebziger Jahre tauchen erstmals Termini auf wie “pragmatische Idiome”, “pragmatische Phraseologismen”, “Routineformeln”, “kommunikative Formeln”, “pragmatische Stereotype”, “pragmatische Prägung”, “Gesprächsformeln”. Aber auch “gambits” und “hedges” (genau genommen, wenn ich es mal so sagen darf, wenn man so will, wie er im Buche steht) zählen, sofern es sich um feste Wortverbindungen handelt, fortan zum Objektbereich der Phraseologie. Ihre Bedeutungen lassen sich allerdings nur auf der Basis ihrer kommunikativ-situativen Verwendung beschreiben (vgl. Lüger Art. 39, Fix Art. 40). Zum anderen hat der Einbezug der text(sorten)linguistischen Forschung zu einer weiteren Perspektivenerweiterung der Phraseologie geführt: Zum Gegenstandsbereich der phraseologischen Forschung zählen nun auch “formelhafte Textteile” und “Texte”. Kennzeichnend sind die Vorgeformtheit und Formelhaftigkeit von Texten bei fast gleichbleibendem Inhalt (vgl. Fix Art. 40).
12. Desiderata Bereits bei der Auswahl der Autorinnen und Autoren ist den Herausgebern bewusst geworden, dass in einigen Bereichen noch große Forschungslücken bestehen: – Die Geschichte der Phraseologie ist für die meisten Sprachen noch nicht oder kaum erforscht. Nur für die Parömiologie existiert schon seit langem auch ein weiter verbreitetes historisches Interesse. Dabei wäre gerade angesichts des gegenwärtigen kulturwissenschaftlichen Trends auch in der Sprachwissenschaft die historische Phraseologie ein äußerst ergiebiges Forschungsfeld. – Für viele Einzelsprachen, vor allem der nicht-indoeuropäischen Familien, sind phraseologische Untersuchungen Mangelware, sofern es überhaupt einschlägige Ar-
1a. Phraseologie: Objektbereich, Terminologie und Forschungsschwerpunkte
beiten gibt. Dementsprechend ist es gegenwärtig auch nur in sehr beschränktem Ausmaße möglich, den Einfluss der Sprachstruktur auf die Phraseologie kontrastiv zu untersuchen. – In der russistischen und germanistischen Forschung wurde schon sehr früh Wert darauf gelegt, Phraseme nicht nur zu klassifizieren und in ihren strukturellen Eigenschaften zu beschreiben, sondern sie auch im text(sorten)spezifischen Kontext zu analysieren. Ähnliche Arbeiten stehen in anderen Sprachen erst am Anfang oder fehlen überhaupt. Studien in diesem Bereich würden sprach- und kulturvergleichende Erkenntnisse auf der Textebene ermöglichen. – Nach jahrzehntelanger Beschäftigung vor allem mit den theoretischen Aspekten der Phraseme ist es an der Zeit, den Anwendungsbezug der linguistischen Fragestellungen stärker zu fördern. So haben die meisten Wörterbücher noch viel zu wenig die Erkenntnisse der Phraseologieforschung in die Wörterbuchpraxis umgesetzt. Vergleichbares gilt für die Didaktik. Phraseologische Arbeiten könnten sich gezielter auf die phraseographische und phraseodidaktische Praxis ausrichten und dazu beitragen, veraltete Traditionen zu überwinden. – Die bisherigen Forschungen zur kognitiven Verarbeitung von Phrasemen erweitern die phraseologische Perspektive insofern, als metaphern-semantische, kultursemiotische und interkulturelle Fragestellungen in den Blick kommen: Die Frage nach der Repräsentation der Phraseme im mentalen Lexikon führt zum einen zu neuen Fragestellungen und Modellierungen mit Auswirkungen auf die Phrasemsemantik und Lexikographie. Zum anderen eröffnen die kultursemiotischen Ansätze die Möglichkeit, einen Beitrag zur Beschreibung und Erklärung interkulturell bedingter Kommunikationsprobleme zu leisten. Gerade eine interkulturell ausgerichtete Phraseologieforschung könnte zu einer Überwindung der traditionellen kulturkundlichen Perspektive führen und einen Beitrag zur interkulturellen Kommunikation liefern, indem beispielsweise über die Beschreibung von Phrasemen Auto- und Heterostereotype oder interkulturell bedingte Verstehensschwierigkeiten herausgearbeitet werden könnten. Hier steht die Forschung erst am Anfang.
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13. Fazit Der Umfang des Objektbereichs “Phraseologie” hat sich seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts erheblich erweitert. Gegenüber einer “engen” Konzeption haben sich verschiedene Varianten einer “weiten” Konzeption mehr oder weniger durchgesetzt. Damit sind aber auch die Grenzen der Disziplin fließend geworden. Neben dem strukturell bestimmbaren Kernbereich gibt es viele “periphere” Bereiche, die je nach Forschungsinteresse unter “Phraseologie” subsumiert werden. Und damit ist es überhaupt fragwürdig geworden, die Metapher von “Kern” und “Peripherie” weiterhin zu verwenden. Für das Problem der Klassifikation und Terminologie ergibt sich daraus (und aus den oben ausgeführten weiteren Gründen), dass eine internationale, sprachenübergreifende Vereinheitlichung nur bis zu einem gewissen Grade möglich und wünschbar ist. Die Herausgeber des Bandes halten es freilich nicht für vertretbar, jegliche Erweiterung des Bereichs zu akzeptieren. So halten sie eine Verwischung der (strukturell determinierten) Grenzen zwischen Phraseologie und Wortbildung in Sprachen wie dem Deutschen für nicht angebracht (ein Terminus wie “EinWort-Phraseologismus”, der gelegentlich anzutreffen ist, ist in Bezug auf das Deutsche ein Widerspruch in sich), während sie z.B. für das Französische durchaus diskutiert werden kann. Die Phraseologie hat vielfältige Beziehungen zu benachbarten linguistischen Disziplinen. In ihrem Kernbereich (um noch einmal die traditionelle Metaphorik zu verwenden) lässt sie sich als Teilbereich einer umfassenden Lexikologie situieren, also derjenigen Disziplin, die sich mit den formalen und semantischen Eigenschaften der Lexikoneinheiten befasst. In einer so verstandenen Lexikologie hat sie aber gegenüber den Wörtern eine Sonderstellung, da Phraseme komplexer organisiert sind als Wörter und z. B. spezifische morphosyntaktische Eigenschaften aufweisen. Sobald man die “peripheren” Bereiche berücksichtigt, die etwa mehr oder weniger feste Wortverbindungen, modellhafte syntaktische Gebilde, formelhafte Textbausteine bzw. formelhafte Texte oder auch formelhafte Elemente in Interaktionsprozessen einbeziehen, tangiert Phraseologie Disziplinen wie Syntax, Textlinguistik, Pragmatik oder Konversationsanalyse. Schließlich ergeben sich bei der Beschreibung der Phraseme Aspekte,
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I. Einführung/Subject area, terminology and research topics
die für stilistische und literaturwissenschaftliche Fragestellungen relevant sein können – hierauf hat seinerzeit bereits Charles Bally zu Anfang der Phraseologieforschung hingewiesen.
Röhrich, L./Mieder, W. (1977): Sprichwort. Stuttgart.
14. Literatur (in Auswahl)
Schemann, H. (1993): Deutsche Idiomatik. Die deutschen Redewendungen im Kontext. Stuttgart.
Burger, H. (2003): Phraseologie. Eine Einführung am Beispiel des Deutschen. 2. Aufl. Berlin. Duden 11 (2002): Redewendungen. Wörterbuch der deutschen Idiomatik. 2., Aufl. Hrsg. von der Dudenredaktion. Mannheim. [1992]: Redewendungen und sprichwörtliche Redensarten. Idiomatisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearbeitet von G. Drosdowski und W. Scholze-Stubenrecht. Mannheim. Engel, E. (1913): Deutsche Stilkunst. 18. Aufl. Wien. Hausmann, F.J. (2004): Was sind eigentlich Kollokationen? In: Steyer, K. (Hrsg.): Wortverbindungen – mehr oder weniger fest. Berlin, 309-334. Hildebrand, R. (1917 [1867]): Vom deutschen Sprachunterricht in der Schule und von deutscher Erziehung und Bildung überhaupt. 14. Aufl. Leipzig.
Pilz, K.D. (1981): Phraseologie. Stuttgart. Reiners, L. (1951 [1943]): Stilkunst. Ein Lehrbuch deutscher Prosa. 4. Aufl. München.
Schmidt, W. (1959): Deutsche Sprachkunde. Ein Handbuch für Lehrer und Studierende. Berlin. Vinogradov, V.V. (1946): Osnovnye ponjatija russkoj frazeologii kak lingvističeskoj discipliny. In: Vinogradov, V.V. (1977), 118-139. Vinogradov, V.V. (1947): Ob osnovnyx tipax frazeologičeskix edinic. In: Vinogradov, V.V. (1977), 140-161. Vinogradov, V.V. (1977): Izbrannye trudy. Leksikologija i leksikografija. Moskva. Wray, A. (2002): Formulaic language and the lexicon. Cambridge.
Harald Burger, Zürich (Schweiz) Dmitrij Dobrovol’skij, Moskau (Russland) Peter Kühn, Trier (Deutschland) Neal R. Norrick, Saarbrücken (Deutschland)
1b. Phraseology: Subject area, terminology and research topics 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.
Issues of terminology The generic term for the whole subject area The generic term for the linguistic unit Terms for subcategories Fundamental phraseological terms Obsolete terms Synonymous terms Specialized and everyday perception of terms Problems regarding an exhaustive definition Topical dependency of terminology Perspectives and terms from neighboring disciplines 12. Outlook 13. Conclusion 14. Select bibliography
1.
Issues of terminology
During the conception of this handbook, the editors tried to establish a uniform terminology and classification for the authors to use. There have been complaints about terminological inconsistency since research on phraseology began outside of the former Soviet
Union, and the objections are still heard today (see, for example, the lists of terms by Pilz 1981, 25ff., Schemann 1993, XXVII ff., as well as Wray 2002, 44ff.). Due to the discontent with the initial chaos regarding the terminology, solitary attempts to compose consistent terminological and classificatory systems were made. However, these attempts did not lead to a fundamental standardization of terminology in research literature. This new handbook provided a chance for progress regarding the terminology. After much discussion, the editors decided not to encroach too deeply into the authors’ terminological territory. In certain articles where standardization was easily possible, they requested the authors to do so. In other articles, standardization of the terminology had to be abandoned. The following article will show, among other things, why it is not necessarily sensible to insist upon a terminological standardization at all costs. At the same time, we will illustrate how understanding within this
1b. Phraseology: Subject area, terminology and research topics
field of research can be achieved in spite of terminological differences. This article should also be understood as a stimulus to abstain from such terminological idiosyncrasies if at all possible. In this handbook, several authors have chosen to discuss the terminology, and this will be taken into account in the following article (Filatkina Art. 12, Fix Art. 40, Zurdo Art. 60, Hyvärinen Art. 62, Baccouche Art. 63, Cheon Art. 65, Lubensky/McShane Art. 76, Cowie Art. 77, Farø Art. 79, Colson Art. 90). Some authors, in particular those from Romance Language countries who opted to write in English or German, adapted to the respective terminologies. Others discussed the terminology used in their own language, while some refrained from doing so. Therefore, a comparison of terminologies is only possible for some of the languages dealt with.
2.
The generic term for the whole subject area
The linguistic field does not have a general name that is understood outside of specialized circles. Nevertheless, “Phraseologie”/“phraseology”/“phraseologia” etc. has prevailed in German, English, Slavic (Russ. фразеология = frazeologija) and in some of the Romance Languages. Even the research on non-IndoEuropean languages (for Arabic and Korean, see Art. 64 and 66) has adapted partly to this tradition: for example, in Chinese, “shuyu” has been introduced as the translation of the English “phraseology” or the Russian “frazeologija” (see Liang Art. 65). In French research, there is no such conformance (among other things because “phraséologie” can have a pejorative connotation outside of the linguistic field). Instead, Mejri focuses on the term “frozenness” (correlating with the French “figement”) as the central trait of phraseological phenomena, without naming the field as a whole. Some authors explicitly or implicitly retain the (older) juxtaposition of “phraseology” and “paremiology” (as can be seen regarding the terms for the linguistic phenomena; see Bárdosi/Hessky Art. 85, Eismann Art. 28). In modern Russian research, phraseology is the name for the whole field of research, and “paremiology” is only mentioned when this subcategory is elaborated on. Then, “phraseology” is used in the sense of “the rest of phraseology”, which is rather rare.
11
The editors of this handbook suggest discarding the dichotomy of “phraseology” and “paremiology” in favor of the single term “phraseology” to denote the whole subject area. Nevertheless, it should not be ignored that a uniform term does not guarantee a uniform extension of the research field. In the beginning phase of phraseology research, there was a tendency to circumscribe the research field for purposes of consolidation. However, recently, the opposite has been the case, especially because questions that are closely related to conventional phraseological questions, but not identical, have been raised by corpus linguistics. Data on a scale that was unheard of until now, new types of data and new forms of analysis lead to new questions or to restatements of old questions.
3.
The generic term for the linguistic unit
Evidently, it is not easy to come to an agreement on a general, generic term to describe phraseological word connections. In German, the term “Phraseologismus” was and is still widespread. In Russian, depending on the conception, “фразеологизм” = “frazeologizm” (“phraseologism”) either describes a subcategory (which is defined as “idiom” in German) or it is the generic term for fixed word complexes of any kind (sometimes with the exception of proverbs). Some authors differentiate between phraseologisms in a broad and a narrow sense: in a narrow sense, the distinguishing feature of phraseologisms is idiomaticity, whereas in a broad sense, collocations, proverbs and formula-based texts are included in the definition of phraseologisms (e.g. Filatkina Art. 14, Häcki-Buhofer Art. 70). Sometimes, phraseologisms in the narrow sense are defined as those shorter than a sentence, whereas those defined as phraseologisms in the broad sense have the characteristics of a sentence (see Liang Art. 64). Increasingly, the term “phraseme” has been used (e.g. Baranov Art. 8, Burger Art. 9, Proost Art. 10, Mel’čuk Art. 11, Sandig Art. 13, Wirrer Art. 14, Piirainen Art. 16 and 45, Stein Art. 17, Baranov/Dobrovol’skij Art. 33, Kjaer Art. 43, Gréciano Art. 44, Sabban Art. 50, Dobrovol’skij/Filipenko Art. 61, HäckiBuhofer Art. 70, Kühn Art. 73, Lubensky/ McShane Art. 76: “We will call phraseological units “phrasemes” in order to circumvent
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I. Einführung/Subject area, terminology and research topics
the more semantically restricted label of “idiom”. [...] The rationale for discussing phrasemes instead of idioms per se is that pedagogical and practical (e.g., in natural language processing) experience has shown that knowledge of a broad range of (semi-)fixed entities is advantageous”, Filipenko/Mokienko Art. 83, Rothkegel Art. 86, Heid Art. 87, Mokienko Art. 95). Sometimes, “phraseologism” and “phraseme” are both used (e.g. Ďurčo Art. 62, Gläser Art. 42), as well as “phraseme” and “phraseological unit” (Sailer Art. 89). In the German articles in this handbook, the German terms “Phraseologismus” (e.g. Hofer Art. 20) and “Phrasem” occur fairly equally as generic terms. However, in Russian, the term “фразема” = “frazema” rarely occurs. The conventional term “фразеологизм” = “frazeologizm”, which was introduced by school grammar books, is preferred. Oftentimes, English-speaking authors are not willing to accept this term. Therefore, “idiom” (e.g. Gibbs/Colston Art. 69), as well as “collocation” (the older meaning, see 10.1.), are used as generic terms. This can lead to misunderstandings in regard to those terminologies which define “idiom” and “collocation” as subcategories of “phrasemes”. “Set phrase” is a widely accepted term in English (Norrick Art. 25 and Art. 52, Aijmer Art. 48, Cowie Art. 76, Colson Art. 90). Its advantage is that it does not collide with any other terminologies. Colson (Art. 90) also uses “semi-fixed phrases” as a subcategory of “set phrases”, thus explicitly clarifying the connections between the terms: “The general term set phrase will be used as an English equivalent of the German Phraseologismus in the broad sense, as defined by Burger (1998). It thus includes all fixed expressions of a language, such as collocations, idioms, quasiidioms, catch phrases, routines, proverbs.” Occasionally, the terms “phraseological expressions” (Schmidlin Art. 47, Feyaerts Art. 54) or “phraseological unit” (Fiedler Art. 67, Nuccorini Art. 59) occur as well. There is no consistent practice in the articles on French phraseology, which were written in German and English (see 1.). The terms “phraseme”, “phraseologism” and “phraseological unit” (Lengert Art. 80, who uses this as a generic term throughout) all occur. Martins-Baltar (Art. 32) has a particular terminology because he is a literary scholar. In the German version, he denotes the phenomena
(which, as he explicitly remarks, do not share all of the phraseological characteristics) as “gebräuchliche Ausdrücke” (Engl. “common expressions”). As mentioned before, Mejri (Art. 58) concentrates on the dominant characteristic of “frozenness”, but has no consistent term for the general linguistic phenomenon. He usually uses the term “set phrase”. The Spanish term “unidad fraseológica” (Engl. “phraseological unit”) seems to be the dominant term in Spanish research (Zurdo Art. 60, Pamies Art. 81). Other authors (e.g. Hyvärinen Art. 63) have no generic term for phraseological phenomena, but rather the main two areas “phraseme” and “proverb” (see 1.). The authors who dealt with proverbs and related phenomena adhered to the term “proverb” (Mieder Art. 30 and Art. 35, Norrick Art. 34). They do not discuss the relationship between phraseology in general and proverbs. Thus, they do not identify a generic term for the whole subject area. “Phraseme” would be suitable as an international term, if Anglo-American authors could agree upon it as well. In view of the fact that English is the dominant scientific language, it can be assumed that the parallel usage of “phraseme” and “set phrase” will continue. The term “phraseme” has the disadvantage that its suffix -eme emphasizes the systematic aspect (compare “phoneme”, “morpheme”, “lexeme”, “texteme”). It is probably impossible to cover all formulaic aspects other than idioms, collocations, etc. with this term. The term “phraseme” can only be used with restrictions as soon as the narrow subject area of phraseology is left behind. Therefore, the editors propose usage of the term “phraseme” in the narrow subject area of phraseology (and hence as a generic term for idioms and collocations). In the case of wider conceptions, the editors suggest other terms as generic terms (e.g. “formelhafte Sprache”/ “formulaic language”, Norrick Art. 52 and Wray Art. 71 “feste Wortverbindung” [Engl. “fixed word connections”], “formelhafte Texte” [Engl. “formulaic texts”], Gülich/Dausendschön-Gay/Krafft Art. 41). However, it is sensible to use the term “phraseology” for the linguistic subject area as a whole – whether in a narrow or broad sense.
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1b. Phraseology: Subject area, terminology and research topics
4.
Terms for subcategories
Evidently, the designation of subcategories is dependent on the choice of the generic term. Collisions in the terminological systems can occur. This happens when one term is a generic term in a certain terminology and a designation for a subcategory in another terminology. This can be observed in the cases of “idiom” or “collocation”, but also with other terms. It is always important to clarify which system the term belongs to. For instance, Cowie (Art. 77) uses “set phrase” as the generic term and “pure idiom”/“figurative idiom”/“collocation” as subcategories. Moon (Art. 87) names “set phrases”, “idioms” and “formulae” as subcategories of “phraseology” (Phraseology is used very generally to refer to recurrent lexicogrammatical patterning; set phrases to those recurrent patterns that have specialized meanings or functions; idioms to set phrases which are typically figurative and which have non-compositional meanings. Formula is used to refer to recurrent phrases with specific functions but which are not necessarily problematic for meaning. Other terms, including proverb, simile, and phrasal verb, have their standard meanings. [abridged]). When, in a particular language, the subcategories have specific linguistic or cultural features, there are terminological difficulties. A comparison becomes impossible. This occurs in Chinese research, because the subcategories of “shuyu” are defined by their specific morphosyntactic structure, melodic rhythm and metaphoric structure, as well as by their special communicative and cultural application. The translated terms such as “idiomatic expression”, “expression” or “proverb” are not easily comparable with the terminology of European phraseology research and can lead to misunderstandings (see Liang Art. 65). In Korean research (Cheon Art. 66), there is an important subcategory which corresponds to the so-called German “Geflügelte Worte” (Engl. “sayings”). However, it has very specific historic and cultural conditions, e.g. “sayings” from old Chinese texts, which nowadays are marked in sociolinguistic perspective as portraying a high degree of intellectualism, etc. It is not sensible to list all of the subcategories treated. However, the fundamental classification for the Russian research tradition (especially Vinogradov 1946, 121ff.;
1947, 143ff.), which goes back to Charles Bally, should be mentioned, because it was exemplary for several later classifications: 1.
2.
3.
“frazeologičeskie sraščenija” (“phraseological entireties”) = completely unmotivated idioms, whose meanings cannot be deduced from the meanings of its constituents; “frazeologičeskie edinstva” (“phraseological units”) = motivated idioms with a “living” inner form, i.e. idioms in which the actual meaning appears as a result of semantic derivation; “frazeologičeskie sočetanija” (“phraseological connections”) = collocations whose meaning can be deduced from the meanings of their constituents, whereby one of the constituents is used in its “phraseologically bound” meaning and thus functions as a collocator (according to Dobrovol’skij/Filipenko Art. 60).
Today, the internationally leading classification of phraseological material is based on Vinogradov’s division into relatively homogeneous classes (with different variations). The classes are: idioms (which corresponds to Vinogradov’s first two classes), collocations (= Vinogradov’s third class) and proverbs (see e. g. Mel’čuk Art. 11, Baranov/Dobrovol’skij Art. 33, Sabban Art. 50, Feyaerts Art. 54, Dobrovol’skij/Filipenko Art. 61, Hyvärinen Art. 63, Häcki-Buhofer Art. 70, Lubensky/ McShane Art. 76, Rothkegel Art. 86, Heid Art. 87, Sailer Art. 89, Mokienko Art. 95). Often, “routine formulae” are treated as an independent class. However, sometimes they are classified as either idioms or collocations, depending on their degree of idiomaticity. We will not go into further detail here. A search for specific classes can be conducted using the index at the back of the handbook.
5.
Fundamental phraseological terms
Terms for fundamental concepts of phraseology like “polylexicality”, “idiomaticity”, “figurativeness”, “Festigkeit”, “frozenness”, “figement”, “semantic autonomy”, “semantic analyzability” etc. are discussed in the corresponding articles. When comparing the articles on Indo-European languages with articles on other languages, it becomes clear that fundamental terms can vary in meaning depending on the type of language they describe (for
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I. Einführung/Subject area, terminology and research topics
example, the feature “polylexicality” is used differently in a language like Korean than in languages such as German and English, see Cheon Art. 66). Apart from such languagespecific differences, it is important to point out that some authors use the terms in other contexts than usual (e.g. Mejri Art. 58, who uses “idiomaticity” in a much more general – semiotic – sense than customary).
6.
Obsolete terms
Some terms which developed over time in the history of phraseological research have not maintained their significance. This is true for e.g. “phraseolexeme” or “schematism” or “word group lexeme”. The article by KunkelRazum (Art. 27) is symptomatic of this development. Older terms (like the German “Phraseolexem”) come up in citations of the author’s own, older work. Other than that, the German term “Phrasem” is used, and the German term “Phraseologismus” occurs once, but only as a quote from newer work. Similar differences can be observed in the articles by Ehrhardt (Art. 19) and Skog-Södersved (Art. 21). The term “proverbial phrase”, which has a long European tradition (see 10), is still used today in research on proverbs (Norrick Art. 34). Other than that, the term is only used when authors want to emphasize their affinity with ethnic/ethnologic research traditions (Eismann Art. 28) or, alternatively, if the fact that a set phrase is derived from a proverb is being stressed (as in Buridant Art. 93). From the perspective of phraseology research, the term is unsuitable or even redundant. This is due to the lack of sound structural criteria that allow a definition which differs from that of “idiom” etc. The formerly wide-spread term “cliché”, which stressed the stereotypical character of some set phrases, is practically obsolete.
7.
Synonymous terms
There are several terms which go back to different language and research traditions but are used synonymously, e.g.: Engl. “binomial”, Ger. “Zwillingsformel”, “Paarformel”;
Engl. “simile”, Ger. “komparativer Phraseologismus”, “phraseologischer Vergleich” (synonymous usage of both terms in German); Engl. “routine formula”, “speech formula”, Ger. “Routineformel”, “kommunikative Formel”, “kommunikativer Phraseologismus”, “pragmatischer Phraseologismus”, “Konversationsformel”, “Gesprächsformel”; Engl. “light verb construction”, “composite predicate”, “expanded predicate”, “thin verb”, “stretched verb construction”, “support verb construction”, Ger. “verbnominale Konstruktion”, “Funktionsverbgefüge”, “Funktionsverbfügung”, “Streckverb” (the last two are practically obsolete), Fr. “locution verbale”, “verbe support”, “construction à verbe support”, Span. “verbo soporte”, Ital. “verbo supporto”.
If a standardization of terminology were the goal, such multiple synonymous terms would be the first to go. But even this seemingly simple problem is not solvable. The deeprooted terminological traditions are too strong and changes in terminology would lead to alienation for certain authors or schools.
8.
Specialized and everyday perception of terms
It is important to differentiate between everyday terms or common categorizations and specialized terms. For example, the English “proverb”, Ger. “Redensart”, “Sprichwort”, Fr. “proverbe”, “locution”, etc. These categories and terms should only be used as scientific terminology if the majority of features are in common with the linguistic concept (for example, “proverb”). Phraseography is a special problem, because the titles of dictionaries cannot be chosen according to mere scientific criteria. For economic reasons, everyday, general categorizations need to be considered. Thus, it is understandable that the German “Duden-Band 11” is titled “Redewendungen” (Engl. “sayings”). In Russian, “phraseology” is the general, everyday term. Thus, surprisingly, popular dictionaries almost always include “фразеология” = “frazeologija” (“phraseology”) or “фразеологический” = “frazeologičeskij” (“phraseological”) in their titles. The originally specialized terminology is used in Russian schoolbooks as well. For example, phraseology is briefly treated in a schoolbook for 8th– 11th graders (“The Rus-
1b. Phraseology: Subject area, terminology and research topics
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sian Language: Theory”). The textbook says that there is a special subject area in the lexical system of a language which is made up of phraseologisms or phraseological units. Phraseologisms are characterized as idiomatic, figurative units of the lexicon (of two or more words). There are examples, but they are all idioms. Therefore, it is unclear whether other phraseological subcategories are grouped under the term “phraseologisms” or not. In conclusion, the textbook mentions that there is a special linguistic discipline called “phraseology” which deals with phraseologisms. However, this link to a lay tradition does not relieve everyday and specialized phraseological dictionaries of the responsibility of attempting to introduce a categorization which corresponds with recent phraseological findings, be it in the prefaces or in the user’s manuals. Nonetheless, this has not been done in most everyday dictionaries. Kispál (Art. 36) emphasizes that dictionaries of proverbs usually have the tendency to include not only proverbs, but also sayings and, in fact, almost the whole area of phraseology. This mirrors the everyday assumption (which is also made in ethnic studies) that “proverbs” also include the subject area of “proverbial sayings” (see 10.).
be taken literally. It all depends on the focus of the research (system linguistics or pragmatics/discourse analysis or phraseography). As representatives of a relatively new discipline, some phraseologists feel the need to achieve terminological uniformity, as has allegedly been accomplished in other linguistic subject areas. Nevertheless, there are antagonisms of terminological traditions in many disciplines, e.g. the differences between Romanic and Anglophone semantics or the chaos concerning the classification of German parts of speech. There are also different terminologies in syntax research, which shows that sometimes, unavoidable, theory-based or factually-based differences between classification and terminology can exist. The age of a research discipline only plays a role within the tradition of one language. Russian phraseological terminology is much more uniform than in other languages due to its long terminological tradition. In contrast, the influence of foreign terminologies is discernible in Korean and Arabic research, making the terminological situation seem confusing. In other countries, the terminological situation is clearly defined by a certain research tradition (e.g. in Finland due to German Germanic research).
9.
10. Topical dependency of terminology
Problems regarding an exhaustive classification
When considering the open boundaries of the subject area of phraseology, and its fuzziness concerning categories, it seems neither desirable nor possible to find an exhaustive classification or terminology. The concept of “Familienähnlichkeiten” or “family resemblences” (which has advanced far beyond the original Wittgenstein context to adapt to categorization problems) can offer a solution. Depending on the similarities that are emphasized, the terminology can be and must be modified. Some terminological problems develop simply because one item can be classified into several different groups: For example, structurally, live and learn belongs to the “binomials” – to be exact, to the special type called “irreversible binomials”. Syntactically, it is of the type V + V, but regarding its usage and dissemination, it can count as a “proverb”. Sometimes live and learn is idiomatic, whereas in other cases, for example when it is a simple command, it can
Terminologies and classifications are dependent on the topic and goal of the research being performed, a reality which we will show here on the basis of several terms. 10.1. Collocation “Collocation” was and is still a leading notion for corpus-based research (although today the differentiation in corpus-based work on phraseology corresponds to international conventions; see 4., see also Sailer Art. 89). At first, the term’s connection to phraseology was merely marginal because all sorts of word groups were subsumed under it (’alles was zusammen vorkommt‘). Phraseologists rejected the term because no exact phraseological feature was attached to it. In the meantime, the term “collocation” has found its place as a subcategory of phraseology (with a weak or non-existent semantic reinterpretation) which opposes “idioms” as the semantically marked set phrases. Hausmann (2004) speaks of a “war of collocations”, embodied by the contradictory usage of the term in the
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I. Einführung/Subject area, terminology and research topics
“Oxford Collocations Dictionary for Students of English” (2002) and “A Dictionary of English Collocations” (1994). While the former views collocations in a narrow sense (corresponding with Hausmann’s definition of a primarily bipartite structure of “basis” and “collocator” – see also Sailer Art. 89), the latter works with the corpus linguistics-based conception of more or less common word groups – a conception which is very elusive from a linguistic point of view. In German studies, the narrow understanding of the term “collocation” overlaps with the widespread semantically defined class called “teilidiomatische Phraseologismen” (Engl. “partly idiomatic phraseologisms”) or “Teil-Idiome” (Engl. partial idioms) (see Burger 2003, 32, 38, as well as several older works). This includes collocations like Bauklötze staunen (Engl. “to wonder building blocks” = to be flabbergasted) or Geld zum Fenster hinauswerfen (Engl. “to throw money out the window” = to be a spendthrift). Both of these have one constituent which can be taken literally (staunen and Geld), whereas the other must be understood idiomatically. Hausmann (2004, 313ff.) shows that these types of collocations can be subsumed under his conception of collocations as well. In American psycholinguistics, anything phraseological is defined as an “idiom” and the focus is primarily on those problems which occur when processing idiomatic (in the semantic sense) linguistic signs. European psycholinguistics concentrates on the term “idiom” in regard to those set phrases which form the core of the phraseological system (see Häcki-Buhofer Art. 70). 10.2. Proverbial expressions Especially in the 19th century, German terms such as “sprichwörtliche Redensart” (Engl. “proverbial expression”) or “bildliche Redensart” (Engl. “figurative expression”) were used in an ideological way by authors who emphasized the romanticizing, in part culturally historic or pedagogical, in part national or nationalistic aspects of set phrases (see Müller/Razum Art. 77). The goal of phraseological research was knowledge about the “nature” or the “character” of the German language and culture. The German term “Redensart” (Engl. “expression”) is a loan from the French “façon de parler” (Engl. “way of speaking”). The German term appeared for the first time in Johann Arndt’s work “Vom
wahren Christentum” (1605). The term “sprichwörtliche Redensart” (Engl. “proverbial expression”) was coined by Justus Georg Schottels in 1663 in his “Ausführliche Arbeit von der Teutschen Hauptsprache” (Engl. “Elaborate Work on the Main German Language”). Today, the terms “proverbial expression” (or “idiomatic expression”, see Röhrich/Mieder 1977, 15), “figurative expression”, “expression” or the German terms “Redewendung” and “Wendung” (Engl. “figure of speech”) are used primarily in German pedagogy and textbooks. The focus is on “proverbial expressions”, which were defined textually by Rudolf Hildebrand (1917, 80–81 and 93–94). Many different factors play a role and have led to the fact that the assorted terms have remained blurry until today. In German pedagogy, the “defining features” of proverbial expressions are (1)
imagery (“The pictorial nature of our language reveals itself in proverbial expressions”), (2) traditionality (“[...] the origin of many figurative expressions can be found in folk language. Many stem from special vocabularies and phraseologies of different social groups in our country, from the so-called class, professional and specialized languages”), (3) significance for culture and language history (“Some of these expressions have upheld our valuable linguistic heritage and are witnesses of the past – of obsolete institutions, customs and perspectives.”), (4) concreteness and comprehensibility (“Even today, many figurative expressions are so tangible and graphic that anyone can understand them”), (5) folksy brevity and pithiness of expression, (6) folksy fondness for grotesque exaggeration (e.g. da lachen ja die Hühner [Engl. “even the chickens are laughing” = that’s ridiculous]), (7) partly euphemistic features (e.g. lange Finger machen [Engl. “make long fingers” = steal]), (8) occasional wordplay (e.g. Einfälle wie ein altes Haus haben [Engl. “to break down like an old house/to have ideas like an old person”]), (9) puns on proper nouns (e.g. nicht aus Gebersdorf sein [Engl. “to not be from Givingcity” = to be greedy]), (10) fondness for formula-based figures of speech like coupled words (e.g. in Bausch und Bogen [Engl. “in wad and arch” = lock, stock, and barrel]) or (11) obsolete word or language forms (e.g. mit Kind und Kegel [Engl. “with child and cone” = with everything]) (see Schmidt 1959, 232 ff.).
1b. Phraseology: Subject area, terminology and research topics
This functionalization of phraseological perspective on culture and language history was the dominating focus of German didactics of expression until the 1970s (see Kühn Art. 73). 10.3. Phrases In popular German stylistics (e.g. Reiners 1951), the German term “Phrase” (Engl. “catchphrase” or “expression”) was used in a pre-phraseological sense to accentuate the German “Plattheit” (Engl. “flatness”), “Phrasenhaftigkeit” (Engl. “rhetoricality”) or “Stilschwindel” (Engl. “stylistic bogus”) (Reiners 1951, 190) of particular word groups. Representatives of this conception caution us not to use “habitual, stale images of our everyday language” (Reiners 1951, 263), or “trite” expressions with “template images” as in Staub aufwirbeln (Engl. “to produce dust” = to create a sensation), eine Frage anschneiden (Engl. “to cut a question” = to broach a topic) or Dampf machen (Engl. “to make steam” = to accelerate) (Engel 1913, 399). Karl Kraus is probably the most renowned German language critic, and his arguments are more refined. (see Breiteneder Art. 31). He was editor of the magazine “Die Fackel” from 1899 to 1936, and he focused on the journalistic and ideological usage of catchphrases. He analyzed the propaganda catchphrases of WWI (Platz an der Sonne [Engl. “place in the sun”], Schulter an Schulter [Engl. “shoulder to shoulder”], Serbien muß sterbien [Engl. “Serbia must die”, as a rhyming pun]) and the Nazis’ so-called “revindication of the content of the catchphrase” (Salz in offene Wunden streuen [Engl. “to rub salt in the wounds”], mit einem blauen Auge davonkommen [Engl. “to scrape by with a black eye”], aus einem Menschen ein Gulasch zu machen [Engl. “to turn people into goulash” = to pulverize the enemy], Krümmt auch weiterhin keinem Juden auch nur ein Haar [“to keep from harming any Jew at all”]). However, the cliché character of some word groups was emphasized in scientific stylistics as well, for example by Charles Bally, one of the first representatives of scientific phraseology (in reference to Bally, see Mejri Art. 58).
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11. Perspectives and terms from neighboring disciplines The influence that pragmatics, discourse analysis and the research on ritualized communication have had on phraseology can be seen in the terminology. Since the mid-1970s, terms like “pragmatic idiom”, “pragmatic phraseologism”, “routine formula”, “communicative formula”, “pragmatic stereotype”, and “conversational formula” have emerged. However, “gambits” or “hedges” (to be exact, let me put it this way, to put it in a nutshell, be that as it may, as it were) count as parts of the subject area of phraseology as well, as long as they are fixed word groups. Nonetheless, their meanings can only be described on the basis of their communicative/situational usage (see Lüger Art. 39, Fix Art. 40). Furthermore, the inclusion of text(type) linguistic research has led to an expansion of the perspective of phraseology. “Formulaic texts” and “formulaic discourse chunks” now belong to the subject area of phraseology. Such texts and portions of texts are pre-formulated and formula-based, with a repeated, almost identical content (see Fix Art. 40).
12. Outlook While selecting the authors for this handbook, the editors recognized that in several areas of research, there are still major deficiencies: – The history of phraseology has not been researched for most languages. Paremiology is the only subject area which enjoys widespread historic interest. However, especially in regard to the recent culturally historic trend, the history of phraseology could become a particularly fruitful research area. – There are many languages, in particular non-Indo-European languages, for which hardly any or no phraseological research has been conducted. Accordingly, it is difficult to determine the influence of language structure on phraseology, because comparisons become complicated or impossible. – From early on in the Russian and Germanic research traditions, set phrases were not only classified and described structurally, but also analyzed in a text(type) specific context. Similar work is missing or just beginning for other languages. Studies
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I. Einführung/Subject area, terminology and research topics
on this level would facilitate textually based linguistic and cultural comparisons. – After decades of theoretical analysis of set phrases, the time has come to focus on the application of linguistic findings. Most dictionaries have not yet implemented the data from phraseological research, a fact which is also true of pedagogy. Phraseological work could adjust to phraseographic and phraseodidactic practices and ultimately help overcome obsolete traditions. – Till now, research on the cognitive processing of set phrases has expanded the phraseological field to include metaphor-semantic, culturally semiotic and intercultural problems. New questions and models emerge when studying the representation of set phrases in the mental lexicon, with repercussions for the treatment of set phrases in semantics and lexicography. Furthermore, culturally semiotic approaches offer an opportunity to describe and define intercultural communication problems. Intercultural phraseological research can also help overcome the traditional, culturally focused perspective. In addition, it can advance intercultural communication by describing set phrases to define autostereotypes and heterostereotypes, or by focusing on communicative difficulties due to interculturalism. Research in these subject areas is just beginning to be conducted.
13. Conclusion The complexity of the subject area “phraseology” has expanded greatly since the 1970s. Not only is there a “narrow” conception, but different varieties of a “broader” conception exist as well. Thus, the limits of this research discipline have become blurred. Apart from the structurally defined core, there are several “peripheral” areas which may or may not be subsumed under the term “phraseology” depending on their research focus. Consequently, it has become questionable whether the metaphor of “core” and “peripheral” areas is still appropriate. For these (and all the aforementioned) reasons, an international uniformity of terminology and classification is only possible and desirable to a certain degree. Evidently, the editors of this handbook cannot accept just any expansion of the subject
area. They agree that a fuzzy line between the structurally defined areas of phraseology and word formation is inappropriate in languages such as German (a term like the German term “Ein-Wort-Phraseologismus” [Engl. “oneword-phraseologism”] is a contradiction in itself), whereas e.g. in French, such unclear limitations may be disputable. Phraseology has various relationships to neighboring linguistic disciplines. In its core subject area (to return to the traditional metaphor once again), phraseology can be a subarea of comprehensive lexicology. Lexicology analyzes formal and semantic features of lexicon units. If this is our understanding of lexicology, then phraseology can play a special role, because set phrases are organized in a more complex way than words. They also have specific morphosyntactic features. As soon as the “peripheral” areas are taken into account, the perspective widens to include more or less fixed word groups, modelbased syntactic shapes, formula-based texts or text units. As a result, phraseology is adjacent to disciplines like syntax, text linguistics, pragmatics and discourse analysis. Ultimately, when defining set phrases, factors arise that can also be relevant to stylistic or literary questions – which is a fact that Charles Bally indicated early on, at the beginning of phraseological research.
14. Select bibliography Burger, H. (2003): Phraseologie. Eine Einführung am Beispiel des Deutschen. 2. Aufl. Berlin. Duden 11 (2002): Redewendungen. Wörterbuch der deutschen Idiomatik. 2., Aufl. Hrsg. von der Dudenredaktion. Mannheim. Duden 11 (1992): Redewendungen und sprichwörtliche Redensarten. Idiomatisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearbeitet von G. Drosdowski und W. Scholze-Stubenrecht. Mannheim. Engel, E. (1913): Deutsche Stilkunst. 18. Aufl. Wien. Hausmann, F.J. (2004): Was sind eigentlich Kollokationen? In: Steyer, K. (Hrsg.): Wortverbindungen – mehr oder weniger fest. Berlin, 309–334. Hildebrand, R. (1917[1867]): Vom deutschen Sprachunterricht in der Schule und von deutscher Erziehung und Bildung überhaupt. 14. Aufl. Leipzig. Pilz, K.D. (1981): Phraseologie. Stuttgart. Reiners, L. (1951[1943]): Stilkunst. Ein Lehrbuch deutscher Prosa. 4. Aufl. München.
1b. Phraseology: Subject area, terminology and research topics Röhrich, L./Mieder, W. (1977): Sprichwort. Stuttgart. Schemann, H. (1993): Deutsche Idiomatik. Die deutschen Redewendungen im Kontext. Stuttgart.
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Vinogradov, V.V. (1977): Izbrannye trudy. Leksikologija i leksikografija. Moskva. Wray, A. (2002): Formulaic language and the lexicon. Cambridge.
Schmidt, W. (1959): Deutsche Sprachkunde. Ein Handbuch für Lehrer und Studierende. Berlin. Vinogradov, V.V. (1946): Osnovnye ponjatija russkoj frazeologii kak lingvističeskoj discipliny. In: Vinogradov, V.V. (1977), 118–139. Vinogradov, V.V. (1947): Ob osnovnyx tipax frazeologičeskix edinic. In: Vinogradov, V.V. (1977), 140–161.
Harald Burger, Zurich (Switzerland) Dmitrij Dobrovol’skij, Moscow (Russia) Peter Kühn, Trier (Germany) Neal R. Norrick, Saarbrücken (Germany)
II. Strukturelle Aspekte der Phraseme/Structural aspects of set phrases 2. Idioms and morphology 1. 2. 3. 4. 5. 6.
1.
Morphology in idioms: Overview and general background Idioms in the language system Idioms in the text and their anomalous behaviour Some open questions Conclusions Select bibliography
Morphology in idioms: Overview and general background
While most views of idioms are limited to the obvious field of word-form combinations or collocations (A: collocational idioms, Čermák 1982, 1988, 1994, 2001), with some theorists allowing their existence above this level as well (B: propositional or sentence idioms), only very few are prepared to go in the opposite direction, namely below the word level. This is the large area of idiomatic combinations of morphemes (C: lexical idioms), neglected by those who are concerned with (seemingly) free forms only, choosing not to see the very same phenomenon in compounds and elsewhere, thereby ignoring an obvious link between higher levels and the level of morpheme combinations. In general, identical content may be rendered either as a combination of separate forms (split hairs, cut corners) or of morphemes inside a lexical idiom, i.e. a single-word lexeme (hair-splitting, corner-cutting). This is basically a Europocentric view, building on familiar isolating, inflectional or agglutinative language types, and disregarding polysynthetic languages, with their characteristic incorporational constructions within the scope of a single textual word, where idioms as such should not exist. The existence of idioms is most probably universal (Čermák 1994b, 1994c), although its specific manifestation depends on the typological character of the language in question. Thus it is evident that the Katzenjammer (hangover) type idiom is much more frequent in languages with great compounding capability, such as Dutch, German, Finnish or Hungarian, than in languages with less, preferring derivation and inflexion, such as
Czech, Slovak or Russian. The case of, basically, isolating Chinese may seem a problem, but only to a degree. In fact, it may be used as evidence that, from a typological perspective, this separation of language levels and, hence, too narrow delimitation of the field of idioms is wrong. Because Chinese primarily uses only one kind of compounding (with next-tono derivation), and because discrimination between compounding and collocation is traditionally difficult (together or apart?), but also due to its different writing system, this language requires recognition of a link between idioms of level A and C (cf. jiânglái standing for “future”, i.e. jiâng “act”+ lái “come”). In many cases it is simply difficult to decide whether some item should count as a compound and collocation, hence as “one word or more words”, the latter view preferred traditionally by many linguists. Thus it seems that the widespread traditional view of idioms having a multi-word character cannot be upheld. Instead, a defining feature of idioms should be seen in their multi-component character, where a component may belong to any of the traditional levels of meaningful language units, thus comprising words (word-forms), clauses (sentences) and morphemes. For any combination of these three types of units as constituents (components) to count as an idiom (of A, B, or C type), another basic defining condition must hold, namely the anomalous character of their combination (in more than one sense). This anomaly may generally be either syntagmatic (combinatorial limitation of a constituent) or paradigmatic (a constituent being member of a severely closed paradigm, set). To be specific about the approach to idioms in what follows: the idiom is a unique and fixed combination of at least two elements (constituents) such that at least one of these does not function in the same way in any other combination or combinations of the kind, or occurs in a highly restricted number of them, or in a single one only (for more on this, see, for example, Čermák 1988 and 2001).
2. Idioms and morphology
In this framework, both the above morphological fields, i.e. compounding (2.2.1) and derivation (2.2.2), will be handled in what follows. There are, moreover, further morphological features relevant to idioms. Besides some special cases of “frozen” inflexional forms (2.1), inflexion will be investigated in its major manifestation of idiom behaviour in texts (3), mostly where it is rather rich, such as in Czech.
2.
Idioms in the language system
In a sense, the inflectional (morphological) character of idioms, or rather of some constituent parts of idioms, is largely frozen in the system, idioms being stored there in a particular, usually unchanging form. Thus the English idioms give someone a big hand, at hand must retain their constituent hand in singular form, while in the idioms hands off, have one’s hands tied it has plural forms only. This general feature of idioms, when there is an inflectional form present, suggests that idioms are, in fact, made up of word forms, and not lexemes or words on this level. However, some idioms do allow a limited amount of inflection in texts (see 3) and actual use, where the verbs give and have may assume different forms (morphs). These frozen inflectional morphs have been chosen by whoever coined the idiom to give shape to his or her intended meaning and remain intact. Of course, quite a number of idioms do not contain any inflected forms, for a number of reasons, some of them typological (see above 1). 2.1. The morphological nature of idiom constituents By contrast, such phenomena in word-formation are more frequent. Some idioms may contain: (1) special unique constituents, not to be found elsewhere in language, made up of frozen parts, too, which may overlap with their overall highly restricted use in a single idiom (or a handful of them), such as the Czech Do třetice všeho dobrého (Third time lucky), where the noun třetice (a group of three, a derivative of tři “three”) has been apparently coined for this saying only and is not found elsewhere. More often, however, the unique quality of such constituents consists in
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(2) unique combinations (word-formation) of elements (morphemes, usually) familiar separately from elsewhere, but occurring as a whole in the idiom only, e.g. the English on tenterhooks, at loggerheads, go haywire, German Mattscheibe haben (Matt-matt, Scheibe-screen: be not quite with it), sich großtun (großgreat tun-do: to boast), jm. Fersengeld geben (Ferse-heel, Geld-money: take to one’s heels), or Dutch op apegapen liggen (aap-ape, gaap-yawn: be on one´s last legs). (3) constituents made of single morphemes, whose combinatorial capacity outside a certain idiom is (almost) nil, such as French au fur et à mesure (fur: step by step), avoir maille à partir avec (maillesmall historical coin: be at loggerheads with), English take umbrage (umbrage), in high dudgeon (dudgeon), to and fro (fro) or Czech být hin (hin: be fagged out), dávat bacha (bacha: be on one´s guard), jít k duhu někomu (duhu: do good to someone). (4) Rarely, manifestations of an earlier state of morphology no longer in use in the system may be found. Thus, inspecting Czech idioms být s to (be able to, from German im Stande sein), ležet ladem (lie fallow), remnants of an old Accusative valency of the preposition s (with) and of an old Instrumental case valency of the verb ležet (lie), manifested in the case form of the noun following it ladem, are to be found, neither of which is possible any longer in today’s language. 2.2. Morphological nature of lexical idioms It should be noted, however, that what will be called here lexical idioms (see C in 1), recognizing an idiomatic combination of morphemes within the boundaries of a single lexeme, is an important field of concern. For Czech, a highly inflectional language using derivatives profusely, Klötzerová’s estimate, based on an analysis of a medium-sized standard dictionary (“Slovník spisovné češtiny”, 1994), suggests that some 5 percent of the words (out of some 50 000 lemmas) belong to lexical idioms one way or another. The phenomenon of lexical idioms offers a challenge to current views of word-formation as based on rules only and allowing for no exceptions, a fact hardly ever admitted in that field. Lexical idioms, substantially enlarging
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II. Strukturelle Aspekte der Phraseme/Structural aspects of set phrases
both the field and scope of phraseology, usually go unnoticed (in most cases and approaches). Only a few linguists have paid more than passing attention to the phenomenon, such as Coates (1964), Čermák (1982, 125ff.), Henschel (1987), Klötzerová (1997) and Makkai (1972). The terms, or rather labels, used here are also few. Thus, Makkai, who has taken the term from Bloch, calls these cranberry idioms or idioms containing cranberry forms (with Moon 1998 shifting it slightly to cranberry collocations). Makkai uses the term somewhat inconsistently, however, for both a lexical or lexemic idiom (cranberry) and phrasal verbs (put out). In German, in contrast to the traditional notion of Mehrgliedrigkeit (Getrenntgeformtheit) Einwortidiom (single-word idiom) is used (Henschel 1987), while in Czech lexikální idiom (frazém) is to be found. 2.2.1. Compounds It has already been noted (see 1) that examples like corner-cutting (as against cut corners) point to an obvious link and absence of a sharp boundary between collocational and lexical idioms. There are numerous other cases supporting this in more than one language, see, for example, Czech kratochvíle (pastime, diversion) versus krátit si dlouhou chvíli (pass the time by), svéhlavý (stubborn) versus mít svou hlavu (have a mind of one´s own) or German unterderhand versus unter der Hand (unter-under, Hand-hand: secretly, on the black market), using both forms, etc. It is evident that compounding is a rich field to look for lexical idioms, in direct proportion to the language’s typological preference for compounds. The following examples will be limited to some of the more obvious cases where an apparent anomaly, preferably of a semantic nature, can be found. In most of these cases, the sum of the meanings of the constituent parts does not add up to the total meaning of the lexeme (lexical idiom). Most but not all of the examples discussed below are nouns. It may come as a surprise that some of the commonest words are to be found here. Such is the English breakfast (break + fast) where the meaning of the sum of the constituents does not amount to its composite meaning. Similarly, greenhorn, man-of-war, ladybird, fishwife, egghead, hothead, backlash, hotdog, happy-go-lucky, cranberry (the last item
cran- occurring nowhere else in the language), etc. German examples are quite common, too, including more than one type of words. Christkind (Christ-Christian, Kind-child: Father Christmas), Sűndenbock (Sűnden-sin+ Bock-buck: scapegoat), Spielverderber (Spielgame+ Verderber-who ruins: spoilsport), Schweinehund (Schwein-pig+ Hund-dog: stinker, swine), Großmaul (groß-great+ Maul-mouth: braggart), Hasenherz (Hasehare+ Herz-heart: chicken-hearted, cowardly), Wassserkopf (Wasser-water+ Kopfhead: idiot), Eiertanz (Ei-egg+ Tanz-dance: manoeuvres), Eselsbrűcke (Esel-donkey+ Brűcke-bridge: shortcut), Kinderspiel (Kindchild+ Spiel-game: child’s play, trifle), Steckenpferd (Stecken-rod/stick+ Pferd-horse: hobby), Katzenjammer (Katze-cat+ Jammer-misery: hangover), etc. They may be formed using the same basis more than once, cf. kurzerhand (kurz-short, Hand-hand: on the spot), unterderhand (unter-under+ Hand-hand: secretely, on the black market), allerhand (alle-all+ Hand-hand: all sorts of), vorderhand (Vorder-front+ Handhand: for the present). Other examples include adverbs, verbs or microsentences, e.g. unverrichteterdinge (unverrichtete-unperformed+ Ding-thing: empty-handed, rebuffed), sitzenbleiben (sitzen-sit+ bleiben-remain: not manage to get married), vergißmeinnicht (vergiß-forget!+ mein-me+ nicht-not: forget-me-not), etc. Proper names take part in this, too, cf. Danaergeschenk (Danaer-Danaoi+ Gift-present: Greek gift), Damoklesschwert (Damokles-Damocles+ Schwert-sword: sword od Damocles), etc. It must be pointed out that where German (or another language, for that matter) has a compound and, hence, a lexical idiom, another language may have a collocational idiom denoting the same thing, cf. Hasenherz and Czech zaječí srdce, etc. Looking at other languages, lexical idioms of this compounding sort are no exception either. Thus Czech has a number of them, such as tlučhuba (tluče-he beats+ huba-mouth: bigmouth, windbag), patolízal (pata-heel+ lízatlick: toady, bootlicker), černokněžník (černýblack+ kníže-prince: sorcerer), držgrešle (držhold!+ grešle-small coin: skintflint, niggard), pecivál (pec-oven + válet se-lie idly: layabout, stay-at-home), strašpytel (strašitfrighten+ pytel-sack: poltroon, coward), pře-
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2. Idioms and morphology
dsevzetí (před-before+ se-oneself+ vzetí-taking: resolution), kratochvíle (krátit-shorten+ chvíle-while: pastime), poduška (pod-under+ ouška-ears: cushion), but also terms mateřídouška (mateří-mother´s+ douška-breath: thyme), jitrocel (jitřit-open wound+ celitclose: ribwort), devětsil (devět-nine, sílapower: butterbur), levhart (lev-lion, hart-0: leopard), etc. The last case offers an element (hart, having no discernible meaning) not to be found elsewhere, a phenomenon found on other strata of idioms (see also 2.1. and the definition of idioms). Similarly, Finnish has a number of examples, such as mustasukkainen (musta-black+ sukka-stocking: jealous), yliammuttu (yliabove+ ampua-shoot: exaggerated), mukiinmenevä (muki-cup, perhaps from English mug+ mennä-go: suitable), nuolennopea (nuoli-arrow+ nopea-fast: fast as an arrow), jääräpäinen (jäärä-ram+ pää-head: stubborn), hienohelma (hieno-fine+ helma-bottom part of skirt: fashion-conscious), etc. French offers some examples of very common everyday words belonging to lexical idioms, such as beau-frère (beau-beautiful+ frère-brother: brother-in-law), maintenant (main-hand+ tenant-holding, from maintenir-maintain and Latin manu tenere-hold hand: now), blanc-seing (blanc-white+ seing-signature: free hand), pied-noir (pied-foot+ noir-black: Frenchman born in Algeria), tête-bêche (tête-head+ bêche-spade: top-to-tail), laissé-pour-compte (laissé-left+ pour-for+ compte-count: rejected, returned), plain-pied (plain-high tide+ pied-foot: ground floor, one-storey high), etc. The phenomenon can be easily illustrated in other Germanic languages, due to the profusion of compounding in them. Consider the Dutch duivelskunstenaar (duivels-devil’s+ kunstenaar-artist:magician, wizard), spijkerhard (spijker-nail, hard-hard: as hard as a flint/stone), goedkeuren (goed-good+keurenevaluate/estimate: approve), steengoed (steenstone+goed-good: fantastic, great), steenrijk (steen-stone+ rijk-rich: immensely rich), dikkop (dik-thick+ kop-head: pigheaded person), kruidje-roer-mij-niet (kruidje-herb+ roertouch+ me-me+ niet-not: touch-me-not), etc. Just a few examples from Swedish, too: högtid (hög-high+ tid-time: festivity), bokvurm (bok-book+ vurm-worm: bookworm, bibliomaniac), spelevink (spela-play+ vinka-wave: gadabout, tomboy), svartsjuk (svart-black+ sjuk-ill: jealous), etc.
Finally and briefly, Polish and Italian. Compare the Polish łopatologia with its constituents (łopata-shovel+ -logia -logy: spoonfeeding) or Italian caposcarico (capo-head+ scarico-empty: lightheaded, joker), malapéna (mala-bad+ péna-pain: hardly, scarcely), maledetto (male badly+ detto-said: damned, cursed), etc. It should be pointed out that only a few superficially transparent and usually metaphorical examples have been chosen, which can be easily multiplied, especially by those which may not be so evident. It is a rich field, which requires systematic study and it should not be viewed as limited to metaphors only (see the Czech case -hart). In all of the cases, each language showing somewhat different preferences, it holds that these idioms exhibit a restricted and anomalous combinatorial capacity of their constituents with no rule behind them. Getting back to English, so powerful in phrasal verbs and, hence, collocational idioms (type B above), compare also existing idiomatic combinations of single prepositions and adverbs for one verb only: TAKE after/against/apart/away/back/down/ from/in/off/on/out/over/to/up,
it is not difficult to see that the converse situation for corresponding transformations into lexical idioms does not obtain. Thus there are only four available for the same verb, namely takeaway, take-off, takeover, takedown, the rest, such as *takeafter, *takeagainst, *takeapart, *takeback, *takefrom, *takein, *takeon, *takeout, *taketo, *takeup not having been coined (yet?). This little combinatorial exercise, consistent with the idiom definition above and the commutation test it implies, may show a free capacity for a future coinage. Adding some more analogous examples for come, get, go, set and turn, thus exhausting the field, such as comeback, getaway, get-together, get-up, go-between, setback, turnabout, turn-on, turnout, turnover, it can be seen that this type of coinage is rather popular, though, of course, not productive. One may wonder why certain other examples such as the English jackpot have not been included above. The problem has been hinted at by referring to the above verb as depletive. The crux of the matter is in the difficulty of distinguishing between a very large number of meanings (dictionary senses) and a loss of meaning (depletion). In this light,
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II. Strukturelle Aspekte der Phraseme/Structural aspects of set phrases
jackpot (with 14 meanings for jack and 6 for pot, according to “The New English Dictionary of English”) represents a border-line case of sorts, the number of meanings for jack being simply too large and especially diverse. It seems, namely, that this type of coinage might refer to a basic, prototypical meaning of a constituent if viewed independently, this being, on the other hand, difficult for jackpot.
(b4) is to be seen in addition of valency where there has been none previously. Thus, to the regular verb vyzrát (ripen), already changed into an idiom by a prepositional valency, is also added the prefix vy- (vy-out/up+ zrát-ripen+ na-on: get the better of someone, outflank someone). This type strongly resembles the English verb phrases in part.
2.2.2. Derivation
Finally, prefixed verbs may form a number of lexical idioms by
A situation similar to that in compounds is to be observed in derivatives, mostly in those languages which prefer derivation to compounding. A good example of an inflectional language with lexical idioms of this type is Czech. Just a few examples will be mentioned, illustrating types of idiomatic coinage here – the list could easily be extended. The obvious subfield to look for these in is verbs with prefixes, especially the most frequent ones (there being, in fact, a direct counterpart to the English collocational idioms with prepositions/particles in the postpositive position, mentioned above), cf. najít (na-on+ jítgo: find), ujít (u-away+ jít-go: be passing, especially in ujde to it is not so bad), vyjít (vyout+ jít-go: get by, make both ends meet), etc. It must be pointed out that in this type of (a) pure additive prefixation some of these prefixed verbs are polysemous, hence only the idiomatic case is glossed over here. A different and quite common type (b) may be represented by prefixation, where valency has been changed in a number of ways. Thus the (b1) regularly coined verb přebrat něco (přeover+ brát-take: take over something) is generally used with a noun in the Accusative case. If, however, (b2) the valency is abolished and no noun appears following the verb, a lexical idiom obtains with a completely different meaning (pře-over+ brát-take: have had one too many, have drunk too much, be drunk). Similarly, the regular verb zahýbat/zahejbat (za-behind+ hýbat-move: bend, turn), once (b3) its regular adverbial valency (někam somewhere) is substituted by the dative case, one (někomu to someone) begins to mean something else (za-behind+ hýbatmove: two-time someone, be unfaithful to). Still another type of valency change
(c) employing an additional reflexive pronoun se (oneself). Thus, the regular zašít (za-behind/up+ šít-sew: sew up) with no reflexive turns into an idiom once this has been added zašít se (za-behind/up+ šít-sew +se-oneself: hide, especially to avoid being given an unpleasant task, literally: sew oneself in/behind). Similarly, the regular vystřelit (vy-out+ střelitshoot: shoot, shoot out) becomes an idiom when another reflexive pronoun si (for oneself, for one’s own benefit) is added along with prepositional valency, cf. vystřelit si z někoho (vy-out+ střelitshoot: take someone for a ride, cheat someone, lit., shoot out of someone), etc. Of course, other non-noun lexical idioms could easily be included, too, such as adjectives, cf. bezuzdný (bez-without+ uzda-bridle: unbridled, unrestrained), zákeřný (za-behind+ keř-bush: treacherous, i.e. lurking behind the bush), etc. Similar examples are to be found in any other Slavonic language, all of them using a lot of inflexion and derivation, cf. Polish najść (na-on+ -jść-go: surprise, turn up) cognate to the Czech najít, discussed above, but having a different meaning, or Slovak zavariť někomu (za-behind+ variť-cook: make it hot for someone, cause someone difficulties) with a dative valency or vyfarbiť sa (vy-out+ farbiť-colour+ sa-oneself: show oneself in one’s true colours) with an additional reflexive prounoun added to make it an idiom, etc.
3.
Idioms in the text and their anomalous behaviour
A crucial role of morphology is to be seen in the textual behaviour of idioms, and more broadly, through morphology, in their syntactical and textual behaviour. To be able to ap-
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2. Idioms and morphology
preciate this, we must view morphology more broadly, namely as extended to those morphological categories which may not have a typical morpheme (ending) to signal them. As explained earlier (Čermák 1984, 1988, 1998, 2001), their character and nature may be projected into their negative textual behaviour, namely those categories in which they do not prototypically occur. For the sake of brevity, examples of possible (and not prototypical) uses are left out of consideration. This anomalous character varies from one idiom to another. Consider first the following five English verbal idioms, chosen at random: (1) (2) (3) (4) (5)
spill the beans fall head over heels lead someone by the nose have one´s hands full not grow on trees
It seems that imperative use (and form) is not to be found for (1)–(5), whereas negative imperative does not prototypically obtain for (2)-(5), while passive voice forms are improbable for (2), (4) and (5). Similarly, 1st person singular use is not usual for (1), (2) and (5), interrogative form for (2) and (3) and, likewise, no negative form is found with (2) and (3), etc. It should be evident that quite a number of other categories (moods, tenses) have not been considered. Looking at Czech and reversing the approach by trying to enumerate these prototypically non-occurring categories for each idiom (an approach used extensively in the “Czech Dictionary of Idioms”), one obtains (the categories are abbreviated): (1) vodit někoho za nos (lead someone by the nose): pass, imp (2) mít plné ruce něčeho (have one´s hands full): ques, neg, pass, imp, imp neg (3) přijít někomu pod ruku (get/come within striking distance of someone): ques, neg, pass, imp, imp neg, present (4) neříct v něčem ještě poslední slovo (have yet to say the last word): ques, positive, cond, imp, imp neg, present, fut, 1 sg,1 pl (5) mít se k světu (be going great guns, make great strides): quest, neg, pass, cond, imp, imp neg, fut, 1 sg, 1 pl
(6) zmizet ze světa (disappear from the face of the earth): que, pass, cond, imp, imp neg, fut, 1sg, 1.pl (7) hodit někomu udičku (see if someone will take the bait): neg, pass, imp, imp neg, present (8) poslouchat něco/někoho jen na půl ucha (listen to someone/something with only half an ear): ques, neg, pass, cond, imp, imp neg, fut (9) mít vokno (have a blank/mental blockage): pass, imp, imp neg, fut (10) ukázat někomu záda (turn one´s back on someone, cease to smile on someone): ques, neg, pass, imp, imp neg, pres, fut, 1sg, 1pl Employing more categories this time, one can see that their morphologically anomalous character is rather varied, though some tendencies are readily observable, across languages as well, cf. (2) for Czech and (4) for English, which happen to be close equivalents of each other, in fact, or 6) for Czech and (5) for English, having an Inanimate Agent for Subject and thus not allowing certain other categories, such as 1st Person Singular and Plural, etc. This obvious manifestation of the idiom’s (semantic and functional) nature through non-acceptance of some morphological categories, can, in fact, be further used. Thus, one can design classes, each chosen for their specific configurations, typical for a certain class of idioms in each case only. It is obvious that this might, in turn, be viewed as a basis for a functional classification of idioms. A different set or configuration of, preferably negative and anomalous, indexes of this type can be envisaged for nominal and other types of idioms, not considered here.
4. Some open questions Obviously, a number of open questions remain to be resolved in a systematic treatment of the field. Thus derivation (illustrated in 2.2.2) might be seen as a problem in forming a transitory field of idioms in some languages, such as Czech, where reflexive verbs are a sort of collocations, in fact, written as separate words in contrast to other languages, such as Russian, etc. A similar problem may be seen in the prepositional valency (see above), also written as a separate unit and
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II. Strukturelle Aspekte der Phraseme/Structural aspects of set phrases
forming, effectively, a collocation in most languages. On a more general basis, the nature of the meaning of constituents may influence our perception or, perhaps, willingness, to see idioms in some derivations or compounds, simply because of the type of polysemy or meaning depletion, etc.
5. Conclusions Morphology in idioms is clearly a vast and underexplored field open to further investigation, where the traditional solution of viewing these lexical idioms as mere exceptions in word-formation, if ever mentioned, does not do it justice. This contribution was only able to sketch a few relevant aspects of the field, pointing to the obvious common idiomatic features it shares with idioms on other levels. Where spelling may obscure the phenomenon, these natural links and meaning relations, expressed by a transformation to a different stratum, may be a convincing argument for viewing them together.
6. Select bibliography Burger, H. (1998): Phraseologie. Eine Einführung am Beispiel des Deutschen. Berlin. Čermák, F. (1982): Idiomatika a frazeologie češtiny [Idiomatics and Phraseology of Czech]. Praha. Čermák, F. (1988): On the substance of idioms. In: Folia Linguistica 22,3–4, 413–438. Čermák, F. (1991): Universals, typology and idioms. In: Palek, B./Janota, P. (eds.): Proceedings of LP‘ 90 Conference Linguistics and Phonetics: prospects and applications. Prague, 261–269. Čermák, F. (1994a): Idiomatics. In: P.A. Luelsdorff (ed.): The Prague School of structural and functional linguistics. Amsterdam, 185–195. Čermák F., (1994b): Povaha univerzálního ve frazeologii a idiomatice [The nature of what is universal in the phraseology and idiomatics]. In: Krošláková E./Ďurčo, P. (eds.): Frazeológia vo vzdelávaní, vede a kultúre 1993. Nitra, 45- 52.
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František Čermák, Praha (Czech Republic)
27
3. Wortbildung und Phraseologie
3. Wortbildung und Phraseologie 1. 2. 3. 4. 5.
1.
Gegenstandsbereich und Terminologie Phraseme und Wortbildungen unter nominativem Aspekt Phrasembildung und Wortbildung als Verfahren der Lexikonerweiterung Phraseme und Wortbildungen als Quelle lexikalischer Neuerungen Literatur (in Auswahl)
Gegenstandsbereich und Terminologie
Der Terminus Phrasem, hier verwendet im Sinne Burgers (2003, 35), steht für eine strukturell, semantisch und pragmatisch heterogene Menge von Benennungsarten. Für den funktional ausgerichteten Vergleich mit der Wortbildung in diesem Abschnitt sind nicht alle diese Arten gleichermaßen geeignet. Es werden die nominativen Phraseme (Fleischer 1997a, 122; Burger 2003, 37) ausgewählt, weil sie Begriffe repräsentieren und daher Wörtern bzw. Wortbildungen funktional äquivalent sind. Nominative Phraseme und Wortbildungen stellen Einheiten des Lexikons dar oder, wenn sie (noch) nicht lexikalisiert sind, potentielle Einheiten des Lexikons (zum Terminus Lexikon im Überblick Schindler 2002, 34f). Da für ihre Bildung vorhandene sprachliche Zeichen, die bereits Benennungsfunktion haben, (wieder)verwendet werden, nennt man sie mit dem Aufkommen der Nominationsforschung sekundäre Benennungen (Telija 1977). Sowohl Phraseme als auch Wortbildungen verfügen über eine “komplexe Formativstruktur” (Fleischer 1997a, 162), von sekundären Simplizia wie Griff und Kurzwörtern wie Uni, BfA in der Wortbildung abgesehen. Komplex sind sie insofern, als sie aus mehr als einem bedeutungstragenden Segment (Morphem) bestehen. Eine weitere gemeinsame Eigenschaft von Phrasemen und Wortbildungen ist die potentielle morphosemantische und/oder figurative Motivation. Bei beiden Benennungsarten ist die Motivation graduell ausgeprägt, wobei gleitende Übergänge zwischen den Motivationsstufen bestehen. Im Allgemeinen wird grob unterschieden zwischen voll-, teil- und demotivierten/nicht motivierten/idiomatisierten Einheiten. In der Phraseologie führt diese Abstufung zu den Subklassen der meist vollmotivierten Kollokationen (freudiges Ereignis), der teilweise motivierten
Teilidiome (eine Fahrt ins Blaue) und der demotivierten Idiome (aus dem Häuschen sein) (Burger 2003, 38; zu Motivationstypen Dobrovol’skij 1997, 112–127). Den hier angestrebten Vergleich zwischen Phraseologie und Wortbildung rechtfertigen demnach funktionale, strukturelle und semantische Gemeinsamkeiten von Phrasemen und Wortbildungen. Diese Gemeinsamkeiten sind ins Verhältnis zu setzen zu dem wichtigsten Unterschied der Benennungsarten: zur Polylexikalität der Phraseme einerseits und zur Monolexikalität der Wortbildungen andererseits (zu fließenden Übergängen zwischen monound polylexikalen Einheiten unter pragmatisch-funktionalem Aspekt vgl. Stein 2004, 268; Donalies 2004, 7; grundsätzlich zur Unterscheidung Feilke 2004, 59). Aus den Äquivalenzen und den Differenzen sowie aus partiellen Überschneidungen ergibt sich ein mehrschichtiges Spannungsverhältnis zwischen Phrasemen und Wortbildungen, das im Folgenden am Benennungsstatus der Einheiten, an den Verfahren ihrer Bildung sowie an ihrem Anteil an der Erzeugung neuer lexikalischer Einheiten erläutert wird. Im Mittelpunkt steht das Deutsche; gelegentlich werden andere Sprachen einbezogen.
2.
Phraseme und Wortbildungen unter nominativem Aspekt
2.1. Komplementarität der Benennungsarten Phraseme und Wörter gelten als pragmatisch komplementär (Feilke 2004, 59). Feilke erklärt ihre pragmatische Komplementarität mit ihrer unterschiedlichen Rolle beim Sprechen. Während Wörter in erster Linie die grammatische Ordnung des Sprechens gewährleisten, ermöglichen Phraseme “illokutionäre, propositionale und textuelle Ordnungsleistungen des Sprechens” (ebd.). Setzt man die Wortbildungen als Teilmenge der Wörter zu den Phrasemen ins Verhältnis (Fleischer 1997a, 169f.), lassen sich weitere Aspekte einer Komplementarität erkennen. Die Benennungsarten verfügen z.B. jeweils über spezifische Domänen, und zwar (i) bei der Verteilung der Benennungsarten auf die Wortarten Substantiv und Verb und (ii) bei der Verteilung der Benennungsarten auf verschiedene Bezeichnungsbereiche.
28
II. Strukturelle Aspekte der Phraseme/Structural aspects of set phrases
(i) Die Wortarten Substantiv und Verb unterscheiden sich hinsichtlich des Bestandes an Phrasemen und Wortbildungen. Während das Substantiv im Deutschen die meisten Wortbildungsmodelle aufweist und demzufolge der Anteil substantivischer Wortbildungen im Lexikon besonders groß, der der Phraseme dagegen gering ist, erweist sich das Verb als besonders reich an Phrasemen (Fleischer 1996, 336). Nach Burger (2001, 34) entspricht ein solches Verteilungsverhältnis für Phraseme bei Substantiv und Verb auch der Situation in anderen europäischen Sprachen. Eine besonders starke Konkurrenz für Phraseme stellen beim Substantiv im Deutschen die Komposita dar. Sie werden im Allgemeinwortschatz quantitativ gegenüber den Zweiwortphrasemen wie schwarze Kunst, lahme Ente als die ökonomischere Benennung deutlich bevorzugt. Im Fachwortschatz bietet sich ein etwas anderes Bild. Hier spielen nominale Syntagmen wie schneller Brüter, integrierter Schaltkreis, ökologisches Gleichgewicht eine wichtige Rolle als Termini (Wiese 1988, 28; Burger 2001, 33; Elsen 2004, 27f). (ii) Auch die Verteilung von Phrasemen und Wortbildungen auf Bezeichnungsbereiche erweist sich als tendenziell verschieden (Schindler 1993; Hartmann 1998). Wörter benennen Sachliches und subjektiv Bedeutsames gleichermaßen und lassen keine “Bevorzugung bestimmter Denotatstypen” (Schindler 1993, 103) erkennen; Phraseme dagegen treten beispielsweise gehäuft bei der Nomination menschlicher Verhaltensweisen auf. Fleischer (1997a, 179) nennt als besonders reich mit Phrasemen ausgestattete Denotatsbereiche im Deutschen ‘menschliches Fehlverhalten’ (Belästigung, Betrug, Flucht, Missachtung, Nasführung, Prahlerei, Trunkenheit, Faulheit) sowie ‘negative menschliche Eigenschaften und Zustände’ (Dummheit, Erfolglosigkeit, Erschöpfung, Krankheit, Verrücktheit). Auch im Bereich ‘zwischenmenschliche Beziehungen’ (Ablehnung, Zurechtweisung) finden sich auffallend viele Phraseme. ‘Ablehnung’ beinhalten beispielsweise jmdm. etwas/eins husten, jmdm. einen Korb geben, jmdm. eine Abfuhr erteilen, jmdm. die kalte Schulter zeigen, rutsch mir den Buckel runter, an die falsche Adresse geraten sein, du kannst mir [mal] im Mondschein begegnen. Eine ähnliche Konzentration auf diese Bezeichnungsbereiche konstatiert Rajchštejn (1980, 58–61) für das Russische.
2.2. Konkurrenz der Benennungsarten Konkurrierende Benennungen, worunter hier Wortbildungen und Phraseme aus weitgehend gleichem lexikalischem Material verstanden werden sollen, kommen beim Substantiv (duales System – Dualsystem), beim Adjektiv (steinhart – hart wie Stein) und auch beim Verb vor (Gewähr leisten – gewährleisten). Sie stehen entweder als Ausdrucksalternativen ohne nennenswerte semantische Unter-
schiede nebeneinander (Grund des Meeres – Meeresgrund; engl. seafloor – bottom of the sea; russ. morskoje dno – dno morja) oder, was häufiger ist, es lassen sich semantische Differenzen ausmachen. Quantitativ gesehen, stellen konkurrierende Benennungen insgesamt ein Randphänomen im deutschen Allgemeinwortschatz dar. Zwischen den Hauptwortarten bestehen jedoch Unterschiede in der Häufigkeit der Konkurrenzen. 2.2.1. Konkurrenz beim Substantiv Beim Substantiv gehören konkurrierende Wortbildungen und Phraseme im Allgemeinwortschatz zu den Ausnahmen. Neben den 61 nominalen phrasemischen Personenbenennungen, die Braun (1991) zusammenstellt, existieren weder usuelle noch okkasionelle Einwortbenennungen in quantitativ signifikanter Anzahl, wie Wörterbuch- und Korpusrecherchen (GWDS 1999; WSL 2004) ergeben. Die Mehrzahl der Phraseme hat keine Wortentsprechung, z.B. alter Knacker, alter Schwede, blondes Gift, bestes Pferd, schwarzes Schaf, ein Rufer in der Wüste, kein Kind von Traurigkeit. Wenn doch Konkurrenten lexikalisiert sind, dann meist solche mit semantischen Unterschieden, so bei alte Meister, ein Terminus der Malerei – Altmeister ‘als Vorbild geltender Vertreter eines Berufszweiges’, große Tiere, Fische ‘Mächtige’ – Großtiere, Großfische ‘jeweils sehr große Vertreter der Tiere/Tierart’, ein stilles Wasser ‘ruhiger Mensch’ – Stillwasser ‘nicht fließendes Gewässer’. Bei nur drei Beispielen aus dem Korpus tragen Wort und Phrasem die gleiche Bedeutung: ein Mann von Welt – Weltmann, ruhender Pol – Ruhepol, frecher Dachs – Frechdachs. Ein nur einmal belegtes okkasionelles Kompositum in jeweils gleicher Bedeutung findet sich in WSL 2004 zu Kapitän der Landstraße, großer Bruder, graue Maus, junges Blut – Landstraßenkapitän, Großbruder, Graumaus, Jungblut. Auch wenn es kaum Restriktionen für die Bildung entsprechender Komposita zu geben scheint, vgl. ein Rufer in der Wüste – ein *Wüstenrufer, das schwarze Schaf – das *Schwarzschaf, bleiben solche Bildungen in der Regel okkasionell (zu den Restriktionen bei der Bildung von Adjektiv-Substantiv-Komposita im nichtphrasemischen Wortschatz vgl. Motsch 2004, 379ff.). Im Fachwortschatz ist die Konkurrenz stärker ausgeprägt, vgl. dezimale Zahl – Dezimalzahl, ökologisches System – Ökosystem (Möhn 1986; Wiese 1988, 28).
29
3. Wortbildung und Phraseologie
Interlinguale konfrontative Forschungen zur Nomination stecken noch in den Anfängen (Donalies 2004, 5). Aber schon ein Blick auf Übersetzungsäquivalente deutscher substantivischer Komposita offenbart einzelsprachspezifische Merkmale der Benennungen, die größtenteils auf sprachtypologische Parameter wie beispielsweise analytische oder synthetische Formenbildung (Wellmann 2000, 287) zu beziehen sind. Die Merkmale betreffen u.a. die Einwort- bzw. Mehrwortstruktur sowie die Wortart und Abfolge der Konstituenten: Großmacht – engl. great power, frz. grande puissance, russ. velikaja deržava; Handgepäck – engl. hand luggage, frz. bagage à main, russ. ručnoj bagaź (zu weiteren Unterschieden Grimm 2001, 218). 2.2.2. Konkurrenz beim Verb Beim Verb sorgen Besonderheiten der verbalen Wortbildung und der verbalen Phraseologie für eine andere Konkurrenzsituation (Fleischer 1996, 333–336). Zum einen gibt es wegen fehlender morphosyntaktischer Unterscheidungsmerkmale keine scharfen Grenzen zwischen bestimmten komplexen Verben und Phrasemen (danksagen – Dank sagen), was beim Substantiv ausgeschlossen ist, zum anderen bieten besonders die Funktionsverbgefüge verschiedene Möglichkeiten der semantischen Differenzierung der ‘Prozessualität’ (ruhen – zur Ruhe bringen, kommen; enden – zu Ende sein, gehen, führen, bringen). Sie entlasten gewissermaßen die Partikelverbbildung und die Präfixderivation mit ihren hochgradig polyfunktionalen Verbpartikeln bzw. Präfixen (ausruhen, beenden). Bei einem weiten Verständnis von Phraseologie lassen sich schließlich auch die ingressiven und kausativen Fügungen aus Adjektiv und werden bzw. machen und die entsprechenden Präfixverben als Konkurrenten hierher stellen: rot, müde werden – erröten, ermüden; frisch, möglich machen – erfrischen, ermöglichen. Einen Spezialfall stellen Vergleichskonstruktionen wie dumm wie Bohnenstroh sein – strohdumm sein dar, die relativ häufig konkurrieren. Ob solche Vergleiche zu den verbalen oder adjektivischen Phrasemen zu zählen sind – Fleischer plädiert für die Zuordnung zu den verbalen (Fleischer 1996, 337) – soll hier nicht diskutiert werden. Von Interesse ist vielmehr das häufige Nebeneinander von Phrasem und entsprechendem Kompositum. Offenbar werden beide Benennungsarten vor allem dann lexikalisiert, wenn der Begriff
besonders relevant ist, denn das Kompositum lässt sich zusätzlich zu den Gebrauchsmöglichkeiten des Phrasems auch attributiv verwenden: Das Brot ist hart wie Stein > steinhartes Brot, ?das wie Stein harte Brot; weiß wie Schnee > schneeweiß; glatt wie ein Aal > aalglatt. Ein Kompositum ist aber bei weitem nicht zu allen Vergleichsphrasemen üblich: gesund wie ein Fisch im Wasser – *fischgesund, *fisch-im-Wasser-gesund; stolz wie ein Spanier – *spanierstolz. Das Wortbildungsmuster hat umgekehrt auch Komposita hervorgebracht, zu denen kein Phrasem existiert: pechschwarz, blütenweiß, spindeldürr, nudeldick (Fleischer 1996, 339).
3.
Phrasembildung und Wortbildung als Verfahren der Lexikonerweiterung
3.1. Grundsätzliches Neue lexikalische Einheiten werden im Deutschen durch Wortbildung, Bedeutungsbildung, Phrasembildung und Entlehnung gewonnen. Zunächst für eine spezifische Situation geprägt bzw. entlehnt, können sie in einem allmählichen Usualisierungsprozess auf Dauer im Lexikon fixiert werden. Welche Einheiten und wie viele lexikalisiert werden, bestimmen in erster Linie der Bezeichnungsund Differenzierungsbedarf der Sprechergemeinschaft. Aber auch formale und semantische Eigenschaften der jeweiligen Benennung beeinflussen die Lexikalisierung. Prognosen über die Lexikalisierungschance einer okkasionellen Benennung sind in Abhängigkeit von der sozialen Relevanz der bezeichneten Sache tendenziell möglich. Für einige der beispielsweise Anfang 2005 mit dem neuen Mautgesetz aufgekommenen neuen Komposita scheint die Chance der Lexikalisierung zu bestehen, wie hohe Belegzahlen (WSL 2005) vermuten lassen, vgl. Mauteinführung, Mauteinnahmen, Mautpreller, Mautsünder, Autobahn-, LKW-, PKW-, Citymaut. Von den anfänglich vorkommenden Mehrfachbenennungen für ein und dieselbe Sache (Mauteinnahmen, -einkünfte, -erlöse) setzt sich im Laufe der Zeit meist eine durch und die anderen werden seltener. Auch rasches Veralten von Wörtern, die trotz großer Verbreitung nur kurzzeitig üblich sind (Gurtfahrer, Begrüßungsgeld, Mauerspecht ‘Souvenirsammler an der Berliner Mauer’) zeigt den Zusammenhang zwischen Benennungsbedarf und Lexikonausbau.
30
II. Strukturelle Aspekte der Phraseme/Structural aspects of set phrases
Die vier genannten Verfahren der Wortschatzvermehrung werden für lexikalische Neuerungen in unterschiedlicher Häufigkeit genutzt. Es dominiert die Wortbildung; ihr folgen in abnehmender Frequenz Bedeutungsbildung, Entlehnung und Phrasembildung. Die quantitativ ungleiche Nutzung von Wortbildung und Phrasembildung lässt sich zum einen erklären mit einem der pragmatischen Prinzipien, die Motsch (2004, 26f.) für die Lexikonerweiterung durch Wortbildung formuliert hat, und zwar mit dem Prinzip der Knappheit. Dieses Prinzip bewirkt insofern die Limitierung der Komplexität lexikalisierter Benennungen, als hochkomplexe Benennungen, da sie unökonomisch sind, seltener als weniger komplexe im Lexikon fest werden. Phraseme stellen solche im Gebrauch unökonomischen Benennungen dar. Zum anderen sind viele Phraseme, insbesondere Idiome und Teilidiome, durch eine spezifische Konnotation charakterisiert, die ihre kommunikative Reichweite einschränkt. 3.2. Phrasembildung Die Phrasembildung im Deutschen ist bislang nur in Ansätzen beschrieben worden (Denisenko 1988; Fleischer 1997b; Munske 1993). Das hat seine Ursache nicht nur in dem geringen Alter phraseologischer Forschungen insgesamt, sondern auch darin, dass es sich bei der Phrasembildung wie bei der Bedeutungsbildung um allmähliche semantische Prozesse handelt, die über längere Zeiträume verfolgt werden müssen und deren Beschreibung demzufolge das Studium historischer Texte einschließt, mit all den bekannten Schwierigkeiten (Burger 2003, 128f.). Die eingeschränkte historische Sprachkompetenz heutiger Sprecher macht die Identifizierung syntaktischer Fügungen als phrasemisch in historischen Texten zu einer komplizierten Aufgabe, denn man kann sich meist nicht auf formale Indizien der Phraseologizität von Ausdrücken stützen, sondern muss anhand ihrer Semantik auf den Phrasemstatus schließen. Auch die Methode, ältere und neuere Wörterbücher nach der Aufnahme von Phrasemen in ihre Lemmalisten zu vergleichen, birgt erhebliche Unwägbarkeiten (Korhonen 1995, 137), die sich nicht zuletzt aus dem jeweils spezifischen Entwicklungsstand der Lexikographie ergeben. Je mehr verschiedene Wörterbücher für einen bestimmten Zeitraum zur Verfügung stehen, umso sicherer lassen sich die Befunde verallgemeinern. Korhonen (1995, 144f.) er-
mittelt aufgrund von Wörterbuchvergleichen z.B. für die zweite Hälfte des 19. Jh. und für das 20. Jh. u.a. folgende neuaufgekommene Phraseme: ins Auge gehen, weg vom Fenster sein, ein alter Hut sein, jmdn. auf Hochtouren bringen, eine lange Leitung haben, am Ball bleiben, das Handtuch werfen/schmeißen, eine Hürde nehmen, über die Runden kommen. Die Ausgangseinheiten freie syntaktische Fügung, Kollokation, Idiom und Sprichwort werden für die Bildung von Phrasemen unterschiedlichen Verfahren unterzogen, wobei die hier gewählte Reihenfolge ihrer Nennung der Hierarchie ihrer Nutzungsfrequenz entspricht (zur Terminologie Fleischer 1992, 54; Munske 1993, 488). Die wichtigsten Verfahren sind die folgenden: – die Umdeutung freier syntaktischer Fügungen oder Kollokationen (metaphorische, metonymische und elliptische Bedeutungsbildung): Öl ins Feuer gießen, das Handtuch werfen ‘resignierend aufgeben’, jmdm. nicht ins Gesicht sehen können, nicht mehr/nicht wieder werden. – die Stereotypisierung (auch: Fixierung) freier syntaktischer Fügungen (Fleischer 1997b, 12): den Tisch decken, die Zähne putzen, eiserne Reserve, der Ernst des Lebens. Munske (1993, 492f.) nennt diesen Typ unspezifische Phrasembildung. – die Modifikation vorhandener Phraseme (vgl. 4.3), wobei Munske hierunter nicht nur die textgebundenen Abwandlungen wie in das Bemühen der Gelehrten, ihr Humortalent nicht unter den Scheffel zu stellen aus sein Licht nicht unter den Scheffel stellen fassen möchte, wie allgemein üblich, sondern auch die “Bildung komplementär, konvers und aktional modifizierter” Phraseme (Munske 1993, 505) wie z.B. mit dem/gegen den Strom schwimmen, aus dem Konzept kommen, jmdn. aus dem Konzept bringen, sich (nicht) aus dem Konzept bringen lassen (anders Fleischer 1997a; Burger 2003, 152ff.). Hierher gehört auch die Verkürzung von Sprichwörtern. – die Bildung nach Modellen: von Tag zu Tag, von Jahr zu Jahr ‘fortschreitend in der Zeit’ (Modell: von X zu X; X steht für die Bezeichnung einer Zeiteinheit), Glas um Glas ‘ein Glas nach dem anderen’ (Modell: X um X) (Burger 2003, 44). Hier folgt die Phrasembildung festen syntaktischen Mustern, sodass bedingt von Mo-
3. Wortbildung und Phraseologie
dellhaftigkeit gesprochen werden kann (zum Modellbegriff in der Phraseologie Fleischer 1997a, 131–134; 191–197). In diese Gruppe gehören auch Zwillingsformeln und komparative Phraseme wie Kopf an Kopf, Land und Leute, Kunst und Kultur, Mensch und Maschine; sich benehmen wie ein Elefant im Porzellanladen, lügen wie gedruckt, lügen, dass sich die Balken biegen, reden, wie einem der Schnabel gewachsen ist (Fleischer 1997a, 103–109). 3.3. Phrasem- und Wortbildung im Vergleich Auf den ersten Blick scheinen zwischen den dominanten Phrasembildungsverfahren und Wortbildungsverfahren wenig Gemeinsamkeiten zu bestehen; vielmehr treten deutlich grundsätzliche Unterschiede hervor: Wortbildung vollzieht sich im Wesentlichen nach strukturell-morphologisch bestimmten Modellen, und zwar als Kombination vorhandener sprachlicher Elemente, als Konversion von Wörtern in eine andere Wortart oder als Kürzung komplexer Wörter oder Syntagmen (Fleischer/Barz 1995).
Es werden dabei jeweils neue Wörter, d.h. sowohl formal als auch semantisch neue Einheiten, ausgeprägt. Bei der Phrasembildung dagegen handelt es sich im Kernbereich hauptsächlich um idiosynkratische semantische Veränderungen vorhandener Strukturen. Bezieht man allerdings die Wortbildungsbedeutung in die vergleichende Betrachtung ein, entsteht ein anderes Bild. Es lassen sich dann in der Wortbildung ähnliche semantische Prozesse wie in der Phrasembildung nachweisen. Allerdings sind sie nicht konstitutiv für den Wortstatus des neuen Wortes. (i) Die Umdeutung: Die Wortbildung kann von figurativer Bedeutungsbildung begleitet sein. Metaphorische und metonymische Bedeutungsbildung treten beim Erst- oder Zweitglied eines Kompositums auf, und zwar eigens für die Bildung des Kompositums, vgl. Fahrstuhl in Fahrstuhlmannschaft ‘Mannschaft, die häufig von einer Spielklasse in die nächsthöhere aufsteigt und in der nächsten Saison wieder absteigt’. Die figurativ gebrauchten Konstituenten entfalten eine unterschiedliche Wortbildungsaktivität. Entweder bleiben sie an den einen Kompositionskontext gebunden wie Turnschuh (in Turnschuhgeneration ‘Generation von Jugendlichen (bes. der 80er-Jahre), deren Unbekümmertheit in der Kleidung in der Bevorzugung von Turnschuhen als ständig getragenem Schuhwerk zum Ausdruck kommt’ (GWDS 1999) oder sie prägen allmählich Reihen aus wie Telefon (z.B. in Gesundheitstelefon ‘Beratungsstelle, die telefonisch Auskunft zu Gesundheitsfragen gibt’, Grammatik-, Bürger-, Reise-
31 telefon), ohne in dieser Teilbedeutung auch frei gebräuchlich zu sein. Die figurative Konstituente (Lawine in Kostenlawine, Welle in Grippewelle) kann aber auch als separates Wort bereits über eine solche Lesart verfügen (Lawine in Lawine an Zuschriften, Welle in Welle der Entrüstung) und in dieser Lesart stark wortbildungsaktiv werden, vgl. die Komposition mit -welle: Auswanderungs-, Flüchtlings-, Fress-, Hitze-, Kältewelle. Werden komplexe Wörter als Ganzes figurativ gebraucht wie Fuchsschwanz ‘kleine Säge’, Rotkehlchen ‘kleiner einheimischer Singvogel mit braunem, an Kehle und Brust orangerotem Gefieder’ (nach GWDS 1999), so liegt Bedeutungsbildung wie in der Phraseologie vor. Die Bedeutungsveränderung ist der Wortbildung nachgeordnet und nicht Ergebnis des Wortbildungsvorganges. (ii) Die Modifikation: Auch das Phrasembildungsverfahren der Modifikation hat sein Äquivalent in der Wortbildung, jedoch deutlich beschränkt auf wenige Einzelfälle. In Analogie zu usuellen komplexen Wörtern entstehen durch die Substitution einer Konstituente (oft scherzhaft verwendete) neue Wörter, deren Verstehbarkeit ebenso wie die der phrasemischen Modifikation an die Kenntnis des Ausgangswortes und des Textes gebunden ist, vgl. offenhörlich nach offensichtlich in einem musikkritischen Text (Poethe 2002, 32), Romanzweitling nach Romanerstling bzw. Erstlingsroman, Kanzlerdämmerung nach Götterdämmerung in einer Rezension über eine Ausgabe der Briefe Konrad Adenauers; Lustvermesser nach Landvermesser in einem Text über einen Sexualforscher (Die Zeit 2005). Solche Produkte holistischer Wortbildung (nach Plank 1981) bleiben meist okkasionell und werden nur in Ausnahmefällen lexikalisiert wie z.B. zweisam, Zweisamkeit, gebildet nach einsam, Einsamkeit; zungenfertig, Zungenfertigkeit, gebildet nach fingerfertig, Fingerfertigkeit (vgl. 4.).
Schließlich finden sich auch Kontaminationen sowohl bei Phrasemen als auch bei Wortbildungen, z.B. aus meiner Ansicht < aus meiner Sicht/nach meiner Ansicht; das spielt keine Bedeutung < das spielt keine Rolle/hat keine Bedeutung. Mitunter kommen für eine Kontamination mehrere Ausgangseinheiten in Betracht, z.B. ich bin auf geschlossene Ohren gestoßen < auf Ablehnung/taube Ohren stoßen/die Ohren vor jmdm. verschließen/bei jmdm. ein offenes Ohr finden. Meist werden solche Phraseme vermischt, deren Bedeutungen Ähnlichkeiten aufweisen. Entsprechende Beispiele begegnen auch in der Wortbildung: Kurlaub aus Kur, Urlaub, fürchterbar aus fürchterlich und furchtbar.
32
4.
II. Strukturelle Aspekte der Phraseme/Structural aspects of set phrases
Phraseme und Wortbildungen als Quelle lexikalischer Neuerungen
Sowohl Wortbildungen als auch Phraseme können grundsätzlich als Ausgangseinheiten für neue lexikalische Einheiten fungieren, und zwar für neue Wörter (abschreiben > Abschreibung, aus der Reihe tanzen > Aus-derReihe-Tänzer, Die Zeit 2005), neue Bedeutungen (Tochtergesellschaft > Tochter ‘Subunternehmen’, auf dem Holzweg sein > Holzweg ‘Irrweg’) und neue Phraseme (Hammelbein > jmdm. die Hammelbeine lang ziehen; stille Wasser sind tief > ein stilles Wasser) (für das Russische Ohnheiser 1998; für das Englische Gläser 1990, 22). Der Schwerpunkt liegt nachfolgend auf der Phraseologie als Ausgangsbereich. Die Wortbildung wird nur als Quelle für Neosemantismen (Kinne 1998, 84) berücksichtigt. 4.1. Dephrasemische Wortbildung Aus Phrasemen können wie auch aus freien syntaktischen Fügungen Substantive, Adjektive und Verben gebildet werden. Das geschieht durch Derivation (sich/einer Sache Bahn brechen + -er > Bahnbrecher, leichten Herzens + -ig > leichtherzig; sich jmdn./etw. auf den Hals laden > sich etw. aufhalsen; mit semantischer Differenz bei jmdm. in der Kreide stehen ‘bei jmdm. Schulden haben’ > jmdm. etwas ankreiden ‘zum Vorwurf machen, anlasten’), Konversion (mit den Achseln/die Achseln zucken > das Achselzucken) und Komposition (Gespräch unter vier Augen > Vieraugengespräch). Die Bildungsmodelle entsprechen denen, die auch für freie Syntagmen als Ausgangseinheiten genutzt werden (den Film vorführen + -er > Filmvorführer). In anderen Sprachen kommt dephrasemische Wortbildung ebenfalls vor: russ. perelivat’ iz pustogo v porošnee ‘leeres Stroh dreschen’ > pustoporošnij ‘nichtig, eitel, nutzlos’ (Eckert 1978, 227); engl. to take someone’s breath away ‘jmdm. verschlägt es den Atem’ > breathtaking ‘atemberaubend’, to catch someone’s eye > eye-catching, eye-catcher; ungar. megtalálja/keresi a kiskaput > ‘kiskapuzás ‘ständiger Versuch, das Gesetz zu umgehen’ (Földes/Györke 1988, 106). 4.1.1. Derivation und Konversion Zur Ableitung von Substantiven aus Phrasemen werden die Suffixe -er für Nomina agentis und -e, -erei, und -ung für Nomina actionis genutzt. An Funktionsverbgefügen mit dem
Funktionsverb nehmen ist das Suffix -e ganz besonders aktiv (Inbetrieb-, Inangriff-, Stellungnahme). Durch Konversion entstehen ebenfalls Substantive mit diesen Wortbildungsbedeutungen. Als Basis fungieren verbale Phraseme (Amokläufer, Klinkenputzer, Phrasendrescher, Süßholzraspler, Zechpreller; Rechthaberei, Grundsteinlegung, Weichenstellung, Verzichtleistung, Zugrundelegung; Inkrafttreten, Naserümpfen), für die Bildung von Nomina agentis auch in partizipialer Form (Asylsuchende, Gewerbetreibende). Die Konversion erfasst entweder das gesamte phrasemische Formativ (in Kraft treten > das Inkrafttreten) oder spart Segmente aus (jmdm. auf die Schulter klopfen > das Schulterklopfen). Trotz nachweisbarer Produktivität dieser Modelle bleibt der Lexikalisierungsgrad der meisten dephrasemischen Bildungen eher niedrig, von den Derivaten auf -nahme abgesehen. Die Wortbildungen übernehmen meist die Konnotationen ihrer Basen und unterliegen somit bestimmten Gebrauchsbeschränkungen, was die Lexikalisierungsaffinität offenbar mindert, vgl. ‘derb’ die große Fresse haben > großfressig. Adjektive entstehen aus nominalen und aus verbalen Phrasemen mit Hilfe der Suffixe -isch, -ig (halsbrecherisch, leichtherzig, zielstrebig) und auch als komplexe Partizipien I (unheilstiftend); im Englischen mit -y und -ed (smart aleck > smart-alecky, broken-hearted, light-fingered; Gläser 1990, 23). Dass nur wenige phrasembasierte komplexe Verben vorkommen, erklärt sich zum einen daraus, dass die Mehrzahl der Phraseme im Deutschen syntaktisch als Verb fungiert, sodass für ein gleichbedeutendes konkurrierendes “Einwortverb” offenbar wenig Bedarf besteht. Bei den Syntagmen aus Adjektiv + Verb kommt noch ein anderer Aspekt hinzu. Hier ist aufgrund fehlender morphologischer Indizien die Grenze zwischen freier oder phrasemischer Fügung einerseits und Partikelverb andererseits fließend (frei sprechen/ freisprechen). Eine semantische Umdeutung führt eher zur Univerbierung: den Angeklagten freisprechen, die Verabredung festklopfen, der Kolben darf sich nicht festfressen. Gegenbeispiele lassen sich allerdings auch hierzu anführen: sich blind verstehen ‘im Sport hervorragend aufeinander eingespielt sein’, jmdn. fertig machen ‘zermürben’. Mitunter stehen syntaktische Fügung und Wort auch ohne semantischen Unterschied nebeneinan-
3. Wortbildung und Phraseologie
der, vgl. blind fliegen/blindfliegen, blind schreiben/blindschreiben, wobei die Zusammenschreibung als fachsprachlich gilt (Duden 1, 234). Die geltenden orthographischen Regeln für diesen Strukturtyp folgen dem Unterschied wörtliche vs. figurative Bedeutung nicht systematisch. 4.1.2. Komposition Phraseme treten v.a. als Erstglied in substantivischen Komposita auf (Nacht-und-Nebel-Aktion, Kopf-an-Kopf-Rennen; vgl. Schmidt 2000, 155). Wie okkasionelle Bildungen belegen, scheint es für das substantivische Kompositionsmodell mit phrasemischem Erstglied kaum Restriktionen in Bezug auf Komplexitätsgrad und syntaktische Struktur des Phrasems zu geben, denn auch hochkomplexe Phraseme in Satzstruktur kommen in der Erstgliedposition vor: Friss-Vogel-oder-stirb-Methode, die “Gelegenheit-machte-Liebe”-Theorie der Anthropologen. Neben diesem Modell, in dem die Phraseme sowohl in ihrer Nennform als auch flektiert Verwendung finden, kann auch nur eine Konstituente des Phrasems Erstglied sein. Sie repräsentiert in dem Fall allein die Bedeutung des zugrundeliegenden Phrasems: mit dem Holzhammer ‘grob, undifferenziert’ (Duden 11, 370) > Holzhammermethode ‘sehr grobe, plumpe Methode, jmdm. etw. beizubringen oder jmdn. zu beeinflussen’ (GWDS); unter dem Pantoffel stehen > Pantoffelheld. Unabhängig davon, ob das Phrasem vollständig oder reduziert in das Kompositum eingeht, muss dem Rezipienten die Phrasembedeutung für das Verstehen des Kompositums bekannt sein (Fleischer 1997b, 22). Sonst erschließt sich ihm die Bedeutung nicht. Kontextinformationen helfen in der Regel wenig. 4.2. Elliptische Bedeutungsbildung Nach Fritz (1998, 42) gehört die elliptische Bedeutungsbildung neben der metaphorischen, metonymischen, euphemistischen, ironischen u.a. zu den “innovativen kommunikativen Verfahren”, mit deren Hilfe sprachliche Ausdrücke für neue Zwecke genutzt werden. Für diese Art der Bedeutungsbildung können sowohl Nomen-Nomen-Komposita und VerbNomen-Komposita als auch Phraseme als Ausgangseinheiten fungieren. 4.2.1. Wortbildungen als Ausgangseinheit Komposita als Ausgangseinheiten werden entweder um das Erst- oder um das Zweit-
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glied gekürzt. Das jeweilige Restwort “absorbiert” (Blank 1997, 291f.) die Bedeutung des ganzen Kompositums, sodass zwischen dem Ausgangskompositum und dem Restwort Synonymie entsteht: Förderband – Band, Gastwirt – Wirt, Tochterfirma – Tochter, Gipfeltreffen – Gipfel (zu weiteren semantischen Relationen vgl. Blank 1997, 295). Dass die Restwörter außerhalb dieses Zusammenhangs oft bereits hochgradig polysem sind, scheint die elliptische Verwendung nicht zu restringieren. So verzeichnet das GWDS Band als synonymisches Restwort zu vier verschiedenen Komposita, zu Mess-, Fließ-, Förder-, Zielband und außerdem in mehreren weiteren Teilbedeutungen; vgl. auch Schirm als Synonym zu Bild-, Fall-, Lampen-, Regenschirm. Im GWDS sind bei mehr als einhundert simplizischen Lemmata Teilbedeutungen als solche Reduktionsprodukte ausgewiesen. 4.2.2 Phraseme als Ausgangseinheit Die elliptische Bedeutungsbildung auf phrasemischer Grundlage führt im Vergleich zur wortbildungsbasierten wesentlich seltener zur Lexikonerweiterung, wenngleich das Verfahren okkasionell durchaus verbreitet ist. Es stellt jedoch nicht eine Reduktion einer komplexen Form ohne weitere Veränderungen dar wie in der Wortbildung, sondern mit der Reduktion ist in der Regel ein Wortartwechsel verknüpft. Aus einem verbalen Phrasem verselbständigt sich eine nominale Konstituente, und zwar in einer durch das Phrasem motivierten Bedeutung (Häcki Buhofer 2002, 135), vgl. bei jmdm. ins Fettnäpfchen treten ‘durch eine unbedachte, taktlose Bemerkung oder Verhaltensweise Missfallen erregen, jmdn. kränken’ (Duden 11, 218) > Fettnäpfchen ‘Fauxpas’. Für diesen Prozess ist auch der Terminus Autonomisierung üblich (Fleischer 1997a, 142; dazu im Ungarischen und Russischen Földes/Györke 1988, 104f.). Durch die elliptische Bedeutungsbildung auf phrasemischer Grundlage entstehen zwei verschiedene Arten lexikalischer Neuerungen: (1) Aus vormals in der Gegenwartssprache an den phraseologischen Kontext gebundenen Konstituenten werden freie Wörter in einer phrasemisch motivierten Bedeutung (arm wie eine Kirchenmaus > Kirchenmaus ‘arme Person, armes Land’ o. Ä.; jmdm. einen Bärendienst erweisen > Bärendienst ‘Unannehmlichkeit, Ärgernis’).
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II. Strukturelle Aspekte der Phraseme/Structural aspects of set phrases
(2) Usuelle freie Lexeme gewinnen zu ihrer Bedeutung eine weitere Teilbedeutung hinzu, sodass Polysemie entsteht oder ausgebaut wird (Kinderschuhe ‘Schuhe für Kinder’, noch in den Kinderschuhen stecken > Kinderschuhe ‘Anfang’). Der Gebrauch des Wortes in den übrigen nicht phrasemisch motivierten Teilbedeutungen wird entweder nicht beeinflusst wie bei Kinderschuhe ‘Schuhe für Kinder’ oder die phrasemisch basierte Bedeutung verdrängt eine ältere Teilbedeutung des Wortes wie bei Kinderstube (keine Kinderstube haben/im Galopp durch die Kinderstube geritten sein/ mit dem Düsenjäger/im D-Zug durch die Kinderstube gefahren/gerast/gebraust sein > Kinderstube ‘im Elternhaus genossene Erziehung, Lebensart, Manieren’). Die Bedeutung ‘Zimmer für Kinder in einer Wohnung’ ist veraltet und findet sich gegenwärtig nur noch regional bzw. metaphorisch im Bezug auf Pflanzen oder Tiere (Die meisten Fischarten nutzen das Wattenmeer als Kinderstube, bevor sie mit ihrem Nachwuchs in den weiten Ozean hinausziehen, WSL 2004). Nicht alle phrasemischen Konstituenten eignen sich für die Autonomisierung, sondern sie müssen bestimmten Bedingungen genügen. Folgende Konstituenten werden bevorzugt autonomisiert: (i) phrasemisch gebundene Konstituenten. Je stärker die Bindung an den phrasemischen Kontext im Sprachbewusstsein ausgeprägt ist, umso leichter scheint die Autonomisierung zu funktionieren. (ii) Wörter (meist regulär gebildete Wortbildungen), die aktuell motivierbar sind (Häcki Buhofer 2002, 154). (iii) phrasemische Konstituenten mit einer möglichst geringen phrasemischen Aktivität, d.h. solche, die in nur wenigen Phrasemen vorkommen.
Als elliptische Bedeutungsbildung kann man auch die Konversion von Adjektiven aus substantivischen Kollokationen betrachten, wie Helles aus helles Bier oder die Rechte, Linke aus die rechte, linke Hand, vgl. auch russ. detskaja komnata > detskaja ‘Kinderzimmer’, spal’naja komnata > spal’naja ‘Schlafzimmer’. 4.3. Modifikation Phraseme sind schließlich insofern Quelle lexikalischer Neuerungen, als sie modifiziert verwendet werden können und in der modifizierten Form neue Benennungen darstellen.
In der Regel bleiben solche Modifikationen allerdings textgebunden (zur Modifikation ausführlich Burger/Buhofer/Sialm 1982; Wotjak 1992; Hemmi 1994; für das Französische Sabban 1998; für das Russische Biedermann 1991; für das Finnische Piitulainen 1996). Wird ein Phrasem aber als ein Muster aufgefasst und bei gleichbleibender Struktur mit jeweils neuen Konstituenten ausgestattet, können sich stabile Neuerungen ergeben, vgl. jmdm. auf die Nerven/den Wecker/Docht/ Kranz usw. gehen; nicht aus der Asche/Hüfte/ Knete usw. kommen. Eine Modifikation kann formal durch die Substitution einer Konstituente oder durch die Erweiterung oder Reduktion des Konstituentenbestandes erfolgen. Als Erweiterungsformen treten v.a. die Attribuierung und die Komposition auf. Bei der Erweiterung eines Phrasems durch ein Kompositum handelt es sich um eine “formale Modifikation” (Burger 2003, 152) mit semantischen Konsequenzen. Eine Konstituente des Phrasems wird erweitert, indem sie Zweitglied eines Kompositums wird. Die umgekehrte Anordnung von Erstund Zweitglied ist ausgeschlossen (Elspaß 1998, 177). Das ergänzte Erstglied bringt eine zusätzliche Information ein, sodass mit der neuen Phrasemform eine Informationsverdichtung zustande kommt, vgl. im gleichen/in einem Boot sitzen ‘gemeinsam in derselben schwierigen Lage sein’ – Oper sitzt mit im Bachfest-Boot (Leipziger Amtsblatt 2005) ‘die Kulturinstitution Oper beteiligt sich an der Ausrichtung des Bachfestes’. Kollokationen werden ebenfalls auf diese Weise modifiziert: sich ein(en) Virus einfangen > ... muss er sich wohl den Dresdner NonkonformistenVirus eingefangen haben (Die Zeit 2003). Das eingesetzte Kompositum kann auch ein usuelles sein: dem Kantor auf der (Lebens)spur ‘Ankündigung einer Führung durch ein Bach-Museum’ nach jmdm., einer Sache auf der Spur sein ‘Anhaltspunkte zur Aufdeckung von jmds. [verbotenem, verborgenem] Tun, einer Angelegenheit haben’ (Duden 11, 722). Mit dem gleichen Effekt lässt sich das Erstglied eines Kompositums im Phrasem kontextbezogen austauschen wie in auf Tuchfühlung gehen/kommen ‘in engen [körperlichen] Kontakt kommen’ (Duden 11, 788), das modifiziert wird zu die ersten Neugierigen sind gestern [auf der Fahrzeugmesse] schon auf Blechfühlung gegangen (Leipziger Volkszeitung 2003). Dass es sich bei den phraseolo-
3. Wortbildung und Phraseologie
gisch gebundenen Wortneubildungen, sieht man sie isoliert, um scheinbar unsinnige Wörter handelt (Bachfest-Boot, Blechfühlung), macht sie auffällig und bindet sie an ihren Text. Eine selbständige Lexikalisierung scheint in den meisten Fällen ausgeschlossen zu sein.
5.
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II. Strukturelle Aspekte der Phraseme/Structural aspects of set phrases
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Irmhild Barz, Leipzig (Deutschland)
4. Orthographie und Phraseologie 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Vorbemerkungen Orthographie und Phraseologismusdefinition Historische Komponente Bildung von Spracheinheiten Orthographienormen Literatur (in Auswahl)
1.
Vorbemerkungen
Unter Orthographie ist laut Nerius (1994, 720) die “Norm der Schreibung einer Sprache, d.h. die Norm der graphischen Repräsentation sprachlicher Einheiten” zu verstehen.
Abweichungen von dieser Norm gibt es in vier Teilbereichen, und zwar hinsichtlich – der vorgeschriebenen Buchstabenfolge bzw. der Wahl des Buchstabens, – der Getrennt- bzw. Zusammenschreibung, – der Groß- und Kleinschreibung und – der Interpunktion (vgl. Stetter 1994, 687). Während die drei erstgenannten Punkte wesentliche Kriterien für die Beurteilung der genormten Schreibung von Phraseologismen darstellen, ist der Bereich der Interpunktion nur in bezug auf die Verwendung von Bindestrichen vertreten.
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4. Orthographie und Phraseologie
2.
Orthographie und Phraseologismusdefinition
Betrachtet man einschlägige Phraseologismusdefinitionen näher, so fällt ein Merkmal besonders auf, das mit unterschiedlicher Bezeichnung fast durchgängig im Zusammenspiel mit anderen Parametern aufgeführt wird, und zwar: “Polylexikalität” (Burger 1998, 15) oder “Mehrwortcharakter” (Eckert/Günther 1992, 33) bzw. “Mehrgliedrigkeit” (Gläser 1986, 17) u.a.m. Diese Termini mit ein und derselben Bedeutung, die ich im Folgenden durch die Bezeichnung “Mehrwortcharakter” ersetze, besagen, dass ein Phraseologismus obligatorisch aus mindestens zwei Wörtern bestehen muss, um als solcher anerkannt zu werden. An dieser Stelle eröffnet sich auch die Sicht auf die linguistischen Teildisziplinen “Syntax” und “Wortbildung”, auf die in diesem Beitrag aber nur am Rande eingegangen wird. Nicht verschwiegen werden soll in dem Zusammenhang die Auffassung von einigen Linguisten vor allem der britischen bzw. amerikanischen Traditionslinie, die auch idiomatisierte Komposita zum Kreis der Phraseologismen rechnen (vgl. Gréciano 1995; Gläser 1986, 24). Geht es um den Mehrwortcharakter des Phraseologismus, d.h. um das Vorhandensein bzw. Fehlen dieses Merkmals, rückt vor allem die orthographische Teildisziplin “Getrenntund Zusammenschreibung” in den Mittelpunkt der Betrachtung. Wenn Burger (1998, 15) hinsichtlich der Polylexikalität davon spricht, dass “Dieses Merkmal [...] relativ unproblematisch definierbar [ist]”, dann ist dieser Einschätzung in bestimmten Fällen zu widersprechen. Er selbst schränkt die Gültigkeit dieser Aussage im nächsten Satz sofort ein, indem er sie richtigerweise von der Fähigkeit abhängig macht, definieren zu können, “was ein ‘Wort’ ist”. Auch Baranov/Dobrovol’skij führen zunächst die Unterscheidung des Einwort- bzw. Mehrwortcharakters als “einzigen relativ klaren operationalen Begriff” im Hinblick auf die Phraseologismusdefinition an, verweisen dann aber ebenfalls auf die Probleme, die in Abhängigkeit von der Existenz einer orthographischen Tradition in der Sprache die Unterscheidung von Wort und Wortgruppe bzw. Wort und Satz erschweren (vgl. 1996, 51 – Übers. von Autorin). Dass man in der Linguistik noch weit von einer allgemein anerkannten Wortdefinition entfernt ist, braucht
an dieser Stelle nicht ausführlicher begründet werden, vgl. dazu Reichmann (1976, 4ff.). Die Wichtigkeit der orthographischen Lösung in Bezug auf die Phraseologismusbestimmung wird dadurch deutlich, dass von dem Merkmal “Mehrwortcharakter” selbst bzw. von der Verbindung dieses mit jeweils anderen Merkmalen der gesamte Objektbereich von “Phraseologie” abhängt. Wird z.B. der Mehrwortcharakter nicht als obligatorisch angesehen, sondern nur das Merkmal der “Stabilität” bzw. “Idiomatizität”, haben wir es mit einem ganz anderen Phraseologieverständnis zu tun. Diese als “Phraseologie im weiten Sinne” zu bezeichnende Auslegung nimmt wiederum ein anderes Aussehen an, wenn das Merkmal “Mehrwortcharakter” hinzugenommen wird und dafür das der “Idiomatizität” wegfällt – dann sind wir im Bereich der Syntagmen angelangt, denen aus diesem Grunde Eckert/Günther (vgl. 1992, 24ff.) zurecht ein größeres Kapitel in ihrer Arbeit zur russischen Phraseologie widmen. Die dort auf S. 25 in Bezug auf die (nach alten Rechtschreibenormen) geschriebene deutsche Konjunktion so daß getroffene Bemerkung, dass “Oft [...] die fehlende Univerbierung eine rein orthographische Angelegenheit [ist]” wird durch die heute vorgegebene Schreibweise sodass einmal mehr bestätigt und ist auch in anderen Sprachen anzutreffen, vgl. russ.: čtoby ‘sodass’ (gebildet aus čto + by). Bei Hinzunahme des Merkmals “Idiomatizität” bietet sich der im Russischen als Phraseologismus einzuordnende Mehrwortkomplex pod šofe (šefe) mit der Bedeutung ‘beschwipst, in angetrunkenem Zustand’ als Beispiel an, von dem eine zugelassene Variante in Wortform existiert, vgl.: podšofe bzw. podšefe. Wie es zu dieser Variantenbildung kommen kann, wird unter dem nächsten Punkt erörtert.
3. Historische Komponente Neben der Getrennt- und Zusammenschreibung spielt bei Phraseologismen auch die graphische Umsetzung der Laute eine Rolle, und zwar in demselben Maße wie bei der Einwortlexik. Veränderungen in dieser Hinsicht können am besten aus diachroner Sicht festgestellt werden. Folgende aus dem Deutschen Wörterbuch der Gebrüder Grimm entnommenen Beispiele von kommunikativen Formeln, Sprichwörtern und Phraseologismen per se, vgl.:
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II. Strukturelle Aspekte der Phraseme/Structural aspects of set phrases
(1) es ist nicht der rede werth! (Schiller) kleiner regen macht groszen wind legen (Simrock) du ligst im treck bitz über die oren (Keiserberg) viel hertz haben (Gottsched) den vogel abschissen (Steinbach), in denen sich im Laufe der historischen Sprachentwicklung die Schreibweise der einzelnen phraseologischen Komponenten durch sich ändernde Normvorstellungen bzw. -vorgaben geändert hat, werden in allen Sprachen zu finden sein. Vinokur (1955, 137) führt u.a. den berühmten russischen Dichter Griboedov an, der in den ersten Jahrzehnten des 19. Jh. noch na evu anstatt najavu mit der Bedeutung ‘wach’ bzw. ‘in Wirklichkeit’ schrieb und damit im heutigen Sinne – orthographisch falsch. Wird dagegen keine eindeutige Normierung vorgenommen, kann das dazu führen, dass mehrere Schreibweisen – u.a. von der Zusammenschreibung über eine Verbindung per Bindestrich bis hin zur Getrenntschreibung – gleichberechtigt nebeneinander existieren, vgl.: (2) serb.: na pravdi Bogu bzw. na pravdiBogu ‘unschuldig’. Eine unterschiedliche graphische Umsetzung von Lauten stellt im Gegensatz dazu das Vorhandensein mehrerer Aussprachemöglichkeiten aufgrund von dialektalen oder anderen sprachvariativen Einflüssen dar, vgl.: (3) russ. tak i ėtak (bzw. ėdak) ‘so oder so’. In diesem Fall ist die orthographische Seite nur das Spiegelbild für andere sprachliche Erscheinungen. Sprachgeschichtlich gesehen spiegelt sich der ehemalige Phraseologismusstatus am deutlichsten in den sog. Univerbierungen wider. Ohne die einzelnen Typen diskutieren zu wollen, sollen an dieser Stelle entsprechende Beispiele aufgeführt und danach die Ursache für deren Zusammenschreibung geklärt werden. Die Schreibung von sozusagen z.B. sah, nach dem “Grimmschen Wörterbuch” zu urteilen (Grimm 1893, Bd. 14, 1659), bei Goethe, Schiller und Wieland im Original noch wie folgt aus: (4) der bauer ist auch ein Mensch – so zu sagen (Schiller – Wallenstein) (5) das vergnügen, so zu sagen über eine nebenbuhlerin zu siegen. (Wieland)
(6) doch war er indessen selbst müde, und so zu sagen mürbe geworden (Goethe). Jüngeren Datums sind dagegen die nachstehenden Beispiele aus dem Slowenischen (vgl. Kržišnik 2002), die sich in einem gewissen Zeitabschnitt von einer Wortgruppe in ein Einzelwort verwandelt haben, vgl.: (7) nebodigatreba ‘Tunichtgut’ (wörtl.: nebo ‘Himmel’ + diga < ‘heben’ + treba < ‘müssen’) oder tjavdan ‘ziellos’ (wörtl.: tja ‘dorthin’ + v ‘in’ + dan ‘Tag’) u.a.m. Diesen durch starke Idiomatisierung gekennzeichneten Spracheinheiten stehen gering idiomatisierte Verbindungen gegenüber – im Deutschen z.B. solche Einheiten, die nach einer gewissen Periode der Zusammenschreibung durch die letzte Rechtschreibereform fast die Form wiedererlangt haben, wie sie sie zu Zeiten v. Humboldts besessen haben, vgl.: (8) im Stande, zu(m) Grunde liegen (vgl. v. Humboldt 1998). Auf die Zweckmäßigkeit dieser Neuerung wird unter Punkt 5 näher eingegangen.
4.
Bildung von Spracheinheiten
Die Rolle der Orthographie, d.h. der Vorstellung von der Beziehung zwischen lautlicher und graphischer Umsetzung bezogen auf ein Signifikat, ist besonders dann interessant, wenn sie Schwankungen unterworfen ist, was wiederum dann eintritt, wenn auf der Signifikats- bzw. Begriffsebene Veränderungen eintreten, d.h. mit einer bestimmten Lautkette im Laufe der Zeit ein anderer Sachverhalt widergespiegelt wird. Im Zusammenhang mit den im Rahmen einer “weiten Phraseologie” repräsentierten Spracheinheiten rücken damit zwei Arten von Sprachwandelprozessen in den Fokus, bei denen auf einer ganz bestimmten Stufe der orthographische Faktor zum Tragen kommen kann. 4.1. Phraseologisierung Versteht man unter “Phraseologisierung” die nochmalige und andersweitige Interpretation eines bereits usualisierten Szenarios bzw. Frames, das in der jeweiligen Sprache m.H. einer Mehrwortkette realisiert wird, bzw. die einmalige Interpretation eines auf reiner Phantasie beruhenden Szenarios bzw. Frames derselben Form (vgl. Levin-Steinmann 2004a, 92), tritt der orthographische Aspekt dann auf den
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4. Orthographie und Phraseologie
Plan, wenn sich an dem ursprünglichen Mehrwortcharakter etwas ändert. Die Ursache dafür ist kognitiver Natur, und zwar die infolge der (Um)interpretation stattfindende Verknüpfung der Zeichenkette mit einem als “Ganzheit” empfundenen Begriff, was sich entsprechend auch graphisch widerspiegelt, vgl. dazu ebenfalls die Ausführungen von Gréciano (1995, 455f.). Im Ergebnis dieses Prozesses kommt es in erster Linie zur Vereinigung von Präposition und Substantiv zu Ganzheiten, vgl.: (9) russ. na/storože und na/čeku ‘wachsam’, na/ugad ‘aufs Geratewohl’, na/smarku, v/prosak usw., die in dieser Form nicht selten die adverbiale Komponente innerhalb eines verbalen Phraseologismus bilden. Die andere große Gruppe von Spracheinheiten, auf die diese Entwicklung zutrifft, sind die bereits erwähnten, als autonome Spracheinheiten fungierenden Univerbierungen wie z.B. dt. kurzerhand oder vorderhand (vgl. Burger 1998, 145). Ein sehr markantes Beispiel finden wir im Russischen. Das Adjektiv ‘verrückt’ bzw. die Personenbezeichnung ‘Verrückter’ sumasšedšij beruht hier auf dem Szenario ‘(ein) von dem Verstand heruntergegangen(er)’ (wörtl. s ‘von’ + um ‘Verstand’ + sšedšij ‘heruntergegangen’ < sojti ‘heruntergehen’), das als Wiedergabe des Prozesses per se weiterhin als Phraseologismus existiert, vgl.: sojti s uma ‘verrückt werden’, d.h. der Mehrwortcharakter bleibt in dieser konkreten Bedeutung bewahrt. Diese differenzierte orthographische Realisierung hängt nicht damit zusammen, dass der verbale Mehrwortkomplex in der kontextuellen Anwendung etwa durch syntaktische Einschübe auseinandergerissen werden könnte, sondern allein damit, dass die mit dem adjektivischen und substantivischen Wortartstatus verbundene Bedeutungskomponente als besonders eng zusammengehörig mit den eigentlichen lexikalischen Bedeutungsbestandteilen empfunden wird. Bei der Festlegung der orthographischen Norm spielt u.U. die Lebendigkeit der Motivationsbasis eine nicht zu unterschätzende Rolle, d.h.: je verständlicher das phraseologische Bild ist, um so wahrscheinlicher wird die Bewahrung des Mehrwortcharakters. Das nicht mehr ganz so durchsichtige Bild bei russ. ostočertet’ mit der Bedeutung ‘zutiefst satthaben’ basiert auf der Vorstellung ‘nadoest’ kak sto čertej’ (wörtl. [nadoest’
‘überwerden’ kak ‘wie’] sto ‘hundert’ čertej ‘Teufel’), die sich in dem vorliegenden Wort allerdings nur teilweise widerspiegelt. Der Wortcharakter wird bei diesem Beispiel durch die Möglichkeit der festen Verknüpfung der beiden lexikalischen Bestandteile und vor allem durch deren Einrahmung m.H. zweier Wortbildungssuffixe – des prozesskonstituierenden Präfix o- und des Infinitivmorphems -t’ – erzeugt. Von der Kompositionsfähigkeit der lexikalischen Bestandteile hängt also ebenfalls ab, ob es zur Wortbildung kommen kann oder nicht. 4.2. Grammatikalisierung Was den Prozess der Grammatikalisierung mit dem vorliegenden Thema verbindet, ist nicht unbedingt sofort ersichtlich. Aber ausgehend von der Definition, die entweder die Entstehung von Grammatik an sich bzw. die Entstehung eines “more grammatical” Ausdrucks (vgl. Himmelmann 1992, 4; Lehmann 1982, 9) beinhaltet, wird die Beziehung zu den mehrgliedrigen Präpositionen bzw. Konjunktionen, die im Sinne von Sapir (1972 [1921], 97f.) “relationale Begriffe” widerspiegeln, offensichtlich, die in entsprechenden “weiten” Phraseologismusbestimmungen in den Objektbereich miteinbezogen werden. Ebenso wie bei den Phraseologismen per se, zu denen sprachliche Zeichen gerechnet werden, die in der Terminologie von Sapir “anschauliche” bzw. “abgeleitete” Begriffe bezeichnen, neigen auch die Vertreter des als “grammatischer” geltenden Funktionsbereiches zur Univerbierung, d.h. Zusammenschreibung. Beispiele für diese Art der orthographischen Enwicklung ist in einer Vielzahl von Sprachen zu finden, vgl.: (10) dt. anstatt, poln. za/miast, russ. und bulg. v/mesto mit derselben Bedeutung und Bildungsgrundlage bzw.: (11) dt. inmitten, poln. wo/kół, tschech. u/vnitř sowie russ. v/nutri. Die Erlangung des Wortstatus wird in diesen Fällen durch die begriffserzeugende Interpretation des zugrunde liegenden Szenarios unterstützt, d.h., der neu entstandene und als Ganzheit empfundene Begriff wird auf der graphematischen Ebene mit einem adäquaten sprachlichen Ausdruck bedacht. Eine vergleichbare Situation liegt bei der Schreibung der bereits erwähnten Finalkon-
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II. Strukturelle Aspekte der Phraseme/Structural aspects of set phrases
junktion dt. so/dass bzw. russ. čto/by vor. Die Entwicklung in Richtung Zusammenschreibung ist allerdings nicht automatisch gegeben, wie die russische adversative Konjunktion v to vremja kak ‘während’ (wörtl. ‘in der Zeit wenn’) demonstriert. Die Ursache für die Bewahrung des Mehrwortstatus liegt in dem Fall nicht an der Unmöglichkeit, die Einzelbestandteile fest miteinander zu verknüpfen, sondern an der Tatsache, dass diese Konjunktion ihre temporale Lesart nicht verloren hat – im Gegenteil – die adversative Lesart unter bestimmten kontextuellen Bedingungen auf dieser aufbaut und damit keine solch “eindeutige” feste Verbindung zwischen graphematischer und begrifflicher Ebene besteht.
5.
Orthographienormen
5.1. Allgemeines Die obigen Ausführungen deuten an, welche prinzipiellen Überlegungen hinsichtlich der Festlegung von Orthographienormen angestellt werden müssten. Geht man mit Erfurt (1996, 1390) davon aus, dass Schreibung “die Segmentierung von Graphemketten in grammatisch bestimmte Einheiten” bedeutet, dann führt das zu der methodologischen Konsequenz, dass “Segmentierung [...] grammatische Analyse ein[schließt]”. Erfurt (1996, 1395) benutzt in diesem Zusammenhang sehr treffend die Formulierung von der “Visualisierung von Grammatikalität”. Unterstrichen wird diese Sichtweise durch die Aussage von Stetter (1994, 688), der zurecht feststellt, dass “orthographische Wohlgeformtheit eines Ausdrucks die grammatische voraussetzt”. Zu welchen konkreten Konsequenzen führen diese Aussagen nun im Hinblick auf die Normierung der Getrennt- und Zusammenschreibung – des orthographischen Teilgebietes, das im Zusammenhang mit Phraseologie am meisten interessiert? Betrachten wir aus diesem Blickwinkel die vorläufigen Ergebnisse der in Deutschland eingeleiteten Orthographiereform und die Diskussion darüber. 5.2. Der Bezug zwischen Orthographiereform und Phraseologismusbildung Aus phraseologischer Sicht – wenn man den Mehrwortcharakter als obligatorisches Merkmal voraussetzt – ist zu konstatieren, dass sich die entsprechende Orthographiereform durch die Erzeugung einer ganzen Reihe von Phraseologismen auszeichnet, die teilweise in
dieser Form auf einer früheren Stufe der Sprachentwicklung bereits existierten, zwischenzeitlich dann aber durch Zusammenschreibung diesen Lexikbereich verlassen haben (vgl. Levin-Steinmann 2004b). Dieser Lösungsweg gehört m.E. zu den kritikwürdigsten innerhalb der gesamten Reform, denn mit ihm werden “vernünftige (weil sinnvolle) Unterscheidungen der bisherigen Rechtschreibung [...] aufgegeben, und die weiterbelassenen Klein-und-Zusammen-Schreibungen in den Bereich der Ausnahmen verwiesen.” und damit “Entwicklungen der Schreibsprache rückgängig [gemacht], die seit Jahrhunderten im Gange sind und subtile Differenzierungen erlauben” (Suchsland 1999: 209f.). Ein typisches Beispiel dafür stellt die Neuschreibung von z.B.: (12) sitzen bleiben in der Bedeutung ‘die Schulklasse wiederholen’ dar, bei der die graphische Realisierung nicht mehr wie früher zwischen der wortwörtlichen und übertragenen Lesart differenziert. Die Zeichenkette mit der übertragenen Bedeutung repräsentiert somit im Sinne entsprechender Definitionen dieser Spracheinheit einen Phraseologismus. Eine andere Gruppe von Phraseologismen stellt der Typ (13) Eis laufen dar, der zwar nicht über das Merkmal der “Idiomatizität” verfügt, aufgrund der sprachlichen Nichtexplikation bestimmter, die Bedeutung wesentlich bedingender semantischer Rollen jedoch eine mehr oder weniger grammatische Version der betreffenden Struktureinheit wiedergibt. Die vor der Reform anzuwendende Zusammenschreibung hat Widersprüche dieser Art neutralisiert, was in dieser Form hätte konsequent fortgeführt werden müssen, um auch auf der graphematischen Ebene der Begriffsentwicklung bzw. -neubildung gerecht zu werden.
6.
Literatur (in Auswahl)
Baranov, A.N./Dobrovol’skij, D.O. (1995): Idiomatičnost’ i idiomy. In: Voprosy Jazykoznanija 5, 51– 64. Burger, H. (1998): Phraseologie. Eine Einführung am Beispiel des Deutschen. Berlin. Eckert, R./Günther, K. (1992): Die Phraseologie der russischen Sprache. Leipzig.
5. Syntaktische Aspekte der Phraseologie I: Valenztheoretische Ansätze Erfurt, J. (1996): Sprachwandel und Schriftlichkeit. In: Günther/Ludwig (Hrsg.), 1387–1404. Gläser, R. (1986): Phraseologie der englischen Sprache. Leipzig. Gréciano, G. (1995): Zur Orthographie der Phraseologie. In: Popp, H. (Hrsg.): Deutsch als Fremdsprache. An den Quellen eines Faches. München, 451– 462. Grimm, J. u. W. (1854–1960): Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. 16 Bde. Leipzig. Günther, H./Ludwig, O. (Hrsg.) (1994): Schrift und Schriftlichkeit. Berlin. Himmelmann, N. (1992): Grammaticalization and Grammar. Köln. von Humboldt, W. (1998): Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaus. Hrsg. von D. Di Cesare. Paderborn. Kržišnik, E. (2002): Univerbizacija – razmerje med frazemom in iz njega nastalo besedo. Handout zum Vortrag auf der Konferenz “Frazeologia słowiańska i inne płaszczyzny systemu językowego.” Gdańsk Mazury. Lehmann, C. (1982): Thoughts on grammaticalization: a programmatic sketch. Vol. 1. Köln. Levin-Steinmann, A. (2004a): Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Grammatikalisierung
41
und Phraseologisierung. In: Hansen, B. (Hrsg.): Linguistische Beiträge zur Slavistik XI. München, 91–111. Levin-Steinmann, A. (2004b): Getrennt- und Zusammenschreibung aus phraseologischer Sicht. In: Földes, C./Wirrer, J. (Hrsg.): Phraseologismen als Gegenstand sprach- und kulturwissenschaftlicher Forschung. Hohengehren, 405–417. Nerius, D. (1994): Orthographieentwicklung und Orthographiereform. In: Günther, H./Ludwig, O. (Hrsg.), 720–739. Reichmann, O. (1976): Germanistische Lexikologie. Stuttgart. Sapir, E. (1972) [1921]: Die Sprache. Eine Einführung in das Wesen der Sprache. München. Stetter, C. (1994): Orthographie als Normierung des Schriftsystems. In: Günther, H./Ludwig, O. (Hrsg.), 687–697. Suchsland, P. (1999): Soll man Kopf stehend und freudestrahlend Eis laufen? Linguistische Fußangeln der neuen deutschen Rechtschreibung. In: Skibitzki, B./Wotjak, B. (Hrsg.): Linguistik und Deutsch als Fremdsprache. Tübingen, 209–226. Vinokur, G. (1955): Die russische Sprache. Leipzig.
Anke Levin-Steinmann, Leipzig (Deutschland)
5. Syntaktische Aspekte der Phraseologie I: Valenztheoretische Ansätze 1. 2. 3. 4. 5.
1.
Einbettung in den Gesamtrahmen der Phraseologie Phraseme und Valenz: Kurzer Forschungsüberblick Zu einer valenzbasierten (Mehrebenen-) Beschreibung von Phrasemen Ausblick Literatur (in Auswahl)
Einbettung in den Gesamtrahmen der Phraseologie
1.1. Bei Betrachtung der in den letzten Jahren zahlreich erschienenen Literatur, die in den weiteren Bereich der “Phraseologie/Phraseologismen/Phraseme” einzuordnen wäre (vgl. u.a. Korhonen 2002, Burger 2003, Steyer 2004b) wird deutlich, dass hinsichtlich der verschiedenen phraseologischen Subtypen und ihrer sie klassifizierenden Merkmale noch keine Einigung in Sicht ist. Als ein Grund dafür ist anzusehen, dass solchen Ty-
pologisierungen sowohl morphosyntaktische als auch semantische oder pragmatische Kriterien zugrunde gelegt werden können und dass ebenso Mischklassifikationen denkbar sind. Dabei können starre Grenzen zwischen den einzelnen Phrasemtypen nicht festgemacht werden, so dass die Gesamtmenge der Phraseologismen wohl eher als Kontinuum von nicht-, teil- und vollidiomatischen Einheiten zu betrachten ist, wobei die Idiomatizität zum einen horizontal gruppendifferenzierendes Kriterium sein kann. In diesem Fall dient sie zur Abgrenzung zwischen Kollokationen, Funktionsverbgefügen (FVG), konjunktionalen und präpositionalen grammatischen Relatoren, gesprächsspezifischen Formeln mit Gesprächssteuerungs-, Verständnissicherungs- und Vagheitsreduzierungsfunktion auf der einen Seite und Wortidiomen (WI) auf der anderen Seite. Zum anderen kann mittels des Idiomatizitätsbezugs auch eine weitere Ausdifferenzierung vertikal in-
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II. Strukturelle Aspekte der Phraseme/Structural aspects of set phrases
nerhalb der Gruppen (bspw. zwischen voll-, teil- und nichtidiomatischen Sprichwörtern bzw. auch Routineformeln) vorgenommen werden. Jede einzelne dieser Gruppen impliziert ihrerseits wieder Untergliederungsmöglichkeiten nach untermengenidentifizierenden und -differenzierenden Merkmalen. Im Folgenden versuchen wir eine Ein- und Zuordnung im Gesamtbereich polylexikalischer, relativ stabiler phraseologischer Einheiten: Zunächst unterscheiden wir Phraseme unterhalb der Satzebene und satz- und textwertige Phraseme. Erstere lassen sich weiter untergliedern in: a)
b)
c) d)
e)
Wortidiome/Phraseolexeme; referieren als Benennungseinheiten auf Objekte, Vorgänge, Sachverhalte und sind vollidiomatisch (jmdn. durch den Kakao ziehen; das Ei des Kolumbus) oder teilidiomatisch (einen Streit vom Zaun brechen; Bauklötze(r) staunen); Kollokationen (i.w.S.); nichtidiomatisch; präferiertes Zusammenvorkommen von LE im Text – mit Abstufungen in der Vorhersagbarkeit; zwischen langue und parole (Blumen pflücken; den Tisch abräumen; klare Brühe; schallende Ohrfeige); Funktionsverbgefüge; nichtidiomatisch; komplexer Prädikatsausdruck aus Verb + Substantiv (in Kontakt treten; Verwendung finden); konjunktionale und präpositionale grammatische Relatoren; nichtidiomatisch; strukturelle Phraseologismen (weder ... noch; ohne dass; von ... an; mit Hilfe; in Bezug auf; um ... willen); gesprächsspezifische Formeln (Teile von Äußerungen); nichtidiomatisch; dienen der Gesprächssteuerung, der Verständnissicherung, dem Kommunikationsmanagement; situationsungebunden (im wahrsten Sinne des Wortes; ehrlich gesagt; wie dem auch sei; wenn man so will).
Bei den satz- und textwertigen Einheiten ist folgende Subklassifizierung denkbar: a)
b)
c)
Routineformeln; voll-/teil-/nichtidiomatisch; situationsgebundene, selbstständige Äußerungseinheiten (Hals- und Beinbruch! Abwarten und Tee trinken. Lass dir’s schmecken!); zum Teil Einworteinheiten als Äquivalente (Auf Wiedersehen. Mach’s gut. vs. Tschüs./ Mach, dass du rauskommst! vs. Raus!); Sprichwörter; voll-/teil-/nichtidiomatisch; gekennzeichnet durch abgeschlossene Form, hohen Bekanntheitsgrad, Polyfunktionalität und Polysituativität (Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Lügen haben kurze Beine. Irren ist menschlich.); formelhafte Texte; komplexe formelhafte Äußerungen auf Textebene: Todesanzeigen;
Danksagungen; Glückwunschtexte; Koch-/ Backrezepte; Selbstständigkeitserklärungen; juristische Texte etc.
Diese g r o b e Zusammenschau (vgl. dazu auch Stein 2004) soll einerseits einen Eindruck vermitteln vom weiten Gegenstandsbereich “Phraseologie” und seinen internen Strukturierungsmöglichkeiten, wobei hier trotz semantischer Nähe/Identität zwischen einer Reihe von Komposita und Phraseolexemen (vgl. z.B. steif wie ein Stock und stocksteif; schwarzer Markt und Schwarzmarkt) bzw. funktionaler Äquivalenz zwischen Einwort- und Mehrworteinheiten (vgl. z.B. Hallo, Grüß dich und Guten Tag) nur mehrgliedrige Einheiten zugerechnet werden. 1.2. Das weitere Erkenntnisinteresse dieses Beitrags ist v.a. auf Phraseme unterhalb der Satzebene gerichtet – konkret auf infinitivfähige Substantiv-Verb-/Verb-Substantiv-Verbindungen, die zwar für FVG den Normalfall darstellen, für WI und Kollokationen aber nur eine Vorkommensweise unter anderen sind. Hinsichtlich einer Ausweitung der Valenztheorie auch auf andere Klassen von Phrasemen, so z.B. in Richtung auf pragmatische Phraseologismen (vgl. Ágel 2004, 67), stehen noch fundierte Untersuchungen aus. Wenn wir nachfolgend als prototypische Demonstrationsbeispiele vollidiomatische verbale Idiome mit substantivischer Basiskomponente, deren Nennform das Verb im Infinitiv ausweist, wählen, so sind wir uns dessen bewusst, dass dies nur eine Ausprägung von vielen möglichen anderen Vorkommensweisen im Rahmen der großen Klasse der vollidiomatischen (den Bock zum Gärtner machen; jmdm. Honig ums Maul schmieren) bzw. teilidiomatischen (einen Streit vom Zaun(e) brechen, Bauklötze(r) staunen, jmdm. ein Loch in den Bauch fragen) verbalen Idiome ist (Fleischer 1997, 154ff.) und dass ebenso gut auch andere Untergruppen (vom Typ alt aussehen, sauer reagieren, baden gehen) hätten gewählt werden können. Nicht infinitivfähige festgeprägte prädikative Konstruktionen vom Typ jmdm. platzt der Kragen; bei jmdm. ist der Groschen gefallen; jmdm. fehlt ein Stück Film; jmdm. geht ein Licht auf (Fleischer 1997, 99–103; Ágel (2004, 66) spricht in diesem Zusammenhang von “ergativsprachlichen” Phrasemen im Unterschied zu “akkusativsprachlichen” Phrasemen) stellen einen spezifischen Strukturtyp dar. Hier wird in besonderer Weise das Zu-
5. Syntaktische Aspekte der Phraseologie I: Valenztheoretische Ansätze
sammenspiel zwischen wendungsinternem Komponentenbestand und wendungsexterner Aktantenstruktur (Aktant synonymisch zu Ergänzung gebraucht) deutlich, da das Subjekt wendungsinterne Komponente und damit der Stellenplan subjektlos ist. Auch bei den Kollokationen als “einzelwortbezogene Kookkurrenzen” im Unterschied zu “Mehrwortverbindungen” (Steyer 2004 a, 113) stellt die von uns zentrierte Ausprägung als Substantiv-Verb-/Verb-Substantiv-Kollokationen nur einen Strukturtyp unter weiteren dar (Bahns 1996; Hausmann 2004, 315; Lehr 1998, 270).
2.
Phraseme und Valenz: Kurzer Forschungsüberblick
2.1. Das Phänomen der Valenz von WI/Phraseolexemen wurde in der bisherigen Forschung mehrfach zentriert, wobei im Rahmen unserer kurzen Bilanzierung nicht Vollständigkeit angestrebt werden kann; wohl aber sollen wesentliche Beiträge, die vorgängige Untersuchungen mit in den Blick genommen haben, skizziert werden. Dabei beginnen wir bei jüngeren Arbeiten und verfolgen die Entwicklungslinien zurück. Zuletzt ist Hyvärinen (2003, 748ff.) der Valenz von “Nicht-Vollverben mit lexikalischen und idiomatischen Prädikatsteilen” (darunter FVG und Verbidiome) nachgegangen, und Gréciano (2003, 843ff.) hat “Probleme der Valenz in der Phraseologie” (von der Morphologie über die Syntax zur Semantik und Pragmatik) untergruppenübergreifend beleuchtet und in die Forschungslandschaft eingeordnet. Auch Ágel (2004) bündelt Probleme und neuere Entwicklungen der Valenztheorie allgemein und unterstreicht (vgl. in ähnlicher Richtung bereits Wotjak 1992, 80f.), dass Phraseologismen als “(valenz)syntaktischer Normalfall” und keineswegs als Sonderfall anzusehen seien (2004, 65). Er plädiert (wie auch in Ágel 2000) für einen integrativ angelegten Valenzansatz und die Beschäftigung der Valenztheorie mit insgesamt vier Grundfragen; diese seien wiederum zu unterteilen in je zwei Valenzpotenztheorien (den Valenzträger und das Aktantenpotenzial betreffend) und zwei Valenzrealisierungstheorien (die strukturelle und kontextuell-situative Valenzrealisierung betreffend), ohne sie mit Blick auf die Phraseologie detaillierter auszuführen. In Sonderheit skizziert er (unter Berücksichtigung der Untersuchungen von Kolde 1979, Hessky 1988,
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Wotjak 1992, Keil 1997, Burger 1998 u.a.) zunächst die Grundrisse einer integrativen Valenztheorie mit besonderer Gewichtung der Valenzträgerbeschreibung (bezogen auf Simplexverben, Präfix- und Partikelverben sowie auf Phraseologismen unterschiedlichen Typs), für die er ein Stufenmodell der Formvariabilität vorschlägt und (unter Bezug auf Welke 2002) von einer Aktantenhierarchie ausgeht, d.h. von einer inhärenten Sachverhaltsperspektivierung im Sinne einer “logisch-pragmatischen Rangfolge der Beteiligtenrollen” (2004, 76) im Zusammenspiel von phraseologismusinterner und -externer Valenz. Weiterhin entwirft Ágel die Grundzüge einer integrativen Theorie des Aktantenpotenzials, gesplittet einerseits in dichotomische Theorien, die von einer grundsätzlichen Unterscheidbarkeit von Ergänzungen und Angaben ausgehen, und andererseits in multidimensionale (prototypische) bzw. eindimensionale (graduelle) Zentrum-Peripherie-Theorien. Diese gehen davon aus, dass die Grenzen zwischen Ergänzungen und Angaben “höchstens nur in Bezug auf einzelne Valenzrelationen oder gar nicht anzunehmen sind” (Ágel 2004, 80; vgl. auch Ágel 2000). Schumacher/Kubczak/Schmidt u.a. (2004, 54 sowie 110 f) thematisieren (in “VALBU – Valenzwörterbuch deutscher Verben”) die syntaktische und semantische Valenz von Phraseologismen, worunter sie Idiome und FVG fassen. Diese erscheinen gut auffindbar am Ende der Einträge zu einem bestimmten Verb. Dabei wird nicht nur das Verb “als Valenzträger für einen Satz angesehen”, sondern das gesamte Gefüge. Kühn (2003, 103ff.) hat für Wörterbucheintragungen zu Phrasemen einen “Lexikographie-Check” vorgeschlagen und dabei – unter Bezug auf Burger 1998 und im Anschluss an Kjaer 1987 – folgerichtig auch die “phraseographische Nennform” (wo nicht selten unzureichende Valenzangaben und die fehlende Berücksichtigung morphosyntaktischer Restriktionen zu beklagen sind) und Lemmatisierungsprobleme sowie “externe Phrasemvalenzen” berücksichtigt. Korhonen (1995a, 95ff.) beschreibt (gestützt auf ein Korpus, das für das Projekt “Kontrastive Idiomatik Deutsch-Finnisch” zusammengetragen wurde), insbesondere mit Blick auf (lerner-)lexikographische Zwecke, Probleme der Erfassung des Idiomkerns als Valenzträger und der von ihm abhängigen Ergänzungen. Dabei werden sehr einleuchtend sowohl für den Idiomkern als auch für die
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II. Strukturelle Aspekte der Phraseme/Structural aspects of set phrases
Umgebungen Gebrauchsüblichkeiten und -restriktionen, kern- und ergänzungsbezogene Variationsmöglichkeiten und Probleme bei ihrer lexikographischen Erfassung aufgezeigt. Wotjak (1992, 47ff.) hat verschiedene Ansätze zur Beschreibung polylexikalischer verbaler Einheiten nachgezeichnet. Insbesondere ist sie eingegangen auf die syntaktischen Konstruktionsmodelle von Fix (1974/1976), die phraseminterne und -externe Strukturbeschreibung/Beschreibung des Aktantenpotenzials verbindet, sowie auf den prozedural orientierten Ansatz von Rothkegel (1989), die Verb-Nomen-Verbindungen (WI und FVG) untersucht. Diese Einheiten übernehmen als Gesamtausdruck Prädikatsfunktion und determinieren die Argument- und Aktantenstruktur des Satzes. Wotjak thematisiert gleichermaßen vorgängige Arbeiten von Pankratowa (1983) zur wendungsexternen Valenz von WI und Torzowa (1983). Letztere vergleicht die Valenz verbaler WI (z.B. jmdm. den Kopf waschen) mit der Valenz des Verbs in freier Wortverbindung (z.B. Wäsche waschen) sowie – wenn möglich – auch mit der Valenz des zum WI synonymen Verbs (jmdn. kritisieren). Bei der Untersuchung von 460 “Paaren” (WI auf der einen Seite und wendungsinternes Verb in freier Wortverbindung auf der anderen Seite) kommt die Autorin zu dem Ergebnis, dass bei 68 Prozent der untersuchten Fälle die quantitative Valenz des WI niedriger ist als die des homonymen Vergleichsverbs (jmdm. Hörner aufsetzen vs. jmdm. eine Mütze aufsetzen) und dass dies darauf beruhe, dass bei WI die fehlende Valenzstelle im Inneren der Wendung besetzt sei. Wotjak selbst ist am Beispiel somatischer WI sowie solcher mit einem Kleidungsstück als wendungsinterner Komponente sehr detailliert Möglichkeiten syntaktischer und semantischer Valenzrahmenbildungen nachgegangen. An einem Ausschnitt aus dem Gesamtfeld verbaler Phraseme hat sie die syntaktische und die semantische Struktur in einem je ebenenspezifischen Herangehen modelliert, wobei die Hypothese einer Nichtisomorphie zwischen formalgrammatischer Ausdrucksstruktur und propositionalsemantischer Inhaltsstruktur bestätigt wurde. An ausgewählten Beispielen (z.B. Sand in die Augen streuen) weist sie (1992, 56) auf die unterschiedlichen Valenzverhältnisse hin zwischen a) WI-Aktantenpotenzial: Sn – WI – Sd (als Pertinenzdativ); b) interner Valenz des WI: internes Verb – Sa – pS; c) Valenz des wen-
dungsinternen Verbs in freier Wortverbindung (= Valenz von streuen): Sn – Vf – Sa – pS; d) Valenz des zum WI-Semem (teil-)synonymen Verbs (sofern vorhanden) in freier Wortverbindung (= Valenz von jmdn. täuschen): Sn – Vf – Sa sowie e) einer linearen Auflistung der wendungsinternen und wendungsexternen Aktanten/Summe von a) und b). Zu berücksichtigen sind hier wiederum die Unterschiede zwischen vollidiomatischen Einheiten (Sand in die Augen streuen; Honig ums Maul schmieren) und teilidiomatischen Einheiten (sich die Lunge aus dem Hals schreien; ein Loch in den Bauch fragen; Bauklötze[r] staunen); bei Letzteren wird – bei gleich bleibendem Aktantenpotenzial – ein entsprechend seiner Bedeutung in freier Wortverbindung gebrauchtes Verb modifiziert (sehr laut schreien; hartnäckig fragen; sehr staunen). 2.2. Anders als bei den WI vermisst man bisher ähnlich ausführliche Beschreibungen von Aspekten der Valenz für die FVG. Bei Engel (2004, 211) findet sich bspw. nur die Bemerkung, dass diese komplexen Ausdrücke, wie die einfachen Verben, eine eigene Valenz aufweisen. Im Wesentlichen durchzieht die folgende Diskussion wie ein roter Faden die Fachliteratur: Für Helbig (1979, 277f., ähnlich Helbig/Buscha 2001, 91f.) stellen die Valenzverhältnisse, sowohl innerhalb des FVG als auch im gesamten Satz, eine Besonderheit dar. In dem Moment, da ein Verb zum Funktionsverb wird, verliere es nicht nur seine ursprüngliche lexikalische Bedeutung, sondern erhalte (quantitativ wie qualitativ) eine andere Valenz als das entsprechende Vollverb: (1) (2)
Das Gesetz kommt zur Anwendung. (Funktionsverb) ? *Das Gesetz kommt. Der Lehrer kommt zur Bahnhofshalle. (Vollverb) ? Der Lehrer kommt.
So sei das nominale Glied in FVG mit kommen obligatorisch, obwohl das Vollverb kommen allein in Verbindung mit einem Subjekt grammatisch richtig ist. Aktanten (außerhalb des FVG) hingen in erster Linie vom nominalen Glied und erst über dieses vom gesamten FVG ab; das Funktionsverb sei hier kein direkter Valenzträger. Ferner betonen Helbig/ Buscha (2001, 92), dass die Aktanten der FVG nicht als Attribute zum Verbalsubstantiv zu verstehen seien, sondern selbstständige Satzglieder darstellten, da sie sich auf das Prädikat und damit auf das FVG als Ganzes beziehen und im Satz selbstständig permutierbar sind. Eisenberg (2004, 314f.) expliziert,
5. Syntaktische Aspekte der Phraseologie I: Valenztheoretische Ansätze
dass unter den Linguisten bezüglich der Valenz von FVG und – damit im Zusammenhang stehend – der syntaktischen Funktionen in Sätzen, deren Prädikat ein FVG ist, nach wie vor Uneinigkeit herrsche. Unter anderem Helbig (1979) und Helbig/Buscha (2001), aber auch Eroms (2000) aufgreifend, diskutiert er, ob es sich bei den Nominalgruppen außerhalb des FVG (in: Karl bringt den Beschluss zur Ausführung = den Beschluss) um eine Ergänzung oder um ein Attribut zum Nominal des FVG (= Ausführung) handeln könnte, wobei er selbst, in Anlehnung an Eroms, zur Ergänzung tendiert. V. Pottelberge (2001, 51ff.) schließlich ist der Ansicht, dass sich die Valenz des Funktionsverbs nicht, wie im Allgemeinen behauptet würde, von der Valenz des gleichlautenden Vollverbs unterscheide, sondern dass das gemeinsame Auftreten von Substantiv und Verb (im FVG) in keinerlei Weise ein Zusammenwirken beider auf die Valenzverhältnisse im Satz hervorrufe. Präpositionalgruppen wie in Helbigs Beispielen, die sich angeblich an das FVG binden, seien allein der Valenz des Substantivs geschuldet. Andersherum nehme “das Substantiv [...] einfach eine Leerstelle ein, die vom Funktionsverb vorgesehen wird. Das alles entspricht ganz und gar den Regeln der deutschen Syntax.” Ebenso wenig stimme schließlich die Annahme, dass bei der Valenz von FVG insofern eine Funktionsverteilung vorliege, als “[i]n syntaktischer Hinsicht das Funktionsverb der Valenzträger [sei], in semantischer Hinsicht das Substantiv” (v.Pottelberge 2001, 55). Die Aktualität der Problematik – sowohl in Bezug auf die FVG im Allgemeinen als auch und erst recht hinsichtlich der Valenz – verdeutlicht das völlig neu erarbeitete Kapitel zu den FVG in der neuen Duden-Grammatik (2005, 424). Hier werden sehr ausführlich die syntaktischen und semantischen Valenzrelationen zwischen Funktionsverb, Funktionsnomen und “Grundverb” (Verb, von dem das Verbalsubstantiv abgeleitet ist) dargelegt. Bei FVG mit akkusativisch angeschlossenem Verbalsubstantiv sättige der nominale akkusativische Teil (der keinen Aktantenstatus einnimmt) eine syntaktische Leerstelle beim Funktionsverb, analog zum Akkusativobjekt des entsprechenden Vollverbs (2005, 425). Im Falle von FVG mit präpositional angeschlossenem Verbalsubstantiv, deren Verben sich als Vollverben meist mit Richtungs- und Ortsadverbialien verbinden, werde die entsprechen-
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de syntaktische Leerstelle durch die Präpositionalphrase ausgefüllt (2005, 428). 2.3. Bei den Kollokationen stellt sich die Situation wieder anders dar; Valenzträger ist hier nicht – wie bei WI und FVG – die verbonominale Einheit, sondern allein das Verb, während das Nomen Aktantenstatus hat. Um als Kollokation gelten zu können, bedarf es eines unverkennbaren Grades an Rekurrenz, ein in der Syntagmatik prädizierbares Miteinandervorkommen. Was diese Selektionspräferenzen/diese Prädiktabilität betrifft, so unterscheiden wir zum einen variable Leerstellenbesetzungen (mit größeren bzw. geringeren Abstufungen in der Vorhersagbarkeit) und zum anderen Leerstellenkonstanten (zu denen wir auch die Kollokationen rechnen), die vorkommen als: a)
b) c)
d) e)
3.
obligatorische, nichtselektive Aktantifizierungen, wobei als Aktanten nur jeweils eindeutig festgelegte Lexeme in Frage kommen, wie z.B. “Zähne” bei den Verben blecken und fletschen oder “Stirn” bei runzeln oder auch tierische Lautäußerungen wie “Frosch” bei quaken. Vgl. dazu u.a. die Untersuchung von Krohn (1984) zur menschlichen Körperteilbewegung, in der er die wesenhaften Bedeutungsbeziehungen von Porzig, Grebes Sinnkopplungen, Leisis semantische Kongruenz und die lexikalischen Solidaritäten von Coseriu praktisch-empirisch herausgearbeitet hat, sowie die Studie von Dupuy-Engelhardt (1990) zum lexikalisch-semantischen Feld des Hörbaren. systemhaft disponible und im Gedächtnis gespeicherte, habitualisierte Aktanten (z.B. “Gras/Getreide” bei mähen); nichtselektive Implikationen, die nur im Falle zusätzlicher Spezifizierungen aktantifiziert werden können (z.B. “Zähne” bei beißen oder “Zunge” bei lecken); lexikalisch-morphematische Inkorporierungen (z.B. köpfen, löffeln, schultern); elliptische Bildungen, bei denen bestimmte Aktanten i.d.R. nur bei Spezifizierung vertextet werden, z.B.: Die Henne legt (Eier). X säuft (Alkohol). X gibt (Karten).
Zu einer valenzbasierten (Mehrebenen)beschreibung von Phrasemen
3.1. Allgemeine Prämissen 3.1.1. Während, wie vorgängig gezeigt wurde, bei WI und FVG Substantiv(komplex) und Verb gemeinsam das Prädikat bilden
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II. Strukturelle Aspekte der Phraseme/Structural aspects of set phrases
(vgl. u.a. auch Wotjak 1992, 34; Hyvärinen 2003, 748f.), ist das Nomen bei Kollokationen (wie bei freien Wortverbindungen) Aktant. Der Satz: X gibt Y einen Korb, der sich je nach Lesart frei bzw. phraseologisch darstellen lässt, verdeutlicht das Zusammenspiel zwischen interner und externer Valenz; so ist bei (2) die Sa-Stelle bereits wendungsintern “vergeben” und somit gesättigt.
(3)
Ich stelle das Lexikon zu den anderen Büchern/in den Schrank. Vf (stelle) – Sn – Sa – pS (= syntaktisches Satzmodell) Prädikat – AGENS – PATIENS – (direktionaler) LOCATIV (= semantisches Satzmodell) Einordnung in das lexikalisch-semantische Feld der Beförderungsverben.
(4) zur Verfügung stellen; 2 (+1)
(1) geben; 3 jmd. jmd.
jmdm.
etw.
(4)
Vf (gibt) – Sn – Sd – Sa (= syntaktisches Satzmodell) Prädikat – AGENS – ADRESSAT – PATIENS (= semantisches Satzmodell) Einordnung in das lexikalisch-semantische Feld des Besitz- und Verfügungswechsels (2) einen Korb geben; 2
jmd.
jmdm.
Vf/Wortidiom (gibt einen Korb) – Sn – Sd = syntaktisches Satzmodell) Prädikat – AGENS – ADRESSAT (= semantisches Satzmodell) Einordnung in das lexikalisch-semantische Feld der Ablehnung 3.1.2. Bei FVG als lexikalisierte, nichtidiomatische Einheiten bilden, wie bei den verbalen WI, Substantiv und Verb gemeinsam den Valenzträger (Hyvärinen 2003, 748). Das verdeutlichen wir im Folgenden anhand des Verbs stellen und am FVG zur Verfügung stellen: (3) stellen; 3
etw.
irgendwohin
etw.
Ich stelle euch das Lexikon zur Verfügung. Vf/FVG (stelle zur Verfügung) – Sn – (Sd) – Sa (= syntaktisches Satzmodell) Prädikat – AGENS – ADRESSAT – PATIENS (= semantisches Satzmodell) Einordnung in das lexikalisch-semantische Feld der Verben des Besitz-/Verfügungswechsels
3.1.3. Im letzten Beispielpaar schließlich liegt strukturelle Homonymie vor zwischen einer Substantiv-Verb-Kollokation und einem WI. Für die Presse-Schlagzeile Zahn gezogen lassen sich entsprechend der Senderintention unterschiedliche Satzsemstrukturen ermitteln: (5) Aktualisierung/Isotopiestrangentwicklung im medizinischen Sinn (Verb des Beförderns) und (6) Aktualisierung im Sinne von jmdm. wurde eine Illusion genommen (Einstellungsverb). (5)
ziehen; 2 (+1)
jmd.
(jmdm.)
etw. (Zahn, Fäden)
Sn
(Sd)
Sa
= etw. (Zahn/Fäden) entfernen, herausholen, wobei der dadurch Begünstigte/Betroffene (Person, Tier) genannt werden kann (Pertinenzdativ): (5)
jmd.
( jmdm.)
Besonders eindrucksvoll ist die Sammlung von Kuriositäten aus der “Wunderkammer” Peters des Großen, darunter 33 Zähne, die der Zar selbst gezogen haben soll. (Frankfurter Rundschau, 01.08.1997, 3)
5. Syntaktische Aspekte der Phraseologie I: Valenztheoretische Ansätze Dem Hund wurden sämtliche Zähne gezogen und Stahlstifte implantiert, um seine Bißwirkung zu erhöhen. (Frankfurter Rundschau, 04.01.1997, 4)
(6)
den Zahn ziehen; 1 (+2)
jmd.
(jmdm.)
Sn
(Sd)
(Gegenstand der Illusion) (NS)
= jmdm. eine bestimmte Illusion/bestimmte Illusionen nehmen (oft im Passiv): 6)
Die Schüler dachten, wir schieben hier ’ne ganz lockere Nummer, weil kein Lehrer dabei ist. Den Zahn hat Claire den Teilnehmern ihres Projekts gleich gezogen – und ihr Team gleich richtig hart rangenommen. (Frankfurter Rundschau, 28.08.97, 6)
Syntaktisches bzw. semantisches Satzmodell zu (5) – Kollokation: Vf – Sn – Sa (Zahn; Fäden); Sd kann als Pertinenzelement hinzutreten; Prädikat – AGENS – PATIENS (Pars ADRESSAT) – ADRESSAT und zu (6) – WI: WI – Sn – Sd – (NS, dass) Prädikat (WI) – AGENS – ADRESSAT – INHALT/THEMA Über die Eingruppierung der Pertinenzelemente als Ergänzungen bzw. Angaben gehen die Meinungen auseinander. Engel (2004, 303f.) sieht den Pertinenzdativ als Attribut eines nominalen Kopfes an: ziehen Sn
Sa Sd
Zur spezifischen Problematik dieses Dativs vgl. auch Schumacher/Kubczak/Schmidt u.a. (2004, 36), die – angesichts des Umstandes, dass Dative dieser Art zum einen “nicht unmittelbar und allein vom Verb abhängen” und zum anderen nur “bei einer begrenzten Zahl von Verbvarianten” anzutreffen sind (was wiederum für eine gewisse Verbbestimmtheit/ Verbabhängigkeit dieser Elemente spricht), für ihr Valenzwörterbuch die Lösung gewählt haben, Pertinenzelemente als Angaben einzu-
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stufen, sie jedoch in den betreffenden Einträgen als solche kenntlich zu machen und durch Verwendungsbeispiele zu erhellen. Wie auch immer man sich entscheiden mag (Ergänzungen oder Angaben), wichtig ist, insbesondere, wenn Valenzmodelle eine Hilfe für den Nichtmuttersprachler darstellen sollen, dass die Spezifik der freien Dative nicht unterschlagen wird, dass bei den entsprechenden Verben auf sie hingewiesen wird. Zu Pertinenzrelationen im Rahmen der einem infinitivfähigen WI bzw. einer festgeprägten prädikativen Konstruktionen zu Grunde liegenden literalen Bedeutung der Komponentenkette (jmdm. auf die Zehen treten; jmdm. sind die Hände gebunden) wie auch zu “Trägerrelationen”/Träger-Dativ (Träger eines Kleidungsstücks: jmdm. etw. in die Schuhe schieben; jmdm. ist das Hemd näher als der Rock) vgl. Wotjak (1992, 61ff.). Sie untersucht, in welchem Umfang sich die operationellen Tests zur Differenzierung der freien Dative in freien Wortverbindungen (vgl. u.a. Helbig/Buscha 2001, 263f.) auf WI übertragen lassen. 3.1.4. Wir betrachten Valenzbeziehungen als eine komplexe, systematisch aufeinander beziehbare Erscheinung auf mehreren Ebenen (Semantik: Prädikats- und Argumentenstruktur; Syntax; kommunikativ-pragmatische Aspekte), als Ergebnis einer Syntaktifizierung von semantischen Beziehungen (Helbig 1992, 13; Sommerfeldt/Schreiber 1996, 1). Diese Ebenen sind (in ihrer jeweiligen Eigenständigkeit wie aber auch mit allen Interdependenzen) im Rahmen eines mehrstufigen Beschreibungsmodells verbaler WI neben anderen Aspekten in komplexer Weise zu berücksichtigen. Als Beschreibungsraster und Messlatte, die an jede einzelne zu beschreibende Einheit angelegt wird, erbringt ein solches Vorgehen, zumal bei einer kombiniert semasiologisch-onomasiologischen Betrachtungsweise, einen hohen Nutzen für lernerlexikographische und Sprachlernzwecke (im Vorfeld der praktischen Anwendung). Oft beklagte Wörterbuchdefizite (u.a. Wiegand 1998 und 2002) lassen sich so verringern. Eine Beschreibungsebene allein ist nicht erklärungs- und beschreibungsadäquat. Längst ist durch zahlreiche Untersuchungen nachgewiesen, dass ein und demselben syntaktischen Satzmodell/syntaktischen Kasusrahmen unterschiedliche semantische Satzmodelle/semantische Kasusrahmen entsprechen können und umgekehrt. Ausdrucks- und Inhaltsstruk-
48
II. Strukturelle Aspekte der Phraseme/Structural aspects of set phrases
tur lassen sich nicht isomorph aufeinander abbilden, vgl. z.B. (7) (8)
Passanten fielen dem Angreifer in den Arm. (jmdn. zurückhalten) Die ewigen Streitereien/Die Kinder fielen den Nachbarn auf die Nerven. (jmdm. lästig werden)
Hier entsprechen dem gleichen syntaktischen Satzmodell: WI (Verb – pS) – Sn – Sd unterschiedliche semantische Satzmodelle (Kasusrahmen): (7) Prädikat (Tätigkeit) – AGENS – ADRESSAT und (8) Prädikat (Vorgang) – Gps/Gegenstand psychischer Prozesse – Tps/ Träger psychischer Prozesse (Helbig/Buscha 2001, 470). Umgekehrt können deutlich voneinander abweichende Ausdrucksstrukturen über das gleiche semantische Satzmodell verfügen. 3.2. Beschreibung verbaler Wortidiome (am Fallbeispiel sich etw. unter den Nagel reißen) 3.2.1. Valenzbasierte modulare Beschreibungsmodelle, die für einfache Verben und Präfixverben entwickelt wurden (u.a. Helbig 1983; Helbig 1992; Bondzio 1993; Sommerfeldt/Schreiber 1996; Schröder 1992 und 1993; Schumacher/Kubczak/Schmidt u.a. 2004) lassen sich (vgl. bereits Wotjak 1992, 80f.) mit Nutzen auf die Beschreibung verbaler WI übertragen, zumal einfache LE in ihrer semantischen Komplexität durchaus den WI nicht nachstehen müssen. Auch wenn sich nicht selten bei WI die partner- wie situationsbedingte Verwendungscharakteristik umfangreicher gestalten mag, ändert das nichts an der prinzipiellen Übertragbarkeit valenztheoretischer wie -praktischer Vorgehensweisen. Die Vielzahl der in einem modularen Beschreibungsmodell für WI zu berücksichtigenden Aspekte soll im Weiteren am Fallbeispiel sich etw. unter den Nagel reißen aus dem großen Feld der Verben des Besitz- bzw. Verfügungswechsels verdeutlicht werden (vgl. auch Wotjak 1992). Dieses Feld lässt sich wiederum danach untergliedern, ob der Besitz-/Verfügungswechsel vom Besitzer/Verfügenden oder Nichtbesitzer/Nichtverfügenden ausgeht (Gansel 1992, 104; Sommerfeldt/ Schreiber 1996, 61), d.h., ob die GEBENoder NEHMEN-Perspektive aktualisiert wird (Sommerfeldt/Schreiber, 1996, 79ff.): a) Besitzer (von dem die Aktivität ausgeht) – Verb – Nichtbesitzer – Gegenstand bzw. b) Nichtbesitzer (von dem die Aktivität ausgeht) – Verb – Besitzer – Gegenstand. In unserem
Falle haben wir es mit der zweiten Perspektive zu tun, wobei der ursprüngliche Besitzer/ Verfügende “ausgeblendet” wird – im Unterschied zu den Verhältnissen bei den einfachen Verben stehlen, klauen, entwenden, wo er durchaus dem Aktantenpotenzial (als fakultativer Aktant) zuzurechnen ist und ebenfalls im Unterschied zu bestehlen, berauben, wo er obligatorisch als Sa aktantifiziert/in Perspektive gebracht ist. Der Gegenstand (Sa) ist bei unserem WI obligatorisch zu benennen, während er bei stehlen weggelassen werden kann, wenn “die Handlung betont wird oder wenn eine habituelle Handlung bezeichnet wird” (Schumacher/Kubczak/Schmidt u.a. 2004, 696). Im Rahmen des mehrstufigen Beschreibungsmodells erscheint die Nennform an der Spitze des Eintrags. Aus ihr gehen bereits wichtige Informationen hervor über Syntax (morphosyntaktische Distribution und Präferenzen) und Semantik der Verbumgebungen (Korhonen 1995c, 19ff.; 49ff.; Burger 1998, 176), d.h. über die interne Beschaffenheit (wendungsinterne Komponenten sind durch Unterstreichung markiert) und das externe Potenzial sowie über bestimmte Gebrauchspräferenzen und -restriktionen; vgl. u.a. die Perfekt- und Futurpräferenzen bei Einheiten wie mit den Ohren schlackern, Bauklötze(r) staunen oder die Perfekt-Präferenz bei fast vom Stuhl fallen. Bei reflexiven WI, bei denen das Reflexivum als wendungsinterne Komponente aufzufassen ist und nicht als Objekt, wird angegeben, in welchem Kasus (Dativ oder Akkusativ) das “sich” erscheint (sich/ A aus dem Staub machen vs. sich/D den Kopf zerbrechen). Strikt zu trennen (auch in der Schreibweise) ist bereits in der Nennform zwischen “etwas” als wendungsinternem Indefinitpronomen und “etwas” als “Platzhalter” für die wendungsexterne unbelebte Valenzstelle: keiner Fliege etwas zuleide tun können vs. sich etw. zu Herzen nehmen; mit etw. hinter dem Berg halten (Fellbaum/Kramer/Stantcheva 2004). Nennformvarianten (als unterschiedliche Sememe zu einem WIFormativ) wie auf die Nase fliegen 1 (hinfallen) und auf die Nase fliegen 2 (enttäuscht werden) sind besonders zu kennzeichnen. Zu weiteren bereits in der Nennform zu beachtenden Aspekten, wie bspw. die wendungsinterne Variabilität, Artikelrestriktionen, Negationspartikelüblichkeiten sowie die Berücksichtigung aspektuell-konversiver Paradigmen (in der Patsche sitzen – aus der Patsche
5. Syntaktische Aspekte der Phraseologie I: Valenztheoretische Ansätze
helfen; auf dem Spiel stehen – aufs Spiel setzen) etc. vgl. insbesondere Korhonen (1995b, 67ff.). 3.2.2. Das von der Semantik ausgehende Beschreibungsmodell (Wotjak 1992, 80ff.) umfasst in (partieller) Übereinstimmung mit für einfache Verben vorgeschlagenen Modellen (Helbig 1983 und Sommerfeldt/Schreiber 1996) sowie unter besonderer Berücksichtigung der für WI geltenden Spezifika die folgenden Stufen/Module: I.
(i) An die Prädikatenlogik angelehnte Beschreibung der Archisemformel (Wotjak/Wotjak 1995) mit Angabe der Prädikatsseme (z.B. HAVE und CAUSE) und der Zahl der Argumentvariablen (Stelligkeit). Bereits hier wird die makrostrukturelle Einordnung in ein phraseosemantisches Feld (z.B. Feld der Mitteilung, Feld des Besitz- und Verfügungswechsels) deutlich. Weiterhin werden ggf. (ii) Prädikatsmodifikatorseme angegeben, und unter (iii) erscheint die Einordnung in ein Kernwortfeld entsprechend der Semantik des Kernwortes (Somatismus; WI mit Eigennamen; WI mit Tier-, Zahlen-, Farbbezeichnung etc.). Auf dieser Stufe wird im Rahmen der Beschreibung eines größeren Korpus deutlich, welche Bereiche bevorzugt durch WI benannt werden (phraseosemantische Felder) und ob WI mit den gleichen Kernwörtern bevorzugt bestimmte Sachverhalte und Konnotationen zum Ausdruck bringen (Kernwortfelder). II. Informationen zum Valenzpotenzial in semantischer Hinsicht; diese umfassen die semantisch-funktionalen und die semantisch-kategorialen Bestimmungen der Ergänzungen in Gestalt der semantischen Kasus und der semantischen Merkmale (vgl. u.a. das Merkmalsinventar bei Engel 2004, 188f.) sowie den daraus abgeleiteten semantischen Kasusrahmen/das semantische Satzmodell. III. Informationen zum Valenzpotenzial in morphosyntaktischer Hinsicht, die sich (analog zu II.) wiederum splitten in syntaktisch-funktionale (Satzglieder: Subjekt, Objekt ...) und syntaktisch-kategoriale (Stellungsglieder: Wortarten und Oberflächenkasus wie Sn, Sa, pS) Bestimmungen der Aktanten – bei Kennzeichnung von Fakultativität und Obli-
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gatheit. Daraus abgeleitet wird der syntaktische Kasusrahmen/das syntaktische Satzmodell. Dabei finden auch Perspektivierungen und Aktantensequenzen (für den Fall alternativer Eliminierbarkeit) Berücksichtigung. IV. (i) Beispielsätze/Szenarien (vgl. dazu Neubauer 1998; Kühn 2003), die durch geschickte Variierung und Auswahl (bspw. zur Bestätigung der Nennform und vor allem zur Erhellung semantischer und morphosyntaktischer Gebrauchsüblichkeiten) zusätzliche Informationen beisteuern sollen (Passivfähigkeit, Modus, Tempuspräferenzen, Attribuierungsmöglichkeiten wendungsinterner Substantive, Komparationsfähigkeit wendungsinterner Adjektive, unübliche und bevorzugte Personalformen, übliche freie Angaben etc.). Wenn bspw. in der Nennform bei einer Ergänzungsmöglichkeit Person und Sache alternieren, wie bei jmd./etw. gerät außer Rand und Band; jmd. stellt jmdn./etw. an den Pranger, sollten die Belegbeispiele die alternative Belegungsmöglichkeit dokumentieren (Kjaer 1987). Die Beispiele sollten so gewählt werden, dass sie die situationstypische, adressatenspezifische und textsortenorientierte Verwendung des Phrasems illustrieren und “Einstellungskundgaben” des Sprechers/Schreibers gegenüber dem bezeichneten Sachverhalt und dem Kommunikationspartner verdeutlichen, vgl. u.a. Kühn (2003, 115) und Cheon (1998, 63ff.) die die folgenden pragmatischen Parameter vorschlägt: “Intention” (Sprecher will, dass ...); “emotionaler Gehalt” (Ärger, Freude ... mit Hinweisen zur jeweiligen Intensität); “Vertrautheit” der Kommunikationspartner (mit den Ausprägungen “sehr gut”, “gut”, oder “mindestens gut” bzw. ohne Angaben, wenn die Vertrautheit für den Phrasemgebrauch keine Rolle spielt); “Transaktionsebene” (entsprechend dem sozialen Status von Sprecher und Hörer; der Sprecher hat einen höheren/niedrigeren Status als der Hörer bzw. beide haben den gleichen Status); “Anwendungsbereich” (gehoben/umgangssprachlich/salopp/derb). (ii) Verbalisierte Bedeutungsbeschreibung (abgeleitet aus den vorgängigen Stufen) unter Angabe von Parallelverbentsprechungen sowie
50
II. Strukturelle Aspekte der Phraseme/Structural aspects of set phrases
(iii) von phraseologischen Synonymen und Feldpartnern; pragmatische Informationen zu stilistischen/diastratischen, evaluativen (auf die Stilfärbungen bezogenen), diatopischen und diatechnischen (Interrelation von Wort und Sachgebiet) Aspekten einschließlich der Adressaten-/ Senderspezifik, Angaben zum nonverbalen Verhalten, das üblicherweise mit dem Gebrauch bestimmter WI systemhaft verbunden ist (auf Holz klopfen). 3.2.3. Anhand des Fallbeispiels sich etw. unter den Nagel reißen wird im Weiteren das vorgängig beschriebene Modell verdeutlicht: sich (Dativ) etw. unter den Nagel reißen; a b c ? 2 (3 Argumente ? 2 Aktanten) I.
(i) Archisemformel (Prädikate und Argumente): [(HAVE c, b)]ti & [CAUSE a (HAVE a, b)]ti+k phraseosemantisches Feld: Besitz-/Verfügungswechsel/NEHMEN (ii) Prädikatsmodifikatorseme zu CAUSE HAVE: nicht legitim; auf nicht redliche Weise; ohne Gegenleistung; oft heimlich (iii) Kernwortfeld: Somatismus (Nagel) II. Argumentspezifikation: semantischfunktionale und semantisch-kategoriale Bestimmung der Argumente: a ? AGENS (Nehmender/Nichtbesitzer) Mensch, Institution b ? PATIENS (Gegenstand/Genommenes) Gegenstand/Sache; seltener: nicht sinnlich Wahrnehmbares und Mensch c ? SOURCE (Besitzer/Verfügungsberechtigter) Mensch, Institution III. Aktantenspezifikation: syntaktisch-funktionale und syntaktisch-kategoriale Bestimmung der Argumente: a ? Subjekt Sn b ? Akkusativobjekt Sa c ? ———— (nicht aktualisiert) IV. (i) Beispiele: Ich kann euch nur raten, ihn zu lesen, wenn ihr ihn irgendwo aufreißen könnt. Reißt euch das Ding unter den Nagel, wenn ihr es bei irgendwem stehen seht, und gebt es nicht wieder her. Leiht es euch aus und gebt es nicht wieder zurück. Ihr sagt einfach, ihr habt es verloren. (Plenzdorf 1973, Die neuen Leiden des jungen W., 27f.) (Sa = Buch/Sache)
Seine Arbeit als Vermögens- und Finanzberater nutzte er, um sich Geld von seinen Kunden unter den Nagel zu reißen. Dafür verurteilte ihn jetzt das Amtsgericht zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung. (Frankfurter Rundschau, 14.10.97) (Sa = Geld/Sache) Ums Geld geht es dem ehemaligen Entwicklungshelfer dabei weniger, er hat Kontakte in ganz Afrika und möchte Talenten zum internationalen Durchbruch verhelfen. Hat er seine Schützlinge zu Stars geformt, reißen sie sich Topmanager unter den Nagel. (Frankfurter Rundschau, 03.03.97, 29) (Sa = Topmanager/ hum) Sie haben sich die Ideen ihrer ehemaligen Partner unter den Nagel gerissen. (Sa = Ideen/abstrakt) (ii) Bedeutungsbeschreibung: sich etw. (Sache, Idee) auf nicht redliche Weise/geschickt/bei günstiger Gelegenheit aneignen; seltener: jmdn. (Person) aus dem Verfügungsbereich eines anderen in die eigene Verfügungsgewalt bringen. (umgangssprachlich) (iii) Synonyme/Feldpartner: stehlen, mopsen, klauen, stiebitzen; mitgehen lassen (zum Bedeutungsumfang vgl. dort). Für die Erstellung und Ausfüllung eines Beschreibungsrasters im oben angegebenen Sinn (sowohl mit Blick auf die Bedeutungsbeschreibung, die Ermittlung der semantischen und syntaktischen Üblichkeiten bei der Ausfüllung der Aktantenpositionen als auch hinsichtlich der kommunikativ-pragmatischen Rahmenbedingungen) erweist sich die Arbeit an und mit umfangreichen elektronischen Korpora (über Introspektion, Befragungen und teilnehmende Beobachtung hinaus) von großem heuristischen Wert. 3.3. Beschreibung von Funktionsverbgefügen Wie bereits erläutert, verstehen wir die FVG gleichermaßen wie die verbalen WI als Valenz tragende Mehrworteinheiten. Daher kann das oben am Beispiel des WI sich etw. unter den Nagel reißen explizierte Modell in ähnlicher Weise für die Beschreibung der FVG, dargestellt am Fallbeispiel mit jmdm. in Kontakt treten, Anwendung finden. Dabei entfällt das Kernwortfeld, da die nominale Komponente nichtidiomatisch und Hauptbedeutungsträger ist, so dass sie demselben Feld angehört wie das FVG selbst.
5. Syntaktische Aspekte der Phraseologie I: Valenztheoretische Ansätze
mit jmdm. in Kontakt treten a b ? 2 (2 Argumente ? 2 Aktanten) I.
(i) Archisemformel (Prädikate und Argumente): (CAUSE a (CONTACT a, b)) phraseosemantisches Feld: kommunikationsverben/Verben der Kontaktaufnahme (ii) Prädikatsmodifikatorseme CONTACT: intentional II. Argumentspezifikation: semantisch-funktionale und semantisch-kategoriale Bestimmung der Argumente: a ? AGENS (Mensch, Institution) b ? ADRESSAT (Mensch, Institution; seltener: abstrakt; andere (Lebe-)Wesen) III. Aktantenspezifikation: syntaktisch-funktionale und syntaktisch-kategoriale Bestimmung der Argumente: a ? Subjekt Sn b ? präpositionales Objekt pS (bei Subjekt im Plural ? pS fakultativ) IV. (i) Beispiele: Die Frage ist, wie man sich Hochleistungssport vorstellen muß in einer Welt, in der Gentechnik als normal gilt. Man sollte früh mit Naturwissenschaftlern in Kontakt treten, und auch hier ist das IOC gefordert. (Frankfurter Rundschau 13.11.1998, 18) (pS = Mensch) Auch der Rest der Familie ist der Polizei schon seit Jahren bekannt – wiederholt musste der Vater “mit der Polizei in Mannheim, Frankfurt und Wiesbaden in Kontakt treten”, um sich nach dem Verbleib seiner Kinder zu erkundigen. (Mannheimer Morgen vom 05.08.1999, Lokales) (pS = Institution) Vor wenigen Monaten traten die Schulen in Kontakt und organisierten den Austausch. (Frankfurter Rundschau 17.03.1998, 3) (Sn (Pl) = Institutionen) Bei religiösen Riten inhaliert sogar der Priester und Medizinmann diesen Tabakrauch durch die Nase, um in Kontakt mit den Göttern zu treten, Antworten auf ungelöste Fragen zu erhalten und die Zukunft von ihnen zu erfahren. (Frankfurter Rundschau 26.09.1998, 6) (pS = Gottheit) (ii) Bedeutungsbeschreibung: jmdn. kontaktieren/gezielt kennen lernen; einen Kontakt initiieren. (iii) Synonyme/Feldpartner: jmdn. kontaktieren; zu jmdm. Kontakt aufnehmen; mit jmdm. in Verbindung treten.
4.
Ausblick
Nach wie vor bleiben – bei allem Erkenntnisfortschritt – mit Blick auf die Valenz allgemein viele Fragen offen (Ágel 2004). Auch auf dem Feld der Phrasemvalenzen warten noch unbeackerte bzw. kaum beackerte Flächen auf ihre Erforschung, wobei durch die Arbeit mit großen Korpora wesentliche Auf-
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schlüsse zu erwarten sind. Das betrifft u.a. das Verhältnis von Bedeutung (semantischer Mikrostruktur) und Valenz, die Unterschiede zwischen teilidiomatischen (Verb als nichtidiomatischer Teil) und vollidiomatischen Einheiten, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den (semantischen und syntaktischen) Valenzverhältnissen bei verbalen Phrasemen als Ganzheit, wendungsinternem Verb in freier Wortverbindung und (sofern vorhanden) Parallelverbentsprechung, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen unterschiedlichen Klassen verbonominaler Phraseme (Grenzziehungen im Interesse je eigenständiger Suchbereichszonen im Lernerwörterbuch bspw. für WI, Kollokationen und FVG), das Verhältnis zwischen der Valenz verbaler Phraseme und der Valenz von ihnen abgeleiteter Substantive, Valenz anderer Phrasemklassen (über verbale Einheiten hinaus).
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6. Syntactic aspects of phraseology II: Generative approaches 1. 2.
4. 5.
Introduction Some observations concerning the place of idioms in the evolution of generative theory How might generative theories deal with the structural properties of phrasal lexical items? Conclusion Select bibliography
1.
Introduction
3.
The term ‘generative theory’ is ambiguous. Chomsky uses it to designate a linguistic theory which is fully explicit, “a properly formulated general theory” (Chomsky 1975, 86). What he means by that is a formal theory like those of the advanced natural sciences. But it is also used to designate the generative theories proposed by Chomsky and his associates, i.e. theories within the Chomskian research programme. Not all generative theories in the former sense are within the Chomskian research programme. For example, Head-driven Phrase Structure Grammar (Pollard/Sag 1988) and Lexical Functional Grammar (Bresnan 1982) are both generative in the former sense. Furthermore, the Chomskian re-
search programme has undergone a number of major changes during the last forty years. The Standard Theory (Chomsky 1965) was succeeded by the Principles and Parameters framework (Chomsky 1981) which has now made way for the Minimalist Programme (Chomsky 1996). Each of these in turn has been through a significant number of articulations.
2.
Some observations concerning the place of idioms in the evolution of generative theory
2.1. Introduction To understand the role that phrasal lexical items have played in the evolution of generative theory one must understand what the central aims of the Chomskian programme are. They are articulated early in the evolution of generative theory and in detail in (Chomsky 1975) and in (Chomsky 1965). First, a generative theory must meet conditions of observational adequacy. This involves, minimally,
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II. Strukturelle Aspekte der Phraseme/Structural aspects of set phrases
accounting for the data of a natural language where these data are seen as the surface order strings of words which constitute the sentences of the language. Second it must meet conditions of descriptive adequacy where this involves the linguist’s grammar modelling the speaker’s internalised grammar. Third a generative theory must meet conditions of explanatory adequacy. Explanatory adequacy involves accounting for the process whereby a child is able to select from among the many grammars compatible with the incoming linguistic data he or she perceives, just that grammar which is the outcome the language learning process. The search for the Universal Grammar, those genetic predispositions which constrain the acquisition of natural languages, is thus central to the Chomskian enterprise. Within the Principles and Parameters Framework the search for universals takes the following form. The Universal Grammar consists of a set of principles, language-independent constraints on those grammars which humans will naturally create. The parameters of Universal Grammar associated with these principles are set through exposure to input giving an idealised grammar of any natural language. One principle is the Projection Principle whose import is that the syntactic properties of lexical items are inviolable in the syntax. Lexical properties are projected from the lexicon and syntactic representations, for example, observe the sub-categorisation properties of those lexical items (Chomsky 1981, 29). Thus we would expect phrasal lexical items no less than other lexical items to be subject to the Projection Principle and thus to play a part in the theory of syntax. This has not been a significant enterprise in generative theory. However there are important caveats. Chomsky makes distinctions which effect the way phrasal lexical items in generative theory might be accounted for. Only an I language, the internalised language of a native speaker, is an object for linguistic inquiry. Generative grammars thus contain I lexica. External languages, languages of speech communities, are not coherent objects of study (according to Chomsky 1986). In so far as phrasal lexical items are known within a speech community rather than by individuals, they play no role in generative theory. Furthermore Universal Grammar determines only the core properties of any natural language (Chomsky 1981). Natural languages also have a periphery of
features which are not determined by Universal Grammar. Some of these are historical detritus. Again phrasal lexical items might thus be relegated to the periphery since they are not made available universally and thus may not be accounted for centrally within generative theory (Becker 1975). Within the Minimalist Programme the well-known syntactic levels of D(eep) structure and S(urface) structure are abandoned and the syntax becomes the unmediated interface between the levels of Logical Form and Phonetic Form, rather in accord with de Saussure’s view of language being the code which connects sound and meaning (de Saussure 1959). The basis for the abandonment is that these intermediate levels are not conceptually necessary and thus, if linguistic theory can do without them, it should, rather along the lines of the Generative Semantics call at the end of the 1960s ‘Is deep structure really necessary?’. Lexical items remain significant since they provide much of the information needed to construct syntactic form. The syntax builds trees out of lexical information in accord with the Projection Principle through a merge operation which combines what is projected from the lexicon into syntactic representations. That being so, the lexicon is consulted at the lowest possible position in the syntactic representation of the sentence since only in that way can trees be built by the merge operation. Phrasal lexical items as such appear to play no role in the minimalist programme lexicon although there is nothing to prevent them from doing so. 2.2. The standard theory era The first appearance of phrasal lexical items in generative theory is to be found in the last few pages of Aspects of the theory of syntax (Chomsky 1965). Here Chomsky deals with inflectional and derivational morphology as areas yet to be theorised within a generative syntax. He also says, Consider, for example, such phrases as ‘take for granted’, which abound in English. From a semantic and distributional point of view, this phrase seems to be a single lexical item, and it therefore must be entered in the lexicon as such, with its unique syntactic and semantic features. On the other hand its behavior with respect to transformations and morphological processes obviously shows that it is some sort of Verb-with-Complement construction. Once again we have a lexical item with a rich internal structure (Chomsky 1965, 190).
6.
Syntactic aspects of phraseology II: Generative approaches
Two central properties are thus taken to require explanation: that phrasal lexical items are distributionally and semantically single units while at the same time being syntactically complex. Note that the properties of being distributionally and semantically single units are independent in the following sense. A unit may be distributionally single without necessarily being semantically non-compositional. But a unit which is semantically noncompositional will also be distributionally singular. How singular remains an interesting question. Chomsky’s position here is definitional. So at the outset, phrasal lexical items are single lexical units which have phrase structure. A subset (idioms) are non-compositional. These central problems raised by Chomsky were addressed a little later by Weinreich (1969). Weinreich’s analysis first provides an extensive discussion of the kinds non-compositionality to be found in phrasal lexical items and compounds. He finds that idioms are generally well-formed in their phrase structure. He also finds non-compositionality to be an “extreme example of contextual semantic specialisation defined by a cluster of characteristics that also occur separately” (Weinreich 1969, 224). He also has important views on the semantic motivation of idioms in finding that such motivation can only be established a posteriori (Weinreich 1969, 259). He then turns to the place of idioms in a standard theory generative grammar. Weinreich shows that semantic specialisation and syntactic idiosyncrasy in the form of transformational defectiveness can be correlated but not always perfectly. For lexical insertion to allow idioms to be inserted in a Deep Structure, Weinreich proposed that a generative grammar contain an idiom list which indicates for each item: the words of which it is composed, the phrase marker which defines its syntactic representation and a semantic representation of its sense. In addition it contains contextual features and instructions for obligatory or prohibited transformations. The idiom list allows the grammar to generate well-formed phrases and clauses, and then to compare these with the phrases and clauses in the idiom list. If a like expression is found in the idiom list, then the grammar can also generate the idiom with all is idiosyncrasies by inserting it in the appropriate frame. Those expressions which do not have literal counterparts such as ungrammatical phrasal lexical items,
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e.g. by and large, must be found in a complex dictionary reserved for such items, as distinct from the simplex dictionary which contains only the monomorphemic words of the language. Lexical rules would then provide the morphologically complex lexical items for the syntax. The non-compositional semantics of phrasal lexical items led to a small skirmish in the so-called linguistics wars (Harris 1995). An opening exchange in the late 1960s concerned the question of the compositionality of idioms and their transformational idiosyncrasies. Chafe (1968) noted three significant sets of properties of idioms. Idioms were non-compositional, transformationally defective and some were syntactically ill-formed. The Standard Theory only accounted for syntactically well-formed, compositional sentences which were transformationally non-defective. Idioms were thus an anomaly in the Chomskian paradigm to use the terminology of Kuhn (1962). A Generative Semantics account of language which did not fall foul of such an anomaly should therefore be preferred. The reply from Fraser (1970) was that there were two problems for generative theory: to account for the insertion of idioms into the Deep Structure of the sentence and to account for their transformational defectiveness. Fraser (1970, 27) supposes that idioms are entered into the syntactic representation of a sentence with their own internal structure. A problem with this solution are those phrasal lexical items which are discontinuous, i.e. which contain slots. These, he suggests, contain a variable which can restrict the syntactic and perhaps other properties of what may be placed in the place of a variable (a slot) (Fraser 1970, 28–29). Some of these slots, for example, contain genitive noun phrases which have co-refentiality properties which are idiosyncratic. For example, the idiom lose NP’s mind must have the noun phrase co-referential with the subject of the sentence while break NP’s heart must not have the noun phrase co-refential with the subject of break. A solution here is to specify insertion restrictions on the noun phrase (Fraser 1970, 31). As for ungrammatical idioms, Fraser supposes that, since the phrase structure of such idioms plays no role in the syntax but is required for the phonology, the idioms should be entered into the syntactic representation of the sentence with a phrase structure representation analogous to an expression which re-
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II. Strukturelle Aspekte der Phraseme/Structural aspects of set phrases
sembles the idiom in its surface structure representation (Fraser 1970, 31). As far as transformational defectiveness is concerned, Fraser suggests, following Weinreich (1969, 231), that all idioms are in some measure transformationally defective, i.e. that they will not undergo all the movements that a non-lexicalised expression of the same syntactic form would (Fraser 1970, 32). He also suggests that this property is idiolectally idiosyncratic (Fraser 1970, 23). But he proposes that movements can be categorised into kinds which form a hierarchy of frozenness. If an idiom will undergo one kind of movement, then it will undergo all those of the kinds below on the hierarchy but not necessarily those of the kinds higher on the hierarchy (Fraser 1970, 36–41). As a result, any idiom will be marked for the highest level on the hierarchy on which it can undergo movement. The result of its transformational behaviour will thus be predictable. The view that there is a connection between semantic transparency and relative flexibility under movement was revisited by Nunberg, Sag and Wasow (1994). In the early 1970s Chomsky (1970) and Halle (1973) proposed theoretical modification of the Standard Theory in form of the lexicalist hypothesis which proposes that word-formation is not a syntactic process but occurs in the lexicon by means of word-formation rules. Halle’s proposals echo some of Weinreich’s in this regard but it was not until Jackendoff’s study of morphology (1975) that idioms came to have a place within the lexicalist version of the Standard Theory. Jackendoff’s theory is one of the best-articulated generative theories of phrasal lexical items and his proposals of 1975 have been reworked and updated in some of his later work, e.g. (Jackendoff 1995). They are worth looking at in some detail. Jackendoff proposes that the structural properties and semantic properties of derivational morphemes are not mapped on to one another isomorphically. Thus the rules for each must be separated so that, in a particular instance, a word may be given the correct structural and semantic descriptions by different rules. For example, the rule which adds the suffix –ion to English stems has three different meanings so that a discussion is ‘the act of discussing’ but a congregation is not ‘the act of congregating’. He proposes that each complex word is entered in full in the native speaker lexicon
and that the rules of word-formation, such as those for the structure and meaning of complex words, act as redundancy rules showing, by filtering out what is predictable, what language learners need to learn. Jackendoff shows how these proposals can be applied to idioms. Idioms usually have regular phrase structure. Where they do, the phrase structure rules of the language will act as redundancy rules leaving behind only the idiosyncrasies which speakers must learn if they are to learn the idiom. Idioms have idiosyncratic senses, therefore these will not be able to be filtered out by redundancy rules. If we extend this treatment to restricted collocations then these may well be compositional and therefore their semantics will be redundant under normal rules of semantic interpretation leaving only the fact of the idiosyncratic lexical selection of one word by another to be learned. Jackendoff’s approach also explains the nature of bound words such as umbrage. Where a phrasal lexical item contains such a word, its properties are not redundant since the word does not appear in the lexicon elsewhere as a word in its own right. All its properties must therefore be learned along with the rest of the words in the lexical item, in this case the words take (umbrage) at. Jackendoff’s is a theory of language acquisition where phrasal lexical items are concerned. It therefore addresses explanatory adequacy in a way that few generative theories which deal with phrasal lexical items do. There are no separate idiom lists. Phrasal lexical items are lexical items like all others. Their phrase structure is usually redundant and therefore does not have to be learned. If their semantics is not predictable, then they are idioms and their meaning does have to be learned. In every case, Jackendoff accounts for what is predictable and therefore not needing to be learned, and that which is idiosyncratic and therefore to be learned. Much of what is predictable is so on the basis of other lexical items already in the lexicon. The order in which items are learned is therefore significant in predicting what is redundant and what is to be learned. Jackendoff proposes an algorithm for an internalised lexicon which permutes lexical items into the optimal order, that which has the maximum redundancy. One could see this order also as a way in which the information in the mental lexicon is re-ordered as new lexical items are learned. Suppose that a speaker discovered
6.
Syntactic aspects of phraseology II: Generative approaches
that umbrage occurred freely in a number of sentences. It would then be the case that take umbrage at would be cheaper to learn than it was before since the relevant information relating to umbrage would have its own lexical entry and thus be redundant in take umbrage at. 2.3. The principles and parameters era With the advent of Government and Binding theory and the Principles and Parameters framework of which it is an instance, phrasal lexical items seem not to have been an object of attention often. Perhaps the major reason for this was the shift from seeing grammars as rule-based systems to looking at constraints on the kinds of rules that humans might conceive during language acquisition. However, idioms were significant on a number of occasions. Proposals for reanalysis and raising show the use to which idioms were put. Reanalysis can be illustrated by the the passive. Idioms like take advantage of NP can passivise in two ways so that one can say advantage was taken of NP or NP was taken advantage of. The reanalysis solution was by way of syntactic re-analysis where, for the inner passive, the object of the verb take is the argument which is raised to subject position. For the outer passive, the whole phrase take advantage of is re-analysed as a verb without internal structure and the object of that verb can then be raised to subject position to form the passive. Chomsky uses reanalysis to deal with violations of subjacency (a principle which constrains extraction). These violations result from extractions from infinitival clauses which become no longer violations after reanalysis (Chomsky 1981, 313). Levine (1984) shows that reanalysis is not a satisfactory way to account for such data since it violates a number of other requirements on words. If the reanalysed constituents are words, they should behave in all ways like words. They do not. But note that reanalysis provides a formal means to deal with the initial observation that idioms are both a single unit and one with internal structure. Proposals for raising also made use of idioms as data. Traditionally it was supposed that the subject in a sentence like The fat seems to be in the fire has got there by being raised out of a complement clause (Postal 1974). Here the assumption is that the verb
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seem is a one place predicate and that the clausal idiom The fat to be in the fire is its complement, that is, its one argument. The subject of the embedded clause can move into the subject of seem position since the subject of seem position must be filled, thus breaking up the linear string of the idiom. Raising also plays a part in the VP internal subject hypothesis. Idioms played a small part in the argumentation for this hypothesis. In Chomsky’s (Chomsky 1986) account of syntax, functional projections became significant in unifying the behaviour of heads and their complements. Heads of phrase included not just the lexical heads: noun, verb, adjective and preposition, but also I, tense inflection, and C, complementiser, giving rise to their maximal projections IP and CP. This allowed all clauses to have the structure of phrases with a head position, complements (for which heads subcategorise) and specifiers as required by X’ theory. All clauses were CPs and the complement of the head of CP was IP. The subject was in the specifier of IP position. A number of theorists then suggested that the subject was only superficially in the specifier of IP position but was underlyingly in the specifier of verb phrase position and moved to the specifier of IP, e.g. Koopman and Sportiche (1991). One set of data used as evidence for this proposal is idioms. These are clausal idioms where the tense and aspect are slots. Slots are constituents of phrasal lexical items whose content is able to be chosen freely such as in Much water has run under the bridge where the idiomatic reading of the subject is retained even if we were to say Much water might have been running under the bridge. An additional hypothesis is needed to make the argument valid and that is the idioms are unbroken strings, i.e. that they have no slots. The assumption then would be that the idiom is underlyingly much water run under the bridge. If that is so, then the subject can appear in specifier position of the verb phrase ‘below’ tense and aspect given a Barriers style analysis of the syntax of clauses (Chomsky 1986). After movement, the subject can end up to the left and higher up the tree than tense and aspect thus accounting for their being able to be freely selected. This is essentially an argument based on a hypothesis about phrasal lexical items to the effect that all slots are external to phrasal lexical items. Both raising and reanalysis are to be found in Larson’s analysis of double object con-
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II. Strukturelle Aspekte der Phraseme/Structural aspects of set phrases
structions (Larson 1988) where again idioms played a bit part. X bar theory requires that all branching in syntax is binary. However three place predicates such as give have two internal arguments within the verb phrase. Without further analysis, it would seem that the verb phrase node could have ternary branching. Larson suggests that the verb and indirect object have a closer semantic (and syntactic) relationship than the verb and its direct object. The verb and indirect object should thus be a constituent with the direct object being further up the tree under a verb phrase shell which has an empty verb head. Raising is responsible for placing the verb in its surface position under the higher verb node. Idioms come into play because Larson believes that idioms containing double object constructions where the direct object is a slot, i.e. where the idiom is discontinuous, for example, take someone to the cleaners, support the hypothesis that the verb plus indirect object are a complex predicate with the direct object as a single argument. Take only comes to be outside the slot direct object after movement to the head of the VP shell. That is what Larson’s analysis of double object constructions would predict. Reanalysis is used for constructions where, instead of just the verb being raised to the higher position, the verb plus its indirect object are raised on the assumption that they together can be reanalysed as a verb rather than a V’. This gives rise to constructions such as He took to the cleaners all the people who had invested in the company. Note that the verb plus complement idiom stays together under this analysis being analysed as a verb along very similar lines to the outer passive reanalysis of idioms. In another debate within the Principles and Parameters framework, idioms with slots in complement position came to be a focus of attention. The debate concerned so-called ‘subject - object asymmetry’. The intuitive basis for this asymmetry concerns the sense that verbs have a closer relationship with their complements than they do with their subjects. This is accounted for in syntactic structure by the proposal that verbs subcategorise for their complements but not for their subjects. On the other hand according to theta theory (Chomsky 1981) verbs have theta roles to ‘donate’ to their arguments and subjects are among such arguments. So the question arises whether such an asymmetry also exists se-
mantically (Marantz 1984). Among other arguments for such an asymmetry, Marantz asserts that idioms which have lexicalised subjects also have lexicalised internal arguments such as objects but not vice versa. The debate as to whether Marantz’s observation is true is critiqued by Everaert and Kuiper (1996). The result of their fuller interrogation of an idiom database shows that Marantz’s observation is not wholly correct. There are idioms which have lexicalised subjects but slots for internal arguments, for example, Hanging is too good for somebody, Life passed somebody by. There is clearly a need to understand what kinds of slots there might be in phrasal lexical items and where in the syntactic structure of phrasal lexical items they might appear before much weight can be placed on hypotheses which suppose that phrasal lexical items are unbroken strings. Similarly the hypothesis that phrasal lexical items are single constituents needs to be investigated in its own right for the same reason. 2.4. Minimalism Minimalist approaches to idiom data are more difficult to document because the Minimalist Programme is not a coherent set of hypotheses yet. Much seems to be contested and it is difficult to ascertain what is not. Advent of the Merge operation and the consequent requirement that the lexicon is consulted at the earliest possible point creates both opportunities and challenges for re-evaluating how phrasal lexical items might be accounted for in a generative model. I will return to some of the possibilities in section 3. However two recent proposals will serve to illustrate what use Minimalist theoreticians have made of idioms. Like the demise of deep structure which was prefigured in Generative Semantics, Minimalism has also returned to a syntactic view of word meaning in the form of lexical decomposition (Hale/Keyser 1998). Richards (2001) again uses the single constituent and unbroken string hypotheses for idioms to support lexical decomposition. The argument concerns alternations such as: Mary gave Susan the boot. Susan got the boot from Mary. Richards suggests that these are converses semantically and that there is one idiom here and not two. That idiom is HAVE the boot. The verbs give and get are semantically and syntactically the result of the combination of BECOME with HAVE in the case of get, and
6.
Syntactic aspects of phraseology II: Generative approaches
CAUSE with HAVE in the case of give. The proposal is that only HAVE belongs to the idiom. Such a proposal is only possible as a deductive consequence of a theory of lexical decomposition. McGinnis (2002) also looks at the way in which idioms interface with current theories of syntax and semantics. The particular area she is interested in is the Aktionsarten or the aspectual properties of verbs and idiomatic expressions containing verbs. Verbs are known to have properties relating to what kind of action the verb denotes, be it achieving a goal or maintaining a state of affairs. The aspectual properties of verbs have many repercussions for their syntactic behaviour. For example, progressive aspect is only possible for verbs which denote activities but not states. McGinnis’ hypothesises that idioms are compositional as far as their aspectual properties are concerned. This hypothesis is based on the assumption that there are two kinds of meaning, structural and idiosyncratic. Only the structural aspects interact with the syntax. Verb headed idioms will, under McGinnis’s hypothesis project their aspectual properties into the syntax in the same way that they would in the same configuration if they were literal expressions since these are structural and not idiosyncratic semantic properties. The prediction is that there will be no verb headed idioms that will have aspectual properties that its head cannot normally project. This is an interesting hypothesis since it places a limit on semantic noncompositionality in the specific case of aspectual properties but it also predicts that, where there are other ‘structural’ semantic properties, these will also not be able to be idiosyncratic in idioms. McGinnis uses these proposals in order to opt for a Distributed Morphology model of idioms (Marantz 1997) rather than a Representational Modularity one (Jackendoff 1997). However an investigation of German idioms on the basis of a large corpus (Fellbaum to appear) suggests that Aktionsarten can alter in idioms. Argument-taking properties of predicates which project in the syntax can also be altered in the case of raining cats and dogs. These observations again suggest that an investigation of the relevant properties of phrasal lexical items conducted on a more general basis should precede the early closure of some generative theorising.
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Note that both Richards’ and McGinnis’s proposals are at the syntax/semantic interface which has become, under Minimalism, a significant area of research whose findings can apply to idioms since these project properties which are both semantic and syntactic. 2.5. Conclusion It seems that in constructing generative theories, theory comparison has always played a significant role (Botha 1981). Phrasal lexical items, idioms in the main, appear from time to time as data for or against positions taken in such theoretical debates. It is also clear that idioms are not themselves an object of theorising much of the time except in so far as this bears on the theories under discussion. Their use appears to be overridingly to do with claims for constituency. Since they are assumed to be single, unbroken constituents, they can provide evidence for underlying constituency on the assumption that they enter underlying syntactic representations as single unbroken constituents. In this respect phrasal lexical items are treated differently from words. Words are a serious object of study in generative theory. The sub-discipline of morphology has been incorporated into generative theory since 1970. There are major textbooks outlining its current theoretical position within generative theory, for example Spencer (1991). Looking at just two major textbooks on generative syntax Haegeman (1991) has no index reference to idioms and Radford (1997) has only five page-references to idioms. Almost all of these deal with the verb phrase internal subject hypothesis. Morphologists also, with some exceptions, deal with the fact that words exist by making morphological theories vulnerable to the set of existing words. By contrast, those who use phrasal lexical items as data in either syntactic or semantic generative theories appear to use existing items more as examples. They do not take it that, since phrasal lexical items exist, there is an obligation to examine at least a reasonably-sized subset when making claims about such items. They also deal almost exclusively with idioms and do not examine, for example, formulae (phrasal lexical items with contextually restricted conditions of use) or restricted collocations. The presumption may be that there are few theoretically significant issues with phrasal lexical items other than idioms. Basic questions such as the form phrasal lexical items
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II. Strukturelle Aspekte der Phraseme/Structural aspects of set phrases
take in the native speaker’s internal lexicon have received only scant attention. An illustration of such attitudes is to be found in the introduction to a recent book dealing with lexical specification and insertion (Coopmans/Everaert/Grimshaw 2000b) where the editors say, “The traditional assumption is that ‘lexical insertion’ means the replacement of an X0 position in a Phrasemarker by a lexical formative. Simultaneous insertion of more that one X0, as in the case of phrasal idioms, is probably exceptional” (Coopmans/Everaert/Grimshaw 2000a, ix). It is certainly the case in every chapter in the book that it is assumed that lexical insertion affects only lexical items at the word level. That is the traditional generative assumption. But the claim that the insertion of more than one word at a time is exceptional is a problematic claim. What makes it exceptional? Is this is a statistical claim as to the number of phrasal lexical items one might expect to find in sentences? If so, where did the evidence for this claim come from? Is it a claim about human competence or performance? Or is it just another way of saying that generative theorists are not interested in the theory that sentences might be constructed of lexicalised phrases as well as words.
3.
How might generative theories deal with the structural properties of phrasal lexical items?
3.1. Phrasal lexical item integrity In section 2 it was clear that generative syntacticians assume that idioms are single syntactic constituents and unbroken at some level of representation, presumably also in their lexical entries. It is worth examining these integrity hypotheses more closely. Koopman and Sportiche (1991, 224) frame the constituency assumption this way “If X is the minimal constituent containing all the idiomatic material, the head of X is part of the idiom.” This appears to be generally the case although there is at least one clear English counter-example, the idiom more N than you can shake a stick at. Here N is a noun slot in head position. Not withstanding the quantifier, even non-count nouns can function in the slot. The second assumption, that idioms are unbroken, i.e. have no freely fillable constituents, appears more contentious. There appear to be numerous phrasal lexical items where
the object is a slot but a following adjunct is lexicalised, for example, take something into account. The something is a freely selectable noun phrase as we saw in section 2.4 with Larson’s analysis of double objects. For Larson this is evidence that the verb must have moved so that the slot is underlyingly outside of the idiom. There are more serious slot problems. In many possessive noun phrases in idioms such as take someone’s word for NP, the noun phrase is freely fillable as we saw in section 2. Again one might make the case that the NP is in some sense at the periphery of the idiom rather than inside it as positive evidence for the unbroken chain theory. There are also parallel cases to the clausal cases used in the VP internal subject hypothesis discussion. These are more serious still. There are idioms such as make [DETERMINER attempt] on with noun phrases which are complements of verbs but where the determiner of the NP may be a freely selectable functional constituent. The head of the DP, as these are called, following Abney (1987), is a slot. One might insert his or the or a. Yet the verb of which the noun phrase is the complement is lexicalised and the head noun of the noun phrase is also lexicalised. If the argument for idioms used in the verb phrase internal subject argumentation were to be extended to these cases then one has an argument for a complement internal verb source, since the determiner would have to be outside of the linear unbroken string. That would be a seriously counter-intuitive proposal. The underlying phrase structure of the object would then look as follows: [V’ [DP[V put][N pen]][PP to paper]]. The alternative is to give up the absolute notion that idioms are unbroken strings of lexicalised constituents. However a more modest constraint is possible as we will see in section 3.2. It seems that, contrary to the general practice outlined in section 2, it is possible for generative theory to focus on the place phrasal lexical items occupy in the grammar of a language and in a theory of grammar in general as has just been done. That would be to assume that there is nothing exceptional in their behaviour except that, like other lexical items, they have idiosyncratic properties. Like words, they can be examined for their properties as linguistic three part symbols with phonological form, syntactic structure and meaning. Like words they can be examined as to
6.
Syntactic aspects of phraseology II: Generative approaches
how they project their properties into the syntax of the sentences in which they may appear. 3.2. Phrase structural properties We have seen in section 3.1 that phrasal lexical items have the head of phrase lexicalised. Not only is the head of phrase lexicalised, phrasal fixation requires the selection of a lexical head by another lexical head (van Gestel 1995, 78). There is also a configurational limitation, the selected head must be within the syntactic domain of the selector head. This set of hypotheses has been proposed by O’Grady (1998) and empirically supported by work of Kuiper and Everaert (2000). This leads to a view of listing in the lexicon where phrasal lexical items are the result of lexical selection. Single word lexical items have generally been held to have two sets of selectional properties: semantic or s selection properties and constituent or c selection properties. Let us suppose that they also have lexical or l selection properties where a head selects, as well as its semantic or syntactic surrounding structure, also actual word(s) in its immediate environment with which it forms phrasal lexical items. While s and c selection properties account for the way in which the head limits what can happen syntactically and semantically in its immediate environment, l selection accounts for the fact that this head is the head of a number of phrasal lexical items. L selection properties, just like s and c selection properties are idiosyncratic since there is no way to predict that a given head will select a specific lexical item rather than another. Take, for example, the notoriously idiosyncratic nature of prepositional and verbal usage. One travels by bus. Why by? One catches the bus. Why catch? In each case we can see the syntactic head of the complement phrase selecting a specific lexical head of its predicate. This is the reverse of normal c and s selection where syntactic heads select for the properties of their complements. This kind of ‘inverse’ l selection is also present in a number of cases where complements retain their literal reading whereas the predicates which c select them have specialised senses which they only have in collocation with complements with a specific lexical head. We might regard these as bound senses. For example, in the restricted collocation set a trap, set has a specialised sense meaning to prepare the trap for operation. Be-
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cause traps require specialised preparation it is an interesting question to what extent this specialised sense of set involves linguistic as opposed to non-linguistic knowledge. S selection and c selection thus interact with l selection in interesting ways. Where a head is polysemous it has multiple sets of associated s and c selection properties. This is also true for l selection properties. For each sense there may be associated l selection chains often more than one since many lexical heads are the heads of numerous phrasal lexical items each of which is lexically a set of l selection properties. In each case, l selection properties can be matched with s and c selection properties which the lexical head also has. What this suggests is that a particular l selection chain is to be assessed in terms of redundancy by means of the s and c selection properties of its head. Where a lexical head is, say, two ways ambiguous, speakers will often be able to recognise which of its general senses and thus associated s and c selection set are instantiated in an l selection chain. So, for example, in the restricted collocation see stars speakers know that this is a specific instantiation of see as a predicate with one internal theme argument as direct object. Restricted collocations are thus congruent with one set of both the s and c selection properties of the head of the restricted collocation. Where the reading of a lexical selection chain is not congruent with the s selection properties of a head, one has an idiom. For example, the thematic structure of put is not observed in put a match to NP. Here the theme argument is the final NP, as can be seen by the paraphrase light NP. Where it is not congruent with the c selection properties of the head, one has an ill-formed phrasal lexical item. In the idiom It’s raining cats and dogs, as suggested in section 2.4, a canonical zero place predicate has been given a direct object. Seen in this way, the basic types of phrasal lexical items turn out to be the result of the kind of redundancy-seeking process which Jackendoff proposes, and which was summarised in section 2. The c and s selection properties of the head specify what is redundant in the l-selection chains of the head. Other structural properties of l selection can be noted. Where an l selection chain is longer than two words, the selection process creates chains where each selected head in turn selects the next. In every case the selected head must be within the domain of the
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II. Strukturelle Aspekte der Phraseme/Structural aspects of set phrases
selector head. Slots in lexical selection chains are the result of the c selection properties of the head applying to the l selection chain without that chain meeting those requirements. In verb particle constructions the verb c selects for a theme argument but the l selection chain only has the head of an intransitive prepositional phrase selected. The direct object of the verb is thus a slot. Slot restrictions occur where the head of the construction l selects features of a slot without at the same time selecting the lexical head of the slot. Such slot restrictions need not be part of the s election properties of the head. For example, the restrictions on the co-reference properties of genitive NPs mentioned in section 2.2. These are therefore not redundant. Sometimes the head l selects not a single head but a small set of lexical heads which are all semantically equivalent but subset of what is s and c selected by the head which selects them. For example, in be in a bad mood/temper the last two words are both possible but no others. This sketch of a possible generative theory of phrasal lexical items makes many empirical predictions. But it does not predict that all slots are in some way external to the phrasal lexical item proper. It says nothing about flexibility under movement or which phrasal lexical items allow internal modification by freely-selected adjuncts and which will not. Perhaps these properties are not systematic. However they clearly can be the subject of empirical investigation within a generative theory of the phrasal lexicon.
4.
Conclusion
We can conclude that there is no phraseological sub-discipline akin to morphology and that phraseology as it is practised in continental Europe is virtually unknown within generative theory. However phrasal lexical items have played a supporting role as data in a number of theories and debates in generative theory and a number of significant empirical findings about phrasal lexical items have resulted. Those cluster around their syntactic form, particularly as it meets the requirements of generative theories. These include requirements of domain restriction, headedness of constructions and the Projection Principle. Much less is known theoretically about the more idiosyncratic properties of phrasal lexical items, in the syntactic domain, for example, about the nature of slots, slot restriction,
and selection sets, in the semantic domain, for example, about the nature of non-compositionality, anaphora and pronominalisation within phrasal lexical items. There is a subfield waiting to happen.
5.
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Koenraad Kuiper, Christchurch (New Zealand)
7. Syntaktische Aspekte der Phraseologie III: Construction Grammar und verwandte Ansätze 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Vorbemerkungen Zugänge in der Geschichte der Sprachwissenschaft Thematisierung in Idiomatik und Phraseologie Neuere Zugänge der Sprachtheorie Der construction approach Literatur (in Auswahl)
1.
Vorbemerkungen
Grammatische Konstruktionen bilden ein disziplinär ambivalentes und theoretisch vielschichtiges Themengebiet. Forschungsge-
schichtlich zeichnet es sich dadurch aus, dass es einerseits nicht zum Kernbereich phraseologischer Fragestellungen gehört und bis in die jüngere Gegenwart eher explizit als randständiges Gebiet behandelt worden ist, andererseits jedoch gibt es – vielleicht abgesehen von der aktuellen Hochkonjunktur der Kollokationsforschung- kaum ein phraseologisches Forschungsgebiet, das in der jüngsten Forschungsentwicklung eine vergleichbar große Aufmerksamkeit in der allgemeinen Sprachtheorie gefunden hätte. Allein der so genannte Berkeley-Ansatz der construction grammar
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II. Strukturelle Aspekte der Phraseme/Structural aspects of set phrases
zeichnet in den letzten Jahren für drei große internationale Konferenzen verantwortlich (ICCG Berkeley 2001, Helsinki 2002, Marseille 2004). Der Kontext der Diskussion zum construction-approach – ante und post litteram – ist dabei gerade dadurch gekennzeichnet, dass nicht Phraseologismen der Gegenstand sind, auf den die Fragestellungen zielen, sondern umgekehrt, Versuche zur Entwicklung einer allgemeinen Sprach- und Grammatiktheorie ihren Ausgangspunkt bei der Analyse idiomatischer Muster nehmen. In diesem Sinn formuliert Ágel (2004): “Sollte der sprachliche Normalfall nicht das Okkassionelle, sondern das Geprägte und Vorgeprägte sein, müssten Theorien und Methoden der Linguistik darauf umgestellt werden, dass die ad-hoc-Bildungen mehr oder weniger kreative Realisierungen idiomatisch geprägter und vorgeprägter Modelle darstellen, dass also die grammatischen Regeln auf der Basis dieser Modelle funktionieren” (Ágel 2004, 67).
Diese Situation ist bezeichnend für die heutige Lage der Phraseologie, die von den Rändern ihres klassischen Deskriptionsbereichs her einen Wandel erfährt. Die hier zu behandelnden Forschungen beziehen sich durchgängig auf Fragen, in denen es um die Rolle syntaktischer Musterhaftigkeit im weiteren Sinne geht. Mit dem Deskriptionsbereich sind zugleich Grundfragen der Linguistik im Allgemeinen wie auch der Phraseologie im Besonderen angesprochen: Wie ist das Verhältnis von Lexikon und Grammatik zu konzipieren? Wie ist ein Lexikon zu konzipieren, das musterannotierte grammatische Regeln enthält? Wie kann eine Konzeption des Lexikons theoretisch gerechtfertigt werden, die –sofern sie lexiko-grammatische Konstruktionen im weiteren Sinne mitberücksichtigt – zwangsläufig einen hohen Grad von Redundanz aufweisen muss? Wie kann dabei der Tatsache Rechnung getragen werden, dass grammatische Konstruktionen zugleich als regulär, d.h. als regelhaft konstruierbar und als in toto verfügbare Einheiten der sprachlichen Kompetenz zu werten wären? Grundsätzliche Fragen schließen sich an, etwa die, ob die Ausdehnung eines erweiterten Begriffs von Phraseologizität auch auf den Bereich der Syntax nicht zu einem panphraseologischen Sprachkonzept führt, das ebenso kritisch zu sehen wäre wie etwa panmetaphorische Bedeutungskonzeptionen in der Semantik und Sprachphilosophie. Diese Fragen zeigen, dass hier sprachtheoretisch sensible Punkte angesprochen sind,
die –mit Karl Bühler zu sprechen- die Axiomatik der Sprachwissenschaft selbst betreffen. Für Bühler war die Unterscheidung von Lexikon und Syntax ein methodologisches Dogma im positiven Sinne (Bühler 1934/82, 75). Und in der Tat bestätigt gerade die Hochkonjunktur der “constructions-Diskussion” die methodologische Unverzichtbarkeit der Unterscheidung. Die Sprachwissenschaft hat mit dem methodischen “Hülfsmittel” (Humboldt, 1963/88 [1830–1835], 421) der begrifflichen Unterscheidung von Lexikon und Grammatik seit ihrem Bestehen gerade auch empirisch erfolgreich gearbeitet. Solche Fragen zum forschungsgeschichtlichen Status des Problems können hier nicht vertieft werden, sind aber bei der Erörterung im Blick zu halten. Sprachtheoretisch gibt es sehr heterogene Zugänge zum hier behandelten Problem. Die Gliederung des Beitrags orientiert sich an diesen Diskussionssträngen, von denen die Diskussion zur construction grammar nur einer ist: Das folgende Kapitel 2 geht unter Bezug auf Hermann Paul, Karl Bühler und Otto Jespersen exemplarisch auf die Geschichte der Diskussion ein, die ihre Wurzeln vor allem im psychologischen Assoziationismus und in der Pragmatik hat. Das 3. Kapitel referiert die Diskussion und Erforschung des Problems innerhalb der Phraseologie und Idiomatik. Das 4. Kapitel referiert neuere Zugänge der Sprachtheorie etwa im Kontext der Lexikalisierungs- und Grammatikalisierungsforschung, aber auch in der Korpuslinguistik. Hier werden auch Konzepte aus der Pragmatik und der Kognitiven Linguistik eingebunden. Das 5. Kapitel schließlich geht exemplarisch ein auf den sogenannten “construction approach” und stellt die aktuelle Diskussion zu ‘grammatical constructions’ vor. Hier werden Beiträge zugeordnet, die mit einem sprachtheoretisch allgemeinen Zugang Aspekte grammatischer Musterbildung thematisieren und/oder sich explizit dem construction-Ansatz zuordnen. Im Blick auf den hier infrage stehenden Problembereich wird im Folgenden der Arbeitsbegriff syntaktische Musterhaftigkeit bzw. syntaktisches Muster verwendet, wenn darauf nicht in einem theoretisch und begrifflich spezifischen Sinne referiert wird.
7.
2.
Syntaktische Aspekte der Phraseologie III: Construction Grammar und verwandte Ansätze
Zugänge in der Geschichte der Sprachwissenschaft
In vorwissenschaftlichen Sprachkonzeptionen und ebenso in der Sprachwissenschaft ante litteram gehört die Annahme einer Existenz syntaktischer Muster zum selbstverständlichen und nicht weiter problematisierten common ground. Als relevante Zugänge sollen hier allerdings nur Konzeptionen behandelt werden, bei denen Musterbildung für den Sprachbegriff selbst theoretisch konstitutiv und entsprechend methodologisch reflektiert ist. In Hermann Pauls Ansatz zu einer kulturwissenschaftlichen Linguistik spielt der Begriff des Musters eine zentrale Rolle. “Erst wo Sprechen und Verstehen auf Reproduktion beruht, ist Sprache da.” (Paul 1880/1995, 187). Die sprachlichen Formen werden Paul zufolge im Gebrauch hervorgebracht und erhalten ihre Stabilität und Verfügbarkeit außersprachlich durch die wiederholte Assoziation mit Verwendungszusammenhängen und innersprachlich sowohl durch die Assoziation so genannter ‘Vorstellungsgruppen’ mit Ausdrucksmustern als auch durch die wechselseitige Stabilisierung analoger Ausdrucksmuster. Die “kombinatorische Tätigkeit” (ebd. 109) besteht vor allem in der Rekombination von Mustern. Reproduktion ist für Paul nicht mechanische Wiederholung, sondern die Bestätigung eines sozial bestimmten ‘Usus’ und wird in Abgrenzung zur sozial unqualifizierten sogenannten ‘Urschöpfung’ eines Individuums gesehen (vgl. ebd. 174ff.). Paul legt Wert auf die Unterscheidung von Regel und Muster. Im Zusammenhang seiner Ausführungen zu den ‘syntaktischen Verbindungen’ betont er, nur das Muster gebe dem Einzelnen “das Gefühl der Berechtigung zu eigenen Zusammenfügungen” (ebd. 111). Paul untersucht die ‘syntaktischen Verbindungen’ und kommt dabei zu einer Bestimmung der Verbindung als Zeichen: “Mit der äusseren Form der syntaktischen Zusammenfügung assoziiert sich das Gefühl für eine bestimmte Funktion und diese Funktion bildet dann in Gemeinschaft mit der äusseren Form das Band, welches die Proportionen zusammenhält” (ebd. 109). Für Paul wird noch nicht zum Problem, dass die Assoziation als individualpsychologische Kategorie hier unzureichend ist. Das Muster ist immer Beispiel für eine sozial bestätigte und dadurch sinnvolle Anwendung. Die Regel ist sekundär. Sie wird “unbewusst
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aus den Mustern abstrahiert” (ebd.). Als Beispiele für sein Konzept diskutiert Paul z.B. Stellungsmuster wie spricht Karl, schreibt Fritz mit Voranstellung des Prädikats und Genitivkonstruktionen wie das Haus des Vaters, der Bruder Karls (ebd.) ebenso wie subjektund verblose Aufforderungssätze wie: jedem das seine, fort mit ihm, her damit (ebd. 134) mit phraseologischer Komponente etc. In seiner Habilitationschrift “Über Gedanken und Gedankenerinnerungen” (1907/ 1908) untersucht Bühler die Fähigkeit Gedanken zu erinnern und wiederzuerkennen. Insbesondere interessiert ihn die Frage, ob es anschauungslose Formen der Gedanken gebe. Er stößt auf die Beobachtung, dass im typischen Fall “der Gedanke erst nach den Worten” komme (Bühler 1908, 79). Verantwortlich dafür macht er die “Gestaltqualität” des Satzes. In seiner “Sprachtheorie” reformuliert Bühler 1934 die frühen Beobachtungen in einer für diesen Beitrag einschlägigen Weise. Er stellt fest, dass “das ganz oder teilweise leere syntaktische Schema der eigentlichen Formulierung einer Antwort vorherging und das faktische Sprechen irgendwie erkennbar steuerte” (Bühler 1934/1982, 253; Herv. Bühler). Den für das Frageinteresse ausschlaggebenden Denkansatz der so genannten “Würzburger Schule” der Gestaltpsychologie formuliert Bühlers Kollege Otto Selz, wenn er schreibt:“[…] daß prinzipiell sämtliche durch die Arbeit vorangegangener Generationen erworbene Mittel zur Verwirklichung kultureller Werte der routinemäßigen Aktualisierung zugänglich werden.” (Selz 1981, 47, cit. nach Eschbach 1990, 125) Selz entwickelt in diesem Kontext eine Theorie so genannter “Komplexergänzungen”, die er unter anderem an “syntaktischen Operationsschemata” überprüft (vgl. Knobloch 1998, 179ff.). Otto Jespersen (1924) stellt Fragen syntaktischer Musterhaftigkeit explizit unter ein begriffliches Kontinuum mit Fragen der Phraseologie. Das erste Kapitel seiner “Philosophy of grammar” ist überschrieben mit “Living grammar”. Dort kommt neben den Abschnitt ´Formulas and free expressions´ der Abschnitt ´Grammatical types´ zu stehen. Die lebenden Elemente der Grammatik sind Konstruktionstypen, “living types of formation” (ebd. 19), die aus dem Gebrauch abstrahiert sind und die grammatische Produktion (Syntax und Wortbildung) leiten. Die syntaktische Ausdrucksbildung des Sprechers ist
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II. Strukturelle Aspekte der Phraseme/Structural aspects of set phrases
“determined by what he has done previously in similiar situations and that again was determined chiefly by what he had habitually heard from others”. Aber dieser syntaktische Habitus wird situativ ständig neu angepasst und verändert. “This in course of time may lead to new turns and new habits; in other words to new grammatical forms and usages.” (Jespersen 1924/1968, 29) Damit ist auch der Zusammenhang von syntaktischen Konstruktionen mit Fragen der Grammatikalisierung angesprochen. Mit dem weiter oben bereits angesprochenen Begriff des syntaktischen Schemas oder Satzschemas verbindet sich eine weitere grundlegende Diskussionslinie, die noch kurz zu kommentieren ist. Banionyte (2002) gibt einen Überblick der Diskussion zur sogenannten Satzmodell-Forschung, die namentlich im germanistischen Bereich eine lange Tradition hat und bis in die letzte Auflage der Duden-Grammatik in den Satzbauplänen eine wichtige Rolle spielte (vgl. Duden 1995, 650ff.). Dabei folgt man der Annahme, dass Regeln weitgehend induktiv aus Mustern abstrahiert werden, die ’natürliche‘ syntaktische Kenntnis aber Musterkenntnis ist. Insgesamt werden 23 ‘Hauptpläne’ und 8 ‘Nebenpläne’ unterschieden. “(...) es handelte sich dabei gleichsam um Hülsen, um formale Muster, in die sich verbale Wortketten ’einpassen‘, wenn sie zu Sätzen formuliert werden.” (Duden 1995, 650) Nach Banionyte integriert die Entwicklung einmal den auf Drach zurückgehenden Gesichtspunkt der Stellungstypen des deutschen Satzes, der sich auch in Glinz’ “geistigen Grundbildern” des Satzes wiederfinde, und zum anderen die Valenzschemata. Für Gerhard Helbig sind die Satzmodelle “Grundstrukturen des Satzes, die sich ergeben aus dem Versuch, die unbegrenzte Zahl von möglichen Sätzen einer Sprache, auf eine begrenzte Zahl von Modellen zurückzuführen. Sie […] enthalten nur Glieder, die durch die syntaktische Valenz an das Verb bzw, Adjektiv gebunden sind (morphosyntaktische Satzmodelle) bzw. als semantische Kasus vom Prädikat gefordert werden (semantische Satzmodelle)” (Helbig 1996, 128).
Im Unterschied zu Paul, Bühler, Selz und Jespersen steht bei der Satzmodellforschung ein grammatikographisches Interesse im Vordergrund. Der Muster- und Modellbegriff zielt zwar auf eine gebrauchsorientierte grammatische Beschreibung, geht aber explanativ nicht von der primär pragmatischen Motiviertheit
und Prägung der syntaktischen Konstruktion aus. Der Gesichtspunkt einer spezifisch pragmatischen und semantischen Prägung syntaktischer Konstruktionen i.w.S. steht bei den im folgenden diskutierten Forschungsansätzen im Vordergrund.
3.
Thematisierung in Idiomatik und Phraseologie
Die Phraseologie hat sich syntaktischer Musterhaftigkeit einerseits erst relativ spät gewidmet, weil sie ihren Gegenstandsbereich lange implizit am Modell des Wortes ausgerichtet hat. Der Quasi-Lexemstatus und die Bestimmung als Wortverbindung blendet den Aspekt syntaktischer Prägung weitgehend aus. Den Status der Frage innerhalb der Phraseologie kennzeichnet Fleischer (1982, 135): “Die Konstruktionen liegen in einem Grenzbereich der Phraseologie zur Syntax. Ihre Einbeziehung in die Phraseologie ist strittig.” Andererseits gibt es seit dem Beginn phraseologischer Forschung die Beschäftigung mit dem Problem in verschiedenen Zusammenhängen, und insbesondere die jüngere Geschichte der Phraseologie zeigt eine deutliche Hinwendung zu den hier angesprochenen Fragen (vgl. Feilke 2004). Von der Phraseologie her sind es in Anlehnung an Černyševa (1975) die Merkmale des Seriellen und der Modellierbarkeit von Phraseologismen, die den Übergangsbereich definieren, der bis zu pragmatisch geprägten syntaktischen Mustern reicht. In den Gesichtspunkten des Seriellen und der Modellierbarkeit sind divergente theoretische und methodische Zugänge zu syntaktischer Musterhaftigkeit angelegt, die bis in die aktuelle Diskussion innerhalb der ‘construction grammar’ reichen. Das Kriterium des Seriellen ist semasiologisch begründet und geht vom Ausdruck aus, das der Modellierbarkeit dagegen ist onomasiologisch begründet und setzt bei einer satz- und ausdrucksemantischen Typik an. Zum seriellen Aspekt zitiert Fleischer (1982, 119) Černyševa mit Beispielen wie das Wort ergreifen, die Flucht ergreifen, Maßnahmen ergreifen. Hier zählen einerseits die einzelnen Wendungen zu den sogenannten phraseologischen Verbindungen, also zum Lexikon, andererseits ist der Bildungstyp “X ergreifen” abstrahierbar und erlaubt eine serielle Erweiterung der Liste. Dabei können entsprechende Strukturmuster mehr oder we-
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Syntaktische Aspekte der Phraseologie III: Construction Grammar und verwandte Ansätze
niger idiomatisiert sein. Bei der Untersuchung von VP-Idiomen mit eins, eine, einen und etwas stoßen z.B. Fellbaum u.a. (2004, 189) auf die Muster: eins/einen + reflexiv (konstruiertes) Verb und eins, einen, eine + Präp. +N + geben/bekommen. Dagegen steht bei Ausdrücken wie sicher ist sicher oder ein Bierfass von einem Kerl (Fleischer 1982, 121) der Aspekt des semantischen Modells im Vordergrund. Die Autosemantika können vollständig ersetzt werden; der jeweiligen Produktivität liegt ein abstraktes semantisch typisiertes Ausdrucksmodell zugrunde, das allerdings an die syntaktische Konstruktion gebunden und darüber hinaus pragmatisch sprechakt- und kontextbezogen geprägt ist. Neben dieser Unterscheidung spielt in der jüngeren Diskussion die Unterscheidung von grammatisch-formaler und phraseologischer Bindung syntaktischer Konstruktionen sowie von Satzteil- und Äußerungsschablonen eine wichtige Rolle. Darauf geht ausführlich die leider unveröffentlichte Habilitationsschrift von Schindler (1996) ein. Zählt man die Parömiologie zur Phraseologie, dann ist der Gesichtspunkt der Modellierbarkeit über Phrase und Satz hinaus auch beim Sprichwort von erheblicher Bedeutung, das Permjakov in seiner “Grammatik der Sprichwörterweisheit” (1979/1984) als “Zeichen und Modell typisierter Situationen” analysiert (cit. nach Grzybek 2000, 7). In der Tradition des Moskauer Strukturalismus werden Sprichwörter als sekundäre semiotische Modellbildungen analysiert, wobei bei Permjakov allerdings eine weitgehende Ablösung der sogenannten formbildenden Gruppen, die bei ihm auf logischen Invarianten beruhen, von den Bedingungen der Verwendung stattfindet. Grzybek kommt das Verdienst zu, unter Rückgriff auf die Arbeit Seitels (1972), Permjakovs Modellbildungsansatz pragmatisch reformuliert zu haben. Auf einem primären Signifikationsniveau artikuliert jedes Sprichwort die sogenannte Sprichwortsituation, die an einer literalen Lesart orientiert ist. Auf dem sekundären Signifikationsniveau wird eine Modellsituation artikuliert. Diese satzsemantische Aussagebeziehung ist abstrakt und bildet die Grundlage etwa für die Übersetzung von Sprichwörtern. Diachron ist die Modellsituation Ergebnis der Abstraktion eines Verwendungsschemas aus verschiedenen kontextualen Verwendungen (Interaktionssituationen) (vgl. zusammenfassend Grzy-
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bek 2000, 13ff.). Mit diesem Ansatz erweist sich das traditionelle Forschungsgebiet der Parömiologie als Vorläufer für die aktuelle ‘constructions’-Diskussion. Aufschlussreich ist auch eine von Arora (1995) vorgelegte empirische Studie zur Wahrnehmung der Sprichworthaftigkeit von sprichwortartigen Artefakten, die aufgrund sprichworttypischer semantischer, syntaktischer und phonetischer Merkmale für den Versuch konstruiert worden waren. Hier schnitten zahlreiche Artefakte besser ab als originale Sprichwörter. Die phraseologischen Standardwerke führen unter den Stichworten Modellbildungen und Phraseoschablonen äußerungswertige Muster, z.B. Du, und studieren? ebenso auf wie mögliche Konstituenten z.B. Kopf an Kopf; von Stadt zu Stadt etc. (Burger 1998, 42ff.; Fleischer 1982, 136ff.). In der Regel ist hier die syntaktische Konstruktion oberflächlich an ein spezifisches lexikogrammatisches Element mit Fügungspotential (z.B. Konjunktion, Präposition) gebunden, das allerdings jeweils erst wieder synsemantisch durch die jeweilige Konstruktionsbedeutung interpretierbar wird: z.B. für das Muster von X zu X : von Stadt zu Stadt im Unterschied zu von Woche zu Woche im Unterschied zu von Mann zu Mann. Die semantische Modellierung ist jeweils erkennbar an den Gebrauch rückgebunden. Sie kommt nicht dem syntaktischen Muster an sich zu. Die syntaktische Konstruktion ist pragmatisch oder semantisch geprägt, und zwar in der Regel ohne Aufhebung der Komponentenbedeutungen (vgl. Feilke 1996, 222f.). Dies kann freilich hinzutreten. Die semantischen Bedingungen der Genese einer Modellbildungsfunktion hat Lambrecht (1984) im Kontext der scenes-and-frames-Semantik Fillmores am Beispiel von Zwillingsformeln sehr gut gefasst. Der serielle Aspekt syntaktischer Musterhaftigkeit ist im Kontext der Phraseologie ausgehend von den sogenannten Funktionsverbgefügen wiederholt thematisiert worden (siehe Art. 38). Eine Bestimmung in diesem Sinn findet sich bereits bei Bally, der schreibt: «Il y a série ou groupement usuel lorsque les éléments du groupe conservent leur autonomie, tout en laissant voir une affinité évidente qui les rapproche, de sorte que l’ensemble présente des contours arrêtés et donne l’impression du ’déja vu‘« (Bally 1951, S. 70; Herv. H. F.). Der Aspekt der seriellen Produktivität ist mit Recht zunächst am Beispiel von Kon-
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II. Strukturelle Aspekte der Phraseme/Structural aspects of set phrases
struktionen wie zur Entscheidung kommen/ bringen/stehen oder unter Kontrolle kommen/ bringen/stehen diskutiert worden. Dabei ist schon früh auch die Einschränkung des Konstruktionstyps auf die so genannten Funktionsverben kritisiert worden (v. Polenz 1963, Burger 1987, Eisenberg 1989, 309). Beispiele wie die Initiative ergreifen, Beifall finden, in Gefahr geraten weisen das Merkmal des Seriellen unabhängig vom Vorhandensein eines Funktionsverbs, eines nomen actionis und einer einleitenden Präposition auf, die gemeinhin als FVG definierenden Eigenschaften angesehen werden. Infolgedessen hat sich der Deskriptionsbereich erheblich ausgeweitet (vgl. u.a. Polenz 1987). Im Anschluss an Überlegungen Wotjaks (1994) habe ich von den FVG sogenannte Nominalisierungsverbgefüge wie jmd. Hilfe leisten, jmd. Antwort geben und im weiteren Substantiv-Verb-Kollokationen (SVK) wie die Initiative ergreifen unterschieden (Feilke 1996, 147ff.). Stein (1993) und van Pottelberge (2001) beziehen sich auf eine Obergruppe “verbonominaler Konstruktionen”, bei denen semantisch ein “merkmalarmes” Verb mit einem “merkmalreichen” Abstraktum verbunden ist. Weder das Verb noch das Substantiv liefern allein die Bedeutung des Prädikats. Strukturell geht es um Verb-Akkusativobjekt-Verbindungen (z.B. Lob aussprechen), Verb-Präpositionalobjekt-Verbindungen (z.B. in Anspruch nehmen) oder Verb-Subjekt-Verbindungen (z.B. ein Eingriff erfolgt). Intern ist die Gesamtgruppe durch einen abnehmenden Fixierungsgrad gekennzeichnet. Die Produktivität des Konstruktionstyps steht außer Frage, die Phraseologizität besteht in der mehr oder weniger ausgeprägten arbiträren und konventionellen Selektion aus einem Paradigma möglicher Kollokationspartner z.B. in Anspruch nehmen vs. *in Anspruch ziehen, in Betracht ziehen, zur Rechenschaft ziehen, zur Verantwortung ziehen vs.* zur Verantwortung nehmen; die Initiative ergreifen vs. *die Initiative nehmen etc.
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Neuere Zugänge der Sprachtheorie
In diesem Kapitel geht es um jüngere Theorie- und Forschungsentwicklungen in der Linguistik, die grammatische Musterhaftigkeit als ein relevantes Forschungsproblem ausweisen. Hierfür wird auf die Lexikalisierungsdiskussion, die Grammatikalisierungsdiskussion sowie auf Grundlagen und Konsequenzen der
korpuslinguistischen Forschung eingegangen, die das Problem aus jeweils unterschiedlicher Perspektive aufgreifen. Noch dicht an der Phraseologie liegen zunächst Forschungen zur Lexikalisierung von Syntagmen (Coulmas 1985, Pawley 1986), die aber – etwa in dem einflussreichen Aufsatz von Pawley/Syder (1983) – bereits primär sprachtheoretisch inspiriert sind, indem sie nach dem Status von “nativelike selection und nativelike fluency” für den Begriff der linguistischen Kompetenz fragen. Während im phraseologischen Kontext Lexikalisierung vor allem mit Strukturverlusten (phonetisch, morphologisch, syntaktisch, semantisch, pragmatisch) erklärt wird, löst sich die jüngere Diskussion davon ab. In den Vordergrund rückt das Interesse an arbiträrer und konventioneller Selektion und Kombination: “Many forms are called by the grammar but few are chosen […] Insofar as the selection is not predictable on grammatical grounds, we may say that it is arbitrary, and so, to that extent the standard expression is lexicalized” (Pawley 1986, 112). Dies gilt dann freilich auch für das grammatische Konstruktionsmuster selbst. Entsprechend folgert Coulmas (1985, 265): “Der bei weitem größte Teil des Lexikons besteht aus komplexen lexikalischen Einheiten, inklusive einer sehr großen Zahl lexikalisierter Satzstämme.” Rothkegel (1989) befasst sich mit den Möglichkeiten der Modellierung in diesem Sinne konventioneller polylexikaler Ausdrücke für Zwecke einer automatischen Übersetzung. Im Fokus stehen polylexikale Verbalausdrücke wie: Stoff liefern, Neugier erregen, (k)einen Sinn ergeben, Maßnahmen ergreifen (ebd. 17). Charakteristisch für solcherart lexikalisierte “Kollokationen” sind nach Rothkegel “relative Fixierung des syntaktischen Musters und auf bestimmte Kontexte eingeschränkte Bedeutung einer Teilkonstituenten” (ebd.). Interessant ist Rothkegels Schlussfolgerung: Weil in allen diesen Fällen die Ausdrücke semantisch transparent und kompositionell, überdies auch syntaktisch variierbar sind, sei “die Fixierung der syntaktischen Konfiguration Bedingung für den Bedeutungsaufbau” (ebd. 18). Hier taucht schon früh die in der construction grammar zentrale Hypothese einer unmittelbaren Form-Inhalt-Zuordnung auf. Auch genuin illokutive Potentiale können über spezifische syntaktische Realisierungsformen lexikalisiert werden. Ein Zugang zu diesem Sachverhalt ergibt sich theoretisch im
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Syntaktische Aspekte der Phraseologie III: Construction Grammar und verwandte Ansätze
Anschluss an Grice’ Theorie konversationeller Implikaturen. Grice unterscheidet von konversationellen Implikaturen, welche auf der Basis von Kommunikationsmaximen gesteuerte, situativ abhängige und individuell inferentielle Größen sind, die so genannten konventionellen Implikaturen. “Sie werden nicht mittels pragmatischer Prinzipien und kontextuellen Wissens kalkuliert, sondern vielmehr durch Konvention gegeben.” (Levinson 1994, 130) Levinson diskutiert das Beispiel Du bist der Professor vs. Sie sind der Professor. Die Verwendung des Personalpronomens Sie zeige, “einem einzelnen Adressaten gegenüber gebraucht, konventionell, aber nicht wahrheitsfunktional an, daß der Adressat dem Sprecher gegenüber entweder gesellschaftlich distanziert oder überlegen ist” (ebd. 131). Er verweist auf entsprechende Grammatikalisierungen in vielen fernöstlichen Sprachen (vgl. hierzu Haase 1994). Nach Levinson wirft das Konzept der konventionellen Implikatur verschiedene wichtige Fragen über die Strukturierung einer Grammatik auf, denn hier sei “die Syntax in bezug auf die Pragmatik nicht autonom, ein Postulat, das die meisten Linguisten ablehnen würden” (ebd. 132). Fritz (2002, 191f.) diskutiert Beispielsätze, mit denen man im Deutschen Vorschläge machen kann, unter dem Aspekt eingeschränkter Kompositionalität. Z.B. Wir könnten doch mit dem Fahrrad fahren oder Könnten wir nicht mit dem Fahrrad fahren? Sie folgen dem Muster: Modalverb im Konjunktiv (könnten), Modalpartikel und Satzart (doch + Verbzweitsatz, nicht + Verberstsatz). “Diese Kombinationen signalisieren konventionell den Vorschlagscharakter der Äußerung” (Fritz ebd.). Empirisch sind syntaktische konventionelle Implikaturen dieser Art so zahlreich, dass sie hier kaum deskriptiv behandelt werden können. Eine ausführliche theoretische Diskussion eines solchen Beispiels habe ich in einer Auseinandersetzung mit Manfred Bierwisch in Feilke (1994, 315ff.) anhand des deiktischen Ausdrucks Hier ist X vorgelegt. Die neuere Grammatikalisierungsforschung bildet einen weiteren eigenständigen Zugang zur grammatischen Musterbildung. Sie nutzt dafür die Grice’schen Vorüberlegungen. Kern des Ansatzes ist die Überlegung, dass grammatische Formen sich durch ein Abblassen lexikalischer Bedeutung und die kontextuelle Umdeutung bestimmter Komponenten aus
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syntagmatischen Konstruktionen bilden und in der Folge das entsprechende syntagmatische Muster die grammatische Information trägt. Diewald (1997, 57) zitiert z.B. folgende Beispiele Luthers, die in ihrer Sukzession die diachrone Umdeutung des Temporaladverbs weyl zur Konjunktion dieweil/weil belegen: 1) Weyl die paten das kind noch hallten ynn der tauffe, sol yhm der priester die hauben auffsetzen. 2) Dieweil Mose seine Hände emporhielt, siegete Israel. 3) Ihr wisset um der Fremdlinge Herz, dieweil ihr auch seid Fremdlinge in Ägyptenland gewesen. Beispiel 1 ist eindeutig temporal, Beispiel 2 erlaubt konversationell eine kausale Inferenz und in Beispiel 3 ist die kausale Inferenz bereits konventionell impliziert. Diewald weist darauf hin, dass die Umdeutung aus mehrdeutigen, von ihr so genannten “kritischen Kontexten” erwächst, in denen die neue Deutungsoption metonymisch an eine spezifische syntagmatische Konstellation gebunden ist: “Auffällig ist, dass die Grammatikalisierung von weil von einem bestimmten Syntagma, einer bestimmten sprachlichen Konstruktion (von di wile daz) ausging” (ebd.). Es sind nach der Theorie Diewalds stets spezifische Konstruktionen in spezifischen Kontexten, die eine Lesart-Ambiguität (siehe Beispiel 2) tragen, und aus denen die neue, stärker grammatikalisierte Variante hervorgeht, wobei die spezifischen Bedingungen dafür hier nicht erörtert werden können (vgl. z.B. Diewald 2001). Von hier aus ergibt sich auch ein enger Zusammenhang mit den zahlreichen Diskussionen zum Verhältnis von Polysemie und Musterbildung (vgl. z.B. Nemoto 1998). Diachron handelt es sich dabei um Reanalysen, die zur Etablierung neuer grammatischer Konstruktionen führen wie in dem bekannten Beispiel Behaghels Ich sehe das. Er kommt. versus Ich sehe, dass er kommt. “Die zunächst freie, pragmatisch in aktuellen Kommunikationsbedürfnissen begründete Anordnung der Zeichen im Diskurs, also in der Rede, wird überführt in geregelte syntaktische Strukturen” (Diewald 2000, 35). Hier ist freilich die semantische Umdeutung auf der Grundlage einer konversationellen Implikatur nicht mehr notwendige Voraussetzung. Es geht um die konstruktionelle Reanalyse eines sympraktischen (demonstratives Pronomen) Elements als synsemantisches Element (Konjunktion). Die Reanalyse wird in dem Maße erleichtert, in dem die sympraktisch deiktische Bedeutung – etwa bei mentalen Verben
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II. Strukturelle Aspekte der Phraseme/Structural aspects of set phrases
– verblasst. Das Erkennen des neuen Elements i.S. einer Konjunktion ist dabei offenkundig an das Erkennen der Konstruktion als Ganzes (Satzkomplement) gebunden. Grammatikalisierung als Faktum des Sprachwandels bedeutet synchron, dass grammatische Konstruktionen als Ganze in der Kompetenz verfügbar sind. Diese Perspektive fasst Paul Hopper in seinem Beitrag “Emergent Grammar” wie folgt: “The forms of language are to be seen as embedded in formulaic constructions that are basically prefabricated but repeated with local variations, one variation splitting off and founding a new family of constructions” (Hopper 1998, 165).
Einen sehr starken Impuls hat die Diskussion zu grammatischer Musterhaftigkeit und grammatical constructions schließlich auch durch das Erstarken der Korpuslinguistik erfahren. Als Pionierarbeit in diesem Kontext kann John Sinclairs “Corpus, Concordance and Collocation” (1991) gelten. So kommt Sinclair nach einer detaillierten Analyse der Konkordanzen zum Lemma yield inkl. weiterer Formen wie yielding, yielded, yields zu dem Ergebnis, dass Bedeutungsunterschiede hochgradig konventionell an spezifische Kontexte im Zusammenhang mit der Verwendung in bestimmten syntaktischen Konstruktionen gebunden sind. Drei Hauptbedeutungen des Lemmas (1. nachgeben, 2. zu etwas führen, 3. erzeugen/Erzeugnis) koinzidieren deutlich mit einer intransitiven Verbform, einer transitiven Verbform und der Verwendung als Nomen). Vorsichtig formuliert er eine Erkenntnis, die sich im Fortgang der korpuslinguistischen Forschung der vergangenen 15 Jahre immer weiter durchsetzt: “It seems that there is a strong tendency for sense and syntax to be associated” (Sinclair 1991, 65). Der Erkenntnisweg steht dabei nur einem empirischen Verfahren offen, das große Zahlen empirischer Konstruktionen untersucht und vergleicht: Die Konkordanzen zu einzelnen Lexemen bzw. Funktionswörtern (z.B. auch phrasal verbs, vgl. Sinclair 1991, 67ff.) zeigen in der Analyse, dass typische Verwendungen und “senses” arbiträr und konventionell mit bestimmten syntaktischen Konstruktionen einhergehen. Zugleich zeigt sich dabei, dass von den morphologisch und syntaktisch möglichen Verwendungen stets nur eine Auswahl im Gebrauch ist und pragmatisch sinnvoll ist. Die Konstruktionsmöglichkeiten sind im Sinne einer abgestuften Typik der Verwendung geordnet (ebd. 105f.).
Im Unterschied zu einer auf die Konventionalisierung von Implikaturen zurückgehenden Grammatikalisierung von Konstruktionen, die als Konstruktionen auch semantisch geprägt sind, steht hier zunächst häufig der Aspekt des geprägten Produktionsmusters im Vordergrund. Im Anschluss an Makkai (1972) habe ich solche Formen in Feilke (2004, 53ff.) als Produktionsidiome charakterisiert. Mukherjee (2002) erörtert den korpuslinguistischen Zusammenhang im Kontext einer “usage based cognitive grammar”, die sich an theoretischen Prämissen Langackers orientiert. In einer detaillierten Analyse des Gebrauchs von “give” zeigt Mukherjee, dass präferierte, frequente Gebrauchsmuster erstens kognitiv hochgradig durch spezifische pragmatische Kontexte motiviert sind und zweitens die “pattern selection” an allgemeinen Präferenzen der Linearisierung von Konstituenten orientiert ist. Ausgehend von einem Grundmuster (Subjekt, Verb, direktes und indirektes Objekt), das als ‘default case’ gesetzt wird, bilden sich Gebrauchsmuster i.S. einer abgestuften Typik aus. So werden etwa optionale Elemente des syntaktischen Rahmens aus pragmatischen Gründen ausgelassen, z.B. das direkte Objekt, wenn der Referent vorerwähnt ist, das indirekte Objekt, wenn der Rezipient irrelevant ist oder das logische Subjekt ´by-agent´ bei Passiv-Verwendung. Weitere kognitive Motive prägen die Konstruktionen, etwa wenn das Belebtere am Konstruktionsanfang steht oder nach dem Gesetz der wachsenden Glieder relevante Informationen ans Satzende rücken usw. Die Frequenz der Muster spiegelt in diesem Sinn rekurrente Gebrauchsmotive und führt zum kognitiven “entrenchment” (Einwurzelung) (ebd. 96) der entsprechenden grammatischen Konstruktionen. Altenberg (1998) akzentuiert einen weiteren Aspekt. Er plädiert für eine Sicht, nach der “recurrent clause element sequenzes can be regarded as a series of overlapping and interlocking options that are utilized again and again by speakers in ongoing discourse” (ebd. 115). Auf der Grundlage korpuslinguisischer Daten aus dem London-Lund-Corpus skizziert er ein “stitching model of discourse production” (ebd. 116), nach dem in der Sprachproduktion großenteils vorgefertigte Phrasen kombiniert werden. Unter Rückgriff auf Theorieelemente der funktionalen Satzperspektive entwickelt er ein Strukturschema für die Textfunktionen von Phrasen (vgl. ebd. 111). Korpuslinguistisch analysiert er die Ver-
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Syntaktische Aspekte der Phraseologie III: Construction Grammar und verwandte Ansätze
teilung der überlappenden Strukturen. Das Ergebnis wird in der folgenden Grafik wiedergegeben. Type Frame Onset Stem Rheme Tail Transition
Clause element sequences L D D S S V V O O A A L
n 108 155 845 20 13 13
Note:A = adverbial; D = discourse item; L = linking word; O = object; S = subject; V = verb element
Grafik 8.1: Most common clause element sequenzes (Altenberg 1998, 115)
Werden nun die Strukturpositionen dieses Modells besetzt, so ergeben sich trotz des – wegen des Frequenzkriteriums- geringen Anteils lexikalischen Materials plausible Sequenzen wie: “but I mean are you going to do it at all/because you see I don´t want to see you at the moment/and you know we´ve got to do so you know really” (ebd. 116). Das Erstarken der Korpuslinguistik steht in engem Zusammenhang mit der neueren Entwicklung der Computerlinguistik. Sowohl hinsichtlich der Deskription von Korpora als auch hinsichtlich der Simulation der Textverarbeitung und ihrer Bedingungen führt die Computerlinguistik zu eigenständigen grammatischen Modellen, in denen heute grammatische Musterhaftigkeit eine herausragende Rolle spielt. Die einschlägigen Grammatiken werden als usage-based, experience-based, exemplar-based, memory-based attribuiert. Sailer (2004, 216) resümiert ganz im Sinn von Altenbergs “stitching model”: “Gemeinsam ist diesen Vorschlägen, dass Eigenschaften der tatsächlichen sprachlichen Erfahrung eines Sprechers für den Sprachaufbau als zentral erachtet werden, wohingegen die Rolle von abstrakten, allgemeinen Regeln als recht gering eingeschätzt wird. Im reinsten Fall eines solchen Ansatzes gibt es gar keine abstrakten Regeln, sondern lediglich eine Menge von ‘Beispielsätzen’. Neue Sätze werden dann entweder aus Bestandteilen dieser Beispielsätze zusammengesetzt oder in Analogie zu ihnen gebildet. Diese Ansätze haben sich in praktischen computerlinguistischen Aufgaben als sehr erfolgreich erwiesen.” Der korpuslinguistische Zugang stellt die sprachtheoretische Relevanz solcher Überlegungen und entsprechender Sprachproduktionsmodelle eindrücklich unter Beweis.
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Der “construction approach”
Das Spektrum der jüngeren Diskussion zu dieser Forschungsrichtung kann hier nicht entfaltet werden. Ich stelle übergreifende Grundannahmen des Ansatzes kurz vor und referiere einige für das Forschungsinteresse der Phraseologie exemplarische Fälle grammatischer Konstruktionen. Die Entwicklung der construction grammar nimmt explizit Bezug auf den Konstruktionen-Begriff in der traditionellen Grammatik und grenzt ihn ab von einer regelorientierten Grammatikschreibung: “The overarching claim is, that the proper units of a grammar are more similiar to the notion of construction in traditional and pedagogical grammars than to that of rule in most versions of generative grammar.” (Fillmore et al. 1988, 501) Entsprechend fällt zunächst auch die Definition der Grammatik einer Sprache aus: “The grammar of a language can be seen as a repertory of constructions, plus a set of principles which govern the nesting and superimposition of constructions into or upon one another” (Fillmore 1988, 37). Soweit es um ein ´repertory´ geht, ist damit weitestgehend der lexikalische Aspekt der Sprache angesprochen: “The entire language is captured by an extended lexicon, or ‘constructicon’” (Goldberg 1998, 205). Übergreifend charakterisiert Kay (1997, 123ff.) den Ansatz in Abgrenzung zu anderen grammatiktheoretischen Orientierungen als nichtderivationell, monostratal und oberflächenorientiert. Vom Typ her sei die construction grammar eine Unifikationsgrammatik, die sprachliche Informationen verschiedener Art (phonolog. morphosyntakt., syntakt., semantisch pragmatisch) über Merkmalbeschreibungen strukturbezogen integriert zusammenfasse. Eine zentrale Hypothese der Theorie ist, dass grammatische Formunterschiede unmittelbar Bedeutungsunterschieden und pragmatischen Differenzen entsprechen und umgekehrt. “Construction grammar places great emphasis on the fact that probably any of the kinds of information that have been called ‘pragmatic’ by linguists may be conventionally associated with a particular linguistic form and therefore constitute part of a rule (construction) of grammar” (Kay 1997, 123). Diesen allgemeinen Aussagen zum Grammatiktyp steht eine Reihe gleichfalls übergreifender wichtiger begrifflicher Bestimmungen zu den ‘constructions’ selbst zur Seite, auf die ich im Folgenden eingehe:
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II. Strukturelle Aspekte der Phraseme/Structural aspects of set phrases
Constructions sind, wie bereits angedeutet, ´form-meaning-pairings´. In ihrem inzwischen klassischen Aufsatz zu grammatical constructions legen Fillmore, Kay und O´ Connor (1988, 504) zunächst einen weiten Begriff von Idiomatizität zugrunde, der das Spektrum derjenigen Ausdrücke und Ausdrucksweisen umfasst, die sowohl verstehenseitig als auch produktionsseitig nicht von Lexikon und Syntax alleine her prädiktabel sind. Constructions sind idiomatisch in dem Sinn, dass “something about their form and meaning is not strictly predictable from the properties of their component parts or from other previously established constructions” (Goldberg 1995, 4). Dabei kann es sich um phrasale Muster ebenso handeln wie um Lexeme. Die Trennung zwischen Syntax und Lexikon im Sinne eines Teils genereller Regeln einerseits und einer Menge kategorial strukturierter konventioneller Symbole andererseits wird aufgegeben. Syntaktisch sind grammatical constructions über ihre ‘interne Syntax’ und ihre ‘externe Syntax’ charakterisierbar (vgl. Fillmore et al. 1988, 508ff.). Die externe Syntax betrifft den syntaktischen Verwendungsrahmen, i.e.S. den Verwendungskontext der Konstruktion. Die interne Syntax betrifft den Umstand, dass häufig eine syntaktische Struktur vorliegt, die, von außen betrachtet, idiosynkratisch ist, konstruktionsbezogen betrachtet, aber hochgradig regelhaft ist. Grammatical constructions können ihrerseits aus constructions aufgebaut sein oder werden. Semantisch sind die Verwendung und das Verstehen von constructions im Sinne einer Figur/Grund-Relation schemabezogen. Lakoff (1987, 290ff., 462ff.) sieht als ‘Grund’ so genannte “idealized cognitive models” (ICMs), deren Ausdifferenzierung er am Beispiel von unterschiedlichen there-constructions verfolgt. Fillmore et al. (1988) und Kay (2004) sehen als ‘Grund’ ein “scalar model” vernetzter Propositionen, das am Beispiel der Konjunktion ‘let alone’ expliziert wird. Goldberg (1995) sieht als ‘Grund’ der Konstruktionen ‘scenes’ mit abstrakten Handlungspartnern und Handlungsrelationen im Sinne der Semantik Fillmores, die sie am Beispiel verbaler Satzrahmen (argument-constructions) untersucht. Pragmatisch zeichnen sich constructions durch ihre potentielle illokutionäre Kraft aus. Dabei beruht ihr Funktionieren primär auf konventioneller Implikatur und nicht auf
“conversational reasoning” (Kay 1997, 124). Über die externe Syntax sind constructions an spezifische Kontexte der Verwendung rückgebunden. Grammatical constructions stehen untereinander in dynamischen Beziehungen: Sie sind Grundlage für die Bildung neuer konkreter Ausdrücke “A construction is a schema or template, which captures what is common to a range of expressions, and which, at the same time, sanctions the creation of new expressions of the respective type” (Taylor 1998, 177). Für Goldberg (1995) bilden die constructions einer Sprache ein Netzwerk, das durch so genannte “inheritance links” beschrieben werden kann (polysemy-, subpart-, instance-, metaphorical links) (ebd. 74ff.). Sie folgt hier Lakoff, für den eine construction in dem Maße motiviert ist, wie sie Merkmale einer anderen construction erbt. Dabei sind die constructions nach Taylor (1998) wiederum im Sinne einer Typik geordnet, wobei zentral die das Muster bildende so genannte “sanctioning construction” (Taylor 1998, 188) steht. Ich stelle im Folgenden kurz drei gänzlich verschiedene Typen von constructions vor, an denen jeweils die allgemeinen und spezifischen Merkmale deutlich werden können. Die “Incredulty-Response-Construction” (IRC): Die Form ist aus der Phraseologie unter dem Stichwort Phraseoschablonen bekannt und wird mit Beispielen wie Du und studieren?!, Mein Bruder und großzügig?! etwa bei Fleischer (1982, 138ff.) diskutiert. Fillmore et al. (1988, 511) diskutieren Fälle wie diese als typisch für so genannte ‘formal idioms’. In einem einschlägigen Aufsatz diskutiert Lambrecht (1990, 215ff.) im Englischen und im Deutschen Fälle wie What, me worry?/Ich und mir Sorgen machen?!, My boss give me a raise?!/Mein Chef und mir eine Gehalterhöhung geben?!, Him wear a tuxedo?!/Der und einen Smoking anziehen?! Exemplarisch deutlich wird an diesen Konstruktionen das Verhältnis von interner und externer Syntax: “While the internal syntax of the two major constituents ist trivial, their external syntax is a unique feature of this particular construction” (ebd. 220). Die Konstituenten, z.B. mein Chef und mir eine Gehaltserhöhung geben sind unauffällig, die Kombination ist idiosynkratisch. Das syntaktische Muster ist nach Lambrechts Analyse “directly paired with a specific discourse function” (ebd.). Motiviert ist die Struktur
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Syntaktische Aspekte der Phraseologie III: Construction Grammar und verwandte Ansätze
durch die Extrapositionierung eines in diesem Fall nominalen topic, das in einer “context proposition” unmittelbar vorerwähnt sein muss (Chef) und der Kombination des Topic mit einem Aussagenzitat, das in der Nennform vorgestellt wird. “Since what prompted the use of the IRC was the controversial pairing of the argument and the predicate in the contextproposition, it is also natural … that the IRC should have the syntax of a conjoined coordinate structure whose conjuncts are the argument and the predicate of the context proposition” (ebd. 221). Die externe Syntax der IRC ist bestimmt durch die Trias a) context-proposition b) IRC c) follow-up-proposition. Letztere hat comment-Funktion, und wird durch den zweiten Teil des folgenden Beispiels Der und einen smoking anziehen?! Du hast sie wohl nicht alle! belegt. Die Konstruktion, deren Strukturformel anzugeben und zu erläutern ich mir hier erspare (ebd. 222), ist, wenngleich irregulär, hochgradig produktiv. Sie erbt zugleich Komponenten einer allgemeineren Konstruktionsfamilie, die Lambrecht (ebd.) als “Unlinked-Topic-Construction” bezeichnet und die verschiedene Formen der Extrapositionierung von topics im Diskurs zur Verfügung stellt. Klassisch geworden ist die Analyse der Konjunktion let alone als grammatical construction (Fillmore et al. 1988). Die let-alone-construction interessiert die Autoren als semiautonome grammatische Konstruktion, die einerseits Eigenschaften mit einer großen Zahl weiterer ähnlicher Konstruktionen teilt, andererseits Eigenschaften aufweist, die “unique to this particular familiy of expressions” sind (ebd. 511). Als Beispiel zitieren Fillmore et al. (1988, 512) folgende Situation: “A: I Know, that Louise is a picky eater, but I bought the kids some squid for dinner. B: I doubt you could get Fred to eat shrimp, let alone Louise squid.”
Die Konstruktion gehört syntaktisch zur Familie der “Paired-Focus-Constructions”. Die Konjunktion koordiniert – mit prosodischem Fokus- zwei grammatisch äquivalente Konstituenten, wobei die der Konjunktion vorausgehende Konstituente grammatisch wohlgeformt ist und die nachfolgende Konstituente als Satzfragment realisiert wird. Die Konstruktion braucht extern einen affektiven context sentence (hier die Äußerung von A), der als “negative polarity trigger” dienen kann
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und im Satzfragment aufgegriffen werden muss. Der let alone-Satz wird semantisch als skalares Modell interpretiert, wobei zwei Punkte in einem Kontinuum von Bedingungen zu einander in Beziehung gesetzt werden. Let alone markiert dabei das “negative polarity item”. Das abstrakte Schema der semantischen Interpretation von let-alone –Sätzen kann paraphrasiert werden als: Welchen Grund auch immer man hätte zu glauben, dass A (erste Proposition), es gibt stärkere Gründe zu glauben, dass B (Fragment). Pragmatisch hat die Form unmittelbare illokutionäre Kraft: Sie weist die Kontextproposition zurück, auf die mit der Proposition B noch einmal referiert wird und sie verstärkt diese Zurückweisung zusätzlich durch die Zurückweisung einer auf der implizierten Skala niedriger einzuschätzenden Bedingung in A. Die detaillierte Analyse des Beispiels kommentieren die Autoren wie folgt: “A language can associate semantic information with structures larger than elementary lexical items and can associate semantic interpretation principles with syntactic configurations larger and more complex than those definable by means of simple phrase structure rules” (ebd. 534). Als letztes Beispiel greife ich sogenannte “argument-structure-constructions” auf. Sie spielen in der aktuellen Auseinandersetzung mit alternativen Grammatikmodellen die wichtigste Rolle. Hier gehört keinerlei lexikalische oder auch überhaupt phonologische Substanz zur Definition der Form. Prominent geworden ist die Untersuchung von Goldberg (1995). Nach Goldberg denotieren constructions scenes oder auch “conceptual archetypes” (Langacker), die grundlegend für menschliche Erfahrungen und damit “semantisch privilegiert” sind (“Scene Encoding Hypothesis”, ebd. 39ff.). Solche scenes sind z.B.: “someone did something to someone, something moved, someone caused something to change state, someone experienced something, someone possessed something” (ebd. 66). Zu unterscheiden ist dabei zwischen einem “basic/ central sense” und verschiedenen “related senses” (“constructional polysemy”, ebd. 31ff.). Die verschiedenen Bedeutungen von constructions stehen in Verbindung mit bestimmten Verbgruppen, wenngleich einige Verben auch im Rahmen diverser constructions auftauchen können. Die Verben selbst lie-
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II. Strukturelle Aspekte der Phraseme/Structural aspects of set phrases
fern reichere semantische Hintergrundinformationen als die constructions (ebd. 27ff., 40f.). Teil der Bedeutung von Verben sind die assoziierten “participant roles”: “slots in the rich semantic representation of predicates” (ebd. 110), Teil der Bedeutung von constructions die assoziierten “argument roles”: “slots in the semantic representation of particular constructions” (ebd. 110). Durch diese begriffliche Unterscheidung soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass constructions sehr generelle Rollen festlegen (“such als agent, patient, goal” (ebd. 43), während Verben spezifischere Rollen festlegen, die “instances of the more general argument roles” sind (ebd. 43). Verben “profilieren” participant roles (ebd. 44ff.). Constructions “profilieren” demgegenüber argument roles (ebd. 48ff.), wobei diejenigen argument roles als profiliert gelten, die mit direkten grammatischen Relationen (SUBJ, OBJ, OBJ2) verbunden sind. Verben werden verschiedenen Ereignistypen zuweisbar, deren Semantik nicht vom Verb, sondern von der construction bestimmt ist. Goldberg kann mit diesem Zugang u.a. ungewöhnliche Verbverwendungen erklären, z.B. John sneezed the napkin off the table. Obwohl das Verb to sneeze intransitiv ist, kann es hier transitiv im Sinne des Ereignistyps einer “caused motion” verwendet werden. Im Hintergrund steht dabei eine “caused motion construction” (CMC), wie sie auch anderen Sätzen zugrunde liegt, wobei im Folgenden jeweils typische Verben zur Anwendung kommen: Ann put the book on the table. Fred drove the car into the ditch. Joane threw the ball over the wall. Bill mailed the letter to his mother. Die typische Struktur der CMC ist: [NP1 – V – NP2 – PP]. Das abstrahierte semantische Schema der Konstruktion ermöglicht die Vererbung der Form wie der Semantik auch bei der Verwendung von Verben, die nicht mehr zum Ereignistyp passen: Sam wrote his son out of his will. Gerald drank us all under the table. Henry argued himself into a corner (vgl. Taylor 1998, 195). Der Ausdruck der Verursachungsrelation bleibt also nicht an die Verbsemantik gebunden, sondern diese wird von der Konstruktionssemantik entsprechend dem kontextualen Sinn geprägt. Eingangs dieses Forschungsberichts hatte ich das mögliche Aufkommen eines panphraseologischen Sprachkonzepts angedeutet. Die jüngste Entwicklung der Diskussion innerhalb des construction approach zeigt, dass
hier ein empfindlicher Punkt in der Sprachtheorie angesprochen ist. Als einer der maßgeblichen Initiatoren und gleichzeitig derjenige, der die Formalisierung der Beschreibung von constructions am intensivsten betrieben hat, plädiert Kay (2002) mit Vehemenz für eine Unterscheidung zwischen “constructions” und “patterns of coining”. Erstere sieht er als Gegenstand der Grammatik, coinings (Prägungen) dagegen nicht. Sie seien “lexically restricted expressions … which are not systematically productive” (ebd. 11) “Patterns of coining are not predictive of grammaticality” (ebd. 15). Ihre Verwendung und ihr Verstehen erfordere ein von der sprachlichen Form unabhängiges Wissen. Er warnt davor, die eingeforderte Unterscheidung in der Diskussion aufzugeben, denn damit begebe man sich der für den Begriff der Grammatik entscheidenden Methode, der “prediction of grammaticality as a key method in empirical grammatical study” (ebd.). Nach meinem Verständnis meint er hier weniger die Methode als das Kriterium der Wohlgeformtheit, das er in Gefahr sieht, wenn formbezogenes Wissen und spracherfahrungsabhängiges Wissen nicht scharf unterschieden werden. Der construction approach allerdings steht m.E. für einen Ansatz, der diese Trennung im Sinne einer strikten kategorialen Grenze theoretisch aufhebt. Darin liegt auch das Neuerungspotential für die grammatische Theorie.
6.
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Helmuth Feilke, Gießen (Deutschland)
III.Semantik der Phraseme/Semantics of set phrases 8. The problem of the metalanguage 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.
Existing senses of the term “metalanguage” Semantic metalanguage Features of metalanguage elements Parameters of the vocabulary of metalanguage Declarative vs. procedural metalanguages Completeness of semantic description Depth of semantic description Syntax of semantic metalanguage Semantic metalanguage in phraseology Conclusion Select bibliography
1.
Existing senses of the term “metalanguage”
In linguistics, logic and semiotics, the notion of metalanguage has different interpretations. Usually metalanguage is understood as a system of signs, which is used for description and interpretation of another language – the object language. Applying metalanguage to the object language allows us to create conceptual models which can be used for analysis of an object of scientific research. A conceptual model makes it possible to ontologize a given phenomenon through introduction of the corresponding concept into the world model, which presupposes agreement of the new concept with already existing notions and conceptual representations. In this sense, metalanguage can be considered to be an important instrument of cognitive modeling. In accordance with the famous thesis of Roman Jakobson “the meaning of any linguistic sign is its translation into some further, alternative sign, especially a sign in which it is more fully developed” (Jakobson 1966, 274). In other words, the essence of any linguistic research is using many-stage procedures to rewrite the object language expressions with signs of metalanguage. The term “metalanguage” has two main senses in linguistic, philosophical and logical studies: the inclusive and the exclusive sense. In the inclusive sense, any natural language is a combination of the object language and the metalanguage, in terms of which we can speak about the object language (Curry 1963). From this point of view, semantic metalanguage will contain such expressions as meaning, sense, denotation, signification, ut-
terance, presupposition, synonymy, polysemy, phoneme, morpheme, contradiction etc.; cf. the sense of metalanguage in Philosophy of grammar by Reichenbach (McMahon 1976). In the second – exclusive – sense, the metalanguage is in a true opposition to the object language; there is a contradictory opposition between them. From this point of view, metalanguage forms an autonomous semiotic system. In this case, any element of metalanguage should be interpreted and explained specially: for expressions such as sentence, accent, and word, special explications, which can be done in a form of metalanguage representation, are needed. For instance, in the field of grammatical modeling, many grammatical categories were redefined; cf. redefinition of categories such as “case”, “grammatical gender”, “number” etc. in Zaliznjak (1973). In Wierzbicka, for example, the category of presupposition can have the following metalanguage representation: Sentence S has presupposition P = ‘Thinking, that you know P, I say S’ (Wierzbicka 1969). In the inclusive sense, metalanguage is a part of a language as a whole, and there is no strict distinction between the object language and the metalanguage. Therefore, words in corresponding contexts such as meaning, sense, utterance, synonymy and contradiction are simultaneously part of the natural language and part of the metalanguage used by scientists in linguistic descriptions. With the inclusive interpretation, the term “metalanguage” corresponds to the notion of terminology. The development of its own specific metalanguage is needed for any area of language which functions in a level or any other theoretical model. Within phonetics and phonology, morphology, syntax, semantics and pragmatics, metalanguages are created which can be used for description of the relevant phenomena of language and speech.
2.
Semantic metalanguage
If an object under consideration is the plane of content of natural language expressions (in
78
particular, phrasemes), then it is necessary to use representations consisting of elements of semantic metalanguage. Expressions of semantic metalanguage must convey the essential features of the meanings of the object language expressions. In the ideal case, the semantic representation completely and truly reflects the content of the object language and its expressions. This important postulate can be called the hypothesis of correct mapping of content in semantic representation. The hypothesis of correct mapping allows equalization of the content of object language expressions with the description of this content in the semantic metalanguage. Sometimes the sign of approximate equality (≈) is put between an object language expression and its semantic representation. This means that the semantic representation only completely and truly reflects the content of the object language expression in the present stage of contemporary semantic theory or in relevance to a specific applied goal. Such a theoretical position is typical for linguists working in the field of Generative and Interpretative Semantics, or working on the model “Meaning ↔ Text”, as well as for the creator of the Lingua Mentalis, Wierzbicka, and her followers. There are tendencies to create a universal metalanguage for the description of semantic phenomena at different levels of the language system: meaning of words, meaning of sentences, semantics of grammatical categories, semantics of phrasemes, metaphors etc. For instance, the metalanguage of the “integral description of semantics” developed in the Moscow semantic school (by Apresjan and his colleagues) and the metalanguage of semantic primitives developed by Wierzbicka are supposed to be such universal languages. In modern linguistics – and most of all, in linguistic semantics – metalanguage is usually understood in exclusive interpretation. The exclusive interpretation allows consideration of metalanguages as formal systems and usage of semantic representations in computational models of the language system. The basis of any metalanguage includes two main components: (i) the initial alphabet of elements or units (vocabulary of metalanguage) and (ii) the allowed rules for the generation of well-formed metalanguage formulae (expressions) from initial elements.
III. Semantik der Phraseme / Semantics of set phrases
3.
Features of metalanguage elements
Usually, some restrictions are imposed on elements of metalanguage. The first restriction is the structural requirement (S-requirement), according to which the amount of metalanguage elements should be less then the amount of elements in the object language. The S-requirement is fulfilled in componential analysis, during which the semantics of object language expressions is described as a set of semantic elements without relations between them. Analysis of this kind provides explications for words using only a few semantic components. Thus, the semantic representation of husband is an unstructured set of semantic components {‘animate’, ‘male’, ‘adult’ and so on} (Bendix 1966; Nida 1974; Seliverstova 1975). The observance of the Srequirement makes it possible to reflect upon the important differences between the expressions of the object language. This can be done through comparison of their explications in semantic metalanguage (occurrence of one and the same element in semantic representations of different words etc.). The S-requirement forms a basis for a non-contradictory description of integral and differential aspects of word meaning. The integral part of meaning includes components common for words from the same semantic field, whereas the differential part of meaning includes those components which are specific for each of the semantically similar words. In addition, the Srequirement makes the avoidance of logical circles in semantic definitions possible. The structural organization of a metalanguage (in the sense mentioned above) has some undesirable consequences, e.g. difficulties in understanding semantic explications, i. e. meaning definitions. Another restriction imposed upon semantic metalanguages is the requirement of simplicity of its elements. The requirement of simplicity (SM-requirement) is connected with the S-requirement and, in a certain sense, is derived from it. From a semantic point of view, according to the SM-requirement, elements of metalanguage should be simpler than the object language expressions. It is clear that one of the most important goals of semantic representation by means of a metalanguage is to explicate the meaning of object language expressions. Supporters of the positivist ideal of scientific analysis claim that the explication divides the explicandum into simpler components. In the ideal case, such “sim-
8.
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The problem of the metalanguage
pler components” should be self-evident. The only way we can use semantic metalanguages as an instrument for explication of semantic structure of words, sentences and even texts is in such a theoretical framework. Such an approach has proven itself not only in the theory of semantics, but also in the field of applied linguistics: in computational modeling of intellectual human behavior. In particular, the SM-requirement provides the algorithmization of procedures such as the generation of logical inferences from a text, searching for information in a text, analysis of text contradictions etc. Nevertheless, we cannot consider the SMrequirement to be a universal instrument of explication of meaning. If the linguist follows the SM-requirement without exceptions and divides the meaning of a given word into elementary building blocks, he or she increases the number of components in the definition and, consequently, complicates its syntax. The complexity of syntax of semantic explications caused by the SM-requirement can be illustrated by the following example from Wierzbicka (1996, 23): X is Y’s mother: At some time before now, Y was very small At this time Y was inside X’s body, Y was like part of X Because of this, people can think something like this X wants to do good things for Y X doesn’t want bad things to happen to Y
A way to avoid abnormal complexity of definitions due to the SM-requirement is by using the requirement of relative simplicity, according to which not maximal, but relative simplicity of definition components in comparison with the explicandum is needed (cf. Apresjan 1980). The relationship between the syntax of a definition and the complexity-simplicity of its components has a principal characteristic. This relationship is valid in any direction: more complexity of components of the definition (of course, without violation of the S-requirement) provides the simplification of syntax up to the coincidence of explicata with the explicandum. This effect illustrates the complementarity principle of syntax and semantics in semantic metalanguages. In other words, since in nature, matter cannot disappear, it is impossible to achieve absolute explication of meaning. Using semantic metalanguage for division of the meaning of a lin-
guistic expression, we gain the simplicity of components of the explication and lose its syntax. A researcher need only decide which way is better to solve a given problem. Another problem of metalanguages, due to the implementation of the SM-requirement, is the nature of elementary semantic elements: these elements can only be defined on the basis of the analysis of the lexicon in general and, maybe, of lexicons of several languages. Therefore, on the current level of semantic theory, the semantic primitives of all existing metalanguages can be considered to be more or less insightful heuristics. Semantic metalanguages can be classified on the basis of different parameters. In section 4, some important parameters of semantic metalanguages are discussed.
4.
Parameters of vocabulary of metalanguage
The first parameter of classification is the number of elements in a metalanguage. At first, this parameter seems rather formal, but it gives very important information about the content characteristics of the metalanguage. The number of primitives in semantic metalanguages varies from 13–60 elements in Wierzbicka’s Lingua Mentalis up to several hundred semantic elements and relations in computational models of text understanding. Metalanguages for description of syntacticsemantic relations vary in this way as well. For instance, Fillmore’s Case Grammar has seven deep cases; the set of valences and grammatical relations by Apresjan includes 25 different relations (Apresjan 1974). According to the complementarity principle of syntax and semantics, the decrease of the number of semantic elements in the metalanguage makes these elements simpler and, at the same time, leads to greater complexity of the syntax of explications. The second parameter refers to a relationship between the elements of the metalanguage and the lexemes of the object language. First, it is necessary to consider five cases: (i) the vocabularies of the metalanguage and the object language coincide; (ii) the vocabularies of the metalanguage and the object language overlap partly; (iii) the vocabulary of the metalanguage is included in the vocabulary of the object language; (iv) the vocabularies of the metalanguage and of the object language neither coincide nor overlap; (v) the vocabu-
80
lary of the object language is included in the vocabulary of the metalanguage. The last combinatorial variant (v) was not found in real examples of metalanguages, and, therefore, will be excluded from the analysis. Apparently, case (i) only characterizes metalanguages in traditional dictionaries at their worst. The reason is obvious: the user, especially if he or she is a native speaker, does not need explanations in a sophisticated semantic metalanguage. In the second case (the partial overlapping of the vocabularies of the metalanguage and the object language), the main part of the metalanguage vocabulary is borrowed from the vocabulary of the object language, but these elements are picked out in such a way that there is no synonymy between them. Polysemy is not allowed, either. At the same time, if there is no appropriate way to express the necessary meaning using natural language, artificial elements can be included in the vocabulary of the semantic metalanguage. An example of such a metalanguage is the metalanguage for superficial semantics (Apresjan 1980). Its vocabulary includes both elements borrowed from the object language and artificial elements. One such element is the frequent predicate KAUZIROVAT’ (to cause), the meaning of which is defined in Russian by rather a long expression delat’ tak, čtoby nečto imelo mesto “to do so, that something takes place”. The fourth case – the vocabulary of the metalanguage is included in the vocabulary of the object language – satisfies the principle of naturalness introduced by Leibniz (1903). The principle of naturalness presupposes that only elements that are also elements of the lexicon of the object language can be used in the metalanguage. If a word has different meanings, only one meaning is allowed for it in the metalanguage. In metalanguages which observe the principal of naturalness, logical variables, quantifiers and other symbols of the language of formal logic are forbidden. This principle was realized in studies on the semantics of natural language by Bogusławski (1970) and Wierzbicka (1972). For instance, Wierzbicka uses the pronouns SOMEONE and SOMETHING in semantic explications, instead of variables, and instead of logical quantifiers, she uses the pronouns ALL and SOME. In the Moscow Semantic School, which is in some sense a successor of the metalan-
III. Semantik der Phraseme / Semantics of set phrases
guage of the model “Meaning ↔ Text”, semantic elements do not correspond to words of natural language. In other words, it is an example of the fourth case – the vocabularies of the metalanguage and the object language neither coincide nor overlap. This is reflected in the notation by using different letter-types and putting semantic explications in quotation marks, etc. Therefore, theoretically, the vocabularies of the object language and the metalanguage do not coincide. Of course, many artificial elements of the metalanguage can have correlates in natural language, but in semantic representation, they can function quite differently. The fourth case is typical for metalanguages which have been developed for artificial intelligence systems, which model human thinking as well as one of the most important phenomena of human intellectual activity – linguistic competence and language ability. Cf. elements of the metalanguage of conceptual dependencies for computational models of text understanding by Schank DO – unspecific elementary action, AA – characteristic/ attribute of an action. Schank (1975) pointed out that in his metalanguage, the predicates for the description of intellectual activity (which are quasi-graphs in nature) are not directly connected with the natural language expressions, and that, moreover, they cannot have linguistic correspondences at all.
5.
Declarative vs. procedural metalanguages
The inner form of rules is another parameter of classification of metalanguages. With this parameter, it is possible to divide metalanguages into two classes: declarative and procedural metalanguages. Declarative metalanguages represent the plane of content as a set of descriptions or propositions about the object of description (classification), i.e. certain parts of the plane of content. Descriptions of declarative semantic metalanguage consist of already defined elements of the vocabulary. A typical example of a declarative metalanguage is a language of definitions in ordinary explanatory dictionaries. For instance: cup = ‘a small open container usually used for drinking; usually has a handle’ (Webster’s Online Dictionary). In procedural metalanguages, the plane of content of language expression is represented as a set (an algorithm) of procedures (operations), which should be
8.
81
The problem of the metalanguage
implemented. Thus, the procedural representation is a more or less detailed instruction about a given activity in a situation. The semantic representation of the meaning of the word cup in procedural metalanguage would be an algorithm for designing this object or an instruction for its use. Cf. an instruction for using an iron, which can be considered a typical example of a procedural description: 1) remove the mains plug from the wall socket before filling the iron; 2) flip open the filling cap; 3) leave the cap hanging on the handgrip by its retainer; 4) pull up the handgrip; 5) pour no more than 50 ml of water into the filling opening, etc. The two types of metalanguages considered above correspond to two kinds of knowledge – declarative (“knowing that”) and procedural (“knowing how”) knowledge. This distinction was widely discussed in epistemology and in cognitive science (Brachman/ Levesque 1985; Reichgelt 1991; Solso 1998; Ullman 2001). In contraposition to declarative knowledge, it is impossible to verify procedural knowledge as true or false. Procedural knowledge can be valued only on the base of success of the algorithm implementation. Declarative and procedural metalanguages are rather different in their features. In general, declarative representation cannot be replaced by procedural representation and vice versa. Moreover, there is knowledge which is more procedural or more declarative in nature. For instance, knowledge about concrete things of reality is usually declarative, but human functional abilities such as driving a car or physical activities are represented in form of procedural knowledge in a cognitive system. Winograd (1975, 189) wrote that “some things are better represented procedurally, others as declarative facts, and all we need to do is work on how these can be integrated”. Research has shown that the use of declarative metalanguages is better for the description of the semantics of words denoting concrete things, and that procedural metalanguages are oriented towards the analysis of the semantics of function words such as particles, conjunctions, prepositions etc. (Baranov, Paršin 1990, Baranov 2000). Although it is possible to find several examples of procedural descriptions of function words (cf. Paršin 1984), there are no significant studies which use representative linguistic data and are based on procedural methodology.
In phraseology, there are some attempts to explicate the inner form of phrasemes through procedural operators such as ‘imagine’, ‘compare’ etc. – see section 9.
6.
Completeness of semantic description
Semantic metalanguages are distinguished from each other by the completeness of the description of the object language semantics. There are two completely different positions. In the first case, a goal of semantic description is complete analysis and exhaustive description of the meaning. Therefore, semantic representation of language expression should explicate all necessary and sufficient conditions for its correct use. From this point of view, the semantic representation is considered to be “God’s truth”. The linguist can put an equal sign or, at least, a sign of approximate equality, between the explicandum and the explicata. This view of semantic representation is shared by linguists working in the Moscow semantic school in the field of Generative and Interpretative Semantics (Bellert 1969; Karttunen 1976; Fodor 1975), and by the proponents of Lingua Mentalis (Wierzbicka 1969; 1972, 1980). In the opposite approach, it is supposed that semantic metalanguage is an artifact, a kind of “hocus-pocus”, i.e. that semantic metalanguage can describe only a part of the content of a language expression. For instance, there are metalanguages which can be used for the representation of entailments from the meaning of the sentence, its necessary conditions for using in discourse. In this case, the linguist puts the sign of logical entailment (implication) between the defined unit and the semantic explication. This understanding of the nature of semantic metalanguages is implemented in systems of artificial intelligence modeling the human ability to extract knowledge from a text. This ability is based upon procedures of transformation of sentences and parts of the text (generation of entailments, presuppositions, conditions of speech acts etc.) - cf. computational models of text processing developed by Schank and his colleagues (Schank 1975; Schank/Abelson 1977). In applied linguistics, metalanguages are often developed for partial description of text semantics, e.g. cognitive mapping, a method
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III. Semantik der Phraseme / Semantics of set phrases
of analysis of political texts and political thinking, which allows representation of causal relations in a special graph-like diagram, i. e. “cognitive map” (Axelrod 1976; Bаranov 2001). In the framework of the “Meaning ↔ Text” model a special metalanguage was elaborated for the description of collocations, one type of phrasemes, (see Mel’čuk 1996; 1998 and article 11 in this volume), namely the Metalanguage of Lexical Functions. The argument of such a function is the word; the meaning of the function is the corresponding collocation containing this word. In the theory of Lexical Functions, collocations can be regarded as an idiomatic way of expressing meaning. Cf.: the Lexical Function Mang from Russ. dožd’ ‘rain’ is prolivnoj ‘pouring’ – Mang (dožd’ ‘rain’) = prolivnoj ‘pouring’, Mang from Russ. aplodismenty ‘applause’ is burnye ‘storm’ – Mang (aplodismenty ‘applause’) = burnye ‘storm’; the Lexical Function Caus from victory is to win or to gain – Caus (victory) = to win/to gain. These examples show that Lexical Functions represent generalized meanings of collocators, and therefore, Lexical Functions cannot fulfill the requirement of completeness of semantic description; this is an appropriate method for classifying collocations. The requirement of completeness of semantic description is considered too strong, because the experience of conceptual modeling and modeling in natural sciences has shown that a model can reflect only some important parts of the modeled object or parts of its significant functions. Moreover, the plane of content of language expressions includes not only pure linguistic components, but also extralinguistic components. Therefore, semantic metalanguages developed within linguistics are incomplete a priori. For example, they cannot support the analysis of truth-conditions in the sentence (cf. contradiction of “weak” and “strong” semantics).
7.
Depth of semantic description
As a cognitive process, understanding meaning is not universal. The background of the hearer (recipient) and his or her communicative intentions vary in different situations, and for this reason, the understanding of the text can differ. From the point of view of the recipient, a text can have different consequences
and associations. This phenomenon is described by the terminological metaphor “depth of semantic description”. There are metalanguages which allow analysis on different depths (levels) of explication in regard to the word-, sentence- and text- semantics in semantic representation. It is difficult to imagine which level of semantic representation is the most comprehensive. Metalanguages can be compared using the depth of semantic explication as a parameter, if we assume that the depth of explication stands for the amount of aspects (levels) of meaning which can be described with the help of these metalanguages. One of the levels of semantic description is the capacity to represent levels of semantics, such as the propositional, illocutionary or modal level, or also the division of semantic information according to communicative features (given/old information vs. new information, actual division of the sentence - theme vs. rheme, topic vs. comment; definiteness vs. indefiniteness, contrastiveness etc.). In Generative Semantics, the main predicate of the semantic representation is used to explain the illocutionary or modal level of sentence semantics. The subject of this predicate is a speaker (‘I’); the place of the direct object is occupied by the propositional content of the sentence. Such representation is typical of so called “performative analysis” – one of the branches of Generative Semantics. Predicates representing illocutionary force are supposed to be elementary, and the list of them is limited. E.g., the illocutionary force of imperatives is represented by the predicate REQUEST, the illocutionary force of questions is represented by the predicate ASK etc. In the Lingua Mentalis theory developed by Wierzbicka, the illocutionary force is a part of the modal frame in which the proposition is included. In Wierzbicka’s theory, all types of illocutinary force are not semantic primitives; they are rather complex expressions consisting of simple elements of the metalanguage (Wierzbicka 1980). On the one hand, the communicative structure of a sentence reflects the positions of the sentence in a text (beginning, middle and end of the text or its part), and on the other hand, it reflects the comprehension of a described situation by the speaker. The representation of the communicative structure presupposes mapping the semantic metalanguage into categories such as the actual division of a sen-
8.
The problem of the metalanguage
tence (theme vs. rheme, topic vs. comment, old vs. new information etc). To explicate the actual division (theme vs. rheme opposition), Dahl (1969) proposed a metalanguage with elements of predicate calculus, based on features of material implication. In his metalanguage, natural language sentences have a predicate with implicative semantics on a deep level; a theme is represented as the assumption of this predicate, the rheme as its conclusion. Boguslavskij introduces the “predicate of actual division” into the semantic structure of a sentence: ‘TO, čto X EST’ Y’ “WHAT about X, X IS Y”, where X is a theme of a sentence, Y is its rheme, ‘to’ “that”, ‘čto’ “what” and ‘est’’ “is” should not be considered as independent semes, but rather as parts of the general semantic component ‘TO, čto X EST’ Y’. This method of representation is used for the explication of semantic differences between neutral and focused negation (Boguslavskij 1986, 73ff.). By applying the Lingua Mentalis, Wierzbicka explicates the actual division of a sentence from a purely semantic position. In her interpretation, the theme is introduced by a modal frame - ‘thinking about’ - and the rheme by a modal frame - ‘I say’ (Wierzbicka 1972; Wierzbicka 1980). One can consider the reflection of different aspects (levels) of the semantics of language expression and of text as a whole in semantic metalanguage a possible conceptual model of the depth of understanding. Another dimension of this phenomenon concerns the degree of simplicity of the metalanguage elements: the simpler the elements used, the more explicit and deeper the semantic representation. However, total semantic explicitness cannot be achieved – see the complementarity principle of syntax and semantics in semantic explication above.
8.
Syntax of semantic metalanguage
In the most general sense, the syntax or grammar of semantic metalanguage is a set of rules for the generation of well-formed semantic explications. The degree of the development of the syntactic features of a metalanguage depends partly on the aspect of semantics described by the metalanguage, and partly on the purposes of a given semantic description. The minimal version of metalanguage syntax is a simple union of semantic elements in an unstructured set. In this case, the semantic
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representation takes on the form of a chain of the semantic elements of the metalanguage. The order of elements in this chain depends on purely external factors, i.e. appropriateness, the order of parts in a given object language expression etc. Such semantic representations are typical of simple computational systems of automatic annotation, as well as of systems of automatic retrieval. During processing of a document in computational systems of this kind, all key words of the text receive definitions in the form of sets of semantic elements. The simple order of elements will be a well-formed semantic representation of a sentence or a text (document). In metalanguages that are more complex, special inventories of semantic relations are introduced. This inventory can coincide with the syntactic relations of the object language. This is typical of the metalanguages in traditional explanatory dictionaries. Another possibility is the reduction of the set of syntactic relations of the object language. This idea was realized in the Lingua Mentalis and in different normalized versions of English used for complicated technical domains (technology for servicing airplanes, computers, technical devices etc.). The third possibility occurs when the system of the syntactic means of the metalanguage has nothing in common with the syntactic relations of the object language. In this case, the inventory of the syntactic relations of the metalanguage can be borrowed from logic, cf. metalanguages developed in the framework of Generative Semantics (Lakoff, McCawley and others) and the theory “Meaning ↔ Text”. In the past decades, a tendency has arisen to develop metalanguages based on semantic networks, cf. metalanguages for meaning representation in the field of artificial intelligence (Skragg 1978) and machine translation (Šaljapina 1980). It is obvious that only metalanguages with an inventory of syntactic relations borrowed from a natural language satisfy the principle of naturalness. But in computational models of language functioning and in artificial intelligence systems, metalanguages are used which normally have no correspondence to the syntactic relations of a natural language. We can consider types of the elements of the metalanguage as one of its syntactic features, i.e. the “parts of speech” of metalanguage. Usually linguists do not explicitly dis-
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III. Semantik der Phraseme / Semantics of set phrases
cuss this problem, but each semantic metalanguage (except for very simple ones, such as the componential analysis) has at least two categories of “words”: terms and predicates or their equivalents.
9.
Semantic metalanguage in phraseology
Up till now, there have been no special metalanguages for the description of phraseme semantics. The only exception is the theory of Lexical Functions mentioned above, but Lexical Functions can only represent a very small area of semantics of collocations. Moreover, the plane of content of other types of phrasemes is much more complicated. For the most part, descriptions of phraseme semantics are reduced to the lexical definitions in dictionaries. At best, such definitions satisfy the requirement of simplicity or, to be more exact, the requirement of relative simplicity and the structural requirement. However, by no means can the problem of the semantic description of phrasemes be limited to picking out their differencia specifica. In contrast to the other types of lexicon units, most phrasemes (above all, idioms) have a living inner form, which is a very important component of the meaning of an idiom. In other words, the description of idiom semantics should have two interconnected parts: 1) the description of semantics in a strict sense (representation of differencia specifica and integral components of meaning) and 2) the description of the image component, i.e. inner form. Modern semantic metalanguages are based on the assumption of arbitrariness of a linguistic sign, introduced in linguistics by Saussure as an important postulate of the structural approach to language analysis. With their inner form, idioms contradict this postulate of structural linguistics, because inner form, making a way of reference to the actual meaning, often takes part in shaping meaning formation. The term “reference” is used here in the sense of a way of pointing to the actual meaning of an idiom, which is represented in its inner form. Let us consider some examples, illustrating the real influence of the inner form on the meaning of idioms. 9.1. Inner form as part of the meaning of an idiom Issues discussed in sections 9.1. to 9.4. were studied in detail in (Baranov/Dobrovol’skij
1998). In Russian there are two idioms with very similar meanings, but rather different inner forms: na každom šagu lit. “at every step” and na každom uglu lit. “at every corner”. They mean something like ‘everywhere’ or ‘very often’. The hypothesis of synonymy of their meanings is supported by examples like (1), where these idioms can be interchanged: (1) Kostja zavisit ot sotni obstojatelstv, opastnost’ podsteregaet ego na každom šagu/na každom uglu. lit. “Kostja depends on hundreds of circumstances, danger is on the watch for him at every step/at every corner” But this hypothesis is not valid. There are many contexts, where interchange is impossible, cf. (2): (2) V lesu na každom šagu/*na každom uglu možno najti griby. lit. “In the forest at every step/*at every corner it is possible to find mushrooms”. If we take the structure of the inner forms of these idioms into account, the restriction of usage of this kind can be explained. The word ugol “corner” is a metonymy of a house; therefore, the inner form of the idiom na každom uglu refers to the concept of ‘a built environment’ – small town, city etc. The inner form of the idiom na každom šagu expresses the idea of movement – the word šag ‘step’ is a metonymy of a process of movement. The restriction of the usage in (2) can be explained, if we include in semantic representation of the idiom na každom uglu the idea ‘restricted space, fulfilled with buildings of different kinds’, and in definition of the idiom na každom šagu – the idea of movement. It can be done in the following way: na každom šagu % ‘(nečto vstrečaetsja) v očen’ mnogix mestax nekotorogo ograničennogo prostranstva’ “(someone, moved, can find something) in many places within a restricted space”; na každom uglu % ‘(nečto imeet mesto) v očen’ mnogix mestax nekotorogo zastroennogo prostranstva’ “(something takes place) in very many places within a built environment”. The semantic structure of these idioms is actually more complex, but for purposes of illustration of the thesis under consideration, simplification of this kind is acceptable. The example above shows that if an idiom has an inner form, considered to be alive, it is
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The problem of the metalanguage
an important part of its meaning, amalgamated with other components of idiom semantics. The question arises: how is it possible to introduce important aspects of the inner form in a definition?
9.2. The inner form in a definition There are very few attempts to represent the inner form of an idiom in its lexical definition. One of them is a system of definition proposed in the dictionary of Russian idioms edited by Telija (1995). She writes in the Introduction: After the definition there is a semantic subdefinition (“podtolkovanie”), which is usually introduced by the word “podrazumevaetsja” ‘it is supposed’. This part of semantic explication explains those shades of meaning, which are connected with its figurative parts, but was not included in a definition (Telija 1995, 20).
Compare an example of the use of this operator in the following definition: NE POMNIT’ SEBJA kto. literally “do not remember about yourself” Buduči v krajne vozbuždennom sostojanii, ne kontrolirovat’ svoix ėmocional’nyx projavlenij, postupkov ili dejstvij. “being in excited emotional state, one could not command emotions of himself, could not control actions and behavior”. podrazumevaetsja burnoe projavlenie ėmocij ili polnaja utrata samoobladanija “It is supposed extreme showing of emotions or losing one’s self-control” (Telija 1995, 83).
The strategy, realized by Telija and her colleagues, is not oriented towards the semantic explication of the inner form proper. As becomes clear from the definitions, the semantic operator “podrazumevaetsja” ‘it is supposed’ can introduce different types of semantic information. In the abovementioned example, the semantic component ‘extreme showing of emotions or losing one’s self-control’ has nothing to do with the inner form of the Russian idiom ne pomnit’ sebja. A different approach to inner form semantics was presented in (Baranov/Dobrovol’skij 1996; 1998). In these papers it was demonstrated, that semantic explication of inner form can be explicit and implicit. Explicit strategy based on semantic operators, introduced in semantic representation an idea of comparing of two entities: ‘X sopostavimo s Y-om’ “X is comparable with Y”,‘X kak by Y’ “X is a kind of Y/as if Y”, ‘X napominajet Y’ “X resembles Y”, ‘X vosprinimaetsja kak Y’ “X is perceived as Y”, ‘X vyzyvaet pre-
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dstavlenie ob Y-e’ “X causes imagination of Y”, ‘X točno tak že, kak Y’ “X is the same as Y”, ‘X associiruetsja s Y-om’ “X is associated with Y”, ‘X možet byt’ ob"asneno kak Y’ “X can be explained as Y” , ‘X analogično Y-u’ “X is analogy to Y”, ‘X interpretiruetsja kak Y’ “X is interpreted as Y”. The possibility of structuring the definition in such a way that the part of the inner form explication is clearly separated from the other part of the definition (from the so called actual meaning) is at the core of the explicit strategy. The list of operators used for explicating the inner form depends on the type of phraseological dictionary. A scientific description of idioms presupposes the unification of operators introducing the inner form. In the ideal case, there should be only one operator. One can compare the operator ‘imagine’ used by Wierzbicka (1980) for semantic description of color terms. In any case, an explication of the inner form in a definition may not simply repeat a given metaphor, i.e. the representation of the inner form of the idiom shake a leg ‘hurry’(in examples like Mary, you always take such a long time to put on your makeup. Come on, shake a leg!) may not contain a component such as “it is similar to shaking a leg”. Such explications would explain nothing. In the proposed explicit strategy, the metaphor is not repeated directly in the semantic explication. In the implicit strategy of semantic representation, there are no special operators for the inner form, and relevant semantic information is distributed among different components of the definition. In the explicit strategy, it is possible to enumerate operators of inner form representation; in the implicit strategy, every case is unique. Nevertheless, it is possible to formulate general ideas of this definition technique, especially the use of metaphoric entailments for explication of the inner form in the definition. It can be claimed that the implicit strategy is not an appropriate instrument for scientific description of idiom semantics, because this strategy is irregular and unpredictable. On the other hand, the implicit strategy is better for an ordinary user because it is informal and less artificial. For instance, in the definition of the Russian idiom do otkaza (napolnit’, zapolnit’... čto-libo) “to be chock-a-block, to be chock-full” a component of a definition ‘nevozmožno dobavit’ čto-libo ešče’ “it is im-
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III. Semantik der Phraseme / Semantics of set phrases
possible to add more” implicitly expresses figurative part of the meaning of the idiom: do otkaza (napolnit’, zapolnit’... čto-libo) “to be chock-a-block, to be chock-full” literally “(to fill, to pack) up to refusal” = ‘čtolibo vmeščaet takoe količestvo kogo-libo/ čego-libo, čto nevozmožno dobavit’ čto-libo ešče’ “something contains such a large number of people or things that it is impossible to add something else”. In practical lexicography, both the explicit and the implicit strategy can be used in one and the same definition. Such cases can be considered examples of a mixed strategy of inner form presentation. 9.3. Elements of typology of the explicit strategy As mentioned above, the essence of the explicit strategy consists of a direct comparison of two different conceptual domains – the source domain (in the sense of the Cognitive Theory of Metaphor) and the part of the idiom semantic which does not have any direct correspondence to the inner form (i.e. target domain). These two domains are connected with the help of a special semantic operator. One of the typical operators of this kind is an operator ‘X sopostavimo s Y-om’ “X is comparable with Y”, which is used in the definition of the Russian idiom ot žiletki rukava ‘nothing’: (i)
ot žiletki rukava ‘nothing’ literally “sleeves from waistcoat” ‘polnoe otsutstvie resursa kak rezul’tat ego nespravedlivogo raspredelenija, sopostavljaemoe s nesuščestvujuščej čast’ju čego-libo’ “completely lack of something as a result of its injustice distribution, comparable with non-existent part of something”.
The source domain of the metaphor is represented in a definition by the component ‘nesuščestvujuščaja čast’ čego-libo’ “non-existent part of something”. Explication of inner form through reference to a more general notion can be considered one of the possibilities within implicit strategy. In other words, this example illustrates explicit as well as implicit strategies, i.e. it is an example of the mixed strategy. Rather often, the idea of comparison fixed in the definition is complicated by the reference to a possible world. In such cases, one part of the definition is connected with the real world, and another one is connected with
a possible, imaginary world. The most appropriate operators here are ‘sozdaet(sja) vpečatlenie’ “an impression is made”, ‘X vyzyvaet predstavlenie ob Y-e’ “X causes imagination of Y”, ‘X kak by Y’ “X is a kind of Y”. For instance, in a definition of the Russian idiom jabloku negde upast’ “there are a lot of people” an operator ‘sozdaet(sja) vpečatlenie’ “an impression is made” is used: (ii) jabloku negde upast’ (gde-libo) literally “there is no place for an apple to fall” = ‘v kakom-libo meste tak mnogo ljudej, čto sozdaetsja vpečatlenie, čto ne ostaetsja svobodnogo prostranstva daže dlja čego-to sovsem nebolšogo’ “somewhere there are so many people, that an impression is made, that there is no place even for something very small”. An operator ‘čto opisyvaetsja kak’ “which is described as” has much in common with a concept of possible world as well. Cf. definition of the Russian idiom vse uši prožužžat’ “din smth. into smb.’s ears”: (iii) vse uši prožužžat’ (komu-libo, čem-libo/ o čem-libo/o kom-libo/nasčet čego-libo/ nasčet kogo-libo/s čem-libo) literally “to drum all the ears of somebody” = ‘nastojčivo govorit’ komu-libo o čem-libo/ kom-libo s cel’ju dobit’sja želaemogo, čto opisyvaetsja kak sliškom intensivnoe vozdejstvie na organy sluxa’ “insistently say something to somebody, trying to achieve the goal, which is described as too intensive influence on the organs of hearing”. An operator ‘X kak by Y’ “X is a kind of Y” differs from other operators of possible world: it emphasizes an idea of unreality of the possible world under consideration. A metaphor par excellence makes an opposition between two conceptual domains – real and imaginable one. Therefore, it is better to use the operator ‘X kak by Y’ “X is a kind of Y/as if Y” in semantic explications, where conceptual gap between source-domain and goal-domain (in a frame of cognitive theory of metaphor) is rather large, cf. definition of the Russian idiom otdat’ koncy “to die” (cf. American kick off): (iv) otdat’ koncy literally “to let go rope’s ends” = ‘umeret’, kak by prekrativ kontakty s okružajuščim mirom’ “to die as if to refuse to maintain contact”.
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The problem of the metalanguage
An operator ‘osmysljaemyj kak’ “X is understood as Y” differs in semantics from the operator of comparing (i) and from the operators of possible world creation (ii-iv). It points out standard ways of metaphorical interpretations of abstract entities, cf. explication of the Russian idiom bitkom nabityj ‘chock-full’: (v) bitkom nabityj (kem-libo/čem-libo) literally “full up as beaten” = ‘nečto, osmysljaemoe kak vmestilišče, soderžit takoe bolšoe količestvo otdel’nyx suščnostej, čto počti perepolnjaetsja imi’ “something, understood as container, has so many separate entities, that it is almost overfilled by them”. It is obvious that these operators are only examples of possible operators which can be used for inner form representation in a dictionary definition. Nevertheless, it is possible to point out the parameters of selection of verbs for inclusion in a set of potential operators of this kind. These parameters characterize a core of metaphorization and nomination phenomena. The process of metaphorization is strongly connected to the impossibility of the literal understanding of a linguistic expression. Therefore, the idea of the possible world generation is brought to the forefront. Thus, the first parameter characterizes a possible world generation and defines the degree of its “unreality”, cf. operators ‘X kak by Y’ “X is a kind of Y/as if Y” (rather high degree of unreality) and ‘X napominaet Y’ “X resembles Y” (low degree of unreality). The second parameter characterizes a process of nomination and defines causal relations between an object of nomination (target domain) and a type of nomination (source domain). Cf. the operator ‘X napominaet Y’ “X resembles Y” mentioned above. The third parameter characterizes the comparison of two entities and it is applicable to all operators under consideration. Therefore, a candidate for an operator of possible world creation should be a two-argument predicate, whose slots can be filled by entities of the real or a possible world. 9.4. Elements of typology of the implicit strategy Almost every case of the implicit strategy is unique and, therefore, it is impossible to give a comprehensive typology of this approach to inner form representation. We can only discuss the existing heuristics of the implicit
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strategy. The main heuristic is the representation of relevant metaphorical entailments in the definition. Another heuristic is paraphrases of the inner form using hyperonymhyponym relationships. Below, some typical cases are discussed, first of all the heuristic of representation of metaphorical entailments. The clearest case of this kind can be found in definitions of idioms whose inner form is based on the metaphor of PERCEPTION. For instance, in the Russian idiom konca ne vidno “there’s no bottom to something” a metaphorical consequence is described as ‘nevozmožnost’ obnaruženija čego-libo’ “impossibility to find something”: (vi) konca ne vidno literally “the end of something is not yet in sight” = ‘nekotoryj process ili sostojanie imeet mesto v tečenie sliškom dlitel’nogo otrezka vremeni, i nevozmožno obnaružit’ priznakov ego okončanija’ “a process or a state takes place during too long period of time and it is impossible to find evidences of the its end” It should be mentioned that even rather abstract metaphors could be explicated in form of entailments. Thus, the ONTOLOGICAL metaphor from the Russian idiom xot’ otbavljaj “there is something to saturation” is represented in a definition through an idea of decrease of quantity: (vii) xot’ otbavljaj (čego-libo u kogo-libo) literally “you can even decrease quantity” = ‘kogo-libo/čego-libo u kogo-libo tak mnogo, čto daže esli i umen’šit’ količestvo ėtogo, vse ravno budet mnogo’ “someone has so much of something, that even if a quantity of something is decreased, nevertheless it will still be too much”. The explication of inner form in a definition allows us to differentiate between idioms with similar semantics, but with different metaphors in the figurative component of their meanings. For instance, the Russian idioms do otkaza “cram-full” and xot’ otbavljaj “there is something to saturation” (discussed above) have very similar meanings, but their inner forms are quite different. The inner form of the idiom do otkaza “cram-full” is represented in a definition with component “impossibility to add something else”:
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(viii) do otkaza (napolnit’, zapolnit’... čtolibo) literally “up to refusal” = ‘nekotoroe vmestilišče soderžit takoe bol’šoe količestvo čego-libo, čto nevozmožno dobavit’ čto-libo ešče’ “a container includes so much of something, that it is impossible to add something else”. Definitions (vii) and (viii) include different metaphorical entailments: in (vii), the idea of “decreasing”, and in (viii), the idea of “increasing” is presented. These ideas are the semantic model of the inner form of these idioms. There is another possibility within the implicit strategy, namely the paraphrase of the inner form, its transformation into the standard mode of reference. This type of inner form representation can be found in the definition of the Russian idiom nest’ čisla (komulibo/čemu-libo) “without number”. (ix) nest’ čisla (komu-libo/čemu-libo) literally “there is no number for amount of someone/something” = ‘kogo-libo/čegolibo tak mnogo, čto nevozmožno sosčitat’’ “there are so many of someone/so much of something, that it is impossible to count them/it”. The way of reference to the meaning ‘large amount’, i.e. “there is no number for the amount of people or of something”, used in the idiom (ix), is not conventional. A more standard way to express this idea is given in the definition above. The inner form of the Russian idiom vse do odnogo “one and all” involves a non-standard way of reference to the meaning as well: counting all the elements of a set has a form of pointing out all the elements and the last element – “all until one/last”. In the definition, this meaning is represented in the form of “without exception”: (x) vse do odnogo literally “all until one/ last” = ‘vse elementy nekotorogo množestva bez isključenija’ “all the elements of a set without exception”. The third possibility within implicit strategy is using hyperonym-hyponym relationships, i. e. semantic explication by means of the hyperonym nomination for a given hyponym. In the definition of the Russian idiom na ves zolota “to be worth its weight in gold” (xi) an element of inner form ‘zoloto’ “gold” is interpreted as a value; in a definition of an idiom prygnut’ vyše golovy “to tumble over oneself”
III. Semantik der Phraseme / Semantics of set phrases
(xii) the inner form “to jump over one’s head” is interpreted as ‘dejstvie, prevosxodjaščee vozmožnosti sub"ekta’ “an action outreached expectations about one’s possibilities”: (xi) (byt’, cenit’sja…) na ves zolota literally “to be worth its weight in gold” = ‘nečto rassmatrivaetsja kak bolšaja cennost’ i vsledstvie ėtogo okazyvaetsja nedostatočnym’ “something is considered as a great value and therefore is insufficient”; (xii) prygnut’ vyše golovy literally “to jump over one’s head” ‘sdelat’ čto-libo, prevosxodjaščee predstavlenija o vozmožnostjax sub"ekta’ “to do something outreached expectations about one’s possibilities”. Another example of hyperonym-hyponym relationships can be found in the definition of the Russian idiom kaplja v more “a drop in the ocean”. In the metaphor which the idiom is based on, there is a contradiction between kaplja “drop” and more “sea”. This contradiction is reflected in the definition through a more general contradiction between large and small: (xiii) kaplja v more literally “a drop in a sea” = ‘nečto količestvenno očen’ malo po sravneniju s čem-to ogromnym – celym, mel’čajšej čast’ju kotorogo ono javljaetsja’ “something quantitatively is very small in comparison with the whole, which is very large and of which the small element is a very little part”. In semantics of discussed idiom a contradiction of “part/element vs. hole” is of great importance as well. It is introduced in the definition with an instrument of inner form presentation too.
10. Conclusion The inner form of an idiom is an important part of its semantics. Any semantic metalanguage for the description of phraseology should have special instruments for the representation of this phenomenon in the definition. Without explicating the inner form, semantic description of phraseology will be patently incomplete. At the same time, it is clear that a word-for-word mirroring of the underlying metaphor in the definition explicates nothing, even if we introduce the metaphor by special semantic operators. This type of inner form representation would be useful
8.
The problem of the metalanguage
neither from the point of view of semantic theory nor from the point of view of lexicographical praxis because, in this case, the object of semantic explication would simply be repeated in the definition. The strategies of inner form representation and the ways of explicating its semantics presented here cannot be regarded as final. Metalinguistic instruments of inner form representation will be developed in the near future. However, it can be stated that semantic theory has not so far been able to provide phraseology with an adequate metalanguage.
11. Select bibliography 11.1. Dictionaries Telija, V.N. (ed.) (1995): Slovar’ obraznyx vyraženij russkogo jazyka. Moskva. Webster’s online dictionary; The Rosetta edition, www.websters-online-dictionary.org/definition/cup.
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III. Semantik der Phraseme / Semantics of set phrases
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Anatolij Baranov, Moscow (Russia)
9. Semantic aspects of phrasemes 1. 2. 3. 4.
Idiomaticity Literal meaning Literal – non-literal – figurative Relations of literal and phraseological meaning 5. Synchrony and diachrony 6. Types of motivation 7. Collocations 8. Features of phraseological semantics in special-purpose languages 9. Idiomaticity in word formation 10. Intra- and interlexical semantic relations 11. Semantics of phrasemes – semantics of lexemes 12. Select bibliography
This article will provide an overview of the most important semantic problems that occur in the field of phraseology. Instead of following one specific semantic theory, I will proceed in a more eclectic manner. (Unless otherwise noted, all exemples derive from the German language.)
1.
Idiomaticity
From a semantic point of view, it does not make much sense to separate phraseology from word formation. (This distinction is also problematic in regard to language comparison, cf. art. 2). I will discuss the main classes of phraseology and take word formation into account in passing. I will start with idioms, which were at the centre of attention in previous works on phraseological semantics. Most of the main semantic factors can best be demonstrated with idioms. The idiom as a whole has a “phraseological meaning”, that is, an overall meaning, e.g. jmdm. einen Korb geben (“to give sb. a basket”) has the phraseological meaning 1. ‘to turn sb. down regarding a proposal of mar-
riage’ 2. ‘to turn sb. down in a more general sense’. The idiom consists of components that usually have a lexical (Korb, geben) or a grammatical (einen) meaning. At the nonphraseological, “literal” level, these components can very well be a normal German syntagm whose meaning emerges from the regular combination of the components, i.e. from their combination in accordance with the normal semantic and morphosyntactic rules. The phraseological meaning of the word combination has no apparent connection with the nonphraseological one (Korb does not have the meaning ‘proposal of marriage’, geben does not mean ‘to turn down’ etc.). The absence of such a connection is called “idiomaticity”. Seen from this perspective, idiomaticity is an anomaly, and its characterization is primarily negative. This poses the question of whether idiomaticity can also be characterized positively. Current research states that positive characterizations are possible for large areas of phraseology (see below). The non-phraseological meaning of a syntagm that also has an overall phraseological meaning is often called the “literal” meaning. This manner of speaking can be misleading because it suggests that the “literal” level of the combination’s meaning has the same status as the “phraseological” level (see below regarding the problematic nature of the “literal meaning”). However, the phraseme has only a lexical meaning – namely, the phraseological one. Psycholinguistically, this is also the first one to be activated when one hears or reads the word combination. The “literal” meaning (or rather one literal meaning of several potential ones, as the components can be polysemic at the literal level) can be activated in texts and situations. It is present “in the background”, but does not have to be of any
9.
Semantic aspects of phrasemes
importance in the actual use of language. Thus, it would be more correct to refer to the “literal reading” instead of the “literal meaning” (in German one should replace the adjective “wörtlich” – which has already caused many discussions in German lexicology – by “literal”). Furthermore, the phraseological meaning can be pushed into the background and then become a latent reading. These are questions concerning the text-linguistic embedding of idioms (see Burger/Buhofer/Sialm 1982 or Sabban 1998). In this article, I am directly concerned with both semantic levels and will use the term “literal meaning” for reasons of simplicity. Instead of “phraseological” meaning, one often finds the expressions “derived” or “figurative” meaning. “Phraseological meaning” has the advantage of denoting no more and no less than the “meaning of the phraseme”, whereas both “derived” and “figurative” already suggest a certain kind of (historical) derivation or a specific connection with the literal meaning. One of the main semantic problems in phraseology is describing and explaining if and how the two meanings or levels of meaning are connected. The stronger the connection, the more the idiom is “motivated” (see below 6. regarding the different types of motivation). Some authors doubt whether the question of motivation is pertinent from a synchronic semantic point of view (e.g. Rothkegel 1973), but the majority consider it meaningful, inasmuch as, for a semantic analysis, one cannot totally abstract from the consciousness of the speakers. Researchers share the opinion that there are many intervening levels between motivated and nonmotivated idioms. At first glance, the two meanings of to let the cat out of the bag have nothing in common. Let, cat and bag do not have meanings that would easily lead to meanings like ‘reveal’, ‘secret’ and so on. If one considers the syntagm as a whole in its literal meaning, then it is possible for a native speaker to establish a connection: the cat is the secret, it is kept in a bag (locked up in a container). If the cat is let loose, the secret is “let loose”. However, this connection is only clear to someone who knows the phraseological meaning of the word combination. With the German jmdm. einen Korb geben, it is completely impossible to connect the two meanings (‘to turn sb. down’ and ‘to give sb. a basket’, see above)
91
unless there is etymological knowledge about the origin of the idiom. Terminologically speaking, jmdm. einen Korb geben is much more idiomatic than die Katze aus dem Sack lassen. If one considers not only idioms, but also other types of phrasemes, it can be seen that it is still possible to distinguish various degrees of motivation. The phraseme einen Streit vom Zaun brechen (“to break a quarrel from the fence”, ‘to start a quarrel’) is idiomatic with respect to the component vom Zaun brechen, but einen Streit keeps its literal meaning. Einen Streit, however, is part of the whole phraseme, as this component cannot be substituted by a different one. Phrasemes with such a semantic structure can be named “partly-idiomatic” or “semi-idiomatic”. “Collocations” (see 7.), finally, can be regarded as fully motivated even if one of the components may possibly have experienced a semantic specialization (e.g. “light verb constructions”, see art. 38). There is great confusion regarding the question of who should recognize this motivation. The linguist, who is conscious of the semantic and syntactic rules and has formulated them meta-linguistically and thus assesses the motivation, or the “layperson”, who does not analyze the idiom, but “only” uses it? Assuming the latter, should it then be the one who already knows the idiom or the one who does not yet know it? In addition, is it the speaker (i.e. the one who uses the idiom), or the listener (i.e. the one who hears and has to understand the idiom)? Furthermore, if the listener has not heard the idiom before, should she or he be questioned under experimental conditions or in an everyday situation? In the former case, should the listener be able to guess the meaning of the idiom from its components (context-free) or from a constructed context? In the latter case, the listener might glean some indication of the idiom’s meaning from the situation. Finally one could also think of a “generalized” (not “ideal” in Chomsky’s sense) speaker/listener, and some sort of collective consciousness in which the motivation is embedded. Most researchers do not ask any of these questions, pretending to know the answers already. Other authors pose them explicity (e.g. Nunberg/Sas/Wasow 1994), but do not give satisfactory answers. Depending on the answer, different views of motivation arise. Many controversies could be resolved if researchers
92
III. Semantik der Phraseme / Semantics of set phrases
clearly stated who should recognize the motivation. In my opinion, methological pluralism is most appropriate. On the one hand, one could conduct experiments where the subjects have to assess the meaning of idioms both contextfree and in various contexts, with the wellknown restrictions of experimental situations. On the other hand, text-related analyses are necessary and possible due to the large corpora now available. This would allow an answer to the question of what speakers and writers actually do with the idioms when they use them in a text and what kind of semantics result from this (already discussed in Thun 1978, Burger/Buhofer/Sialm 1982, Gréciano 1983). In German phraseology, it has been suggested that the term “Motivation” should be replaced by “Motivierbarkeit” (see Häusermann 1977, 22), to show how gradual and how dependent on both the speaker’s and the listener’s consciousness motivation actually is.
2.
Literal meaning
2.1. What is the literal meaning? In the last few years, there has been a broad philosophical and linguistic discussion about the concept of “literal meaning” (cf. Gibbs [1994, 24ff.] and the special issue “Literal, minimal and salient meanings”, Ariel [ed. 2002]). Here, we will only mention those aspects relevant to phraseology. Throughout the whole discussion, various dichotomies are mixed or used simultaneously (e.g. conventional/non-conventional, context-free/contextdependent, non-figurative/figurative, “what is said”/“what is implied”, linguistic/extralinguistic or inferred meaning, etc.). Due to this confusion of terminology, some researchers consider the distinctions completely useless and abandon the concept of “literal meaning”. Others do not go this far: they relativize the concept or content themselves with gradual transitions from literal to non-literal meaning. It is undisputed that, depending on the perspective, one or the other is prominent. Ariel proposes the distinction of (at least) three different perspectives of literal meaning: the linguistic, the psycholinguistic and the interactional. It is important to note that for phraseology, such a relativization regarding phrasemes renders the strict distinction between literal and
phraseological/idiomatic/figurative meaning obsolete. Phraseological meaning has certain characteristics that are normally ascribed to literal meaning. It is conventional, lexicalized, “linguistic” in the stricter sense, i.e. it does not need to be processed through implicatures. It is “salient” in the sense of Giora (1999): “(...) salience (...) is a function of its conventionality (...), familiarity (...), or frequency.” (921) Salient meanings “are accessed automatically. They cannot even be blocked by contextual factors indicating that they are irrelevant (...). However, salient meanings have to be suppressed sometimes, so as to give way to less salient or nonsalient (...).” (Ariel 2002, 376) In German phraseology research, these semantic transfers have been described in much detail under the heading “Modifikationen” (“modifications”) (Burger/Buhofer/Sialm 1982, 68ff., B. Wotjak 1992). It has also been shown (Hemmi 1994) that such modifications are not understood well by all recipients. One of the reasons for this is their inability to comprehend the play with the salient and non-salient reading. 2.2. How important is the literal meaning for idiomaticity? The semantic character of literal meaning can be an indication of its degree of idiomaticity. G. Wotjak (1986) comments on the literal meaning of idioms such as jmdm. rutscht das Herz in die Hose (“the heart slides into someone’s pants”, ‘to be very scared’, cf. Engl. my heart is in my boots). He mentions that the average speaker considers the literal meaning as somewhat strange and not actually possible, as it deviates from everyday experience. The literal meaning therefore incorporates, context-free, the signal to look for a different, meaningful interpretation in accordance with average world knowledge (187). Whether these “signals” lead to inferences in a psycholinguistic sense is quite a different matter. For this to be true, the literal meaning of idioms would always have to be activated first, which is not in accordance with the current state of knowledge. Thus, there is hardly any evidence that the understanding of such idioms is a two-stage-process. (Regarding the use of idioms in texts, however, the nature of the literal word combination can be relevant nonetheless.) There are literal meanings of idioms which are more probable, i.e. they are more likely
9.
93
Semantic aspects of phrasemes
than others to relate to an occurrence in the real world. The literal meanings of die Katze aus dem Sack lassen ( Engl. let the cat out of the bag) or bury the hatchet, are quite possible in the real world. In contrast, mit der Wurst nach dem Schinken werfen (“to throw with the sausage after the ham”, ‘to try to succeed with little effort’) denotes an act which could actually be performed, but only under very special circumstances. Einen kleinen Mann im Ohr haben (“to have a small man in the ear”, ‘to be crazy’) or jmdm. in den Hintern kriechen (“to crawl into someone’s behind”, ‘to ingratiate oneself with someone’) are imaginable in a world of fantasy, but not in the real world. In some idioms, the components are not semantically compatible on the literal level. Jmdm. den Schneid abkaufen (“to buy courage from sb.”, ‘to discourage sb.’, cp. Engl. take the fight out of sb.) – abkaufen (“to buy sth. from sb.”) relates only to concrete things as an autonomous verb. In the idiom etw. geht jmdm. durch Mark und Pfennig (“sth. goes through sb.’s marrow and penny”, ‘sth. frightens sb.’), the substitution of the original Mark und Bein (“marrow and leg”, etymologically Bein = ‘bone’) creates a (funny) incompatibility. This is exactly why the modified version is so common. Compare also keine müde Mark (“not a tired Mark”, ‘not the smallest amount’) – where müde (‘tired’) can only refer to a person and not to money. For some idioms, it is impossible, for structural reasons, to construct a sensible literal meaning: Bauklötze staunen ‘to be very astonished’ (Bauklötze = ‘building bricks’, staunen = ‘to be astonished’) or seinen Mann stehen (“to stand one’s man”, ‘to prove one’s ability’) are already irregular regarding the syntax, insofar as staunen and stehen are mono-valent verbs. Another idiom, which illustrates this even more clearly, is structurally even more irregular: auf Teufel komm raus (“on devil come out”, ‘with all one’s might’). For Dobrovol’skij/Piirainen (1996, 123), Gold (‘gold’) in Gold in der Kehle haben (“to have gold in the throat”, ‘to be able to sing very nicely’) is an example of semantic incompatibility. I would suggest that ‘Gold in der Kehle’ is rather unlikely in reality, even though there is no apparent semantic incompatibility. It is true, however, that symbolic components in phrasemes may cause different
kinds of deviations on the literal level of meaning. Although, as we know, the borderline between semantics and world knowledge cannot be defined precisely, the term “semantic incompatibility” should only be used if semantic category boundaries (such as concrete/ abstract) are crossed, or if semantic category conditions are violated. From this point of view, an idiom such as Sturm im Wasserglas (“storm in the water glass” cf. Engl. a storm in a teacup) is clearly a borderline case. On the literal level of idioms, real semantic incompatibility is certainly not common.
3.
Literal – non-literal – figurative
The description of the relationship between literal and non-literal is further complicated by the fact that “non-literal” can have several meanings. The non-literal reading of an idiom can be metaphorical, or it can represent another kind of reinterpretation of the literal reading (e.g. the meaning of spill the beans is non-literal and non-metaphorical). Here, “metaphorical” is understood in a synchronous sense, i.e. “dead metaphors” (leg of a table) are not regarded as metaphorical. We are thus dealing with a tripartite concept: literal – non-literal/non-metaphorical – non-literal/metaphorical. (Dirven [2003] uses the division literal – non-literal – figurative.) However the distinction is defined, it is always of a gradual nature. Dobrovol’skij/Piirainen (2005) give the concept a new turn: they use the triple grouping literal – non-literal – figurative, but modify the concept of figurativeness. A relation is figurative only if it contains an “image component”. “By image component we understand a specific conceptual structure mediating between the lexical structure and the actual [= phraseological] meaning of figurative units.” (14) This means that the phraseological meaning of the relation must contain “traces of the literal meaning” which are inherited by the figurative meaning. The example (to be caught) between a rock and a hard place (14ff.) shows that the common dictionary definition ‘to be in a very difficult position’ is not sufficient to explain the expression’s usage in a real context. The image component, which can be transcribed as, “as if the person pursuing his/her goals was not able to move away freely” (15), is missing. In this sense, idioms such as to kick the bucket (17) can also be regarded as “figurative” “be-
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III. Semantik der Phraseme / Semantics of set phrases
cause they clearly refer to their denotata by using other concepts”. A further requirement for figurativeness that Dobrovol’skij/Piirainen propose is “additional naming”. This refers to a situation where there is a non-figurative in addition to the figurative way of denoting “approximately the same entity”. In this case, the figurative expression has a semantic surplus value compared to the non-figurative one (see below 11.3.). In my opinion, this requirement is neither necessary nor useful, for it is an unsolved problem within the field of semantics in which case one may state that two expressions denote the same entity.
4.
Relations of literal and phraseological meaning
The two syntagms of an idiom – the literal and phraseological – can be analyzed separately, as we have done so far. However, one can also ask about the relations that may exist between them. This question is not relevant for weak (or non-) idiomatic word combinations such as Dank sagen (“to say thanks”, ‘to thank sb.’) or den Tisch decken (‘to set the table’) as one cannot make out two distinct levels of meaning in these examples. However, the question is relevant for idioms. There can be simple or more complex relations between the two meanings of idioms (cf. the PrismaModell by Geeraerts 2003). If one can make out a relation, it is a kind of “motivation” of the phraseological meaning by the literal meaning. For now, I will pass over the question of the nature of this motivation (see below 6.), and will only deal with the question of the semantic relation. The phenomena discussed in the next two paragraphs are all so closely intertwined that in certain cases the same phenomenon is viewed from different perspectives. We also have to keep in mind that the literal meaning seems to arise ‘on its own’ – out of the regular interpretation of the word combination as it would work as a free word combination –, whereas the phraseological meaning must be paraphrased. It is well known that to a certain extent, each paraphrase varies from person to person. Besides, it has been argued that phrasemes can not be paraphrased in the same way as lexemes or free word combinations. This radical point of view, however, has not been substantiated. The paraphrases of some idioms might be more complex than those of most lexemes, but this
does not imply that they must be different in general. 4.1. Isomorphism vs. non-isomorphism of the levels of meaning B. Wotjak (1985, 270ff.) refers to the isomorphism vs. non-isomorphism of the planes of expression and content of a phraseme. For her, expression-structure denotes the phraseme’s grammatical organization. She shows that two identical or very similar expression structures (jmdm. in den Arm fallen/jmdm. auf die Nerven gehen, “to fall into sb.’s arms”/“to go on sb.’s nerves”) can represent different content structures (‘to hold sb. off’/‘to annoy sb.’) with different case frames (I will not go into the formalization given by Wotjak), and vice versa. If we stay on the semantic level, this isomorphism can be reinterpreted as a relation between the levels of meaning. What seems to be an expression structure with Wotjak would then be the regular semantic interpretation of the expression structure of the literally understood word combination. From this point of view, the examples mentioned above are not equivalent: jmdm. in den Arm fallen may well have a regular literal interpretation, whereas jmdm. auf die Nerven gehen does not allow a reasonable literal interpretation except under extraordinary (e.g. medical) circumstances. On the semantic level, the question of isomorphism is thus only relevant if the word combination allows a literal interpretation. A clear example where there is no isomorphism between levels of meaning could be the following: ins Gras beissen (“to bite into the grass”, ‘to die’). I would like to symbolize the literal meaning as follows: ‘ ’ – as the notation for a “compositional” meaning (where the semantic interpretation of the word combination arises from the regular syntactic-semantic combination of the meaning of the components). The phraseological meaning, on the other hand, can be simply paraphrased as ‘sterben’ (‘to die’) (with this, however, we only verbalize the denotative aspect of meaning). At first glance, it is obvious that the literal and phraseological meanings are structured differently – the literal meaning comes about compositionally, the phraseological, non-compositionally. At second glance, however, one might ask if we are not dealing with an artefact of paraphrasing. ‘Sterben’ itself, as definition of the meaning of the idiom, would
9.
95
Semantic aspects of phrasemes
need to be paraphrased again (e.g. as ‘cease to live; expire, lose vital force’ COD). This conceptual difficulty is even more apparent if one looks for cases where the structures of meaning of the two levels are in fact isomorphic. Here, we may consider the much debated example aus einer Mücke einen Elefanten machen (“to make an elephant out of a mosquito/midge” cf. Engl. to make a mountain out of a molehill). In this case, isomorphy can mean that: (1) each component of the meaning of the idiom can be assigned to a component of the literal meaning – disregarding, for the time being, the nature of this assignment (cf. motivation as explained above) and (2) in both cases the overall meaning comes about through regular, syntactic-semantic processes. According to this pattern, we have the following results:
German idiom, too, which is paraphrased by Duden 11 as ‘etw. Wertvolles jmdm. anbieten, der kein Verständnis dafür hat, es nicht zu würdigen weiss’ (“to offer sth. valuable to sb. who does not appreciate it”). (Geeraerts himself mentions restrictively that it cannot be claimed “that the metaphorically motivated readings of parel and zwijn in the idiom coincide exactly with the lexicalized metaphorical meanings” [446].) If we take the validity – or at least the plausibility – of a certain paraphrase for granted, if the phraseological meaning (= the paraphrase of the idiom) is compositionally structured and if this structure can be mapped onto the (naturally also) compositional structure of the literal meaning with a one-on-one method, then we are dealing with an isomorphism.
literal aus der Mücke einen Elefanten machen
Contrary to the beginnings of Transformational Grammar, European phraseologists already noted in the nineteen seventies that not all idioms are a “monolithic” block whose meaning forms an inseparable entity. Under the title of “semantic autonomy” it was and still is being investigated how much and in what way the components of the phraseme contribute semantically to its overall meaning. With this criterium, several semantically grounded classes can be distinguished:
phraseological out of something small something big make
Whether this assignment is plausible depends on the formulation of the paraphrase. In the paraphrase of Duden 11, ‘etwas unnötig aufbauschen, weit übertreiben’ (“needlessly magnify sth., strongly exaggerate sth.”), no isomorphism is apparent. Here as well, however, it could be argued that ‘aufbauschen’ (“to magnify”, “to exaggerate”) and ‘übertreiben’ (“to exaggerate”) could be paraphrased, with the well-known “regressus ad infinitum” of definitions. A German example has already been given by Burger (1973, 16): sich ins warme Nest setzen (“to sit down in the warm nest”), ‘in gute Verhältnisse einheiraten’ (similar to Engl. to marry money). Here, the idiomatic meaning of the components can be correlated separately with the literal meanings. Geeraerts (2003) discusses the Dutch example parels voor de zwijnen gooien (German Perlen vor die Säue werfen, English to cast [or throw] pearls before swine ‘give or offer valuable things to people who do not appreciate them’ ODI). Here, a separation of the phraseological meaning parallel to the literal meaning is definitely possible (pearls – valuable things, swine – inferior people). However, the specific nuance of the idiom cannot be deduced from the isomorphism. ‘Who does not care about it’ is semantically not the same as ‘inferior people’. This goes for the
4.2. Semantic autonomy
(1) Idioms without semantically autonomous components. These are also called “non-compositional”. They are regarded in some classifications (e.g. Cowie, who talks of “pure idioms” [cf. art. 77] as idioms “sensu strictu”.) A German example would be ins Gras beissen (“to bite into the grass”, ‘to die’). This does not mean, however, that they are generally unmotivated. Many idioms of this type are motivated “as a whole” in the sense of metaphorical or metonymical motivation, for instance Engl. let the cat out of the bag, bury the hatchet (cf. the scheme in Keil 1997, 125–126). In older German research, this type of idiom was called a “partly motivated” (or also “partly idiomatic”) phraseme. This term, however, is impractical because it collides with “teilmotiviert” (cf. (3)). German examples: jmdm. den Stuhl vor die Türe setzen (“to put sb.’s chair in front of the door”, ‘to kick sb. out’), die Flinte ins Korn werfen (“to throw the shotgun into the grain”, ‘to give up’). English examples are close ranks, do a
96
U-turn and run off the rails (see Cowie, art. 77). (2) Idioms with semantically autonomous components are called “compositional”. Sensu strictu idioms are regarded as compositional only if all their components are autonomous (cf. 4.1.). Semantic autonomy is particularly strong if the components, taken out of the idiom, can have the same figurative meaning (apart from their literal meaning) as within the idiom. This kind of autonomy can be found systematically with idioms which are motivated “symbolically” (see below). Horn (2003) gives examples such as pull strings/There are no strings (attached), and several examples of the verbs take and make (257). The idiomatic interpretation comes about through normal grammatical processes, through which the metaphorical meanings of the components can be combined. When the component of the idiom only has a figurative meaning outside the idiom, the structure is even simpler. Horn (2003) mentions the example make headway: NP complements like headway “do not have distinct literal occurrences” (258). A context in which headway appears outside the idiom would be “Their headway on the problem was remarkable” (259). The examples to let the cat out of the bag or to bury the hatchet are of a different nature. Taken out of the idiom, cat, bag, hatchet do not have the metaphorical meaning (if at all) that they have within the idiom. Following Wasow et al. (1982), Keil (1997, 91–92) argues that unmotivated (opaque) idioms might also have semantically autonomous components. Her example for this is einen Bock schießen (“to shoot a goat” ‘einen groben Fehler machen’ cp. Engl. to make a boo-boo) and jmdm. einen Bären aufbinden (“to bind a bear onto sb.” ‘to hoax sb.’). It is apparent that the components Bock (“goat”) and Bär (“bear”) exhibit a certain semantic autonomy in contexts where these components can be isolated (e.g. “der Bock, den er geschossen hat”, “the goat that he shot”). In the paraphrase, Bock or Bär can be “translated” as ‘mistake’ or ‘cock-and-bull story’, respectively. Contrary to this, such a direct “translation” is not possible in den Bock zum Gärtner machen (“to make a gardener out of the goat”, ‘to assign a certain task to sb. who is not qualified for it’). Although the word Bock can refer to a certain
III. Semantik der Phraseme / Semantics of set phrases
individual, it can only be deduced from the overall metaphor of the idiom what is done to this person. The problem of this line of argument is well-known and arises time and again when the “transformational deficiencies” of idioms are discussed. (Since the seventies, the question whether the originally so-called transformational deficiencies are syntactic and/or semantic phenomena and in particular, whether the syntactic behaviour of idioms can be deduced from the semantic behaviour, has been the source of many debates. I cannot go into the details of this here.) The dividing line between “normal”, regular versions of the idiom and its intentionally deviating modifications is difficult to draw in individual cases, and the judgements of native speakers regarding this often diverge. (3) There are idioms with only one semantically autonomous component, such as the German idiom einen Streit vom Zaun brechen (“to break a quarrel from the fence”, ‘to raise a quarrel’). Here, Streit (“quarrel”) has its non-phraseological meaning, while vom Zaun brechen (“break from the fence”) has an idiomatic meaning (neither the component vom Zaun nor the component brechen has an autonomous meaning). Such expressions are “partly idiomatic” or “partly motivated”, respectively, but in a different sense than in (1). In this case, one part of the idiom is in fact idiomatic itself, but another one is non-idiomatic. The non-idiomatic part is bound to the idiomatic one, meaning that vom Zaun brechen (in the idiomatic sense) can only occur in combination with Streit (or possibly with synonymous lexemes). The opposite is not true, and we are thus dealing with a one-sided determination. The non-motivated idioms of group (1) are also called “opaque”, while the motivated idioms of group (1) and the idioms of group (2) are “transparent”. The idioms of the third group are partially opaque or transparent, respectively. (Horn 2003 uses the expression “transparency” [256ff.], in my opinion, needlessly, in a much more restricted sense: Only those idioms whose components occur outside of the idiom with the same meaning as inside it are called transparent.)
9.
5.
Semantic aspects of phrasemes
Synchrony and diachrony
In order to deal with the question of motivation, it is important to differentiate between a synchronic and a diachronic perspective, even though this differentiation is not always possible. The following factors must be mentioned: (1) An idiom can contain an obsolete component, but as a whole still be synchronically alive. This applies to all idioms with “unique” components. Etw. von der Pike auf lernen (“to learn sth. from the pike”, pike = lance, ‘to learn sth. by working one’s way up from the bottom’. In the army, new recruits had to exercise with the pike.) In German, Pike is not used outside the idiom any more. This phenomenon also occurs in word formation (so-called “cranberry-composition”). (2) Historical-genetic motivation is not always in accordance with traceable synchronic motivation (in those cases where one can talk of synchronous motivation). With sich mausig machen (‘to express oneself or behave insolently and pertly’), many German speakers will think of a Maus (“mouse”) and possibly of the fact that mice can be meddlesome. Historically, the word combination comes from falconry and is connected to the word Mauser ( Propositional attitude of S: > > > S wants: do P > > < Speaker intention: S wants: H recognise: S wants: do P > > > > Speaker’s presuppositions: > > : P is in the interest of H
9 > > > > > > = > > > > > > ;
Though versprechen and schwören and their multiword synonyms all lexicalise the same combination of speaker attitudes, they also differ with respect to other aspects of their meaning: schwören and (jmdm.) etwas hoch und heilig versprechen both lexicalise a higher degree of intensity than versprechen. Figure 10.1. represents the similarities and differences in the meanings of versprechen and schwören and their multiword synonyms: Propositional Attitude (S): S wants: do P Intention (S): S wants: H recognise: S wants: do P Presuppositions (S): P is in the interest of H
{versprechen, (jmdm.) ein Versprechen geben, (jmdm.) sein Wort geben, jmdm. etwas in Aussicht stellen, eine Verpflichtung eingehen, eine Zusicherung machen/geben}
[+Manner: Intensification]
{schwören, (jmdm.) etwas hoch und heilig versprechen}
Fig. 10.1.: Meanings of versprechen and schwören and their phraseological synonyms
At this point, a distinction must be made which has not been mentioned so far: that between idioms and collocations. While idioms and collocations are both multiword lexical items, idioms differ from collocations in that they show a certain degree of idiomaticity or non-compositionality of meaning. A phraseme is idiomatic if its meaning is not composed of the lexical (i.e. literal or conventionalised-metaphorical) meanings of its components. Collocations appear to be synonyms of speech act verbs significantly more often than idioms. In the study on which the lexicalisation tendencies presented in this section are based, 91 percent of the collocations considered proved to be classifiable as synonyms of speech act verbs, while only 54 percent of the idioms could be classified in that way. This observation indicates that collocations and idioms differ with respect to their lexicalisation properties: While collocations mostly lexicalise the same concepts as speech act verbs, idioms often lexicalise concepts different from those lexicalised by speech act verbs. Different classes of speech act verbs also show different proportions of idioms and collocations. In spite of the general tendency for collocations to be synonymous with speech act verbs, collocations are rare in the lexical fields constituted by expressive speech act verbs (verbs used to refer to the expression of evaluations and emotions). Idioms clearly outnumber collocations in these fields. They are particularly frequent in the fields of verbs expressing negative evaluations. Examples of such verbs are zurechtweisen (‘to rebuke’), diffamieren (‘to defame’) and angeben (‘to boast’). Synonyms of zurechtweisen (‘to rebuke’) have already been mentioned in section 2.1 (examples (1a)–(1d) and other synonyms of these). Synonyms of to defame and to boast include those listed in (4) and (5) below: Synonyms of diffamieren (‘to defame’): (4a) jmdn. ins Gerede/in Misskredit/in Verruf bringen (‘to bring someone into the gossip/discredit/ill repute’) (I) (4b) jmdn. in den Schmutz/Staub ziehen/zerren/treten (‘to draw someone into the dirt/dust’)(I) (4c) jmdn. mit Dreck/Schmutz bewerfen/besudeln (‘to throw mud/dirt at someone’) (I) (4d) jmdn. schlecht/madig machen (‘to make someone [look] bad/worm-eaten’) (I)
116
Synonyms of angeben (‘to boast’) (5a) große Reden schwingen (‘to swing big speeches’) (I) (5b) kräftig/mächtig ins Horn/in die Trompete stoßen (‘to powerfully/mightily blow into the horn/trumpet’) (I) (5c) den Mund (zu) voll nehmen (‘to take one’s mouth too full’)(I) (5d) große/dicke Töne reden/spucken (‘to talk/spit big/fat sounds’) (I) While speech act phrasemes are distributed unevenly across different lexical fields, the same is true of speech act verbs. Speech act verbs and speech act phrasemes sometimes even cluster in the same lexical fields. For example, verbs like diffamieren, diskreditieren, schlecht machen, verunglimpfen and verleumden (English to defame, to discredit, to traduce and to slander) may be used as synonyms of the idioms in 4. However, clusters of one-word synonyms are not quite as large as the largest idiom clusters. Very large clusters of synonymous idioms only occur in the fields of verbs expressing negative evaluations. Of the idioms which may be used as synonyms of speech act verbs, 32 percent are synonyms of verbs like to rebuke, to boast and to defame. The remaining 68 percent are distributed more or less evenly across different lexical fields. These observations show that clustering is not typical of the distribution of speech act phrasemes. Rather, speech act verbs also cluster in particular lexical fields. Like speech act phrasemes, they are particularly frequent in the fields of verbs expressing negative evaluations. Examples of synonymous speech act verbs lexicalising negative evaluations are listed in (6)–(8) below: (6) meckern, mosern, nörgeln, murren, mäkeln (English: to grumble, to grouse, to carp, to nag) (7) spotten, verspotten, hänseln, veräppeln, veralbern (English: to mock, to laugh at, to deride, to ridicule) (8) tadeln, rüffeln, kritisieren, beanstanden, bemängeln, monieren, missbilligen, verurteilen, anprangern (English: to blame, to criticise, to object (to something), to censure, to disapprove, to condemn, to denounce) These examples show that, though phrasemes lexicalising negative evaluations do indeed outnumber those lexicalising positive evaluations, this is by no means a typical character-
III. Semantik der Phraseme / Semantics of set phrases
istic of phrasemes. Speech act verbs lexicalising negative evaluations are also more frequent than such which lexicalise positive evaluations. The abundance of expressions lexicalising negative evaluations seems to affect the lexicon as a whole, at least in this part of the vocabulary. Since speech act phrasemes cluster in particular lexical fields and speech act verbs do so too, it is also far from obvious that synonymy is more wide-spread among speech act phrasemes than among speech act verbs. The observation that only half of the idioms considered may be classified as synonyms of speech act verbs indicates that idioms often lexicalise concepts different from those lexicalised by verbs. In the next section, I shall be concerned with speech act concepts which get lexicalised by speech act phrasemes (mainly by idioms) rather than by speech act verbs. 3.2. Phrasemes as hyponyms of words and other phrasemes Most speech act phrasemes which are not synonyms of speech act verbs expand the meanings of these. Phrasemes fulfilling this function have meanings which are more specific and hence more complex than that of a corresponding verb. Examples of such phrasemes include those listed in (9): (9a) jmdm. einen Floh ins Ohr setzen (‘to put a flea into someone’s ear’; meaning: ‘to tell someone something which causes him/her to have expectations unlikely to be fulfilled’) (I)(9b) jmdm. eine bittere Pille zu schlucken geben (‘to give someone a bitter pill to swallow’; meaning: ‘to tell someone something disagreeable’) (I) Though the idioms in (9) lexicalise speaker attitudes which are also part of the meaning of verbs like mitteilen (‘to inform’), the meaning of these idioms is more complex than that of mitteilen. jmdm. einen Floh ins Ohr setzen is used to refer to a speech act in which a speaker informs a hearer of something, thereby causing that hearer to have expectations unlikely to be fulfilled. Apart from lexicalising a particular result (a hearer’s expectations), the idiom jmdm. einen Floh ins Ohr setzen also lexicalises a negative evaluation of that result by the discourse situation speaker (i.e. a speaker describing the utterance made by the speaker of the situation referred to). A discourse situation speaker describing
117
10. Paradigmatic relations of phrasemes
the utterance of another speaker by means of the idiom jmdm. einen Floh ins Ohr setzen indicates that he/she considers the hearer’s expectations unlikely to be fulfilled. The idiom in (9b) (jmdm. eine bittere Pille zu schlucken geben) also lexicalises all the speaker attitudes which are part of the meaning of verbs like to inform. In addition to these, jmdm. eine bittere Pille zu schlucken geben expresses a specification of the propositional content as something disagreeable to the hearer. Figure 10.2. shows which components are part of the meaning of idioms like jmdm. einen Floh ins Ohr setzen and jmdm. eine bittere Pille zu schucken geben as compared to those lexicalised by mitteilen (‘to inform’) and its one-word and multiword synonyms: Propositional Attiude (S): S knows P Speaker Intention: S wants: H know P Speaker Presuppositions: H does not know P {mitteilen, informieren, sagen, (jmdm.) Bescheid sagen, jmdn. über etwas ins Bild setzen, jmdn. von etwas in Kenntnis setzen, jmdm. etwas zur Kenntnis bringen, ...}
[+Result: Wish of II]
[+Spezifikation of P]
[+Neg. Evaluation]
{jmdm. einen Floh ins Ohr setzen}
{jmdm. eine bittere Pille zu schlucken geben}
Fig. 10.2.: Meaning of phrasemes expanding the meaning of verbs like mitteilen (‘to inform’)
Speech act phrasemes expanding the meaning of speech act verbs are semantically more complex than these and may therefore be regarded as hyponyms of the verbs whose meanings they expand. Since jmdm. eine bittere Pille zu schlucken geben and jmdm. einen Floh ins Ohr setzen are both used to refer to special acts of informing someone of something, these expressions may both be considered to be hyponyms of the superordinate verb mitteilen (‘to inform’). The observation that the large majority of phrasemes which are not synonyms of speech act verbs expand the meanings of these indicates that hyponymy relations between phrasemes and superordinate words are indeed frequent. To the extent that these superordinate verbs mostly have multiword synonyms, hyponymy relations also seem to hold between phrasemes and superordinate phrasemes. However, phra-
seological synonyms of speech act verbs which are superordinates of other phrasemes happen to be collocations rather than idioms. On the whole, the observations on the hyponymy relations of phrasemes may be summarised as follows: phrasemes frequently occur as hyponyms of superordinate verbs as well as superordinate collocations, but hyponymy relations between phrasemes and superordinate idioms are rare. 3.3. Idiom-specific fields 3.3.1. Idioms constituting hybrid fields A small number of the phrasemes which do not have one-word synonyms lexicalise speaker attitudes which are part of the meanings of different types of speech act verbs. These phrasemes may therefore be considered to constitute hybrid fields. Almost all of the phrasemes fulfilling this function are idioms. An example is die Werbetrommel rühren (‘to beat the publicity drum’; meaning: ‘to express one’s support of something with the intention of gaining further support for it from other people’). This idiom lexicalises speaker attitudes which are part of the meaning of verbs like verbreiten (‘to spread’) as well as such lexicalised by verbs like preisen (‘to praise’). Specifically, die Werbetrommel rühren lexicalises the propositional attitude, the speaker’s intention and the speaker’s presuppositions lexicalised by verbs like preisen (‘to praise’) as well as the speaker’s presuppositions lexicalised by verbs like verbreiten (‘to spread’). Additionally, it lexicalises the feature [addressed to several hearers] which is part of the meaning of verbreiten. Figure 10.3. represents the components which are part of the meaning of die Werbetrommel rühren, see Fig. 10.3. on next page. 3.3.2 Idioms constituting independent lexical fields An equally small number of speech act phrasemes which are not synonyms of speech act verbs constitute lexical fields independent of those of speech act verbs. Examples are the idioms listed in (10): (10a) Farbe bekennen (‘to confess one’s colour’) (10b) Flagge zeigen (‘to show one’s flag’) (10c) Klartext reden/sprechen (‘to speak in clear text’)
118
III. Semantik der Phraseme / Semantics of set phrases
Speaker attitudes lexicalised by verbreiten ('to spread') Propositional Attitude (S) S knows P Speaker Intention: S wants: H knows P Speaker presuppositions: H does not know P Utterance: Adressed to several hearers
Speaker attitudes lexicalised by preisen ('to praise') Propositional Attitude (S): S considers P good Speaker Intention: S wants: H recognise: S considers: P good Speaker Presuppositions: P is the case Utterance: Not specified
Propositional Attitude (S): S considers P good Speaker Intention: S wants: H recognise: S considers: P good Speaker presuppositions: 1. H does not know: P 2. P is the case Utterance: Adressed to several hearers Speaker attitudes lexicalised by die Werbetrommel rühren
Fig. 10.3.: Components of the meaning of die Werbetrommel rühren.
(10d) eine deutliche Sprache sprechen (‘to speak a clear language’) The idioms in (10) all mean ‘to express one’s opinion openly and emphatically’. They lexicalise the propositional attitude ‘S knows P’ and the speaker intention ‘S wants H to know P’, which are typically lexicalised by verbs like mitteilen (‘to inform’). However, the idioms in (10) differ from verbs like inform in that they additionally express a specification of the propositional content as the speaker’s opinion on a particular subject. Such a specification is not part of the meaning of verbs like inform or any other speech act verb, nor is it part of the meaning of other speech act phrasemes. For this reason, the idioms in (10) constitute a lexical field of their own.
4.
Phrasemes as fillers of lexical gaps
The discussion of the paradigmatic relations of speech act phrasemes has shown that phrasemes often lexicalise the same concepts as words and may hence be regarded as synonyms of these. Speech act phrasemes which are synonymous with speech act verbs do not differ from these with respect to their denotation, though they may differ from both their one-word and their multiword synonyms with respect to connotative aspects of their meaning such as selection restrictions and stylistic
features. Furthermore, phrasemes being otherwise identical still differ with respect to their imagery. However, there is also a considerable number of speech act phrasemes (mostly idioms) which lexicalise concepts different from those lexicalised by speech act verbs and may hence be regarded as fillers of gaps in the word inventory. These phrasemes fulfill one of the following three functions: They expand the meaning of words, they constitute hybrid fields or they establish lexical fields of their own. Idioms fulfilling one of these functions obviously have denotations different from those of words. These observations suggest that the question of whether there is anything specific about the meaning of phrasemes must be answered differently for different types of phrasemes. Phrasemes which are synonyms of words typically differ from one another with respect to their imagery and thereby widen the range of lexical items from which speakers may select to express a certain concept. However, phrasemes which do not have oneword synonyms fulfill functions which go far beyond that of increasing the possibilities of choice. Specifically, these phrasemes (mostly idioms) provide economical means for the expression of concepts which would otherwise have to be expressed by more or less elaborate paraphrases. Phrasemes of this type are therefore indispensable elements of the lexicon. The results obtained for German speech act phrasemes need not be valid for speech act phrasemes in languages other than German or for phrasemes belonging to other lexical domains. Similar studies of the distribution of phrasemes and words in other sections of the vocabulary are needed to check whether phrasemes generally fulfill the functions observed with respect to German speech act phrasemes. It is by no means clear, for example, whether idioms fill gaps in the word inventory in every part of the lexicon. Other extensive studies of specific lexical domains will have to show whether generalisations can be made.
5.
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11. Lexical Functions 1. 2. 3. 4. 5.
Collocations Semantic derivatives Lexical Functions as a tool for the description of collocations and semantic derivatives Lexical Functions in the lexicon Select bibliography
Lexical Functions were introduced in Žolkovskij/Mel’čuk 1965, 1967 in order to formalize the presentation of COLLOCATIONS – a major subset of set phrases. It turned out, however, that Lexical Functions are also convenient for the presentation of SEMANTIC DERIVATIVES. Semantic derivatives and collocations feature essential similarity and an important intersection; they should be treated in parallel. Lexical Functions constitute a formal tool for homogeneous systematic description of these two linguistic phenomena within the framework of a particular linguistic approach, known as the Meaning-Text Theory [= MTT].
1. Collocations A collocation is a particular type of set phrase, or phraseme. For subsequent discussion a few auxiliary notions are needed: – A sign X of language L is a triplet h‘X’; =X=; "x i, where ‘X’ is the signified, =X= the signifier, and Σx the syntactics of the sign – the constraints on the cooccurrence of X with other signs of L. – The operation of linguistic union + unites linguistic items according to general rules of L and, where appropriate, according to syntactics of these items. – The phrase AB of L consisting of lexemes A and B is free if and only if its two components are selected by the Speaker unrestrictedly (i.e., using any lexical selection rules of L available) and combined regularly (i.e., according to general combi-
120
III. Semantik der Phraseme / Semantics of set phrases
nation rules of L). If AB is not free, it is a phraseme. – If the signified of a phraseme AB can be represented as ‘B(A)’, where ‘A’ is the argument of the predicate ‘B’, ‘A’ is the semantic dominant of this signified; the semantic dominant of a signified is underscored: ‘AB’. – Phrasemes are subdivided in idioms (the signified of an idiom either does not include the signifieds of its components or, if it does, then only of one and not as the semantic dominant), 2) collocations (the signified of a collocation includes the signified of one of its components as the semantic dominant), and 3) quasi-idioms (the signified of a quasi-idiom includes the signifieds of both of its components, but neither as the semantic dominant). – Idioms, quasi-idioms and lexemes of L are lexical units [= LUs] of L; each one of them has a lexical entry in the dictionary of L (for a possible exception, see the end of Section 1). Definition 1: Collocation A phraseme AB ¼ h‘S’ ; /A/ + /B/ ; ΣAB i of L is a collocation if and only if it satisfies simultaneously the following three conditions: 1. 2. 3.
AB’s signified ‘S’ includes the signified of one of its components, for instance, of A, as its semantic dominant: ‘S’ )‘A’. A is selected by the Speaker for its signified ‘A’ independently of B and unrestrictedly. B is not selected unrestrictedly for its signified ‘S´’ (which is the difference ‘S’ – ‘A’): B is selected as a function of A.
A is the base of the collocation AB, and B its collocate. Examples of collocations (bases are in small caps) – do h*make i a FAVOR, give h*send i a LOOK, take h*seize i a STEP, pay h*make i a VISIT, ... [the collocate is a light, or support, verb] – strong h*powerful i COFFEE, heavy h*weighty i RAIN, patently h*evidently i ABSURD, as ALIKE as two peas in a pod h*as two drops of water i, ... [the collocate is an intensifier] Collocations represent the main challenge for any theory of phraseology (see Mel’čuk
2003, the references in Cowie (ed.) 1998 and Grossmann/Tutin (eds.) 2003). They are also a problem for dictionary-making: collocations are not LUs and have no lexical entries of their own; however, all collocations of an LU L must be presented in L’s entry. (Note that collocates are as a rule LUs, although they may have no lexical entries in the dictionary of L – if they show unique cooccurrence). In order to describe collocations in a systematic way, MTT proposes Lexical Functions – see 3.
2. Semantic derivatives A collocation is an observable result of SYNof lexemes — a result of constrained lexeme selection. There is also PARADIGMATIC GROUPING of lexemes, which is not directly observable, because it exists only in the brain of the speaker; it underlies all lexical selections done by the latter. The meanings of any two LUs L1 and L2 are in one of the four following relations: they can be equal (‘L1’ = ‘L2’), one can include the other (‘L1’ ) ‘L2’), they can have a nonempty intersection (‘L1’ \ ‘L2’ ≠ Ø), or they can have no intersection (‘L1’ \ ‘L2’ = Ø). These set-theoretical relations underlie several paradigmatic lexical relations wellknown in linguistics, for instance: TAGMATIC GROUPING
– Lexical synonymy (exact and approximate): PUMA ~ MOUNTAIN LION; TORNADO ~ TWISTER; [to] FIRE [upon N] ~ [to] SHELL [N] ~ [to] MACHINE-GUN [N]; OBSTACLE ~ SNAG. – Lexical antonymy – a special case of semantic inclusion: the extra element in the meaning of one of the antonyms is negation, as in ALLOW ~ FORBID, where ‘allow Y to Z’ ≈ ‘say that Y can Z’, and ‘forbid Y to Z’ ≈ ‘say that Y cannot Z’. Some of these lexical relations are morphologically marked: thus, the nouns runn+er and swimm+er have a suffix that identifies them as agent nouns derived from [to] run and [to] swim. This is morphological derivation. But in many cases morphological derivation is not regular: someone who steals is not a *steal +er, but a thief, and someone who flees is not a *flee+er, but a refugee or a fugitive. Bedroom translates in Russian as spa+l´nja, lit. ‘sleep+er’, from spa-(t´) ‘[to] sleep’, while dining room gives stol+ovaja, lit. ‘tabl+er’, from stol ‘table’, and not from es-(t´) ‘eat’.
11.
121
Lexical Functions
Semantically, however, these pairs are proportional: ‘bedroom’ ‘dining room’ ‘spal´nja’ ‘stolovaja’ _______ _________ ______ _______ = = = ‘sleep’
‘eat’
‘spat´’
‘est´’
The meaning added in the noun L´ with respect to the verb L is the same in all pairs: ‘room designed to do L’. This meaning appears in many LUs (cf. sitting/living room, study, kitchen, bathroom, nursery, junk room, ball room, storage room, etc.) of many languages; at the same time, it does not have a standard expression. Therefore, the corresponding relation between L and the derived lexeme – and all relations of the similar type – must be explicitly shown in the dictionary under L. This can be done in the form of cross-references – from L to all its semantic correlates {L´i}; {L´i} are semantic derivatives of L. Semantic derivatives of an LU are of course LUs themselves. Definition 2: Semantic derivative A semantic derivative of lexeme A of L is lexeme B that satisfies the following conditions: 1.
2.
B shares semantic material with A: either ‘B’ = ‘A’, or ‘B’ ) ‘A’ [this means that ‘B’ differs from ‘A’ by a semantic component ‘d’: ‘d’ = ‘B’ – ‘A’]. The semantic difference ‘d’ is present in many lexical pairs or it is negligibly small (it can be neutralized in a sufficient number of contexts).
designate a situation or an object similar to or identical with that referred to by L, a generic notion for L, a participant in the situation ‘L’, etc. Semantic derivatives can also be described by Lexical Functions.
3.
Lexical Functions [= LFs] as a Tool for the Description of Collocations and Semantic Derivatives
3.1. Definitions LFs are designed to describe the two phenomena just introduced: collocations and semantic derivatives. (For more on LFs, see Žolkovskij /Mel’čuk 1965, 1967, Mel’čuk 1974, 78– 109; 1996, 1998, 2003, Mel’čuk et al. 1984, 1988, 1992, 1999, Mel’čuk et al. 1995, 125– 151, Mel’čuk/Zholkovsky 1984, 1988, Wanner (ed.) 1996.) The noun function in the term Lexical Function is used in its mathematical sense: f(x) = y; the adjective lexical indicates that f’s domain of definition as well as the range of f’s values are both lexical expressions. Definition 3: Lexical Function A correspondence f that associates with an LU L a set f(L) of lexical expressions is called a Lexical Function if and only if it satisfies the following three conditions: 1.
Homogeneity of f(L) For any two different LUs L1 and L2, if f(L1) and f(L2) both exist, then any elements L´1 [ f(L1) and L´2 [ f(L2) bear an (almost) identical relationship to L1 and L2, respectively: L01 L02 — ≈— L1 L2
2.
Maximality of f(L) For any two different LUs L´1 [ f(L1) and L´2 [/ f(L2), we have L´1 L´2 —— ≠ —— L1 L2
Condition 2 is crucial: for a lexeme of L to be a semantic derivative of another lexeme, the semantic difference between them must be systematic or negligible in L. Examples of semantic derivatives – Action noun (‘d’ = Ø ): Fr. prendre ‘take’ ~ prise, acheter ‘buy’ ~ achat, laver ‘wash’ ~ lavage, s’empresser ‘haste’ ~ empressement, tomber ‘fall’ ~ chute, ... [most of these are morphological derivatives, but so irregular that they have to be listed in the dictionary] – Diminutive (‘d’ = ‘little pleasant [L]’): Rus. grob ‘coffin’ ~ grób+ik, dub ‘oak’ ~ dub+ók, tramváj ‘tram’ ~ tramváj+čik, ózero ‘lake’ ~ ozer+k(-ó)/ozer+c(-ó) [these highly productive formations are also morphological derivatives]
If f is applicable to several LUs, then, at least in some cases, f(L1) ≠ f(L2), while f(L1) and f(L2) cannot be specified without mentioning individual LUs L1 and L2.
Semantic derivatives {L´i} of L show systematic semantic relationships with L: L´ can
In f(L), L is the keyword of f, and f(L) = {L´i} is the value.
3. Phraseological character of f(L)
122
LFs applicable to several LUs are called normal; those applicable to only one LU (or maybe to a few semantically close LUs) are called degenerate. (Degenerate LFs are an extreme case of Non-Standard LFs, see below). Comments on Definition 3 1. The value f(L) of an LF f is a set of linguistic expressions; the elements of f(L) need not be strictly synonymous: they must be only more or less synonymous. An expression that appears as an element of the value of an LF f is either an LU (a lexeme or a phraseme), or a morphological unit (an affix or a compounding stem), or else a free phrase. 2. Condition 1 guarantees that, for any two keywords, the semantic and syntactic relationships between any element of the value of f and the keyword remains approximately the same. 3. Condition 2 is necessary for the saturated character of f(L): f is maximal in that it returns all possible elements of any given value. Thus, any intensifier of L must belong to the value f(L) of f that covers the intensifiers (Magn). 4. Condition 3 ensures the phraseological character of the phrase f + f(L): it requires that in L, for the given pair of LUs hL1, L2i, the value of f be phraseologically bound by its keyword; the selection of the elements of f(L1) and those of f(L2) is contingent on particular L1 and L2, respectively. 5. For each f its domain of applicability is specified: f may be applicable to all LUs (as Syn), to very many LUs (as Magn, applicable to any LU whose meaning includes a gradable component), to few LUs (as Pos, which applies only to LUs referring to evaluations), or even to one LU (such as the Non-Standard LF [year] which has 366 days, applicable only to YEAR: leap year). If f is applied to an LU which does not belong to its domain, the result is absurd: *Pos(sleep) or *Oper2(tree). However, even applied inside its domain, f may return an empty value: Oper3(exam) = – (English has no standard expression for the meaning ‘constitute the subject matter of an exam’) or RealII3(invitation) = – (English does not say *follow an invitation).
III. Semantik der Phraseme / Semantics of set phrases
A particular type of LFs is of special interest: Standard LFs, which form a proper subset of normal LFs. Definition 4: Standard Lexical Function A normal LF f is called Standard if and only if it satisfies both following conditions: 1.
Broadness of the domain of f f is defined for a relatively large number of keywords. [The meaning ‘f’ is sufficiently abstract – i.e., poor – to be applicable to many other meanings; it can even be empty.]
2.
Diversity of the range of f f has a relatively large number of expressions as elements of its possible values and these expressions are more or less equitably distributed between different keywords.
Condition 1 characterizes f as a POTENTIAL Standard LF, while Condition 2 characterizes f as an ACTUAL Standard LF; it means that the set of all f (Li), for a vast variety of Li, is relatively rich. Normal LFs that do not satisfy both Conditions 1 and 2, on the one hand, and degenerate LFs, on the other, are called Non-Standard, see 3.4.2. Here is an example of Non-Standard LF: the meaning ‘without addition of dairy product’. It has two expressions in English, a phraseological one – BLACK (with COFFEE: black coffee), and a free one – WITHOUT MILK (tea without milk, not *black tea). The expressions of this meaning are thus lexically distributed, so that it satisfies conditions 1 - 3 of Def. 3 and is an LF. Yet it fails Condition 1 of Def. 4: it is too specific and applicable only to a few names of beverages. (It fails Condition 2 of Def. 4 as well.) It corresponds to a Non-Standard LF. Among Standard LFs, a subset of about 60 basic LFs is singled out: Simple Standard LFs; they will be dealt with in 3.3. 3.2. Classification of LFs For a better surveyability, LFs can be classified from different viewpoints. Three classification axes will be considered here: 1.
Paradigmatic vs. syntagmatic LFs. Paradigmatic LFs deal with SELECTION of LUs for naming something; they are aimed at answering questions of the type «What is called an object/situation X, re-
11.
lated to Y?» – while speaking of X rather than Y. Syntagmatic LFs deal with COMBINATION of LUs in order to characterize something; they are aimed at answering questions of the type «What is called the action hcharacteristics, attribute, etc.i X of Y?» – while speaking of Y rather than X. For instance, paradigmatic lexical correlates of L = SCHOOL are: TEACHER, STUDENT, PRINCIPAL, SUBJECT, EXAM, LESSON, MARK, CLASS, MANUAL, COLLEGE, UNIVERSITY, TEACH, LEARN, ... Such lexical correlates are typically used in the text instead of their keyword L; for a paradigmatic LF f (L) and L are in an «either–or» relation. Syntagmatic lexical correlates of L form with L collocations, like those in (1): offer/accept the challenge, make a remark, place N on a course. Thus, for L = SCHOOL, syntagmatic lexical correlates are: TEACH (elementary/high school), GO (to school), GRADUATE (from a school), DRIVING (school), ELEMENTARY (school), HIGH (school), ... Such lexical correlates are typically used in the text together with L; for a syntagmatic f, an element of the f(L) and L are in a «both–and» relation, since they form a collocation. Some lexical correlates L´i of L appear in both syntactic varieties – sometimes instead of L, sometimes together with it. This particularity is indicated in the lexicographic description of L´i: an element of the value f(L) of a syntagmatic f that “covers” the whole meaning L + f(L) is called fused and is marked by the preceding symbol //. For instance, A2(conductV [an orchestra]) = conducted [by N] //under the baton [of N]. (Such syntactic “deviations” do not undermine the inherent paradigmatic vs. syntagmatic nature of a given LF.) 2. i)
ii)
3.
123
Lexical Functions
Standard vs. Non-Standard LFs differ in two major respects: Quantitatively – Standard LFs have (very) many possible keywords and value elements, and Non-Standard LFs have very few. Qualitatively–Standard LFs participate in synonymic paraphrasing of sentences, while Non-Standard ones do not (for more on this difference, see, e.g., Mel’čuk 1992 and Polguère (forthcoming)). Simple vs. complex LFs: Simple Standard LFs can form combinations to pro-
duce Complex LFs, such as AntiMagn, IncepOper1, CausFunc0, CausPredPlus, etc. There are also configurations of LFs and Mixed LFs. 3.3. Simple Standard LFs A list of most common Simple Standard LFs follows (see Mel’čuk 1974, 82–99, 1992, 1996, as well as in Mel’čuk et al. 1984, 1988, 1992, 1999 and Mel’čuk et al. 1995).
List of Simple Standard LFs Paradigmatic Lexical Functions (nºnº 1–21) LFs nºnº 1–3 are basic LFs: they embody the three central lexical relations of the MTT framework, namely synonymy, antonymy, and conversion. Syn, Anti and Convij do not have a part of speech of their own: they are of the same part of speech as their Keyword L. 1.
Syn [Lat. synonymum] = synonym. This LF corresponds to the basic relation of synonymy, or identity of meaning, which is so important in MTT. Syn (helicopter) Syn (telephoneV) = copter, chopper = phoneV
2.
Anti [Lat. antonymum] = antonym. This LF corresponds, roughly speaking, to the relation between an expression and the negation of (a part of) this expression. Anti returns for an LU L another LU L´ such that the meanings ‘L’ and ‘L´’ differ only by a negation in one of them: this negation can be “hidden” deep within the decomposition of the corresponding meaning (Apresjan 1974, 288–302, Apresjan/Cinman 2002, 112–116).
The LF Anti is applicable to an LU L such that its meaning ‘L’ is (or contains) a predicate which accepts the negation. In the text, the value Anti(L) – accompanied by negation – is used instead of the keyword L (Alain is still young. ≈ Alain is still not old). 3.
Convijk [Lat. conversivum] = conversive. Conversives correspond to the third important relation of the MT-approach: that between two equisignificant LUs whose DSynt-Actants do not correspond. More precisely, this LF returns for L an LU L´ with the same meaning as L but with its DSynt-Actants [= DSyntAs] i, j and k permuted with respect to its Sem-
124
III. Semantik der Phraseme / Semantics of set phrases
actants, so that they become, e.g., the DSyntAs k, i and j [i→k, j→i, and k→j]. The relation of conversion underlies the deep syntax in MTT. Cf.:
[For instance, A precedes B = B follows A, where L = PRECEDE and Conv(L)21 = FOLLOW]. The LF Conv is applicable to LUs that have Sem- and DSynt-actants. It is very important in the system of simple standard LFs, since many of these stand in the relation of conversion to each other : thus, Func1 = Conv21Oper1, etc. Conv21(include) = belong Conv21(behind) = in front of
Conv231 (opinion) = reputation Conv21( precede) = follow )
LFs nºnº 4–5 are hyperonyms of L: nº 4 is a real hyperonym, and nº 5, a metaphorical one. 4.
Gener [Lat. genus] = the closest generic concept for L. The value of this LF must appear in at least one of the following two constructions: ‘Gener (L)–ATTR→DER(L)’ = ‘L’ [where DER is any DSynt-derivative, see below, nºnº 6–9]; or L, X1, X2, ..., Xn and other (kinds of) Gener(L).
Gener has the part of speech of L; most currently, it is a noun. Gener(L) can, but need not, appear together with L. If Gener is syntagmatically combined with its keyword L, it takes L as its ATTR: Gener(L)–ATTR→L. Gener(republic) = state [republican state = republic] Gener(liquidN) = substance [liquidA substance = liquidN] Gener(arrestN) = reprisals [arrests and other (kinds of) reprisals]
5.
Figur [Lat. figuraliter ‘figuratively’] = standard received metaphor for L such that the elements of its value appear in the construction ‘Figur(L)–I→L’ = ‘L’; thus Figur(L) is used in the text together with L. Semantically, L is the name of a specific object, phenomenon or event.
Syntactically, L and Figur(L) are both nouns; Figur takes its keyword L as its DSyntA I: Figur(L)–I→L. Figur(fog) Figur(rain)
= wall [wall of fog ≈ fog] = curtain [curtain of rain ≈ rain] Figur(remorse) = pangs [pangs of remorse ≈ remorse]
LFs nºnº 6–21 correspond to derivational meanings of natural languages. LFs nºnº 6–9 are PURELY STRUCTURAL DERIVATIVES of L, i. e., LUs which have the same meaning as L but are used in quite different types of DSyntconfigurations; thus, ‘S0(L)’ = ‘L’, but of course L and S0(L) are syntactically in complementary distribution. 6–9.
S0, A0, V0, Adv0 – noun (= S(ubstantival)), adjective, verb and adverb, respectively, which have the same meaning as L:
S0(analyze) = analysis = analyze V0(analysis) A0(city) = urban Adv0(follow [N]) = after [N]
S0, A0, V0 and Adv0 are applicable to an LU of any corresponding part of speech (i.e., S0 is applicable to any LU except an S, A0 – to any LU except an A, etc.). LFs nºnº 10–21 are MEANINGFUL DERIVATIVES of L – i.e., LUs which add something to the meaning of L. As a general rule, the meaning of such a derivative of L includes that of L: ‘DERmeaningful(L)’ ) ‘L’. LFs nºnº 10–17 are applicable to any L which expresses a functor, i.e., denotes a situation. Among them, LFs nºnº 10–15 are actantial and circumstantial nouns. 10. Si is the standard name of the i-th (DeepSyntactic) actant of L; in the first place, agent noun [‘the one who L-s’] and patient noun [‘the one whom someone/ something L-s’]. There are Sis of two syntactic types. An Si(L) of the first type is used in the text, as a rule, instead of L, especially if this L is a verb. An Si(L) of the second type is used in the text together with L, taking it as its own DSyntA II: S1–II→L, etc.
11.
125
Lexical Functions
The verb TEACH: ‘Person X teaches subject Y to people Z’: S1(teach) = teacher S2(teach) = (subject) matter [in high school] S3(teach) = pupil
The noun LETTER: ‘Letter by person X to person Y about Z’: S1(letter) = author, sender [of the letter] S2(letter) = addressee [of the letter] S3(letter) = contents [of the letter]
In the left-hand column, one sees what are fused values of LFs, and in the right-hand column, non-fused values. The same difference in syntactic behavior appears with other LFs as well. 11–15. Sinstr, Smed, Smod, Sloc, Sres are, respectively, the standard name of instrument, means, mode, location, and result of the situation denoted by L (L is, as a rule, a noun or a verb). These are circumstantial nouns. Like actantial nouns, circumstantial nouns are normally used instead of their keyword L; if they aren’t, they also take it as their DSyntA II: Sinstr–II→L, etc. Sinstr (shoot) Sinstr(murderV,N) Smed (shoot) Smod(consider) )
)
= firearm = murder weapon = ammunition = approach [I consider this
problem as follows: ...~ My approach to this problem is as follows: ...] Sloc(fightV [two armies]) = battlefield
Sloc(war) Sres (learn) Sres (explosion) Sres (copyV) ) ) )
= theater (of war) = knowledge, skills = shockwave = copyN
LFs nºnº 16 and 17 specify properties of DSyntAs of L; both are adjectives and both replace L in the text. 16. Ablei [Lat. habilis ‘able, manageable’] denotes the determining property of the i-th potential DSynt-actant of L (‘such that it can L easily’/‘such that it can be L-ed easily’): Able1(cryV) Able1(vary) Able2(prove) Able2(trustV)
= tearful = variable = provable = trustworthy
17. Quali [Lat. qualitas] – determining property of the i-th probable DSyntA of L (‘such that it is predisposed to L’/‘such that it is predisposed to be L-ed’):
Qual1(cryV/N) Qual1(laughV/N) Qual2(doubtV/N) Qual2(laughV/N)
= sad = cheerful = implausible = awkward, absurd
Quali entails the probability of Ablei but not vice versa: if something is implausible it tends to be “doubtable,” but a “doubtable” statement is not necessarily implausible; an obvious statement is likely to be provable, but something provable is by no means always obvious; etc. LFs nºnº 18–19 correspond to SYNTACTIC INthose of the participle and of the deverbal adverb, respectively. FLECTIONAL MEANINGS:
18. Ai denotes the determining property of the i-th DSyntA of L from the viewpoint of its role in the situation ‘L’. A1 is semantically roughly equivalent to an active participle (≈ ‘which is L-ing’), and A2, to a passive participle (≈ ‘which is being L-ed’): A1(anger) = in [anger]// angry = with [a speed of ...] A1(speed) = // under analysis A2(analyze) A2(conduct [an orchestra] = //under the baton [of N]
[The symbol “//” indicates the fused elements of the given LF value; see 3.2, p.23, column.] 19. Advi denotes the determining property of the action by the i-th DSyntA of L from the viewpoint of the role of the DSyntAi of L in the situation denoted by L. Adv1 is semantically roughly equivalent to an active verbal adverb (≈ ‘while L-ing’), and Adv2, to a passive verbal adverb (≈ ‘while being L-ed’): = with [~] //angrily Adv1(anger) Adv1(decreaseN,V) = //down [Sales amounted to 6 million, a decrease of 2.7 percent = ..., down 2.7 percent.] = to [the ~] Adv2(applause) = //under bombardment [They Adv2(bombard) fled under heavy bombardment.]
LFs nºnº 20–21 reflect what in many languages are SEMANTIC INFLECTIONAL MEANINGS. 20. Imper [Lat. imperāre ‘[to] command’] is an imperative expression meaning ‘do L!’
126
III. Semantik der Phraseme / Semantics of set phrases
Imper(shoot) Imper(speak low) Imper(seize arms) Imper(stop [to a horse])
= Fire! = Sh-h-h! = Take up arms! = Ho!
21. Result [Lat. *resultāre ‘[to] result’] is a verb meaning ‘[to] be the expected result of L’ and it applies to verbs: Result(buyV) Result(lie down) Result(have learnt)
= ownV = be lying = know [how], have necessary skills
Syntagmatic LFs (nºnº 22–46) Syntagmatic LFs can be naturally subdivided according to their Deep-Syntactic part of speech: they can be nominal, adjectival/ adverbial, prepositional (a subclass of adverbial LFs), and verbal. Nominal LFs: nº 22 22. Centr [Lat. centrum ‘center’] means ‘the center/culmination of L’; syntactically, it is a noun that takes the name of L as its DSyntA II: Centr–II→L, etc. Centr(forest) Centr(crisis) Centr(glory) Centr(life)
= the thick [of the ~] = the peak [of the ~] = summit [of ~] = prime [of ~]
Adjectival/Adverbial LFs : nºnº 23–25 LFs nºnº 23–25 express different qualifications of L: Magn is a quantitative modifier (Do ‘L’ – to what extent?), Ver is an objective qualifier (Does ‘L’ correspond to L’s norm?), while Bon is a subjective qualifier (Does the speaker approve of ‘L’?). All three are DSyntadjectives/DSynt-adverbs and depend on L via the DSynt-Relation ATTR: Magn←ATTR–L, etc. 23. Magn [Lat. magnus ‘big, great’] means ‘very’, ‘to a (very) high degree’, ‘intense(ly)’: Magn(naked) Magn(laughv) Magn(patience) Magn(skinny [person])
= stark = heartily; one’s head off = infinite = as a rake
24. Ver [Lat. verus ‘real, genuine’] = ‘as it should be’, ‘meeting intended requirements’: Ver(surprise) Ver(punishment) Ver(instrument) Ver(walkV)
= sincere, genuine, unfeigned = well-deserved = precise = steadily
25. Bon [Lat. bonus ‘good’] = ‘good’, i.e., this adjective is a received praise for L coming from the speaker: Bon(cutV) Bon(proposal) Bon(service) Bon(aid)
= neatly, cleanly = tempting = first-class = valuable
Prepositional LFs: nºnº 26–30 LFs nºnº 26–30 are prepositions expressing LOCATION WITH RESPECT TO ‘L’ or the ROLE ‘L’ PLAYS in the situation in question: Locin, Locad and Locab are locative markers (‘in/at L’, ‘into L’, ‘out of L’), while Instr and Propt are respectively an instrumental and a causative markers (‘with/using L’ and ‘because of L’). They take L as their DSyntA II: Locin–II→L, etc. 26–28. Locin, Locad, Locab [Lat. locus ‘place’] is a preposition governing L and designating a type of spatial location with the respective directionality, i.e., ‘being in’, ‘moving into’, ‘moving out of’: Locin(height) Locad(height) Locab(height)
= at [a height of ...] = to [a height of ...] = from [a height of ...]
29. Instr [Lat. instrumentum ‘instrument’] is a preposition meaning ‘by means of L’: Instr(typewriter) Instr(satellite) Instr(mail) Instr(argument)
= on [ART ~] = via [~] = by [~] = with [ART ~]
30. Propt [Lat. propter ‘because of’] is a preposition meaning ‘because of/as a result of L’: Propt(fear) Propt(love)
= from, out of [~] = out of [one’s ~ of ...]
Verbal LFs: nºnº 31–46 The verbal LFs nºnº 31–42 are support verbs, phasal verbs, causative verbs, and fulfillment verbs. They are most naturally introduced by triplets (this will be explained for each case). 31–33. The LFs Operi, Funci and Laborij are support (or “light”) verbs. They are semantically empty – or at least emptied – in the context of L. Their L is a noun whose meaning is or includes a predicate (in the logical sense), thus presupposing actants; it is the name of an action, a state, a property, a relation, etc.
11.
127
Lexical Functions
The support verbs serve to link, on the DSynt-level, (the name of) a DSyntA of L to L itself; they thus play an important semanticsyntactic role and can be loosely called semiauxiliaries. The phrases with a support verb have since long attracted the attention of linguists and have been relatively well studied: a rich bibliography on support verbs in many different languages can be found in Ibrahim 2002. Operi [Lat. operāri ‘[to] do, carry out’]: the DSyntA I of this verb (and its SSynt-Subject) is the expression that is described in the Government Pattern [=GP] of L as the i-th DSyntA of L, and Operi’s DSyntA II (= its Main S(urface)Synt-Object) is L itself. (Further DSyntAs of Operi, if any, are the phrases described in the GP of L as further DSyntAs of L.) Oper1(blowN) Oper1(supportN) Oper2(blowN) Oper2(supportN)
= [to] deal [ART ~ to N] = [to] lend [~ to N] = [to] receive [ART ~ from N] = [to] receive [~ from N]
Funci [Lat. *functionāre ‘[to] function’]: the DSyntA I of this verb (and its SSynt-Subject) is L itself, and its DSyntA II (= its main SSynt-Object) is the i-th DSyntA of L. Func1(blowN) = comes [from N] Func2(blowN) = falls [upon N]
If Funci has no object, the subscript 0 is used: Func0(snowN) = falls Func0(option) = is open
Func0(preparations) = are under way Func0(rumors) = circulate
Laborij [Lat. labōrāre ‘[to] work, toil’]: the DSynt-actant I of this verb (and its SSyntSubject) is the i-th DSyntA of L, its DSyntA II (= its main SSynt-Object) is the j-th DSyntA of L, its DSyntA III (= its secondary SSynt-Object) is the j+1-th DSyntA of L, and its further DSyntA (= its third SSynt-Object) is L itself. Labor12(interrogation) = [to] subject [N to an ~] = [to] grant [N to N on ~] Labor32(leaseN)
Fig. 11.1: Support Verbs and their DSynt-Relationships with their Keyword
Fig. 11.1 presents the noun L = QUESTIONN with two DSyntAs: I = ALAIN and II = LEO; the whole means ‘Alain asks Leo (many) questions’. The arrows represent LF values, i.e., the support verbs under consideration. The arrow’s tail indicates DSyntA I (= SSynt-Subject) of the corresponding support verb, the head pointing to its DSynt-actant II (= Main Object). Thus: Oper1(question) Oper2(question) Func1(question) Func2(question)
= [to] ask (Alain asked Leo many questions [= II]) = [to] get (Leo got many questions [= II] from Alain) = comes (Many questions came to Leo from Alain) = is addressed, concerns (Alain’s
many questions were addressed to Leo [= II]) Func0(question) = is asked, is posed (Alain’s many questions to Leo were posed in a strange context). Labor12(question) = [to] pepper (Alain peppered Leo with questions [= III])
Labor21(question) = – (it could be something like *Leo prompted Alain to (ask) many questions [= III])
A different way to express the same idea is by using Table 11.1 below. From the diagram of Fig. 11.1 and Tab. 11.1 it is easy to see why the support verbs are presented as three LFs: these LFs are distinguished according to their syntactic behavior with respect to the major sentence elements, and there are exactly three such ele-
Support verb VLF
Tab. 11.1 Syntax of Support Verbs
Oper1/2 Func0/1/2 Labor12/21
DSynt-role of L and L’s actants with respect to the support verb VLF DSynt-actant I of VLF is: DSynt-actant II of VLF is: DSynt-actant III/IV of VLF is: Ist/IInd IIIrd/IVth L DSyntA of L DSyntA of L none/Ist/IInd IIIrd/IVth L DSyntA of L DSyntA of L Ist/IInd DSyntA of L IInd/Ist DsyntA of L L
128
III. Semantik der Phraseme / Semantics of set phrases
ments: SSynt-Subject, Main (roughly, Direct) Object and Second (roughly, Indirect or Prepositional) Object.
Also like the phasal LFs, the causative LFs are used in combination with other verbal LFs namely with support verbs:
34–36. The LFs nºnº 34–36 represent the meaning of what are called phasal verbs:
= [to] lead [N to ART ~] CausOper1(opinion) PermFunc0(aggression) = [to] condone [ART ~] Liqu(2)Func0(aggression) = [to] stop [ART ~] = [to] wipe out [ART ~] LiquFunc0(traces) CausFunc1(hopeN) = [to] raise [~ in N]
Incep [Lat. incipere] – ‘begin’, Cont [Lat. continuāre] – ‘continue’, Fin [Lat. fīnīre] – ‘cease’.
They are semantically full and linked by obvious semantic relations: Fin(L) = IncepNon(L) [‘He ceased to sleep’ = ‘He began not to sleep’] Cont(L) = NonFin(L) = NonIncepNon(L) [‘He continues to sleep’ = ‘He does not cease to sleep’]
Here again, a tripartite organization of these LFs has an obvious motivation (which is completely different from the preceding case): the initial Incep plus two negative “derivations” from it. The three phasal LFs are applicable to verbs or verbal expressions only. To apply one of them to a noun, a support verb is used: ‘begin negotiations’ is written as Incep-Oper1(negotiations), etc. As a result, the phasal LFs are most often used in combination with other LFs, i.e., in Complex LFs (see 3.4.1, p. 129). A phasal verb takes L as its DSyntA II: Incep–II→L, etc. IncepOper1(fireN [shooting]) = [to] open [~ on N] = [to] fall [under the IncepOper2(power) ~ of N] FinOper1(power) = [to] lose [one’s ~ over N] ContOper1(power) = [to] retain [one’s ~ over N] ContFunc0(offer) = stands ContFunc0(smellN) = lingers [Locin N], lingers on
37–39. LFs nºnº 37–39 represent the meaning of causative verbs: Caus [Lat. causāre] – ‘cause’ [≈ ‘do something so that a situation occurs’] Perm [Lat. permittere] – ‘permit/allow’ [≈ ‘do nothing which would cause that a situation does not occur]’ Liqu [Lat. *liquidāre] – ‘liquidate’ [≈ ‘do something so that a situation does not occur’]
These LFs are semantically full. Very much like phasal LFs, these LFs are also linked by semantic relations: Liqu(L) = AntiCaus(L) = CausNon(L); Perm(L) = NonLiqu(L) = NonCausNon(L)
40–42. The LFs nºnº 40–42 – Reali, Fact0/i and Labrealij, or fulfillment verbs – mean, roughly, ‘[to] fulfill the requirement of L’ [= ‘[to] do with L what you are supposed to do with L’] or ‘L fulfills its requirement’. The ‘requirements’ differ with respect to different Ls: thus, the ‘requirement’ of a hypothesis is its confirmation, the ‘requirement’ of a disease is the malfunctioning/death of the person affected, and the ‘requirement’ of an artefact is that it be used according to its intended function. Reali [Lat. realis ‘real’], Fact0/i [Lat. factum ‘fact’] and Labrealijk [a hybrid of Labor and Real] are (more or less) synonymous full verbs, different with respect to their syntax; their keywords are actantial nouns whose meaning includes the component corresponding to a ‘requirement:’ ‘supposed to ...’, ‘designed to ...’, etc. In contrast to the support verbs, which mostly accept as their keywords abstract nouns, the fulfillment verbs can have both abstract and concrete keywords, provided the latter are actantial and imply a ‘requirement.’ Such concrete nouns are necessarily the names of artefacts or organs, which are by definition ‘designed to ...’. Syntactically, Reali, Fact0/i and Labrealijk are fully analogous to the LFs Operi, Func0/i and Laborijk, respectively. The keyword L and its DSyntAs fulfill with respect to Reali, etc. the same syntactic roles as they do with respect to Operi, etc. Therefore, they are linked to their keywords in the following way: Reali–II→L, Fact0/i–I→L, and Labrealijk–III/IV→L.
Real1(accusation) = [to] prove [ART ~] Real1(car) = [to] drive [ART ~] = [to] succumb [to ART ~] Real1(illness) Real2(law) = [to] abide [by ART ~] = [to] take [ART ~] Real2(hintN) Real2(demandN) = [to] meet [ART ~]
11.
129
Lexical Functions
Compare:
Oper1 (obstacle) = [to] face [an ~], but Real1(obstacle) = //[to] turn back Oper2 (attackN) = [to] be [under ~], but Real2(attackN) = [to] fall [to ART ~].
The LFs nºnº 43–46 express new situations related to the situation referred to by the keyword L. 43. Involv [Lat. involvere ‘[to] drag along’] is a verb meaning ‘[to] involve Y’, ‘[to] affect Y’; it links L and the name of a non-participant Y which is affected or acted upon by the situation ‘L’; Y is DSyntA II of Involv, and L (= the keyword), its DSyntA I: Involv(lightN) = floods [N = Y, e.g. the room] Involv(snowstorm) = catches [Nhum = Y Locin N], hits [Narea = Y]
44. Manif [Lat. manifestāre ‘[to] manifest’] is a verb meaning ‘L manifests itself [≈ becomes apparent] in Y’. The keyword L, a noun, is DSyntA I of Manif, and Y (= in which L manifests itself), its DSyntA II: Manif(amazement) = lurks [in Andrew’s eyes] Manif(joy) = explodes [in them]
45. Degrad [Lat. degradāre ‘[to] degrade’] is a verb meaning ‘[to] degrade’ ≈ ‘[to] become permanently worse or bad’. It takes its keyword L, which can be any noun, as its DSyntA I: Degrad(milk) Degrad(meat) Degrad(discipline) Degrad(house)
= goes sour = goes off = weakens = becomes dilapidated
46. Son [Lat. sonāre ‘[to] sound’] is a verb meaning ‘[to] emit characteristic sound’. Son also takes its keyword, which most often, but not necessarily, is a concrete noun, as its DSyntA I. Son(dog) Son(battle) Son(banknotes) Son(wind) Caus1Son(tongue) Caus1Son( fingers)
= barks = rumbles = rustle = howls = [to] click [one’s ~] = [to] snap [one’s ~]
3.4. Other (≠ Simple Standard) LFs 3.4.1. Complex LFs and configurations of LFs Definition 5: Complex Lexical Function A sequence of syntactically linked Simple Standard LFs, e.g., f and g, that applies to one keyword L – fg(L) – is called a Complex (Standard) LF if and only if this sequence has as elements of its value global (= indecomposable) lexical expressions, covering the meaning ‘f + g’. A Complex LF corresponds to what is called the product of LFs in Kahane & Polguère 2001. A Complex LF fg(L) is different from the composition of LFs f(g(L)): generally speaking, fg(L) ≠ f(g(L)). Thus: – Adv1Real1(whim) = on [a ~], and Real1(whim) = [to] satisfy [ART ~]; but of course Adv1(satisfy) ≠ on. – IncepOper1(loveN) = [to] fall [in ~], and Oper1(loveN) = [to] be [in ~]; but obviously Incep(be) ≠ [to] fall. – Magn(applause) = thunderous, AntiMagn(applause) = scattered; but Anti(thunderous) ≠ scattered. Along with Complex LFs, the description of semantic derivations and collocations still requires another type of union of LFs – configurations of LFs. Definition 6: Configuration of Lexical Functions A set of syntactically non-linked LFs f+g that have the same keyword L – [f+g](L) – is called a configuration of LFs if and only if this set has a global (= indecomposable) lexical expression, covering the meaning ‘f + g’. [Magn + Oper1](doubt) = [to] be plagued [by ~]: ≈ ‘[to] have [= Oper1] strong [= Magn] doubts’ [Ver + Oper1](health) = [to] have a clean bill [of ~]: ≈ ‘[to] have [= Oper1] good [= Ver] health’
3.4.2. Non-Standard LFs Non-Standard LFs have been defined previously: these are LFs that do not satisfy the conditions of Def. 4, p. 122. While a Standard LF is associated with a very general and abstract meaning, a Non-Standard LF has a very specific and concrete one. Because of this, it is impossible to describe Non-Standard LFs in a systematic way. No general formalism
130
III. Semantik der Phraseme / Semantics of set phrases
can be devised for them: they are written in “controlled” natural language, very much like lexicographic definitions. (Actually, the description of a Non-Standard LF is its mini-definition.) Consider two examples: STEAK, noun
minimally cooked : rare moderately cooked : medium maximally cooked : well-done
These are quite specific meanings and they are expressed idiomatically: minimally cooked carrots cannot be called rare, and moderately cooked broccoli is not medium. NOSE, noun
thin and curving like an eagle’s beak short and flat fat and round having high prominent bridge short and having its end slightly turned up
[‘C’ stands for ‘column’; the Roman numeral identifies the column, and the Arabic one, the cell in it.] John’s hhisi revulsion against racism hagainst dismal results of his endeavori; John’s hhisi revulsion at the sight of sea food; John’s hhisi revulsion for work hfor all those killingsi; John’s hhisi revulsion for h= towardi these scoundrels htoward the governmenti Impossible: John’s hhisi revulsion *at these shouts [correct expression: ... for these shouts] [by Constraint 1] John’s hhisi revulsion *towards these shouts [by Constraint 2]
: aquiline [~] : pug, snub [~] : bulbous [~] : Roman [~] : turned up [~]
The number of Non-Standard LFs is unlimited, and their meanings unpredictable. They have to be collected the hard way – searching for them in the corpora.
4. LFs in the lexicon
LFs have important applications in semantics and syntax, but their most natural domain is the lexicon, and that is what is illustrated here. The MTT presupposes the existence of a special type of lexicon in whose entries LFs occupy an important place. This lexicon is known as the Explanatory Combinatorial Dictionary [= ECD]. Since the publications on ECDs are numerous (Žolkovskij/Mel’čuk 1967, Mel’čuk et al. 1984, 1988, 1992, 1999, Mel’čuk et al. 1995, Mel’čuk/Zholkovsky 1984), I will limit myself to giving a sample lexical entry, ECD-style. In this way LFs can be shown in their natural habitat. REVULSION Definition X’s revulsion for Y : ‘X’s (strong) negative feeling about Y caused by X’s perception of Y, similar to what people normally experience when they perceive something that make them sick and such that it causes that X wants to avoid any contact with Y’. Government Pattern X=I 1. N’s 2. Aposs 3. A
1) CII.2 : N denotes something that can be seen or felt 2) CII.4 : N denotes people
Y = II 1. against 2. at 3. for 4. toward
N N N N
Lexical Functions Syn
\
Anti Conv21Anti A1 Able2 Magn + Able2 \
\
Magn
: distaste; repugnance; repulsion; disgust; loathing : attraction : appeal : revulsed : revulsive : of utmost ~ | G = SCENE, SIGHT [G is the syntactic Governor of the LF value]
: deep < extreme < utmost; visceral AntiMagn : slight Propt : from [~] Oper1 : experience, feel [~] Magn + Oper1 : be filled [with ~] Magn + Labor12 : fill [N with ~] Conv21Caus2Oper1 : be driven [to ~] Adv1Manif : with [~] Examples He did it from deep revulsion for the bitterness of the sectarian strife. Any revulsion they might feel from fat-ass bastards they ran up against professionally was ad hominem and not ad genus [A. Lurie]. Mary turned her head away in revulsion. I felt no revulsion for her maternal fantasies, only a practical concern. She met his advances with revulsion. It was a scene of utmost revulsion. Pam was driven to revulsion (by the sight of the dead animal) h*The sight of the dead animal drove Pam to revulsioni. Revulsion at slaughter cut war short [newspaper heading].
At present (the beginning of 21st century), the work on Explanatory Combinatorial Dictionaries has entered a new phase. Two important modern trends in using LFs in the dictionary are :
11.
Lexical Functions
– Construction and exploitation of relational lexical databases, which can underlie the compilation of dictionaries (cf. Fontenelle 1997). – Developing lexicographic software along with a lexical database of the ECD type – the LAF project (Polguère 2000a, b).
5. Select bibliography Alonso Ramos, M. (2004): Las construcciones con verbos de apoyo en español. Madrid. Apresjan, Ju. (1974): Leksičeskaja semantika. Moscow. Apresjan, Ju./Cinman, L. (2002): Formal´naja model´ perefrazirovanija predloženij dlja sistem pererabotki tekstov na estestvennyx jazykax. In: Russkij jazyk v naučnom osveščenii 2, 102–146. Cowie, A.P. (ed.) (1998): Phraseology. Theory, analysis, and applications. Oxford. Fontenelle, Th. (1997): Turning a bilingual dictionary into a lexical-semantic database. Tübingen. Grossmann, F./Tutin, A. (eds.) (2003): Les collocations : analyse et traitement. Amsterdam. Ibrahim, A.H. (2002): Les verbes supports en arabe. In: Bulletin de la Société de linguistique de Paris 97, 315–352. Kahane, S. (2003): Une blessure profonde dans le DEC: sur le lien entre la définition lexicographique et les fonctions lexicales. In: Grossman/Tutin (eds.) 2003, 61–73. Kahane, S./Polguère, A. (2001): Formal foundations of lexical functions. In: Proceedings of “COLLOCATION: Computational extraction, analysis and exploitation”, 39th Annual Meeting and 10th conference of the European chapter of the Association for computational linguistics. Toulouse, 8–15. Mel’čuk, I. (1974): Opyt teorii lingvističeskix modelej «Smysl ⇔ Tekst». Moskva. Mel’čuk, I. (1992): Paraphrase et lexique: La théorie Sens-Texte et le Dictionnaire explicatif et combinatoire. In: Mel’čuk et al. 1992, 9–58. Mel’čuk, I. (1996): Lexical Functions: A tool for the description of lexical relations in the lexicon. In: Wanner (ed.) 1996, 37–102.
131 Mel’čuk, I. (1998): Collocations and Lexical Functions. In: Cowie (ed.) 1998, 23–53. Mel’čuk, I. (2003): Collocations dans le dictionnaire. In: Szende, Th. (ed.), Les écarts culturels dans les dictionnaires bilingues. Paris. 19–64. Mel’čuk, I./Clas, A./Polguère, A. (1995): Introduction à la lexicographie explicative et combinatoire. Louvain-la-Neuve. Mel’čuk, I./Zholkovsky, A. (1984): Explanatory Combinatorial Dictionary of Modern Russian. Vienna. Mel’čuk, I./Zholkovsky, A. (1988): The Explanatory Combinatorial Dictionary. In: Evens M. (ed.): Relational models of the lexicon. Cambridge etc., 41–74. Mel’čuk, I., et al. (1984, 1988, 1992, 1999): Dictionnaire explicatif et combinatoire du français contemporain : Recherches lexico-sémantiques I, II, III, IV. Montréal. Polguère, A. (2000a): Towards a theoretically-motivated general public dictionary of semantic derivations and collocations for French. In: Heid, U./ Evert, S./Lehmann, E./Rohrer, C. (eds.): Proceedings of EURALEX 2000. Approaches to lexical combinatorics. Stuttgart, 517–527. Polguère, A. (2000b): Une base de données lexicales du français et ses applications possibles en didactique. In: Revue de linguistique et didactique de langues 21, 75–97. Polguère, A. (forthcoming): Lexical Function standardness. In: Wanner, L. (ed.): Festschrift in Honour of Igor Mel’čuk. Amsterdam. Wanner, L. (ed.) (1996): Lexical Functions in lexicography and Natural Language Processing. Amsterdam. Žolkovskij, A./Mel’čuk, I. (1965): O vozmožnom metode i instrumentax semantičeskogo sinteza. In: Naučno-texničeskaja informacija, no 5, 23–28. Žolkovskij, A./Mel’čuk, I. (1967): O semantičeskom sinteze. In: Problemy kibernetiki 19, 177–238.
Igor Mel’čuk, Montreal (Canada)
IV. Pragmatik – Stilistik – Rhetorik der Phraseme/ Pragmatic, stylistic, and rhetorical issues in phraseology 12. Pragmatische Beschreibungsansätze 1. 2.
4. 5.
Zum Begriff Pragmatik Phraseologie als Gegenstand pragmatischer Betrachtungen Einfluss der Pragmatik auf die Phraseologieforschung Zusammenfassung und Ausblick Literatur (in Auswahl)
1.
Zum Begriff Pragmatik
3.
Phraseologieforschung und Pragmatik, die sich als wissenschaftliche Disziplinen ungefähr zur gleichen Zeit in der Linguistik etabliert haben, haben eines gemeinsam: Beide Forschungsrichtungen kennen die Vielzahl möglicher Definitionen und das Fehlen klarer Grenzen. Seit ihrer Entstehung in den 70er (in der westeuropäischen Linguistik) bzw. in den 50er Jahren (in der sowjetischen Sprachwissenschaft) war die Phraseologieforschung überwiegend damit befasst, ihr Untersuchungsobjekt – die Phraseologismen – zu definieren und zu systematisieren. Diese Diskussion dauert teilweise bis in die Gegenwart an und geht – angesichts der Komplexität der Phraseologismen und nicht zuletzt dank der pragmatischen Wende in der Linguistik – eher in Richtung Ausweitung des Gegenstandbereichs (Art. 1). Im vorliegenden Artikel wird der weite Phraseologismus-Begriff, der Kollokationen einerseits und Sprichwörter sowie formelhafte Texte andererseits umfasst, verwendet. Ebenso vielfältig und weit gefasst ist der Begriff der Pragmatik. Er erstreckt sich auf mehrere Teiltheorien, z.B. auf Deixis und Referenz, Theorie der konversationellen Implikaturen und Höflichkeitstheorie, Präsuppositionen, Sprechakttheorie und Konversationsanalyse (Meibauer 2001, 4ff.). Allgemein wird unter Pragmatik im linguistischen Zusammenhang die Lehre vom Zeichengebrauch einerseits und die Lehre vom Sprachhandeln andererseits in konkreten Situationen und zu Zwecken der Kommunikation verstanden (Linke/Nussbaumer/Portmann 2004, 170). Die Intentionen der an der Kommunikation Beteiligten, die Regularitäten des kommunikativen Umgangs, die Funktionen der in
der Kommunikation verwendeten Sprachstrukturen, aber auch das Repertoire dieser Sprachstrukturen in Kontexten gehören zum Skopus der pragmatischen Beschreibungsansätze. Wie Levinson (2000, 9) zu Recht bemerkt, liegt gerade in dieser Tatsache der Kern des Definitionsproblems: “Der Terminus Pragmatik betrifft sowohl kontextabhängige Aspekte der Sprachstruktur als auch Prinzipien des Sprachgebrauchs und -verstehens, die mit der Sprachstruktur nichts oder nur wenig zu tun haben”. Ohne in die Diskussion zwischen Formalisten und Funktionalisten (Leech 1983, 46) einzutreten und eine klare Grenzlinie zwischen Pragmatik und Soziolinguistik (vgl. dazu den engeren Pragmatik-Begriff in der angloamerikanischen Linguistik, Levinson 2000, 6) ziehen zu wollen, wird den folgenden Überlegungen eine weit gefasste, in der kontinentaleuropäischen Tradition verbreitete Definition der Pragmatik als “a general functional perspective on (any aspect of) language, i.e. as an approach to language which takes into account the full complexity of its cognitive, social, and cultural (i.e. ‘meaningful’) functioning in the lives of human beings” (Verschueren/Östman/Bloomaert 1995, 13f.) zugrunde gelegt. Die Analyse der phraseologischen Formen soll aber auch nicht außer Acht gelassen werden, da sie die Äußerungen über deren Funktionen erst ermöglicht. Die Verwendung dieses Pragmatik-Begriffs ist durch die in den Abschnitten 2 und 3 angeführten Beispiele für pragmatische Beschreibungsansätze in der Phraseologie begründet. Wie die Belege zeigen, bezieht sich die pragmatische Beschreibung hier speziell auf die Formen einiger Phraseologismen und auf Versuche ihrer Klassifizierung, auf die Funktionen von Phraseologismen in verschiedenen Textsorten im synchronen und diachronen Schnitt, auf ihre Gebrauchsbesonderheiten, illokutionäre Kraft und stilistische Färbung, die einzel- und/oder mehrsprachig untersucht werden können und wichtige Konsequenzen für die lexikographische Kodifizierung der Phraseologismen mit sich bringen. Schließlich reichen die pragmatischen Beschrei-
12.
Pragmatische Beschreibungsansätze
133
bungsansätze bis hin zu Untersuchungen des Stellenwertes der Phraseologie in der so genannten formelhaften Sprache und als Mittel der Gestaltung der sozialen Identität. Der Terminus Pragmatik wird somit im Folgenden nicht nur in Bezug auf die Forschungsbereiche angewandt, sondern auch auf Merkmale der sprachlichen Einheiten, indem von pragmatischen Phraseologismen die Rede sein wird, sowie auf Merkmale der Metasprache, so dass man z.B. von der pragmatischen Beschreibung der Phraseologismen in Wörterbüchern sprechen kann.
2.
Phraseologie als Gegenstand pragmatischer Betrachtungen
2.1. Frühgeschichte Pragmatik als wissenschaftliche Disziplin im oben definierten Sinn setzt zwar in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts ein (Nerlich/Clarke 1996); als Reflexion über den Sprachgebrauch in der Gesellschaft hat sie jedoch u.E. eine Frühgeschichte, die für das Deutsche mit den Anfängen der Grammatikschreibung im 16. Jahrhundert (Moulin 2000, 1903ff.) zusammenfällt. Auch Phraseologie tritt erst im 16. Jahrhundert in vollem Maße in größeren Sammlungen in Erscheinung, mit für dieses vorwissenschaftliche Paradigma kennzeichnenden sprach- und sittenpflegerischen Zwecken (Filatkina, in Vorbereitung). Am deutlichsten kommen sie in der 1534 erschienenen Sammlung J. Agricolas zum Ausdruck, in der der Gebrauch von Phraseologismen unterschiedlicher Typen durch ihre Etymologie erklärt und in den größeren Zusammenhang der Sitten- und Moralpflege gestellt wird. Dies veranschaulicht Abbildung 12.1. mit dem Artikel Auß an galgen, in dem den Erläuterungen zu den typischen Verwendungssituationen des Ausdrucks kurze (quasi)semantische Angaben folgen. Den Kern des Artikels bilden ausführliche Informationen zu den “inn Deutſchen landen” üblichen Strafverfahren. Breiten Raum nimmt der als vorpragmatisch zu bezeichnende Kommentar im Artikel zur Routineformel Aber doch ein, vgl. Abbildung 12.2. Der Leser wird dort auf die möglichen Verwendungssituationen hingewiesen.
Abb. 12.1.: J. Agricola, Sybenhundert und fünffZig Teütſcher Sprichw=rter.
Abb. 12.2.: J. Agricola, Sybenhundert und fünffZig Teütſcher Sprichw=rter.
Zur gleichen Zeit findet die Phraseologie in Grammatiken, Stil- und Rhetoriklehren sowie Kanzleibücher Eingang (Filatkina, in Vorbereitung). Stellvertretend seien hier die Erläuterungen zum Kollokationsgebrauch mit dem Verb abbrechen in den “Synonyma” L. Schwartzenbachs genannt (Abbildung 12.3.), die als Vorläufer zur Wörter-im-Kontakt-Diskussion in der modernen Linguistik betrachtet werden können: Nach der Aufzählung der Synonyme zum Verb abbrechen beschäftigt sich
134
IV.
Pragmatik – Stilistik – Rhetorik der Phraseme/Pragmatic, stylistic, and rhetorical issues
Schwartzenbach mit der Frage nach ihrer korrekten syntagmatischen Verknüpfung. Dabei werden die semantisch-pragmatischen Unterschiede zwischen den Synonymen herausgestellt:
matikographischen Literatur auf Deutsch fehlen weitgehend. Wie aber die oben angeführten Beispiele bereits veranschaulichen, bieten diese Textsorten ausreichend Material sowohl zum vorwissenschaftlichen Pragmatikbegriff als auch zum formelhaften Gebrauch der älteren Sprachstufen und seinem Wandel. 2.2. Gegenwart: Phraseologie aus der Perspektive pragmatischer Teiltheorien
Abb. 12.3.: L. Schwartzenbach, Synonyma, Bl. III.
Aus der Perspektive der historischen Pragmatik sind die Auflistungen der für die Briefkorrespondenz typischen Anfangs- und Schlussformeln in der Cantzley und Titel bFchlin F. Frangks interessant, wobei der Aspekt ihrer Institutionalisiertheit und der Gebundenheit an den gesellschaftlichen Status für Frangk zentral ist (vgl. Abbildung 12.4.):
Obwohl die Entstehungsgeschichten der Phraseologie und Pragmatik ungefähr in die gleiche Zeit zu datieren sind, hatten die beiden Disziplinen bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts nur wenig Berührungspunkte. Insbesondere gilt dies für die Pragmatik, die dem phraseologischen Material immer noch größtenteils verschlossen bleibt und ein mangelndes Interesse an phraseologischen Fragestellungen zeigt. Trotz der spezifischen Eigenschaften der phraseologischen Einheiten, die ihre Betrachtung unter pragmatischer Perspektive gerade unumgänglich machen, beschränken sich die meisten rezenten Einführungen und Handbücher auf die zufällige Verwendung phraseologischer Beispiele in den Kapiteln zur Griceschen Implikaturtheorie und/oder Höflichkeitstheorie, ohne ihre Besonderheiten in irgendeiner Weise zu beschreiben (Horn 2004; Meibauer 2001; Mey 2001; Verschueren/Östman/Blommaert 1995; Thomas 1995). Diese Lücke wird besonders augenfällig, wenn man sie mit der Fülle der Versuche vergleicht, mit Hilfe der Pragmatik grammatische und syntaktische Phänomene (z.B. den Gebrauch der Personalpronomina oder der Tempusformen im Deutschen) bzw. (lexikalisch-semantische) Sprachwandelprozesse zu erklären. Eine breite Anwendung haben die pragmatischen Beschreibungsansätze traditionell bei der Erklärung solcher rhetorischer Topoi wie Metapher und Ironie gefunden; Phraseologisches wird aber auch hier nur am Rande berücksichtigt. Im Folgenden sollen anhand ausgewählter Beispiele potenzielle gemeinsame Forschungsperspektiven für pragmatische Teiltheorien und Phraseologieforschung überwiegend am Material der deutschen Sprache aufgezeigt werden.
Abb. 12.4.: F. Frangk, Ein Cantzley und Titel bFchlin.
2.2.1. Referenz, Deixis/Indexikalität und Phraseologismen
Eingehende Untersuchungen zum Stellenwert der Phraseologie und zu Reflexionen über diese sprachliche Ebene in der älteren gram-
Deixis/Indexikalität als eine besondere Form der Referenz, unter der der kontextabhängige Bezug von Wörtern verstanden wird, gehört
12.
zu einem der Standardgebiete der Pragmatik. Unter deiktischen/indexikalischen Zeichen/ Ausdrücken wurden dabei bis jetzt Personal-, Demonstrativ- und Temporalpronomina, Tempusgebrauch sowie höflichkeitsbezogene Ausdrucksmittel (Honorifika) subsumiert. Die Tatsache, dass auch Phraseologismen zu den Mitteln gehören können, die eine Sprache zur Verfügung stellt, um Bezüge auf Personen, Orte und Zeitpunkte herzustellen, und deren pragmatische Bedeutung erst aus den Kontexten erschlossen werden kann, wurde übersehen. Phraseologismen wie wie dem auch sei..., sagen wir mal..., hiermit gehe ich zu Punkt X meines Vortrags über..., das darf doch wohl nicht wahr sein... usw. sind indexikalische Zeichen, die einer Betrachtung im Rahmen der Text- oder Diskursdeixis (Levinson 2000, 93) wert sind. Text- bzw. gesprächsstrukturierende Funktionen können eben nicht nur von den einfachen Lexemen erfüllt werden, sondern auch von den gerade für diese Zwecke hochgradig standardisierten Formeln (vgl. unten 2.3. sowie Quasthoff 1983, 19). Eine vergleichbare theoretische Bereicherung würde die nähere Betrachtung der Anrede- und Routineformeln im Zusammenhang mit der Sozialdeixis (Levinson 2000, 97) bringen, insbesondere angesichts der Tatsache, dass ihr stark formalisierter Charakter, die Abhängigkeit von der spezifischen Kultur und die Wichtigkeit ihrer korrekten Beherrschung für die Sprachkompetenz in zahlreichen Untersuchungen im Rahmen der Phraseologieforschung bereits herausgestellt wurden (vgl. unten 2.3. und 3.5.). Aber auch die Betrachtung anderer Phraseologismus-Typen aus indexikalischer Perspektive könnte für die Pragmatik neue Erkenntnisse bringen. Dass ein Sprecher mit Hilfe der Sentenz (1) auf einen bestimmten Sachverhalt (Preise bei Neckermann) referiert und ihn als indiskutabel bewertet/qualifiziert, wird nur aus dem unten angeführten Kontext verständlich (Quasthoff 1983, 16): (1)
135
Pragmatische Beschreibungsansätze
A: Neckermann hat auch ganz hübsche Preise, nicht? B: Da wollen wir gar nicht erst drüber reden.
In diesem Sinn ist die Sentenz (1) indexikalisch. Der Unterschied zu den indexikalischen Zeichen in Form von Einzellexemen besteht allerdings darin, dass zu der Referenz die zusätzlichen semantisch-pragmatischen Komponenten (hier: Bewertung, zu den anderen vgl.
Quasthoff 1983, 17ff.) und die standardisierte Form hinzukommen. Spätestens seit den Arbeiten von Gülich (1978, 6f.) und Quasthoff (1983, 11ff.) ist außerdem bekannt, dass selbst die so genannten generalisierenden Phraseologismen (Allsätze (Gülich 1978, 6); common knowledgeexpressions (Quasthoff (1978, 36)) trotz aller ihrer Abstraktionsmerkmale (z.B. verallgemeinernder Charakter des Ausdrucks, Allquantoren, gnomisches Präsens, definiter Artikel bzw. Null-Artikel usw.) in indexikalischer Verwendung auftreten können. Diese Merkmale sorgten dafür, dass man anfangs Sprichwörter und Gemeinplätze wie Wer die Wahl hat, hat die Qual; Andere Länder, andere Sitten; Ende gut alles gut usw. als Einheiten mit fehlender Anbindung an den umgebenden Kontext beschrieben hat. Wie die neueren Untersuchungen zeigen, übernehmen sie in konkreten Situationen gerade auf Grund der allgemeinen Bekanntheit ihres Inhalts verschiedene interaktive Funktionen. Der Grad der Indexikalität kann mit der Variation sogar steigen, vgl. Wo gehobelt wurde, da fielen die Späne gegenüber Wo gehobelt wird, da fallen Späne (Lüger 1999, 93). Der Bezug auf Personen, Sachverhalte, Orte und Zeitpunkte kann ferner mit Hilfe der onymischen Phraseologismen geschaffen werden. Sie stellen keine expressiven Konkurrenzbildungen zu den Einzellexemen dar, sondern übernehmen referierende Funktionen, z.B. im Bereich der Lokaldeixis (2) oder Temporaldeixis (3). In diesen Zusammenhang sind außerdem die volkstümlichen Benennungen von Pflanzen, Tieren und Krankheiten zu stellen, die in Umgangssprachen und/oder Dialekten oft ausschließlich phraseologischer Natur sind (4). (2)
(3) (4)
Freiberger Mulde, Rheinisches Schiefergebirge, Grünes Gewölbe, neue Bundesländer (im Zusammenhang mit ihrer geographischen Lage) Tag der deutschen Einheit, die Heiligen drei Könige der Gemeine Löwenzahn, das Fleißige Lieschen, schwarzer Tod
Weitere Beispiele für die indexikalische Verwendung von onymischen Phraseologismen ließen sich z.B. unter den dialektalen sowie veralteten Monats- bzw. Tagesbezeichnungen finden. In dieser Hinsicht könnten sowohl Pragmatik als auch Phraseologie zur Erforschung der historischen Deixis und ihres Wandels beitragen. Für die Phraseologiefor-
136
IV.
Pragmatik – Stilistik – Rhetorik der Phraseme/Pragmatic, stylistic, and rhetorical issues
schung bedeutet ferner die Öffnung gegenüber den Fachtermini neue Perspektiven bei der Untersuchung der Deixistypen. Als indexikalische Ausdrücke sind Phraseologismen aber nicht nur auf Grund ihrer Kontextgebundenheit zu betrachten. Versteht man unter einem Index im Peirceschen Sinn die Zeichen, bei denen die Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem auf einer direkten realen (kausalen) Beziehung zwischen einem Anzeichen, Symptom und einem tatsächlich vorhandenen, singulären Objekt beruht (Rauch → Feuer), so sind die Phraseologismen (5) als indexikalisch motiviert zu beschreiben: (5a) den heiligen Ulrich anrufen (5b) How long is a piece of string?
Mit Dobrovol’skij/Piirainen (2005, 88) ist festzustellen, dass die Motivation des Idioms (5a) auf phonetischer Basis indexikalisch ist: Der Personenname Ulrich imitiert onomatopoetisch das Geräusch des Sich-Übergebens. Beispiel (5b) ist hingegen auf konzeptueller Ebene indexikalisch. Es wird im Englischen als Reaktion auf die Vorwürfe, beim Sprechen unpräzise zu sein, verwendet. Als eine Gegenfrage, die keinen Sinn ergibt, indiziert sie symptomatisch die Unmöglichkeit einer präziseren Antwort auf die Frage, die mehrere Antworten zulässt. Diese Belege liefern somit einerseits von phraseologischer Seite zusätzliche Beispiele, die bei der Erklärung der Mechanismen der Indexikalität von der theoretischen Pragmatik berücksichtigt werden müssten. Andererseits fehlt innerhalb der Phraseologie für die Beschreibung der indexikalisch basierten Motivation eine geeignete Metasprache (Dobrovol’skij/Piirainen 2005, 89), die möglicherweise pragmatisch angelegt werden könnte. 2.2.2. Die Implikaturtheorie und Phraseologismen Die aktuelle Bedeutung des Idioms (5b) und folglich seine Verwendung erklären sich außerdem aus der Tatsache, dass seine Motivation auf dem Verstoß gegen die Griceschen Kommunikationsmaximen (Grice 1967/1989) bzw. gegen das Prinzip der Relevanz (Sperber/Wilson 1995) beruht: Um eine erfolgreiche Kommunikation zu gewährleisten, darf man keine Fragen stellen, von denen man bereits vorher weiß, dass ihre Beantwortung unmöglich ist. Ohne sich explizit mit phraseologischen Beispielen auseinanderzusetzen, erwähnt sie
Grice (1967/1989) unter Metaphern, Hyperbeln, indirekten Sprechakten sowie ironischen Äußerungen als Quellen für die Entstehung der konventionellen und konversationellen Implikaturen. Darunter werden die nicht direkt ausgedrückten Folgerungen, das Mitgemeinte verstanden. Im Vordergrund der Implikaturtheorie als eines weiteren Teilgebiets der Pragmatik steht die Frage, wie man mit einer sprachlichen Äußerung etwas anderes zu verstehen geben kann (to implicate), als es die Bedeutung der einzelnen, in der Äußerung verwendeten Konstituenten eigentlich nahelegt. Die Bedeutungsübertragung bzw. die figurative Bedeutung solcher Äußerungen wird durch den Sprachgebrauch lexikalisiert; diese konventionelle Implikatur sichert das Verständnis und das Gelingen der Kommunikation. Die konversationellen Implikaturen entstehen Grice zufolge durch den Verstoß gegen die Konversationsmaximen; der Verstoß begründet die Notwendigkeit für den Sprecher/ Hörer, nach weiteren Deutungsmöglichkeiten zu suchen. Die Anwendung der konventionellen und konversationellen Implikaturen hat sich bereits in den ersten pragmatisch angelegten Arbeiten bei der Deutung der Euphemismen (Sadock 1978), indirekten Sprechakte (Morgan 1978) und der Ironie (Sperber/Wilson 1981) bewährt. Aufbauend auf der Griceschen Theorie genießen die innerhalb der (logischen) Pragmatik als Tautologismen bezeichneten Einheiten die größte Aufmerksamkeit der Pragmatiker (Autenrieth 1997; Ward/ Hirschberg 1991). Gemeint sind solche Einheiten wie Krieg ist Krieg; Wenn es regnet, regnet es; Was sein muss, muss sein usw. Sie sind als Einheiten mit einer zusätzlichen, sekundären Bedeutung (additional meaning) charakterisiert worden, die im Redeprozess nicht substituiert werden können (are not substitutable). Grice (1975, 52) zufolge stellen sie einen besonderen Fall der konversationellen Implikatur dar, die durch den Verstoß gegen die Maxime der Quantität seitens des Sprechers zustande kommt, indem er dem Hörer mehr als eine Möglichkeit zur Interpretation seiner Äußerung gibt. Hinzu kommt die Tatsache, dass Tautologien sprachspezifisch sein können: Selbst wenn sie sich in ihrer Struktur gleichen, können sie in verschiedenen Sprachen über einen unterschiedlichen kommunikativen Wert verfügen (Wierzbicka 1987, 96). Trotz der Kritik an Grices Herangehen scheinen die Ergebnisse in Ward/
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Hirschberg (1991, 510ff.) seine Relevanz zu bestätigen, indem das Entstehen von Implikaturen vom Gesamtkontext der Äußerung abhängig gemacht wird. In der Phraseologieforschung sind die Tautologien mehrmals unter den Begriffen Modellbildungen (Burger 2003, 44; Burger/Buhofer/Sialm 1982, 35) bzw. Phraseoschablonen (Fleischer 1997, 130ff.) beschrieben worden, wobei eher die syntaktischen Aspekte ihrer Stuktur im Vordergrund standen. Ferner wurden in der Zwischenzeit die in der Phraseologieforschung als adverbielle Phraseologismen bezeichneten Einheiten wie im Gefolge, am Rande, im Vorfeld, im Laufe, im Verlauf, im Verfolg, im Zuge, im Weg(e), im Anschluss u.a. Gegenstand der Grammatikalisierungstheorie. Den Ausgangspunkt von Überlegungen dieser Art bildet die Tatsache, dass bei der Untersuchung des Sprachwandels neben den morphosyntaktischen Aspekten auch Semantik und Pragmatik von Bedeutung sind. Bei der Klärung der Frage nach der Entstehung der aufgezählten komplexen Präpositionen behauptet z.B. Meibauer (1995, 71), dass der zugrunde liegende Prozess metaphorisch sei und am Anfang eines Konventionalisierungsprozesses konversationelle Implikaturen stünden. Für die Phraseologieforschung erweist sich die Implikaturtheorie aus zweifacher Sicht als fruchtbar: Bei bekannten Phraseologismen unterschiedlicher Typen sind konventionelle Implikaturen zwar ein zentraler Bestandteil der Bedeutung und des darin kodierten Vorwissens, das nicht jedes Mal neu konstruiert bzw. von der wörtlichen Bedeutung ausgehend beurteilt werden muss, vgl. die Beispiele für Idiome in Gréciano (1997, 46ff.), satzwertige Phraseologismen in Lüger (1999, 77) und Anredeformeln in Levinson (1983, 141). Ihre Beschreibung in Wörterbüchern mit Hilfe des implikaturtheoretischen Begriffsapparats ist u.a. für die Entwicklung der sozialen Kompetenz im Rahmen des DaF-Unterrichts von Bedeutung. Für die Pragmatik eröffnet sich mit Phraseologismen eine neue Materialquelle, die insbesondere im Hinblick auf die wenigen Beispiele für konventionelle Implikatur bei Grice ergiebig sein könnte (Davis 1998, 59, 148). Die konversationelle Implikatur suggeriert die enge empirische Arbeit am Text und zielt auf die Erklärung der sprecher-, situationsund kontextbedingten Elemente des Phraseologismen-Gebrauchs ab. So wirft Stein (1995,
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221ff.) die Frage auf, warum und unter welchen Bedingungen es die Kommunikationsteilnehmer für notwendig halten, ihre Äußerungen mit Hilfe der metakommunikativen Formeln wie ich mach’s kurz, das muss noch gesagt/erwähnt werden, drück ich mich mal vorsichtig aus zu kommentieren. Er kommt zum Schluss, dass die Formeln einerseits als Indikatoren für die Befolgung von Konversationsmaximen und andererseits für die Entscheidung von Maximenkonflikten eingesetzt werden. Ferner müsste die Möglichkeit überprüft werden, mit Hilfe der konversationellen Implikatur die Frage zu beantworten, wie die nicht wörtliche Verwendung von Sprache überhaupt entsteht. 2.2.3. Phraseologismen als Sprechakte und aus Perspektive der Konversationsanalyse Seit der Einführung der Sprechakttheorie (Austin 1955, Searle 1969) in die Linguistik ist bekannt, dass die Äußerungen natürlicher Sprachen nicht immer nur deskriptiv sein können. Das wichtigste Anliegen der Sprache besteht in der Kommunikation, im Handeln zur Realisierung der Intentionen der SprecherInnen wie Mitteilung, Feststellung, Warnung, Drohung oder Empfehlung. Ebenfalls ist bekannt, dass gewisse Handlungen nur unter Verwendung spezifischer Sprachmittel realisiert werden können, wobei vor allem die so genannten performativen Verben im Mittelpunkt der Betrachtung standen, z.B. eröffnen, taufen, danken, protestieren, kündigen usw. Erst seit kurzem ist die Pragmatik zu der Erkenntnis gekommen, dass manche schriftliche sowie mündliche Handlungen auch mittels phraseologischer Einheiten konstituiert sind. Dabei wurde bereits die Rolle der kommunikativen und Höflichkeitsformeln in diesen Funktionen betont. So untersucht Antos (1986, 1987) aus sprechakttheoretischer Perspektive Grußworte in Festschriften, die als “Textakte” primär die illokutive Funktion der Deklaration von sozialer Anerkennung erfüllen. Das Vorkommen von “organisationssprezifischen” Grußformeln, Gemeinplätzen und Topoi wird zwar als eine (fakultative) mikrostilistische Besonderheit der Grußworte (1986, 71; 1987, 13) betrachtet; im Großen und Ganzen bleiben jedoch die beiden Studien der Phraseologie fern. Vor allem in Untersuchungen zur formelhaften Sprache (2.3.) wurde die konstitutive Rolle der situationsund institutionellabhängigen Phraseologis-
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men bei deklarativen, direktiven, kommissiven sowie indirekten Sprechakten hervorgehoben. Allerdings ist mit Schemann (1981, 190) festzustellen, dass der Sprecher, der z.B. die kommunikative Routineformel guten Morgen verwendet, nicht in erster Linie im sprechakttheoretischen Sinn wünscht, der Hörer möge einen “guten Morgen” verbringen. Die Frage nach den mit den Phraseologismen geäußerten Sprechakten ist von den Phraseologismen allein her nicht zu beantworten: Erst der sprachliche bzw. situationelle Kontext konstituiert in der Interaktion der KommunikationsteilnehmerInnen den Sprechakt (Schemann 1981, 195). Diese Frage ist somit eng an die Funktionen der Phraseologismen im Redeprozess gekoppelt, die meistens vielfältig sind (3.2.). Die Schwierigkeit, in einer gegebenen Kommunikationssituation einen genau zu definierenden Sprechakt auszumachen, die Probleme der Abgrenzung von Sprechakten haben zu einer größeren Skepsis gegenüber dem theoretischen Modell der Sprechakte und zu einer verstärkten Hinwendung zu empirischinduktiven Methoden sowie Untersuchung der gesamten Konversationsstrukturen geführt. Vgl. dazu stellvertretend z.B. die These Quasthoffs (1978, 6) in Bezug auf das Argumentieren, das nicht einen Sprechakt darstellt, sondern vor allem eine Sequenz von Sätzen (a matter of a sequence of sentences). Aus der klassischen Rhetorik hat die Pragmatik die Beobachtungen zu expressiven Funktionen der Phraseologismen übernommen. Leech (1983, 146) betrachtet idiomatische Ausdrücke wie her eyes nearly popped out of her head; it makes my blood boil; he was all ears; that’ll cost the earth; I’ve been working my fingers to the bone usw. als Mittel der stilistischen Übertreibung (in the exaggerated use of universal quantifiers and references to the extremities of scale) und des “Interesseweckens” im Redeprozess (Interest Principle). Doch fehlt es hier an Analysen jeglicher Art. In diesen Zusammenhang sind ferner die in der Zwischenzeit zahlreich gewordenen Untersuchungen zu unterschiedlichen Gesprächstypen zu stellen, die zwar den rituellen Charakter ihrer einzelnen Sequenzen hervorheben, mit der Phraseologie aber im Großen und Ganzen wenig zu tun haben, vgl. exemplarisch Werlen (1984, 230ff.). Bei dem Versuch, in den konversationstheoretisch ange-
legten Untersuchungen die Struktur von Gesprächen aufzudecken, wendet sich das Forschungsinteresse vor allem der Syntax, Phonetik, Prosodie und Lexik zu. Der Phraseologieforschung mangelt es ihrerseits an Berücksichtigung des gesprächssprachlichen Materials, um die Frage nach der Teilhabe der Phraseologismen an spezifischen Regularitäten der Konversation zu beantworten. Die Frage nach den diachronen Entwicklungslinien der phraseologischen Formulierungsstrategien ist gegenwärtig ebenfalls eine Forschungslücke. 2.3. Gegenwart: Formulierungstheorie, formelhafte Sprache und Phraseologie In den 90er Jahren rückten die phraseologischen Fragestellung immer mehr ins Blickfeld der Formulierungstheorie (Gülich/Kotschi 1987), indem hervorgehoben wurde, dass die erfolgreiche Sprachverwendung als Lösung von Formulierungsproblemen zu verstehen ist und somit nicht nur von Intentionen und Prämissen der Beteiligten abhängt. Viele der in der Kommunikation auszuführenden Sprachhandlungen sind konventionalisierte, ritualisierte Kommunikationsformen, die das Formulieren ökonomischer gestalten, es konstituieren und das Verstehen erleichtern bzw. es erst ermöglichen. Für das soziale Sprachhandeln ist somit eine besondere Typik kennzeichnend. Dafür haben sich die Termini Stereotypie (Quasthoff 1978, Wenzel 1978), formelhafte Sprache (Stein 1995), Ritual (Lüger 1983, 697; Werlen 1984, 81), speech formulae (Baranov/Dobrovol’skij 2003) bzw. Common sense-Kompetenz (Feilke 1996) geprägt. Die Common sense-Kompetenz liefert eine wichtige Grundlage für die menschliche Fähigkeit, gemeinsame Kontexte für Meinen und Verstehen zu erzeugen. Sie ist somit eine ‘Kontextualisierungs’-Kompetenz, “ein auf die ökologischen Bedingungen menschlichen Handels bezogenes und durch diese Bedingungen pragmatisch konstituiertes und stabilisiertes intuitives Wissen” (Feilke 1994, 363). Bei der Beschreibung der Mechanismen eines gelungenen bzw. misslungenen sprachlichen Handels ist deshalb die Fokussierung auf die Intentionen der Beteiligten (wie dies etwa die Sprechakttheorie tut) nicht ausreichend. Das Wissen über die sprachliche Typik, die Konventionen scheint dabei eine zumindest genauso große Rolle zu spielen. Die erwähnte Konventionalisierung, Routine im mündlichen Gespräch (Coulmas 1981)
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bzw. beim Verfassen schriftlicher Texte (Gülich 1997) entsteht zu einem wesentlichen Teil durch die Verwendung von Phraseologismen im weiten Sinn, wobei insbesondere die Rolle der Routineformeln, Sprichwörter, Gemeinplätze und der geflügelten Worte hervorgehoben wurde. Die Habitualisierung des sprachlichen Handels erfolgt – anders ausgedrückt – durch den Mechanismus der idiomatischen Prägung (Feilke 1994, 366). Sprache als Mittel der Kommunikation ist somit nicht nur auch, sondern wesentlich idiomatisch (Feilke 1996, 313). Idiomatisch geprägt sind die Ausdrücke, die “als Handlungsmodelle fungieren können, indem sie Schemata sozialer Koorientierung indizieren” (Feilke 1994, 369). Dabei kommt ihnen nicht die Funktion der Zeichen der sekundären Nomination, der Lückenbüßer im Sinne von expressiven Konkurrenzbildungen zu Einzellexemen zu, sondern die der primären und einzig möglichen konstituierenden Mechanismen des sprachlichen Handels (Coulmas 1981, 88; Feilke 1994, 369; Feilke 1996, 199). Zu denken wäre hier vor allem an solche Situationen wie Grüßen und Vorstellen, Danken und Entschuldigen, Glückwünschen, Ess- und Trinkformeln, Kontakteröffnung und Kontaktbeendigung, sei es in der alltäglichen Kommunikation (Gülich/Henke 1979, 1980; Rauch 1992) oder im offiziellen Sprachgebrauch (Holly 1979; Quasthoff 1983; Svensson 1984; Werlen 1984; Fix 1992), in der Mündlichkeit oder Schriftlichkeit (Antos 1986, 1987; Gülich 1978/1981; Fix 1990; Eckkrammer 1996; Stein 2001; Preußer 2002). In der letzten Zeit findet diese These auch am Material der Fachtexte ihre Bestätigung, deren Sprache ebenfalls als in hohem Maße routinisiert/idiomatisch geprägt bezeichnet wird, wobei die vorkommenden Phraseologismen als unumgängliche Ausdrucksmittel, Zeichen der primären Nomination fungieren (Gréciano, 1995, 1998; Art. 42–44). In den formulierungstheoretisch orientierten Untersuchungen zur formelhaften Sprache werden Phraseologismen vor allem in Bezug auf das Ausmaß ihrer Beteiligung an der Gestaltung der Formelhaftigkeit und auf ihre Funktionen in ritualisierten Sprechakten beschrieben. Vgl. den Überblick in Stein (1995, 52). Als einer der ersten widmete sich Fl. Coulmas “der pragmatischen Fundierung der Idiomatik” (Coulmas 1981, 13ff.). Ihm zufolge spielen vor allem Sprichwörter und Routineformeln dabei die entscheidende Rolle: Sie
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konstituieren sprachliche Handlungen, die sich in der alltäglichen kommunikativen Praxis jeder Sprachgesellschaft wiederholen (wie Gruß, Danksagung, Vorstellung, Selbstidentifizierung, Entschuldigung, Empfehlung usw.) und sind an rekurrente Situationen des sozialen Verkehrs gebunden. Sie ermöglichen den einzelnen Mitgliedern eines soziokulturellen Systems adäquates und gruppenkonformes Handeln und Reagieren und sind deshalb als Resultat der Situationsstandardisierungen zu betrachten (Coulmas 1981, 14). Nichtsdestotrotz lassen Routineformeln Unterschiede im Grad ihrer Situationsgebundenheit erkennen. Die Formeln Das Wort hat der Abgeordnete XY oder Fasten your seat belts, please! sind eher nur in ganz spezifischen Kontexten vorstellbar, wobei Um gleich zum Kern der Sache zu kommen ... oder Um zusammenzufassen... in verschiedene Situationskontexte eingebettet sein können (Coulmas 1981, 86). Mehr noch können einige Routineformeln Glieder einer ganzen routinisierten Sequenz, einer stereotypen Situation sein, in deren Ablauf ihnen ein ganz bestimmter Platz zugewiesen wird, vgl.: Die Sitzung ist eröffnet; Ist noch jemand zugestiegen? oder Werden Sie schon bedient? Sie können ferner mehr (soweit ich weiß) oder weniger (danke gleichfalls) iterierbar sein. Das Spezifische an Routineformeln besteht laut Coulmas allerdings vor allem in ihren Funktionsprofilen im Sprechakt. Deshalb kann für ihn die Theorie der Routineformeln nur pragmatisch im Sinne einer Funktionsorientiertheit sein, wobei diskursive und soziale Funktionen voneinander abgegrenzt werden. Sozial betrachtet können Routineformeln institutions-, situations- oder funktionsspezifisch verwendet werden, was heißt, dass es Formeln gibt, “deren Vorkommen auf die Wahrnehmung einer bestimmten Funktion in einer bestimmten Situation in einem bestimmten institutionellen Rahmen beschränkt sind, andere, die in bestimmten Situationen bestimmten Funktionen dienen, und schließlich solche, deren Verwendung hauptsächlich durch bestimmte Funktionen [...] bestimmt ist, während die situativen Restriktionen ihres Vorkommens sehr unspezifisch sind” (Coulmas 1981, 118f.). Unter dem Aspekt der dominierenden Funktion unterscheidet Coulmas (1981, 119) fünf Hauptklassen von Routineformeln, die jeweils weiter unterteilt werden. Im Diskurs erfüllen die Routineformeln eine Reihe anderer Funktionen wie gesprächssteu-
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ernde, evaluative, metakommunikative, entlastende usw., die nicht unbedingt auf spezifische situative Gegebenheiten bezogen sein müssen (1981, 100ff.). Zu der Funktion der Kommunikationserleichterung vgl. auch Koller (1977, 80); Gülich (1978, 15); Fleischer (1997, 220f.). Die Coulmassche Einteilung in institutions-, situations- oder funktionsspezifische Phraseologismen wird von St. Stein (1995, 49ff.) erneut aufgegriffen und vervollständigt. Genauso wie Coulmas unterteilt Stein situationsgebundene pragmatische Phraseologismen in situationell und institutionell gebundene Formeln (Ich eröffne die Versammlung, Es war einmal ... usw.) und nur situationell gebundene (Guten Appetit! Schönes Wochenende!). Ihnen wird – im Unterschied zu Coulmas (1981) – die Gruppe der situationsunabhängigen gesprächsspezifischen Phraseologismen gegenübergestellt (vgl.: ich würde sagen, was weiß ich, oder so, sehen Sie), die einerseits unabhängig von rekurrenten kommunikativen Ereignissen auftreten und im Kommunikationsgeschehen nicht obligatorisch (iterierbar) sind, aber andererseits auf Grund ihrer Gebrauchsbedeutung ebenfalls nur in einem kommunikativfunktionalen Rahmen beschrieben werden können. Gesprächspezifische Phraseologismen bereiten aus pragmatischer Sicht zweierlei Schwierigkeiten. Zum einen sind sie formal heterogen und sowohl morphologisch-syntaktisch als auch lexikalisch-semantisch veränderbar. Sie sind nicht eindeutig lexikalisiert und verfügen meistens über keine einheitliche feste Form. Zum anderen sind solche Einheiten wie Darf ich dazu was sagen oder Ich würde meinen oft nicht wörtlich zu verstehen und eignen sich zur Erfüllung mehrerer kommunikativer Funktionen, was die Angabe einer üblichen Bedeutung unmöglich macht. Die Beschreibung solcher Formeln muss sich deshalb allein auf das kommunikative Potenzial konzentrieren. Es besteht für Stein (1995, 151ff.) in ihrer Rolle als: – Gespächssteuerungs- und Gliederungssignale analog den Interpunktionszeichen bei schriftlichen Texten; – Sprecher- und Hörersignale, z.B. zur Überbrückung von Formulierungsflauten; – partnerbezogene und beziehungsstabilisierende Äußerungsteile, insbesondere bei Kontaktsicherung und Aufmerksamkeitssteuerung;
– Themasteuerungssignale, z.B. bei Exemplifizierung eines Sachverhalts (also sagen wir mal) oder Verkürzung eines thematischen Aspekts (und so weiter und so weiter). Wie bei der formalen Analyse zumeist keine übliche syntaktische Form festzulegen ist, lässt die pragmatische Analyse keine dominierende Funktion bestimmen. Angesichts dieser Multifunktionalität ist die Klassifikation der gesprächsspezifischen Formeln nur nach einem Funktionsspektrum durchzuführen (Stein 1995, 239). Sie soll ferner die Grundlage für ihre Integration in den Bereich der Phraseologie liefern. Für Feilke (1994, 377f.; 1996, 211ff.) ist diese Integration auch auf einem anderen Weg möglich. Ausgehend vom Konzept der idiomatischen Prägung schlägt er vor, bei der Definition der Phraseologismen von den bisher üblichen lexikalischen, am Wortbegriff orientierten und syntaktischen Kriterien abzusehen und die Prägungstypen “nach den funktionalen Dimensionen des Zeichenprozesses” zu differenzieren: “So ist es sinnvoll, Prägungen, die sich auf den sozial-kommunikativen Sinn von Handlungen beziehen, von solchen zu unterscheiden, die sich auf die semantische Konzeptualisierungsleistung beziehen. Beide wiederum können unterschieden werden von idiomatisch geprägten syntaktischen Strukturen. In diesem Sinne schlagen wir vor, die ‘Idiomatischen Prägungen’ zu differenzieren in ‘pragmatische’, ‘semantische’ und ‘syntaktische’ Prägungen” (Feilke 1994, 378). Jeder dieser Typen beinhaltet eine Vielzahl an weiteren Unterteilungen, die – wie Feilke selbst bemerkt – die Möglichkeiten der eindeutigen Zuordnung einschränken. Die pragmatischen, semantischen und syntaktischen Komponenten treten nicht isoliert voneinander auf, sondern können in einem Prägungstyp in unterschiedlichem Maße vertreten sein. Dies soll der Überblick über die Typen syntaktischer Prägung in Abbildung 12.5. verdeutlichen. Als klassenbildend gilt der primäre Bezug auf syntaktische Funktionen, wie bei den Beispielen der Unterklasse der lexikalisch organisierten Satzbeziehungsmuster solange [Satz 1], [Satz 2]; Nach allem, was [Satz 1], [Satz 2]; [Satz 1] nichtsdestoweniger [Satz 2], Zwar [Satz 1], aber [Satz 2] usw. Darüber hinaus können die syntaktischen Ausdrucksmodelle einen gewissen semantischen (vgl. Unterklasse 2: jmdn. um seine Ruhe bringen; schimpfen, dass die Wände wackeln) oder pragmati-
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schen (vgl. Unterklasse 3: Die Welt ist schlecht, Krieg ist Krieg; Im Folgenden ...; Soviel ich weiß ...) Mehrwert besitzen. Trotz des detaillierten Charakters dieser Klassifikation wirft sie einige Fragen auf: Inwiefern tragen z.B. die Konjunktionen solange und nichtsdestotrotz zur Gestaltung des Formelhaften bei? Inwiefern sind sie für Untersuchungen aus phraseologischer Perspektive ergiebig? Wie unterscheiden sich die als syntaktische Ausdrucksmodelle klassifizierten Prägungen Die Welt ist schlecht oder Krieg ist Krieg von den in die Gruppe der pragmatischen Prägungen gehörenden Einheiten des Typs So ist das Leben oder Man tut, was man kann (Feilke 1996, 272)?
Abb. 12.5.: Überblick über die Typen syntaktischer Prägung, in: H. Feilke, Sprache als soziale Gestalt, S. 241.
Während die oben dargestellten Studien die Phraseologie vor allem in der mündlichen formelhaften Kommunikation im Hinblick auf ihre Funktionen und Klassifikationsmöglichkeiten zum Gegenstand haben, wird sie in der letzten Zeit auch bei den Untersuchungen zu den schriftlichen formelhaften Texten (Gülich 1978/1981; 1997; Art. 41) berücksichtigt. Darunter werden Texte mit fester Gesamtstruktur verstanden, die aus konstanten inhalt-
lichen Komponenten (formelhaften Elementen, Grundmustern) in spezifisch schreibsprachlichen Ausprägungen bestehen und in bestimmten Situationen unverändert reproduziert werden, z.B. Einladungen, kürzere und komplexere Danksagungen (u.a. aus wissenschaftlichen Arbeiten), Glückwunschkarten, Todesanzeigen usw. Das Formelhafte in der Sprachverwendung kann somit nicht nur in relativ kurzen Äußerungssequenzen, sondern auch in Gestalt ganzer Texte vorkommen. Die Gebundenheit an bestimmte Situationen bestimmt den pragmatischen Charakter dieser Texte, die Besonderheiten ihrer sprachlichen Gestaltung (Auswahl der lexikalischen Mittel, grammatisch-syntaktische Struktur) sowie ihre Funktionen als Formulierungshilfen: Aufgaben, die fester Bestandteil sozialer Interaktionen in einer Gesellschaft sind, werden routiniert; ihre sprachliche Umsetzung als Handlung wird erleichtert. Merkmale wie Vorgeformtheit, Voraussagbarkeit im Kommunikationsablauf, Obligiertheit, Situationsgebundenheit, aber auch Kulturspezifik (Coulmas 1981, 81ff.) haben schriftliche sowie mündliche formelhafte Texte mit Phraseologismen gemeinsam. Ihre syntaktischen Charakteristika erlauben, sie mit Phraseoschablonen und/oder Modellbildungen zu vergleichen. Die pragmatischen Funktionen weisen Parallelen mit Routineformeln auf. Diese Tatsache lässt die Frage stellen, ob Textteile oder ganze Texte nicht nur als Gegenstand der Formulierungstheorie, sondern auch als Phraseologismen beschrieben werden können (Gülich 1997, 131). Die Beschreibung der Formelhaftigkeit könnte dabei von den Erkenntnissen der Phraseologieforschung bei den überwiegend syntaktisch orientierten Untersuchungen zu den aufgezählten Phraseologismus-Typen profitieren; die Phraseologieforschung würde dabei zu einem Teilgebiet der “Theorie der sozialen Interaktion” (Schemann 1981, 187) avancieren. 2.4. Gegenwart: Soziolinguistik und Phraseologie Seitens der Soziolinguistik und der Sozialpsychologie wurde in den 80er Jahren darauf hingewiesen, dass Sprache neben anderen Funktionen der Kommunikation der sozialen Identität und Ethnizität dient (Gumperz 1982 a, 7). Während diese Funktion an sich universal ist, bietet jede Sprache idiosynkratische Mittel zu ihrer Realisierung (vgl. ‘ways of speaking’, Gumperz 1982 a, 13). Dazu zählen die
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Pragmatik – Stilistik – Rhetorik der Phraseme/Pragmatic, stylistic, and rhetorical issues
Soziolinguisten neben Grammatik, Lexik und Prosodie u.a. auch Idiome und andere formelhafte Ausdrücke (formulaic utterances, contextualization cues Gumperz 1982 b, 130ff.) Innerhalb der Linguistik hat diese These in der Untersuchung der sprachlichen Stereotypie ihren Niederschlag gefunden. Das stereotype Sprechen wird in Quasthoff (1978, 6ff.; Wenzel 1978, 28ff.) als eine “allgemeine Aussage, welche in ungerechtfertigt vereinfachender Weise, mit emotional-wertender und normativer Tendenz einer Klasse von Personen bestimmte Eigenschaften oder Verhaltensweisen zu- oder abspricht”, bestimmt. Stereotypie in diesem Sinn unterscheidet sich somit vom Begriff des Stereotypen im Sinne von Formelhaftem (vgl. 2.3.): Der letztere rekurriert auf vorgeformte, geprägte Ausdrucksweisen in mehr oder weniger standardisierten Situationen, ohne eine bewertende Komponente zu enthalten. Stereotype wie Der Mensch ist sterblich, Der Mensch ist schwach oder Kinder lernen spielend können phatische (Quasthoff 1978, 194) oder appellative bzw. darstellende Funktionen erfüllen (Wenzel 1978, 97). Auf ihre ausdrucksseitige Formelhaftigkeit gehen Kallmeyer/Keim (1986, 1994) und Keim (1995; 1997) besonders ausführlich ein. Die von ihnen untersuchten ‘Individuenstereotypen’ bzw. ‘Eigenschaftsformeln’ sind überwiegend Gemeinplätze, die sich im Kommunikationsprozess zu gruppenspezifischen Formelprägungen zur Charakterisierung der Gruppenmitglieder und Symbolisierung der Zugehörigkeit zu einer Sprechgemeinschaft (Kallmeyer/Keim 1986, 123) sowie zu Mitteln des Sprachspiels (z.B. die Unsinnsformeln) und der sozialen Ab- und Ausgrenzung entwickelt haben, vgl. die Formeln zur Charakterisierung einer älteren Frau die brauchd vielleischd a schdunn fer in die schdroßebohn noi awwer wenn, s donze do brauchd se kään schdegge do brauchd se nix. Das formelhafte Sprechen wird hier unter dem Aspekt seiner Dynamik im größeren Zusammenhang mit sozialer Identität in städtischen Milieus untersucht. Aus pragmatischer Sicht ist die Schlussfolgerung interessant, dass zur Symbolisierung der sozialen Identität von der Mittelschicht der Stadtbevölkerung teilweise andere Phraseologismus-Typen benutzt werden als die, die traditionell in der Standardsprache als frequent betrachtet wurden und bisher Gegenstand der phraseologischen Studien ausmachten. Die Grundlage
dazu bilden unterschiedliche Wissensbereiche wie die unmittelbare Erfahrung, das Wissen über die Lebensbedingungen und die Normalitätsvorstellungen in einem lokal verankerten sozialen Milieu. Die Formalisierung einer Sprache kann aber auch umgekehrt zu der Gestaltung einer standardisierten sozialen Identität beitragen und als ein politisches Instrument des Einschleifens von Sprach- und Denkmustern ausgenutzt werden. Ständige Wiederholung eingeschliffener Stereotype (Länge und Dauer des Kampfes), Drang nach Pathos (dringliche und hochbedeutsame Aufgaben), Unschärfe durch Nominalisierung (im Bezirke der Belange statt bei) sowie Reduzierung der Höflichkeitsformen in der Anrede (Werter Professor Schmidt) sind nur einige Merkmale des formelhaften entleerten Sprachgebrauchs in der DDR, bei dem die spezifischen Phraseologismus-Typen eine unmittelbare Rolle spielen (Fix 1992, 6ff.).
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Einfluss der Pragmatik auf die Phraseologieforschung
Nicht zuletzt ist aber die skizzierte Kluft zwischen der Pragmatik und Phraseologie auf die mangelnde theoretische Aufbereitung der Phraseologieforschung zurückzuführen, die die Theorieentwicklung bis vor kurzem nur sehr zurückhaltend verfolgt hat. Seit den späten 70er Jahren setzen sich die Erkenntnisse der Pragmatik bei phraseologischen Fragestellungen durch und umfassen heute fast alle Gebiete der Phraseologieforschung. Im Folgenden sollen sie kurz skizziert werden. 3.1. Pragmatische Beschreibungsansätze, Gegenstandsbestimmung und Definition Der Einfluss der Pragmatik manifestiert sich vor allem auf dem Gebiet, das in der traditionellen Phraseologieforschung eine lange Zeit hindurch dominierte – Gegenstandsbestimmung und Definition. H. Burger führt bereits (1973, 58) den Begriff der pragmatischen Idiome ein, der in Burger/Buhofer/Sialm (1982, 105) durch den allgemeineren Terminus pragmatische Phraseologismen ersetzt wird. Darunter werden syntaktisch mehr oder weniger feste Formeln verstanden, die in konventionalisierten Formen in den kollektiven Sprachbesitz integriert sind und der Bewältigung der wiederkehrenden kommunikativen Situationen dienen. Die Eigenart der Verwendungsweise pragmatischer Phraseologismen
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Pragmatische Beschreibungsansätze
liegt darin, dass die Wendungen als formelhafte bekannt sind (Quasthoff 1983, 7). Mit dieser Behauptung ragt eine neue wichtige Komponente in die Definition hinein: Um als phraseologisch bezeichnet zu werden, müssen die Einheiten in der konventionalisierten Form zum mentalen Lexikon der Mehrheit der SprecherInnen gehören. In den neueren Studien wird zur Bezeichnung derartiger Ausdrücke außerdem der Terminus Routineformel verwendet. Für Burger/ Buhofer/Sialm (1982, 123ff.) erstrecken sie sich auf zwei Typen: 1) Den ersten bilden Gruß-, Glückwunsch- und andere Arten von Formeln, die entweder in sehr allgemein zu definierenden Situationstypen zu verankern sind oder sich auf spezifische Situationstypen beziehen, d.h. situationsgebunden sind, vgl. Ich eröffne die Versammlung. 2) Der zweite Typ enthält Formeln wie nicht wahr?, meines Erachtens, ich meine, die vorwiegend bei der Gestaltung der mündlichen Kommunikation unterschiedliche Funktionen übernehmen. In der Literatur haben sich dafür die Termini gesprächsspezifische Phraseologismen (Burger/ Buhofer/Sialm 1982, 123f.), gambits (Keller 1979), hedges (Clemen 1997, 242f.) und Diktumscharakterisierungen (Hagemann 1997) geprägt, vgl. hierzu die Übersicht in Beckmann/König (2002, 422ff.). Die beiden Typen sind syntaktisch und semantisch sehr heterogen und lassen sich nur mit pragmatischen Kategorien beschreiben, da selbst ihre Verfestigung sich eher auf ihre pragmatische Leistung im kommunikativen Geschehen bezieht. Phraseologismen dieser Gruppe sind somit im pragmatischen Sinn fest (Burger 2002, 397; Burger 2003, 29ff.). Das semantische Merkmal der Idiomatizität, über das einige dieser Formeln durchaus verfügen können (vgl. Grüß Gott; Koste es, was es wolle; Du kriegst die Motten), verliert teilweise seinen ursprünglichen Rang als wesentliches Charakteristikum von Phraseologismen, wodurch sich auch die Durchsetzung des Terminus pragmatische Phraseologismen im Gegensatz zu pragmatische Idiome erklärt. Die strukturelle Festigkeit ist durchwegs gering, die Variabilität jedoch groß. Der Begriff pragmatische Phraseologismen sieht ferner von den Kriterien der grammatischen und semantischen Irregularität ab. Somit wird die rein semantische Beschreibungsweise durch eine pragmatische Perspektive erweitert, da sich die pragmatischen Phraseologismen einer Bedeutungsbeschreibung mit den Mitteln
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der traditionellen Phraseologieforschung entziehen. Die Heterogenität der pragmatischen Phraseologismen als Klasse manifestiert sich außerdem darin, dass darunter in der Zwischenzeit nicht nur Routineformeln und gesprächsspezifische Phraseologismen subsumiert werden, sondern auch Gemeinplätze (Gülich 1981, Sabban 1994), geflügelte Worte und Sprichwörter (Schemann 1987, Harnish 1995, Lüger 1999). Auch für Phraseologismen dieser Typen gilt, dass ihre Funktionen nur mit Hilfe der pragmatischen Kategorien adäquat beschrieben werden können (3.3.). Der Forschungsgeschichte gehört ebenfalls die syntaktische Einteilung der Phraseologismen in satzglied- bzw. satzwertige Einheiten an. Die pragmatische Wende hat dazu geführt, dass auch Ausdrucksformen auf Textebene in Gestalt “formelhafter Texte” als phraseologisch betrachtet werden. Die Einbeziehung von Einheiten, die Textgröße besitzen, ist noch nicht ausdiskutiert (Fleischer 1997, 258f.), da sie die Erweiterung des Gegenstands der Phraseologie mit sich zieht. Diese Erweiterung bedeutet allerdings die Erweiterung um eine textlinguistische Dimension, die angesichts der Notwendigkeit der präzisen Empirie nicht von Nachteil sein kann. Die erwähnte Erweiterung vollzieht sich aber auch in die entgegengesetzte Richtung: Die pragmatische Wende hat zu der Neuinterpretation des Kriteriums Polylexikalität geführt, der zufolge auch Einwortlexeme auf Grund ihrer pragmatischer Charakteristika in den größeren Rahmen der Formelhaftigkeit herangezogen werden (Feilke 1994, 1996). Nicht zuletzt führen diese definitorischen Neueinsätze zu neuen Klassifikationsversuchen. 3.2. Pragmatische Beschreibungsansätze und Klassifikationsversuche Seit ihrer Entstehung war die traditionelle Forschung bestrebt, einheitliche Kriterien für die strenge Klassifikation der meistens satzgliedwertigen Phraseologismen zu entwikkeln. In Erwägung kamen semantische und syntaktische Merkmale, isoliert oder gemeinsam (vgl. die Übersicht in Fleischer 1997, 111ff.; Korhonen 2002, 402ff.). Im Laufe einer weiterhin andauernden Diskussion wurden allerdings schnell die Begrenztheit und Problematik dieser Klassifikationen festgestellt und der Vorschlag geäußert, zwischen der Basisklassifikation und den spezifischen
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Pragmatik – Stilistik – Rhetorik der Phraseme/Pragmatic, stylistic, and rhetorical issues
phraseologischen Klassen zu unterscheiden (Burger 2003, 33ff.). Mehrere Kriterien liegen der Systematisierung gleichzeitig zugrunde; die Grenzen zwischen einzelnen Klassen sind eher fließend. Mit der pragmatischen Wende richtete sich das Augenmerk der ForscherInnen zum ersten Mal auf die Funktionen, die die Phraseologismen in Texten erfüllen, bzw. auf ihre kommunikative Verwendung im Diskurs. Die am konkreten empirischen Material orientierten Untersuchungen zeigen, dass die Funktion oft als das einzige praktikable Kriterium für eine eindeutige Klassifikation dienen kann. Anfangs wurde diese Erkenntnis auf die als pragmatisch bezeichneten Phraseologismen, d.h. auf die Routineformeln, beschränkt. Der von Koller (1977) erstmals erstellte Funktionenkatalog wurde in der Zwischenzeit wesentlich erweitert und verallgemeinert. Unter Routioneformeln unterscheidet man Gesprächssteuerungsformeln, Höflichkeitsformeln, expressive und metakommunikative Formeln, Formeln zur Aufmerksamkeitssteuerung, Verzögerungsformeln, Stimulierungsformeln usw. (für Beispiele und andere Funktionen vgl. Pilz 1978, 53ff.; 1981, 73ff.; Coulmas 1981, 117ff.; Westheide 1991; Stein 1995, 239ff. und Art. 39.). Angesichts der Tatsache, dass auch andere Phraseologismus-Typen pragmatisch beschrieben werden können, erstrecken sich heute die Klassifikationsversuche nach Funktionen z.B. auch auf Idiome, Sprichwörter und Gemeinplätze. Dobrovol’skij (1997, 61ff.) erstellt eine kommunikativ-funktionale Typologie der Phraseologismen unterschiedlicher Typen und teilt sie ein in: – Phraseologismen mit qualifizierender Funktion (jmdm. den Kopf waschen) – Phraseologismen mit quantifizierender Funktion (alt und jung) – Phraseologismen in der Funktion modaler Operatoren (zum Ausdruck von Meinungen und/oder Emotionen) (weiß der Kukkuck, Hand aufs Herz) – Phraseologismen in der Funktion von Äußerungen (der Zug ist abgefahren!, das kannst du vergessen!) und – Phraseologismen mit identifizierender Funktion, die weiter unterteilt sind in: – Phraseologismen in der Funktion von Eigennamen (der alte Fritz) – Phraseologismen in der Funktion von Termini (die öffentliche Hand)
– Phraseologismen in der Funktion von konkret-gegenständlichen Nominationen (die grüne Minna, weiße Maus). Eine funktionale Typologie wird für die Klasse der Idiome unter Rückgriff auf solche Sprachhandlungen wie referieren, identifiziren, quantifizieren, strukturieren usw. herausgearbeitet (Dobrovol’skij 1997, 58ff.). Pragmatische Kriterien werden weitgehend in Lüger (1999, 131f.) bei der Klassifikation der satzwertigen Phraseologismen berücksichtigt und durch syntaktische und semantische Merkmale ergänzt. Unter dem Oberbegriff der idiomatischen Prägung werden z.B. Sprichwörter und Gemeinplätze einerseits sowie Kollokationen und Modellbildungen andererseits von Feilke (1996) in einer funktionalen Typologie zusammengefasst. Die neuen Typologien tragen ohne Zweifel zur präziseren methodologischen Fundierung der Phraseologie bei und sind deshalb zu begrüßen. Sie lösen allerdings das Klassifikationsproblem nach wie vor nicht, da ein und derselbe Phraseologismus – sobald man seine Verwendung in Texten betrachtet – unterschiedliche Funktionen erfüllen kann (3.3.). Eine eingehende Beschreibung und die induktive Eruierung dieser Funktionen ausgehend von einem konkreten Text ist eine wichtigere pragmatische Aufgabe der Phraseologieforschung, als die Erarbeitung eines starren Klassifikationsschemas, das voraussichtlich nie im Einklang mit dem tatsächlichen Sprachgebrauch stehen wird. 3.3. Phraseologismen in Text(sort)en und ihre Funktionen Eine der ersten Arbeiten zur textbezogenen Funktionsbeschreibung der idiomatischen Wendungen in politischen Berichten der Tageszeitungen ist Koller (1977). Trotz der Vagheit seiner Funktionszuordnungen, die mehrmals kritisiert wurden (Kühn 1984, 190; 1985, 38; 1987, 129), ist seine grundlegende Unterscheidung zwischen den pragmatischen Funktionen in Bezug auf die bezeichneten Sachverhalte, Situationen, Handlungen (mit Hilfe der Idiome kann man etwas/jemanden bewerten sowie etwas darstellen) und den pragmatischen Funktionen in Bezug auf Gebraucher, d.h. Sprecher, Autor bzw. Hörer/Leser (mit Hilfe der Idiome kann man jemandem Entscheidungshilfe leisten (Wer A sagt, muss auch B sagen), das Anführen weiterer Argumente ersparen (den Nagel auf den Kopf treffen), die Sachverhalte durch konkrete
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Pragmatische Beschreibungsansätze
Bildlichkeit veranschaulichen (in den sauren Apfel beißen) usw.) von Bedeutung. Literarische Texte standen im Vordergrund der Untersuchungen rezenteren Datums. In den Studien zu den Werken von Christa Wolf (Palm 1989; Palm Meister 1999), Franz Kafka (Palm Meister 1999), Bertolt Brecht (Fernus 1997; Palm Meister 2001, 187ff.; Palm Meister 1999; Fernandez Bravo 2001, 135ff.), Thomas Mann (Palm Meister 1999), Erich Kästner (Daniels 1987), Arno Schmidt (Preußer 2004), Lessing (Racette 1997), Theodor Fontane (Lüger 1989, 1999), Heinrich Mann, Günther Eich, Franz Xaver Kroetz (Burger/Buhofer/Sialm 1982), Christian Morgenstern (Pape 1985) werden Phraseologismen unterschiedlicher Typen zur Analyse herangezogen. Hervorgehoben wurden bereits ihre textgliedernden, thematisierenden, resultativen, evaluativen, verständnisökonomischen, argumentativen, appellierenden u.a. Funktionen. Röhrich/Mieder haben bereits (1977, 81) eine Funktionsliste für Sprichwörter erstellt, die folgende Funktionen umfasst: Warnung, Überredung, Argument, Bestätigung, Trost, Besänftigung, Überzeugung, Mahnung, Zurechtweisung, Feststellung, Charakterisierung, Erklärung, Beschreibung, Rechtfertigung und Zusammenfassung. Anhand der Analyse des empirischen Materials besteht heute Einigkeit darüber, dass Phraseologismen in den literarischen Textsorten meistens in Funktionsclustern auftreten und dass die Funktionszuweisung nur im konkreten Kontext möglich ist. Leitender Gedanke ist hier, dass sich die Funktionen aus den kommunikativen Zielen und Bedürfnissen der Schreiber/Sprecher ergeben, mit sprachlichen Äußerungen bestimmte Handlungen zu vollziehen. Das semantische Potenzial der phraseologischen Einheiten ist so vielfältig, dass in der Regel mit dem Einsatz eines vorgeprägten Ausdrucks mehrere Handlungen gleichzeitig ausgeführt werden können. Dominierend scheint oft allerdings die charakterisierende Funktion zu sein. Die Charakterisierung kann dabei sowohl von der dritten Person/vom Autor als auch mittels mündlicher Äußerungen der betroffenen handelnden Person (Sprachporträt) vorgenommen werden. Von Bedeutung ist außerdem die sprachkritische Funktion, die insbesondere den Phraseologismen in poetischen Texten zukommt und in denen sie sprachspielerisch, d.h. in zahlreichen Modifikationen, verwendet wer-
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den. Für ausgedehnte Sprachspiele nutzt Günter Grass die Phraseologismen: Sie werden untereinander vernetzt, indem mal die Bruchstücke der wörtlichen, mal Elemente der phraseologischen Bedeutung miteinander in Beziehung gesetzt werden (Preußer 2004, 270). Dadurch wird die meso- und mikrostrukturelle Formelhaftigkeit aufgebrochen, entlarvt und sinnentleert; die Beschränktheit, die in der Formelhaftigkeit des menschlichen Denkens und Sprechens liegt, wird aufgedeckt. Ähnlich ist Berthold Brecht bemüht, durch den Einsatz zahlreicher Phraseologismen die Verfremdung in der Sprachgestaltung aufzuzeigen: Phraseme dienen der argumentativen Themenentfaltung; mit ihrer Hilfe wird die Gegenüberstellung von Individuum und Gesellschaft gelöst (Fernandez Bravo 2001, 146). Die in der Forschung lange vernachlässigte ästhetische Funktion wird von Ulrike Preußer (2004, 272ff.) anhand der Texte Arno Schmidts untersucht. (Veraltete) Sprichwörter, geflügelte Worte und Zitate werden dort als Mittel der Stilisierung der Figuren- bzw. Autorenrede verwendet. In dieser Hinsicht wäre bei der zukünftigen Untersuchung literarischer Texte ein interdisziplinärer Ansatz wünschenswert, bei dem die linguistische Arbeit auch für die Literaturwissenschaft fruchtbar gemacht werden könnte (Preußer 2004, 269). Außer den literarischen Texten wurde die Phraseologie bereits in der Werbung (Hemmi 1994; Sabban 1998 a; Balsliemke 1999) und den Fernsehsendungen (Burger 1999) u.a. in ihrer Rolle als Brücke zwischen Text und Bild, bei der Gestaltung der modernen Werbestrategien sowie im Hinblick auf die quantitative Relevanz und Möglichkeiten der Modifikation thematisiert. Zum Skopus der textsortenorientierten Untersuchungen gehören ferner der politische Diskurs (Elspaß 1998; Lüger 2001), die populärwissenschaftliche Literatur (Preußer 2002), (argumentative) Gebrauchstexte (Tappe 2002), Witze, Comics (Fiedler 2004) und Kinderbücher (Burger 1997; 2003, 165ff.). Untersuchungen am Material der Fach- und Wissenschaftstexte stellen die Produktivität der Kollokationen und Termini heraus und haben zur Einbeziehung der polylexikalischen Termini in die Phraseologieforschung sowie zur eingehenden Betrachtung der Kollokationen geführt (Gréciano 1995, 1998; Kjaer 1991, 1994, Rothkegel 1989, 1997; Kunkel 1986). Zu diesen und an-
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Pragmatik – Stilistik – Rhetorik der Phraseme/Pragmatic, stylistic, and rhetorical issues
deren textsortenorientierten Untersuchungen vgl. die Übersichten in Häcki Buhofer/Burger (1994, 14ff.); Fleischer (1997, 264ff.); Wotjak (1994, 619ff). Viel versprechend scheint textsortenspezifisches Vorgehen zu sein, das den Vergleich des Phraseologismen-Gebrauchs in verschiedenen Textsorten anstrebt. Obwohl diese Richtung insgesamt eine Forschungslücke darstellt, decken einige Untersuchungen deutliche Unterschiede in der Distribution und funktionalen Beschaffenheit der Phraseologismen in unterschiedlichen Textsorten auf. Lüger (1989, 1999) geht den Funktionen von satzwertigen Phraseologismen einerseits in Dialogen in Theodor Fontanes Roman “Der Stechlin” und andererseits in den Kommentartexten einer Tageszeitung nach. In Dialogen fungieren Phraseologismen als Mittel der Aufmerksamkeitssteuerung, Unterstützung übergeordneter Sprachhandlungen, Durchführung von Bewertungshandlungen, Etablierung und/oder Wechsel der Kommunikationsmodalitäten, Steuerung von Imagearbeit und Beziehungsorganisation, Selbstdarstellung des Sprechers/Schreibers sowie Personencharakterisierung. In journalistischen Kommentartexten werden die satzwertigen Phraseologismen zur Aufmerksamkeitsförderung, Lesewerbung, sprachlichen Selbstdarstellung von Autor und Medium, Signalisierung unterschiedlicher Kommunikationsmodalitäten, Argumentation (Begründung, Rechtfertigung bezüglich übergeordneter Behauptungshandlungen) und Textstrukturierung angesetzt (Lüger 1999, 230). Sie können in allen Textabschnitten vorkommen, wobei ein hoher Anteil von Gemeinplätzen, geflügelten Worten und Phraseoschablonen hervorgehoben wird. Lüger (1999, 286f.) kommt zwar zum Schluss, dass satzwertige Phraseologismen in einem literarischen Text nicht prinzipiell anders eingesetzt werden als in journalistischen Kommentartexten. Die Unterschiede beziehen sich jedoch auf die Konzentration der Belege, die in einem fiktionalen Text höher ist, und auf die Funktionsschwerpunkte: Im Roman dienen die Phraseologismen in erster Linie der Personencharakterisierung. Damit tut sich ein Unterschied z.B. gegenüber den Texten des politischen Diskurses auf, auf den bereits Koller (1977, 138ff.) hinwies: Die Zahl der Funktionsklassen reduziert sich im politischen Diskurs. Die Analyse in (Elspaß 1998, 81) zeigt ferner, dass in einem Korpus zu den Reden der Bundestagsabgeordneten die kom-
parativen Phraseologismen äußerst selten sind. Die in den politischen Redetexten generell eher sparsam verwendeten satzwertigen Phraseologismen kommen nur an exponierten Stellen vor und unterstreichen in prägnanter Form Plausibilität und Überzeugungskraft der Beweisführung (Lüger 2001, 82f.). Burger (2003, 161) berichtet von den subtilen Verfahren des Phraseologismus-Gebrauchs, bei denen sowohl die wörtliche als auch die figurative Lesart aktiviert sind. Sie sind ihm zufolge nur in den literarischen Texten anzutreffen. In Gebrauchstexten, auch in der Werbung, dominiert in der Regel eine der Lesarten, auch wenn die andere mitaktualisiert wird. Textsortenspezifische Unterschiede betreffen außerdem die Distribution der Phraseologismen. Während Phraseologismen in politischen Kommentaren oder in der Werbung außerordentlich dicht belegt sind, enthalten (zumindest deutsche) naturwissenschaftliche Fachtexte in der Regel sehr wenig Phraseologie (Burger 2003, 161) bzw. ganz bestimmte Phraseologismus-Typen wie Termini und Kollokationen. Die Analyse des konkreten Textmaterials legt den Schluss nahe, dass Phraseologismen funktionalstilistisch verwendet und an bestimmte Texte bzw. Textsorten gebunden werden können. Die skizzierten Beobachtungen zu den pragmatischen Funktionen liegen dem Konzept der “textbildenden Potenzen” der Phraseologismen zugrunde, das durch die präzise empirische Arbeit noch zu konkretisieren wäre. Versteht man unter pragmatisch nicht nur eine Einschränkung des möglichen Gebrauchs einer Einheit im situativen Kontext, sondern auch eine Beschränkung des möglichen Gebrauchs auf bestimmte Formen (Schemann 1981, 204) bzw. seine Vielfältigkeit, so sind an dieser Stelle die in der Zwischenzeit zahlreich gewordenen Untersuchungen zur phraseologischen Modifikation und Variation zu erwähnen. Im Zusammenhang mit Textsorten sind sie insofern von Bedeutung, als Modifikation und Variation, die Phraseoaktivität (Gréciano 1994), als Mittel der Textkonstitution und -strukturierung, als ein weiterer Bestandteil des Konzeptes der “textbildenden Potenzen” angesehen werden. Die kontextuelle Einbettung der Phraseologismen erfolgt mittels der Ambiguierung, formaler Abwandlungen, Text-Bild-Bezüge usw. (Burger 1999, 79ff.; Burger 2003, 152; Dobrovol’skij 2001). Besonders die okkasionelle
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Pragmatische Beschreibungsansätze
Variation (Sabban 1998b) verdeutlicht, dass für die Phraseologie keine gesetzten, sondern nur konventionelle bzw. AngemessenheitsNormen gelten können (Elspaß 2002, 141). Mit den pragmatischen Beschreibungsansätzen rückt also das Problem der Norm in den Mittelpunkt der gegenwärtigen phraseologischen Diskussion, die noch keineswegs abgeschlossen ist. Dieses Thema wird auch aus der entgegengesetzten Richtung angegangen und ist eng mit der Frage nach den Grenzen der Modifikation und/oder Gebrauchsrestriktionen verbunden (Dobrovol’skij 1997, 69ff.; 1999 a, 1999 b, 2000 a; siehe unten 3.4.– 3.5.). Ob Modifizierbarkeit eine Eigenschaft aller oder nur eines Teils der Phraseologismen ist, ist nur anhand von empirischen Analysen des Phraseologismus-Gebrauchs in konkreten Texten beantwortbar. Weniger ist der Forschung über die Funktionen und das illokutionäre Potenzial der Phraseologismen im mündlichen Diskurs bekannt. Mit Ausnahme der gesprächspezifischen Phraseologismen (Stein 1995) und stereotypen Gemeinplätze (Kallmeyer/Keim 1986; 1994; Keim 1995; 1997) hat sich das Augenmerk der ForscherInnen bis jetzt auf keine anderen Phraseologismus-Typen gerichtet. In diesen Zusammenhang ist die Studie Nahbergers (2004) zur illokutionären Schlagkraft der Sprichwörter in der Kommunikation der 16–23-jährigen GymnasialschülerInnen zu stellen, die er anhand von schriftlichen Tests untersucht. Nahberger fasst zusammen, dass “Sprichwörter dazu dienen, Innovationen sprachlich zu bewältigen durch Einsortieren und Einordnen des Neuen in den konventionalisierten Wertevorrat einer Gesellschaft” (Nahberger 2004, 230). Im Sinne der erwähnten Kritik an dem Funktionsbegriff geht Nahberger (2002, 255ff.) der Frage nach, ob und welche Handlungen mit Sprichwörtern vollzogen werden können. Wünschenswert wäre in diesem Bereich die Intensivierung der Untersuchungen zu handlungsorientierten Funktionen der Phraseologismen in der gesprochenen Sprache, in den Umgangssprachen, Dialekten und areal begrenzten Sprachvarietäten, insbesondere angesichts der Tatsache, dass die ersten Studien bereits bedeutende Unterschiede gegenüber den Standardsprachen hinsichtlich der Typologie, Häufigkeit der Verwendung, stilistischen Prägung sowie der geschlechtsspezifischen Restriktionen herausgearbeitet haben (vgl. Art. 45 und 16).
3.4. Pragmatische Beschreibungsansätze und Phraseographie Die Erkenntnisse der textsortenorientierten Phraseologieforschung haben erneut zur Diskussion über die lexikographische Erfassung der Phraseologie geführt. Mit der Pragmatik sind die Benutzer-Perspektive und die Forderung stärker in den Vordergrund gerückt worden, die tatsächliche Verwendung der Phraseologismen in den Wörterbüchern darzustellen (Wiegand 1981, 211ff.). Die Forderung erstreckt sich auf die morphosyntaktische Struktur der Phraseologismen sowie auf die pragmatischen Aspekte ihrer Bedeutung. Die in der strukturellen Linguistik verbreitete Praxis, bei den verbalen Phraseologismen in deutschen Nachschlagewerken die Nennform im Infinitiv zu formulieren, erweist sich pragmatisch gesehen bei einigen Beispielen als dem Usus nicht entsprechend. Mit der Angabe der Nennformen jmdm. Steine in den Weg legen und jmdm. auf den Magen schlagen ist dem Benutzer wenig gedient, da diese Formulierungen nichts über die unterschiedliche Besetzung der Subjektstellen aussagen. Burger (2003, 179) schlägt vor, dass die externe Valenz wie folgt ausformuliert sein sollte: (6) (7)
jmd. legt jmdm. Steine in den Weg etwas schlägt jmdm. auf den Magen
Neben den Angaben zur externen Valenz ist für die korrekte Verwendung der Phraseologismen die Kenntnis der morphosyntaktischen Restriktionen von Bedeutung. Aus der in (7) benutzerfreundlich formulierten Nennform kann ersehen werden, dass das Subjekt nur unpersönlich sein kann; Beispiel (8) verdeutlicht, dass der Beleg auf das Perfekt beschränkt ist. (8)
einen Narren an jmdm. gefressen haben
In dieser Hinsicht erwiesen sich die in Abschnitt 3.3. erwähnten Untersuchungen zur Modifikation und Variation sowie ihren Grenzen für die adäquate Darstellung der Phraseologismen in lexikographischen Werken als wichtig und absolut notwendig. In noch größerem Maße erfassen die Erkenntnisse der Pragmatik die Angaben zur Semantik der Phraseologismen, die sich in den traditionellen Wörterbüchern nicht selten auf die Anführung des entsprechenden Lexems (z.B. die Hosen anhaben ‘bestimmen’, ins Gras beißen ‘sterben’) und somit auf den denotativen Bedeutungskern beschränken. Der Begriff pragmatisch erstreckt sich hier
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Pragmatik – Stilistik – Rhetorik der Phraseme/Pragmatic, stylistic, and rhetorical issues
metasprachlich auf verschiedene Aspekte: Gemeint sind einerseits die Stilschichten, räumliche und zeitliche Zuordnungen sowie Zuordnungen zu Fach- und Sondersprachen, andererseits “Einstellungen des Sprechers gegenüber einem der beteiligten Aktanten oder gegenüber dem gemeinten Sachverhalt, die durch den Phraseologismus mitausgedrückt werden, sowie “illokutive” Aspekte des Phraseologismus [...]” (Burger 2003, 184). Die erste Gruppe der Angaben wurde zwar bereits in der traditionellen Phraseologie berücksichtigt, wobei stilistische Vermerke wohl den “ältesten” Berührungspunkt der Phraseologie und Pragmatik bilden. Die Kriterien für die Kennzeichnung der Stilebenen blieben jedoch vortheoretisch (Coulmas 1981, 11f.; Schemann 1981, 271) und terminologisch unklar (vgl. bildungsprachlich/gehoben/dichterisch/ umgangssprachlich/salopp/vulgär). Da innerhalb der Stilistik keine festen Regeln für eine Zuordnung der sprachlichen Einheiten den Stilregistern zu existieren, entsprach die Zuordnung oft nicht dem tatsächlichen Sprachgebrauch und war empirisch nicht überprüfbar. Die Auseinandersetzung mit authentischen Texten hat ein differenzierteres Bild zu Tage gefördert. Püschel (1984, 377) macht für den gesamten Wortschatz den Vorschlag, die Stilangaben durch die “Angaben von Einstellungen” zu ersetzen. Dieser Vorschlag wäre auch für phraseologische Zusammenhänge in Betracht zu ziehen und zu präzisieren, insbesondere angesichts der Tatsache, dass es im phraseologischen Bereich zu Stilverschiebungen kommt: Wenn für Lexik allgemein der neutrale Stil die Norm ist, ist die phraseologische Norm stilistisch niedriger, da bildhafter, angesiedelt (Baranov/Dobrovol’skij, im Druck). Deshalb erweisen sich allgemein gültige Markierungen wie umgangssprachlich für Phraseologie als unbrauchbar und werden z.B. im “Thesaurus der modernen russischen Sprache” nicht mehr verwendet. Neu eingeführt wird stattdessen die Markierung “stilistische Null” [Ø], die das Fehlen jeglicher stilistischer Auffälligkeiten symbolisiert und mit der die Phraseologismen versehen werden, die in der Alltagskommunikation gängig sind, vgl. russ. spat’ bez zadnih nog, peremyvat’ kostochki komu-libo, do pobednogo, kak iz pushki usw. Umgedeutet wird die Markierung neutral, die für Phraseologismen charakteristisch ist, die eine Stufe über dem mittleren Wert der “stilistischen Null” liegen, vgl. russ.
dlja rovnogo scheta, otchajannaja golova, na kazhdom shagu u.a. In der Regel sind es weniger bildhafte Phraseologismen mit verdunkelter innerer Form, die oft keine Einwortentsprechung haben. Angesichts der erwähnten stilistischen Verschiebung wird im Thesaurus das untere Ende der stilistischen Skala ausgebaut. Stilistische Markierungen werden ferner durch diskursive Vermerke (“Buchstil”, “Journalismus”, “Jargon” usw.) und Registeroperatoren (“Euphemismus”, “Dysphemismus”) ergänzt, was u.a. zur Präzisierung der stilistischen Angaben beiträgt. Durch die pragmatische Wende sind zeitliche und räumliche Zuordnungen ebenfalls auf den Prüfstand gestellt worden. Obwohl in der traditionellen Lexikographie mehrmals benutzt, sagen diese Angaben angesichts fehlender empirischer Untersuchungen oft nichts über die tatsächliche Verwendung eines Phraseologismus aus. Hier gilt es, die Daten der existierenden Wörterbücher anhand der größeren Textkorpora und mit Hilfe von Befragungen zu präzisieren. Vgl. etwa für die räumliche Verteilung die Ergebnisse in Piirainen (2001a; 2002a; 2002b; 2002c; 2003a; 2003b). Das Novum der pragmatischen Beschreibungsansätze der Phraseologismen in Wörterbüchern besteht in der Angabe der Informationen zu den Einstellungen, die der Sprecher/ Schreiber jeweils mit dem entsprechenden Ausdruck beabsichtigt. In der Forschung hat diese Feststellung in Bezug auf Routineformeln, bei denen der assertive Bedeutungsteil hinter die illokutive Kraft zurücktritt, bald Zustimmung gefunden (Wiegand 1981; Coulmas 1981; Burger 1973): Routineformeln sind selbständige Ausdrücke, die an bestimmte kommunikative Situationen gebunden sind/sein können und entsprechende Handlungsmuster versprachlichen. Eine Wörterbucherklärung “(landsch.) Grussformel” zu der konventionalisierten Floskel Grüß Gott sagt deshalb nichts über ihre tatsächliche Verwendung aus. In einer pragmatischen Beschreibung von Routineformeln sollen daher Angaben darüber enthalten sein, (a) worauf man mit einer Routineformel referiert, (b) was man mit der Routineformel prädiziert und (c) welche Illokutionen oder Handlungen man mit dem Gebrauch von Routineformeln ausführt (Kühn 1984, 195; 1987, 129). Nicht zuletzt gilt die Forderung einer sprachhandlungstheoretischen Beschreibung aber auch für Phraseologismen, die in größere
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Äußerungen eingebettet sind und deren Aussage- und Handlungsgehalt sie modifizieren. Die Festlegung ihrer pragmatischen Funktion ist somit vom Aussage- und Handlungsgehalt der Gesamtäußerung abhängig und oft nicht an einen einzelnen Sprechakt gebunden, vgl. die Beispiele sich etwas aus dem Kopf schlagen (Kühn 1987); jmdm. auf die Finger gukken (Kühn 1985, 38ff.), die Hosen anhaben (Kühn 1984, 200ff.), sich keine Sorgen machen (Kühn 1989, 141ff.), jmd. bringt etwas an den Mann (Kühn 1994, 421) u.a. Als Ausdrücke für einen Komplex von Prädikationen, als Einheiten mit semantischem Mehrwert (Černyševa 1984, 18) bedürfen die Phraseologismen einer gebrauchssemantischen Beschreibung, die alle tradierten Illokutionen beinhaltet. Diese gebrauchssemantische Beschreibung soll sich dabei nicht auf die Zuweisung von Funktionsklassen beschränken, sondern bei der Interpretation des Phraseologismus-Gebrauchs in konkreten Texten herausgearbeitet werden (Kühn 2004, 151ff.). Eine der zentralen Fragen wird dabei die Frage sein, ob die betreffenden Phraseologismen in ganz bestimmten Handlungsmustern oder in prinzipiell beliebigen vorkommen (Burger 1991, 21; Dobrovol’skij 1997, 104ff.). Auch wenn sich die Phraseographen über die Wichtigkeit dieser theoretischen Erkenntnis einig sind, werden die Offenheit und Ausführlichkeit der Metasprache immer noch unterschiedlich gesehen (Dobrovol’skij 1997, 104; Burger 2003, 187ff.). Konsequente praktische Umsetzung der pragmatischen Prinzipien bleibt allerdings in den Wörterbüchern noch aus (Eismann 1995, 95). 3.5. Pragmatische Beschreibungsansätze und kontrastive Phraseologieforschung Im Gegensatz dazu haben die pragmatischen Aspekte in die kontrastive Phraseologieforschung breiten Eingang gefunden. Während in der traditionellen Phraseologieforschung die Äquivalenz überwiegend nach den klassischen Parametern Semantik und Syntax ermittelt wurde, umfassen die pragmatisch angelegten Vergleichsversuche: 1) 2) 3) 4)
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Pragmatische Beschreibungsansätze
Unterschiede in der stilistischen Schattierung der L1- und L2-Phraseologismen Unterschiede im Bekanntheits- und Geläufigkeitsgrad Unterschiede in der inneren Form und vor allem in den kulturell basierten Komponenten Unterschiede in der illokutionären Kraft (zusammengefasst nach Dobrovol’skij/Piirainen 2005, 75).
Die erwähnten Aspekte des Vergleichs haben zu einem neuen Begriff der Äquivalenz – nämlich Äquivalenz der Gebrauchsnorm (Coulmas 1981) oder der funktionalen Äquivalenz (Hessky 1987) – geführt. 1)
Die Unterschiede in der stilistischen Schattierung lassen sich besonders deutlich anhand des Sprachenpaares Deutsch/Lëtzebuergesch aufzeigen (Filatkina 2003, 2005). Trotz der totalen qualitativen Äquivalenz in der Morphosyntax, im lexikalischen Bestand und in der Bildlichkeit sind die luxemburgischen Belege (9–10) im Unterschied zu ihren standarddeutschen Entsprechungen stilistisch anders markiert:
(9)
lëtz. an de Keller goen “in den Keller gehen” dt. in den Keller gehen (10) lëtz. mat eppes frou sinn “mit etwas froh sein” dt. froh sein mit etwas, seine Freude haben an etwas
Die in den standarddeutschen Wörterbüchern angeführten Kontexte lassen in (9) eine eindeutige Zuordnung des deutschen Belegs zum umgangssprachlichen Sprachregister zu, vgl.: die Mannschaft ist/sitzt im Keller, rutscht in den Keller; die Plattenumsätze sackten in den Keller; die Preise sind in den Keller gefallen. Ihnen kann exemplarisch ein Ausschnitt aus den luxemburgischen Parlamentsdebatten gegenübergestellt werden (Filatkina 2005, 156ff.), der diese Zuordnung nicht ohne weiteres ermöglicht. Dies ist auch in (10) der Fall: Während in den konsultierten Wörterbüchern des Deutschen der Phraseologismus froh sein mit etwas als umgangssprachlich markiert ist, kommt er im Luxemburgischen in einem Zeitungsbeitrag zum Gedenken des berühmten Radfahrers François Faber vor. Phraseologismen, die im Standarddeutschen umgangssprachlich erscheinen mögen und deren Vorkommen in bestimmten Sprachregistern unwahrscheinlich wäre, wurden im Laufe der Umfragen von den luxemburgischen MuttersprachlerInnen als neutral empfunden. Als umgangssprachlich sind diese Phraseologismen nur aus der Sicht des Standarddeutschen zu betrachten. Eine Erklärung dazu liefert die dominierende Gebundenheit des Luxemburgischen an die Domäne ‘Mündlichkeit’ und seine dialektale Provenienz, die im System der Sprache noch deutlich zum Vorschein kommt.
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IV.
Pragmatik – Stilistik – Rhetorik der Phraseme/Pragmatic, stylistic, and rhetorical issues
Aus pragmatischer Perspektive sind ferner die Unterschiede im Bekanntheitsund Geläufigkeitsgrad für die Verwendung eines Phraseologismus wichtig. Basierend auf empirischen Erhebungen sehen Burger (1996; 2003, 195ff.) sowie Häcki Buhofer und Burger (1994, 18) darin einen bedeutenden Unterschied in der Verwendung der binnen- und schweizerdeutschen Phraseologismen, wobei im Standarddeutschen die Zugehörigkeit des Phraseologismus bzw. einer seiner Konstituenten zu einer diaphasisch niedrigen Stilschicht seine Nichtgeläufigkeit begründen kann. Ausreichend Beispiele liefert das Sprachenpaar Deutsch/Lëtzebuergesch: Die im Standarddeutschen im Verschwinden begriffenen Phraseologismen gehören im Lëtzebuergeschen zu den geläufigsten, vgl. die Beispiele näischt ze räissen an naischt ze bäissen hunn, sech kee Gras ënnert de Féiss wuesse loossen, eppes/ enger Saach Meeschter ginn und ihre deutschen Entsprechungen in (Filatkina 2005, 154f.). Diese ersten viel versprechenden Ergebnisse wären durch die Etablierung der intralingual ausgerichteten kontrastiven Phraseologieforschung sowie der Forschung am Material der areal begrenzten weniger normierter Sprachen zu ergänzen. Feine Gebrauchsrestriktionen in der Verwendung der deutschen und russischen Idiome führt Dobrovol’skij (1997, 108ff.) auf die Beschaffenheit des Bildspenderbereichs zurück. Das deutsche Idiom (11a) und das russische Idiom (11b) scheinen auf den ersten Blick sowohl in ihrem denotativen Bedeutungskern ‘sehr geizig bzw. sparsam sein’ als auch in ihrer bildlich-metaphorischen Grundlage ‘auf das kleinste Geldstück einen großen Wert legen’ übereinzustimmen:
(11a) jeden Pfennig dreimal umdrehen (11b) drožat’/trjastis’ nad každoj kopejkoi ‘wegen jeder Kopeke zittern’
Die nähere Betrachtung zeigt jedoch, dass das deutsche Idiom oft in Kombination mit müssen oder imperativisch verwendet wird. Die erste Gebrauchsmöglichkeit ist im Russischen fraglich, die imperativische Form ist nur in Verbindung mit Negation möglich. Diese scheinbar zufälligen Unterschiede im Usus ergeben sich laut Dobrovol’skij (1997, 109) aus
den Unterschieden in den zugrunde liegenden Bildern: “Das deutsche Bild des (Dreimal-) Umdrehens vermittelt die Vorstellung eines sehr sorgfältigen, überlegten Umganges mit jedem Pfennig. Diese Vorstellung hat an sich keine ausgesprochenen negativen Assoziationen und lässt folglich die entsprechenden deontischen Modalitäten zu. Das Bild sträubt sich nicht gegen den Gebrauch des Idioms in den Sprechakten mit der Illokution der Empfehlung bzw. dem Ausdruck der Notwendigkeit des extrem sparsamen Verhaltens. Im Russischen [...] vermittelt die Vorstellung des Zitterns wegen des kleinen Geldstückes eine negative Assoziation. Die betreffende Person muss zu jeder Kopeke eine dermaßen starke emotionale (an Liebe und Leidenschaft grenzende) Einstellung entwickelt haben, dass schon der Gedanke an die Notwendigkeit, dieses (fast wertlose) Geldstück auszugeben, sie zum Zittern bringt.” Das Heranziehen der inneren Form erklärt ferner die gebrauchssemantischen Unterschiede bei Beispielen wie dt. Eulen nach Athen tragen und russ. ezdit’ v Tulu so svoim samovarom, die in der traditionellen Phraseologieforschung für äquivalent gehalten wurden. Das russische Idiom dient zur Bezeichnung und Bewertung inadäquater Handlungen, die sich vor allem darin äußern, dass bestimmte materielle Objekte an einen Ort gebracht werden, an dem es gleiche Dinge bereits im Überfluss gibt. Das deutsche Idiom weist dagegen auch auf die Unmöglichkeit hin, bestimmte geistige Inhalte an einem Ort als innovativ und originell zu präsentieren, an dem sie längst bekannt sind (Dobrovol’skij 1999 c, 115; Dobrovol’skij/Piirainen 2005, 56ff.). Auch hier sind die Unterschiede mit der bildlichen Komponente der Idiombedeutung verbunden: Samowar als Artefakt prädisponiert die Gebrauchsbedingungen und erschwert die Interpretation des Idioms im abstrakten Sinn. Vgl. ähnliche Beispiele für die Sprachenpaare Deutsch/Russisch in Dobrovol’skij (1998; 2000b); Dobrovol’skij/Piirainen (2005, 63ff.), Deutsch/Lëtzebuergesch in Filatkina (2005, 215ff.); weitere Belege und Forschungsübersicht zur u.a. pragmatisch angelegten kontrastiven Phraseologieforschung finden sich in Dobrovol’skij (2002), Korhonen (1998) sowie in Art. 49. Die Berücksichtigung der inneren Form erweist sich bei der Ermittlung der “falschen Freunde” als besonders ergiebig, vgl. die Daten aus mehreren Sprachen in Piirainen (2000b; 2004).
12.
Pragmatische Beschreibungsansätze
4)
Die Belege (11) veranschaulichen gleichzeitig die Unterschiede in der illokutionären Kraft der scheinbar äquivalenten Phraseologismen. Die Besonderheiten des illokutionären Potenzials kommen am deutlichsten im Bereich der Routineformeln zum Vorschein. Bereits Coulmas (1981, 123ff.) hebt sie als wichtige Daten kulturvergleichender und enthnolinguistischer Untersuchungen hervor, vgl. I thought you’d never ask im amerikanischen Englischen, Takk for maten “Dank für das Essen”, Takk for sist “Dank für letztes Mal” im Norwegischen, Küss die Hand oder Grüß Gott im Deutschen. Coulmas kommt zum Schluss, dass das kulturell kompetente Kommunikationsverhalten die Kenntnis der “Banalitäten”, “Klischees” und Routinen voraussetzt. Den alltäglich-alltagsweltlichen Routinesituationen mit ihren Ausdrucksformen verbalen und nonverbalen Handels in dramatischen Texten ist zuletzt Koller (2003, 428ff.) nachgegangen. Die Untersuchung basiert auf der Beobachtung, dass in dramatischen Texten Routinehandlungen und -ausdrucksformen auf differenzierte, bedeutungstragende und nicht nur “routinisierte” Weise eingesetzt sein können, was die Wichtigkeit ihrer genauen Beschreibung unter kultur-, sprachdidaktisch- (Stein 1995, 16; Lüger 1992, 41ff.; Gülich/ Henke 1979, 517ff.; Gülich/Henke 1980, 2ff.) und übersetzungsvergleichenden (Art. 51) Aspekten weiter steigert.
3.6. Pragmatische Beschreibungsansätze und historische Phraseologie Die Wichtigkeit und Fruchtbarkeit der quellenkundlich ausgerichteten Orientierung der pragmatischen Untersuchungen wurde bereits in Abschnitt 3.3 herausgestellt. Für die historische Phraseologieforschung, die sich auf das Mittelalter und die Frühe Neuzeit bezieht, ist die enge Gebundenheit an Texte unumgänglich. Sie stellt die einzige Möglichkeit der pragmatisch basierten Arbeit dar. Nichtsdestotrotz sind die Untersuchungen mit pragmatischen Fragestellungen innerhalb der historischen Phraseologieforschung eher eine Randerscheinung. Sie sind vorrangig literatur- und kulturhistorisch begründet. Zum Skopus einiger weniger Untersuchungen, die als pragmatisch charakterisiert werden können, gehören vor allem die Funktio-
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nen bzw. die Gebrauchskontexte der Sprichwörter zumeist in literarischen Texten (Eikelmann 1999; Nöcker/Rüther 2002; Tomasek/Eikelmann 2002). Die Funktionen erstrecken sich von der schulischen Unterweisung in der klösterlichen Bildungswelt über schlagfertige Argumente im Rahmen der höfischen Gesprächskultur bis hin zu Kommentaren seines sprachlichen Erfahrungsgehaltes im humanistischen Gelehrtendiskurs (Eikelmann 2002, 95). Die zweite Gruppe bilden die Studien zu Phraseologismen unterschiedlicher Typen in den älteren Rechtstexten (Schmidt-Wiegand 1991a, 1991b; 1993a. 1995, 1997; Janz 1989; 1992; 1997). Ihre Funktionen haben in dieser Textsorte ein ganz anderes Aussehen: Durch die Verwendung der Sprichwörter und Paarformeln ragen die Reflexe des älteren mündlich tradierten germanischen Rechts in die schriftlich verfassten Texte hinein, vgl. die Beispiele aus dem Sachsenspiegel wir sezzen und gebiten, Man sait, das kein kint siner muter kebeskint enis oder De er zu der mul kumt, der melt e. In knapper, bündiger Form geben sie Rechtsregeln und Rechtsprinzipien wieder, z.B. Wer das gluende isen tragen solle, man unde wîp, mit haut und haar. Während einige von diesen Belegen im Neuhochdeutschen in figurativer Bedeutung immer noch bekannt sind, erfüllen sie in älteren Texten als Rechtstermini denotative Funktionen. Aus der gesprochenen Sprache stammen ferner zahlreiche Paarformeln, die außerdem die Verbindlichkeit des Rechts zum Ausdruck bringen. Im Gegensatz zur Dichtungssprache haben sie im Rechtstext keine schmückende Funktion; sie dienen vielmehr der Verdeutlichung des Wortlauts, indem sie die Umschreibung eines abstrakten Begriffs enthalten, der selbst nicht genannt zu werden braucht (Schmidt-Wiegand 1993b, 217; Besch 1964, 200ff.). Dies gilt insbesondere für differenzierende Paarformeln reht unde gewonheit, reht unde gebot (damit wird das Gewohnheitsrecht vom Satzungsrecht unterschieden), kontrastierende Paarformeln (uf wassere oder uf lande) und tautologische Paarformeln (wir sezzen unde gebiten). Im Unterschied zur Gegenwart stellt sich für historische Phraseologismen das Problem ihrer Identifizierung in Texten und des Nachweises ihrer Gebräuchlichkeit mit besonderer Deutlichkeit. Als wichtige Hilfsmittel erweisen sich metakommunikative Kommentare, mit denen Sprichwörter in größere Textzu-
152
IV.
Pragmatik – Stilistik – Rhetorik der Phraseme/Pragmatic, stylistic, and rhetorical issues
sammenhänge eingeführt werden. Laut Eikelmann (1999, 304ff.) nutzt sie das Mittelalter besonders oft und vielgestaltig, um den Status und die Funktionen der Sprichwörter zu betonen. Systematische Untersuchungen auf breiter Materialbasis fehlen dazu aber weitgehend (Eikelmann 2002, 97). Sie wären besonders in der Hinsicht zu begrüßen, dass den Einleitungsformeln unterschiedliche Wissenselemente abzugewinnen sind: Informationen zu Gebräuchlichkeit, zur alltagssprachlichen Textklassifizierung und Bewertung, zu regional gebundener Herkunft und überregionaler Verbreitung der betreffenden Phraseologismen. Die Analyse des funktionellen Potenzials der Phraseologismen in älteren Texten rückt somit in eine doppelte Perspektive: Sie setzt einerseits die Kenntnis des entsprechenden Diskurses voraus, andererseits trägt sie deutlich zur Beschreibung der kulturgeschichtlichen Kontexte bei. Die kurze Reihe der erwähnten Untersuchungen wäre deshalb durch weitere Studien am Material anderer Textsorten zu ergänzen (vgl. z.B. zur Rolle der Phraseologie in der älteren kodifikatorischen Literatur Mieder (1974, 1975, 1982); Weickert (1997); Filatkina (in Vorbereitung)).
4.
Zusammenfassung und Ausblick
Wenn Coulmas 1981 behauptet, dass die pragmatische Dimension “ihres Gegenstandes von der Idiomatik bisher nicht ausgelotet worden und umgekehrt der potentielle Erklärungswert idiomatischer Wendungen” für die pragmatische Beschäftigung mit der Sprache “keinesfalls extensiv ausgenutzt worden ist” (1981, 10), so gilt diese Feststellung u.E. zum Teil bis in die Gegenwart. Im Bereich der phraseologischen Pragmatik sind nach wie vor große Forschungsdesiderate festzustellen. Sucht man nach phraseologischen Zusammenhängen in pragmatisch ausgerichteten Untersuchungen, kommt man zu keinem großen Fundus. Die Pragmatik bekundet nach wie vor wenig Interesse an phraseologischen Fragestellungen, das nicht über die oberflächliche und zufällige Berücksichtigung einzelner Phraseologismus-Typen hinausgeht. In der Phraseologieforschung ist im Gefolge der “pragmatischen Wende” eine Neuorientierung seit Beginn der achtziger Jahre deutlich erkennbar. Allerdings erweisen sich eine bessere empirische Basis und stärkere theoretische Aufbereitung immer noch als
notwendig. Pragmatische Beschreibungsansätze haben zu neuen Definitionen und Forschungsgegenständen geführt. Sie haben sich bei Untersuchungen zu Funktionen der Phraseologismen und ihrer illokutionären Kraft bewährt. Ein Forschungsdesiderat stellen aber vergleichende Untersuchungen zum textsortenspezifischen Gebrauch von Phraseologismen dar, die die Textsortenabhängigkeit der phraseologischen Einheiten systematisch aufbereiten würden. Pragmatische Erkenntnisse haben breiten Eingang in die kontrastive Phraseologieforschung und die Theorie der Phraseographie gefunden. Es mangelt jedoch an der konsequenten praktischen Umsetzung der gewonnenen Postulate in den allgemeinen und phraseologischen Wörterbüchern. Dies gilt insbesondere für kontextuelle, stilistische, zeitliche, räumliche und syntagmatische (auch im Sinne der Gebrauchsrestriktionen) Aspekte der Verwendung von Phraseologismen. Wie die Untersuchungen zur formelhaften Sprache nahe legen, werden wiederkehrende kommunikative Aufgaben oft durch die für diese Zwecke hochstandardisierten Stereotype realisiert. Dieses Wissen hat allerdings nicht zu einer systematischen phraseologischen Forschung geführt: Studien zum gattungsspezifischen Repertoire sprachlicher Formeln fehlen nach wie vor. Im Bereich der pragmatischen Beschreibungsansätze tut sich somit in der Phraseologieforschung ein offenes Feld auf.
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Pragmatische Beschreibungsansätze
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Pragmatik – Stilistik – Rhetorik der Phraseme/Pragmatic, stylistic, and rhetorical issues
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156
IV.
Pragmatik – Stilistik – Rhetorik der Phraseme/Pragmatic, stylistic, and rhetorical issues
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12.
Pragmatische Beschreibungsansätze
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158
IV.
Pragmatik – Stilistik – Rhetorik der Phraseme/Pragmatic, stylistic, and rhetorical issues
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Natalia Filatkina, Trier (Deutschland)
13. Stilistische Funktionen von Phrasemen 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Einleitung: Stil - Phraseostilistik Phraseologismen und ihre Eignung für Stil Ausdruck von Einstellungen/Haltungen Arten der Themenkonstitution Textmusterstile als Arten schriftlicher Handlungskonstitution Gesprächsstile Literatur (in Auswahl)
1.
Einleitung: Stil – Phraseostilistik
Stil ist eine Eigenschaft von Texten oder von Gesprächen. Insofern gehört er in den Rahmen von Text- bzw. Gesprächslinguistik. Er
stellt jedoch eine spezifische Perspektive auf Texte und Gespräche her, indem er zu deren jeweiliger Gesamtbedeutung Entscheidendes beiträgt. Als Textstil ist er ein spezielles Interpretationsangebot an Rezipienten; diese gehen mit diesem Angebot gemäß ihren Interessen und auf der Basis ihres stilistischen Wissens, ihrer stilistischen Kompetenz um. Als Gesprächsstil ist er eine gemeinschaftliche Leistung der am Gespräch Beteiligten. Die Beschreibung von Phraseologismen in Gesprächsstilen ist derzeit auf die Sichtung gesprächsanalytischer Literatur angewiesen.
13.
159
Stilistische Funktionen von Phrasemen
Stil ist die sozial relevante, interaktiv bedeutsame Art der Durchführung sprachlicher Handlungen mittels Text oder interaktiv als Gespräch. Stilistisch bedeutsam sind einerseits die Art der Themengestaltung (vgl. Kap. 4) und andererseits die Art der Handlungsdurchführung (Kap. 5, 6). Weitere wichtige Beiträge des Stils zur Gesamtbedeutung des Textes sind: Art der Selbstdarstellung und Adressatenberücksichtigung, die Art der Beziehungsgestaltung und vor allem auch das Ausdrücken von Einstellungen/Haltungen (Kap. 3). Ebenfalls bedeutsam sind die Art der historischen und kulturellen Einbindung, die Art des Bezugs auf die Situation, der Nutzung des Kanals und des Textträgers, der Bezug zu einem bestimmten Medium wie regionale oder überregionale Zeitung, Fernsehsender etc. Auf diese letzte Gruppe wird hier nicht näher eingegangen (genauer: Sandig 1986, Kap. 1.2). Ebenso wenig können hier die vielfältigen Arbeiten zu literarischen Stilen beachtet werden. Exemplarisch dazu Palm (1997, Kap. 3.1) und Fleischer (1997, Kap. 5.3.5). Stilistische Funktionstypen werden aufgrund unserer stilistischen Kompetenz (die bei den Einzelnen stark variiert) routinemäßig produziert und interpretiert. Sie entstehen auf der Basis textstruktureller Eigenschaften. Als Elemente dieser Textstrukturen sind unterschiedliche Phrasemtypen in verschiedener Weise wirksam, auch Modifizierungen und abweichende Verwendungen. Stilstrukturen sind generell so organisiert, dass die einzelnen Merkmale unterschiedliches Gewicht haben (Sandig 2006, Kap. 2). So sorgt einerseits die verschiedene Wahrnehmbarkeit von Phrasemtypen für deren mögliches verschiedenes Gewicht. Andererseits sind die Möglichkeiten der Modifizierung und Ambiguierung geeignet, das konventionelle Gewicht zu steigern. Die stilistischen Textstrukturen werden auf der Grundlage der stilistischen Kompetenz in Relation zu den aktuellen Erwartungen an das Kommunikationsereignis und in Relation zu Eigenschaften der kommunikativen Gegebenheiten interpretiert: Situationsaspekte, Beteiligte, Textmuster oder Gesprächstyp, Thema, (sub)kultureller Horizont usw. Es gibt auch verfestigte Zusammenhänge von Struktur, Situationstyp und Text- bzw. Gesprächsfunktionen (s. u. 5, 6): typisierte Stile. Gläser (1986, 45ff.) diskutiert eine “Phraseostilistik”, die sie als Beschreibungsebene zwischen Syntaktikostilistik und Lexikostili-
stik sieht. Den globalen Rahmen bildet (wie auch hier) die Textstilistik. Demgegenüber wird hier eine Stilistik vertreten, die das Gesamte von Text und Gespräch und ihre kommunikativen Voraussetzungen und Folgen berücksichtigt. Die normativen Stillehren, auch “praktische Stilistik”, sind vielfach auf Phrasemgebrauch kritisch eingegangen, vgl. Stein (1995, Kap. 4.1). Das Ideal dieser Stilistiken ist der individuelle schriftliche Stil, weshalb das “Formeldeutsch” zu den “Stilkrankheiten” rechnet. Formelhafte Wendungen erscheinen dabei als “abgenutzt”. Die Vorteile hingegen werden nur selten gesehen. Das Einzige jedoch, was gegen den Gebrauch von Phrasemen spricht, ist die noch unzureichende Kompetenz bei Lernern: Dann ist die Gefahr von Stilblüten gegeben. Z.B. wird im folgenden Ausschnitt aus einem Schulaufsatz durch die körperteilbezogenen Idiome eine thematisch unangemessene, “komisch” wirkende Bildlichkeit erzeugt: (1)
Meinem Vetter hing das alte Fahrrad zum Hals heraus, während ihm schon länger eine neuer Volkswagen im Kopf herumging.
Mit Stein (1995, 123) ist zu betonen, dass wir sowohl Kreativität als auch Formulierungsroutinen brauchen – je nach dem Zweck des Sprachhandelns. Auf der Grundlage der Stilfunktionstypen, deren Kennzeichen Phraseme im Kontext anderer Merkmale sind, wird Vieles, das die Phraseologie in anderen Kontexten bearbeitet hat, hier in stilistischem Licht betrachtet.
2.
Phraseologismen und ihre Eignung für Stil
Als solche stechen die Phraseme im engeren Sinne (nach Burger 2003) bereits in Stilen hervor: Sie sind, als satzgliedwertige oder satzwertige, idiomatisch oder mit Abstufungen teilidiomatisch. Ebenso gilt dies für geflügelte Worte und intertextuelle Anspielungen. Stilistisch unscheinbar hingegen sind strukturelle Phraseologismen (Präpositionen, Konjunktionen), sofern sie nicht gehäuft und dadurch auffällig verwendet sind. Dasselbe gilt für Funktionsverbgefüge und Kollokationen, nicht jedoch für Routineformeln und Gemeinplätze: Sie sind generell für eine mittlere Aufmerksamkeitssteuerung geeignet. Sind Phraseologismen modifiziert oder in einem Kontext abweichend verwendet, wird
160
IV.
Pragmatik – Stilistik – Rhetorik der Phraseme/Pragmatic, stylistic, and rhetorical issues
dadurch ihre ursprüngliche Merkmalhaftigkeit gesteigert und zwar je nach der Art der Modifikation und deren Leistung im Kontext in unterschiedlicher Weise. Es sind also vorgeprägte feste Ausdrücke, mit denen jedoch generell stilistisch abwandelnd, kreativ umgegangen werden kann, vgl. auch die Ambiguierung (Fleischer/Michel/Starke 1993, 158ff.). 2.1. Konnotationen/Markierungen Wie auch sonst im Wortschatz sind Konnotationen durch Markierungen für Phraseologismen charakteristisch. Dabei betonen Palm (1997) und Burger (2003) teilweise dieselben Typen, teilweise unterschiedliche; ich fasse beide Vorschläge zusammen und ergänze sie. Zunächst Stilebenen bzw. Stilschichten: – überneutral: Roma aeterna (‘das ewige Rom’) – neutral: zu Boden sinken – unterneutral: Rotz und Wasser heulen – vulgär: zum Kotzen (sein) Auch gibt es “Serien von Phraseologismen” (Fleischer 1997, 200ff.) mit unterschiedlicher Markierung, z.B. für den unterneutralen Bereich: den Mund/den Schnabel/das Maul halten (“umgangssprachlich”/“salopp”/“derb salopp”). Während Expressives ohne emotionale Beteiligung geäußert werden kann, ist dies beim Emotionalen nicht der Fall (s. 3.8): – expressiv: einander gleichen wie ein Ei dem anderen; den Löffel abgeben – emotional: zum Donnerwetter (noch mal)! fahren wie (ei)ne gesengte Sau Ein bestimmtes Kolorit ist vorgegeben bei – historisch: Kraft durch Freude (Nazis) – regional: Für jemdm. wie aus dem Gesicht geschnitten sein gibt es z.B. im Heidelberger Raum die/der ausgschlupft Mudder/ Vadder etc. und im Saarländischen Saarlouis geschiss un gemol (gemalt) der/die Alt. In diesen Bereich gehören auch Helvetismen (Burger 1998) bzw. Austriazismen. Burger (2003, Kap. 8.2.6.2) geht ein auf typische Sprechereinstellungen, wie – positiv wertend: (jem. kann) es aufnehmen mit jemdm. – negativ wertend: ins Gerede kommen – ambivalent: die Ruhe weghaben (“abwertend” oder “positiv”).
Burger betont (2003, 187ff.), dass dabei oft noch mehr “Einstellungen zum ausgedrückten Sachverhalt” mitschwingen, z.B. dass es schwer ist und dass man Bewunderung dafür hat, wenn jemand es mit jemandem aufnimmt. Die Bewertungsrichtung muss jedoch - wenn es nicht um unterschiedliche Perspektiven geht - dieselbe sein, bei Burgers Beispiel Das will mir nicht in den Kopf hinein sowohl “abwertend” als auch “verächtlich”. Schließlich gibt es soziolinguistische Differenzierungen: – jugendsprachliche, s. 6.2 – schichtspezifische: cum grano salis, gnädige Frau – generationsspezifische: Darauf einen Dujardin. Fleischer/Michel/Starke (1993, 153ff.) und Burger/Buhofer/Sialm (1982, 109) weisen auch hin auf Textsortenspezifik. Hier sollten jedoch nur solche Phraseme aufgeführt werden, die als solche stilistisch markiert sind: – textsortenspezifisch: Es war(en) einmal; Man nehme, Ich komme zum Schluss (mündlicher Wissenschaftsvortrag) Besondere Verwendungen in Textsorten gehören in einen anderen Kontext (vgl. 5). Fleischer/Michel/Starke (1993, 15ff.) heben hervor, dass Phraseme “in der Regel expressive Konkurrenzformen zu Benennungseinheiten in der Wortstruktur darstellen”. Typische Differenzierungen sind: – Intensität: jemdm. den Kopf waschen – Anschaulichkeit: jemdm. lacht das Herz im Leib – Expressivität: jemdn. aufs Kreuz legen – Euphemismus: bis zum letzten Atemzug Fleischer (1997, 199) weist außerdem hin auf eine Vielzahl unmarkierter, “neutraler” Phraseme, die aber auch stilistisch besonders, z.B. “expressiv” verwendet werden können. Auch für die markierten, konnotierenden Phraseme gilt, dass sie in Kontexten anders verwendet werden können, z.B. typischerweise “gehoben” oder “veraltend” für “Ironie”. Vgl. die etwas andere Sicht bei Gläser (1998, 127ff.). Schließlich gibt es “Gradierungen” als vorgegebene Möglichkeiten der “Intensivierung” durch phraseologische Varianten: fahren wie wild, wie eine Wildsau, wie eine gesengte Sau nach Ross’ (1980, 39) Grundregel “mehr Ton - mehr Bedeutung”, hier von “expressiv” bis “emotional”.
13.
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Stilistische Funktionen von Phrasemen
Mit derartigen Konnotationen können Einstellungen ausgedrückt bzw. als Symptome interpretiert werden. Vgl. auch das Kapitel “Stilistische Aspekte der Phraseologie” in Fleischer/Michel/Starke (1993, 148–163), Fleischer (1997, 198–229). 2.2. Rhetorische Prägungen Dietz beschreibt den “kommunikativen Mehrwert” (1999, 384) von satzgliedwertigen Phraseologismen einschließlich fester Phrasen anhand der rhetorischen Ornatus-Lehre: mit Metaphern, Metonymien, Ironie (eine schöne Geschichte, ein sauberes Früchtchen) als konventionalisierten (1999, 386) und als weitgehend konventionalisierten (Das hab´ ich gern, 1999, 392) Euphemismus usw. Außerdem sind syntaktische (Hendiadyoin, Satzabbruch, Ellipse) und phonetische (Alliteration, Reim, auch Rhythmus) Phänomene relevant (nach Lust und Laune, locker vom Hocker). D.h. die usualisierten Formen enthalten allein durch ihre rhetorische Form ein kommunikatives Wirkungspotenzial. Zum kommunikativen Mehrwert rechnet “höhere Expressivität” (1999, 390) gegenüber nichtphraseologischen Verbindungen, was stilistisch geeignet ist für das Hervorheben. Es entstehen zusätzlich Gradierungen der Expressivität, indem z.B. Litotes (nicht zu verachten sein) kombiniert wird mit Metaphorik (x ist kein Pappenstiel) (1999, 391). Dietz hebt das “Gestaltungselement der Übertreibung” als zentral heraus. Besonders hyperbolische Formen (eine Luft zum Schneiden) als solche dienen der “Intensivierung”, dem Ausdruck der “emphatischen Sprecherintention”. Dazu schreibt Dietz: “Der Übergang zum ”Scherz“ ist bei phraseologischen Hyperbeln dieser Art fließend”. Auch bezüglich euphemistischer Formen (mit jemdm. ins Bett gehen) stellt Dietz einen solchen Übergang fest (1999, 393), etwa bei zu tief ins Glas schauen. Intensivierung entsteht auch durch Koppelung von Synonymen (aus Jux und Tollerei) oder von Gegenbegriffen (Wohl und Wehe, vgl. 1999, 399). Vgl. auch Hartmut Schmidt (1998, 88ff.): Er verweist zusätzlich auf Muster als “Formulierungstechniken”, nach denen Formeln gebildet werden wie “asyndetische ‘enge’ Apposition” (Festung Europa in der Nazizeit oder Haus Europa, Unternehmen Zukunft...), “nachgestellte Adjektivattribute” (Röslein rot, Urlaub exklusiv, Erotik pur...), “iterative asyndetische Triaden” (Words, words, words bei Hamlet bis hin zum
MTV-Slogan Spaß, Spaß, Spaß), Dreierformeln mit Alliteration: von Bauern, Bonzen, Bomben von Hans Fallada 1931 bis Tore Tritte und Tumulte als Schlagzeile. “Am schönsten alliteriert es sich im Feuilleton” (1998, 97). Schmidt macht auf ein weiteres Phänomen aufmerksam: “Zitat und Variation” (1998, 98): “Das Zitat steht im Grunde für die Simulation und das Authentische zugleich, die Variation für die eigene Kreativität (eine Kreativität, die sich an Rahmenbedingungen hält).” Das Originalzitat wird also als Modell genutzt, jedoch im Unterschied zu den Modellbildungen mit variableren Einsetzungsmöglichkeiten. So wird (1998, 99) aus Goethes Zeile Über allen Gipfeln ist Ruh einerseits über allen Gipfeln war Ruh andererseits über allen Gipfeln ist Euphemie oder unter allen Gipfeln Schüsse usw. Dies geht so weit, dass im “kollektiven Gedächtnis” (1998, 101ff.) “epochenabhängige Formulierungen” gespeichert sind, die ebenfalls als Modelle für Variation verwendet werden: In Ruhe ist die erste Bürgerpflicht (Preußen 1806) wurde so etwa Sparsamkeit, Unruhe etc. eingesetzt. Schmidt zeigt (1998, 102ff.) ein reichhaltiges “Erbe” aus der Kaiserzeit, der Weimarer Republik und besonders der Nazizeit auf. Dasselbe gilt jedoch auch für Buchtitel (1998, 106–109), Slogans, Filmtitel usw. (Dittgen 1989, Kap. 4.5). 2.3. Phonetische und semantische Regeln Festgeprägtheit von Phrasemen wird durch allgemeine Regeln verstärkt: Die Elemente von Paarformeln aber auch andere feste Sequenzen von Lexemen sind – wie Ross (1980) und kritisch weiterentwickelnd Lenz (1999) herausgearbeitet haben – durch phonetische und semantische Regeln verknüpft: a) Phonetische Regeln entsprechen dem auch in der Syntax beobachtbaren “Gesetz der wachsenden Glieder” (Lenz 1999, 97, 101); generell also “kurz vor lang”: – – – –
b)
weniger vor mehr Silben: aus Jux und Tollerei kurzer vor langem Vokal als Silben-Nukleus: klipp und klar weniger vor mehr Initialkonsonanten: mit Ach und Krach hellerer vor dunklerem Vokal: klipp und klar
Semantische Regeln gruppieren sich - in leichter Weiterentwicklung wiederum zu Lenz (1999, 97) - um die generelle Regel “wichtiger vor weniger wichtig”:
162 –
– – – – – –
–
IV.
Pragmatik – Stilistik – Rhetorik der Phraseme/Pragmatic, stylistic, and rhetorical issues
Ich-vor-allem-Regel, wobei nach Ross (1980, 48), das Ich eine erwachsene männliche Person ist (Männer und Frauen, auch nach den phonetischen Regeln; Ich und du, Müllers Kuh...), dazu Mensch vor Tier (Herr und Hund, aber nach den phonetischen Regeln: Ross und Reiter), belebt vor unbelebt, Erwachsene vor Kindern... Nähe vor Ferne (hier oder dort) Oben vor unten (Hals- und Beinbruch) Vorn vor hinten (Vorder- und Rückseite) Gut vor schlecht (pro und kontra, auf Gedeih und Verderb) Basis vor Ableitung, deswegen Braut und Bräutigam Die “Alkoholregel” nach Ross (1980, 39): stärkeres Getränk vor weniger starkem (Gin Tonic, Whisky Soda, auch entsprechend den phonetischen Regeln) National vor nichtnational (Deutsche und Franzosen)
Aus stilistischen Gründen, um die Beziehung “höflich”, positiv zu gestalten, kann von diesen phonetischen und semantischen Regeln abgewichen werden: Du und ich; Meine Damen und Herren; Wählerinnen und Wähler aus dem Munde von Politikern. Künstlernamen hingegen folgen öfter den Regeln: Maggie Peren, auch Titel: Max und Moritz und sogar Namen: Martina Mangasser. Lenz stellt fest, dass auch Zeitungsschlagzeilen und Werbeslogans öfter nach den Regeln gebildet sind. Für Mehrlingsformeln beobachtet sie (1999, 106ff.), dass Rhythmus (oft Trochäus) und Alliteration teilweise wichtiger sind: heimlich, still und leise, aber Friede Freude Eierkuchen. Werbeslogans, die die phonetische Sequenz nutzen sind Ford. Die tun was; Otto. Find ich gut; Das einzig wahre Warsteiner. Es gibt allerdings – um der erhöhten Wirksamkeit Willen – auch hier Abweichungen: Quadratisch. Praktisch. Gut. (Ritter Sport) enthält lang vor kurz und jambischen Rhythmus; Mit dem Zweiten (Deutschen Fernsehen)/zweiten (Auge) sieht man besser zeigt eine markierte Form (mit AnapästRhythmus) gegenüber dem zu “glatten” regelhaften Besser sieht man mit dem Zweiten, das trochäisch gebildet wäre. Auch besonders eingängige Gedichtzeilen sind nach den Regeln gebildet: Füllest wieder Busch und Tal (Goethe: An den Mond); Über allen Gipfeln ist Ruh, in allen Wipfeln spürest du... (Goethe: Wandrers Nachtlied). 2.4. Formeln gesprochener Sprache Stein (1995, 137ff.) zeigt für gesprochene Sprache zehn verschiedene Formtypen auf,
von “Partikelkombination” (oder so, nicht wahr?...) bis hin zum Frage- oder Aussagesatz (wie war das jetzt?; aber es ist doch so, dass...). Auch hier lässt sich der Bedeutungsverlust sonstiger phraseologischer Verbindungen feststellen (1995, 235): Ich denke z.B. ist gegenüber dem Vollverb abgeblasst, es ist “objektiver” als ich finde und dient als “Vorlaufelement” nach Übernahme der Sprecherrolle, während des Formulierens in der Faceto-face-Situation auch als Puffer, damit die Behauptung nicht zu fest hingestellt wird und später Rückzugsmöglichkeiten durch Aushandeln mit dem Partner offen stehen. D.h. insgesamt sind solche Formeln für die verschiedenartigen Bedürfnisse der direkten Interaktion als “Nähe”-Kommunikation geeignet und in der Regel polyfunktional (Stein 1995, 235f); sie werden in den verschiedensten Gesprächsstilen verwendet. Zentrale Funktionen sind Gesprächssteuerung (z.B. ja...aber, oder nicht?), Formulierungshilfen (sagen wir mal), Aufmerksamkeitssteuerung (weißt du) und Verständnissicherung (verstehen Sie?), Themenmanagement (sag mal, und so weiter, wie gesagt), und metakommunikative Qualifizierung (auf Deutsch gesagt), Imgagearbeit (meiner Ansicht nach, wenn ich es richtig sehe). Die meisten derartigen Ausdrücke haben zugleich gesprächsgliedernde Funktion. Alle diese typischen Funktionen sind auch unmittelbar stilistisch relevant; außerdem geben sie “Verhaltenssicherheit” und “Entlastung” (Stein 1995, 116) bezüglich der Routineaufgaben, die im spontanen Gespräch zu erledigen sind.
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Ausdruck von Einstellungen/ Haltungen
Kühn (1994, 420) charakterisiert Phraseme als “kompakte Zeichen, mit denen ein Sprecher/Schreiber referieren, prädizieren und/ oder illokutive Handlungen durchführen oder modifizieren kann und gleichzeitig gegenüber den nicht-phraseologischen Entsprechungen ein Bündel weiterer evaluativer Handlungen, Einstellungen, Imagebezeugungen usw. ausdrücken kann. Phraseologismen sind also gewissermaßen pragmatisch besonders ‘geladen’ ...”. Zunächst stilistisch relevante Funktionstypen im Bereich der Sprecher/Schreiber. 3.1. Art der Selbstdarstellung Bildungsbürgerlicher Stil dient(e) überwiegend der individuellen Selbstdarstellung im
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Stilistische Funktionen von Phrasemen
Rahmen fester Konventionen und als Zeichen für die Zugehörigkeit zum Bildungsbürgertum. Zeichenhaft waren und sind noch z.B. Entlehnungen aus dem Latein (Palm 1997, 4ff.): Lehnsprichwörter und Gemeinplätze wie Mens sana in corpore sano, Suum cuique, aber auch nominative Phraseme wie ex negativo, mutatis mutandis, summa summarum, auch Formeln aus dem Englischen (Early to bed and early to rise makes a man healthy, wealthy, and wise.) oder auch aus dem Französischen (Oh la la!). Auch Routineformeln gehören in diesen Bereich: Gnädige Frau, Meine Liebe, Danke vielmals, ebenso in den Kontext richtig eingepasste geflügelte Worte, etwa wenn jemand später zu einer Veranstaltung oder Feier kommt: Spät kommt Ihr, doch Ihr kommt, Graf Isolan. Dabei ist die Kenntnis von deren Herkunft heute nicht unbedingt vorauszusetzen (Burger/Buhofer/Sialm 1982, 44). Dasselbe gilt für die “Traditionen des Sprechens” (Schmidt 1998, 101ff). Burger/ Buhofer/Sialm (1982, 45) weisen für die Gegenwart auf “prosaische Quellen wie Filme, Schlager, Werbeslogans etc.” hin. Für derartige Formeln gilt: “man weiß ‘irgendwo’ noch, dass sie einen Ursprung, eine bestimmte Quelle haben, aber man kennt die genaue Herkunft nicht mehr”. Wie die Autoren (1982, 46ff.) zeigt auch Schmidt (1998, 98 ff.) die vielfältigen Möglichkeiten kreativer Abwandlung. Derartige Phraseme wirken im heutigen Bildungsstil zusammen mit komplexer Syntax, Fremdwörtern mit dem Original angepasster Aussprache und Schreibung sowie gelegentlichen überneutralen Ausdrucksweisen oder Anspielungen auf normative Sprichwörter (Früh übt sich) und spielerischen Abweichungen. Von Polenz (1999, 381) schreibt: “Sprachgeschichtlich interessant ist in der 2. Hälfte des 19. Jh. die bildungsbürgerliche Gewohnheit des Zitierens literarischer Bildungsflitter, in der 2. Hälfte des 20. Jh. das spielerische Modifizieren von Phraseologismen im Journalisten- und Politikerdeutsch.” Wichtig ist nun, alle derartigen sozial differenzierenden Merkmale kreativ und individuell zu verwenden, d.h. als zeichenhafte Merkmale innerhalb einer individuell komponierten Stilstruktur. So zeigt Holly (2003, Kap. 4), wie der “linke” Journalist Wiglaf Droste seine Karikaturen und Parodien in der “Tageszeitung” mit “Abwandlungen von bildungsbürgerlichem Zitatenschatz” würzte, womit er sich zugleich als Kenner dieses Stils
selbst darstellte, auch in den Bereichen Syntax und Lexik. Seine Modifizierungen sind zugleich Zeichen “linker” Distanz zur Ideologie des Bildungsbürgertums im Rahmen eines “individuellen” sozialen Stils: (2)
Ein Geschwätz geht um in Europa; Die Welt als billige Vorstellung;
In demselben Stil werden Abwandlungen von politischen und institutionellen Formeln vorgenommen: (3)
Die Fahne hoch, die Augen fest verschlossen; einstweilige Erschießung.
In ganz anderer Weise nutzt Johannes Gross nur relativ selten Phraseme, einschließlich lateinischer Formeln und geflügelter Worte, aber immer ohne Modifikation. “Der Grundton ist ironisch, geistreich, provozierend; er spiegelt eine im Grunde konservative, wenn auch durchaus kritische Haltung mit überraschenden Eigentümlichkeiten, umfassende Bildung, entschiedenes, aber reflektiertes Bekenntnis zu Werten, Weltläufigkeit und das Bedürfnis zu brillieren” (Holly 2001, 424) für das Publikum der Frankfurter Allgemeinen: (4)
Gerd Bucerius, noch im höchsten Alter ein Jüngling an Energie und intellektueller Frische, von Hinfälligkeit des Körpers wie von Milde des Geistes keine Spur. Wie macht er das? [...] Holly 2001, 436
Hier wird der Stil dominiert durch die Lexik und die komprimierte rhythmisierte Syntax mit nachgestelltem Attribut und fehlendem finitem Verb. - Phraseme lassen sich auch in ganz anderer Weise “instrumentalisieren, um das eigene Wissen und Informiertsein zur Schau zu stellen” (Sabban 1998, 13). So verweist Janich (2001, 49) auf den Übergang von Werbeslogans in die Alltagssprache: (5)
Nicht immer aber immer öfter; Da werden Sie geholfen.
Mit derart “flotten Sprüchen” kann man sich als “zeitverbunden” und “realitätsnah” selbst darstellen. Fraas (1996, 28ff.) führt Sprechereinstellungen in öffentlicher Rede auf, die vielfach phraseologisch sind: Berufung auf oft prominente Sprecher (x stellte fest, dass; von x stammt die Beobachtung, dass; wie x sagen würde), Kommentierung der Äußerungen anderer (im Gegenteil, wie oft/von x behauptet), Berufung auf Statistiken, Umfragen usw. ((wie) [...] Meinungsumfragen belegen/ergeben), Formulierung der eigenen Meinung (ich
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Pragmatik – Stilistik – Rhetorik der Phraseme/Pragmatic, stylistic, and rhetorical issues
glaube nicht an x; das kann ich [...] sagen), Berufung auf Tatsachen als Argumente, Stellungnahme zum Grad der Gültigkeit der Äußerung (es ist wahr, in der Tat, wie man weiß, ohne (jeden) Zweifel). 3.2. Adressatenberücksichtigung Unterhaltsamkeit wird gefördert durch die Verwendung idiomatischer Phraseme und deren spielerische Modifizierungen in unterschiedlichen Kontexten und Intensitäten. Dies zeigt Burger (1999) für moderierte Fernsehsendungen, in denen mit diesen allerdings sparsam eingesetzten Formen Politisches verständlich gemacht und illustriert wird (1999, 76); hinzu kommen Personalisierungen und Bewertungen (1999, 76ff.). Bei soft news dient die Verwendung von Phraseologismen der Reduktion von Komplexität durch Personalisierung, wobei unterneutralen Formen der Vorzug gegeben wird. Insbesondere werden Zusammenhänge von Phrasemen und Bildkontexten genutzt für Infotainment (Burger 1999, 81ff.); dabei wird oft die übertragene Bedeutung im Text genutzt, die wörtliche durch das Bild aktiviert. Die Adressatenorientierten Routineformeln der Begrüßung und Abmoderation bzw. der Übergabe zum Folgenden variieren nach Sender und Sendungstyp und besonders mit der Zahl der Moderatoren (1999, 93ff). Phraseme sind “eines der wichtigsten Mittel, um Hörtexte [...] zu strukturieren” (Burger 1987, 16). In Sportsendungen gibt es häufig “unterhaltenden” Gebrauch von Phrasemen (Burger 1999, 104ff.). Hierdurch wird auch “Authentizität” vermittelt, wenn sie in der direkten Rede von Spielern verwendet werden. Phraseme, auch idiomatische, als “Formulierungshilfen” “appellieren an eine mit dem Hörer geteilte Wissensbasis” (Sabban 1998, 13). Dies kann dann z.B. für Persuasion genutzt werden. Hierfür wird z.T. die “verschleiernde”‘ “verunklärende” Funktion von idiomatischen oder teilidiomatischen Phrasemen genutzt (aus einem Wahlwerbebrief, Dr. Lamers CDU 2002): (6)
Wir werden Ausbildung, Wissenschaft und Forschung – Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Volkswirtschaft – auf die Überholspur bringen.
Hier ist deutlich “Wettbewerb” als “positiv” bewertet zu verstehen, wer allerdings überholt werden soll, ist unklar. - Scheinbare Klarheit vermittelt die “anschauliche” Aussage des
Bundesfinanzministers Eichel (02.07.2003, Heute journal): (7)
Dies ist ein Haushalt [...], der auf Kante genäht ist.
Der Moderator ließ den Ausdruck auf Kante nähen fachmännisch erläutern: Der Stoff kann ausreißen. Auf Kante genäht ist offenbar ambivalent in der Bewertung, im Kontext von (7) eher “positiv” zu verstehen: “exakt”. - Die persuasive Funktion variiert stark je nach dem schriftlich oder mündlich betriebenen Ziel, der Textfunktion. Ein Appell der “Mütter gegen Atomkraft e.V.” an Bundeskanzler und Bundesaußenminister vom Jahr 2003 bezüglich der neuen Europäischen Verfassung begann mit einer Überschrift und enthielt eine Fülle Phraseme: (8)
EURATOM – Vertrag über Bord werfen [...] Welche westlichen Investitionen stecken im Neubau einer Wiederaufarbeitungsanlage in unmittelbarer Nähe des Unglücks-Reaktors von Tschernobyl? [...]
Für die Werbung hat Stöckl (1997, Kap. 4.2) ein Persuasionsmodell mit sieben Komponenten entworfen, das anhand von Balsliemke (1999, 2001) erläutert werden kann. Es gibt eine “Text-Bild-Kohärenz” (1999, 25ff.), die, wenn sie Werbeschlagzeile und Catch-Visual betrifft, die Aufmerksamkeit auf sich zieht (Stöckl 1997, 71ff.: “Attention”): (9)
Er hat alle Hände voll zu tun zeigt ein Bild, bei dem ein sitzender junger Mann seine Liebste so umarmt, dass er sie auch noch mit den Beinen umfasst.
Es kommt auf Deutlichkeit und Verständlichkeit an (Balsliemke 1999, 30): Die Werbebotschaft “wird mit Hilfe von Phraseologismen einprägsam und konnotationsreich formuliert”; Stöckls (1997, 72): “Comprehend”. Der Erinnerungswert ist durch sprachliche Schemata besonders hoch (Balsliemke 1999, 42); Stöckl: (1997, 73) “Behaltensfunktion” oder “Memorize”. Deren “Eignung für Wortspiele” führt zur “Motivationsförderung” (Stöckl 1997, 75): “Attraktivitätsfunktion” oder “Please”. Dies wieder ermöglicht es, “den speziellen Nutzen oder verschiedene ‘Werte’ dieses Produktes einzufügen” (Balsliemke 1999, 42) wie “Bedienungskomfort, Zuverlässigkeit, Lebensart”, auch beruflichen Erfolg und Unverzichtbarkeit des Produkts (Balsliemke 2001, 180ff.); vgl. Stöckls (1997, 72 ff.): “Akzeptanzfunktion”. Es gibt auch den Fall von “Text-Bild-Inkohärenz” (Balsliemke 1999, 38), Stöckls (1997, 74ff.):
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Stilistische Funktionen von Phrasemen
“Distract” oder “Ablenkungs- bzw. Verschleierungsfunktion”. Schließlich ist generell das Nutzen von sprachlichen Bildern und Abbildungen “vorstellungsaktivierend”: Stöckls (1997, 74) “Imagine”. Die im persuasiven Text formulierten Inhalte sollen einleuchtend und akzeptabel erscheinen; sie ermöglichen eine “Übernahme (bzw. Übernahmebereitschaft) bestimmter Ideen, Behauptungen und Formulierungen des öffenlichen Diskurses in den privaten Diskurs des Rezipienten” (vgl. Stöckl 1997, 92ff.). Auch “scheinbare Ambiguierung”, die auf die Irreführung des Lesers zielt, dient der Persuasion (Ewald 1998, 332): (10) Für die rechte Hand des Chefs. Oder für die linke (Werbung für eine Aktentasche).
3.3. Beziehungsgestaltung Routineformeln sind nach unterschiedlichen Nähe- oder Distanzbeziehungen differenziert: (11) Grüß dich vs. Guten Tag.
Erzählen zielt darauf, sich der gemeinsamen Werte angesichts von ungewöhnlichen Ereignissen zu vergewissern. Beziehungen werden so gestaltet und gefestigt (gehört in einem saarländischen Dorf): (12) A: Erzählt und resümiert dann: Man kann net auf zwei Hochzeite danze B: Man kann net alles mache. Ma hat nur zwe Händ.
Der Parallelismus Man kann net und die zusätzliche Vernetzung über zwei/zwe zeigen hier den “Gleichklang” einer positiven Beziehung. So nennt Gréciano (1988, 57) idiomatische Phraseme das “Werkzeug einer optimalen Komplizität, einer ‘harmonischen Kollaboration’ zwischen Gesprächspartnern” und Pérennec (1999, 138) zeigt, dass “Idiome öfter benutzt werden auf Parteitagen, wo es gilt, die Solidarität der Gruppe wachzurufen, aufrechtzuerhalten, als in Bundestagsdebatten”. Sie zeigt aber auch, dass “Idiome bevorzugt für die Disqualifizierung der politischen Gegner gebraucht” werden und: “Durch seine Einprägsamkeit ist das Idiom besonders geeignet, den politischen Gegner scharf und konsensuell zu treffen.” (1999, 139) - Die beziehungsregulierende Funktion ist darüber hinaus konstitutiv für Gruppenstile (Kap. 6). 3.4. Ausdruck weiterer Einstellungen, Haltungen Hier sind sehr unterschiedliche Formen möglich: Interaktionsmodalitäten unterschiedli-
cher Art, Ideologie und sprachlich verfestigtes Denken sowie Formen ihrer Aufdeckung (Polyphonie), “sachliches” und emotionales Bewerten. 3.5. Interaktionsmodalitäten “Kommunikationsmodalitäten” (Lüger 1999) sind z.B. “scherzende” oder “feierliche” Rede, “fraglose Sicherheit” etc., also Einstellungstypen, die über weitere Strecken von Texten oder Gesprächen wirksam sind. Für die “locker scherzende, aber nicht kreative” Alltags-Rede stehen “usualisierte Wortspiele” (Piirainen 1999) zur Verfügung, d.h. solche, die lexikalisiert sind, wie man hat’s nicht leicht, aber leicht hat’s einen (1999, 265ff.), aus/von Dummsdorf sein (1999, 269), ent oder weder (1999, 272) usw. Je nach Kontext kann der scherzende “Ton”, der mit der Verwendung derartiger Formen erzeugt wird, “forscher” oder “freundlicher” sein. Teilweise stehen auch Varianten zur Verfügung: Der Apfel fällt nicht weit vom Pferd (1999, 273)/ vom Birnbaum (auch 1999, 271). Piirainen (1999, 279) weist auch hin auf die “verhüllende” Funktion (ein einnehmendes Wesen haben ‘geld-/habgierig sein’) und auf erzieherische Funktionen, z.B. DER is Wagenschmiere, DIE is dicke Tinte, vgl. Bellmann (1990, 19;ff.), um statt der ungenauen Deixis den genaueren Ausdruck einzufordern. - Auch die Wellerismen gehören in diesen Kontext (Das Haus verliert nichts, hat die Frau gesagt, da hat sie den Strumpf im Sauerkrautfass gefunden), ebenso Antisprichwörter (Wer den Spaten hat, braucht für den Schrott nicht zu sorgen) und Palindrome (nur du Gudrun) oder unterhaltsames Spiel mit der Sprache (Fischers Fritze fischte frische Fische, frische Fische fischte Fischers Fritze). 3.6. Polyphonie Eine aktuelle literarische Tendenz besteht darin, eine Mehrstimmigkeit (Polyphonie) zu erzeugen, indem einerseits die “bekannte Stimme” der phraseologischen Form genutzt wird, diese aber andererseits mit der “Stimme” des Autors in einen neuen, fremdartigen Kontext gesetzt wird. Hier gibt es bezüglich der Interaktionsmodalität zwei Varianten: die “ernste” und die “unernste” Verarbeitung. Für die ernste steht beispielhaft Hans Magnus Enzensberger (Pérennec 1994, 130ff.): “In dem Gedicht ‘Freizeit’ sprengt er gewaltsam die Fixiertheit der idiomatischen Wendungen, um die Sinnlosigkeit des deutschen Lebens anzu-
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prangern. Das kurze Gedicht bespottet das rituelle sonntägliche Rasenmähen” und endet mit (13) Wir beißen geduldig ins frische Gras
In “Verlustanzeige” gibt es eine Liste von Kollokationen (als Stimme des Volkes) mit verlieren; die Reihenfolge der Objekte ist vielsagend: (14) “einen Backenzahn, zwei Weltkriege, drei Kilo Übergewicht verlieren” (Pérennec 1994, 131),
womit die eine Stimme das Wirtschaftswunder karikiert. Dazwischen gibt es eine weitere Stimme: ich bedaure, Schwamm drüber, na wenn schon usw. Für die unernste Interaktionsmodalität diene als Beispiel Robert Gernhardt (Reim und Zeit - Gedichte, Stuttgart: Reclam, Auflage 1999): Gernhardt nutzt einerseits umgangssprachliche Phraseologismen, andererseits holt er klassisch-romantische Formeln, aber auch religiöse Erwartungshaltungen von ihrem erhabenen Sockel herunter: (15) Mondgedicht (S. 20) ..,- fertig ist das Mondgedicht
Hier werden unsere Erwartungen an Mondgedichte durch die Modifikation des textwertigen Phraseologismus aus der Umgangssprache von Kindern und für Kinder geneckt. In das Mäusegedicht (S.97) ist zu Beginn eine Zeile als geflügeltes Wort aus Emanuel Geibels Gedicht “Hoffnung” (Und dräut der Winter noch so sehr, es muss doch Frühling werden) modifizierend eingewebt: Und dräut die Katze noch so sehr, sie kann uns nicht verschlingen [...]. Das Ergebnis ist auch in diesen Fällen ein Infragestellen phraseologisch verfestigten Wissens: eine kritische Einstellung dazu, die stilistisch-implizit durch Modifikationen und neuartige Kontexte ausgedrückt wird, und die nicht explizit gemacht wird. Falls sie es doch wird, so geschieht dies wiederum auf stilistisch besondere Weise (Gernhardt 1999, S. 28): (16) Mensch Meier, fliegt die Schwalbe tief! Das geht mir ehrlich an die Nieren. Sie scheint die Gräser zu schwalbieren, so würde ich es formulieren, wär dieser Ausdruck nicht so abgenutzt und schief.
Durch die Kohäsion bezieht sich die Kritik abgenutzt und schief auf die kreative Neubildung schwalbieren, inhaltlich aber auf die Phraseologismen der beiden ersten Zeilen.
Mit Witz wehrt Gernhardt so übertriebene (das geht mir ehrlich an die Nieren) Alltagsrede ab, ebenso aber heutzutage unangemessene Idealisierungen und insgesamt auch sprachlich verfestigtes Denken. 3.7. Ideologie Wie Daniels (1985) zeigt, sind Sprichwörter oft Ausdruck sozialer und insofern auch geschlechtsspezifischer Stereotypen: Frauen wird “Dummheit” zugesprochen mit Lange Haare, kurzer Sinn, aber auch “Schwatzhaftigkeit”: Ein Mann ein Wort, eine Frau ein Wörterbuch usw. (Daniels 1985, 18) und entsprechende “Leitvorstellungen” von “Männlichkeit” sind verfestigt (1985, 19). Er weist auch hin auf Witze wie Frau am Steuer oder die böse Schwiegermutter, aber auch auf “neues Spruchgut” (1985, 24): Eine Frau ohne Mann ist wie ein Fisch ohne Fahrrad und Mein Bauch gehört mir und schreibt dazu, “dass die in Sprichwort, Stereotyp, Slogan und Parole angelegten intentionalen Wirkmöglichkeiten [...] ganz bewusst genutzt werden, um den überkommenen geschlechtsspezifischen Gruppen- und Rollenbildern neue entgegen zu setzen” - eine andere Möglichkeit neben unernster Interaktionsmodalität und Polyphonie. - Phraseme sind auch im Bereich der Politik wirksam, sie haben dann geradezu aktivierendes Potenzial; vergleichbar den Schlagwörtern stehen sie für politische Programme: Es muss zusammen wachsen was zusammen gehört (Willy Brandt), das gemeinsame Haus Europa (Gorbatschow), Wir sind ein Volk (Montagsdemonstrationen am Ende der DDR). Es wird aber auch versucht auf andere einzuwirken mittels Slogans, z.B. im Bundestagswahlkampf 2002: Grün wirkt (Bündnis 90/die Grünen), Zeit für Taten (CDU). Auch die Losungen in der DDR hatten eine derartige Funktion wie z.B. die Modellbildungen (Fix 1994, 139ff.): “komparativische Formeln” wie noch allseitiger fördern, “Formeln des Vereinnahmens” wie unsere Menschen sowie “Stabilität ausdrückende Doppelformen”: progressives, kühnes Denken (1994, 139). “Sie dienen der Bestätigung von (scheinbarer) Gemeinsamkeit” als Vereinnahmung, “der Festlegung einer Gemeinschaft auf (undifferenzierte, pauschale) Werte. Und sie dienen der Beschönigung” (1994, 143). An anderer Stelle hat Fix (1990) gezeigt, wie mit Losungen versucht wurde, die Bevölkerung der DDR zu beeinflussen und wie diese durch kreative Abwandlungen in der Wende-
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Stilistische Funktionen von Phrasemen
zeit verarbeitet wurden. Eine klassifizierende Sichtung dieser Formen der “Verweigerung der Sprachregelung” (1999, 156) gibt Samson (1999, 148ff.): (17) Ein Gespenst kommt um in Europa! (Karl Marx, Kommunistisches Manifest: Ein Gespenst geht um ...) (18) Ruinen schaffen ohne Waffen - 40 Jahre DDR! (Frieden schaffen...). “Die rituelle Parteisprache wird [...] als ein auf hohle Phrasen gebautes Machtmittel enthüllt” (1999, 156).
In der DDR wurden auch Sprichwörter zum politischen Witz abgewandelt (Blasius 2003, 317): (19) DDR-Einkaufsregel: Was du heute kannst besorgen, kaufe doppelt, denk an morgen.
Diktatorisches Einwirken gab es natürlich auch in der Nazizeit mit Kauft nicht bei Juden, Kampf dem Verderb, Kraft durch Freude. 3.8. Emotionen Emotion ist ein Sonderfall des Bewertens. Fiehler (1990, 99) unterscheidet zwischen Emotionsausdruck und Emotionsthematisierung. Emotionsausdruck ist ein “soziales Ereignis” und unterliegt “Manifestationsregeln” (1990, 100): Emotionen werden in diesem Fall gleichzeitig erlebt und ausgedrückt. Emotionsthematisierungen hingegen sind das Reden über Emotionen. Das folgende Beispiel zeigt einen Übergang von der Thematisierung zum Ausdruck von Emotion (Günter Kunert, Die Zeit 07.12.1984): (20) Wut ist ein Zustand, [...] auf dessen Höhepunkt man dem oder der anderen an den Kragen gehen möchte. [...] Rot sehen. Blind vor Wut sein! Streiten Sie sich mal mit einem Fahrplan oder einer Verkehrsampel! Das ist doch unsinnig! Quatsch! Was haben Sie sich da einfallen lassen! Wenn man solche Umfrage liest, da möchte man doch ... ! Da müsste man doch gleich ... !
Fiehler (1990, 120) unterscheidet eine Reihe formelhafter Ausdrücke für Erlebensthematisierung: ich fühlte (mich) x, ich hatte das Gefühl x, es ging mir x, ich fühlte mich, als ob mir der Boden unter den Füßen wegglitt, ich war wie vor den Kopf gestoßen als “erlebensdeklarative Formeln”, weiter “feste metaphorische Wendungen” wie Das haut mich aus den Schuhen, Du treibst mich auf die Palme (1990, 122) und schließlich “metaphorischen Gebrauch von Begriffen” wie ich war völlig zu, es zerriss mir das Herz, jemand ging in die Luft usw., die auf umfassendere metapho-
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rische Konzeptualisierungen zurückgeführt werden können (1990, 122ff.). Die Bildzeitung nutzt für ihre Schlagzeilen nur relativ selten Phraseme zur Emotionalisierung, dafür aber auch andere sprachliche Verfahren (Büscher 1996, 225, 248): (21) Hänschen Rosenthal tot. Sanft nahm ihn der Tod in die Arme. Unterzeile: Seine letzten Worte: Bleibt glücklich. (22) Tragödie eines Chefarztes: Sohn starb unter seinen Händen
Außerdem beobachtet Büscher (1996, 489) eine Kollokation länger leben im Rahmen der Rubriken für Lebenshilfe. Dass auch ernsthafte Presseerzeugnisse die Emotionalisierung nutzen, zeigt Liebert (2002, 255–258), indem er Berichte über das Ozonloch in “Bild der Wissenschaft” analysiert: (23) Nahezu unbemerkt blieb das antarktische Ozonloch in den Massenmedien. Was so regelmäßig Jahr für Jahr kommt und nach ein paar Wochen wieder verschwindet, verliert seinen Schrecken - zumal wenn die Gefahr weit entfernt lauert. Doch ein ähnliches Drama bahnt sich vor unserer Haustür an.
Ein Beispiel aus der Fernsehübertragung eines Formel I-Rennens (Transkription: Tanja Kiefer). Neben Fachphrasemen zum Renngeschehen finden solche Anwendung, die die bei den Fahrern und Zuschauern vermuteten Emotionen wiedergeben und solche, die die Emotionen der Kommentatoren thematisieren bzw. ausdrücken (nach dem Abbruch eines Rennens): (24) M: Und so langsam aber sicher raffen es auch die Zuschauer, was hier los ist, dass es wirklich zu Ende ist. W: [...] Ja, allzu große Freude ist nicht unter den Fahrern, das ist klar. Jeder macht sich natürlich Gedanken, was drüben lief.
Kontamination von Phrasemen, zumal wenn sie “bewertend” sind, kann ebenfalls dem Ausdruck von Emotion dienen: Ein Fußballfan am Ende der Sommerpause der Bundesliga, über diese (Heute journal 31.07.03): Sie sei das A und O in der Suppe. Gréciano (1988, 50ff.) differenziert in “affektiv zum Ausdruck bringen”, vergleichbar Fiehlers (1990) Emotionsthematisierung und “affektiv zum Ausdruck kommen” (1988, 54), wobei Emotionen “unterschwellig mitklingen”, z.B. bei an einem Problem kauen. – Auch bei psychisch belastenden Gesprächen sind Phraseme hilfreich (präoperatives Gespräch, Aufnahme und Transkription Sybille Jung):
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IV.
Pragmatik – Stilistik – Rhetorik der Phraseme/Pragmatic, stylistic, and rhetorical issues
(25) Patientin: (weinend) Ich hoff jo, dass nix is. Arzt: Haltense [...] den Kopf oben.
In therapeutischen Gesprächen können Bilder den Ausgangspunkt bilden für die genauere Erkundung der entsprechenden Gefühle: ein Stein im Magen, zum Kotzen, Kloß im Magen (Baus/Sandig 1985, 245). 3.9. Integration Lüger (1999, 166) zeigt mit seinem “Mehrebenenmodell”, dass die aufgezeigten Stilfunktionstypen häufig integriert vorkommen, so bei argumentativen Texten: Zusätzlich zum zentralen Handlungsmuster dient der Umgang mit Phrasemen der Selbstdarstellung, werden Adressaten berücksichtigt durch deutliche Ablaufregulierung und Aufmerksamkeitssteuerung, Beziehungsorganisation findet statt und die Kommunikationsmodalität ist wichtig, d.h. auch: welcher “Stimme” Ausdruck gegeben wird. Gréciano (1994, 214ff.) betont die “Mischfunktion” von Phrasemen in Inhaltsangaben und Titeln von Büchern: “sachbetonte Information” als Interaktionsmodalität untermischt mit positiven Bewertungen und Emotionsthematisierung bei Inhaltsangaben (1994, 215) und Emotionsausdruck bzw. -thematisierung und emotionaler “Appell” auch bei Titeln (Alles für die Katz; Kopf hoch...).
4.
Arten der Themenkonstitution
Hier ist zu unterscheiden zwischen globaler und lokaler Themenkonstitution: Ich beschränke mich auf erstere. Zur letzteren gehört die Bildung von “Bedeutungsschichten” oder “Bedeutungsebenen” (vgl. Wotjak 1994, 1999: “Vernetzung”). Kleinbub (2002, 57ff.) stellt bei Sprache-Bild-Texten bis zu drei Bedeutungsschichten fest; es gibt jedoch auch den Fall, dass die phraseologische Bedeutungsschicht blockiert ist “bei gleichzeitiger Perspektivierung einer nichtphraseologischen Bedeutungsschicht” (2002, 63), so auf der Sportseite einer Tageszeitung unter dem Foto einer deutschen Nationalfußballerin im Kampf gegen zwei US-amerikanische (Saarbrücker Zeitung 7.10.03): (26) Die Kraft und die Herrlichkeit. Birgit Prinz setzt sich dynamisch gegen die Amerikanerinnen [...] durch.
Globale Themenkonstitution kann z.B. entstehen durch Art der Positionierung, Arten der Häufung, Kettenbildung.
4.1. Art der Positionierung Bei längeren vor allem informativen Texten kann für die Adressaten das Thema durch spezifische Phraseme durchsichtig gemacht werden (zugleich Adressatenberücksichtigung als Stilfunktion), so auch in Parlamentsreden, wo mit meine Damen und Herren und vergleichbaren Formeln das Thema strukturiert wird. Ein Phrasem bildet den zentralen “Punkt”, die Pointe eines Textes bei Witzen (Wotjak 1999), Anekdoten (Wotjak 1994), aber auch bei biografischen Erzählungen (Michel 1985, 106–125), die dann von “Geschichtentopoi” spricht. In den ersten Fällen steht es am Ende, bei biografischen Erzählungen im Komplikationsteil. In kommentierenden Texten stehen Phraseme nach Burger (1987, 15) “am Anfang oder am Schluss, am Anfang oder Ende eines Teilthemas, eines Argumentes, usw.”, z. B. als These oder Resümee. Sie schaffen “eine Art Gerüst für die Anschauung”, was die Rezeption bei abstrakten Gegenständen erleichtert (1987, 22), vgl. auch Sandig (1989, 390, 392ff). Beispiel für eine Pointe mit “Vernetzung” am Ende eines Kommentars (Saarbrücker Zeitung 9./10.8.03): (27) Gewiss muss sich die SPD anpassen. Doch wenn sie sich auch programmatisch der Union annähern will [...], ähneln sich die beiden Volksparteien bald wie zwei Eier. Fragt sich nur, welches Ei die Wähler dann zuerst in die Pfanne hauen.
Rothkegel (2000, 240ff.) unterscheidet nach der Positionierung drei verschiedene Funktionen von Idiomen: “Phrasem als Halter” am Beginn eines Textes, das neben der Funktion der Emotionalisierung z.B. als Überschrift auch die des Neugierigmachens haben kann. Dasselbe “Phrasem als Klammer” am Beginn und am Ende des Textes, wobei die Funktion Generalisierung zu ergänzen ist durch thematisch, ästhetisch oder auch persuasiv wirksame “Abrundung” des Textes (Sandig 1996, 290). Schließlich “Scharnier”, wodurch zwei verschiedenartige Teile eines Textes gespiegelt, zusammengebunden werden. 4.2. Arten der Häufung Der Gebrauch von idiomatischen Phrasemen kann genutzt werden, indem sie als alleiniges, einseitiges Stilmerkmal genutzt werden: wörtlich genommen in einer Hommage von A. Rothkegel an G. Gréciano:
13.
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Stilistische Funktionen von Phrasemen
(28) Aus ner Mücke ward ein Elefant, der sagte im Porzellanladen, die Hand könne er sehen vor Augen nicht. Das käme von “gedrängter Wochenübersicht”. [...]
Systematisch abgewandelt sind Phraseme in einer Zeitungsglosse über eine extreme Hitzeperiode (Saarbrücker Zeitung 8.8.2003) und damit dem Thema in einer Hinsicht “ähnlich”: (29) Sonnentisch am Arbeitsstich Die Hitze macht mir schwer zu schwitzen. Merkwürdige Worte [...] drohen da aus der Feder zu fliegen, denn die Konzertation gerät völlig aus den Dübeln: [...] Da muss man sich schon mal am Riemen beißen und die Zähne zusammenreißen! [...]
Untereinander verflochten und so sich gegenseitig in der phraseologischen Bedeutung aufhebend dienen Phraseme zur Darstellung einer seltsam irrealen Welt: Kito Lorenc bei Pankratowa (1997, 199ff.): (30) Ich steh auf Messers Schneide, knietief in der Kreide, als fünftes Rad am Wagen, und will ein Schnippchen schlagen. [...]
Auch die übliche Nutzung von Phrasemen kann der Themenbildung dienen. Aus einer Buchinformation über ein Buch zum “Thema: Geld”: (31) Zwar heißt es [...]: wo das Geld redet, muß der Verstand schweigen [...]. Mit Blick auf das hier präsentierte Buch aber gilt: Für hier und heute ist Geld Trumpf, Geld löst die Zunge [...], Geld lockt; wenn das Geld klingt, spitzen sich alle Ohren; wo das Geld anklopft, gehen alle Türen auf - na bitte!
Phraseme wirken teils zu einer “ernsten” Interaktionsmodalität zusammen, teils haben sie ein unterschiedlich gewichtetes “komisches” Potenzial, teils sind sie “unterhaltsam”. Ein Text kann eine Fülle von Phrasemen aufweisen, die untereinander nicht in Beziehung treten (“Verdichtung”: Balsliemke 2001, 208ff.), Text aus FAZ (02.10.03, S.1: Rede der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel zum Tag der Deutschen Einheit): (32) [...] Sie sagte, es wäre für die Union mit ihrem Einfluss im Bundesrat “ein leichtes, das Land vor die Wand fahren zu lassen”, beteuerte sogleich aber, dies werde es “mit mir nicht geben”. Stattdessen gebe es nur einen Weg: “Besser ein Kompromiss mit Schwächen, als gar nichts tun”. Bei allen Reformnovellen [...] sei sie zu Kompromissen willens, sofern dabei “die Vorteile die Nachteile überwiegen”. Dann trage das Ergebnis “die Handschrift der Union”. [...].
Ein offenbar an Phrasemen reiches und dadurch persuasiv gestaltetes Original weist in der Berichterstattung eine hohe “Verdichtung” auf. Gänzlich unauffällige Verdichtung von verschiedenen Phrasemen bis hin zur alltagsrhetorischen Modellbildung Nicht so im Kommentar zeigt (Saarbrücker Zeitung 16.9.2003): (33) [...] An Umtriebigkeit kann es der Ex-SPDChef noch mit jedem Jung-Spund in seiner Partei aufnehmen. Im Gespräch bleiben, ohne ins Gerede zu kommen. Wer ausgestiegen ist aus dem politischen Geschäft, aber irgendwann doch wieder einsteigen möchte, handelt nach dieser Devise. Nicht so der ehemalige saarländische Ministerpräsident.
Burger (1987, 20) gibt jedoch auch ein Beispiel für “verbale Schaumschlägerei”. 4.3. Kettenbildung Hier führt ein idiomatisches Phrasem wie ein roter Faden durch den Text (Pankratowa 1997, 201). Auch in der politischen Debatte, hier “Verjährungsdebatte” von 1979, Abgeordneter Maihofer (aus Elspaß 1998, 273ff.): (34) Über Mord ist nun einmal nach Jahrzehnten Gras gewachsen. Das ist jedenfalls unsere Rechtsauffassung seit über 100 Jahren. [Zwischenrufe] Entschuldigen Sie, über Mord wächst irgendwann einmal Gras, und zwar im Regelfall schon nach einer Generation. Über Auschwitz aber wächst kein Gras, noch nicht einmal in 100 Generationen. Später ein anderer Abgeordneter: Genau das war es [...], was Herr Kollege Maihofer mit seinem Satz meinte: Über Auschwitz darf kein Gras wachsen.
Mehrere Phraseme können auch untereinander in der Weise verkettet sein, dass ein Bildbereich unabhängig vom Thema über den Text gelegt wird (Mercedes-Werbung für Gebrauchtwagen): (35) Können diese Augen lügen?
Schlagzeile mit Bezug auf die Lampen eines von vorn gezeigten Autos. Fließtext: Bei Mercedes gibt es viele attraktive Gebrauchte. Doch mal ehrlich, würden Sie beim Kauf dem Augenschein trauen? Deshalb [...]. Und bei unseren Angeboten der Finanzierung und Inzahlungnahme sollten Sie ruhig einmal einen Blick riskieren. In diesem Fall zielt der Bildbereich “Augen/Blick” auf die Textfunktion.
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IV.
Pragmatik – Stilistik – Rhetorik der Phraseme/Pragmatic, stylistic, and rhetorical issues
4.4. Anschaulichkeit/Verständlichkeit Ein Thema kann lokal und/oder global mit Phrasemen “anschaulich” gestaltet werden, vgl. Burger (1987, 22) für abstrakte Themen. So in einem Bericht der Saarbrücker Zeitung (3.7.03) über die Feier zum Wechsel des Britischen Fußball-Stars David Beckham zu Real Madrid: (36) Ein Elfjähriger namens Alfonso überwand die Absperrung und rannte [...] auf das Mittelfeld-Ass zu. Dieser wies den Bodyguard zurück, schloss den Jungen liebevoll in die Arme [...]. Nicht nur Alfonso weinte, auch auf der Tribüne und vor den TV-Schirmen flossen Tränen der Rührung.
Zusätzlich zu dem Phrasemgebrauch ist der Text stark bebildert und das Thema ist auch darüber hinaus sehr “anschaulich” abgehandelt. Für populärwissenschaftliche Texte hat Preußer (2003, 141) eine “Anthropomorphisierung” durch Phraseologismen festgestellt, die im Dienste der Attraktivität für Laien (Adressatenberücksichtigung) und der Vereinfachung und des Verständlichmachens des Themas steht.
5.
Textmusterstile als Arten schriftlicher Handlungskonstitution
5.1. Parlamentsreden Diese schriftlich vorbereiteten und mündlich realisierten, teilweise auch improvisierten Reden enthalten als wichtigste, umfangreichste Gruppe gesprochen sprachliche “situationsspezifische Phraseologismen” (Burger/Buhofer/Sialm 1982, 196), vor allem verba sentiendi und verba dicendi mit expressiver und/oder appellativer Funktion wie ich denke, ich frage mich, ich muss gestehen, ich wage zu bezweifeln, ich will nicht verhehlen (Elspaß 1998, 88); Ausdrücke der subjektiven Perspektivierung wie meiner Meinung nach, meines Erachtens usw.; Ausdrücke mit metakommunikativer Funktion wie wie gesagt, im Grunde (genommen); eine Fülle von Variationen bei der Adressatenanrede: (sehr verehrte/meine (sehr verehrten) Damen und Herren aber auch (liebe/[meine sehr] verehrte[n] Kolleginnen und Kollegen, mit denen die Rede thematische Strukturierung erfährt und wodurch die Aufmerksamkeit gelenkt wird, und nebenbei wird die Beziehung zu den Zuhörern gestaltet und auch noch Monotonie vermieden. Elspaß schreibt zu Phraseologismen wie Ich möchte hier ganz klar sagen, ich muss Ihnen
sagen usw. (1998, 93): Die Funktion ist rhetorischer Art, “die nachfolgende Position aufzubauen, auf sie vorzubereiten, ihr Nachdruck zu verleihen”, es sind “vor allem Signale/Appelle an die Zuhörer”. Schließlich gibt es Formen des Insistierens: wie gesagt, ich sage noch einmal. Zwischenrufe folgen teils dem typischen Hört, Hört aber auch allgemeineren Formen: So ein Quatsch, sehr richtig; schließlich gibt es die Formeln, die mit der parlamentarischen Geschäftsordnung vorgegeben sind: Wird das Wort gewünscht? usw. Durch diese sehr vielfältige und dominierende (Elspaß 1998, 215) Gruppe von Phrasemen wird also Selbstdarstellung, Adressatenberücksichtigung und Beziehungsgestaltung geleistet aber auch thematische Orientierung und - durch eine Untergruppe - auch institutionelle Einbindung. Sehr häufig sind – an 2. Stelle – adverbiale (in diesem Sinne) und präpositionale Phraseologismen (im Hinblick auf). An 3. Stelle stehen die phraseologischen Termini. Verbale Phraseologismen verschiedenen Typs machen – an 4. Stelle – “zusammen etwa ein Drittel aller verwendeten Phraseologismen” aus (Elspaß 1998, 215) und davon wieder ist etwa 1/4 modifiziert verwendet. Als Funktionen der Modifikationen nennt Elspaß: “semantische Differenzierung”, “stilistisch-expressive Effekte”, “Kontexteinbindung” und “metasprachliche Reflexion”. Die “Normverstöße”, die Elspaß im Kap. 7.3 konstatiert, basieren auf denselben Eigenschaften, die die Modifikationen erlauben (1998, 279). Man sollte anstelle dieser normativen Betrachtung berücksichtigen, dass formale, ausdrucksseitige Variation ein typisches Kennzeichen gesprochener Sprache ist (Schwitalla 1997, 29ff.). So enthalten diese öffentlichen Reden auch im Bereich der verwendeten Phraseologismen Spuren der Produktionssituation, sind stilistisch durch sie mit geprägt, auch wenn sie nicht spontansprachlich sind. Die Häufigkeitsanalysen von Elspaß zeigen die (durchschnittliche) Abstufung phraseologischer Stilmerkmale. Dabei sind die sonst so wichtigen idiomatischen Phraseologismen hier in den Hintergrund gerückt - was nicht ausschließt, dass sie im jeweiligen Kontext gerade aufgrund ihrer relativen Seltenheit besonders wirksam sind, s. Beisp. (34). In Kap. 7.4 geht Elspaß auf die unterschiedliche Verwendung von Phraseologismen bei zwei Politikern ein: als individualstilistische Ausprägungen des Gebrauchs.
13.
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Stilistische Funktionen von Phrasemen
5.2. Formelhafte Texte Es sind solche, die stilistisch sehr gleichförmig sind: Sie sind an spezifische Situationen gebunden. Die gesamte Textstruktur besteht in einer umfassenden Modellbildung (Phraseoschablone) mit Leerstellen bei “konstanten inhaltlichen Textkomponenten” (Gülich 1997, 154, auch “Bausteine”: Drescher 1994); deren Reihenfolge ist “relativ fest” (Gülich, 1997) und die Textkomponenten werden mittels Phraseologismen “formelhaft” realisiert. “Diese Charakteristika machen die Reproduzierbarkeit des Textes als Ganzes aus.” Ein derartiges Textmuster ist – wie andere auch – prototypisch organisiert. D.h. bis auf die zentrale Handlung können die weiteren wegfallen. Ein Beispiel für eine minimale Kündigungsbestätigung findet sich bei Stein (2001, 37). Häufig jedoch wird mit dem Text zugleich auch die Beziehung gepflegt: Dies kann das Selbst der Schreiberseite betreffen, indem z.B. Bedauern ausgedrückt und/oder ein Dank für das bisherige Interesse angefügt wird (Stein 2001, 31), was den Text “persönlicher” erscheinen lässt, oder indem mit einem Weihnachtsgruß einer Firma an ihre Kunden in der Zeitung eine Werbung verbunden ist (Gülich 1997, 137). Auch ein kreatives Spiel mit der Formelhaftigkeit ist möglich, wenn die Kenntnis des Textmusters “bei den Lesern als geteiltes Wissen vorausgesetzt werden kann” (Gülich 1997, 158), so bei Danksagungen in wissenschaftlichen Arbeiten. Beziehungsarbeit den Adressaten gegenüber zeigt Drescher (1994) anhand von Absagebriefen als den Schlusspunkten von Bewerbungsverfahren. Die Absage als nichtpräferierte Handlung stellt eine mögliche Bedrohung für das Image von Betroffenen dar, aber auch für dasjenige der Absagenden. Es wird versucht dem vorzubeugen, indem die Absage selbst “häufig indirekt und euphemistisch formuliert und insgesamt relativ ‘versteckt’ realisiert wird” (1994, 130), z.B. durch die Positionierung der Absage in der relativen Mitte des Textes (1994, 131ff.); “die zentrale Aussage wird umrahmt und dadurch in gewisser Weise ‘abgefedert’” (Stein 2001, 29). Drescher (1994, 134) unterstreicht den Verwaltungsstil von Absagebriefen, aber auch die Möglichkeit durch “geringere lokale Formelhaftigkeit” den Text gegenüber dem Adressaten “höflicher”, “respektvoller” zu gestalten.
5.3. Weiteres Gläser (1998) betrachtet stilistisch relevante Verwendungen von Phrasemen in unterschiedlichen Textsorten. Sie stellt fest, dass insgesamt die individuelle Absicht des Autors leitend ist (1998, 142). Darüber hinaus stellt sie einige Tendenzen fest: insgesamt “emphatic or intensifying function” (1998, 125) durch idiomatische Phraseme; sie sind generell ein Beitrag zur Anschaulichkeit (1998, 143); in wissenschaftlichen Arbeiten im Englischen findet sich Selbstdarstellung als “intellektuell” und “feinsinnig” durch Modifizierungen. Phrasemgebrauch in Schlagzeilen und Kommentaren und in Lehrbüchern dient der Steigerung der Verständlichkeit und der Behaltensleistung. Sie stellt fest: “The stylistic potential of the phrasicon is unchallengeable”.
6.
Gesprächsstile
Die in 2.4 beschriebenen Formeltypen werden in charakteristischen Häufungen in Gesprächsstilen genutzt, z.B. ich denk(e)/ich find(e) in “weiblichen” Stilen. 6.1. Soziale Stile “Soziale Stile” sind solche, mit denen sich Gruppenmitglieder (auch Mitglieder von TeilKulturen) wechselseitig ihre Zugehörigkeit anzeigen und sich gleichzeitig gegen Mitglieder von anderen Gruppen abgrenzen. Es geht also um konventionelle Formen der Selbstdarstellung und der Beziehungsgestaltung. Diese Stile haben einen “sozial bedeutsamen, symbolischen Wert” (Keim 1997, 319). Gruppen relevanter Merkmale als Leitmerkmale sind nach Kallmeyer (Hrsg. 1994/1995) a) b)
c) d)
Typen sozialen Handelns (“Regeln des Sprechens”), das Ansiedeln der Rede auf dem Kontinuum Dialekt - Umgangsstandard Hochsprache (auch für Einstellungsausdruck, Interaktionsmodalität und Beziehungsgestaltung); weiter explizite und implizite Selbst- und Fremdkategorisierungen als Mittel sozialer Einordnung und schließlich der Umgang mit vielfältiger Formelhaftigkeit. Diese dient z.B. der Beziehungsgestaltung, wenn Mitglieder einer als sozial “niedriger” eingestuften Gruppe mit “breitem” Dialekt durch folgende Formel charakterisiert werden: des is äner
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IV.
Pragmatik – Stilistik – Rhetorik der Phraseme/Pragmatic, stylistic, and rhetorical issues
der sescht die schunn schoind schä (‘Das ist einer, der sagt: Die Sonne scheint schön’), wobei es im eigenen Dialekt der Gruppe die sunn scheind schä hieße (Kallmeyer Hrsg. 1994, 222ff.). Aufsteiger, die ihre Gruppe verlassen haben, werden hyperkorrekt als foine loite (‘feine Leute’) karikiert; der eigene Dialekt ergäbe feine leid.
1987, 67): für Anspielungen darauf wie auch für Normverstöße und Tabubrüche.
In einer Frauengruppe der Mannheimer Innenstadt (“Bastelgruppe”) ließ sich die Herausbildung gruppeneigener Formeln herausarbeiten (Keim 1997, 325ff., Kallmeyer/Keim 1994, 261ff.), mit denen die gemeinsamen Werteinstellungen bekräftigt werden und Gemeinsamkeit demonstriert wird (Kallmeyer Hrsg. 1994, 301). Andere Formeln werden zur Beziehungsregulierung, auch innerhalb der Gruppe, verwendet, nämlich Unsinnssprüche (1994, 301ff.), mit denen Neugier abgewehrt wird, d.h. es wird in die “unernste” Interaktionsmodalität gewechselt. Es gibt auch Formeln, um das “gehäufte Verwenden von festen Redewendungen” zu markieren, “das Sprücheklopfen (schbrisch klobbe)” und die angeberische Selbstdarstellung, auf die mit mach kä schbrisch reagiert wird (1994, 309). Schließlich dienen Formeln auch als “Pausenfüller” im Rahmen der Beziehungsgestaltung mit phatischen Mitteln, z.B. ja ja hod se gseschd, de gonze hawwe voll (‘Ja ja, hat sie gesagt, den ganzen Eimer/Kübel voll’, Keim 1997, 339). Sozial identifizierend bzw. ausgrenzend ist der richtige Gebrauch solcher Formeln (Keim 1997, 339ff.).
Auch hier ist der Stil “Symbol der Gruppenidentität”. Hartung (2003, 341) beobachtet, dass oft Sprüche nicht als bekannte verwendet werden, sondern aus der Situation heraus kreiert sind. Z.B. hatte ein Jugendlicher gesagt: was war des vom meier und dies wird von einem anderen in einer anderen Situation, aber prosodisch besonders markiert aufgenommen:
6.2. Jugendstile Diese werden ausgebildet zum Zweck der Abgrenzung von der Elterngeneration (Neuland 1987, 64) und speziell zum Aufbauen einer sozialen wie individuellen Identität (Schlobinski/Kohl/Ludewigt 1993, 37ff.), d. h. Beziehungsgestaltung und Selbstdarstellung. Sie sind zeitabhängig und Bestandteile umfassenderer Lebensstile als Subkulturen (Neuland 1987, 67ff.). Mit diesen Lebensstilen sind sie veränderlich und sie sind innerhalb der Jugendphase stark differenziert nach Jüngeren und Älteren einerseits und vor allem nach “unterschiedlichen sozialen Herkunftswelten” (Neuland 1987, 62). Neuland betont insbesondere die “Stellung der Jugend innerhalb der Gesamtgesellschaft”. Dies ist wesentlich für den Umgang mit dem jeweils vorgegebenen sozialen Wertesystem (Neuland
“Subkulturelle Stile entstehen in einem kollektiven, schöpferischen Prozess der Stilbastelei [...], indem Elemente der verschiedenen kulturellen Bereiche aus der Matrix des Bestehenden selegiert, in einen neue Bedeutung verleihenden Kontext transformiert und zu einem für die jeweilige jugendliche Subkultur spezifischen Stilmuster zusammengefügt werden.” (1987, 69).
(37) was war des vom meier morgens bin isch langschläfer mittags verchecker und abends jagger.
Nach Hartung “sind Untersuchungen der Sprüchekultur ohne Tonaufzeichnungen in einer fundamentalen linguistischen Dimension unvollständig”, zumindest bezüglich der Jugendsprache. Branner (2002) untersucht “Zitate aus der Medienwelt” in einer Mädchengruppe und kommt dabei zu folgenden Ergebnissen (2002, 356): Sie basieren oft auf einem Stimulus in der Situation oder dem Gesprächskontext, sind häufig Pausenfüller und dienen der Unterhaltung und dem Herstellen von Gemeinsamkeit, wichtiges Erkennungssignal ist die prosodische oder sogar melodische Struktur, sie werden u.a. gemeinsam geäußert. Auch hier werden so fremde “Stimmen” in die eigene Rede integriert. 6.3. Stilistische Verwendung von Gruppenstilen Besonderheiten im Phrasemgebrauch dienen – wie bereits an 6.1 und 6.2 gesehen – als Erkennungsmerkmale für Gruppenstile. Umgekehrt können sie auch in abweichender Verwendung als Indikator des benutzten Stils dienen, zusammen mit anderen Merkmalen natürlich: (38) WAS WIR EINMAL VERMISSEN WERDEN A-Klasse hieß die Gurke, mit der sich ein Stuttgarter Autohersteller überraschend im dahindümpelnden Manta-Markt etablierte. Die Bräute fuhren voll drauf ab. Nix mehr bloß Kavalierstart. Gummi geben und ab dafür - konntste nach’m Herbst 98 total verges-
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Stilistische Funktionen von Phrasemen sen. Total normal. Für Weicheier gab’s dann ‘ne Version mit Stützrädern anne Türen und auf’m Dach. Nicht richtig cool, aber o.k. Gab dann irgendwie ’nen Imageverlust oder so. 2002 mussten die wohl wegen der Kiste dichtmachen. Aber super Schleuder, echt. (Zeitmagazin 21.11.97,6)
Mit dieser Glosse im Manta-Fahrer-Stil wurde das wegen seiner neuen Technik hoch gelobte A-Klasse-Auto karikiert, nachdem es beim Schleuder-“Elch”-Test versagt hatte.
7.
Literatur (in Auswahl)
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Barbara Sandig, Saarbrücken (Deutschland)
14. Phraseme in der Argumentation 1. 2. 3.
Zum Stand der Forschung Phraseme und ihre Anwendungen in argumentativen Zusammenhängen Literatur (in Auswahl)
1.
Zum Stand der Forschung
Zu den wichtigsten Anwendungsfeldern phraseologischer Einheiten zählt zweifelsfrei die Argumentation. Eine genaue Bearbeitung dieses Aspektes bedarf eines Brückenschlages zwischen phraseologischer Forschung einerseits und argumentationstheoretischer Forschung andererseits. Was die Phraseologie betrifft, so wird in einigen wenigen Publikationen der phraseologischen Forschung auf die argumentative Funktion von Phrasemen zwar abgehoben (z.B. Röhrich/Mieder 1977, Koller 1977, Sabban 1994, Lüger 1999, Burger 2003), allerdings wird dieser Gesichtspunkt hier kaum mehr als erwähnt oder aber in einer kurzen Darstellung lediglich umrissen, ohne dabei zu einer detaillierteren Darstellung hinzuführen (so etwa Lüger 1999, Burger 2003). Erst in jüngster Zeit sind einzelne Publikationen entstanden, welche die argumentative Funktion von Phrasemen in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen (so Kindt 2002, Tappe 2001, 2002a, 2002b, 2002c, Wirrer 1998, 1999). Umfassende, auf einer breiten empirischen Basis beruhende Arbeiten liegen zu diesem Themenkomplex jedoch bislang nicht vor. Dies macht deutlich, dass hier weiterhin ein erheblicher Forschungsbedarf besteht. Die argumentationstheoretische Forschung ist in diesem Zusammenhang unter umge-
kehrtem Vorzeichen zu betrachten. Hier geht es zuvörderst um grundlegende argumentative Strukturen, weniger um deren konkrete sprachliche Ausgestaltung. Die Hinweise auf die argumentative Funktion von Phrasemen sind daher, wenn denn überhaupt darauf abgehoben wird, bestenfalls beiläufiger Natur, nirgendwo wird dieser Gesichtspunkt genauer ausgeführt (z.B. Bayer 1999, Göttert 1991, Kolmer/Rob-Santer 2002, Ottmers 1996, Willard 1989). Dabei wird die argumentative Funktion phraseologischer Einheiten bereits in der antiken Rhetorik betont wie z.B. im 21. Kapitel des 2. Buches der Rhetorik des Aristoteles, wo es u.a. heißt: Es ist […] die Sentenz eine Erklärung […] nicht über das, was den Einzelnen betrifft, […] sondern über etwas das Allgemeine betreffend […] [und, J. W.] was beim Handeln zu wählen oder zu meiden ist. (Aristoteles 1989, 136)
Entsprechend heißt es z.B. bei Quintilian, der in seiner Ausbildung des Redners den Sentenzen ein ganzes Kapitel widmet: Die Ältesten [Sentenzen, J.W.] sind die, die im eigentlichen Sinne “Sentenzen” heißen […], die bei ~μαι (Sinnsprüche). den Griechen sogenannten γνω […] [Sie haben, J.W.] ihren Namen deshalb, weil sie Ratschlägen oder allgemeinen Bestimmungen ähnlich sind. Eine Sentenz […] ist ein allgemeiner Satz, der auch unabhängig vom Zusammenhang eines Falles Anerkennung finden kann […] (Quintilianus 1972/1975, VIII, V, 3).
Dabei ist es von Interesse, dass nach Aristoteles die “lakonischen Sprichwörter” (Aristoteles 1989, 138) zu den Sentenzen gehören. Und zieht man darüber hinaus die Beispiele
176
IV.
Pragmatik – Stilistik – Rhetorik der Phraseme/Pragmatic, stylistic, and rhetorical issues
in Betracht, die sowohl Aristoteles als auch Quintilian im entsprechenden Zusammenhang anführen, so wird deutlich, dass sie offensichtlich auch Maximen und Geflügelte Worte, also polylexikalische Einheiten, die in der heutigen Forschung den Phrasemen zugeordnete werden, unter die Sentenzen subsumieren. – Sentenzen in diesem umfassenden Verständnis wird von den antiken Rhetorikern eine beträchtliche persuasive Kraft zugesprochen; denn sie eignen sich, wie Aristoteles hervorhebt, offensichtlich besonders gut für Situationen, in welchen es darum geht, eine breite, wenig gebildete Zuhörerschaft, die sich gern in ihren Vorannahmen bestätigt fühlt, zu überzeugen. Deshalb seien sie möglichst offen und allgemein zu formulieren (vgl. Aristoteles 1989, 140), damit sie, so könnte man aus heutiger Sicht hinzusetzen, mit einem möglichst breiten Spektrum unterschiedlicher Erfahrungen semantisch verknüpfbar sind.
2.
Phraseme und ihre Anwendungen in argumentativen Zusammenhängen
Die Anwendung von Phrasemen innerhalb von argumentativen Zusammenhängen soll in dieser Darstellung unter vier Gesichtspunkten erfolgen. Diese sind: 1. Phraseme und ihre syntaktische und logische Struktur, 2. Phraseme als Prämissen und Konklusionen innerhalb von Syllogismen und anderen Schlussmustern, 3. Phraseme als sprachliche Realisierungen von Topoi, 4. Mikroformeln und ihr argumentativer Status. 2.1. Phraseme und ihre syntaktische und logische Struktur Soweit es die argumentative Funktion von Phrasemen betrifft, genügt es zunächst, zwischen satzwertigen und satzgliedwertigen Phrasemen zu unterscheiden. Zu den erstgenannten zählen neben Sprichwörtern vor allem Gemeinplätze, Maximen, Omensprüche und die meisten Geflügelten Worte, zu den letztgenannten alle anderen Klassen von Phrasemen. Zu den satzwertigen Phrasemen gehören also alle Phraseme, die einen vollständigen Satz umfassen, sowie solche mit elliptischen Satzstrukturen, wohingegen satzgliedwertige Phraseme Satzglieder repräsentieren. Wenn im folgenden von satzwertigen Phrasemen – und nur um diese geht es in diesem Abschnitt – die Rede ist, dann sind mit Ausnahme der satzwertigen Mikroformeln
(vgl. 2.4) lediglich solche Phraseme gemeint, die als Minitexte fungieren und folglich auch für sich stehen können, was die Feste Phrasen (Burger/Buhofer/Sialm 1982, 39) genannten Phraseme ausschließt. In der Literatur wird darauf verwiesen, dass satzwertige Phraseme, insbesondere Sprichwörter, in der Regel als All-Aussagen zu interpretieren sind (vgl. z.B. Burger 2003). Tatsache ist jedoch, dass nur wenige satzwertige Phraseme All-Quantoren bzw. überhaupt Quantoren – von Existenz-Quantoren wird hier und im folgenden abgesehen – enthalten und dass nicht in allen von ihnen der gesamte Satz im Skopus des jeweiligen Quantors steht. Dazu die folgenden Beispiele. In den ersten drei Phrasemen steht der gesamte Satz im Skopus des Quantors: Alle/viele Wege führen nach Rom und Aller Anfang ist schwer, Jeder ist sich selbst der nächste, Das nächste Spiel ist immer das schwerste, nicht jedoch in diesem Phrasem: Wer vieles bringt, wird manchen etwas bringen. Die erstgenannten Beispiele lassen sich wie folgt umschreiben: Für alle/viele Wege gilt: sie führen nach Rom, Für alle Anfänge gilt: sie sind schwer bzw. Für jeden Menschen gilt: er ist sich selbst der nächste bzw. Für alle (Fußball)Spiele gilt: das nächste Spiel ist das schwerste, wohingegen das zuletzt aufgeführte Phrasem eine solche Umschreibung nicht zulässt. Bei satzwertigen Phrasemen ohne Quantoren müssen diese, sofern überhaupt möglich, inferiert werden: Ausnahmen bestätigen die Regel (→ Für alle Ausnahmen gilt: sie bestätigen die Regel), Wer rastet, der rostet (→ Für alle Rastenden gilt: sie rosten), Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm (→ Für alle Äpfel gilt: sie fallen nicht weit vom Stamm). Bei teilidiomatischen und idiomatischen Phrasemen wie dem zweitbzw. dem drittgenannten stellt sich dabei die Frage, auf welcher semantischen Basis die entsprechenden Inferenzen gezogen werden, der wortwörtlichen, wie oben demonstriert, oder der phraseologischen, wobei im letzten Beispiel mit folgender Inferenz zu rechnen wäre: → Für alle Eltern (Väter, Mütter) gilt: sie geben (schlechte) Eigenschaften an ihre Kinder weiter bzw. → Für alle Kinder gilt: sie haben (schlechte) Eigenschaften von ihren Eltern (Vätern, Mütter) ererbt. Ein weiteres Problem besteht darin, dass durchaus nicht sicher ist, welche Quantoren zu inferieren sind werden. So ist es durchaus möglich, dass etwa aus Wer rastet, der rostet nicht für alle Ra-
177
14. Phraseme in der Argumentation
stenden gilt: sie rosten, sondern z.B. für manche Rastenden gilt: sie rosten gefolgert wird. Im letzten Abschnitt wurden satzwertige Phraseme herangezogen, die aus einfachen, nicht konditionalen Deklarativsätzen bestehen. Es gibt jedoch noch zwei weitere syntaktische Klassen von satzwertigen Phrasemen, die in diesem Zusammenhang genannt werden müssen, nämlich solche, die einen subordinierten Konditionalsatz enthalten und solche die als deontische Aussagen, d.h. als Sollensaussagen, und unter phraseologischer Perspektive als Maximen zu klassifizieren sind. Unter den erstgenannten gibt es wiederum solche, die von ihrer Oberflächenstruktur her sofort als solche erkennbar sind wie z.B. Wenn die Katze aus dem Haus ist, tanzen die Mäuse über Tische und Bänke und solche, bei denen das Bedingungsgefüge inferiert werden muss wie z.B. Ende gut, alles gut (→ Wenn das Ende gut ist, ist alles gut) oder gar solche, bei denen syntaktische und logische Struktur auseinander klaffen wie z.B. in Wo kein Kläger ist, da ist auch kein Richter (→ Wenn ein Unrecht oder ein Verbrechen nicht angezeigt wird, dann kann der Urheber nicht bestraft werden), wo der subordinierte Satz syntaktisch als Adverbialsatz, im logischen Zusammenhang jedoch als Prämisse eines WennDann-Satz zu klassifizieren ist. Hinsichtlich der wortwörtlichen und der phraseologischen Bedeutung ergibt sich hier dasselbe Problem wie bei den im letzten Abschnitt angeführten teilidiomatischen und idiomatischen Phrasemen. Bleibt die Frage, ob – entsprechende Inferenzen vorausgesetzt – auch die phraseologischen Wenn-Dann-Sätze im Skopus von All-, aber auch anderen Quantoren liegen können. Diese Frage ist im Prinzip zu bejahen. Für die obigen beiden Beispiele würde dann ggf. gelten: → Immer (bzw. oft, mitunter, […]) gilt: Wenn die Katze aus dem Haus ist, tanzen die Mäuse über Tische und Bänke bzw. → Immer (bzw. oft, mitunter, […]) gilt: Wenn das Ende gut ist, ist alles gut. Auch unter den Sollensaussagen finden sich solche, die sofort als solche zu erkennen sind wie z. B. Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben bzw. Gib, damit dir gegeben wird oder Einem geschenkten Gaul guckt man nicht ins Maul. Daneben gibt es satzwertige Phraseme, die bei Anwendung in entsprechenden Situationen ebenfalls als Maximen fungieren können wie z.B. Lügen haben kurze Beine, was mit Hinweis auf mögliche negative Konse-
quenzen mit Du sollst nicht lügen, denn es kommt sowieso heraus, dass du gelogen hast interpretiert werden kann. Dass Maximen als All-Sätze zu verstehen sind, liegt in der Natur der Sache. 2.2. Phraseme als Prämissen und Konklusionen innerhalb von Syllogismen und anderen Schlussmustern Der in diesem Zusammenhang entscheidende Gesichtspunkt liegt darin, dass satzwertige Phraseme – und nur um diese soll es hier gehen – innerhalb von Syllogismen, aber auch anderen Schlussschemata wie Induktionen zur Anwendung gelangen können. Hier können sie als Prämisse oder als Konklusion begegnen. Sofern dabei halbidiomatische oder idiomatische Phraseme nicht remotiviert werden – und das dürfte im Rahmen von Schlussschemata eher selten der Fall sein -, spielt hier lediglich die phraseologische Bedeutung eine Rolle. Dazu folgende Beispiele: (1)
– Für alle (viele, einige, […]) Väter gilt: sie geben (schlechte) Eigenschaften an ihre Kinder weiter. (← Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm) – Franz, der Vater von Karl, ist ein Säufer. – Karl ist (wahrscheinlich, möglicherweise, […] ) ein Säufer.
(2)
– Franz, der Vater von Karl, ist ein Säufer. – Karl ist ein Säufer. – Für alle (viele, einige, […] ) Väter gilt: sie geben (schlechte) Eigenschaften an ihre Kinder weiter. (→ Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm)
In (1), einem kategorialen Syllogismus, ist das Phrasem eine der beiden Prämissen. Unter der impliziten Annahme, dass übermäßiger Alkoholkonsum eine schlechte Eigenschaft ist, folgt die Konklusion, sofern die erste Prämisse im Skopus des All-Quantors steht, mit Notwendigkeit, andernfalls mit einem nicht genau angebbaren Grad von Wahrscheinlich-
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IV.
Pragmatik – Stilistik – Rhetorik der Phraseme/Pragmatic, stylistic, and rhetorical issues
keit. Demgegenüber stellt (2), in welchem das Phrasem als Konklusion fungiert, einen induktiven Schluss dar und fügt einer bereits gewonnenen allgemeinen Erkenntnis lediglich einen weiteren Beleg hinzu. Wie die beiden Beispiele zeigen, geht an Syllogismen formal nichts verloren, wenn die darin erhaltenen Phraseme durch Paraphrasen ihrer phraseologischen Bedeutung ersetzt werden. Grundsätzlich ist bei Maximen ähnlich zu verfahren, wobei zu berücksichtigen ist, dass aus Sollensaussagen nur Sollensaussagen abgeleitet werden können. Dazu folgende Beispiel (3)
– Für alle Geschenke gilt: man soll an ihnen nicht herummäkeln. (← Einem geschenkten Gaul guckt man nicht ins Maul ) – Karl hat ein Geschenk bekommen.
– Karl soll an dem Geschenk nicht herummäkeln. (4)
– Karl hat ein Geschenk bekommen. – Karl soll an dem Geschenk nicht herummäkeln. – Für alle Geschenke gilt: man soll an ihnen nicht herummäkeln. (→ Einem geschenkten Gaul guckt man nicht ins Maul)
Bei (3) handelt es sich wiederum um einen kategorialen Syllogismus. Das Phrasem ist eine der beiden Prämissen. Da es sich um eine All-Aussage im Sollensmodus handelt, gilt die Konklusion mit Notwendigkeit. Demgegenüber stellt (4), in welchem das Phrasem als Konklusion fungiert, einen induktiven Schluss dar, vermittels dessen die Maxime lediglich auf einen weiteren Fall angewandt wird. Phraseme, die syntaktisch und logisch als Konditionalaussagen zu klassifizieren sind, können, ihrer logischen Struktur entsprechend, in konditionalen Syllogismen, aber auch in Induktionen vorkommen. Dazu folgende Beispiele:
(5)
– Immer (oft, mitunter, […]) gilt: wer meistens beaufsichtigt wird, wenn er einmal ohne Aufsicht ist, dann nutzt er seine Freiheiten. (← Wenn die Katze aus dem Haus ist, tanzen die Mäuse über Tische und Bänke) – Karl wird meistens beaufsichtigt, ist aber heute ohne Aufsicht. – Karl nutzt heute (wahrscheinlich, möglicherweise, […]) seine Freiheiten
(6)
– Karl wird meistens beaufsichtigt, ist aber heute ohne Aufsicht. – Karl nutzt heute seine Freiheiten. – Immer (oft, mitunter […] ) gilt: wer meistens beaufsichtigt wird, wenn er einmal ohne Aufsicht ist, dann nutzt er seine Freiheiten. (→ Wenn die Katze aus dem Haus ist, tanzen die Mäuse über Tische und Bänke)
In (5), einem konditionalen Syllogismus, ist das Phrasem eine der beiden Prämissen. Wie im Falle des obigen kategorialen Syllogismus folgt hier die Konklusion, sofern die erste Prämisse im Skopus des All-Quantors steht, mit Notwendigkeit, andernfalls mit einem nicht genau angebbaren Grad von Wahrscheinlichkeit. Demgegenüber stellt (6), in welchem das Phrasem als Konklusion fungiert, wiederum einen induktiven Schluss dar und fügt einer bereits gewonnenen allgemeinen Erkenntnis lediglich einen weiteren Beleg hinzu. In der alltäglichen Kommunikation – und vor allem in dieser lassen sich die meisten Phraseme nachweisen – begegnen Schlussschemata in der soeben vorgeführten vollständigen Form nur selten. Explizite Schlüsse wie die obigen dürften daher im Rahmen natürlicher Alltagsargumentation nur selten nachzuweisen sein (Walton 1996). Stattdessen bedienen wir uns in der alltäglichen Argumentation verkürzter Schlüsse, sogenannter Enthymeme. Dabei ist unter einem Enthymem ein unvollständiger Syllogismus zu verstehen, derart dass entweder eine oder gar beide Prämissen fehlen oder aber derart, dass die Konklusion fehlt (vgl. Kolmer/Rob-Santer 2002, 164; Walton 1996, 220), was im übrigen auch
179
14. Phraseme in der Argumentation
auf verkürzte induktive Schlüsse zutrifft. Dabei kommt, wie bereits Aristoteles mit Hinblick sowohl auf die öffentliche als auch die forensische Rede ausführt, Enthymemen und unvollständigen Induktionen eine größere persuasive Kraft als formal vollständigen Schlüssen zu; denn “man muß weder von weither noch alles aufgreifen und zusammenbringen; denn das eine ist undeutlich wegen der Weitläufigkeit, das andere aber geschwätzig, weil man sagt, was offenkundig ist” (Aristoteles 1989, 141). Darüber hinaus ist beim alltäglichen Argumentieren mit sogenannten Epichereimen zu rechnen. Darunter versteht man einen Syllogismus, in welchem eine oder beide Prämissen ihrerseits Enthymeme sind (vgl. Kolmer/Rob-Santer 2002, 166). Beim ersten der folgenden Beispiele handelt es sich um ein Enthymem, beim zweiten um ein Epichereim: (7)
– Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. – Auch Karl ist ein Säufer.
(8)
– Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. – Auch Karl ist ein Säufer. – Aber das dicke Ende kommt noch. – Karl wird seine Alkoholexzesse noch bereuen.
(7) ist eine enthymemische Fassung von (1), gegenüber (1) fehlt es an der zweiten Prämisse, die jedoch im Rahmen alltäglichen Argumentierens dem Gesprächspartner wahrscheinlich bekannt und daher unschwer zu erschließen sein dürfte. Das Epichereim in (8) enthält (7) als erste und ein aus dem zweiten Satz von (7) und dem zweiten Phrasem bestehenden Enthymem als zweite Prämisse. Satzgliedwertige Phraseme finden sich in der Alltagsargumentation in großer Zahl. Sie haben dort jedoch, sofern sie nicht remotiviert werden – und dies ist nur relativ selten der Fall – , keinen anderen argumentativen Stellenwert als äquivalente freie Verbindungen. Dazu lediglich zwei Beispiele, in denen die Phraseme durch Unterstreichung gekennzeichnet sind: (9)
Hätte […] [der Hamburger Innensenator, J. W.] nichts unternommen, […] dann wäre er
bei einem tatsächlichen Terroranschlag der Prügelknabe der Nation gewesen. (Neue Westfälische, 02.01.2004) (10) Viele Menschen können sich den legalen Einsatz von Handwerkern […] nicht mehr leisten […] [und] werden auch in Zukunft keine andere Wahl haben, als den befreundeten Fachmann um einen Gefallen zu bitten. Damit stehen sie […] auf einer Stufe mit Wirtschaftskriminellen. (Neue Westfälische, 03./04.01.2004)
Sowohl bei (9) als auch bei (10) handelt es sich um ein Enthymem, welchem zu einem vollständigen Syllogismus eine Prämisse, nämlich die zur Konklusion führende – uneingeschränkte oder eingeschränkte – allgemeine Aussage fehlt. Beide Enthymeme lassen sich aufgrund des jeweiligen Kontextes und des beim Leser vorauszusetzenden Wissensvorrats jedoch unschwer ergänzen. An der Argumentation als solcher geht formal nichts verloren, wenn sämtliche Phraseme durch freie Verbindungen ersetzt werden: (9a) Hätte […] [der Hamburger Innensenator, J. W.] nichts unternommen, […] dann wäre er bei einem tatsächlichen Terroranschlag von vielen Menschen heftig kritisiert worden. (10a) Viele Menschen können sich den legalen Einsatz von Handwerkern […] nicht mehr leisten […] [und, J.W.] werden auch in Zukunft den befreundeten Fachmann einschalten müssen. Damit sind sie […] Wirtschaftskriminellen gleichgestellt.
Bei der Rekonstruktion von alltäglicher Argumentation ist es nicht immer erforderlich, alle Schlüsse derart detailliert wiederzugeben, wie es die logischen Schlussschemata verlangen. Ein relativ einfaches, an der argumentativen Praxis orientiertes und seitdem häufig angewandtes Rekonstruktionsschema ist von Toulmin (1964) entwickelt worden. Dieses Schema hat folgendes Aussehen: D
So Since W
Q
C
Unless R
On account of B Abb. 14.1
In diesem Schema stehen “D” für ‘data’ (‘Daten’), “C” für ‘claim’ (‘Behauptung’), “W” für ‘warrant’ (hier: Allgemeine Aussage, welche den Schluss von D nach C rechtfertigt), “B” für ‘backing’ (Aussage, welche die Gültigkeit von W stützt), “R” für ‘rebuttal’ bzw.
180
IV.
Pragmatik – Stilistik – Rhetorik der Phraseme/Pragmatic, stylistic, and rhetorical issues
‘conditions of exception’ (‘Widerlegung’, ‘Ausnahmebedingungen’) und “Q” für ‘modal qualifier’ (Grad der Gültigkeit). Bei Anwendung und Erweiterung von (1) auf dieses Schema ergibt sich folgendes: D: Karls Vater säuft wie ein Loch
So
Q: wahrscheinlich C: Karl ist ein Säufer
Since Unless W: Der R: Er hat sich einer Apfel Entwöhnungskur fällt nicht unterzogen weit vom Stamm
On account of B: In Karls sozialem Umfeld neigt man zu starkem Alkoholkonsum Abb. 14.2.
Abb. 14.2. zeigt noch einmal, dass innerhalb eines komplexen Arguments Phraseme unterschiedlicher Art in unterschiedlicher Funktion vorkommen können: ein phraseologischer Vergleich als Datum, ein Sprichwort als Allgemeine Aussage, ein phraseologischer Term – soziales Umfeld – innerhalb der stützenden Aussage, eine Kollokation – sich einer Kur unterziehen – innerhalb der Ausnahmebedingung.
2.3. Phraseme als sprachliche Realisierungen von Topoi Die Topik ist ein heuristisches Verfahren zum Auffinden von Argumenten, die innerhalb eines argumentativen Begründungszusammenhangs eine bestimmte Problemlösung stützen sollen (vgl. Kopperschmidt 1976). Topoi sind dementsprechend “Arsenale argumentativer Mittel, aus denen der Argumentierende die für seine Zwecke jeweils passenden hervorholt” (Ottmers 1996, 87). Topoi kommen in der Regel innerhalb von Enthymemen vor, weshalb sie bereits von Aristoteles im Zusammenhang mit den Enthymemen thematisiert werden. Von den formalen Topoi sind die inhaltlichen Topoi zu unterscheiden. Unter die letztgenannten fallen z.B. stereotypische Zuschreibungen von Prädikaten zu bestimmten Personengruppen wie etwa der ordnungsliebende Deutsche, der schusselige Professor oder der faule Student, aber auch thematische
Gemeinplätze wie z.B. der locus amoenus (vgl. Wirrer 1999, 426). Dass inhaltliche Topoi bereits aufgrund ihrer relativen Festigkeit und ihrer Tendenz zur Lexikalisierung zumindest peripher zu den Phrasemen zu zählen sind, ist nicht weniger evident als der Befund, dass in argumentativen Kontexten von Inhaltstopoi häufig gebraucht gemacht wird etwa nach dem Muster: (11) Karl ist fauler Student. Er ist schon im 14. Semester.
Die Topik im engeren Sinne, so wie sie sich aus der antiken Rhetorik herleitet (vgl. Aristoteles 1952, bes. Bücher I und II, Aristoteles 1989), umfasst allerdings nur die formalen Topoi. Darunter sind – kontextabstrakte, d.h. inhaltlich noch freie – universelle Strukturmuster von Argumenten oder von komplexen Schlussfiguren zu verstehen (vgl. Kindt 1999, 26; Tappe 2001, 25). Zu den klassischen formalen Topoi, so wie sie sich bereits etwa bei Aristoteles und bei Quintilian finden, zählen z.B. der Ursachentopos, der Konsequenztopos, der Autoritätstopos, der Definitionstopos und der Topos des Mehr und Minder. Bei den formalen Topoi sind die Schlusstopoi von den Aspekttopoi zu unterscheiden. Schlußtopoi bilden die Organisationsform für die Anwendung einer Schlußregel. […] Aspekttopoi liefern demgegenüber jeweils nur einen Anhaltspunkt für die Suche nach Argumenten oder für die Prüfung eines Argumentationsschritts (Kindt 1992, 105–106).
Zu den Topoi, die als Schlusstopoi begegnen, gehört z.B. der Topos des Mehr und Minder. Ein klassisches Beispiel findet sich in der Rhetorik des Aristoteles: (12) Wenn sogar die Götter nicht alles wissen, um wie viel weniger die Menschen (Aristoteles 1989, 146).
Diesem Beispiel liegt eine zweiskalige Struktur zugrunde, die typisch für diesen Schlusstopos ist: die eine Skala erstreckt sich zwischen den Extrempunkten Wissen und NichtWissen, die andere zwischen den Göttern als den am höchsten stehenden Wesen und den Menschen als im Vergleich zu den Göttern niedrigstehenden Wesen. Zwischen den Werten beider Skalen besteht eine positive Korrelation, d.h. je höher die Stellung desto größer das Wissen. Daraus ergibt sich folgende, in dem Enthymem nicht ausformulierte Konklusion: (12a) Die Menschen wissen nicht alles.
181
14. Phraseme in der Argumentation
Demgegenüber sind z.B. der Topos der Zeit, der Topos der Art und Weise, der Topos des Ortes und der Topos des Mittels (vgl. Quintilianus 1972/1975 V, X, 94) Aspekttopoi. Diese finden z.B. bei der Aufdeckung von Kriminalfällen, so wie sie z.B. in Kriminalromanen dargestellt werden, ihre Anwendung. Als der bekannteste und wichtigste Aspekttopos ist in diesem Zusammenhang das Alibi, also der tatsächliche oder vermeintliche, nicht mit dem Ort des Verbrechens übereinstimmende, zeitlich aber parallele Aufenthalt verdächtiger Personen, zu nennen, wobei der Syllogismus durch Auslassung der Konklusion meist zu einem Enthymem verkürzt wird: (13) Das Verbrechen wurde am Ort L1 innerhalb des Zeitraumes zwischen T1 und T2 begangen. X befand sich innerhalb des Zeitraumes zwischen T1 und T2 am Ort L2. X kann das Verbrechen nicht begangen haben
Es ist deutlich, dass die Ortsangaben L1 und L2 sowie die Zeitangaben T1 und T2 lediglich wichtige Aspekte dieses Schlusses, nicht jedoch den Schluss in seiner Gesamtheit darstellen. Schließlich gibt es Topoi, die sowohl in Form eines Schlusstopos als auch als Aspekttopos vorkommen können. Zu diesen gehört z.B. auch der oben erwähnte Topos des Mehr und Minder. Dieser fungiert als Aspekttopos, wenn ihm, wie in (14), – im Gegensatz zu seinem Auftreten als Schlusstopos – nur eine einzige Skala zugrunde liegt: (14) Um die Binnennachfrage zu stärken, muss die Bevölkerung in die Lage versetzt werden, mehr zu konsumieren als im vergangenen Jahr.
(14) kann darüber hinaus auch als Beispiel für den nicht seltenen Fall gelten, dass ein Topos einen anderen inkludiert, also hier der Topos des Mittels – muss […] Jahr – den Topos des Mehr und Minder. Die Relevanz dieser Überlegungen für die Phraseologie ergibt sich daraus, dass eine Affinität zwischen bestimmten Topoi einerseits und bestimmten Phraseologismen andererseits besteht oder m.a.W.: außer mit freien Verbindungen werden die durch die formalen Topoi vorgegebenen Strukturmuster überzu-
fällig häufig vermittels bestimmter Phraseme sprachlich realisiert. Dies gilt z.B. für die Maxime Wer A sagt, muss auch B sagen, die in aller Regel als sprachliche Realisierung des Konsequenztopos auftritt. Entsprechend heißt es in einem politischen Kommentar: (15) Wer A sagt, muss auch B sagen[…]. [Als, J. W.] […] die EU-Finanzminister das Defizitverfahren gegen Deutschland und Frankreich auf Eis gelegt […] [hatten, J.W.], rügte der Währungskommissar […] [dieses Vorgehen, J. W.]. Er werde sich weitere rechtliche Schritte vorbehalten […] Wenn Solbes also nicht seinen […] Ruf als “Hüter” über die europäischen Pakt-Bestimmungen verlieren will, müsste er handeln und [gegen den EU-Ministerrat, J.W.] klagen. (Frankfurter Rundschau 08.01.2004)
Worin hier die Konsequenz besteht, ist klar. Solbes hat einmal in der Angelegenheit gehandelt, wenn er nicht ein zweites mal handelt, dann verliert er seinen guten Ruf. Das einleitende Phrasem fungiert hier als Aspekttopos. Generell lässt sich feststellen, dass zwischen den in der folgenden Tabelle aufgeführten Topoi und Phrasemen eine mehr oder minder starke Affinität besteht. Dazu einige wenige Beispiele (vgl. Wirrer 1999): Tab 14.1 Ursache
TOPOI
Mehr und Minder (Schlusstopos) Mehr und Minder (Aspekttopos)
Induktion
PHRASEME – Übung macht den Meister – Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm – Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr – Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr – den Teufel mit Belzebub austreiben – Mehr Demokratie wagen! – Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr – vom Regen in die Traufe kommen – das kleinere Übel – Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht
182 TOPOI Reziprozität
IV.
Pragmatik – Stilistik – Rhetorik der Phraseme/Pragmatic, stylistic, and rhetorical issues
PHRASEME – Einer für alle, alle für einen Konsequenz – Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben – das Kind mit dem Bade ausschütten – den Teufel mit Belzebub austreiben – Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr – Wo gehobelt wird, da fallen Späne – Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht Inkonsistenz/ – Die Kleinen henkt Widerspruch man [meist fälschlicherweise hängt] man, die Großen lässt man laufen Potentialität – Morgenstund hat Gold im Mund – Frisch gewagt, ist halb gewonnen Ähnlichkeit – wie ein Elefant im Porzellanladen – wie ein geölter Blitz – Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm – vom Regen in die Traufe kommen Bedeutung des Namens – Nomen est omen Stabilität – Wer schreibt, der bleibt – neuen Wein in alte Schläuche füllen Evidenz – klar wie Kloßbrühe Zeit – Kommt Zeit, kommt Rat – etwas auf Eis legen – Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr Mittel – den Teufel mit Belzebub austreiben – Mit Speck fängt man Mäuse Autorität der Person/ – Omnia vincit amor Autorität der Quelle (Vergil: Eclogen) (positiv) – Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben (M. Gorbatschow zugeschrieben)
TOPOI
Autorität der Person (negativ)
PHRASEME – Der Ball ist rund (Sepp Herberger) – Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube (Goethe: Faust I) – Suchet, so werdet ihr finden (Matthäus 7,7) – Zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl, flink wie die Windhunde (Hitler)
Diese Zuordnungen beruhen einstweilen auf reinen Plausibilitätskriterien. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich erst aus der Anwendung ergibt, welches Phrasem welchen Topos repräsentiert, was in der Tabelle dadurch Berücksichtigung findet, dass einige Phraseme mehrfach zugeordnet sind wie z.B. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Allerdings sind der Variabilität Grenzen gesetzt. So dürfte das Kind mit dem Bade ausschütten zur sprachlichen Realisierung des Topos der Zeit ebenso ungeeignet sein wie Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben zur Realisierung des Topos der Ähnlichkeit. Inwieweit die Mehrfachzuordnungen gerechtfertigt sind und demzufolge als Beispiele für die angesprochene Variabilität gelten können, soll anhand dreier Beispiele diskutiert werden. Das erste Beispiel betrifft das Sprichwortes Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Die prototypische Anwendung dieses Phrasems ist bekanntlich die pädagogische (Paschen 1988). Dabei geht es darum, dass dem Angesprochenen die Konsequenz verdeutlicht wird, die daraus entsteht/entstehen kann, wenn jemand etwas in jungen Jahren nicht lernt, also etwa in folgendem Sinne: (16) Wenn du jetzt, solange du jung bist, kein Französisch lernst, wirst du es später, wenn du erwachsen bist, erst recht nicht lernen (weil du dann keine Zeit mehr dazu hast, weil die Lernfähigkeit mit dem Alter generell nachlässt, u. ä.m.). Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.
Hier steht eindeutig der Topos der Konsequenz im Vordergrund. Es sind allerdings noch andere Topoi involviert. Dies betrifft den Topos der Zeit, den Topos der Ursache, den Topos des Mehr und Minder als Aspekttopos und den Topos der Potentialität, der häufig implizit mit dem Konsequenztopos
14. Phraseme in der Argumentation
verbunden ist. Der Topos der Zeit wird durch die Behauptung realisiert, der zufolge die Gelegenheit zum Erlernen des Französischen nur zum Zeitpunkt der Äußerung bzw. der unmittelbaren Zeitspanne danach gegeben ist, der Topos der Ursache wird implizit aufgerufen durch die in Klammern gesetzten Begründungen, die nach der von Paschen 1988 vorgeschlagenen Kategorisierung unter die sog. Eignungsargumente fallen, der Topos des Mehr und Minder wird aktualisiert durch den Gegensatz von viel Zeit vs. wenig oder keine Zeit bzw. hohe Lernfähigkeit vs. verminderte Lernfähigkeit und schließlich der der Potentialität durch die Aussicht Französisch zu erlernen bzw. nicht zu erlernen. (17) Karl hat trotz seines hohen Alters einen Französischkurs für Anfänger besucht. Er hat aufgegeben und ist gescheitert. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.
Hier steht eindeutig der Topos der Ursache im Vordergrund: dass Karl mit seinem Bemühen, Französisch zu erlernen, gescheitert ist, liegt daran, dass mit dem Alter die Lernfähigkeit nachlässt. Dass auch hier der Topos der Zeit und der Topos des Mehr und Minder involviert sind, bedarf aufgrund des Kommentars zu (16) keiner weiteren Erläuterung. Nicht weniger deutlich ist, dass der Topos der Potentialität in (17) keine Rolle spielt, weil das Sprichwort hier zur Erklärung eines bereits vorliegenden Sachverhalts herangezogen wird. Das zweite Beispiel betrifft das Sprichwort Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht. Dass hier zunächst – und zwar bei jeder Anwendung – der Topos der Induktion aufgerufen wird, ergibt sich aus der internen logischen Struktur des Sprichwortes, in welchem ein einmal vorgekommenes Ereignis generalisiert wird. Zugleich wird aber auch, indem auf die Folgen dieser Generalisierung angesprochen wird, der Konsequenztopos realisiert, was im folgenden Beispiel verdeutlicht wird: (18) Wenn du jetzt nicht die Wahrheit sagst und wenn es rauskommt, dass du gelogen hast, dann wird man dir nie wieder glauben. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht.
Das dritte Beispiel schließlich betrifft das Phrasem den Teufel mit Belzebub austreiben. (19) Wer glaubt, man könne die Inflation bekämpfen, indem man die Arbeitslosigkeit in Kauf nimmt, der versucht, den Teufel mit Belzebub auszutreiben. (Duden 11 1992, 720)
183
Hier sind drei Topoi involviert. Zwei Topoi ergeben sich aus der phraseologischen Bedeutung des Phrasems: der Topos des Mittels und der des Mehr und Minder, sofern man das Phrasem in dem Sinne versteht, dass ein schlimmes Übel durch ein noch schlimmeres beseitigt wird. Des weiteren – und dies vor allem – wird in (19) der Topos der Konsequenz impliziert, wobei die Konsequenz z.B. darin bestehen könnte, dass die Arbeitslosigkeit zu sozialen Unruhen führt. Aus diesen Beispielen ergibt sich neben einem praktischen Problem ein weiterer theoretischer Gesichtspunktpunkt. Das praktische Problem leitet sich daraus ab, dass mit der argumentativen Anwendung eines Phrasems oft, wenn nicht zumeist, mehrere Topoi aktualisiert werden. Dies dürfte, sofern Vollständigkeit angestrebt wird, zumeist zu sehr aufwendigen Argumentationsanalysen und zu entsprechend überkomplexen und nicht immer leicht nachvollziehbaren Darstellungen führen. In der Regel sollte es daher ausreichen, sich auf den dominierenden Topos, d.h. auf den vom Sprecher zuvörderst intendierten, zu beschränken. Im Falle von (19) ist dies z.B. der Konsequenztopos, der Bezug auf die beiden anderen Topoi ist dagegen selbstevident und bedarf keiner weiteren Erwähnung. Der theoretische Gesichtspunkt ist folgender: Zur sprachlichen Realisierung welcher Topoi bestimmte Phraseme herangezogen werden und welche Topoi jeweils dominieren, hängt nicht zuletzt von den sprachlichen Handlungen ab, in welche sie eingebettet sind. Dies lässt sich leicht an (16) und (17) zeigen. In (16) dient das Phrasem zur sprachlichen Realisierung einer Ermahnung oder ggf. auch einer Drohung, in (17) dagegen zur Versprachlichung einer Erklärung. 2.4. Mikroformeln und ihr argumentativer Status Bei der rhetorischen Analyse argumentativer Texte bzw. von Texten mit einem hohen argumentativen Anteil kommt eine neue Klasse von Phrasemen in den Blick, die in der Phraseologie erst in jüngster Zeit in die Diskussion geraten sind, sich in die bislang vorgeschlagenen Klassifikationen (z.B. Burger/Buhofer/Sialm 1982, Wirrer 2002, Burger 2003) nur schwerlich einfügen und im Vergleich zu den klassischen Phrasemen eine Randklasse darstellen. In der Forschungsliteratur werden sie bisher unter dem Term Mikroformel zusammengefasst. Darunter ist eine spezielle
184
IV.
Pragmatik – Stilistik – Rhetorik der Phraseme/Pragmatic, stylistic, and rhetorical issues
Klasse von pragmatischen, nicht-idiomatischen Phrasemen und solchen Phrasemen semantisch äquivalente Ausdrücke zu verstehen, die sich durch usualisierten Gebrauch, Gebrauchsfrequenz und eine spezifische Funktionalisierung innerhalb von Argumentationen auszeichnen (vgl. Tappe 2002a, 380). Die folgende Tabelle führt einige Mikroformeln in wenigen exemplarischen Versionen beispielhaft auf, ordnet sie jeweils bestimmten syntaktisch orientierten Kategorien zu und listet auf, welche argumentative Funktion sie typischerweise erfüllen:
Tab 14.2. Mikroformel Es geht um X/Es geht darum, dass X X zeichnet sich ab/Es zeichnet sich ab, dass X Das heißt X/Das heißt, dass X Es bleibt bei X/Es bleibt dabei: S Eines ist klar: S X muss klar sein/Es muss klar sein, dass X Das Gleiche/Gleiches gilt für X X sei dahingestellt/S, sei dahingestellt/Es sei dahingestellt, dass X wie es aussieht /scheint genauso wenig wie X/genauso wenig, wie S im Klartext mehr denn je nach wie vor anders als bisher vor allem nicht zuletzt mit allen Mitteln (ganz, völlig) zu Recht X billigend in Kauf nehmen/ billigend in Kauf nehmen, dass X
Wie bei Phrasemen generell lassen sich auch unter den Mikroformeln satzwertige und satzgliedwertige unterscheiden. Die erstgenannten enthalten im Gegensatz zu anderen satzwertigen Phrasemen wie z.B. Sprichwörtern durchweg Leerstellen, sind also semantisch ungesättigt und können daher nicht als Minitexte, d.h. als vollständige Äußerungseinheiten, fungieren. Dabei sind satzwertige und satzgliedwertige Mikroformeln in einigen Fällen semantisch äquivalent, wie etwa das Beispiel X sei dahingestellt/S, sei dahingestellt/Es sei dahingestellt, dass X zeigt. Die satzgliedwertige Version – X sei dahingestellt – enthält eine durch ein Subjekt zu füllende Leerstelle, welche durch eine Nominalphrase, aber auch durch einen subordinierten Subjektsatz gefüllt werden kann, in der satzwertigen
syntaktisch orientierte Kategorie Hauptsatz/Hauptsatz + Objektsatz Verbalphrase/Hauptsatz + Subjektsatz
argumentative Funktion Relevanztopos
Potenzialitätstopos, Konsequenztopos Definitionstopos, ParaphrasenmarHauptsatz/Hauptsatz + Subjektsatz kierung, Folgerungssignal Hauptsatz/Hauptsatz + Hauptsatz Stabilitätstopos Hauptsatz + Hauptsatz Evidenztopos Verbalphrase/Hauptsatz + SubjektEvidenztopos satz Hauptsatz Ähnlichkeitstopos Verbalphrase/Subjektsatz + VerbalRückstufung der Relevanz phrase/Hauptsatz + Subjektsatz Nebensatz Evidenztopos (eingeschränkt) Adverbialphrase/Adverbialphrase Ähnlichkeitstopos, Relevanztopos + Adverbialsatz Reformulierungssignal, RelevanztoAdverbialphrase pos Topos des Mehr und Minder, ReleAdverbialphrase vanztopos Adverbialphrase Stabilitätstopos Topos des Unterschieds, Topos der Adverbialphrase Zeit Adverbialphrase Relevanztopos Relevanztopos, Topos des Mehr und Adverbialphrase Minder Adverbialphrase Topos des Mittels (zum Zweck) Autoritätstopos (aus der Gültigkeit Adverbialphrase des Wertes) Verbalphrase/-Verbalphrase + Ob- juristische Formel den Vorsatz bejektsatz treffend
14. Phraseme in der Argumentation
Version – Es sei dahingestellt, dass X – ist die entsprechende Stelle mit der Proform es belegt, die in diesem Beispiel als Korrelat zu dem nachfolgenden Komplementsatz, hier einem Subjektsatz, fungiert. Dabei ist zu berücksichtigen, dass lediglich die satzwertigen Versionen als relativ feste polylexikalische Ausdrücke und damit als Phraseme gelten können, obgleich auch dies wegen des unsicheren semantischen Status der Komplementsatz-Korrelate umstritten sein dürfte, nicht jedoch einige der satzgliedwertigen wie z.B. X zeichnet sich ab, welche lediglich wegen ihrer semantischen Äquivalenz mit den entsprechenden satzwertigen Mikroformeln in Tab. 14.2. mit aufgenommen wurden. Eine Durchsicht von Texten mit einem hohen argumentativen Anteil wie z.B. Zeitungskommentaren und Parlamentsdebatten zeigt, dass zahlreiche Mikroformeln – dies gilt sowohl für satzwertige als auch satzgliedwertige Mikroformeln – mehr oder weniger stark variiert werden und demzufolge eine relativ geringe Festigkeit aufweisen. Dies mögen auch einige der folgenden an Tab. 14.2. orientierten Beispiele zeigen, die Protokollen von Parlamentsdebatten entnommen wurden und einige der dort verzeichneten Funktionszuordnungen empirisch stützen sollen: (18) Worum ging es und worum geht es immer noch? Es geht um den Umbau der sozialen Sicherungssysteme dergestalt, dass sie auch in Zukunft … funktionieren können. (Deutscher Bundestag, Plenarsitzung vom 19.12. 2003)
In (18) wird durch die Mikroformel der Relevanztopos aufgerufen und vermittels der einleitenden rhetorischen Frage, wo die Formel geringfügig variiert wird, zusätzlich verstärkt. Ein weiteres, bei dieser Mikroformel häufig angewandtes Mittel der Verstärkung besteht darin, zunächst per Negation den Topos des Gegensatzes aufzurufen, um hernach die besondere Relevanz des Sachverhaltes zu betonen: (19) Es geht nicht darum, immer nur zu fragen, was nicht geht. Es geht vielmehr darum, zu fragen, was jede und jeder Einzelne von uns dazu beitragen kann, dass es geht. (Deutscher Bundestag, Plenarsitzung vom 19.12. 2003)
Nicht selten werden, soweit syntaktisch und semantisch zulässig, Mikroformeln zur Verstärkung eines Topos miteinander kombiniert: (20) Es geht uns vor allem auch darum, den Familien zu helfen, Eigenheime bauen zu können oder Eigentumswohnungen bauen zu können.
185 (Deutscher Bundestag, Plenarsitzung vom 29.10.2002)
Eine bemerkenswerte Mikroformel, welche sich in das Funktionsgefüge der formalen Topoi nicht leicht einfügt, liegt mit sei dahingestellt vor. Alle bisherigen Fundstellen sprechen dafür, dass sie eng an den Relevanztopos gekoppelt ist und diesen gewissermaßen zurückstuft: (21) Das Thema [die Einrichtung von Online-Beratungsstellen, J.W.] ist noch lange nicht abgearbeitet. Ob das nun durch einen parlamentarischen Antrag passieren muss, sei dahingestellt …. Einiges ist bereits seit Anfang 2003 in die Wege geleitet. Wünschenswertes ist aufgrund technischer und sonstiger Gründe nicht oder noch nicht realisierbar. (Landtag Nordrhein-Westfalen, Plenarsitzung vom 12.12. 2003)
Die Mikroformel mehr denn je dient der sprachlichen Realisierung des Topos des Mehr und Minder, weist aber zugleich häufig auf die Relevanz eines angesprochenen Gegenstandes hin: (22) Die Attraktivität eines Standortes ist mehr denn je von einer modernen und leistungsfähigen Verwaltung abhängig. Die Modernisierung der Verwaltungsstrukturen und des öffentlichen Dienstes sowie die kritische Überprüfung staatlicher Aufgaben und Normen haben für uns als Landesregierung deshalb oberste Priorität. (Landtag Nordrhein-Westfalen, Plenarsitzung vom 21.11.2003)
Wie in Tab. 14.2. umrissen, kann die Mikroformel das heißt – je nach Kontext – recht unterschiedliche argumentative Funktionen erfüllen. In (23) dient sie zur Markierung des Definitionstopos, in (24) fungiert sie als Paraphrasenmarkierung, in (25) als Folgerungssignal: (23) Ich werde Ihnen ganz kurz erläutern, was die PDS auf dem Gebiet der Rente vorschlägt. Wir wollen eine Erwerbstätigenversicherung, das heißt eine Rente von allen für alle … Beamte, Freiberufler und Selbständige sollen in die Rentenversicherung einzahlen. Damit wird die solidarische Basis für die Rentenversicherung erweitert. (Deutscher Bundestag, Plenarsitzung vom 12.12.2003) (24) Wir lassen unsere Hochschulen nicht hängen. Trotz der schwierigen Haushaltslage stehen wir zum Qualitätspakt, das heißt, die Hochschulen haben Planungssicherheit und werden zum Teil von den Sparmaßnahmen ausgenommen. (Landtag Nordrhein-Westfalen, Plenarsitzung vom 28.01.2004) (25) Lebensqualität umfasst die ganze Vielfalt des Lebens der Menschen in unserem Land, hat
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IV.
Pragmatik – Stilistik – Rhetorik der Phraseme/Pragmatic, stylistic, and rhetorical issues
also sehr viel mit Freiheit zu tun, und zwar Freiheit von Angst und Not. Das heißt aber auch Freiheit zur Verwirklichung ganz persönlicher Lebensentwürfe. (Deutscher Bundestag, Plenarsitzung vom 29.10.2002)
In (23) wird der Begriff Erwerbstätigenversicherung neu eingeführt und definiert, in (24) wird ein bereits bekannter Begriff, nämlich Qualitätspakt, in seinen wichtigsten Zügen paraphrasiert, wobei allerdings festzustellen bleibt, dass es – soweit es das alltägliche Argumentieren betrifft – zwischen Definition und Paraphrase keine scharf zu ziehende Grenze gibt. Demgegenüber wird in (25) eine alltagstheoretische Folgerung gezogen, die sich lediglich bei Hinzuziehung nicht explizierter Prämissen ergibt. (26) Es bleibt also bei der bisherigen Zuordnung der Gemeinde Rüthen. Das entspricht dem Gedanken der Wahlkreiskontinuität, der auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ein legitimes Kriterium bei der Wahlkreiseinteilung sein kann. (Landtag Nordrhein-Westfalen, Plenarsitzung vom 28.01.2004)
Nordrhein-Westfalen, 12.12.2003)
Plenarsitzung
vom
Die letzten hier aufzuführenden Beispiele dienen als Beleg für die sprachliche Realisierung des Ähnlichkeitstopos vermittels zweier Mikroformeln: (30) [Diese Besteuerung, J.W.] mag fiskalisch … in Ordnung sein, [sie, J.W.] ist aber betriebswirtschaftlich und volkswirtschaftlich falsch. Dennoch haben wir diese Regelung im Interesse des Gesamtkompromisses in Kauf genommen. Das Gleiche gilt auch für die Gesellschafterfremdfinanzierung. (Deutscher Bundestag, Plenarsitzung vom 19.12. 2003) (31) Genauso wenig, wie der Zugang zu erstklassigen Bildungsangeboten vom Geldbeutel der Eltern abhängen darf, dürfen “Bildungschancen” vom Wohnort bestimmt sein. (Deutscher Bundestag, Plenarsitzung vom 29.10.2002)
Dabei ist hinsichtlich (31) hinzuzufügen, dass hier zusammen mit dem Ähnlichkeitstopos der Relevanztopos sprachlich realisiert wird.
3.
Literatur (in Auswahl)
Dass in (26) vermittels des Stabilitätstopos argumentiert wird und die Mikroformel die sprachliche Ausgestaltung desselben einleitet, ist leicht daran erkennbar, dass mit der Erwähnung des Begriffes Kontinuität Stabilität expressis verbis thematisiert wird. Sehr viel häufiger wird der Stabilitätstopos allerdings durch die Mikroformel nach wie vor sprachlich realisiert:
3.1. Literatur
(27) Dieses Land hat nach wie vor eine gigantische Selbständigkeitslücke, die längst zur Haushaltslücke geworden ist, weil der Mittelstand in der Vergangenheit systematisch vernachlässigt wurde und immer noch vernachlässigt wird …(Landtag Nordrhein-Westfalen, Plenarsitzung vom 29.01.2004)
Burger, H./Buhofer, A./Ambros, S. (1982): Handbuch der Phraseologie. Berlin.
In (27) wird der Stabilitätstopos allerdings nicht nur durch die Mikroformel sondern auch durch den subordinierten Kausalsatz aufgerufen, womit die Stabilität selbst zu einem Thema dieses Textabschnitts wird. Mithilfe der Mikroformeln eines ist klar bzw. muss klar sein wird in (26) und (27) der Evidenztopos sprachlich realisiert: (28) Eines jedenfalls ist klar: Wir, die CDU-Landtagsfraktion, hätten das anders gemacht. (Landtag Nordrhein-Westfalen, Plenarsitzung vom 28.01.2004) (29) Eines dürfte uns allen klar sein: Der BAT ist in seiner derzeitigen Gestalt nicht für alle Erfordernisse des Lehr- und Wissenschaftsbetriebes einer Hochschule geeignet. (Landtag
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187
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3.2. Belegquellen Duden 11 (1992): Redewendungen und sprichwörtliche Redensarten. Wörterbuch der deutschen Idiomatik. Mannheim. Frankfurter Rundschau 08.01.2004 Neue Westfälische, 02.01.2004 Neue Westfälische, 03./04.01.2004 Deutscher Bundestag, Plenarsitzung vom 29.10.2002. www.bundestag.de/plenargeschehen/ pp/2002/ (letzter Besuch 07.02.2004) Deutscher Bundestag, Plenarsitzung vom 12.12. 2003 www.bundestag.de/plenargeschehen/pp/83/ (letzter Besuch 14.02.2004) Deutscher Bundestag, Plenarsitzung vom 19.12. 2003 www.bundestag.de/plenargeschehen/pp/84/ (letzter Besuch 07.02.2004) Landtag Nordrhein-Westfalen, Plenarsitzung vom 21.11.2003 www.landtag.nrw.de/WWW/Webmaster/GB_I/I.4/Dokumentationsarchiv/ (letzter Besuch 09.02.2004) Landtag Nordrhein-Westfalen, Plenarsitzung vom 12.12.2003 www.landtag.nrw.de/WWW/Webmaster/GB_I/I.4/Dokumentationsarchiv/ (letzter Besuch 09.02.2004) Landtag Nordrhein-Westfalen, Plenarsitzung vom 28.01.2004 www.landtag.nrw.de/WWW/Webmaster/GB_I/I.4/Dokumentationsarchiv/ (letzter Besuch 09.02.2004) Landtag Nordrhein-Westfalen, Plenarsitzung vom 29.01.2004 www.landtag.nrw.de/WWW/Webmaster/GB_I/I.4/Dokumentationsarchiv/ (letzter Besuch 11.02.2004)
Jan Wirrer, Bielefeld (Deutschland)
V. Semiotische Aspekte der Phraseme/Semiotic aspects of set phrases 15. Semiotik und Phraseologie 1. 2. 3.
‘Semiotik’ und ‘Phraseologie’ Semiotik und semiotische Dimensionen der Phraseologie Literatur (in Auswahl)
1. ‘Semiotik’ und ‘Phraseologie’ Geht man in einer ersten Annäherung davon aus, dass die Semiotik der Phraseologie die Zeichenhaftigkeit phraseologischer Objekte zu ihrem Gegenstand hat, so ist dabei zu beachten, dass in bestimmter Hinsicht für die Semiotik dasselbe gilt wie für die Phraseologie: Es wird nämlich mitunter der Begriff der ‘Semiotik’ ebenso wie derjenige der ‘Phraseologie’ nicht nur zur Bezeichnung einer spezifischen wissenschaftlichen (in diesem Fall: zeichentheoretischen) Herangehensweise an ein bestimmtes Objekt verwendet, sondern ebenso zur Bezeichnung der Gesamtheit des in Frage stehenden Objektbereichs. Insofern gilt es eingangs zu betonen, dass im hier vorliegenden Kontext ‘Semiotik’ in erster Linie als eine spezifische Wissenschaftsdisziplin verstanden wird, die es einleitend zu beschreiben gilt. ‘Phraseologie’ hingegen wird terminologisch und konzeptuell der Phraseologieforschung gegenübergestellt und als ein spezifischer Gegenstandsbereich verstanden, welcher der Erforschung durch verschiedene Wissenschaftsdisziplinen offen steht. Es ist hier nicht der Ort, eine detaillierte Diskussion des phraseologischen Objektbereichs zu führen. Eine zumindest tentative Definition lässt sich allerdings festhalten, wenn man allgemein davon ausgeht, dass die Phraseologieforschung die festen Wortverbindungen einer Sprache zu ihrem Gegenstand hat. Diese heutzutage geteilte Auffassung ist etwas weiter gefasst als der noch von Burger (1982, 1) konstatierte Konsens im Hinblick auf Eingrenzung und Charakterisierung der Phraseologie. Demnach könnte eine Verbindung von zwei oder mehr Wörtern nämlich nur dann als phraseologisch angesehen werden, wenn (a) die Wörter eine durch die syntaktischen und semantischen Regularitäten der Verknüpfung nicht voll erklärbare Einheit
bilden, und wenn (b) diese Wortverbindung in der betreffenden Sprachgemeinschaft gebräuchlich ist. Hierbei gilt, dass das Verhältnis von (a) und (b) einseitig ist, insofern nicht jede gebräuchliche Wortverbindung phraseologischer Natur ist. Insofern sich also die im oben definierten Sinne verstandene Phraseologieforschung nicht als spezifische Wissenschaftsdisziplin oder etwa durch eine spezifische Methodologie definiert, sondern vielmehr durch ihren Gegenstandsbereich, kann eine Semiotik der Phraseologie zur Beschreibung des Objektbereichs sowie der ihn darstellenden Konstituenten (der phraseologischen Einheiten) beitragen. Dennoch aber gibt es außer der sich im Besonderen als “Theorie fester Wortverbindungen im Russischen” verstehenden Arbeit Semiotik und Phraseologie von Sialm (1987) kaum umfassende Darstellungen zu einer semiotischen Fundierung der Phraseologie. Gemäß Sialms (1987, 46) Auffassung sind Phraseologismen “Zeichenkomplexe, denen man die Merkmale ‘fest’, ‘reproduzierbar’, und ‘idiomatisch’ zuschreiben kann”. Sialm (1987, 44–45) zufolge sei die Tatsache, dass eine phraseologische Verbindung “qualitativ und quantitativ keine von anderen sprachlichen Lautketten verschiedenen Merkmale” aufweise, Ursache dafür, dass die Phraseologieforschung versucht sei, das phraseologische Problem als rein semantisches Problem zu behandeln; hierbei bleibe in den meisten Fällen allerdings der quantitative Aspekt der Analyse von sprachlichen Ausdrücken unberücksichtigt. Da jedoch jede Kombination von sprachlichen Einheiten innerhalb eines bestimmten Erwartungssystems dekodiert werde, seien deshalb Wahrscheinlichkeit und Dekodierung auch in Bezug auf phraseologische Ausdrücke in einen konsistenten Zusammenhang zu bringen. Und eben das sei auf semiotischer Grundlage möglich. Es wird unten auf den hier angesprochenen Aspekt der Quantifizierung noch einzugehen sein. Zuvor aber scheint es sinnvoll, diesen in einem breiteren semiotischen Zusammenhang
189
15. Semiotik und Phraseologie
zu skizzieren, vor dessen Hintergrund sich die phraseologischen Aspekte einordnen lassen.
2.
Semiotik und semiotische Dimensionen der Phraseologie
Gegenstand der Semiotik im allgemeinsten Sinne sind Zeichen bzw. Zeichensysteme, die Prozesse ihrer Generierung, sowie ihre Verwendung im Informationsaustausch. Insofern Semiotik als wissenschaftliche Disziplin einerseits eine Wissenschaft unter anderen ist, andererseits aber auch als ‘Instrument’ für (alle) andere(n) Wissenschaften – die ja ihre jeweiligen Inhalte ebenfalls zeichenhaft erlangen bzw. vermitteln – angesehen werden kann, ist der Semiotik mitunter ein Sonderstatus eingeräumt worden, sei es im Sinne einer Grundlagen-, Integrations- oder gar MetaWissenschaft (vgl. Morris 1938). Dabei ist es seit Morris üblich, Prozesse der Zeichengenerierung auf der Grundlage von drei ins Spiel kommenden Korrelaten zu differenzieren und aus heuristischen Zwecken als zweistellige Relationen zu untersuchen: – die Beziehungen zwischen einem Zeichen (-träger) und dem, was designiert oder denotiert wird (im weitesten Sinne also dem, worauf es referiert), wird als semantische Dimension bezeichnet; entsprechend heißt die Untersuchung dieser Dimension “Semantik” (‘Semantik’ sollte also nicht mit der ‘Bedeutung’ eines Zeichens, sondern vielmehr mit dessen Erforschung gleichgesetzt werden); – die Beziehung zwischen Zeichen(träger) und Interpreten wird als pragmatische Dimension des Zeichenprozesses bezeichnet; die Untersuchung dieser Dimension entsprechend als “Pragmatik”; – die formalen und semiotisch relevanten Relationen der Zeichen zueinander beinhaltet die syntaktische Dimension des Zeichenprozesses, deren Untersuchung als “Syntaktik” bezeichnet wird. Semantik, Pragmatik, und Syntaktik sind demnach als Teildisziplinen der Semiotik als der allgemeinen Wissenschaft von den Zeichen zu verstehen; eine Zeichenanalyse ist insofern nur dann als vollständig anzusehen, wenn alle drei semiotischen Dimensionen im oben definierten Sinne berücksichtigt werden. Ungeachtet der wechselseitigen Abhängigkeit der drei semiotischen Dimensionen von-
einander ist in der konkreten Praxis der Zeichenanalyse – sei es aus heuristischen, wissenschaftshistorischen, wissenschaftsmodischen oder sonstigen Gründen – in der Regel eine der drei Relationen fokussiert, mitunter verabsolutiert worden. Dies gilt auch für den Bereich der Phraseologie, wo Semantik, Pragmatik, und Syntaktik immer wieder als drei verschiedene Basen der Klassifikationsbildung herangezogen wurden. Wissenschaftshistorisch lässt sich dabei in der Phraseologieforschung eine Abfolge in der Akzentuierung jeweils einer der semiotischen Dimensionen feststellen, insofern die früheren Untersuchungen überwiegend semantisch ausgerichtet waren, die erst später von pragmatisch, und in jüngerer Zeit zunehmend auch von syntaktisch ausgerichteten Forschungen gefolgt wurden. 2.1. Semantik Wenn einerseits die Semantik die Lehre von der (Herstellung von) Bedeutung in Zeichenprozessen ist, und wenn andererseits ein Phrasem als ein (komplexes) Zeichen anzusehen ist, hängt die Bedeutungsbeschreibung eines Phrasems in erster Linie von der Art der Bedeutungsbeschreibung von Zeichen (d.h. von der jeweiligen Meta-Sprache) ab. In den meisten, zumal sprachwissenschaftlich basierten Ansätzen, die sich auf die Tradition von Ferdinand de Saussure berufen, wird ein Zeichen (wie etwa auch ein Wort) als eine zweistellige Relation zwischen einer Ausdrucks- und einer Inhaltsseite gesehen (die in den verschiedenen Zeichenkonzeptionen entweder psychisch, materiell oder ideell interpretiert werden kann). Diesem Modell nach stellt die denotative Ebene die Ausgangsbasis eines Zeichenprozesses dar, von der aus Komplikationen in zwei Richtungen möglich sind: einerseits in Richtung eines metasprachlichen, andererseits in Richtung eines konnotativen Zeichenprozesses. Im ersten Fall werden Ausdruck und Inhalt eines denotativ verstandenen Zeichens zusammengefasst und zum Inhalt eines Zeichens auf metasprachlicher Ebene gemacht; im zweiten Fall dienen Ausdruck und Inhalt des denotativ verstandenen Zeichens als Ausdruck einer zusätzlichen, konnotativen Bedeutung. Kompliziert wird dieses Gefüge dadurch, dass sich auch die Bedeutung eines konnotativen Zeichens bzw. Zeichensystems nur meta-sprachlich beschreiben lässt (vgl. Abb. 15.1.).
190
V. Semiotische Aspekte der Phraseme/Semiotic aspects of set phrases
Metasprachliches Zeichen Ausdruck Inhalt Ausdruck Inhalt Zeichen Ausdruck Inhalt Konnotatives Zeichen Abb. 15.1.: Zeichenstruktur: Denotation, Konnotation, Metasprache
Auch wenn R. Barthes, der wesentlich zur Verbreitung dieses Modells beigetragen hat, in seinen späteren Arbeiten (wie 1970 in S/Z) die Denotation nicht an den Anfang, sondern an das Ende der Bedeutungsgenerierung gesetzt und eine Denotation als “letzte der Konnotationen” bezeichnet hatte, muss aus der Sicht einer prozessorientierten Semiotik ein solches Schema ebenso wie aus post-strukturalistischer Perspektive mehrfachen Widerspruch hervorrufen: weil es mit (nur) zwei, nicht mit multiplen Signifikationsniveaus operiert, weil es suggeriert, eine stringente Differenzierung von denotativer und konnotativer Ebene vornehmen zu können, weil es auf diesen Ebenen der Signifikation (Denotation und Konnotation) mit scheinbar festen Zuordnungen zwischen Ausdrucks- und Inhaltsebene operiert, oder weil es den Eindruck einer sukzessiv auf der Denotation aufbauenden Generierung der konnotativen Bedeutung erweckt. Die Notwendigkeit der metasprachlichen Bezugnahme von Zeichen auf Zeichen gilt freilich auch für dreistellige Zeichenkonzeptionen in der Tradition von Charles Sanders Peirce. Vereinfachend gesagt, stellt sich dieser Konzeption nach ein Zeichenprozess als ein Zusammenspiel von einem Zeichenträger (Representamen), einem Objekt und einem interpretierenden Bewusstsein (Interpretant) dar, wobei beim Objekt zu unterscheiden ist zwischen dem ‘unmittelbaren Objekt’, wie es im Zeichen repräsentiert ist, und dem ‘dynamischen Objekt’, welches durch das Zeichen nur indiziert ist, und welches nur durch kollaterale Erfahrung herausgefunden werden kann. Zeichenprozesse werden hier also stets als dynamisch angesehen, insofern Zeichen immer auf andere Zeichen verweisen und so der Prozess der Bedeutungsgenerierung im Prinzip einen infiniten Regress darstellt. In dieser Annahme treffen sich die Peirce’schen Überlegungen mit den gegenwärtigen, praktisch ein Jahrhundert später in Diskussion befindlichen (post-)modernen Ansichten des
Dekonstruktivismus: Aufgehoben wird nicht nur die Annahme einer festen Beziehung zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem; es wird auch die Gegenüberstellung denotativer und konnotativer Bedeutungsstrukturen und die Möglichkeit ihrer strikten Trennung hinfällig – statt dessen ergibt sich ein vielschichtiges, (im Prinzip) unendliches Bedeutungsgefüge ohne konkret fixierbare Bedeutung. Dies wiederum resultiert auch in der Schwierigkeit bzw. Unmöglichkeit, dieses Bedeutungsgefüge zu beschreiben. Im Gegensatz allerdings zum “modernen” Dekonstruktivismus, der diesen infiniten Regress im Prinzip und als Prinzip verabsolutiert, sieht Peirce in pragmatischer bzw. pragmatizistischer Realitätsverbundenheit die Kommunikationsmöglichkeit gewährleistet, und zwar dadurch, dass am Ende der prinzipiell unendlichen Kette von Interpretanten ein finaler logischer Interpretant steht, der den Prozess der potentiell unendlichen Semiose nicht beendet, wohl aber unterbricht. Es ist nach Peirce (CP 8.184) das, was letztendlich als die wahre Interpretation bestimmt würde, wenn die Betrachtung der Angelegenheit so weit vorangetrieben würde, daß eine endgültige Meinung erreicht würde. Es handelt sich in letzter Konsequenz um einen auf der Gewohnheit basierenden interpretativen Konsens, der im Prinzip jedoch nur ein Ideal darstellt und nur in Annäherung (quasi asymptotisch) erreicht werden kann. Einer Phraseologieforschung, die sich um die semantische Klassifikation ihrer Einheiten bemüht, müssen diese theoretischen Erörterungen ebenso fremd sein, wie es die Annahme “invarianter Bedeutungen” für moderne, dekonstruktivistische Positionen ist. Die Peirce’sche Semiotik könnte in diesem Wechselspiel vermutlich eine theoretische Basis bereitstellen, die – in Analogie zur kulturell “etablierten” Beschreibung lexikalischer Bedeutungen – zwischen der Annahme des prinzipiell “infiniten Regresses” und dem innerhalb einer Kultur qua usus habitualisierten Bedeutungskonsens eine vermittelnde Funktion ausüben könnte. Das würde die mit dem Schema der zwischen Denotation und Konnotation unterscheidenden Bedeutungskonzeption von ihren strukturalistischen Restriktionen ebenso wie von ihren Sukzessivität implizierenden Dimensionen befreien, ohne die Möglichkeit zu verschenken, die in einer Kultur usualisierten Bedeutungen (bei all ihrer Unbestimmtheit,
15. Semiotik und Phraseologie
Potentialität und Tentativität) zu beschreiben. Es gälte dann Abschied zu nehmen von der Idee eines ersten und zweiten Signifikationsniveaus; anders gesagt: die Beschreibung kulturell konsensualisierter Sprichwortbedeutungen würde nicht länger als “die” Bedeutung auf “dem” zweiten Signifikationsniveau anzusehen sein, sondern es wäre “eine” von vielen möglichen Bedeutungen im Zuge einer (unendlich) langen Kette von Bedeutungen – allerdings wäre es nicht irgendeine beliebige Bedeutung, sondern eine solche, die innerhalb einer Kultur bei aller Potentialität konsensfähig ist. Wenn die Bedeutung eines Zeichens somit nicht eine Eigenschaft des Zeichens selbst ist, sondern das Ergebnis eines (produktionsoder rezeptionsseitigen) Zeichengenerierungsprozesses, dann hängt damit die Beschreibung von Bedeutung wesentlich von der zu seiner Beschreibung gewählten Metasprache ab. Während sich also für (implizit oder explizit) der Saussure’schen Tradition folgende Zeichenkonzeptionen das praktisch unlösbare Problem einer exakten Bestimmung von denotativer und konnotativer Bedeutungsebene und der Abgrenzung zwischen direkter und indirekter bzw. übertragener (metaphorischer usw.) Rede stellt – zumal die Frage der tatsächlichen Aktualisierung der denotativen Bedeutungsebene bei konnotativen Zeichenprozessen ins Spiel kommt –, erweist sich für Zeichenkonzeptionen entlang der Peirce’schen Linie die Schwierigkeit einer operationalen Bedeutungsbeschreibung darin, dass die Bedeutungsgenerierung ein im Prinzip infiniter Prozess ist. In der Phraseologieforschung sind praktisch ausschließlich zweistellige Zeichenkonzeptionen diskutiert worden. Dabei ist die Frage spezifisch phraseologischer Bedeutungen insbesondere unter dem Stichwort der sprachlichen ‘Motiviertheit’ von Phrasemen diskutiert worden, wobei es um den inneren Aufbau von Phrasemen geht. Die Frage dabei ist, inwieweit die Gesamtbedeutung eines Phrasems aus den Komponentenbedeutungen hervorgeht, d.h. ableitbar bzw. verstehbar ist. Auch wenn die Frage nach der Motiviertheit eine Jahrhunderte alte sprachphilosophische Tradition aufweist, geht die moderne Auffassung von Motiviertheit wesentlich auf die Konzeption de Saussures zurück, für den die Zeichen eines sprachlichen Systems primär arbiträr und damit nicht-motiviert sind. NichtMotiviertheit bedeutet für ihn dabei, dass die
191
Inhaltsseite eines Zeichens in arbiträrem Verhältnis zu seiner Ausdrucksseite steht. Vor dem Hintergrund der strikten Trennung von nicht-motivierten und motivierten Zeichen (wie z.B. Onomatopoetika) akzeptiert er dabei allerdings durchaus auch “relativ motivierte” Zeichen. Bei diesen handelt es sich im Grunde genommen um morphologisch abgeleitete sprachliche Zeichen: Während ’drei’ und ’zehn’ nach Saussure also unmotiviert sind, wäre ’dreizehn’ für ihn relativ motiviert; ebenso wären demnach ‘Tischler’, ‘Dichter’, ‘Schlosser’ u.a. relativ motiviert, im Gegensatz z.B. zu ‘Käfer’ oder ‘Trichter’. Saussure interpretiert Beispiele wie diese im Rahmen seiner Unterscheidung von syntagmatischer Verbundenheit und assoziativer Beziehung; insofern ist auch die Auffassung, dass Motiviertheit um so vollständiger sei, je leichter eine Zerlegung der Einheiten und je deutlicher folglich der Sinn der Untereinheiten sei, nicht unbedingt im Einklang mit dem originalen Gedankengut Saussures. Auch kann man nicht sagen, dass eine Wortbildung dann als motiviert anzusehen ist, wenn sich ihre Gesamtbedeutung aus der Summe der Bedeutungen ihrer einzelnen Elemente ableiten lässt, z.B. ‘Zeitungsleser’, ‘Theateraufführung’, ‘Tischlampe’. Noch weniger aber kann man von der Motiviertheit eines Zeichens durch sein Objekt sprechen – denn genau mit diesem Gedanken wollte Saussure in seiner Semiologie endgültig brechen und an die Stelle der Motivation konsequent die Arbitrarität der Zeichen setzen. Schon vor ihm hatte die moderne Zeichentheorie mit Peirce nach der Bedeutung eines Zeichens aus der Sicht des Zeichenbenutzers (Interpreten) gefragt und damit die Ursachen der Kausalrelation bzw. der Motiviertheit fokussiert. Der Gegenstand erscheint als Resultat einer Analyse des Zeichenprozesses nicht jenseits seiner vielfältigen Verwendungsweisen in unterschiedlichen Bezeichnungsprozessen, sondern nur in Abhängigkeit von diesen. Damit war Peirce im Grunde genommen bereits über strukturalistische Zeichentheorien hinausgegangen, insofern er Bedeutung nicht nur als Wechselspiel von Differenzen auf der Ebene des Zeichensystems zu erklären suchte, sondern auch und gerade den Zeicheninterpreten als konstitutives Element der Bedeutungsgenerierung in Betracht zog. Eine (nicht nur für die Phraseologie) sinnvolle begriffliche Differenzierung ist dabei die Gegenüberstellung der Termini ‘Moti-
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V. Semiotische Aspekte der Phraseme/Semiotic aspects of set phrases
viertheit’ vs. ‘Motivierbarkeit’, da diese terminologische Differenzierung die Frage von der Ebene der Zeichen auf die (metasprachliche) Ebene der Zeichenanalyse und damit der metasprachlichen Kompetenz des Interpreten verlagert. Dennoch geht die vor allem auf die russische Phraseologieforschung in der Tradition von V.V. Vinogradov zurückgehende Motiviertheitsdiskussion nach dem heutigen Stand der Dinge weiterhin davon aus, dass sich die Motiviertheit eines Phrasems durch Bezugnahme auf die das Phrasem konstituierenden Komponenten beschreiben lässt. Demnach können Phraseme (a) unmotiviert, (b) teil-motiviert, (c) motiviert sein, wobei die motivierten ihrerseits entweder (c1) als direkt oder (c2) als metaphorisch motiviert angesehen werden. In dieser Sichtweise lautet die entscheidende Frage, inwiefern die Gesamtbedeutung eines Phrasems als eines komplexen Zeichens auf die (Teil)-Bedeutung(en) der dieses Zeichen konstituierenden Komponenten zurückgeführt werden kann, die innerhalb des betreffenden Sprachsystems auch als einzelne Zeichen funktionieren können oder nicht. Dasselbe gilt deshalb auch für den Begriff der Idiomatizität, wenn dieser verstanden wird als semantische Transformation der ein Phrasem konstituierenden Komponenten. Historisch sind die hier ins Spiel kommenden Überlegungen mit dem auf Gottlob Frege (1848–1925) zurückgehenden und auch später von Logikern wie Donald Davidson behandelten Kompositionalitätsprinzip verbunden. Hiermit gemeint ist ein im Rahmen der Frege’schen Logik und Sprachtheorie entwikkelter Grundsatz, demzufolge sich die Gesamtbedeutung eines Satzes in funktionaler Abhängigkeit von den Bedeutungen seiner wohlgeformten Teile beschreiben lässt. In seiner Schrift Über Sinn und Bedeutung war Frege (1892) davon ausgegangen, dass (innerhalb eines Satzes) die Ersetzung eines Wortes durch ein anderes Wort mit derselben Bedeutung keinen Einfluss auf die Bedeutung des Satzes haben kann. Demnach ist die Bedeutung eines Satzes also invariant gegenüber der Substitution bedeutungsgleicher Ausdrükke, d.h. die Bedeutung eines zusammengesetzten Ausdruckes ist eine Funktion der Bedeutung seiner Teile. Anders gesagt gilt für die semantische Eigenschaft eines Syntagmas, dass sich die Bedeutung des gesamten Ausdrucks systematisch aus der Bedeutung der Komponenten ergibt. So ist ein reicher Passagier ein Passagier, der reich ist, ein blin-
der Passagier aber ist nicht (unbedingt) ein Passagier, der blind ist, sondern in der Regel eher ein Passagier ohne Fahrkarte; d.h. der Ausdruck blinder Passagier ist nicht kompositionell. Da im gegebenen Fall das Nomen Passagier allerdings seine Bedeutung behält, spricht man hier auch von einem semi-kompositionellen Ausdruck. Ein Ausdruck wie rotes Tuch in nicht-wörtlicher Bedeutung hingegen wäre nicht-kompositionell, da in diesem Fall üblicherweise weder ein Tuch, noch ein roter Gegenstand gemeint ist. Die Konzeption des Kompositionalitätsprinzips ist allerdings (nicht nur für die Phraseologieforschung) nicht unproblematisch: Abgesehen davon, dass jedes beliebige Zeichen auf verschiedene Art und Weise prinzipiell übertragen gebraucht werden kann, widerspricht die Annahme einer endosememischen (sich aus der Summe der Einzelbedeutungen ergebenden) und einer exosememischen Variante der Motiviertheit von Phrasemen jeglichem systemtheoretisch reflektierten Ansatz. Die Annahme, dass ein Ganzes mehr ist als die Summe seiner Teile, ist letztendlich seit mehr als 2 500 Jahren (Laotse) bekannt, ein Gemeinplatz der griechischen Philosophie (Aristoteles) und nicht erst durch das gestaltpsychologisch motivierte Ehrenfels-Prinzip der Übersummatitivät bekannt. Demnach kommen auf jeder Integrationsebene eines Systems neue Eigenschaften hinzu, die in den Teilen nicht angelegt sind, wobei gleichzeitig mit jeder Systemebene Eigenschaften fortfallen, die in den Teilen enthalten sind. Das freilich betrifft nicht nur Phraseme, sondern das Zeichensystem der Sprache schlechthin Semiotisch gesehen lässt sich ein Phrasem demnach als Superzeichen ansehen. Mit diesem Begriff, der sich wesentlich der Informationstheorie und Kybernetik der 50er und 60er Jahre verdankt, und vor allem über die Vermittlung von Bense/Walter (1973) Eingang in die Semiotik gefunden hat, ist Folgendes gemeint: “Ein Superzeichen ist eine normierte Zusammensetzung aus mehreren Zeichen, die als Einheit […] zum Zeichenvorrat der Kommunikationspartner gehört” (Moles 1977, 70). Der Bezug zum gestalttheoretischen Konzept der Übersummativität ergibt sich dadurch, dass Superzeichen solche Zeichen sind, die entstehen, wenn eine Menge von (mindestens zwei) einzelnen Zeichen sich zu einer “Gestalt”, einer “Struktur” oder einer “Konfiguration”, also zu einer neuen Einheit,
15. Semiotik und Phraseologie
zusammenschließt. Durch Superisation entstehende Superzeichen stellen in diesem Sinne Zeichen höherer Ordnung dar. Somit lassen sich Superzeichen auch als Informationseinheiten verstehen, welche inhaltlich und formal als Ganzes begriffen werden, obwohl sie aus Teilen bestehen. Jedes Superzeichen hat einen eigenen Informationsgehalt, der von der spezifischen Vorkommenswahrscheinlichkeit der es konstituierenden Elemente (der es bildenden Subzeichen) abhängt. Natürlich ist ein Repertoire an Superzeichen umfangreicher als das ihm zugrunde liegende Zeichenrepertoire. Deshalb ist die Vorkommenswahrscheinlichkeit eines Superzeichens geringer als diejenige der es konstituierenden Zeichen (die in diesem Fall als Subzeichen fungieren) – insofern enthält es also mehr Information. Wird ein Superzeichen also nicht als solches, sondern statt dessen jedes seiner Elemente für sich dekodiert, bedingt das einen höheren Dekodierungsaufwand; der ein Superzeichen somit charakterisierende Überschuss lässt sich als seine spezifische Redundanz verstehen. Im Falle stochastischer Unabhängigkeit der Subzeichen (d.h., wenn das Superzeichen eine Kombination aus voneinander unabhängigen Subzeichen darstellt), ist die Vorkommenswahrscheinlichkeit gleich dem Produkt der nicht bedingten Wahrscheinlichkeiten der Subzeichen, seine Information also ist die Summe der Informationen der Teilzeichen. Vor diesem Hintergrund muss die grundsätzliche Frage nach der Relevanz des Motiviertheitskonzepts als Erschließbarkeit aus den konstituierenden Elementen zumindest für synchrone Betrachtungen in Frage gestellt werden. Damit einher geht dann auch die Frage nach der De-Komponentialisierung in der Aktualgenese, d.h. die Frage, ob die Teil-Bedeutungen im Akt der Bedeutungsgenerierung überhaupt realisiert werden. Hierbei aber verschiebt sich der Akzent eindeutig in Richtung Empirie. Während im anglo-amerikanischen Bereich deshalb die sog. idiom-Forschung konsequenterweise stark im Bereich der Psycholinguistik angesiedelt ist, werden in der europäischen Forschung entsprechende Fragestellungen eher im Rahmen pragmatischer Fragestellungen behandelt. 2.2. Syntaktik Die Dimension der Syntaktik hat die Beziehung von Zeichen zueinander zu ihrem Gegenstand. Syntaktik im semiotischen Sinne ist
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dabei nicht einfach dem sprachlich-grammatischen Bereich der Syntax gleichzusetzen; vielmehr stellt sich dieser linguistische Aspekt als ein Spezialfall der syntaktischen Dimension im semiotischen Sinne dar. Ausgehend von der Annahme, dass jedes Zeichen wenn nicht aktuell, so doch potentiell in Beziehung zu anderen Zeichen steht, geht es im weiteren semiotischen Verständnis von Syntaktik um “die formale Relation der Zeichen zueinander” (Morris 1938, 24), konkret also um die Kombination von Zeichen und ihre konkrete Relation zu anderen sprachlichen (u.a. auch phraseologischen) und nichtsprachlichen Zeichen geht. In den enger definierten Bereich der Syntax im linguistischgrammatischen Sinne hingegen falllen spezielle Fragen wie etwa die nach den syntaktischen Formen von Phrasemen, nach deren syntaktischen Funktionen innerhalb von Sätzen und deren Integration in größere Syntagmen bis zur Ebene ganzer Texte. Es zeichnet sich so im Rahmen einer in weitem semiotischen Sinne verstandenen (natürlich von Semantik und Pragmatik nicht zu trennenden) phraseologischen Syntaktik ein breites Spektrum möglicher Fragestellungen ab, das hier nur exemplarisch veranschaulicht werden kann. 2.2.1. Die grammatisch-syntaktische Analyse der Form und Funktion von Phrasemen zielt auf die (notwendigerweise sprachspezifische) Unterscheidung und Klassifikation verschiedener syntaktischer Phrasemtypen. Mit einer Untersuchung der syntaktischen Strukturen von Phrasemen erhält man somit eine qualitative Typologie von Phrasemen, die ihrerseits als Grundlage für Untersuchungen zur relativen Frequenz der verschiedenen syntaktischen Typen dienen kann. Mit einer solchen qualitativen Typologie wurde mitunter die Hoffnung verbunden, Phraseme automatisch zu identifizieren (vgl. Rothkegel 1973); da sich hierbei allerdings die semantischen Differenzen solcher Phraseostrukturen in der Regel nur unzureichend berücksichtigen lassen, stellt die äußere Struktur eines Phrasems keinen zuverlässigen Hinweis auf die inneren Eigenschaften einer Wortverbindung dar und erlaubt keinen Rückschluss auf deren Phraseologizität (Häusermann 1977, 33). Natürlich hängt eine solche Kategorisierung nicht allein von der jeweils untersuchten Sprache, sondern nicht zuletzt auch von der jeweiligen Grammatiktheorie und damit von der Metasprache ab – dennoch wäre im Hin-
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V. Semiotische Aspekte der Phraseme/Semiotic aspects of set phrases
blick auf die mögliche Satzgliedrolle von Phrasemen in erster Linie wohl zwischen (1) substantivischen, (2) adjektivischen, (3) adverbialen, sowie (4) verbalen Phrasemen zu unterscheiden, was die Existenz weiterer Typen wie z.B. präpositionaler (wie an Hand im Sinne von ‘mit Hilfe’) oder pronominaler (wie dieser und jener im Sinne von ‘einige’) Phraseme mitnichten ausschließt. Allein die genannten vier Haupttypen können unterschiedlichste Formen aufweisen: So weisen substantivische Phraseme wie hohes Tier oder siamesische Zwillinge die Form adjektives Attribut + Substantiv auf, Forelle blau hingegen die Form Substantiv + adjektivisches Attribut; das Ei des Kolumbus hat die Form Substantiv + substantivisches Attribut im Genitiv, des Pudels Kern ist durch ein attributives Substantiv im Genitiv + Substantiv repräsentiert, und während eine Fahrt ins Blaue die Form Substantiv + präpositionales Attribut hat, wird die Stunde Null durch die Form Substantiv + Substantiv repräsentiert. Im diesem Zusammenhang wären in weiterer Folge funktional zu differenzieren: – Phraseme unterhalb der Ebene des Satzgliedes (z.B. konjunktionale, adjektivische, präpositionale; vgl.: fix und fertig); – satzgliedwertige Phraseme (z.B. in der Funktion von Adverb, Subjekt/Objekt, Prädikat ohne Objekt; vgl.: Hinz und Kunz); – Phraseme in der Rolle von zwei oder mehr Satzgliedern, die jedoch keinen vollständigen Satz darstellen (z.B. in der Rolle von Prädikat + Objekt, Prädikat + Adverb; vgl.: jdn. übers Ohr hauen); – Phraseme in der Rolle eines Satzes; z.B. feste Phrasen mit indexikalischem Verweis auf den situativen Kontext (Da liegt der Hund begraben) oder Sprichwörter (Morgenstund hat Gold im Mund). Mitunter ist in der Phraseologieforschung versucht worden, durch Bezugnahme auf syntaktische Kriterien eine spezifische Gruppe von Phrasemen von den übrigen phraseologischen Typen auszugliedern, nämlich die sog. satzwertigen Phraseme. Je nach phraseologischer Konzeption werden diese – einer engeren oder weiteren Auffassung von Phraseologie folgend – unterschiedlich berücksichtigt. Konkret handelt es sich zum einen um syntaktisch satzwertige Phraseme, die durch explizite Indices wie etwa Anaphora auf den Kontext verweisen (“Da liegt der Hund begraben”), zum anderen um in sich geschlos-
sene Mikrotexte, angefangen von Routineformeln, über Gemeinplätze bis hin zu Sprichwörtern u.a.m. Während die Frage einer funktionalen Differenzierung in der hier gestellten Art und Weise eher auf eine typologische Differenzierung ausgerichtet ist, lässt sich auch die Frage nach den (mehr oder weniger fließenden) Übergängen stellen, die weiter unten abzuhandeln sein wird. 2.2.2. Ein wichtiger über die linguistischgrammatische Analyse hinausgehender Aspekt der syntaktischen Dimension der Phraseologie ist die Frage nach dem Kontext, in den Phraseme eingebettet sind. Auch hier gilt es, verschiedene Optionen zu unterscheiden, zu nennen sind vor allem: a)
b)
c)
Die Untersuchung von Phrasemen und ihren Formen, Funktionen, und möglichen Variationen in Abhängigkeit vom jeweiligen sprachlichen Kontext. Die Eingliederung von Phrasemen in einen konkreten sprachlichen Kontext kann bestimmten Restriktionen unterworfen sein: Einige Phraseme bzw. Phrasemtypen erlauben keinerlei Veränderung der Form der Komponenten oder des syntaktischen Konstruktionstyps, sie schreiben eine feste Wortfolge vor und verbieten etwaige Distanzstellungen; andere Phraseme hingegen lassen eine relativ große Variabilität sowohl der kontextuellen Einbindung als auch der eigentlichsprachlichen Gestaltung zu. Abgesehen von der auf den Sprachkontext bezogenen Untersuchung der Phraseme lässt sich auch der sprachliche Kontext selbst zum Gegenstand phraseologischer Forschung machen. Diese Fragestellung beinhaltet einen breiten Bezugsrahmen textueller Strukturen, von mikrotextuellen Einheiten bis hin zur Ebene von Texten und Diskursen. Dabei ist die Grenze zwischen sprachlichem und nicht-sprachlichem Kontext oft fließend: Denn wenn es z.B. um den Zusammenhang zwischen dem Gebrauch von Phrasemen in spezifischen Textsorten und/oder Diskursen geht, ist die Grenze zur Pragmatik bald überschritten, insofern sich Textsorten in erster Linie pragmatisch definieren, und insofern sich Diskurse als Ergebnis diskursiver Praktiken verstehen lassen. Die Untersuchung von Phrasemen im nicht-sprachlichen (situativen) Kontext
15. Semiotik und Phraseologie
d)
basiert auf der Annahme, dass auch der nicht-sprachliche Kontext sich zeichenhaft verstehen lässt, somit zum semiotischen Objekt werden und insofern eine Komponente komplexer phraseologischer Prozesse sein kann. Gegenstand der Untersuchung sind dann verschiedene Arten der Kombination von sprachlich festen Einheiten, die auf bestimmte Art und Weise mit gestischen Elementen verbunden werden. Insbesondere relevant sind hier die sog. Phraseogesten – wie etwa das Tippen an die (eigene) Stirn, begleitet von der Wendung “kluges Köpfchen” –, welche nonverbale stereotype Verhaltensmuster mit sprachlich fixen Routineformeln zu einer komplexen phraseo-gestischen Einheit koppeln. Diese Phraseogesten sind nicht zu verwechseln mit sog. Kinegrammen, bei denen es sich um sprachliche Repräsentationen außersprachlicher Sachverhalte handelt (wie mit der Faust auf den Tisch schlagen oder mit den Achseln zucken). Vielmehr kommt es darauf an, dass durch die synchrone Realisierung eines sprachlichen und eines nicht-sprachlichen Verhaltensstereotyps in Form einer semiotischen Kontiguität heterogener Komponenten ein komplexes phraseogestisches Zeichen generiert wird. Eine weitere im Rahmen syntaktischer Fragestellungen abzuhandelnde Fragestellung der Phraseologie ist die Beziehung individueller Phraseme zueinander bzw. das sich daraus ergebende phraseologische System einer Kultur insgesamt: Insofern sich ein Phrasem als ein komplexes Zeichen (d.h. als Zeichenkomplex bzw. als ein Super-Zeichen) verstehen lässt, beinhaltet eine syntaktische Analyse im weiten semiotischen Sinne auch die syntagmatische Wechselbeziehung zwischen verschiedenen Phrasemen. Auf der Ebene einzelner Phraseme betrifft dies u.a. die (von der Semantik freilich nicht unabhängige) Frage differentieller Bedeutungsbeschreibungen; genau so stellt sich aber auch – unabhängig von der Annahme einer eigenen phraseologischen Ebene der Sprache – die Frage nach dem Phrasembestand einer gegebenen Sprache und der Interrelation der Phraseme. Den deutlichsten Ausdruck findet diese Art der Untersuchung des phrasemischen Systems einer gegebenen
195
Sprache bzw. Kultur in kultursemiotisch ausgerichteten Untersuchungen. Hierbei lässt sich Kultur als funktionale Korrelativität der in einem Sozium verwendeten Zeichensysteme verstehen. Das phraseologische System einer Sprache wäre demnach als mit der (gegebenen) Kultur allgemein korreliert und als ein teilweise durch generelle kulturelle Mechanismen beeinflusstes Sub-System einer Kultur zu verstehen. Konkret betroffen sind hiervon u.a. Untersuchungen zum Phraseolexikon einer Sprache im engeren, zur Kulturspezifik und Universalität von Phrasemen im weiteren Sinne. Aus dieser Sicht sind vergleichende Untersuchungen über Existenz und Funktionieren spezifischer Phraseme in kultureller und interkultureller Perspektive der syntaktischen Dimension zuzuordnen, insofern es um die Relation verschiedener phrasemischer Zeichen zueinander geht – dass aus dieser Betrachtung semantische und pragmatische Aspekte kaum mehr auszublenden und zwangsläufig Gegenstand kultursemiotisch motivierter Phraseologieforschungen sind, liegt auf der Hand und bestätigt ein weiteres Mal die oben erwähnte Interrelation der semiotischen Dimensionen. 2.2.3. Bereits im Zusammenhang mit der obigen Diskussion des Konzepts phraseologischer Superzeichen wurde die Frage evident, welche lexikalischen Einzelzeichen überhaupt als Basiszeichen zu einem phraseologischen Superzeichen kombiniert werden, und ob sich über die Frequenz der einzelnen Komponenten bzw. ihrer spezifischen Kombination Aussagen über die Phraseologizität polylexikalischer Strukturen ableiten lassen. Diese ebenfalls dem Bereich der phraseologischen Syntaktik zuzuordnende Frage ist eine andere als die oben (15.2.2.1) angesprochene nach der Häufigkeit spezifischer syntaktischer Phrasemtypen: Während letztere darauf zielt, welche syntaktische Typen von Phrasemen es (in einer gegebenen Sprache) gibt und wie häufig diese jeweils vorkommen, zielt die andere Frage auf wahrscheinlichkeitstheoretische Aussagen. Dabei ist unabhängig davon, ob sich das Interesse auf die ein Phrasem konstituierenden Zeichen oder aber auf das phraseologische Syntagma als Ganzes richtet, in jedem Fall die qualitative Frage nach der Art der Kombination (und Kombinierbarkeit) prinzipiell von der quanti-
196
V. Semiotische Aspekte der Phraseme/Semiotic aspects of set phrases
tativen Frage nach der Häufigkeit vorkommender Kombinationen zu unterscheiden. In dieser Hinsicht ist nachvollziehbar, warum Sialm (1987, 53) in seiner Arbeit Semiotik und Phraseologie akzentuiert, dass es bei der Analyse der phraseologischen Erscheinungen in der Sprache notwendig sei, “die Einheiten oder Elemente, deren Relationen untereinander dargestellt werden sollen, genau zu definieren”. Wenn Sialm (1987, 81) deshalb “die Bedeutung des Aspekts der Messbarkeit bzw. Zählbarkeit bei der Interpretation von Phraseologismen als Automatismen” betont, verankert er entsprechende Untersuchungen einerseits im Bereich der Psycholinguistik, andererseits verweist er auf die Bereiche der Sprachstatistik und quantitativen Linguistik, die mit Hilfe mathematischer Statistik sprachliche Daten analysieren und in einen (sprach-) theoretischen Rahmen einbetten. Sialms Klage, dass in der Phraseologie der quantitative Aspekt der an den untersuchten sprachlichen Erscheinungen beteiligten Einheiten zu wenig berücksichtigt werde, ist auch fast zwei Jahrzehnte, nachdem sie vorgebracht wurde, von hoher Aktualität. Sie führt weg von der rein qualitativen Betrachtung der Relation zwischen den ein Phrasem konstituierenden Komponenten hin zur quantitativen Frage nach der Frequenz der die phraseologische Einheit bildenden Komponenten, sowie der Frage der sich aus ihrer Kombination ergebenden Struktur des Phrasems. Zu Recht darauf hinweisend und beklagend, dass in der Phraseologieforschung zwar extensiv, jedoch in der Regel nur implizit auf statistische Annahmen über Vorkommnisse von Wortkomponenten und phraseologischen Wortverbindungen Bezug genommen wird (Sialm 1987, 92), bleibt auch Sialm allerdings beim theoretischen Aufzeigen der Möglichkeit stehen, wie phraseologische Erscheinungen entsprechend untersucht werden könnten (!). Erst in jüngster Zeit hat es vor dem Hintergrund der leichteren technischen Handhabbarkeit großer Korpora und der in diesem Zusammenhang sich herausgebildeten Computerlinguistik und Korpuslinguistik verschiedene Versuche in dieser Richtung gegeben. Nicht zuletzt geht es in diesen Arbeiten um die Frage der möglichen automatischen Identifikation von Phrasemen. Im Gegensatz zu früheren Arbeiten (vgl. Rothkegel 1973) erhofft man sich eine Antwort allerdings nicht mehr von Analysen der Vorkommenshäufigkeit spezifischer syntaktischer Phrasemtypen,
sondern eher von sog. Kollokations- oder Kookurrenzanalysen, die auf der Basis statistischer Wahrscheinlichkeitsmodelle zur Identifikation fester Wortverbindungen gelangen wollen. Oft wird hierbei eine etwas andere als in der Phraseologieforschung etablierte Terminologie gebraucht. Übliche Begriffe, die hierbei unterschieden werden, sind vor allem Bigramm, Assoziationspaar, und Kollokation: 1.
2.
3.
Bei einem Bigramm handelt es sich allgemein um ein Wortpaar, bestehend aus zwei in einem Fließtext unmittelbar aufeinander folgenden Wörtern oder Wortformen; ein Assoziationspaar ist ein Paar von zwei Wörtern bzw. Wortformen, die statistisch assoziiert, aber nicht notwendigerweise phraseologisch gebunden sind, Der Begriff der Kollokation wird teilweise für Assoziationspaare allgemein verwendet; in spezifischer Verwendung bezeichnet er semikompositionelle Ausdrücke wie starker Raucher und Stützverbkonstruktionen wie Kritik üben.
2.3. Frequenzanalyse Die einfachste Methode ist eine Frequenzanalyse, bei der es um die absolute Vorkommenshäufigkeit von sog. ko-okkurrierenden Wörtern oder Wortformen geht: Annahme dabei ist, dass zwei Wörter bzw. Wortformen, die häufig gemeinsam vorkommen, eine spezifische Funktion haben. Als Ergebnis dieser naiven Annahme stellen sich bei einem aus ca. 14 Mio. Wörtern bestehenden Zeitungskorpus der New York Times Wortverbindungen wie etwa “of the” (n = 80 781), “in the” (n = 58 841), “to the” (n = 26 430) als häufigste Vorkommnisse heraus. Nach einer Wortartenmarkierung, die etwa Adjektive (A) und Substantive (S) herausfiltert, steigt die Trefferquote erheblich, insofern nun AN-Kombinationen wie “New York” (n = 11 487), “United States” (n = 7 261) oder SS-Kombinationen wie “Los Angeles” (n = 5 412) auf die ersten Ränge kommen. Während diese Methode bei unmittelbar aufeinander folgenden Einheiten somit durchaus Erfolge zeigt, muss sie aufgrund der syntaktischen Variabilität von Kollokationen wie in Beispiel (1) versagen: (1a) (1b) (1c) (1d)
Sie klopfte an seine Tür, Sie klopfte gegen seine Tür, Sie klopften an Peter’s Tür, oder Er klopfte an die Vorderseite der Tür.
197
15. Semiotik und Phraseologie
Eine sich auf unmittelbare Nachbarn beschränkende Bigramm-Analyse würde hier versagen und könnte nicht die große Usualität von ‘klopfen’ etwa im Vergleich zu ‘pochen’, ‘schlagen’, ‘hämmern’, u.ä. nachweisen. 2.3.1. Mittlere Distanz Insofern liegt es nahe, die mittlere Distanz D aller einzelnen Distanzen D und deren Streuung zu berechnen. Technisch werden hierbei in der Regel sog. Sliding windows von drei bis vier Wörtern links und rechts des jeweiligen Ausgangswortes definiert; im Beispiel mit der Tür wären es also 3, 3, 5, 5 (wenn man den Ausdruck Peter’s als aus drei Komponenten – Peter, Apostroph, Genitiv–s – bestehend definiert. D berechnet sich nun als D¼
1X D; N
im obigen Beispiel (1) mit der Tür also als D¼
1X 16 ¼ 4:00 4
Die als s bezeichnete Standardabweichung der Distanzen D berechnet sich im Beispiel der Tür als sffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi Pn 2 i¼1 ðDi " DÞ s¼ n"1 rffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 1 ðð3 " 4Þ2 þ ð3 " 4Þ2 þ ð5 " 4Þ2 þ ð5 " 4Þ2 Þ ¼ 3 % 1:15
Der Logik nach entspricht ein niedriger Wert von s einer relativ konstanten Distanz beider Komponenten, so dass sich genau hier Kollokationen vermuten lassen. Bei kleinem s und einer mittleren Distanz von D ≈ 1 ergeben sich folglich Bigramme wie New York (D = 0.97, s = 0.43); ein hoher Wert von s hingegen wäre als Indiz keiner spezifischen Relation zwischen beiden Komponenten zu interpretieren. Allerdings können sowohl hohe Frequenz als auch geringe Varianz Zufallsprodukte sein: Wenn nämlich beide Komponenten einer frequenten Kollokation auch unabhängig voneinander häufig vorkommende Einheiten sind, dann ist auch ihr gemeinsames Vorkommen wahrscheinlicher.
Es ist dies der Punkt, wo man nicht mehr ohne wahrscheinlichkeitstheoretische Überlegungen, d.h. nicht ohne statistische Überprüfung von Hypothesen weiterkommt. Dabei geht es um die Annahme oder Ablehnung der sog. Nullhypothese H0, der zufolge beide Einheiten nicht überzufällig häufig vorkommen. Die gemeinsame Vorkommenswahrscheinlichkeit zweier Wörter w1 und w2 definiert sich hierbei als P (w1w2) = P (w1)(w2). In der Vergangenheit sind verschiedene Verfahren zur Überprüfung der Hypothese eingesetzt worden, die mitsamt verschiedene Vor- und Nachteile haben; überwiegend handelt es sich um den sog. t-Test, den χ²-Test, die Mutual Information, sowie die log-likelihood ratio. 2.3.2. t-Test Ein häufig zur Identifikation von Kollokationen eingesetzter Test ist der auf dem Mittelwert und der Varianz basierende t-Test, der ein Maß für die Signifikanz einer Abweichung eines Werts vom Erwartungswert liefert. Im Falle von Assoziationspaaren in einem Korpus misst er die Signifikanz der Abweichung der tatsächlichen Häufigkeit des Wortpaars von der Häufigkeit, die zu erwarten wäre, wenn die beiden Wörter zufällig über das Korpus verteilt wären. Die H0 lautet, dass die Stichprobe aus einer Gesamtheit mit dem Mittelwert μ kommt: x"$ t ¼ qffiffiffiffi s2 N
X ist der Mittelwert und N der Umfang der Stichprobe, s² die Varianz. Im genannten New Yorker Korpus hat das Wort w1 ‘new’ eine Frequenz von f (w1) = 15 828, das Wort w2 ‘companies’ von f (w2) = 4 675. Bei einer Korpusgröße (d.h. einem Gesamtumfang der Stichprobe) von N = 14 307 668 ist die relative Häufigkeit damit p (w1) = f (w1)/N = 0.00109 und p (w2) = 0.00033 – die H0 lautet, dass w1 und w2 unabhängig voneinander sind. Die entsprechende gemeinsame Vorkommenswahrscheinlichkeit ist P = P (w1) P (w2) ≈ 3.5.10-7. Aufgrund des in Korpusuntersuchungen in der Regel immer großen N (und entsprechend kleinem p) ist die Varianz einer solchen Bernoulli-Verteilung s² = p-p² = p (1-p) ≈ p. Da es de facto im Korpus acht Vorkommnisse der Kombination ‘new companies’ gibt (was einem p = 8 / 14 307 668 ≈
198
V. Semiotische Aspekte der Phraseme/Semiotic aspects of set phrases
5.6.10–7 entspricht), ergibt sich ein t-Wert von t ¼ ð5:6 # 10
"7
rffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi! 5:6 # 10"7 " 3:5 # 10 Þ= % 1: 143075668 "7
In entsprechenden Tabellen lässt sich nachschauen, ob dieser Wert bei einem festzulegenden Signifikanzniveau (üblicherweise α = 0.05, oft auch kleiner) bestimmte Grenzwerte überschreitet oder nicht. Im konkreten Fall wäre der kritische Wert für α = 0.0005 bei 2.576; da der t-Wert diesen nicht überschreitet, lässt sich sagen, dass die Phrase ‘new companies’ keine Kollokation darstellt – vielmehr wäre ihr gemeinsames Vorkommen ein Zufallsprodukt. Allerdings ist der t-Test mit der methodologischen Problematik verbunden, dass er prüft, ob die beiden miteinander verglichenen Stichproben (bzw. Stichprobe und Grundgesamtheit) aus ein und derselben Normal-Verteilung kommen; die Häufigkeiten von Wörtern sind aber in der Sprache nicht normal-verteilt, sondern folgen dem Zipf-Mandelbrot’schen Gesetz. Gegen die Brauchbarkeit des t-Tests sprechen zudem allerdings auch empirische Befunde, denen zufolge bei bis zu 99 Prozent von frequenten Bigrammen die H0 von der Unabhängigkeit beider Komponenten zurückgewiesen werden muss (Manning/Schutze 1999, 166). 2.3.2. χ² -Test Beim χ²-Test werden die (absoluten) beobachteten Häufigkeiten mit den erwarteten Häufigkeiten auf Unabhängigkeit getestet. Die erwartete Häufigkeit berechnet sich dabei aus den Randsummen. Im Falle der im genannten Korpus achtmal vorkommenden Verbindung ‘new companies’ würde sich aufgrund der 4 675 Vorkommnisse von w1 ‘new’ und der 15 828 Vorkommnisse von w2 ‘companies’ bei einer Korpusgröße von N = 14 307 668 ein Erwartungswert von ð8 þ 4667Þ ð8 þ 15820Þ # # 14307667 ¼ 5:17 14307668 14307668
ergeben. Das heißt, wenn die Komponenten ‘new’ und ‘companies’ vollkommen unabhängig voneinander vorkämen, wären nur 5.17, nicht acht Vorkommnisse zu erwarten. Die Frage, ob die Anzahl von acht Vorkommnissen nun signifikant höher als erwartet ist, lässt sich mit dem χ²-Test prüfen. Führt man
am Beispiel von ‘new companies’ die χ²-Statistik durch, so liegt der Berechnung die folgende Vierfelder-Tafel zugrunde: 8 4667 4675 a b a+b = n1 c d c+d = n2 15820 14287181 14303001 a+c b+d n = n1+n2 15828 14291848 14307668
Nach der Formel %2 ¼
n # ðad " bcÞ2 ða þ bÞ # ðc þ dÞ # ða þ cÞ # ðb þ dÞ
ergibt sich für das obige Beispiel ein Wert von χ² = 1.55. In entsprechenden Tabellen lässt sich auch hier ein Schwellenwert ermitteln, der für die χ²-Verteilung bei einem Signifikanzniveau von α = 0.05 bei χ² = 3.84 liegt. Da diese Schwelle bei einem Wert von χ² =1.55 nicht überschritten wird, kann die H0 von der Unabhängigkeit beider Komponenten also nicht zurückgewiesen werden ( p = 0.21). Somit deckt sich zwar im gegebenen Fall das Ergebnis des χ²-Tests mit dem des t-Tests, doch ist auch der χ²-Test methodologisch problematisch: zum einen ist er im Falle von gering besetzten Fällen sehr anfällig, zum anderen steigt der χ²-Wert linear mit zunehmendem N an und übersteigt somit bei großen Stichproben schneller die Signifikanzgrenze. 2.3.3. Log-Likelihood-Ratio (LLR) Bei den oben erwähnten Tests stellt sich zum einen heraus, dass die meisten Bigramme deswegen signifikant häufig vorkommen, weil die Unabhängigkeitsannahme auch für NichtKollokationen selten erfüllt ist; zum anderen erreichen Bigramme mit niedrigen Frequenzen zu hohe Signifikanzwerte. Die Berechnung der Log-likelihood-Ratio (LLR) vermeidet dieses Problem. Sie hängt nicht ganz so stark von der Voraussetzung einer Normalverteilung ab und bevorzugt weder häufige noch seltene Ereignisse (Dunning, 1993). Im Prinzip werden zwei Hypothesen (H1 und H2) miteinander verglichen, indem berechnet wird, wie viel Mal wahrscheinlicher die zweite von beiden ist: H1 würde etwa die Unabhängigkeit von w1 (‘new’) und w2 (‘companies’) postulieren: P (w1 | w2) = p = P (w1 | ¬w2), H2 hingegen die Abhängigkeit: P (w1 | w2) = p1 ≠ p2 = P (w1 | ¬ w2). Im konkreten Beispiel ergibt sich unter Berücksichtigung der Frequenzen die folgende Tabelle:
199
15. Semiotik und Phraseologie w2 (companies) ¬w2 (¬ companies) w1 (new) ¬w1 (¬ new)
a=8 c = 15820
b = 4667 d = 14302061
Die Likelihood-Ratio bzw. Log-LikelihoodRatio ist allgemein definiert als PH1 PH1 #¼ bzw: log # ¼ log PH2 PH2
Im gegebenen Fall wird sie durch Binomialwahrscheinlichkeiten konkretisiert, d.h. log # ¼ log
bðfu12 ; fu1 ; pÞ # bðfu2 " fu12 ; N " fu1 ; pÞ bðfu12 ; fu1 ; p1 Þ # bðfu2 " fu12 ; N " fu1 ; p2 Þ
wobei "n# bðr; n; pÞ ¼ pr ð1 " pÞn"r r
Dies entspricht log # ¼ log Lðfu12 ; fu1 ; pÞ þ log Lðfu2 " fu12 ; N " fu1 ; pÞ
das aber ist in der Regel nicht der Fall, da Wörter einer Zipf- bzw. Zipf-Mandelbrot-Verteilung folgen und somit a priori eine unterschiedliche Vorkommens- und Kombinationswahrscheinlichkeit mit sich bringen. 2.3.4. Mutual Information (MI) Eine weitere Vorgangsweise, die häufig bei der Suche nach Kollokationen eingesetzt wird, ist die Berechnung der sog. Mutual Information (MI). Die Idee hinter dieser Methode geht auf Fano (1961) zurück, der die wechselseitige Information zweier Ereignisse x und y (hier also: w1 und w2) wie folgt definierte: Iðx; yÞ ¼ log2
I(x,y) ist also die Menge der Information, welche die Zufallsvariable x über die Zufallsvariable y enthält, somit ein Korreliertheitsmaß der gemeinsamen Information von x und y. Im Beispiel von ‘new companies’ wäre I also recht einfach zu berechnen als:
" log Lðfu12 ; fu1 ; p1 Þ " log Lðfu2 " fu12 ; N " fu1 ; p2 Þ
mit L(r;n;p) = pr (1–q)n-r. Einerseits durch Logarithmierung, andererseits durch Multiplikation mit –2 lässt sich der LLR-Score erstens leichter berechnen und es wird erreicht, dass der Score der LLR (bei ausreichend großem N) asymptotisch χ²-verteilt mit einem Freiheitsgrad ist; so kann der Wert durch Nachschlagen in einer χ²-Tabelle auf Signifikanz geprüft werden. Es ergibt sich im Beispiel von ‘new companies’ aufgrund der Rechnung: "2 log # ¼ 2ða log a þ b log b þ c log c þ d log dÞ" ða þ bÞ logða þ bÞ " ða þ cÞ logða þ cÞ" ðb þ dÞ logðb þ dÞ " ðc þ dÞ logðc þ dÞþ ða þ b þ c þ dÞ logða þ b þ c þ dÞÞ
ein LLR-Score von 36.85, der deutlich höher ist als der Schwellenwert von χ² = 7.88 (bei einem Signifikanzniveau von α = 0.005); deshalb ist die H1 von der Unabhängigkeit beider Wörter auf diesem Niveau zurückzuweisen. Obwohl dieser Test gerade auch in der Kollokations- und Kookkurenzanalyse breite Verwendung gefunden hat und nach wie vor findet, ist er insofern nicht unproblematisch, als er in der gezeigten Form eigentlich nur dann angewendet werden sollte, wenn beide Hypothesen a priori gleich wahrscheinlich sind –
P ðx; yÞ P ðxÞP ðyÞ
Iðx; yÞ ¼
8 14307668 ¼ 0:6293 4675 15828 14307668 # 14307668
Was dieses Maß aussagt, lässt sich nur einschätzen, indem man sich anschaut, was bei vollständiger Abhängigkeit bzw. vollständiger Unabhängigkeit passiert: Während I im Falle von selten vorkommenden, jedoch vollständig abhängigen x und y ansteigt, nimmt I im Falle vollständiger Unabhängigkeit den Wert 0 an. Zwar ist damit I ein geeignetes Maß für Unabhängigkeit, nicht aber für die Abhängigkeit von x und y, weil die Abhängigkeit von der Frequenz der einzelnen Wörter abhängt. Abgesehen davon, dass ja gerade der Nachweis der Abhängigkeit erbracht werden sollte, bietet auch eine in jüngerer Zeit vorgeschlagene Korrektur in Form von Ic ðx; yÞ ¼ fðw1 w2 Þ # Iðw1 w2 Þ im Hinblick auf deren verlässliche Interpretierbarkeit keine Verbesserung. 2.3.5. Zusammenfassung Alle in der bisherigen Forschung eingesetzten Tests sind mit methodologischen Problemen verbunden. Diese Probleme sind insgesamt zweierlei Art:
200
V. Semiotische Aspekte der Phraseme/Semiotic aspects of set phrases
In einigen Fällen liegt den Tests die Annahme der Normalverteilung zugrunde, die aber in den Voraussetzungen nicht erfüllt ist: Es handelt sich hierbei um Approximationen, die bei großem N und kleinem p keine Normalverteilung aufweisen können. In einigen Fällen sind die aus den Tests hervorgehenden Werte nicht standardisiert, d.h. sie bewegen sich in keinem fest definierten Intervall; aus diesem Grunde sind die Ergebnisse dieser Tests nicht verlässlich interpretierbar.
$ % M x
Weisen und platziert dort Elemente aus w2. Die restlichen (n–x) Elemente aus w2 platziert man in die restlichen (N–M) Sätze auf $ % N "M n"x
Weisen und erhält so insgesamt $
N M
2.3.6. Neuansatz Gibt es eine Möglichkeit, die beobachteten Probleme zu umgehen? Stellen wir die Grundüberlegungen mit den Darlegungen von Altmann (1988, 117ff.) neu an: Es kommt darauf an, innerhalb eines bestimmten (nicht a priori fixierbaren) Rahmens die Vorkommenshäufigkeit von Elementen und Koinzidenzen der Elemente w1 und w2 festzustellen. Während in der Kollokationsforschung bislang eher mit der sog. sliding window Technik gearbeitet worden ist (was das Problem der jeweils gewählten Fenstergröße als ein zusätzliches Problem ins Spiel bringt), würde es sich auch anbieten, Sätze als Basiseinheit zu definieren, da Kollokationen mit Sicherheit die Satzgrenze nicht überschreiten. Wie dem auch sei: Als erstes gilt es in jedem Fall festzulegen, wie viele Rahmeneinheiten es gibt, in denen jeweils w1 oder w2 vorkommen (doppelte Vorkommnisse innerhalb einer Rahmeneinheit werden damit ignoriert). Damit ist die Zahl aller Möglichkeiten, M Rahmeneinheiten aus N mit Elementen w1 und n Rahmeneinheiten aus N mit w2 zu besetzen: $
N M
%$ % N n
Die Zahl der Sätze, in denen Elemente aus w1 und w2 gemeinsam vorkommen, sei gleich x. Die Frage ist dann, wie viele Möglichkeiten der Platzierung von w1 und w2 es gibt, wenn x Sätze gemeinsam besetzt sind. Die Zahl dieser “günstigen” Fälle ergibt sich wie folgt: Die M Elemente verteilt man auf N Sätze auf $
N M
%
Weisen; von diesen M Sätzen wählt man x Sätze auf
% %$ %$ N "M M n"x x
“günstige” Fälle. Dividiert man die günstigen Ausgänge des Experiments durch alle möglichen, so erhält man die Wahrscheinlichkeit, die der hypergeometrischen Verteilung entspricht: " #" #" P ðX ¼ xÞ ¼
N M
M N"M x n"x " #" # N N M n
" #"
#
M x
¼
N"M n"x " # N n
#
Da es jedoch nicht nur auf die eine Wahrscheinlichkeit, sondern auch alle extremeren ankommt (d.h. auch auf die häufiger als x realisierten Vorkommnisse), ergibt sich insgesamt " #"
P ðX $ xc Þ ¼
M minðM;NÞ X x x¼xc
N"M n"x " # N n
#
Mit dieser Formel lässt sich also die gemeinsame Vorkommenshäufigkeit von w1 und w2 exakt auf Signifikanz prüfen. Allerdings sind bei großen Stichproben auch heute noch normale Computer in der Regel überfordert. Das ist insofern kein Problem, als sich die hypergeometrische Wahrscheinlichkeit im Falle von großen Wertern durch die einfachere Poisson-Verteilung approximieren lässt, gegen welche die hypergeometrische Verteilung im Falle von N → ∞, M → ∞, n → ∞ konvergiert, wobei sich n.M / N dem a der PoissonVerteilung annähert. Damit lässt sich die Wahrscheinlichkeit der Ko-Okkurrenz von w1 und w2 leicht rechnen als P ðX $ xc Þ ¼
1 X e"a ax x¼xc
x!
201
15. Semiotik und Phraseologie
bzw. als P ðX $ xc Þ ¼ 1 "
xX c "1 "a x x¼0
e a x!
Im Fall von ‘new companies’ würde sich die Wahrscheinlichkeit entsprechend berechnen als P ðX $ xc Þ ¼ 1 "
7 X e"5:17 5:17x x¼0
x!
¼ 0:15
Damit wäre das vorgegebene Signifikanzniveau von α = 0.05 mehr als deutlich überschritten, w1 und w2 wären als Kandidaten einer Kollokation disqualifiziert. 2.4. Pragmatik Nicht zuletzt in Anbetracht der Tatsache, dass mit statistischen Methoden verbundene korpus- und computerlinguistische Ansätze sich oft im Ergebnis mit einer das Material einschränkenden Vorauswahl potentieller Kollokationen beschränken müssen und einer experimentellen Nach-Behandlung durch Versuchspersonen bedürfen, liegt es nahe, eine Lösung unter Einbeziehung semantischer und pragmatischer Untersuchungen zu erwarten, wenn man davon ausgeht, dass sich die Bedeutung eines Zeichens letztendlich nur in seiner Verwendung ergibt und folglich nur als Funktion des Gebrauchs beschrieben werden kann. Allerdings ist die Pragmatik lange als so etwas wie eine “arme Verwandte” (Hörmann 1976) der Semantik angesehen worden, das heißt als etwas der “eigentlichen” Semantik Nachgeschaltetes – und das galt lange Zeit auch für die pragmatische Dimension phraseologischer Untersuchungen. Insbesondere in der Tradition der strukturalen Semantik der 60er Jahre wurden Bedeutungen als den Zeichen immanent oder ihnen attribuiert angesehen. Und diese vermeintlichen Bedeutungen, so die Annahme, wurde dann im jeweiligen Gebrauch aktualisiert oder auch modifiziert – Bedeutung wurde aber nicht als durch den Gebrauch überhaupt erst einmal generiert betrachtet und entsprechend definiert. Insofern dienten bei Versuchen, pragmatische Grundlagen der Phraseologie zu behandeln, verschiedene Bezugsrahmen, so etwa (a) die Theorie der Sprachfunktionen in der Tradition von Bühler und Jakobson, (b) die Sprechakttheorie, (c) die Theorie der Sprechsituationen. Vor dem Hintergrund dieser An-
sätze hat es dann – sei es in der (oft gar nicht einmal thematisierten) Folge des britischen Kontextualismus oder der Wittgenstein’schen Philosophie – Versuche gegeben, etwa auf sprechakttheoretischer Basis oder in der Bühler-Jakobson’schen Tradition der Sprachfunktionen, pragmatisch fundierte Klassifikationen von Phrasemen zu erarbeiten. Aufbauend auf ersten pragmatischen Untersuchungen in den 70er Jahren ging es zunächst um die Frage, “welche Gebrauchsbedingungen für redensartliche Ausdrücke in welcher Weise gelten, in welcher Weise sich Sprecher/Schreiber mit Redensarten auf Sachverhalte/Situationen/Handlungen beziehen und welche Leistungen/Funktionen redensartliche Ausdrücke in der Kommunikation (in Texten) übernehmen” (Koller 1977, 54). Aus sprechakttheoretischer Sicht kommen Phraseologismen in allen Typen von Sprechakten vor, sei es in einzelnen Sprechakten, wo sie als Warnung, Drohung, Empfehlung usw. dienen können, sei es in Sprechaktsequenzen, welche (in der Regel dialogische) Interaktionen zugrunde liegen, seien es direkte oder indirekte Sprechakte. Und auch wenn es bei einzelnen Phraseologismen nahe liegt, ihre Verwendung in mehr oder weniger enger Anbindung an spezifische Situationen zu sehen, können Phraseologismen dennoch im Prinzip allen Sprachfunktionen dienen. Zudem ist ihr Vorkommen nicht prinzipiell an bestimmte Texttypen gebunden. Wenn überhaupt, dann lässt sich ein enger Zusammenhang zwischen bestimmten sprachlichen und den diese begleitenden nicht-sprachlichen Handlungsmustern wohl am ehesten im Bereich der sog. Routineformeln herstellen. Schon in diesen Untersuchungen wurde allerdings darauf hingewiesen, dass pragmatische Funktionen immer erst aus dem Kotext/ Kontext heraus zu bestimmen sind, dass sie je nach Text/Situation/Redekonstellation, in denen sie gebraucht werden, unterschiedlichen Funktionen oder Funktionsbündeln zugeordnet werden können (Koller 1977, 69). Diese Annahme wurde später immer wieder bestätigt. So bezeichnet Coulmas (1981, 108) die Annahme, “daß jede gegebene Formel auf genau eine Funktion spezialisiert sei”, als “völlig abwegig”, und auch Burger (1987, 12) zufolge können “dieselben Phraseologismen in ganz entgegengesetzten Funktionen eingesetzt werden”. Auch Lüger (1999, 143) schlussfolgert entsprechend, “daß man mit dem Gebrauch von Phraseologismen eine
202
V. Semiotische Aspekte der Phraseme/Semiotic aspects of set phrases
Vielzahl von Funktionen wahrnehmen kann; d i e Funktion phraseologischer Ausdrücke gibt es ebensowenig wie sich eine feste Wortverbindung normalerweise nicht nur auf eine Funktion reduzieren läßt”. Deshalb scheinen jegliche Versuche, “typische Funktionen” von Phrasemen allgemein oder von spezifischen Phrasemen im besonderen herauszuarbeiten, de facto von vornherein zum Scheitern verurteilt: Phraseme sind, so wie Zeichen allgemein, in der Regel nicht von ihrer kommunikativen (funktionalen, pragmatischen) Verwendbarkeit her festgelegt, sondern polyfunktional. Und aufgrund ihrer Polyfunktionalität sind sie in der Folge dann auch polysemantisch. Insofern es bei der Pragmatik um die Wechselbeziehung zwischen Zeichen und Zeichenbenutzer geht, lassen sich zur Beschreibung von Phrasemstrukturen und ihres Funktionierens natürlich auch in der Phraseologieforschung immer wieder bemühte Konzepte wie Festigkeit, Stabilität, Reproduzierbarkeit dem Bereich der Pragmatik zuordnen bzw. im Rahmen der Pragmatik abhandeln. Keiner dieser drei Begriffe sollte freilich im Sinne von morphosyntaktischer Unveränderlichkeit falsch verstanden werden; vielmehr können Phraseme auf den unterschiedlichsten Ebenen einen hohen Grad von Variabilität aufweisen. Vielmehr gehen alle drei Begriffe letztendlich auf das zurück, was schon Charles Bally meinte, als er von ‘clichés’ sprach. Demnach zielen solche Begriffe wie ‘Festigkeit’, ‘Fixiertheit’, Stabilität o.ä auf nichts anderes als den stereotypen Charakter eines polylexematischen Phrasems, und auch der Terminus der ‘Reproduzierbarkeit’ meint nichts anderes, als dass eine spezifische Verbindung lexikalischer Komponenten nicht jeweils neu generiert, sondern eben re-produziert wird. Der Unterschied zwischen den einschlägigen Termini besteht also bestenfalls in einer unterschiedlichen Perspektivierung dieses Sachverhalts, insofern Festigkeit sich sowohl im Hinblick auf Referentialität, auf mentale Verankerung als auch im sprachlichen Material selbst äußern kann. 2.5. Phraseologie und Parömiologie: Dynamische Systeme Die Frage nach einer exakten Definition der Phraseme als eines polylexikalischen Superzeichens beinhaltet einerseits mögliche Subkategorisierungen phraseologischer Einheiten; andererseits betrifft sie auch die Abgren-
zung von komplexeren Einheiten mit ebenfalls polylexikalischer Struktur. Deren Unterscheidbarkeit vorausgesetzt, lassen sich diese – je nach Phraseologiekonzeption – entweder dem Objektbereich der Phraseologie zuordnen oder aber in den Bereich der Parömiologie (d.h. der Spruch-, insbesondere Sprichwortforschung) verweisen. Hier geht es primär um (sprichwörtliche) Redensarten und Sprichwörter, die im Rahmen einer “weiten Phraseologie” Bestandteil phraseologischer Forschung sind – auch wenn in der Phraseologieforschung (a) eine derart weite und offene Konzeption nicht einheitlich geteilt wird, und (b) nicht in gleichem Maße zwischen den entsprechenden Einheiten differenziert wird. Abgesehen von der möglichen Abgrenzung zwischen phraseologischen und parömiologischen Einheiten stellt sich in diesem Zusammenhang aber auch die Frage nach möglichen fließenden (dynamischen) Übergängen, die im Prinzip von der Ebene des Wortes über die phraseologische Ebene der Sprache hin zur parömischen Ebene reicht. Die wohl konsequenteste Konzeption hinsichtlich solcher dynamischen Übergänge – die auf der disziplinären Metaebene (Lexikologie ↔ Phraseologie ↔ Parömiologie) die Objektebene (Wort ↔ Phrasem ↔ Parömie) spiegelt – hat G.L. Permjakov in seiner im Westen kaum rezipierten Allgemeinen Theorie des Clichés (1970) entwickelt. Traditionell ist man lange Zeit davon ausgegangen, Phraseme vor dem Hintergrund ihrer vermeintlichen Wort-Äquivalenz zu betrachten. Dieser Ansatz geht letztlich auf den Saussure-Schüler Ch. Bally (1905, 1909) zurück; dessen These vom sog. mot-identificateur beinhaltete die Identität der Gesamtbedeutung eines Phrasems mit einem Wort. Diese Auffassung wurde in Russland früh von L.V. Ščerba übernommen, der wesentlichen Einfluss auf V.V. Vinogradov (1947) und über diesen auf die international wichtige sowjetische Phraseologieforschung hatte. Allerdings sprach Ščerba – im Gegensatz zu Bally (und den meisten ihm direkt oder indirekt Folgenden) – sehr viel vorsichtiger nicht von der Wort-Äquivalenz, sondern davon, dass eine phraseologische Wortgruppe einen Begriff bzw. ein Konzept bezeichne und damit ein potentielles Wort-Äquivalent sei. Die spätere verabsolutierte Annahme von der Wort-Äquivalenz hingegen resultierte in der Gegenüberstellung von vermeintlich wort-äquivalenten Einheiten und solchen mit
15. Semiotik und Phraseologie
prädikativer Struktur, was zur Gegenüberstellung von sog. nominativen vs. kommunikativen bzw. propositionalen Einheiten der Phraseologie führte: Unter Bezugnahme auf den Begriff der (Wörter und freie Wortverbindung kennzeichnenden) primären Nomination nahm man für Phraseme (im engeren Sinne) eine sekundäre Nomination an. Später ist man angesichts der berechtigten Kritik an der Konzeption der Wort-Äquivalenz im strengen Sinne dazu übergegangen, Wort-Äquivalenz nicht auf der Ebene der Semantik, sondern auf der Ebene der Syntaktik anzusetzen, dabei nunmehr von einer funktionellen Wort-Äquivalenz ausgehend: demnach können Phraseme in der Rede alle grammatischen Funktionen haben, die auch Wörter haben. In dieser Tradition steht auch die Konzeption von G.L. Permjakov, welche im Hinblick auf die semiotische Betrachtung von Phrasemen insofern von besonderer Relevanz ist, als hier die wechselseitigen Übergänge zwischen Einheiten verschiedener Komplexität (Wort . Phrasem . sprichwörtliche Redensart . Sprichwort) im Vordergrund stehen. Analytisch in Betracht gezogen wird hier das gesamte phraseologisch-parömische Material, das aus verschiedenen Perspektiven bzw. auf verschiedenen Ebenen betrachtet wird; von diesen sind im hier gegebenen Zusammenhang die “eigentlich-sprachliche” und die “logisch-semiotische” hervorzuheben. In diesem Rahmen übernimmt Permjakov gängige Phrasemdefinitionen der sowjetischen Phraseologie und formuliert diese insofern semiotisch um, als diese sich für ihn auf der sprachlichen Ebene als Wortverbindungen darstellen, die in grammatischer Hinsicht die Funktion von Satzteilen haben und in diesem Sinne dem Wort äquivalent sind. Auf der logisch-semiotischen Ebene hingegen sieht Permjakov (1970/79, 34) die grundlegende Eigenschaft von Phrasemen darin, “Zeichen einer bestimmten Sache oder eines Begriffs zu sein”. Wenn Permjakov (1970/79, 35) deshalb von der “zeichenhaften Äquivalenz der Phraseologismen mit einem Wort (oder einem zeichenhaften Begriff)” spricht, ergänzen sich die genannten Betrachtungsebenen: Auf der grammatischen Ebene sind Phraseme einem Wort funktional äquivalent, auf der logischsemiotischen Ebene sind sie ungeachtet ihrer sprachlichen Oberflächenstruktur Zeichen einer einzelnen Sache bzw. eines Begriffs. An dieser Stelle kommt es (auf der logischsemiotischen Ebene) zu einem “Bruch”, wel-
203
cher der Phraseologieforschung die Option einer Abgrenzungsmöglichkeit zwischen Phrasem und sprichwörtlicher Redensart bietet. Denn zwar erweisen sich Phraseme als Zeichen der sekundären Nomination (s.o.) den sprichwörtlichen Redensarten (und in weiterer Folge den Sprichwörtern) als homomorph, nicht aber als isomorph: zwar verfügen sie über eine Reihe von (identischen) Eigenschaften wie sprichwörtliche Redensarten und Sprichwörter, doch haben letztere noch weitere Eigenschaften. Hierbei handelt es sich in erster Linie um die den Phrasemen fehlende Fähigkeit zur Prädikation. Das bedeutet nicht etwa, dass Phraseme nicht die grammatische Funktion von Verben ausüben könnten (vgl. den Faden verlieren); Prädikation ist hier vielmehr im logischen Sinne als Herstellung einer Relation zwischen zwei Entitäten zu verstehen. Im Gegensatz zu Phrasemen als Zeichen der sekundären Nomination lassen sich sprichwörtliche Redensarten und Sprichwörter demnach durch die Fähigkeit zur sekundären Prädikation (dies freilich nicht im Sinne gegenwärtiger Grammatiktheorien; vgl. Hamack Böhmer) charakterisieren. Gemeint ist vielmehr im oben definierten Sinne konnotativer Bedeutungsstrukturen, dass sprichwörtliche Redensarten und Sprichwörter über die Prädikation der primär sprachlichen Ebene hinaus auf der konnotativen Ebene Prädikationen bilden, was ihrer Fähigkeit zur sekundären Modellbildung gleichkommt. Mit dieser Annahme der fehlenden Fähigkeit zu Prädikation und Modellbildung der Phraseme ist freilich nicht – wie in der Phraseologieforschung eher üblich – die Bildung von (neuen) Phrasemen nach syntaktischen Strukturschemata (“Phraseoschemata”, “Phraseoschablonen”) zu verstehen, wie sie etwa bei Häusermann (1977, 30ff.) oder Fleischer (1982, 195ff.) definiert sind. Während sich dieses Verständnis von Modellbildung nämlich ausschließlich auf der (im Permjakov’schen Sinne) eigentlich-sprachlichen Ebene bewegt, bezieht sich Modellbildung im hier verstandenen Sinne der Modelltheorie auf die tiefensemantische Ebene. Dabei ist – z.B. mit Stachowiak (1973, 438) – davon auszugehen, dass “Systeme, die aus genau einem Element und dessen Eigenschaften bestehen, die also keinerlei Relationen zwischen Element und Subsystemen aufweisen”, als “uneigentliche Modelle” anzusehen sind.
V. Semiotische Aspekte der Phraseme/Semiotic aspects of set phrases
Genau darin unterscheiden sich Phraseme als Zeichen der sekundären Nomination von sprichwörtlichen Redensarten (und in der Folge dann von Sprichwörtern): Während Phraseme als Einheiten der sekundären Nomination nicht der Prädikation und damit nicht der Modellbildung fähig sind, zeichnen sich Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten eben durch diese Fähigkeit der Modellbildung aus. So sind zwar sie alle in semiotischem Sinne Superzeichen – doch stehen Phrasemen als Zeichen der sekundären Nomination auf der einen Seite die Sprichwörter und sprichwörtlichen Redensarten als Zeichen der sekundären Prädikation und Modellierung auf der anderen Seite gegenüber. Die (insgesamt eher unzureichende) Rezeption dieser differenzierenden Konzeption hat insbesondere der westeuropäischen Phraseologieforschung mitunter Schwierigkeiten bereitet und für Verwirrung gesorgt. In dieser Hinsicht wäre festzuhalten, dass zwar die gesamte “Phraseologie als sekundäres semiotisches System” verstanden werden kann, weil “Phraseologismen Zeichen zweiter Stufe sind und ein sekundäres semiotisches System bilden, da sie aus Zeichen zusammengesetzt sind, die ihrerseits Zeichen erster Stufe sind”. Allerdings muss dabei – und das geschieht in der Regel nicht – konsequent zwischen allen Phrasemen (im Sinne der weiten Phraseologie) als Superzeichen und einer spezifischen Teilgruppe von ihnen, nämlich denjenigen, die der sekundären Modellbildung fähig sind, unterschieden werden. Sicherlich ist die Option der Differenzierung für verschiedene Phraseologiekonzeptionen von unterschiedlicher Relevanz. Diese Option jedoch mit dem Hinweis auf die nur kontextuell zu lösende Problematik für irrelevant zu erklären, heißt, die phraseologische Flinte ins Korn zu werfen. Ein möglicher Lösungsansatz zur weiteren Ausdifferenzierung verdankt sich wesentlich der Konzeption von G.L. Permjakov, auch wenn diese einiger Modifikationen bedarf. Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist die Ähnlichkeit (Äquivalenz) sprichwörtlicher Wendungen verschiedener Sprachen und damit auch deren eigentliche Semantik, wobei vor allem die Gegenüberstellung von Varianten und Invarianten von Relevanz ist. Variationen gibt es in zweierlei Hinsicht: (a) auf der rein sprachlichen Ebene, sei es intra- oder interlingual (Bellende Hunde beißen nicht; Hunde, die bellen, beißen nicht; Barking dogs
never/seldom bite; u.v.a.m), (b) auf der Ebene der Referenzsituationen, auf die das Sprichwort bezogen werden kann (im gegebenen Beispiel etwa ein liebevoll schimpfender Vater, ein gutwillig drohender Lehrer, usw.). Aus dieser Beobachtung ergibt sich folgende Verallgemeinerung: Eine im Prinzip unendliche Menge semantisch äquivalenter sprichwörtlicher Wendungen Sw1,2,3,…,n sei als ‘SwVarianten’ bezeichnet, und eine im Prinzip ebenfalls unendliche Menge außersprachlicher Referenzsituationen Rs1,2,3,…n, auf welche eine Sw-Variante bezogen werden kann, als ‘Rs-Varianten’. Bei einer Situation, die von semantisch äquivalenten Sw-Varianten bezeichnet wird, handelt es sich folglich nicht etwa um eine der konkreten Rs-Varianten (Rs1,2,3,…,n), sondern vielmehr um eine aus diesen konkreten Varianten abstrahierte RsInvariante, d.h. um ein Modell dieser Rs-Varianten (eine Modellsituation). Abgesehen von dieser Modellsituation als einer Rs-Invariante ist jedoch auch das Sprichwort selbst ein Modell, und zwar ein Modell der bezeichneten Situation; dies lässt sich so verstehen, dass wir es bei jedem Sprichwort zwar mit jeweils einer (zudem aktual verwendeten) SwVariante zu tun haben, dass aber alle semantisch äquivalenten Sprichwörter ebenfalls als Invariante, als Sw-Invariante (bzw. als Situationsmodell) zu betrachten sind. Schematisch lässt sich dies wie in Abb. 15.2. darstellen, die den dargelegten doppelten Modellcharakter deutlich macht. Sw1,2,3,…,n ØÔ× Sw-Invariante
≡ ≡
[Varianten] $ [Modell]
Rs-Invariante ÖÓÕ Rs1,2,3,…,n
≡
[Modell]
≡
[Varianten]
"
204
#
Abb. 15.2.: Varianten, Invarianten und Modelle
Diese Schematisierung lässt sich nahtlos mit dem oben skizzierten Konzept denotativer und konnotativer semiotischer Systeme in Bezug setzen: Denn bei Sw-Invarianten handelt es sich um die konnotative Bedeutungsebene, die das Wesen sprichwörtlicher Wendungen als sekundäre modellierende Systeme ausmacht. Auch ohne ausführliche Diskussion des Modellbegriffs – zur allgemeinen Modelltheorie vgl. Stachowiak (1973), zur Relevanz für die Parömiologie s. Grzybek (1994; 2000, 8ff.) – gilt es, diesen in Zusammenhang mit
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15. Semiotik und Phraseologie
dem Situationsbegriff zu stellen und detaillierter auszudifferenzieren. Ausgangspunkt dafür sind Überlegungen von Seitel (1969), denen zufolge die Situation, in der ein Sprichwort verwendet wird (die Interaktionssituation) nicht identisch ist mit der im Sprichworttext ausgedrückten Situation (der Sprichwortsituation); und beide sind weiterhin nicht mit der Situation, auf die das Sprichwort sich bezieht (der Referenzsituation, die Seitel missverständlich ‘Kontextsituation’ nennt) übereinstimmen. Die Verwendung eines Sprichworts involviert demnach zwei verschiedene, wenn auch eng miteinander verbundene Prozesse: (1) den Sprechakt der Verwendung eines Sprichworts in einer Interaktionssituation, (2) den Prozess der Inbeziehungsetzung von Sprichwort- und Referenzsituation. Wenn man sich allerdings – wie Seitel – nur auf die Sprichwortsituation und damit auf die literale Bedeutungsebene des Sprichworts beschränkt, dann wird nicht berücksichtigt, dass es beim Sprichwort nicht auf das ankommt, was (auf der primären Signifikationsebene) gesagt wird, sondern auf das, was (auf der sekundären Signifikationsebene) gemeint ist. In den Vordergrund rükken muss statt dessen die spezifische Relation zwischen Sprichwort- und Referenzsituation, d.h. die abstrakte ‘Sprichwortidee’ auf der sekundären Signifikationsebene. Aus diesem Grunde hat Grzybek (1984) das Seitel’sche Schema erweitert und von einer der Sprichwortverwendung zugrunde liegenden “doppelten Analogie” gesprochen, welche (a) in der Integration von erstem und zweitem Signifikationsniveau, (b) zwischen der aus der Sprichwortsituation hervorgehen-
den Analogie und der durch die Referenzsituation implizierten Relation von Sachen und/ oder Sachverhalten zu sehen wäre. Folglich würde ein Sprichwort dann “stimmen” bzw. “passen”, wenn die aus der Sprichwortsituation abstrahierte “Idee” auch der Referenzsituation zugrunde liegt. Drückt man diese abstrakte Idee des als Relation p : q aus, so erhält man die Formel A : B :: p : q :: C : D (vgl. Grzybek 1984, 235).
Allerdings wird dieses Schema dem oben angesprochenen Modellbegriff nur bedingt gerecht, da implizit Abstraktionsresultate, die einerseits aus sprachlichen, andererseits aus nicht-sprachlichen Gegebenheiten (d.h. aus Sprichwort- und Referenzsituation) abgeleitet werden, als identisch angesehen werden. In diesem Sinne sind die o.a. Begriffe ‘Situationsmodell’ und ‘Modellsituation’ auszudifferenzieren (vgl. Grzybek 1998a,b,c): Dabei lässt sich einerseits die von einer jeweils konkreten sprichwörtlichen Aussage abstrahierte generellere Bedeutung als ‘Modellsituation’ bezeichnen, andererseits der einer individuellen und unikalen Referenzsituation (als situatives token, auf das ein Sprichwort sich bezieht) allgemeine Typ (bzw. eine Klasse) von Situationen als ‘Situationsmodell’. Diese Ausdifferenzierung von Sprichwortund Referenzsituation in type und token bzw. die damit einhergehende Differenzierung von Situationsmodell und Modellsituation entspricht der oben diskutierten Gegenüberstellung von Sw-Variante bzw. Sw-Invariante und Rs-Variante bzw. Rs-Invariante. Abb. 15.3. veranschaulicht die Komplexität der involvierten Abstraktionsprozesse. Aller-
Abb. 15.3.: Situationen und Modelle der Sprichwortverwendung
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V. Semiotische Aspekte der Phraseme/Semiotic aspects of set phrases
dings bezieht das Schema sich auf einen synchronen (End)-Zustand, der den Eindruck einer vermeintlichen Symmetrie erzeugt; es könnte der Eindruck entstehen, als ließe sich prinzipiell von der sprachlichen Oberfläche ausgehend die abstrakte Textbedeutung ohne Kenntnis der Referenzsituation(en) bzw. der Modellsituationen ableiten. Die Erschließung abstrakter (konnotativer) Bedeutungsstrukturen ist jedoch nur a posteriori, d.h. nur in Kenntnis der Referenzbedingungen und -restriktionen als Ergebnis einer hinreichenden Anzahl von Referentialisierungen und aus diesen hervorgehenden Konstruktionen von Modellsituationen möglich. Insofern gibt Abb. 15.4 den Modellierungsprozess in seiner Genese wieder. Abb. 15.4. verdeutlicht den Zusammenhang zwischen Semantik und Pragmatik, indem der für die Konstruktion einer Modellsituation notwendige (wiederholte) Prozess der Referentialisierung (bzw. der zeichenhaft vermittelten Kenntnis dieses Prozesses) betont wird. So lässt sich unter Bezugnahme auf allgemeine modelltheoretische Überlegungen (vgl. Grzybek 2000, 17) die folgende Definition leisten: Ein Sprichwort lässt sich dann als Modell der von ihm bezeichneten Situation verstehen, wenn sich – womöglich in einer gegebenen Interaktionssituation (I) – aus der Sprichwortsituation (IIa) ein Situationsmodell (IIb) ableiten lässt, welches zu einer aus einer konkreten Referenzsituation (IIIa) abstrahierten Modellsituation (IIIb) in isologischer Relation steht. Die Bedeutungsbeschreibung sprichwörtlicher Aussagen kann somit letztendlich nicht ohne die Kenntnis kulturell etablierter Kontexte im Sinne kulturell zulässiger Referentia-
lisierungen und mit ihnen einhergehender (pragmatischer) Restriktionen vorgenommen werden. Diese Feststellung ist vor allem für die differenzierende Typologisierung phraseologisch-parömischer Einheiten relevant und betrifft u.a. Beispiele wie die Flinte ins Korn werfen, ein Eisen im Feuer haben, aus der Mücke einen Elefanten machen, u.a.m. In Anbetracht der obigen Darlegungen zur sekundären Nomination und Modellierung ist eine entscheidende Frage also, ob es auf der tiefensemantischen Ebene um eine Inbeziehungsetzung zweier Entitäten geht. Die Frage lautet also nicht etwa, ob “die interne Valenz des Phraseologismus mindestens zwei Aktanten aufweist” (so Burger 1998, 55). Ebenso unzutreffend ist, dass in Sprichwörtern oder sprichwörtlichen Redensarten “zwei Objekte in eine bestimmte Relation gebracht werden”, was grammatisch gesprochen zwei nominalen Elementen entspreche, deren Relation durch ein Verb bezeichnet werde (ibd., 55) – im Gegensatz zu Phrasemen (NB!) wie das Kind mit dem Bade ausschütten. Die fehlende Fähigkeit der Bildung sekundärer Modelle betrifft also – entgegen Burgers (1998, 80) Annahme – nicht nur nicht alle (!), sondern überhaupt keine Phraseme (im engeren Sinne), weswegen auch ein vermeintliches Gegenbeispiel wie jmd. einen Korb geben unpassend ist. Die Komplexität der hier angesprochenen Problematik hat Burger (2003) offenbar auch veranlasst, das Kapitel “Problematische Termine”, aus dem die obigen Zitate stammen, aus der 2. Auflage seines Buches zu eliminieren. Entscheidend ist nämlich vielmehr, ob auf der tiefensemantischen Ebene eine sekundäre Prädikation bzw. Modellierung vorliegt. Eismann/Grzybek (1994) haben gezeigt, dass
Abb. 15.4.: Situative Genese von Sprichwortmodellen und -bedeutungen
15. Semiotik und Phraseologie
sich im Hinblick auf die Differenzierung phraseologisch-parömischer Einheiten im Prinzip verschiedene Ansätze anbieten: Ihr daraus resultierender Vorschlag beinhaltet die Berücksichtigung von Objekt- und Metasprache: Liegt etwa auf der Ebene der Objektsprache (d.h. der Text-Oberfläche) grammatisch nicht abgeschlossener Sequenzen nur ein Objekt vor, wie etwa in den Faden verlieren, so handelt es sich zweifelsfrei um ein Phrasem; grammatisch abgeschlossene Sätze mit einem Objekt, die dem ersten von vier logisch-semiotischen Typen bei Permjakov entsprechen würden (wie etwa Wasser fließt immer bergab, Alles fließt), lassen sich dabei als sprichwörtliche Gemeinplätze oder Truismen interpretieren. Sind hingegen auf der Textoberfläche zwei Objekte realisiert, so hängt eine Differenzierung von der zugrunde liegenden Tiefensemantik ab. In diesem Sinne ist es nicht (nur) eine Frage der Metasprache, ob aus einer Mücke einen Elefanten machen arelational als “etwas unnötig aufbauschen, weit übertreiben” oder relational als “aus einer kleinen (unbedeutenden) Sache eine große (wichtige) machen” beschrieben wird – in letzter Konsequenz ist es auch eine Frage, welche Modell-Situation der Verwendung zugrunde gelegt wird, d.h. inwiefern dieser eine relationale Grundkonstellation als immanent angesehen wird oder nicht. Dieses Problem wird sich kaum ohne weitere Spezifizierung der Metasprache klären lassen, wobei insbesondere die Frage der möglicherweise prinzipiellen (impliziten) Relationalität von Verben von besonderer Bedeutung sein wird; bis zu dieser Tiefe der Verbtheorie ist jedoch die Phraseologieforschung nie vorgedrungen, wobei eigentlich Antworten aus dem Bereich der Psycholinguistik zu erwarten wären, deren Untersuchungen bislang jedoch nicht mit ausreichend differenzierten phraseologischparömiologischen Konzepten durchgeführt wurden.
3.
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Peter Grzybek, Graz (Österreich)
16. Phrasemes from a cultural semiotic perspective 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Preliminary remarks Intertextual phenomena Fictive conceptual domains Cultural symbols Aspects of material culture Culture-based social interaction Summary Select bibliography
1.
Preliminary remarks
According to a number of research traditions, phraseology is a secondary semiotic system, in which phrasemes are regarded as secondorder signs, composed of pre-existent first-order signs. Makkai’s (1978, 403ff.) “Multiple Reinvestment Principle” states that the formation of complex multiword lexical items by means of existing lexical units is a language universal, where the newly formed items bear the feature of idiomaticity. Earlier Soviet research in phraseology was quick to emphasise that the special nature of phrasemes connects them more deeply with cultural phenomena
than primary signs. Initially, researchers were dealing with questions of the “national-cultural” or the “universal” in these complex secondary signs (cf. e.g. Černyševa 1980, 11ff.). Several studies on sub-areas of the cultural foundation of phraseology have since demonstrated that modern phraseology research is unthinkable without taking cultural knowledge into account (cf. Dobrovol’skij 1998, 55ff.). Most recently, there have even been voices calling for a look at the etymological origins of phrasemes in order to describe their semantics. Using German and French material, Gréciano (2002, 433ff.) discusses etymological explanations of phrasemes with respect to philological aspects and thematic groups of constituents, which allows her to gain relevant cultural-semantic insights into, among other things, the motivation of phrasemes. However, other questions regarding the interconnectedness of culture and phraseology remain, as for example, how and to which extent does culture actually show in phraseol-
16. Phrasemes from a cultural semiotic perspective
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ogy? Can the cultural knowledge structures that underlie phrasemes be classified in groups? In order to tackle these questions, it is convenient to concentrate on those figurative phrasemes whose etymologies are deemed clear, i.e. on cases where there is little doubt about the kinds of cultural knowledge involved in establishing the motivating links between literal and figurative meaning (regardless of whether speakers are familiar with the true etymology or not). Following a semiotically based concept of culture (cf. Dobrovol’skij/Piirainen 2005, 205ff.), this article presents a classification of the principal underlying cultural phenomena that is guided by the multi-language phraseological material itself. If we start exclusively from this linguistic basis, i.e. from figurative phrasemes, we can note the emergence of structures of cultural phenomena that are similar (though not identical) to those established by semioticians. While attempts to define the notion of “culture” have repeatedly resulted in a triad such as social, material, and mental culture (cf. e.g. Posner 1991, 42ff.), the category “mental culture” seems unsuitable for describing linguistic phenomena because language as a whole is a mental phenomenon. Based on rich cross-linguistic empirical data, the analysis suggests that the following kinds of cultural phenomena underlie phrasemes: (a) intertextual phenomena, (b) fictive conceptual domains, (c) cultural symbols, (d) aspects of material culture, and (e) culturebased social interaction. It is, however, often difficult to draw sharp lines between these groups, as they tend to overlap and because they are interrelated. The following dichotomy is important for describing culture in phraseology: we have to distinguish between “cultural foundation” and “cultural specifics”. The term cultural foundation denotes a very general quality, referring to culture in a wide sense. Most phrasemes are culture-based phrasemes. The rare exceptions are those phrasemes that can be understood without any cultural knowledge, where the motivation is based purely on biological facts or on the outward appearance of something. By contrast, the term cultural specifics presupposes a cross-linguistic perspective. A phraseme can be called culture-specific only in contrast to another language or to several other languages. The progress of research on cultural phenomena within phraseology varies from lan-
guage to language. Apart from some studies on smaller sub-areas on cultural specifics of individual phrasemes, there exist only a few comprehensive reference books, such as the historico-cultural work on German phraseology by Röhrich (1995) or the etymological dictionary on Russian phraseology by Birix et al. (2003).
2.
Intertextual phenomena
The cultural semiotic foundation of a large number of phrasemes can be ascribed to “intertextual phenomena”. The term “intertextuality” was developed mainly within literary studies and is applied here in a broad sense, as the relation between phrasemes and certain texts that can be identified as their sources. For the notion of this term in the field of phraseology, see Burger (1991, 17–18). We are dealing with quite heterogeneous cases of phrasemes here, ranging from textual links with classical antiquity and its myths (Achilles’ heel) or dramas (German Eulen nach Athen tragen, from Aristophanes “Ornithes”, verse 301) to historical events (cross the Rubicon, ascribed to Caesar) and stories of foreign cultures such as Native American culture (bury the hatchet). There can be direct references to particular written texts, more or less word-for-word quotations from works of belles-lettres and poetry, folk tales, national epics, the Bible, legends, and even titles of films, TV shows, books, songs, advertising material, etc., as well as allusions to an entire text or a large section of it, summarising a particular situation described in that text. All of these phrasemes have their identifiable textual sources. Comprehensive research has been carried out on “biblicisms” in various languages, i.e. on phrasemes that can be directly or indirectly traced back to verses or chapters of the Bible. A wealth of studies are concerned with specific aspects of biblical phrasemes or with the more general impact of Bible translations on individual languages (e.g. van Dalen-Oskam/ Mooijaart 2000; Parad 2003). For a long time after the invention of letterpress printing, the Bible was the only book in many families, and whole passages were learnt by heart. Many biblical idioms are widespread in European languages and in fact so familiar that they are used without conscious reference to the original context, such as built on sand (Matthew 7,26), swim against the tide (Sirach
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V. Semiotische Aspekte der Phraseme/Semiotic aspects of set phrases
4,31) or take someone under one’s wing (Psalm 91,4). Besides such approximate quotations of biblical verses, some more or less vague knowledge about biblical stories can also establish the motivational link. The idiom not know someone from Adam, for instance, is based on knowledge about Adam as the biblical first man. Fables and similar narratives are another culturally important complex of texts, whose significance as educational subject matter started to decrease as late as in the last century. The relationship between phrasemes and fables has been a topic of intensive semiotic and intertextual research (see e.g. Carnes 1988; Grzybek 1994). Most phrasemes related to fables were originally proverbs (simple texts themselves) that have partly been transformed into idioms. There are a number of proverb or fable complexes that share a common motif, such as sour grapes or Finnish happamia, sanoi kettu “sour, said the fox”, pointing to an attitude where someone disparages or despises something because they cannot have it themselves. This summarises “The Fox and the Grapes”, originally an Aesopian fable that was later adapted from Greek and Latin versions to many popular and poetic variants throughout European cultural communities. With respect to these intertextual phenomena, the phraseologies of European standard languages exhibit a great uniformity. This is often attributed to Europe’s common cultural heritage, with its religious, historical, and literary traditions, ranging from Greek antiquity, through Medieval Latin literature, the Renaissance and Humanism (when Latin was the scholarly lingua franca) to many other literary contacts in Europe over the centuries (cf. the ongoing research project “Widespread Idioms in Europe and Beyond”, Piirainen 2005a, 2005b). Other cultural areas with long literary traditions show similar tendencies towards a uniformity of phraseologies through works of the cultural heritage. This is the case, for instance, in those East Asian areas where languages have been strongly influenced by Classical Chinese. Paczolay (1994, 11ff.) gives several examples of phrasemes originating from Chinese literature that have spread equally at least into Korean, Japanese and Vietnamese phraseology. For example, the Jadasoku, meaning ‘unnecespanese idiom sary, superfluous’, is so familiar and unobtru-
sive that most speakers probably are not aware of its originating in the anecdotes of the “Warring States” (403–221 BC). Its literal reading, “snake-leg”, summarises essential points of a story – about the drawing of a snake where legs are ‘unnecessarily’ added – in an extremely condensed way (Paczolay 1994, 40). Many literary fragments were initially used as citations and thus clearly related to an author and an identifiable text passage before they gradually developed into phrasemes. Great significance should be attached to the theatre as a form of mediator: the metrical form of the classical verse drama had a beneficial effect on the lexicalisation of certain expressions. The fact that several hundred phrasemes can be related to works of Shakespeare, Molière, Goethe, Schiller, etc. has been described quite well and yielded numerous dictionaries of quotations. What has been underestimated, however, is the fact that several idioms originating from texts are not motivated in a semantically regular way. Good examples are idioms with “animal constituents”, which have already been the topic of many studies. Any attempt to explain the motivation of idioms like the German das (also) ist des Pudels Kern or its Finnish equivalent siinä on villakoiran ydin “in this there is the poodle’s core”, both meaning ‘that is what is behind it’, on the basis of the concept POODLE are bound to fail. Educated speakers of German know that the idiom is a quotation from Goethe’s drama “Faust” (part I, line 1323), while most speakers of Finnish are not conscious of the fact that it is a loan translation (maybe mediated via the Swedish det var pudelns kärna) which has its origins in a German work of literature. The actual meaning of these idioms does not seem to be fully comprehensible. Without proper knowledge of the specific historico-literary reference, the function of the words meaning ‘poodle’ remains unclear, and the only way to make sense of these idioms is to refer to the literary source. We could enumerate many further idioms of this kind, where a regular motivation is thwarted by their intertextual origins, cf. the biblicism cast pearls before swine with its rather uncommon constituent swine, “inherited” from the source, or the idiom shed crocodile tears, originating from a legend, which cannot be motivated by knowledge about crocodiles, neither in the form of natural experience nor of symbolic knowledge (cf. 4.).
16. Phrasemes from a cultural semiotic perspective
3.
Fictive conceptual domains
Folk theories of ancient times and pre-scientific or fictive conceptions of the world (including religion, superstition, common belief, etc.) are important components of the cultural foundation of phraseology. However, they have never been explored as systematically as have the links between phrasemes and texts like the Bible, fables, or works of literature. Whenever linguistic studies mention the “naive” world-view with which language invariably provides all human beings, the example sunset/sunrise is almost exclusively used. Although speakers know that the sun does not circle the earth, they use words reflecting pre-Copernican views. Phraseology provides a wealth of comparable expressions that can be traced back to such older world-views. Fictive conceptual domains like ANGELS, DEVIL or HELL are strongly elaborated in the phraseologies of European languages (cf. enough to make the angels weep, until hell freezes over, or it hurts like hell, and many similar idioms from other languages), which suggests that these fictive concepts are alive even in modern times. The folk concept of DEVIL exists not only in colloquial expressions like the devil knows, there will be the devil to pay but also in idioms like a cloven hoof ‘a hidden disadvantage, a defect’ or the German das hat einen Pferdefuß “that has a horse’s foot” ‘there is a disadvantage (which is hidden at first glance)’. These idioms are motivated by some vague cultural knowledge about the DEVIL as he is shown e.g. in traditional pictures: in one tradition, there is the torso and the head of a man with the legs and cloven hooves of a goat as a giveaway sign of the devil. In other traditions, the devil is shown with horse’s hooves or with one human foot and one horse’s foot. According to folk belief, malice or a disadvantage becomes visible wherever this horse’s hoof appears. Such half-religious cultural concepts, remote in time, are still active in the contemporary phraseology. Using these phrasemes “contradicts” modern scientific knowledge in the same way as using the words sunrise and sunset does. An ancient folk model with a great deal of influence on the phraseologies of European languages is Hippocrates’ “humoral pathology”. This theory stated that combinations of the four fluid humours of the body, yellow bile, black bile, blood, and phlegm, determined the four prototypical temperaments, namely the choleric, the melancholic, the san-
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guine, and the phlegmatic temperament. This doctrine was effective from antiquity and medieval times up to the 18th century before it became outdated as a result of modern medical science. Although most average speakers have no knowledge about the doctrine, phrasemes maintaining traces of it in their lexical structure are still familiar (e.g. French se faire du mauvais sang; se faire de la bile ‘be worried’. Geeraerts and Grondelaers (1995, 162ff.) find it more convincing to explain certain idioms expressing ANGER by means of this culturally loaded semiotic system than regard them as solely motivated by culturally independent, bodily-based conceptual metaphors. The German idiom jmdm. läuft die Galle über provides a motivating link between the literal reading “someone’s gall/bile is overflowing” and the actual meaning ‘someone is getting very angry’. Within the humoral semiotic system, the choleric temperament manifests itself in anger and irascibility. Anger was seen as an overproduction of yellow bile. Connections between colours and emotions can also be traced back to tacit knowledge of this doctrine, which ascribed GREEN or YELLOW to ANGER (cf. Italian diventare verde, Russian позеленеть от злости (pozelenet’ ot zlosti) ‘get very angry’) as well as to ‘jealousy, envy’ (cf. be green with envy, Finnish olla vihreänä kateudesta “be green because of envy” or Dutch groen/geel zien van de nijd “be looking green/yellow with envy”). The idiom the green-eyed monster meaning ‘extreme jealousy’ is a quotation from Shakespeare’s tragedy “Othello, the Moor of Venice” III,3,166, which shows that the existence of the concept GREEN ENVY in English is also supported by phenomena of intertextuality. In Shakespeare’s days, the humoral doctrine was still alive, and it appears throughout his popular dramas. Another strand of pre-scientific folk theories with long cultural traditions is connected with the LIVER (cf. the myth of Prometheus, whose liver, eaten by an eagle every night, proves to be an immortal seat of vitality). In medicine of classical antiquity and Middle Ages, the liver was seen as the organ of vital energy and emotions, especially of wrath. Numerous idioms reveal specifics of this semiotised concept of the LIVER, e.g. the Italian mangiarsi il fegato “eat the liver” ‘be very angry’ or the Hungarian nagy mája van “his liver is big” ‘he is very angry’. According to pre-scientific anatomy, the liver was
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V. Semiotische Aspekte der Phraseme/Semiotic aspects of set phrases
believed to produce the blood. The red liver, supplied with blood, was associated with ‘courage’, whereas the liver lacking blood was connected with ‘cowardice’. This folk belief, once widespread in Europe, left traces in a few European languages. It is clearly tangible in English idioms from the field ‘cowardice’ (be yellow-livered/a white liver/a lily-liver, also supported by Shakespeare’s dramas, cf. Macbeth, V,3) and in French idioms (avoir les foies rouges ‘be courageous’, avoir les foies blancs ‘be terribly worried’); cf. also Italian avere del fegato, Spanish tener hígados ‘have courage’ or Greek μoυ κόπικαν τα ήπατα (mu kópikan ta ípata) “the livers cut me” ‘I lose courage’. The equivalents lose heart, be disheartened or Dutch geen hart in zijn lijf hebben “have no heart in one’s body” ‘have no courage’ reveal a related folk model, namely the semiotisation of the concept HEART, which is strongly effective in European phraseologies. The cultural specifics of these idioms become even more comprehensible when we turn to languages of distant cultural areas, such as East Asia. The concept HARA in Japanese culture should be mentioned here, which is very productive in Japanese phraseology (cf. Piirainen, 1995, 297ff.). As has often been stressed, HARA has the status of a key concept in Japanese culture, without equivalents in Western languages. Translations of hara (an element of male language) as ‘stomach’, ‘abdomen’, or ‘the inner of the belly’ are only makeshift renderings. According to the folk theory, HARA is the location of the mind, the centre of mental energy and emotions. There is no strict separation between intellectual thought and emotion in the East Asian way of thinking (while a number of studies exist on this subject, none of them is located in the field of phraseology; see Hasada 2002, 115ff., for an overview). A plethora of idioms present HARA not as a part of the body but as a semiotised concept. Several idioms are connected with mental activ(hara wo waru) “split the ities, e.g. belly” ‘reveal one’s thoughts, tell the truth’; (hara wo kimeru) “decide the belly” ‘make a decision’. Other idioms signify (futoppara human qualities, such as da) “have a thick belly” ‘be magnanimous, (hara ga kuroi) “the belly generous’; is black” ‘be evil, deceitful, scheming’. A further complex is that of emotions, espe(hara ga tatsu) cially of ANGER, cf. “(my) belly stands” ‘(I am) very angry’. This
idiom cannot be interpreted on the basis of “bodily experiences” since HARA is just not used in its literal meaning as a part of the body here, but as a semiotised concept deeply rooted in East Asian culture (comparable to GALL in the tradition of humoral pathology). The culturally based concept HARA manifests itself in various semiotic systems other than language, e.g. in ancient traditional medical theories with their way of thinking in analogies, in the concept of a FAT BELLY, connected with Buddha or with Hotei (one of the Shintoistic Seven Gods of Luck, symbolising wellness and prosperity), in specific breathing techniques in Zen Buddhism, in sumo wrestling, or in the ancient Japanese ceremonial rite of self-disembowelment. Although innumerable phraseological studies have looked at “somatisms”, there has as yet not been any systematic and comprehensive investigation. In view of their intensive cultural semiotic foundations, phrasemes based on concepts like GALL, LIVER, HEART, or HARA/BELLY cannot be described merely in terms of “somatic constituents” or abstract “bodily-based” conceptual metaphors. To summarise, many phrasemes are conceptually based on ancient sets of ideas later rejected in the course of scientific developments. Nowadays they may be interpreted in terms of culture because the old world-views are still part of the particular cultural memory.
4.
Cultural symbols
Knowledge about cultural phenomena in phraseology manifests itself in two categories of phrasemes. The relevant cultural knowledge may extend to the entire expression (most phrasemes based on intertextuality, fictive conceptual domains, or aspects of material and social culture belong to this category), or it may extend chiefly to one single key constituent, which is regarded as a cultural and linguistic symbol. Phrasemes containing cultural symbols are discussed in Dobrovol’skij/Piirainen (1997, 1998, 2005). The motivational link between the literal and figurative readings is established by semiotic knowledge of the concept represented by this key constituent, its meaning in cultural sign systems other than language. In order to investigate into phrasemes of this kind a consistent metalinguistic apparatus is needed that makes it possible to compare symbols in natural language with similar phenomena in “secondary
16. Phrasemes from a cultural semiotic perspective
213
cultural codes” such as mythology, religions, popular customs, fine arts, etc., along the same lines. This approach complies, in some respect, with heuristics developed by the Moscow-Tartu School called semiotics of culture. According to semioticians of this provenance the mutual translatability from one code into another is possible via natural language, which forms a universal foundation for all secondary codes (cf. Lotman 1990; Portis-Winner 1994, 114ff.). Semiotics of culture is regarded as an accumulation of interdisciplinary research on cultural phenomena, extending from the analysis of language and literature to all other culturally relevant phenomena. This theoretical framework makes it possible to relate very different occurrences of symbols to each other. Some elements of this theory have been adopted as a metalinguistic tool for the analysis of cultural symbols in phraseology. Those following are the main features of the symbol in phraseology and culture (cf. Dobrovol’skij/Piirainen, 2005, 253ff.):
ben “have gold in the throat”: its actual meaning ‘have a great talent for singing and be able to earn money by means of this talent’ mainly results from the concept GOLD that can be singled out and interpreted as ‘something very valuable’ by corresponding culture knowledge (GOLD in myths, fairy tales, alchemy, painting, in modern sport, etc.). A symbol is semiotically constant; it may gain entry into a new semiotic context and still preserve its symbolic functions. The ability to adapt to another text is a precondition for the comparability of a symbol in language and culture. The OWL as a symbol of ‘intelligence, wisdom’ is known in philosophy just as well as a logo of an academic publishing house or a university, as a prize in an intellectual quiz show, or as an idiom-constituent (as wise as an owl), and still remains the same symbol containing the same symbolic meaning. Symbols show a tendency to occur in groups, viz. in symbolic domains, cf. the domain of colour symbolism. The concept WHITE can be evoked by the antonymous concept BLACK (two blacks don’t make a white ‘two wrongs don’t make a right’). However, BLACK is also in contrast with GREY (the grey market) or ROSE (look through rose-coloured spectacles vs. look on the black side). A symbol exists within its cultural area and is connected with the community to which it belongs. Although symbols have a high degree of consistency in their internal cultural logic, their meanings can undergo transformations under the impact of the cultural context and in accordance with the change of the culture in question. In China the BAT is a symbol of longevity and joy, attributed to Fu Hsing, one of the five gods of luck, whereas the Occident sees it primarily as an eerie creature. Idioms like an old bat, go batty or have bats in one’s belfry would have no place in cultures where BAT is a positively connoted symbol. We have to distinguish between active and inactive symbols. Concepts such as WHITE, OWL, WOLF, GOLD, as mentioned above, are firmly established in both phraseology and culture; they have been adapted from semiotic systems of former times and are supported by symbolisations of modern culture, such as advertising, TV shows,
– A symbol has undergone a semantic reinterpretation (a metonymical shift). It is a sign whose primary content is used as a sign for denoting another content, which is usually of higher value than the primary content. Cf. the idiom whiter than white. The primary meaning ‘white’ has metonymically shifted to meanings such as ‘honest’, ‘true’ or ‘morally pure’ being of higher degree of abstraction than the primary one. However, the symbol WHITE in language preservers connotations of the colour ‘white’. – A symbol is primarily interpreted on the basis of “agreement”, i.e. of convention. The relation between its form and meaning is conventional rather than pictorially comprehensible (cf. the relation between OWL and ‘intelligence, wisdom’). – A symbol may develop divergent meanings. For example, WOLF reveals symbolic functions as ‘danger’ (cry wolf) or ‘economic despair’ (keep the wolf from the door), which are recurrent in phraseology and supported by other codes of culture (cf. the wolf as a dangerous, greedy, people devouring demon in fairy tales and other narrative traditions). – A symbol is semantically independent of the given context. Symbol-based phrasemes are semantically decomposable. Cf. the German idiom Gold in der Kehle ha-
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V. Semiotische Aspekte der Phraseme/Semiotic aspects of set phrases
animated cartoons, computer games, etc. There are also less active cultural symbols in phraseology, which can be classified as inactive or dead according to their degree of linguistic and/or cultural-semiotic relevance. These groups include symbols that have been active at the time when the phrasemes in question came into being but are not comprehensible and not linguistically effective any more. The arbitrariness of symbols, their profound cultural foundation, and the divergence between active and inactive symbols can be illustrated by number symbolism (see Dobrovol’skij/Piirainen 1997, 289ff.; Piirainen 1998, 284ff.). Relevant knowledge from bygone times can disappear and yet leave traces in the phraseology. It is presumed that the number NINE, once an outstanding symbol in the North and Middle European cultural spheres, achieved this status through astronomic observations in a distant past. The knowledge of NINE as a significant number in the lunar calendar has been lost entirely over the centuries. However, NINE is a relevant symbol in the phraseology of Finnish, Lithuanian and English, where SEVEN almost does not exist. The importance of NINE in these languages corresponds to former cultural codes of the Finnish, Baltic and North Germanic area preserving traces of pre-Christian number symbolism, where NINE was more important than SEVEN. However, NINE is of no importance in other European languages, which, for their part, prefer SEVEN as a significant number symbol, in accordance with the dominant general status of SEVEN in both earlier and contemporary culture. The genetic affiliation is not important here, since Estonian, closely related to Finnish, and Germanic languages other than English, clearly prefer SEVEN in phraseology. The divergence of NINE and SEVEN must be explained in a broad framework of cultural semiotics, taking into account that the development of symbols in language and secondary codes of culture does not necessarily proceed in a parallel way. Whereas the EIGHT is of almost no importance in European languages, it is a very active symbol in Japanese phraseology and culture. There is not only a plethora of Japanese idioms with EIGHT in symbolic functions but also an enormous support in cultural codes from the early past up to the present. Japanese people are usually conscious of the cultural relevance of the EIGHT even today. The oldest
Japanese myth-history describes the Japanese cosmogony as being based on the sacred number EIGHT. “The Great Eight-Island Realm” has become a poetic name for Japan. Ancient Chinese numerology as well as Buddhism and Shintoism represent the EIGHT as a sacred number, which left traces in the phraseology. The character denoting ‘eight’, , is considered to be a symbol of luck. In contrast to NINE in European languages, the EIGHT in Japanese can be given as an example for homology between symbolic functions in phraseology and contemporary culture.
5.
Aspects of material culture
Presumably, the vast majority of phrasemes are those whose cultural foundation can be ascribed to aspects of material culture, which are embedded in everyday life of the past or present. Material culture becomes mainly visible on the level of rich images of the source domains. All kinds of artefacts such as food, garments, home furnishing, and dwelling style, tools or elements of modern society such as sports, traffic and transport, technology, radio and telecommunications, and the banking system can play a part in the literal reading of phrasemes. Idioms of this group are often similar in various languages. A typical example is the English give the green light (to sb.) ‘encourage or allow to proceed, give sb. permission to do sth.’: The idiom is common from northernmost Europe (Finnish näyttää vihreää valoa “show green light”) to the southernmost parts (Greek δίνω τo πράσινo φωB (díno to prásino fōs) “give the green light”) and also outside Europe (Chinese kāi lǜ dēng “give green light”). This uniformity of phrasemes is grounded in the convergence of modern material culture worldwide. However, there are minor languages and basic dialects, even in Central Europe, where there is no place for such objects of modern culture as source concepts, where it is impossible to use an expression like “give the green light”, although most speakers are familiar with traffic lights rules (cf. Piirainen 2004, 88, 2005a, 320f.; cf. Art. 45). Idiosyncratic aspects of material culture in European standard languages in all seem to be rare. Possibly, the concept SAUNA is unique to Finnish phraseology. The SAUNA is an essential part of the traditional culture of Finland; it is also a relevant source-frame in some idioms (e.g. lisätä löylyä “increase sauna steam” ‘cause a conflict
16. Phrasemes from a cultural semiotic perspective
215
to become more intense’). Certainly the farther one moves away from the relatively unified European cultures, the more elements of culture-specific artefacts can be found in phraseology. Looking at the history of fragments of material culture, one may discover some subtle cross-linguistic and cross-cultural differences. Of the European standard languages, Finnish and Dutch emerge as possessing an aboveaverage number of phrasemes with words denoting ‘hatchet’. There are even pairs of idioms, which seem to be almost equivalent as far as their image source and actual meanings are concerned: cf. Finnish heittä kirveensä kaivoon/järveen “throw one’s hatchet into the well/lake” and Dutch het bijltje erbij neergooien “throw the hatchet down there” both meaning ‘give up in despair, stop doing something for good because of discouragement’. The two cultures differ in view of their material traditions. HATCHET was a salient concept in Finland in former days; it was the prototypical tool of woodcutters, wood and forestry workers. The concept HATCHET in the Dutch phraseology is of other origin. The Netherlands is known as a famous seafaring and shipbuilding nation. The big ocean-going sailing boats have been shaped by Dutch shipbuilding specialists. The hatchet was the prototypical tool of all the workers occupied with shipbuilding. The ship builders themselves were called bijltjes ‘hatchets’. Thus, HATCHET belongs to different concepts in the material culture: to FORESTRY/WOOD in Finnish and SEAFARING/OVERSEAS TRADE in Dutch phraseology. The material culture even can influence the conceptualisation of elements of the natural environment, as is illustrated by the source frame ISLAND in Dutch and Japanese phrasemes. The Dutch idiom we zitten hier niet op een eiland “we do not sit here on an island” ‘we are quite fine, we are doing quite well’ hands down world experiences of the former seafaring culture. If a seaman were driven onto an island, far from his native mainland, this would be tantamount to the feeling of desolation and hopelessness. Here, ISLAND is part of the frame SEAFARING. The opposite concept of ISLAND emerges in the Japanese (tori tsuku shima mo idiom nai) “there is no island to arrive” ‘be helpless, be left to one’s own devices’. Japan is an island country, consisting of four main islands and a number of smaller ones. ISLAND appears
as the place where one feels safe; it is the home that gives a sense of security amidst the hostile surroundings of the sea. Here, the frame ISLAND is part of the frame HOMELAND, HOME. Yet another estimation of ISLAND comes into light in the German idiom reif für die Insel ‘ready for a holiday, weary of modern civilisation’. The literal reading refers to modern mass tourism, where people may spend their holidays at the beach of an exotic island. Here, the frame ISLAND is part of the frames HOLIDAYS and RELAXING. Nevertheless, the idiom originates from the titles of a popular song and a novel and belongs to phenomena of intertextuality. To sum up, aspects of material culture play a considerable role in phraseology. A cross-linguistic and cross-cultural approach can reveal some subtle differences in the conceptions that underlie the material culture.
6.
Culture-based social interaction
Conceptions of social interaction and patterns of behaviour play a large part in the cultural semiotic foundation of phraseology. This means that a certain shared knowledge of culture-based and/or culture-specific social phenomena is involved in the processing of these phrasemes. I will focus on four central groups, which are related to each other: (i) cultural models, (ii) bans and taboos, (iii) gestures, and (iv) gender specifics. As far as cultural models are concerned, the cultural knowledge does not extend to the source concept but to the target concept. Most proverbs belong to this category, giving information about which values are upheld in a given culture and expressing generally applicable rules governing social behaviour. The proverb type Women have long hair and short brains, wide spread over many European and Oriental languages (Paczolay 1997, 413ff.), is such a model that reveals a sociocultural background. The idea is that women have to accept subordinate positions in society because of their alleged intellectual deficiency. Thus, traces of patriarchal social concepts (of former times) are handed down via proverbs of this kind. However, modern reinterpretations of traditional proverbs even allow us to look at the changes of such cultural models: the Japanese proverb (Kawaii ko ni wa tabi wo saseyo) “Send your beloved child travelling” once meant ‘A child (boy) should go
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V. Semiotische Aspekte der Phraseme/Semiotic aspects of set phrases
through bitter experiences, experience the hardships of society, far away from home’. Nowadays the proverb is used in the sense of Travel broadens the mind: parents have to make every effort to make foreign travels possible for their children. Although proverbs are the prototypical group revealing cultural models, all phrasemes referring to sociocultural components at the level of their target concepts actually belong to this group. As anthropological research has shown, target concepts like ANGER, FEAR or MARRIAGE are culturally and socially determined. In her empirical study on “tropes” (viz. phrasemes) for MARRIAGE, Quinn (1987) reaches the conclusion that attitudes and views of marriage are created by culture, and that the tropes in question reflect only the view of the given society. Especially emotion concepts (emotion prototypes sensu Wierzbicka 1999) are not universal but differ from culture to culture. Accordingly, phrasemes referring to these domains are culturally based. Actual meanings like ‘be angry’ of seemingly parallel expressions in languages of distant cultures are not the same and cannot be compared in principle. In view of the dichotomy between “culture-specific” and “culture-based” (see 1.), the specifics of culture of many phrasemes will emerge only in comparison with languages of cultural areas remote from contemporary industrialised societies. An example is the conceptualisation of TIME in modern industrialised cultures as a limited resource (e. g. spend time, Russian экономить время (ekonomit’ vremja) “save time” or Japanese (jikan wo rōhi suru) “waste the time” (as one can spend, save or waste resources) in order to talk about different aspects of TIME. One can imagine pre-industrialised cultures, that have remained outside the technological civilisation, where similar conceptualisations of TIME do not exist. The metaphor SUCCESSFUL IS UP in idioms like be riding high ‘be very successful’, the top of the ladder ‘the highest position in a profession’ and many parallels in other languages reveals a cultural model, where SUCCESS correlates with occupational positions and where certain jobs enjoy a higher reputation than others. Of course, such idioms can occur only in cultures with particular social hierarchies and concepts of values. Cultural conventions of a given society can influence phraseology in many different
ways. This includes the area of circumlocutions, euphemisms and allusions used to avoid talking about something directly. There are various situations where saying a word openly is felt to offend common decency or violate behavioural norms. Cf. be under the influence, have had one too many for be drunk. The cultural foundation of these cases lies in the need of the speech community to avoid direct naming and employ strategies of glossing over instead. In extreme cases there is not even a direct one-word expression available for denoting a given matter on which a ban on speaking has been placed. An example comes from a Low German dialect speech community: according to a taboo within the larger taboo area associated with sexual intercourse, it was not in order to talk about ‘pregnancy’. This dialect has no word meaning ‘pregnant’ but more than 30 indirect idioms that can be used instead. There are deeper cultural messages involved in such euphemisms used as avoidance strategy, making use of vagueness and underspecification (cf. Piirainen 2004, 94ff.). In sum, certain cultural conventions can be said to cause the development of a semantic field through the coinage of numerous phrasemes. Semiotised gestures encoded in the lexical structure of phrasemes also take part in the cultural foundation of phraseology. Semiotic knowledge about the conventionalised nonverbal behaviour of the given culture is required in order to interpret these phrasemes. The study of this type has a long tradition (cf. Burger 1976, 2003: 61ff.). Several phrasemes belong to this group merely from the viewpoint of etymology, handing down gestures that were customary in bygone times. The idiom tear one’s hair out reflects the semiotisation of a gesture of mourning used in antiquity; it is based on tacit knowledge of the convention that this gesture has been known as an indicator of the emotional state in question. Several binomials can be traced back to gestures performed in medieval legal practice, together with ancient wordings of a law, cf. German Stein und Bein schwören “swear stone and bone” ‘swear blind’: the defendant had to swear the oath by the altar (Stein) and the relic (Bein). Thus, other aspects of culture are also involved here. Several phrasemes can be accompanied by gestures and thus realised on two levels simultaneously, e.g. shake one’s head as a physical action and as an expression of rejection
16. Phrasemes from a cultural semiotic perspective
217
or disapproval. It is important that the gesture itself (regardless of whether it is actually performed) is a cultural-specific artefact with a culturally codified meaning. Many gesturebased idiom-types are widespread over the European languages and are culture-specific only from the viewpoint of distant cultures, cf. roll up one’s sleeves ‘be willing to set about hard work; prepare oneself for a difficult task’, which has equivalents in many Western languages. A Japanese idiom shows the semiotisation of a specific gesture originally executed by a Japanese man: (hitohada nugu) “take off one skin (undress completely)” ‘offer help to someone who is in difficulties’. The kimono with its expansive sleeves gets in the way of hard physical work: A man’s gesture to take off his kimono is the sign that indicates that he is willing to help another person. The idiom was an element of male language and, until recently, has been used only with reference to a male person. The gender-specific markedness of phrasemes is often related to several cultural phenomena. Gender-specific usage restrictions are grounded either in the image source (aspects of material and social culture, e.g. a garment or a gesture) or in the actual meaning (mainly in the sense of cultural models). The last example shows such a restriction, caused by the non-verbal behaviour encoded in the lexical structure: women do not perform the gesture of taking off their kimono. The gender restriction that originates from the image is a stable component of the semantic structure of the idiom (regardless of whether the idiom is also used by younger females today). Presumably, similar phenomena exist in European languages, but there is still a lack on systematic research in this field. Restrictions can still be observed in a few cases when the literal reading refers to a concept that once was prototypically and exclusively related to either females or males, cf. German seinen Hut nehmen “take one’s hat” ‘resign from one’s post, office, step down (referring to men)’. In former times, middle class men used to wear a hat in public, which they had to take off when they entered a room. When a man was leaving, he took his hat, and the expression denoting this action developed into the meaning ‘leave a group, say goodbye’. Although the action of “taking the hat” is no longer of any importance in today’s culture, the use of the idiom is restricted to males as frequency analysis testifies to.
Most gender-specific characteristics of phrasemes become apparent at the level of the actual meaning (see Piirainen 1999, 102ff., 2001, 289ff.). Cf. the idiom be left on the shelf. As far as the image is concerned, there is no indication of gender markedness. Nevertheless, the idiom is understood as referring only to women who are past an age at which they might expect to get married. There is an idea about conforming to the standard that only a woman should be married by a certain age. Other idioms reveal the idea that a woman (but not a man) should look nice and youthful; yet she must not go too far, may not wear clothes unsuitable for her age (an overdressed old bag, a mutton dressed as a lamb). A man, however, must be strong, brave, and emotionally insensitive (a big girl’s blouse); he must be self-confident, not influenced by others, especially not by his mother (be tied to sb.’s apron strings). Even goodnaturedness is not a positive characteristic (cf. Dutch een zijden sok “a sock of silk”, een zacht ei “a weak/soft egg” ‘a weakly man, not able to assert himself’). All these idioms have no counterparts for females; using them with reference to a girl or woman would make no sense. They clearly reveal cultural models of contemporary Central European societies. Deviations of these sociocultural norms are unfavourably commented by the speech community via such idioms.
7.
Summary
Studies in phraseology have so far mostly concentrated on questions about syntax and semantics. It is only more recently that the cultural foundation of phraseology has been duly noticed as playing an at least as important role, and it has been observed that different kinds of cultural phenomena can have linguistic consequences. Phrasemes tend to absorb and accumulate cultural elements; permanent use of the phrasemes hands these elements down and includes them into the cultural memory. There can be no adequate description of phrasemes and the way they function in a language without regard to culture, since in many cases culturally based concepts govern the inference from literal to figurative. Investigations into phraseology from a cultural-semiotic perspective have so far been restricted to single fields and to a small number of languages. While there are some well-in-
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V. Semiotische Aspekte der Phraseme/Semiotic aspects of set phrases
vestigated sub-areas of the cultural foundation, such as the intertextual boundness of many phrasemes or the connection between gestures and phrasemes, a lot of basic research on cultural foundation is still lacking. Wide areas are still far from clear, such as the actual part that former fictive conceptual domains play for the overall phraseological inventory of a language and the extent to which cultural models appear in the phraseology. Furthermore, at the current stage of research, it is not possible to say what cultural factors are effective beyond the level of single languages, or if single languages bear idiosyncratic phraseological features. At the moment, there is still a lack of investigations trying to cope with such questions on the basis of a larger number of languages, for example in an all-European dimension.
8.
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16. Phrasemes from a cultural semiotic perspective
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Elisabeth Piirainen, Steinfurt (Germany)
VI. Phraseme im Diskurs/Set phrases in discourse 17. Mündlichkeit und Schriftlichkeit aus phraseologischer Perspektive 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
1.
Sprach- und kommunikationsgeschichtliche Aspekte – Dominanz der Mündlichkeit in der Phraseologie Konzeptionelle Mündlichkeit und konzeptionelle Schriftlichkeit Diatextuelle und diamediale Markierung referenzieller Phraseme Kommunikative Phraseme in konzeptionell mündlicher und konzeptionell schriftlicher Kommunikation Formelhaftes und Musterhaftigkeit auf Textund Interaktionsebene Entwicklungstendenzen Literatur (in Auswahl)
Sprach- und kommunikationsgeschichtliche Aspekte – Dominanz der Mündlichkeit in der Phraseologie
Unstrittig ist, dass in der Menschheitsgeschichte wie im individuellen Spracherwerb das Schreiben dem Sprechen nachgeordnet ist. Die Ansicht, der mündlichen Sprache komme nicht nur in phylogenetischer und – sofern man von Ausnahmen wie dem Spracherwerb Gehörloser oder dem Lernen einer toten Sprache absieht – in ontogenetischer Hinsicht, sondern darüber hinaus auch eine kommunikative, funktionale bzw. aktualgenetische Priorität zu, da sie bei weitaus mehr kommunikativen Anlässen verwendet werde als die schriftliche, ist dagegen zu relativieren, da gesprochene und geschriebene Sprache “erst in ihrer Summe den kommunikativen Anforderungen einer entwickelten Gesellschaft zu genügen vermögen” (Nerius 1987, 832). Gesprochene und geschriebene Sprache übernehmen in der gesellschaftlichen Kommunikation unterschiedliche Aufgaben und sind jeweils für bestimmte kommunikative Aufgaben besonders geeignet (eine freie Wahlmöglichkeit zwischen gesprochener und geschriebener Vertextung ist in den seltensten Fällen gegeben). Auch im Hinblick auf die Phraseologie sind mit diesen Aspekten zwei zusammenhängende Problemkreise angesprochen: zum einen die Untersuchung von strukturellen und funktionalen Unterschieden zwischen gesprochener und geschriebener Sprache, zum anderen die Auswirkungen der Schriftlichkeit auf eine Sprachgemeinschaft
und ihre Äußerungs- bzw. Kommunikationsformen (auf die in diesem Zusammenhang geführte “Systemdebatte” kann hier nur hingewiesen werden, vgl. stellvertretend Rath 2001, 365ff; Dürscheid 2002, 38ff). Weder aus diachronischer noch aus synchronischer Sicht spielen Phraseme in mündlicher und in schriftlicher Kommunikation eine homogene Rolle. Aus sprach- und kommunikationsgeschichtlicher Sicht (d.h. unter Berücksichtigung textlicher und kommunikativer Zusammenhänge) lassen sich zum einen in bestimmten Phasen Präferenzen für bestimmte Typen von Phrasemen beobachten, zum anderen unterliegt der Rekurs auf das sprachliche Schema auch in funktionaler Hinsicht historischen Veränderungen, die nach Textsorten und Kommunikationsbereichen zu differenzieren sind – eine Aufgabe, der sich in erster Linie die historische Phraseologieforschung im Bemühen um Rekonstruktion von Phraseologisierungsprozessen (→ Kap. XX) und im Zusammenspiel mit diachronischer Textlinguistik und Pragmatik als Teil der Sprachgeschichtsschreibung annehmen muss. Vertritt man ein weites Verständnis von “Phraseologie”, das pragmatisch feste bzw. formelhafte Einheiten mit einschließt, ist in der Phraseologie eine “Dominanz der Oralität” (Fleischer 1996, 282) zu beobachten: “Formeln und Phraseologismen sind ihrem ureigensten Wesen nach eine Erscheinung mündlichen Sprachgebrauchs […]” (290). Die Begriffe “Formel” bzw. “formelhafter Sprachgebrauch” dienen dabei als Sammelbegriffe für unterschiedliche – die Produktion wie die Rezeption erleichternde – sprachliche Schematismen (komplexe Ausdrücke und Strukturen), die gebrauchsfertig für die Bewältigung je spezifischer kommunikativer Aufgaben zur Verfügung stehen. Die Dominanz der Mündlichkeit in der Phraseologie ist zunächst zu sehen im Zusammenhang mit (sprach)kulturell relevanten Zuständen und Übergängen (orale vs. oral-literale Kulturen) (allgemein dazu Pflug 1994; Raible 1994). Auch unter Bedingungen “primärer Mündlichkeit” (in Sprachkulturen ohne bzw. vor Entwicklung einer Schriftsprache) ist bereits eine gewisse Breite an Äußerungs-
17. Mündlichkeit und Schriftlichkeit aus phraseologischer Perspektive
bzw. Kommunikationsformen (u.a. etwa Ansprachen, Erzählungen, Rätsel, Formen rituellen Sprechens, Spruchweisheiten, Rechts-, Beschwörungs- und Zauberformeln) gegeben (Koch/Oesterreicher 1985, 29–30), die sich durch unterschiedliche Grade kommunikativer Nähe auszeichnen und die sich als “distanzsprachliche Ausprägung von Mündlichkeit” bzw. als “elaborierte Mündlichkeit” (30) charakterisieren lassen. Da (primär) orale Sprachgemeinschaften nicht über schriftgestützte Mittel und Verfahren für die Externalisierung (vgl. Klein 1985, 10; 29ff) und die Überlieferung bzw. Verdauerung (vgl. Ehlich 1981, 39; 1994, 19) kulturellen Wissens und der kulturellen Tradition, sondern lediglich über eine Gedächtniskultur verfügen, entwickeln sich als Spuren distanzsprachlicher Mündlichkeit bestimmte Formen und Verfahren, um die Memorisierung zu erleichtern und zur Herstellung von Dauerhaftigkeit zu verhelfen (vgl. Ehlich 1981, 39ff): Für die in oralen Gesellschaften vorhandenen Traditionsanlässe werden Sprechhandlungen “aus der Einmaligkeit herausgelöst, in neue Sprechsituationen versetzt und so aktualisiert. Der Überlieferungsprozeß bedient sich der Hilfe fester, situationstypspezifischer Formen” (Ehlich 1981, 42), die auf repetitive Kommunikationsbedürfnisse bezogen sind. Das aus heutiger Sicht als Rekurs auf Formelhaftigkeit zu charakterisierende Textherstellungsverfahren entspringt zentralen lebenspraktischen kommunikativen Anlässen insbesondere in den Bereichen Rechtswesen, Dichtung und Kult, die sich von jeher durch formelhaften (und z. T. ritualisierten) Sprachgebrauch auszeichnen. Komplexe(re) Textstrukturen werden also “durch eine lebendige Gedächtniskultur bereitgestellt, aber […] durch einen beträchtlichen Schematismus (Formeln, Stereotype usw.) erkauft” (Koch/Oesterreicher 1994, 590). Aus kommunikationsgeschichtlicher Sicht spiegelt sich damit in der Dominanz der Mündlichkeit in der Phraseologie die “Priorität der mündlichen Sprache” (Günther 1983, 17) bzw. der “Primat der gesprochenen Sprache” (Koch/Oesterreicher 1985, 25) wider. Gegenüber Formen mündlicher Vertextung stellt die Verdauerung flüchtigen sprachlichen Handelns durch Schrift ein zunächst koexistierendes, im Laufe der Zeit jedoch zunehmend konkurrierendes Verfahren dar, um Äußerungen aus der Einmaligkeit der Sprechsituation herauszulösen (ausführlich zu den Folgen der Verschriftlichung Ehlich 1994;
221
Koch/Oesterreicher 1994). Konsequenzen hat die Verschriftlichung der Kommunikation u.a. für das Symbolfeld: Sind die lexikalisch-semantischen Einheiten in mündlicher Kommunikation den mnemotechnischen Kapazitäten der Sprecher unterworfen, unterliegen sie mit der schriftlichen Kommunikation einer permanenten Expansion (vgl. Ehlich 1994, 24), es kommt zu einer “Diversifikation des lexikalischen Materials” (Koch/Oesterreicher 1994, 591). Um vor diesem Hintergrund aus synchronischer Sicht im Blick auf die deutsche Standardsprache der Gegenwart die unterschiedlichen Ausprägungen und Funktionskomplexe von Phrasemen unter Mündlichkeits- und unter Schriftlichkeitsbedingungen erklären zu können, müssen zunächst die Termini Mündlichkeit und Schriftlichkeit präzisiert werden.
2.
Konzeptionelle Mündlichkeit und konzeptionelle Schriftlichkeit
2.1. Nähe- vs. Distanzsprechen Die Begriffe Mündlichkeit und Schriftlichkeit sind insofern mehrdeutig, als sie für Unterscheidungen auf drei Ebenen verwendet werden: (a) für die Unterscheidung der medialen Realisierungs- bzw. Materialisierungsformen von Sprache (Tätigkeit des Sprechens vs. Tätigkeit des Schreibens bzw. lautlich vs. graphisch materialisierte Sprache, wobei die Gebärdensprache Gehörloser eine dritte Realisierungsweise darstellt); (b) für die Unterscheidung (idealtypischer) Varietäten bzw. Sprachformen (gesprochene Sprache vs. geschriebene Sprache als Pole einer Variationsdimension historisch-natürlicher Einzelsprachen); (c) für die Unterscheidung (idealtypischer) kommunikativer Grundhaltungen als den beiden grundsätzlichen Arten der Bewältigung kommunikativer Situationen, d.h. insbesondere der Bewältigung oder Lösung bestimmter sprachlich-kommunikativer Aufgaben oder Probleme. Auflösen lässt sich die Mehrdeutigkeit mit dem viel beachteten Nähe-/Distanz-Modell von Koch/Oesterreicher (1985; 1990; 1994). Im Kern besagt das Modell Folgendes: Zu unterscheiden ist zwischen medialer und konzeptioneller Mündlichkeit sowie zwischen medialer und konzeptioneller Schriftlichkeit. Medium bezeichnet – in Form einer strikten Dichotomie – allein die phonische oder graphische Realisierungsform sprachlicher Äußerungen, Konzeption bezeichnet dagegen auf
222
VI. Phraseme im Diskurs/Set phrases in discourse
Abb. 17.1.: Mediale und konzeptionelle Mündlichkeit vs. mediale und konzeptionelle Schriftlichkeit
idealtypische Weise – in Form eines Kontinuums – den Duktus bzw. die Ausgestaltung sprachlicher Äußerungen. Zwischen medial mündlich und konzeptionell mündlich sowie zwischen medial schriftlich und konzeptionell schriftlich bestehen ausgeprägte Affinitäten (vgl. Koch/Oesterreicher 1985, 17): siehe Abb. 17.1. Die Pole des von “gesprochen(sprachlich)” bis “geschrieben(sprachlich)” reichenden Spektrums von Äußerungsformen bezeichnen Koch/Oesterreicher (1985, 21) als “Sprache der Nähe” bzw. als “Sprache der Distanz”. Das konzeptionelle Kontinuum, das zwischen diesen beiden Extremausprägungen besteht, präzisiert die stark verkürzende Gegenüberstellung “gesprochen” vs. “geschrieben”, da an ihre Stelle ein mehrdimensionaler konzeptioneller Raum tritt, in dem sich Äußerungsbzw. Kommunikationsformen durch das Zusammenwirken bestimmter kommunikativer Parameter positionieren und die Übergänge erfassen lassen (beispielsweise ist eine Verwaltungsvorschrift näher am Schriftlichkeitspol angesiedelt als ein Tagebucheintrag, ein vertrautes Gespräch näher am Mündlichkeitspol als ein Vorstellungsgespräch). Stellt man – orientiert an prototypischen Ausprägungen mündlicher und schriftlicher Kommunikation (wie etwa vertrautem Gespräch und Verwaltungsvorschrift) – die dafür ausschlaggebenden kommunikativen Parameter oder pragmatischen Rahmenbedingungen gegenüber, ergibt sich ein Bild der jeweiligen Kommunikations-, d.h. Produktions- und Rezeptionsbedingungen, die für die beiden kommunikativen Grundhaltungen bzw. maximale kommunikative Nähe/Distanz kennzeichnend sind (vgl. dazu Coulmas 1985, 104ff; Dürscheid 2002, 50ff). Koch/Oesterreicher (1990, 8–9) zufolge spielen insbesondere die folgenden kommunikativen Parameter eine Rolle: der Grad der Öffentlichkeit (Zahl der Rezipienten), der Grad der Vertrautheit der Partner, der Grad der emotionalen Beteiligung
(d.h. der Expressivität und der Affektivität), der Grad der Situations- und Handlungseinbindung von Kommunikationsakten, der Referenzbezug (Bezug auf die Sprecher-origo), die physische Nähe der Kommunikationspartner (raumzeitliche Nähe/Distanz), der Grad der Kooperation zwischen den Kommunikationspartnern, der Grad der Dialogizität, der Grad der Spontaneität der Kommunikation und der Grad der Themenfixierung. Die unterschiedlichen Ausprägungen und Kombinationen der kommunikativen Parameter verweisen nicht nur auf “fundamentale Charakteristika von Kommunikationssituationen” (Koch/Oesterreicher 1994, 587–588), sondern sie konstituieren die einzelnen Äußerungsformen und bestimmen ihren Platz innerhalb des konzeptionellen Kontinuums bzw. mehrdimensionalen Raumes zwischen dem Nähe- und dem Distanzpol: Je mehr […] die Situationsbedingungen in Richtung Offizialität, Öffentlichkeit, Formalität tendieren und dabei viele Teilnehmer involvieren, die sich nicht kennen, mit zeitlicher und räumlicher Ferne, mit kontrollierter Emotion und reduzierter Spontaneität, ohne Situations- und Handlungseinbindung – desto mehr ist die Sprachverwendung durch eine Kommunikation der Distanz charakterisiert. Je besser sich dagegen die Beteiligten kennen, sich sehen können, je weniger die Situation vorstrukturiert ist, je mehr die Beteiligten ihren Gefühlen freien Lauf lassen können, je mehr sie situativ Gegebenes aufgreifen können – desto mehr agieren sie unter den Bedingungen der Nähekommunikation. (Schwitalla 2003, 22)
2.2. Unterschiede zwischen konzeptionell mündlichen und konzeptionell schriftlichen Äußerungsformen Aus den Kommunikationsbedingungen resultieren Präferenzen für bestimmte “Versprachlichungsstrategien” (Koch/Oesterreicher 1985, 21ff; 1990, 10ff), die die Konzeption von Äußerungen beim Nähe- bzw. beim Distanzsprechen prägen. Ein besonders wichtiger Faktor ist dabei die zeitliche Dimension
17. Mündlichkeit und Schriftlichkeit aus phraseologischer Perspektive
von Kommunikation, d.h. die für Produktion und Rezeption zur Verfügung stehende Verarbeitungszeit. Was Ehlich im Blick auf sprachliche Handlungen, die aus der Einmaligkeit der primären unmittelbaren Sprechsituation herausgelöst werden, als “Zerdehnung der Sprechsituation” (1981, 47) bzw. als “Dissoziierung der unmittelbaren Sprechsituation” (1994, 19–20) bezeichnet, hat Auswirkungen auf das sprachliche Handeln und auf die Versprachlichung: Je nachdem, ob Produktion und Rezeption simultan (z.B. vertrautes Gespräch) oder voneinander abgekoppelt (z.B. Vortrag) bzw. zeitversetzt (z.B. Zeitungstext) ablaufen (und ob die an einem Kommunikationsakt beteiligten Partner einen gemeinsamen Wahrnehmungs-/Kommunikationsraum teilen oder nicht), unterscheiden sich die Versprachlichungsstrategien (und infolgedessen auch die Äußerungsprodukte): Folgen der unterschiedlichen Planungsgrade nähe- bzw. distanzsprachlicher Äußerungen und Texte sind insbesondere jeweils geringere oder größere Informationsdichte, Kompaktheit, Integration, Komplexität und Elaboriertheit. Die Präferenzen für bestimmte Versprachlichungsstrategien manifestieren sich in bestimmten Textmerkmalen (d.h. im Auftreten und in der Häufigkeit bestimmter Äußerungseigenschaften), die für gesprochene Sprache und für geschriebene Sprache typisch sind (oder zumindest als typisch gelten) (vgl. z.B. Koch/Oesterreicher 1990, Kap. 4–5). Wie die Gegenüberstellung “gesprochene Sprache” und “geschriebene Sprache” ist auch die Redeweise von Merkmalen gesprochener und geschriebener Sprache an prototypischen Ausprägungen mündlicher und schriftlicher Äußerungen orientiert und darf nicht so verstanden werden, als bildeten gesprochene und geschriebene Sprache jeweils homogene Untersuchungsgegenstände. Genau genommen “ist es sinnlos, global ‘die gesprochene Sprache’ mit ‘der geschriebenen Sprache’ vergleichen zu wollen” (Klein 1985, 14), da die Eigenschaften, die gesprochene Sprache und geschriebene Sprache prinzipiell unterscheiden, d.h. für alle Äußerungsformen gelten, sehr allgemeiner Natur sind: Zum einen setzt geschriebene Sprache ein körperfremdes Werkzeug (Schreibgerät und Schreibfläche) voraus, gesprochene Sprache bleibt mit dem körpereigenen (und daher stets gebrauchsbereiten) Sprechapparat körpergebunden; zum anderen ist geschriebene Sprache an die Dimension des Raumes gebunden
223
(d.h. sie hat als Folge diskreter Einheiten eine räumliche Ausdehnung), gesprochene Sprache dagegen ist an die Dimension der Zeit gebunden (d.h. sie hat als Lautkontinuum eine zeitliche Ausdehnung) (vgl. Klein 1985, 26; Dürscheid 2002, 38). Ermittelt und verglichen werden können nur Eigenschaften spezifischer Text- und Gesprächssorten bzw. “kommunikativer Praktiken” (Fiehler 2000, 97ff). Vergleiche von Mündlichkeit und Schriftlichkeit zwingen deshalb zur “Vereinheitlichung von gesprochener wie auch von geschriebener Sprache durch Prozesse der Prototypisierung, der Homogenisierung und der Abstraktion von der Praktikengebundenheit des Sprechens und Schreibens” (Fiehler 2000, 102). Eine Prototypisierung, wie sie sich im Hinblick auf das Nähe-/Distanz-Modell durch die Konzentration auf polnahe Textsorten ergibt (vgl. dazu Hennig 2000, 111ff; Rath 2001, 363–364), ist als methodische Grundlage medialer Vergleiche erforderlich, um trotz der Inhomogenität der Untersuchungsgegenstände zu verallgemeinerbaren Aussagen über gesprochene und geschriebene Sprache zu kommen. Wenn also von Unterschieden zwischen konzeptioneller Mündlichkeit und konzeptioneller Schriftlichkeit gesprochen wird, ist zu beachten, dass es sich um Abstraktionen handelt (vgl. Nerius 1987, 833–834), die auf der Untersuchung prototypischer Äußerungsformen beruhen und die bei Berücksichtigung randständiger(er) Äußerungsformen im Einzelfall relativiert werden müssen. In prototypisierender Weise zu verstehende Versprachlichungsmerkmale finden sich auf morphologischer Ebene (z.B. Wortformverschmelzungen und analytische Konjunktivbildung im Gesprochenen), auf lexikalisch-semantischer Ebene (z.B. “Passe-partout-Wörter” im Gesprochenen, Funktionsverbgefüge im Geschriebenen), auf syntaktischer Ebene (z.B. Anakoluthe und parataktische Verbindungen im Gesprochenen, Nominalisierungen und Partizipialkonstruktionen im Geschriebenen) und auf textuell-pragmatischer Ebene (z.B. Modal- und Gliederungspartikeln im Gesprochenen). Auch in der Phrasemverwendung sind textsorten- und mediumspezifische Unterschiede zu beobachten (vgl. 3.). Als Grundlage für ihre Beschreibung eignet sich die an der Zeichenfunktion orientierte Unterscheidung zwischen referenziellen und kommunikativen Phrasemen (vgl. Burger 1998, 36–37), deren – über die psycholinguistische Verfestigung
224
VI. Phraseme im Diskurs/Set phrases in discourse
bzw. Reproduzierbarkeit hinausgehende – Festigkeit aus je spezifischen Eigenschaften oder Verwendungsbedingungen resultiert und daher unterschiedliche Analysemethoden erfordert: Referenzielle Phraseme beziehen sich auf Sachverhalte, Vorgänge, Objekte usw. in der realen oder in einer fiktiven Welt und zeichnen sich in erster Linie durch “strukturelle Festigkeit” (Burger 1998, 20ff) aus, d.h. durch Irregularitäten (auf des Messers Schneide stehen – *auf der Schneide des Messers stehen) und Restriktionen morphosyntaktischer Art (über kurz oder lang – *über lang oder kurz) oder lexikalisch-semantischer Art (jmdm. die Ohren lang ziehen – *jmdm. die Ohren lang zerren/reißen). Kommunikative Phraseme dienen zur Bewältigung bestimmter kommunikativer Aufgaben (pass mal auf) oder zum Vollzug bestimmter kommunikativer Handlungen (Was darf’s denn sein?) und zeichnen sich primär durch “pragmatische Festigkeit” (Burger 1998, 29–30) aus, d.h. durch Funktionalisierung im Hinblick auf spezifische rekurrente Aufgaben in mündlicher und schriftlicher Kommunikation.
3.
Diatextuelle und diamediale Markierung referenzieller Phraseme
Obwohl die gesprochene Sprache in lexikalisch-semantischer Hinsicht kein homogenes Bild vermittelt, ist die Ansicht weit verbreitet, Nähesprechen tendiere insgesamt zu “sparsamer Versprachlichung” (Koch/Oesterreicher 1990, 11; 102) und gesprochene Sprache sei geprägt durch eine geringere lexikalisch-semantische Variation (und infolgedessen durch eine niedrigere Type-token-Relation), durch gehäufte Verwendung von “Allerweltswörtern” bzw. “Passe-partout-Wörtern” und – bei starker emotionaler Beteiligung der Kommunikationspartner – durch einen wesentlich höheren Anteil expressiv-affektiver Ausdrucksmittel. Dass im lexikalischen Bereich Unterschiede zwischen mündlicher und schriftlicher Kommunikation bestehen (vgl. Hartmann 1994; 1995; Schwitalla 2003, Kap. 8), ist eine jedem Sprachbenutzer vertraute Erfahrung. Einen Erklärungsrahmen liefert das Konzept der diatextuell und diamedial markierten Lexik (vgl. Fleischer/Michel/Starke 1993, 82–83): Hinsichtlich der drei grundlegenden Dimensionen der Sprachvariation Diatopik, Diastratik und Diaphasik gilt allgemein, dass distanzsprachliche Kommunikation auf minimal diatopisch markierte und dia-
stratisch sowie diaphasisch als hoch markierte Elemente zugeschnitten ist (vgl. Koch/Oesterreicher 1994, 595), während für nähesprachliche Kommunikation eher Einheiten mit starker diatopischer sowie mit niedriger diastratischer und diaphasischer Markierung typisch sind (vgl. Fleischer/Michel/Starke 1993, 128–129). Diese und weitere stilistisch relevante Markierungen von Simplizia, Wortbildungsprodukten und Phrasemen – wie diaintegrativ (Herkunft), diachronisch (Alter), diaevaluativ (Attitüde) oder diatechnisch (Fachsprache) (vgl. 82–83) – werden also dadurch überlagert, dass lexikalische Einheiten im Hinblick auf ihre Verwendbarkeit in bestimmten Kommunikationsbereichen und Textsorten sowie auf ihr Vorkommen in mündlicher bzw. schriftlicher Kommunikation nicht homogen sind, sondern Einschränkungen unterliegen, die als diatextuelle sowie als diamediale Markierung aufgefasst werden können (vgl. 83). Das gilt insbesondere für einen Großteil der kommunikativen Phraseme (vgl. 4.), erfasst werden aber auch Kopplungen der diatextuellen und der diamedialen Markierung mit anderen Markierungen, die Konsequenzen haben für die Verwendung referenzieller Phraseme in bestimmten Textsorten bzw. in gesprochener oder in geschriebener Sprache: (a) Gebrauchsrestriktionen: Diatextuelle und diamediale Markierungen referenzieller Phraseme wirken in der Kommunikationspraxis als “konventionelle Gebrauchsrestriktionen” (Sandig 1986, 108), die den betreffenden lexikalischen Einheiten besondere Wirkungspotenziale oder “Stilwerte” verleihen (97). Aufgrund ihres gegenüber den begrifflichdenotativen Bedeutungsanteilen stark konnotativ wertenden Potenzials (fauler Zauber, bis in die Puppen, die Schnauze voll haben, Das ist der Hammer!) zum Ausdruck etwa von Drastik, zur Expressivitätssteigerung, zur Übertreibung, zur Verbesserung der Anschaulichkeit usw. sind referenzielle Phraseme im Bereich konzeptioneller Mündlichkeit eher erlaubt und erwartbar als im Bereich konzeptioneller Schriftlichkeit (vgl. Schwitalla 2003, 149): Da der Mensch im weniger öffentlichkeitsbestimmten Bereich der Alltagskommunikation zur emotional stärker betonten Rede neigt, bestehen enge Wechselbeziehungen zwischen Konnotationen emotionaler Bewertung einer-
17. Mündlichkeit und Schriftlichkeit aus phraseologischer Perspektive seits und stilschichtlich bedingten Konnotationen […] [wie “umgangssprachlich”, “salopp”, “vulgär” usw.] andererseits. (Fleischer 2001, 127)
Andere Phraseme bzw. Phrasemtypen gehören eher der “gehobenen” Stilschicht an (wie ein Phönix aus der Asche steigen) oder gelten als unmarkiert (sich freuen wie ein Schneekönig, von Zeit zu Zeit). Gebrauchsrestriktionen (und Gebrauchspräferenzen) resultieren für Phraseme wie für andere Wortschatzeinheiten also aus ihrer je spezifischen stilistischen Markiertheit. (b) Abhängigkeit von Kommunikationsbereich und Textsorte: Für die Untersuchung des Vorkommens und der Funktionen von Phrasemen in Texten erweist sich die Unterscheidung zwischen medialer und konzeptioneller Mündlichkeit und Schriftlichkeit als zu grob, da ohne Berücksichtigung von Kommunikationsbereich und Textsorte kaum aussagekräftige Ergebnisse zu erzielen sind. Obwohl die meisten Phraseme textsortenspezifisch unmarkiert sind, treten nicht alle Phraseme bzw. Typen von Phrasemen in den verschiedenen Kommunikationsbereichen und Textsorten in gleicher Verteilung und in gleicher Häufigkeit auf. Aufgrund dessen kann man in ihnen sprachliche Indizien “für die Unterscheidung und Identifikation von Texttypen” (Burger/Buhofer 1981, 394) bzw. “wichtige textsortenunterscheidende Merkmale” (Burger/Buhofer/Sialm 1982, 109) sehen. Dass es zwischen bestimmten Phrasemtypen und bestimmten Textsorten Korrelationen, d.h. textsortenspezifische Verteilungen bestimmter Phrasemgruppen gibt, wird durch eine Reihe empirischer Untersuchungen – vor allem zu Pressetexten, wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Texten sowie Texten der Alltagskommunikation – bestätigt (vgl. u.a. Burger/Buhofer/Sialm 1982, Kap. 4.2.5; Kunkel 1986; Hemmi 1994). So beobachtet Burger (1979, 94) beispielsweise, dass idiomatische Wendungen “gerade nicht charakteristisch sind für routinierte sprachliche Interaktionen des Alltags”, sondern ihren eigentlichen Platz haben “in halb-öffentlichen und öffentlichen Sprech-Situationen […], dort wo man sich ins rechte Licht rücken muß” (95; vgl. auch Ber-
225
thold 1990, 151). Auch die Verwendung von Phrasemen in literarischen Texten folgt eigenen, teilweise autor- und gattungsspezifischen Gestaltungsweisen (→ Kap. VII und VIII). Die Untersuchungen zur Textsortenspezifik belegen z.T. deutliche mediale Abhängigkeiten, wie etwa Hemmi (1994) für Werbetexte am Vergleich von Anzeigen-, Radio- und Fernsehwerbung zeigt. Zu betonen ist jedoch, dass es sich bei der textsortenabhängigen Verwendung bestimmter Phraseme bzw. Phrasemtypen “eher um Frequenz- und Distributionsunterschiede, weniger um absolute Restriktionen” (Fleischer 2001, 143) handelt. Auszugehen ist also von einem “funktionalstilistisch differenzierten Gebrauch” (Fleischer 1997, 222), wenn auch die funktionalstilistische Differenzierung (vgl. dazu Kap. 5.3.4) nicht allen Textsortenunterschieden gerecht werden kann und überdies verdeckt, dass Phraseme gegen die mit ihnen verbundenen Gebrauchsrestriktionen verwendet werden können, um besondere stilistische Effekte zu erzielen: Charakteristisch für Texte der Massenmedien, teilweise auch für bestimmte Textsorten (wie die Glosse) oder Teiltexte (wie Titelkomplexe von Pressetexten oder Schlagzeilen in der Anzeigenwerbung), ist etwa das kreative Spiel mit Phrasemen; hier finden sich insbesondere Anspielungen (vgl. z.B. Sabban 1998) durch formale oder semantische Modifikationen von Phrasemen (Wo ein Willis ist, ist auch ein Weg [Werbeanzeige für den Fernsehsender Vox mit einem Bild von Bruce Willis], durch Verfahren der Remotivierung bzw. Reliteralisierung (Bei der Rußverbrennung ist wichtig, was am Ende rauskommt: nichts [Werbeanzeige für den Citroen C5]) oder durch das intentionale Spiel mit Mehrdeutigkeiten (Ein gutes Blatt sollte keins vor den Mund nehmen [Werbeanzeige für die Financial Times Deutschland]). Außerdem werden Phraseme in schriftlich konzipierten Texten häufig an textlich zentralen Stellen wie dem Anfang oder dem Ende von Texten, Teiltexten oder Abschnitten platziert (vgl. Burger 1998, 146ff). In diesen Gestaltungsformen zeigt sich, dass die konzeptionelle Schriftlichkeit bzw. die Distanzkommunikation mit der für sie typischen zer-
226
VI. Phraseme im Diskurs/Set phrases in discourse
dehnten Sprechsituation eine günstigere Produktions- und Rezeptionssituation bietet, um von Phrasemen einen gezielten und mit speziellen Wirkungspotenzialen aufgeladenen Gebrauch zu machen. Ungeachtet ihrer spezifischen Gebrauchsrestriktionen und der textsortenspezifischen Verwendung sind die referenziellen Phraseme im Hinblick auf ihre Funktionen im mündlichen und schriftlichen Textherstellungs- bzw. Formulierungsprozess und auf ihre Rolle für die Textkonstitution zu beschreiben (→ Art. 18).
4.
Kommunikative Phraseme in konzeptionell mündlicher und konzeptionell schriftlicher Kommunikation
4.1. Typen und allgemeine Charakterisierung Unterschiede in der Phrasemverwendung zwischen konzeptioneller Mündlichkeit und konzeptioneller Schriftlichkeit sind besonders deutlich ausgeprägt im Bereich jener Phraseme, die sich weniger durch strukturelle denn durch “pragmatische Festigkeit” (Burger 1998, 29) auszeichnen. Als pragmatisch fest gelten Phraseme aufgrund ihrer “Festigkeit im Gebrauch” (Stein 1995, 57), da Sprachteilhaber mit ihrer Hilfe rekurrente kommunikative Aufgaben bzw. kommunikative Routinehandlungen bewältigen (können). Der Zusammenhang zwischen Festigkeit und Routine ergibt sich daraus, dass Routinen “das Resultat von Wiederholungen” sind (Lüger 1992, 17), “verfestigte, wiederholbare Prozeduren, die den Handelnden als fertige Problemlösungen zur Verfügung stehen” (18). Die entsprechenden Wortverbindungen sind also in erster Linie bestimmt durch ihre spezifische Funktion in der Kommunikation. Da ihre Festigkeit im Unterschied zu anderen Phrasemtypen nicht primär aus syntaktischen oder semantischen, sondern aus pragmatischen Eigenschaften resultiert, bilden sie sowohl strukturell als auch semantisch eine Klasse sehr heterogener polylexikalischer und psycholinguistisch fester sprachlicher Einheiten: Strukturell reicht das Spektrum von zweigliedrigen Syntagmen (nebenbei gesagt) über Ausdrücke mit impliziter Satzstruktur (gern geschehen) und verselbständigte Teilsätze (wenn ich fragen darf) bis zu satzwertigen Einheiten (Das ist ein dicker Hund!), semantisch kom-
men vollidiomatische (Koste es, was es wolle), teilidiomatische (Abwarten und Tee trinken) und nichtidiomatische (Tu, was du nicht lassen kannst) Ausdrücke vor. Klassenbildend wirkt also allein die starke Funktionalisierung. Der Bereich kommunikativer Phraseme weist über den zentralen Untersuchungsgegenstand der Phraseologie hinaus, da auf ein umfassendes Konzept sprachlicher Formelhaftigkeit (vgl. etwa Feilke 1994, 199ff) zurückzugreifen ist, das nicht in erster Linie durch semantisch-kognitive, sondern durch pragmatisch-funktionale Faktoren bestimmt ist. Zu berücksichtigen sind deshalb auch einerseits einfache Wortschatzeinheiten, die als funktionale Äquivalente zu mehrgliedrigen Routineformeln zu werten sind (Einwortäußerungsformeln wie danke, hallo, Entschuldigung, Verzeihung, Achtung, Aufgepasst u.a.), und andererseits satzwertige Einheiten (d.h. satzförmige Routineformeln, Gemeinplätze, Sprichwörter, Slogans, Geflügelte Worte usw.) (vgl. Lüger 1999) sowie zunehmend auch Prägungen auf Textebene, also bis in die Formulierungen hinein fertige und reproduzierbare Texte und Textstrukturen (vgl. 5.). Die Phraseologie geht folglich nahtlos sowohl in den Bereich von Wörtern als auch in den Bereich von Satz- und Textstrukturen über. Gemeinsam ist all diesen Einheiten ihre Vorgeprägtheit: Sie stehen gebrauchsfertig zur Verfügung und können ohne größeren Verbrauch von Planungsressourcen im Zuge der Textherstellung abgerufen werden. Als Typologisierungsmerkmal hat sich im Anschluss an Coulmas (1981) die Situationsgebundenheit bewährt (vgl. auch den Überblick von Beckmann/König 2002), die mit der funktionalen Ausrichtung und der Selbständigkeit der entsprechenden Äußerungen korrespondiert: Unterscheiden lassen sich situationsgebundene, selbständige (d.h. äußerungswertige) Phraseme mit eher sozialen Funktionen und nicht-situationsgebundene, unselbständige (d.h. nicht-äußerungswertige) Phraseme mit eher text- bzw. interaktionsorganisierenden Funktionen:
17. Mündlichkeit und Schriftlichkeit aus phraseologischer Perspektive
227
Abb. 17.2.: Kommunikative Phraseme beim Nähesprechen und beim Distanzsprechen
Anders als es Abb. 17.2. vermuten lässt, sind auch im Bereich der Routineformeln typisch distanzsprachliche (mit freundlichen Grüßen) und typisch nähesprachliche (auf Wiedersehen) Formen zu unterscheiden (vgl. 4.2.), doch der Bereich kommunikativer Phraseme insgesamt ist für das Nähesprechen wesentlich umfassender und vielgestaltiger ausgebaut als für das Distanzsprechen, was der (unter 1.) aus kommunikationsgeschichtlicher Sicht erläuterten Dominanz der Mündlichkeit in der Phraseologie entspricht. Zurückzuführen ist dies auf die Kommunikationsbedingungen – im Blick auf konzeptionelle Mündlichkeit vor allem auf die Vielfalt der mehr oder weniger gleichzeitig zu bewältigenden Aufgaben in mündlicher Kommunikation, auf die raumzeitliche Nähe der Kommunikationspartner und auf den unter Bedingungen kommunikativer Nähe in der Regel herrschenden Zeitdruck, der dazu führt, dass man für die Bewältigung lokaler und globaler Planungsaufgaben in der Rolle als Sprecher mehr auf bewährte Schemata und feste sprachliche Formen angewiesen ist (vgl. Klein 1985, 23) denn in der Rolle als Schreiber.
4.2. (Situationsgebundene) Routineformeln Die hier zusammenfassend für beide medialen Varietäten als Routineformeln bezeichneten Ausdrucksformen “sind semantisch nicht ausreichend zu beschreiben, sondern erfordern einen pragmatischen Kommentar, der die ‘routinemäßige’ Verwendung in bestimmten Kommunikationssituationen […] angibt” (Fleischer 2001, 115), da sie als “funktionsspezifische Ausdrücke […] zur Realisierung rekurrenter kommunikativer Züge” (Coulmas 1981, 69) zu verstehen sind. Aufgrund ihrer engen Bindung an bestimmte kommunikative Situationen kann Routineformeln meistens kontextunabhängig eine bestimmte kommunikative Funktion bzw. illokutionäre Rolle zugeschrieben werden; das gilt sowohl für Formeln, die für die Durchführung einer bestimmten Handlung typisch sind (Ist dieser Platz hier noch frei?), als auch für Formeln, die eingebettet in verschiedenen lebenspraktischen Situationen des Alltags vorkommen, so dass sich Möglichkeiten funktionaler Klassifikationen ergeben: Beispielsweise unterscheidet Pilz (1983, 348–349) zwischen Begrüßungsformeln (Guten Tag), Anredeformeln (Meine Damen und Herren), Kontaktbeendigungsformeln (Auf Wiedersehen, Mit freundlichen Grüßen), Glückwunsch- und Festtags-
228
formeln (Herzlichen Glückwunsch, Frohes Fest), Wunschformeln (Hals- und Beinbruch), Entschuldigungsformeln (Ich bitte vielmals um Entschuldigung), Dankformeln (Herzlichen Dank), Konversationsformeln (Wären Sie so nett, …), Tischformeln (Guten Appetit, Zum Wohl), Beileidsformeln (Mein herzliches Beileid), Genesungsformeln (Gute Besserung), Entgegnungsformeln (Du hast Recht und ich hab meine Ruhe), Beschwichtigungsformeln (Ruhig Blut), Zustimmungsformeln (Das will ich meinen), Erstaunensformeln (Mir fehlen die Worte) und Schelt- und Fluchformeln (Verflixt und zugenäht). Abgesehen von der Ausschnitthaftigkeit derartiger Zusammenstellungen und der Affinität einzelner Formeln zu bestimmten Sprachvarietäten wird deutlich, dass Routineformeln in der Tat eines pragmatischen Kommentars bedürfen, der die Situationstypen und Situationsumstände für ihre Verwendung offen legt (→ Art. 12; 39). Ungeachtet dessen lassen die meisten Routineformeln deutliche Affinitäten zur mündlichen Kommunikation erkennen, es kommen jedoch auch typisch distanzsprachliche Routineformeln vor: etwa brieftypische Formeln (Sehr geehrte Damen und Herren, Nach Diktat verreist), formulartypische Verfestigungen in der Verwaltungssprache (Nach Kenntnisnahme zurück, Zum Verbleib, Gültig ohne Unterschrift), aber auch standardisierte Aufschriften an öffentlichen Plätzen (Rauchen verboten, Eltern haften für ihre Kinder). Um sie beschreiben zu können, “muß man sie in eine umfassende Theorie des Sprachgebrauchs integrieren, die den Zusammenhang von Sprache, kommunikativen Funktionen und Kommunikationsbedürfnissen der Gesellschaft thematisiert” (Coulmas 1981, 71). Denn routinebedingt tritt die denotative Bedeutung von Routineformeln zugunsten der Funktionalisierung typischerweise in den Hintergrund (Guten Tag), zuweilen ist sie völlig suspendiert (Grüß Gott), kann u.U. jedoch aktualisiert werden. Verallgemeinert können Routineformeln folgende soziale Funktionen attestiert werden (vgl. Coulmas 1981, 94ff): Kontaktfunktion, Verstärkung der Verhaltenssicherheit, Schibbolethfunktion und Konventionalitätsfunktion. Anschließen an die Schibbolethfunktion lassen sich die Ergebnisse der im Mannheimer Stadtsprachenprojekt durchgeführten Analysen zum formelhaften Sprechen als einem Verfahren zur Symbolisierung sozialer Identität in bestimmten Sprechergruppen (vgl.
VI. Phraseme im Diskurs/Set phrases in discourse
Kallmeyer/Keim 1986 und 1994; Keim 1995; 1997, Kap. 5; Schwitalla 1995, 256–261; 506–514): Im Rahmen von Gruppengesprächen dient die Verwendung bestimmter Formeln als “Verfahren zur demonstrativen Herstellung von Gemeinsamkeit und zur Manifestation von Zugehörigkeit zu derselben sozialen Welt” (Keim 1995, 384). Diese Funktion erfüllen vor allem milieu- und gruppenspezifische Formeln, die als Mittel sozialer Typisierung und Kategorisierung (von Personen, Handlungsweisen, Sachverhalten und Situationen) sowie der Beziehungsregulierung dienen. Dabei werden nicht nur bestimmte Formeln als wichtige Komponenten in Kategorisierungsprozessen verwendet, die Interaktionsgeschichte im Rahmen bestimmter sozialer Gruppen lässt auch erkennen, wie Formeln geprägt werden und dass Grade der Formelhaftigkeit unterschieden werden müssen; dies ergibt sich daraus, dass die Mitglieder gruppenintern bestimmte Gesprächsgegenstände über einen längeren Zeitraum wiederholt thematisieren und im Laufe der gemeinsamen Kommunikationsgeschichte sukzessive Formelhaftigkeit herstellen (→ Art. 20). Aufgrund der Bindung an spezifische Kommunikationssituationen steht die Situationsabhängigkeit von Routineformeln im Mittelpunkt ihrer Beschreibung: Sie umfasst im Anschluss an Coulmas (1981, 81ff) (häufig) Voraussagbarkeit im Kommunikationsablauf, (unterschiedliche Grade der) Obligiertheit, Abhängigkeit der Bedeutung und Verständlichkeit von der Äußerungssituation (Da kannst du was erleben! als Drohung oder als Aufforderung) und Kulturspezifik (und Übersetzungsproblematik). Die Situationsabhängigkeit ist jedoch ein graduelles Phänomen: Am stärksten ausgeprägt ist sie, wenn eine Formel (wie Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil) im Rahmen institutionellen Handelns in bestimmten Situationen an einem ganz bestimmten Platz vorgesehen ist und auf ein bestimmtes soziales Ordnungs- und Wertesystem (vgl. Lüger 1992, 23) verweist. Dabei bilden Routineformeln unter ihren jeweils typischen Verwendungsbedingungen entweder selbständige Mikrotexte (Guten Rutsch, Gute Besserung) oder im Rahmen der Textkonstitution routineartig vollzogene spezifische Redezüge (Herzlichen Dank). Als solche prägen sie in vielen Fällen den Interaktionsverlauf insofern mit, als sie – häufig ebenfalls mit Routineformeln zu besetzende – Leerstel-
17. Mündlichkeit und Schriftlichkeit aus phraseologischer Perspektive
len eröffnen und die Bildung von ritualisierten Sequenzen bzw. Adjazenzpaaren (Herzlichen Glückwunsch – Vielen Dank) initiieren können. Die situationsspezifische Formelhaftigkeit weist damit auch über die einzelne Formel hinaus auf gemeinsam von den Kommunikationspartnern durchgeführte Interaktionsrituale (vgl. 5.). Ihre Bedeutung beziehen Routineformeln in mündlicher und in schriftlicher Kommunikation daraus, dass sich in einer Sprachgemeinschaft für die Bewältigung bestimmter kommunikativer Handlungen spezifische Muster und damit einhergehend häufig, wenn auch nicht zwingend, feste (z.T. textsortenspezifische) funktional vollständige Ausdrucksmuster (Was darf’s denn sein?, Der Nächste bitte, Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, In stiller Trauer usw.) herausbilden: Zwar kann man die meisten kommunikativen Handlungen auch ohne den Rekurs auf formelhafte Muster vollziehen, aber man tut es eben nicht. Abgesehen von den Fällen, wo nur eine bestimmte Formel juristisch gültig ist […], gibt es unzählige Fälle, wo die formelhafte Realisierung üblich, gesellschaftlich anerkannt ist, wo ihr Fehlen negativ sanktioniert würde. (Gülich 1997, 171)
Ein wesentliches Motiv für den Rückgriff auf Formelhaftes ist daher nicht nur in der Einhaltung gesellschaftlicher Konventionen zu sehen, sondern auch in der Erleichterung des Formulierens und der Kommunikation: Zwar hat die “Originalität der Formulierung […] in unserer Kultur einen hohen ideellen Wert” (Coulmas 1981, 130), doch um Formulierungs- und Kommunikationsprobleme mit möglichst geringem Aufwand durch den Einsatz bewährter und allgemein akzeptierter Ausdrucksformen bewältigen zu können, werden Einschränkungen sprachlicher Kreativität und Individualität in Kauf genommen.
4.3. Nicht-situationsgebundene Formeln 4.3.1. Formelhafte Textorganisationssignale in der Distanzkommunikation Vor allem umfangreichere schriftliche Texte bedürfen über ihre grammatisch-syntaktische und inhaltlich-thematische Textgliederung hinaus solcher Gliederungs- und Orientierungshilfen, die die Makrostruktur des Textes selbst durchsichtig machen. Daher finden sich insbesondere in Texten, die funktionalstilistisch dem wissenschaftlichen Stil und dem Stil der öffentlichen Rede zuzurechnen sind, Ausprägungen einer Textgliederung, die auf
229
lexikalischen Mitteln aufbaut, mit denen die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Anordnung, Funktion usw. der eigentlich informationstragenden Texteinheiten gelenkt wird (Im Vorgriff auf …, Es kann festgehalten werden, wie bereits erläutert). Formen lexikalischer Textgliederung (vgl. Stein 2003, Kap. 6) finden sich in der Regel dann, wenn der Schreiber bei der Produktion und der Leser bei der Rezeption aus unterschiedlichen Gründen auf Orientierungshilfen angewiesen sind (u.a. aufgrund des Umfangs des Textes, der Komplexität der Sachverhaltsdarstellung, der Realisierung einer Textfunktion, die nicht an ein bestimmtes Ablaufmuster gebunden ist, oder der Zugehörigkeit des Textes zu einer Textsorte, die kein festes Strukturschema erwarten lässt). Da der Textproduzent mit den entsprechenden sprachlichen Mitteln metakommunikative Handlungen vollzieht, die sich primär auf die Organisation von Texten beziehen, kann von Textorganisationssignalen gesprochen werden. Wie äußerungskommentierende Ausdrücke in gesprochener Sprache (vgl. etwa Hindelang 1975; Stein 1995, 212ff und 227ff) tragen sie vielfach formelhafte Züge, sie sind einerseits aber – wie auch die Routineformeln – funktional äquivalent zu einfachen Einheiten (wie Fazit, Ergebnis, Zusammenfassung usw.), andererseits weisen sie ein geringes Maß an struktureller Festigkeit auf, so dass sie flexibel den Ausdrucksbedürfnissen und Textgegebenheiten angepasst werden können. Ihre Domäne haben Textorganisationssignale in Texten der Distanzkommunikation hauptsächlich in zwei Bereichen: (a) bei der Herstellung textinterner Verweise und Bezüge: Textorganisationssignale mit deiktischem Potenzial beziehen sich auf bestimmte Teile eines Textes und konstituieren einen Textverweisraum. Sie erstrecken sich entweder lokal auf den Text als räumlich organisiertes Gebilde (wie in diesem Abschnitt, wie oben erwähnt, wie eingangs erläutert, im Folgenden usw.) oder temporal auf die Textproduktion und die Textrezeption als zeitliche Prozesse (wie im Anschluss, zum Abschluss, um auf … zurückzukommen usw.). Es handelt sich also um Ausdrücke, die textorganisatorische Schaltstellen markieren und dem Rezipienten die Orientierung im Text erleichtern. (b) bei der Verlautbarung textinterner Kommentare: Der Rezipient erhält Hinweise
230
VI. Phraseme im Diskurs/Set phrases in discourse
über das Thema und den gesamten Textaufbau (Umfang, Platzierung, Abfolge, Anschluss usw. von Teiltexten) sowie über die Funktion von Teiltexten und ihren Bezug zu anderen Teiltexten (Erwähnt werden muss noch …, Hinzuweisen ist auf …, Ich fasse zusammen usw.). Die Mittel in beiden Bereichen unterstreichen, dass formelhafte Textorganisationssignale einen produktions- und rezeptionserleichternden Komfort bieten: Aus formulierungstheoretischer Sicht handelt es sich um textorganisierende Prozeduren, mit denen Probleme der Textorganisation gelöst werden. Der Schreiber setzt Orientierungspunkte undhinweise, mit denen er selbst den Stand der Textbildung im Blick behalten und rekapitulieren kann, sich gleichsam selbstreflexiv Rechenschaft über den Stand der Textproduktion (bzw. der Textrevision und -optimierung) ablegt. Zugleich wird er dem Anspruch einer leserfreundlichen Textgestaltung gerecht: Mit textorganisierenden Ausdrücken erhält der Rezipient prospektiv mehr oder weniger umfangreiche Rezeptionshilfen, die den Leseprozess erleichtern, die Erwartungen steuern und die Verständlichkeit verbessern. In textorganisierenden Sprachhandlungen kommt die Fähigkeit zu interaktions- bzw. textreflexivem Handeln zum Ausdruck: Die formelhaften textorganisatorischen Hinweise sind gleichsam als vorgreifende Antworten zu verstehen auf Fragen eines imaginären Rezipienten. 4.3.2. Interaktionsorganisierende Formeln in der Nähekommunikation Die hier als interaktionsorganisierend bezeichneten Ausdrücke sind typisch für Kommunikation unter Bedingungen kommunikativer Nähe, für Kommunikationssituationen also, in denen keine raumzeitliche Trennung zwischen den Kommunikationspartnern vorliegt, wie es sich auch in den Bezeichnungen “gesprächsspezifische Phraseologismen” (Burger/Buhofer/Sialm 1982, 41–42; Kap. 4.1.3) bzw. “gesprächsspezifische Formeln” (Stein 1995, 129) niederschlägt. Da es sich um mehr oder weniger “de-semantisierte Wortverbindungen” (Burger 1998, 52) formal sehr heterogener Gestalt (vgl. Stein 1995, Kap. 5.4) handelt, sind sie im Hinblick auf die kommunikativen Aufgaben zu beschreiben, die sie in mündlicher Kommunikation übernehmen. (vgl. auch Stein 2004). Unterscheiden lassen sich zwei große Verwendungsbereiche: (a) das Kommunikationsma-
nagement und (b) die eigentliche Textherstellung bzw. Formulierungstätigkeit: (a) Mit der von Strecker (2002) übernommenen Bezeichnung Kommunikationsmanagement können all die Aktivitäten zusammengefasst werden, die der Organisation und Steuerung von Gesprächen dienen und die demzufolge über die Produktion der eigentlichen Informationseinheiten hinausgehen bzw. diese begleiten. Solche Aktivitäten sind unter Bedingungen konzeptioneller Mündlichkeit stark ausgeprägt: siehe Abb. 17.3. Einzuordnen sind die gesprächsspezifischen Formeln in ein breiteres Feld von Ausdrucksmitteln auf textuell-pragmatischer Ebene, die zuweilen unter der Bezeichnung “Gesprächswörter” (Koch/ Oesterreicher 1990, 51; 71–72) zusammengefasst werden. Da die Kommunikationspartner unter Nähebedingungen einen gemeinsamen Wahrnehmungs- bzw. Kommunikationsraum teilen, manifestiert sich im lexikalischen Bereich ein wichtiger Unterschied zwischen konzeptioneller Mündlichkeit und konzeptioneller Schriftlichkeit darin, dass sich in gesprochenen Texten (lexikalisierte und z.T. nicht-lexikalisierte) Einheiten finden, die der Durchführung der Kommunikation selbst dienen; zu diesen Mitteln gehören insbesondere (i) die typischen Rollensignale, d.h. Gliederungssignale, turn-taking-Signale sowie Kontaktsignale im Sprechersignal- und im Hörersignalkomplex (Sprechersignale wie nicht wahr, Hörer- bzw. Rückmeldesignale wie ganz genau), (ii) Modalpartikeln und Modalwörter, (iii) sogenannte “Heckenausdrücke”, d.h. Ausdrucksmittel, die als Vagheits-/Unbestimmtheitsbzw. Distanzierungssignale dienen (oder so, was weiß ich). In geschriebenen Texten treten diese Mittel entweder gar nicht oder in wesentlich geringerer Häufigkeit auf und beim konzeptionellen Übergang vom Gesprochenen zum Geschriebenen (z.B. beim Redigieren eines Interviews für den Druck) werden sie üblicherweise weggelassen, weil sie unter Schriftlichkeitsbedingungen ihre textuellen und kommunikativen Funktionen verlieren. Sowohl die Erstellung einer Typologie als auch die Analyse gesprächsspezifischer Formeln sind mit einer Reihe von Schwierigkeiten behaftet:
17. Mündlichkeit und Schriftlichkeit aus phraseologischer Perspektive
231
Abb. 17.3.: Interaktionsorganisierende Formeln im Rahmen des Kommunikationsmanagements
(i)
Typologisierung: Die Formeln lassen sich kaum vollständig auflisten, weil sie z.T. eine enorme strukturelle Variationsbreite aufweisen (vgl. auch Altenberg 1998, 120–121 im Blick auf das Englische), weil sie häufig in Kombination mit anderen Gesprächswörtern (speziell mit Modalpartikeln) (würde ich mal sagen, ich meine halt) auftreten und weil sie z.T. Züge von Phraseoschablonen bzw. Modellbildungen tragen, d.h. Strukturschemata mit kontextadäquat zu besetzenden Leerstellen liefern (um auf … zurückzukommen, um das … zu sagen). (ii) Stellungseigenschaften: Die Formeln zeigen keine festen Stellungseigenschaften, d.h. sie treten in vielen Fällen im Hinblick auf die Bildung von Sprecherbeiträgen und auch von Einheiten innerhalb von Sprecherbeiträgen in einleitender oder in beendender, zuweilen aber auch in Binnenposition auf. Dabei verlässt der Sprecher kurzfristig die propositionale Ebene; durch diesen “Bruch” (Dalmas 2001, 64) in der Textprogression tritt die Signalwirkung umso deutlicher hervor (vgl. zu metasprachlichen Elementen der Textstrukturierung Tiittula 1993). Ob eine gesprächsspezifische Formel also auf der Ebene der turninternen Textgliederung (zur Bildung und Begrenzung von Turnkonstruktionsein-
heiten) (vgl. Stein 2003, Kap. 12.2) wirksam wird, hängt von ihrer positionellen Verankerung im sequenziellen Kontext ab. (iii) Polyfunktionalität: Nicht allen Formeln lassen sich aufgrund ihrer semantischen Eigenschaften gleichsam “feste” Bedeutungen bzw. Funktionen zuschreiben; größtenteils sind sie auf mehreren Ebenen gleichzeitig wirksam und daher als polyfunktional einzustufen, wenn auch in den meisten Fällen eine Funktion dominant ist (vgl. Stein 1995, 237). In der Polyfunktionalität liegt jedoch ein Vorteil für die Textherstellung; denn sie ermöglicht es dem Sprecher, mit einer sprachlichen Form gleichzeitig und auf implizite Weise verschiedene Funktionen zu vollziehen: Speakers engaged in spontaneous interaction are in constant need of easily retrieved expressions to convey their intentions and reactions in discourse. At their disposal they have a large stock of recurrent word-combinations that are seldom completely fixed but can be described as “preferred” ways of saying things – more or less conventionalized building blocks that are used as convenient routines in language production. (Altenberg 1998, 121f)
Insofern sind interaktionsorganisierende Formeln geradezu auf Bedingungen
232
VI. Phraseme im Diskurs/Set phrases in discourse
Abb. 17.4.: Interaktionsorganisierende Formeln im Rahmen der Formulierungstätigkeit
kommunikativer Nähe zugeschnittene Versprachlichungsmittel. (b) Die Textherstellung bzw. Formulierungstätigkeit unter Bedingungen konzeptioneller Mündlichkeit umfasst zwei grundlegende Arten von Aktivitäten, die sich jeweils in bestimmten Verfahren (und entsprechenden Indikatoren) manifestieren (vgl. Gülich/Kotschi 1996, 39– 40): Zum einen müssen (kognitive) Inhalte versprachlicht werden, zum anderen kann auf bereits Versprachlichtes Bezug genommen werden. Bezugnahmen können weiter untergliedert werden in Verfahren, durch die Versprachlichtes bewertet oder kommentiert wird, und in Verfahren, durch die Versprachlichtes bearbeitet wird. Bearbeitungen wiederum sind auf unterschiedliche Auslöser zurückzuführen: Ausgelöst werden sie auf der einen Seite durch bestimmte rhetorische Strategien (etwas verallgemeinern, etwas mithilfe eines Beispiels erläutern, einen Textteil zusammenfassen usw.), auf der anderen Seite durch “Störungen” im Rahmen der Textproduktion, die durch Reformulierungen beseitigt werden (sollen). Diese Textherstellungsprozesse hinterlassen Spuren im Textprodukt, zu denen neben anderen typischen Phänomenen mündlichen Formulierens (wie Pausen, Wort- oder Konstruktionsabbrüchen, Konstruktionswechseln usw.) auch bestimmte gesprächsspezifische Formeln gehören: siehe Abb. 17.4.
In Formulierungsspuren schlägt sich der Prozesscharakter mündlicher Textproduktion besonders deutlich nieder. Motiviert sind die interaktionsorganisierenden Formeln durch das übergreifende Interesse an einer Erleichterung der Formulierungsarbeit, sie bezeugen das Bemühen und oftmals auch die Schwierigkeiten, die verschiedenen Aufgaben bei der mündlichen Textproduktion gleichzeitig zu bewältigen und können daher nur im Zusammenspiel mit anderen Spuren der Formulierungsarbeit (vgl. Gülich/Kotschi 1996, 40) angemessen beschrieben werden. Bemerkenswert ist, dass gesprächsspezifische Formeln als gebrauchsfertige sprachliche Einheiten besonders in kritischen Formulierungsphasen von Nutzen sind: Sehr häufig werden sie gezielt als Mittel der Entlastung bei Formulierungsschwierigkeiten genutzt, wenn regelrechte “Formulierungsflauten” (Stein 1997) auftreten, die durch die eigentliche Bezeichnungsarbeit ausgelöst werden. Bewältigen lassen sich solche Versprachlichungsprobleme in der Regel durch das Zusammenspiel aus verschiedenen redeverzögernden und solchen formelhaften Mitteln, die das Formulierungsproblem metakommunikativ bezeichnen (was sagen wir?, wie sagt man noch?, wie war das noch?), dadurch die Kommunikationspartner zu einer Formulierungshilfe animieren und so oftmals zu einer interaktiven Bearbeitung des Formulierungsproblems führen.
17. Mündlichkeit und Schriftlichkeit aus phraseologischer Perspektive
5.
Formelhaftes und Musterhaftigkeit auf Text- und Interaktionsebene
Die pragmatische Festigkeit, insbesondere die situationsspezifische Formelhaftigkeit, kennzeichnet nicht nur einzelne Ausdrucksmittel als solche, sondern u.U. auch die gesamte Struktur und sprachliche Realisierung von Texten und Interaktionen, da sich in der Sprachgemeinschaft für die Bewältigung bestimmter rekurrenter Anlässe in mündlicher und in schriftlicher Kommunikation komplexe Muster etablieren. Konstitutiv für Formelbzw. Musterhaftigkeit auf Textebene ist neben der Bindung an eine bestimmte Situation das Auftreten inhaltsseitiger und ausdrucksseitiger Konstanz, d.h. eine schablonenartige Textstruktur (mit inhaltlich konstanten Textkomponenten) und die formelhafte Realisierung der Komponenten. Ein solches Zusammenspiel von globaler und lokaler Formelhaftigkeit ist typisch sowohl für bestimmte Formen schriftlicher Kommunikation (u.a. Grußworte in Festschriften, Danksagungen in wissenschaftlichen Arbeiten, Geburts-, Todes- und Dankanzeigen, Glückwunschtexte und Glückwunschkarten) als auch für bestimmte Formen mündlicher Kommunikation (angefangen mit den stark ritualisierten Eröffnungs- und Beendigungsphasen von telefonischen und face-to-face geführten Alltagsgesprächen über andere rituelle Muster in Gesprächen bis zu ritualisierten Gesprächssorten wie Auskunftsdialogen). Situationsspezifische Formelhaftigkeit eröffnet also Perspektiven über Wortgruppen- und Satzstrukturen hinaus. Da der Rekurs auf Formelhaftes als Entlastungsstrategie zu werten ist, bieten sich für das Konzept “formelhafter Text” bzw. für “Formeln auf Textebene” (vgl. Drescher 1994; Gülich 1997; Stein 1995, 302ff; 313ff; 2001, 26ff) in erster Linie Anknüpfungspunkte im Rahmen von Formulierungstheorie, Textproduktionsforschung und Textlinguistik (vgl. Gülich/Krafft 1998; Stein 2001, Kap. 2) sowie im Rahmen der Analyse ritueller Kommunikation (vgl. z.B. Werlen 1984; 2001; Lüger 1988; Paul 1990; Rauch 1992). In der Phraseologieforschung, in der Ausprägungen von Formelhaftigkeit auf Textebene eher skeptisch beurteilt werden und zuweilen auf Kritik gestoßen sind (vgl. Fleischer 1997, 258–259), kann an die Beschreibung von Routineformeln und Phraseoschablonen angeschlossen werden; von Vorteil ist dabei,
233
dass Charakteristika von Phraseoschablonen und Routineformeln gleichzeitig in Ausdruckseinheiten zum Tragen kommen können: Die Anschließbarkeit an das Konzept der Phraseoschablone gründet sich auf den Leerstellen-Charakter. Da sich die meisten formelhaften Texte vielfach solcher Formulierungsmuster bedienen, die textuelle Leerstellen enthalten und der Auffüllung mit passendem lexikalischem Material bedürfen (Achtung Autofahrer, auf der A … kommt Ihnen zwischen … und … ein Fahrzeug entgegen, fahren Sie äußerst rechts und überholen Sie nicht, wir melden es, wenn die Gefahr vorüber ist), können sie als komplexe Phraseoschablonen interpretiert werden. Die Anschließbarkeit an das Konzept der Routineformel gründet sich auf die Situationsspezifik und den Handlungscharakter: Da sowohl verfestigte Sequenzierungsmuster (adjazenzpaarartig organisierte Interaktionssequenzen wie Vielen Dank – Keine Ursache) als auch formelhafte Texte (Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker) in ihrem Vorkommen an bestimmte (rekurrente) Situationen gebunden sind und als gebrauchsfertige Einheiten der Bewältigung dieser Situationen und dem Vollzug bestimmter kommunikativer Handlungen dienen, können sie als “eine Art von komplexen Routineformeln” (Gülich 1997, 146) interpretiert werden. Dafür, dass Kommunikationsstrukturen und etliche Textsorten der Musterbildung und der Mustertradierung unterliegen, ist ein Erklärungsansatz zu bemühen, der über die Grenzen der Phraseologie hinausreicht. Das von Feilke (1994; 1996) ausgearbeitete Prinzip der idiomatischen Prägung lässt sich auch auf die Ebene ganzer Texte anwenden. Im Sinne der von Feilke (1994) als “Commonsense-Kompetenz” bezeichneten Kenntnis und Verfügbarkeit komplexer Ausdruckseinheiten manifestiert sich auch im Rekurs auf textuelle Formelhaftigkeit ein sprachliches Können, das auf habituellem Wissen beruht: Eine im Sprechen etablierte und bestätigte Subjektentbindung von zunächst subjektgebundenen individuellen Äußerungen und Formulierungen kann dazu führen, daß die entsprechenden pragmatisch geprägten Einheiten und Verfahren [...] in den Bestand des sprachlichen Wissens eingehen. (Feilke 1994, 348)
Von daher sind auch (komplexe) textuelle Prägungen “Resultate eines Prozesses intersubjektiver Gestaltbildung im Meinen und
234
VI. Phraseme im Diskurs/Set phrases in discourse
Verstehen” (Feilke 1996, 214). Die verschiedenen Ausprägungen formelhafter Sprache einschließlich formelhafter Texte lassen sich als Wissensspeicher interpretieren, da sie “die Memorierbarkeit und damit die Übertragbarkeit des hochgeschätzten Erfahrungs-Wissens von einer Generation auf die nächste [sichern]” (Feilke 1994, 120). Die inhalts- und ausdrucksseitige Musterhaftigkeit von Texten erfährt so ihre Fundierung in der Speicherung und Tradierung gesellschaftlichen Wissens; sie erspart die Erzeugung neuer Sprachprodukte, bringt also kognitive Entlastung mit sich, und sie verweist auf die Existenz und die Bewährtheit einer sozial geprägten Art der Problembehandlung in vorausgegangenen Kommunikationsakten, bringt also Verhaltenssicherheit mit sich.
6.
Entwicklungstendenzen
Es ist deutlich geworden, dass sich die jeweiligen Kommunikationsbedingungen in konzeptioneller Mündlichkeit und in konzeptioneller Schriftlichkeit auf die Phrasemverwendung auswirken und dass sich teilweise typisch distanzsprachliche bzw. typisch nähesprachliche Phraseme bzw. Phrasemtypen ausgebildet haben. Da das Verhältnis zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit historischen Veränderungen unterliegt, ist der Blick abschließend nochmals auf die sprachbzw. kommunikationsgeschichtlichen Aspekte zu richten. Unstrittig ist zunächst, dass die mit der Herausbildung und Verbreitung einer Schriftsprache verbundene Standardisierung und Normierung Auswirkungen hat auch auf die mündliche Kommunikation: Im Hinblick auf die Sprachmittel und das zugrunde liegende System kommt es zu einer “‘Verschriftlichung’ der gesprochenen Sprache” (Klein 1985, 25), im Hinblick auf den Varietätenraum zu einer “Reorganisation des Nähebereichs” (Koch/Oesterreicher 1994, 600), d.h. beispielsweise zur Entstehung neuer nähesprachlicher Varietäten (wie etwa Regiolekten). Zu den Verschriftlichungstendenzen ist in der deutschen Gegenwartssprache jedoch eine Gegenbewegung zu beobachten: Vermündlichungstendenzen als “Verschiebungen […] zwischen den traditionell geschriebenen und gesprochenen Formen des Sprachgebrauchs […], die in Richtung eines zunehmenden Einflusses der gesprochenen auf die geschriebenen Formen weisen” (Sieber 1998, 197). Be-
sonders nachhaltig sind solche Verschiebungen von Sieber, der von “Parlando” spricht, im schulischen Schreiben nachgewiesen worden. Gemeint sind durch starke Orientierung an konzeptioneller Mündlichkeit verursachte “spezifische Abweichungen von herkömmlichen Mustern der entfalteten Schriftlichkeit” (51). An der Textoberfläche schlagen sie sich nieder vor allem in der Wortwahl (z.B. gehäufte Verwendung einfacher Lexik, sprachlicher Versatzstücke oder Partikeln), in der Syntax (z.B. nicht streng durchkomponierte Satzstrukturen, unklare Satzgrenzen) und in der Textstruktur (z.B. weniger komponierter Textaufbau) (vgl. 191) – in Textmerkmalen also, die als Indiz für Veränderungen der kommunikativen Grundmuster bzw. für einen “soziokommunikativen Sprachwandel” (181) gewertet werden können. Dazu ist auch die häufigere Verwendung von (stilistisch als umgangssprachlich usw. markierten oder konnotativ wertenden) Phrasemen in geschriebenen Texten zu rechnen (vgl. auch Schäfer 2003, 252–253 zu Texten der Regionalpresse). Der Gebrauch eher nähesprachlicher Phraseme gegen ihre diatextuelle bzw. diamediale Markierung in Äußerungsformen der Distanzkommunikation stellt dabei zwar nur eine Facette im Zusammenhang mit anderen Vermündlichungstendenzen in der Entwicklung der Gegenwartssprache dar, aber auch in der Phrasemverwendung äußert sich das Bedürfnis, die medial bedingte Distanz von Kommunikation in bestimmten Domänen konzeptioneller Schriftlichkeit zu verringern.
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Stephan Stein, Lüneburg (Deutschland)
237
18. Textbildende Potenzen von Phrasemen
18. Textbildende Potenzen von Phrasemen 1. 2. 3. 4. 5.
1.
Zum Begriff der textbildenden Potenzen Eigenschaften von Phrasemen als Träger textbildender Potenzen Auffällige Verwendungen von Phrasemen im Bezug zu textlichen Dimensionen Ausblick Literatur in (Auswahl)
Zum Begriff der textbildenden Potenzen
Das Konzept der “textbildenden Potenzen” von Phrasemen richtet sich auf die Beziehungen zwischen Phrasemen, ihren Erscheinungsformen und Verwendungsweisen sowie ihren Funktionen im Text. Es handelt sich letztendlich um eine Spielart der grundlegenden Frage nach dem Verhältnis von Form und Funktion in der Sprache, wobei im vorliegenden Fall beide Seiten der Relation besonders komplex sind: Die Form, das phraseologische Ausdrucksmittel, kann verschiedenen phraseologischen Klassen oder Gruppen angehören, die je eigene charakteristische Merkmale aufweisen und damit verschiedene Verwendungsweisen ermöglichen; die Funktion variiert mit der Textsorte und der jeweils fokussierten textlichen Dimension. Die Prägung des Begriffs “textbildende Potenzen” geht auf Černyševa (1980, 93ff.) zurück, die damit die funktionale Betrachtungsweise in die sowjetische Phraseologie einführte. Aufgegriffen und weiterentwickelt wurde das Konzept insbesondere von Dobrovol’skij (1980, 691f.; 1987, 69f.), Fleischer (1982, 216ff.; 1997, 213ff.), Wotjak (1992, 99ff.; 1994, 622f.) und Sabban (2004, 241ff.). Dem Konzept liegen zwei grundlegende Beobachtungen zum Vorkommen von Phrasemen in Texten zu Grunde. Die erste betrifft ihre Erscheinungsform und Verwendungsweise. Phraseme begegnen nicht nur als normaler Baustein des Textes, sondern werden oftmals auffällig verwendet. Zum einen werden sie modifiziert, d.h. in Form und/oder Bedeutung gegenüber der lexikalisierten Form bzw. einer ihrer usuellen Varianten verändert (vgl. 3.1.; 3.2.). Zum anderen treten Phraseme mit bestimmten Merkmalen oder in einer bestimmten Verwendungsweise mitunter gehäuft im Text auf (vgl. 3.3.). Derartige Auffälligkeiten sind stets für die spezifische Beschaffenheit des Textes, seine Funktion und Wirkung signifikant. Die zweite Beobachtung
richtet sich auf die Distribution von Phrasemen in Texten. Bestimmte Phraseme oder Phrasemtypen begegnen, sei es in nicht-modifizierter, in modifizierter oder in gehäufter Form, in manchen Textsorten öfter als in anderen, oder sie erscheinen bevorzugt in bestimmten makrostrukturell relevanten Textteilen. Die auffälligen Verwendungsweisen von Phrasemen wie auch die Charakteristika ihrer Distribution legen nahe, dass es zwischen den Eigenschaften von Phrasemen, den dadurch ermöglichten Verwendungsweisen und bestimmten Textdimensionen enge Beziehungen gibt. Dieser Gedanke bildet den Kern des Konzepts der “textbildenden Potenzen”. Das Aufzeigen solcher Zusammenhänge ist einer Untersuchung von Phrasemen in einzelnen Texten bzw. Textsorten logisch vorgeordnet. Umgekehrt ist das Konzept geeignet, Ergebnisse aus Einzeluntersuchungen generalisierend zu bündeln. Wie bei jeder Diskussion des Verhältnisses von Form und Funktion ist nicht zu erwarten, dass es einsinnige und einfache Zuordnungen gibt. Trotz seines Stellenwerts wird der Begriff selbst seit seiner Einführung in die Phraseologie nicht kontinuierlich verwendet. Jenseits der Germanistik wurde er praktisch nicht rezipiert. Das dürfte sich zum Teil durch sprachliche Barrieren erklären, denn viele der ursprünglichen Arbeiten wurden auf Russisch verfasst. Doch lassen sich dem mit dem Konzept aufgezeigten Fragehorizont auch Untersuchungen zuordnen, in denen der Terminus “textbildende Potenzen” selbst keine Verwendung findet. Im Folgenden seien zunächst die Komponenten des Begriffs, “Potenz” und “Textbildung”, erläutert, und das sowohl unter Berücksichtigung ihrer ursprünglichen Verwendung wie auch neuerer textlinguistischer Perspektiven. (1) Der Begriff “Potenz” meint in erster Linie ein besonderes Potential, über das Phraseme im Vergleich mit Einzellexemen im Hinblick auf die Textbildung verfügen. Černyševa (1980, 93) spricht u.a. von der “potentielle[n] Leistungsfähigkeit der Phraseologismen” unter “funktionalem Aspekt”; Wotjak (1994, 622f.) definiert eine “hohe” textbildende Potenz im Sinne einer “vielfältigen Assoziierungs- und Modifizierungsfähigkeit, die über
238
die von Einzellexemen bei aller prinzipiellen Ähnlichkeit hinausgeht”. Das besondere Potential beruhe auf der Summe der semantischen und strukturellen, “sprachsystematischen” Eigenschaften von Phrasemen bzw. Gruppen von Phrasemen und komme in konkreten Texten zur “Entfaltung”. Diese Vorstellung fügt sich in das klassische Denkmuster einer Unterscheidung von Sprachsystem und Sprachverwendung ein: Die Potenzen bzw. das Potential gehören zum Sprachsystem, und sie manifestieren sich im Gebrauch (vgl. Dobrovol’skij 1980, 692; Fleischer 1997, 214). Ausdrücklich hervorgehoben wird der Gedanke eines “dialektischen Verhältnisses” zwischen beiden Bereichen (Dobrovol’skij 1980, 694; 1987, 69). So könne der tatsächliche Gebrauch das “sprachsystematisch Gegebene” (1980, 692) überschreiten; umgekehrt bleibe Raum für Rückwirkungen von der Verwendung von Phrasemen in konkreten Texten auf die sprachsystematischen Eigenschaften der Zeichen. Damit werden der Kreativität des Sprachproduzenten ebenso wie der konstruktiven Verstehensleistung des Rezipienten (zu letzterem siehe Sabban 1998a: 17ff.; 117ff.) und auch der Dynamik der Sprache vom Ansatz her Rechnung getragen. (2) “Textbildend” ist zu verstehen als den Text in seiner Gestalt ausmachend und dank dessen bestimmte Funktionen wahrnehmend (vgl. auch die Bezeichnung “Textgestaltung” bei Fleischer 1997, 213f.). Der Begriff richtet sich somit auf den Text als Produkt und nicht auf den Prozess der Texterstellung. Dabei werden in konkreten Untersuchungen zwei Aspekte besonders hervorgehoben: (a) die Vertextung, oder, mit einem anderen Terminus, die sprachliche Dimension im engeren Sinne (zum Grundverständnis vom Text als einer mehrdimensionalen Größe siehe Adamzik 2001, 272ff.). Phraseme verfügen über besondere Möglichkeiten für die Bildung von Text schlechthin, also für die Stiftung von Kohärenz und Kohäsion. In grundsätzlich vergleichbarer Weise gilt dies auch für Beziehungen zwischen Text und Bild, welche zum Zeitpunkt der Formulierung des Konzepts allerdings noch keine ausdrückliche Beachtung erfuhren; (b) die funktionale Dimension des Textes in einem engeren Sinne. Hierbei lassen sich wiederum zwei Aspekte unterscheiden: (i) die Funktionen des Textes als Exponent einer Textsorte (z.B. eines Zeitungskommentars); (ii) die Funktionen eines Textteils innerhalb
VI. Phraseme im Diskurs/Set phrases in discourse
von Texten (z.B. der Pointe eines Witzes). Manche Phraseme leisten, auf Grund ihrer spezifischen Eigenschaften und gegebenenfalls vermittelt über eine dadurch ermöglichte besondere Verwendungsweise, zur Realisierung der Funktionen bestimmter Texte oder bestimmter textsortentypischer Textteile einen entscheidenden Beitrag. Dies läuft letztendlich auf die Frage nach der Korrelation von Phrasemtyp und Textsorte hinaus, wie sie schon früh in der Diskussion um textbildende Potenzen aufgeworfen wurde (vgl. Černyševa 1980, 94; Dobrovol’skij 1987, 72). Weitere Dimensionen des Textes, etwa die intertextuelle, die thematisch-referentielle oder die interaktive Dimension (vgl. Adamzik 2001, 272ff.), wurden in der Regel nicht eigens diskutiert und begrifflich unterschieden, sondern unter einem relativ weiten Begriff von “kommunikativer Funktion” subsumiert. Hier könnte eine differenzierende Weiterführung des Konzepts ansetzen. Gelegentlich ist im Zusammenhang mit den textbildenden Potenzen auf Formen gesteigerter Texthaftigkeit, auf eine inhaltliche Verdichtung und erhöhte Expressivität hingewiesen worden, die bei einem spezifischen Einsatz von Phrasemen zu beobachten seien (siehe z.B. Fleischer 1997, 214). Das deutet darauf hin, dass der Terminus “Potenz” auch mit dem Gedanken einer “besonderen Kraft und Stärke” in Verbindung gebracht worden ist. Doch sind eine Steigerung oder Verdichtung keineswegs immer zu beobachten, und wenn, so sind sie das Resultat einer ganz bestimmten Nutzung des Potentials der sprachlichen Mittel. Zusammenfassend gesagt bezieht sich das Konzept der “textbildenden Potenzen” auf das in der Beschaffenheit von Phrasemen begründete und daher im Vergleich zu Einzellexemen besondere Potential von Phrasemen, zu verschiedenen Dimensionen des Textes einen wesentlichen oder gar den entscheidenden Beitrag zu leisten. Dies geschieht oftmals vermittelt über eine besondere, auffällige Erscheinungsform oder Verwendungsweise, welche ihrerseits als Potential in der Beschaffenheit der Zeichen angelegt ist. Pragmatisch gewendet lässt sich das mit dem Konzept der “textbildenden Potenzen” verbundene Anliegen auch in folgende Frage fassen: Wie können welche Phraseme dank ihrer Beschaffenheit genutzt werden, um im Hinblick auf ver-
239
18. Textbildende Potenzen von Phrasemen
schiedene Dimensionen des Textes einen besonderen, wenn nicht den entscheidenden Beitrag zu leisten?
2.
Eigenschaften von Phrasemen als Träger textbildender Potenzen
Bei der Frage nach den Eigenschaften von Phrasemen, in denen ihr besonderes textbildendes Potential begründet ist und auf das der Textproduzent zugreifen kann, muss unterschieden werden zwischen generellen Eigenschaften, die einen relativ weiten Geltungsbereich haben und auf mehrere Typen von Phrasemen zutreffen (vgl. 2.1.), und spezifischen Eigenschaften, die auf einzelne Phrasemtypen oder bestimmte Untergruppen zutreffen (vgl. 2.2.). 2.1. Generelle Eigenschaften: strukturelle und semantische Teilbarkeit Für die Textbildung relevante generelle Eigenschaften beruhen auf der Tatsache, dass Phraseme, semiotisch gesehen, sekundäre Zeichen sind und ihrerseits aus syntagmatisch verknüpften Zeichen bestehen. Damit weisen Phraseme trotz ihres holistischen Charakters eine innere syntaktische und semantische Gliederung auf (in Bezug auf Idiome siehe z.B. Coulmas 1981, 32ff.). Diese ist je nach Phrasemtyp und auch innerhalb einer Kategorie verschieden stark ausgeprägt (vgl. Dobrovol’skij 1980, 693ff.; 1988, 131ff.; Sabban 1998a, 54ff.). Im Einzelnen: (1) Die syntaktische Gliederung folgt aus dem Mehrwortcharakter der Phraseme; sie wird etwa dann relevant, wenn einzelne Konstituenten in textbezogener Weise attributiv erweitert werden, wie in: die Spreu der Propaganda vom Weizen echter Verhandlungssubstanz trennen, zu: die Spreu vom Weizen trennen (vgl. auch 3.2.1.). (2) Die semantische Binnenstruktur umfasst zwei Dimensionen. (a) Die erste betrifft die Unterscheidbarkeit zweier Bedeutungsebenen bei voll- und teilidiomatischen Phrasemen: der wörtlichen und der phraseologischen Ebene. Die Zeichen der wörtlichen Ebene sind bei unauffälligem Gebrauch nur Mittel zum Zweck der Bildung eines Zeichens höherer Ordnung; sie haben im Text keine Referenz und sind nicht an der Bildung einer Isotopie beteiligt. (b) Die zweite Dimension betrifft die – für verschiedene Phraseme in unterschiedlichem Maße gegebene – Möglichkeit,
die phraseologische Bedeutung auf einzelne Konstituenten aufzuteilen, d.h. den einzelnen lexikalischen Komponenten eine wendungsinterne phraseologische Bedeutung zuzuordnen. Dieser Gedanke der semantischen Teilbarkeit wird bei Dobrovol’skij (1988, 131ff.) entwickelt. Die Teilbarkeit setzt eine gewisse Transparenz voraus. Zum Tragen kommt sie beispielsweise in metasprachlichen Paraphrasen: Perlen vor die Säue werfen, das bedeutet: Perlen, ‘etwas Wertvolles’, vor die Säue werfen, ‘jemandem anbieten, der es nicht zu würdigen weiß’. Darüber hinaus wird die Teilbarkeit aber auch im Textzusammenhang und bei manchen Modifikationen genutzt: “‘Ich möchte dir die Sterne vom Himmel holen!’ Dieses Versprechen war lobenswert, aber wehe, wenn der Liebhaber es wahrmachte. Was finge die bedauernswerte Geliebte mit den Sternen an, wenn er sie angeschleppt brächte!” (Kästner, “Fabian”, München 1999, 210f.) Selbst unikalen Komponenten kann zuweilen eine wendungsinterne Bedeutung zugeordnet werden. Das gilt z.B. für die Konstituente Patsche in jdm. aus der Patsche helfen; das Wort kommt nicht frei vor, aber es ist möglich, ihm innerhalb des Phrasems die Bedeutung ‘unangenehme schwierige Lage’ zuzuordnen. Diese Facetten innerer Strukturierbarkeit stellen ein Potential für eine semantische und strukturelle Aufspaltung dar, auf das der Textproduzent bei Bedarf, d.h. im Hinblick auf eine bestimmte Textgestaltung und Wirkungsabsicht, zugreifen kann. Sie sind Voraussetzungen für auffällige, insbesondere modifizierende Verwendungsweisen, welche ihrerseits bestimmte Funktionen im Text erfüllen (vgl. im Einzelnen 3.1.; 3.2.). 2.2. Spezifische Eigenschaften von Phrasemtypen und besonderen Teilgruppen Bestimmte Phrasemtypen und besondere Untergruppen von Phrasemen können dank ihrer spezifischen Merkmale zur charakteristischen Beschaffenheit eines Textes und den damit verbundenen Funktionen beitragen. Dies entspricht letztlich der Korrelation zwischen Phrasem und Textsorte. Dabei lassen sich zwar keine strengen Korrelationen aufstellen, wohl aber einige deutliche Tendenzen aufzeigen. Beispiele: (1) Phrasemtyp im Bezug zur Textsorte. Deutliche Unterschiede in der Distribution von
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Phrasemtypen finden sich in ähnlichen, jedoch medial verschiedenen Textsorten. So beschreiben Burger/Buhofer (1981, 379ff.) je eigene Konfigurationen von Phrasemen in medial unterschiedlichen Nachrichtensendungen (Radio, Fernsehen, Zeitung). Hemmi (1994, 64ff.) ermittelt auf vergleichend-quantifizierendem Wege unterschiedliche Präferenzen in medial unterschiedlichen Werbungen. Demnach sind Routineformeln in der Textsorte Radiowerbung deutlich häufiger als in der gedruckten Anzeigenwerbung; sie sind essentiell für die im Radio inszenierten Gesprächs- und Interviewsituationen; zudem stellen sie eine medienspezifische Möglichkeit der Aufmerksamkeitssteuerung dar (direkte Ansprache des Hörers). Bei der Kategorie “geflügelte Worte” erweist sich eine feinere Unterteilung nach dem Herkunftsbereich der Zitate als aufschlussreich, denn sie stammen vorzugsweise aus den Bereichen, die dem jeweiligen Medium der Werbung am nächsten stehen (Hemmi 1994, 87): im Printmedium der Zeitschrift sind es literarische Titel, in der Radiowerbung Musiktitel und in der Fernsehwerbung Filmtitel. (2) Spezifische Merkmale von Teilgruppen im Bezug zur Textsorte. Das Merkmal der Bildhaftigkeit, d.h. der Visualisierbarkeit der wörtlichen Ebene im Unterschied zu einer bloßen Bildlichkeit (siehe Burger 1989, 25ff.), spielt in Fernsehnachrichten und bei der Untertitelung von Bildern in den Printmedien eine Rolle (Burger 1999, 81ff.): Bildhafte Idiome werden in bestimmten Nachrichtenmagazinen des Fernsehens gerne mit der Kamera visualisiert, die Wörtlichkeit damit beim Zuschauer potenziell evoziert. In der Regel ist damit keinerlei Nachrichtenwert verbunden; vielmehr leistet dieses Verfahren auf dem Hintergrund eines allgemeinen Trends zum so genannten “Infotainment” einen Beitrag zur unterhaltsamen Qualität der betreffenden Sendung. Eine besonders beliebte Teilgruppe bilden dabei die Kinegramme. (3) Pragmatische Funktion im Bezug zur Textsorte. Gemeinsame pragmatische Funktionen von Phrasemen können die Basis einer bestimmten Verwendung und Wirkung sein. Ein Beispiel dafür ist die Strategie der “inszenierten Negativität” in der Werbung (Sabban 1998b; 1998c). Dabei werden entgegen den üblichen pragmatischen Spielregeln der Werbung vordergründig negativ gerichtete komplexe Ausdrücke und Ausdrucksmuster ver-
VI. Phraseme im Diskurs/Set phrases in discourse
wendet, d.h. Ausdrucksweisen, die konventionellerweise rüde Sprechakte vollziehen (z. B. Drohung, Beleidigung). Oder es werden, und auch das oft mit phraseologischen Mitteln, negative Aussagen über das Produkt und den Sender getroffen. – –
(Werbung einer Bank:) Stecken Sie sich ihr Sparbuch doch dorthin, wo es hingehört! (Hildesheim 1996) (Werbekampagne zur Steigerung von Abonnentenzahlen:) Wir haben sie nicht alle. 100.000 Abos für die taz. (“taz”, Februar 2002)
Die negativ gerichteten Phrasembedeutungen erweisen sich, spätestens im Verlauf der Lektüre und auf dem Hintergrund des Wissens um die üblichen Strategien der Werbung, als letztendlich nicht gemeint, die Ausdrücke sollen vielmehr in irgendeiner Weise wörtlich genommen werden (zum Wörtlichnehmen vgl. 3.1.2.). Der mit dieser paradoxen Verwendung sprachlicher Mittel verbundene Aufmerksamkeitswert und der erhöhte kognitive Aufwand dienen letztlich den Zwecken der Werbung; der spielerisch-provokante Gestus steht im Dienste der Image-Werbung und ist der interaktiven Textdimension zuzurechnen.
3.
Auffällige Verwendungen von Phrasemen im Bezug zu textlichen Dimensionen
Im Folgenden geht es um auffällige, markierte Verwendungen von Phrasemen in ihrem Bezug zu textlichen Dimensionen. Zur Abgrenzung: Eine unauffällige Verwendung liegt vor, wenn ein Phrasem nur in seiner phraseologischen Bedeutung gebraucht wird und in dem betreffenden thematischen oder situativen Kontext typisch ist; letzteres lässt sich beispielsweise mit korpuslinguistischen Verfahren prüfen. Beispiel: – Während der Nacht wird der Geiselnehmer immer müder. Die Verhandlungen geraten in eine Sackgasse. Doch die Verhandler [...] geben nicht auf. (“Die Presse”, Juli 1994, Korpus COSMAS I) Eine auffällige Verwendung liegt dagegen vor, wenn das Phrasem nicht oder nicht ausschließlich als Träger einer phraseologischen Bedeutung gebraucht wird oder wenn es in einen untypischen thematischen oder situativen Zusammenhang versetzt wird (vgl. 3.1.; 3.2.).
18. Textbildende Potenzen von Phrasemen
Des Weiteren liegt eine auffällige Verwendung vor, wenn Phraseme oder Verwendungsweisen von Phrasemen gehäuft auftreten (vgl. 3.3.). Die beiden ersten Gruppen auffälliger Verwendungsweisen (vgl. 3.1.; 3.2.) werden übergreifend als Modifikationen in einem weiten Verständnis des Wortes bezeichnet. Diese Verfahren werden zuweilen auch dem von den Russischen Formalisten formulierten Konzept der “Entautomatisierung” zugerechnet (z.B. Zuluaga 1997, 240). Die grundlegenden Modifikationsverfahren sind umfassend untersucht, in den letzten 15 Jahren auch unter verstärkter Beachtung ihrer Leistungen für den Text (Barz 1986; Dittgen 1989, 121ff.; Wotjak 1992, 109ff.; zu Verfahren in der Werbung Hemmi 1994; in Presse- und Werbetexten Sabban 1998a, 133ff.; in Zeitungstexten Krätzschmar 1998, 45ff.; 62ff.; in englischen literarischen Texten verschiedener Epochen Naciscione 2001, 69ff.; zur Werbung unter Thematisierung von Text-Bild-Beziehungen Balsliemke 2001, 63ff.; zusammenfassend Burger 2003, 152ff.). Üblicherweise werden, ausgehend vom äußeren Erscheinungsbild des Ausdrucks, zwei Haupttypen von Modifikationen unterschieden: formal unveränderte Phraseme (vgl. 3.1.) und formal veränderte Phraseme (vgl. 3.2.). 3.1. Formal unveränderte Phraseme: Ambiguierungen Das Phrasem ist entweder unverändert (vgl. 3.1.1.), oder der Text enthält streng genommen nur eine Wortfolge, die mit der eines Phrasems identisch ist (vgl. 3.1.2.). Aus der Perspektive des Phrasems als Zeicheneinheit gesehen, liegt die Modifizierung auf semantischer Ebene und besteht in Spielarten bewusster Ambiguierung (Burger 2003, 157). Dabei wird in der Regel eine der Bedeutungsebenen durch das Text- und Kontextarrangement fokussiert, während die jeweils andere in den Hintergrund rückt und lediglich evoziert wird. Manche Texte sind darüber hinaus so angelegt, dass es im Verlauf des Textes zu einem schlaglichtartigen Wechsel der fokussierten Ebene oder zu retrospektiven Umdeutungen kommt (Sabban 2001, 310ff.). Schließlich können auch beide Ebenen für den Text relevant werden (vgl. 3.1.3.). Wotjak (1992, 109ff.) spricht übergreifend von “auffälligen Bedeutungsaktualisierungen”, von Bedeutungsebenen- und Szenarienwechsel.
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3.1.1. Ambiguierung durch Evozieren der Wörtlichkeit In einem ersten Fall ist das unveränderte Phrasem zunächst einmal als Phrasem verwendet: Es ist in seiner phraseologischen Bedeutung für die Textbedeutung im engeren Sinne und damit für die Kohärenz des Textes relevant. Abweichend vom Normalfall jedoch wird auf Grund eines Bezugs zwischen der wörtlichen Ebene und dem Kontext zusätzlich die wörtliche Bedeutung evoziert. Je nachdem, ob ein Bezug zum näheren Text, zum situativen Kontext oder zu einem Bild besteht, lassen sich weitere Teilverfahren unterscheiden: (1) Textbezug. Der nähere Text enthält ein Wort, das mit einer Konstituente des Phrasems zumindest auf der Ausdrucksseite identisch oder teilidentisch ist, mit ihm in einer semantischen Beziehung steht, demselben Wortfeld angehört oder mit ihm über einen sachlichen Zusammenhang (Frame, Skript) verbunden ist. – (Werbeprospekt): Fußball-News direkt aufs Handy! [...] mit den brandaktuellen Vodafone-Fußball-Infos [...] bleiben Sie im ganzen Vodafone-Netz immer am Ball und wissen, wer wann wie gespielt hat. (Firma Vodafone, Februar 2003) Am Ball bleiben ist phraseologisch gemeint; “Fußball” evoziert die wörtliche Ebene. Hier liegt eine Teilidentität der Komponenten und eine semantische Beziehung vor. (2) Situativer Bezug. Der Kontext enthält ein Element, das in einem Bezug zur wörtlichen Ebene des Phrasems oder einer seiner Konstituenten steht. – (Plakatwerbung im Reisezug:) Lesen Sie, wohin die Reise geht. (Nachrichtenmagazin “Fokus”, Februar 2004) Die Anbringung des Plakats in einem Reisezug der Deutschen Bahn evoziert, zumindest für die Reisenden, die wörtliche Lesart; auf Grund der situativen Einbettung wird diese möglicherweise auch zuerst evoziert. Letztlich gemeint ist jedoch die phraseologische Lesart, etwa im Sinne von: ‘Lesen Sie, worauf man in der Politik hinaus will, welche Richtung die politische und gesellschaftliche Entwicklung nimmt’. (3) Bildbezug. Ein dem Text beigegebenes Bild (im Werbetext: “Visual”, Balsliemke 2001, 31) steht in einem Bezug zur wörtli-
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chen Ebene. Der Bezug kann auch hier mehr oder weniger direkt sein. Die Möglichkeiten der Visualisierung sind zum einen vom Medium abhängig (Beschränkung auf statische Fotos in den Printmedien gegenüber bewegten Bildern im Fernsehen), zum anderen werden sie durch die Beschaffenheit des Phrasems mitbedingt. Als besonders geeignet erweisen sich Phraseme mit einer im engeren Sinne bildhaften Ebene (Burger 1989, 25ff.), d.h. mit einer sinnlich vorstellbaren und folglich auch mit Kamera oder Zeichenstift visualisierbaren Basis (siehe auch 2.2). – (Anzeigenwerbung für eine Automarke:) Der neue Citroën Saxo 5-Türer gleicht dem Citroën Saxo 3-Türer wie ein Ei dem anderen. [Bild: eineiige Zwillingsmädchen] (1996; nach Balsliemke 2001, 251) Der Bezug zwischen Wörtlichkeit des Phrasems und Bild ergibt sich indirekt: tatsächlich visualisiert wird die sprachlich verwandte Kollokation eineiige Zwillinge und damit ein ganz anderes Objekt als der eigentliche Werbegegenstand. – (Aus einem Nachrichtenmagazin im Fernsehen:) Das Fass zum Überlaufen brachte Waigel [...] mit seiner Rede beim letzten politischen Aschermittwoch der CSU. [Bild: Waigel mit anderen Politikern, setzt den Bierkrug an. Nachher am Rednerpult.] (“Report”, ARD 1996; nach Burger 1999, 82) Die Verbindung zwischen der wörtlichen Ebene des Phrasems im gesprochenen Kommentar und gefilmter Szene ist über einen Frame vermittelt: Bierkrug – Bier lagert in Fässern – Fass. 3.1.2. Ambiguierung durch Wörtlichnehmen Bei einer zweiten Art des Zugriffs auf das Zeichen wird das Phrasem nicht eigentlich als Phrasem verwendet; insofern ist es streng genommen eine Verkürzung, hier von einer Ambiguierung “des Phrasems” zu sprechen. In Umkehrung zu 3.1.1. geht die phraseologische Bedeutung nicht in die Textbedeutung im engeren Sinne ein. Vielmehr wird der Ausdruck wörtlich genommen. Dabei wird relativ frei mit den wörtlichen Bedeutungen der Konstituenten umgegangen (vgl. das Konzept der “Mediostruktur” bei Wotjak 1992, 30ff.). Das heißt, es kommt zu Umdeutungen gegenüber der eigentlichen wörtlichen Bedeutung, der derivationellen Basis, welche dem Spre-
VI. Phraseme im Diskurs/Set phrases in discourse
cher oftmals auch gar nicht bekannt ist. Darüber hinaus werden weitere, insbesondere auch syntaktische Regeln des sprachüblichen Gebrauchs außer Kraft gesetzt. Insgesamt wird der Ausdruck eines Gedankens mit dem Ziel verknüpft, dafür eine Formulierung zu wählen, die mit dem Wortlaut eines Phrasems zusammenfällt, jedoch im Text- und Situationszusammenhang interpretierbar bleibt. Der Rezipient ist somit gefordert, gegen die üblichen Gewohnheiten eine plausible Interpretation auf Grund eines gegebenen Wortlauts zu erstellen. So sind im folgenden Ausschnitt aus der Anmoderation einer Fernsehreportage alle Phraseme wörtlich gemeint und auf das Thema der Sendung, ein Rauchverbot in Irland, beziehbar. Die Wörtlichkeit wird zusätzlich, dem Medium entsprechend, durch Fernsehbilder visualisiert. Die phraseologischen Bedeutungen der Ausdrücke werden gleichwohl evoziert und “schwingen mit”. Im Einzelfall ist es schwer zu entscheiden, ob die phraseologische Bedeutung nicht doch (auch) gemeint ist. Der Text erhält dadurch einen offeneren Charakter und ein suggestives Potential, das bei Verwendung nicht-phraseologischer Sprachmittel fehlen würde: – (Fernsehreportage, Titel: “Paffverbot im Pub”. Aus der Anmoderation:) Korrespondent U. Sch. steckt seine Nase in die Kneipen der grünen Insel und macht den Schnuppertest. [...] Dicke Luft gab’s hier schon immer, doch bald weht wohl ein frischer Wind. [Bild: Rauchnebel im Innern eines irischen Pubs, u.a.m.] (“Weltspiegel”, ARD, Februar 2004) Bei der Gruppe der “Routineformeln” nimmt das Verfahren des Wörtlichnehmens, bedingt durch die charakteristischen Merkmale dieser Kategorie, eine etwas andere Gestalt an. Das Phrasem erscheint beim Wort genommen in einem untypischen situativen Zusammenhang (siehe auch Mena Martínez 2003, 173). Evoziert werden der übliche situative Kontext und die typische pragmatische Funktion des Ausdrucks. Auch hier können, auf implizitem Wege, zusätzliche Deutungsmöglichkeiten eröffnet werden: – Der Nächste, bitte! (“taz”, 11.2.04, 1) Diese Schlagzeile steht im Zusammenhang des aktuellen Ereignisses, dass der deutsche Bundeskanzler Schröder das Amt des Parteivorsitzenden auf- und an einen Nachfolger,
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18. Textbildende Potenzen von Phrasemen
“den Nächsten”, weitergibt. Evoziert wird der Aufruf von Patienten im ärztlichen Wartezimmer oder von Wartenden in einer Behörde. Die Bezeichnung der in 3.1.1 und 3.1.2 beschriebenen Verfahren als Spielarten von Ambiguierungen basiert auf einem besonderen Verständnis von Ambiguität: Es handelt sich um eine Relation zwischen Gegebenem – dem sprachlichen Ausdruck in seiner für die Textkohärenz relevanten Bedeutungsebene – und lediglich Evoziertem. Analoge Erscheinungsformen bei Einzellexemen bezeichnet Landheer (1989, 38) als “ambiguïté allusive” (zur Übertragung auf die Phraseologie siehe Sabban 2001, 308). 3.1.3. Ambiguierung durch Kumulieren von Bedeutungen Bei einer dritten Spielart lassen sich beide Bedeutungen mit dem Text, Bild oder Kontext sinnvoll verknüpfen. Es kommt zu einer Addition oder auch Verschränkung von Bedeutungen (in Bezug auf Einzellexeme vgl. das Konzept der “ambiguïté cumulative”, Landheer 1989, 38). Beispiele: – (Anzeigenwerbung einer Finanzconsulting Firma:) Ihr Kapital im grünen Bereich. Vermehren Sie Ihr Kapital durch die nachhaltige Mischwaldwiederaufforstung von Brachflächen und degradierten Wäldern in Malaysia. (“taz” 6./7.3.2004, 5) Der elliptisch verwendete Ausdruck im grünen Bereich (sein) ist auf zweierlei Weise lesbar: ‘Es ist alles in Ordnung’ (phraseologische Lesart, basierend auf dem Signalwert der Farbe Grün bei automatischen Kontrolleinrichtungen) und ‘(Investieren Sie) in Wiederaufforstung, in den ‘grünen Bereich’’ (Umdeutung der Komponente “grün” gegenüber der derivationellen Basis des Phrasems unter Rekurs auf ein gleichermaßen konventionalisiertes Symbol, die Farbe Grün als Zeichen für die Natur). Beide Bedeutungen können auch miteinander verschränkt werden: ‘Wenn Sie in grüne Projekte investieren, ist mit Ihrer Kapitalanlage (aus ökologischer Sicht) alles in Ordnung’. Im folgenden Beispiel wird ein für die Textsorte Witz essentieller Teil, die Pointe, durch Ambiguierung eines Phrasems konstituiert: – Wann sind die romanischen Sprachen entstanden? – Als die Römer mit ihrem Latein am Ende waren. (nach Wotjak 1999, 56)
Eine wörtliche Lesart des Phrasems mit seinem Latein am Ende sein als Hinweis auf das Hervorgehen der romanischen Sprachen aus dem Latein bzw. Vulgärlatein ist ebenso sinnvoll wie die phraseologische Lesart ‘nicht mehr weiter wissen’ als Hinweis auf den Zerfall des Römischen Reiches. Die doppelte Interpretation erfordert ein entsprechendes Wissen und ist Voraussetzung für das Gelingen des Witzes. 3.1.4. Weitere textliche Dimensionen Der Bezug ambiguierender Verwendungsweisen zu verschiedenen Dimensionen des Textes lässt sich letztendlich nur im Zusammenhang mit spezifischen Textsorten oder auch einem ganz bestimmten Text charakterisieren. Hier kann es nur darum gehen, das Leistungspotential exemplarisch zu skizzieren. (1) Kohäsive Brücken. Das Evozieren der Wörtlichkeit (siehe 3.1.1.) hat vielfach eine Brückenfunktion. Das Phrasem wird mit dem übrigen Text über die wörtliche Ebene und damit oberflächlich vernetzt; in diesem Sinne wird lediglich eine kohäsive Brücke zwischen Phrasem und meist unmittelbarer Textumgebung erstellt. Eine alternative Beschreibung desselben Umstands ist, dass eine zusätzliche Isotopie im Text erstellt wird, welche an der wörtlichen Ebene des Phrasems ansetzt. Das Verfahren ist somit textbildend hinsichtlich der sprachlichen Dimension des Textes. Prinzipiell vergleichbar ist die Leistung bei TextBild-Beziehungen: Phraseme können über ihre Wörtlichkeit eine “Brücke zwischen Text und Bild” erstellen (Burger 1999, 82). Entscheidend für die Brückenfunktion ist eine irgendwie geartete Passung zwischen Wörtlichkeit und (Kon-)Text. (2) Unterhaltung und Erheiterung. In der Art der Distribution der in (1) erwähnten kohäsiven Brücken zeigt sich ein Potential für die affektive Dimension des Textes im Sinne einer Erheiterung und Unterhaltung. So finden sich kohäsive Brücken besonders häufig in moderierenden Überleitungen in Radio und Fernsehen: –
(Moderation im Radio:) [...] und obwohl wir ja seit gestern nach Auffassung der Meteorologen Frühling haben, diesmal könnte Sie unser Musikrätsel aufs Glatteis führen. (NDR Kultur, Februar 2003; nach Sabban 2004, 256)
Der Effekt ist der eines lockeren, unterhaltsamen Tons, gerade weil die Sätze nur ober-
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flächlich zusammengehalten werden und auf wirklich kohärente Bezüge verzichtet wird. Im folgenden Beispiel ist es nach Art eines Kalauers besonders offenkundig, dass kein sinnvoller Bezug zwischen Thema und wörtlicher Ebene des Ausdrucks besteht: – (Radiobericht über eine Diplomarbeit, Fach Design, in Gestalt einer Comicserie zum häufigen rätselhaften Verschwinden einzelner Socken:) Die Professorinnen waren ganz schön von den Socken, als sie die Arbeit gelesen haben. (NDR Kultur, Februar 2004) Ein vergleichbares Wirkungspotential zeigt sich auch in der Distribution analoger Bezüge zwischen Text und Bild, welche nur über die Wörtlichkeit etabliert werden: Diese finden sich verstärkt in genau solchen Nachrichtensendungen des Fernsehens, die im Zuge des Trends zum Infotainment einen stärkeren Unterhaltungswert anstreben (Burger 1999, 77ff.; 81ff.). Das reziproke Verfahren des Wörtlichnehmens (3.1.2) hat ein ähnliches affektives Potential. Nach diesem Prinzip gestaltete Überschriften begegnen in der Zeitung vorzugsweise in unterhaltsameren Rubriken vom Typ der Vermischten Meldungen, im Lokalteil oder in Kleinanzeigen. Vgl. etwa auch die folgende Internet-Anzeige einer Hundevermittlung: – So kommen Sie auf den Hund. (Januar 2004) Keineswegs wird hier eine Anleitung versprochen, wie man ‘völlig herunterkommt’ (phraseologische Bedeutung), sondern gefordert ist eine unübliche Interpretation der Wortkette im Sinne von: ‘So kommen Sie zu einem Hund’. Der Leser ist angesichts der umgedeuteten Wortkette zumindest überrascht, eventuell amüsiert. Freilich kann er je nach Art des umgedeuteten Ausdrucks auch ablehnend reagieren. In jedem Fall hat die Ausdrucksweise jedoch eine affektive Dimension. (3) Witz. In gesteigerter Form haben beide Formen der Ambiguierung ein Potential zur Erzeugung eines Witzes. Eine wesentliche Komponente ist, im Unterschied zu (1), eine Spielart der Nicht-Passung, des Kontrasts relativ zu einer Erwartung, zu Realität, Normalität und vernünftigem Handeln (zu einer Theorie des Humors basierend auf verschiedenen Inkongruenzen vgl. etwa Deckers/Buttram 1990). So ist das Verfahren konstitutiv
VI. Phraseme im Diskurs/Set phrases in discourse
für die Pointe in zahlreichen Sprachwitzen; in einem von Wotjak (1999, 54f.) untersuchten Korpus von 243 Sprachwitzen basiert die Pointe in 7 Prozent aller Fälle auf der Ambiguierung eines Phrasems; der Typ der formalen Modifikation (siehe 3.2.) ist dabei gar nicht vertreten; hier zeigt sich somit eine deutliche Beziehung zwischen Verwendungsweise und Textfunktion. – In einem allgemeineren Sinne ist das Verfahren konstitutiv für pointierende Textschlüsse schlechthin. Beispiel: – (Kurzmeldung:) Jedenfalls wissen wir nun: [Kanzler] Schröder hat farbechte Haare, er hat sie auf dem Kopf. [...] Und die auf den Zähnen, die sieht man vor Gericht. [Textende] (Rhein-Neckar-Zeitung, Mai 2002; nach Sabban 2004, 250). Eine eigene Variante ist die erzählerische Darstellung des naiven Wörtlichnehmens eines Phrasems und seiner Überführung in eine unsinnige Handlung, so etwa, wenn einem Ertrinkenden in vermeintlich guter Absicht ein wirklicher Strohhalm zugeworfen wird (vgl. das Phrasem nach dem rettenden Strohhalm greifen). Die zeichnerische Umsetzung dessen ist eine mögliche Basis von Karikaturen (Sabban 2004, 250ff.). Eine wichtige Komponente der Erzeugung einer witzigen Wirkung ist der kalkulierte Überraschungseffekt: das Spiel mit der – im Text aufgebauten oder auf Normalitätsannahmen basierenden – Erwartung des Rezipienten oder das plötzliche Umschlagen von einer Bedeutungsebene auf die andere im Verlauf des Textes (Wotjak 1994: 638 mit Bezug auf die Pointe in Witzen). Für eine Analyse der Wirkung erweist es sich somit als essentiell, die Dynamik des Textverlaufs bzw. der Textrezeption miteinzubeziehen (Sabban 2001, 310ff., am Beispiel der Werbung). Zu den Normalitätsannahmen und damit zum Wissen der Interaktanten gehören auch Annahmen hinsichtlich der üblichen Bedeutung und Verwendung von sprachlichen Ausdrücken. Auf Grund der Fixiertheit von Phrasemen als ihrer grundlegenden Eigenschaft wird beim Textrezipienten die phraseologische Bedeutung in aller Regel zuerst, also oftmals beim ersten Hinsehen, aufgerufen. Im Verlauf der Lektüre kann sich erweisen, dass diese letztlich nicht gemeint ist. Genau das wiederum kann strategisch genutzt werden (siehe “inszenierte Negativität”, 2.2.).
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(4) Inhaltliche Verdichtung. Hinsichtlich der thematisch-inhaltlichen Dimension des Textes haben ambiguierende Verwendungsweisen ein Potential für eine verdichtete und dank dessen rhetorisch effektvolle Formulierung. Das ist immer dann der Fall, wenn ein Ausdruck mehrere mit Text oder Kontext stimmige Deutungen zulässt (siehe 3.1.3). Voraussetzung dafür ist oftmals eine mit dem Textproduzenten geteilte Perspektive oder ein gemeinsames Wissen. Diese Sprachverwendung dient somit grundsätzlich weniger dem Übermitteln doppelter Botschaften als vielmehr dem Aufrufen von präsupponierten Gemeinsamkeiten, die dank der Beschaffenheit der sprachlichen Mittel in einer ganz bestimmten und oft neuartigen Weise zusammengeführt werden. Der Rezipient kann bei der Enträtselung eines mehrfach lesbaren Ausdrucks ein intellektuelles Vergnügen empfinden und sich aufgewertet fühlen. Er kann sich dank eines geteilten Wissens oder einer geteilten Sicht der Dinge mit dem Textproduzenten oder Interaktionspartner verbunden fühlen. Hierin zeigt sich eine weitere Spielart einer affektiven Textdimension und es ergibt sich darüber hinaus ein Bezug zur interaktiven Textdimension. 3.2. Formal veränderte Phraseme: Modifikationen im engeren Sinne Eine zweite grundlegende Möglichkeit einer auffälligen Verwendung von Phrasemen besteht in der Veränderung ihres Komponentenbestands. Es handelt sich um Modifikationen in einem engeren Verständnis des Wortes (vgl. dagegen 3.1.). In Abgrenzung zu usuellen und grundsätzlich lexikographisch erfassten Varianten von Phrasemen werden diese Modifikationen auch als Variationen bezeichnet (z.B. Sabban 1998a, 75ff.; Preußer 2003, 110). Ein häufiger Modus zur Klassifizierung verschiedener Modifikationsprinzipien orientiert sich an der äußeren Form, d.h. an den formalen Veränderungen gegenüber dem Original, der lexikalisierten Grundform (Sabban 1998a, 136 u.a.; “base form” bei Naciscione 2001, 19). Die wichtigsten formalen Operationen sind: Erweiterung bzw. Expansion, Substitution, Reduktion und Permutation (vgl. z.B. Sypnicki 1991, 156ff.; Krätzschmar 1998, 46ff.; 66ff.). Doch sind die damit verbundenen semantischen Konsequenzen recht unterschiedlich, je nachdem, welcher Phrasemkategorie der modifizierte Ausdruck an-
gehört, auf welcher Zeichenebene die Modifikation ansetzt und welcher Art die Beziehung zum Text oder Kontext ist. Daher werden diese Modifikationen auch als “formale Veränderung mit und ohne semantische Folgen” bezeichnet (Burger 2003, 152). Eine Beschreibung, die mit dem Konzept der “textbildenden Potenzen” kompatibel ist, wird in Sabban (1998a, 16ff.) entwickelt. Sie basiert auf folgendem Grundgedanken: Phraseme enthalten dank ihrer jeweiligen Beschaffenheit eine Reihe von Ansatzpunkten für eine Modifikation; diese ist grundsätzlich, jedoch in unterschiedlichem Maße und auf unterschiedliche Weise, an Text und Kontext gebunden. Analog zu den in 3.1 getroffenen Hauptunterscheidungen lassen sich zwei grundsätzlich verschiedene Zugriffe auf das Phrasem unterscheiden. Im ersten Fall ist das Phrasem trotz Veränderung seines Komponentenbestands in seiner phraseologischen Bedeutung für den Text relevant (vgl. 3.2.1.; 3.2.2.; 3.2.3.) – daher auch die Bezeichnung “semantisch motivierte Variationsprinzipien” (Sabban 1998a, 133ff.; mit Bezug auf Sprichwörter: 270ff., 286ff.). Im zweiten Fall interessiert vor allem die Ausdrucksseite des Phrasems: der Ausdruck wird wörtlich genommen, jedoch im Unterschied zu den in 3.1.2. beschriebenen Fällen zusätzlich verändert (siehe 3.2.4.). Die Ausdrucksseite bleibt der der Grundform insgesamt mehr oder weniger ähnlich; daher auch die Bezeichnung “paronymische Variation” (Sabban 1998a, 222ff.; mit Bezug auf Sprichwörter: 323ff.). Operationen wie Erweiterung oder Substitution sind mit beiden Zugriffen kompatibel, erscheinen bei dieser Sicht jedoch als nachgeordnet. Im Folgenden werden die wichtigsten Teilverfahren beschrieben und ihre Leistungen für den Text exemplarisch aufgezeigt. 3.2.1. Explizieren des Textbezugs für die phraseologische Bedeutung Mit diesem Verfahren wird signalisiert, wie die phraseologische Bedeutung auf den Text oder Kontext zu beziehen ist. Dazu wird typischerweise eine Konstituente attributiv erweitert (siehe auch “interruption and insertion”, Moon 1998, 174ff.). In semantischer Hinsicht kommt das Attribut einer (kon-)textbezogenen Bereichsangabe gleich (vgl. “domain delimiter”, Ernst 1981, 51f.). Das erste Beispiel enthält eine textbezogene Angabe.
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– (Zeitung, Rubrik Feuilleton:) aus einer literarischen Mücke einen Leinwand-Elefanten machen (nach Sabban 1998a, 154ff.) Paraphrase: ‘aus einer Mücke in Sachen Literatur einen Elefanten auf der Leinwand, d.h. im Bereich des Films machen‘. Das genau Gemeinte ergibt sich aus dem weiteren Text, in diesem Fall: ‘aus einer unbedeutenden literarischen Vorlage eine unverhältnismäßig aufwendige filmische Darstellung machen’. Das Verfahren setzt voraus, dass das Phrasem semantisch-strukturell teilbar ist, d.h. dass den erweiterten Konstituenten eine wendungsinterne Bedeutung zugeordnet werden kann (siehe 2.1). Der Bereich wird nicht unbedingt direkt benannt, sondern oftmals nur indiziert und muss vom Rezipienten unter Rekurs auf im Text vermittelte oder außerhalb des Textes gelegene Wissensbestände erschlossen werden. So ist im letzten Beispiel auch ein Framewissen erforderlich, über das der Rezipienten entweder bereits verfügt oder das mit dem Text auf- bzw. ausgebaut wird: Leinwand – Kino – Verfilmung (von literarischen Vorlagen). Das zweite Beispiel enthält eine kontextbezogene Angabe: – (Zeitungskommentar über einen Kurswechsel in der USA-Politik:) Woher der Sinneswandel? Es ist eine Mischung aus Pragmatismus, Lernfähigkeit und Wahljahr. Im Irak drückt ein blutiger Schuh. (“taz” 28./29.2.2004, 3); zu: wissen, wo jdm./jdn. der Schuh drückt/Wo drückt der Schuh? Das Adjektiv blutig verweist qua Frame- und Faktenwissen auf den Irak-Krieg von 2003. Paraphrase: ‘der Schuh drückt in Gestalt des Krieges’. Textbildend ist dieses Verfahren hinsichtlich der sprachlichen Dimension des Textes. Die Erweiterung entspricht einer Explizierung der Kohärenz und in einem erweiterten Sinne des situativen Bezugs. Somit werden Texthaftigkeit und situative Einbindung im Vergleich mit einer unmarkierten Verwendung des Phrasems erhöht. Die Zuordnung dieses Verfahrens zu den Modifikationen ist diskutabel, denn anders als bei den folgenden Verfahren bleiben die Konstituenten in vollem Umfang im Text präsent und die phraseologische Bedeutung erhalten (vgl. auch die Bezeichnung “external modification”, Ernst 1981, 53f.). Eine Alternative ist, das Verfahren als komprimierte Form einer textbezogenen Paraphrase und des damit
VI. Phraseme im Diskurs/Set phrases in discourse
erstellten (Kon-)Textbezugs anzusehen (Sabban 1999, 544f.). Denn wie Gréciano (1989, 417ff.) zeigt, werden insbesondere Idiome oftmals im unmittelbaren Kotext durch unbildliche (quasi-)synonyme oder auch antonyme Ausdrücke wieder aufgenommen. Sie werden dadurch in textbezogener Weise semantisch gestützt. Gréciano bezeichnet das Verfahren als “progression synonymique bzw. antonymique”. Beispiel: – (Aus einem biographischen Text:) Stefan war das wohlbehütete Kind eines vornehmen Hauses; Beethoven dagegen, früh vom Leben in die harte Schule genommen, war bereits Organist (nach Gréciano 1989, 419). Wohlbehütet ist antonymisch zum Phrasem in die harte Schule genommen. Das reziproke Verfahren ist die rhetorischintensivierende Bündelung nicht-phraseologischer Äußerungen in einem Idiom. Das geschieht nach Beobachtungen von Burger (1999, 92) oftmals im Fernsehen: unbildliche Äußerungen von Interviewten werden vom Journalisten pointierend, und damit auch oft deutend, mit einem Idiom zusammengefasst. 3.2.2. Phraseminterne Modifizierung: Modifizieren der phraseologischen Bedeutung Bei allen folgenden Verfahren (3.2.2., 3.2.3., 3.2.4.) ist der phraseologische Ausdruck nicht vollständig im Text präsent; es wird jedoch in verschiedener Weise auf ihn Bezug genommen, und er ist in verschiedener Weise für die Interpretation und Wirkung des Textes relevant. Dieses Phänomen wird unterschiedlich benannt: aus der Sicht des veränderten Ausdrucks als Anspielung auf eine Grundform (z.B. Wilss 1989), dem Korrelat zur Abwandlung oder Variation einer Grundform; oder als eine Erscheinungsform von Intertextualität, wobei abweichend vom prototypischen Fall weniger auf einen ganzen Text als vielmehr auf eine sprachlich feste Fügung als Prätext Bezug genommen wird. Dessen Bekanntheit wird beim Rezipienten unterstellt (zu dieser Verwendung des Terminus “intertextuell” siehe Quirk 1986, 20; Burger 1991, 17). Bei dem folgenden ersten Verfahren wird die phraseologische Bedeutung des Zeichens selbst im Sinne grundlegender semantischer Kategorien wie z.B. Antonymisierung, Intensivierung/Abschwächung oder Iterierung modifiziert (vgl. “internal modification”, Ernst
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1981, 53). Hat das Phrasem eine bildliche Basis, so wird diese in einer geeigneten, die vorhandene Metaphorik weiterführenden Weise verändert. So entsteht etwa durch Umkehrung des bildlichen Vorgangs ein okkasionelles Antonym: – (Teil einer Zeitungsüberschrift:) die Flinte aus dem Korn holen, d.h. ‘wieder Mut fassen/doch weitermachen’, zu: die Flinte ins Korn werfen, ‘den Mut verlieren/aufgeben’ (nach Sabban 1999, 548). Oder es ergibt sich eine okkasionelle Intensivierung des Ausdrucks durch eine bildangepasste Erweiterung oder Substitution: – (Journalistischer Text:) England will put the icing on the tastiest cake in years by beating Scotland zu: the icing on the cake, ‘die letzte, alles abrundende Kleinigkeit/ das, was eine Sache perfekt macht’ (nach Moon 1998, 175). – (Literarischer Text:) von etwas Kantaten zu singen wissen, ‘über etwas aus eigener äußerst unangenehmer Erfahrung ausgiebig zu berichten wissen’ zu: von etwas ein Lied(chen) zu singen wissen, ’über etwas aus eigener unangenehmer Erfahrung zu berichten wissen’ (Tucholsky; nach Sabban 1998a, 209). Die entstehenden Ausdrücke sind okkasionelle ausdrucksmäßige Ganzheiten. Wie bei usuellen Phrasemen ist die Bildebene ohne Referenz im Text, wird jedoch mit der Modifikation potenziell evoziert. 3.2.3. Bildung text- und kontextangepasster okkasioneller Synonyme In dieser Gruppe bleibt die phraseologische Bedeutung erhalten, doch wird die Bildebene modifiziert, um sie mit Blick auf den Text oder Kontext passender zu machen. Die Anpassung erfolgt unter Rekurs auf grundlegende kognitive Operationen: einer Analogisierung des Bildes oder seiner Spezifizierung, und das im Hinblick auf den Text oder Kontext. Oberflächlich erscheinen die Veränderungen als Substitutionen (Sabban 1998a, 165ff.; zu einer exemplarischen kognitiv-linguistischen Darstellung siehe Mena Martínez 2003, 176ff.): – (Journalistischer Text:) Wer erst nach 1940 die Töne der Welt zu hören bekam, hat zumindest Schwierigkeiten mit dem Mythos Sinatra; zu: das Licht der Welt erblicken,
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‘geboren werden’ (nach Sabban 1998a, 185). Die Bildebene der Grundform das Licht der Welt erblicken wird auf den Sinnesbereich des Hörens übertragen (“analogisiert”) und somit, vermittelt über einen Frame, auf das Textthema, den Sänger Frank Sinatra, abgestimmt. – (Populärwissenschaftlicher Text:) Aber dann sind die Wale schon wieder über alle Wellenberge entschwunden; zu: über alle Berge sein, ‘entschwunden sein’ (nach Preußer 2003, 111). Hier wird die Bildebene von über alle Berge sein im Hinblick auf das Textthema, das Meer als Lebensraum der Wale, spezifiziert. Das Leistungspotential derartiger Anpassungen des Bildes ist vielfältig und muss vor dem Hintergrund der jeweils fokussierten Textdimension beurteilt werden. So kann die Leistung hinsichtlich der inhaltlich-thematischen Dimension als präzisierende Zusatzinformation gesehen werden. Das Grundschema einer inhaltlichen Paraphrase dieses Modifikationstyps lautet: “phraseologische Bedeutung plus hier/in diesem Fall/strenggenommen: präzisierende wörtliche Angabe” (vgl. Sabban 1998a, 168ff.). Wird diese Angabe jedoch mehr im Sinne einer Anspielung auf ein als bekannt unterstelltes Stück Wissen gesehen oder als Inszenieren der eigenen sprachlichen und sachlichen Kompetenz, dann liegt die Leistung der Modifikation eher in der interaktiven Dimension. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass mit der Veränderung die Wörtlichkeit aufgerufen wird. Somit kommt es bezüglich der sprachlichen Dimension des Textes – ganz wie bei unveränderten Phrasemen, bei denen die Wörtlichkeit durch ein bestimmtes (Kon-)Textarrangement aufgerufen wird (siehe 3.1.1) –, zu einer Verdichtung der lexikalischen Kohäsion und in diesem Sinne zu einer Erhöhung der Texthaftigkeit. Schließlich ergeben sich im Einzelfall über das substituierende Lexem Hinweise auf Perspektive und Einstellung des Sprechers zum Sachverhalt. Das ist der Fall in: – Als wäre die nichtrauchende Welt schon eine bessere Welt. Man kann Gift (zum Beispiel Nikotin) drauf nehmen, dass sie es nicht wäre (“ZEIT Magazin” 1988; nach Sabban 1998a, 175); zu: darauf kannst du/ kann er usw. Gift nehmen, ‘darauf kannst du dich/kann er sich usw. verlassen’.
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Nikotin wird mit der – hier syntagmatisch vorgeführten – spezifizierenden Modifikation als Gift kategorisiert. Dies entspricht der tatsächlichen oder der ironisch inszenierten Perspektive des Verfassers. 3.2.4. Wörtlichnehmen eines formal veränderten Ausdrucks Das zweite Hauptverfahren der Modifikation setzt bei der Ausdrucksseite des Phrasems an. Das Prinzip entspricht einem Wörtlichnehmen (vgl. 3.1.2.), jedoch bei gleichzeitiger Veränderung der Wortkette. Typischerweise werden eine oder mehrere Komponenten der Grundform ausgetauscht, wobei die ersetzenden Lexeme eine phonetische, graphische oder morphologische Ähnlichkeit mit den entsprechenden Konstituenten der Grundform aufweisen. Die Veränderung kann allerdings auch so weit gehen, dass nur noch ein gemeinsamer struktureller Rahmen bestehen bleibt, der nicht unbedingt mehr mit einer ganz bestimmten Grundform in Verbindung gebracht werden kann, wie in folgendem wörtlich zu nehmenden Beleg: – (Schlagzeile, Titelseite): Das passt auf keinen Bierdeckel. (Text:) Der Bierdeckel als Schreibunterlage zur Steuererklärung muss warten: Nach langem Hin und Her haben sich CDU und CSU auf Vorschläge für eine Steuerreform geeinigt, die für den Bürger zunächst kaum weniger kompliziert ist als derzeit. Wahrscheinliche Grundform: Das geht auf keine Kuhhaut. (“taz” 9.3.2004, 1) Bei diesem Verfahren ist der resultierende Ausdruck der Ausdrucksseite der Grundform insgesamt mehr oder weniger ähnlich. Sprachen, deren Wortschatz einen vergleichsweise hohen Grad an Homonymie aufweist, begünstigen derartige Modifikationen. Die semantischen und pragmatischen Effekte sind vielfältig. Sie ergeben sich aus dem je spezifischen Verhältnis zwischen gegebenem Wortlaut, evozierter Grundform (dem intertextuellen Bezug) und Textzusammenhang (dem intratextuellen Bezug) bzw. situativem Zusammenhang sowie der Art des Spannungsverhältnisses zwischen diesen Größen. Grundsätzlich gibt es dank des intertextuellen Verweises ein vielfältigeres, zugleich aber auch unbestimmteres Wirkungsspektrum, das entscheidend auch vom Rezipienten abhängt. Je nach Tiefe des intertextuellen Verweises bzw. der Tiefe des Verstehens auf Seiten des
VI. Phraseme im Diskurs/Set phrases in discourse
Rezipienten lassen sich folgende Stufen unterscheiden: (1) Die Modifikation verweist – für den Textproduzenten und/oder aus Sicht des Textrezipienten – lediglich auf die Ausdrucksseite der Grundform; wichtig ist bzw. erscheint nur, dass ein vorgeformter Ausdruck ausdrucksseitig genutzt wurde: – (Zeitungsbericht über Sprachlernen mit Lern-CDs:) Learning by hearing, zu: Learning by doing. (“taz” 31.1./1.2.2004, 29) (2) Die Modifikation verweist auch auf die phraseologische Bedeutung der Grundform; ihre assoziative Präsenz und ein dadurch initiiertes Gedankenspiel sind Folie für bestimmte Effekte: – (Werbung einer französischen Autowerkstatt:) Faites pot neuf ... chez Midas wörtlich: ‘Erneuern Sie Ihren Auspuff bei Midas’ (nach Sabban 1998a, 238f.). Die evozierte Bedeutung der fast homophonen Grundform Faites peau neuve, ‘Geben Sie Ihrem Leben eine neue Richtung’, steht nicht im Verhältnis zur Werbung für eine Auspufferneuerung, sie ist im Kontext inkongruent; die Nutzung dieser Vorlage erscheint somit unangemessen, aber genau dadurch komisch (zu Inkongruenzen als Basis witziger Effekte siehe auch 3.1.4.). (3) Die Modifikation verweist auf die phraseologische Bedeutung, doch anders als bei (2) kann sie mit dem Text oder der Situation sinnvoll verknüpft werden. Eine erste Möglichkeit ist die einer mehrfachen Interpretation und damit Informationsverdichtung: – (Werbanzeige für Fahrradurlaube:) Mit Rad und Tat, zu: mit Rat und Tat (nach Sabban 1998a, 230). Möglich sind folgende Lesarten: der Reiseveranstalter stellt ein Fahrrad (“mit Rad”); er verspricht dem Urlauber, ihm mit Rat und Tat (Grundform) beiseite zu stehen. Eine zweite Möglichkeit ist die einer Umdeutung und Verschränkung mit dem aktuellen, zum Beispiel dem politischen Kontext: – (Demo-Spruch:) Wer die Wahl fälscht, hat die Qual, zu: Wer die Wahl hat, hat die Qual. (Deutschland 1989, nach Samson 1999, 155) Dieser Spruch nimmt auf eine konkrete Wahlfälschung in der ehemaligen DDR Bezug,
18. Textbildende Potenzen von Phrasemen
welche aufgedeckt wurde und für die Verantwortlichen unangenehme Folgen hatte. Seine rhetorische Wirkung bezieht er aus der erkennbaren Umdeutung eines bekannten Sprichworts und dessen geprägter Form. – (Schlagzeile:) Kerry klopft auf den Bush (“taz” 5.2.2004, 1) Diese Schlagzeile hat den Charakter eines offenen Interpretationsangebots: Sie überschreibt einen Artikel zu den Siegen des demokratischen Senators Kerry bei den Vorwahlen für die Präsidentschaftswahlen von 2004 in den USA und auf die mögliche Herausforderung des amtierenden Präsidenten Bush durch Kerry. Dank Evozierung der phraseologischen Bedeutung ist eine implizite Botschaft denkbar, etwa dahingehend, dass Kerry als potentieller Gegner im Wahlkampf bezüglich der Politik “bei Bush auf den Busch klopft”, d.h. sie ‘durch geschicktes Fragen einer Prüfung unterzieht’. 3.2.5. Weitere textliche Dimensionen Auch hier gilt (vgl. 3.1.4.), dass die Leistungen von Modifikationen im Text letztlich nur im Zusammenhang mit der jeweiligen Textsorte aufgezeigt werden können. Exemplarisch können auf Grund des typischen Vorkommens von Modifikationen in Textsorten und Teiltexten einige Zusammenhänge mit textlichen Dimensionen generalisiert werden. Sie lassen sich allerdings nicht in jedem Fall deutlich von lediglich ambiguierenden Verfahren (siehe 3.1) abgrenzen. Das liegt insbesondere auch daran, dass in manchen Untersuchungen nicht immer zwischen modifizierenden Verfahren im weiten und im engeren Sinne unterschieden wird. (1) Modifikationen haben ein Potential, über ihre ungewohnte sprachliche Form Aufmerksamkeit zu wecken. Das ergibt sich aus ihrem häufig beobachteten Vorkommen an exponierten Textstellen, in Überschriften, als Bildlegende oder als Titel von Filmen und Fernsehsendungen (z.B. Sabban 1998a, 263). In Bezug auf Werbungen zeigen dies besonders deutlich die quantitativen Erhebungen von Hemmi (1994, 102ff.) und Balsliemke (2001, 105; 185ff.). Eine differenzierte Untersuchung zur Distribution in den verschiedenen Textteilen der Werbung (Balsliemke 2001, 105) zeigt des Weiteren, dass Modifikationen (im engeren und im weiten Sinne) in der Schlagzeile der Anzeigenwerbung deutlich
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häufiger sind als im eher informativen Fließtext; sie haben in der Schlagzeile die Funktion, über die abweichende Sprachform oder eine ambiguierende Verwendung die Aufmerksamkeit des Betrachters zu wecken, was eine Grundvoraussetzung für das Gelingen der Werbung ist. (2) Modifikationen haben ein Potential, den Sprachgebrauch zu individuieren und die eigene Person im Text präsent werden zu lassen. Das kann aus der charakteristischen Verteilung von nicht-modifizierten im Unterschied zu modifizierten Phrasemen in den verschiedenen Textsorten der Presse geschlossen werden. Nicht-modifizierte, unauffällig verwendete Phraseme dominieren im Berichtsteil der Zeitung, während Modifikationen (im engeren und im weiten Sinne) in Zeitungskommentaren und Leitartikeln vergleichsweise häufig sind (vgl. z.B. Burger/ Buhofer 1981, 381; Cowie 1991, 103); außerdem begegnen sie vergleichsweise häufig im Feuilleton oder in Reportagen. All dies sind Orte, an denen Ereignisse perspektiviert dargestellt und bewertet werden. Modifizierte Phraseme eignen sich dazu, diese Grundfunktion wahrzunehmen oder zumindest zu ihrer Realisierung beizutragen. – Eng verwandt ist das Potential, einen durch Modifikationen geprägten Sprachstil für die eigene Inszenierung, zur Prägung des Image einer Firma oder Tageszeitung zu nutzen oder auch zur Charakterisierung von Akteuren in der Literatur einzusetzen (zu letzterem siehe Krafft 1997, 161ff.). (3) Formal veränderte Phraseme haben Teil an der intertextuellen Dimension des Textes. Sie haben damit ein Potential zur indirekten Kommunikation auf der Ebene des Mitgesagten und des Suggerierten, für das der Textproduzent nicht zur Verantwortung gezogen werden kann. Modifikationen können verwendet werden, um in der Interaktion auf gemeinsames Wissen anzuspielen und durch Aufrufen geeigneter Wissenselemente die eigene Rede konnotativ aufzuladen; darüber vermittelt ergibt sich wiederum ein gemeinschaftsbildendes Potential. Exemplarisch zeigt sich dies an der Verwendung in politischen Parolen und Demo-Sprüchen (Samson 1999). (4) Schließlich können Modifikationen dank der mit ihnen verbundenen impliziten Kategorisierungen und der von ihnen ausgelösten Gedankenspiele ungewohnte inhaltliche Bezüge aufweisen und neue Denkperspektiven eröffnen.
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3.3. Gehäufte Verwendungen Häufungen von Phrasemen oder von bestimmten Verwendungsweisen stellen einen eigenen Modus auffälliger Verwendung von Phrasemen im Text dar. Sie können konstitutiv für bestimmte Textsorten und ihre Funktionen sein oder einen entscheidenden Anteil daran haben. Ursprünglich wurden gehäufte Verwendungen als höchste Stufe textbildender Potenzen angesehen (vgl. Dobrovol’skij 1980, 691, unter Bezugnahme auf Zaičenko). Allerdings wurde das Prinzip oft nur benannt und mit einem Beispiel illustriert (z.B. Fleischer 1997, 217f.), eine Verbindung zu bestimmten Textdimensionen allerdings nicht explizit aufgewiesen. Im Sinne des Konzepts der “textbildenden Potenzen” lassen sich zunächst einzelne Verfahren genauer bestimmen, indem präzisiert wird, was für ein Phrasemtyp oder was für eine Verwendungsweise der Wiederholung unterliegt oder welches Merkmal von Phrasemen für die gehäufte Verwendung relevant ist. Den so bestimmten Verfahren kann aufgrund vorliegender Untersuchungen tendenzweise ein Profil von Funktionen zugeordnet werden. (1) Häufung bestimmter Verwendungsweisen. Ein wiederholtes Wörtlichnehmen beispielsweise ist ein Kennzeichen eines im doppelten Sinne lockeren Textes: die Sätze sind oftmals nur über kohäsive Bezüge verknüpft, und die Texte sind typisch für sich unterhaltsam gebende Moderationen in Radio und Fernsehen (siehe auch 3.1.4.). (2) Häufung eines Phrasemtyps. (a) Die gehäufte Verwendung eines Phrasemtyps kann eine Distanz zu genau diesem Ausdrucksmittel ausdrücken. Das Verfahren hat ein Potential für distanziert-spöttische, satirisch-ironisierende Redeweisen und begegnet zum Beispiel in den Textsorten Glosse und Sketch (Sandig 1989, 389ff.; Saavedrová 1992, 30; Sabban 2004, 257f.). (b) Eine Häufung von idiomatischen Phrasemen kann in Kontexten, in denen gerade nicht-menschliche Verhaltensweisen thematisiert werden, eine anthropomorphisierende Wirkung haben. Das zeigt Preußer (2003, 115ff.; 122ff.) am Beispiel der dichten Verwendung von Idiomen in popularisierenden Texten der Verhaltensforschung. Die Anthropomorphisierung steht ihrerseits in Bezug zu den übergeordneten Zielen dieser Textsorte: einer sowohl verständlichen als auch unterhaltsamen und somit für nicht-fachliche Adressaten attraktiven Darstellung.
VI. Phraseme im Diskurs/Set phrases in discourse
(3) Häufung von Phrasemen (und auch Einzelwörtern) aus demselben oder einem verwandten Bildfeld. Mit dieser Art von Häufung wird die Aufmerksamkeit auf eben dieses Bildfeld gelenkt. Das Verfahren ist somit, wie die meisten Modifikationen, geeignet, die wörtliche Ebene zu evozieren. Die gehäuften Ausdrücke verweisen in ihrer Wörtlichkeit gleichsam aufeinander; bezüglich der sprachlichen Dimension des Textes wird die lexikalische Kohäsion erhöht. Das Verfahren hat ein Potential für verschiedene Funktionen: (a) eine rhetorisch wirksame Verdichtung der Ausdrucksmittel: – In dem RAF-Brief heißt es unter anderem: “Es ist notwendig zu sehen, dass wir uns in einer Sackgasse befinden, um Wege aus ihr herauszufinden.” (“Tiroler Tageszeitung”, 21.4. 1998; Korpus COSMAS I) – Final judgement must wait until the Government has explained why the £ 38 payment was simultaneously under the counter but above board. (nach Moon 1998, 173) (b) die Erzeugung einer unterhaltsamen oder witzigen Wirkung: – Ich ärgere mich schwarz über diesen grünen Jungen, der einfach blau macht. (“Leipziger Volkszeitung” 1984, nach Wotjak 1992, 113) Diese Wirkung tritt insbesondere dann ein, wenn eine mit der Wiederholung suggerierte inhaltliche Verbindung der wörtlichen Ebenen nicht wirklich gegeben, sondern offenkundig eher zufällig ist. (c) die Rahmung des Textes; diese Funktion ist im Hinblick auf die thematisch-inhaltliche Dimension von Interesse. So zeigt Burger (1999, 80f.) am Beispiel von Pressetexten, dass metaphorische Phraseme und Einzelwörter aus demselben oder verwandten Bildfeld bevorzugt im Titel oder in der Schlagzeile, am Anfang des Textes und am Ende erscheinen. Der dazwischen liegende Text enthält weniger bzw. andere Phraseologie oder auch wörtliche Sprache. Die Funktion der Rahmung besteht darin, ein anschauliches Bild für abstrakte Vorgänge bereit zu stellen. Außerdem sind, in Abhängigkeit von der spezifischen Metapher, auch Wertungen möglich. Die Interpretation der Textaussagen erfolgt auf dem Hintergrund der verwendeten Metaphorik. – Dieses Verfahren entspricht vom Prinzip her dem einer leitenden Metapher (engl. “extended, or sustained metaphor”,
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18. Textbildende Potenzen von Phrasemen
Moon 1998, 286ff.). In ausgebauter Form begegnet man ihm in längeren literarischen Texten, in denen eine Metapher den ganzen Text unterschwellig durchziehen kann, wie dies von literaturwissenschaftlicher Seite beschrieben worden ist (Werth 1994, 83ff.; “an entire metaphorical ‘undercurrent’ running through a whole text”.)
4.
Ausblick
Das Verdienst des Konzepts der “textbildenden Potenzen” liegt in der Forderung, Beziehungen zwischen der Beschaffenheit von Phrasemen und ihren Leistungen im Text explizit zu machen und die Beschreibung von Funktionen durch Aufzeigen ihrer sprachlichen Voraussetzungen zu fundieren. Eine Weiterführung des Konzepts könnte bei einer Differenzierung der Funktionen ansetzen und diese auch textlinguistisch weiter verankern. Die vorherrschende Blickrichtung im Konzept der “textbildenden Potenzen” ist die von den sprachlichen Gegebenheiten, dem phraseologischen Zeichen, zur Funktion. Lohnend für weitere Untersuchungen wäre eine Umkehrung der Perspektive, bei der ausgehend von bestimmten Funktionen gefragt würde, welche Sprachmittel gemeinsam mit Phrasemen bzw. einer bestimmten Verwendung von Phrasemen an der Realisierung einer Funktion beteiligt sind. Ein Beispiel ist die Vielfalt distanzierender Sprachmittel in ironischen Glossen. Eine weitere Möglichkeit zum Ausbau des Konzepts bestünde darin, die Beschränkung auf die Sicht des Textes als Produkt zu überwinden. In diesem Fall würde der Blick gerichtet auf die Potenz im Sinne einer den Phrasemen gleichsam innewohnenden und treibenden Kraft zur Ausdrucksfindung, d.h. zur Textbildung im Sinne der Texterstellung. Darunter ist zu verstehen, dass ein Phrasem den Anstoß zum Formulieren oder auch, in einem erweiterten Sinne, für eine bildliche Gestaltung geben kann, dass sich in einer Reflexion mit und zugleich über das sprachliche Ausdrucksmittel ein Gedanke entfaltet und in Text oder Bild manifestiert. Ein solches Verständnis akzentuiert das kognitive, Gedanken schaffende Potential der sprachlichen Mittel. Hinweise auf die Relevanz dieser Funktion für das Erstellen von Texten ergeben sich daraus, dass bei einigen Autoren die Technik zu beobachten ist, “aus einem Phraseologismus ganze Textabschnitte oder gar ganze abgeschlossene Texte zu ‘entwickeln’” (so schon
Burger/Buhofer/Sialm 1982, 90). Ein Beispiel sind die Fabeln von James Thurber (1939; “Fables for Our Time and Famous Poems”), in denen ein im Hinblick auf die Gegenwart parodierend modifiziertes oder auch ein frei erfundenes Sprichwort mit einer Geschichte illustriert wird. Die Relevanz des kognitiven Potentials von Phrasemen wurde zuweilen durchaus gesehen, jedoch in das Reich der literarischen bzw. “künstlerischen Texte” verwiesen, das völlig zu trennen sei vom alltagssprachlichen Gebrauch (z.B. Fleischer 1997, 226ff.). Mit der Untersuchung dieses Aspekts könnte eine Brücke zur Textproduktionsforschung geschlagen werden. Entsprechende Untersuchungen erfordern ein geeignetes methodisches Instrumentarium, denn aus der Art der Vertextung, wie sie mit dem fertigen Produkt vorliegt, kann nicht unmittelbar auf den Entstehungsprozess geschlossen werden, wie dies mitunter geschieht. Ein Vorstoß in diese Richtung wird mit den Arbeiten von Gülich (1997 [1989]) und Gülich/Krafft (1997; 1998) unternommen (vgl. Art. 41). Thematisiert wird darin der Rekurs auf Formeln als textproduktives Verfahren. Der Schwerpunkt liegt auf anderen Typen von Formeln als den klassischen Idiomen: auf Höflichkeitsformeln, textstrukturierenden und metadiskursiven Formeln. Ferner wird ein insgesamt erweiterter Formelbegriff zu Grunde gelegt, welcher auch formelhafte Texte, z.B. Familienanzeigen und Abstracts, einschließt. Zugleich wird ein methodisches Instrumentarium zur Untersuchung von Formulierungsprozessen entwickelt, das der konversationellen Schreibforschung.
5.
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Annette Sabban, Hildesheim (Deutschland)
19. Phraseme in der Jugendsprache 1. 2. 3. 4. 5.
1.
Vorbemerkungen: Jugendsprache und ihre Erforschung Jugendsprachforschung und Phraseologie Form und kommunikative Leistung von Phrasemen in der Jugendsprache Ausblick Literatur (in Auswahl)
Vorbemerkungen: Jugendsprache und ihre Erforschung
1.1. Jugendsprache Zur Sprachkompetenz gehört das Wissen um sprachliche Variation. Wer eine Sprache beherrscht, hat auch die Fähigkeit, von beliebigen Äußerungen und Sprechern eine Art sprachsoziologisches Profil zu zeichnen. Ein Attribut, das bei solchen Charakterisierungen in mehr oder weniger expliziter Form häufig verwendet wird, ist “jugendsprachlich”. Sprecher des Deutschen haben eine gut ausgeprägte Intuition dafür, dass Jugendliche anders sprechen als beispielsweise Kinder oder Erwachsene und auch für die Natur der
sprachlichen Strukturen, die typischerweise von Jugendlichen verwendet werden; eine Zuordnung zu dieser Stilschicht ist auch dann möglich, wenn der Produzent der betreffenden Äußerungen nicht präsent ist (zum Beispiel beim Lesen einer Werbeanzeige, in der Jugendsprache verwendet wird) oder wenn er offensichtlich schon das Rentenalter erreicht hat. Das ist kein neues Phänomen: Von Polenz (1999, 466ff.) erwähnt als Beispiele für “Lebensalter-Gruppensprachen” die historische Studentensprache, die Sprache der Burschenschaften oder die Sprache der Jugendbewegung als frühere Ausprägungen von Jugendsprachen. Es handelte sich dabei schon um Soziolekte, die v.a. im Dienste der Konstitution von Gruppenidentität verwendet und die von Beobachtern als Abweichung vom Standard registriert wurden. Im Zusammenhang mit der verstärkten Ausprägung von klar definierbaren Jugendgruppen und -kulturen (Halbstarke, Beatniks, Hippies, Punks etc.) nach dem Zweiten Weltkrieg wurde auch der
254
von der Norm abweichende Sprachgebrauch solcher Gruppen in immer stärkerem Ausmaß bemerkt, öffentlich thematisiert (“Halbstarkenchinesisch”) – und getadelt (Hahn 1995, Neuland 2003). Sprachkritiker und Kulturpessimisten nahmen ganz offensichtlich das Auflehnungspotenzial von Jugendbewegungen wahr und sahen unter anderem in deren Sprachgebrauch Anzeichen für einen Verfall der (Sprach-)Kultur. Diese pessimistische Einschätzung ist in den folgenden Jahrzehnten einer entspannteren und toleranten Sichtweise gewichen und hat sich schließlich sogar zu einem neugierig-faszinierten Beobachten “exotischen” Sprachverhaltens entwickelt. Vielfach wird auf die Kreativität hingewiesen, die sich in solchen Besonderheiten manifestiert, die Sprache der Jugend gilt jetzt auch als ein wichtiges Reservoir für die Entwicklung der Standardsprache. Die Bedeutung, die dem Phänomen “Jugendsprache” in Diskussionen über Tendenzen der Gegenwartssprache zukommt, manifestiert sich nicht zuletzt auch in Ansätzen, den Sprachgebrauch Jugendlicher in Szenewörterbüchern, Wörterbüchern der Jugendsprache, der Szenesprüche oder ähnlich angelegten Werken zu vermarkten. Linguisten haben immer wieder darauf hingewiesen, dass darin allenfalls eine Karikatur des Gegenstandes gezeichnet wird. In der Realität ist der Sprachgebrauch Jugendlicher wesentlich komplexer und kaum auf eine Sammlung von charakteristischen Lexemen oder Phrasemen zu reduzieren. Dennoch bleiben solche Strukturen natürlich ein wichtiger Gegenstand auch seriöser linguistischer Projekte. Es wird im Weiteren zu diskutieren sein, in welcher Hinsicht phraseologische Überlegungen zu einer angemessenen Einschätzung der Besonderheiten von Jugendsprache beitragen können. Festzuhalten bleibt vorerst, dass neuere Wörterbücher die Intuition in Bezug auf Besonderheiten jugendlichen Sprechens aufnehmen; auch in allgemeinsprachlich angelegten Wörterbüchern werden zahlreiche Wörter und Wendungen aufgenommen, die der Jugendsprache entstammen; teilweise wird darauf in Form von stilistischen Markierungen hingewiesen. 1.2. Linguistik der Jugendsprache Die Veränderung in der Einschätzung von Jugendsprachen ist sicherlich auch ein Ergebnis der Arbeit von Linguisten. Eine intensivere,
VI. Phraseme im Diskurs/Set phrases in discourse
linguistisch fundierte Auseinandersetzung mit Jugendsprache ist seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts zu verzeichnen. Seitdem hat die Jugendsprachforschung eine rasante Entwicklung durchgemacht; zahlreiche Arbeiten zu den verschiedensten Aspekten jugendlichen Sprechens und auf der Grundlage verschiedenster methodischer Ansätze sind entstanden. Hier kann nur in groben Zügen auf einige zentrale Ansätze hingewiesen werden, die im Rahmen der Fragestellung von Bedeutung sein werden. Einen wegweisenden Ansatz hat Henne (1986) vorgelegt, der den Sprachgebrauch von Schülern der Klassenstufen 8–11 in allen Schulformen untersucht. Auf dieser Grundlage charakterisiert er einen die jugendlichen Gruppenstile übergreifenden Sprachstil, der das Lebensgefühl der untersuchten Gruppen zum Ausdruck bringt und mit dem die Sprecher sich gegen die von Erwachsenen geprägte Standardsprache abgrenzen (vgl. Henne 1986, 208ff.). Sowohl die Methode als auch die Ergebnisse von Hennes Studie wurden in der Folgezeit kritisiert. Auf der Grundlage der kritischen Ansätze wurde eine Neuorientierung der Jugendsprachforschung vorgenommen. Schlobinski/Kohl/Ludewigt (1993, 22ff.) weisen darauf hin, dass Hennes Fragebogenerhebung und deren Auswertung die gesprochene Sprache kaum berücksichtigen könne, dass die jugendsprachlichen Äußerungen ohne Kontextbezug letztlich nicht interpretierbar seien und dass relevante Phänomene (z.B. die Verwendung der Partikel ey) von einer solchen Methode überhaupt nicht angemessen erfasst werden können. Die Autoren sehen im Ansatz von Henne einen Versuch, die Sprache einer speziellen – und auch noch sehr limitierten – sozialen Gruppe als strukturelles Register aufzufassen; dieser Versuch beschreibe eine Fiktion, letztlich führen derartige Untersuchungen nur zur wissenschaftlich verklärten Bestätigung von Stereotypen über Jugendliche und ihren Sprachgebrauch. Im Anschluss an die Arbeiten von Schlobinski/ Kohl/Ludewigt (1993) und Neuland (1987) wurde die Jugendsprachforschung als Erforschung von Sprech- und Kommunikationsstilen auf der Grundlage ethnographischer Ansätze entwickelt. Damit wurde eine Abwendung von lexikographisch oder phraseographisch ausgerichteten Beschreibungen von Jugendsprachen vorgenommen. Die Besonderheiten der Jugendsprache werden we-
19. Phraseme in der Jugendsprache
niger darin gesehen, dass typische Wörter oder Wendungen vorkommen, vielmehr richtet sich die Aufmerksamkeit auf “Sprechweisen, die für spezifische Gruppen und Individuen in sozialen Zusammenhängen in Abhängigkeit von situativen Kontexten spezifische Funktionen haben” (Schlobinski/Kohl/Ludewigt 1993, 40). Das Untersuchungsphänomen wurde aus verschiedenen Blickwinkeln hinterfragt, in mehrdimensionalen Beschreibungs- und Analysemodellen wissenschaftlich aufgearbeitet und damit in seiner ganzen Komplexität erfasst. Dabei wurde zunächst darauf hingewiesen, dass Jugendsprache auch eine Phase im normalen Spracherwerb darstellt. Neuland (2000, 112) führt aus, dass der gruppenspezifische Sprachgebrauch in einer bestimmten Sozialisationsphase für die Herausbildung sozialer Identität von großer Bedeutung ist und dass diese Tatsache eine mögliche Erklärungsgrundlage für funktionale Besonderheiten der jugendlichen Sprechweisen darstellt. Aus dieser sozialisationsgeschichtlichen Einordnung des Sprechens folgt auch, dass es sich hier zwangsläufig um ein temporäres Phänomen handelt, das bei jedem Sprecher im Laufe seiner weiteren Entwicklung verblasst oder gar abklingt. Die besonderen Ausprägungen jugendlichen Sprechens sind darüber hinaus durch die Zugehörigkeit des Sprechers zu einzelnen Teilgruppen, Szenen oder Subkulturen beeinflusst. Empirische Studien, bei denen teilweise das methodische Postulat der teilnehmenden Beobachtung angewendet wurde, ergaben einen Einblick in die Heterogenität von Jugendsprachen und führten zur Aufgabe der “Fiktion von der Homogenität der Jugendsprache” (Neuland 2003, 12). Vor allem vor dem Hintergrund der immer weiter voranschreitenden Zersplitterung der Jugend in einzelne Gruppen kann kaum noch von übergreifenden sprachlichen Strukturen ausgegangen werden: der Sprachgebrauch von jungen Veganern hat wenig mit dem von Snowboardern, Angehörigen einer Motorradgang oder Gymnasiasten gemeinsam, die sich in ihrer Freizeit bei den Jusos oder bei Greenpeace engagieren. Zusätzliche Faktoren, die bei der Ausprägung eines spezifischen Sprachstils eine Rolle spielen sind zum einen lokale bzw. regionale Besonderheiten und zum anderen Besonderheiten der verwendeten Medien: Jugendsprache als Gegenstand von Medien, Medien als Quelle jugendsprachlicher
255
Sprechweisen oder Jugendsprache als Erfindung der Kulturindustrie. In der Jugendsprachforschung hat sich ein weitgehender Konsens darüber herauskristallisiert, dass die Gemeinsamkeiten der verschiedenen Ausprägungen jugendlichen Sprechens vor allem in den kommunikativen Funktionen zu sehen ist. Volmert (2004, 153) führt in einer Zusammenfassung dieser allgemeinen Arbeitsgrundlage Sprechweisen als Mittel der Identitätsfindung an, verweist auf ihre Funktion im Rahmen der Konstitution von Gruppen und deren Strukturen sowie auf die Abgrenzung von anderen Gruppen einerseits und von Erwachsenen andererseits. Als sprachliche Strategien identifiziert Volmert in diesem Zusammenhang u.a. den Bruch von Normen, das Ignorieren von sprachlichen Tabus, Persiflage und Parodie. Für die Zwecke konkreter Untersuchungen müssen die kommunikativen und sozialen Funktionen des Sprechens natürlich genauer angegeben werden. Insgesamt stellt sich Jugendsprache als hochkomplexe Varietät dar, die nur unter Rückgriff auf (u.a.) soziale, biographische, geographische und funktionale Variablen angemessen beschrieben werden kann: “Die Sprache der Jugend gibt es nicht!” (Neuland 2000, 114) Die Jugendsprachforschung konzentriert sich in der Konsequenz aus diesen Einsichten immer mehr auf detaillierte Untersuchungen einzelner Jugendgruppen, Textsorten, Kommunikationsdomänen oder einzelner sprachlicher Phänomene. Neben Analysen einzelner Ausprägungen wird in kontrastiven Betrachtungen den Wechselbeziehungen zwischen Jugendsprache und Standardsprache und damit zwischen Jugendkultur und “etablierter” Kultur immer mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Hier wird vor allem auf das von Neuland (1987) in die Diskussion eingeführte Begriffspaar “Spiegelung und Gegenspiegelung” zurückgegriffen. Die Autorin verweist mit diesen Begriffen darauf, dass Jugendliche sich in vielfältiger Weise auf die sie umgebende Lebenswelt beziehen, zum einen im Sinne einer Spiegelung der sozialen Gegebenheiten, zum anderen aber auch in kritischer, ironischer oder polemischer Distanzierung als Gegenspiegelung. Dieser Zusammenhang reflektiert sich im Sprachgebrauch Jugendlicher als Deund Rekontextualisierung standardsprachlicher Stilelemente im “Prinzip der Bricolage” oder der Stilbastelei (vgl. Schlobinski/Kohl/ Ludewigt 1993, 42); hierin wird von vielen
256
VI. Phraseme im Diskurs/Set phrases in discourse
Autoren eine der wenigen Gemeinsamkeiten aller Ausprägungen von Jugendsprache gesehen. Jugendsprache entwickelt sich also u.a. auf der Grundlage der Umgangssprache als “sekundäre Varietät” (Androutsopoulos 1998, 586ff.), als zusätzlich zu (und zeitlich nach) der primären sprachlichen Sozialisation erworbene Ausdrucksoption. “Im Gegensatz zur Primärvarietät hängt die Aneignung einer sekundären Varietät von dem Lebensstil, den Interessen und den Status-Aspirationen des Individuums ab. Die Sekundärvarietät besagt den Kommunikationspartnern nicht, wo du herkommst, sondern wer du sein willst, welche deine gewählte Orientierung oder Gruppenzugehörigkeit ist” (Androutsopoulos, 1998, 586).
Daraus folgt auch, dass Jugendliche keineswegs immer Jugendsprache sprechen, sondern dass sie in verschiedenen Registern bewandert sind und je nach Situation und Kommunikationspartner zwischen diesen wechseln können. Jugendsprache lässt sich aus dieser Perspektive nicht als eigenständiges System (wie eine Primärvarietät) darstellen, sondern nur als Bündel von mehr oder weniger exklusiven Merkmalen, die in Texten, die als jugendsprachlich empfunden werden, konzentrierter auftreten als in anderen. Zu diesen Merkmalen gehören auch Besonderheiten im Bereich des Gebrauchs von Phrasemen.
2.
Jugendsprachforschung und Phraseologie
2.1. Phraseme und die Formelhaftigkeit von Jugendsprache “Jugend” ist nur dann ein nützlicher und relevanter Begriff, wenn er im Zusammenhang mit kommunikativen Bemühungen gesehen wird. Darauf macht Thimm (2002, 882) aufmerksam: “Der biologische Unterschied hat nur dann gesellschaftliche und interaktive Relevanz, wenn er tatsächlich inszeniert bzw. thematisiert wird.” Die Inszenierung und Thematisierung basiert nicht zuletzt auf der Verwendung von Sprache; neben lexikalischen Besonderheiten des Sprachgebrauchs spielt hier insbesondere der Gebrauch von Phrasemen (verstanden in weitestem Sinn, als mehr oder weniger feste Verbindungen von Lexemen) eine wichtige Rolle. Aus diesem Grund basiert – aus der Rezipientenperspektive – auch die Zuordnung von Äußerungen zur Stilschicht “Jugendsprache” zu einem großen Teil auf lexikalischen und phraseologischen Indikatoren (vgl. Thimm 2002, 884). Das gilt
auch für die Bewertung von Jugendsprache durch Erwachsene oder durch Sprachkritiker, die ihre negativen Urteile über den Sprachgebrauch Jugendlicher häufig damit begründen, dass diese in übertriebenem Maß vorgeformte sprachliche Versatzstücke verwenden, sich in Floskeln oder Klischees flüchten und sich insgesamt formelhaft oder stereotyp ausdrücken. Auch hier ist der Bezug zum Gebrauch von Phrasemen deutlich, die ja in der Tat vorgeformte, konventionalisierte Lösungen für rekurrente kommunikative Probleme darstellen. Aus der Perspektive der Jugendsprachforschung zählt schon Henne (1986, 208f.) zu den charakteristischen Merkmalen von Jugendsprache die Bevorzugung von Formen bzw. Strukturen, bei denen der Bezug zur Phraseologie evident ist: Grüße, Anreden und Partnerbezeichnungen werden normalerweise durch Routineformeln realisiert, griffige Namen und Sprüche lassen sich als onymische Phraseme, Klischees oder komparative Phraseologismen analysieren. Das Gleiche gilt für flotte Redensarten und stereotype Floskeln – die von Henne genannten Formen werden prototypisch durch fest gefügte, aus mehreren Lexemen bestehende, mehr oder weniger idiomatische Wendungen realisiert; das wird auch in Hennes Beispielen deutlich (ganz cool bleiben, Mach’n Abgang). Volmert (2004, 145) weist darauf hin, dass in Jugendsprachen zahlreiche “Entlehnungen” aus der überdachenden Standardsprache verwendet und semantisch verändert werden; er betont aber auch, dass diese Formen sehr häufig in Kollokationen oder Phraseologismen eingebunden sind und fast ausschließlich mit bestimmten Kollokationspartnern auftreten. Als typisch jugendsprachliche Wendungen führt er z.B. an: einen/keinen Plan haben, ich peil das nicht, er schnallt das nicht, jmd. tickt nicht richtig, jmdm. auf den Keks/Zwirn/Sack gehen. Phraseme sind aber nicht nur für Hörer oder Beobachter wichtige Anhaltspunkte bei der Erstellung des soziolinguistischen Profils, auch aus der Sicht von Jugendlichen selbst sind Wortspiele, lockere und coole Sprüche konstitutiv für jugendtypischen Sprachgebrauch (vgl. Schlobinski/Kohl/Ludewigt 1993, 174). Dabei lässt sich beobachten, dass der Wandel von Jugendkulturen sich auch in einer Veränderung im Bereich der Phraseme widerspiegelt. Eine diachronische Analyse von jugendsprachlichen Phrasemen könnte als Leitfaden einer Geschichte der Jugendsprachen
257
19. Phraseme in der Jugendsprache
dienen. Die Beiträge von Hahn (1995) und Neuland (2003) liefern für diesen Befund zahlreiche Belege – auch wenn es den Autorinnen nur am Rande um phraseologische Fragestellungen geht. Wendungen wie Ich seh’ Sterne, Ich bin geplättet oder Ich werd zur Minna können als Ausdrücke des Erstaunens dem “Halbstarkenchinesisch” der 50er Jahre zugeordnet werden. Für das folgende Jahrzehnt werden beispielsweise auf Anschaffe gehen, die Anschmeiße bringen, eine kesse Sohle drehen oder das Parkett kratzen als charakteristische, neue Phraseme betrachtet. Legendär sind inzwischen die Sprüche und Parolen der Studentenbewegung: unter den Talaren – der Muff von 1000 Jahren, autoritäre Scheißer, Solidarisieren – mitmarschieren sowie durch soziologische Fachausdrücke angereicherte Wendungen lassen sich relativ eindeutig dem Ende der 60er Jahre zuordnen. In den 70er und 80er Jahren werden Jugendkulturen und -sprachen unübersichtlicher, trotzdem gibt es noch Wendungen und Sprüche, die auf einzelne Szenen und damit auch Epochen verweisen. (Keinen) Bock haben auf etwas, no future, jmdn. in die Eier treten, eins auf die Schnauze kriegen werden von Beobachtern als typisch für die Sprache der Punks angesehen, die Sponti-Sprache zeichnet sich durch die Kreativität aus, die sich auch in verbreiteten Sprüchen manifestiert: Freiheit für Grönland, weg mit dem Packeis, Ich geh’ kaputt, gehst du mit?, Du hast keine Chance, aber nutze sie! Schließlich bereicherte die Sprache der Psychoszenen in den 80er Jahren die deutsche Sprache um Kollokationen wie Gefühle zulassen, etwas an sich heranlassen, Ängste abbauen, jmd. ist [Adv.] drauf oder zu seinen Gefühlen stehen. Die Liste der Beispiele ließe sich fortsetzen; eine eingehendere diachronische Untersuchung könnte Aufschluss über Unterschiede zwischen verschiedenen Epochen geben, beispielsweise darüber, aus welchen Bereichen innovative Elemente in der Jugendsprache in bestimmten historischen Momenten kommen: Gaunersprache, Fäkalsprache, Populärpsychologie, Sexualität, Amerikanismen oder Lexik der modernen (Computer-)Technik bzw. welche Bildspenderbereiche für Metaphern bevorzugt werden. Eine Inventarisierung von Jugendsprachen kann also kaum ohne Angaben über charakteristische, besonders gebräuchliche Phraseme auskommen, da diese als Indikatoren für die “Jugendlichkeit” von Äußerungen aufgefasst
werden können bzw. zu den distinktiven Merkmalen jugendlicher Redeweisen gehören. Gleichzeitig bestätigt der hier nur angedeutete Überblick aber auch die in der neueren Jugendsprachforschung verbreitete Ansicht, dass eine solche Inventarisierung dem Phänomen nicht gerecht werden kann. Eine relevante Besonderheit von Jugendsprachen liegt nämlich gerade darin, dass sie sich ständig und schnell weiter entwickeln, also nicht als Zustand analysiert werden können, sondern eher als Prozess. Eine angemessene linguistische Thematisierung muss davon ausgehen, “dass ihre [Redeweisen und Register jugendlichen Sprechens, C.E.] produktiven Verfahren, ihre Funktionen und permanenten Veränderungen nur bestimmt werden können im Zusammenhang mit den sprachlichen Entwicklungen im ökonomischen, sozialen und vor allem kulturellen Bereich” (Volmert 2004, 145). Es stellt sich die Frage, inwieweit phraseologische Überlegungen auch zu der von der neueren Jugendsprachforschung geforderten Beschreibung der Dynamik von jugendspezifischen Kommunikationssituationen und den Faktoren, die diese beeinflussen, einen Beitrag leisten können. 2.2. Die phraseologische Kompetenz Jugendlicher Phraseologische Ansätze zur Erforschung der Jugendsprache werden vor allem dann interessant, wenn sie – im Sinne der Anmerkungen von Volmert – dazu beitragen können, den Zusammenhang zwischen Sprechen, insbesondere dem Phrasemgebrauch, und der soziokulturellen Prägung der Sprecher bzw. der Sprechkontexte genauer zu beleuchten. Eine solche Fragestellung setzt auch in der Phraseologie eine Weiterentwicklung der in den Anfangszeiten der Disziplin entstandenen Begriffe und Methoden voraus, die vor allem mit dem Problem der Gegenstandsbestimmung und -abgrenzung befasst waren. Vor allem pragmatisch argumentierende Neuansätze (Beckmann/König 2002, 426) haben die begriffliche Grundlage für eine Thematisierung von Phrasemen geliefert, die diese nicht mehr in erster Linie als Mehrwortlexeme und in Analogie zum Wort, sondern als Ausdruck verstanden, als “den primären sprachlichen Kristallisationspunkt kommunikativ und kognitiv anschlußfähiger Orientierungen in der Kommunikation” (Feilke 1996, 66) auffasst und damit der Behandlung von subkulturspezifischen Phrasemen und ihrer kommunikati-
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ven Leistung neue Horizonte eröffnet. Die angemessene Verwendung von Ausdrücken ist so als eine Komponente der kommunikativen Kompetenz von Sprechern zu verstehen; eine Beschreibung von Phrasemen als Ausdrücke wiederum muss diese im Rahmen einer phraseologischen Kompetenz charakterisieren und damit über eine Inventarisierung bzw. semantische Analyse hinausgehen. Im Falle Jugendlicher kann man davon ausgehen, dass die phraseologische Kompetenz ab einem Alter von ca. 14 Jahren voll entwikkelt ist (Römer/Matzke 2003, 168). Eine kontrastive Studie von Geier/Sternkopf (2000) zeigt, dass Schüler und Studenten zwar eine vergleichsweise wenig entwickelte Kompetenz auf dem Gebiet klassisch bildungssprachlicher Phraseme und solcher mit mythologischen Elemente aufweisen, dass ihnen aber alltagssprachliche Wendungen vertraut sind. Die hier als jugendsprachlich eingestufte Formulierung Ich glaub’, mich knutscht ein Elch erwies sich als bei Schülern bekanntestes und gebräuchlichstes Phrasem aus einer Liste mit unterschiedlichen Beispielen; in der studentischen Probantengruppe rangiert die Formel immer noch unter den bekanntesten Wendungen. Unter Bekanntheit wird erst einmal verstanden, dass die Ausdrücke “richtig” verwendet werden können. Phraseologische Kompetenz besteht demnach zunächst einmal darin, die Bedeutung von Phrasemen zu kennen und diese dann kontextangemessen verwenden zu können. Vor allem zeigt sich aber, dass ein Phrasem zum Ausgangspunkt für die Anwendung einer produktiven phraseologischen Kompetenz wird: auf seiner Grundlage werden neue Ausdrücke gebildet. Es deutet sich damit an, dass die kompetente Verwendung von Phrasemen mehr voraussetzt als die Kenntnis der syntaktisch und semantischen Eigenschaften von Ausdrücken. Auf die Pragmatik formelhafter Wendungen geht Stein ein, der feststellt, dass ihre korrekte Verwendung auch Wissen über die in der jeweiligen Sprachgemeinschaft gültigen Konventionen und Wissen über den Kommunikationskontext voraussetzt: “Denn der Sprecher signalisiert, daß er nicht nur in der Lage ist, einen bestimmten Inhalt auszudrücken, sondern auch diejenige Form kennt, für die es in der Sprachgemeinschaft eine Übereinkunft gibt” (Stein 1995, 16). Phraseologische Kompetenz hat demnach auch eine sehr wichtige pragmatische Komponente. Solche Überlegungen sieht Stein (1995, 17) noch in Kon-
VI. Phraseme im Diskurs/Set phrases in discourse
kurrenz zum (damals vertretenen) phraseologischen Ansatz, da formelhafte Sprache über die Grenzen der Phraseologie hinausweist. Insbesondere die Bestimmung des Wechselverhältnisses von Formelhaftigkeit auf der einen und Kreativität auf der anderen Seite und ihrer Bedeutung für die phraseologische Kompetenz wurde zu einem Ausgangspunkt der u.a. durch Stein initiierten Neubestimmung der Phraseologie, die zur Pragmatisierung der Disziplin (Feilke 2004, 45) geführt haben. In der Folge dieser “pragmatischen Wende” wird der performativen und thematischen Fixierung von Ausdrücken ein höheres Gewicht beigemessen als der syntaktischen und semantischen Fixierung (vgl. Feilke 2004, 47) und damit die Möglichkeit eröffnet, auf der Basis phraseologischer Überlegungen einen Beitrag zur Beschreibung der Dialektik von soziokulturellem Milieu und Sprachgebrauch zum Beispiel in Jugendsprachen zu leisten. 2.3. Phraseme und die Kreativität von Jugendsprache Jugendsprache wird von Nicht-Jugendlichen nicht nur negativ bewertet. Viele Beobachter verweisen auch auf die Kreativität im Sprachgebrauch Jugendlicher und auf das Innovationspotenzial dieses Registers für die Umgangs- oder auch Standardsprache. Auch in diesem Kontext wird der Gebrauch von Phrasemen relevant. Ausdrücke oder Kollokationen wie keinen Bock haben auf etw., weiß der Geier oder gut drauf sein sind nur einige Beispiele für in die Umgangssprache übernommene jugendsprachliche Wortgruppen. Im Allgemeinen konstatiert Fleischer (1997, 162) einen engen Zusammenhang zwischen Phraseologie und Erneuerung des Wortschatzes: “Als Einheiten der lexikalischen Benennung und Quelle der Bereicherung des Wortschatzes haben Wortbildungskonstruktionen und Phraseolexeme eine wesentliche funktionale Gemeinsamkeit.” Im Besonderen erweisen sich in erster Linie untere Stilschichten als Quelle für die Bereicherung des phraseologischen Bestandes einer Sprache. Schon ein flüchtiger Blick in ein phraseologisches Wörterbuch zeigt erst einmal, dass der Anteil von Wendungen mit der stilistischen Markierung “umgangssprachlich” sehr hoch ist. Roos (2001, 76f.) bemerkt (allerdings eingeschränkt auf idiomatische Wendungen), dass im Besonderen der Slang
19. Phraseme in der Jugendsprache
bzw. Argot – man kann hier sicherlich ergänzen, dass dies auch für Jugendsprache gilt – im Hinblick auf die Erneuerung des Phrasembestandes der jeweiligen Sprachen sehr produktiv sind und dass entsprechende Wendungen oft in die Umgangssprache aufsteigen. Er führt dies auf die Expressivität idiomatischer Wendungen zurück, auf ihre Prädisposition für den Ausdruck von Emotionen und Einstellungen. Das Innovationspotenzial von (u. a.) jugendsprachlichen Phrasemen ist also systematisch bedingt, es ist in der Natur von geprägten Wortgruppen angelegt, dass sie eine gewisse Sprachwandel-Dynamik entfalten und bevorzugte Objekte kreativer Bemühungen von Sprachbenutzern sind. Insbesondere liegt es am konnotativen Potenzial solcher Ausdrücke, mit ihrer Eigenschaft, “die emotional betonte Einstellung des Zeichenbenutzers zum benannten Gegenstand bzw. mitgeteilten Sachverhalt als ‘indirekte’ Information mitliefern” (Fleischer 1997, 198) zu können. Fleischer betont, dass die Expressivität von Phrasemen nicht nur auf der stilistischen Markierung beruht, dass es aber einen engen Zusammenhang zwischen beiden Phänomenen gibt. Wenn ein Jugendlicher beispielsweise von seinem Vater redet und sich mit dem Ausdruck mein Alter auf diesen bezieht, dann bringt er damit wesentlich mehr zum Ausdruck als die Bezugnahme auf eine Person: er übermittelt Informationen etwa über seine soziale Selbsteinschätzung, seine Einstellung zum Vater oder Autoritäten allgemein. Der Ausdruck spiegelt viele Besonderheiten des Sprechkontextes wider. Verstehen, was der Sprecher damit zum Ausdruck bringt, setzt eine Reflexion der Kontextbedingungen voraus – ob der Ausdruck abwertend oder positiv gemeint war, kann überhaupt nur auf der Grundlage von Ko- und Kontext entschieden werden. Roos setzt voraus, dass in unteren Sprachschichten der Expressivität von Äußerungen ein größeres Gewicht zukommt als in der Standardsprache. Im Falle der Jugendsprachen kann das auch mit der funktionale Besonderheit des Sprechens in Zusammenhang gesetzt werden: Jugendsprache wird verwendet, um eine Gruppe zu konstituieren und sie von anderen abzugrenzen, wobei charakteristischerweise sprachspielerische Mittel und Strategien und Tabubrüche verwendet werden (vgl. 1.2). Die Tatsache, dass die Selbstdarstellungsfunktion in der Kommunikation von
259
Jugendlichen eine im Vergleich zu anderen Sprechergruppen bedeutende Rolle spielt, dass also jugendliches Sprechen in relativ hohem Maß immer auch eine Art Renommiergebaren darstellt, kann als weiterer Antrieb für den schnellen Wandel in den Jugendsprachen und für die sprachliche Kreativität angesehen werden: mehr noch als andere Sprecher suchen Jugendliche (auch) nach dem besonders originellen Ausdruck, nach überraschenden Formulierungen und erneuern so ständig das Formeninventar. Solche Techniken weisen vergleichsweise schnell Abnutzungserscheinungen auf: Was in einem bestimmten Moment einen Tabubruch darstellt, fällt unter Umständen wenige Jahre später kaum noch auf (z.B. die Verwendung von geil) – oder wird, wenn es kommunikativ erfolgreich ist, kopiert und so seiner Wirkung beraubt. Zahlreiche typisch jugendsprachliche Elemente finden sich so wenige Jahre nach ihrer Verurteilung durch Sprachkritiker in der Umgangsoder gar der Standardsprache wieder. Im Zusammenhang mit ihrer performativen und thematischen Fixierung (ihres Ausdruckscharakters) lässt sich noch eine weitere Dimension des kreativen Potenzials von Phrasemen beschreiben: Im “konnotativ ansprechbaren Verweispotential idiomatisch geprägter Ausdrücke hinsichtlich bestimmter diskursiver und textueller Praxen” (Feilke 1996, 69) liegt die Erklärung für ihr Kontextualisierungspotenzial. Feilke argumentiert, dass Kontexte des Sprechens selbst erst durch Sprechhandlungen erzeugt werden müssen und dass Phraseme (und andere geprägte Ausdrücke) dabei dank ihrer konnotativen Leistungen einen wichtigen Anteil haben; sie sind nicht nur als Widerspiegelung von Kontextbesonderheiten zu verstehen, sondern tragen entscheidend zur Konstituierung von Kontexten bei. Demnach “können durch idiomatisch geprägte Ausdrücke – bei voller Kompositionalität und syntaktischer Regelhaftigkeit – Sprecherrollen, Themen, ja ganze Diskurse und Diskurs-Mentalitäten kontextualisiert werden” (Feilke 2004, 51f.). Phrasemen kommt also auch eine Funktion in Konstitution subkulturspezifischer Diskurswelten zu. Aus den hier dargestellten Eigenschaften und Funktionen jugendsprachlicher Phraseme ergeben sich die Themen, die im folgenden Abschnitt etwas genauer behandelt werden: erstens jugendsprachliche (formelhafte) Phraseme und ihr Konnotationspotenzial, dann die
260
VI. Phraseme im Diskurs/Set phrases in discourse
(kreative) Variation von Phrasemen und schließlich ihre Leistung als text- bzw. diskursbildende Einheiten.
3.
Form und kommunikative Leistung von Phrasemen in der Jugendsprache
3.1. Besonderheiten jugendsprachlicher Phraseme Palm (1997, 16ff.) zeigt, dass die Konnotation von Phrasmen u.a. deren soziale Geltung betrifft – in diesem Beitrag sind Redewendungen interessant, die der Jugendsprache angehören. In manchen phraseologischen Wörterbüchern ist eine entsprechende stilistische Markierung vorgesehen. Im Duden 11 (2002) lassen sich als “jugendsprachlich” markierte Einträge an einer Hand abzählen: [einen] Bock [auf etw.] haben, der/die/das bringts [voll]/bringts nicht, das ist die Härte, eine/die Schau sein und ein steiler Zahn. Schemann (1993) sieht die Jugendsprache in der Übersicht der stilistischen Markierungen zwar nicht vor, verwendet das Attribut im Text aber doch an einigen Stellen, allerdings ebenfalls sehr sparsam; markiert sind z.B. die Personenbezeichnung meine Alte, abgedreht sein, abgehoben sein und jmd. tickt nicht (ganz) richtig. Palm (1997, 20) führt einige weitere Beispiele an, etwa die Überraschungsformel Ich denk’ mich knutscht ein Elch. Authentischeres und in empirischen Untersuchungen ermitteltes Material findet sich in der Korpusliste “Phraseolexeme” der Arbeit von Androutsopoulos (1998, 662). Der Autor widmet der Phraseologie auch ein ausführliches Kapitel seines Buches. Darin stellt er fest, dass nur gut die Hälfte (57 Prozent) der von ihm erhobenen jugendsprachlichen Phraseolexeme kodifiziert ist. Die Wendungen, die in den eingesehenen Wörterbüchern verzeichnet sind, sind mit der stilistischen Markierung “umgangssprachlich”, “salopp”, “derb”, “vulgär” und nur in wenigen Fällen “jugendsprachlich” versehen. Androutsopoulos beschreibt verschiedene in der Jugendsprache produktive phraseologische Strukturen, beispielsweise: Kollokationen in Form von Verbindungen N+Adj (fetter Sound, coole Sprüche, geile Sache) bzw. N+V (ein Mädchen aufreißen, Frust schieben), Funktionsverbgefüge (Ärger machen, eine Verlade machen, die Panik kriegen), Phraseoloexemen (s.u.), Formelstrukturen (Ich glaube, mein Frosch kriegt Haare, Sport ist Mord).
In der Diskussion der Phraseolexeme kommt Androutsopoulos (1998, 236ff.) zu dem Ergebnis, dass sich bezüglich der produktiven Formativstrukturen Jugendsprache und Standardsprache ähneln. Er kann nur eine jugendspezifische syntaktische Struktur feststellen: das Muster [voll- + N] (volle Kanne/ Socke/Granate). Alle anderen Belege sind entweder auf anderen Ebenen (insbesondere auf der lexikalischen) jugendspezifisch oder kodifizierte Formen, die im Korpus in Distribution, Syntax, Semantik, Morphologie oder in der phonologischen Form abgewandelt werden. Bei den jugendspezifischen Formen handelt es sich um Entlehnungen (to do one’s thing → sein eigenes Ding machen) oder um lexikalische Substitution (keine Ahnung haben → keinen Plan haben). Als Beispiel für einen syntaktisch-distributionellen Unterschied im Vergleich zur kodifizieten Standardsprache wird die Verwendung von daneben als eine Art Prädikatsadjektiv in Syntagmen wie etwas ist voll daneben angeführt. Ein semantischer Unterschied zeigt sich zum Beispiel beim Phraseolexem einen auf X machen: es hat in der Umgangssprache eine negative Bedeutung, wird aber in der Jugendsprache auch wertneutral verwendet. In der Struktur der produktiven Phraseme kann also kaum eine jugendsprachliche Besonderheit ausgemacht werden. Die Konnotation der Wendungen in Bezug auf die soziale Geltung muss durch andere Besonderheiten dieser erklärt werden. Androutsopoulos vermutet, dass die jugendsprachliche Markiertheit von Phraseolexemen im Wesentlichen auf die Natur der lexikalischen Komponenten zurückgeht. Das wird bei der Durchsicht seiner Korpusliste nur zum Teil bestätigt. Hier finden sich zwar Phraseolexeme mit einer lexikalischen Füllung, die auf Jugendkultur verweist, etwa der Punk geht ab oder als “vulgär” einzustufende Lexeme enthalten: sich den Arsch aufreißen oder in die Fresse. Andererseits enthält die Liste aber auch zahlreiche Belege ohne solche lexikalischen Auffälligkeiten: keinen Plan haben, etw. an der Waffel haben, den Vogel raushauen, keinen Meter verstehen. In diesen Beispielen ist keine Komponente sozial markiert, die jugendsprachliche Konnotation kommt weder durch morphosyntaktische noch durch lexikalische Besonderheiten zustande. Morphosyntaktische und lexikalische Abweichungen von der Standardnorm sind also weder ein notwendiger noch ein hinreichender Grund dafür, dass
19. Phraseme in der Jugendsprache
ein Phrasem als jugendsprachlich angesehen wird. Die Ausdrücke erscheinen nur deswegen jugendsprachlich, weil sie konnotativ geprägt sind, sie verweisen auch auf den Gebrauchskontext: “Es [das Zeichen, C.E.] kann aber – und das gilt insbesondere eben auch für strukturell motivierte und semantisch kompositionelle Zeichenkombinationen – andererseits als Folge durch den Gebrauch stets auch zum Zeichen des Gebrauchszusammenhangs selbst werden. Hier wird [...] ein Redezeichen [...] pragmatisch durch den Gebrauch geprägt” (Feilke 2004, 48f.). Da Phraseme v.a. durch den Gebrauch geprägt sind und immer auf eine Gebrauchssituation verweisen, lässt sich ein Überblick über spezifisch jugendsprachliche Wendungen auch nutzen, um eine Beschreibung der jugendlichen Lebenswelt zu konturieren. Phraseme werden in diesem Zusammenhang verstanden als Mittel zur Lösung kommunikativer Routineaufgaben (vgl. Stein 1995, 89ff.) oder als “Geschichtenkondensate in lokalen Sprechkulturen” (Feilke 1996, 151). Anhand einer Aufstellung jugendtypischer Phraseme kann ermittelt werden, welche kommunikativen Aufgaben in dieser Subkultur so sehr zur Routine geworden sind, dass sich zu ihrer Lösung spezielle sprachliche Mittel herausgebildet haben bzw. welche Geschichten hier erzählt werden. In der Arbeit von Androutsopoulos (1998, 246f.) deutet sich an, dass jugendtypische Phraseme v.a. den semantischen Feldern “Ausdruck von Gefühlen und Einstellungen” (z.B. fröhliche, ausgelassene Stimmung, negative Einstellung), “soziales Verhalten” (wertpositiv oder negativ) und “Bewertung” (positiv bzw. negativ) zugeordnet werden können. Eine Vertiefung solcher Beobachtungen könnte zu einem Profil der jugendlichen Lebenswelt erweitert werden und ein “Inventar prototypischer Kerne unserer Handlungswelt” (Eichinger 2004, 8) ergeben – hier natürlich bezogen auf die Handlungswelt Jugendlicher. 3.2. Bricolage: Phraseologische Variation und Modifikation Zu den Grundannahmen der modernen Jugendsprachforschung gehört die Einsicht, dass Jugendsprachen “gerade nicht autonom und völlig neu als ‘eigene Sprache’ entstehen” (Neuland 2003, 140), sondern in vielfältiger Weise auf die Umgangs- und Standardsprache bezogen sind. Der gruppenspezifische Sprechstil entsteht zu einem großen Teil
261
durch kreativen Umgang mit vorhandenem Sprachmaterial, als Folge von Stil-Basteleien, Sprachspielen, Parodien oder ironischen Verfremdungen nach dem Prinzip der “bricolage”. Schlobinski/Kohl/Ludewigt (1993, 57) unterscheiden dabei zwei Formen der Bezugnahme auf vorhandene kulturelle Ressourcen: mimetisches und verfremdendes Zitiern: “Das mimetische Zitieren beruht auf der Übernahme kultureller Ressourcen, die von den Gruppenmitgliedern als positive Wertvorstellungen gemeinsam geteilt werden und durch die über den Prozeß der Nachahmung und Identifikation ein gemeinsam geteiltes Gruppenbewußtsein hergestellt wird. Auf der Folie der gemeinsam geteilten Werte und Normen werden mit Hilfe des Prinzips des verfremdenden Zitierens kulturelle Ressourcen ‘zusammengebastelt’, über die als Kontrastfolie und ironische Distanzierung, kurzum: als Distinktionsprozeß, ein gemeinsam geteiltes Gruppenbewußtsein hergestellt wird.”
Als Beispiele hierfür führt Volmert (2004, 148f.) u.a. die Verfremdung politischer Parolen durch die Alternativbewegung (Du hast keine Chance, aber nutze sie, Freiheit für Grönland, weg mit dem Packeis!) oder die Persiflage von Werbeslogans (Milde Sorte, denn das Leben ist schon hart genug) an. Die Beispiele deuten schon an, dass auf der Ebene der sprachlichen Form phrasematische Ausdrücke für das “bricolage”-Prinzip fast schon prädestinierte Gegenstände sind, es handelt sich schließlich um kulturell geprägte kommunikative Versatzstücke, die auf der lexikalischen Ebene ein “Variabilitätsfaktor par excellence” (Fleischer 1997, 205) sind. Per definitionem ist dabei weniger die Formulierung neuer als vielmehr die Veränderung alter Phraseme zu erwarten (vgl. Ehrhardt 2005b, 34f.). In konkreten Gebrauchssituationen relativiert sich die Festigkeit von Phrasmen in der Tat sehr häufig, die kodifizierte Nennform wird oft in variierter oder modifizierter Form verwendet. Diese Prozesse der Anpassung an den Kontext und die Sprechintentionen sind in vielen Fällen systematischer Natur: “Die Variationen sind nicht willkürlich und völlig beliebig [...], sondern operieren nach verallgemeinerungsfähigen Gesichtspunkten auf der Grundlage der strukturell-semantischen Invariante der phraseologischen Basis” (Fleischer 1997, 213). In Jugendsprachen ist die Substitution von Phrasem-Komponenten durch jugendsprachliche Lexeme das augenfälligste Beispiel für diese Systematik. Ehrhardt (2005a) liefert dafür Belege aus deutschen
262
Rap-Texten: die Flossen wegnehmen, den Schnabel halten, ich trampel barfuß auf Scherben. Er macht aber auch deutlich, dass sich die Verfahren der Veränderung von Phrasemen nicht auf das Einfügen jugendsprachlicher Lexik beschränken – es finden sich zahlreiche Beispiele, in denen Sprachspielereien standardsprachliches Vokabular zum Gegenstand haben. So wird mit dem Ausdruck Sender aller Länder auf die feststehende Wendung Proletarier aller Länder angespielt; in einem der analysierten Raps wird damit auf etabliertes Kulturgut Bezug genommen und auf Rap-Musik angewendet, mit der Variante wird u.a. die Internationalität der HipHopbzw. Rap-Bewegung und ihr soziales Engagement zum Ausdruck gebracht. Darüber hinaus werden von jugendlichen Sprechern (und Rap-Sängern) auch andere Verfahren der Variation (Modifizierung, Expansion, Reduktion, Kontamination) genutzt. In manchen Fällen führt Modifikation zu usuellen Varianten und phraseologischen Reihen mit jugendsprachlicher Konnotation wie das geht mir auf die Nerven/den Zeiger/die Eier/den Sack etc., das ist der Hammer/die Härte/der Wahnsinn etc. oder in Überraschungsformeln (Androutsopoulos 1998, 265): ich glaube, mich knutscht ein Elch/leckt ein Känguru/streift ein Hai etc. Wo Jugendsprache als kreativ und originell empfunden wird, da tragen Variation und Modifikation von Phrasemen entscheidend zu diesem Eindruck bei. 3.3. Zur text- und diskursbildenden Potenz von Phrasemen in Jugendsprachen Die beschriebenen Verfahren der Variation von Phrasemen haben in jedem Fall auch eine metasprachliche Funktion: sie lenken die Aufmerksamkeit des Rezipienten auf den Sprachgebrauch selber; der Sprecher nimmt (kritisch) auf übliche Ausdrucksweisen Bezug, distanziert sich unter Umständen davon und bringt seinen Anspruch zum Ausdruck, für sich und seine soziale Gruppe eine eigene, authentischere, angemessenere Sprache zu finden. Variation von Phrasemen ist also auch das Ergebnis von mehr oder weniger expliziter Sprachreflexion und deren Kommunikation. Damit trägt sie zur Erzeugung von Verstehenskontexten bei. Fleischer (1997, 214) sieht dementsprechend auch in der systematisch angelegten Möglichkeit der Expressivitätssteigerung eine der textbildenden Potenzen von Phrasemen, also einen Beitrag zur Kon-
VI. Phraseme im Diskurs/Set phrases in discourse
stitution von Beschaffenheit und Funktion von Texten und Teiltexten (vgl. Sabban 2004, 242); Fleischer (1997, 218) macht darüber hinaus deutlich, dass die psychischen Zustände, die zu den Bedingungen des Erfolgs sprachlicher Handlungen gehören, von Phrasemen sowohl indiziert als auch induziert werden. Im Anschluss an solche Überlegungen und an Ansätze der Diskurslinguistik spricht Ehrhardt (2005b) im Zusammenhang mit Ausführungen zum HipHop-Diskurs von diskursbildenden Potenzen von Phrasemen; er sieht eine der relevantesten Funktionen solcher Ausdrücke im Verweis auf bzw. in der Erzeugung von Kontexten, Strukturen kollektiven Wissens und gruppenspezifischen Konventionen und Normen. Besonders gut lässt sich dieser Zusammenhang an Routineformeln beobachten, z.B. “typischen Begrüßung- und Anredeformeln mit sozialer Distinktionsfunktion” (Neuland 2003, 155; vgl. auch Androutsopoulos 1998, 508ff.). Androutsopoulos (2003, 124f.) analysiert etwa eine Moderationssequenz aus einer Sendung eines Musiksenders, in dem der Moderator die Zuschauer mit der Formel was geht ab begrüßt, so an in der Rap-Szene typische Redeweise anschließt, seine Nähe zum Publikum zum Ausdruck bringt und dadurch eine bestimmte “Interaktionsatmosphäre” herstellt. Ehrhardt (2005b, 41f) zeigt an einigen Beispielen, wie in Raps durch Wendungen wie Jetzt wird’s langsam kompliziert, Jetzt mal ohne Spaß oder Ohne Lug und Trug der Kontext für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit für die Subkultur wichtigen Themen geschaffen wird. Im Rahmen solcher Analysen kann die Untersuchung von Phrasemen und ihrer kommunikativen Leistung in Jugendsprachen als Beitrag zu Besonderheiten und Konstitution von (Sub-)Kulturen verstanden werden. Am Beispiel von Rap-Diskurs haben Adroutsopoulos/Scholz (1999) einen solchen Ansatz vorgelegt. Als charakteristische Themen von Raps in verschiedenen europäischen Kulturen werden u.a. Selbstdarstellung, Szene-Diskurs, Sozialkritik, Liebe/Sexualität und Drogen genannt. Dem entsprechen szenetypische Sprechhandlungsmuster wie boasting (Angeben, Selbstinszenierung) oder dissen (Beschimpfung, Beleidigung). Die Autoren gehen allerdings nicht explizit auf die Funktion von Phrasemen in diesem Zusammenhang ein.
19. Phraseme in der Jugendsprache
4.
Ausblick
Phraseologie und Jugendsprachforschung sind linguistische Forschungstraditionen, die viele Berührungspunkte aufweisen und sich gegenseitig bereichern können. Zu allen hier angesprochenen Punkten sind genauere Dokumentationen und theoretische Analysen möglich und wünschenswert. Das gilt sowohl für diachronische Ansätze zu Sprachwandelphänomenen bei jugendsprachlichen Phrasemen und ihrem Bezug zur soziokulturellen Situation als auch für synchronisch angelegte Überlegungen etwa zu Phrasemen als Indikatoren für Sprechstile, für ihr konnotatives Potenzial und ihre kommunikative Funktion in Jugendsprachen sowie für die Rolle von Phrasemen als Schnittstelle von Sprache und (jugendlicher) Subkultur. Eine interessante Bereicherung der Diskussion könnte insbesondere in der Vertiefung und Spezialisierung kontrastiv angelegter Projekte liegen.
5.
Literatur (in Auswahl)
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264
VI. Phraseme im Diskurs/Set phrases in discourse
zum Konzept der textbildenden Potenzen. In: Steyer (Hrsg.), 238–261. Schemann, H. (1993): Deutsche Idiomatik: die deutschen Redewendungen im Kontext. Stuttgart. Schlobinski, P./Heins, N. (Hrsg.) (1998): Jugendliche und ‘ihre’ Sprache. Sprachregister, Jugendkulturen und Wertesysteme. Empirische Studien. Opladen. Schlobinski, P./Kohl, G./Ludewigt, I. (1993): Jugendsprache. Fiktion und Wirklichkeit. Opladen. Stein, S. (1995): Formelhafte Sprache. Untersuchungen zu ihren pragmatischen und kognitiven
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Claus Ehrhardt, Urbino (Italien)
20. Phraseologie in Stadtsprachen 1. 2. 3. 4. 5.
Ausgangslage Stadt und Sprache Phraseologie und Stadt Phraseologie des Urbanen Literatur (in Auswahl)
1.
Ausgangslage
Es gibt noch keine nennenswerte spezifische Forschung zum Themenbereich Phraseologie, Stadt und Stadtsprachen. Im Zentrum stadtsprachlicher Forschungen standen meistens soziolinguistische Fragestellungen, während die Phraseologie die Stadt oder das Urbane nie zu einer ihrer Analysekategorien gemacht hat. Es gibt aber sowohl theoretische als auch historische Berührungspunkte zwischen der Phraseologie und der Erforschung urbaner Sprachvarietäten und ihrer Verwendung. Die Sprachwissenschaft hat generell die Kategorie des Städtischen nur wenig ausgearbeitet – dies im Gegensatz zu derjenigen des Flächigen und Ruralen, wie es sich etwa im Ausdruck der Sprachlandschaft verfestigt hat. Die Gründe für die Vernachlässigung des Städtischen als Analysekategorie dürften in der hohen Komplexität des Städtischen (s. Lichtenberger 1998) zu suchen sein. Aus kulturwissenschaftlicher Sicht spricht jedoch vieles für einen Einbezug.
2.
Stadt und Sprache
Städte gelten allgemein sprachwissenschaftlich, dialektologisch und soziolinguistisch als Orte grosser Variation und Heterogenität, als Orte mit sprachgeschichtlicher Tiefe, wo neu-
artige und ältere Varianten und Varietäten nebeneinander verwendet werden (Hofer 1997; Hofer 2002). Stadt wird hier im begrifflichen Kern in Anlehnung an die Alltagssprache als physische Struktur verstanden, die sich durch eine hohe Bebauungsdichte auszeichnet und die Zentrumsfunktionen für die Umgebung hat (Lichtenberger 1998). Städte waren und sind noch oft Zentren und Relais sozialer, ökonomischer und technisch-wissenschaftlicher Innovation, die sprachlich in der Regel über fachliche Netzwerke unter Verwendung der neu entstandenen Terminologie vermittelt wird. Städte waren die Orte, wo sich in der Neuzeit Gruppenund Fachsprachen aufgrund der Sozialstruktur, der medientechnischen Voraussetzungen (allen voran der Buchdruck) und der räumlichen Verdichtung bei hoher Mobilität grosser Bevölkerungsteile schnell formieren und verändern konnten. Einige technische Neuerungen seit dem 19. Jh., die Notwendigkeit ihrer Benennung und ihrer alltagssprachlichen Bewältigung sind fast ausschließlich auf Städte beschränkt geblieben, etwa die Straßenbahn, die U-Bahn und S-Bahn; Stadtgas- und Stromnetze waren zu Beginn auf Städte beschränkt. Offizielle Straßennamen in allen ihren verschiedenen Formen wurden zuerst in Städten eingeführt, planmässig konstruiert und bestimmten Stadtteilen und ihren Straßen und Plätzen zugeordnet. Unter phraseologischem Aspekt ist dies von Bedeutung, als viele dieser Namen mehrgliederig sind und als unter dem Gebot der Eindeutigkeit (keine zwei
20. Phraseologie in Stadtsprachen
Marktplätze oder Places de la Liberté) ein Zwang zur Originalität wirksam war. Städte waren Zentren der weltlichen, sich mit dem Buchdruck rapid ausbreitenden Schriftlichkeit in allen ihren Formen der Produktion, des Gebrauchs und des Konsums von schriftlichen Texten in jedwelcher Form. Die Städte waren dadurch auch maßgeblich beteiligt an der Herausbildung und Propagierung der modernen europäischen Standardsprachen und ihren Kodizes. Städtische Bevölkerungen wiesen und weisen oft einen überdurchschnittlich großen Anteil an sozial und geografisch mobilen und sprachlich heterogenen Einwohnern. Dadurch ist das Sprachleben in Städten einem ständigen starken Neuerungsdruck ausgesetzt und weist eine hohe Diversität und Variation auf. Printmedien und die elektronischen Massenmedien der ersten Generation (Radio, Fernsehen) sind historisch gesehen urbane Medien in dem Sinne, dass ihre Infrastruktur in Städten lokalisiert war und die (oft sprachlichen) Inhalte auch dort produziert und von dort aus verteilt werden. Städte haben in den letzten hundert Jahren tief greifende Veränderungen erfahren, indem sie flächiger und funktional differenzierter geworden sind. Der traditionelle Gegensatz von Stadt und Land ist durch Suburbanisierung abgeschwächt, die Vorstellungen von Urbanität sind dadurch variiert worden (Lichtenberger 1998, 26ff.).
3.
Phraseologie und Stadt
Phraseologie war bisher nur vereinzelt und eher beiläufig Gegenstand von stadtsprachlichen Untersuchungen. Die Phraseologie hat sich immer wieder die Frage nach soziolinguistischen Aspekten gestellt, aber kaum nach Aspekten des Urbanen (vgl. Burger/Buhofer/ Sialm 1982, 134ff.). Berührungspunkte hat es allerdings schon lange gegeben. Wörterbücher zu Stadtsprachen verzeichnen in der Regel auch Phraseologismen, so z. B. das Baseldeutsch-Wörterbuch von Suter (1995). Manchmal wird im Titel bereits auf die phraseologische Komponente verwiesen, wie z.B. in Der richtige Berliner in Wörtern und Redensarten von Meyer (1878). Dies ist aber nichts Spezifisches für Städte, sondern bloß ein Qualitätsmerkmal von Wörterbüchern. Verschiedentlich wurden transitorische und andere Gruppenvarietäten, die sich durch star-
265
ke oder besonders eigenständige phraseologische Anteile auszeichneten, mit dem Urbanen in Verbindung gebracht, so die Studentensprache oder die Schüler- und Jugendsprache (z.B. Strübin 1976). Strübin (1944 und 1976) sieht die neu entstehenden Phraseologismen als Folge einer technisch-wissenschaftlichen Zivilisation, die als Bildspender dient. Dabei verschwinden ältere Schichten von Phraseologismen, denen die bäuerlich-ländliche und die handwerkliche Welt als Bildspender gedient hatte. Die Strömungen in einer Stadtmundart (Strübin 1944) sind beim selben Autor 42 Jahre später zur deutschschweizerischen Umgangssprache geworden, und vom spezifisch Städtischen ist kaum etwas übrig geblieben (Strübin 1976). Phraseologismen wie eine lange Leitung/einen Knopf in der Leitung haben, mit Volldampf, einen anderen Gang einlegen, Gas geben haben ihren Ursprung in der technischen Zivilisation, die von Städten ausging. Elektrizität, fließendes Wasser, Eisenbahn und Motorfahrzeuge, elektronische Medien haben heute in Europa nicht mehr zwingend urbane Konnotationen. Da Städte Orte großer sprachlicher Variation sind, liegt die soziolinguistische Vermutung nahe, dass in verschiedenen (städtischen) Kommunikationsmilieus auch Unterschiede beim Gebrauch von Phraseologismen und formelhafter Sprache auftreten. Für Mannheim haben Keim (1995) und Schwitalla (1995) zeigen können, dass durchaus Unterschiede je nach sozialer Gruppe und Kommunikationssituation bestehen. Ähnliches konnten Werlen/ Lieverscheidt/Wymann u.a. (1992) für Bern zeigen. Man kann sich allerdings fragen, ob diese sprachlichen Differenzen tatsächlich stadtspezifisch sind, wenn es sich nicht um Kommunikation in sozialen Gruppen handelt, deren Existenz auf Städte beschränkt ist, wie etwa die Drogenszenen oder teilweise die Studierenden. Ob es tatsächlich spezifische Merkmale der Phraseologie von Stadtsprachen in einem engeren Sinne gibt und wenn ja, welches diese Merkmale sind, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu beantworten. Stadtsprachen an sich sind schon schwierig von den sie geografisch umgebenden Varietäten abzugrenzen – umso schwieriger ist eine Phraseologie der Stadtsprachen festzumachen, die über die Lexikografie der Einzelvarietäten hinausgeht. Die Bezeichnungen für Stadtsprachen, städtische Sprechweisen oder städtische Soziolekte sind interessanterweise oft metapho-
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VI. Phraseme im Diskurs/Set phrases in discourse
risch oder metonymisch und manchmal auch phraseologisch, z.B. Berliner Schnauze, Mannemer Gosch [wörtl. Mannheimer Mund], Zürischnuure [wörtl. Zürcher Mund], Mattenenglisch (Bern), Dalbenesisch [nach dem Quartier um die St. Alban-Kirche] (Basel), Cockney [aus mittelengl. cockeney ‘verweichlichter Mensch’] (London).
4.
Phraseologie des Urbanen
Nicht nur steht die Phraseologie in einem bestimmten Verhältnis zu Stadtsprachen, sondern sie bedient sich des Städtischen, seiner Konnotationen und seiner möglichen Gegensätze inhaltlich. Dieser Zusammenhang scheint bei der Durchsicht lexikographisch erfasster Phraseologismen der (deutschen) Gegenwartssprache nicht unmittelbar gegeben. Die Anzahl von Phraseologismen, in denen Stadt als Wort oder Wortbestanteil vorkommt, ist gering: Ewige, Goldene und Heilige Stadt als phraseologische Termini, dann in Stadt und Land, sich stadtfein machen und Stadtgespräch sein (GWDS 2000). Für Land in der Bedeutung ‘ländliche Gegend’ gibt es laut GWDS ebenfalls nur wenige Phraseologismen: auf dem flachen/platten Land, landauf landab, landaus landein. Produktiver ist demgegenüber Dorf: das globale Dorf, potemkinsche, böhmische Dörfer, das olympische Dorf, auf/über die Dörfer gehen, auf die Dörfer gehen, aus jedem Dorf einen Hund haben, nie aus seinem Dorf herausgekommen sein. Für Provinz findet sich nichts. Grimm (2003) führt Formeln auf, in denen “stadt mit nebengeordnetem entsprechenden begriffe in einer collectiven verwendung” (gemeint ist: fest verbunden) vorkommt: in stadt und dorf, in stadt und land; in stadt und dorf bekannt sein; zeitung für stadt und land. Im heutigen Deutsch ist (in) Stadt und Land sehr geläufig, (in) Stadt und Dorf lässt sich gut belegen, ist aber viel weniger häufig (Web-Recherche). Dehnt man den Bereich über lexikographisch erfasste Phraseologismen im engeren Sinne in Richtung der sprichwörtlichen Redensarten aus, so ergibt sich ein reichhaltigeres Bild. Vor allem Wander (1867–1880) bietet viel Material aus verschiedenen Sprachen (jeweils ins Deutsche übertragen), aber auch Grimm (2003) für das Deutsche. Viele historisch relevante Aspekte in Redensarten sind heute hinfällig, vor allem die physische
Schutzfunktion von Städten und der häufig unterschiedliche rechtliche Status gegenüber dem Land. Solche Redensarten werden nicht weiter berücksichtigt, sofern sie sich – mit veränderter Semantik – nicht bis in die Gegenwartssprache erhalten haben. Bis heute bekannt ist das mittelalterliche Rechtssprichwort Stadtluft macht frei, das sich auf den privilegierten rechtlichen Status von Stadtbewohnern bezog. Heute wird das Sprichwort fast nur noch in übertragener Bedeutung ohne direkten Bezug zur mittelalterlichen Rechtssituation verwendet und wurde semantisch-konnotativ an positive Kontexte von Luft angeschlossen wie in Landluft oder frische Luft. Andere Aspekte als der rechtliche scheinen wichtiger, z.B. derjenige der Kommunikation. Kommunikationsintensität scheint ein lang anhaltender Topos des Urbanen zu sein. Das äußert sich z.B. in den folgenden Redensarten aus Wander (1867–1880), von denen jedoch nur noch eine als gebräuchlich im heutigen Deutschen gelten kann, die andern (mit ? markiert) sind nicht mehr belegbar (auch nicht in Varianten): – Das Stadtvolk ist lang von Zungen und meistens kurz von Händen. (?) – Es fiel die lahme Nachricht in ein loses Maul, und schon lief sie gleich einem wildgewordenen Gaul mit Windeseile durch die ganze Stadt. (?) – Durch Sagen und Wiedersagen wird ein Geheimnis durch die Stadt getragen. (?) – Die ganze Stadt spricht schon davon. – Etwas in der ganzen Stadt austrommeln. (?) – Stadtklatsch dauert drei Tage (?) – Kleine Städte, grosse Lügen (?) – Nicht alles ist Evangelium, was man in der Stadt erzählt/Was man in der Stadt ausbreitet, ist kein Evangelium (?) Ein anderer Bereich ist der des Sozialen und insbesondere der Bewertung des städtischen Lebens und Sozialgefüges. Auch hier kann nur noch eine Redensart als gebräuchlich gelten: – Stadtluft macht frei. (s. oben) – Wer ein Bauer auf dem Dorfe ist, wird schwerlich ein ehrlicher Mann in der Stadt. (?) – Besser der Erste im Dorf als der Letzte in der Stadt. – Stadtbürger – Burewürger (?)
267
20. Phraseologie in Stadtsprachen
– Die Stadt ist gut, sagte der Bauer, aber die Leute taugen nichts. (?) – Wenn es dir schlecht geht, lebe in der Stadt. (?) – Die Stadt ist eine öde Wildnis für den der zu Hause ein unglückliches Leben führt. (?) Der propositionale Gehalt der Redensarten ist wenig einheitlich, was zeigt, dass das Urbane in seiner Komplexität ohne besondere Stilisierung als Projektionsfläche für alles Mögliche dienen kann: Freiheit, Obrigkeit, Kluft zwischen Stadt und Land im Allgemeinen u.A. Andere Redensarten zielen auf den Bereich von Erkenntnis, Urteil und Wissen. Auch sie sind im heutigen Deutschen ungebräuchlich (?): – Die Pilze wachsen auf dem Lande, aber man kennt sie in der Stadt. (?) – Er sieht die Stadt vor lauter Häusern nicht. (?) Im letzten Beispiel wird auch deutlich, wie Stadt mit einer gewissen Beliebigkeit an die Stelle tritt, die Wald im Phraseologismus den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen (können) einnimmt: Unübersichtlichkeit ist keine exklusive Eigenschaft der Stadt. Umgekehrt wird in andern Redensarten, die gängigen formalen Schemata folgen, durchaus stadtspezifisch Gemeintes ausgedrückt, wie etwa in Große Stadt, große Sünden oder in Alte Stadt, alte Bräuche. Manche Redensarten – alle im Deutschen nicht mehr gebräuchlich – spielen Stadt und Land (oder aus städtischer Perspektive ähnlich Kontrastierendes wie Dorf, Wildnis, bäuerliches Leben) oder die jeweiligen Bewohner gegeneinander aus, oder kombinieren sie komplementär. – Das Land ist lyrisch – die Stadt dramatisch. (?) – Die Gänse rupft man auf dem Dorfe und die Bauern in der Stadt. (?) – Nicht in der Stadt, in der Wildnis lernt man den Mann kennen. (?) – Die Götter leben in der Stadt, die Teufel auf dem Lande. (?) – Die Stadt um des Reichtums, das Land um der Gesundheit willen. (?) – Stadt und Land gehen Hand in Hand (?) – In der Stadt ist es schlimmer als im Urwald (?) – Eine kleine Stadt ist besser als ein großes Dorf. (?)
Sucht man nach signifikanten Kollokatoren von Stadt in einem sehr großen Korpus des jüngeren Deutschen , so zeigt sich, dass die deutlichsten Kollokate von Stadt Städtenamen sind und nach Stadt stehen (Wien, Zürich, Graz, Heidelberg u.v.a.). Es deutet aber nichts in der Kollokationsanalyse auf weitere häufige festgefügte, gar phraseologische Verbindungen hin. Wandel zeigt sich nicht nur im Verschwinden sprichwörtlicher Redensarten, sondern auch im Auftreten neuer Wörter zur Bezeichnung des Städtischen, die in Konkurrenz zum Adjektiv städtisch treten. Ein solches Wort ist urban. Es ist in manchen gebräuchlichen Wortverbindungen häufiger als städtisch, so etwa in jung und urban (siebzehnmal häufiger als jung und städtisch), urbane Moderne, urbanes Wohnen, urbanes Publikum (dreimal häufiger als städtisch), urbane Architektur (zweimal häufiger). Etwa gleich häufig anzutreffen sind urban und städtisch in Verbindung mit Leben, Raum, Struktur, Umfeld, Welt. In sehr gut etablierten, gefestigten Verbindungen mit städtisch wie städtisch – ländlich oder städtische Kanalisation dringt urban jedoch kaum ein. Die kollokative Neutralität von Lexemen, die Stadt oder Städtisches denotieren, führt deutlich vor Augen, dass sich das spezifisch Städtische im Sprachlichen im Allgemeinen und in der Phraseologie im Speziellen nicht leicht nachweisen lässt – was angesichts der hohen Komplexität seiner außersprachlichen Erscheinungsweise nicht weiter erstaunen muss.
5. Literatur (in Auswahl) Burger, H./Buhofer, A./Sialm, A. (1982): Handbuch der Phraseologie. Berlin. Grimm, J./Grimm, W. (2003): Deutsches Wörterbuch. Hildesheim GWDS (2000): Duden: Das große Wörterbuch der deutschen Sprache. CD-ROM. 10 Bd. Mannheim. Hofer, L. (1997): Sprachwandel im städtischen Dialektrepertoire: eine variationslinguistische Untersuchung am Beispiel des Baseldeutschen. Tübingen. Hofer, L. (1997): Zur Dynamik urbanen Sprechens: Studien zu Spracheinstellungen und Dialektvariation im Stadtraum. Tübingen. Keim, I. (1995): Kommunikative Stilistik einer sozialen Welt “kleiner Leute” in der Mannheimer Innenstadt. Berlin.
268 Lichtenberger, E. (1998): Stadtgeographie: Begriffe, Konzepte, Modelle, Prozesse. Leipzig. Meyer, H.G. (1878): Der richtige Berliner in Wörtern und Redensarten. Berlin. Schwitalla, J. (1995): Kommunikative Stilistik zweier sozialer Welten in Mannheim-Vogelstang. Berlin. Strübin, E. (1944): Strömungen in einer Stadtmundart. In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 41, 226–247.
VI. Phraseme im Diskurs/Set phrases in discourse Strübin, E. (1976): Zur deutschschweizerischen Umgangssprache. In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 72, 97–145. Suter, R. (1995): Baseldeutsch-Wörterbuch. Basel. Wander, K.F.W. (Hrsg.) (1867–1880): Deutsches Sprichwörter-Lexikon: Ein Hausschatz für das deutsche Volk. 5 Bde. Leipzig. Werlen, I./Lieverscheidt, E./Wymann, A./Zimmermann, H. (1992): “… mit denen reden wir nicht”: Schweigen und Reden im Quartier. Basel.
Lorenz Hofer, Basel (Schweiz)
VII. Phraseme in einzelnen Text- und Gesprächssorten/ Set phrases in types of texts and conversation 21. Phraseologismen in den Printmedien 1. 2. 3. 4.
Einleitung Funktionen der Phraseologismen Zusammenfassung Literatur (in Auswahl)
1.
Einleitung
Die festen Wortverbindungen einer Sprache, die Phraseologismen, können nach unterschiedlichen Kriterien klassifiziert werden. Eine Möglichkeit ist, sie in so genannte phraseologische Wortklassen einzuteilen, d.h. in substantivische, adjektivische, verbale usw. Phraseologismen. Im Zentrum des Interesses stehen in vielen phraseologischen Untersuchungen über geschriebene Texte die verbalen Phraseologismen. Da sie meistens den größten Anteil wenigstens der in deutschen Texten vorkommenden Phraseologismen ausmachen, ist dies auch begründet. So zeigt z.B. eine Auszählung von Gustafsson/Piirainen (1985, 126), dass verbale Phraseologismen die größte Gruppe in Zeitungstexten (ohne Anzeigen) ausmachen. Dies heißt jedoch nicht, dass sie in den einzelnen Textsorten immer am häufigsten belegt werden könnten, auch nicht, dass es keine Unterschiede zwischen gesprochener und geschriebener Sprache geben würde. Die verbalen Phraseologismen sind aber nicht nur häufig vorkommend, sondern sie weisen außerdem morphosyntaktisch und semantisch die reichste und differenzierteste Binnengliederung auf (Burger 2001, 34), was wahrscheinlich zu ihrem häufigen Vorkommen beiträgt. Das in phraseologischen Untersuchungen verwendete Belegmaterial wird manchmal ausschließlich Wörterbüchern entnommen oder aber Wörterbuchbelege werden ergänzend verwendet. Authentische Belege stammen meistens aus Texten der Gegenwartssprache und nicht selten basieren die Ergebnisse der Untersuchungen auf Analysen von Pressesprache oder auf einzelnen Werken bestimmter Autoren. Etwas weniger häufig treten Kombinationen von journalistischen und literarischen Texten in den erstellten Korpora auf, noch seltener machen wohl umfangreiche Korpora besonderer Textsorten das Material
aus. Erkennbar ist ein gewisser Mangel an Untersuchungen, die zeitlich umfassendere Perioden abdecken. Einen Versuch hat z.B. Pabst (2003) gemacht, die ein Korpus österreichischer journalistischer und literarischer Texte des 20. Jahrhunderts auf die Systemabhängigkeit der Phraseologie am Beispiel der verbalen Phraseologismen hin untersucht hat. Nationale Varietäten des phraseologischen Wortschatzes standen auch sonst schon mehrmals im Mittelpunkt des Interesses, z.B. bei Földes (1996). Die eingehende Beschäftigung mit geschriebenen Texten hat u.a. die Einsicht mit sich gebracht, dass das Verwenden von Phraseologismen genauso ein Teil der geschriebenen wie der gesprochenen Sprache und kein Kennzeichen nur der Alltagssprache ist. Im Folgenden werden die Phraseologismen in den Printmedien behandelt, wobei vor allem ihre Funktionen diskutiert werden. Elektronische Ausgaben von Tageszeitungen u.Ä. bleiben also unberücksichtigt. Auf die in Printmedien vorkommenden Anzeigen, die Werbesprache repräsentieren, wird nicht eingegangen. Es soll schon einleitend ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass die Printmedien keine einheitliche Textsorte darstellen, sondern eine Mischung von mehr oder weniger unterschiedlichen, zum Teil fachspezifischen Texten. Dass Texte in der Presse relativ stark fachsprachlich gestaltet sein können, aktualisiert gewisse grundlegende Abgrenzungen im phraseologischen Bereich, nämlich in welchem Umfang (teil-)idiomatische Mehrworttermini zur Phraseologie zu zählen sind. Typisch z.B. für Wirtschaftstexte sind neben diesen Termini teil-idiomatische Phraseologismen und terminologischidiomatische Komposita. Anhand der Sprache des Wirtschaftsteils in der Presse befürwortet Burger die Berücksichtigung der Mehrworttermini in der Phraseologie (Burger 2003, 164f.). Diese Empfehlung steht im Einklang mit der Entwicklung, der traditionellen Peripherie der Phraseologie immer mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Die Produktionsbedingungen, unter denen die Pressetexte entstehen, sind nicht einheitlich. Die Texte
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VII. Phraseme in einzelnen Text- und Gesprächssorten/Set phrases in types of texts and conversation
werden außerdem nicht selten von mehreren Autoren, die anonym bleiben, geschrieben. Auch wenn die Texte mit dem Namen des Journalisten versehen sind, gilt vor allem für Texte in der Boulevardpresse, dass sie sprachlich eher den Stil des Blattes als den des einzelnen Kommunikators repräsentieren (Burger 1990, 28). Die Hauptfunktion der Texte in den Printmedien ist normalerweise zu informieren und zu unterhalten. In den Kommentaren ist jedoch eine appellative Grundfunktion zu finden.
2.
Funktionen der Phraseologismen
Schon früh wurde in der Phraseologieforschung festgestellt, dass es möglich ist, Phraseologismen aufgrund kommunikativ-pragmatischer Kriterien zu klassifizieren. Gleichzeitig wurde jedoch auch konstatiert, dass die meisten Phraseologismen hinsichtlich ihrer funktionalen bzw. pragmatischen Einsetzbarkeit nicht festgelegt sind, sondern dass es sich um pragmatisch neutrale Konstruktionen handelt. (Burger/Buhofer/Sialm 1982, 41) Die “Unschärfe” der Phraseologismen macht sie auch vielseitig einsetzbar. An anderer Stelle wird ergänzt, es sei eine aufwändige Arbeit die wichtigsten möglichen Funktionen in einigen Textsorten zu bestimmen, obwohl eindeutig festgestellt werden kann, dass die Sprachbenutzer gewisse Textsorten mithilfe der Phraseologismen identifizieren können (ebd., 109; Burger 1983, 33). Fleischer (1987) hat auch früh die Textsortenabhängigkeit des Gebrauchs von Phraseologismen und den Bedarf an Untersuchungen unterschiedlicher Korpora unterstrichen. Er hat sich ebenso mit der von Burger/Buhofer/Sialm (1982) aufgeworfenen Frage nach den Funktionen der Phraseologismen im Text befasst. Er nimmt von der Aufteilung der Phraseologismen in Untergruppen, denen bestimmte Funktionen zugewiesen werden können, Abstand. Stattdessen sieht er die komplexe Frage aus einer etwas differenzierteren Perspektive und meint, dass es relevant sei, das Zusammenspiel der Funktionen von z.B. Wortbildungskonstruktionen und Phraseologismen zu beachten und sich auch dafür zu interessieren, welche Funktionen Phraseologismen nicht übernehmen können. (Fleischer 1987, 52) Interessant sind nicht nur das Vorkommen und die Funktionen von Phraseologismen z.B. in Fachtexten, sondern auch, inwiefern diese sich intersprachlich unterscheiden.
Es scheint deutlich, dass die Selektion von Phraseologismen bzw. freien Wortverbindungen mit Aspekten der Textbildung in Zusammenhang steht und dass die vom Inhalt und von der Textsorte vorgegebene Strukturierung noch einzelsprachlichen Entscheidungen einen Spielraum lässt. (Rothkegel 1989, 377) 2.1. Stilistische Funktionen, Ritualität und potenzielle Funktionen Sandig (1989) hat verbale Idiome (idiomatische verbale Phraseologismen) auf ihre stilistischen Funktionen hin untersucht. Sie hat sich dabei ausdrücklich für bestimmte Textsorten interessiert und darauf aufmerksam gemacht, dass statistische Aussagen für einzelne Textsorten wegen der sparsamen Verwendung von Phraseologismen nicht immer aussagekräftig sind. Relevant ist die Frage nach der Rolle der Phraseologismen im Rahmen der Handlungsstruktur der Textsorte. Sandig hat Zeitungsglossen untersucht, aber versucht, die Ergebnisse im Hinblick auf generelle stilistische Funktionen von Phraseologismen zu verallgemeinern. In diesem Zusammenhang hat sie festgehalten, dass die Phraseologismen der Themen- und Handlungsstrukturierung, der Sachverhaltsdarstellung und der Beziehungsgestaltung dienen können. Weitere Möglichkeiten sind die Funktionen der Selbstdarstellung sowie der Adressatenberücksichtigung. Sie meint außerdem, dass bei idiomatischen Phraseologismen die Einstellungsfunktion wohl immer vorhanden ist. (ebd., 394f.) Diese Funktionen werden auch in weiteren Untersuchungen erwähnt, obwohl es sich zum Teil um andere, jedoch meistens um journalistische Textsorten handelt. Die besonderen Funktionen der Phraseologismen in kommentierenden Artikeln in der Presse werden auch deutlich, wenn die Phraseologismen nach Wortfeldern oder Begriffsgruppen klassifiziert werden. Eine Aufteilung auf die Großfelder bei Schemann (1989) ergibt eine ausgesprochen klare Dominanz des Feldes ‘Stellung zur Welt’, während eine Aufteilung auf die Begriffsgruppen von WehrleEggers (1993) eine entsprechende Dominanz der Gruppe ‘Gebiet des Wollens’ ergibt (Skog-Södersved 1993, 246; 248). In meinungsbetonten Pressetexten können noch spezialisiertere Funktionen von Phraseologismen vorkommen, was eine Untersuchung von Fix (1994), die sich mit der Gleichförmigkeit und Formelhaftigkeit von Texten des offiziellen Verkehrs in der DDR auseinander gesetzt hat,
271
21. Phraseologismen in den Printmedien
zeigt. Die von ihr untersuchten Phraseologismen (“Phraseoschablonen”) besitzen eine Struktur mit semantischem und pragmatischem Wert. Die untersuchten Konstruktionen haben eine Modellbedeutung, die einer rituellen Funktion dient. Indirekt werden die Ergebnisse von Fix von einer früheren Untersuchung unterstützt, in der festgestellt wird, dass Zeitungstexte der DDR einen überhöhten Anteil der in politischen Zeitungstexten häufig vorkommenden Nominationsstereotype enthalten (Gustafsson/Piirainen 1985, 127), was auch zur Gleichförmigkeit und Formelhaftigkeit beiträgt. Das Mittel der Ritualität ist ein Mittel der Handlungsnormierung. Die Phraseologismen sollen u.a. harmonisieren, beschönigen oder verschleiern, aber auch Nachdrücklichkeit erzeugen und einschleifend wirken. Es kann gegebenenfalls schwierig sein, Phraseologismen enthaltende Aussagen in Frage zu stellen. Auch wenn vor allem Pressetexte häufig untersucht und die Funktionen der darin auftretenden Phraseologismen mehr oder weniger direkt analysiert wurden, sollte die Funktionscharakteristik der Phraseologismen noch weiter differenziert werden (vgl. Fleischer 1987, 54f.). Fleischer weist auf die Untersuchungen von Koller (1977) hin, die wohl am häufigsten erwähnten in Bezug auf die Funktionen der Phraseologismen in der Pressesprache. Koller (1977, 69) zieht es vor, von potenziellen Funktionen der Phraseologismen zu sprechen, denn erst der Kotext/Kontext entscheidet, welche Funktion jeweils realisiert wird. Er nimmt eine wichtige Aufteilung vor, indem er zwischen den Funktionen von Phraseologismen in Bezug auf die von ihnen bezeichneten Sachverhalte, Situationen und Handlungen und denen in Bezug auf die Sender und Empfänger unterscheidet. Auf die letzteren geht er in seiner Analyse näher ein. Für Texte der politischen Berichterstattung in der Presse weist Koller darauf hin, dass bestimmte Phraseologismen (er verwendet den Terminus “Redensarten”) nachweisbar die Funktion erfüllen, Erfahrungen und Erfahrungsinterpretationen zu zementieren (vgl. die von Fix 1994 festgestellte rituelle Funktion). Es handle sich um eine “in festen Formeln geronnene Ideologie” und er nennt die für diese Funktion eingesetzten Phraseologismen “Ideologeme” (ebd., 125). Mit den Funktionen in der politischen Rede haben nach Koller (ebd., 138ff.) die Phraseologismen in der politischen Berichterstattung die Übertra-
gungs-, Anbiederungs-, Vereinfachungs-, Argumentationsersparungs-, Unschärfe- und Anschaulichkeitsfunktion gemeinsam. (Die Bezeichnungen der Funktionen können kaum als neutral gewählt betrachtet werden. Vgl. Burger 1987, 11.) Die Bedeutung der Textsorte für die Funktion der Phraseologismen wird auch von Koller (1977, 147f.) aufgegriffen. Gerade am Beispiel der politischen Berichterstattung wird festgestellt, dass ein Phraseologismus, der primär in einer anderen Textsorte zu finden ist, stark emotionalisierend wirken kann (vgl. auch Duhme 1991, 156). In Pressetexten aus dem politischen Bereich tragen die Phraseologismen oft zu einer Personalisierung der Vorgänge bei. 2.2. Argumentation und Manipulation Die schon erwähnten Anschaulichkeits- und Argumentationsersparungsfunktionen werden von Burger (1987) in Bezug auf die Funktionen von Phraseologismen in Massenmedien näher behandelt. Für das von ihm, dem Korpus von Koller (1977) entsprechende, eingesehene Material unterstreicht Burger, dass Phraseologismen in Massenmedien nicht generell als manipulativ zu charakterisieren sind. Außerdem hebt er noch einmal die Unterscheidung zwischen den semantischen Eigenschaften der Phraseologismen und ihren Funktionen in bestimmten Texten bzw. Textsorten hervor. Diese Unterscheidung scheint überhaupt das verbindende Element in den Diskussionen der Funktionen von Phraseologismen in den Printmedien zu sein. Allgemein akzeptiert ist die Bedeutung des Kontexts bei den pragmatischen Funktionen, was sich auf keinen Fall nur auf geschriebene Texte beschränkt (vgl. Coulmas 1981). Burger (1987) versucht anhand seines Materials zu zeigen, dass dieselben Phraseologismen sogar in ganz entgegengesetzten Funktionen eingesetzt werden können, was wiederum der gelegentlich angenommenen Eigenschaft der Phraseologismen, von vornherein bestimmte Funktionen erfüllen zu können, widerspricht. Die Erklärung der gegensätzlichen Funktion liege in der Semantik begründet. Burger (ebd., 16ff.) vertritt die Ansicht, dass seriöse Journalisten Phraseologismen keineswegs zufällig einsetzen, dass diese nicht nur für die ganze Struktur des Textes von Bedeutung sind (vgl. Fix 1994), sondern dass sie es den Journalisten auch ermöglichen, zu einem gewissen Grad ihre persönlichen Meinungen und Wertungen zu vermitteln. Es dürfte außer
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VII. Phraseme in einzelnen Text- und Gesprächssorten/Set phrases in types of texts and conversation
Zweifel stehen, dass journalistische Texte durch einen stärkeren expressiv-emotionalen Charakter geprägt sind als z.B. wissenschaftliche Texte. Die Emotionalisierung auch fachtextsortenspezifischer journalistischer Texte mithilfe von Phraseologismen wurde schon empirisch festgestellt (s. Duhme 1991, 157). Die oft erwähnte Expressivität von Phraseologismen kann verwendet werden, sowohl um Emotionen beim Empfänger zu erwecken als auch um die Emotionen des Textproduzenten auszudrücken. Dieser kann jedoch Phraseologismen auch mit dem Ziel einer bewussten Selbstprofilierung verwenden. Die Phraseologismen erfüllen rhetorische Aufgaben in der Presse, aber sie sind also nicht per se manipulatorisch, sondern sie werden in Zeitungen/ Textsorten der Zeitungen unterschiedlich verwendet (Burger 1987, 22). Eine auch in den Printmedien vorkommende Erscheinung, die jedoch einen Randbereich der Phraseologie ausmacht, die Antisprichwörter, erfüllen auch Funktionen der Deutungen und Wertungen. Es könnte in diesem Fall behauptet werden, dass sie der Beeinflussung der Empfänger, wenn nicht sogar der Manipulation dienen (Mieder 1998, VIII). Auch hier handelt es sich um das bewusste Einsetzen eines sprachlichen Mittels, damit eine beabsichtigte Wirkung in einem besonderen Text/einer Textsorte erzielt werden kann. An anderer Stelle sind die argumentationsspezifischen Leistungen der Phraseologismen im politischen Bereich untersucht worden, wobei festgestellt wurde, dass sie vornehmlich sprachliche Handlungen qualifizieren, Sachverhalte typisieren oder bewerten sowie übergeordnete Handlungen begründen bzw. rechtfertigen (Lüger 2001, 70f.). Besonders in Textpassagen, in denen nach Fakten oder Argumenten eine Konklusion erfolgt, werden (satzwertige) Phraseologismen eingesetzt. Sie können auch der Verbindung von Argumenten und Konklusionen dienen (Lüger 1999, 227). Die pragmatische Funktion der Unterstützung einer Argumentation wird von Fleischer (1997, 220) ebenso erwähnt. 2.3. Textkonstitution und Aufmerksamkeit durch Modifikation In Medientexten ist die textkonstituierende Funktion der Phraseologismen von großer Bedeutung. Sie können in der Schlagzeile vorkommen, besonders substantivische Phraseologismen, und sie können, vor allem im Kommentar, einen Rahmen des Textes bilden,
indem sie ganz bewusst eingesetzt werden (vgl. Burger 1999, 79ff.). Für viele journalistische Texte gilt jedoch, dass die Schlagzeile und der Haupttext nicht von derselben Person stammen. Wenn Phraseologismen nicht nur z.B. im Titel und Schlussteil eines Artikels, sondern auch in unterschiedlicher Form und thematisch einheitlich im Rest des Textes vorkommen, haben sie in gewissem Sinne sowohl eine kohäsions- als auch eine kohärenzstiftende Funktion (vgl. Lüger 1999, 191). Sie bilden den Ausgangspunkt von Wiederaufnahmen, die nicht in Form von direkter Wiederholung eines ganzen Phraseologismus, sondern durch das Wiederverwenden in ihm enthaltener Komponenten geschehen kann. Im Schlussteil bilden sie nicht selten einen pointierenden Textschluss (Sabban 2004, 249f.), oder sie tragen dazu bei, der vorangegangenen Argumentation eine gewisse Allgemeingültigkeit zu verleihen. In journalistischen Kommentaren dienen sie zweifellos der Textstrukturierung bzw. Ablaufregulierung (vgl. Lüger 1999, 190ff.). Bei der Verwendung von Phraseologismen in Pressetexten ist zwischen markierter und unmarkierter Verwendung zu unterscheiden. Während die unmarkierte Verwendung beim Leser kaum Aufmerksamkeit erregt, werden bei markierter Verwendung die Phraseologismen bewusst eingesetzt und können fokussiert werden, und so eine Art Isotopie bilden, als Wortkette genutzt werden und wörtlich gemeint sein oder formal modifiziert werden. Diese Verwendungsweisen tragen zur Beschaffenheit der Texte und zur Realisierung ihrer Funktionen bei. Sie machen einen Teil der Textgestalt aus. (Sabban 2004, 239ff.) Interessant ist die Bemerkung von Burger (2004, 26f.), dass modifizierte Phraseologismen an ihrem “dispersen” Publikum vorbeigehen können, was in der Praxis bedeutet, dass sie nicht die im Text beabsichtigte Funktion erfüllen, sondern eher einen anderen, unerwünschten Effekt, z.B. ein Erschweren des Verstehensprozesses, bewirken. Andererseits ist wohl zum Teil damit zu rechnen, denn die Individuen des Publikums eines Massenmediums verbindet wenig Gemeinsames, außer dass sie einem bestimmten Medium zugewandt sind (vgl. Burger 2005, 5). In Sparten der Presse, die ein weniger disperses Publikum haben, wie z.B. die Leitartikel, können die Redakteure eher davon ausgehen, dass auch modifizierte Phraseologismen verstanden werden und die beabsichtigte Aufmerk-
21. Phraseologismen in den Printmedien
samkeit erregen. Für die Leitartikel überregionaler deutschsprachiger Tageszeitungen konnte festgestellt werden, dass mehr als zehn Prozent der idiomatischen Phraseologismen modifiziert sind und dass neben diesen noch viele lexikalische Varianten verwendet werden. Vorwiegend werden substantivische Phraseologismen modifiziert. (Skog-Södersved 1993, 200ff.) Das Vorkommen von modifizierten Formen in Pressekommentaren verteilt sich auch ungleichmäßig auf die unterschiedlichen Klassen von Phraseologismen. Besonders oft sollen feste Wortverbindungen in der phraseologischen Peripherie, z.B. satzwertige Phraseologismen, modifiziert werden. Eine Erklärung hierfür sei der Wunsch, nicht den Eindruck entstehen zu lassen, dass der Journalist zugunsten abgegriffener Formeln auf eigene Formulierungen verzichten würde. (Lüger 1999, 214ff.) Fleischer betrachtet die nicht nur in der Sachprosa ausgenutzte Variabilitätspotenz der Phraseologismen sogar als einen “Variabilitätsfaktor par excellence auf der lexikalischen Ebene” (Fleischer 1997, 25). Die Bedeutung der Textsorte spiegelt sich nicht nur im Vorkommen der Phraseologismen überhaupt wider, sondern auch darin, ob sie modifiziert sind oder nicht. In meinungsbetonten Texten wie Leitartikeln und Zeitungskommentaren kommen wie erwähnt relativ viele modifizierte Phraseologismen vor, die zur Realisierung der kommentierenden Funktion beitragen (Sabban 2004, 245f.). Die Unterscheidung zwischen nicht modifizierten Phraseologismen, lexikalisierten Varianten und modifizierten Phraseologismen ist ohne weiteres relevant (vgl. Skog-Södersved 1993, 200), wenn es sich um die Realisierung von Funktionen handelt. Dass gerade meinungsbetonte Texte reich an Phraseologismen sind, dürfte auch oft genug nachgewiesen sein (vgl. Burger 2003, 161). Die bloße Feststellung der Häufigkeit der Phraseologismen in gewissen Textsorten der Printmedien sagt jedoch wenig über ihre genaue Funktion in der betreffenden Textsorte aus. Die Häufigkeit soll auch auf einzelne Klassen von Phraseologismen bezogen werden. Ihre Funktion an bestimmten Orten im Text ist immerhin recht eindeutig. Ein gutes Beispiel sind die in Schlagzeilen der Presse verwendeten Phraseologismen, die nicht nur den Inhalt kondensieren, sondern auch gezielt der Funktion dienen, Aufmerksamkeit zu erregen. Es werden vor allem metaphorische Konstruktionen verwendet. (ebd., 149f.; 161)
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Gerade um den Leseanreiz zu erhöhen, werden im Titel nicht selten satzwertige Phraseologismen eingesetzt. Die lesewerbende Wirkung kann u.a. dadurch zustande kommen, dass der Bezug zum Thema nicht eindeutig erscheint, denn aufgrund der Unbestimmtheit der Phraseologismen sind sie für unterschiedliche Inhalte geeignet. Die Vagheit lässt sich nur durch das Lesen eines Textes beseitigen. (Lüger 1999, 168; 220) 2.4. Bewertung und Beziehungsherstellung Eine andere journalistische Textsorte, in der viele Phraseologismen belegt werden können, sind die Sportberichte. Von den politischen Kommentaren unterscheiden sie sich jedoch stilistisch, obwohl die Phraseologismen auch in diesen Texten u.a. die Funktion erfüllen, die Einstellung des Journalisten zum Vorschein zu bringen, d.h. eine Wertungs- und Bewertungsfunktion übernehmen. Diese Funktion ist von der Textsorte direkt abhängig, denn es sollen sportliche Leistungen kommentiert bzw. bewertet werden. Für Sportberichte wie für andere Sparten in der Zeitung gilt das Muster, dass Phraseologismen an exponierten Stellen von Zeitungsartikeln erscheinen, z.B. in der Überschrift, im Vorspann und am Anfang und Ende eines Textes. Korhonen (1995, 340) erwähnt in diesem Zusammenhang außerdem die Bildzeile. Kennzeichnend für die Sportberichte ist, dass sie häufig Interviews enthalten und dass die Interviewten direkt oder indirekt zitiert werden. Eine daraus resultierende Besonderheit ist das Verwenden verbaler Phraseologismen in Verbindung mit Zitaten als redeeinleitenden Elementen. Der Einfluss der gesprochenen Sprache in diesem Ressort ergibt insgesamt einen höheren Anteil an umgangssprachlichen, oft emotional gefärbten Phraseologismen, die vor allem durch die Zitate in den Text gelangen. Die Grundfunktionen der Phraseologismen in Sportberichten sind das Informieren und Unterhalten, wobei die Unterhaltungsfunktion dominiert. Es gilt jedoch auch für die Sportjournalisten, Aufmerksamkeit zu erregen und Leser zu locken. In den Berichten kann Korhonen (ebd., 347) die von Koller (1977) erwähnte Anbiederungsfunktion finden sowie die Funktion, ein Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen Sportlern, Journalisten und Lesern, d.h. Familiarität, zu schaffen. Eine Art von Festlegung der Beziehung zwischen dem Medium und dem Leser ist nicht nur für die Sportberichte typisch,
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VII. Phraseme in einzelnen Text- und Gesprächssorten/Set phrases in types of texts and conversation
sondern findet sich auch in anderen Sparten der Presse (vgl. Sandig 1989). Es kann eine relative Vertrautheit hervorgerufen, aber auch ein gewisser Abstand betont werden wie im “offiziös wirkenden Nachrichtenstil” (Lüger 1999, 221).
3.
Zusammenfassung
Der besondere Charakter der Phraseologismen eröffnet der Textgestaltung spezielle Möglichkeiten. Die so genannten textbildenden Potenzen der festen Wortverbindungen sind auf unterschiedliche Eigenschaften zurückzuführen, u.a. auf ihre syntaktische Struktur als Wortgruppe und die sich daraus ergebende potenzielle syntaktisch-strukturelle Variabilität. Andere erwähnenswerte Faktoren sind ihre stark entwickelte Synonymik, ihr diffuser Bedeutungscharakter sowie ihre Bildlichkeit. Die genannten Eigenschaften sind jedoch nicht bei allen Konstruktionen im gleichen Maße vorhanden. Sie sind vorwiegend bei verbalen Phraseologismen festzustellen, dagegen weniger kennzeichnend für die in den Massenmedien häufig vorkommenden, wenig idiomatischen Nominationsstereotype und die strukturfesten kommunikativen Formeln. (Fleischer 1997, 213ff.) Die pragmatischen Funktionen, die Phraseologismen in der geschriebenen (und gesprochenen) Sprache erfüllen können, sind jedoch nicht ausschließlich mithilfe fester Wortverbindungen zu erreichen, sondern auch andere Mittel stehen zur Verfügung. Viele der pragmatischen Funktionen sind immerhin gerade in der Presse anzutreffen, z.B. wird immer wieder das Indizieren der emotionalen Einstellung des Senders erwähnt (so auch bei Fleischer 1997, 218f.). Andere Funktionen sind das Ausdrücken von Ironie bzw. von ironischer oder scherzhafter Distanzierung des Senders. Phraseologismen werden auch mit euphemistischer Wirkung verwendet, was zur Verharmlosung gewisser Sachverhalte führen und folglich eher manipulativ eingesetzt werden kann. Obwohl die Phraseologismen auch etliche andere pragmatische Funktionen erfüllen können, führen die funktionalen Stiltypen der Kommunikationsbereiche zu Verwendungsbeschränkungen. (ebd., 219ff.) In den oft unter großem Zeitdruck verfassten Texten der Printmedien ist die zeitsparende Funktion der Phraseologismen nicht zu unterschätzen. Andererseits wird es schon deutlich geworden sein, dass die Verteilung der
Phraseologismen auf die Textsorten der Zeitungen unterschiedlich ist und dass der Grad der Konnotiertheit der verwendeten Phraseologismen nicht nur von der journalistischen Textsorte abhängig ist, sondern auch vom Typ der Zeitung. Die stilistische Markiertheit der Phraseologismen in Boulevardzeitungen dürfte sich durchschnittlich von der in einem seriösen Magazin oder einer renommierten überregionalen Tageszeitung deutlich unterscheiden. Nicht nur die Art der Phraseologismen sondern auch ihre Verwendung können sich vom Typ des Presseorgans abhängig wesentlich unterscheiden (vgl. Burger 1999, 78), aber sie können trotzdem auch ähnliche Funktionen erfüllen. Hier sind andererseits aber auch die textsortenspezifische Unmarkiertheit (Fleischer 1997, 264) vieler Phraseologismen sowie die Tatsache, dass zwischen den phraseologischen Teilgruppen Frequenz- und Distributionsunterschiede vorliegen können, hervorzuheben (ebd., 266).
4.
Literatur (in Auswahl)
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Mariann Skog-Södersved, Vaasa (Finnland)
22. Phraseme in audiovisuellen Medien 1. 2. 3. 4.
Forschungsstand Radio Fernsehen Literatur (in Auswahl)
1.
Forschungsstand
Den Forschungsstand mag ein Zitat von Elspaß (1998, 26) verdeutlichen, das auch und besonders für den Untersuchungsbereich der traditionellen audiovisuellen Medien Radio und Fernsehen Gültigkeit hat: “Arbeiten, die von einem geschlossenen Textkorpus als Materialbasis und empirischem Kontrollinstrument ausgehen, sind in der Phraseologieforschung [...] immer noch die Seltenheit.” Den ersten empirischen Vorarbeiten im “Hand-
buch der Phraseologie” (Burger/Buhofer/ Sialm 1982) und den daraufhin publizierten Arbeiten von Burger (1984, 1987 usw.) folgten nur recht wenige korpusgestützte Studien mit dem Ziel der Hypothesengenerierung. Burger selbst spricht an einer Stelle von “Thesen, die der Absicherung an einem größeren Material bedürfen” (1999, 72), und fordert solche Arbeiten ein, die den Empiriemangel der phraseologischen Forschung beheben. Die Medienspezifik – etwa die medial bedingten Mittel der Gesprächssteuerung im Radio, die Wahrnehmungseinschränkung durch die Kameraführung im Fernsehen (vgl. weiter Burger 2001a) – sollte hierbei stärker berücksichtig werden; häufig wird die Datengewinnung ohne Reflektion solcher Aspekte
276
VII. Phraseme in einzelnen Text- und Gesprächssorten/Set phrases in types of texts and conversation
vorgenommen oder die Nutzung von Fernsehsendungen sogar als “adäquate Lösung des Labovschen Beobachterparadoxons” (Jahnel 2000, 14) explizit begründet. Fernsehen ist ein Medium mit relativ schnell wechselnden Formaten, was an der Entwicklung der Daily Talks gezeigt werden kann. Sie haben deutsche Fernsehgeschichte geschrieben, auch weil sie ‘normalen’ Menschen und Sprachteilhabern den Zugang zu den Medien ermöglicht haben, allerdings hat ihre “Historisierung” (Gerhards/Möhrmann 2002, 11) bereits eingesetzt. Mit den Gerichtsshows ist ein neuer Typ von Mediengespräch entwickelt worden, der Fachsprachlichkeit und Alltagssprachlichkeit zusammenbringt – ein neuer, reizvoller Gegenstand für die phraseologische Forschung.
2.
Radio
Es gibt nur sehr wenige Untersuchungen im Bereich der Phraseologie, die sich mit Frequenz, Distribution in unterschiedlichen Textsorten und Medienspezifik ihrer Verwendung im Radio befassen. “Das Handbuch der Phraseologie” (1982) ist auch hier, wie zu anderen Fragestellungen, Impulsgeber. Seine Autoren analysieren mehrere Radio-Sendeformate wie Nachrichten, Kommentar, Magazin und Talkshow und kommen sowohl zu quantitativen (Frequenz von Phraseme, Anteile der einzelnen Kategorien ihrer struktursemantischen Mischklassifikation) als auch texttypbezogenen Aussagen: Danach sind beispielsweise Kommentarsendungen durch verbale und nominale Phraseme sowie auffällig viele feste Phrasen, Sprichwörter und Gemeinplätze charakterisiert; sie dienen eindrücklicher Schilderung (150) und der “Rhetorik” (153). Festzuhalten ist, dass sich für unterschiedliche Texttypen eine “Konfiguration dominanter phraseologischer Merkmale [...] [erstellen läßt, die ein] klares differentielles Merkmal” (152) darstellt. Eine quantitative Zusammenstellung ist, so die Autoren, in künftigen Untersuchungen durch die eingehende Analyse der Funktionen zu ergänzen. Recht spät, dazu noch an versteckter Stelle, kommen die ersten Angaben zur Frequenz von Phrasemen in der Radiowerbung; Grassegger erwähnt eher nebenbei einen Anteil von rund 6 Prozent “Redensarten” (1989, 153), die er in seinem Korpus vorfindet. Burger kommt in seiner Replik allerdings zu dem Schluss, “daß für die gesamte Werbesprache
ein äußerst hoher Anteil an Phraseologie zu registrieren ist” (1991a, 16) und die Festigkeit der Wortverbindung – und eben nicht die Semantik des Phrasems – textkonstituierend wirkt. Seine Vermutung nach Durchsicht einer Stichprobe, dass “eher noch mehr Phraseologismen verwendet werden” (15) als in der Fernsehwerbung, belegt er in vorläufiger Weise durch Verweis auf produktive phraseologische Modelle, die anspielungsreich mit “Leerstellen” arbeiten (15f.). Grasseggers Zählung beruht noch auf einer traditionelleingeschränkten Auffassung von Phrasem, die um sehr viele, neuere Kategorien zu erweitern ist; auf die Replik von Burger (1991a) wird noch im Fernseh-Kontext des Kapitels 3.3 zurückzukommen sein. Mit Hemmi (1994) liegt der erste umfassende intermediale Vergleich von Werbetexten hinsichtlich Distribution und Medienspezifik der Verwendung von Phrasemen vor. Für die Radiowerbung “zeigt sich auf krasse Weise ein übermässiger Phraseologismeneinsatz” (65). Routineformeln haben die Funktion, eine direkte Ansprache zu ermöglichen und spontane Alltagsgespräche zu simulieren, in Werbeslogans positionierte Modellbildungen sind ebenfalls charakteristisch für gesprochene Sprache und fördern durch ihr syntaktisches Schema das Memorieren der Werbebotschaft, verbale Phraseme sollen zu visuellen Vorstellungen anregen, die in Anzeigen- und Fernsehwerbung durch Text-Bild-Kopplung realisiert werden können. Modifikationen treten in der Radiowerbung, bedingt durch die erschwerte Rezeptionsbedingung der Flüchtigkeit des Wortes, weniger häufig und mit niedrigerem Komplexitätsgrad auf – was zu rezeptionserleichternden Wiederholungen als einem weiteren Kennzeichen des PhrasemEinsatzes führt. Földes/Hécz beschäftigen sich mit der Phraseologie der ungarndeutschen Radiosprache, mithin dem Sprachgebrauch einer Minderheitensprache in “Sprachinsellage” (1995, 9). Im Vergleich zu binnendeutschen Sendern finden sich deutlich weniger Phraseme in ihrem Korpus, allerdings sind Positionierung und Funktion der Phraseme medienspezifisch, wie ihrer paraphrasierenden Darstellung zu entnehmen ist. Eine interessante, wenn auch vermutlich nicht radiospezifische Beobachtung betrifft den Phrasem-Gebrauch in Sprachkontaktsituationen, der Tendenz zu interlingualer Interferenz mit dem Ungarischen zeigt.
277
22. Phraseme in audiovisuellen Medien
Beck (2004) interessiert die Fußballreportage im Radio, sie stellt den phraseologischen Wortschatz der Fußball- und Reportsprache anhand von Transkriptionen dar, wunderschöne Okkasionalismen (“so harmlos wie stilles wasser”) stehen hier neben fachsprachlichen Termini (“über rechts ... in die mitte”) und idiomatischen Phrasemen (“morten skouba macht den sack zu”). Komparative Phraseme, phraseologische Termini und idiomatische verbale und nominale Phraseme charakterisieren die Reportsprache, die sowohl die Dynamik und Atmosphäre des Fußballspiels als auch fußballtechnische Abläufe phraseologisch umsetzt. Im Interview bestätigt die Sportchefin des Westdeutschen Rundfunks den bewussten Einsatz phraseologischer Mittel: “Das kommt beim Hörer gleich ganz anders an. [...] Studien haben ergeben, dass das bei den Menschen eher hängenbleibt. Deshalb neigen wir dazu.” (Beck 2004, A III, 5) Dass die Reportsprache phraseologisch auffällig ist, belegt ebenfalls die satirische Sammlung “So werde ich Heribert Fassbender” (Gsella/ Lenz/Roth 2002), der Äußerungen des bekannten Fernsehkommentators zugrundeliegen. Insgesamt gesehen gibt es also erstaunlich wenige empirische Studien zur Verwendung von Phrasemen im Massenmedium Radio, die auf größeren Korpora beruhen und die Spezifik des Massenmediums reflektieren. In seinen frühen Arbeiten verweist Burger (1984, 1987) auf medienspezifische Funktionen von Phrasemen in Presse, Radio und Fernsehen wie Rahmung von Argumentation und Sprachspiel, wobei er für das Radio etwa die rezeptionsvereinfachende Verarbeitung abstrakter Zusammenhänge mit Hilfe bildhafter Phraseme nachweist, die “eine Art Gerüst von Anschauung” (1987, 22) schaffen. Diese Anregungen sind in der Folge aber nicht in breiteren Analysen unterschiedlicher Radiotexte aufgegriffen worden. Burger selbst hat in seiner Einführung in die Phraseologie nur dem Fernsehen ein kurzes Kapitel gewidmet, das die Text-Bild-Beziehungen und den spielerischen Umgang mit den Lesarten thematisiert (2003, 159ff.).
3.
Fernsehen
Solange nur recht wenige empirische Untersuchungen vorliegen, die noch nicht grundsätzliche, theoretisch fundierte Beschreibungen der Funktionen von Phrasemen in Mas-
senmedien erlauben, erscheint eine Bezugnahme auf deren Leistungen in spezifischen Sendeformaten als ein Gliederungssystem angebracht. Einzelbeobachtungen wie die von Sternkopf (1998) zur Festigkeit von Begrüßungsformeln in einem heterogenen Korpus von Fernsehsendungen müssten dann systematisiert und eingearbeitet werden. Betrachtet werden zuerst die klassischen Sendeformate Nachrichten, Diskussionen und Werbesendungen, die bereits in den 80er Jahren die Aufmerksamkeit der phraseologischen Forschung fanden. Neuere Sendeformate wie Beratungssendungen und besonders die Daily-Talkshows, zu denen erste empirische Analysen vorliegen, bringen nun stärker die phraseologische Alltagskompetenz unprofessioneller Medienbeteiligter in den Fokus der Forschung, die sich ansonsten gerne an der journalistischen Professionalität des spielerischen Umgangs mit sprachlichen Formeln erfreut. 3.1. Fernsehnachrichten Fernsehnachrichten waren bereits Untersuchungsobjekt im “Handbuch der Phraseologie” (1982). Sprechermeldungen und Filmberichte wurden verglichen, auffälligste Beobachtung war der hohe Anteil an verbalen idiomatischen Phrasemen in den Filmberichten. Hieran anknüpfend analysiert Burger (1999) unter dem Aspekt des Medienwandels seit den 80er Jahren den Gebrauch von Idiomen und Routineformeln in aktuellen Nachrichtensendungen. Er unterscheidet nun Sprechermeldungen, Filmberichte und die Moderationen, die als neue Textsorte hinzugekommen sind. Idiome finden sich sowohl in Hard-news – hier mit den Funktionen, politisches Handeln verständlich zu machen, Akteure zu bewerten und politische Vorgänge zu personalisieren – als auch in Soft-news. Die Tendenz zum Infotainment (Wittwen 1995) ist gleichzeitig eine Tendenz zur Phraseologisierung besonders in Themenbereichen der Soft-news. Die Filmberichte weisen nunmehr semantisch komplexe und sprachspielerische TextBild-Bezüge auf, wobei auf der Textebene die phraseologische Lesart und durch das Bild eine wörtliche Lesart aktiviert wird. Ein “Symptom von journalistischer Professionalität” (105) und ein selbstverständliches, metakommunikativ nur selten thematisiertes Splitting-Verfahren, das zu einer hohen Informationsverdichtung mit komplexen Konnotatio-
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VII. Phraseme in einzelnen Text- und Gesprächssorten/Set phrases in types of texts and conversation
nen führt. “Eine Art rhetorischer Zuspitzung” (92) wird durch Hinzunahme von Inserts erreicht, die nicht-phraseologische Formulierungen in Interviews phraselogisch “übersetzen”. Moderationstexte in den zum Infotainment stärker tendierenden Nachrichtenmagazinen weisen aufgrund ihrer Interpretations- und Bewertungsfunktion eine hohe Idiomdichte auf, und die dort übliche Doppel- bzw. Mehrfachmoderation führt zu einem größeren Variantenreichtum bei den Routineformeln. “Inspiriert” durch Burgers Thesen, analysiert Schlicker (1999, 291) Anmoderationen in öffentlich-rechtlichen und privaten Nachrichtenmagazinen. Basis ihrer Untersuchung ist die These, dass sich die beiden Anbieter in ihren Nachrichtenkonzepten aufeinander zu bewegen (Konvergenz der Programme) und die Nachrichtenpräsentation zunehmend durch Infotainment charakterisiert ist. Die in den Anmoderationen vorkommenden Phraseme gelten ihr als Indikatoren für den “Infotainmentgrad” (297) der jeweiligen Sendung. Nicht erstaunlich ihr Ergebnis, dass die Frequenz von Phrasemen bei den ÖffentlichRechtlichen zunimmt, bei den Privaten aber abnimmt, der Phrasemgrad also konvergiert. Erstaunlich allerdings die Beobachtung, dass entgegen der Vorannahme der Gebrauch von Phrasemen in der Anmoderation zu Hardnews zunimmt und bei beiden Anbietern die Phrasemfrequenz in Soft-news übersteigt; mithin, so ihre Schlussfolgerung, soll auf diese Weise eine Transparenz politischer Themen erreicht werden, da Phraseme der Alltagssprache der Zuschauer nahe sind. Burger sieht allerdings eher die Gefahr der Simplifizierung und konstatiert eine “kaum vertretbare Reduktion von Komplexität” (1999, 78) – Ausgangsüberlegungen also für weitere Untersuchungen, ebenso wie die in beiden Studien gemachten Aussagen zu den verwendeten Phrasemtypen. Geflügelte Worte, (variierte) Sprichwörter, Gemeinplätze und Routineformeln machen das Profil dieser Medientexte aus, Schlicker verweist auf frequente verbale Phraseme, die sie als “nachrichtentypisch” bezeichnet (305). Noch einer Beobachtung Burgers (1999, 73) sollte in Zukunft auch nachgegangen werden: der aus den Nachrichten ausgelagerte Wetterbericht ist, wie jeder Medienkonsument unschwer feststellen kann, zu einer eigenen “Wettershow” geworden, mit reizvollen eigenen – phraseologischen – Eigenschaften.
3.2. Fernsehdiskussionen Kühn legt bereits 1988 eine Analyse von politischen Fernsehdiskussionen vor, die vehement dafür eintritt, diesen Typ massenmedialen Gesprächs nur unter Einbezug ihrer medial bedingten Inszeniertheit zu betrachten; der Überblick von Burger (2001a) belegt aber auch, dass in der Gesprächsforschung Mediengespräche wegen ihrer leichten Zugänglichkeit auch “ohne Berücksichtigung der medialen Spezifik” (1492) immer wieder gerne verwendet werden. Anhand eines Ausschnitts aus einer Gesprächsrunde mit Politikern kann Kühn zeigen, dass Routineformeln nicht nur Textsorten konstituieren, sondern besonders auch durch den (medialen) Kontext semantisch bestimmt werden und als zuschaueradressierte “Polarisierungs-Joker” (Kühn 1988, 171) oder als “Themen-Joker” (172) eingesetzt werden, die die für solche Sendungen “diskontinuierliche Themenentwicklung” (173) kaschieren. Burger (1991b) erweitert den Gegenstandsbereich und betrachtet u.a. die Funktionen von Phrasemen in Diskussionen und Interviews. Klischierte Phraseme in Argumentationen werden mehrfachadressiert eingesetzt, um als Verbildlichungsstrategie Verständlichkeit bei Medienrezipienten zu bewirken und Wertungen zu transportieren, was am Beispiel des Phrasems “Das Boot ist voll” verdeutlicht wird. Einige Metaphern und Phraseme tauchen leitmotivisch immer wieder auf; so aktiviert die Schiffs-Metapher in der Diskussion benachbarte Phraseme, erweitert sie zu Szenarien und kohärenten Clustern (vgl. Dobrovol’skij 1995, 123ff.), mit dem in mündlicher Rede nicht immer erreichten Anspruch, “in jedem Augenblick den Bezug der Bildaspekte zu den gemeinten Denotaten zu kontrollieren” (159). Moderatoren setzen darüber hinaus bewusst umgangssprachliche Phraseme ein, die einmal unpräzis genug sind, um Spielräume bei der Antwort zu eröffnen, andererseits aber auch “als Köder” (165) Konnotationen nahe legen, die erwartbare Reaktionen provozieren. Diese “Sammlung” von Medienereignissen besitzt nun keine “statistische Repräsentativität” (10), formuliert aber Fragestellungen für empirisch umfassende Analysen von Fernsehgesprächen – die bis dato in der phraselogischen Forschung nicht durchgeführt sind. Lernersprachliche und kulturspezifische Charakteristika von Fernsehgesprächen stehen im Fokus der Arbeiten von Jahnel (2000) und Tiittula (2001). Jahnel untersucht Diskus-
279
22. Phraseme in audiovisuellen Medien
sionen in interkulturellen Kontaktsituationen, hier Diskussionen zwischen Journalisten aus mehreren Ländern, mithin zwischen Muttersprachlern und Nichtmuttersprachlern. Sie findet eine Fülle lexikalisch (auch phraseologisch) realisierter Verfahren der Gesprächssteuerung vor: “Einleitungsfloskeln” (Jahnel 2000, 137) wie “also zunächst einmal”, Widerspruchssignale, Modalpartikel-Kombinationen, explizit performative Sprechaktverben mit Konjunktiv (325), Heckenausdrücke (339), explizite Redecharakterisierungen (343), “Standardfloskeln” wie “aber wo kommen wir denn hin, wenn...” (248f.). Sie weist eine weniger frequente oder defizitäre Verwendung durch die Nichtmuttersprachler bei vielen dieser Routineformeln nach, die – vermutlich – imageeinschränkende Glaubwürdigkeitswirkung haben. Muttersprachler dagegen setzen “sprachlich-strategische” Mittel (386), Routineformeln, zur Demonstration von Kompetenz ein, die zu Identifikation mit den Sprechern durch die Rezipienten führt, “da das Publikum eher den Worten derjenigen vertraut, die so klingt wie ‘eine von uns’” (386). Durch “umgangssprachliche, idiomatische Redewendungen” (322) entsteht weiter der Eindruck stärker emotionsgeladener Sprache und damit großer persönlicher Involviertheit bei Muttersprachlern. Problematisch ist der fehlende Bezug zur phraseologischen Literatur, wie ihre Begrifflichkeit zeigt, als auch Annahmen über (fernsehvermittelte) Wirkungen von sprachlichstrategischen Mitteln; mit letzterem steht sie allerdings in der Forschungslandschaft nicht allein, empirische Rezipientenforschung findet bei der Analyse der Wirkungen von Phrasemen in audiovisuellen Massenmedien (mit Ausnahme von Hemmi 1994, 213) nicht statt. Dennoch: ein Ansatz, der Diskursanalyse und Zweitsprachenerwerb und Phraseologie zusammenbringt. Meinungsstreit gehört in Deutschland zum Infotainment, Dissensorientiertheit (und ihre phraseologische Realisierung) wird als weniger problematisch empfunden als in anderen Kulturen – was Lerner des Deutschen kennen und können sollten. Tiitulas Arbeit ist ebenfalls im diskursanalytischen Forschungskontext angesiedelt und beschäftigt sich mit deutschen und finnischen Fernsehdiskussionen als öffentliche Diskussionen, in denen normgerechtes und kulturell akzeptables Verhalten erfassbar ist (Tiittula 2001, 207). Für die Rezeption (und Ausfor-
mung) dieses Medienformats nicht unerheblich ist ihr Hinweis, dass “Streitgespräche in Deutschland einen Unterhaltungswert” haben (225), sie in Finnland dagegen zu den Informationssendungen gehören. Weniger an phraseologischen Fragestellungen interessiert, arbeitet sie Unterschiede in den Argumentationsstilen heraus, die pragmatisch und sprachstrukturell erklärt werden; explizite Widerspruchshandlungen und metakommunikative Äußerungen werden in den beiden Kontexten durch unterschiedliche phraseologische Mittel realisiert. Beide Autorinnen analysieren ihre Gegenstände nicht durchgehend konsequent auf ihre Medialität hin (vgl. aber Jahnel 2001, 43; 361 u.a.), formulieren aber geeignete Ansätze zu einer kulturell-kontrastiven Erweiterung des Spektrums phraseologischer Forschungsgegenstände. 3.3. Werbesendungen Grassegger (1989) führt eine erste Untersuchung zu “Redensarten in der Fernsehwerbung” durch, die die vorherrschende “impressionistische[n] Beobachtung” (153) einer hohen Frequenz von Redensarten in der Werbung durch exakte Analyse ersetzen soll. Die Funktionen von Redensarten werden einleitend den Zielen von Werbung zugeordnet und nicht an den Belegstellen exemplifiziert. Auf lexikalisch-semantischer Basis seiner Kategorisierung – “lose Wortverbindung”, “Redewendung”, “Sprichwort” – findet er diese “Redensarten im engeren Sinne” (153) in seinem Korpus in nur 5 Prozent der Werbespots. In der Beschreibung der Belege weist er darauf hin, dass in der vorliegenden Kombination von Wort und Bild besonders Remotivierung und Literalisierung von Redensarten dominant sind, wobei die literale Lesart vom Bild übernommen wird, sowie Sprichwörter immer kontextbezogen modifiziert sind. In seiner Replik verweist Burger (1991a) auf die “neuen Phraseologismen unserer Zeit” (Hervorh. Burger; 14), Modellbildungen, phraseologische Muster, Gemeinplätze, Routineformeln, die ebenfalls zu berücksichtigen sind. Er diskutiert die textkonstituierende Eigenschaft der Festigkeit, die Phraseme für die Werbung interessant macht: ihre Sprache lebt von der Anspielung, der “Intertextualität”, für die Phraseme prototypisch stehen, was er an Beispielen aus Print-, Radio- und Fernsehwerbung nachweist. Phraseme sind also textkonstitutiv für die Werbesprache,
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VII. Phraseme in einzelnen Text- und Gesprächssorten/Set phrases in types of texts and conversation
wiederum ein Beleg für die “textbildende Potenz” (Wotjak 1992) der Phraseme. Hemmi (1994) kann in ihrem intermedialen Vergleich (Fernsehen – Radio – Zeitschrift) feststellen, dass der prozentuale Anteil der Werbebotschaften mit Phrasemen bei den Fernsehspots am geringsten ist, was sie auf Textarmut und Dominanz des Bildes in diesem Medium zurückführt. Phraseme (Werbesprüche, Modellbildungen, Modifikationen unterschiedlicher phraseologischer Typen) werden rezeptionserleichternd und behaltenssteigernd relativ häufig am Bildschirm eingeblendet, noch dazu akustisch aus dem Off unterstützt, mit einer auffälligen Positionierung am Ende der primär bildlichen Story. Als charakteristische Phrasemtypen benennt Hemmi Werbesprüche, Routineformeln und verbale Mundartphraselogismen; der Kontakt soll am Spotanfang durch Routineformeln hergestellt werden, verbale Phraseologismen sollen dann Vertrautheit und Alltäglichkeit evozieren, und standardsprachlich realisierte Modellbildungen und Werbesprüche sollen am Spotende Seriosität vermitteln (219). Die Anmerkung, dass Hemmi Belege auch in/mit schweizerdeutscher Mundart berücksichtigt (und dies diskutiert, vgl. 145ff.), Grassegger ein Korpus aus der österreichischen Fernsehwerbung bildet und Burger Fernsehspots schweizerischer, österreichischer und westdeutscher Sender zugrunde legt, sei nachgetragen; zeigt sich damit auch, wie der geographische Forschungsstandort Korpusentscheidungen und Fragestellungen (vgl. Hemmi 1994, 161ff.) determinieren kann. 3.4. Untertitel Den übersetzungspraktischen Problemen bei der Untertitelung deutscher Fernseh(krimi)serien, die in Finnland ausgestrahlt werden, geht Korhonen (1998) nach. Aufgrund der vorzunehmenden Kürzungen und des Verzichts auf Charakteristika der gesprochenen Sprache entsteht, anders als bei der Synchronisation, eine “Sprachform, die es außerhalb der Fernsehübersetzung eigentlich nicht gibt” (418). Neben den üblichen sprachkontrastiven Äquivalenztypen sind hier besonders unterschiedliche Komprimierungstechniken zu beobachten, die zu Expressivitäts- und Informationsverlust führen; eine anregende Pilotstudie zur film- und fernsehbezogenen Übersetzung von Phrasemen.
3.5. Beratungssendungen Die medienspezifischen Bedingungen von Beratungsgesprächen im Fernsehen werden von Burger (2001b) herausgearbeitet. Zu den fernsehspezifischen Inszenierungsbedingungen dieses Typs Phone-in zählt er u.a. die sendungseigene Ausgestaltung der Begrüßungsphase, die zeigt, dass “simple alltägliche Rituale zum Problem werden” (315) können, wenn sie doppeladressiert realisiert werden. Phraselogisch interessant sind weiter sprachliche Verfahren der Selbstinszenierung der Beraterin und vor allem eine metaphorische bzw. phraseologische Ausgestaltung ihrer Problembeschreibungen und Lösungsangebote: sie sind zumindest “eines der Mittel, um mit dem im Lauf des Gesprächs wachsenden Zeitdruck fertig zu werden” (325). Das Buch zur Sendung, auf das Burger kurz eingeht, belegt ebenfalls die Bedeutung durchgängig verwendeter Phraseme, “Bilder”, die auch als solche von der Beraterin metasprachlich benannt werden (324) und offensichtlich in ihrem Beratungskonzept eine wichtige Rolle spielen. Die semantische Determiniertheit der phraselogischen Metaphern entspricht – zu ihren Funktionen müssten Anschlussstudien aber noch erfolgen – der medienspezifischen Ausgestaltung solcher Beratungsgespräche, die eben nicht Grundsätze ernsthafter psychologischer Beratung widerspiegeln. 3.6. Talkshows Talkshows unterschiedlicher Typik (vgl. Plake 1999) sind auch aufgrund ihrer “Oralität und Ungezwungenheit” (Löffler 2002, 2329), die alltagsnahes Sprechen und (damit implizit) Phrasem-Verwendung vermuten lassen, unter unterschiedlichen Fragestellungen behandelt worden. Beispielhaft sei auf eine ausführliche Analyse in Burger (1991b, 146ff.) hingewiesen, der diskussionsorientierte Talkshows mit Politik-Themen und professionellen Gesprächsteilnehmern untersucht. Die meisten Autoren haben sich in der Folge mit den so genannten Daily Talks, die in den 90er Jahren sehr erfolgreich sind, und ihrer ‘Sprache’, nicht aber mit Einsatz und Funktion von Phrasemen beschäftigt: Tholen (2001) deutet lediglich “Sprachmuster” (37) und “beredsame[s] wie leere[s] Sprechen” (41) an, Cölfen (2003) versteht unter “sprachlichen Formen” (210) Sprecherwechsel und Kommunikationsformen (Interview, Statement), und Glahn (2004) verweist hinsichtlich “sprachlicher [...] Auffälligkeiten” (1) auf den
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22. Phraseme in audiovisuellen Medien
fehlerhaften Gebrauch des Deutschen in Syntax, Lexik und Wortbildung. Die durchaus reizvolle und plausible, aber empirisch nicht belegte Grundthese lautet, dass sich die Menschen “mit ihrem gewohnten Sprachverhalten selbst darstellen”, sie “reden und handeln [...] so, wie sie es aus dem Alltag gewohnt sind” (Mikos 2002, 66). Mit Daily Talks und den in ihnen verwendeten “vorgeformten Sequenzen” bzw. “Phraseologismen” beschäftigen sich auf breiter empirischer Basis Schmale (1999, 2001) und Pieper (1999, 2002). Für diesen Typ Talkshow gelten die Charakteristika, die Bente/ Fromm (1997) für das Genre “Affektfernsehen” formulieren: Personalisierung durch Teilnehmer und Moderator, Authentizität der Erlebnisse unbekannter Personen, Intimität als Thema und Emotionalisierung als medientechnisches Mittel der Präsentation; ein, wie es Tholen (2001, 31f.) treffend benennt, “Amalgam aus therapeutischen, pädagogischen und religiösen Diskursfragmenten”, statt als “Infotainment” (Wittwen 1995) nun genauer als “Emotainment” (Klemm 1996) bezeichnet. Schmale geht von der Beobachtung aus, dass die Mehrzahl der eingesetzten – idiomatischen – Phraseme in Talkshow-Gesprächen verhandelt werden, auf sie Bezug genommen wird, sie bewertet oder kommentiert werden, mithin konversationsanalytisch auffällig sind; nur diese “ausgehandelten” (Schmale 1999, 161) Phraseme werden funktionsbezogen analysiert (Beispiele aus Schmale 2001; M = Moderator/in, G = Gast; vereinfachte Transkription): (Auto-) und Hetero-Rephrasierungen
M schade eigentlich sechs jahre wars der mann ihrer träume obwohl der immer auf ihrer tasche lag und dann haben sie (den) in die wüste geschickt G dann hab ich ihn in die wüste geschickt
Paraphrasen
(1) G ich lieb ihn aber ich kann ihn ja auch nich festhalten ich kann ihn ja nich in ketten legen (2) G das kann ich nich beurteilen ich sag nur jedem tierchen sein plaisierchen jeder soll so leben wie er es für richtig hält (3) M dann würd ich aber sagen rolf und auch sandra dann müßt ihr irgendwann mal klar tisch machen ihr müßt einmal n klärendes gespräch führen weil so kanns nich weitergehn
Metadiskursive Behandlung (1) M dann sacht man ähm schlechtes gewissen is nich n gutes ruhekissen (2) M jetz is es ja so man kann überhaupt nich glauben dass man in einer ehe fünfzehn jahre lang es nich mitbekommen kann dass jemand ja ich sag jetz mal ne leiche im keller hat einfach drogen nimmt
Wortspiele
M G M G M G M G
und äh hatten sie schmetterlinge im ähm später später ah doch so nach einer stunde kamen die doch die schmetterlinge ja mehr so motten nachtfalter oder zitronenfalter nein relativ groß
Nonverbalia und konversationelle Behandlung von Phrasemen
(1) G die beharrn dann aber auf der meinung auch das das (Geste mit der rechten Hand, die er von links nach rechts in Stirnhöhe führt; Ausführung der Geste bis +) steht mir hier oben+ (2) G also ich sag ihnen ehrlich mir is (ausladende Kreisbewegung mit beiden Händen und Armen von innen nach außen) so ein stein+ von meinem herzen gefallen
Als Funktionen benennt Schmale, neben Äußerungsökonomie, Argumentationsverstärkung, Reziprozitätsherstellung in den Rephrasierungen, Expressivität und Implikationsreichtum in den Paraphrasen. Die Präferenz für Phraseme zeigt sich auch in der nichtphraseologischen Paraphrase, die erst nach dem Phrasem “jedem Tierchen sein Plaisierchen” eine kontextbezogene Explikation folgen lässt. Er deutet an, dass eine Erwartbarkeit von Phrasemen in spezifischen konversationellen Konstellationen besteht, wenn Szenarien abgearbeitet werden (1999, 169) – auf die Bedingungen von Mediengesprächen in Talkshows wird dieser Ansatz insofern übertragen, als deren Teilnehmer versuchen, selbstdarstellerisch möglichst eloquent und originell zu erscheinen; Modifikationen und Kontaminierungen (“klar Tisch machen”) eingeschlossen. Dies gilt in besonderem Maße für die Moderator/inn/en, die oft idiomatische Phraseme vorgeben. Pieper geht von der These aus, dass gerade in Daily Talks die “Kommunikation am nächsten an Alltagssprache heranreicht” (2002, 288f.), und weist für ihr Korpus eine starke
282
VII. Phraseme in einzelnen Text- und Gesprächssorten/Set phrases in types of texts and conversation
Ähnlichkeit mit den bei Burger/Buhofer/ Sialm (1982) untersuchten Familiengesprächen nach. In der quantitativen Analyse arbeitet sie ein “phraseologisches Textsortenprofil für Talkshows” (Pieper 2002, 292) heraus, das durch situationsspezifische und idiomatisch-verbale Phraseme gekennzeichnet ist; die qualitative Analyse ergibt mannigfaltige pragmatische Funktionen der situationsspezifischen Phraseme wie auch markante Beobachtungen zu Themenbehandlung und Moderatorenrolle an Beispielen der idiomatischen Verbalphraseme. Die Moderator/inn/en setzen häufig Phraseme an interaktionsrelevanten Positionen ein, Teilnehmer nehmen sie auf: M ja aber wie muß ich mir das denn vorstellen kauft man denn nicht dann die katze im sack (Gelächter im Publikum) G ich find die frage sehr verständlich aber auf der anderen seite muß man sich auch überlegen auf was wird denn bei uns der schwerpunkt heute gesetzt ist es nur weil ich ne frau vorher sexuell nicht kennengelernt hab daß ich nichts von ihr kenne oder nichts von ihr weiß mir sind andere dinge wichtiger (10 sek; zählt auf) da hab ich doch keine katze im sack G ich denk doch wie gesacht ihr frauen seid doch genauso reizvoll ohne reizwäsche M hand aufs herz G es is auch keine reizwäsche M hand aufs herz deine eigene frau würdest du nicht gerne mal in reizwäsche sehen G nö brauch ich nich M hand aufs herz G hand aufs herz M nimmst du ihm das ab G2 nein auf keinen fall
Es gibt offensichtlich eine Präferenz für Phraseme, selbst bei mangelnder Beherrschung: G wenn ich das hör geht mir die hutschnur auf wenn ich was zu sagen hätte weißt du was ich machen würde M weil wir gerade dabei sind hutschnur äh platzen ich glaub meinem gast hier hinter der tür platzt schon die hutschnur herzlich willkommen brigitte G2 also ich muß erstmal zu dir mit der brille sagen du kennst bestimmt den spruch lehrjahre sind keine herrenjahre
Die alltagssprachliche Bewältigung von Talkshow-Themen erfolgt mit Hilfe von Phrasemen, die ein Szenario konstituieren: Thema der Sendung “Du liegst mir auf der Tasche” (Pilawa)
von nix kommt nix – man muß halt nehmen was kommt – arbeitslosigkeit ist keine schande – wenn jeder so denken würde – aus seinem leben etwas machen – über die runden kommen – luftschlösser haben – einen riegel vorschieben – keinen bock mehr haben – die nase/schnauze voll haben – es fliegen die fetzen – vor die tür setzen – am boden zerstört sein Phraseme sind auch in diesem Kontext hervorragend geeignet, intime Themen flüssig zu behandeln oder Affekte zu verbalisieren: (1) M G
kann man den noch mal operieren ja ich hab nochn sogenannten polstar den könnte man noch operieren aber ich habe erst mal die nase voll
(2) G
ja könnte man so sagen das erste mal und gleich geklappt ah wirklich das erste mal gleich das erste mal is aber auchn pech tschuldigung
M G M (3) M
andrea also da hast du vollkommen recht also da muß man natürlich auch diese leute die im drumherum sind das soziale familiäre netz muß greifen trotz allem und jetzt bin ich mal wirklich sehr moralisch wieder wenn ich so erwachsen bin und ich weiß schon was sexualität ist und ich kann das ausleben nach strich und faden dann hab ich auch selber verantwortung zu tragen
Es ließe sich schnell zeigen, dass zwar Problemlösungen nicht angestrebt werden, dass letztendlich aber – und der/die Moderator/in übernimmt die Rollen des/der Verführenden wie auch des/der Vorführenden – gesellschaftliche Normen auch nicht in Frage gestellt werden, sondern eher, wie das letzte Zitat veranschaulichen kann, bestätigt werden. Auch wenn mit den Arbeiten von Schmale und Pieper die geforderten empirischen Analysen größerer Textkorpora vorliegen und sie wichtige Bausteine für ein Textsortenprofil darstellen, so haben sie noch nicht konsequent die Medialität ihres Gesprächstyps reflektiert und Faktoren wie Mehrfachadressierung und Inszenierung (vgl. Burger 2001a) berücksichtigt. Daily Talks sind im übrigen unterschiedlich begründet Gegenstand der Mutter- und Fremdsprachendidaktik; sie dienen dem Aufbau einer Medienkompetenz (Meer/Bohn 2004), der Gesprächserziehung (Hoge/Scherf 1999) oder der Landeskundevermittlung (Es-
22. Phraseme in audiovisuellen Medien
283
selborn 1995). Könnte man mit ihnen nicht auch, unter der Annahme von alltagsnahem Sprechen und virtuelle Laien-Oralität (Burger 1996) mitreflektierend, eine phraseologische Alltagskompetenz und einen überindividuell belegbaren Grundwortschatz für fremdsprachendidaktische Zwecke, ein empirisch begründetes phraseologisches Optimum also (Hessky 1992), zu belegen versuchen, das ein Desiderat fremdsprachendidaktischer Forschung ist?
Burger, H. (2003): Phraseologie. Eine Einführung am Beispiel des Deutschen. 2., überarb. Auflage. Berlin.
M was sagst du dazu G ich mach das (Publikum applaudiert) M ja hand drauf brian (Moderatorin und G reichen sich über dem Tresen die Hände)
Dobrovol’skij, D.O. (1995): Kognitive Aspekte der Idiom-Semantik. Studien zum Thesaurus deutscher Idiome. Tübingen.
4.
Literatur (in Auswahl)
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284
VII. Phraseme in einzelnen Text- und Gesprächssorten/Set phrases in types of texts and conversation
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Lutz Köster, Bielefeld (Deutschland)
23. Phrasemes in political speech 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Introduction Topics and terminology: Phrasemes and other types of formulaicity in the language of politics A phraseological profile of political speeches Functional and stylistic aspects of changes to the basic form of phrasemes Historical aspects Résumé Select bibliography
1.
Introduction
The language of politicians has always been a favourite target of linguistic criticism, whether by linguistic professionals or laypersons such as journalists. One popular view is that the rhetoric of politicians is often reduced to ‘formulaic language, amounting to nothing more than a recurrence of the same well-worn
23. Phrasemes in political speech
phrases’ (“in einer formelhaften Sprache [...], die sich oft in der einfachen Wiederholung eingefahrener Wendungen erschöpft”, Ueding/Steinbrink 1994, 178) or that political language is ‘empty and full of clichés’ (“leer und phrasenhaft”, Schiewe 1998, 258ff.). As such assessments are commonly based on stereotypical examples rather than supported by empirical evidence, they may be considered cliché-ridden themselves. Another popular stereotype is that political speech abounds in ‘hollow phrases’ (“Leerformeln”, Pelster 1974, 48ff.; Simmler 1978, 227ff. u.ö.). This notion is based partly on early structuralist concepts that neglected the pragmatic and stylistic functions of phrasemes. Following an overview of the topics and the terminology that are relevant to the study of phrasemes in political speech (2.), a phraseological profile of political speech, which was established in recent empirical studies (3.), will be presented. These studies involved quantitative and qualitative approaches to the use of phraseological types and tokens as well as phraseological text analyses of their pragmatic function in political speeches, as compared with other text genres. Functional and stylistic implications of a “deviant” use of phrasemes deserve particular attention here (4.). The differences between spoken and written language in political speech are of specific interest for the analysis (cf. art. 17). Lastly, some of the findings will be assessed from a historical perspective (5.). For practical reasons, the present article will mainly focus on studies concerned with the language of politics in German-speaking countries.
2.
Topics and terminology: Phrasemes and other types of formulaicity in the language of politics
2.1. Terminological issues In discussing the use and the function of phrasemes in political speeches, it is necessary to first clarify what is meant by “political speech” and “phrasemes” in this article: 2.1.1. In principal, there is no such thing as a “political language”, as every discourse may potentially be political. On the other hand, not all statements made by politicians are to be classified as political. In spite of such fuzzy borderlines, it appears to be “useful to maintain a distinction between institutional
285
politics and everyday politics” (Chilton/ Schaeffner 2002a, 6). The analysis of phrasemes in political speech may then be confined to speeches made in institutional contexts, such as parliamentary speeches (Gautier 1997; Krier 1999; Kühn 1985; Pérennec 1999; Elspaß 1998, 2000a/b, 2002), speeches given at party conferences (Fónagy 1983; Geier 1998), or commemorative speeches (Elspaß 2001). For the analysis of parliamentary speeches in particular, it is imperative to distinguish between the original spoken text and its transcript in the official printed versions of parliamentary proceedings or the printed interview text. Contrary to common belief, the printed texts are not authentic transcripts, but revised versions of the spoken text, which follow norms and conventions of “written language” (Heinze 1979). Paralinguistic features as well as idiosyncratic phraseological features of individual speeches (including hesitation phenomena, repetitions, phraseological modifications, disfluencies etc.) are usually corrected or smoothed out in the written version. Similar reservations have to be made about newspaper transcripts of political speeches and interviews with politicians. Interviews and other text genres in “political discourse” will be excluded from the present overview. On various aspects of phraseology in electoral campaigns, see Koller (1977, 154ff.) and Gautschi (1982), on phrasemes in political talk shows, see Kühn (1988), and on phrasemes in the political press, see Koller (1977, 122ff.), Burger/Buhofer/Sialm (1982, 144ff.) and Lüger (1993). 2.1.2. In accordance with the concept of this handbook, a broad definition of the term “phraseme” will be adopted. Thus, not only idiomatic, but also non-idiomatic phraseological units are subsumed under a wider notion of “phrasemes”, including “nomination stereotypes” (Fleischer 1997, 58ff.) and “routine formulae” as well as proverbs, political mottos, slogans, and quotations. This broad concept of phraseology in the analysis of political speech is justified by the fact that a restriction to idioms would only disclose a fraction of the phraseological characteristics of political speeches. 2.2. Related topics A bibliographical search for studies on “phrasemes in political speech” elicits relatively few and scattered results only. However, a re-
286
VII. Phraseme in einzelnen Text- und Gesprächssorten/Set phrases in types of texts and conversation
view of neighbouring linguistic sub-disciplines reveals that the study of phraseology touches on various other aspects in the analysis of political discourse: 2.2.1. A full overview of relevant studies in the field of political speech is impaired by the fact that many authors do not differentiate between monolexical and polylexical units (i.e. phrasemes). Thus, in linguistic case studies, phrasemes in political speech are sometimes classified as catchwords (“Schlagwörter”) and sometimes as ‘(hollow) phrases’ (“Leerformeln”) within the same text (e.g. Ruhe und Ordnung/law and order in Pelster 1974, 49– 50). A clear-cut distinction between the study of catchwords and phrasemes may not always be feasible, partly because the borderline between (monolexical) compound words and (polylexical) phrasemes depends on the orthographical happenstances of a language type (cf. English poll tax, sister party vs. German Kopfsteuer, Schwesterpartei). In his definition of catchwords, Kaempfert (1990, 1200) explicitly includes syntagms which take the position of lexemes. Consequently, the same holds for subtypes of catchwords like “Modeworte” (‘in-words’) (Brennert 1898), “Schlüsselwörter” (‘key words’) (Herzberg/Steffens/ Tellenbach 1997), “Leitvokabeln” (‘recurrent (or leitmotif) words’) (Pelster 1974, 46ff.; Böke/Liedtke/Wengeler 1996; cf. Burkhardt 1998, 100ff., for a recent typology of catchwords). Examples of phrasematic catchwords from post-World-War II Western discourses are freie Welt/free world, Eiserner Vorhang/ Iron Curtain, Kalter Krieg/Cold War, Runder Tisch/round table, Soziale Marktwirtschaft/ Social Market Economy. 2.2.2. Considerable attention has been paid to the study of metaphors in political speech. Since “idioms” can be defined as phrasemes containing a conventionalised metaphor (Chilton/Schäffner 2002a, 28f.), it is worthwhile to look at common characteristics of metaphors and idiomatic phrasemes. Conceptual overlaps can be found in the figurative fields that (monolexical and polylexical) metaphors and idioms originate from. Various studies have established metaphorical fields that are dominant in European political discourses (cf. Rigotti 1996; Chilton 1996; Burkhardt 1998, 106ff.; Musolff 2000): – Politics as WAR or as a BATTLE (politischer Krieg/political war; der Kalte Krieg/the Cold War),
– political institutions as FAMILIES (die große Staatenfamilie/the great family of nations; die europäische Familie/the European family), – politicians as ANIMALS (ein alter/schlauer Fuchs/a cunning old fox; ein Wolf im Schafspelz/a wolf in sheep’s clothing), – politics or a political institution as a BUILDING (das europäische Haus/the European house; Festung Europa/fortress Europe; (etw. als) Fundament des neuen Aufbaus/ (sth. as) the foundation of reconstruction), – politics as a WAY/VOYAGE (das Europa der zwei Geschwindigkeiten/a Europe of two paces/speeds; eine Politik der kleinen Schritte/a step by step policy; an einem Scheideweg angelangt sein/to be/stand at a crossroads), – politics or a political institution as a TRAIN or a SHIP (einen Kurs (ein-) halten/to hold the course; Das Boot ist voll/The boat is full; den (europäischen/ ...) Zug verpassen /to miss the (European/...) boat; die Weichen für etw. stellen/to set the course for sth.). 2.2.3. On a more textlinguistic and (inter)discursive scale, the study of phrasemes in political speech is closely linked with the study of formulaic text patterns. Such formulaic patterns are an important vehicle for creating cross-speaker and intertextual cohesion in political discourse. A methodological prerequisite for the analysis of “intertextuality” is the longitudinal character of studies. Examples from political discourse are: – the study of ‘rephrasing’ (“Reformulierung”) of propositions, e.g. the recurrence and modification of the quote Teilung durch Teilen überwinden (’to overcome the division by sharing’) in the discourse on German Unification (Steyer 1997), – the study of argumentative topoi, e.g. the topos ‘immigrants are a burden’ (Das Boot ist voll/The boat is full etc.) in immigration debates (Jung/Wengeler/Böke 1997, Wengeler 2003), – the study of linguistic ritualization (Geier 1998; Elspaß 2002), e.g. the construction of a collective memory through the glorification and instrumentalisation of ‘the men of the 20th July 1944’ (die Männer des 20. Juli 1944) in post-war speeches commemorating the Resistance movement in NaziGermany (cf. Elspaß 2001).
287
23. Phrasemes in political speech
3.
A phraseological profile of political speeches
In establishing a phraseological profile of text genres, both quantitative and qualitative aspects are to be considered. For a quantitative analysis, the overall use of phrasemes as well as the proportion of different phraseme types requires close examination (cf. Burger/Buhofer/Sialm 1982, 144ff.). A qualitative analysis leads to the question of the semantic and stylistic potential of phrasemes and their function in contexts and texts. The modification of phrasemes is of particular interest here (4.). In Elspaß (1998, 100ff.) the phraseology of political speeches in Germany was analysed based on three post-war parliamentary debates. In the speeches of these debates, about ten per cent of the language used consisted of phrasemes, and thus could be classified as “phraseological”. Compared with other text genres, this constitutes a medium value only. In the idiolectal use of phrasemes, the ratio of phraseological units can range from 8 per cent to as much as 25 per cent in individual speeches. From a purely quantitative point of view, significant differences are noticeable between a more oral and more literate style of speech as well as between spoken speeches and their printed versions in the parliamentary proceedings. Non-idiomatic “gambits”, formulae of address and phrasematic modality markers constitute the most frequently employed phraseological class in political speech. They are particularly prominent in spontaneous, extemporaneous speeches, but often eradicated in the drafts for stenographic reports. In contrast, highly idiomatic phrasemes and proverbs or quotations are far less frequent on the whole, but outstanding in diversity (i.e. types) and particularly salient in pre-written speeches. The reason for this remarkable difference in quantity becomes evident when the semantics and the contextual role of particular phraseological types are examined. 3.1. Non-idiomatic phrasemes (gambits, formulae etc.) “Gambits”, or conversational strategy signals (Keller 1981), can serve as an important means of stage-managing a speech (e.g. ich sage hier in aller Offenheit/I tell you quite frankly; lassen Sie mich das (noch) sagen/let me just say this; aber eines muss noch klar gesagt werden/but this one thing has to be
said clearly). Formulae of address are not merely standardised speech openers (Herr Präsident/Frau Präsidentin!/Mister Speaker!/ Madam Speaker!; Meine Damen und Herren! /Ladies and Gentlemen!), but also operate as bonding markers between speaker and audience. Moreover, they can be used to regain the attention of the audience after pauses or interruptions or to just allow the speaker some “breathing space” before resuming the speech. Thus, gambits and other non-idiomatic formulae both ensure phatic communion and at the same time help to structure a spoken text and contribute to the overall organisation of speech. Similarly, non-idiomatic phrasemes, such as certain verbal phrases (es scheint/it seems; ich hatte den Eindruck/I got the impression; es sieht so aus, als ob ... / it looks as if ...) or even “verba dicendi” or “verba sentiendi” in the first person (ich glaube/nehme an/denke/finde, dass .../I believe/assume/think/find that ...), which may seem to indicate hesitation or communicative uncertainty, can be used strategically as modality markers in political rhetoric (Fairclough 1995, 167ff.; Elspaß 2000b). In written language, however, such semantically “empty” phrasemes are perceived as redundant, so that they are frequently deleted from the printed versions in parliamentary proceedings to meet the stylistic standards of written language. 3.2. Adverbial and prepositional phrasemes, nomination stereotypes Adverbial or prepositional phrasemes (in diesem Sinne/in this respect; im Hinblick auf/ with respect to) and “nomination stereotypes” (der Zweite Weltkrieg/the Second World War) rank second and third in the total number of phraseological tokens, but are relatively homogenuous as types. Certainly, the main function of “nomination stereotypes” is to denote (or designate) institutions, incidents, political concepts etc. However, ideological or emotionally charged phrasemes of this type, such as das Dritte Reich/the Third Reich, also carry highly connotative elements of meaning, which are – intentionally or unintentionally – triggered off when used in political speeches (cf. Girnth 2002, 50ff.). 3.3. Idioms Idiomatic phrasemes (jdm. einen Spiegel vorhalten/to hold up a mirror to sb; jdm. den Rücken zuwenden/to turn one’s back on sb.;
288
VII. Phraseme in einzelnen Text- und Gesprächssorten/Set phrases in types of texts and conversation
eine bittere Pille/a bitter pill) usually attract the most attention in literature on phrasemes in political speech. Idioms are exceptionally salient text constituents, due to the fact that most of them are, like metaphors, dually coded, i.e. they are mentally represented both verbally and non-verbally. As figurativeness is an essential feature of idioms, it accounts for their connotative and stylistic potential and makes them easy to remember. In the media coverage of political speeches, it is noticeable that it is the figurative language in particular that is adopted from the spoken sources (Burger 1999, 85; Elspaß 2000a, 279ff.). Sparingly but succinctly employed idiomatic phrasemes not only create crossspeaker cohesion by being repeated by a different speaker, but also show an “intertextual resistence” on their way from the spoken word in the speech to the spoken or written word in the mass media, i.e. they are often adopted and rarely altered (or even shortened) by journalists (Burger 1999, 85). Routined political speakers are aware of this textual potential and will employ “imagery strategies” (Burger 1987, 21ff.) offered by idiomatic language to take part of the media coverage into their own hands. Thus, image work is one of the most prominent functions that can be attributed to the use of idioms in political speech (Pérennec 1999, 135ff). In his case study on the complex semantics of a single idiom used in a parliamentary speech, Kühn (1985) strongly advocated a pragmatic approach to the analysis of phrasemes. He argued that the use of an idiom such as jdm. (genau) auf die Finger gucken/ sehen/to keep a close eye on sb. in a proposition like […] daß das Parlament insgesamt der Regierung auf die Finger guckt ‘that the parliament keeps a close eye on the government’ is not merely a stylistic choice (as dictionary entries such as “colloquial” may suggest), but that it carries a “semantic surplus value” whereby a speaker can demonstrate his pragmatic attitude towards a proposition. (In the present case, the speaker implies that he does not trust the government’s handling of the affair, he suspects the government of attempting to cover up sth., etc.). 3.4. Sentence-like phrasemes Propositions in the form of sentence-like phrasemes, such as proverbs, commonplaces, slogans, commandments and maxims, quotations and “winged words” (cf. Gläser 2001,
126ff.), are used as sparingly and effectively as idioms in political speech. By employing quotations etc. from culturally significant texts (the Bible, fictional literature, historical speeches) and proverbs, speakers evoke a mutual cultural knowledge and appeal to quasiauthorised “truths” inherent in these phrasemes, thus establishing a kind of “manifest intertextuality” (Fairclough 1992, 117). Such phrasemes can serve as markers of bonding between the speaker and the audience or to support the argument of a speech (Häusermann 1987, 81; Perénnec 1999, 137ff.; cf. Lüger 1993 for a discussion on the argumentative use of phrasemes in the political press). The source of a quote prompting such intertextual relationships can be a political speech itself, as Steyer (1997) has shown with a case study from the German Unification discourse (the aforementioned quote Teilung durch Teilen überwinden – with a pun on Teilung ‘division’ and Teilen ‘sharing’). 3.5. Support verb constructions Similar to the “semantic surplus value” of idioms, fixed verbal phrases with an auxiliary verb and an abstract noun (“Funktionsverbgefüge”, cf. art. 38) contain more semantic and pragmatic information than their monolexical counterparts (e.g. etw. in Erwägung ziehen/to take sth. into consideration vs. etw. erwägen/ to consider sth.). Thus, by using a phrase with a causative auxiliary verb like ich möchte hier allen in Erinnerung rufen, dass […] ‘I would like to call back to everyone’s memory that …’, the appealing function of the speech act REMINDING SB. OF STH. can be made more explicit, as opposed to the use of the single verb (ich möchte Sie alle daran erinnern, dass […] ‘I would like to remind you all of …’, cf. Gautier 1997, 93).
4.
Functional and stylistic aspects of changes to the basic form of phrasemes
The polylexical structure of phrasemes offers a range of different ways to alter the phraseological basis according to contextual needs or stylistic options. Almost every eighth phraseme in political speech is employed in a mode more or less deviant from the phraseme forms laid down in dictionaries. (The question of how adequate or “realistic” the dictionary entries are cannot be pursued here. For an overview and further discussion, see
289
23. Phrasemes in political speech
art. 75 of this handbook.) Two issues have received particular attention in the research of phraseology in political speech: the modification of phrasemes and phraseological blunders. 4.1. Modification “Occasional modification” of phraseological units in a given context has been recognised as an important and effective part of “phraseo-stylistics” (Gläser 1986, 46ff.; 2001, 130ff.). Occasional modification (or “creative modification”) as a way of reshaping or remodelling idioms etc. in a given context is to be distinguished from modifications that have become conventional; the latter are usually called “variants” (Burger 2003, 25ff.). Various modification techniques are applied in political speeches to attract the recipients’ attention. The most popular techniques are “expansion”, “substitution”, “truncation” and “blending” of phrasemes. (Most of the following examples are taken from the aforementioned 1991 debate concerning the German capital and two debates from 1965 and 1979 on the statute of limitations for Nazi crimes, cf. Elspaß 1998, 147ff.) The expansion of the phraseological basis by another lexical item, such as an adjective, is the simplest and most widely used type, comprising more than 50 per cent of the instances in question, e.g. Die letzten 120 Jahre unserer Geschichte […] in ihren Höhen und auch in ihren abgründigen Tiefen ‘The ups and unfathomable downs of the last 120 years of our history’; A. M., die in den letzten Tagen wie ein begossener Atompudel dastand, […] (from wie ein begossener Pudel dastehen/ aussehen) ‘A. M., who, throughout the last few days, looked crestfallen’ (Pérennec 1999, 136). Substitution is also a widely used and particularly expressive type of modification. It can be applied to anything from single phonemes to morphemes and lexemes, e.g. Wer A sagt, muß auch Berlin sagen! (from Wer A sagt, muß auch B sagen) ‘He who says A must also say Berlin!’, der Stoff, aus dem politische Kreativität entsteht ‘the stuff that political creativity is made of’ (from we are such stuff as dreams are made on). In truncation, one or more obligatory components are omitted, e.g. die kleinen [Diebe] hängt man, die Großen lässt man laufen ‘the little [thieves] get hanged and the big ones get away’.
Co-ordination of two phraseological units involves the linking of both expressions in such a way that they share one component while none of the other components is omitted, e.g. diesen Ausdruck [...], der ja der Natur der Sache nach bei diesen Beratungen ohnehin in der Luft liegt ‘this expression which (literally:) “in the nature of things is in the wind” during these discussions anyway’. In blending two phraseological units, two expressions are joined by omitting one or more components, e.g. […] laufen wir Gefahr, […] den europäischen Zug der Zeit zu verpassen, (literally:) “we run the risk of missing the European train of the time”, a blend of the idiom den Zug verpassen ‘to miss the boat’ (expanded by the adjective europäischen) and ein Zeichen der Zeit ‘a sign of the times’. Since most idioms employed in political speech are common cultural property, they can be used punningly in ways which increase the “semantic surplus value” of phraseological units, particularly idioms, through different kinds of modification on the syntagmatic and paradigmatic level. The slighter the change to the phraseological basis, the cleverer and wittier the pun. 4.2. Phraseological blunders In contrast to the modification of phrasemes, by which a political speaker intends to achieve a particular stylistic effect, unintentional changes to the basic form of a phraseme can be classified as “incorrect use” or “phraseological blunders”. Such blunders rarely mar the denotative function of phrasemes in communication, but they can have a negative impact on the overall style of a political speech. It remains a methodological problem to determine whether a given deviant form of a phraseme was used intentionally or unintentionally. One feasible method is to measure how utterances containing “deviant” phrasemes were received by the addressees, either by using questionnaires, or by comparing original transcripts with the corrections in parliamentary proceedings (Elspaß 1998, 59f., 217ff.; after Heinze 1979). In German post-war debates, the instances of phraseological blunders could usually be classified – following the typology of modification techniques – as unintentional substitution, truncation or blending. Unintentional defective substitution of an element, e.g. die Beamten der Besatzungs-
290
VII. Phraseme in einzelnen Text- und Gesprächssorten/Set phrases in types of texts and conversation
macht, die […] ihre Maßnahmen ausgeübt haben (wrong function verb, in the parliamentary proceedings changed into: […] die […] ihre Maßnahmen getroffen haben) ‘the officials of the occupying power who took their measures’, [...] die uns alle noch das Fürchten lernen will (wrong content verb, changed into [...] die uns alle noch das Fürchten lehren will) ‘which will put the fear of God into all of us’. Such errors can be contact-induced, as Krier (1999, 285) shows with “Lëtzebuergesch” examples from the Luxemburg parliament, e.g. hanner verschlossenen Diren ‘behind closed doors’ instead of hanner verschlossenen zouënen (after French à huis clos) or de Gordesche Knoten ‘the Gordian knot’ instead of de Gordesche Knuet (after German der Gordische Knoten). Unintentional truncation by ommitting an obligatory element, e.g. so habe ich das mit gutem Wissen […] getan (missing prefix, changed into: so habe ich das mit gutem Gewissen […] getan) ‘thus I did this with a clear conscience’. Unintentional blending of two (or more) phrasemes, e.g. das ist doch wohl des Guten zuviel verlangt (mingled from das ist des Guten zuviel ‘this is too much of a good thing’ with das ist zuviel verlangt! ‘that is asking too much’, and changed into [das] geht wohl zu weit ‘that is going too far’). In parliamentary debates, phraseological blunders are often exposed by reactions from the audience. In the debate concerning the German capital, the stenographic report notes “laughter” in the audience after a speaker compared the relationship between Berlin and Bonn to that of der große Bruder der kleinen Schwester ‘the big brother to his little sister’, thus unintentionally evoking the overpowering character from George Orwell’s novel “Nineteen Eighty-four” (Elspaß 1998, 293). During a debate in the parliament of Luxemburg, one speaker used the phrase [...] fir dem Auto keen Hoer ze krëmmen (literally:) “not to harm a hair on the car’s head”, which provoked a request from a different Member of Parliament to explain what the speaker meant by this expression (Krier 1999, 294).
5.
Historical aspects
In historical perspective, it is noticeable how little the phraseological profile of political speech has changed in recent history. In Elspaß (2000a) the phraseology of post-
World War II speeches was compared with mid 19th and early 20th century debates from German parliamentary history. Apart from normal changes in the lexical inventory and the formal side of phraseme types, the overall phraseological profile of speeches has remained remarkably stable (ibid., 271). A minor increase was found in the use of support verb constructions (“Funktionsverbgefüge”), in the use of “gambits” and routine formulae, whereas the proportion of binomials and propositional phrasemes such as proverbs and quotations has slightly declined. By contrast, the number of idiomatic phrasemes and of modifications to phrasemes has risen significantly (ibid., 278). In general, these tendencies suggest a growing unpopularity of phrasemes that represent old-style rhetoric (binomials, proverbs, quotations) on one hand and, on the other hand, indicate a growing importance of multifunctional phrasemes (non-idiomatic “gambits” as well as idioms), that allow a flexible use in view of a multiple audience. The semantic change of central catchwords and phrasemes in political speech, e.g. the shifting meaning and connotation of the binomial Ruhe und Ordnung/law and order (Pelster 1974, 49ff.), requires a separate account in the context of historical semantics and historical discourse analysis (cf. Busse/Hermanns/Teubert 1994).
6.
Résumé
In German research, there has been frequent criticism that the linguistic study of political language has often focussed too much on individual words and rhetorical figures, thus neglecting the role of such words and rhetoric as well as intra- and intertextual topoi and arguments in discourse (Jung/Wengeler 1999). It has been demonstrated that an analysis of phrasemes in political texts provides an important link between a word-centred and a discourse-analytical approach to the study of political language. Non-idiomatic phrasemes play an important role in the grammatical structure and overall textual organization of political speeches, whereas idiomatic units not only contribute significantly to the style of a text, but also to cross-speaker and intertextual cohesion. The semantic and pragmatic potential of phrasemes in a text deserves particular attention. Moreover, the creative use of phraseological modification can be an effective linguistic device in political discourse, whereas, on the other hand, phraseological
23. Phrasemes in political speech
blunders can fatally impair the effect of a whole speech and discredit the (good) intentions of the speaker.
7.
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Stephan Elspaß, Augsburg (Germany)
24. Phraseme in der Werbung 1. 2. 3. 4.
7. 8. 9.
Einleitung Werbesprache und Phraseologismen Zum Forschungsstand Häufigkeit der Phraseologismen in der Werbung Positionierung der Phraseologismen Funktionen der Phraseologismen in der Werbung Kontrastive Perspektive Ausblick Literatur (in Auswahl)
1.
Einleitung
5. 6.
Das Vorkommen von Phraseologismen und ihre Häufigkeit in verschiedenen Textsorten ist in vielen Untersuchungen analysiert wor-
den. Dabei hat sich herausgestellt, dass Phraseologismen in einigen Textsorten häufiger und in anderen weniger häufig verwendet werden. Außerdem gibt es Unterschiede in der Frequenz der verschiedenen phraseologischen Klassen in verschiedenen Textsorten. Von besonderem Interesse ist hier der Umstand, dass Phraseologismen in verschiedenen Textsorten offenbar unterschiedliche Funktionen übernehmen. (Burger 2003, 161ff.; Burger/Buhofer/Sialm 1982, 144ff.; Fleischer 1997, 264ff.) Im Folgenden wird auf das Vorkommen von Phraseologismen in der Textsorte “Werbung” eingegangen. Meist wird unter dem Begriff “Werbung” die Wirtschaftswerbung
24. Phraseme in der Werbung
verstanden, die den Werbeempfängern verschiedene Unternehmen und deren Erzeugnisse bekannt zu machen versucht und deren Ziele die Förderung des Verkaufs und die Steigerung des Absatzes der beworbenen Produkte sind. In unserem Zusammenhang ist mit Werbung in herkömmlicher Weise gleichfalls ausschließlich die Wirtschaftswerbung gemeint. Es sei jedoch an dieser Stelle betont, dass es auch Werbung gibt, die keine kommerziellen Ziele verfolgt (z.B. die politische Werbung) (Behrens 1996, 5). Zunächst werden hier kurz diverse Merkmale der Werbesprache wie auch die Frage besprochen, inwiefern Phraseologismen sich besonders für die Sprache der Werbung eignen (2.). Danach geht es darum, inwieweit das Vorkommen von Phraseologismen in der Werbung untersucht worden ist (3.). Dass Phraseologismen in der Werbung häufig verwendet werden und sie gerade dort ein beliebtes Stilmittel zu sein scheinen, ist in verschiedenen Untersuchungen festgestellt worden. Auf diese Frage wie auch auf die Position der Phraseologismen in den Werbebotschaften wird dann nach der Behandlung des Forschungsstandes eingegangen (4. und 5.). Da das Grundprinzip der Werbung die Beeinflussung des Werbeempfängers ist, sind hier natürlich die Funktionen der Phraseologismen besonders interessant, und deswegen geht es anschließend um die funktionellen Aspekte der Phraseologismen in Werbetexten (6.). Danach wird noch die kontrastive Betrachtungsweise in Bezug auf den Gebrauch von Phraseologismen in der Werbung in Betracht gezogen (7.) und den Abschluss bildet ein Ausblick auf mögliche Forschungsdesiderate (8.).
2.
Werbesprache und Phraseologismen
In der Werbung wird versucht, durch Sprache, Bild und/oder Ton die Meinungen und schließlich die Kaufhandlungen der Konsumenten zu beeinflussen. Damit ist die Werbung zielgerichtete Aktivität, durch die der Werbende Änderungen in dem Bewusstsein, dem Wissen, den Einstellungen und dem Willen des Konsumenten, sein Angebot anzunehmen, herbeizuführen und dadurch die Kaufentscheidung des letzteren zu beeinflussen sucht. (Vesalainen 2001, 81) Werbung versucht zu überreden und zu überzeugen. Phraseologismen sind ihrerseits in der Lage, auf engem Raum viel auszusagen (Um-
293
borg 1993, 175). Sie können beim Leser Interesse, Anteilnahme und Lust am Lesen hervorrufen. Der Gebrauch von Phraseologismen im Text kann den Leser überraschen und amüsieren. Darüber hinaus macht der Bedeutungswechsel von der phraseologischen zur wörtlichen Bedeutung und umgekehrt den Text lebendig und originell und bisweilen auch witzig. Gerade diese Aspekte werden häufig hervorgehoben, wenn die Sprache der Werbung beschrieben wird. Für die Werbesprache ist der überzeugend-appellative Charakter typisch. Es handelt sich um eine farbenfreudige, figurative, expressive und zweckgerichtete Sprache, die überraschen und Aufmerksamkeit erregen will und nach Originalität und Auffälligkeit strebt. (Janich 2005, 72; Baumgart 1992, 34) Als Merkmale der Werbesprache werden u.a. folgende angeführt: – auf der Textebene die Kürze, Prägnanz und persuasive Absicht, der Einsatz von Konnotation und Assoziation; – auf der lexikalischen Ebene prestigehafte Konnotation, die Häufigkeit (semantisch) expressiver Substantive und Adjektive und ihrer superlativischen und komparativischen Formen, die Häufigkeit der Übertreibungsmittel. (Bart/Theis 1991, 222; Janich 2005, 36f.) Bei der Werbung ist es wichtig, dass die Prinzipien der Allgemeinverständlichkeit und der besonderen Wirksamkeit miteinander verbunden werden können (Sowinski 1998, 42). In ihrem Wortschatz unterscheidet sich die Werbesprache nicht sehr von der Alltagssprache. Die Besonderheit ihres Wortschatzes liegt vielmehr in der hohen Frequenz von bestimmten Wörtern (Römer 1971, 204; Janich 2005, 36). Der Werbeempfänger ist meist nicht sehr motiviert, einen Werbetext ganz durchzulesen, und er ist auch meist nicht bereit, viel Zeit für die Werbebotschaft zu opfern. Längere Texte und komplizierte Satzkonstruktionen sind für ein schnelles Verstehen ungeeignet. Die Werbebotschaft muss in eine angemessene Form gebracht werden, wobei zu beachten ist, dass der Werbesender auf Zeichen bzw. Zeichensysteme zurückgreifen muss, die dem Empfänger in ihrer Bedeutung geläufig sind (Bart/Theis 1991, 27). Die Sprache der Werbung sollte die Werbebotschaft kurz, einprägsam und verständlich vermitteln können. Viele Phraseologismen erfüllen gerade diese Kriterien. Mit ihrer
294
VII. Phraseme in einzelnen Text- und Gesprächssorten/Set phrases in types of texts and conversation
Hilfe lässt sich etwas kurz und prägnant ausdrücken. Sie können einem Text zudem Anschaulichkeit und Einprägsamkeit verleihen. Phraseologismen werden in der Werbung auf Grund ihrer bildhaften, konnotativen, emotiven und expressiven Qualität verwendet. Werbebotschaften operieren häufig mit sprachlichen Bildern, und von daher liegt die Verwendung von Phraseologismen nahe. Viele Phraseologismen weisen nämlich eine metaphorische Eigenschaft bzw. einen bildlichen Charakter auf. (Vesalainen 2001, 167) Die Bildhaftigkeit derartiger Phraseologismen trägt dazu bei, dass diese als besonders anschaulich empfunden werden. Außerdem kann die Bildhaftigkeit einzelner Phraseologismenkomponenten visuelle Vorstellungen anregen. Phraseologismen sind somit in der Lage, bei den Werbeempfängern innere Bilder zu erzeugen, wodurch wiederum dem beworbenen Produkt emotionale Erlebniswerte beigefügt werden können.
3.
Zum Forschungsstand
In vielen Forschungsarbeiten wird konstatiert, dass Phraseologismen in der Werbung häufig gebraucht werden (z.B. Balsliemke 2001, 48; Burger 2003, 161; Hemmi 1994, 11; Lange 1998, 173, Palm 1995, 62, Wehner 1996, 90f.). Außerdem wird auch darauf hingewiesen, dass dieser Bereich schon relativ gut untersucht sei (Janich 2005, 124). Dies trifft aber nur zum Teil zu. Zwar gibt es viele Arbeiten zur Werbung und zur Phraseologie, aber bei den meisten Untersuchungen spielt entweder die Phraseologie oder die Werbung nur eine Nebenrolle. Balsliemke (2001, 12) macht in diesem Zusammenhang in Anlehnung an Lange (1998) darauf aufmerksam, dass es einerseits Untersuchungen der Werbesprache gibt, die neben anderen Aspekten die Verwendung von Phraseologismen als einen oft geringfügigeren Aspekt behandeln. Andererseits gibt es allgemeine Untersuchungen zur Phraseologie, in denen die Werbung als ein Beispiel für die Verwendung von Phraseologismen betrachtet wird. Nur wenige Untersuchungen konzentrieren sich jedoch ganz, systematisch und ausführlich auf die Verwendung von Phraseologismen in der Werbung. An dieser Stelle sind die gründlichen Untersuchungen von Hemmi (1994) und Balsliemke (2001) hervorzuheben. Hemmi (1994) hat das Vorkommen von Phraseologismen in der schweizerischen An-
zeigen-, Radio- und Fersehwerbung nach verschiedenen Gesichtspunkten wie Häufigkeit, Modifikationsverfahren und Positionierung im Text untersucht. Darüber hinaus testete sie auch die Rezeption der in Werbeanzeigen vorkommenden Phraseologismen durch Versuchspersonen. Die meisten anderen Untersuchungen beschränken sich auf ein Werbemittel. Balsliemke (2001) hat sich in ihrer Untersuchung auf die Verwendung von Phraseologismen in der Anzeigenwerbung konzentriert. Als Korpus hat sie insgesamt 2'786 Werbeanzeigen benutzt, die sie vor allem in Bezug auf das Vorkommen verschiedener phraseologischer Klassen, auf den Aspekt der Modifikation von Phraseologismen, auf das Ziel bzw. die Aufgabe der Verwendung von Phraseologismen sowie auf die Rolle der Text-Bild-Beziehung untersucht hat. Ihre Analyse hat gezeigt, dass eine Werbebotschaft als Ganzes zu betrachten sei, und zwar in dem Sinne, dass z.B. nicht nur ein bestimmter Textteil einer Werbeanzeige (z.B. ein Slogan) analysiert werden sollte. Außerdem zeigt ihre Untersuchung, dass sowohl die verbalen als auch die visuellen Anzeigenkomponenten zu berücksichtigen sind. (Balsliemke 2001, 12f.; 315ff.) Die Bedeutung des Visuellen haben allerdings auch Koller (1977, 177ff.) und Burger/Buhofer/Sialm (1982, 96ff.) hervorgehoben. Neben Balsliemke (2001, 1999) haben sich auch z.B. Ewald (1998), Hegedüs (1989), Kavalcová (2002), Lange (1998) und Umborg (1993) auf die Analyse von Anzeigenwerbung konzentriert. Fernsehwerbung wiederum ist u.a. von Grassegger (1989; österreichische Fernsehwerbung) und Burger (1991) untersucht worden. Diese zwei Untersuchungen haben recht unterschiedliche Resultate im Hinblick auf die Frequenz von Phraseologismen in der Fernsehwerbung erbracht. Während Grassegger (1989, 153) in rund 400 Werbespots einen sehr geringen Anteil von Phraseologismen (5 Prozent) ausmachen konnte, kommt nach Burger (1991, 13ff.) dagegen etwa in der Hälfte der von ihm analysierten 230 Fernsehspots mindestens ein Phraseologismus vor. Das Ergebnis von Burger stimmt mit dem von Hemmi (1994, 64) überein. Die Unterschiede lassen sich vor allem dadurch erklären, dass die Untersuchungen in ihrer Phraseologismusauffassung recht heterogen sind: Grassegger (1989) beschränkt sich bei der Analyse auf Redensarten im engeren Sinne,
295
24. Phraseme in der Werbung
Burger (1991) und Hemmi (1994) dagegen haben sich eine weitere Auffassung von einem Phraseologismus zu Eigen gemacht. An dieser Stelle sei zudem bemerkt, dass es Untersuchungen gibt, die sich nur auf den Gebrauch eines bestimmten Phraseologismentyps konzentrieren. Dies ist der Fall u.a. bei Mieder (1975, 1983, 1990), Frankenberg (1980) und Sabban (1991), die sich der Verwendung von Sprichwörtern widmen (siehe auch Piller 1997). Außer in Bezug auf die Frequenz werden in den verschiedenen Arbeiten die Phraseologismen in der Werbung nach solchen Gesichtspunkten wie phraseologische Klassen, Modifikationsverfahren, Position innerhalb des Textes und/oder Funktion untersucht. Einige analysieren auch die Text-Bild-Beziehung (Balsliemke 2001, Hegedüs 1989, Hemmi 1994). Es liegen ferner Untersuchungen vor, in denen die Verwendung von Phraseologismen nicht nur in der Werbung, sondern zudem in verschiedenen anderen Textsorten betrachtet wird. Hier können z.B. die Arbeiten von Koller (1977) und von Burger/Buhofer/Sialm (1982) erwähnt werden. Dass die Verwendung von Phraseologismen mindestens zum Teil textsortenbedingt ist, demonstrieren Burger/Buhofer/Sialm (1982, 144ff.) am Beispiel von neun Texttypen aus der Alltags- und Massenkommunikation (sowohl gesprochene als auch geschriebene Sprache) des deutschschweizerischen Gebietes. Darüber hinaus haben sie exemplarisch Werbeanzeigen und literarische Texte analysiert (Burger/ Buhofer/Sialm 1982, 91ff.). Vor allem in der Forschungsliteratur über die Werbesprache (z.B. Bechstein 1987, Cook 2001, Möckelmann/Zander 1978, Römer 1971, Tanaka 1994, Wehner 1996) ist die Beschäftigung mit der Phraseologie jedoch lückenhaft und uneinheitlich betrieben worden. Die Untersuchungen sind in dieser Hinsicht thematisch sehr eingeschränkt, und es herrscht auch ein terminologisches Durcheinander (dazu Balsliemke 2001, 34f.).
4.
Häufigkeit der Phraseologismen in der Werbung
4.1. Zur Häufigkeit allgemein Diejenigen Untersuchungen, die der Frage nachgegangen sind, wie häufig Phraseologismen in der Werbung, vor allem in der Anzeigenwerbung, verwendet werden, haben etwas unterschiedliche Resultate erbracht.
Balsliemke (2001, 102) hat festgestellt, dass in ihrem Korpus insgesamt 63,9 Prozent aller Anzeigen einen oder mehrere Phraseologismen enthalten, während Hemmi (1994, 64) auf einen viel häufigeren Gebrauch (78,7 Prozent) von Phraseologismen in den schweizerischen Werbeanzeigen gekommen ist. Hemmi hat allerdings nicht nur Anzeigen untersucht, sondern sie hatte in ihrem Korpus auch Radio- und Fernsehspots, in denen Phraseologismen jedoch nicht so häufig verwendet werden. Laut Hemmi (1994, 64) sind nämlich in 62,8 Prozent der Radiospots und in 45,7 Prozent der Fernsehspots Phraseologismen zu finden. Dass Phraseologismen in der Werbung von Bedeutung sind, wurde auch in der Untersuchung von Burger/Buhofer/Sialm (1982, 91) konstatiert. Sie stellten fest, dass etwa 50 Prozent der Anzeigen einen oder mehrere Phraseologismen verwenden. Diese und noch andere Untersuchungen zeigen, dass Phraseologismen für die Werbung relevant sind. An dieser Stelle soll aber zugleich beachtet werden, dass es einige Untersuchungen gibt, deren Ergebnisse in krassem Gegensatz zu den oben angegebenen stehen (Grassegger 1989, Umborg 1993). Die Unterschiede können jedoch dadurch erklärt werden, dass beachtet wird, was jeweils unter einem Phraseologismus verstanden wird und welche Komponenten also in den Analysen als Phraseologismen gezählt werden (Burger 1991, 13f.; Balsliemke 2001, 102). Außerdem sieht es so aus, dass kulturelle Unterschiede wie auch Unterschiede zwischen verschiedenen Werbemitteln bei der Vorkommenshäufigkeit von Phraseologismen eine Rolle spielen (Balsliemke 2001, 102; Hemmi 1994, 64; Vesalainen 2001, 166; Umborg 1993, 163). 4.2. Zur Häufigkeit der verschiedenen phraseologischen Klassen Phraseologismen werden in verschiedenen Untersuchungen unterschiedlich klassifiziert; d.h. es werden unterschiedliche phraseologische Klassen aufgestellt je nachdem, ob hinter der Klassifikation z.B. syntaktische, semantische oder pragmatische Kriterien stehen. Ausführliche Überblicke zu den Klassifikationsmöglichkeiten finden sich z.B. bei Burger (2003, 33ff.), Burger/Buhofer/Sialm (1982, 20ff.) und Korhonen (2002, 402ff.). Beispielsweise Hemmi (1994) und Balsliemke (2001) gründen ihre Untersuchungen im Großen und Ganzen auf die struktursemantische Mischklassifikation von Burger/Buhofer/
296
VII. Phraseme in einzelnen Text- und Gesprächssorten/Set phrases in types of texts and conversation
Sialm (1982), und ihre Untersuchungen haben gezeigt, dass die Mischklassifikation sich gut für die Analyse der Werbung eignet. Bei der Betrachtung verschiedener Phraseologismus-Klassen in der Werbung hat sich herausgestellt, dass die satzgliedwertigen Phraseologismen in der Werbung dominieren, während die satzwertigen Phraseologismen weitaus seltener vorkommen. Von den einzelnen Klassen treten die phraseologischen Verbindungen oder die teilidiomatischen verbalen Phraseologismen und die präpositionalen Phraseologismen am häufigsten auf. (Balsliemke 2001, 165ff.; Hemmi 1994, 90f.) Hier ist aber festzuhalten, dass verschiedene Untersuchungen zum Teil unterschiedliche Resultate erbracht haben. Während Balsliemke (2001, 126ff.; 140ff.) z.B. in Bezug auf die Häufigkeit von Modellbildungen und Zwillingsformeln eine eher untergeordnete Bedeutung für die Verwendung in der Anzeigenwerbung feststellen konnte, berechneten Hemmi (1994, 84ff.; 92ff.) und Burger/ Buhofer/Sialm (1982, 92) für diese zwei Klassen eine deutlich höhere Relevanz. Wenn in diesem Zusammenhang wiederum verschiedene Werbemittel betrachtet und miteinander verglichen werden, lässt sich eine partiell unterschiedliche Verwendung von Phraseologismen in der Anzeigen-, der Radio- und der Fernsehwerbung feststellen. Hemmi (1994, 67ff.; 97ff.) hat in ihrer Untersuchung herausgefunden, dass z.B. Routineformeln in der Radiowerbung deutlich zahlreicher auftreten als in den zwei anderen genannten Werbemedien. In der Fernsehwerbung sollen sie gleichfalls häufiger vorkommen als in der Anzeigenwerbung. Außerdem könnte angenommen werden, dass gerade Routineformeln auch in Werbebriefen häufig vorkommen, weil in ihnen bestimmte kommunikative Formeln (Begrüßungen und Anredeformeln wie Sehr geehrte Damen und Herren sowie Schlussformeln wie Mit freundlichen Grüßen, verschiedene Höflichkeitsrituale etc.) typisch sind. Bei der Betrachtung der Häufigkeit von verschiedenen phraseologischen Typen soll noch darauf hingewiesen werden, dass viele Phraseologismen in der Werbung in modifizierter Form auftreten – und zwar vor allem in Schlagzeilen und Slogans. Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass etwa die Hälfte der verwendeten Phraseologismen in der Werbung modifiziert eingesetzt werden (Balsliemke 2001, 184ff.; Burger/Buhofer/
Sialm 1982, 91; Hemmi 1994, 102ff.; Lange 1998, 176ff.).
5.
Positionierung der Phraseologismen
Was für Komponenten, Textteile können bei einer Werbebotschaft, vor allem bei einer Werbeanzeige, unterschieden werden? Dieser Frage ist in der Werbeforschung oft nachgegangen worden (Sowinski 1998, 51ff.; Janich 2005, 43ff.). Die Analyse des Textaufbaus ist auch im Hinblick auf die Position von Phraseologismen innerhalb einer Anzeige interessant. Zwar hat es sich herausgestellt, dass Phraseologismen in allen Anzeigenkomponenten vorkommen, aber verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass sie in bestimmten Textteilen doch dominierend auftreten (Balsliemke 1999, 20ff. und 41f.; 2001, 103ff.). Früher war man der Meinung, dass der Slogan ein sehr wichtiges Textelement von Anzeigen sei. Neuere Untersuchungen haben indes gezeigt, dass der Slogan an Bedeutung verloren zu haben scheint (Sowinski 1998, 59). Untersucht man die Distribution der Phraseologismen in den Anzeigenkomponenten, so stellt sich Ähnliches heraus. Obwohl Phraseme als Werbesprüche beliebt und wirksam sind (Gréciano 1991, 77; Coppens d’Eeckenbrugge 1989), kommen sie nicht überwiegend im Slogan vor. Hingegen dominiert bei der Verteilung der Phraseologismen auf die Anzeigenkomponenten der Textteil Fließtext deutlich. Zudem werden Phraseologismen auch häufig in die Schlagzeile platziert. (Balsliemke 2001, 103ff.; Hemmi 1994, 168ff.; Kavalcová 2002, 68f.)
6.
Funktionen der Phraseologismen in der Werbung
Ein bestimmter Phraseologismus erfüllt in einem Text nicht nur eine Aufgabe, sondern kann zugleich mehrere Funktionen aufweisen. Will man die Funktionen von Phraseologismen analysieren, so muss man die Verwendung der einzelnen Phraseologismen immer in ihrem Kotext/Kontext betrachten. Es gibt nämlich keine spezielle Funktion der vom Kontext isolierten Phraseologismen. (Burger 2003, 148; Koller 1977, 69.) Allerdings gibt es hier Unterschiede zwischen verschiedenen phraseologischen Typen, weil z.B. bestimmte Routineformeln wie die Anredeformel Sehr geehrter Herr X oder die Schlussformel Mit
297
24. Phraseme in der Werbung
freundlichen Grüßen natürlich in ihrer Funktion wesentlich stärker festgelegt sind als z.B. verbale Phraseologismen oder Sprichwörter (vgl. Beckmann/König 2002, 423f.). Im Folgenden werden einige für die Werbung typische Funktionen von Phraseologismen betrachtet. 6.1. Aufmerksamkeitserregung Im Kontext der Werbung spielt die Aufmerksamkeitserregung eine äußerst wichtige Rolle. Die Werbung ist ein Teil unseres täglichen Lebens, und wir begegnen ihr überall. Werbebotschaften sollen also auf irgendeine Weise unsere Aufmerksamkeit erregen (vgl. Ewald 1998, 326). Außerdem ist es wichtig, dass wir als Werbeempfänger auch beim Lesen bzw. Betrachten einer Werbebotschaft aufmerksam und interessiert bleiben. Phraseologismen sind ein wichtiges Mittel der Aufmerksamkeitserregung, und diese Aufgabe haben sie vor allem oft dann, wenn sie in der Schlagzeile erscheinen (vgl. Lange 1998, 175; Vesalainen 2001, 170). Dies ist der Fall bei den folgenden zwei Beispielen: (1)
(2)
Alle Achtung, Hi 8: Das sehen wir gerne. (Blaupunkt: TV/Videoprogramm ’95/’96: Werbeprospekt der Bosch Gruppe) Das is’ ja ’n Ding: Das D2-Netz. (D2-Info Box: Werbeprospekt von Mannesmann Mobilfunk, 1996)
Unter 4.2 wurde erwähnt, dass viele Phraseologismen in der Werbung in modifizierter Form auftreten. Lange (1998, 173; 194) macht in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass das Abweichen vom normalen Wortlaut und von der vertrauten Bedeutung vornehmlich der Aufmerksamkeitssteigerung dient (Balsliemke 2001, 261; 265). Modifikationen dienen in der Werbung zudem als kognitive Hindernisse, die nach Balsliemke (2001, 316) “zu einer Auseinandersetzung mit der Anzeige veranlassen: Kognitive Hindernisse sind in den Werbetexten enthalten, um die Aufmerksamkeit des Rezipienten zu wecken und zu erhalten.” Obwohl man allgemein davon ausgeht, dass der Werbetext im Großen und Ganzen klar und deutlich sein sollte, werden in der Werbung dem Konsumenten auch Rätsel aufgegeben, wobei sich die Bedeutung des Gesagten diesem nicht sofort erschließt. Dies trifft auch auf die Verwendung von Phraseologismen zu, und zwar vor allem dann, wenn es sich um ein Spiel
mit der wörtlichen und der phraseologischen Bedeutung handelt. In diesem Sinne können Phraseologismen durch ihre Mehrdeutigkeit überraschen (vgl. Janich 2005, 147ff.). Als ein Typ semantischer Modifikation kann die gleichzeitige Aktualisierung von wörtlicher und phraseologischer Bedeutung angesehen werden. In der Werbung wird häufig mit diesen zwei Lesarten bzw. Bedeutungen gespielt (Balsliemke 2001, 214ff. und 257ff.; Ewald 1998, 332ff.; Forgács 1996, 86; Lange 1998, 190ff.; Vesalainen 2001, 168ff.). Dergleichen Sprachspiele sind typisch besonders in Schlagzeilen, wo sie die Aufmerksamkeit des Lesers erregen. An dieser Stelle ist allerdings zu beachten, dass die Schlagzeile nicht allein das Spiel mit den zwei Lesarten, mit der idiomatischen und der wörtlichen Bedeutung, ermöglicht, sondern dass hier Text und Bild häufig zusammenwirken, wobei das Bild oft die wörtliche Bedeutung des Phraseologismus bzw. einer seiner Komponenten aktualisiert (Balsliemke 2001, 122f., 259, 265; Ewald 1998, 346f.; Vesalainen 2001, 174). Dies lässt sich anhand eines Beispiels von Ewald (1998, 335) verdeutlichen: (3)
Zahlungsverkehr auf Nummer Sicher → Phraseologismus auf Nummer Sicher gehen; Bank-Werbung, Ambiguierung durch das Bild einer gestempelten Nummer.
Lange (1998, 191f.) hat ausgeführt, dass das Spiel hier nicht nur eine, sondern verschiedene Funktionen erfüllt. Ihm zufolge kann es neben der Aufmerksamkeitssteigerung auch vor allem der Unterhaltung des Lesers dienen (siehe auch Ewald 1998, 345). 6.2. Unterhaltung Wenn durch die Verwendung von Phraseologismen Aufmerksamkeit erregt wird, können bei den Werbeempfängern zugleich auch Lusterlebnisse erzielt werden (vgl. Palm 1995, 62). Unter 6.1 wurde bereits darauf hingewiesen, dass die sprachliche Textebene und die Bildebene auf spielerisch-belustigende Weise miteinander verknüpft werden können. Es ist aber natürlich durchaus möglich, dass das Spiel mit den zwei Lesarten sich auch ausschließlich auf der Textebene vollziehen kann. Phraseologismen können einen Text farbig, abwechslungsreich und interessant machen, was wiederum beim Rezipienten ein Lusterlebnis hervorrufen und ihn mitreißen kann. Bei der Werbung spielt diese Unterhaltung
298
VII. Phraseme in einzelnen Text- und Gesprächssorten/Set phrases in types of texts and conversation
des Rezipienten in zweifacher Weise eine bedeutende Rolle. Zum einen können metaphorische und mehrdeutige Phraseologismen den Empfängern ein wortspielerisches und auch intellektuelles Vergnügen bereiten und dadurch bei ihnen positive Gefühle evozieren, was sie wiederum empfänglicher für die Beeinflussung macht. Zum anderen muss beachtet werden, dass Konsumenten in der Werbung nicht nur Informationen suchen, sondern Werbung dient ihnen oft auch zur Unterhaltung. (Kroeber-Riel 1992, 612f.; Vesalainen 2001, 151ff.; 175; vgl. Ewald 1998, 324f.) In der Werbung wird durch den Gebrauch von Phraseologismen zudem häufig eine Personifizierung der Werbeobjekte erreicht. Dadurch, wie auch mit Hilfe von Modifikationen, können gleichfalls Unterhaltungswert und Vergnügen erzielt werden. Wie dies im Text funktioniert, soll anhand des folgenden Beispiels aus einem deutschen Werbeprospekt verdeutlicht werden: (4)
IS 63–155 Digital Pro. Kleines Format, großes Hertz. Baugleich zum IS 72–155 Digital Pro, nur kleiner: Die Formatalternative in der gleichen Ausstattung, mit 63 cm-Bildröhre und 100 Hz-Bildwechselfrequenz. In anthrazit. (Blaupunkt: TV/Videoprogramm ’95/’96: Werbeprospekt der Bosch Gruppe)
Es handelt sich bei dem obigen Beispiel um Modifikation durch Substitution (Hertz/ Herz), und darüber hinaus liegt hier eine Personifizierung vor. Es wird nämlich mit dem Verweis auf das Wort Herz bzw. dessen Homophon Hertz gespielt. Einerseits wird auf die Bildwechselfrequenz (Hz) hingewiesen, aber andererseits gleichzeitig damit gespielt, dass das beworbene Produkt ein großes Herz habe; d.h. das Produkt sei hilfsbereit, wohlwollend und großzügig. (Vesalainen 2001, 177.) 6.3. Produktpräsentation und die argumentative Funktion Eine argumentative Rolle vor allem von sentenzfähigen Phraseologismen, wie von Sprichwörtern und Gemeinplätzen, haben u.a. Beckmann (1991), Beckmann/König (2002, 425) und Wirrer (1998) festgestellt. Phraseologismen werden in der Werbung eingesetzt, um im Sinne der persuasiven Werbebotschaft den speziellen Nutzen, die Vorteile oder die Werte des beworbenen Produkts hervorzuheben. Mit Hilfe von Phraseologismen können
dem Produkt sekundäre Eigenschaften zugeschrieben werden, und das Produkt wird dadurch beschrieben, charakterisiert und positiv bewertet (eine Klasse für sich sein; erste Wahl sein; klein, aber oho!). (Balsliemke 2001, 179; Vesalainen 2001, 179.) Dies bedeutet, dass Phraseologismen in diesen Fällen zu Zwecken der Argumentation eingesetzt werden, d.h. ihnen kann eine argumentative Funktion zugeschrieben werden. Mit Hilfe von Phraseologismen können produktbezogene Aussagen vermittelt und dadurch Argumente für den Kauf des beworbenen Produkts aufgestellt werden. Phraseologismen weisen häufig auf Produktvorzüge hin und heben also eine positive Produkteigenschaft hervor. Es kann sich dabei beispielsweise um den Bedienungskomfort oder die Zuverlässigkeit des Produkts handeln (Balsliemke 2001, 179ff.). Im folgenden Beispiel von Ewald (1998; 336), wird mit dem Phraseologismus mit dem kleinen Finger (bedienbar) auf die leichte Bedienung des Produkts hingewiesen: (5)
Dirigieren Sie ein Symphonie-Orchester mit dem kleinen Finger. → Phraseologismus etwas mit dem kleinen Finger [der linken Hand] machen; Ambiguierung über den Haupttext, der im ersten Satz auf die Fernbedienung der im beworbenen Auto installierten Stereoanlage verweist.
Außer zur Betonung der Zuverlässigkeit des Produkts in der Werbebotschaft werden in der Werbung Phraseologismen benutzt (z.B. rund um die Uhr, Tag und Nacht), wenn der Werber sich selbst als zuverlässig darstellen und seinen guten Service hervorheben will (Balsliemke 1999, 43). In der Werbung werden auch häufig Phraseologismen verwendet, die auf die positiven Folgen der Produktnutzung aufmerksam machen. Hier können als Beispiele die Phraseologismen Ende gut, alles gut (bzw. in einer Handywerbung: Handy gut, alles gut!) und Alles im Griff genannt werden (Ewald 1998, 335; Vesalainen 2001, 351). Neben ihrer argumentierenden Funktion können Phraseologismen zum einen auch einen idealen Einstieg in die Argumentation bieten. Denn vor allem Sentenzen, Maximen und Sprichwörter “thematisieren etwas Bekanntes und Vertrautes. Sie schaffen eine gemeinsame kognitive Basis, auf deren Hintergrund die Argumentation für das Neue (das Produkt) wirkungsvoll entfaltet werden kann.” (Stöckl 1998, 300) Zum anderen sind Phraseologismen auch in der Lage, eine Ar-
299
24. Phraseme in der Werbung
gumentation zu beenden (Vesalainen 2001, 354f.). Weil manche Arten von Phraseologismen, vor allem Sentenzen, als allgemeingültig betrachtet werden und demnach keiner weiteren argumentativen Stützung bedürfen, kann ihnen diese argumentationsbeendende Funktion zukommen (Beckmann 1991, 88f.). 6.4. Erinnerungssteigerung Durch die Werbung wird versucht, die Werbebotschaft, das beworbene Produkt oder den Namen des werbenden Unternehmens in der Erinnerung der Rezipienten zu verankern. Tatsache ist aber, dass sich wegen der steigenden Informationsüberlastung z.B. der Lesende einer Zeitschrift einer Anzeige nur knapp zwei Sekunden zuwendet (Hemmi 1994, 35). Wie gelingt es nun der Werbebotschaft noch, den Konsumenten zu erreichen und die Botschaft im Gedächtnis des Rezipienten zu verankern? In den obigen Kapiteln wurde bereits u.a. auf die Rollen der Aufmerksamkeitserregung und der Unterhaltung bei der Verwendung von Phraseologismen in der Werbung hingewiesen. Phraseologismen dienen aber auch der Erinnerungssteigerung (Kavalcová 2002, 67). Die metaphorische Eigenschaft vieler Phraseologismen und die Ausnutzung der Visualisierung können nämlich dazu beitragen, dass der Werbetext dank seiner Bildhaftigkeit, Ungewöhnlichkeit und Heiterkeit im Gedächtnis haften bleibt (Umborg 1993, 175; Balsliemke 2001, 263 und 319). Hemmi (1994, 42) macht in Anlehnung an Häcki Buhofer (1989, 172ff.) darauf aufmerksam, dass durch die Einschaltung des zweiten Kodiersystems, des bildhaften bzw. imaginalen Kodes, die Speichermöglichkeiten, die Behaltensleistung und die Verarbeitungsflexibilität verbessert werden. 6.5. Hervorrufen von Vertrautheit Im Kontext der Werbung spielt die Verständlichkeit des Textes eine wichtige Rolle. Die Werbesprache sollte ja klar, leicht und sofort verständlich sein (Umborg 1993, 169). Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass in Werbebotschaften oft solche Phraseologismen verwendet werden, die der potenzielle Konsument verstehen kann. Es handelt sich bei ihnen häufig um Formeln der Alltagssprache, und die Phraseologismen kommen dem Rezipienten bekannt vor. Die Bekanntheit der verwendeten Phraseologismen (unter ihnen vor allem der Sprichwörter)
ermöglicht es, dass sie durch ihren bekannten Klang beim potenziellen Konsumenten ein Gefühl der Vertrautheit erwecken und dadurch ebenfalls positive Einstellungen zum jeweiligen Produkt bewirken können. (Vesalainen 2001, 167; 180; vgl. Hemmi 1994, 91; Kavalcová 2002, 67; 188f.; Mieder 1983, 81f.; Stöckl 1998, 300ff.). Lange (1998, 193f.) hat ebenfalls festgestellt, dass “ein beträchtlicher Anteil der Phraseologismen aus der Umgangssprache stammt. Die Verwendung umgangssprachlicher Elemente schafft eine Atmosphäre der Vertrautheit, die vom Leser mit dem Produkt oder der Dienstleistung verknüpft werden kann.”
7.
Kontrastive Perspektive
Die Kultur wirkt auf unsere Kommunikations- und Schreibegewohnheiten und beeinflusst auch die Werbung (Hennecke 1998). Die Werbung kann als Spiegel des Zeitgeistes betrachtet werden, wobei die Sprache Auskunft über die kulturellen Gewohnheiten gibt (Baumgart 1992, 31, vgl. auch Leiss/Kline/ Jhally 1990). In der Gegenwart ist der Aspekt der internationalen Verbreitung für die Werbung immer wichtiger geworden. Deng, Jivan und Hassan (1994, 156) machen jedoch darauf aufmerksam, dass “cultural differences are the most significant and troublesome variables for the international advertiser”. Die interkulturell standardisierte, globale Werbung ist also keinesfalls immer sinnvoll, da der Erfolg einer effektiven Werbung vom Verhältnis von Kultur und Kommunikation abhängt (vgl. Cheng 1994, 169f.; Schultz 1995, 151). Im Allgemeinen wuchs das Interesse für die Untersuchung kultureller Unterschiede in den 70er Jahren. Im Rahmen der Phraseologieforschung zeigt man besonders seit den 80er Jahren Interesse für die kontrastive Betrachtungsweise und für die kulturellen Unterschiede beim Gebrauch von Phraseologismen. So werden in zahlreichen kontrastiven Arbeiten erhebliche Unterschiede erkennbar, die die Hypothese stützen, dass der Aspekt der Kulturspezifik auch in Bezug auf die Verwendung von Phraseologismen in der Werbekommunikation von Bedeutung ist (Beckmann/ König 2002, 424; Dobrovol’skij 2002; Eismann 1998; Sabban/Wirrer 1991). Kulturelle Aspekte sollten demnach auf diesem Gebiet noch intensiver untersucht werden.
300
VII. Phraseme in einzelnen Text- und Gesprächssorten/Set phrases in types of texts and conversation
Unter 4.1 wurde bereits erwähnt, dass einige kontrastive Analysen kulturbedingte Differenzen in der Vorkommenshäufigkeit von Phraseologismen in der Werbung aufzeigen. Es ist z.B. festgestellt worden, dass Phraseologismen deutlich zahlreicher in deutschen Werbeprospekten als in finnischen vorkommen (Vesalainen 2001, 165f.). Ähnliches hat Umborg (1993, 163) hinsichtlich deutscher und estnischer Werbetexte beobachtet: Während Phraseologismen in estnischen Werbeanzeigen eher selten vorkommen, sind sie für die deutschen Werbetexte unentbehrliche Bestandteile. Neben der Vorkommenshäufigkeit stellte Umborg auch Unterschiede auf der semantischen Ebene beim Gebrauch von Phraseologismen in der deutschen und estnischen Werbung fest. So tragen laut Umborg (1993, 171) die meisten Phraseologismen in den deutschen Werbeanzeigen eine positiv wertende kodifizierte Bedeutung (wie im siebenten Himmel, Musik in den Ohren), wogegen in den estnischen Werbetexten viel weniger Phraseologismen mit kodifizierter positiver Bedeutung auftreten. Darüber hinaus ist die Personifizierung, eine Vermenschlichung des Werbeobjekts mit Hilfe von Phraseologismen, für deutsche Werbetexte typisch, die wiederum in den estnischen Werbeanzeigen selten gebraucht wird (Umborg 1993, 173). Im Rahmen der kontrastiven Phraseologieforschung ist hier u.a. auch noch die Untersuchung von Gréciano (1991) zur Aktivität der Phrasemkomponenten zu erwähnen, wobei es sich um einen deutsch-französischen Vergleich handelt. Gréciano (1991, 76ff.) betrachtet aktive und passive Phrasemkomponenten und deren Kontextualisierung im Bereich der Werbung. Im Mittelpunkt ihres Interesses steht die Rolle der Komponenten bei der Textbildung und bei den Vertextungsmechanismen. Im deutschen Korpus bestätigt sie die Referenzialisierung einer Phrasemkomponente, und zwar als Bezeichnung des angepriesenen Produkts (Kleiderchen machen Leute als Reklame für Kinderbekleidung; Wir schaffen Luft! Da geht Ihnen ein Licht auf für Beleuchtungskörper). Gréciano (1991, 77) weist darauf hin, dass ein solcher Phrasemgebrauch unter Wahrung aller figurierten Effekte Transformationen unternimmt, um die gewünschte Werbeaktion zu erreichen. In französischen Werbetexten werden demgegenüber häufiger Substitutionen gebraucht als in der deutschen Werbung (Qui veut aller loin, ménage sa voiture als Reklame für Esso;
Qui veut aller loin, ménage sa fortune als Reklame für eine Sparkasse) (Gréciano 1991, 77). Zu beachten ist, dass Untersuchungen vorliegen, deren Untersuchungsmaterial Werbetexte aus verschiedenen Sprachräumen umfassen – wie z.B. die Untersuchung von Sabban (1991) zu Variationen von Sprichwörtern im und als Text, wobei das Korpus aus dem deutschen, dem amerikanisch-englischen und dem französischen Sprachraum stammt – die jedoch kulturelle Unterschiede nicht unbedingt mitberücksichtigen.
8.
Ausblick
Die Aufmerksamkeit der Rezipienten kann durch spielerische sprachliche Gestaltung gefesselt werden, und gerade Phraseologismen tragen dazu bei, dass der Werbetext durch seine Ungewöhnlichkeit und Heiterkeit den Rezipienten auffällig, witzig und lebendig vorkommt. Sie eignen sich demnach gut für die Sprache der Werbung, wie viele Untersuchungen bereits gezeigt haben. Hinsichtlich ihres Materials und ihrer Phraseologismusauffassung sind diese Untersuchungen jedoch ziemlich heterogen gewesen. Viele Korpora sind klein, und meist konzentrieren sich die Untersuchungen auf Werbeanzeigen. Einige einzelne Arbeiten berücksichtigen indes auch die Radio- und Fernsehwerbung. Unberücksichtigt bleiben u.a. die Internetwerbung sowie Werbeplakate und Werbebriefe. Es muss aber beachtet werden, dass verschiedene Werbemittel sich sehr voneinander unterscheiden können, was die Textgestaltung, die Sprache und damit auch die Verwendung von Phraseologismen betrifft. Außerdem sollten kulturelle Unterschiede besser berücksichtigt werden. Einige kontrastive Analysen liegen schon vor, die gezeigt haben, dass es große Unterschiede im Gebrauch von Phraseologismen in der Werbung verschiedener Kulturen gibt. Andererseits haben der Werbegegenstand und die Zielgruppe auch eine Wirkung auf die Gestaltung der Werbebotschaft, was in den Untersuchungen bislang nicht genügend beachtet worden ist. Weil im Kontext der Werbung die Beeinflussung des Rezipienten im Mittelpunkt steht, würde sich außerdem empfehlen, dass die gebrauchsbezogene Betrachtung der Phraseologismen, ihre funktionellen Aspekte, noch weiter, gründlicher und origineller untersucht werden. Dabei müssen nicht so sehr die allgemeinen, sondern eher die für die Werbung
24. Phraseme in der Werbung
charakteristischen und spezifischen Funktionen berücksichtigt werden.
9.
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Marjo Vesalainen, Helsinki (Finnland)
25. Set phrases and humor 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Introduction Humor in proverbs Humorous proverbial phrases Set phrases in conversational humor Set phrases in jokes Set phrases for humor in the media Select bibliography
1.
Introduction
The familiarity and fixedness of set phrases makes them ideal resources for creating hu-
mor in conversation, jokes, comics and other types of discourse. In addition, many fixed expressions, especially proverbs and proverbial phrases, are funny as independent texts. After a brief introduction to humor theory, we will review the ways set phrases generate humor in discourse. Classical treatments of humor from Plato and Aristotle on revolved around the hostility experienced toward some ridiculous object and the beneficial effects of humor as a “social corrective”. Hobbes’ (1651) modern for-
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25. Set phrases and humor
mulation of “superiority theory” concentrated on the feeling of “sudden glory” we experience in laughing at the foibles and misfortunes of others. Bergson (1899), too, focused on human situations which evoke laughter through our recognition of incongruity in the mechanical encrusted upon the living. Most current theories of humor incorporate some notion of incongruity, while allowing that humor expresses aggression in various ways. Kant (1790) was the first to analyze the humorous object in terms of incongruity arising from the disappointment of a strained expectation; and Schopenhauer (1819) was the first to expressly describe the sudden perception of incongruity as the basis of laughter. Bateson (1953) proposed more explicitly that the humorous incongruity consisted in a clash of opposed frames; and Koestler (1964) developed the notion of “bisociation” as the simultaneous perception of an object within two contrasting frames of reference. Though all so-called “Incongruity theories” describe the humorous object in terms of clashing frames of reference or sets of expectations, they do not focus on the humorous text. Freud (1905) initiated linguistic analysis of the humorous text in identifying joke techniques in terms of sounds, syllables, repetition, and variation. Freud further related the compression he found in joke techniques to a saving of psychic energy, which resulted in the release of repressed emotion as laughter. Raskin (1985) finally provided an explicit description of joke texts as simultaneously compatible with opposed “semantic scripts”. Attardo and Raskin (1991) subsequently fleshed out the analysis of jokes to a General Theory of Verbal Humor, including pragmatic components. Norrick (1986, 2002) shows how incongruous frames of reference or scripts can be conceptualized as cognitive schemas, and argues that the various versions of incongruity theory are notational variants of one another in their basics, though they apply more or less readily to certain types of humor (joke vs funny story) or in certain contexts (spoken vs written vs visual). Incongruity theories conceptualize the basis of humor as a conflict between frames of reference, formalized as clashing schemas or incongruous scripts. Whether a given text is funny or not depends on the presentation of the conflict: a set-up foregrounding one script, but potentially supporting both script
provides the basis for humor, and a sudden reversal of the foregrounded script with the previously hidden one should strike us as funny. Set phrases generate the incongruity required for humor in four basic ways in discourse. (1) Some set phrases, especially proverbs and proverbial phrases, are funny as incongruous texts in their own right. They employ standard humorous tropes like imagery, paradox and hyperbole. (2) Set phrases constitute a particular discourse type or register for parody. (3) Set phrases provide recognizable patterns for unexpected variation in context, often involving word play. (4) Set phrases receive new interpretations in incongruous contexts. This reinterpretation often involves literalization of idiomatic set phrases. Norrick (1984, 1993) applies incongruity theory to a broad range of conversational wit and joking. Scherzer (1985) treats the aggressive aspects of jokes and joking. Attardo (1994) provides an overview of linguistic humor theories, while Röhrich (1977) and Nash (1985) present good overviews of humor types.
2.
Humor in proverbs
Humor as a conversational strategy makes proverbs more memorable and gives them an additional rhetorical moment. Funny proverbs invoke traditional wisdom but they also introduce humor along with an opportunity to laugh together and enjoy enhanced rapport. Some typical examples of humorous proverbs involve (1) surprise comparison, as in: Fish and visitors stink after three days; (2) folksy language, as in: Them as has gits and Ya’ pays yer money and ya’ takes yer choice; (3) paradox, as in: The more things change, the more they stay the same and Expect the unexpected; (4) tautology, as in: It ain’t over till it’s over and When you’re hot, you’re hot. (5) Animal imagery provides a potentially aggressive source of humor, since it implicitly compares the contextual addressee of the proverb with an unsavory beast, as in: Monkey see, monkey do and There’s no ass but brays. (5) Ethnic stereotyping, as in: No tickee, no washee, represents another potentially aggressive form of humor in proverbs, but here the butt of the joke is a particular group, namely stereotype Chinese-Americans working in laundries, rather than the addressee. See Go-
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VII. Phraseme in einzelnen Text- und Gesprächssorten/Set phrases in types of texts and conversation
lopentia-Eretescu (1970) and Norrick (1989) on proverbial paradox, and Gülich (1978) on tautological proverbs.
3.
Humorous proverbial phrases
Humor is more commonly an accoutrement of proverbial phrases than proverbs proper. Proverbial phrases of all kinds enrich conversation, and humor is an obvious strategy to this end. Typical humorous features of proverbial phrases are (1) paradox: Can’t see the forest for the trees and Conspicuous by its absence; (2) irony: As clear as mud and To swim like a stone; (3) striking images: Like a cat on a hot tin roof and Busy as a one-armed paper hanger; (4) hyperbole: Big enough to go hunting bear with a switch and Meat so tough you can’t stick a fork in the gravy; and (5) punning: To lie like a rug and As nutty as a fruitcake; in the first, lie means ‘prevaricate’ as applied to a person, but switches to ‘in a flat, horizontal position’ to match rug, while nutty switches its meaning from ‘crazy’ as applied to a person to ‘full of nuts’ to match fruitcake in the second. Proverbial phrases with humorous images tend to collect stock extensions, allowing a second speaker to extend the word play, as in: Colder than a welldigger’s ass – in January and As slow as molasses – in January – running uphill – backwards with multiple opportunities for extension. A second speaker may also extend a set phrase into a wellerism, as in: It won’t be long now – as the long-tailed monkey said when he backed into the fan and I see – said the blind man and he picked up his hammer and saw. See Abrahams (1972) and Norrick (1987) on humorous proverbial comparisons, and Mieder and Kingsbury (1994) on wellerisms.
4.
Set phrases in conversational humor
Set phrases grow out of clever conversation. We recall and recycle phrases we find useful in recurrent situations. Humor is one important factor in rendering set phrases successful in and memorable from conversation. Humorous set phrases enliven conversation and modulate rapport between participants. Hence, conversationalists develop a stock of prefabricated humorous phrases for use in recurrent situations.
4.1. Stock conversational witticisms “Stock conversational witticisms” are humorous set phrases that recur in free conversation, according to Norrick (1984). Some typical examples are: (1) Greetings like: Fancy meeting you here and Look what the cat drug in. The incongruity here derives from the mismatch between the set phrases and their contexts. (2) Responses to standard requests like: Have you got a match? – There’s no match for me and Have you got the time? – If you’ve got the place. Such responses skew the meaning of their associated requests through punning misunderstandings of words like match and phrases like have the time. (3) Leave-taking formulas like: See you in the funny papers and Don’t take any wooden nickles. Some leave-taking formulas provide funny responses to serious formulas, as in: Be good – but if you can’t be good, be careful and Take it easy – yeah, but take it. In addition, we can notice a tendency toward pairing in leave-taking formulas, as parting speakers vie for the final word, e.g. See you later, alligator – After while, crocodile. Stock conversational witticisms naturally spring up around recurrent contexts like: (1) Going through a door together, where we say: Age before beauty. (2) When someone leaves the door open: Born in a barn? (3) When someone is blocking the light: You make a better door than window and You’re a pain but I can’t see through you, with a pun on pain ‘hurt’ and pane of glass. There is a note of aggression in all these witticisms, as the speaker performs a mock attack on the addressee. According to politeness theory (Lakoff 1973; Brown and Levinson 1987), a verbal attack can signal solidarity, because it implies a relationship between the speaker and addressee where distance and respect count for little. If we can get along without the overt trappings of politeness, and freely poke fun at each other, we must enjoy good rapport. Consequently, many familiar conversational witticisms share an apparent aggressive component. Taboos create a demand for euphemisms, some of which will naturally be set phrases, e.g. To go to the little girls’ room and To go powder one’s nose. Taboos just as naturally generate funny set phrases, e.g. To see a man about a horse and urinate. Predictably, funny set phrases for dying and death are numerous, e.g. To bite the dust, To go to the happy hunting grounds, To cash in one’s chips and To be
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25. Set phrases and humor
pushing up daisies. Set phrases also make light of illness, e.g. To have the trots and Montezuma’s revenge for diarrhea; and To blow lunch and To feed the fish for vomiting. Conversationalists also recycle stock responses that pretend misunderstanding of set phrases. These pretend misunderstandings are themselves set phrases, which act as set responses to other phrases. Typically, the pretend misunderstanding involves a pun on the foregoing phrase, as in: Surely you jest. – I’m not Shirley, but I do jest, where the sentence adverbial surely is punningly equated with the homophonous proper name Shirley. Punning misunderstanding of foreign phrases is a natural source of humor. In response to: C’est la vie, a second speaker produces: La vie, pretending to have heard English say rather than French c’est. 4.2. Humorous uses of set phrases in conversation Conversationalists exploit otherwise serious set phrases to create humor in various ways. Any fixed expression provides a set up for humor, since it sets up expectations on the syntactic, semantic and discourse levels. In the first conversational excerpt below, we see two women piling up set phrases, namely current catch phrases about technological innovations, to parody a particular linguistic register. Leona: Sally: Leona: Sally: Leona: Sally: Leona: Sally: Leona:
It’s a good tape recorder. It’s a nice one, huh? It’s a beauty. Beauty. Yes. Top of the line. State of the art. {laughs} And the cutting edge. All of the above. All of the above. Oh, I love it. Can I have it. {laughing} {laughs} It’s beautiful, oh my God.
The set phrases top of the line, state of the art and the cutting edge serve to evoke a register worthy of parody. The phrase all of the above does not fit exactly, but it’s from a formal register, and that is close enough for purposes of language play. In the preceding excerpt, speakers expropriate set phrases in their standard forms to suggest a particular sort of text. But set phrases can be turned to humorous purposes
as well. Since they remain recognizable in spite of variation, set phrases provide a perfect background for creative word play. In another passage recorded from natural conversation, Jerry adapts a traditional phrase to comment humorously on the current topic. Fred: Jerry: Fred:
I have a recipe for tofu-potato casserole. Whew that’s like the bland leading the bland. {laughing} Yeah.
Here the bland leading the bland modifies a formulaic pattern via lexical substitution, and this forces semantic reinterpretation. Just as set phrases lend themselves to syntactic manipulation, so they also suggest semantic reinterpretation, especially since many set phrases are idiomatic. Like the stock witticisms pretending misunderstanding of a foregoing phrase discussed in section 2 above, original punning responses to set phrases play on the idiomatic sense of a set phrase. In the passage below, Ned brings out an unexpected interpretation of the idiomatic phrase see more of someone, pretending to have understood more in literal reference to quantity. Vera: Ned: Vera:
I thought I’d get to see more of him once we were married. But there wasn’t any more of him. {laughing} There wasn’t any more of him. Okay.
Vera even repeats Ted’s punning response with laughter to show her appreciation. The fixedness of set phrases can lead speakers into unintentional verbal humor as well. In the middle of a story, Teddy pauses to reflect on the proper past tense inflection for the stock phrase wheel and deal with humorous effect. Teddy:
Jim: Teddy:
See what kind of a deal you can make. But I’m only giving you that twenty thousand dollars {laughing} Well, Henry wheeled and dealt. Wheeled and dealed? {laughs} And he did get it for twenty thousand.
Teddy repeats the binomial phrase with a change and question intonation, showing that he recognizes some oddity in his initial formulation, and that he knows where the difficulty lies. Wheeled and dealt sounds funny, because it loses the parallelism which identifies the phrase as an irreversible binomial in the sense of Malkiel (1959); but wheeled and dealed sounds just as funny, because it
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VII. Phraseme in einzelnen Text- und Gesprächssorten/Set phrases in types of texts and conversation
clashes with the usual past tense form for deal. We have reviewed some of the basic ways conversationalists generate humor with set phrases. Fixed expressions provide a ready setup for humor, since they set up expectations on the syntactic, semantic and discourse levels. Idiomatic expressions offer rich opportunities for word play, especially through literalization. See Norrick (2002) for a recent review of work on humor in conversation.
5.
Set phrases in jokes
The familiarity and fixedness of set phrases also makes them ideal vehicles for the buildup of jokes. Jokes typically set up a pattern, then unexpectedly skew it, but set phrases provide a familiar pattern just waiting to be skewed. Consider: Sky pink at night, sailor’s ship’s on fire, built around the source proverb Sky pink at night, sailor’s delight. Here the proverbial introduction sets up expectations, which the continuation thwarts. Set phrases appear in joke punchlines as well. In the first example below, a set phrase appears unaltered as the punchline in the unexpected context created by the joke text. A blind man walks into the middle of a department store with his seeing-eye dog. He picks up the dog and swings it around and around by its tail. “May I help you?” asks a saleslady aghast. The blind man replies, “No thanks, I’m just looking.”
The set phrase no thanks, I’m just looking matches the department store context and responds appropriately to the question by the saleslady, but the presence of the seeing-eye dog swinging in the air forces an unaccustomed interpretation and leads to a humorous incongruity. Jokes also routinely employ punning reinterpretation of a set phrase. In the joke below, the proverb No news is good news is cited so as to suggest the near homophone noose related to hanging. The court jester is a compulsive punster. His puns become increasingly offensive and he must stand trial. He’s found guilty of libel and sentenced to hanging. The judge says he won’t have to hang if he promises to pun no more. The jester says, “No noose is good news,” and dies happily.
Variation of a fixed expression can produce a complete humorous text. A standard vacation postcard text is: Weather’s beautiful, wish you were here. The standard jocular variant runs: Dear Mary, Weather’s here, wish you were beautiful. Love, John
Here the standard conventions for a text type or speech event create expectations dashed by the reversal of elements in the jocular variant. We have reviewed various uses of set phrases and methods of generating humor in conversational joking and jokes; we turn now to the exploitation of set phrases in professionally produced texts and images.
6.
Set phrases for humor in the media
Professional comedians, copy writers and artists find set phrases useful in the same ways conversationalists do, because of their recognizability, textual presuppositions, variability and idiomaticity. As in conversation and jokes, set phrases constitute a particular discourse type or register for parody; they provide recognizable patterns for unexpected variation in context, often involving word play; and they receive new interpretations in incongruous contexts, often involving literalization. Examples based on proverbs count as “anti-proverbs” in the sense of Mieder (1982) and Mieder and Litovkina (1999), but, clearly, proverbial phrases and idioms provide material for word play and parody just as proverbs do. The stand-up comedian Steven Wright frequently constructs his jokes around literal interpretation of set phrases, as in: My neighbor has a circular driveway, so he just drives around and around. In this one-liner, the phrase circular driveway is literalized so as to lead to an absurd image. Similarly, in the jocular question: What if you get scared half to death twice?, the set phrase to scare someone half to death provides a literal scenario leading to a ridiculous conclusion suggested by the question. Graffiti naturally thrives on set phrases as well. For instance, in examples from Gene Mora’s website, Youth is stranger than fiction modifies only the initial consonant cluster of the proverb Truth is stranger than fiction. Your brain is only as strong as your weakest think plays semantically and prosodically on the proverb A chain is only as strong as its
307
25. Set phrases and humor
weakest link. In A bachelor’s romance goes off without a hitch, the set phrase to go off without a hitch is reinterpreted to mean ‘avoid marriage’, based on the set phrase to get hitched meaning ‘get married’. Set phrases provide convenient patterns for newspaper headlines and advertisements as well. A headline from the Los Angeles Times on personal finance, Loan sharks in sheep’s clothing, manipulates the set phrase a wolf in sheep’s clothing to yield a comically mixed metaphor. Another headline, Soufflé can rise to the occasion from a Daily Telegraph article on a race-horse named Soufflé, puns on the set phrase to rise to the occasion, calling for a literal interpretation to match the concept of a real baked soufflé. In advertisements, set phrases offer seemingly endless opportunities for word play. An advertisement for Baileys Irish Cream and coffee urges Escape the daily grind, rendering the set phrase the daily grind ambiguous between its normal interpretation ‘quotidian life’ and ‘customary coffee (grind)’. In an advertisement for Wishbone salad dressing, the leader reads A brilliant idea just came to lite, with the set phrase To come to light altered to punningly refer to a low-calorie product. A Cool Whip advertisement reads:
It’s not a complaint—I’m just saying we used to get out and do a lot more before we built the circular driveway.
Go skinny dipping . . . Dip into the luscious whipped cream taste you love, with only half the fat of whipped cream,
7.
playing on the set phrase To go skinny dipping ‘to swim nude’ to suggest dipping edibles while remaining skinny. Armstrong puts the height of fashion right at your feet incorporates the two set phrases height of fashion and at someone’s feet in an advertisement for Armstrong’s new fashion floorcovers. It plays on the ambiguity of both phrases and their semantic opposition at the literal level. Again the ready recognizability and flexibility of set phrases renders them excellent starting points for the creation of humorous advertising copy following the same strategies we observed in conversational humor and jokes. The humorous use of set phrases in cartoons and advertisements with images follows the same basic patterns as well. Indeed, the same literal interpretation of the set phrase circular driveway in the one-liner above provides the image for a New Yorker cartoon showing a couple driving around a small round paved path in front of a house with the caption:
Another cartoon pictures two men sitting together drinking martinis with the caption “I have two children from a previous sexuality”, built around the set phrase To have children from a previous marriage, implying that the speaker is not just divorced, but no longer heterosexual. Cartoon images frequently depict a literal interpretation of set phrases, often altered in some way to fit the situation, e. g., a “Speedbump” cartoon showing two chickens about to open a can labeled Can of worms, based on the set expression a whole different can of worms. In a “Ziggy” cartoon, chickens sit on a fence beside the road attempting to hitch a ride holding a sign that reads Home to roost with reference to the proverb Chickens come home to roost. Literal interpretation of set phrases in pictures for humor has a venerable tradition going back at least to Pieter Bruegel’s famous paintings “Dutch Proverbs” from 1559, which depicts proverbs and proverbial phrases taken literally, and “The Blind Leading the Blind” from 1568, which represents the literal scenario described in Matthew (15,14).
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Norrick, N.R. (1987): Humorous proverbial comparisons. In: Proverbium 4, 173–86. Norrick, N.R. (1989): Proverbial paradox. In: Proverbium 6, 67–73. Norrick, N.R. (1993): Conversational joking. Bloomington. Norrick, N.R. (2003): Issues in conversational joking. In: Journal of Pragmatics 35, 1333–1359. Raskin, V. (1985): Semantic mechanisms of humor. Dordrecht. Röhrich, L. (1977): Der Witz. Stuttgart. Scherzer, J. (1985): Puns and jokes. In: Dijk, T.A. van (ed.): Handbook of Discourse Analysis. Vol. 3: Discourse and Dialogue. London, 213–221. Schopenhauer, A. (1819): Die Welt als Wille und Vorstellung. Leipzig.
Neal R. Norrick, Saarbrücken (Germany)
26. Phraseme in populären Kleintexten 1. 2. 3. 4.
Populäre Kleintexte Massenmediale Horoskope Perspektiven Literatur (in Auswahl)
1.
Populäre Kleintexte
Kleintexte sind kurze massenmediale Texte, die als Alltagstextsorten (Heinemann 2000) allein durch Phraseme konstituierbar oder durch sie eindeutig charakterisiert sind und an denen die textbildenden Potenzen (Wotjak 1992) der Phraseme sichtbar werden. Sie treten als Schlagzeile und Bildunterschrift in Printmedien auf (vgl. Art. 21) und finden sich in sprachspielerischer Aussage in der Werbung (vgl. Art. 24). Zu ihnen zählen Buchankündigungen literarischer und fachlicher Werke, deren Themen sich besonders “phraseoaktiv” (Gréciano 1994, 209) verhalten, wobei die positiv bewerteten sachbetonten Informationen vorzüglich durch Phraseme realisiert werden können, wie auch Buchtitel, für die Phraseme aufgrund ihrer komplexen Gesamtbedeutung und Bekanntheitserwartung ebenfalls hervorragend geeignet sind, wie ein kurzer Blick in das aktuelle Buchhandelsverzeichnis zeigt: “Liebe auf den ersten Blick” (Suzie Malin 2004); “Pferdeliebe auf den ersten Blick” (Tina Caspari 2004); “Liebe auf den zweiten
Blick” (Bert Hellinger 2002); “Liebe auf den zweiten Kuss” (Jennifer Crusie 2004). Die produktivsten Formative des deutschen Phrasemsystems sind hier zu finden (Gréciano 1994, 211). Erst in letzter Zeit sind Kleintexte in den Fokus der phraseologischen Forschung geraten, seit der EUROPHRAS 92 (Palm 1995, 117) sind Vorbehalte gegen sie als wissenschaftliche Untersuchungsgegenstände abgebaut, werden Verwendungsüblichkeit, Verteilung und Funktion der Phraseme auch in Kleintexten untersucht. Die Phraseodidaktik entdeckt authentische, adressatenspezifisch ausgewählte Kleintexte wie Filmankündigungen, Kummerbriefe und Ratgeberbriefe (Kühn 1996), die für die intensive textsortenorientierte Arbeit geeignet sind. Ebenfalls aus der Unterrichtspraxis stammt die Beschäftigung mit Sprachwitzen in einem sprachreflexiven Konzept (Ulrich 1980, 2000; Köster 2003). Sprachwitze (vgl. Art. 25) basieren auf der lexikalischen Ambiguität sprachlicher Einheiten, die “Wirkung beruht auf der Diskrepanz zwischen aufgebauter Hörer-/Lesererwartung und dem beabsichtigten Ergebnis” (Wotjak 1999, 57). Besonders Phraseme mit ihren wörtlichen und phraseologischen Lesarten erzielen diesen Effekt, der erfolgreiche Witz muss nach der Exposition (“Boxer”) beide
26. Phraseme in populären Kleintexten
Lesarten ermöglichen: “Wußtest Du schon, daß Berufsboxer oft mit einem Schlag reich werden können?” Bildwitze machen sich diesen kreativen Umgang mit Sprache perfekt zunutze.
Abb. 26.1.: “Freundin” 22/1994
Wotjak (1999) erläutert, welche Wissenssysteme bei der Rezeption von Sprachwitzen aktualisiert werden müssen; neben dem sprachlichen Systemwissen sind es das enzyklopädische samt Interaktionswissen (Textsortenwissen), die ein erfolgreiches Verstehen ermöglichen. Der Lehrer: “Bevor es Fernsehen gab, gingen die Leute mit den Hühnern zu Bett.” Fabian: “Deren Bettwäsche muß ja schön ausgesehen haben!” Die Komplexität des adäquaten Verstehens zeigt Hauser (2003) anhand der pointenwirksamen Verwendung von Phrasemen, er kann belegen, dass Sprachwitze in Abhängigkeit von der kindlichen Altersentwicklung realisiert werden. So kommen modifizierte Phraseme in pointenbildender Funktion erst bei Sechstklässlern vor.
2.
Massenmediale Horoskope
Ganz im Gegensatz zur Akzeptanz und Beliebtheit dieser Alltagstextsorte des Infotainments haben Horoskope in der linguistischen Forschung bislang relativ wenig Beachtung gefunden, obwohl sie sich für textlinguistische Analysen eignen (vgl. bereits Sandig 1978); es scheint nun der interessante Fall
309
einzutreten, dass Horoskope nach ihrer Wiederentdeckung im Kontext der Phraseodidaktik (Köster 1997, 2001) prototypische Gegenstände linguistischer Analysen werden (Bachmann-Stein 2004b). Die hier betrachteten Horoskope sind informativ-unterhaltend formulierte Beschreibungen alltagsweltlicher Dispositionen und Handlungen, die für einen bestimmten, zukünftigen Zeitraum Behauptungen, Voraussagen, Aufforderungen und Ratschläge in 12 Subtexten (Sternzeichen) anbieten. Als Bestandteile von Unterhaltungszeitschriften bzw. Zeitungen erfahren sie je nach Zeitschriftentyp z.T. sehr unterschiedliche sprachlich-stilistische Ausprägungen (Adressierungsverfahren, Referenzprozeduren, Textbildungsmuster, Sprachstile). Sie werden als unverbundene Parataxen oder als Bedingungs- und Begründungszusammenhänge, die Handlungsabfolgen und Szenarien konstituieren, realisiert. “Beruf: Nur einmischen, wenn Ihre Meinung auch gefragt ist. Liebe: Überzogene Treueschwüre wirken verdächtig. Geld: Ihre Rechnung geht auf. Gesundheit: Normal.” (“Bild” 16.11.95) “Zeigen Sie Gefühle. Jemand hat Sie nämlich tief ins Herz geschlossen, wagt aber nicht, Farbe zu bekennen. Bei den Finanzen ist Sparsamkeit angezeigt. Keine Kredite aufnehmen, keine allzu leichtfertigen Investitionen. Glückstag Montag: Bewegung hält Leib und Seele im schönsten Lot.” (“Freizeit Revue” 9/96) “Beleidigte Leberwurst. Ihre lieben Mitmenschen müssen Sie wie ein rohes Ei behandeln, damit Sie sich nicht auf den Schlips getreten fühlen. Zum Jahresbeginn scheint Humor für Sie ein Fremdwort zu sein. Jede noch so harmlose Bemerkung bringt Sie auf die Palme. Nehmen Sie nicht gleich alles so tragisch, und gehen Sie aus sich heraus: Ein Tratsch mit der besten Freundin kann manchmal Wunder wirken.” (“Brigitte” 1/1997)
Die unterschiedlichen Sprachstile spiegeln das Verhaltensangebot, das sich bestimmten zeitschriftentypbezogenen Mustern fügen soll und sich an unterschiedlichen Adressatenkreisen orientiert (Bachmann-Stein 2004a, 277). Immer wiederkehrende Referenzbereiche und Themen sind die Bezugspersonen (“Partner”, “Schatz”, “Traummann”) und Institutionenbegriffe (“Firma”, “Job”, “Finanzen”, “Gesundheit”, “Privatleben”, “Zweierkiste”). Personenreferenzen, Objektreferenzen und Zeitreferenzen sind hinreichend vage – Sandig spricht von der “Unbestimmtheit der Referenzgegenstände” (1978, 127) –, damit sie
310
VII. Phraseme in einzelnen Text- und Gesprächssorten/Set phrases in types of texts and conversation
von den Lesern auf reale und individuell bestimmbare Gegebenheiten übertragen werden können: “Uranus ist schuld, wenn Sie jetzt von der Leidenschaft zu einer Sache oder einem Menschen gepackt werden.” (“Journal für die Frau” 2/97) Neben der sehr häufig verwendeten Direktadressierung mit “Sie”, Ausdruck des Paradox einer kollektiven Individualität (Weidhase 1978, 121), findet sich die indirekte Form der imperativischen Adressierung mit Hilfe des Infinitivs. Nicht explizite Referenzen auf den Leser sind üblich, hierfür stehen Indefinitpronomina (“einige”, “manche”, “wenige”, “man”). Mit Pronomina wird ebenfalls auf Objekte verwiesen (“etwas”, “einiges”, “es”), adverbiale Phraseme mit temporaler Bedeutung (“in letzter Zeit”, “in nächster Zeit”, “dieser Tage”) zeigen deutlich ihre Unbestimmtheits-Funktion. Eine Relativierung der Voraussagen erfolgt durch Adverbien (“vielleicht”, “vermutlich”) und Modalverben, häufig im Konjunktiv II: “Beruflich könnte ein tolles Angebot ins Haus flattern, das Ihr bisheriges Leben völlig aus den Angeln hebt. [...] Vielleicht finden Sie jetzt endlich eine neue Wohnung, oder Ihre Hochzeitspläne nehmen plötzlich Gestalt an – in jedem Fall fühlen Sie sich in Ihrer neuen Haut rundum wohl.” (“Brigitte” 16/ 95)
Durchgängig ist in den Horoskop-Texten ein sehr hoher Anteil von Phrasemen, insbesondere verbaler voll-/teilidiomatischer Phraseme, festzustellen. Die ihnen eigene Unschärfe, semantische Dehnbarkeit und ihre Vagheit (Burger 2003, 77/8) gewährleistet die Anschlussfähigkeit an Alltagsthemen und unterschiedliche konkrete Lebenssituationen der Leser. Neben ihnen sind weitere satzgliedwertige und satzwertige Phraseme frequent und textsortentypisch zu finden: Gemeinplätze, Sprichwörter, Routineformeln, Funktionsverbgefüge, Kollokationen. Routineformeln und Modalpartikeln bewirken Angleichungen an die gesprochene Alltagssprache und bilden spontanes Sprechen nach; Sprichwörter finden sich in themensetzender Initialposition oder als finaler, pointierender Handlungsratschlag, apodiktisch formulierte Lebensweisheiten (Gemeinplätze; Bsp. Tautologien wie “was man hat, hat man”) bilden Bezüge auf das als selbstverständlich unterstellte Alltagswissen: “Sie haben im Moment das Gefühl, im siebten Himmel zu schweben. Schön und gut, die Realität aber sollten Sie nicht aus den Augen verlieren. Wachsam
bleiben. Setzen Sie sich kritisch mit einem Vorschlag auseinander. Es ist nicht alles Gold, was glänzt.” (“Frau im Spiegel” 8/97) “Was Sie sich nehmen, haben Sie. Wenn Sie erst auf eine Einladung warten wollten, würden Sie lange warten müssen.” (“Stern” 42/95)
Für Horoskop-Texte typische verbale voll-/ teilidiomatische Phraseme sind hervorragend geeignet, Affekte direkt zu thematisieren (“mit der Faust auf den Tisch hauen”; “Neue Welt” 46/1995) oder eine emotionale Sprechereinstellung mitschwingen zu lassen (“gewaltig ins Schleudern kommen”; “7 Tage” 46/1995). Sie bilden eine in der Sprachgemeinschaft usuelle lexikalisierte Form des Sprechens über Gefühle. Neben Affektivität, den Ausdruck menschlicher Gefühle, tritt Expressivität, die subjektiv-modale Markiertheit. Die “vielbeschworene” (Palm 1995, 118) Expressivitätssteigerung durch den Gebrauch von Phrasemen und deren prinzipiell expressiv-wertender Charakter beruht auf den Konnotationen, die den Formeln des Bewertens inhärent sind. Der semantisch-pragmatische Mehrwert betrifft die Gradierung (“etw. über Bord werfen”; “Petra” 6/1995) und positive (“alte Zöpfe abschneiden”; “Maxi” 2/1996) oder negative Implikationen (“um den heißen Brei herumreden”; “Brigitte” 13/1995). Wie auch in anderen Kontexten ergeben in den Horoskoptexten die somatischen Phraseme den produktivsten Bildbereich; dominante Leitbegriffe stellen die favorisierten Bewältigungsmuster im Alltag vor, die den Rezipienten empfohlen werden (Bsp. Ärger, realistische Beurteilung, konsequentes Handeln, Veränderung, Erfolg; vgl. Köster 2001) und die in den Texten propositional verknüpft sind. Kotext und individueller Kontext aktualisieren normalerweise das phrasemeigene Bedeutungspotential: “Erst der Rezipient bestimmt das Maß an Obligationen.” (Bachmann-Stein 2004a, 296) “Aufgepasst! Ihre Leidenschaft kennt keine Grenzen. Sie neigen dazu, alle Brücken hinter sich abzubrechen und unbeirrt einer neuen Liebe oder Faszination zu folgen. Ihre schonungslose Offenheit stößt andere dabei vor den Kopf. Wer um sich schlägt, könnte bald vor einem Scherbenhaufen stehen. Suchen Sie sich ein Ventil, damit Sie Ihre überschüssige Energie nicht auch noch gegen sich selbst richten.” (“Brigitte” 21/1995)
Horoskope haben sich in der Phraseologie als Untersuchungsgegenstand etabliert; empirische Analysen belegen eine ungewöhnlich hohe Phrasem-Quote (Köster 1997, 2001;
311
26. Phraseme in populären Kleintexten
Preußer 2002; Skog-Södersved 2004), die horoskopbildenden Potenzen von Phrasemen zeigen sich an Texten wie dem folgenden, der – wie alle Horoskoptexte – auf Redecharakterisierung und metakommunikative Steuerung verzichtet und noch jede seiner Aussagen in Idiomatizität kleidet: “Endlich geht Ihnen ein Licht auf. Sie begreifen, dass Ihre Zeit gekommen ist. Halten Sie Augen und Ohren offen! Alle Informationen helfen, Ihr Profil ins rechte Licht zu setzen.” (“Prisma” 34/2004)
3.
Perspektiven
(a) Phraseodidaktik Gebrauchspräferenzen phraseologischer Einheiten können am besten in ihren authentischen Situations- und Textzusammenhängen, unter Einbezug kontrastiver Aspekte, vermittelt werden – so eine zentrale Position der Phraseodidaktik (Kühn 1996). Das Problem, das sich bei der Vermittlung des Deutschen als Fremdsprache zuvor stellt, ist die Ermittlung des frequenten Kernbereichs oder phraseologischen Optimums (Hessky 1992, 167). Bislang konnte die Forschung keine begründete und verlässliche Frequenzliste bereitstellen. Textsorten wie das Horoskop, in denen Phraseme typischerweise vorkommen, bieten sich nun für die unterrichtliche Arbeit an, da die Horoskopmacher wegen der Zielgruppenorientiertheit der Unterhaltungsillustrierten von einem naiven und nativen, von allen geteilten Welt- und Sprachwissen ausgehen müssen; die Unterstellung ist also, dass sich in diesen Texten annäherungsweise usuelle und aktuell gebrauchte Phraseme finden lassen. (b) Kontrastivität Kontrastive Untersuchungen der Textsorte Horoskop müssten noch ihre enge Verbindung mit Phrasemen auch in anderen Sprachen bestätigen; für finnische und schwedische Horoskoptexte, die Skog-Södersved (2004) analysiert hat, scheint dies nicht zutreffend zu sein, für das Englische wiederum sind Horoskope eine “extraordinarily rich natural source of idioms” (McCarthy/Carter 1994, 114). Wenige textlinguistische Untersuchungen liegen bereits vor (Martinell Gifre 1990; Gobyn 1992). Studien zu textsortenspezifischen phraseologischen Profilen sind in der kontrastiven Phraseologie aber immer noch “deutlich seltener” zu finden als die beliebten strukturellen Klassifizierungen, wie
Korhonen/Wotjak (2001, 231) bedauernd feststellen. Dabei gilt es doch: “Man empfängt Sie mit offenen Armen. Kommen Sie selbst nicht mit leeren Händen.” (“Stern” 43/ 95)
4.
Literatur (in Auswahl)
Bachmann-Stein, A. (2004a): Sprachliche Vagheit im Spannungsfeld zwischen Semantik und Pragmatik am Beispiel von Zeitschriftenhoroskopen. In: Pohl, I./Konerding, K.-P. (Hrsg.): Stabilität und Flexibilität in der Semantik. Strukturelle, kognitive, pragmatische und historische Perspektiven. Frankfurt a.M., 275–298. Bachmann-Stein, A. (2004b): Horoskope in der Presse. Ein Modell für holistische Textsortenanalysen und seine Anwendung. Frankfurt a.M. Burger, H. (2003): Phraseologie. Eine Einführung am Beispiel des Deutschen. 2., überarb. Auflage. Berlin. Gobyn, L. (1992): “Je gaat een gezellige week tegemoet, beste stier.” Een linguïstisch-stilistische beschrijving van horoscopen in tijdschriften. In: De Caluwe, J./Devos, M./Ryckeboer, H./Taeldeman, J. (Red.): Tekstsoorten. Een selectie uit het werk van Luc Gobyn. Gent, 127–158. Gréciano, G. (1994): Vorsicht, Phraseoaktivität! In: Sandig, B. (Hrsg.): EUROPHRAS 92. Tendenzen der Phraseologieforschung. Bochum, 203–218. Hauser, S. (2003): Phraseologismen in Kinderwitzen. In: Burger, H./Häcki Buhofer, A./Gréciano, G. (Hrsg.): Flut von Texten – Vielfalt der Kulturen. Baltmannsweiler, 403–475. Heinemann, M. (2000): Textsorten des Alltags. In: Brinker, K./Antos, G./Heinemann, W./Sager, S.F. (Hrsg.): Text- und Gesprächslinguistik. Linguistics of Text and Conversation. 1. Halbband. Berlin, 604–614. Hessky, R. (1992): Aspekte der Verwendung von Phraseologismen im Unterricht Deutsch als Fremdsprache. In: Fremdsprachen lehren und lernen 21, 159–168. Korhonen, J./Wotjak, B. (2001): Kontrastivität in der Phraseologie. In: Helbig, G./Götze, L./Henrici, G./Krumm, H.-J. (Hrsg.): Deutsch als Fremdsprache. Ein internationales Handbuch. 1. Halbband. Berlin, 224–235. Köster, L. (1997): Phraseologismen im Unterricht Deutsch als Fremdsprache. Kontrastives Vorgehen mit Hilfe der Textsorte ‘Horoskop’. In: Das Wort. Germanistisches Jahrbuch. Bonn, 283–308. Köster, L. (2001): “Vorsicht: Sie könnten andere mit Ihren Ansprüchen vor den Kopf stoßen.” Phraseologismen in populären Kleintexten und ihr Einsatz im DaF-Unterricht. In: Lorenz-Bourjot, M./Lüger, H.-H. (Hrsg.): Phraseologie und Phraseodidaktik. Wien, 137–153.
312
VII. Phraseme in einzelnen Text- und Gesprächssorten/Set phrases in types of texts and conversation
Köster, L. (2003): Sprachreflexive Literatur – kurze sprachspielerische Texte im Fremdsprachenunterricht Deutsch. In: Aktuelles für den Deutschunterricht in Finnland 34, 13–33. Kühn, P. (1996): Redewendungen – nur im Kontext! Kritische Anmerkungen zu Redewendungen in Lehrwerken. In: Fremdsprache Deutsch 15, 10–16. Martinell Gifre, E. (1990): Comentario Lingüístico del horóscopo. In: Anuari de filologia. Secció F. Estudios de lengua y literatura españolas 13, 1, 57– 63. McCarthy, M./Carter, R. (1994): Language as Discourse. Perspectives for Language Teaching. London. Palm, C. (1995): Phraseologie. Eine Einführung. Tübingen. Preußer, U. (2002): Phraseologismen in Horoskopen. Über sprachliche Formelhaftigkeit in Kürzesttexten. In: Hartmann, D./Wirrer, J. (Hrsg.): Wer A sägt, muss auch B sägen. Beiträge zur Phraseologie und Sprichwortforschung aus dem Westfälischen Arbeitskreis. Baltmannsweiler, 313–324. Sandig, B. (1978): Stilistik. Sprachpragmatische Grundlegung der Stilbeschreibung. Berlin.
Skog-Södersved, M. (2004): Aus dem Leben eines Wassermanns – Phraseologismen im Dienste der Horoskope. In: Földes, C. (Hrsg.): Res humanae proverbium et sententiarum. Ad honorem Wolfgangi Mieder. Tübingen, 287–294. Ulrich, W. (1980): Der Witz im Deutschunterricht. Braunschweig Ulrich, W. (2000): Sprachspiele für jüngere Leser und Verfasser von Texten. Texte und Kommentare. Ein Vorlesebuch, Lesebuch und Sprachbastelbuch für Schule und Elternhaus. Aachen. Weidhase, H. (1978): Himmelsauskunft in irdischer Sprache. Materialien und Gedanken zum literarisch-publizistischen Kleingenre “Horoskop”. In: Der Deutschunterricht 30, 109–138. Wotjak, B. (1992): Verbale Phraseolexeme in System und Text. Tübingen. Wotjak, B. (1999): Zu textuellen Vernetzungen von Phraseologismen am Beispiel von Sprachwitzen. In: Fernandez Bravo, N./Behr, I./Rozier, C. (Hrsg.): Phraseme und typisierte Rede. Tübingen, 51–62.
Lutz Köster, Bielefeld (Deutschland)
27. Phraseme in populärwissenschaftlichen Texten 1. 2.
4.
Populärwissenschaftliche Texte Arten von Phrasemen in populärwissenschaftlichen Texten Funktionen von Phrasemen in populärwissenschaftlichen Texten Literatur (in Auswahl)
1.
Populärwissenschaftliche Texte
3.
Nachdem zunächst systemlinguistische Untersuchungen den Schwerpunkt phraseologischer Arbeiten gebildet hatten, rückten später Arbeiten zur Verwendung von Phrasemen in Texten in den Mittelpunkt des Interesses. In der Literatur aus der Mitte der Achtzigerjahre war man übereinstimmend darauf orientiert, “zukünftige phraseologische Untersuchungen vor allem der Verwendungsweise von Phraseologismen und ihren Funktionen unter funktional-stilistischen, funktional-kommunikativen, pragmatischen oder ähnlichen Gesichtspunkten zu widmen” (Kunkel 1985, 226). Die besondere Aufmerksamkeit galt dabei zunächst der künstlerischen Literatur (Belletristik), Texten der Massenmedien (Presse/Publizistik), der Alltagskommunikati-
on und der Werbung (vgl. Burger/Buhofer/ Sialm 1982, Fleischer 1982). Erst auf der Grundlage dieser Arbeiten entstanden Forschungen, die auch andere Textbereiche beleuchteten. Dazu gehörten (wissenschaftliche) Fachtexte, populärwissenschaftliche Texte und Gesetzestexte (vgl. Kunkel 1986; 1991). Populärwissenschaftliche Texte sind anzusiedeln zwischen Fach- und Allgemeintexten. Mit ihnen wird fachliches Wissen an eine meist auf diesem Gebiet nicht speziell ausgebildete Leserschaft vermittelt. “Die Funktion populärwissenschaftlicher Vermittlungstexte besteht vorwiegend darin, fachexterne Rezipienten über relevantes aktuelles Fachwissen sach- und/oder erlebnisbetont zu informieren sowie ein weiterführendes Interesse für neue wissenschaftliche Entwicklungen zu wecken. Ferner sind die populärwissenschaftlichen Texte darauf gerichtet, Kenntnisse in interessanter, ästhetisch ansprechender, unterhaltsamer Weise zu vermitteln” (Baumann 1998, 731). Ziel solcher Texte ist es also, die Aufmerksamkeit der Leserinnen und Leser zu gewinnen, ihr Interesse an bestimmten Fragestellungen zu wecken oder zu verstärken und
313
27. Phraseme in populärwissenschaftlichen Texten
Wissen zu vermitteln. Die Leserinnen und Leser sollen auch emotional angesprochen werden. Besonderen sprachlichen, textlichen und grafischen Gestaltungselementen kommt große Bedeutung zu. Populärwissenschaftliche Texte lassen sich verschiedenen Textsorten zuordnen. “Unter populärwissenschaftlichen Vermittlungstexten soll (...) eine Gruppe von Textsorten verstanden werden, die darauf gerichtet ist, einem heterogenen nichtfachlichen Adressatenkreis fachliche Informationen auf eine kommunikativ-kognitive Weise zu vermitteln, die Kommunikationskonflikte ausschließt” (Baumann 1998, 730). Populärwissenschaftliche Texte finden sich u.a. als (Sach)bücher, Lexikon-, Zeitschriften– oder Buchartikel oder inzwischen längst auch als Internetseiten oder auf CD-ROMs. Im Unterschied zu Fachtexten haben sie eine geringere Informationsfülle und –dichte. Die Texte sind häufiger als Fachtexte personalisiert und nehmen Bezug auf die Alltagserfahrungen der Leserschaft. Der Nachrichtenwert des behandelten Sachverhalts ist hoch, der Sachverhalt ist von aktuellem Interesse für das Lesepublikum. Fachwortschatz wird, wenn er überhaupt benutzt wird, häufig in Erklärungen eingebettet oder umschrieben. Zu untersuchen war also, ob Phraseme in populärwissenschaftlichen Texten überhaupt auftreten und wenn ja, mit welchen Funktionen.
2.
Arten von Phrasemen in populärwissenschaftlichen Texten
In ihrer Dissertation stellte Kunkel (1986; 1991) Mitte der Achtzigerjahre fest, dass in populärwissenschaftlichen Texten alle untersuchten Arten von Phrasemen (Phraseolexeme, Nominationsstereotype, Phraseoschablonen) auftreten. Den überwiegenden Anteil stellen dabei die Phraseolexeme, also das Zentrum der Phraseme überhaupt. So fanden sich in den untersuchten Texten Beispiele wie Eulen nach Athen tragen, unter seine Fittiche nehmen, in die Waagschale werfen, ins Auge springen, seinem Namen alle Ehre machen, wie aus Kannen gießen, etw. in immer schwärzeren Farben an die Wand malen, eitel Glück und Sonnenschein, in Hülle und Fülle und viele andere usuelle oder modifizierte Phraseolexeme. Im Vergleich zu Fachtexten, die ebenfalls untersucht wurden, war die Zahl der Mehrfachbelegungen einzelner Phraseolexeme deutlich geringer. Dies spricht für eine individuellere Auswahl der Phraseolexeme
durch die Autorinnen und Autoren. In deutlich geringerem Maße als Phraseolexeme treten Nominationsstereotype in populärwissenschaftlichen Texten auf. Nachweisen ließen sich u.a. mehr oder weniger, mehr und mehr, hier und da, von Jahr zu Jahr, in aller Eile, Art und Weise. Neben diesen allgemeinsprachlichen Nominationsstereotypen erscheinen auch fachsprachlich geprägte: an Deck, vom Stapel laufen, auf Kiel legen (alle in einem Artikel über Tendenzen im modernen Schiffbau). Nochmals geringer ist das Auftreten von Funktionsverbgefügen (als einer Gruppe der Phraseoschablonen). In Anspruch nehmen, Ausdruck finden, zum Ausdruck kommen, Erwähnung finden, einen Beitrag leisten, in Erscheinung treten, Anlass geben, Anwendung finden und andere wurden nachgewiesen. Im Auftreten der Phraseme gibt es keine Unterschiede hinsichtlich der Thematik der populärwissenschaftlichen Texte: Die Verteilung auf die einzelnen Gruppen ist unabhängig von einem natur- oder geistes- bzw. sozialwissenschaftlichem Thema. Das ist ein wesentlicher Unterschied zur Gruppe der ebenfalls untersuchten wissenschaftlichen Vorträge. Ebenfalls ließ sich zeigen, dass es offenbar eine Korrelation gibt zwischen der Größe einer Gruppe von Phrasemen und der Zahl der mehrfach belegten Phraseme: Je größer die Gruppe (an der Spitze stehen die Phraseolexeme), desto geringer die Zahl der Mehrfachbelegungen. Höppnerová (1991) untersuchte fachsprachliche “Phraseologismen in der Fachsprache der Außenwirtschaft”, und zwar in den Textsorten wissenschaftliche Texte, Fachzeitschriften, Handelskorrespondenz und populärwissenschaftliche Texte. Sie stellte dabei fest, dass “das Vorkommen der PH [in den populärwissenschaftlichen Texten – K.K.-R.] (...) am niedrigsten (ist), wobei relativ ‘durchsichtige’, allgemeinverständliche substantivische Termini die größte Gruppe bilden”.
3.
Funktionen von Phrasemen in populärwissenschaftlichen Texten
Von den drei von Kunkel (1986; 1991) untersuchten Gruppen (Phraseolexeme, Nominationsstereotype, Phraseoschablonen [bes. FVG]) überwiegen in populärwissenschaftlichen Texten die Phraseolexeme. “Das deutet darauf hin, dass im Unterschied zu den Vor-
314
VII. Phraseme in einzelnen Text- und Gesprächssorten/Set phrases in types of texts and conversation
trägen [also Fachtexten, K.K.-R.] weniger mit Stereotypen gearbeitet wird, dem Aspekt der Ausdrucksvariation und der Herstellung eines engen Partnerbezuges eine größere Rolle zukommt” (Kunkel 1991, 105). Offenbar sind Partnerbezug und Anschaulichkeit die am stärksten wirkenden Ursachen für die Verwendung von Phrasemen in diesen Texten. Die Phraseme dienen der Realisierung solcher kommunikativer Funktionen wie “Wertungs-, Anschaulichkeits-, Emotionalisierungs- und Unschärfefunktion und der Herstellung von Partnerbezügen” (Kunkel 1991, 104). Die Nominationsstereotype als zweitgrößte Gruppe von Phrasemen in populärwissenschaftlichen Texten lassen sich untergliedern in fachspezifische und allgemeinsprachliche Nominationsstereotype. Fachlich gebundene sind – strukturell betrachtet – sehr häufig substantivische Nominationsstereotype. Diese sind ein wichtiges Mittel “zur Fixierung des Wirklichkeitsausschnittes” (Kunkel 1991, 104), der in den populärwissenschaftlichen Texten behandelt wird. Inzwischen sind viele Arbeiten zur Fachphraseologie entstanden (Höppnerová 1991, Duhme 1991, Gréciano 1998), die diesen Befund bestätigen und für eine Erweiterung der Phraseologieauffassung im Sinne Burgers (1982) plädieren. Adverbiale Nominationsstereotype hingegen sind nur sehr selten fachspezifisch gebunden. Sie zeigen Prozessualität an oder dienen dazu, eine genaue Festlegung, die nicht möglich ist oder aber vermieden werden soll, zu umgehen (mehr oder weniger, hier und da). Die auftretenden Funktionsverbgefüge (als Vertreter der Gruppe der Phraseoschablonen) sind selten fachsprachlich geprägt (z.B. durch das Verbalsubstantiv), sondern gehören in ihrer großen Mehrheit dem allgemeinsprachlichen Bereich an. Sie dienen in den Texten überwiegend dem “differenzierten Ausdruck der Aktionsarten und einer indirekten Wiedergabe des Passivs” (Kunkel 1991, 104). Zwanzig Jahre nach diesen Untersuchungen wird das Thema “Phraseme in populärwissenschaftlichen Texten” nun wieder aufgenommen: Stefan Kühtz (Saarbrücken) untersucht in seiner Dissertation das Auftreten von Phrasemen und Formulierungsmustern in medizinischen Fachtexten. “In einem ersten Schritt werden Phraseologismen und Formulierungsmuster in Fachtexten des höchsten Fachlichkeitsgrades (z.B. aus ‘Der Internist’) empirisch erfasst und klassifiziert. (...) Die Befunde sollen Aufschluss darüber geben,
welche Anteile verschiedene Phraseologismentypen am Textaufbau haben (...) Es ist anschließend zu prüfen, ob sich in laienadressierten Texten (z.B. medizinische Artikel aus der ‘Apotheken-Umschau’ oder ‘GEO’) die Vorkommenshäufigkeiten bestimmter Phraseologismentypen verändern, wenn ja, vermutlich zugunsten der gemeinsprachlichen Phraseologie (...) In einem zweiten Schritt dieser Untersuchung sollen einzelne Phraseologismen und typische Formulierungen hinsichtlich ihrer textspezifischen Funktionen analysiert werden. Dabei sind insbesondere jene Verwendungen von Interesse, bei denen mehr als die Vermittlung reiner Sachinformation intendiert ist: Phraseologie der Bewertung und Phraseologie der (versteckten) Argumentation.” Es bleibt abzuwarten, ob diese Arbeit die bereits vorliegenden Ergebnisse bestätigen oder modifizieren wird. Interessant wäre weiterhin eine Forschungsarbeit, die große Mengen von populärwissenschaftlichen Texten als Teile elektronischer Korpora hinsichtlich phraseologischer Fragestellungen analysieren würde – die vorhandenen Korpora scheinen dafür aber noch zu unausgewogen zu sein.
4.
Literatur (in Auswahl)
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Kathrin Kunkel-Razum, Mannheim (Deutschland)
VIII.Phraseme in literarischen Texten und Autorenphraseologie/ Phraseology of literary texts and individual authors 28. Phraseme in literarischen Texten 1. 2. 3. 4. 5.
Phraseme und literarische Texte Phraseme als literarische Kunstwerke Phraseme in literarischen Kunstwerken Phraseme in Autorenwörterbüchern Literatur (in Auswahl)
1.
Phraseme und literarische Texte
In einer der gelungensten dichterischen Demonstrationen der Vielfalt moderner literarischer Stilistik, den “Exercices de style” von Raymond Queneau (1947), finden sich 99 Variationen eines Textes bzw. eines Sujets. Viele dieser mannigfaltigen Variationen, die sich auf bestimmte Stilfiguren, Dialekte, Fachjargons, Erzählzeiten, Experimente auf der Wort- und Buchstabenebene und spezifische Textsorten im weitesten Sinne erstrecken, enthalten Phraseme. Auffällig ist jedoch, dass keine der Variationen ausschließlich “phraseologisch”, “idiomatisch” oder “proverbial” gestaltet ist. Es scheint also zumindest für Queneau keinen typisch “phraseologischen” Stil bzw. Text zu geben. Inwieweit sich dennoch stilistische oder literarische Konventionen innerhalb der Literaturgeschichte ausmachen lassen, die den verstärkten Gebrauch von Phrasemen bedingen, kann im Folgenden nur angedeutet werden. Weder die Literaturwissenschaft noch die Linguistik haben sich dieser Frage in einem breiteren Rahmen angenommen. Immerhin fällt auf, dass einige der Variationen Queneaus “anfälliger” für den Gebrauch von Phrasemen sind als andere. Grob verallgemeinernd kann man feststellen, dass es sich dabei um Texte handelt, in deren Sprache eine Bewertung oder subjektive Einschätzung zum Ausdruck kommt. Diese kann in der Einstellung zum sprachlichen Ausdruck selbst liegen, der dann z.B. auch fremdsprachige Phraseme enthält (vgl. folgende Phraseme in “Précieux”: “le soleil dans toute sa fleur” [Queneau 1947, 188]; “ce chef-d’œuvre de l’industrie automobile française contemporaine”; “où se serraient les transbordés comme harengs en caque”; “un garnement [...] éleva la voix”; “qui selon lui avait pour origine”; “un cousager présent hic et nunc”;
usw. [Queneau 1947, 189]), bzw. in der (ideologischen) Grundhaltung der Sprechenden begründet sein (vgl. z.B. die Phraseme in “Féminin” [Queneau 1947, 135ff.] oder in “Réactionnaire” [Queneau 1947, 129ff.]). Dennoch lässt sich auch aus diesen Beispielen keine dominante Funktion d e r Phraseme in literarischen Texten oder Textsorten ablesen. Das liegt auch an der Vielfalt der Phraseme und ihren Untergruppen. Strukturelle Phraseme und viele der kommunikativen Phraseme dienen auch in literarischen Texten weniger der Bewertung, subjektiven Einschätzung oder der Expressivität als nominative und propositionelle Phraseme. Bei letzteren sind oft die unterschiedlichen Grade der Idiomatizität ausschlaggebend. Zumindest zeigt die Geschichte der Verwendung von Phrasemen in der Literatur, dass den nominativen und propositionellen Phrasemen in den literarischen Werken größere Aufmerksamkeit gewidmet wird und dass ihnen in der Regel sowohl im Detail als auch für das Werkganze größere Bedeutung zukommt. Eine systematische Untersuchung der Rolle von Phrasemen in der Literatur ist bislang nicht erfolgt. Es gibt Untersuchungen zum Werk einzelner Schriftsteller und Schriftstellerinnen, Ansätze zur Untersuchung einzelner Epochen am Beispiel ausgewählter Autoren und verstreute grundsätzliche Überlegungen (mit exemplarischen Ausführungen) in einigen der bislang existierenden Handbücher und Einführungen in die Phraseologie. Diese Arbeiten sind von Mieder großenteils bibliographisch erfasst und werden von ihm fortlaufend bibliographiert (Mieder 1982, 1990, 1993, 2001, 2003; Mieder/Bryan 1996). Für den Bereich der romanischen Kulturen und Literaturen sei auf Lengert (1999) verwiesen, eine Bibliographie, in der es entsprechende Unterabteilungen zu den jeweiligen Literaturen, ihren Epochen bzw. Autoren gibt.
2.
Phraseme als literarische Kunstwerke
Das Verhältnis von Phraseologie zu Literatur ist gekennzeichnet durch den mehr oder minder kreativen Gebrauch von Phrasemen als
28. Phraseme in literarischen Texten
Einheiten der Sprache in literarischen Texten. Dabei ist jedoch entscheidend, was man unter sprachlicher Kreativität versteht. Für Chomsky besteht diese darin, dass die Sprache es als System mit einem relativ starren Inventar von Regeln und Wörtern den Sprechern ermöglicht, eine unendliche Zahl von neuen Äußerungen zu bilden. Es gibt aber eine andere Tradition, die der Humboldt’schen Auffassung von Sprache als “energeia” verpflichtet ist, die Sprache nicht nur als Material für die Kunst/Literatur sieht, sondern von einer “elementaren Poetizität der Sprache” ausgeht. In dieser Auffassung “entspricht die Sprache in ihrem ganzen Umfang und jedes einzelne Wort [...] der Kunst.” (Potebnja 1905, 104). Die Gleichsetzung des Wortes mit dem Kunstwerk durch Steinthal (1858, 131) und Potebnja (1922, 145), die Annahme einer inneren Form in jedem Wort, die (als nächste etymologische Bedeutung) gleichsam dessen Motiviertheit voraussetzte, hatte Folgen für ein Sprachverständnis, das zwar in vielem Positionen der modernen Semiotik vorwegnahm (Eismann 1985, 6ff.), jedoch gewisse systemlinguistische Beschränkungen vermied. Unter dem Einfluss de Saussures sollte diese grundsätzliche Auffassung des sprachlichen und künstlerischen Zeichens als aus drei Elementen bestehend bald der binaristischen Konzeption Jakobsons u.a. weichen. Bereits 1929 entwickelte dieser gemeinsam mit Bogatyrev eine Konzeption, die die Unterscheidung von langue und parole auf Erscheinungen der Folklore und der Literatur übertrug. Für die Folklore war die Einstellung auf die langue, für die Literatur die auf die parole charakteristisch (Bogatyrev/Jakobson 1929, 147). Sprichwörter gehörten wie alle anderen kleinen Formen konsequenterweise zum System der langue und konnten damit keinen Status als “Kunstwerke” erhalten oder behalten, wie in der Auffassung Potebnjas und seiner Nachfolger. In deren dynamisch-historischer Konzeption konnten die Einheiten, die größer als das Wort waren, z.B. von der Fabel zum Sprichwort, zur Redensart und zum Einzelwort kondensieren, so wie sich aus dem als Kunstwerk gedachten Einzelwort größere Einheiten entwickeln konnten. Auf alle Fälle bewahrten sie ihre kreativen Potenzen, wenn ihre innere Form nicht völlig in Vergessenheit geriet. Diese Auffassung von der Dynamik der kleinen Formen in ihrer historischen Entwicklung wurde später von Hausenblas und Mokienko unter den Begriffen Explizitheit
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und Implizitheit für die Phraseologie fruchtbar gemacht (Mokienko 1976), wobei der quantitative Prozess (Erweiterung/Verdichtung) offensichtlich leichter zu fassen war als der qualitative, der mit Verstärkung des Zeichencharakters vs. Verstärkung der Expressivität eher vage umrissen ist. Eine Weiterentwicklung der Ideen Potebnjas hat Permjakov in seinen Arbeiten vorgenommen, wobei er allerdings den dynamischhistorischen Ansatz Potebnjas teilweise einer synchron-systematischen Auffassung opferte. Auch für Permjakov gibt es eine Entwicklung vom Wort bis hin zu “komplizierten” einfachen Formen der Folklore. Deshalb hat er eines seiner wichtigsten Werke auch “Vom Sprichwort zur Volkserzählung” genannt (Permjakov 1970). Alle Einheiten vom Wort bis zu den Volkserzählungen sind für ihn Einheiten der Sprache. Der Unterschied der Phraseme und Parömien zu den Lexemen besteht darin, dass sie nur eine fakultative Ebene der langue bilden. Daraus ergibt sich eine Hierarchie der Ebenen: während mit der niedrigsten lexikalischen Ebene alles das ausgedrückt werden kann, was auch durch Phraseme und Parömien ausgedrückt wird, ist die mittlere, phraseologische Ebene eine Hilfsebene, die als Ergänzung des Wortinventars dient; sie dient zur Bildung spezifischer Begriffe, zur markanteren stilistischen bzw. expressiven Färbung. Die oberste parömiologische Ebene hingegen umfasst Einheiten, die typisierte Lebenssituationen bezeichnen, Lebensregeln (Modellcharakter) formulieren usw. Sie bildet ein zwar typologisch geschlossenes, aber grundsätzlich offenes System. Für die Parömien konstatiert Permjakov explizit, dass die Ebene der Realien (Bestandteile, Komponenten) sie zu Kunstwerken mache (Permjakov 1979, 29), aber auch von den Realien als Bildern in den Phrasemen im engeren Sinn sagt er, dass diese sie künstlerischen Miniaturen annäherten. Dennoch macht er einen wichtigen Unterschied: während die gegenständlich-bildliche Ebene für den Modell(oder Kunstwerk-) Charakter der Parömien ausschlaggebend ist, haben die gegenständlich-bildlichen Elemente der Phraseme keinen Einfluss auf deren Gesamtbedeutung (1979, 49). Dabei hat Permjakov übersehen, dass ähnlich wie in den Parömien, die auf der Ebene der Realien (Sprichwortsituation) die Geschichte ihrer Bildung bewahrt haben, die im Sprichwortgebrauch noch realisiert bzw. nachvollzogen werden kann und von der ge-
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VIII. Phraseme in literarischen Texten und Autorenphraseologie/Phraseology of literary texts
nerellere Bedeutungen abstrahiert werden, auch in den Phrasemen der Prozess ihrer Bildung (mit allen poetischen Potenzen) erhalten, wenn auch in vielen Fällen nicht nachvollziehbar ist. Hier hat die historische Phraseologie inzwischen überzeugend nachweisen können, dass selbst die für den heutigen Sprecher opaken Phraseme nach in der Sprache gültigen Modellen gebildet wurden (Mokienko 1980). Die künstlerischen Potenzen sind also auch in den Phrasemen und sogar in einzelnen Lexemen enthalten. In der konkreten Sprachverwendung ist die Aktualisierung dieser Potenzen nicht immer möglich. Man kann jedoch generalisierend eine aufsteigende Linie der Möglichkeiten der kreativen Verwendung, des Spiels zwischen innerer Form und Gesamtbedeutung vom einzelnen Wort über das Kompositum und das Phrasem bis hin zur Parömie konstatieren. Einfluss auf diese Möglichkeiten hat natürlich die Art der Phraseme. So sind Teil-Idiome und Idiome für derlei kreativen Gebrauch eher prädestiniert als Kollokationen. Ersteller von Wörterbüchern, die die sprachliche Norm erfassen wollen, eben die Ebene der langue, verweisen die gekonnte Abänderung, das Spiel mit den Phrasemen usw. in den Bereich der sprachlichen Kreativität, die sie nicht erfassen können. Diese Kreativität, die sich deutlich von der Kreativität im Sinne Chomskys unterscheidet, kann sich auf alle sprachlichen Einheiten beziehen. Sie scheint in besonderem Maße den sekundären Bedeutungen eigen und kann hier in besonderem Maße aktiviert werden. Daher kann man die Phraseme als eingefaltete literarische, künstlerische Strukturen sehen, die ein besonderes Potential ihrer ästhetischen künstlerischen Verwendung bergen, das in der Literatur, aber auch in anderen Textformen aktualisiert werden kann.
3.
Phraseme in literarischen Kunstwerken
3.1. Phraseme in der Volksliteratur Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf einige grundsätzliche Überlegungen und exemplarische Demonstrationen zum Vorkommen und zur Funktion von Phrasemen in der schönen Literatur. Auch in der Volksliteratur spielen Phraseme und vor allem Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten eine Rolle. Zur Entfaltung und Kondensierung von kleineren in größere bzw. größeren in kleinere Einheiten haben Potebnja
(1905), Mokienko (1976) und vor allem Permjakov (1979) grundlegende Beiträge geliefert. In den übrigen Untersuchungen steht zumeist das Vorkommen von Sprichwörtern und sprichwörtlichen Redensarten und deren Verwendung in Volkserzählungen, Märchen und Fabeln im Vordergrund (Röhrich/Mieder 1977, 83ff.; Božinova 1990). Die in vielen Volksliteraturen häufige Verwendung des Sprichworts als Epimythion oder Promythion der Fabel bzw. als Titel von Volkserzählungen könnte auch als Ausgangs- bzw. Endpunkt von Entfaltung und Kondensierung gesehen werden. 3.2. Überblick über einige Ergebnisse der bisherigen Forschung Die bisherigen Untersuchungen zum Vorkommen und zur Funktion von Phrasemen in der Literatur haben in den seltensten Fällen Überblickscharakter. Zumeist werden ausgewählte Bereiche, Epochen und Werke behandelt. Beispiel eines Überblicks im Kontext der Stilistik ist Schmidt-Hidding (1962), der chronologisch geordnet auf den Gebrauch von Phrasemen bei einer Reihe bedeutender englischer Autoren eingeht. Mieder (1973) hat das Wesen der literarischen Sprichwortstudien (und das war in diesem Fall sicher auf Studien zu allen Phrasemen übertragbar) in der Identifizierung und Interpretation der Sprichwörter gesehen und generelle Bemerkungen zum zeitabhängigen Wechsel der Funktionen derselben in literarischen Werken gemacht. Beispielhaft für die schwierige Identifizierung von Sprichwörtern und sprichwortartigen Mikrotexten in der älteren deutschen Literatur sind die Arbeiten von Hofmeister (1995). Koller (1977, 79ff.) hat den von ihm erstellten Katalog der pragmatischen Funktionen der Phraseme auch in der Trivialliteratur wiedergefunden, in der diese die Funktion haben, “bestimmte Verhaltensweisen, Handlungsmuster, [...] Situationen des Alltagslebens zu erfassen und auf einfache, allgemeingültig-anerkannte und bewährte Formeln zu bringen”. Kollers Kritik an Günter Grass’ bewusstem Einsatz von direkter und übertragener Bedeutung von Phrasemen und der Evozierung nicht genannter Phraseme in dessen “Blechtrommel”, die dem Autor sprachlichen Manierismus vorhält und dass es schwierig sei festzustellen, was er eigentlich meine (200), wird dem literarischen Kunstwerk nicht gerecht, das kein Gebrauchstext ist. Gerade vor dem Hintergrund akzeptierter litera-
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28. Phraseme in literarischen Texten
turtheoretischer Auffassungen von Literatur als Erschwerung der Wahrnehmung, vom literarischen Text als vieldeutig usw. muss dieser Text und diese Passage als Literatur par excellence gelten. Schweizer (1978) hat die Phraseme im Prosawerk von Günter Grass gesammelt und die vielfältigen Formen des Sprachspiels mit ihnen analysiert. Sie stellt in ihrer Arbeit generalisierend und zutreffend fest, dass sich “im Sprachspiel mit idiomatischen Ausdrücken [...] eine Art reflexiv schöpferisches Sprachbewusstsein auslebt, das vorgegebene sprachliche Formen und konventionalisierte Bedeutungen zu neuen Formen und Bedeutungen umformt” (1978, 3). Es ist anzunehmen, dass das für alle Textsorten gilt, in denen wir es mit Sprachspielen zu tun haben. Zu fragen wäre jedoch, ob es außer den pragmatischen Unterschieden, die es z.B. zwischen einem Werbetext und einem literarischen Text gibt, nicht doch spezifische Funktionen des Sprachspiels gibt, die auf literarische Werke beschränkt sind bzw. dort dominieren. Fleischer (1982, 228ff.) führt als “wesentliche Möglichkeiten der Ausnutzung phraseologischer Konstruktionen im künstlerischen Text” die sprachliche Personencharakterisierung, das Infragestellen der überkommenen Schemata der Benennung (auch durch das Spiel mit wörtlicher und phraseologischer Bedeutung), die Fähigkeit zur Vertextung und die Möglichkeit, in Abhängigkeit vom Kontext stilistisch umgewertet werden zu können, an. Burger/Buhofer/Sialm (1982) haben an mehreren Stellen ihres Handbuches das Verhältnis von Phraseologie und Literatur behandelt, jedoch bewusst auf ein eigenes Kapitel zu diesem Thema verzichtet. Unter der Überschrift “Funktionswandel der Phraseologie” wird der unterschiedliche Gebrauch von Redensarten/Phrasemen in Sebastian Brants Narrenschiff (1494) und im Werk von Peter Handke behandelt – Autoren, zwischen denen gut 500 Jahre liegen! Der Demonstration humanistischen Bildungsgutes und der Verstärkung eines didaktischen Grundgedankens bei Brant wird Handkes sprachkritische Haltung gegenübergestellt, die sich bei vielen zeitgenössischen Autoren (Eich, Bernhard, Weiss, Kroetz, Grass) finden lässt. Ein weiterer wichtiger Punkt, der für das Verhältnis von Literatur und Phrasemen von eminenter Bedeutung ist, wird unter dem Abschnitt “Phraseologie und angrenzende Erscheinun-
gen” besprochen (12ff.). Es geht, vereinfacht gesagt, darum, dass die Literatur und die Autoren sich in der Regel nicht nach den Einteilungen der Linguisten richten und daher bei ihnen Phraseme keinen gesonderten Bereich bilden und mit anderen festen stereotypen und klischierten Wendungen und sogar außersprachlichen Verhaltensweisen (die freilich in der Literatur versprachlicht werden) eine Gruppe bilden. Das gilt für eine Reihe von Schriftstellern (genannt werden hier Fontane, Flaubert mit seinen “idées reçues”, dem Lektürekanon der “Madame Bovary”, Eich, Plenzdorf und Frisch mit verschiedenen Arten des “Zitierens” von Bildungsgut, Geflügelten Worten usw.). Die Untersuchung der Verwendung von Phrasemen in einem literarischen Werk scheint für die Phraseologie und auch für die Literaturwissenschaft eine sinnvolle Aufgabe zu sein, wenn man dabei von unzulässigen Verallgemeinerungen absieht und deutlich macht, worauf sich die Ergebnisse der Analyse beziehen. Damit können, je nach Werk, gegebenenfalls entscheidende Voraussetzungen für eine umfassende Interpretation eines Werkes geschaffen werden. Und auch der linguistischen Disziplin eröffnet es u.U. neue Einsichten in die Verwendung von Phrasemen, ihre stilistischen und expressiven Potenzen und ihren Anschluss an den engeren und weiteren Kontext. Doch gilt grundsätzlich auch hier: je mehr über den Zusammenhang mit anderen sprachlichen Erscheinungen, den historischen, pragmatischen, literarischen Hintergrund bekannt ist und in die Analyse einbezogen wird, desto verlässlicher die Ergebnisse. Aus den hier resümierten Abschnitten der Einführungen und Handbücher zur Phraseologie wird deutlich, dass (vielleicht mit Ausnahme von Burger/Buhofer/Sialm 1982) die meisten Linguisten sich dieses Themas mit einigen exemplarischen Verweisen und Analysen entledigt haben und es vor allem an einem historischen Überblick mangelt, der die Grundlage für verlässliche Aussagen bilden könnte. 3.3. Relevanz der Phraseme und ihrer Unterarten für die Literatur Der folgende Problemaufriss einiger grundlegender Fragen zum Thema kann dem Dilemma der fehlenden historischen Aufarbeitung der Verwendung von Phrasemen in literarischen Texten nicht entgehen und kommt um
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VIII. Phraseme in literarischen Texten und Autorenphraseologie/Phraseology of literary texts
eine exemplarische und daher möglicherweise lückenhafte Darstellung nicht herum. Wie in vielen Untersuchungen bereits herausgestellt, spielt es für die meisten Autoren keine Rolle, welche linguistisch definierte Kategorie von Phrasemen sie verwenden. Für Linguisten kann es dennoch gute Gründe geben, die Funktionen in Abhängigkeit von der Struktur der Phraseme zu untersuchen, wie das z.B. bei Schweizer (1978) erfolgt ist. Für die Literatur relevant sind vornehmlich Sprichwörter, Sprichwörtliche Redensarten, Idiome und Teilidiome. Je nach zeitbedingter Poetik können diese im Text als Affirmation eines bestehenden Kanons von Klischees, Sprachmustern usw. dienen, der auch bestimmte Leitwörter oder sprachlich formulierte Vorstellungen und Werthaltungen umfassen kann, die nicht als Phraseme in der Sprache vorliegen. Obwohl die Phraseologie eine fakultative Ebene der Sprache ist und viele Phraseme stilistisch markiert sind, kann ihr Gebrauch im literarischen Text wie auch in der Alltagsrede unmarkiert sein. Doch lässt sich das nicht immer einfach feststellen. Auf der anderen Seite der Skala steht der bewusste Einsatz von Phrasemen in ideologiekritischer Funktion, oft als Sprachspiel mit phraseologischer und direkter Bedeutung der Komponenten. Auch hier gilt, dass die Kritik, Demaskierung eines bestehenden Wertekanons oder auch die Lust am bloßen Spiel sich nicht auf Phraseme beschränkt, sondern zumeist eingebunden ist in ein komplexes literarisches Beziehungsgefüge mit Wörtern, Komposita und anderen sprachlich formulierten Stereotypen und Klischees. Selten sind Phraseme selbst der Gegenstand literarischer Kunstwerke. Wenn das der Fall ist, handelt es sich zumeist um Gedichte oder kleinere Erzählungen (s.u.). Der unter 2. erwähnte Umstand, dass Phraseme und vor allem die Sprichwörter unter ihnen als erstarrte Kunstwerke gesehen werden können, hat bestimmte Konsequenzen für ihren Gebrauch. Das gilt selbst, wenn man ihre Erstarrtheit bzw. Klischiertheit negativ bewertet. Riffaterre folgt dieser Auffassung in seiner Stilistik, in der er die ästhetische bzw. poetische Funktion Jakobsons mit der stilistischen gleichsetzt. Er betrachtet das Klischee/Phrasem als Träger von Ausdruckskraft gerade aufgrund seiner Erstarrtheit und Klischiertheit. Wichtig ist seine Schlussfolgerung für die relative Kontextunabhängigkeit der stilistischen/ästhetischen Funktion des Klischees:
“Während schließlich für jedes stilistische Verfahren der Wert und die Bedeutung gänzlich durch den Kontext bestimmt sind, ist das Klischee insofern außergewöhnlich, als seine Struktur es für bestimmte Funktionen prädestiniert, welches auch immer der Kontext sei, in dem es vorkommt”. (Riffaterre 1973, 156) Es ist der Usus, der Phraseme zu Phrasemen macht, doch wäre auch vorstellbar, dass Schriftsteller diese schaffen und dann in Umlauf bringen. Das ist tatsächlich der Fall, wie der Übergang von geflügelten Worten in Sprichwörter beweist. Auf einer niedrigeren Ebene gibt es zwar Autorenphraseologismen (man vgl. innerhalb der Buddenbrooks von Thomas Mann die feste Wendung auf den Steinen sitzen, Burger 2003, 47), doch scheinen in jüngerer Zeit eher Werbeslogans als Autorenphraseologismen in die Sprache überzugehen. Das Phänomen, dass das System der Parömien in einer Sprache typologisch zwar geschlossen, prinzipiell aber offen ist, wie Permjakov festgestellt hat, führt dazu, dass ständig neue Einheiten gebildet (bzw. usualisiert) werden. Es hat aber auch zur Folge, dass bestimmte Typen von Parömien zu bestimmten Zeiten stärker im Vordergrund stehen als andere. Das ist z.T. auch ein Verdienst der Schriftsteller und der Literatur. Zwar schaffen diese keine grundsätzlich neuen Typen, doch sind sie und ihr Werk im Ausnahmefall sogar für die Benennung bestimmter Typen verantwortlich. So erhielt der Wellerismus, den es seit alten Zeiten gibt, und der in Deutschland unter dem Namen “apologisches Spruchwort”, “Sagwort” bekannt war, seinen heutigen Namen von der Figur des Samuel Weller aus Charles Dickens’ Roman “The Pickwick Papers” von 1837. Andere Formen der Bearbeitung von Sprichwörtern und Redensarten, die ihren Sinn ad absurdum führen, verdanken sich hauptsächlich der Literatur, in jüngerer Zeit aber auch der Werbung und den Schlagzeilen der Presse. Mieder (1983) hat diese unter dem Namen “Antisprichwörter” gesammelt und zu allen die Quelle angeführt. Sie sind Beispiel dafür, dass sich bestimmte Formen von Phrasemen aus dem Textganzen herauslösen lassen und für sich abgeschlossene literarische Miniaturen bilden können.
28. Phraseme in literarischen Texten
3.3.1. Die Verwendung von Phrasemen in literarischen Texten in Abhängigkeit von bestimmten Epochen, Poetiken usw. Man könnte danach fragen, ob es gewisse Epochen bzw. auch Epochenstile gibt, in denen eine bestimmte Verwendung von Phrasemen bzw. spezieller Gruppen von Phrasemen besonders häufig ist. Für die klassische griechische und römische Literatur beschränken sich die zahlreichen älteren Untersuchungen zumeist auf die Erfassung der verwendeten Sprichwörter, die nach den Gegenstandsbereichen klassifiziert werden, die sie bezeichnen. Nur gelegentlich werden auch “Formelhafte Wortverbindungen” (Wyss 1889, 109f.) in die Untersuchung mit einbezogen. Erst in jüngerer Zeit befassen sich einzelne Untersuchungen mit spezifischen Verwendungsweisen der Sprichwörter in dieser Periode. Anders schaut es hingegen für das Mittelalter aus. Hier gibt es eine Reihe grundlegender älterer Studien, in denen nicht nur das Material gesammelt und klassifiziert, sondern auch die Verwendung erläutert wird. Stellvertretend sei hier das Altfranzösische (vgl. Art. 93) angeführt. In den Volksepen, den Karlsepen, dienen die Sprichwörter oft als Einleitung und resümierendes Ende von Tiraden. Sie sind häufiger in der Rede als in der Schilderung und werden oft in Monologen und Bittgebeten und zwar meistens von Christen und wesentlich häufiger von Männern als Frauen gebraucht (Ebert 1884, 42ff.). Im höfischen Epos hingegen, in dem Sprichwörter auch häufig zur Einleitung oder zum Abschluss einer Schilderung, aber auch zur Bekräftigung in Dialogen und Monologen gebraucht werden, gibt es einen signifikanten Unterschied: der höfische Dichter verallgemeinert seine Erörterungen, Schilderungen eher mit einer Sentenz als mit einem Sprichwort; je gelehrter der Dichter, desto mehr überwiegt die Sentenz. Oft wird diese in einen sprichwörtlichen Rahmen gestellt. Träger der Sprichwörter und Sentenzen in der Personenrede sind Personen der höheren Kreise, und unter diesen auch die Damen des Hofes (Kadler 1886, 32ff.). Bei den altprovenzalischen Lyrikern dienen Sprichwörter, Redensarten und Sentenzen häufig als Einleitung oder Überschrift einer Strophe oder bilden am Schluss derselben ein Resümee oder die Moral. Innerhalb der Strophe dienen sie als Beweis, Bestärkung, Belehrung oder Ermahnung (Cnyrim 1888, 23f.). Die Phraseme,
321
und das gilt vor allem für die satzwertigen sprichwörtlichen Redensarten und Sprichwörter, werden in dieser Epoche in ihrer Struktur kaum verändert und in ihren wesentlichen Aussagen nicht hinterfragt. Sie sind “gültige” Sprachschablonen und formulieren akzeptierte Weisheiten und Prinzipien. Diese Auffassung scheint bis ins 16. Jh. vorzuherrschen. Man vgl. dazu den von Burger (1982, 10f.) bereits zitierten Sebastian Brant. Natürlich steckt im Humanismus dahinter auch das Bestreben der Autoren, zu demonstrieren, dass sie in einer volkstümlichen Sprach- und der humanistischen Bildungstradition stehen. Auch wenn Röhrich/Mieder (1977, 33ff.) das 16. Jh. bis zur Mitte des 17. Jhs. als “goldenes Zeitalter des Sprichworts in Europa” bezeichnen, macht sich doch gerade im 16. und im beginnenden 17. Jh. eine andere Einstellung gegenüber Sprichwörtern und anderen Phrasemen in der Literatur bemerkbar, für die hier exemplarisch Rabelais’ “Gargantua et Pantagruel” und Cervantes’ “Don Quijote” genannt werden sollen. Das Werk von Rabelais ist voll von Phrasemen der unterschiedlichsten Art. Es gibt Serien von pragmatischen Idiomen, Semi-Idiome, Idiome, sprichwörtliche Redensarten und Sprichwörter. Dazu kommen fremdsprachige Phraseme, Wendungen aus dem Argot und unterschiedlichen Fachsprachen, Zitate, zusammengesetzte Termini, aber auch Neologismen usw. All das steht in einem komplizierten Beziehungsgeflecht von Wortspielen, Anspielungen und intertextuellen Bezügen und hat Generationen von Philologen beschäftigt. Das 11. Kapitel des ersten Buches “De l’adolescence de Gargantua” ist eine Aneinanderreihung eines scheinbar sinnlosen Spiels mit über 50 Sprichwörtern, deren Gebote Gargantua übertritt. Französische Kommentare sprechen davon, dass der Junge hier spontan all das tut, was die geronnene Weisheit der Nationen verbietet. Doch, wenn er sich zwischen zwei Stühle setzt, den Bock zum Gärtner macht, seine Rechnung ohne den Wirt macht, auf den Sack schlägt und den Esel meint usw., erscheint das im Gegensatz zu lustbetonten Dingen, die er sonst macht, völlig unmotiviert und sinnlos. Bachtin ist in seiner berühmten Untersuchung zu diesem Werk, das er als Höhepunkt des grotesken Realismus charakterisiert, auch auf dieses Kapitel und dieses Sprachspiel eingegangen. Das Groteske als Gegenwelt zur offiziellen Kultur bestand nicht in einer negativen Satire auf diese Kultur, sondern in der befreienden
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VIII. Phraseme in literarischen Texten und Autorenphraseologie/Phraseology of literary texts
ambivalenten Lachkultur des Karnevals der öffentlichen Plätze. Ein wesentliches Moment des grotesken Realismus war die Herabsenkung des Hohen in die niedrige Sphäre. Doch hatte diese Erniedrigung einen ambivalenten Charakter und diente nicht der Vernichtung, sondern der Erneuerung aus dem Niedrigen. Dieser Einstellung sind auch die sprachlichen Verfahren in Rabelais’ Werk untergeordnet, und sie bestimmen z.T. auch sein Sprachspiel mit Phrasemen. So war z.B. das coq-à-l’âne, eine Wendung, die heute noch für ’Unsinn, Gefasel’ steht, im Volk eine beliebte Art, sprachlichen Unsinn zu produzieren, die in vielen Genres verbreitet war. Mehrere Kapitel von “Gargantua et Pantagruel” sind nach diesem Prinzip konstruiert, doch sind Elemente des coq-à-l’âne über das ganze Werk verstreut. Die Hauptbedeutung dieses Verfahrens liegt nach Bachtin (1990, 468) in einem Wortspiel, das die usuellen Wortverbindungen und Wörter von ihren üblichen Zusammenhängen und Bedeutungen befreit. Diese generelle Bedeutung des coq-à-l’âne muss jedoch für bestimmte Einzelfälle modifiziert werden, in denen wir es z.B. mit dem Prinzip der “verkehrten Welt” zu tun haben. Das häufige Wortspiel mit Phrasemen bei Rabelais muss also unter einem anderen allgemeinen und im Einzelfall auch besonderen Aspekt gesehen werden als die Wortspiele in der heutigen Literatur. Bachtin sieht auch Shakespeare und Cervantes in einer Tradition mit Rabelais. Für ihn verkörpert Sancho Pansa in Cervantes Roman das karnevalistische Element, die niedere materiell-körperliche Ebene, die Rolle des Spaßvogels, der den ernsten Don Quijote von seinem verknöcherten und überlebten Idealismus herunterziehen soll, damit dieser wieder neu geboren werden kann. Dieser Aspekt und die grotesken Szenen des Romans schaffen seine karnevaleske Atmosphäre. Doch beginnt bereits bei Cervantes der Prozess der Loslösung der Körper und Dinge von den materiell-körperlichen Niederungen und dem wiederbelebenden Körper der Volkskultur, und Körper und Dinge erhalten zunehmend privaten Charakter. So lebt Cervantes’ Roman von der grundlegenden karnevalistischen Haltung, aber auch von der Spannung, die durch die Lösung aus dieser Haltung deutlich wird. Was bedeutet das für die Sprache und die Phraseme in diesem Roman? Sancho Pansa ist durch sein häufiges Zitieren bzw. Aneinanderreihen von sprichwörtlichen Redensarten
und Sprichwörtern gekennzeichnet. Don Quijote verwendet hingegen des öfteren Sentenzen bzw. Sprüche berühmter Autoren aus seinen Ritterromanen, lateinische Zitate aus der Welt der Gebildeten usw., die er Sancho erläutern muss, deren Aussagen Sancho aber gekonnt pariert. Den festen Phrasen gelehrter Weisheit setzt Sancho die Lehren seiner bodenständigen Redensarten und Sprichwörter entgegen, die Don Quijote auf den Boden der Realität holen, gegen die er sich aber sträubt. Doch das geschieht in komischer Brechung, nicht als Verkündigung ewiger Weisheiten, wodurch die Ambivalenz dieser Weisheiten deutlich wird. Im Verlaufe des Romans nähern sich beide aber einander an, wenn im 67. Kapitel des zweiten Teils Don Quijote selbst ein Sprichwort gebraucht, worüber ein Disput anhebt. Das kommt auch am Ende des 71. Kapitels dieses Teils zum Ausdruck, in dem Don Quijote seine Ablehnung der Sprichwörter und Redensarten mit einer Redensart begründet: Sancho respondió que hiciese su gusto; pero que él quisiera concluir con brevedad aquel negocio, a sangre caliente y cuando estaba picado el molino, porque en la tardanza suele estar muchas veces el peligro; y a Dios rogando, y con el mazo dando, y que más valía un “toma” que dos “te daré”, y el pájaro en la mano que el buitre volando. No más refranes, Sancho, por un solo Dios – dijo don Quijote – ; que parece que te vuelves al sicut erat: habla a lo llano, a lo liso, a lo no intricado, como muchas veces te he dicho, y verás como te vale un pan por ciento. (Cervantes 1967, 662)
Die “Annäherung” der beiden Hauptfiguren, die offenbar auch über die Phraseologie transportiert wird, hat dazu geführt, dass man in der Forschung von einer Sanchisierung Don Quijotes, aber auch von einer Quijotisierung Sancho Pansas spricht (Abrahams/Babcock 1994, 431). Eine kommentierte Sammlung aller Parömien und Phraseologismen im Don Quijote liegt inzwischen vor (Cantera Ortiz de Urbina/J. Sevilla Muñoz/M. Sevilla Muñoz 2005) Aus diesen kurzen Beispielen ist deutlich geworden, dass in Abhängigkeit von der Poetik einer Epoche, der Gebrauch von Phrasemen ein ganz unterschiedliches Gewicht und unterschiedliche Funktionen haben kann. Dem Wortspiel bei Rabelais kommt auch als Ausdruck der Unsinnsliteratur eine ganz andere Funktion zu, als das in der Tradition der englischen Nonsense-Literatur, die in der
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28. Phraseme in literarischen Texten
sprachkritischen “Alice in Wonderland” eines Lewis Carroll kulminiert, der Fall ist. In dieser wird über Sprichwörter und Phraseme (A cat may look at a king; much of a muchness) reflektiert, zudem können sich darin phraseologisch gebundene Teile von Vergleichen selbständig machen und ein Eigenleben führen, wie z.B. der mad hatter und der March hare oder das berühmte grin der Cheshire cat (vgl. dazu Gardner 1970). Das hat andere Dimensionen als die “verkehrte Welt” bei Rabelais, aber auch das Wortspiel bei modernen Autoren wie Günter Grass oder Peter Handke. In klassizistischen Perioden hingegen, wie z.B. der russischen Literatur des 18. Jhs., dient das Wortspiel mit Phrasemen vornehmlich der Unterhaltung und der Bindung der Aufmerksamkeit (vgl. Chodakova 1968). Völlig anders ist wiederum das Verhältnis zu Phrasemen und anderen Stereotypen bei der Avantgarde, im Surrealismus und bei den sog. Absurden (vgl. 3.3.2). In den Anthologien und Darstellungen zur sog. Unsinnspoesie, so z.B. in Liedes klassischer Studie, wird der Phraseologie keine besondere Beachtung geschenkt, da sich Liede in seiner “Technik des Spiels” nur den “etablierten” Spielen zuwendet. Von Interesse für die Phraseologie dürften allenfalls die “Wortungeheuer” (Liede 1992 II, 43) und die “Sprichwortspiele”, die Liede als Unterart des Cento behandelt, sein (Liede 1992 II, 217f.). Dem Sprachspiel und der “kritischen” Verwendung von Phrasemen steht deren “affirmativer” Gebrauch gegenüber. Hier lässt sich nachweisen, dass in den Zeiten der Romantik bzw. der nationalen Wiedergeburt in Europa, als man sich auf die Volkstraditionen besann und umfassende Wörterbücher und Sprichwortsammlungen der Nationalsprachen erstellte, viele Schriftsteller bewusst Phraseme als Elemente der Volkssprache verwendeten. Eine ähnliche Hinwendung zum “Volk” und seiner Sprache gibt es, wenn auch teilweise aus anderen Motiven, im Realismus. Doch lässt sich das schwerlich verallgemeinern, zumal wenn man sich auf die Schriftsteller beschränkt, die hauptsächlich Sprichwörter in ihren Werken gebraucht haben, wie Mieder (1976) in seiner Studie zum Sprichwortgebrauch in der deutschen Prosaliteratur des 19. Jhs. In der russischen Literatur hat es z.B. im 19. Jh. bei manchen Schriftstellern eine Pseudovolkstümelei gegeben, über die sich bereits Tolstoj aufregte, der in seinem Drama “Die Macht der Finsternis” jedoch ei-
nen exzessiven Gebrauch von Sprichwörtern und sprichwörtlichen Redensarten gemacht hat, um das bäuerliche Milieu des Stückes zu schaffen, aber auch die Personen zu charakterisieren. Sprichwörter werden hier als Lebenshilfe, Mahnung und Warnung gebraucht und nicht hinterfragt. Andererseits ist der negative Hauptheld in M.E. Saltykov-Ščedrins Roman “Gospoda Golovlevy” (“Die Herren Golovljov”) von 1880, Juduschka in seiner Lüge und Pseudofrömmigkeit gerade auch durch den Gebrauch frommer Sprüche, Sprichwörter und Redensarten gekennzeichnet, die alle im Widerspruch zu seinem Handeln stehen und so als Heuchelei und hohles Geschwätz entlarvt werden. Es fehlt für den europäischen Rahmen an Untersuchungen. Interessant wäre es auch, die Unterschiede in der Stilistik eines affirmativen Gebrauchs von Phrasemen der Volkssprache im Realismus im Vergleich zu ihrem demonstrativen Aufzeigen, Reproduzieren im Naturalismus zu untersuchen. Affirmativer Gebrauch von Volkssprache oder Pseudovolkssprache mit den entsprechenden Phrasemen zeigt sich sicher auch in den “volkstümelnden” literarischen Werken der Nazizeit, aber auch des Sozialistischen Realismus. 3.3.2. Phraseme in den literarischen Gattungen 3.3.2.1. Es ist durchaus vorstellbar, dass Phraseme auch gattungsspezifisch verwendet werden bzw. dass die literarischen Gattungen unterschiedlichen Gebrauch von unterschiedlichen Phrasemen machen. Man kann annehmen, dass im Drama Phraseme eher zur Charakteristik der Personenrede dienen (s.o. 3.3.1. zu Tolstoj). So charakterisiert E. Švarc im Stück “Obyknovennoe Čudo” (“Ein gewöhnliches Wunder”) die Rede einer Hofdame, die früher einmal mit einem Militär verheiratet war, durch kurze Fluchformeln und durch kurze militärische Kommandos. Im Stück “Golyj Korol’” (“Der nackte König”) wird die Rede des ersten Ministers durch Phraseme gekennzeichnet, die alle die Bedeutung haben ‘Sag die Wahrheit, Nimm kein Blatt vor den Mund’ (pravdu valjajte, pravdu rež’ usw.). Dazu fordert er andere auf, so charakterisiert er aber auch seine eigene Haltung, auch dann, wenn er dem König die größten Lobhudeleien entgegenbringt. Dennoch sagt gerade er am Schluss dem König die Wahrheit über dessen Nacktheit (vgl. Eismann 2005).
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VIII. Phraseme in literarischen Texten und Autorenphraseologie/Phraseology of literary texts
Hier sind auch andere Verfahren denkbar, und Personenrede kann auch in der Prosa durch Phraseme charakterisiert werden, u.a. durch das Verfahren des “Skaz”. Im Drama können alle Formen von Phrasemen auftreten, und es kann Leitmotive geben, die bereits im Titel zum Ausdruck kommen. Die meisten Stücke des russischen Dramatikers A.N. Ostrovskij haben ein Phrasem zum Titel, das auch leitmotivisch auf den Inhalt verweist, vgl. z.B.: Bešenye den’gi (“Tolles Geld”), Vol’ki i ovcy (“Wölfe und Schafe”), Ne v svoi sani ne sadis’ (“Schuster, bleib bei deinem Leisten!”), Svoi ljudi – sočtemsja (“Es bleibt ja in der Familie”) usw. Pritchard (2001) hat die folgenden Phraseme als Leitmotive der Dramen Carl Zuckmayers ausgemacht: Das Sprichwort Wie man sich bettet, so liegt man für “Der fröhliche Weinberg”, das Sprichwort Wie de aussiehst, so wirste anjesehn für “Der Hauptmann von Köpenick” und die Redensart (es handelt sich um ein adverbiales Idiom, W. E.) ohne mit der Wimper zu zucken für “Des Teufels General”. Stücke, die ausschließlich aus Phrasemen bestehen, scheint es in jüngerer Zeit nicht zu geben. Doch waren Sprichwortspiele (nach Liede 1992 II, 217 eine französische Erfindung des 17. Jhs.) vom 17. bis zum 19. Jh. auch in Deutschland verbreitet. Eine besondere Form der Verwendung von Phrasemen im Drama, die deren Mittel gekonnt nutzt, zeigt E. Švarc. In seinem Stück “Ten’” (“Der Schatten”) betreibt ein Kurarzt ein mehrdimensionales Spiel mit Phraseogesten, die er als Therapie verschreibt. Er empfiehlt, ein Auge zuzudrücken (russ. wörtl. “durch die Finger zu sehen”), etwas aufzugeben, sausenzulassen (russ. wörtl. “mit der Hand abzuwinken”), mit den Achseln zu zukken. Im Gespräch mit einer Frau, die Rat sucht, wie man einen unwilligen Patienten zu dieser Therapie bringen könnte, vollführt er auf deren Fragen genau diese Gesten der Ratlosigkeit, des Unwillens und der Nichtengagiertheit. Zwei Minister, die einander beteuern, sie verstünden einander beim ersten Wort, auf Anhieb, russ. wörtl. “vom halben Wort aus” reden miteinander tatsächlich in Halbsätzen bzw. halben Wörtern. Vergleichbare mehrdimensionale Spiele mit Phrasemen sind allenfalls aus der bildenden Kunst durch die dreidimensionalen Wortspiele von Man Ray bekannt (vgl. Eismann 2004a u. b). 3.3.2.2. Die Lyrik ist in den bisherigen Untersuchungen zur Phraseologie von der Lin-
guistik eher stiefmütterlich behandelt worden, obwohl gerade sie reiches Anschauungsmaterial für eine vielfältige Verwendung von Phrasemen bietet. Hier sei an die Verkehrte-WeltGedichte, an die Unsinnspoesie, aber auch an die vielfältigen Formen des Sprachspiels in verschiedenen Epochen erinnert. Grundsätzlich lassen sich zwei Gruppen unterscheiden. Zunächst Gedichte, in denen das Spiel mit den Phrasemen dominiert, sei es, um eine Redensart zu deautomatisieren, sei es um die Klischiertheit und “Ideologie” bestimmter Phraseme zu demaskieren, sei es um des reinen Spiels mit der Form und Bedeutung willen. Dem gegenüber stehen Gedichte, in denen Phraseme eine untergeordnete Rolle spielen. Mieder hat in mehreren Untersuchungen und Anthologien auf Phrasemen beruhende Gedichte analysiert und herausgegeben. Er hat die Tradition der Sprichwortgedichte in der deutschen Literatur bis ins Mittelalter verfolgt, wo diese moralisch-didaktischen Zwecken dienten, aber auch konstatiert, dass sich “moderne Gedichte meist kritisch und ironisch mit dem traditionellen Sprichwortgut auseinandersetzen”. Die auf Phrasemen beruhenden Gedichte teilt er nach formalen Kriterien in drei Haupttypen ein: “1. kurze einstrophige Gedichte um ein Sprichwort oder eine Redensart; 2. längere ein- oder mehrstrophige Gedichte um einen sprichwörtlichen Text; 3. Gedichte mit Anhäufungen von Sprichwörtern und Redensarten (zuweilen völlig aus Phraseologismen bestehend)” (Mieder 2001a, 1). Die Sammlungen von Mieder (1990a, 1992, 2001a) bieten einen guten Überblick und verlässliche weitere Informationen, daher soll hier nur auf einige weitere Details eingegangen werden. Es gibt Dichter, in deren Werk Phraseme eine dominante Stellung einnehmen, wie Erich Fried, Rose Ausländer oder schon früher Christian Morgenstern, bei dem sich bereits in einigen Gedichttiteln Phraseme oder deren Teile finden wie “Das böhmische Dorf”, “Die weggeworfene Flinte”, “Eins und alles”, “Wenn zwei das Gleiche tun”. Phraseologische Gedichte können aber auch die Metaebene im Titel führen, wie z.B. das Gedicht von Robert Gernhardt “Goldene Worte”, in dem dann eben diese goldenen Worte, d.h. Phraseme als Lebensregeln für ein möglichst offenes und alle Möglichkeiten nutzendes Leben propagiert werden. Zudem gibt es auch Beispiele für phraseologische Gedichte, die mit der Brechung der äußeren graphischen Form arbei-
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ten, so dass deren Wahrnehmung erschwert und eine kritische Distanz zu ihren Inhalten geschaffen wird, wie im Gedicht “sprichwörter” von Karl Riha von 1981: eil emi twe ile wen ige rwä rem ehr rei mdi cho der ich fre ssd ich
In der nicht dominant phraseologischen Dichtung gibt es vor allem für die russische Lyrik eine Reihe von Untersuchungen, in denen auch den Phrasemen entsprechende Aufmerksamkeit geschenkt wird. Das geschieht im Zusammenhang mit dem Versuch der Schaffung einer linguistischen Poetik. Diese geht davon aus, dass in poetischen Werken die darin verwendeten Wörter und Wortverbindungen zusätzliche ästhetische Bedeutungen erhalten, die über ihre normale lexikalische, aber auch mögliche stilistische Bedeutung hinausgehen. In der Theorie von V. P. Grigor’ev werden diese Einheiten als potentielle “Expresseme” bezeichnet, die im konkreten Wortgebrauch als “Expressoide” hervortreten. Im Rahmen dieser und ähnlicher Theorien von einer besonderen Expressivität der poetischen Sprache hat man in Russland relativ früh begonnen, den Gebrauch von Wörtern und Wortverbindungen poetischer Texte zu erfassen. Das mündete in Wörterbücher des poetischen Wortgebrauchs einzelner Schriftsteller bzw. ganzer Epochen. Der erste Versuch eines solchen Wörterbuches zu ausgewählten Werken von 12 ausgewählten Schriftstellern des 20. Jhs. (Grigor’ev 1973), dem weitere folgten, enthielt auch Phraseologismen und vermerkte, ob diese in ihrer üblichen oder in veränderter Bedeutung gebraucht waren und wodurch die Veränderungen bewirkt wurden. Hieraus hat sich eine fruchtbare Tradition von Autorenwörterbüchern entwickelt, in der die Phraseme immer stärkere Berücksichtigung fanden (vgl. dazu auch Nekrasova/Bakina 1982). 3.3.2.3. Ein relativ großer Teil der Untersuchungen von Phrasemen in der Literatur ist der Prosa gewidmet. Bereits unter 3.3.1. wurde deutlich, dass in unterschiedlichen Epochen Phraseme in der Prosa immer wieder eine bedeutende Rolle gespielt haben. Das 20. Jh. hat eine sprachkritische Einstellung entwickelt, die bis in die Postmoderne andauert und durch die auch die Prosa gekennzeichnet ist. Oft ging die Sprachkritik einher mit dem Sprachspiel. Daher ist die Konzentration der Untersuchungen zumindest im deutsch-
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sprachigen Raum auf Autoren wie z.B. Karl Kraus, Günter Grass, aber auch Arno Schmidt nicht verwunderlich. Eine Zweiteilung in der Prosa, wie in der Lyrik, in Texte, die von Phrasemen dominiert sind und Texte, in denen Phraseme eine gewisse Rolle spielen, aber nicht der Hauptgegenstand sind, lässt sich nur bedingt aufrechterhalten. Es gibt keinen rein “phraseologischen” Roman und auch keine längere “phraseologische” Erzählung, allenfalls “phraseologische” Kurzprosa. Auch für die deutschsprachige “phraseologisch” bestimmte Kurzprosa hat Mieder (1995, 2001a) Anthologien vorgelegt. Darin finden sich kurze Texte, z.B. von U. Erkenbrecht, M. Römbell und H. Heissenbüttel unter den Titeln “Phrasen und Paraphrasen”, “Der starke Mann” und “Rollenverteilung”, die ausschließlich aus einer Aneinanderreihung von Phrasemen bestehen, aber einen stringenten thematischinhaltlichen Zusammenhang haben. Doch gibt es auch kurze Prosatexte, deren Titel und Gegenstand ein Phrasem ist. So zeichnet der russische Autor G. Sapgir in der kurzen Erzählung “Turusy na kolesach” – das Phrasem des Titels hat die Bedeutung “Unsinn, Quatsch, Lügenmärchen” erzählen – mit einer Vielzahl von Phrasemen und Anspielungen auf Slogans und Klischees der sowjetischen Wirklichkeit ein Bild der Befindlichkeit seiner Landsleute in der Nachperestrojkazeit (Eismann 1999). Größere Prosawerke sind zwar nicht ausschließlich “phraseologisch” bestimmt, doch müssen Phraseme in ihnen nicht nur die Funktion, bestimmte Bilder und Szenen anschaulicher zu machen, Dialoge zu beleben bzw. Sprechweisen zu kennzeichnen usw., haben. Oft dienen sie der Kohäsion und der Verknüpfung bestimmter Textteile, oft sind sie leitmotivisch oder von entscheidender Bedeutung für einen Text, wie z.B. in Gogol’s berühmter Novelle “Die Nase”, in der der Wendung ostavit’ s nosom (“mit langer Nase abziehen lassen”) einiges Gewicht zukommt. Das Sprachspiel mit Phrasemen kann aber nicht nur motivisch oder verknüpfend für einen längeren Prosatext eine große Rolle spielen. Es kann zu einem durchgängigen Prinzip werden, wie das ansatzweise bei Günter Grass geschieht, wo es vielfältige Funktionen ausübt. Es kann aber auch ein Werk bestimmen, ohne zu einem lästigen ornamentalen Verfahren zu werden. Eine der deutschsprachigen Autorinnen, in deren Werk dem Sprachspiel
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VIII. Phraseme in literarischen Texten und Autorenphraseologie/Phraseology of literary texts
mit Phrasemen eine zentrale Rolle zukommt, ist Elfriede Jelinek. (Zum Gebrauch von Sprichwörtern bei Jelinek vgl. Glenk 2000.) Obwohl das fortgesetzte Sprachspiel mit unterschiedlichen Phrasemen in ihren Werken manchmal fast ins Kalauerhafte und die bewusste Katachrese führt, erfüllt es meisterlich den Zweck der sprachlichen ikonischen Darstellung von gesellschaftlichen Gewalt- und sexuellen Zwangsverhältnissen. Es gibt kaum eine Autorin, die wie Jelinek dieses Spiel derart gekonnt bis an die äußersten Grenzen treibt und damit Extreme erniedrigender und erniedrigter menschlicher Existenzen in der absurden Normalität ihres Alltags vorführt. Das sei kurz an zwei Beispielen demonstriert. In “Die Liebhaberinnen” geht es um zwei junge Frauen aus einfachsten Verhältnissen, die ihr Glück in der Ehe suchen. Eine scheitert daran, die andere findet ihr Glück, das von Jelinek jedoch kaum als Erfüllung dargestellt wird, auch wenn es ganz und gar den gesellschaftlichen Erwartungen des Milieus entspricht. An einer Stelle des Romans wird deutlich, dass Paula und Erich in ihrer Beziehung einer Täuschung erliegen, die in der Sprache fixiert ist und auf die auch Paula fixiert ist, der sie aber beide nicht entsprechen können: “im moment haben wir nur uns und unsre liebe. und unsre lust. wir werden mit lust und liebe an das werk gehen. dann wird das werk auch lieb und lustig ausfallen. paula hat ihre lust und ihre liebe längst verbraucht, oder das, was sie dafür gehalten hat. erich hat weder lust noch liebe jemals besessen. erich hat immer nur seine arbeit besessen, die er weder lustig findet noch liebt.” (Jelinek 1975, 130)
Über die “erfolgreich” realisierte Beziehung von Heinz und Brigitte heißt es: “so sind alle zufriedene glückliche leute geworden, die ihren platz im leben einnehmen und noch mehr platz einnehmen. heinz kann, wenn er so weiterfrißt, bald zwei plätze im leben einnehmen.” (Jelinek 1975, 130)
Hier wird die erfüllte Konvention als Bestätigung des Umstandes dargestellt, dass man erreicht hat, was man will und sogar noch mehr erreichen könnte, aber das wird mit der Abnormität des fressenden und fett gewordenen Ehemannes konterkariert. Sehr viel weiter wird das Sprachspiel mit Phrasemen in Jelineks Roman “Lust” getrieben, in dem es um das Verhältnis von Sexualität und Macht geht. Der Direktor einer Papierfabrik in einem kleinen Ort in der Steiermark kann wegen seiner Furcht vor Aids
nicht mehr die Dienste von Prostituierten in Anspruch nehmen und richtet seine sexuelle Gewalt daher ganz auf seine Frau. Die Fluchten der Frau in den Alkohol, ihre Verführung und Erniedrigung durch einen Studenten, ihr Verhältnis zu ihrem Kind, das sie schließlich tötet, das alles bildet das äußere Sujet dieses Romans. Es geht jedoch nicht um diese äußere Handlung, sondern darum, wie diese sich in der Sprache und besonders im Spiel mit den Phrasemen manifestiert. Die Gewalt erstreckt sich auch auf die Sprache, wenn gewöhnliche Phraseme aufgebrochen werden und die wörtliche Bedeutung ihrer Teile remetaphorisiert wird, um ein eindringliches Bild sexueller Gewalt zu zeichnen; vgl. Jelinek (1989, 25f.): “Kein anderer als der Direktor kann die Frau so unter seinen Regen und die Traufe zwingen. Bald wird er sich schreiend erleichtert haben, dieses riesige Pferd, das seinen Karren mit verdrehten Augen und Gischtflocken am Gebiß in den Dreck zerrt. Und auch der PKW der Frau soll nicht dazu dienen, daß sie auf eigenen Wegen fährt, er hat ihr ja schon eine Spur vorgelegt mit seinen Geschossen, die brüllend Schneisen in den Wald gebrochen haben.”
Vom Regen in die Traufe kommt die Frau tatsächlich, d.h. ihre Lage wird immer schlimmer, durch die sexuelle Gewalt, die der Mann mit seiner Traufe (Penis) und seinem Regen (Samenerguss) ausübt. Er richtet sie endgültig zugrunde (indem er seinen Karren in den Dreck fährt), doch ist er das vor sinnlicher Gier geifernde “riesige Pferd”, sein Karren ist sein Penis und der Dreck (männliche Sicht) das weibliche Geschlechtsorgan (vgl. S. 58 “Der Mann will seinen wilden Karren in den Dreck der Frau fahren”). Die Frau, die sich mit dem PKW aus der Gewalt des Mannes befreien, “eigene Wege gehen” also selbständig werden will, wird durch die sexuelle Gewalt ihres Mannes daran gehindert. Er hat ihr “eine Spur vorgelegt” (man kann eine Spur legen, einen Weg vorzeichnen, vorschreiben, beides schwingt hier mit). Seine Ejakulationen (“Geschosse”) haben “brüllend” und mit Gewalt “Schneisen” in ihren “Wald” (ihre behaarte Scham) “gebrochen”. In diesen kurzen Beispielen konnte nur ein vager Eindruck der vielfältigen Beziehungen zwischen im Text anwesenden und nur evozierten Phrasemen, zwischen übertragener und direkter Bedeutung, zwischen direkter Bedeutung vor dem Hintergrund der übertragenen und neu metaphorisierten Bedeutung der Komponenten mit vielfachen Assoziatio-
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nen vermittelt werden. Das extensive Sprachspiel, in das Phraseme in erstaunlicher Fülle und Variation einbezogen werden, erweckt bei Jelinek jedoch nie den Eindruck des Selbstzwecks, des Spiels um des Spiels willen. Es dient im Gegenteil – oft über erschwerte und die Aufmerksamkeit fesselnde Wahrnehmungsprozesse – der Entlarvung, Bloßstellung des Verhältnisses von männlicher Macht und Sexualität in all seinen Facetten, die uns offensichtlich erst durch das Aufbrechen vieler gewöhnlicher und gewohnter sprachlicher Stereotype bewusst werden. 3.3.2.4. Die gattungsspezifische Analyse des Vorkommens von Phrasemen in literarischen Texten soll natürlich nicht den Blick für die Gemeinsamkeiten verstellen, die es für den Gebrauch von Phrasemen in allen Gattungen gibt. Zum Schluss dieser Betrachtungen sei daher auf einige spezifische Probleme im Verhältnis von Literatur und Phrasemen verwiesen, die nicht gattungsspezifisch sind. Wir wissen, dass es Autorenphraseme gibt. Wir wissen auch, dass diese kaum den Weg in die langue finden, wie man heute überhaupt feststellen kann, dass eher Slogans und Sprüche aus der Reklamesprache zu Phrasemen werden als Aphorismen, Zitate und geflügelte Worte von Autoren. Dennoch hat es immer wieder Beispiele dafür gegeben, dass Phraseme aus der Literatur in die langue geraten. So geht das russ. Phrasem živoj trup (“der lebende Leichnam”) in der Bedeutung ’sich in einem Zustand zwischen Leben und Tod befinden’ wahrscheinlich auf frz. mort vivant zurück. In der Bedeutung ‘jegliches Interesse am Leben verloren habender Mensch’ verdankt es sich aber dem Titel von Tolstojs gleichnamigem Schauspiel von 1900. Es gibt sogar den Fall, dass absichtlich geschaffene sprachliche Strukturen aus poetischen Werken, die das traditionelle Verhältnis von Wort und Bedeutung brechen wollten, in den Bestand der Phraseologie der langue übergingen. Morgensterns berühmtes Gedicht “Das große Lalula” hat wohl eher Zitatcharakter, doch gelten die sinnlosen Silben “dyr bul ščyl” aus dem Gedicht des russischen Futuristen A. Kručenych in der russischen Sprache bereits als terminologisches Phrasem für unverständliche und sprachexperimentierende Poesie. Die Übernahme einer Wendung eines Schriftstellers in die langue ist prinzipiell immer möglich. Es gibt jedoch in der Literatur Beispiele dafür, dass Dichter “Pseudophraseme” geschaffen haben, die den Eindruck
von Phrasemen erweckten und gleichzeitig eine Kritik an den real existierenden Phrasemen als Sprachschablonen bewirken sollten. Als Beispiel für derartige Pseudophraseme können die “Proverbes” von Paul Éluard und Benjamin Péret (1925) gelten. Aber auch im Stück von Eugène Ionesco “La cantatrice chauve” findet sich in der 11. Szene eine solche Aneinanderreihung von Pseudophrasemen in der Konversation der Ehepaare Smith und Martin (“Celui qui vend aujourd’hui un bœuf, demain aura un œuf.” “Dans la vie, il faut regarder par la fenêtre.” “On peut s’asseoir sur la chaise, lorsque la chaise n’en a pas.” usw. [Ionesco 1981, 71]). Diese werden im Laufe der Unterhaltung verdichtet zu einzelnen Wortformen und Namen und gehen dann über in Einzellaute. Sicher wollte Ionesco damit nicht den Prozess der Verdichtung der Phraseme vom Sprichwort über die sprichwörtliche Redensart zum Kompositum, Einzelwort und Morphem demonstrieren, doch sind die Parallelen nicht zu übersehen.
4.
Phraseme in Autorenwörterbüchern
Bereits unter 3.3.2.2. wurde die Konzeption eines Wörterbuchs der poetischen Sprache vorgestellt, in dem auch der Gebrauch von Phraseologismen berücksichtigt ist. In Russland gibt es inzwischen eine beachtliche Tradition von sog. Autorenwörterbüchern. Einen guten Überblick über diese bietet eine umfassende Anthologie von Karaulov (2003). Für die deutsche Literatur sei auf das GoetheWörterbuch (1978ff.) verwiesen, in dem die Phraseme einen angemessenen Platz erhalten. Exemplarisch sei ein Wörterbuch vorgestellt, das ursprünglich allein auf Material aus der schönen Literatur beruhen sollte, später aber um Material aus der Publizistik erweitert wurde. Die Belege sind jedoch kenntlich gemacht, so dass es auch als Wörterbuch der Verwendung von Phrasemen in der modernen russischen Literatur (seine Materialbasis bilden auch Werke der klassischen russischen Literatur des ausgehenden 19. Jhs.) dienen kann. Melerovič/Mokienko (1997) haben die bislang umfassendste und sorgfältigste Dokumentation der Verwendung von Phrasemen in literarischen (und publizistischen) Texten geliefert. Am Beispiel von 500 gebräuchlichen Idiomen der heutigen russischen Sprache und 60’000 Belegen von über 800 Autoren haben sie versucht, die häufigsten Umwandlungen
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VIII. Phraseme in literarischen Texten und Autorenphraseologie/Phraseology of literary texts
der Phraseme bei deren Gebrauch zu ermitteln. Während Schweizer (1978, 10) für die Untersuchung des Sprachspiels im Anschluss an Koller “syntagma-internes” und “syntagma-externes” Sprachspiel unterscheidet und diese nach jeweils 13 bzw. 6 Kriterien klassifiziert, ist hier ein System entwickelt worden, das noch weiter differenziert wurde, zahlreiche Transformationen der Phraseme registriert und detaillierte Informationen zu den Kontexten gibt, in denen sie gebraucht werden. Diese bislang umfassendste systematische Beschreibung der Besonderheiten des Gebrauchs und der Modifikation von Phrasemen in der Literatur kann eine gute Grundlage für weitere Untersuchungen, die Regularitäten im freien und kreativen Gebrauch der Phraseme feststellen wollen, bilden. Sie kann jedoch eine Untersuchung der Rolle von Phrasemen im Beziehungsgeflecht eines ganzen literarischen Werkes nicht ersetzen, da hier Phraseme weit über den engen Kontext ihres Gebrauchs hinaus und im Zusammenspiel mit anderen Phrasemen und anderen Elementen des Werkes untersucht werden müssen, um ihrer Bedeutung für dieses Werk gerecht zu werden.
5.
Literatur (in Auswahl)
5.1. Werke Cervantes (1967 [1605–1615]) = M. Cervantes Saavedra, M.: El ingenioso hidalgo don Quijote de la Mancha. Madrid. Éluard, P./Péret, B. (1925): 152 proverbes mis au goût du jour. = 152 Sprichwörter auf den neuesten Stand gebracht. Ed. and translated with an afterword by U. Hörner and W. Kiepe. Gießen 1995. Ionesco, E. (1981): La cantarice chauve. Anti-pièce suivi de La leçon. Drame comique. Paris. Jelinek, E. (1975): Die Liebhaberinnen. Reinbek. Jelinek, E. (1989): Lust. Reinbek. Queneau, R. (1959 [1947]): Exercices de style. Paris.
5.2. Sekundärliteratur Abrahams, R.D./Babcock, B.A. (1994): The Literary Use of Proverbs. In: W. Mieder (ed.): Wise Words. Essays on the Proverb. New York, 415– 437. Bachtin, M.M. (1990): Tvorčestvo Fransua Rable i narodnaja kul`tura srednevekov`ja i Renessansa. Moskva. Bogatyrev, P./Jakobson, R. (1929): Die Folklore als eine besondere Form des Schaffens. In: Jakobson 1979, 140–157.
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Wolfgang Eismann, Graz (Österreich)
330
VIII. Phraseme in literarischen Texten und Autorenphraseologie/Phraseology of literary texts
29. Proverbs in the works of Edmund Spenser 1. 2. 3. 4.
Introduction Edmund Spenser Spenser’s poetry Select bibliography
1.
Introduction
The English Renaissance was perhaps the greatest age for the use of proverbs in literature, complementing the keen interest the era took in collecting and examining proverbs and their extensive employment in the moral and rhetorical education of fledgling humanists. The Elizabethan and Jacobean drama, which flowered with such apparent suddenness and then even more abruptly withered, has been the natural field from which our great modern scholars have gathered the age’s proverbs: B. J. Whiting in Proverbs in the Earlier English Drama (1938); M. P. Tilley in A Dictionary of the Proverbs in England in the Sixteenth and Seventeenth Centuries (1950); Archer Taylor in separate articles on the plays of Shakespeare (1951), Beaumont and Fletcher (1957a, 1957b, 1960b), Thomas Middleton (1959), and John Marston (1960a); and R. W. Dent in Shakespeare’s Proverbial Language: An Index (1981) and Proverbial Language in the English Drama Exclusive of Shakespeare, 1495–1616: An Index (1984). Shakespeare, Christopher Marlowe, Ben Jonson, John Webster, and their contemporaries, for artistic purposes of characterization and verisimilitude, made their dramatis personae utter countless proverbs, as well as allusions to proverbs, adaptations of proverbs, comical corruptions and misunderstandings of proverbs.
2.
Edmund Spenser
Among the non-dramatic poets of the age, the greatest user of proverbs – the most prolific and creative – was Edmund Spenser (1552– 1599). In his formative studies at London’s Merchant Taylors’ School and then at Cambridge University, the young Spenser would have become versed in the vast store of Greek and Latin proverbs that Renaissance Europe treasured and that the great Erasmus of Rotterdam had compiled in the several expanding editions of his Adagia (1500–1540), which by Spenser’s time was also accessible in nu-
merous posthumous editions, condensations, and adaptations, as well as in the English translation (with commentary) by Richard Taverner (1539 et seq.). The fund of ancient and international proverb lore, preserved and now widely disseminated in print, supplemented the repertory of current sayings that Spenser and his contemporaries would have garnered from the oral traditions of the English-speaking folk-groups to which they belonged. In “western” tradition, at least, proverbs have never been regarded as sacrosanct epitomes of canonical wisdom, such as might be quoted in a law court to clinch a plea. Rather, they are discrete verbal artifacts, possessing some authority on the basis of their traditional character and often their antiquity, yet also subject to playful reinterpretation, parody, even confutation. Especially in his magnificent epic-romance The Faerie Queene (1590, 1596), supposed to be the longest (albeit unfinished) poem in the English language, Spenser used proverbs with a complexity that has been appreciated only in recent decades. In 1970 Charles G. Smith published a compilation titled Spenser’s Proverb Lore, subtitled “With Special Reference to His Use of the Sententiae of Leonard Culman and Publilius Syrus”. Having recognized the pervasive emphasis on Publilius Syrus and Culman in sixteenth-century schooling, Smith was able to detect hundreds of paraphrases and echoes of the Latin sententiae in Spenser’s works, most of them with counterparts or analogs in genuine proverbs. His failure to differentiate between popular proverbs and the bookish, rotely-memorized “sentences” (as well as various phrasal idioms and commonplace ideas) is a troubling weakness of Smith’s endeavor. However, for Elizabethans sharing a common educational background, the distinction is perhaps less crucial than for modern folklorists. As John W. Ashton (1957, 10) remarked, in another connection, students of the sixteenth century may wish to broaden the definition of folklore to include “folk materials drawn from written sources, or more often, based on a combination of the oral tradition and printed reports of or statements about that tradition”, for “at no time in the history of English literature has there been a more complete blending of the literary impulse and the native and derived folk material than in
331
29. Proverbs in the works of Edmund Spenser
Elizabethan England” (see also Doyle 1990, 311–312).
3.
Spenser’s poetry
3.1. The Shepheardes Calender It could be said that a proverb lofted Spenser onto the English literary scene. His first significant publication, The Shepheardes Calender, appeared anonymously in 1579 (Spenser 1932–57, vol. 7, pt. 1, 1–120; all quotations from Spenser are based on this “variorum” edition, except that I have normalized u and v, i and j, and the “long s” according to presentday customs). Following some perfunctory prefatory lines on the verso of the title page, presumably Spenser’s own, beginning “Goe little booke” and signed “Immerito” (“the unworthy one”), a detailed dedicatory epistle to Gabriel Harvey by one “E.K.” proclaims the unnamed Spenser as “our new Poete”; the epistle begins, UNCOUTHE UNKISTE, Sayde the olde famous Poete Chaucer: [...] Which proverbe [...] very well taketh place in this our new Poete, who for that he is uncouthe (as said Chaucer) is unkist, and unknown to most men, is regarded but of few. But I dout not, so soone as his name shall come into the knowledg of men, and his worthines be sounded in the tromp of fame, but that he shall be not onely kiste, but also beloved of all, embraced of the most, and wondred at of the best.
Spenser’s own use of proverbs in the twelve eclogues of The Shepheardes Calender, corresponding to the months of the calendar year, shows an interesting pattern: The four eclogues that the prefixed “Generall Argument of the Whole Booke” designates as “plaintive [...] or recreative” (“January”, “June”, “November”, and “December”), chronicling the unrequited love of the shepherd Colin Clout for the fair (and less bucolically inclined) Rosalind, contain few proverbs, though a noteworthy use of one occurs in the “June” eclogue when Colin avows that his “ryper age” has now reproved the “former follies” of love: “[...] for time in passing weares/(As garments doen, which wexen old above)/And draweth newe delights with hoary heares” (lines 38–40). The proverb, current in Spenser’s time, simply states, “Time wears away love” (Tilley T340); the poet himself has (apparently) innovated the image in the parenthesis. In The Shepheardes Calender the preponderance of proverbs appear in the “moral”
eclogues, “which for the most part be mixed with some Satyrical bitternesse”; those are poetic dialogs, arguments, in which the speakers vie to deliver not only the most convincing points but also to propound their points in the most vivid and memorable fashion. The quotation, citation, or adaptation of proverbs could serve either end. The poems “February”, “May”, “July”, and “September” are bestrewn with proverbial expressions; a speaker in “July”, rebuking an arrogant churchman, specifically identifies one expression as a proverb then segues immediately into a variant of another proverb (or, more precisely, a conflation of two proverbial expressions): “To Kerke the narre, from God more farre,/has bene an old sayd sawe./And he that strives to touch the starres,/oft stombles at a strawe” (lines 97–100; Tilley C380, S827, S922). True proverbs and their variants are mixed, perhaps tactically rather than indiscriminately, with sententiae from old authors (like Publilius Syrus and Leonard Culman) and pithy sententious expressions possibly of Spenser’s own devising; for instance, this sequence of sayings in “September”, in which the shepherd Diggon Davie implores, proverbially, “I pray thee gall not my old griefe”, to which his friend Hobbinoll responds, “Nay, but sorrow close shrouded in hart/I know, to kepe, is a burdenous smart./ Eche thing imparted is more eath to beare:/ When the rayne is faln, the cloudes wexen cleare” (lines 12–18: G447). 3.2. Amoretti Of Spenser’s other “minor” works, the famous sonnet sequence Amoretti (published in 1595; Spenser, vol. 7, pt. 2, 189–232) calls for special mention. Like most Elizabethan sonnet sequences, the 89 poems in the Amoretti chronicle various stages and experiences in love. Prosodically and grammatically, the “Spenserian sonnet” – like the contemporaneous (though markedly different) “Shakespearean sonnet” – concludes in a freestanding couplet. Several of Spenser’s sonnets quote, or directly allude to, a proverb in the couplet (fewer of Shakespeare’s do), as if to clinch or sum up an argument developed in the three linked quatrains, or to offer a correlative from the larger world outside the recounted situation in the poem, or occasionally to effect a reversal or cast an ironic light on the foregoing matter – or on a proverb itself. For example: “All paine hath end and every
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VIII. Phraseme in literarischen Texten und Autorenphraseologie/Phraseology of literary texts
war hath peace,/but mine no price nor prayer may surcease” (the ending of sonnet 11, calling into question the “veracity” of the proverb “All wars end in peace” [Tilley W55], also perhaps “Great pains quickly find ease” [P21]); “Fondnesse it were for any being free, /to covet fetters, though they golden bee” (sonnet 37; “No man loves his fetters though made of gold” [M338]); “Make hast therefore sweet love, whilest it is prime,/for none can call againe the passed time” (sonnet 70; “Time past may not be called again” [T332]); “So sorrow still doth seeme too long to last,/ but joyous houres doo fly away too fast” (sonnet 87; “Hours of pleasure are short” [H747]). Occasionally an entire sonnet will be structured about one or more proverbs. In sonnet 32, the unrequited lover supposes that his fiery passion and the persistent pounding of his plaintive pleas must eventually soften his disdainful mistress’s cold and hard heart, just as (in what sounds like an adage or aphorism but apparently was not) “The paynefull smith with force of fervent heat,/the hardest yron soone doth mollify”. In the sonnet’s allegory, however, that true-to-life proposition fails to apply:
sweat” (S1036), or even, implicitly, “No honey without gall” (H556). Then the general observation is applied to human conduct in a truism popularly expressed by three or more proverbs: “Things hardly attained are highly deemed” (T201); “The best things are worst to come by” (T178); “Easy come, easy go” (C533). The couplet concludes the sonnet by positing another proverbial generality: “He that will have the pleasure must endure the pain” (P412) or “There is no pleasure without pain” (P420) or “Pleasure is not pleasant unless it cost dear” (P415). But the closing couplet also wittily inverts the proverb “Short pleasure, long pains” (P419):
Yet cannot all these flames in which I fry, her hart more harde then yron soft awhit: ne all the playnts and prayers with which I doe beat on th’ andvyle of her stubberne wit.
It might be noted that sonnet 63, which anticipates the long-yearned-for acquiescence of the formerly scornful lady – in terms that could equally describe the attainment of bliss in a Christian afterlife – concludes with an allusion to the same proverb (or proverbs): “All paines are nothing in respect of this,/all sorrowes short that gaine eternall blisse”. Sonnet 18 functions by a series of reassessments of the proverbial conceit “Constant dropping will wear the stone” (Tilley D618), introduced with a variant of a nearly-equivalent adage about the erosion of hard metal, “Iron with much handling is worn to nothing” (I92):
Nonetheless, lurking just behind the lamentations, as a sort of subtext – almost eluding the consciousness of the speaker – is a different metaphorical proposition from blacksmithing, the proverb “The more you beat iron, the harder it grows” (Tilley I96), which he finally stumbles upon in line 11: the lady “harder growes the harder she is smit”. So the governing proverb has foreordained the failure of the lover’s suit. In sonnet 26, the ardent speaker lists several examples – some proverbial, some (apparently) of Spenser’s own invention – of great “sweetness” mitigated by or mixed with or enveloped in harshness or bitterness (“No rose without a thorne” [Tilley R182], “Sweet is the nut but bitter the shell” [N360]; other Spenserian variations on the proverbial “sweet vs. sour” theme are discussed by Mason Tung [1984, 191–92]). Lines 9–10 summarize the foregoing instances by paraphrasing or alluding to the proverb “He deserves not the sweet who will not taste of the sour” (S1035), or perhaps “No sweet without some
SWeet is the Rose, but growes upon a brere; Sweet is the Junipere, but sharpe his bough; sweet is the Eglantine, but pricketh nere; sweet is the firbloome, but his braunches rough. Sweet is the Cypresse, but his rynd is tough, sweet is the nut, but bitter is his pill; sweet is the broome-flowre, but yet sowre enough; and sweet is Moly, but his root is ill. So euery sweet with soure is tempred still, that maketh it be coveted the more: for easie things that may be got at will, most sorts of men doe set but little store. Why then should I accoumpt of little paine, that endlesse pleasure shall unto me gaine?
THe rolling wheele that runneth often round, The hardest steele in tract of time doth teare: and drizling drops that often doe redound, the firmest flint doth in continuance weare. Yet cannot I with many a dropping teare, and long intreaty soften her hard hart: that she will once vouchsafe my plaint to heare, or looke with pitty on my payneful smart. But when I pleade, she bids me play my part, and when I weep, she sayes teares are but water: and when I sigh, she sayes I know the art, and when I waile, she turnes hir selfe to laughter. So doe I weepe, and wayle, and pleade in vaine, whiles she as steele and flint doth still remayne.
29. Proverbs in the works of Edmund Spenser
In the first quatrain, the unrequited lover presents the proverb simply as a statement of a truth such as proverbs are often assumed to epitomize. In the second quatrain, however, bewailing the lack of success in his amorous plea – his tears redounding upon his wouldbe mistress’s stony heart (“a heart as hard as stone” [H311]) with no effect – he posits his own case as a notable exception, casting doubt on the proposition asserted by the proverb. In the third quatrain, the lady – understanding something of the rhetorical strategy in her suitor’s “art” – merrily disdains even the imagery in the proverb, as if the fact that tears consist of water should render them ineffective for wearing down either heart or stone, an ineffectuality confirmed in the final line, an outright denial of the “truth” that the proverb supposedly avers (or perhaps, with the reference to steel, the sonnet implicitly plays the “stone” proverb against the one at the heart of sonnet 32, “The more you beat iron, the harder it grows” [I96]). As for the impression made by water relentlessly dropping upon stone, “The proverb, true in inanimate nature, has been tested and found wanting in the world of human relations”, Robert Kinsman has remarked (1990, 563). It is an instance of what has come to be called a counter-proverb – a term coined in an analysis of one of Spenser’s distinctive uses of proverbial speech (Doyle 1972, 683–685). A counter-proverb specifically denies the veracity or applicability of a proverb; it is not to be confused with what have been termed anti-proverbs by Wolfgang Mieder and others (Mieder 1982–1989; Mieder and Tóthné Litovkina 1999), proverbs parodied or otherwise altered for ironic effect or playful recontextualizing, as in cartoons or commercial slogans. 3.3. The Faerie Queene The action of The Faerie Queene (Spenser, vols. 1–6) – the several quests of several knights in the service of the queen, Gloriana – takes place in Faerie Land, a locale at once distinct from and painfully familiar (symbolically, at least) as the “real”, the fallen world of mundane but complex human experience (sometimes of a conspicuously Tudor English cast). In the allegorical fiction, as in the real world, one must continually wonder what “rules” explain and govern phenomenological occurrences, practical conduct, the psychology of motives and persuasions, or higher,
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spiritual truths. What, specifically, is the role of a proverb, the status of a proverb, in verbalizing such rules? A principal theme of the entire poem – especially of book 1 – develops from the forthright denial of a proverb in the first episode. The knight of the Red Cross (protagonist of “The Legende of [...] Holinesse”, as Book 1 is titled) and his lady Una (representing the “oneness” of truth) become lost in a dense forest, “that heavens light did hide,/ Not perceable with power of any starre” (1.1.7.6). There they come upon a deep dark cave, inhabited by the monster Error. The knight, impetuous and untried in chivalric deeds, dismounts and approaches the cave: Be well aware, quoth then that Ladie milde, Least suddaine mischiefe ye too rash provoke: The danger hid, the place unknowne and wilde, Breedes dreadfull doubts: Oft fire is without smoke. (1.1.12.1–4)
“Oft fire is without smoke” is unmistakable as the inversion, the “countering” of a wellknown proverb from the sixteenth century, “Where fire is, smoke will appear” or “There is no fire without some smoke” (Tilley F282). The saying affirms the dependability of visible signs to reveal hidden phenomena. In the Christian-Platonism of the poem, the distinction between the proverb and Una’s inversion of it is crucial. The Red Cross Knight is afflicted with a problem of vision; he cannot differentiate between appearance and reality, or between worldly reality and otherworldly truth. Subsequently mistaking the villainous sorcerer Archimago for a holy hermit, the false apparition of Una for Una herself, and the foul witch Duessa for the fair damsel Fidessa, the inept hero is successively degraded until he finds himself languishing in the profound darkness of Orgoglio’s cavernous dungeon, from where Prince Arthur rescues him. Only by a strenuous regimen in the House of Holiness, where wise Fidelia “taught celestiall discipline,/And opened his dull eyes” (1.10.18.8–9), is the fallible exponent of holiness finally enlightened to the point where he can approach heavenly truth, a process culminating in his dazzling view of the New Jerusalem from atop Mount Contemplation, whereupon he is able to fulfill his dragon-slaying quest. So, thinking back to the opening episode of the book, we recognize that Una’s counterproverbial admonition has crucially anticipated the essential problem of the Red Cross
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VIII. Phraseme in literarischen Texten und Autorenphraseologie/Phraseology of literary texts
Knight’s career: The kind of wisdom that a proverb like “There is no fire without some smoke” formulates is worldly, pragmatic (folk-wisdom, we might call it); in that realm the knight is competent enough. Undaunted and undeterred, he replies to Una’s warning by citing his unquestioned “virtue”, a word that Spenser employs in its old sense of manliness, strength, or skill: “Ah Ladie (said he) shame were to revoke/The forward footing for an hidden shade:/Vertue gives her selfe light, through darkenesse for to wade” (1.1.12.7–9). The Red Cross Knight’s self-satisfied declaration “Vertue gives her selfe light” reveals how far from comprehending Una’s metaphor he is – as if light could assist in detecting a hidden fire. The benighted hero is soon “wrapt in Errours endlesse traine” and in peril of his life. His danger results not from a lack of “virtue”, the capacity to deal with the worldly or the visible, but from his lack of spiritual strength, which can perceive that which is obscured in the world of appearances. This quality (theologically speaking) is faith, represented by the character Fidelia, the eventual teacher of the young protagonist. The knight overcomes Error only by heeding Una’s second piece of advice: “Add faith unto your force”. Saint Paul defined faith as “the evidence of things not seen”. Such invisible evidence is what the unenlightened knight, and others who trust in the worldly wisdom of the proverb “Where fire is smoke will appear”, fail to allow for. It is a higher wisdom that Una, or Truth, pronounces in her counterproverb “Oft fire is without smoke”. The Red Cross Knight has replied to Una’s counter-proverb with a “saying” of his own, “Vertue gives her selfe light”, which was probably proverbial, though Tilley does not record it; Smith (no. 820) cites (in addition to a Latin analog from Publilius Syrus and two from Cicero) English versions by Milton (1637) and Robert Ashley (before 1641) – to which I can add one from Ben Jonson’s masque Pleasure Reconcild to Vertue: “She [Virtue], she it is, in darkness shines./’tis she that still hir-self refines,/by hir owne light” (posthumously published in 1640 [the author died in 1637]; Jonson 1925–52, 7, 491). The practice of swapping adages as a mode of arguing had its own tradition in the study and practice of rhetoric; the speaker who can utter the last proverb (or perhaps the best one) in such an exchange might be supposed to have bested
the competition, and the Red Cross Knight evidently does assume his rhetorical victory over Una — though the reader (like Una) must understand that a holy counter-proverb trumps an ordinary, “worldly” proverb. A more extended swapping of proverbs and sententiae occurs when Prince Arthur first encounters the distraught Una, who has learned of her faithless knight’s imprisonment by Orgoglio; she demurs to speak at all, for “What worlds delight, or joy of living speach/Can heart, so plung’d in sea of sorrowes deepe,/ And heaped with so huge misfortunes, reach?” (1.7.39.1–3). Rather, she declares sententiously (if not proverbially), such sorrows “yts better hidden keepe,/Then rip up griefe, where it may not availe” (1.7.39.7–8; cf. “to rip up old sores” [Tilley S649]). Arthur responds to her reticence, “Mishaps are maistred by advice discrete,/And counsell mittigates the greatest smart;/Found never helpe, who never would his hurts impart” (1.7.40.7–9; a similar exchange, it will be recalled, occurred in the “September” eclogue of The Shepheardes Calender: Diggon Davie protests, “I pray thee gall not my old griefe,/ Sike question rip[p]eth up cause of newe woe”, to which Hobbinoll replies, “Nay, but sorrow close shrouded in hart/I know, to kepe, is a burdenous smart./Eche thing imparted is more eath to beare” [lines 12–17]; the proverb is “Grief is lessened when imparted to others” [Tilley G447]). The topic of this exchange (also, implicitly, of the earlier exchange between Una and the Red Cross Knight) – the role of counsel (proverbs: “It is good to be well advised” ([A45], “Good counsel lightly never comes too late” [C685]) – is crucially important in what Kinsman has called “the mental world of Spenser’s heroes and heroines, shepherds, knights and ladies” (564). Perhaps inching a step closer to the therapeutic and practical sharing of her grief, Una next rejoins, “O but (quoth she) great griefe will not be tould,/And can more easily be thought, then said” (1.7.41.1–2; the proverb is “Small sorrows speak, great ones are silent” [S664]). An accelerating stichomythia of proverbial sayings ensues: Right so; (quoth he) but he, that never would, Could never: will to might gives greatest aid. But griefe (quoth she) does greater grow displaid, If then it find not helpe, and breedes despaire. Despaire breedes not (quoth he) where faith is staid. No faith so fast (quoth she) but flesh does paire. Flesh may empaire (quoth he) but reason can repaire. (1.7.41.3–9)
29. Proverbs in the works of Edmund Spenser
Prince Arthur’s “goodly reason, and well guided speach” (1.7.42.1) has persuaded Una, largely on the basis of proverbial wisdom, to reveal the nature of her grief, to begin the process of her own emotional healing and to accept necessary help for the rescue of the Red Cross Knight. However, the exchange suggests a greater complexity: The fact that proverbs can be aptly quoted on behalf of opposing positions implies that proverbs can be unpersuasive, and choosing – or heeding – the “right” proverbs for an occasion can be as difficult as any other choice. Una’s truism “No faith so fast [that is, steadfast] [...] but flesh does paire [that is, impair]” seems to allude the proverb “All flesh is frail” (F363) and perhaps to “The spirit is willing but the flesh is weak” (S760). However, even those biblically-based proverbs are topped – vanquished, as it were – by the wordplay in Arthur’s sententious-sounding “Flesh may empaire [...] but reason can repaire” – something in the manner of a counter-proverb. Mary Ann Cincotta has brilliantly examined the nature of “authority” in relation to the use of proverbs and sententiae (she, like Smith, largely disregards the distinction) in The Faerie Queene, noting “the unreliability of such authoritative statements, for although their compressed form expresses aspects of a truth as if they were the whole truth, their mutual qualification suggests that they are in fact only partial truths” (1983, 27). Like the characters in the poem, the reader too must struggle to assess “general propositions and their validity in a specific case” (27). Cincotta expresses the point most comprehensively: “The Faerie Queene endeavors to mediate a disjunction between shared knowledge and individual applications and apprehensions of it” (30). Proverbs also serve in The Faerie Queene to connect episodes, characters, and speeches – one of the many architectonic devices by which unity is achieved within the 74 cantos of the (unfinished) poem, cantos typically comprising about 50 nine-line “Spenserian” stanzas. For instance, some of the individual propositions uttered in Una and Arthur’s exchange concerning forthcomingness and counsel reverberate in later books. In book 2, “The Legend of Sir Guyon. or Of Temperaunce” (Spenser, vol. 2), Guyon echoes Arthur’s sententious assertion that “counsell mittigates the greatest smart” (1.7.40.8), as he plies the mortally injured lady Amavia with
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“goodly counsell, that for wounded hart/Is meetest med’cine” (2.1.44.2–3; Smith [no. 123] assembles several sayings, in Latin and English, based on the conceit of counsel as a sovereign medicine), urging her to “Let one word fall that may your griefe unfold,/And tell the secret of your mortall smart;/He oft finds present helpe, who does his griefe impart” (2.1.46.7–9). She dies anyhow, and we notice, perhaps, how inappropriate are the sententious words about the pain of unspoken grief, when the pains at issue here come from a literally wounded heart! In book 3, “The Legend of Britomartis. or Of Chastitie” (Spenser, vol. 3) a conversation about the less literal heart-wounds suffered by the female protagonist, lovestruck at a vision of Sir Artegal, is again reminiscent. When her old nurse Glauce confidently advises, “O daughter deare (said she) despaire no whit;/For never sore, but might a salve obtaine” (3.2.35.6–7; “There is a salve for every sore” [Tilley S84]), Britomart insists, “But mine is not (quoth she) like others wound;/For which no reason can find remedy” – to which Glauce replies, “Was never such, but mote the like be found,/(Said she) and though no reason may apply/Salve to your sore, yet love can higher stye,/Then reasons reach, and oft hath wonders donne” (3.2.36.1–6). The wisdom or applicability of the proverb quoted with such assurance in the preceding stanza has now been doubted, if not discountenanced. Along with all the other therapeutic devices in which she is expert, Glauce finally gainsays the efficacy of counsel itself: “Full many waies she sought, but none could find,/Nor herbes, nor charmes, nor counsell that is chiefe/And choisest med’cine for sicke harts reliefe” (3.3.5.3–5). Then, in book 6, “The Legend of S. Calidore or Of Courtesie” (Spenser, vol. 6), Timias and Serena, having been wounded by the Blatant Beast, seek help from an ancient knight-turned-hermit versed in “many kindes of medicines”, who “right well in Leaches craft was seene” (6.6.2.7, 6.6.3.1). After a thorough “searching” of their wounds, the hermit finds the pair to be incurable by any normal (“literal”) regimen: “And I likewise in vaine doe salves to you applie” (6.6.6.9), he declares, “countering” the proverb “There is a salve for every sore”. Rather, they require counsel: “Give salves to every sore, but counsell to the minde” (6.6.5.9). He seems to contrive a distinction between literal, physical, (therefore) “salvable” wounds, to which the
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VIII. Phraseme in literarischen Texten und Autorenphraseologie/Phraseology of literary texts
proverb (albeit not so restricted in its wording) is taken narrowly to pertain, and wounds of the mind, to which the proverb is now deemed inapplicable. Characteristic of Spenser’s use of proverbs in The Faerie Queene, the repeated instances do more than reprise major themes of the poem and subtly connect widely separated episodes. Each echo or reiteration alters the impression of – the meaning of – the proverb and thus reminds the reader how complex, sometimes tenuous, can be the relationships between worldly wisdom and mental or spiritual reality, the difficulty of ascertaining the relationships of the experiential world to verbal artifacts, such as proverbs and poems, which endeavor to represent or interpret that world – but also, finally, the necessity for us, the readers, to apply our minds (and our “faith”) to the understanding of such artifacts and of the world itself, in our own endless quests for knowledge and redemption – not to mention our seeking of sheer esthetic delight. Smith’s collection of proverbs and sententiae in Spenser includes, as an appendix, a “Distribution Index” (313–21) for the various poems and for the individual books of The Faerie Queene. The number of sayings that Smith has discovered differs, obviously, from book to book: book 1, 234; book 2, 196; book 3, 181; book 4, 190; book 5, 145; book 6, 155; the fragmentary “Mutability Cantos” (two cantos plus 2 stanzas, posthumously published in 1609, sometimes designated “book 7”), 24 – a total of 1125. No hypothesis immediately presents itself to explain the differences in profusion of sayings, and (in any case) we must remember the looseness of Smith’s conception of what counts as “data”; certainly, too, still other proverbial expressions remain to be identified (as Cincotta remarks, “Spenser’s use of proverbs is frequently unobtrusive in the extreme” [1983, 28]). Smith also found 137 sayings in The Shepheardes Calender (86 of those in the four “moral” eclogues), 59 in the Amoretti, 228 in other poems, and 89 in the few pieces of prose that survive in the Spenser canon, principally the book-length View of the Present State of Ireland. Almost certainly, no other English non-dramatic poet has approached the sheer quantity of proverbs that Spenser placed into literary contexts. However impressive the gross tabulations may seem, though, Spenser’s extraordinary genius consisted, most significantly, in the qualita-
tive complexity, ingenuity, wit, and artistry with which he employed proverbs.
4.
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30. Proverbs in the works of Ralph Waldo Emerson
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Charles Clay Doyle, Georgia (USA)
30. Proverbs in the works of Ralph Waldo Emerson 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Introduction Emerson as paremiographer Emerson as paremiologist Proverbs in the journals Epistolary use of proverbs Proverbs in lectures and essays The poetic world of proverbs Select bibliography
1.
Introduction
Of the many American authors who delight in employing proverbs in their writings, Ralph Waldo Emerson (1803–1882) lends himself particularly well to illustrate how proverbs are effectively used in various forms of literature (cf. Abrahams/Babcock 1977, Grzybek 1991, Mieder 1974a-b, Taylor 1931: 171– 183). This prolific 19th-century preacher, rhetorician, lecturer, essayist, transcendentalist, philosopher, pragmatist, humanist, and early paremiologist was intrigued by the wisdom expressed in proverbs throughout his long and active life. As one combs through the dozens of volumes of notes, letters, sermons, lectures, essays, and poems, it becomes clear that he was an early American proverb scholar of sorts. The many comments that he made on proverbs throughout his voluminous writings add up to an impressive knowledge of this folklore genre (cf. La Rosa 1969, Mieder 1989b). He went so far as to assemble small proverb collections, and he also theorized about the nature and meaning of proverbs. More importantly and perhaps somewhat surprisingly, this remarkable intellectual never shied away from using proverbs to underscore a particular observation or generalization. Even though he was fond of these
ready-made bits of traditional wisdom, he saw their limitations and was well aware of the fact that proverbs are not universal truths. But metaphorical proverbs served him well, giving his demanding lectures and essays a refreshing and colorful style based on easily accessible elements of folk speech (cf. Anderson 1953).
2.
Emerson as paremiographer
Emerson filled dozens of notebooks with thoughts and observations that might best be described as literary or philosophical fragments or aphorisms. Everything that he found worthy of being remembered or reflected upon, he untiringly jotted down without any logical or thematic order. One is reminded of the notebooks of such other great 18th/19thcentury authors as Georg Christoph Lichtenberg, Goethe (whom Emerson admired greatly), Novalis, Friedrich Schlegel, Arthur Schopenhauer (cf. Mieder/Bryan 1996), and, of course, his transcendentalist companion Henry David Thoreau (cf. Loomis 1957, Moldenhauer 1967, Reaver 1967, Willis 1966). In one of these fascinating notebooks appropriately entitled Encyclopedia (1824– 1836), Emerson assembled hundreds of quotations from a multitude of sources and covering any subject imaginable. His encyclopedic mind was simply intrigued with everything, including philosophical reflections and folk wisdom (cf. Loomis 1958, Taylor/Whiting 1958). While individual proverbs are registered throughout the notebooks and in the Encyclopedia in particular, Emerson also
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VIII. Phraseme in literarischen Texten und Autorenphraseologie/Phraseology of literary texts
amassed them on occasion into his own small collections: Proverbs Vinegar is the Son of Wine. The rolling stone gathers no moss. Fling no stones from a glass house. Malum vas non frangitur. The last ounce broke the camel’s back. “Man has been to man a wolf”. Hobbes. Bygones be bygones. None so homely but likes a looking glass. Stercus cuique suum bene olet. Years know more than books. Whilst the grass grows the steed starves. Let well alone. Need breaks iron. (Journals VI, 138–141)
This considerably abbreviated list shows the polyglot interests of Emerson, who often cites proverbs in foreign languages (primarily Latin and French) or in translation, for example the German proverb “The apple does not fall far from the stem” (Journals VI, 224; part of another small proverb collection in Emerson’s Encyclopedia, 224–225; cf. Mieder 1993). Some of Emerson’s major sources for proverbs were Vicesimus Knox’ Elegant Extracts ... in Prose (1797), John Ray’s A Complete Collection of English Proverbs (1817), and Thomas Fielding’s Select Proverbs of All Nations (1825). For example, the following slightly shortened list of Italian and Spanish proverbs in English translation was copied from Knox (cf. Cameron 1957), indicating his interest in the wisdom of other languages and cultures: Proverbs God comes to see us without a bell. A wall between both, best preserves friendship. God doth the cure, & the Physician takes the money for it. Make the night night, & the day day. The wise hand doth not all which the foolish tongue saith. There’s no fool like a learned fool. (May 12, 1832; Journals IV, 16–17)
But Emerson’s keen interest in proverbs also led him to create his own proverb-like statements based on proverbial structures and employing such markers as rhyme, parallelism, rhythm, etc. (cf. Arora 1984, La Rosa 1972): My Proverbs The chief mourner does not always attend the funeral. A fine day is not a weather breeder but a fine day. All men are every moment growing wiser. Look at the mark not at your arrow.
Knowledge is the best insurance. ’Tis as hard to tame a fly as a hyena. God hides things by putting them near us. A little praise/Goes a great ways. (Journals VI, 197–198; abbreviated)
The last text has made it into A Dictionary of American Proverbs (Mieder/Kingsbury/Harder 1992, 479), and so has Emerson’s creation Hitch your wagon to a star (Journals VI, 637). He had used it in his lecture on Civilization in 1862 as a bit of uplifting advice: Hitch your wagon to a star. Let us not fag in paltry works which serve our pot and bag alone. Let us not lie and steal. [...] Work rather for those interests which the divinities honor and promote, – justice, love, freedom, knowledge, utility (January 1862; Complete Works VII, 30).
Such mini-proverb collections are, however, rather the exception in Emerson’s work as a paremiographer. Most of the time he simply registers a single proverb without any context or explanation whatsoever. He must have heard or read the particular proverb, noting it down as yet one further example of life’s experiences and observations distilled into a gem of folk wisdom: There is always less money, less wisdom, & less honesty than people imagine. Ital. Proverb. (1826; Journals VI, 28) Non est planeta Israeli – a Jewish proverb. (1827; Journals VI, 70) It is an Arabian Proverb – Darken five windows that the house may shine. (1929; Journals VI, 90) Welcome is the best cheer. Proverb. (April 2, 1832; Journals IV, 9) The barber learns his art on the orphan’s face. Arabian Proverb. (February 12, 1834; Journals IV, 264; cf. Cameron 1958) Moreover saith the world “Nothing venture, nothing have”. (September 15, 1834; Journals IV, 322) In vino veritas. (April 20, 1837; Journals V, 299) What just theology is in the popular proverb, “Every man for himself & the Lord for us all”. (November 17, 1839; Journals VII, 307) The saugh kens the basketmaker’s thumb. Scottish proverb. (October 14, 1840; Journals VII, 407) Il n’y /a/est/ que le matin en toutes choses. (1863; Journals XV, 27 and 114) We all know the rule of umbrellas, – if you take your umbrella, it will not rain; if you leave it, it will (rain). (1873; Journals XVI, 293)
This last somewhat longer example shows clearly what delight Emerson took in locating
30. Proverbs in the works of Ralph Waldo Emerson
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new proverbs. While he enjoyed their wisdom, his intellect could perfectly well see their inherent contradictions:
peated over time by the folk, and that they usually serve as truthful and moral rules of life. He also sees “the value of Proverbs or the significance of every trivial speech as of a blacksmith or teamster concerning his tools or his beasts, Namely, that the same thing is found to hold true throughout Nature” (March 11, 1836; Journals V, 137). Naturally he is aware of contradictory proverbs, as they comment on life’s many contradictions:
Two proverbs I found lately; one; “He who would bring home the wealth of the Indies, must carry out the wealth of the Indies” [Spanish proverb]. The other may serve as foil to this magnificent sentence, “Small pot, soon hot”. Then again I found in “the Phenix” [A Collection of Old and Rare Fragments, 1835], the Persian sentence, “Remember always that the gods are good” which for genius equals any other golden saying (July 17, 1837; Journals V, 342).
The actual Persian piece of wisdom is Not knowing that every god is good, you are fruitlessly vigilant, making it clear that Emerson has a bit of “fun” with the juxtaposition of these three sapiential sayings. He obviously also enjoyed a bit of paremiographical field research, when he entered this reference in his journal: “‘When people are going to die their faults come out’ was one of Mary Moody Emerson’s [his aunt] old sayings” (November 19, 1839; Journals VII, 312). Doubtlessly proverbs fascinated Emerson during all of his encounters with others and his readings.
3.
Emerson as paremiologist
It should not be surprising that a person as interested in registering proverbs as Emerson would also reflect upon the definition and nature of this concise and traditional wisdom literature of the folk. As early as 1822, at the young age of nineteen, Emerson wrote these keen remarks into a notebook appropriately titled Wide World since it was meant to include old ideas and new thoughts on an allencompassing and global scope: [...] the proverbs and familiar sayings of all nations [...] are the first generalizations of the mind and have been repeated by the mouth of the million. As the peculiar language of experience, altogether independent of other purposes than as tried guides of life, proverbs demand notice. It was early found that there were a few principles which controlled society; that the mother of all the arts, the nurse of social feelings, the impeller of individual energies – was Necessity [cf. the proverb Necessity is the mother of invention]. These truths, ascertained by the progress of society, and corroborated by the observation of each succeeding generation, were incorporated into these short maxims as rules for youth which maturity would, establish. (February 16, 1822; Journals I, 87)
Certainly Emerson is aware of the fact that proverbs are generalizations, that they are re-
There is no concealment. There is no truth in the proverb that if you get up your name you may safely play the rogue. Thence the balancing proverb that in every wit is a grain of fool. You are known. (September 24, 1836; Journals V, 204)
And, of course, not all proverbs are uplifting since they comment on all aspects of life, including vulgar matters: Of proverbs, although the greater part have so the smell of current bank-bills that one seems to get the savor of all the marketmen’s pockets, and no lady’s mouth may they soil, yet are some so beautiful that they may be spoken by fairest lips unblamed; and this is certain, – that they give comfort and encouragement, aid and abetting to daily action. For example: “There are as good fish in the sea as ever came out of it”, is a piece of trust in the riches of nature and God, which helps all men always. (September 5, 1838; Journals VII, 64–65)
The wisdom and value of proverbs can thus not be denied, as Emerson points out only two weeks after these comments, returning among others to the “fish”-proverb that he had cited: Every homely proverb covers a single and grand fact. Two of these are often in my head lately: “Every dog his day”, which covers this fact of Otherism, or rotation of merits; and “There are as many good fish in the sea as ever came out of it”; which was Nelson’s adage of merit, and all men’s of marriage. My third proverb is as deficient in superficial melody as either of the others: “The Devil is an ass”. The seamen use another which has much true divinity: “Every man for himself and God for us all”. (September 20, 1838; Journals VII, 82)
Thus, according to Emerson, proverbs might be homely and express rather obvious facts about life, but they are basically true and to be reckoned with as appropriate expressions of folk wisdom. They were originally coined by an individual, and by their repeated use by the people the most fitting variant eventually became the standard form that survived decades if not centuries. This is what Emerson might have had in mind when he wrote that “Proverbs are boulders & get the roundness
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VIII. Phraseme in literarischen Texten und Autorenphraseologie/Phraseology of literary texts
of boulders” (February 1847; Journals X, 10), i.e., they are well worn and have stood the test of time. Reflecting on his long interest in proverbs, Emerson becomes quite poetic in their praise: Proverbs are the poetry, the Solomon, the Socrates of the people. What comfort & strength we have all owed once & again & often to “There are as (many) good fish in the sea as ever came out of it”. And, “Well, ’tis as broad as it is long” (1862; Journals XV, 160).
Late in his life he returned to this laudation: “Proverbs are the poetry & literature of unreading nations. Books the immense advantage of the civilized” (1875; Journals XVI, 335). However, there was no need to restrict the value of proverbs to illiterate people. After all, that other great American admirer of proverbs, Benjamin Franklin (1707–1790), had shown hundred years earlier that proverbs were a most welcome part of his incredibly successful Poor Richard’s Almanacks that he published for twenty-five years between 1733 and 1758 (cf. Newcomb 1957, Barbour 1974, Mieder 1989a: 129–142). Besides, Emerson’s own preoccupation with proverbs throughout his life is ample proof that they are part and parcel of human communication both in its oral and written expression (see further comments under 6 below).
4.
Proverbs in the journals
In addition to including individual proverbs without context, several mini-collections of proverbs, and insightful observations on the nature of proverbs in his journals and notebooks, Emerson also repeatedly cites wellknown proverbs in his short prose fragments. Here the proverbs serve him well to underscore an observation or explanation, but he also comments on the significance of traditional proverbs, observing again and again that these apparent truths couched in colorful folk speech have a definite purpose in both philosophical reflection and in everyday discourse. Often Emerson starts one of his reflective fragments with a proverb, quickly turning from its folk wisdom to a comment on human behavior or social matters, as for example in his remarks on the proverb Everything has its price: Then every thing has its price. Little goods are lightly gained, but the rich sweets of tilings are in the ribs of the mountain, and months and years must
dig for them. For example, a jest or a glass of wine a man can procure without much pains to relieve his trouble for a moment; but a habit of Patience, which is the perfect (cordial) medicine, he cannot procure in a moment or a week or a month. It will cost thought and strife and mortification and prayer. (December 7, 1829; Journals III, 169)
Even when the sermonic Emerson wants to elaborate on humankind’s need to make a commitment to social involvement, he begins his short statement with a traditional proverb, citing it in a dialect variant to boot: One man may lead a horse to water, but ten canna gar him drink. It is so in the order of Providence with man. Heaven guards his freedom so carefully that nothing compels him to enter into the spirit of the festival to which he is invited. He may pout in the corner, if he will, and suck his thumbs. But the loss is his own. The company is large and can easily spare him; but he would do more wisely to conform himself to circumstances intended kindly, and carry forward the brilliant game. (April 23, 1831; Journals III, 250)
In addition to arguing for a vita activa, Emerson also points out by means of the proverb Half is more (better) than the whole that in life it is often better to be satisfied with half what one can acquire with safety than the whole that cannot be obtained without danger. In other words, he argues for the golden mean or moderation in all things: A man is a method; a progressive arrangement; a selecting principle gathering his like to him wherever he goes. “Half is more than the whole”. Yes, let the man of taste be the selector & Half is a good deal better than the whole or an infinitesimal part becomes a just representative of the Infinite. A man of taste sent to Italy shall bring me a few objects that shall give me more lively & permanent pleasure than galleries, cities, & mountain chains. A man is a choice. (January 22, 1836; Journals V, 114–115)
But there is also the following aphoristic observation that starts with the mundane proverbial wisdom of It never rains but it pours and in a matter of two sentences moves on to the insight that humankind has a tendency of feeling overwhelmed by the nature of things: It never rains but it pours. If you see pyrola you see nothing else but varieties of pyrola. To that one thing which man has in his head all nature seems an illustration [,] all men martyrs. (July 5, 1836; Journals V, 185)
Even the proverb Love will creep where it cannot go, employed effectively by Shakespeare in his play The Two Gentlemen of Verona, is used by Emerson not to reflect on
30. Proverbs in the works of Ralph Waldo Emerson
341
love’s mysterious ways but rather as a statement of the strength of the will to live:
as he experiences them in his day. Above all, proverbs lead Emerson to his transcendental thoughts that look for a meaningful and ethical purpose of human life. In fact, in his essay Circles (1841), Emerson established a clear link between certain proverbs and transcendentalism:
“Love will creep where it cannot go”, will accomplish that by imperceptible original incalculable methods, being his own lever, fulcrum, & moving power, which force could never achieve. Have you not seen in the woods in a late autumn morning a poor little fungus, an agaric, a plant without any solidity, nay, that seemed nothing but a soft mush or jelly, yet by its constant, total, & inconceivably gentle pushing had managed to break its way up through the frosty ground & actually to lift a pretty hard crust on its head? (September 19, 1840; Journals VII, 398)
But speaking of “love”, Emerson also does not relate the proverb Faint heart never won fair lady to courtship issues. Instead, he shortens the proverb to “Faint heart never won” in the middle of a paragraph for once and relates it to a proclamation for the value of the work of the mind: The mason, the carpenter hold up their trowel & saw with honest pride[;] the Scholar thrusts his book into his pocket, (&) drops the nose gay he has gathered in his walk into the fields, & in conversation with the grocer & farmer affects to talk of business & farms. Faint heart never won. Other professions thrive because they who drive them do that one thing with a single & entire mind. Feel that fair weather or foul weather, good for grass or bad for grass, scarcity or plenty is all nothing to you: that your plough may go every day; and leave to God the care of the world. (May 30, 1836; Journals V, 164–165)
Finally, there is also the journal entry with the title “Each dog” that alludes to the proverb Every dog has his day, and every man has his hour, indicating that Emerson knew how to play with proverbs as catchy titles as journalists do so often in the media. In his remarks he points out that all people are different, but that very person has his vocation, be he a recluse or a president: One thing experience teaches, the variety of men. The recluse thinks of men as having his manner or not having his manner; and as having degrees of it, more & less. But when he comes into a public assembly [and notices John Quincy Adams] then he sees with surprise that men have very different manners from his own & in their way admirable. [...] A steady mind [,] a believing mind wins the world. (May 7, 1837; Journals V, 325)
These examples from the journals suffice to illustrate Emerson’s engrossment with proverbs (cf. La Rosa 1976). He looks at them as truthful generalizations and employs them as analogies of human conduct and social rules
[...] I suppose that the highest prudence is the lowest prudence. Is this too sudden a rushing from the centre to the verge of our orbit? Think how many times we shall fall back into pitiful calculations before we take up our rest in the great sentiment, or make the verge of today the new centre. Besides, your bravest sentiment is familiar to the humblest men. The poor and the low have their way of expressing the last facts of philosophy as well as you. “Blessed be nothing” and “The worse things are, the better they are” are proverbs which express the transcendentalism of common life. (1841; Collected Works II, 186–187)
With “Blessed be nothing” Emerson appears to be referring in a truncated fashion to the proverb Blessed are they who expect nothing, for they shall not be disappointed. In any case, these proverbs refer to the “law of eternal procession” (II, 186) that transcends objective reality.
5.
Epistolary use of proverbs
Proverbs informed all forms of Emerson’s writings as he saw the wisdom of generations distilled in them. They also quite naturally flowed into his numerous letters, where they are part of his style that successfully combines folk language with intellectual argumentation. This can be seen in a marvelous tongue-in-cheek letter that the fifteen-yearold Emerson wrote to his brother Edward (Ned): [...] when I want to scribble I know not why, & care not what, & moreover have leisure & rhyme at command, and peradventure want to amuse myself, then as now the pen flies over the lines to my semiAndover semi-Boston brother Ned. In short I write to you when I am in a serio-ludrico tragico-comico miscellany of feelings. If the paper is filled it matters not how. The old proverb is “Circumstances alter cases”; & now that your horizon is so essentially changed; from the dark murky clouds of misanthropy, fanaticism, & error that encircle Andover to the careless noisy scenes of Boston (two equally dreaded extremes) I suppose I must begin to vary my epistolary efforts [...]. (September 1818; Letters I, 70)
A letter to his brother William is particularly revealing as to Emerson’s pervasive use of
342
VIII. Phraseme in literarischen Texten und Autorenphraseologie/Phraseology of literary texts
proverbs in his epistolary musings with family members. Rather than citing the two proverbs Give him an inch and he’ll take an ell and The rolling stone gathers no moss in their traditional didactic wording, he varies the first to suit his purpose and merely alludes to the second. Both varied texts show that proverbs in context are not at all always cited precisely, i.e., proverbs are not as rigidly fixed as has been assumed: I know I ought, according to all rules, to have answered your letter enclosing $65, which I duly received. But I tho’t you would leave me more inches of line than a better merchant & of course I took some ells. Your account agrees perfectly with mine. If I should succeed in selling my Mill-dam shares, I can better wait your convenience in paying the balance. [...] I am never a dollar in advance of my wants & if it were not for an expedient once or twice in a twelvemonth like Lecturing or an auction of my great stock, I should be flat on my back. But let me hope that my rotations are ended & that now I shall sit still & gather moss. (June 28, 1836; Letters II, 26)
It should be noted that Emerson also included the proverbial expression “to be flat on one’s back” in this letter, but such metaphorical verbal phrases are not particularly common in his writings. In any case, Emerson certainly is fond of the English loan translation of the German proverb Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, as can be seen in this letter to his aunt Mary Moody Emerson: [...] We have learned through Uncle Samuel R. the death of Mrs. Ripley [daughter of Rev. William Emerson]. She loved all her blood so well, and had from nature so much dignity of manners & of form, that though I have never spent but a few hours in her company, I feel as if I had lost a great deal of my family, in her death. [...] Her departure will cut one of your own ties to your present abode, and as men say the apple never falls far from the stem, I shall hope that another year will draw your eyes & steps to this old dear odious haunt of the race. (December 22, 1839; Letters II, 243)
A letter from Manchester, England, to his wife Lidian is also quite revealing in its use of the proverb To each his own, since Emerson there includes comments regarding his thoughts on various rhetorical styles: [...] Last night I heard a lecture from Mr, Cameron whom I have heretofore mentioned on some poetic & literary matters. [...] He talked without note or card or compass, for his hour, on Readers & Reading, very manly, very gaily, not quite deeply enough, – it did not cost him enough – yet what would
I not do or suffer to buy that ability? “To each his own”. A manly ability, a general sufficiency, is the genius of the English. They have not, I think, the special and acute fitness to their employment that Americans have, but a man is a man here, – a quite costly & respectable production in his own & in all other eyes. [...] (January 26, 1848; Letters IV, 9)
Even though Emerson travelled to Europe a number of times to meet the intellectual elite of Great Britain and the continent, one finds some arguments against such so-called “grand-tours” to Europe in a letter to Caroline Wilson: [...] I do not know how it [the travelling to Europe] is to be hindered. We all talk against it, but all go. We preach America, but practise Europe. It is a mild epidemic insanity, & nothing but indulgence & a cloying operates a cure. [People] must go to gaze at vicious Europe, & its tarnished wormy magnificence. [...] (May 8, 1854; Letters IV, 441)
Once again the proverb in these few lines is barely discernible, but behind the statement “We preach America, but practise Europe” surely is hidden the proverb Practice what you preach. Emerson simply decided to create his own slogan against the European craze of his compatriots, changing the general proverb to the specific phenomenon that was annoying him. Emerson takes considerable liberties with traditional proverbs in his letters, but his readers most assuredly sensed the humor, irony, and satire in these proverb variations by one of the great minds of 19th-century America. And always the proverbialist, Emerson inserts proverbs in his letters whenever he can, and he certainly does not restrict himself to those of the English language. In yet another letter to his brother William dealing with pecuniary matters, he cites an Arabic proverb for good measure (cf. Cameron 1958): I received yesterday at Concord your letter & the cheque inclosed, on the Massachusetts Bank for $139.38 (I believe) at all events I had the money & the account, – in every way satisfactory. It seems that you also have experience of the delays of carpenters. Well, the work will be the better done. “Haste” say the Mahometans “is of the devil; delay is from the All-giving”. (October 2, 1847; Letters III, 419)
But this proverb from the Islam religion is also handled with considerable liberty, its actual wording being Deliberation in undertaking is pleasing to God, and haste is pleasing to the devil.
30. Proverbs in the works of Ralph Waldo Emerson
6.
Proverbs in lectures and essays
Proverbs permeate all of Emerson’s notes, sermons, lectures, and essays (cf. Reaver 1963). His religious sermons actually were lectures on very diverse subjects, and they and his secular lectures were sooner or later published in polished and often expanded essays. They are all informed by his vast knowledge and keen interest in the humanities and sciences, and interestingly enough for such an inquisitive and philosophical mind, they repeatedly return to proverbial matters. For example, in an early sermon on the value of Conversation, he included a paragraph on the origin and meaning of proverbs that play an important role in human communication: [...] consider how much practical wisdom passes current in the world in the shape of vulgar proverbs. These little maxims of worldly prudence are a part of the inheritance that have come down to this age from all the past generations of men. They have given us their institutions, their inventions, their books, and, by means of conversation, have transmitted their commentary upon all the parts of life in these proverbs. They were originally doubtless the happy thoughts of sagacious men in very distant times and countries, in every employment and of every character. No single individual, with whatever penetration, could have attained by himself to that accurate knowledge of human life, which now floats through the conversation of all society, by means of these pithy sentences. We are all of us the wiser for them. They govern us in all our traffic, – in all our judgments of men, – in all our gravest actions. (October 18, 1829; Emerson Speaks, 62–63)
Emerson certainly is aware of the fact that proverbs are handed on from one generation to another, especially in oral communication. He repeats this observation in yet another sermon on The Authority of Jesus, arguing that proverbial wisdom in its simplicity contains much authoritative truth: [...] Every one will remember how often he heard in youth without heeding it any one of the common proverbs that pass from mouth to mouth and the lively satisfaction he derived from the perception of its truth the first time that his own experience led him to express the same fact in similar language. And he smiled at saying anew so trite a sentence. (March 30, 1830; Emerson Speaks, 93)
Such comments reveal Emerson as a scholar with considerable interest in the deeper meanings of proverbs (cf. Norrick 1985). His own paremiological progression is truly remarkable though, as indicated in yet another short
343
comment in a lecture on The Uses of Natural History: [...] every common proverb is only one of these facts in nature used as a picture or parable of a more extensive truth; as when we say, “A bird in the hand is worth two in the bush”. “A rolling stone gathers no moss”. “’Tis hard to carry a full cup even”. “Whilst the grass grows the steed starves”. – In themselves these are insignificant facts but we repeat them because they are symbolical of moral truths. These are only trivial instances designed to show the principle. (November 4, 1833; Lectures I, 25)
Two years later, Emerson returned to these thoughts in his first lecture on Shakspear [sic]. While repeating some of the proverbs, he adds some others and speaks of proverbs as “pictures” and of “the value of their analogical import”. These comments foreshadow the modern theoretical interpretation of proverbs as signs (cf. Grzybek 1987). One could indeed speak of Emerson as a precursor to paremiological semiotics: In like manner the memorable words of history and the proverbs of nations consist usually of a natural fact selected as a picture or parable of moral truth. Thus, “A rolling stone gathers no moss”; “A bird in the hand is worth two in the bush”; “A cripple in the right way will beat a racer in the wrong”; “’Tis hard to carry a full cup even”; “Vinegar is the son of wine”; “The last ounce broke the camel’s back”; “Long lived trees make roots first”; and the like. In their primary sense these are trivial facts but we repeat them for the value of their analogical import. (December 10, 1835; Lectures I, 290)
With the addition of the proverb Make hay whilst the sun shines, Emerson also included this paragraph in his significant chapter on Language in his book Nature (1836; cf. La Rosa 1970), explaining that “the world is emblematic. Parts of speech are metaphors because the whole of nature is a metaphor of the human mind” (1836; Collected Works I, 21–22). Clearly then Emerson looks at proverbs as emblematic or analogic signs for nature in general and humanity in particular. It is interesting to note that Emerson in his lectures and essays likes to amass proverbs into mini-collections as examples. He does so again in his important lecture on Ethics (cf. February 16, 1837; Lectures II, 152–153), repeating his many examples and comments more or less verbatim in his essay on Compensation four years later: Proverbs, like the sacred books of each nation, are the sanctuary of the intuitions. That which the droning world, chained to appearances, will not allow
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the realist to say in his own words, it will suffer him to say in proverbs without contradiction. And this law of laws, which the pulpit, the senate and the college deny, is hourly preached in all markets and workshops by flights of proverbs, whose teaching is as true and as omnipresent as that of birds and flies. All things are double, one against another. – Tit for tat; an eye for an eye; a tooth for a tooth; blood for blood; measure for measure; love for love. Give, and it shall be given you. He that watereth shall be watered himself. – What will you have? quoth God; pay for it and take it. – Nothing venture, nothing have. – Thou shalt be paid exactly for what thou hast done, no more, no less. – Who doth not work shall not eat. – Harm watch, harm catch. – Curses always recoil on the head of him who imprecates them. – If you put a chain around the neck of a slave, the other end fastens itself around your own. – Bad counsel confounds the adviser. – The Devil is an ass. It is thus written, because it is thus in life. Our action is overmastered and characterized above our will by the law of nature. We aim at a petty end quite aside from the public good, but our act arranges itself by irresistible magnetism in a line with the poles of the world. (1841; Collected Works II, 63–64)
Emerson thus points out that proverbs reflect the binary structure of the world and that they play their important role in finding a balance or compensation between life’s extremities. Above all, when Emerson argues that proverbs allow people to express matters metaphorically that they would not dare to state directly, he is in fact alluding to one of the major purposes of proverbs, i.e., communication through indirection. To be sure, Emerson does not always theorize about proverbs. But he certainly is aware of the fact that Shakespeare was particularly adapt at integrating proverbs into his plays, stating in his second lecture on Shakspear [sic] that “his wise sentences make in fact a large part of that treasury of proverbial wisdom which floats in the daily speech of all who use the English tongue being long ago so familiar that they who use them do not know their author” (December 17, 1835; Lectures I, 313). But besides mentioning that many proverbs found their way into literary works, he also quite appropriately points out in his lecture on Trades and Professions that there is a “multitude of proverbs which circulate in men’s mouths teaching moral precepts in the form of some nautical, agricultural, or mechanical process” (February 2, 1837; Lectures II, 126). A few months later he states along these lines in his lecture on Doctrine of the Hands that “It is from the work of the
smith, the mason, and the joiner that they [people] have drawn the proverbs of prudence and the words for the laws of life” (December 13, 1837; Lectures II, 232–233; cf. Templeton 1997). Yet such general comments on the appearance of proverbs in literature and their content (realia from all walks of life) are frequently superseded by the actual use of a particular proverb as a ready-made piece of wisdom to explain an argument or to underscore a point. In his lecture on Trades and Professions, for example, he argues for solid work ethics and emphasizes his didactic comments by the fitting proverb Idleness is the mother of all mischief: [...] this universal labor makes the globe a workshop wherein every man, every woman drives his or her own trade in companies or apart, teaches the other law of human nature, virtue. It not only gives man knowledge, and power which is the fruit of knowledge, but it gives man virtue, and love which is the fruit of virtue. The sense of all men expressed in innumerable proverbs brands idleness as the mother of all mischief [...]. (February 2, 1837; Lectures II, 124)
While Emerson does not explicitly point to the “idleness”-proverb as such, he usually employs introductory formulas to signal his use of a proverb. This is especially the case in those instances where the erudite and polyglot Emerson cites proverbs from other languages and cultures. In the discussion on the art of reading in his lecture The American Scholar, he shows his own scholarly prowess by quoting an Arabic proverb: Undoubtedly there is a right way of reading, – so it be sternly subordinated. Man Thinking must not be subdued by his instruments. Books are for the scholar’s idle times. When he can read God directly, the hour is too precious to be wasted in other men’s transcripts of their readings. But when the intervals of darkness come, as come they must, – when the soul seeth not, when the sun is hid, and the stars withdraw their shine, – we repair to the lamps which were kindled by their ray to guide our steps to the East again, where the dawn is. We hear that we may speak. The Arabian proverb says, “A fig tree looking on a fig tree, becometh fruitful”. (August 31, 1837; Collected Works I, 57)
But here are three contextualized passages from Emerson’s significant lecture on Prudence that show the linguistic and rhetorical ingenuity with which this admirer of proverbs integrated them into his demanding prose. The first two references both include two proverbs in just a few lines:
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Bravery is the best panoply. Touch the nettle and it stings you; grasp it strongly and it hurts not. The Latin proverb says that “in battle the eye is first overcome”. The eye is daunted and vastly exaggerates the real perils of the hour. Entire self-possession may make a battle very little more dangerous to life than a game of football. (January 17, 1838; Lectures II, 319–320)
Let him [man] learn a prudence of a higher strain. Let him learn that every thing in nature, even motes and feathers, go by law and not by luck, and that what he sows he reaps. [...] Let him practice the minor virtues. (1841; Complete Works II, 234–235.)
It is a proverb that Courtesy costs nothing; but more is true than this, that the best calculation would be a hearty love of men. Love is fabled to be blind but kindness is necessary to perception; love is not a hood but an eyewater. (January 17, 1838; Lectures II, 320) A worthy neighbor of mine who follows the business of teaming does not average more than Justinian’s allowance [of but four hours a night]. And as he informed me it sometimes happens travelling all night that he is so overcome with drowsiness on the road that he cannot proceed. Then he stops his team, turns into a bush at the roadside, and sleeps for five minutes. This satisfies him and he goes on as wakeful as after a night’s sleep. There is a fine old French proverb, God works in moments – En peu d’heure Dieu labeure – which is true also of the instinctive parts of our constitution. (January 17, 1838; Lectures II, 323)
It is truly amazing how Emerson recalls a rather prosaic account of a neighbor’s sleeping habits, only to comment on it with a French proverb, and then taking all of this into the general realm of human behavior. Emerson the transcendentalist is at work here, going from the mundane to the sublime, as it were. This can also be seen in one of the paragraphs that Emerson added to this lecture on Prudence when he published it as a considerably lengthened essay with the same title in 1841. Referring even to “the [proverbial] wisdom of Poor Richard”, as Benjamin Franklin had recorded it in his almanacks, Emerson shows the same progression from everyday prudent behavior to a prudence of a higher realm, concluding his comments with the appropriate Bible proverb As you sow, so shall you reap (Galatians 6:7): [...] The eye of prudence may never shut. Iron, if kept at the ironmonger’s, will rust; beer, if not brewed in the right state of the atmosphere, will sour; timber of ships will rot at sea, or if laid up high and dry, will strain, warp and dry-rot; money, if kept by us, yields no rent and is liable to loss; if invested, is liable to depreciation of the particular kind of stock. Strike, says the smith, the iron is white; keep the rake, says the haymaker, as nigh the scythe as you can, and the cart as nigh the rake. [...]
Even though he merely alludes to the proverb Strike while the iron is hot, readers will certainly have understood the proverbial message. And seeing an agricultural economy around them, they would also have recognized the somewhat expanded variant of the proverb Keep the rake near the scythe, and the cart near the rake. Always the moralist, Emerson in his famous lecture on Ethics (1837) called for a detailed treatise “to unfold a part of philosophy very little treated in formal systems, and only treated in the proverbs of all nations, [...], which for want of a more exact title may stand under the title of Ethics” (February 16, 1837; Lectures II, 144). Using the classical proverbial expression To call a spade a spade that has turned into a proverbial stereotype against African Americans in more recent times (cf. Mieder 2002), he calls for a comprehensive analysis of social norms in his lecture on The Present Age: We call a spade a spade. We have great contempt for the superstitions and nonsense which blinded the eyes of all foregoing generations. (February 23, 1837; Lectures II, 169)
In his essay on Montaigne; or. the Skeptic (1850), Emerson once again called for a solid grasp of reality, changing the traditional proverb A bird in the hand is worth two in the bush slightly to point directly to worldly matters: Let us have a robust, manly life; let us know what we know, for certain; what we have, let it be solid and seasonable and our own. A world in the hand is worth two in the bush. Let us have to do with real men and women, and not with skipping ghosts. (1850; Complete Works IV, 159)
But while Emerson the pragmatist is quite willing to look realistically at the prosaic world of technology and science, he emphasizes in a lecture provocatively entitled Humanity and Science that science must be linked to the philosophical and ethical realm: As the proverb says, “he counts without his host who leaves God out of his reckoning” so science is bankrupt which attempts to cut the knot which always spirit must untie. (December 22, 1836; Lectures II, 30)
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VIII. Phraseme in literarischen Texten und Autorenphraseologie/Phraseology of literary texts
It is of importance to note that Emerson has expanded the folk proverb He that reckons without his host must reckon again to include the spiritual world of God. In a lecture on Religion, Emerson simply cites the English translation of a Spanish proverb to point to the omnipresence of God in this world: A wise old proverb says, “God comes to see us without [a] bell”: that is, as there is no screen or ceiling between our heads and the infinite heavens, so is there no bar or wall in the Soul, where man the effect ceases, and God the cause begins. (January 19, 1837; Lectures II, 85)
Who would ever have thought that Emerson as a transcendentalist would use a folk proverb to express analogically the idea of a deep interconnectness of the prosaic and poetic worlds of humankind with a steady progression towards the spiritual realm?
7.
The poetic world of proverbs
While Emerson is not considered to be a major poet, it should not be surprising that he also used at least some proverbs to expound on his transcendentalist thoughts in his poems (cf. D’Avanzo 1969). Similar to the uncontextualized citations of proverbs in the journals, Emerson also cites proverbial couplets in his poetry notebooks without any elaboration. For example, he took the translated Spanish proverb There is no ill thing in Spain but that which can speak, varied it slightly, and added a variant of the English proverb It’s the wheel that squeaks that gets the oil to it to create a proverbial couplet: There is no evil but can speak, If the wheel want oil t’will creak. (c. 1839; Poetry 47)
Another proverbial two-liner works quite similarly, contrasting two proverbs as it were: He who has a thousand friends has not a friend to spare, And he who has one enemy will meet him everywhere. (c. 1855; Poetry 464)
He also played with the two contradictory 16th-century proverbs Right makes might and Might makes right by combining them into one sentence that expresses the duality of life (cf. Burke 1941), where, as Emerson had stated (see above), everything comes in doubles: “Men believe in right of might but also in the might of right” (c. 1857–1868; Poetry 528).
There is also an epigrammatic verse that begins with a proverb: Love creeps where else it cannot go And eats its way thro Alps of wo Where way is none twill creep & wind And eat thro Alps its home to find. (c. 1841; Poetry 265)
This is not a particularly lyrical text, but it changes the idea of love conquering everything between two lovers to include love of the world. Emerson always returns to a reality check, i.e., he vacillates between the prosaic (secular) and the poetic (spiritual) realms. A short poem with a Latin proverb as a title shows the realistic world: Suum cuique. The rain has spoiled the farmer’s day; Shall sorrow put my books away? Thereby are two days lost. Nature shall mind her own affairs, I will attend my proper cares, In rain, or sun, or frost. (1834; Poetry 18)
And here is the last stanza of the poem To J. W. (i.e., Rev. John Weiss) that also begins with a proverb, but here Emerson moves from everyday tribulations on to an envisioned transcendence: Life is too short to waste In critic peep or cynic bark, Quarrel or reprimand: ’Twill soon be dark; Up! mind thine own aim, and God speed the mark! (c. 1842; Poems 44)
Thus life is indeed based on the law of balance and compensation, and this “wisdom” is, according to Emerson’s repeated observations, contained in the many proverbs of the world. In the right context, proverbs represent bits of folk wisdom on humankind’s path towards progressive transcendentalism. All of this is well expressed in four lines of Emerson’s “classical” poem The Divine & The Celestial Love that can serve as a summary of his transcendental philosophy and the significance of proverbs in the progressive way of things: Pan’s Paths are wonderful, Who seeks to be wise shall not be. Subtle his counsel Wisdom needs circumstance Many concomitants. (c. 1845; Poetry 200)
Proverbs do need contexts and are applicable in a multitude of ways. Ralph Waldo Emer-
30. Proverbs in the works of Ralph Waldo Emerson
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son’s reflections on and uses of proverbs are ample proof that they fit into all types of literature.
Cameron, K.W. (1958): Emerson’s Arabian proverbs. In: Emerson Society Quarterly 13, 50.
8.
Select bibliography
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348
VIII. Phraseme in literarischen Texten und Autorenphraseologie/Phraseology of literary texts
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Wolfgang Mieder, Vermont (USA)
31. Phraseme bei Karl Kraus 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Voraussetzungen Karl Kraus und DIE FACKEL Zum Gebrauch der Phrase Idiom-Datenbank zur FACKEL Wörterbuch der Redensarten Literatur (in Auswahl)
1.
Voraussetzungen
“Was hier geplant wird, ist nichts als eine Trockenlegung des weiten Phrasensumpfes” [F 1 (Anfang April 1899), 1f.], mit diesen Worten umschreibt der knapp 25-jährige Karl Kraus das Programm seiner Zeitschrift DIE FACKEL. Auf mehr als 22’500 Seiten, von der ersten bis zur letzten Nummer wird dieses Programm umgesetzt: “Ich habe den zu Zeitungsdreck erstarrten Unflat aus Jargon und Phrase aufgeschöpft, gesammelt und in seiner ganzen phantastischen Wirklichkeit, in seiner ganzen unsäglichen Wörtlichkeit kommenden Tagen überliefert. Ich bin die Muschel, in der das Geräusch fortsingt.” [F 326–328 (8. Juli 1911), 16f.] Die von April 1899 bis Februar 1936 in Wien von Karl Kraus herausgegebene literarisch-satirische Zeitschrift DIE FACKEL ist auch aus diesem Grund eine hervorragende Quelle für den Gebrauch von Phrasemen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Karl Kraus zitiert und kommentiert die öffentliche Rede seiner Zeit, in der FACKEL sind zigtausende Textzitate aus zighundert verschiedenen Quellen, primär aus Zeitungen und Zeitschriften, wiedergegeben. Die “eingeschöpften” Wörter und Wendungen sind in den meisten Fällen nicht als Zitate markiert und daher oft auch für geübte FACKEL-Leser als Texte anderer nicht zu erkennen.
Eine weitere Schwierigkeit für die Textanalyse liegt in der satirischen Verwendung vieler Zitate und Ausdrücke in der FACKEL. Eine Unterscheidung in Autorensprache und Nicht-Autorensprache ist im Fall von Karl Kraus daher wenig zielführend. “Es ist von mir” [F 484–498 (Oktober 1918), 160] legt der Herausgeber der FACKEL in einer Überschrift als Gebrauchsanweisung für die Nachwelt fest. Als Quelle für ein phraseologisch orientiertes Wörterbuch gilt der FACKEL-Text als schwierig, als Thema für dieses Handbuch ist der kreative Gebrauch der Phraseme von Karl Kraus nicht unbedingt repräsentativ für die deutschsprachige Literatur zu werten, im Gegenteil: In der Literatursprache sind Phraseme in Wahrheit ungebetene Gäste, Schriftsteller haben den Anspruch, kreativ im Sprachgebrauch zu sein, sprachlich Vorgeformtes und insbesondere Phraseme affirmativ in der Literatursprache zu verwenden, ist nicht sonderlich originell und bringt Streichresultate in der Kritik des Feuilletons. Naturgemäß ist die Literatursprache nicht frei von Idiomen oder festen Fügungen. Der standardsprachliche Gebrauch von Phrasemen lässt sich auch in der FACKEL leicht belegen. Die Besonderheit des Kritikers Karl Kraus besteht jedoch darin, dass er den Gebrauch bestimmter Phraseme abwertend als Phrasengebrauch markiert, die Phraseme zitiert, analysiert und kommentiert. Diese durchgehende Technik der literarisch-satirischen Auseinandersetzung mit den phraseologischen Einheiten der Mediensprache findet sich meines Wissens in vergleichbarer Weise lediglich im Werk von Elfriede Jelinek (zu Jelinek vgl. Art. 28). Ver-
31. Phraseme bei Karl Kraus
gleichbar ist nicht nur die literarische Technik, sondern auch die funktionale Gleichsetzung von Sprachkritik und Gesellschaftskritik: “Die Phrase und die Sache sind eins” [F 360–362 (November 1912), 25].
2.
Karl Kraus und DIE FACKEL
Den “ersten Schriftsteller unserer Zeit” hat Bertolt Brecht ihn 1934 genannt: “Als Herausgeber der von Anfang April 1899 bis zum Februar 1936 in 922 Nummern und 415 Heften in Wien veröffentlichten Zeitschrift DIE FACKEL, von 1912 an als der alleinige Verfasser ihres Textes wie ihrer Umschlagnotizen, hat der am 28. April 1874 geborene, am 12. Juni 1936 verstorbene Karl Kraus, ce très noble écrivain autrichien, der der deutschen Literatur als Außenseiter angehörte, einen 22’586 Seiten umfassenden Text geschaffen, der in der deutschsprachigen Literatur seinesgleichen nicht hat, einen Text mit vielen fremden Beiträgen und zahllosen Sätzen und Worten anderer, der dennoch des Herausgebers eigenes Werk ist, ein sprachschöpferisches und sprachkritisches Dokument, das vom Ausgang des 19. Jahrhunderts über die Balkankriege und den Ersten Weltkrieg, vom Wilhelminischen Kaiserreich und von der Habsburgermonarchie über die Weimarer Republik und Österreichs Erster Republik bis zum österreichischen Ständestaat und zum Dritten Reich, vom so genannten Fin de Siècle bis zur Welt der Hakenkreuzler ein Ganzes ist.” (Welzig 1999, 1037) Kein Autor des 19. und 20. Jahrhunderts hat mit derart unablässiger Leidenschaft den Wörtern und Wendungen seiner Zeitgenossen von Berlin über Prag bis Pressburg und Budapest nachgesprochen und nachgedacht, hat die für die jeweils andere Sprachregion befremdenden Namen und Wörter hervorgehoben, hat markiert, was gleichermaßen für Berlin und Wien zu Phrase und Vorrat erstarrt ist, wie der Wiener Satiriker aus “Jičín in Böhmen”, Karl Kraus. Nirgendwo in der deutschen Literatur findet sich, um nur einen einzigen inhaltlichen Aspekt herauszuheben, so reiches Material für die politisch-soziale Sprache vom Fin de Siècle bis zur Zwischenkriegszeit wie in der FACKEL. Das gilt für als “historische Grundbegriffe” wenig beachtete Losungsworte wie Aufschwung, Defaitismus, Egoismus, Optimismus, Nostalgie, Patriotismus, Popularität, Solidarität. Das gilt aber auch für sprachhistorisch gut dokumentierte Stichwörter wie
349
Bürger, Freiheit, Fortschritt, Menschheit oder Natur. Das gilt nicht zuletzt für Phraseme und sprichwörtliche Wendungen, die – wie etwa das auf das Bündnis von Deutschland und Österreich im Ersten Weltkrieg sich beziehende Schulter an Schulter oder ausgebaut und vertieft – in der FACKEL vielfältig zitiert und kommentiert werden. Als vom 19. Jahrhundert ins Dritte Reich sich erstreckender sprachschöpferischer und sprachkritischer Text, als Text, der in das Spannungsfeld zwischen Berlin und Wien führt, zwischen Machen wir und Wer’ mr scho machen, ist DIE FACKEL jedoch auffällig ignoriert worden. Die 37 Jahrgänge der Zeitschrift, die für das gemeinsame Interesse an deutscher Sprach-, Literatur-, Kultur- und Sozialgeschichte, aber auch für die Unterscheidung zwischen preußischem und österreichischem Antlitz wichtig sind wie sonst kaum etwas in der deutschen Literatur dieses Zeitraums, sind – obwohl Heinrich Fischers photomechanischer Nachdruck in 39 Bänden sowie der Reprint im Verlag Zweitausendeins sie jedem Interessierten zur Gänze zugänglich gemacht haben – lange Zeit weder als kontinuierlich fortgeschriebene Geschichte gelesen, noch als sprachliches Dokument systematisch aufgearbeitet worden. Erst in den frühen 90er Jahren des 20. Jahrhunderts hat sich der Wiener Germanist Werner Welzig der FACKEL als Forschungsgegenstand angenommen. Seine Idee, die FACKEL als Corpus für ein dreiteiliges Textwörterbuch zu nutzen, ermöglichte es bereits in den Jahren 1991–1993, die erste elektronische Volltextfassung der FACKEL in der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zu erstellen. Die FACKEL stellt aufgrund ihrer komplexen Struktur (Zeitschrift als Textsortenträger, verschiedene Textebenen: Kombination und Verflechtung von Zitat- und Redaktionstexten, zahlreiche Einschübe fremdsprachiger Textpassagen [italienisch, englisch, französisch, tschechisch u.a.]), bzw. aufgrund ihrer graphischen und typographischen Gestaltung (Fotomontagen, Schrift-Bild-Kombinationen, Spalten, Tabellen; verschiedene Schrifttypen und -größen, unterschiedliche Schriftauszeichnungen) die elektronische Textaufbereitung vor enorme Schwierigkeiten. Da Textund Schriftbild von hoher inhaltlicher Relevanz sind, dürfen diese Komponenten auch in der digitalen Fassung nicht vernachlässigt werden. Das adäquate Repräsentationsformat ist bei der FACKEL im Unterschied zu ande-
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VIII. Phraseme in literarischen Texten und Autorenphraseologie/Phraseology of literary texts
ren Textcorpora von entscheidender Bedeutung. Im Jahr 2007 wird – nach Ablauf der Frist für das Urheberrecht am Werk von Karl Kraus – DIE FACKEL als digitale VolltextEdition im AAC-Austrian Academy Corpus online verfügbar gemacht.
3.
Zum Gebrauch der Phrase
“Mein Amt war, die Zeit in Anführungszeichen zu setzen, in Druck und Klammern sich verzerren zu lassen, wissend, daß ihr Unsäglichstes nur von ihr selbst gesagt werden konnte. Nicht auszusprechen, nachzusprechen, was ist. Nachzumachen, was scheint. Zu zitieren und zu photographieren. Und Phrase und Klischee als die Grundlagen eines Jahrhunderts zu erkennen. Ein Ohr kann müde werden; so soll einiges gezeigt werden, was in der österreichischen Versuchsstation des Weltuntergangs sich vor das Auge gestellt hat. Ich bin durch die Abenteuer aller Banalität gegangen und habe die Tiefen vieler Oberflächen durchmessen. Nun ist es zu sehen. Wie der Wiener lebt und besonders wie er leibt. Und wie er sich auf dem Abtritt seines Geisteslebens benimmt.” [F 400–403 (Sommer 1914), 46] Nicht nur der Gebrauch von Phrasen wird in der FACKEL in vielen Beispielen dargestellt und thematisiert, Karl Kraus beschreibt und reflektiert auch immer wieder selbst seine Techniken der Sprachkritik. Wie bereits erwähnt, enthält die FACKEL-Sprache eine Vielzahl von Phrasemen, die standardsprachlich gebraucht sind (vgl. 4.). Es wäre falsch, das sprachkritische Verständnis der Phrase mit dem Phrasem-Begriff der Phraseologie zu vermischen oder etwa gleichsetzen zu wollen. Um jedoch die Spezifik im Gebrauch dieser sprachlichen Einheiten, die Karl Kraus als Phrasen in der FACKEL zitiert, darzustellen, folgen wir aus operativen Überlegungen zunächst der Diktion des Autors. Exemplarisch lässt sich der Gebrauch der Phrasen an einigen der großen Themen der FACKEL nachvollziehen: – Erster Weltkrieg: “Die letzten Tage der Menschheit” – “Dritte Walpurgisnacht”: 1933 – Wien:Berlin – Korruption – Rechtsverständnis – Amtssprache – Bildungsvorrat – Jüdischer Jargon
– Sozialdemokratie – Theater – “Sittlichkeit und Kriminalität” Die Funktion der Presse, die Rolle der öffentlichen und veröffentlichten Meinung, ist Gegenstand der gesamten FACKEL und daher nicht als ein Thema extra angeführt. Es gibt einige wenige Beispiele in der FACKEL, die belegen, dass Karl Kraus dem Sprachgebrauch nicht nur zahlreiche Phrasen entziehen wollte, sondern dass er einige wenige Ausdrücke dem Sprachgebrauch als Phraseme auch eingemeinden wollte (was naturgemäß in beiden Fällen nicht gelungen ist und über die geringen Einflussmöglichkeiten der Literatursprache in das System der deutschen Sprache Aufschluss geben kann): schon faul!, eine Urteilsfloskel des Berliner Theaterkritikers Isidor Kastan, die jener schon nach wenigen Minuten einer schlechten Inszenierung in Richtung Bühne gerufen haben soll, ließe sich in vielen Kontexten schon früher und auch heute noch nutzbringend anwenden. Von Karl Kraus geprägt ist die Wendung Shakespeare hat alles vorausgewußt. Bezeichnend ist hingegen, dass verschiedene Ausdrücke und Bonmots irrtümlich der Urheberschaft von Karl Kraus zugeschrieben werden, Ausdrücke etwa, die in der FACKEL nur zitiert werden (Journaille, Grubenhund, Richter und Henker) oder auch solche, die in der FACKEL nicht belegt werden können und mit Sicherheit nicht von Karl Kraus stammen (Österreicher und Deutsche unterscheiden sich durch die gemeinsame Sprache; wenn die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten), vgl. Möcker (1996). Zurück zur Themenliste der Phrasen in der FACKEL, von denen ich nur drei Bereiche näher ausführen werde, die im Folgenden mit Beispielen aus dem “Wörterbuch der Redensarten” (1999) belegt werden sollen. 3.1. Erster Weltkrieg: “Die letzten Tage der Menschheit” Die für den Krieg eingesetzten Parolen und Propagandasprüche markieren für Karl Kraus die Verbrechen der für den Krieg Verantwortlichen. Eine der für das Bündnis zwischen Franz Joseph I. und Wilhelm II., “Schwerverbechern auf dem Thron” [F 595, 2], meiststrapazierten Kriegspropagandaphrasen ist Schulter an Schulter, in der Nachbarschaft von Schulterschluß, in schimmernder (ursprünglich: schirmender) Wehr, Nibelungentreue so-
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31. Phraseme bei Karl Kraus
wie ausgebaut und vertieft. Karl Kraus sammelt nicht nur die von ihm kontextuell definierten Varianten des Phrasems (Brust an Brust, Seite an Seite), er modifiziert das Phrasem (Spalte an Spalte, Schenkel an Schenkel, die beiden Schultern, vertieft und geschultert, von oben herab auf die verbündete Schulter zu klopfen, dem ruinierteren großen Bruder die kalte Schulter zeigen). Im Kriegsaufruf “An das Deutsche Volk” vom 6.8.1914 greift Wilhelm II., das gekrönte Monstrum [F 726, 58], die von Treitschke geprägte Phrase bis zum letzten Hauch von Mann und Roß auf, um den Wehrwillen des Deutschen Volkes für den so genannten heiligen Verteidigungskrieg zu propagieren. Angesichts der hohen Verluste an der Westfront in den ersten Monaten des Krieges wird die Phrase ich habe es nicht gewollt von Wilhelm II. auf Bildpostkarten propagandistisch verbreitet. Als “Sätze, die das Unheil entfesselt haben” [F 787, 171] markiert Kraus diese Phrase gemeinsam mit jener von Franz Joseph I.: ich habe alles reiflich erwogen, eine Zeile aus der Kriegserklärung an Serbien. Korrekt lautet das Zitat aus der Proklamation “An meine Völker” am 28.7.1914: “Ich habe alles geprüft und erwogen. Mit ruhigem Gewissen betrete Ich den Weg, den die Pflicht Mir weist”, vgl. auch Krolop (1999). Der amtssprachliche Ton des kaiserlichen Diktums, als ob man einen Weltkrieg im Zuge einer Rechnungs- oder Aktenprüfung verantworten könne, steht im Kontrast zum Wilhelminischen Hurra-Kriegsgeheul. Während das Wilhelminische Deutschland mit den Phrasen Platz an der Sonne und immer feste druff in den Krieg hetzt, werden die Wehrpflichtigen in der Habsburger-Monarchie einrückend gemacht, sie sollen mit gutem Beispiel vorangehen. Karl Kraus entlässt die Verantwortlichen für den Ersten Weltkrieg und die Mitmacher nicht aus ihrer Schuld, “als die ich bis zum letzten Hauch das Schulter an Schulter hohenzollerischer und habsburgerischer Kriegsverbrecher erkennen werde”, festgehalten Anfang September 1928 in dem FACKEL-Heft “Der größte Schuft im ganzen Land... (Die Akten zum Fall Kerr)” [F 787, 200]. Das Kriegsgeschehen in Phrasen wird von Karl Kraus in der Tragödie in fünf Akten mit Vorspiel und Epilog, “Die letzten Tage der Menschheit” (entstanden 1915–1917; AktAusgabe 1919; Umarbeitung 1920–1921), genau dokumentiert. Die widerlichsten Parolen (Serbien muß sterbien!, Jeder Schuß ein
Ruß, jeder Stoß ein Franzos!, Jeder Tritt – ein Britt!, Gott strafe England!) sind im Tonfall der Sprecher überliefert, die Parolen der Durch- und Durchhalter, die Gold für EisenAufrufe, die sein Scherflein beitragen-Appelle und dieses ernst, aber zuversichtlich bis sich der endgültige Sieg dann einstellen werde, als Frieden, wenn auch nicht als Frieden um jeden Preis, letzten Endes eben als Untergang der Menschheit. Eine Phrase für den Rückblick ohne Schuldbewusstsein auf diese große Zeit ist auch schnell zur Hand: Man darf nicht generalisieren lautet sie und im Widerspruch dazu nur der Satiriker von dem Grundsatz ausgehend, daß man generalisieren muß [F 686, 41]. Karl Kraus als kreativen Wortspiel-Künstler darzustellen, ist meine Sache nicht. Seine Sprachkritik ist Kritik an jenen, die die gesellschaftliche Entwicklung zu verantworten haben. “Die Welt ist taub vom Tonfall. Ich habe die Überzeugung, daß die Ereignisse sich gar nicht mehr ereignen, sondern daß die Klischees selbsttätig fortarbeiten. Oder wenn die Ereignisse, ohne durch die Klischees abgeschreckt zu sein, sich doch ereignen sollten, so werden die Ereignisse aufhören, wenn die Klischees zertrümmert sein werden. Die Sache ist von der Sprache angefault. Die Zeit stinkt schon von der Phrase.” [F 331, 25]
3.2. “Dritte Walpurgisnacht”: 1933 “Mir fällt zu Hitler nichts ein. Ich bin mir bewußt, daß ich mit diesem Resultat längeren Nachdenkens und vielfacher Versuche, das Ereignis und die bewegende Kraft zu erfassen, beträchtlich hinter den Erwartungen zurückbleibe” [DW, 12]. Anfang Mai 1933 beginnt Karl Kraus mit diesen Sätzen eine rund 300 Seiten umfassende Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich. Auf die Publikation des Textes hat Kraus 1933 jedoch bewusst verzichtet, weil dem Sprachkritiker die Mittel des Wortes und der Satire angesichts der Gewalttätigkeit des Nationalsozialismus aussichtslos und sinnlos erschienen. “Ich fühle mich wie vor den Kopf geschlagen, und wenn ich, bevor ich es wäre, mich gleichwohl nicht begnügen möchte, so sprachlos zu scheinen, wie ich bin, so gehorche ich dem Zwang, auch über ein Versagen Rechenschaft zu geben, Aufschluß über die Lage, in die mich ein so vollkommener Umsturz im deutschen Sprachbereich versetzt hat, über das persönliche Erschlaffen bei Erweckung einer Nation und Aufrichtung einer Diktatur, die heute alles beherrscht außer der Sprache” [DW, 12f.]
352
VIII. Phraseme in literarischen Texten und Autorenphraseologie/Phraseology of literary texts
Die berühmt gewordene Nummer 888 der “Fackel” mit vier bedruckten Seiten erscheint im Oktober 1933 lediglich mit zwei Beiträgen von Karl Kraus: “Adolf Loos. Rede am Grab, 25. August 1933” und dem Gedicht “Man frage nicht”. Mitte Juli 1934 folgt die FACKELNummer 889 (Inhalt: “Nachrufe auf Karl Kraus”) und kurz darauf, Ende Juli 1934, die 316 Seiten zählende Mehrfachnummer 890– 905 mit dem Inhalt: “Warum die Fackel nicht erscheint”, das Heft enthält zahlreiche Textpassagen aus der “Dritten Walpurgisnacht”, deren Text (vermengt mit den von Kraus für F 890–905 überarbeiteten Stellen) erstmals 1952 von Heinrich Fischer im Münchner Kösel-Verlag herausgegeben wird. Nach dem Tod von Karl Kraus am 12. Juni 1936 in Wien wird das Original der “Dritten Walpurgisnacht”, ein Fahnenabzug mit handschriftlichen Korrekturen, 1937 von Oskar Samek, dem Anwalt und einem der Erben von Karl Kraus, in die Schweiz gebracht und von dort nach Amerika, zum Exil-Wohnsitz von Samek, geschickt. Testamentarisch vermacht Oskar Samek die korrigierten Original-Fahnen der Hebrew University in Jerusalem, wo sie Anfang Mai 1959 aus New York per Postsendung eintreffen. Auszüge einer Editionsgeschichte im Handbuch der Phraseologie, wozu denn das? In dem Beitrag “Phraseme bei Karl Kraus” kann es jedoch nicht darum gehen, den kreativen Gebrauch der Phrase im Allgemeinen zu studieren, das könnte man mit formalem Gewinn auch mitunter in der Tagespresse von heute nachvollziehen. Um die FACKEL zu begreifen, um ihren Herausgeber verstehen zu wollen, ist das im Text gespeicherte Wissen über die Geschichte und das Zeitgeschehen erforderlich. Auf Hitlers Wunsch wird Wilhelm Murr (NSDAP) vom Württemberger Landtag mit den Stimmen der Nationalsozialisten, der Deutschnationalen und des Bauernund Weingärtnerverbandes (die SPD stimmte dagegen, Zentrum und DDP enthielten sich) am 15. März 1933 zum Staatspräsident (gleichzeitig auch Innen- und Wirtschaftsminister) von Württemberg gewählt, nach der Aufhebung der Länder durch Reichsgesetz wird Murr am 5. Mai 1933 Reichsstatthalter. Nach seiner Ernennung zum Staatspräsidenten formulierte Wilhelm Murr sein Amtsverständnis: “Die neue Regierung wird mit aller Brutalität jeden niederschlagen, der sich ihr entgegenstellt. Wir sagen nicht: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Nein, wer uns ein Auge
ausschlägt, dem werden wir den Kopf abschlagen, und wer uns einen Zahn ausschlägt, dem werden wir den Kiefer einschlagen!” Karl Kraus zitiert in der “Dritten Walpurgisnacht” [DW, 139] und in der FACKEL [F 890–905, 95] diese Sätze eines Staatspräsidenten und kommentiert: “Es geschieht aber auch ohne die Vorbedingung. Und diese Revindikation des Phraseninhalts geht durch alle Wendungen, in denen ein ursprünglich blutiger oder handgreiflicher Inhalt sich längst zum Sinn einer geistigen Offensive abgeklärt hat. Keine noch so raffinierte Spielart könnte sich dem Prozeß entziehen – selbst nicht das entsetzliche: »Salz in offene Wunden streuen«. Einmal muß es geschehen sein, aber man hatte es vergessen bis zum Verzicht auf jede Vorstellung eines Tätlichen, bis zur völligen Unmöglichkeit des Bewußtwerdens. Man wandte es an, um die grausame Erinnerung an einen Verlust, die Berührung eines Seelenleids zu bezeichnen: das gibt’s immer; die Handlung, von der’s bezogen war, blieb ungedacht. Hier ist sie: Als sich der alte Genosse beim Kartoffelschälen einen tiefen Schnitt in die Hand zufügte, zwang ihn eine hohnlachende Gesellschaft von Nazi, die stark blutende Hand in einen Sack mit Salz hineinzuhalten. Das Jammergeschrei des alten Mannes machte ihnen großen Spaß. Es bleibt unvorstellbar; doch da es geschah, ist das Wort nicht mehr brauchbar. Oder: »mit einem blauen Auge davonkommen«. Nicht allen ist es jetzt im uneigentlichen Sinne gelungen; manchen im eigentlichen. Es war eine Metapher gewesen. Es ist nur noch dann eine, wenn das andere Auge verloren ging; oder auch dann nicht mehr. Und etwas, was wie die Faust darauf paßt, und was dem Maß der Menschenwelt abhanden kam, ist wieder Erscheinung, denn die Faust hat so oft aufs Auge gepaßt, daß es nichts Ungemäßes mehr bedeutet. Die Floskel belebt sich und stirbt ab. In allen Gebieten sozialer und kultureller Erneuerung gewahren wir diesen Aufbruch der Phrase zur Tat. Sie hat im Widerstreit mit dem technischen Fortschritt einen Weltkrieg durchgehalten, zu dem man das Schwert zog, um mit Gas bis aufs Messer zu kämpfen. Die Verluste dieser Revolution wird sie nicht überstehen” [F 890–905, 95f.].
Revindikation, ein Begriff aus der Rechtssprache, bedeutet so viel wie Rückforderung, Geltendmachung, Wiederzueignung, Von der Wiedererlangung (Rückbemächtigung) des Verlorenen, Recht der Wiedererlangung (vgl. Welzig 1999, 1049). Karl Kraus reflektiert das Ereignis mit Techniken der Sprachkritik “geschöpft aus dem Bereich jenes lähmenden Zaubers, der zum erstenmal der politischen Phrase die Tat, dem Schlagwort den Schlag
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31. Phraseme bei Karl Kraus
entbunden hat und dem die Stirn zu bieten nicht mehr im Schutz der Metapher gewährt ist. Um diese wahrhaft geistesgeschichtliche Neuerung, um das Ereignis, daß die Faust aufs Auge paßt, hätte sich alle Betrachtung gruppiert. Doch wie könnte solcher Erlebnisinhalt einer Generation, die durch den Bericht um das Erlebnis gebracht ist, nahe gehen? Und er hätte ihr doch so nahe zu gehen, daß sie ihn überhaupt nicht mehr als Lesestoff begehrte!” [F 890–905, 2] 3.3. Wien:Berlin Urbanität ist eine Voraussetzung für das Entstehen von Satire. Im Januar 1911 veröffentlicht Kraus in der FACKEL Aphorismen, sie sind überschrieben mit “Pro domo et mundo”. Die Antwort auf Wien, jene Stadt, die sich selbst als gemütlich vermarktet, und Wiener Gemütlichkeit bis heute als Selbstbeschreibung propagiert, ist: “Ich verlange von einer Stadt, in der ich leben soll, Asphalt, Straßenspülung, Haustorschlüssel, Luftheizung und Warmwasserleitung. Gemütlich bin ich selbst.” [F 315–316, 35] Karl Kraus hat die Städte Wien:Berlin in der FACKEL immer wieder thematisiert und verglichen: “In Berlin gehen so viele Leute, daß man keinen trifft. In Wien trifft man so viele Leute, daß keiner geht” [F 315–316, 35], lautet ein Aphorismus, den Kraus dem einleitend zitierten in der gleichen FACKELNummer vorangestellt hat. Die Konfrontation in der FACKEL ist für beide Städte wenig schmeichelhaft. Vor dem Hintergrund der Wiener Gemütlichkeit (es geht nichts weiter) wird die Berliner Fixigkeit (mach mal hinne) kritisiert: “Die gräßliche Fixigkeit, die einen Angriff »durch den Kakao ziehen« nennt, hat auch den Ausdruck: »da gab es Pflaumen gegen....« und sagt eben diesen »Pflaumen« nach, daß sie »witzig bis zum genialen Funken sein konnten«” [F 649–656, 76] – so kommentiert Karl Kraus im Juni 1924 die Berliner Theaterkritik. Der wertende Vergleich und die Distanzierung von beiden findet sich prägnant in dem Aphorismus “Schulter an Schulter: »Nanu?« »Nu na!« [F 445– 453, 17] vom 18. Januar 1917. Das mit der Phrase Schulter an Schulter stets beschworene Kriegsbündnis wird brüchig, Kraus “übersetzt” und vergrößert im Schriftbild der FACKEL sogar den Wortabstand zwischen dem Berlinerisch zackigen »Nanu?« und der grantigen Antwort »Nu na!«, in der die in Wien heute noch gebräuchliche Negationsformel no
na! steckt. Das Nu wiederum ist nicht aus der Wendung im Nu geborgt, das Nu ist in Berlin geläufig; NU heißt heute beispielsweise ein stark angesagtes und durchgestyltes Restaurant in Berlin-Charlottenburg.
4.
Idiom-Datenbank zur FACKEL
Die Auswahl der Kandidaten für das “Wörterbuch der Redensarten zu der von Karl Kraus 1899 bis 1936 herausgegebenen Zeitschrift DIE FACKEL” (1999) wurde in den 90er Jahre auf der Basis zahlreicher Vorarbeiten in Wien durchgeführt. Im Rahmen eines eigenen Projektes wurde 1997 auch eine “Idiom-Datenbank zur FACKEL” erstellt; die Datenbank, die als Hilfsmittel für die lexikographische Arbeit konzipiert wurde und mit dem elektronischen Volltext der FACKEL verlinkt ist, konnte bislang nicht öffentlich zugänglich gemacht werden, da die Urheberrechte am Werk von Karl Kraus erst ab 2007 frei sein werden. Diese Datenbank enthält nach dem Abschluss der systematischen Erhebung über 140’000 Belege (Datensätze) aus der FACKEL mit rund 20’000 verschiedenen phraseologischen Formen. Das Konzept für den Aufbau der Datenbank, das von Susanne Buchner festgelegt wurde, orientierte sich (im Gegensatz zum Verständnis der Redensarten für das Wörterbuch) an einem linguistisch enger definierten Phrasem-Begriff. Dies hatte Konsequenzen sowohl für den Lesevorgang, der bei aller erforderlichen Sorgfalt doch keine literaturwissenschaftliche Analyse einzelner Textpassagen sein konnte, wie auch für die Auswahl jener Formen, die dokumentiert wurden. Für die Idiom-Datenbank ging man damals von folgenden Überlegungen aus: Die Unterscheidung zwischen frei gefügten und festen Wortverbindungen ist keine Unterscheidung zwischen klar voneinander abgrenzbaren Strukturen. Vielmehr handelt es sich um die beiden Pole einer Skala mit gleitenden Übergängen. Wo sich sprachliche Einheiten auf dieser Skala platzieren, hängt davon ab, ob (und wenn ja: in welchem Ausmaß) sie auf semantischer und morphosyntaktischer Ebene über die Merkmale Idiomatizität, Stabilität und Lexikalisierung verfügen. (a) Unter Idiomatizität ist der Umstand zu verstehen, dass sich die Gesamtbedeutung einer Wortverbindung nicht in regelhafter Weise aus der Summe der Einzelbedeutungen ihrer Komponenten und
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VIII. Phraseme in literarischen Texten und Autorenphraseologie/Phraseology of literary texts
den syntaktischen Relationen zwischen diesen Komponenten ergibt, sondern dass eine Wortverbindung über eine (nicht oder nur zum Teil erschließbare) Gesamtbedeutung verfügt. (b) Das Merkmal der Stabilität bezieht sich auf die syntaktische Ebene: Phraseologische Wortverbindungen unterliegen Beschränkungen in Bezug auf die Austauschbarkeit einzelner Komponenten und in Bezug auf die syntaktische Veränderbarkeit des ganzen Ausdrucks. (c) Idiomatizität und Stabilität sind nicht notwendigerweise aneinander gebunden. Beide tragen jedoch zur Lexikalisierung bei. Darunter versteht man den Umstand, dass eine Wortverbindung als Einheit im mentalen Lexikon gespeichert wird und demzufolge auch im Sprechakt nicht neu gebildet, sondern nur reproduziert wird. Diese drei Merkmale stehen miteinander in Zusammenhang. Sie müssen allerdings nicht zugleich auftreten. Zentrale Bereiche der Phraseologie sind zwar durch ein Zusammentreffen aller drei Merkmale gekennzeichnet, doch gibt es im Bereich der Phraseologie auch Wortverbindungen, die wohl stabil, aber nicht idiomatisch sind. In der Idiom-Datenbank zur FACKEL finden sich pro Datensatz folgende Angaben: (i)
Basis- oder Nennform der phraseologischen Einheit (ii) Stellenangabe (diese ist verlinkt mit dem FACKEL-Belegtext) (iii) Bestimmung der Modifikation (iv) Angabe orthographischer Varianten Um die Idiom-Datenbank innerhalb der corpusorientierten Forschungstätigkeit effektiv nutzbar zu machen, wurde die sorgfältige Analyse und Systematisierung der Informationsstruktur erforderlich. Im Zuge der Datenerfassung wurden folgende Kriterien dafür festgelegt und berücksichtigt: (a) Information zur Auffindbarkeit in anderen phraseologischen Nachschlagewerken (b) Information zur phraseologischen Kategorie: Handelt es sich um einen verbalen Phraseologismus, um eine Zwillingsformel etc.? Handelt es sich um eine Kollokation? (c) Information zur Etymologie: Handelt es sich um eine aus einer Fremdsprache entlehnte Form? Wenn ja, aus welcher?
(d) Information zu Zitaten (e) Information zur fackelinternen Bedeutung Die Auswertung des gesamten Textes der FACKEL unter phraseologischen Gesichtspunkten führte zwangsläufig zu Kategorisierungs- und Systematisierungsproblemen bei rund 140’000 Datensätzen. Aus literatur- und kulturwissenschaftlicher Sicht waren die Ergebnisse dieser Auswertung nur am Rande interessant. Die große Mehrzahl der phraseologisch bestimmten Formen wird auch in der FACKEL – wie erwartet – standardsprachlich verwendet.
5.
Wörterbuch der Redensarten
Das Interesse an jenen sprachlichen Einheiten, die Karl Kraus als Beispiele für den Phrasengebrauch in der FACKEL hervorgehoben und thematisiert hat, ist mit dem Auswahlinteresse der Redaktion für die 144 Artikel im “Wörterbuch der Redensarten” (1999) verwandt. Dass ein Textwörterbuch der Auswahl des Autors textgeleitet folgt, ist nahe liegend, zumal der Umweg über eine Idiom-Datenbank das Interesse in eine andere, primär linguistische Richtung gelenkt hätte. Das “Wörterbuch der Redensarten” richtet sich an eine Leserschaft, die mit Belegtexten aus der FACKEL zu einem kritischen Verständnis des Phrasen-Gebrauchs geführt werden soll.
6.
Literatur (in Auswahl)
6.1. Karl Kraus [F] DIE FACKEL. Wien, Nr.1, Anfang April 1899, bis Nr.917–922, Februar 1936. Sammlung der 415 Original-Hefte. – (1968–1973): Fotomechanischer Nachdruck, 39 Bde, hrsg. v. H. Fischer. München. – o.J. (1977): Nachdruck in 11 Bdn., Bd. 12: AktAusgabe der Letzten Tage der Menschheit (1918/ 19) und Personenregister von Franz Ögg. Frankfurt a.M.. DIE FACKEL. Digitale Volltext-Edition-Online. Hrsg. v. AAC-Austrian Academy Corpus der Österreichischen Akademie der Wissenschaften [ab 1.1.2007]: http://www.aac.ac.at SCHRIFTEN (1986ff.): Erste Abteilung (12 Bde) und Zweite Abteilung (8 Bde). Hrsg. v. Christian Wagenknecht. Frankfurt a.M.; Bd.10 = Die letzten Tage der Menschheit [= LTM], Bd.12 = Dritte Walpurgisnacht = [DW].
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32. Marcel Proust, Pragmatiker der “gebräuchlichen Ausdrücke”
6.2. Wörterbuch und Rezensionen Wörterbuch der Redensarten zu der von Karl Kraus 1899 bis 1936 herausgegebenen Zeitschrift “Die Fackel” (1999). Redaktion: Hanno Biber, Evelyn Breiteneder, Susanne Buchner, Heinrich Kabas, Karlheinz Mörth, Christiane Pabst, Franco Schedl, Adriana Vignazia, Werner Welzig, Roswitha Woytek. Graphic Design: Anne Burdick. Wien. Burger, H. (2002), in: International Journal of Lexicography 15, Nr.2, 157–160. Eismann, W. (2000), in: Proverbium 17, 485–491. Kalka, J. (2003), in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.04.03, 44. Mattausch, J. (2002), in: Zeitschrift für Germanistik Neue Folge XII–2, 423–425. Scheichl, S.P. (1999), in: Falter 51–52, 84; und ders.(1999), in: Mitteilungen aus dem Brenner-Archiv Nr. 18, 77–83. Stieg, G. (2000), in: Germanistik 41, Nr. 1575; und ders.(2001), in: Literatur und Kritik 355–356, 105– 108. Timms, E. (2000), in: The Times Literary Supplement, 4.2.00, 7. Zemb, J.-M. (1999), in: Austriaca 49, 205–208.
6.3. Sonstige Literatur KARL KRAUS. Eine Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs im Schiller-Nationalmuseum Marbach. Ausstellung und Katalog v. Friedrich Pfäfflin u. Eva Dambacher in Zusammenarbeit m. Volker Kahmen (1999): Marbacher Katalog 52. Stuttgart. KARL KRAUS. Der FACKEL-Lauf. Bibliographien 1900–1999. Hg. v. Friedrich Pfäfflin u. Eva Dambacher in Zusammenarbeit m. Volker Kahmen (1999): Marbach (=Beiheft 4 zum Marbacher Katalog 52).
Krolop, K. (1987): Sprachsatire als Zeitsatire bei Karl Kraus. Neun Studien. Hrsg. v. der Akademie der Wissenschaften der DDR. Berlin [2. Aufl., ‘Karl Kraus, ungewendet’. Berlin, 1992]. Krolop, K. (1994): Reflexionen der Fackel. Neue Studien über Karl Kraus. Wien. Krolop, K. (1999): “Der Korrektor ist der Dichter”. Karl Kraus und die kaiserliche ‘Manifestzeile’. In: Acta Universitatis Carolinae, Philologica 2 (= Germanistica Pragensia XIV (1997)!). Praha, 35–50. Möcker, H. (1996): 2 PREISAUFGABEN: a) “Der Österreicher unterscheidet sich vom Deutschen durch die gemeinsame Sprache”, b) “In der Abendsonne der Kultur werfen auch Zwerge lange Schatten”. In: ÖGL (=Zeitschrift “Österreich in Geschichte und Literatur”), 40.Jg., 303. Scheichl, S.P./Stieg, G. (Hg.) (1986): Karl Kraus (1874–1936). Austriaca 22 Schick, P. (1965): Karl Kraus. Reinbek bei Hamburg (=rororo bildmonographie; rm 111). Timms, E. (1986): Karl Kraus. Apocalyptic Satirist. Culture and Catastrophe in Habsburg Vienna. Aus d. Engl. übers. v. Max Looser u. Michael Strand (1995): Karl Kraus. Satiriker der Apokalypse. Leben und Werk 1874–1918. Wien [sowie Frankfurt a.M., 1999]. Timms, E. (2005): Karl Kraus. Apocalyptic Satirist. The Post-War Crisis and the Rise of the Swastika. New Haven. Wagenknecht, Ch.J. (1975): Das Wortspiel bei Karl Kraus. 2. Aufl. Göttingen (= Palaestra, 242). Welzig, W. (1999): Ein ausgezeichneter Text. In: Wörterbuch der Redensarten, (s. 6.2.), 1037–1051.
Evelyn Breiteneder, Wien (Österreich)
32. Marcel Proust, Pragmatiker der “gebräuchlichen Ausdrücke” 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Einleitung Soziolektale und idiolektale Dimension Pragmatische Dimension Gebräuchliche Ausdrücke als Glossen Schlußfolgerung Literatur (in Auswahl)
1.
Einleitung
Mit den sieben Bänden von “À la Recherche du temps perdu” schreibt Marcel Proust
(1871–1922) den bedeutendsten französischen Roman des 20. Jahrhunderts. Er ist leidenschaftlicher Meister auch des Pasticcio (“Pastiches et Mélanges” 1919) und erkennt in dieser Tätigkeit “Literaturkritik in Aktion”. So schrieb er gerne in der Manier seiner Umgebung und zahlreicher Autoren, besonders von Flaubert und Saint-Simon, aber auch Balzac, den Brüdern Goncourt, Michelet, Régnier, Renan und sogar Sainte-Beuve. Ob psy-
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VIII. Phraseme in literarischen Texten und Autorenphraseologie/Phraseology of literary texts
chologischer Roman, Erinnerungsbericht oder Gesellschaftsbild, “La Recherche” bleibt vorwiegend ein Roman der Sprache, wie es Genette (1969) in unterschiedlichen Analysen anhand von Wörtern, Namen, feinsten Maximen der Pragmatik, in der mondänen Unterhaltung, im Unbewussten und in der Darstellung von Wahrheit zeigt, auf den Ebenen der Phonetik, der Syntax und der “gebräuchlichen Ausdrücke/énoncés usuels”, worunter in der französischen und ungarischen Tradition pragmatische Phraseme zu verstehen sind. Das distinktive Merkmal dieser Wendungen, oft Fragen und Interjektionen, ist ihre Gebundenheit an die Situation, die zum Auslöser wird für ihre Verwendung. Das äußerste Geschick, mit dem Proust das Spezifische der Idiolekte erfasst, erklärt, dass er jeder seiner Personen, Aristokraten sowie einfachen Leuten aus dem Volk, eine stilistische Individualität verleihen konnte, die weit hinausgeht über die Charaktersprache eines Molière oder den Realismus, mit dem sich vor ihm Balzac (1799–1850), Flaubert (1821–1880) und Zola (1840–1902) bemühten, ihre Personen authentisch zu porträtieren. Die hier vorgenommene Analyse betrifft einzig und allein vollständige Äußerungen, die wegen ihrer Gebrauchsbedingungen ausgewählt worden sind und wegen der besonderen Funktionen, die aus ihnen Wendungen/gebräuchliche Ausdrücke machen, ohne dass sie unbedingt die phraseologischen Merkmale der idiomatischen übersummativen Semantik, der festgeprägten Syntax und der mehrgliedrigen Morphologie aufweisen. Angesichts der Tatsache, dass dieses pragmatische Phänomen erst seit kurzem theoretisch erfasst worden ist (Fónagy 1982), überrascht es, daß in “La Recherche” eine nicht zu vernachlässigende Anzahl von Äußerungen dieser oder jener Person Gegenstand eines metalinguistischen oder metadiskursiven pragmatischen Diskurses vonseiten der Personen selbst oder vom Erzähler wird, der hier heuristisch untersucht werden soll. Von allen stilistisch in “La Recherche” markierten Personen weist sich Dr. Cottard, ein begabter Arzt, unter anderem durch eine im mondänen Milieu so ungewöhnliche sprachliche Inkompetenz auf dem Gebiet der Wendungen aus, dass ihn der Erzähler selbst als Dummkopf bezeichnet (JF 71). Diesem wahrhaft pathologischen Fall (aber mit der Zeit wird der Arzt gesund) widmet Krafft (1997) eine ausführliche linguistische
und psychologische Analyse. Die Gebrauchsbedingungen der gebräuchlichen Ausdrücke dieses Romans, genauer, die metalinguistische oder metadiskursive Dimension der Wendungen, müssten mit anderen Texten verglichen werden, um die Rolle des Textgegenstandes Sprache in den Werken zu erfassen. Neben der kursiven Lektüre der Texte kann eine lexikometrische Untersuchung weitere Ergebnisse bringen, aber nur, wenn diese Meta-Diskurse möglichst wenig polysem sind. Um nur das Beispiel der durch Wendungen glossierten Gestik zu nennen: Elle était toujours là, à le regarder de ses grands yeux fixes, riant de son rire bonne fille, comme pour dire: ‘veux-tu?’ (Zola, “Germinal”).
Aber auch weniger typisierte Strukturen sind zu finden: à cette mentale interrogation, le jeune marin répondit par une attitude, par un regard et par un geste de main qui disaient: ‘Je n’en sais pas, ma foi, rien’ (Balzac, “Les Chouans”) und le clerc et l’avoué se jetèrent un regard qui signifiait: ‘c’est un fou!’ (Balzac, “Colonel Chabert”).
Untersuchungen dieser Art tragen zum Korpusaufbau des linguistischen Diskurses der Autoren bei. Was “La Recherche” betrifft, so sind folgende Überlegungen ein Abgrenzungsversuch für eine Theorie der linguistischen, sozialen und individuellen Pragmatik der gebräuchlichen Ausdrücke, die im Sinne von Korpuslinguistik anhand von reichem authentischen Material belegt werden.
2.
Soziolektale und idiolektale Dimension
Metalinguistische und metadiskursive Bemerkungen zu Äußerungen stammen meistens vom Erzähler, aber auch von Charlus, Albertine und Cottard. Was Cottard betrifft, dessen krampfhaftes Bemühen um das Erlernen von Wendungen onomasiologisch verläuft, nach dem Motto: welche Situation ist eine Gebrauchsbedingung für welche Äußerung?, verweisen wir auf Krafft (1997). Unsere ersten paralinguistischen Analysen führen zu folgender Erkenntnis: 2.1. Speicherung im Gedächtnis Die Speicherung im individuellen und kollektiven Gedächtnis ist Merkmal aller Wendungen (Grunig 1997), im besonderen der “Sprachfertigteile” von Gülich/Krafft (1997). Proust (LP 97) schreibt schlicht: “une grande
32. Marcel Proust, Pragmatiker der “gebräuchlichen Ausdrücke”
partie de ce que nous disons n’[est] qu’une récitation”. Wenn Proust die Äußerungen als “Sprichwörter”, “Formeln”, “Wendungen”, “übliche/gebräuchliche Ausdrücke” und “Volksmund” bezeichnet, dann erkennt er ihnen immer ihre Eingeprägtheit im Gedächtnis zu; genauer gesagt, diese Äußerungen sind in der Erinnerung abrufbereit als Reaktion auf bestimmte Situationen: (LP 223) il en est certaines [expressions] peu habituelles, que *tel sujet particulier, telle circonstance donnée*, font affluer presque nécessairement à la *mémoire* du causeur qui croit exprimer librement sa pensée et ne fait que répéter machinalement la leçon universelle.
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2.2.2. Die Äußerungen geben soziokulturelle Hinweise. Bestimmte Äußerungen, wie die Rufe der Handwerker von Paris (LP 106), werden nur in gewissen Milieus gebraucht, auf die sie verweisen. So werden die guten Sprechmanieren ganz natürlich im Rahmen der Familie weitergegeben: (CG 328) “Albertine [...] posséd[ait] déjà [...] à Balbec un lot très sortable de ces expressions qui décèlent immédiatement qu’on est issu d’une famille aisée, et que d’année en année une mère abandonne à sa fille [...].”
(LP 285) Charlie, cherchant *une dignité* d’emprunt *pour couvrir la sienne en lambeaux*, trouva dans sa *mémoire*, pour l’avoir lu ou bien entendu dire, et proclama aussitôt : “Je n’ai pas été élevé à manger de ce pain-là.” [*...* umrahmen die mit diesen Äußerungen zu verbindenden Texte.]
Einen sozial markierten Ausdruck verwenden, bedeutet, dass man diesem Milieu zugehört, so der junge Lizenziat der Geisteswissenschaft, der auf dem Zimmer mit “Voyons, vieux, tu veux nous la faire à l’oseille”, zu sprechen beginnt, weil er mit diesem Dialekt nicht als Blaublut gelten will. Proust geht wenig sanft um mit den Sprechgewohnheiten der Herrschaften von Welt:
Die Verankerung in der Erinnerung erlaubt es dem Leser, einen unvollständigen gebräuchlichen Ausdruck wiederzuerkennen, oder dem Erzähler, die Folge von bestimmten Wörtern zu erraten:
(JF 137) “Tout ceci de vous à moi”, me dit Bergotte en me quittant devant ma porte. Quelques années plus tard, je lui aurais répondu: “Je ne répète jamais rien.” *C’est la phrase rituelle des gens du monde*, par laquelle chaque fois le médisant est faussement rassuré.
(CS 117) “Abondance de biens.” [...] – (JF 110) “il s’est conduit comme un cauchon” – (CG 234) Tiens, quand on parle du Saint-Loup – (TR 130) Que voulez-vous, je ne suis pas (*j’attendais* un saint) un ange.
(CG 153) Rachel, avec son “Ah! c’est bien!” systématique, “affect[e] d’une façon agaçante le jargon des cénacles et des ateliers”.
Der Herzog lernt die Ausdrücke auswendig: (CG 218) “il a un petit carnet rempli de ‘citations’ [...] qu’il reli[t] avant les grands dîners”.
2.2. Soziokulturelle Dimension 2.2.1. Ein Ausdruck aus dem Volksmund hat einen Autor. Proust vermeidet keineswegs die Frage nach der Herkunft der Wendungen: (JF 81) “selon la belle expression populaire dont, comme pour les plus célèbres épopées, on ne connaît pas l’auteur, mais qui comme elles et contrairement à la théorie de Wolf [Philologe des 18. Jahrhunderts, der hinter den Texten von Homer mehrere Autoren zu erkennen vermeint] en a eu certainement un (de ces esprits inventifs et modestes ainsi qu’il s’en rencontre chaque année, lesquels font des trouvailles telles que ”mettre un nom sur une figure“, mais leur nom à eux, ils ne le font pas connaître), je ne savais plus ce que je faisais.”
Proust brandmarkt (JF 116) die Mentalität des Ingenieurs, der es immer eilig hat, so wie jene, die auf einen Gruß mit Merci et vousmême? antworten, noch bevor man sie fragt, wie es ihnen geht. Milieuspezifische Wendungen verleihen einer Gruppe eine wertlose Individualität: (CG 153) surtout ce qui m’étonnait, c’est que les expressions propres à Robert [...], [Rachel] les employait devant lui, lui devant elle, comme si c’eût été un langage nécessaire et sans se rendre compte du néant d’une originalité qui est à tous.
Das Nichts, die Lüge der üblichen Formeln beginnt mit den Neujahrswünschen, die gleich zweimal in hundert Seiten gebrandmarkt werden: (JF 418) [Bloch présenté] à un homme disait: “Enchanté, monsieur” d’une voix qui se moquait des mots qu’elle prononçait mais avait conscience d’appartenir à quelqu’un qui n’était pas un mufle. Cette première seconde donnée à une coutume qu’il suivait et raillait à la fois (comme il disait le 1er janvier “Je vous la souhaite bonne et heureuse”), il prenait un air fin et rusé [...].
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VIII. Phraseme in literarischen Texten und Autorenphraseologie/Phraseology of literary texts
(TR 52) cette impression de mensonge, de néant, que donne au jour de l’An le monsieur qui, en vous apportant des marrons glacés, dit: “Je vous la souhaite bonne et heureuse” en ricanant, mais le dit tout de même.
Markierungen dieser Art sind neutraler für Cottard (SG 273), der eine besondere Vorliebe hat für *einen Ausdruck aus dem Ärztemilieu* (was heute nicht mehr gilt): je vais vous dire une bonne chose, oder für die Formeln mit je [...] von Brichot: (TR 96) par habitude de professeur [...] il se servait constamment d’expressions comme “j’accorde que”, et même, pour dire “je veux bien que”, “je veux que”: “je veux que l’énorme développement des fronts nécessite”, etc.
2.2.3. Die Mode Zahlreiche Stellen bestätigen die Wendungen als Modeerscheinung: (JF 82) Les expressions que nous avons empruntées récemment aux autres [sont] celles, au moins pendant un temps, dont nous aimons le plus à nous servir. (CG 503) toutes ces expressions qui chaque jour s’oublient davantage (TR 86) D’abord avez-vous remarqué ce pullulement d’expressions nouvelles qui, quand elles ont fini par s’user à force d’être employées tous les jours [...] sont immédiatement remplacées par d’autres lieux communs? [...] [Q]ue j’en ai vu mourir! [Charlus dixit].
– mit manchmal auch objektiver Bedeutung: (JF 78) Certaines [amies de Gilberte] refusaient du thé! Alors Gilberte disait, *phrase très répandue à l’époque*: “Décidément, je n’ai pas de succès avec mon thé!” (CG 21) “Et après tout allez-y donc, c’est pas mon père!” ajoutait le valet de la chambre qui avait l’habitude comme il fredonnait les refrains de l’année, de parsemer ses discours des *plaisanteries nouvelles*. [Die alte Leier aus der “Dame von Maxim’s”, Feydeau 1899. Diese Wendung fehlt bei Rey, A./ Chantreau S. (1989) und im TLFi, ist jedoch bei Bernet, Ch./Rézeau, P. (1995) belegt.]
– um sich über die Leute der Oberschicht lustig zu machen: (JF 37) “Les chiens aboient, la caravane passe.” [...] le *proverbe* nous était connu. Il avait remplacé cette année-là chez les hommes de haute valeur cet autre: “Qui sème le vent récolte la tempête”, lequel avait besoin de repos, n’étant pas infatigable et vivace comme: “Travailler pour le Roi de Prusse”. Car la culture de ces gens éminents était une culture alternée et généralement triennale.
2.2.4. Die Variation des Kanals Proust verwendet Formeln der Schlussfolgerung: (LP 92) “autour [du téléphone] s’était développé l’enjolivement de *phrases spéciales*”: Alors, je vous quitte, Cela m’a fait grand plaisir d’entendre votre voix. (SG 350) à l’écrit et à l’oral: “Contente d’avoir passé la soirée avec vous, me dit-elle; amitiés à Saint-Loup, si vous le voyez”, qui ont “dans leur familiarité apprise quelque chose d’insupportablement pédant”. (CG 408) dans une lettre: Croyez, Monsieur, à mes sentiments distingués.
2.2.5. Die Variation gesellschaftlicher Beziehungen Die geäußerte Reaktion verwirklicht sich unterschiedlich, je nach der Beziehung der Gesprächspartner untereinander (Familiarität, Hierarche): (SG 341) Dites donc, Charlus, dit Mme Verdurin, qui *commençait à se familiariser*, vous n’auriez pas dans votre faubourg quelque vieux noble ruiné qui pourrait me servir de concierge? (SG 348) Mais vous ne m’avez pas l’air couvert, mon petit, me dit M. Verdurin, chez qui son grand âge autorisait *cette appellation paternelle*. (SG 294) la rage ou l’orgueil l’emportant sur l’ostentation du savoir-vivre elle dit, non *comme elle aurait dû*: “Permettez-moi de vous présenter mon mari”, mais: “Je vous présente à mon mari” [...].
Die Zeichen der Ergebenheit, seien sie dialektal, können auch in Abwesenheit des Betroffenen auftreten: (JF 299) “Le marquis de Saint-Loup-en-Bray! Ah! Bougre!” s’était écrié [Bloch], usant du juron qui était chez lui *la marque la plus forte de la déférence sociale*.
2.3. Idiolektale Dimension 2.3.1. Reife und Alter Beim heranwachsenden Kind offenbart sich die Reife im Neugebrauch folgender Äußerung: (CG 328) On avait senti qu’Albertine avait cessé d’être une petite enfant quand un jour, pour remercier d’un cadeau qu’une étrangère lui avait fait, elle avait répondu: “Je suis confuse.”
Die erhöhte Proportion fester Wendungen drückt im Gegenteil dazu auch die Vergreisung eines Charlus aus:
32. Marcel Proust, Pragmatiker der “gebräuchlichen Ausdrücke” (LP 193) Du reste on voyait que M. de Charlus avait vieilli à des signes [...] comme l’extension extraordinaire qu’avaient prises dans sa conversation certaines expressions qui avaient proliféré et qui revenaient maintenant à tout moment (par exemple “l’enchaînement des circonstances”), et auxquelles la parole du baron s’appuyait de phrase en phrase comme à un tuteur nécessaire.
2.3.2. Persönliche Eigentümlichkeiten In der “Recherche” bestimmen gebräuchliche Ausdrücke den Idiolekt der Personen, welche diese Wendungen aus Gewohnheit oder Verlegenheit wiederholen (SG 165). Ein ständig wiederholter Satz wird der Übername von Mme Poussin: Tu m’en diras des nouvelles; die betreffenden Äußerungen drücken negative Zustände aus: quand tu auras une bonne ophtalmie, quand tu auras un bon panaris, obgleich die Wendung auch positiv gebraucht werden kann: (JF 167) [...] et tout en tendant une assiette de gâteaux: “Vous savez que ce n’est pas mauvais du tout ces petites saletés-là [...]. Ça ne paie pas de mine mais *goûtez-en*, vous m’en direz des nouvelles [...].” (TR 311) Mais elle est cent fois supérieure à tout ce qui est ici. Et après le déjeuner *elle vous dira du Verlaine*. Vous m’en direz des nouvelles. (LP 20) [Albertine] disait à propos de n’importe quoi “C’est vrai? C’est bien vrai?” (LP 161) “Cela tombe à pic” est “une expression chère à Mme Cottard”. (TR 57) Sous l’influence de sa fille, Françoise se met à dire “*plusieurs fois par jour*” “Et patatipatali et patatapatala”.
Gerade diesbezüglich notiert Proust, dass es sehr überrascht, wie wenig nicht nur die Ausdrücke, sondern auch die Ideen einer Person sich ändern. Mme de Cambremer gebraucht eine persönliche Variante von Briefschlußformeln: (SG 321) Ses lettres finissaient par: Croyez à mon amitié vraie. Croyez à ma sympathie vraie. Malheureusement c’était tellement devenu une formule que cette affectation de franchise donnait plus l’impression de la politesse menteuse que les antiques formules au sens desquelles on ne songe plus.
Dieser Zug erlaubt es dem Erzähler, den Autor eines empfangenen Briefes zu erkennen, der schlicht mit dem Vornamen “Léonor” unterzeichnet ist. Wenn Proust die phraseologi-
359
schen Züge dieser oder jener Person hervorhebt, so geschieht das oft, um zu zeigen, wie lästig und unangenehm sie ist. 2.3.3. Die Auslöser dieser Eigentümlichkeiten Man kann sich die Frage der Ursache dieser Sprachgewohnheiten stellen. Unter den C’est vrai? von Albertine (LP 20) vermutet Proust (er schreibt “je ne sais pas pourquoi”) eine Art Urdialog oder Versuchungsszene, unter denen sich der Ausdruck der ursprünglich gefallsüchtig beistimmenden Bescheidenheit weit verbreitet hat. Hinzu kommt ein Vergnügen, sich bestimmte Ausdrücke anzueignen, dem man nicht immer widersteht, dies auch den notwendigen Gebrauchsbestimmungen zum Trotz: (SG 300) Ski ruft “Toujours le même”, ohne zu wissen, ob toujours gerechtfertigt ist, ebenso wie (CG 456) der Herzog jemanden der Betrunkenheit beschuldigt, der nur Wasser getrunken hat, weil er gerne “seine geliebten Wendungen anbringt”. Das Vergnügen besteht darin, ein anderer zu sein: (CS 239) Eh bien! ajoutait [Swann] avec cette légère émotion qu’on éprouve quand même sans bien s’en rendre compte, on dit une chose non parce qu’elle est vraie, mais parce qu’on a plaisir à la dire et qu’on l’écoute dans sa propre voix comme si elle venait d’ailleurs que de nous-mêmes, le sort en est jeté.
Und der Höhepunkt dieses Vergnügens wird auf Kosten des Gesprächspartners und der Lüge erreicht: (JF 298) Dès que [Bloch] commençait à s’attendrir et désirait qu’on s’attendrît sur un fait faux, il disait: “Je te le jure”, plus encore pour la volupté hystérique de mentir que dans l’intérêt de faire croire qu’il disait la vérité.
2.3.4. Der Innere Monolog Die gebräuchlichen Ausdrücke nähren unseren eigenen oder eines anderen inneren Monolog, (CS 334) il se dit: “On ne connaît pas son bonheur. On n’est jamais aussi malheureux qu’on croit.” – (LP 84) La lettre n’est pas venue, aucun courrier n’en apporte, “que se passe-t-il?” l’anxiété renaît et l’amour. – (JF 150) “elle se serait dit: Encore lui!”
3.
Pragmatische Dimension
Die Äußerung bewirkt direkt oder indirekt eine Sprecherhandlung als Reaktion auf ein Äußerungsmotiv.
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VIII. Phraseme in literarischen Texten und Autorenphraseologie/Phraseology of literary texts
3.1. Äußerung als Akt Die Äußerung wird als direkte oder indirekte bzw. pervertierte Verwirklichung einer Sprecherhandlung glossiert als – negative Bewertung: (LP 17) Elle allait jusqu’à déclarer, à propos d’un événement politique qu’elle *blâmait*: “Je trouve ça formidable”. (AD 241) Mais qu’est-ce que vous dites? *protestait* ma mère. (LP 209) On vous *reprochait indirectement* la quantité de vin qu’on avait bue. “Ça ne vous fait pas mal? C’est bon pour un ouvrier.” (JF 250) Et elle finissait par une locution qui malgré la façon incertaine dont elle la prononçait n’en était pas moins claire et *nous donnait nettement tort*: “Le fait est...” Nous n’insistions pas, de peur de nous en faire infliger une, bien plus grave: “C’est quelque chose!”
– höfliche Aufforderung: (CG 176) je me rappelle encore le roi *priant* mon grand-père d’inviter M. Decazes (…) Vous me ferez plaisir, Florimond, disait le roi. (SG 246) “Au revoir, mon cher”, me dit-il pour me *signifier que je n’avais qu’à m’en aller*. (CG 470) Il pourrait nous entendre, murmura la princesse en *invitant* la duchesse à parler plus bas. (SG 74) “Mais on peut toujours entrer écouter de la musique, si ça vous amuse, ça n’a rien de criminel!”, Mme de Cambremer ne trouva pas l’*invitation* assez pressante et s’abstint. (SG 447) Il me *conseillait* les “nouveautés” à aller voir (“Cela en vaut la peine”) (SG 274) “- Princesse, nous vous aurons manquée à Maineville! Vous *permettez* que nous prenions place dans votre compartiment? – Mais comment donc”, fit la princesse [...].
– Entrüstung: (CG 37) “Mais voyons, comment donc, madame d’Ambresac.” Elle le faisait malgré cette vague *défense*. (SG 319) [il] ne crut pas pouvoir mieux établir son droit à cette préséance qu’en la *déclinant*. Aussi s’écria-t-il: “Mais comment donc! Je vous prie! Par exemple!”
– Dank: (CG 328) pour *remercier* d’un cadeau qu’une étrangère lui avait fait, elle avait répondu: “Je suis confuse.”
(CS 376) elle [la] *remercia* en lui disant: “Comme vous êtes aimable!” (SG 44) *remercier* en disant: “C’est gentil d’être venu.”
– Entschuldigung: (JF 322) Ah! fit gravement sa sœur *comme pour dire que* dans ces conditions *j’étais excusable*. (SG 331) Ah! je croyais, dit Ski légèrement sans plus *s’excuser* de son erreur.
– Beleidigung: (AD 30) [ils] *m’insultèrent* en me disant “Nous ne mangeons pas de ce pain-là”.
Der Erzähler denunziert eine Verdrehung der Handlungsbedeutung einer Äußerung: (TR 161) [il y a des] gens trop nerveux qui ne peuvent supporter d’attendre une minute et, [qui] si on les fait entrer tout de suite en s’excusant d’achever sa toilette, vous disent amèrement, non pour *s’excuser* mais pour *accuser*: “Mais alors, je vous dérange!” comme si c’était un crime de la part de celui qu’on dérange. [Die Illokutionspartikel Mais alors ist unvereinbar mit einer Entschuldigung.]
3.2. Ausdruck als Äußerungsmotiv 3.2.1. Effektives Äußerungsmotiv Die gebräuchlichen Ausdrücke sind durch die Notwendigkeit ihres mehr oder weniger genauen Äußerungsmotivs charakterisiert. Proust stellt für bestimmte Wendungen explizit ihre Beziehung zur Gebrauchsbedingung her und diese Ausdrücke sind als Reaktion darauf zu verstehen: (CG 167) ils proférèrent une *phrase qui est de tradition en ces circonstances* [le “journaliste giflé” a traité ses amis, qui n’ont pas réagi, de “capons”]: “Voilà que tu t’emballes, ne prends pas la mouche, on dirait que tu as le mors aux dents!” (TR 127) “Oh! monsieur le baron [...] pouvez-vous croire une chose pareille?” *Soit qu’en effet* le fait fût faux, ou que, vrai, son auteur le trouvât pourtant abominable et de ceux qu’il convient de nier.
Die Äußerungsbedingung verlangt bei einer wohlerzogenen Person eine als Einstellung beschriebene Reaktion: (TR 57) “Ça doit chauffer, notre vieux Joffre est en train de leur tirer des plans sur la comète.” Françoise ne comprenait pas trop de quelle comète il s’agissait, mais n’en sentait que davantage que *cette phrase faisait partie des aimables et originales extravagances auxquelles une personne bien élevée doit répondre avec bonne humeur*, par urbanité, et haussant gaiement les épaules d’un air de dire: “Il
32. Marcel Proust, Pragmatiker der “gebräuchlichen Ausdrücke” est bien toujours le même”, elle tempérait ses larmes d’un sourire.
3.2.2. Typisches Äußerungsmotiv Andere Ausdrücke werden mit einem Äußerungsmotiv in Verbindung gebracht, welches in der aktuellen Situation nicht effektiv ist, aber dennoch eine typische Gebrauchssituation darstellt und zu einer spezifischen Bedeutung führt. Situationsmetaphern verleihen Ausdrücken mit typischen Äußerungsmotiven besondere Bedeutungen (ebenso 3.6.3.): (JF 401) *Comme ces ouvriers et ces joueurs qui* ne font pas d’embarras et se contentent de ce qui leur tombe sous la main, ils pourraient dire de n’importe quoi: cela fera l’affaire [...]. (JF 416) Il alluma un cigare en disant à Albertine: “Vous permettez”, *comme on demande l’autorisation de terminer tout en causant un travail pressé[...]* (CG 314) Françoise, quand elle avait un grand chagrin, éprouvait le besoin si inutile, mais ne possédait pas l’art si simple, de l’exprimer. Jugeant ma grand-mère tout à fait perdue, c’était ses impressions à elle, Françoise, qu’elle tenait à nous faire connaître. Et elle ne savait que répéter: “Cela me fait quelque chose”, *du même ton dont elle disait quand elle avait pris trop de soupe aux choux*: “J’ai comme un poids sur l’estomac”, ce qui dans les deux cas était plus naturel qu’elle ne semblait le croire. (SG 334) [...] Cottard se décidant à jouer atout, prit un air sombre, “cerveau brûlé”, et *par allusion à ceux qui risquent leur peau*, joua sa carte comme si c’eût été sa vie, en s’écriant: “Après tout, je m’en fiche!” (JF 430) [Andrée ne veut pas venir.] [Albertine] secouait la tête: Fais à ton idée, répondait-elle, *comme on dit à un malade qui* par plaisir se tue à petit feu [...].
Es fällt auf, dass das vergleichende Äußerungsmotiv die Polarität der Bewertung von Fais à ton idée aufhebt, zugleich aber die positive Bewertung abschwächt, die den Ausdruck wie folgt motiviert: (CG 235) je ne te cache pas qu’il aime beaucoup te voir. – Ah! mais, c’est très aimable, dit Mme de Guermantes *d’un ton volontairement banal, comme si je lui eusse apporté son manteau*. Je suis très flattée.
Der konventionelle, geläufige Charakter der inferierten positiven Bedeutung der Wendung wird aufrecht erhalten in: (LP 284) – Vous êtes la fable du Conservatoire [...]. – Je ne sais pas comment vous remercier, dit Char-
361
lie *du ton dont on le dit à un dentiste qui* vient de vous faire affreusement mal sans qu’on ait voulu le laisser voir, *ou à un témoin trop sanguinaire qui* vous a forcé à un duel pour une parole insignifiante dont il vous a dit: “Vous ne pouvez pas empocher ça.”
3.3. Formale Varianten Bestimmte Ausdrücke zeugen in ihrer Gebrauchsform von Variationen, die ihre Gebrauchsbedingungen und ihre Funktion nicht berühren: (CG 437) Aussi n’y avait-il pas de jour où l’on n’entendît dire, non seulement “vous connaissez le dernier mot d’Oriane?”, mais “vous savez la dernière d’Oriane?” Et de la “dernière d’Oriane”, comme du dernier “mot” d’Oriane, on répétait; “C’est bien d’Oriane”; “c’est de l’Oriane tout pur.” – (SG 183) Certaines choses étaient extrêmement agaçantes chez ce liftier: quoi que je lui eusse dit, il m’interrompait par une locution, “Vous pensez!” ou “Pensez!”
Doch löst die formale Variation im folgenden Beispiel anhand der Metapher eine pragmatische Variation aus: (SG 335) “Allons, Léontine, en avant ... harche! il est temps de partir.” Ce n’était pas vrai car le docteur allait seulement continuer sa partie de cartes.
3.4. Fehlerhafter Gebrauch Die pragmatischen Fehler beim Gebrauch der Wendungen sind auf die Nichtbeachtung der notwendigen Gebrauchsbedingungen zurückzuführen. In einem Fall ist es Albertine, die sich über die Vertraulichkeiten beklagt, die sich Bloch ihr gegenüber herausnimmt: (JF 417) [Albertine:] Je ne sais pas pourquoi il me salue puisqu’il ne me connaît pas.
Aber meistens ist es der Erzähler, der die irritierenden Verwendungen bestimmter Ausdrücke brandmarkt, welche die implizierten aber linguistisch gut erfassbaren Gebrauchsbedingungen nicht beachten und die hier explizit werden: (CG 25) “Je peux dire, approuvait le jeune valet de pied, que j’ai jamais vu ça [= du pain grillé]!” Il le disait comme s’il avait tout vu et si en lui les enseignements d’une expérience millénaire s’étendaient à tous les pays et à leurs usages parmi lesquels ne figurait nulle part celui du pain grillé. (CG 178) Vraiment, dit [Bloch] en répondant à ce que venait de dire Mme de Villeparisis au sujet du protocole réglant les visites royales, je ne savais absolument pas cela, comme s’il était étrange qu’il ne le sût pas.
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VIII. Phraseme in literarischen Texten und Autorenphraseologie/Phraseology of literary texts
(CG 276) Ses [= Françoise] “c’est possible”, ses “peut-être”, ses “je ne sais pas” étaient exaspérants en pareil cas. On avait envie de lui répondre: “Bien entendu que vous ne le saviez pas puisque vous ne connaissez rien à la chose dont il s’agit; comment pouvez-vous même dire que c’est possible ou pas, vous n’en savez rien? En tout cas maintenant vous ne pouvez pas dire que vous ne savez pas ce que Charcot a dit à du Boulbon, etc., vous le savez puisque nous vous l’avons dit, et vos ‘peut-être’, vos ‘c’est possible’ ne sont pas de mise puisque c’est certain.” (SG 183) Certaines choses étaient extrêmement agaçantes chez ce liftier: quoi que je lui eusse dit, il m’interrompait par une locution, “Vous pensez!” ou “Pensez!”, qui semblait signifier ou bien que ma remarque était d’une telle évidence que tout le monde l’eût trouvée, ou bien reporter sur lui-même le mérite comme si c’était lui qui attirait mon attention làdessus.
Ob Albertine oder der Erzähler, diese Irritationen scheinen gegen die grundlose Bevorteilung derjenigen gerichtet, die diese Ausdrücke auf so legere Art verwenden. 3.5. Wörtliche Bedeutung und Funktion Die Festgeprägtheit im Gedächtnis setzt eine Rekurrenz, eine Wiederholung voraus, die eine Desemantisierung zur Folge haben kann: (SG 321) spielt auf althergebrachte Formeln an, an deren Bedeutung man nicht mehr denkt, an die man aber denken kann, wie im Falle von Ce n’est pas la même chose, wo festgestellt wird: (TR 208) “en effet, ce n’est jamais la même chose, pas plus que ce n’est la même personne”.
Laut Fónagy (1982) kennen bestimmte Phrasen als Wendungen einen freien und festen, “an eine Situation gebundenen Gebrauch zugleich”: (CG 133) [la duchesse] me faisait penser à quelque sainte des premiers âges chrétiens. Alors j’avais honte d’affliger par ma vue cette martyre. “Mais après tout, la rue est à tout le monde.” “La rue est à tout le monde”, reprenais-je en donnant à ces mots un sens différent et en admirant qu’en effet dans la rue populeuse [...] la duchesse de Guermantes mêlât à la vie publique des moments de sa vie secrète, se montrant ainsi à chacun, mystérieuse, coudoyée de tous [...].
Der erste “gebundene” Gebrauch spricht ein Recht aus, als Reaktion auf einen Vorwurf, auf der Straße zu erscheinen; der zweite freie Gebrauch ist eine schlichte Feststellung. Der Handlungswert, die Funktion eines Ausdrucks kann mehrdeutig sein und Interpretationsfehler verursachen:
(CG 23) Françoise ajoutait: “Mais sûr et certain que c’est à la duchesse qu’est le château de Guermantes. Et c’est elle dans le pays qu’est madame la mairesse. C’est quelque chose. – Je comprends que c’est quelque chose”, disait avec conviction le valet de pied, n’ayant pas démêlé l’ironie.
Diese Äußerung, deren rein deskriptiver Sinn wenig informationsreich ist, kann als negative (im Munde von Françoise) oder positive Bewertung verwendet werden. Genauere Angaben zum sprachlichen Ko- und Kontext, besonders zur Sprechereinstellung können potentielle Mehrdeutigkeiten aufheben, die die Funktionen dieser Ausdrücke betreffen. 3.6. Die Funktionen des Ko(n)texts und der Einstellungsmarkierer 3.6.1. Signifikanten und Signifikat Die Äußerungen werden von einer Stimme, ihrer Tonlage getragen und fallweise von Mimik und Gestik begleitet, die wie der Ausdruck selbst die Einstellung des Sprechers zu seiner Aussage und seinem Hörer gegenüber zu verstehen gibt. In diesem Zusammenhang sind die Signifikanten (Stimme, Hauch, Ton, Geste) entweder direkt (Heue, heue, heue) identifiziert oder indirekt durch die Lexeme entweder der lautlichen Referenz – gebrüllt (SG 310, LP 241), schrille Stimme (CS 138) – oder der visuellen Referenz – Blick (SG 390), die Stirne runzeln (SG 310), lächeln (JF 328, TR 124), erschüttertes/gequältes Gesicht (LP 303, SG 390). Die Signifikate sind entweder ausgedrückt: Einstellung (Belege oben), Sinn (JF 328), Funktion (TR 124), oder noch orgineller, was den Ton betrifft, auf einen Ausdruck bezogen, der als Reaktion auf ein bestimmtes Äußerungsmotiv verstanden und vom Leser identifiziert werden kann (CG 398, SG 275, SG 281, TR 53). Die Funktion einiger Wendungen ist deutlich genug, so dass ko(n)textuelle Angaben überflüssig sind: (CG 244) Mais comment se fait-il, me dit-il (*d’un ton où le reproche n’avait pas besoin de s’exprimer tant il était dans les paroles mêmes*), que [...].
Eine ähnliche Information scheint redundant zur Information in folgender Äußerung: (SG 133) [à propos d’Albertine qui arrive très en retard] elle devait être dans des endroits qu’elle s’amusait bien car elle ne m’a pas seulement dit qu’elle était contrariée d’avoir fait attendre Monsieur, elle m’a répondu *d’un air de se ficher du monde*: “Mieux vaut tard que jamais!”
Der Gebrauch dieser Äußerung durch den Gekränkten, der den Beleidiger entschuldigen
32. Marcel Proust, Pragmatiker der “gebräuchlichen Ausdrücke”
kann, wirkt frech im Munde des Beleidigers selbst. 3.6.2. Desambiguisierung eines Ausdrucks oder einer Äußerung Hier folgen Korpusbelege für Ausdrücke, die kontextlos mehrdeutige Funktion haben, aber von einem koverbalen Element oder einem Einstellungsmarkierer disambiguiert werden. – Behauptung mit negativer Bewertung ihres Inhalts: (JF 312) Ce sont de vraies femmes (dit avec “mépris”)
– Ausdruck des Mitleids als Beschimpfung: (JF 342) Il me fait de la peine (dit par une “cruelle”)
– Frage als negative Behauptung: (CG 482) À quoi ça vous servirait? (demandé “d’un air à la fois irrité et finaud”)
363
(JF 304) [...] je vous présente mon neveu [...] l’inconnu, sans me regarder, grommel[a] un vague: “Charmé” qu’il fit suivre de: “*Heue, heue, heue*”, pour donner à son amabilité quelque chose de forcé [...].
– Hervorhebung: (SG 275) “Je ne complends pas ce qu’il veut dile” grommela la princesse *du ton dont elle m’aurait dit par gentillesse*: “Il nous embête, n’est-ce pas?” (TR 306) Mais j’étais en *fureur*, je lui dis: “Je ne vous permets pas de me parler ainsi.” (LP 303) “Devinez d’où je viens: de chez les Verdurin”, j’avais à peine eu le temps de prononcer ces mots qu’Albertine, *la figure bouleversée*, m’avait répondu par ceux-ci qui *semblèrent exploser d’eux-mêmes avec une force qu’elle ne put contenir*: “Je m’en doutais.”
– Frage mit negativer Bewertung der Antwort:
(CS 351) *au comble de la rage*, [elle] brisa un vase et dit à Swann: “On ne peut jamais rien faire avec toi!”
(TR 130) Qu’est-ce que ça signifie? (“d’une voix basse mais courroucée”)
– Widerspruch: Mit unpassendem, stilistisch markiertem Ton:
– Frage als Vorwurf: (LP 207) Qu’est-ce que vous dites? (demandé “d’un air sévère”) à Saniette, friand d’archaïsmes, qui parle de “surveiller aux vêtements”.
– Verletzende Frage als Witz: (CS209) je déjeune justement demain avec le Préfet de police à l’Elysée [...] le peintre dit, *en manière de plaisanterie*: - Ça vous prend souvent?
– Erlaubnis für unnütz Erlaubtes: (CG 165) Tu peux continuer (dit “ironiquement, en esquissant le geste de quelqu’un qui vous fait la barbe”)
3.6.3. Rückinterpretation der Äußerung In anderen Fällen kann die Sprechereinstellung zur Rückinterpretation (Re-Interpretation) der Äußerungsfunktion führen (cf. 3.2.2.) – Abschwächung: Der Kotext kann den Vorwurf abschwächen: (CS 219) Voyons, ne dites pas du mal d’Odette, dit [-elle] *en faisant l’enfant*.
(TR 53) “A propos de Balbec, te rappelles-tu l’ancien liftier de l’hôtel?” me dit en me quittant SaintLoup *sur le ton de quelqu’un qui n’avait pas trop l’air de savoir qui c’était et qui comptait sur moi pour l’éclairer*. “Il s’engage et m’a écrit pour le faire rentrer dans l’aviation”.
Distanz kann jedoch als soziale Gepflogenheit erscheinen: (CG 398) un maître d’hôtel [...] annonça la nouvelle: “Madame est servie”, *d’un ton pareil à celui dont il aurait dit “Madame se meurt”*, mais qui ne jeta aucune tristesse dans l’assemblée.
Der Widerspruch zwischen dem Gesagten und dem kotextuell Gemeinten kann ein Ja hinter einem Nein bedeuten: (CS 345) “À une table voisine il y avait une femme que je n’avais pas vue depuis longtemps. Elle m’a dit: ”Venez donc derrière le petit rocher voir l’effet du clair de lune sur l’eau.“ [...] Je lui ai dit: ”Cette blague!“; je savais bien où elle voulait en venir.” [...] Swann, haletant, voyait tout: le bâillement d’Odette, le petit rocher. Il l’entendait répondre — *gaiement*, hélas –: “Cette blague!”;
(JF 328) Et quand elle parlait de Saint-Loup, elle disait: “C’est un hypocrite”, *avec un large sourire qui faisait bien comprendre qu’*elle le “considérait” de nouveau autant qu’au premier jour et qu’elle lui avait pardonné.
Er zeigt die wahren Gefühle des Sprechers hinter den üblichen Wendungen:
Oder er kann die Verwirklichung der Handlung auf die Wahrung der üblichen Konvention beschränken:
(SG 280) “Hé bien! ce pauvre Dechambre [décédé]!” dit-il, mais à mi-voix [...] “C’est affreux”, répondit *allègrement* M. Verdurin.
(CG 213) je suis brouillé avec les noms, ce qui est bien désagréable, dit-il *d’un air de satisfaction*
364
VIII. Phraseme in literarischen Texten und Autorenphraseologie/Phraseology of literary texts
– Verneinung: Der Verneinung negativer Werte anhand der üblichen Ausdrücke Ça ne fait rien, Ça n’a pas d’importance, On s’en fiche, mit der man den Schein zu retten vermag, huldigt mit Vorliebe der Erzähler, um zu zeigen, dass sie in manchen Fällen Dramatisches verbirgt: (SG 144) - Je ne vous ai pas présentée, disait la maîtresse de maison à Odette [...]. - Oh! cela ne fait rien, disait Odette *avec un regret*. (SG 390) Saniette [...] manquait par trop d’audace [...] il n’offrait rien, mais *avec un visage torturé et un regard aussi indestructible qu’un émail cuit, mais dans la composition duquel entrait, avec un désir pantelant de vous voir* — à moins qu’il ne trouvât quelqu’un d’autre de plus amusant — *la volonté de ne pas laisser voir ce désir*, il me disait *d’un air détaché*: “Vous ne savez pas ce que vous faites ces jours-ci? Parce que j’irai sans doute près de Balbec. Mais non, cela ne fait rien, je vous le demandais par hasard.” (TR 124) [...] deux clients très élégants [...] se tenaient sur le seuil [d’une sorte de maison de rendezvous] et délibéraient s’ils devaient entrer. [...] L’un des deux [...] répétait toutes les deux minutes à l’autre avec *un sourire mi-interrogateur, mi destiné à persuader*: “Quoi! Après tout on s’en fiche?” Mais [...] il est probable qu’il ne s’en fichait pas tant que cela car cette parole n’était suivie d’aucun mouvement pour entrer mais d’un nouveau regard vers l’autre, suivi du même sourire et du même après tout on s’en fiche. C’était, ce après tout on s’en fiche, un exemplaire entre mille de ce magnifique langage, si différent de celui que nous parlons d’habitude, et où l’émotion fait dévier ce que nous voulions dire et épanouir à la place une phrase tout autre, émergée d’un lac inconnu où vivent ces expressions sans rapport avec la pensée et qui par cela même la révèlent.
Die echte Verneinung hat keine augenfällige Markierung, so wie in dem “tragischen” Satz: (JF 292) Ah! bien cela n’a aucune espèce d’importance, je m’arrangerai autrement; l’autre arrangement vers lequel il est sans aucune espèce d’importance d’être rejeté [est] quelquefois le suicide.
4.
Gebräuchliche Ausdrücke als Glossen
Neben den Fällen, wo ko(n)textuelle Elemente zur Wiederholung einer gemachten Äußerung hinzugefügt werden (cf. 3.6.), kommt es vor, dass Proust mit geäußerten ko(n)textuellen Signifikanten oder Einstellungen eine Wendung verbindet, die nicht gebraucht wird, sondern als Glosse dient und in Beziehung
gebracht werden kann mit einem Äußerungsmotiv, das die Bedeutung nach der in 3.2.2. vorgestellten Methode vermittelt (SG 188, infra 4.2.). Es handelt sich dabei nicht unbedingt um, im Sinne der lexikographischen Nomenklatur, übliche Wendungen. Nun sollen einige Ausdrücke, Hinzufügungen zu einem koverbalen, aus den Glossen kurz vorgestellt und nach den zum Ausdruck gebrachten Befindlichkeiten oder Handlungen geordnet werden. 4.1. Koverbale Glossen In folgenden Beispielen wird die Mehrdeutigkeit des Ausdrucks durch die Referenz der Glosse aufgehoben. Es handelt sich um reziproke Glossen. – Gleichgültigkeit und Machtlosigkeit (Grimasse, Kopfschütteln, Hand- und Armbewegung): (JF 92) *une petite grimace du coin de la bouche complétée au besoin d’un hochement de tête qui signifiait*: “Qu’est-ce que ça peut me faire?” (CG 291) Legrandin [...] nous donna un coup de chapeau [...] je demandai à ma grand-mère si elle lui avait répondu [...]. Ma grand-mère [...] *leva la main comme pour dire*: “Qu’est-ce que cela fait? Cela n’a aucune importance.” (TR 106) levant le bras avec *le geste qui signifie* sinon “je m’en lave les mains”, du moins “je ne peux rien vous dire”
– Erstaunen (Blick, langes Gesicht): (CS 119) Plein d’une mélancolique ironie, Swann les regardait écouter l’intermède de piano [...] et suivre le jeu vertigineux du virtuose, Mme de Franquetot anxieusement, les yeux éperdus comme si les touches sur lesquelles il courait avec agilité avaient été une suite de trapèzes d’où il pouvait tomber d’une hauteur de quatre-vingt mètres, et non sans lancer à sa voisine *des regards d’étonnement, de dénégation qui signifiaient*: “Ce n’est pas croyable, je n’aurais jamais pensé qu’un homme pût faire cela.” (CG 533) en faisant avec la bouche la *moue qui veut dire* “Bigre!”
– Schmunzelnde Zustimmung Zucken der Schultern):
(Lächeln,
(CS 224) Sérieusement, je ne suis pas désagréable? Et en les respirant [les cattleyas sur le corsage d’Odette] pour voir s’ils n’ont vraiment pas d’odeur, non plus? Je n’en ai jamais senti, je peux? dites la vérité./*Souriant, elle haussa les épaules, comme pour dire* “vous êtes fou, vous voyez bien que ça me plaît”.
32. Marcel Proust, Pragmatiker der “gebräuchlichen Ausdrücke”
– Distanz (Lachen, Blick): (JF 149) Ce rire avait *l’air de signifier*: “Non non je ne me laisse pas prendre à tout ce que vous me dites, je sais que vous êtes fou de moi, mais cela ne me fait ni chaud ni froid, car je me fiche de vous [...].” (CG 457) - Il n’a pas assez de majuscules pour écrire le mot de Cambronne. [...] - Il l’écrit avec un grand C, s’écria Mme d’Arpajon. “Plutôt avec un grand M, je pense, ma petite”, répondit Mme de Guermantes, non sans avoir échangé avec son mari *un regard gai qui voulait dire*: “Est-elle assez idiote!” (LP 35) “Par exemple, madame, le jour où vous deviez dîner chez Mme de Saint-Euverte, avant d’aller chez la princesse de Guermantes, vous aviez une robe toute rouge, avec des souliers rouges, vous étiez inouïe, vous aviez l’air d’une espèce de grande fleur de sang, d’un rubis en flammes, comment cela s’appelait-il? Est-ce qu’une jeune fille peut mettre ça?” [...] La duchesse [...] regarda *en riant aux larmes, d’un air moqueur, interrogatif et ravi*, M. de Bréauté [...] *La duchesse avait l’air de dire*: “Qu’est-ce qu’il a, il est fou.”
Dieses Lachen derselben Oriane erinnert an den “heiteren Blick, der sagen wollte: ‘Ist sie dumm genug!’” (CG 457). 4.2. Einstellungsglossen – Unsicherheit: (CS 194) Le docteur Cottard ne savait jamais [...] si son interlocuteur voulait rire ou était sérieux. [...] on y [sur son visage] voyait flotter perpétuellement *une incertitude où se lisait la question* qu’il n’osait pas poser: “Dites-vous cela pour de bon?”
– Resignation: (CS 35) elle sortit d’un air résigné qui semblait signifier: “C’est-il pas malheureux pour des parents d’avoir un enfant pareil!”
– Wohlwollende Aufmerksamkeit: (SG 188) [...] dès qu’on causait avec lui [= un médecin] dans le monde, fût-ce de politique ou de littérature, il vous écoutait avec une bienveillance attentive, *d’un air de dire*: “De quoi s’agit-il?”, sans prononcer tout de suite, *comme s’il s’était agi d’une consultation*.
Die Äußerung selbst wird durch ein typisches Äußerungsmotiv glossiert. – Frage und Angst: (SG 85) [...] le duc, furieux de voir sa femme dire bonsoir à quelqu’un qu’il ne connaissait pas, qui avait une touche singulière, et qui, autant que M. de Guermantes croyait le savoir, avait fort mauvaise réputation, se retourna vers sa femme *d’un air in-
365
terrogateur et terrible*, *comme s’il disait*: “Qu’est-ce que c’est que cet ostrogoth-là?”
Die Wendung allein ist nichts als eine negative Bewertung des betreffenden “bayrischen Musikers”; um sie als Vorwurf gegen Oriane aufzufassen, muss sie als Glosse verstanden werden.
5. Schlussfolgerung Eine Diskursanalyse zu den Ausdrücken in der “Recherche” erlaubt es, sowohl Prousts Pragmatik der gebräuchlichen Formeln der Sprecherhandlungen zu umreißen, als auch seinen Beitrag zur Sprachwissenschaft zu ermessen. Dabei lassen sich in der Verschriftlichung verschiedene Prozesse erkennen, die die Mehrdeutigkeiten aufheben oder den Sinn bestimmter mündlicher Wendungen präzisieren. Die betreffenden Ausdrücke bieten dem Erzähler meistens die Gelegenheit, seinen Pessimismus über das Verhältnis des Menschen zu seiner Sprache zu äußern: sprechen ist oft nur wiederholen (LP 223), aufsagen (LP 97), nur wenig unterschiedliche Wörter wie auch Gedanken gebrauchen (TR 57). Proust denunziert ganz besonders das “Nichts” der Jargone (CG 153), die der Oberschicht, den Leuten von Welt, den hastigen Ingenieuren eigene Sprache (JF 37, JF 137, JF 116). Er nimmt Anstoß an und wütet gegen die pragmatischen Eigentümlichkeiten und irritierenden und herausfordernden Fehler der Personen, wie von Françoise, dem Liftboy, dem jungen Fußknecht, von Bloch. Bei einigen gebräuchlichen Ausdrücken untersucht Proust die Beziehung zum alter ego des Sprechenden, wenn er anspielt auf das ‘andere als wir selbst’, ‘was wir in unserer Stimme vernehmen’ (CS 239), ‘die hysterische Wollust des Lügens’ (JF 298) oder, die Denegation betreffend, diesen ‘unbekannten See, in dem diese Wendungen beziehungslos zum Denken leben und sie gerade dadurch offenbaren’ (TR 124).
6.
Literatur (in Auswahl)
6.1. Korpus Proust Proust, M.: À la recherche du temps perdu. 7 vol. Paris 1987–1992. Abkürzungen für die Texte: CS: “Du côté de chez Swann”, JF: “À l’ombre des jeunes filles en fleurs”, CG: “Le Côté de Guermantes”, SG: “Sodome et
366
VIII. Phraseme in literarischen Texten und Autorenphraseologie/Phraseology of literary texts
Gomorrhe”, LP: “La Prisonnière”, AD: “Albertine disparue”, TR: “Le Temps retrouvé”.
6.2. Sekundärliteratur und Wörterbücher Bernet, Ch./Rézeau, P. (dir.) (1995): Richesses lexicales du français contemporain. Paris. Fónagy, I. (1982): Situation et signification. Amsterdam. Galisson, R. (1995): Les palimpsestes verbaux: des révélateurs culturels remarquables mais peu remarqués. In: Cahiers du français contemporain 2, 43– 63. Genette, G. (1969): Proust et le langage indirect. In: Figures II. Paris, 223–294. Grunig, B.-N. (1997): La locution comme défi aux théories linguistiques: une solution d’ordre mémoriel? In: Martins-Baltar, M. (Hrsg.): La locution, entre langue et usages. Paris.
Gülich, E./Krafft U. (1997): Le rôle du “préfabriqué” dans les processus de production discursive. In: Martins-Baltar, M. (Hrsg.): La locution, entre langue et usages. Paris. Krafft, U. (1997): Wie und warum Doktor Cottard idiomatische Wendungen nicht lernen konnte. In: Sabban, A. (Hrsg.): Phraseme in Text. Beiträge aus romanischer Sicht. Bochum. Rey, A./Chantreau S. (1989): Dictionnaire des expressions et locutions. Paris. TLFi (Trésor de la langue française informatisé). http://atilf.atilf.fr./tlf.htm
Michel Martins-Baltar, Lyon (Frankreich) (Aus dem Französischen übersetzt von Gertrud Gréciano, Strasbourg/Frankreich)
33. Phraseme bei Dostoevskij 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.
Zum Begriff des Autorenidioms Auktoriale Frequentalien Auktoriale lexikalische Idiom-Modifikationen Auktoriale grammatische IdiomTransformationen Auktoriale semantische Idiom-Modifikationen Eigentliche Autorenidiome Makrostrukturelle Funktion der Idiome Kombinatorische Charakteristika des Idiomgebrauchs Schlussbemerkung Literatur (in Auswahl)
Um die Phraseologie eines Autors adäquat beschreiben zu können, muss man zunächst das phraseologische Material in relative homogene Klassen unterteilen, nämlich in Idiome, Kollokationen und Sprichwörter. In jeder dieser Klassen können sich autorenspezifische Züge zeigen, die zum Individualstil des betreffenden Schriftstellers beitragen. Besonders signifikant scheinen in dieser Hinsicht Idiome zu sein. Dementsprechend behandeln wir hier ausschließlich die Idiomatik in den Werken von F.M. Dostoevskij.
1.
Zum Begriff des Autorenidioms
Autorenidiome sind, wie auch gewöhnliche Idiome, durch Reinterpretation und/oder Opazität gekennzeichnet (ausführlicher dazu Baranov/Dobrvol’skij 2005b). Nach dem Para-
meter der Stabilität unterscheiden sie sich jedoch wesentlich von anderen Idiomen. Einerseits ist es möglich, dass Autorenidiome nur in den Werken eines einzigen Schriftstellers vorkommen; andererseits können allgemeinsprachliche Idiome in einem literarischen Text strukturell und inhaltlich transformiert werden. Zur Autorenidiomatik gehören also jene Besonderheiten des Idiomgebrauchs, die für einen bestimmten Schriftsteller charakteristisch sind und durch die er sich von anderen Sprachträgern abhebt. Folgende Einteilung der Typen auktorialen Idiomgebrauchs kann als Grundlage für eine Typologie der Autorenidiomatik dienen: 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Auktoriale Frequentalien Auktoriale lexikalische Idiom-Modifikationen Auktoriale grammatische Idiom-Transformationen Auktoriale semantische Idiom-Modifikationen Eigentliche Autorenidiome Auktoriale Dearchaismen
Betrachten wir nun die einzelnen Punkte etwas genauer unter dem Aspekt der spezifischen Idiomgebrauchs in Dostoevskijs Prosa. Was den letztgenannten Typ betrifft, ist er für die Dostoevskij-Idiomatik kaum relevant, denn hierher gehören längst außer Gebrauch
33. Phraseme bei Dostoevskij
geratene Idiome, die sozusagen künstlerisch “revitalisiert” werden. Für Dostoevskij derartige Beispiele anzuführen, ist offensichtlich ein ziemlich schwieriges Unterfangen.
2.
Auktoriale Frequentalien
Zu diesem Typus gehören Idiome, die in der gängigen Sprache zwar vorkommen, aber von einem bestimmten Autor wesentlich häufiger verwendet werden als üblich. Eine Analyse der Datenbank zur Idiomatik Dostoevskijs, die in der Abteilung für experimentale Lexikographie des Instituts für russische Sprache der Russischen Akademie der Wissenschaften erstellt wurde, gibt eine allgemeine Vorstellung von der Frequenz der Idiome bestimmter semantischer Gruppen. Eines der bei Dostoevskij am häufigsten vertretenen semantischen Felder bilden Idiome, die einen abnormen mentalen Zustand beschreiben. Dazu gehören Ausdrücke wie (1) sojti s uma “vom Verstand heruntergehen” ‘verrückt werden’ (2) byt’ ne v svoem ume “nicht in seinem (eigenen) Verstand sein” ‘verrrückt sein, nicht bei Verstand sein’ (3) sbit’ s tolku “aus der Fassung schlagen” ‘aus der Fassung bringen’ (4) vpast’ v detstvo “in die Kindheit hineinfallen” ‘(wieder) kindisch werden’ (5) byt’ vne sebja “außer sich sein” ‘außer sich sein’ (6) vyjti iz sebja “aus sich herausgehen” ‘außer sich geraten’ (7) vybit’ iz kolei “aus der Fahrspur werfen” ‘aus der Bahn werfen’ (8) sebja ne pomnit’ “sich nicht mehr an sich erinnern” ‘in einem emotionalen Extremzustand die bewusste Kontrolle seiner selbst verlieren’; vgl. dt. sich nicht mehr kennen (9) kak poražennyj gromom “wie vom Blitz getroffen” ‘emotional sehr stark beeindruckt, verstört (sein)’; vgl. dt. wie vom Blitz getroffen
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(10) poterjat’ rassudok “den Verstand verlieren” ‘den Verstand verlieren’ (11) poterjat’ nitku “den Faden verlieren” ‘den (gedanklichen) Zusammenhang verlieren’; vgl. dt. den Faden verlieren (12) stat’ v tupik “sich in eine Sackgasse stellen” ‘in eine schwierige bzw. ausweglose Situation geraten’; vgl. dt. in eine Sackgasse geraten Diese Idiomgruppe dominiert praktisch in allen Werken Dostoevskijs, was offensichtlich mit der Aufmerksamkeit, die dieser Autor den Geisteszuständen und dem Seelenleben seiner Helden zuteil werden lässt, zusammenhängt. Dabei interessiert sich Dostoevskij – wie auch die Psychologie – weniger für die Norm als für die Abweichung davon, für Grenzfälle, die die Einzigartigkeit des menschlichen Individuums hervortreten lassen. Diese Besonderheit von Dostoevskijs schöpferischem Denken äußert sich auch im Gebrauch der Idiome. Neben allgemeinen Tendenzen sind auch spezifische Gesetzmäßigkeiten des idiomatischen Potentials einzelner Werke zu beobachten. In dem Roman “Böse Geister” (“Die Dämonen”) und in “Verbrechen und Strafe” (“Schuld und Sühne”) beispielsweise ist die Idiomfrequenz im Allgemeinen relativ hoch, im “Spieler” hingegen ist die Idiomatik in der Rede der Figuren schwach ausgeprägt. Dies ist in Zusammenhang mit der Besonderheit des Sujets zu sehen: Schauplatz der Handlung ist Deutschland (das fiktive Städtchen Roulettenburg), unter den Figuren sind viele Nichtrussen (Des Grieux, Mister Astley, Mademoiselle Blanche), deren Sprache verständlicherweise entsprechend stilisiert ist. Die Idiomfrequenz kann aber auch von anderen Faktoren abhängen. Sie ist durch den sozialen Status der betreffenden Figur, ihre Bildung, ihren Charakter, ihr Alter etc. beeinflusst: vgl. die große Anzahl von Idiomen in der Sprache von Razumixin (“Verbrechen und Strafe”) und dagegen die vergleichsweise schwach ausgeprägte Idiomatik in der Sprache von Stavrogin (“Böse Geister”). Ein weiterer Frequenzfaktor ist die Erzählperspektive und der Erzählertyp. In “Verbrechen und Strafe” zum Beispiel tritt kein Ich-Erzähler in Erscheinung; die Erzählung ist in der dritten Person gehalten. In “Böse Geister” und “Der
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VIII. Phraseme in literarischen Texten und Autorenphraseologie/Phraseology of literary texts
Spieler” hingegen gibt es einen Ich-Erzähler, die jeweiligen Ich-Erzähler – G-v und le outchitel – unterscheiden sich jedoch stark voneinander: hinter den Figuren verbergen sich verschiedene Lebensgeschichten, was sich auch in der idiomatischen Charakteristik ihrer Sprache widerspiegelt. Noch ein Faktor, der die Idiomfrequenz, aber auch die Distribution der Idiome einzelner semantischer Gruppen in verschiedenen Werkabschnitten beeinflusst, ist die Architektonik des Textes, die Art, wie sich das Sujet entwickelt, die narrative Struktur. Je mehr Handlung, Ereignisse, je schneller sich Situationen und Sachverhalte ändern, umso weniger (in prozentueller Korrelation) Idiome, die sich auf den mentalen Bereich beziehen; dafür jedoch umso mehr Idiome, die äußere, beobachtbare Eigenschaften von Menschen, Objekten der Umwelt, Ereignissen u.ä. beschreiben. Im von seinem dynamischen Handlungsverlauf geprägten Roman “Böse Geister” beispielsweise sind Idiome wie (13–19) häufig vertreten, d.h. Idiome, die sich auf äußere, sichtbare Merkmale einer Situation beziehen. (13) navostrit’ uši “die Ohren spitzen” ‘aufhorchen; aufmerksam werden’; vgl. dt. die Ohren spitzen (14) nagovorit’ s tri koroba “drei Körbe voll reden” ‘jmdm. viel Unwahres erzählen’; vgl. dt. jmdm. die Hucke voll reden (15) vylupit’ glaza “die Augen aufreißen” ‘sehr verwundert sein’; vgl. dt. große Augen machen (16) pozelenet’ ot zlosti “vor Bosheit grün werden” ‘sich sehr ärgern’ (17) razinut’ rot “den Mund aufsperren” ‘sehr verwundert sein’; vgl. dt. mit offenem Mund dastehen (18) ponurit’ golovu “den Kopf hängen lassen” ‘resignieren’; vgl. dt. den Kopf hängen lassen (19) poblednet’ kak mertvec “erblassen wie ein Leichnam” ‘sehr blass werden’; vgl. dt. leichenblass werden
3.
Auktoriale lexikalische IdiomModifikationen
Dieser Modifikationstypus ist dadurch gekennzeichnet, dass die Konstituentenstruktur eines in der Literatursprache der untersuchten Epoche vorkommenden Idioms mehr oder weniger stark modifiziert wird. Bei der Analyse der Autorenidiomatik F.M. Dostoevskijs ergeben sich weitere Schwierigkeiten, die nicht nur die auktorialen lexikalischen Modifikationen, sondern auch andere Transformationstypen betreffen (siehe unten). Damit eine Systematisierung der Variationen möglich ist, sollten im Idealfall nämlich folgende Bedingungen erfüllt sein: 1) 2) 3)
die Norm oder der Normalzustand des Untersuchungsgegenstandes ist bekannt (und beschrieben); die Grenze zwischen usueller und kreativer Variation ist bekannt; bei der Analyse der verschiedenen zeitlichen Schichten ist klar, wie sich die Norm im Laufe der Zeit verändert hat.
Diese im Grunde eigentlich minimalen Bedingungen zu erfüllen ist äußerst schwierig, wenn es um die Sprache Dostoevskijs geht. Wir können die literatursprachliche Norm jener Zeit nur annähernd beurteilen, umso mehr, als uns praktisch keine Daten zu den verschiedenen Sprachgenres der betreffenden Epoche vorliegen. Der Ausdruck (20) beispielsweise findet sich nur ein einziges Mal im Roman “Die Erniedrigten und Beleidigten”. Wir verfügen über keinerlei Informationen über den Gebrauch dieses Ausdrucks in der Sprache jener Zeit; ein definitives Urteil über ihren Status zu fällen erscheint dementsprechend unmöglich. (20) koški iz izby nečem vymanit’ “es ist nichts da, womit man eine Katze aus der Bauernhütte herauslocken könnte” ‘sehr arm sein’ Es ist nicht ausgeschlossen, dass dieser Ausdruck im Sprachgebrauch jener Zeit bekannt war. Möglicherweise handelt es sich um eine autorenspezifische Modifikation eines allgemein bekannten Ausdrucks. Nicht ausgeschlossen ist auch, dass Dostoevskij diesen Ausdruck eingeführt hat. In diesem Fall könnte für ihn der Status eines eigentlichen Autorenidioms beansprucht werden (vgl. unter 6). Andererseits ist das singuläre Vorkom-
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33. Phraseme bei Dostoevskij
men eines Ausdrucks noch kein ausreichender Grund, ihn als Idiom zu qualifizieren. Es handelt sich in diesem Fall eher um eine autorenspezifische Metapher. Für Variationen identifizierbarer Idiome gilt folgende technische Lösung: Ist keine zuverlässige Information über den Gebrauch eines bestimmten Idioms in der betreffenden Epoche vorhanden, so werden der heutigen literatursprachlichen Norm nicht entsprechende Modifikationen in den Werken Dostoevskijs als Autorenidiome betrachtet. In Dostoevskijs Roman “Böse Geister” (“Die Dämonen”) findet sich eine Reihe von Idiomtransformationen; vgl. (21–23). Beim Zitieren aus den Werken Dostoevskijs werden verschiedene deutsche Übersetzungen benutzt, die Wahl der jeweiligen Übersetzung richtet sich nach dem Grad der Wörtlichkeit bei der Wiedergabe des zu besprechenden Idioms (zu Besonderheiten der Übersetzung der Idiomatik von Dostoevskij vgl. Dobrovol’skij 2003; 2004). Das russische Idiom, das im Original verwendet wurde, zusammen mit seiner wörtlichen Übersetzung steht innerhalb des Zitats in spitzen Klammern. (21) s glazu na glaz → glaz na glaz “von einem Auge auf ein Auge” → “Auge auf Auge” ‘unter vier Augen’ (21a) Es gibt sonderbare Freundschaften; es gibt Freunde, die nur miteinander streiten, das ganze Leben in Streit verbringen, und doch nicht voneinander lassen können. Das Auseinandergehen ist ihnen sogar ganz unmöglich: der Freund, der aus Eigensinn als erster die Verbindung zerrisse, würde auch als erster krank werden und, wenn es darauf ankäme, womöglich sterben. Ich weiß bestimmt, daß Stepan Trofimowitsch mehr als einmal, und zwar manchmal nach den intimsten Herzensergüssen unter vier Augen mit Warwára Petrówna, plötzlich, nachdem sie ihn verlassen hatte, vom Diwan aufsprang und mit den Fäusten an die Wand zu hämmern begann. (Die Dämonen, Rahsin 1999, 18f.) (22) sduvat’ pylinki s kogo-libo → oxranjat’ ot každoj pylinki kogo-libo “die Staubkörnchen wegblasen von jmdm.” → “jmdn. vor jedem Staubkörnchen beschützen” ‘jmdn. mit übertriebener Vorsicht und Sorgsamkeit behandeln’; vgl. dt. jmdn. in Watte packen
(22a) Ja, Warwara Petrowna hat ihn [Stepan Trofimovič] gewiß und sogar sehr oft gehaßt; er aber hat bis zum Schluß nur eines nicht an ihr erkannt: daß er nämlich zu guter Letzt für sie zu einem Sohn geworden war; zu ihrem Geschöpf, ja, man kann sagen, zu einer Erfindung von ihr, daß er schon Fleisch von ihrem Fleisch war und daß sie ihn keineswegs deshalb bei sich hielt und unterhielt, weil sie ihn “um seiner Talente willen” beneidete. Und wie müssen solche Verdächtigungen sie verletzt haben! In ihr verbarg sich eine gewisse qualvoll unduldsame Liebe zu ihm, mitten unter ununterbrochenem Haß, unter Eifersucht und Verachtung. Sie beschützte ihn vor jedem Stäubchen , gab sich unermüdlich zweiundzwanzig Jahre lang mit ihm ab [...]. (Die Dämonen, Rahsin 1999, 21) (23) ne udarit’ v grjaz’ licom → ne udarit’ sebja v grjaz’ “nicht in den Schmutz mit dem Gesicht schlagen” → “sich selbst nicht in den Schmutz schlagen” ‘sich nicht blamieren’ (23a) Natürlich hätte sich ein Stepan Trofimowitsch gesellschaftlich nie irgendwie blamieren können , er hatte überhaupt die besten Umgangsformen. Obschon er meines Wissens nicht von hoher Herkunft war, hatte es sich so gefügt, daß er von frühester Kindheit an in einem vornehmen Moskauer Hause aufgewachsen, also sehr gut erzogen war. Französisch sprach er wie ein Pariser. (Die Dämonen, Rahsin 1999, 22) In den Werken Dostoevskijs finden sich verschiedenste Fälle lexikalischer Idiom-Modifikationen. Wir wollen auf die für Dostoevskij typischsten Beispiele für Variationen in diesem Bereich hinweisen. 3.1. Einfügung zusätzlicher Idiomkonstituenten (24) lopnut’ kak myl’nyj puzyr’ → lopnut’ kak radužnyj myl’nyj puzyr’ “wie eine Seifenblase zerplatzen” → “wie eine regenbogenfarbene Seifenblase zerplatzen” ‘nicht realisiert werden, sich als Illusion erweisen’; vgl. dt. wie eine Seifenblase zerplatzen
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VIII. Phraseme in literarischen Texten und Autorenphraseologie/Phraseology of literary texts
(24a) Sie reisten also nach Petersburg und verbrachten dort fast die ganze Wintersaison. Aber zu den Großen Fasten platzte alles wie eine regenbogenfarbene Seifenblase . Die Träume verflogen, und der Wirrwarr ließ sich nicht nur nicht durchschauen, sondern wurde noch widerwärtiger. (Böse Geister, Geier 1998, 29) (25) našeptat’ v uxo → našeptat’ v oba uxa “ins Ohr flüstern” → “in beide Ohren flüstern” ‘heimlich, verstohlen einreden’; vgl. dt. einflüstern (25a) En un mot, ich wollte doch lediglich sagen, es handelt sich bei ihm um einen jener Staatsbeamten, die ihre Laufbahn mit vierzig beginnen, vorher als Nullen ein kärgliches Dasein fristeten und dann auf einmal etwas werden, weil sie sich plötzlich eine Gattin zu verschaffen wußten oder auf irgendeinem anderen, nicht weniger verzweifelten Wege ... Jetzt ist er also weggefahren ... das heißt, ich will sagen, über mich haben sie ihm sofort beide Ohren vollgeflüstert , ich sei ein Verderber der Jugend und säe im Gouvernement Atheismus ... (Die Dämonen, Dalitz 1994, Bd. I, 75f.) (26) sbit’ s tolku → sbit’ s poslednego tolku “aus der Fassung schlagen” → “aus der letzten Fassung schlagen” ‘aus der Fassung bringen’ (26a) Stepan Trofimowitsch hatte mich mit hysterischer Ungeduld erwartet. Er war seit etwa einer Stunde wieder zu Hause. Als ich kam, war er wie betrunken; jedenfalls in den ersten fünf Minuten glaubte ich, er sei betrunken. Ach, der Besuch bei den Drosdows hatte ihn um die letzte Fassung gebracht . (Böse Geister, Geier 1998, 157) 3.2. Austausch einer Konstituente gegen eine nicht-usuelle (27) prinjat’ za čistuju monetu → prinjat’ za samuju nerazmennuju monetu “für saubere/reine Münze nehmen” → “für die unwechselbarste Münze nehmen” ‘etw. auf naive Weise ernsthaft glauben’; vgl. dt. für bare Münze nehmen
(27a) Da fand sich Pjotr Stepanowitsch ein und erklärte mir auf der Stelle alles. Er vertraute mir an, daß eine große Idee Sie bewege, vor der wir beide, er und ich, ein absolutes Nichts seien, daß ich trotzdem Ihnen im Wege stehe. Sich selbst rechnete er irgendwie dazu; er sah uns unbedingt zu dritt und redete die märchenhaftensten Dinge zusammen, von einem Kahn und Rudern aus Ahornholz, aus einem russischen Volkslied. Ich lobte ihn, sagte, er sei ein Poet, und das nahm er für bare Münze . (Böse Geister, Geier 1998, 732) (28) vybit’ iz kolei → vybit’ iz rel’sov “aus der Fahrspur werfen” → “aus dem Geleise werfen” ‘aus der Bahn werfen’ (28a) Pjotr Stepanowitsch war ihnen gegenüber zweifellos im Unrecht: alles hätte weit harmonischer und leichter [kursiv bei Dostoevskij] ablaufen können, hätte er sich bemüht, die Realität nur um eine Winzigkeit zu beschönigen. Statt die Tatsachen in manierlichem Licht erscheinen zu lassen, durch einen Hinweis auf römischen Bürgergeist oder etwas dieser Art, hatte er lediglich die nackte Furcht und die Gefahr für die eigene Haut in den Vordergrund gestellt, was schlechthin unhöflich war. Natürlich, der Kampf ums Dasein steckte in allem, ein anderes Prinzip gab es nicht, das wußte ein jeder, aber immerhin... Doch Pjotr Stepanowitsch hatte keine Zeit, die Römer zu bemühen; er selbst war aus dem Geleise geworfen . (Die Dämonen, Dalitz 1994, Bd. II, 125f.) (29) byl’ëm zaroslo → peskom zaroslo “(es ist) mit byl’ë [veraltet für ‘Gras’] zugewachsen” → “(es ist) mit Sand zugewachsen” ‘es ist nicht mehr aktuell, in Vergessenheit geraten’; vgl. dt. es ist Gras darübergewachsen (29a) Ärgern Sie sich nicht, ärgern Sie sich nicht, funkeln Sie nicht so mit den Augen ... Übrigens, Sie funkeln ja gar nicht. Es interessiert Sie, warum ich so aufrichtig bin? Namentlich deshalb, weil jetzt alles anders ist, zu Ende, vorbei, Sand drüber . Ich habe plötzlich meine Meinung über Sie geändert. Die alte Methode ist zu Ende; jetzt werde ich Sie nie mehr nach der alten Methode kompromit-
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33. Phraseme bei Dostoevskij
tieren; jetzt tue ich es nach einer neuen Methode. (Böse Geister, Geier 1998, 292f.) (30) s luny svalilsja → s luny soskočil “(jmd. ist) vom Mond gefallen” → “(jmd. ist) vom Mond heruntergesprungen” ‘jmd. ist weltfremd’; vgl. dt. jmd. ist vom Mond gefallen (30a) Es gibt ja nichts Schlaueres, als sich ohne jede Verstellung so zu geben wie man ist, denn das glaubt einem ja doch kein Mensch. Aber ich muß gestehen, zuerst wollte ich schon den Rüpel spielen, weil das viel leichter ist; aber da der Rüpel immerhin ein Extrem ist, ein Extrem aber immer Aufsehen erregt und neugierig macht, so entschied ich mich denn endgültig für die eigene Persönlichkeit. Nun ja, aber wie ist denn nun meine eigene Person? – Doch einfach die goldene Mitte: weder dumm noch klug, ziemlich unbegabt und ein bißchen vom Monde herabgesprungen , wie hier die vernünftigen Leute zu sagen pflegen. Ist es nicht so? (Die Dämonen, Rahsin 1999, 301) (31) palka o dvux koncax → ideja/delo/vsë o dvux koncax “Stock mit zwei Enden” → “eine Idee/ eine Angelegenheit/alles mit zwei Enden” ‘ambivalente Sache’; vgl. dt. zweischneidiges Schwert (31a) Hätten sie Tatsachen in der Hand, ich meine, wirkliche Tatsachen oder irgendeinen einigermaßen begründeten Verdacht, dann hätten sie wirklich versucht, Versteck zu spielen: In der Hoffnung, dadurch weiter zu kommen (dann hätten sie übrigens schon längst eine Haussuchung bei mir durchgeführt!). Aber sie haben kein Indiz in der Hand, kein einziges, alles Fata Morgana, alles ein Stock mit zwei Enden , nichts als eine flüchtige Idee – und nun versuchen sie, mich durch Unverschämtheit zu überrumpeln. Vielleicht ist er auch wütend, weil er nichts in der Hand hat, und da ist ihm die Galle übergelaufen. (Verbrechen und Strafe, Geier 1994, 362) (31b) Sie sagen: Indizien! Gut, angenommen, man hat seine Indizien, aber Indizien, Verehrtester, sind ein Stock mit zwei Enden , meistens, und ich, ein Ermittelnder Staatsanwalt, folglich ein schwacher Mensch,
gestehe: Man wünscht sich, die Ermittlung mit einem sozusagen mathematisch eindeutigen Resultat abzuschließen. Man wünscht sich ein Indiz, das die Verläßlichkeit von zwei mal zwei gleich vier hat! (Verbrechen und Strafe, Geier 1994, 457) (31c) Folglich hat auch Porfirij nichts in der Hand, gar nichts, außer diesem Delirium, keinerlei Tatsachen, außer der Psychologie, die immer ein Stock mit zwei Enden bleibt , nichts Definitives. (Verbrechen und Strafe, Geier 1994, 482f.) (Swetlana Geier behält in ihrer Übersetzung die Hervorhebung der Wörter Delirium, Psychologie und Stock mit zwei Enden [kursiv bei Dostoevskij] bei.) (31d) “Wir sprechen über einen außerordentlich interessanten Aufsatz dieses Herrn”, sagte der Mönchpriester Iosif, der Bibliothekar, indem er sich an den Starez wandte und auf Iwan Fjodorowitsch hindeutete. “Er zieht darin viele neue Schlüsse, doch scheint die Grundidee eine zweischneidige Sache zu sein [...].” (Die Brüder Karamasow, Ruoff/Hoffmann 1988, 85) 3.3. Besondere Fälle Etwas schwieriger sind jene Fälle, wo eine klare Abweichung von der heute gültigen Norm vorliegt, die betreffende Formulierung in Bezug auf die Sprache der fraglichen Epoche allerdings nachweislich normgerecht war; vgl. Variationen des Idioms byt’ na ravnoj/ družeskoj/korotkoj noge “auf gleichem/ freundschaftlichem/kurzem Fuße sein” ’zu jmdm. in gleichberechtigter/freundschaftlicher/vertrauter Beziehung stehen’ in (32–38). Dieses Idiom ließ in der damaligen Sprache eine wesentlich größere Bandbreite an Variationsmöglichkeiten des Adjektivs zu. (32) byt’ na delikatnoj noge “auf delikatem Fuße sein” ‘zu jmdm. in formell-höflicher Beziehung stehen’ (33) byt’ na tonkoj noge “auf dünnem Fuße sein” ‘rücksichts- und respektvoll miteinander umgehen’ (34) byt’ na patriarxal’noj noge “auf patriarchalem Fuße sein” ‘zu jmdm. in traditionell-patriarchaler Beziehung stehen’
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VIII. Phraseme in literarischen Texten und Autorenphraseologie/Phraseology of literary texts
(35) Es heißt, vor meiner Fahrt nach Paris hätten sich der Franzose und Mademoiselle Blanche viel steifer zueinander verhalten, sie hätten auf formalerem, delikaterem Fuß miteinander gestanden ; jetzt dagegen tritt ihre Bekanntschaft, ihre Freundschaft, ihre Verwandtschaft deutlicher, weniger verhüllt zutage. (Der Spieler, Creutziger 1994, 369) (36) Ich halte Sie vollkommen für entschuldigt, Herr Offizier, und versichere Ihnen, daß Sie Fähigkeiten haben. Handeln Sie auch im Salon so – bald wird dies auch im Salon vollständig ausreichend sein, und bis dahin haben Sie hier zwei Zwanziger zum Trinken und zum Imbiß; entschuldigen Sie, Wachtmeister, die Belästigung, ich würde mich für die Mühe gern erkenntlich zeigen, aber ihr lebt ja jetzt auf so vornehmem Fuß ... (Der Jüngling, Gras-Racić 1996, 352f.) (37) Er war damals fünfundreißig Jahre und besaß ein gewisses Vermögen, sogar ein ziemlich bedeutendes. Im Dienst zeichnete er sich nicht gerade durch seine besonderen Fähigkeiten aus, dafür aber auch nicht durch besondere Unfähigkeit. Er verkehrte mit allen, die zur Gesellschaft gehörten, und stand sich selbst mit den Angesehensten im Gouvernement ganz vortrefflich . (Der ewige Gatte, Rahsin 1999, 265) (38) Aber das alles ist Quatsch, sie hat sich also, als sie merkte, daß du kein Student mehr bist, keine Privatstunden mehr gibst, keine anständige Kleidung hast und sie nach dem Tode der jungen Dame keine Veranlassung mehr hatte, dich als künftiges Familienmitglied zu behandeln , da hat sie sich plötzlich erschrocken; und da du dich deinerseits in deinen Winkel verkrochen und deine früheren Beziehungen abgebrochen hattest, kam sie auf den Gedanken, dich vor die Tür zu setzen. (Verbrechen und Strafe, Geier 1994, 170)
vergessen: man kann niemals vollkommen sicher sein, dass derartige Idiome den Normen der betreffenden Epoche entsprechen bzw. entsprochen haben. Die Form na ravnoj noge “auf gleichem Fuße” ’von gleich zu gleich’ etwa war normgerecht und ist es auch heute noch; die Variante na vysšej noge “auf höchstem Fuße” ’auf einer höheren Stufe stehend’ dagegen wurde schon damals als Abweichung von der Norm empfunden. Dies geht aus der Diskussion der Personen über diesen Ausdruck in (39) hervor, wo er als Versprecher interpretiert wird und Anlass zu einem Sprachspiel gibt:
Derartige Ausdrücke kann man kaum zu den Autoridiomen zählen. Sie sind aber als Belege früherer Entwicklungsetappen der Sprache interessant. Eines sollte man freilich nicht
Dieser Typus der auktorialen Transformationen umfasst jene Idiome, die in der Sprache des Autors ihre grammatischen Eigenheiten ändern. Im Folgenden gehen wir auf drei typi-
(39) “Man muß ihn jetzt vor allem davon überzeugen, daß er mit uns allen auf gleichem Fuße steht, obwohl er von uns Geld annimmt”, fuhr Aljoscha in seinem Taumel fort, “und nicht nur auf gleichem, sondern sogar auf höherem Fuße als wir ...” “’Auf höherem Fuße ’ – das haben Sie prächtig gesagt, Alexej Fjodorowitsch, aber reden Sie weiter, reden Sie weiter!” “Das heißt, ich habe mich nicht richtig ausgedrückt ... als ich das von dem höheren Fuße sagte ... aber das macht nichts, weil ...” “Ach, es macht nichts, es macht nichts, natürlich macht es nichts! Verzeihen Sie, Aljoscha, Sie Lieber... Wissen Sie, ich habe Sie bis jetzt nicht recht geachtet ... das heißt, ich habe Sie wohl geachtet, aber nur als auf gleichem Fuße stehend , jetzt aber werde ich Sie als auf höherem stehend achten ... Sie Lieber, seien Sie mir nicht böse, daß ich solche Dummheiten rede”, fügte sie sofort pathetisch hinzu. (Die Brüder Karamasow, Ruoff/Hoffmann 1988, 292f.)
4.
Auktoriale grammatische IdiomTransformationen
33. Phraseme bei Dostoevskij
sche Subtypen auktorialer grammatischer Transformationen etwas ausführlicher ein, nämlich Ersatz eines Grammems einer grammatischen Kategorie durch ein anderes, Wechsel der kategorialen Zugehörigkeit und Veränderung des Rektionsmodells. 4.1. Ersatz eines Grammems einer grammatischen Kategorie durch ein anderes Den häufigsten Fall stellt der Wechsel des Verbalaspekts dar: (40) vylupit’ glaza [vollendeter Aspekt] → lupit’ glaza [unvollendeter Aspekt] “die Augen aufreißen” → “die Augen aufgerissen halten” ‘sehr verwundert sein’; vgl. dt. große Augen machen (40a) Lembke möchte mich zum Beamten machen, zwecks Besserung. Wissen Sie, ich behandle ihn furchtbar schlecht, das heißt, ich kompromittiere ihn, er aber reißt nur die Augen auf . Julija Michajlowna bestärkt mich darin. (Böse Geister, Geier 1998, 297) (41) šito belymi nitkami [unvollendeter Aspekt] → sšito belymi nitkami [vollendeter Aspekt] “genäht mit weißen Fäden” → “zusammengenäht mit weißen Fäden” ‘ungeschickt getarnt’ (41a) Wieder trat Schweigen ein. “Sie sind schlau; am Sonntag hatten sie sich verabredet”, brach es plötzlich aus ihm hervor. “Zweifellos!” pflichtete ich schnell bei und spitzte die Ohren. “Das war ja alles ein abgekartetes Spiel, und dazu mit weißem Faden zusammengenäht , und obendrein noch schlecht gespielt.” “Ich meinte etwas anderes. Aber wissen Sie auch, daß es absichtlich mit weißem Faden zusammengenäht war, damit es die merkten ... die es merken sollten? [...]” (Die Dämonen, Rahsin 1999, 294) Ein besonders interessantes Beispiel stellt die Transformation des Idioms sojti s uma “vom Verstand heruntergehen” ’verrückt werden’ dar, vgl. (42). (42) Hör weiter: Nun kommt dem Mitjenka sein Vater, der alte Knabe, in die Quere. Der hat doch Gruschenkas wegen ganz den Verstand verloren , dem läuft das Wasser im Mund zusammen, wenn er sie bloß sieht. (Die Brüder Karamasow, Creutziger 1994, Bd. I, 130) In (42) wird das Idiom sojti s uma mit der Rektion po komu-libo “nach jmdm.” perfektiv verwendet; im modernen Russischen dagegen nur imperfektiv. Vgl. Ona po nemu uže davno s uma sxodit “Sie geht schon lange nach ihm vom Verstand herunter” ’Sie ist nach ihm schon lange verrückt’. 4.2. Wechsel der kategorialen Zugehörigkeit (43) polivat’ pomojami kogo-libo → izlijanie pomoj “jmdn. mit Abwaschwasser anschütten” → “Ausschütten von Abwaschwasser” ‘in der Öffentlichkeit sehr schlecht über jmdn. sprechen oder mit Beschimpfungen überhäufen’; vgl. dt. jmdn. mit Schmutz bewerfen (43a) Das heißt, sie [Varvara Petrovna] hat vor, dir [Stepan Trofimovič] Ort und Zeit für eine gegenseitige Aussprache anzugeben; das sind die Reste eures sentimentalen Getues. Du hast zwanzig Jahre lang mit ihr kokettiert und hast ihr die lächerlichsten Gewohnheiten beigebracht. Aber du kannst ruhig sein, jetzt ist alles ganz anders; sie wiederholt ja selbst alle Augenblicke, daß ihr erst jetzt “die Augen aufgehen”. Ich habe ihr klipp und klar erklärt, daß eure ganzen Herzensergießungen nichts anderes waren als ein Ausschütten des Dreckeimers auf beiden Seiten. (Böse Geister, Geier 1998, 402) In diesem Fall wird der Wechsel der kategorialen Zugehörigkeit durch eine synonymische Ersetzung ergänzt: polivat’ → polivanie → izlijanie. (44) uderžat’ na kraju → uderžanie na kraju “am Rande (des Abgrunds) aufhalten” → “Aufhalten am Rande (des Abgrunds)” ‘von einer gefährlichen Handlung abhalten; vom Äußersten zurückhalten’ (44a) Pjotr Stepanowitsch bestärkte sie [Julija Mixajlovna] in ihrer ausgefallenen Idee, indem er sich bei mancher Gelegenheit ausschwieg und bei einer anderen in Anspielungen erging. Sie aber bildete sich ein, er stehe mit allem, was an revolutionären Ansätzen in Rußland zu finden war, in Verbindung, sei
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VIII. Phraseme in literarischen Texten und Autorenphraseologie/Phraseology of literary texts
aber gleichzeitig ihr bis zur Anbetung ergeben. Die Aufdeckung der Verschwörung, die Dankbarkeit Petersburgs, die sich eröffnende Karriere, die Beeinflussung der Jugend durch “Sympathie”, um sie am Rande des Abgrunds aufzuhalten – das alles vertrug sich ohne weiteres nebeneinander in ihrem phantastischen Kopf. (Böse Geister, Geier 1998, 454f.)
4.3. Veränderung des Rektionsmodells (45) pogret’ ruki na čem-libo → pogret’ ruki okolo kogo-libo “die Hände wärmen auf etw.” → “die Hände wärmen in der Nähe von jmdm.” ‘sich unehrenhaft, illegal bereichern, Vorteile verschaffen’ (45a) Das arme Ding ward sogleich zum Spielball unterschiedlichster Einflüsse und bildete sich gleichzeitig ein, sie sei absolut selbständig und originell. Viele, die solch Handwerk trefflich beherrschten, brachten durch sie ihr Schäfchen ins trockene und wußten Julija Michailownas Einfalt in der kurzen Zeit ihrer Gouverneursherrlichkeit wohl zu nutzen. (Die Dämonen, Dalitz 1994, Bd. I, 449)
5.
Auktoriale semantische IdiomModifikationen
Bei der semantischen Variation wird die Bedeutung des Idioms in irgendeiner Weise verändert. Im einfachsten Fall äußert sich die Bedeutungsmodifikation in einer Veränderung der semantischen Kombinatorik. So wird das Idiom (46) üblicherweise im Zusammenhang mit irgendeiner Handlung, die dem gesellschaftlichen Ansehen einer Person schadet, verwendet; in (46a) jedoch bezieht es sich auf das Verfassen von Gedichten, das wohl kaum als verwerflich zu gelten hat. Vgl. auch die Verwendung des Idioms (47) in (47a): das Idiom wird hier nicht – wie es der kombinatorischen Norm entspräche – mit Verben wie peredat’ “ausrichten” gebraucht (vgl. etwa Ne bespokojsja – ja peredal vsë slovo v slovo “Mach dir keine Sorgen, ich habe alles Wort für Wort ausgerichtet”). (46) marat’ ruki “die Hände schmutzig machen” ‘an einer (moralisch) schlechten Sache
beteiligt sein’; vgl. dt. sich die Hände schmutzig machen (46a) Vorher jedenfalls war er mal hier, und da hatte er das Gedichtchen verfaßt. “Zum erstenmal”, sagte er, “mach ich mir die Hände mit so was schmutzig : Verse schreiben! Aber bloß zum Einfangen tu ich’s, für einen guten Zweck. Wenn ich dem dummen Weib das Kapital abnehme, kann ich gesellschaftlichen Nutzen bringen.” (Die Brüder Karamasow, Creutziger 1994, Bd. II, 413) (47) slovo v slovo “Wort in Wort” ‘Wort für Wort’ (47a) Er senkte schnell die Augen, stützte beide Hände auf die Knie und wartete ungeduldig. Tichon sprach die Stelle Wort für Wort ... (Bei Tichon, Geier 1998, 567) Recht häufig kommt es allerdings zu einer radikalen Bedeutungsveränderung, vgl. die Verwendung des Idioms (48) in (48a). (48) smotret’ skvoz’ pal’cy “durch die Finger sehen” ‘etw. Verurteilungswürdiges absichtlich übersehen’; vgl. dt. ein Auge zudrücken; durch die Finger sehen (48a) Diese alle, und Sie mit ihnen, haben das russische Volk einfach übersehen , und Belinskij ganz besonders; das sieht man schon allein an diesem Brief an Gogol. (Böse Geister, Geier 1998, 51) In diesem Beispiel wird das Idiom smotret’ skvoz’ pal’cy (im Unterschied zu beispielsweise (48b)) nicht in der gewöhnlichen Bedeutung, sondern in der Bedeutung ’nicht verstehen, nicht (ein)schätzen (können)’ verwendet. (48b) Ungeachtet aller Brandmale, Ketten und des verhaßten Palisadenzauns, der ihn von Gottes weiter Welt ausschließt und ihn wie ein Tier im Käfig gefangen hält – für Geld kann er sich doch Branntwein verschaffen, das heißt soviel wie einen strengstens verbotenen Genuß; für Geld kann er sogar Frauenzimmer besuchen, kann er zuweilen sogar (wenn auch nicht immer) seine nächsten Vorgesetzten bestechen, die Invaliden und selbst den Unteroffizier, die dann ein Auge zudrücken , wenn
33. Phraseme bei Dostoevskij
er gegen das Gesetz und die Disziplin verstößt [...]. (Aufzeichnungen aus einem Totenhaus, Rahsin 1999, 125) Es ist zu beachten, dass die unter 3 bis 5 besprochenen Idiom-Modifikationen von der Norm der modernen russischen Schriftsprache ausgehend betrachtet werden. Eine andere Frage ist es, wie sich diese Variationen bezüglich der Norm der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verhalten. Da die Wörterbücher jener Zeit (Dal’ 1994; Mixel’son 1912) in äußerst unbedeutendem Maß die tatsächliche Funktionsweise der Idiomatik dokumentieren, ist leider nicht genug verlässliche Information über den Gebrauch der Idiome im 19. Jahrhundert vorhanden.
6.
Eigentliche Autorenidiome
Schließlich sind die Autorenidiome im eigentlichen Sinne zu nennen. Es handelt sich hierbei um Wortverbindungen, die oft nur von einem bestimmten Autor verwendet werden und gewisse bedeutungsidiomatische Eigenschaften aufweisen. Ein Beispiel dieser Art stellt das Idiom ssora/spor zub na zub “ein Zank/ein Streit Zahn auf Zahn” ’ein erbitterter Zank/Streit’ dar, dass dem Material nach zu schließen rein auktorialen Charakter hat, siehe z.B. Dostoevskijs “Petersburger Chronik”. Als ein weiteres Beispiel könnte man hier das Idiom v prax “in Staub” ’zu Staub’ anführen, das in verschiedenen Werken Dostoevskijs in der Funktion eines Intensivierers bei emotionale Zustände ausdrückenden Prädikaten vorkommt, vgl. (49) und (50). (49) Nach der Krankheit übersandte ihm [Šatov] Warwara Petrowna heimlich und ungenannt hundert Rubel. Er erfuhr aber schließlich doch, von wem die Summe stammte, sann lange nach, nahm sie dann an und ging geraden Weges zu Warwara Petrowna, um sich bei ihr zu bedanken. Sie empfing ihn überaus herzlich, aber auch diesmal enttäuschte er schmählich ihre Erwartungen: er saß ihr nur etwa fünf Minuten gegenüber, schwieg unentwegt, sah stumpfsinnig zu Boden, lächelte dumm, und plötzlich – gerade an der interessantesten Stelle dessen, was sie ihm erzählen wollte – stand er auf, machte eine linkische Verbeugung, verging dabei fast vor Scham , stieß dann noch an irgendetwas
375
an und ... hinter ihm lag Warwara Petrownas kostbares, mit kunstvoller Einlegearbeit verziertes Nähtischchen zerbrochen am Boden [...]. (Die Dämonen, Rahsin 1999, 43) (50) Mit einem Wort, er [der Häftling] kann prassen und Lärm schlagen, kann sogar einen anderen unter die Füße treten und ihm beweisen, daß er alles das wirklich kann, daß es in seiner Macht liegt, [...]. (Aufzeichnungen aus einem Totenhaus, Rahsin 1999, 125f.) Eine Analyse der Werke Gogol’s, Turgenevs und Čexovs hat ergeben, dass sich bei diesen Autoren kein derartiges Idiom findet. Vertreten sind lediglich Idiome wie razbit’/rassypat’sja v prax “in Staub zerbrechen/zerfallen” ’zu Staub zerbrechen/zerfallen’ oder obratit’ v prax kogo-libo/čto-libo “jmdn./etw. in Staub machen” ’jmdn./etw. zu Staub werden lassen’, das die Idee der Zerstörung zum Ausdruck bringen, sowie quasiidiomatische Ausdrücke wie past’/upast’ v prax pered kem-libo “in Staub fallen vor jmdm.” ’vor jmdm. niederfallen’. Eine autorenspezifische Gebrauchsweise des Idioms v prax, die seiner Verwendung bei Dostoevskij sehr nahe ist, findet sich auch in Werken einiger bekannter Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, z.B. Tyn’janov, Platonov, Jan. In diesen Texten fungiert v prax als ein mehr oder weniger universeller Intensivierer bei Prädikaten verschiedener semantischer Klassen. Eine derartige Erweiterung des kombinatorischen Profils von v prax wird offensichtlich durch das Sprachsystem unterstützt. Dadurch wird weder die Kernsemantik des Idioms v prax noch seine Paradigmatik beeinträchtigt, d.h. die semantischen Relationen zwischen diesem Idiom und anderen quasisynonymen Intensivierern werden nicht wesentlich verändert. Daraus folgt, dass Dostoevskij das ganze Potential des Sprachsystems ausschöpft, ohne dabei mit seinen Prinzipien in Konflikt zu kommen. Es gibt noch weitere Aspekte des autorenspezifischen Idiomgebrauchs, die aus linguistischer Perspektive von Interesse sind. Das sind im Unterschied zu den oben besprochenen Fällen nicht idiombezogene Phänomene, sondern kontext- und textbezogene Erscheinungen (vgl. dazu auch Baranov/Dobrovol’skij 2005a). Dazu zählen wir vor allem:
376
VIII. Phraseme in literarischen Texten und Autorenphraseologie/Phraseology of literary texts
Beschreibung der makrostrukturellen Funktion der Idiome, d.h. ihrer Rolle bei der Entfaltung des Sujets und bei der Einführung bestimmter Themen in den Text und Beschreibung kombinatorischer Charakteristika des Idiomgebrauchs, insbesondere ihrer Kombination mit verschiedenen Modalwörtern und anderen phraseologischen Einheiten. Wir gehen nun – mit Bezug auf den Idiomgebrauch in Dostoevskijs Prosa – auf diese beiden Aspekte kurz ein.
7.
Makrostrukturelle Funktion der Idiome
Die Makrostruktur eines Textes wird in der linguistischen Literatur von zwei Gesichtspunkten aus betrachtet. Einerseits kann der Text als abgeschlossene Folge von Sujetelementen unterschiedlicher Komplexität aufgefasst werden. Als solche Elemente können zum Beispiel Exposition, Episoden, Thema, Ereignis, Ziel-Versuch-Resultat, Ende/Beendigung auftreten (Baranov/Paršin 1990; Cimburskij 1990). In Bezug auf die Figuren sind dies äußere Sujeteigenschaften eines Textes. Bei einem solchen Zugang können Idiome offensichtlich als Marker einzelner Komponenten der Makrostruktur oder als Marker des Übergangs von einer Makrostrukturkomponente zur anderen funktionieren. Andererseits kann die Entwicklung eines Sujets nicht nur als formale Abfolge von Episoden, Ereignissen etc. betrachtet werden, sondern auch als Wechsel der kognitiven Zustände der Figuren. Am besten wird dieser Aspekt des Inhaltsplans eines Textes durch den metasprachlichen Apparat von Wendy Lehnert erfasst (Lehnert 1981; Alker 1987). Nach Lehnert können kognitive Zustände einer Figur als strukturelle Kombinationen elementarer Zustände (affektiver Einheiten) dargestellt werden. Das Sujetelement “erfolgreiche Realisierung eines Vorhabens” lässt sich z.B. als Abfolge kognitiver Zustände – von der Motivation eines Planes bis zu seiner Aktualisierung – beschreiben (Lehnert 1981). Die Idiome in den literarischen Texten Dostoevskijs verhalten sich durchaus nicht indifferent gegenüber den Zuständen der handelnden Personen. Sehr häufig “verraten” sie diese oder jene Vorstellung der Figuren in verschiedenen Situationen und fungieren als
sprachliche Charakteristik ihres kognitiven Zustandes. So weist etwa die hohe Frequenz von idiomatischen Schimpfausdrücken (besonders mit der Komponente čert “Teufel”) in der Sprache Pëtr Verxovenskijs auf seinen konfliktorientierten Denkstil und auf eine aggressive Grundstimmung hin. Einige Ideen ziehen sich durch Dostoevskijs Gesamtwerk und sind charakteristisch für seine Auffassung der Wirklichkeit. So könnte die Idee der “Ambivalenz und Unbestimmtheit” der Realität und insbesondere menschlichen Denkens und Verhaltens zu diesen konzeptuellen Konstanten gezählt werden. Diese Idee könnte man auch etwas anders formulieren: alles Seiende ist dermaßen komplex, dass nichts mit Sicherheit gesagt werden kann, jede Wahrheit enthält Elemente der Lüge und umgekehrt – in jeder Lüge ist auch Wahrheit. Dies betrifft insbesondere die moralische Bewertung menschlichen Verhaltens. Die Idee der universellen Unbestimmtheit wird auf mehreren Textebenen realisiert; sie spiegelt sich auch in der Spezifik des Idiomgebrauchs wider. Als ein Beispiel dieser Art kann die Frequenzdistribution der quasisynonymen schwachidiomatischen Phraseme po krajnej mere “nach äußerstem Maße” und po men’šej mere “nach geringstem Maße” dienen, die in etwa den deutschen Ausdrücken wenigstens, zumindest, immerhin, mindestens entsprechen. Die Analyse der künstlerischen Prosa von Dostoevskij hat ergeben, dass auf jede Verwendung von po men’šej mere 342,5 Verwendungen von po krajnej mere kommen: 685 Tokens von po krajnej mere und 2 Tokens von po men’šej mere. Die Frequenzdistribution dieser Idiome in der modernen Literatur sieht völlig anders aus. Die Analyse von Corpora der russischen Literatur der 1960er bis 1990er Jahre ergibt das Verhältnis von 1 (po men’šej mere) zu 4,1 (po krajnej mere). Man könnte meinen, dass diese Unterschiede in der Frequenzdistribution durch sprachgeschichtliche Entwicklung bedingt sind, d.h. dass po krajnej mere im 19. Jahrhundert generell viel gebräuchlicher was als po men’šej mere. Dem ist aber nicht so. Allein die Analyse des Gogol’-Corpus zeigt, dass das Verhältnis in der Frequenz der beiden Ausdrücke anders war als bei Dostoevskij: auf 1 Token von po men’šej mere kommen 83 Tokens von po krajnej mere. Es ist anzunehmen, dass die publizistischen Texte der damaligen Zeit einen noch geringeren Unterschied in der Fre-
33. Phraseme bei Dostoevskij
quenz der beiden Idiome aufzeigen, so dass ihre Distribution der heutigen Norm noch näher kommt. Mit anderen Worten, po krajnej mere gehört zu auktorialen Frequentalien von Dostoevskij und drückt die Spezifik seines Autorenstils und seiner Weltanschauung aus. Der wichtigste diskursive Unterschied zwischen po krajnej mere und po men’šej mere besteht darin, dass das Idiom po krajnej mere – im Gegensatz zu po men’šej mere – für die Abschwächung der vorhergehenden Behauptung benutzt wird. Vgl. (51). (51) [...] weil wir, die Russen, nicht imstande sind, in unserer Sprache überhaupt etwas zu sagen ... Wenigstens < po krajnej mere “nach äußerstem Maße”> haben wir bis jetzt noch nichts gesagt. (Böse Geister, Geier 1998, 81) Die Behauptung, dass “wir, die Russen, nicht imstande sind, in unserer Sprache überhaupt etwas zu sagen”, ist viel stärker als die darauf folgende Präzisierung: “wenigstens haben wir bis jetzt noch nichts gesagt”. Im Gegenteil, das Idiom po men’šej mere dient im Diskurs zur Verstärkung der Behauptung, macht sie eindeutiger (vgl. Baranov 1996). Die Abschwächung der Behauptung kann als ein typisches Ausdrucksmittel der Idee der “Ambivalenz und Unbestimmtheit” betrachtet werden. Aus diesem Grund gehört po krajnej mere – im Gegensatz zu po men’šej mere – zu Lieblingsausdrücken von Dostoevskij. Die Tendenz zur Abschwächung der Behauptung wird auch durch den häufigen Gebrauch verschiedenartiger Lexeme mit restringierender Semantik in seinen Werken bestätigt; vgl. dazu Abschnitt 8. Ein anderes Beispiel ist Idiom palka o dvux koncax “Stock mit zwei Enden” ’ambivalente Sache’. In der Rede des Verteidigers Dmitrij Karamazovs manifestiert sich die Idee der Unbestimmtheit u.a. in diesem Idiom und seinen Varianten. Faktisch erfüllt dieses Idiom eine textbildende Funktion. Die Analyse des betreffenden Textabschnitts (vgl. Baranov/Dobrovol’skij 2005a) zeigt, dass das Idiom palka o dvux koncax sowie seine Varianten gewöhnlich an strukturell hervorgehobenen Textstellen platziert sind: metatextueller Kommentar bzw. Ende des illokutiv geschlossenen Argumentationsfragmentes. Außerdem erscheint dieses Idiom in einer thematisch markierten Position, nämlich in der Einführung des Hauptthemas, welches
377
gleichzeitig auch die Grundthese der Verteidigung ausmacht. Idiome können auch in einer etwas anderen Funktion auftreten – und zwar als Marker bestimmter Sujetelemente (Dobrovol’skij 1995, 213ff.). Das Idiom taucht in verschiedenen Romanabschnitten auf und führt so in die Erzählstruktur Verweise auf durch bestimmte Ereignisse, Ideen etc. bedingte kognitive Zustände der Figuren ein. Eine solche Rolle spielt offensichtlich das Autorenidiom ženit’sja na čužix grexax “fremde Sünden heiraten”, das relativ häufig in den “Bösen Geistern” vorkommt, in anderen Werken Dostoevskijs hingegen nicht vertreten ist. Dieses Idiom wird (in reduzierter Form – “Čužie grexi” = “Fremde Sünden”) zum ersten Mal in der Überschrift des dritten Kapitels erwähnt. Im Weiteren kommt es überall dort vor, wo es um die Heirat Stepan Trofimovič Verxovenskijs mit Marija Šatova geht, und zwar interpretiert aus der Perspektive Stepan Trofimovičs. Dieser versteht die geplante Heirat als Anschlag auf seine Ehre, da die Braut in seiner Vorstellung die Geliebte Nikolaj Stavrogins war. Vgl. (52). (52) Auch ich möchte glauben, daß es Blödsinn ist, und ich höre es mit großer Betrübnis, weil immerhin eine hochedle junge Dame ins Gerede kommt, erstens wegen siebenhundert Rubeln und zweitens wegen offensichtlicher Intimitäten mit Nikolaj Wsewolodowitsch. Denn was kostet es schon Seiner Exzellenz, ein unbescholtenes junges Mädchen oder die Ehefrau eines anderen in Verruf zu bringen, ähnlich, wie es damals in meinem Hause war? Und wenn sich in ihrer Nähe ein Mann findet, der die Hochherzigkeit in Person ist, werden sie ihn dazu bringen, mit seinem ehrlichen Namen fremde Sünden zu decken. (Böse Geister, Geier 1998, 138) Im weiteren Romanverlauf wird dieses Idiom immer wieder zitiert und der Leser so auf das entsprechende Sujetelement verwiesen; vgl. (53) und (54). (53) Mit einem kläglichen und verstörten Lächeln, einem Lächeln der Scham, der völligen Verzweiflung und gleichzeitig seltsamen Verzückung, blieb er [Stepan Trofimovič] einen Augenblick stehen und flüsterte mir zu: “Ich kann doch nicht ‘fremde Sünden’ heiraten !“ (Böse Geister, Geier 1998, 139) (54) “Dummheit, Dummheit!” griff er [Stepan Trofimovič] geradezu bereitwillig auf. “Sie haben noch nie etwas Klügeres gesagt! C’était bête, mais que faire, tout est dit. Ich heirate sowieso, auch wenn es ‘fremde Sünden’ sind, wozu mußte ich überhaupt schreiben? Nicht wahr?“ (Böse Geister, Geier 1998, 161) Das Auftauchen dieses Idioms verweist den Leser offensichtlich auf ein bestimmtes Sujetfragment und einen bestimmten Ideenkomplex. In diesem Sinne kann man von einer anaphorischen Funktion der Idiomatik in einem literarischen Text sprechen. Da jedes anaphorische Element vom Ausdrucksplan her wesentlich kürzer ist als das Antezedens, kann man auch von einer “Zusammenfaltung” oder “Kondensierung” gewisser Textfragmente sprechen. Die Anaphorisierung und die “Zusammenfaltung” einer Textkomponente weisen auf ihre Bedeutung für die Erzählstruktur hin.
8.
Kombinatorische Charakteristika des Idiomgebrauchs
Es geht hier um die Bedingungen der Kombination von Idiomen mit anderen Wörtern und Ausdrücken im Diskurs. Mit Ausnahme einzelner Beobachtungen, die sich in der Regel auf die Modalität der Aussage bestimmende Ausdrücke beziehen, wird diese Frage in den vorhandenen Arbeiten zur Phraseologie überhaupt nicht berührt. Dabei birgt die Autorenidiomatik reiches Material für derartige Untersuchungen. Für den Stil Dostoevskijs ist der häufige Gebrauch von restringierenden Lexemen (hedges nach Lakoff 1973) charakteristisch, von Einheiten wie počti, vrode, kak by (vgl. im Deutschen fast, so wie, als ob, gleichsam, quasi), die die Verantwortung des Sprechers für seine Aussage mehr oder weniger stark abschwächen. Da Idiome häufig eine stark metaphorische Komponente enthalten, ist ihre Ergänzung durch restringierende Lexeme naheliegend. Dostoevskij jedoch benutzt nicht für Idiome übliche Restringenten wie bukval’no “buchstäblich”, po obraznomu vyraženiju “bildlich ausgedrückt”, kak govoritsja “wie man sagt”, čut’ ne “beinahe” (vgl.
dazu Dobrovol’skij/Lûbimova 1993), sondern Lexeme, die zumindest in der heutigen Sprache in Kombination mit Idiomen nicht mehr gebraucht werden. Vgl. etwa die Verwendung eines der beliebtesten Hedges kak by “quasi, gleichsam” in den Romanen “Böse Geister”, “Verbrechen und Strafe” und “Die Brüder Karamasow”. (55) Man hätte dies für einen reinen Schulbubenstreich halten können, selbstverständlich für einen unverzeihlichen, später jedoch wurde erzählt, daß er im Augenblick der Tat fast nachdenklich gewirkt habe, “ganz genau so, als hätte er den Verstand verloren” ; allerdings war es eine ziemliche Weile später, daß man sich daran erinnerte und alles erwog. (Böse Geister, Geier 1998, 60) Im letzten Beispiel werden neben kak by “quasi, gleichsam” auch noch das HedgeWort točno “genau” ’wie’ und Anführungszeichen verwendet, was die Distanz zwischen Sprecher und Aussage noch vergrößert. (56) “Raus! Es ist noch zu früh! Du mußt warten, bis man dich ruft! ... Warum habt ihr ihn zu früh gebracht?” murmelte Porfirij Petrowitsch verärgert, wie aus dem Konzept gebracht . (Verbrechen und Strafe, Geier 1994, 475) (57) Sie sprang auf wie außer sich und ging händeringend bis in die Mitte des Zimmers, drehte sich aber sofort um und setzte sich wieder neben ihn, so daß sich ihre Schultern fast berührten. (Verbrechen und Strafe, Geier 1994, 556) (58) Der junge Mann war bestürzt, argwöhnte Unrecht, Betrug, geriet fast außer sich und schien den Verstand zu verlieren . (Die Brüder Karamasow, Ruoff/Hoffmann 1988, 20) Das letzte Beispiel ist besonderes interessant, weil es innerhalb eines Satzes zwei Idiome mit ähnlicher Bedeutung und jeweils eigenem Hedge enthält.
379
33. Phraseme bei Dostoevskij
Es sei darauf hingewiesen, dass die häufige Verwendung von Hedges bei Dostoevskij als weiteres Mittel zur Darstellung seiner Idee der universellen Unbestimmtheit betrachtet werden kann, da jeder derartige Ausdruck die Verantwortung des Sprechers für die Proposition seiner Aussage abschwächt.
Der ewige Gatte. In: Der Spieler. Späte Romane und Novellen. Übers. von E. K. Rahsin. 17. Aufl. München, 1999.
9.
10.2. Wörterbücher
Schlussbemerkungen
Die Untersuchung der Autorenidiomatik gestattet, das Potential des Sprachsystems zu ermitteln. Während der “standardmäßige” Idiomgebrauch nur das bereits Konventionalisierte zum Ausdruck bringt, schöpft ein bedeutender Schriftsteller als ein in hohem Maße kreativer Sprachteilhaber aus dem ganzen Bereich des potenziell Erlaubten. Alles, was das Sprachsystem grundsätzlich zulässt, was aber im Usus nicht unbedingt realisiert wird, kann in der künstlerischen Prosa realisiert werden. In diesem Sinne stellt die Autorenidiomatik auch vom rein linguistischen Standpunkt aus eine bedeutendes Interesse dar. Genauso wie das Metaphernsystem können die Idiome Ideen, die für den betreffenden Autor besonders wichtig sind, profilieren. Im Falle von Dostoevskij ist das vor allem die Idee der Komplexität des Seienden. Die Konsequenz, die daraus gezogen wird, ist, dass jede Behauptung, die ein Mensch aufstellen kann, letzten Endes nur zum Teil wahr ist und notwendigerweise Elemente der Lüge enthält. Folglich darf nichts mit Bestimmtheit behauptet werden. Der Idiomgebrauch spiegelt diese Grundidee wider.
10. Literatur (in Auswahl) 10.1. Zitierte Werke F.M. Dostoevskijs Die Dämonen. Übers. von E. K. Rahsin. 22. Aufl. München, 1999. Die Dämonen. Übers. von G. Dalitz. Berlin, 1994. Böse Geister. Übers. von S. Geier. Zürich, 1998. Bei Tichon. In: Böse Geister. Übers. von S. Geier. Zürich, 1998. Die Brüder Karamasow. Übers. von H. Ruoff und R. Hoffmann. 11. Aufl. München, 1988. Die Brüder Karamasow. Übers. von W. Creutziger. Berlin, 1994. Verbrechen und Strafe. Übers. von S. Geier. 5. Aufl. Zürich, 1994. Der Jüngling. Übers. von M. Gras-Racić. 5. Aufl. München, 1996.
Der Spieler. Übers. von W. Creutziger. In: Der Spieler. Späte Prosa. Berlin, 1994.
Aufzeichnungen aus einem Totenhaus und drei Erzählungen. Übers. von E. K. Rahsin. 11. Aufl. München, 1999.
Dal’, V. I. (1994): Tolkovyj slovar’ živogo velikorusskogo jazyka, v 4-x tomax. Moskva [Reprint der Ausgabe von 1903–1909]. Mixel’son, M. I. (1912): Russkaja mysl’ i reč’: Svoe i čužoe. Opyt russkoj frazeologii. Sankt-Peterburg.
10.3. Literatur Alker, H. R. (1987): Fairy tales, tragedies and world histories: towards interpretive story grammars of possibilist world models. In: Behaviormetrika 21, 1–28. Baranov, A.N. (1996): Služebnye slova kak ob"ekt issledovanija avtorskoj leksikografii (po krajnej mere vs. po men’šej mere v xudožestvennyx tekstax Dostoevskogo). In: Karaulov, Ju. N. (ed.): Slovo Dostoevskogo. Moskva, 110–136. Baranov, A.N./Dobrovol’skij, D.O. (2005a): Idiome bei F.M. Dostoevskij. In: Breiteneder, E./Dobrovol’skij, D. O. (Hrsg.): Dostoevskij in Focus: Textlexikographie und Phraseologie. Wien, D92-D147. Baranov, A.N./Dobrovol’skij, D.O. (2005b): Zum Idiombegriff. In: Breiteneder, E./Dobrovol’skij, D. O. (Hrsg.): Dostoevskij in Focus: Textlexikographie und Phraseologie. Wien, D28-D91. Baranov, A.N./Paršin, P.B. (1990): Varianty i invarianty tekstovyx makrostruktur (k formirovaniju kognitivnoj teorii teksta). In: Berezin, F. M. (ed.): Problemy jazykovoj variativnosti. Moskva. Cimburskij, V.L. (1990): Makrostruktura povestvovanija i mexanizmy ego social’nogo vozdejstvija. In: Sergeev, V. M. (ed.): Kognitivnye issledovanija za rubežom. Moskva, 34–61. Dobrovol’skij, D. (1995): Kognitive Aspekte der Idiom-Semantik. Studien zum Thesaurus deutscher Idiome. Tübingen. Dobrovol’skij, D. (2003): Idiome in den Werken von Dostoevskij und in ihren deutschen Übersetzungen. In: L’espace euro-méditerranéen: une idiomaticité partagée. Europhras & Rencontres linguistiques méditerranéennes. Hammamet, 12. Dobrovol’skij, D. (2004): Idiome und Übersetzung literarischer Texte. In: Brdar-Szabó, R./Knipf-Komlósi, E. (Hrsg.): Lexikalische Semantik, Phraseologie und Lexikographie: Abgründe und Brücken. Festgabe für Regina Hessky. Frankfurt am Main, 273–284.
380
VIII. Phraseme in literarischen Texten und Autorenphraseologie/Phraseology of literary texts
Dobrovol’skij, D./Lûbimova, N. (1993): “Wie man so schön sagt, kommt das gar nicht in die Tüte”. Zur metakommunikativen Umrahmung von Idiomen. In: Deutsch als Fremdsprache 3, 151–156. Lakoff, G. (1973): Hedges. A study in meaning criteria and the logic of fuzzy concepts. In: Journal of Philosophical Logic 2, 458–508.
Lehnert, W.G. (1981): Plot units and narrative summarization. In: Cognitive Science 5, 293–331.
Anatolij Baranov Dmitrij Dobrovol’skij, Moskau (Russland)
IX. Sprichwörter/Proverbs 34. Proverbs as set phrases 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Introduction Proverb definitions Proverb syntax Proverbs in discourse Proverb pragmatics Proverb imagery Proverb interpretation and the Great Chain Metaphor 8. Semantic relations between proverbs 9. Semantic properties of individual proverbs 10. Select bibliography
1.
Introduction
We should remind ourselves at the outset that the linguistic units called proverbs in a culture constitute a diverse, organically emergent and emerging hodge-podge. Lexica and anthologies can mislead us into thinking there is some fixed, monolithic group of items called proverbs – as opposed to an ad hoc grouping of recurrent sayings from the discourses of a language community. There is no a priori reason to expect the proverbs of a community to instantiate a coherent syntactic type or to express a consistent set of propositions. We should not expect to discover a single characteristic “proverbiality” or a single inclusive definition of the proverb, and we should not be surprised when isolated proverbs contradict each other. Hence Taylor’s (1962) famous remark that the definition of the proverb is too difficult to reward the effort. What we generally call proverbs are traditional/recurrent, pithy, often formulaic and/or figurative, fairly stable and generally recognizable units. Proverbs are generally used to form a complete utterance, make a complete conversational contribution and/or to perform a speech act in a speech event. This differentiates them from non-sentential items like proverbial phrases, idioms, binomials etc. Proverbs make apodictic statements like Money talks or they evoke a scenario applicable to a range of analogous situations, as in Little strokes fell great oaks. In supplying readymade responses to recurrent types of situations, proverbs seem to suggest particular evaluations or courses of action. Proverbs have been studied from numerous perspectives and for many different purposes.
Proverbs can be studied as little texts complete in themselves, in their relations to other proverbs, in their discourse contexts and within their cultural matrix. Proverbs count as lexemes in some perspectives, but they also display internal structures. They unite features of the lexeme, set phrase, text and quote. They provide highly recognizable, (relatively) fixed textual building blocks with unique rhetorical potential. Proverb variation by text and by speech community raises interesting issues as well. Formally, they illustrate interesting patterns of prosody, parallelism, syntax, lexis and imagery. Because of their imagery, proverbs provide evidence of stereotypes and standard cultural metaphors. These properties further make proverbs valuable in psycholinguistic testing. Their cultural salience renders proverbs interesting in crosscultural comparison as well, including questions of intercultural transmission and translation.
2.
Proverb definitions
Despite Taylor’s warning about defining the proverb, paremiologists have proposed various sorts of definitions through the years. Proverb scholars have repeatedly stressed the traditional nature of proverbs as items of folklore, including their common use in recurring verbal performances (see, e.g., Seiler, 1922; Firth, 1926; Taylor, 1950 among many others). Certainly, we must insist on currency in some linguistic community. Didactic content has also been consistently predicated of proverbs (e.g. by Seiler, 1922; Firth, 1926; Abrahams, 1968). The didactic tendency may take the direct form of a prescriptive rule, as in Look before you leap, or the indirect form of a general observation, as in Soon gotten, soon spent. Jolles (1930) objects to calling proverbs didactic in the first direct sense, allowing only the empirical interpretation of proverb content as general observations. Still, it makes sense to distinguish, first, the neutral ideational meaning of proverb, second, the reason for use or illocutionary point in some context, and, third, the effect or perlocutionary force, so that we can
382
say some proverbs explicitly express a social injunction, others are often used with didactic force, and others may suggest a course of action to a listener in context. Either way, requiring didactic tendency would eliminate many items regularly included in the category of proverbs, in particular those bound to specific situations like Long time no see as a greeting formula or A little bird told me as a way to avoid divulging the source of information. Metaphoricity is also often included among the required features of a proverb. Thus, Barley (1972) distinguishes literal traditional sayings from necessarily metaphorical proverbs, terming the former maxims; Greimas (1970) draws a parallel distinction between the figurative proverbe and the literal dicton. At the same time, other writers like Taylor (1950) and Hain (1963) consider metaphoricity a common attribute of proverbs rather than a defining property as such. Moreover, as Seiler (1922) and others have noted, metaphoricity is a matter of degree rather than an absolute dichotomy, so that the distinction between proverbs and literal sayings would have to be a gradual one as well. Furthermore, many proverbs may vary by use between literal and metaphoric interpretation. It never rains but it pours can occur in the literal context of a real rain storm or with metaphorical reference to a streak of bad luck. Strictly speaking, metaphoricity is a matter of proverb use rather than an internal semantic property of proverbs themselves. Like metaphoricity, prosody is often counted among the typical, but not necessary, features of proverbs, e.g., by Seiler (1922), Hain (1963) and Abrahams (1968). Besides rhyme as in Birds of a feather flock together, alliteration as in Live and let live, and assonance as in Strike while the iron is hot, Taylor (1962) identifies various metrical patterns and parallelism characteristic of proverbs. Related to prosody is the tendency for proverbs to display certain word-order patterns, e.g., shorter elements first, longer elements toward the end (Panini’s Law), as in Here today, gone tomorrow; see Cooper and Ross (1975) and Norrick (1985, 47–49). Prosody and regular patterning make proverbs both more memorable and more recognizable in context. Barley (1974a, 880) argues that in defining items of folklore we should “forget the genres and concentrate on the features”, and he de-
IX. Sprichwörter/Proverbs
velops a feature-matrix definition for the proverb and related items. In abbreviated form: proverb riddle maxim proverbial phrase
statement + + -
fixed + + +
metaphorical + +/+
Norrick (1985) makes a further attempt in this direction, arguing for prioritization of certain features and using different sets of features for ethnographic and supercultural proverb definition; see also Harnish (1993). However, it is necessary with culturally determined items like proverbs, as with other areas of language use, to recognize the fuzziness of the category and the scalar application of features. Wittgenstein (1953) showed that cultural institutions like “game” could only be defined as families of related activities, rather than in a feature-by-feature manner, and this holds for institutionalized sayings like proverbs as well. Probably no single proverb unites all the characteristics we imagine to be prototypical. Among those proverbs we might consider prototypical, there are, first, proverbs which sketch a scenario generalizable to comment on a range of analogous situations like: The early bird catches the worm; A rolling stone gathers no moss; A stitch in time saves nine. Second, there are formulaic examples, which tend to make a literal statement such as: Like father, like son; The more haste, the less speed; Easy come, easy go; Better late than never. A few common formulaic proverbs may evoke a scenario as well, e.g., Once bitten, twice shy; When it rains, it pours; Fair weather after foul. Third, there are those proverbs which make a specific statement about a particular matter, usually in less strikingly figurative language like: Money talks; Time flies; Beauty’s only skin deep. The attempt to discover a definition of proverbiality based on specific properties is probably just as fruitless as a definition of the proverb itself in such terms. The notion of proverbiality is itself even more clearly a matter of prototypicality (compare Arora 1984). Honeck and Welge (1997, 617) develop a scale of proverbiality based on “characteristics shown by the prototypical best proverbs”. Their definition contains characteristics like “nonliteral in relation to a topic”, “use of poe-
383
34. Proverbs as set phrases
tic features”, and “nonhackneyed”, but these features themselves cry out for definition. Moreover, according to such criteria, there can be no clear line between proverbs, clichés, literary allusions and popular sayings like: When you’re hot you’re hot; All the world’s a stage; Fools rush in where wise men fear to go; It’s just like déjà vu all over again. What counts for all such sayings is currency in community discourse in relatively stable form. This fact presents a problem for any effort to define the proverb in purely structural terms. Two noteworthy attempts in this direction are Milner (1969a, 1969b) and Dundes (1975). Milner (1969a, 200) argues that the most characteristic form of the traditional saying “consists of a statement in four parts”, whereby each part can be assigned a positive or negative value and the four parts naturally group into two halves. Then, for each half, two plus or two minus signs yield a plus, and the combination of a plus and a minus yields a minus. Milner develops analyses like the following for proverbs. + + + new brooms —————————————— + + + sweep clean + + + a fair exchange —————————————— + is no robbery
Dundes (1975) argues that Milner’s assignment of values and configurations turns into a system of classification rather than a definition as such. Dundes further develops the basic idea of a structural definition of the proverb. He says, first, that only underlying formulas provide the basis for definition, and, second, that the basic unit of classification is a descriptive element consisting of a topic and a comment – an analysis parallel to that Georges and Dundes (1963) had proposed for riddles. A proverb may consist of a single descriptive element, e.g., Opposites attract, though examples with multiple descriptive elements are statistically more common. On this basis, Dundes distinguishes equational proverbs like Time is money from oppositional proverbs, which in turn may involve simple negation as in All that glitters is not gold or more complex oppositions as in Bet-
ter buy than borrow and You can’t have your cake and eat it. Ultimately Dundes’ analysis ends up as a classification system for proverbs as well. Simply saying proverbs are analyzable into two halves and four quarters or into descriptive elements consisting of topic-comment pairs provides little basis for defining proverbs without showing the various ways proverbs instantiate these structures, so that any definition must include a system of classification. Moreover, the topic-comment definition Dundes proposes is functional rather than structural at base. It ultimately derives from the theme-rheme distinction within the Functional Sentence Perspective (FSP) analysis of the Prague School of Linguistics. And it is precisely the functional – as opposed to structural–basis of this approach which allows for parallel analyses of such structurally distinct proverbs as: Monkey see, monkey do (Noun Verb); Easy come, easy go (Adverb Verb); Out of sight, out of mind (Preposition Noun); No pain, no gain (Determiner Noun).
These proverbs each contain paired descriptive elements as shown, each structurally distinct yet functionally identifiable as themerheme descriptive elements. This is the genius of FSP analysis; and this functional approach will underlie any comprehensive proverb analysis. We require a functional definition of the proverb in any case, since we must continue to recognize, e.g., Live and learn as a binomial in structural terms (Verb Conjunction Verb), even though it functions as a proverb. These remarks on structural and functional proverb definitions with their systems of classification lead us into the area of proverb syntax.
3.
Proverb syntax
We said proverbs are sentential, but this is somewhat misleading, since they often represent structures which would be ungrammatical by normal standards. Like other idiomatic structures, proverbs represent an anomaly in any generative linguistic paradigm (Chafe, 1968). Proverbs often contain archaic and dialect words and structures, e.g. Them as has gits. They may even come from other languages entirely, as in Che sarà sarà and C’est la vie. Proverbs are also often constructed around formulas which fail to conform to normal sentence grammar, e.g., Like father, like
384
son; The bigger they come, the harder they fall; Once bitten, twice shy. Since proverbs are typically conversational, it makes more sense to think of them as potentially complete contributions to conversation in order to sidestep the issue of grammaticality. Nevertheless, the syntactic structures of proverbs are interesting in themselves, e.g. those without verbs like: No rose without a thorn; Soon ripe, soon rotten; Many men, many minds. As Nordahl (1999) argues, when proverbs lack verbs, and when they are otherwise elliptical, hearers must mobilize rhetorical principles to work out discourse inferences. This holds as well for proverbs without nouns like: The more, the merrier; Easy come, easy go; Slow and steady wins the race. Along with truly formulaic structures, proverbs exhibit various patterns of repetition. As demonstrated in Norrick (1989), repetition in proverbs tends to focus attention on key terms and to emphasize contrasts between the repeated elements. Sometimes the syntactic frame of a proverb contains repetition as in Where there’s smoke there’s fire. Repetition across a copula results in tautological proverbs like Enough is enough and Boys will be boys. We find proverbs like An eye for an eye, where each token of eye stands for a different referent, but separate tokens may also seemingly refer to the same thing as in You gotta do what you gotta do, resulting in apparent paradox. Playful variation with repetition results in such memorable proverbs as One is none and When the going gets tough, the tough get going. We return to the interpretation of tautological and paradoxical proverbs below. At the same time, as Bhuvaneswar (2003) has shown, proverbs represent all the major types of syntactic structures (in English and Telugu). Many of the best-known proverbs instantiate standard types of sentences, e.g. Subject-Verb-Direct Object, as in A rolling stone gathers no moss; or Subject-Verb-Indirect Object-Direct Object, as in You can’t teach an old dog new tricks; Subject-Copula-Predicate Nominal, as in Time is money and so on. To correctly access the role of formulaicity in our perception of prototypicality of proverbs or in the notion of proverbiality, however, we need statistical data. We must consider not only the frequency of formulaic versus nonformulaic proverbs in various corpora, but also the frequency of specific formulas and
IX. Sprichwörter/Proverbs
the number of formulaic examples among the most frequently used proverbs. Research on the length of proverbs in words has so far been suggestive, but inconclusive (see Grzybek 2000). Čermák (1998) determines an average length of 4.7 words for proverbs in the Czech National Corpus. More statistical data of various kinds will be necessary to reach any firm conclusions. The matter of so-called transformational defects, as described by Fraser (1970), Newmeyer (1972), Dobrovolskij (1997, 1999) and others is not particularly important for proverbs, insofar as they often occur in variant related forms and remain highly recognizable even when truncated and manipulated. Currency and familiarity allow recognition of proverbs even in varied and abbreviated form: hence the use of recognizable chunks like Early bird and Rolling stone in contexts like “the early bird satellite” and “early bird air fares” (numerous examples in the World Wide Web) or the rock group “The Rolling Stones” and the music magazine The Rolling Stone, as well as songs like Bob Dylan’s “Like a rolling stone” and so on. Proverbs provide convenient structures for manipulation to create original statements, as in this example from CNN market analysis: The early investor catches the bargain stocks. Note in particular the tendency to literalization of the proverb image here. See Mieder (this volume, article XXX), Mieder (1982) and Mieder/Litovkina (1999) on the modification of proverbs into “antiproverbs” in discourse. Finally, as Moon (1998, 88–89) argues, transformability has now become a statistical corpus fact rather than an intuitive game. Corpus investigations show that some set phrases, including proverbs, tend to appear in certain variant forms while others do not. This discussion of recognizability despite manipulation leads naturally into the following section on proverbs in discourse.
4.
Proverbs in discourse
Moon (1998) presents statistics from computer counts showing that proverbs are both comparatively rare and variable, but they are still recognizable to members of the language community. Moon stresses the correlations between frequency, form, type of idiomaticity and discourse function. Very frequent items like at least and of course tend to be functional and not fully lexical, frozen colloca-
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34. Proverbs as set phrases
tions rather than metaphorical, while colorful, stylistically marked and metaphorical expressions like proverbs are rare and often manipulated in contexts where they appear. Proverbs are rare in computer counts, because of the kinds of corpora available and the way computers count, but also due to the nature of proverb use itself. First, proverbs are often bound to contexts poorly represented in corpora, e.g. oral storytelling, everyday face-to-face talk. Second, proverbs occur in variants, as noted above, and these go unrecognized by computers (numerous examples in WWW), e.g. early bird airfares and like a rolling stone. Third, proverbs really are rare compared to gambits, prefabs, binomials, collocations like: (do you) know what?, by and large, ins and outs and in short. Nevertheless, proverbs remain recognizable to native speakers, due, first, to their cultural salience and value as folk wisdom and bearers of traditional lore. Second, proverbs occur in prominent discourse positions like speech summaries and story closings with evaluation functions. In argumentation, as Wirrer (1998) shows, proverbs create a canonical specialization of topoi like the busy bee. Third, proverbial utterances are often foregrounded with special voice shifts and intonation speech and marked with framing devices like we always say and as the saying goes. As little recurrent texts in themselves, proverbs represent highly marked, “strongly coded” (Meleuc 1972) structures, e.g. prosody (rhyme, alliteration, rhythm), rhetorical strategies (hyperbole, paradox, personification, metaphor), proverb formulas: like N like N and the A-er the A-er, special syntax and lexis: Them as has gits and Look what the cat drug in. Finally, because they are highly codified and easily recognizable, proverbs often serve as templates for creative manipulation, and hence they appear in forms unrecognizable to a computer search. For instance, in a conversation reported in Norrick (1993), a participant comments on a recipe for tofu potato casserole by saying, “that’s like the bland leading the bland.” The original form of the proverb allusion appears in Matthew 15,14: If the blind lead the blind, both shall fall into the ditch, but perhaps more frequent is the form like the blind leading the blind. Either way, the full proverb provides a serviceable structure for creation of a new utterance. Consider also I’d rather have some ten million in
the hand than one million in the bush in the passage from the London Lund Corpus (Svartvik & Quirk 1980, 63, S.1.2) below, where A bird in the hand is worth two in the bush presumably served as template. B A B
A B
A B A B
fine. I mean it’s not that I want to no, no no no, no, oh no. but it seems to me absolutely fixed now. and I’d rather have some ten million in the hand than than the one million in the bush. um but yes, yes of course. I think this is highly unlikely. And uh I I’m I’m personally assuming that uh a million in the bush is more likely to happen. yes, yes, literally. yeah. in the bush. {laughs} yes. I think I know.
The proverb provides not only the initial allusion in lines 3–4, but the phrase a million in the bush in speaker B’s next turn and the phrase in the bush for speaker A. Note also the proverbial framing device literally here produced by speaker A in response to the proverbial allusion. Neither this nor the previous allusion would, of course, be picked up in a computer search, yet allusions and variations like these are probably the most common occurrences of proverbs in discourse. Framing devices like literally frequently occur in proverbial discourse contexts, and speakers generally set proverbs off from the surrounding discourse in various ways, as Hain (1951), Čermák (1998) and Moon (1998) demonstrate. Proverbs occur along with other set phrases, e.g., you know, they say, an apple a day. There are standard “proverb formulas” (in Taylor’s 1930 terms) like one should, you should and always which often fill out imperative structures in proverbs, rendering, say, Keep your nose to the grindstone as You should keep your nose to the grindstone or Always keep your nose to the grindstone. Proverbs in discourse are also frequently bracketed by various proverbial frames like they say; I always say; as the saying goes and so on, as in They say the early bird catches the worm, but what about the early worm? In addition, speakers can fairly freely insert various words such as literally and proverbial into appropriate places in prov-
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IX. Sprichwörter/Proverbs
erbs, as in The early bird literally catches the worm and The early bird catches the proverbial worm. Clearly more research is needed in this area, not just to determine how proverbs are varied with formulas like you should and inserts like proverbial, but also to see how framing devices like as the saying goes and literally function in context. Most of the foregoing discussion holds mutatis mutandis for proverbial phrases as well, defined as figurative but incomplete clauses (vs collocations, idioms, clichés) or, again, via prototypes like as smooth as silk for proverbial similes and to live high on the hog for verb phrases. Proverbial phrases, too, occur rarely and in variant forms, specially marked and set off from their discourse contexts in various ways. Just as the proverbial worm turns, we also find people living high on the proverbial hog. The patterns of frequency, salience and recognizability all hang together: Proverbs and proverbial phrases are not frequent, but highly noticeable, because they are salient in context, frequently foregrounded, easily remembered, and so they can be varied and serve as templates but still remain recognizable. By contrast, frequent phrases like of course and at all go unnoticed despite their frequency and because of their nondescript form.
5.
Proverb pragmatics
In citing a proverb, rather than speaking simply for ourselves, we quote the wisdom of the community at large and invoke the authority of tradition. Utterances of proverbs count as “indirect speech acts” in the sense of Searle (1975) and allow the speaker to go “off record” in the sense of Brown and Levinson (1987). In using Praise a fair day at evening, I can mean what I say about praise and times of day, but also convey a general warning to my hearer. Figurative proverbs allow us to be doubly indirect, since they require listeners to apply the proverbial scenario to the present context and draw appropriate conclusions of their own. As in other cases of indirection, proverbs allow speakers to hide their personal feelings behind the opinion of the community and leave them an escape route. Nevertheless, a proverbial utterance tends to align speakers with traditional power structures and places them in a “one up” position vis-à-vis their listeners. The apparent logic of The leopard
cannot change his spots allows speakers to make seemingly self-evident assertions, say in support of capital punishment, that would hardly go unchallenged if they expressed them in their own words or even in the literal proverb Once a thief always a thief. Research on proverbs has repeatedly shown how they can work to avoid personal commitment and direct refutation (Taylor, 1962, 169; Arewa and Dundes, 1964, 70; Barley, 1972, 740). Proverbs are sometimes conventionally tied to particular speech events, exchanges or speech acts. As Norrick (1994) shows, such set discourse formulas have characteristic illocutionary and perlocutionary force in conversational contexts, but they are syntactically odd and/or semantically anomalous in most cases. They are often jocular and/or used ironically with humorous intent. We find, for instance, various proverbial formulas for greetings such as Fancy meeting you here and Long time no see, alongside leave-taking formulas such as See you in the funny papers and Don’t take any wooden nickles. We have proverbs for all sorts of speech event. Walls have ears warns interlocutors that what they are saying could be overheard, and Little pitchers have big ears warns specifically that children might overhear talk inappropriate for them. Once two or more people are engaged in conversation, Speak of the devil and he will appear comments on the sudden appearance of the person they have been talking about. Quaker meeting has begun comments on a sudden silence in a group. After a lull in conversation, usually between just two participants, A penny for your thoughts serves as a way of resuming talk. A little bird told me seems to work only as a response to a question about who told me something. There are also standard proverbial responses to improbable claims such as And pigs can fly, and standard responses to yes-no-questions with answers so obvious as to require no real reply such as Is the Pope Catholic? All these situations are definable in more or less linguistic terms, but we also find proverbial formulas like You make a better door than window or Your father was no glazier to admonish someone blocking the light or the view. Born in a barn? draws the offender’s attention to a door left open. Fingers were made before forks provides a ready-made excuse for eating with our fingers and so on. For further examples and discussion see Norrick (1984).
34. Proverbs as set phrases
6.
Proverb imagery
Proverbs and proverbial phrases often have striking images. This keeps them noticeable and memorable despite relative infrequency and variation, as shown by the example above based on A bird in the hand is worth two in the bush. Cognitive linguists argue that the metaphors in set phrases organize our perceptions, but the picture is far from clear (compare Burger, 1996, 1998). Proverbs and proverbial phrases contain specialized images from preindustrial life, not basic-level metaphors or images familiar to speakers today. As we have seen, proverbs thrive on foregrounding, high visibility and cultural salience. Consequently, their images must be striking and memorable, not quotidian. Proverb images do not generally work from basic level, familiar to complex, unfamiliar. Their images often fail miserably as models for organizing our perceptions of recurrent situations. In fact, they are often specialized, archaic and/or far-fetched, e.g., Don’t buy a pig in a poke and The pot calls the kettle black. The apple doesn’t fall far from the tree is certainly confusing and ambiguous by comparison with Like father, like son. The hasty bitch brings forth blind whelps introduces a whole range of irrelevant questions like whether the bitch must be habitually hasty or only in the birthing process, whether blind whelps are viable at all and whether they later develop sight by contrast with the clear, concise, assonant and rhyming Haste makes waste. Proverbs frequently mix metaphors, combining images from separate source domains into complex, sometimes incompatible collages. Thus, Every cloud has a silver lining first draws on the metaphoric domain of weather phenomena standing for human experience and emotion, then switches to a scalar domain where silver represents something precious and desirable vis-à-vis iron and tin. The lining is mysterious, fitting, as it does, neither with clouds nor with silver. We try to imagine the cloud as a garment with a precious lining, but then the bad weather aspect of the cloud disappears. The result is a jumble of incongruous metaphors from unrelated domains, which cannot really resolve itself at all. As another example, Hitch your wagon to a star mixes the metaphoric domain of horses and wagons with astronomical imagery. It is difficult to imagine just how one might hitch a wagon to a star and what would result from the match.
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Again the image can hardly serve as a model organizing our perceptions. We have already distinguished different sorts of imagery in proverbs. Seiler (1922, 4) identifies both metaphor and personification in proverbs. Thus, some proverbs call forth a scenario generalizable to a range of analogous situations like A rolling stone gathers no moss, while others make a specific statement about a particular matter, often employing personification, as in Money talks. Proverbs may also be only partially metaphoric, as in Every dog has its day, where only the noun dog need be understood in a general figurative way as standing for any animate entity or human being. Seitel (1969) shows how fully metaphoric proverbs express a scenario applicable to a range of parallel social contexts. He posits a relation between the leopard and his spots in the proverb The leopard cannot change his spots and the situation in which a speaker wishes to argue that a thief can never reform. The proverb in effect provides a model by which we comment on an analogous social situation: the proverb is to his spots as the thief is to his criminal tendency, abbreviated by Seitel in the formula A:B::C:D. Maranda (1971) sets up a model for the riddle which looks much like Seitel’s model for proverbs. His standard formula A/B = C/D is simply a notational variant of Seitel’s abbreviated formula. Maranda recognizes a metonymic relation between each of the paired terms A/B and C/D, and a metaphoric (analogical) relation between the two pairs. For the Finnish riddle One pig, two snouts, A stands for the pig, B for his snout, D stands for the two snouts, and C for the thing to be guessed, namely the traditional Finnish fork plow. Georges and Dundes (1963) show that the two sets of terms in Maranda’s riddle formula are related just as the terms of the proverb are to its concrete situation. The metonymic relation between the pig and his snout parallels that between the leopard and his spots, while the relation between the plow and its two snouts parallels that between the thief and his criminal tendency. Barley (1972) adapts and expands Maranda’s model for the proverb. Since the relationship between the terms of a proverb, unlike those of a riddle, can be understood even outside context, Barley distinguishes the internal, logical relations between the terms of the proverb itself from the external relations which
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the proverb contracts to its situation of use. The analogy between the proverb image and the situation of use is then not drawn directly, but by way of the generalized relation expressed by the proverb. Barley calls this the “maxim level”, because metaphorical proverbs can be paraphrased by literal maxims, in the case of The leopard cannot change his spots we find the maxim Once a thief always a thief. Barley simply generalizes each term of a proverb, essentially just disregarding the particular semantic features of words, to generate its maxim level “structural description”. If leopard is characterized as animate, animal, feline etc., one simply erases features up to the level of animate. If the spots in the proverb are characterized as natural, marking, blotch, contrastive color, then all the features are erased up to the level of natural. This process yields a generalized structural description like ‘animate beings cannot change their natural characteristics’. See Grzybek (1994; and Grzybek, ed. 2000, 39) for a good critical treatment of this research on proverb interpretation and context from a semiotic perspective. Norrick (1985) reworks Barley’s traditional feature semantic approach in terms of frame theory. Schema representations for words like bird and worm will include the information that (some) birds hunt for worms, because worms serve as food for them, thereby ensuring that generalization of the concrete image in The early bird catches the worm will lead to ‘early agents reach goals’ rather than simply ‘early animate beings get animate beings’. Norrick goes on to identify all kinds of imagery in proverbs. He first distinguishes the scenic species-genus synecdoche of proverbs like The leopard cannot change his spots and The early bird catches the worm from nominal (part-whole) synecdoche in which a single noun in a proverb must be interpreted in pars-pro-toto fashion, e.g., A false tongue will hardly speak the truth, where tongue stands for the whole speaking person. Then he analyzes various sorts of predicate extension metaphor, in which a selectional feature or presupposition of the verb forces an anthropomorphic, animate or concrete interpretation, e.g., Pride feels no pain, where pride is personified, Familiarity breeds contempt, where familiarity is interpreted as a living organism, and Fair words break no bones, where words are treated as physical objects, respectively. Norrick further recognizes, first, object-attri-
IX. Sprichwörter/Proverbs
bute metaphor in proverbs like Necessity is the mother of invention, where mother stands for its attribute of nurturing, and, second, metonymy of the instrument-function variety, e. g. in Fear gives wings, where wings stand for the ability to fly, and of the speech-speaker variety, e.g. in “They say” is a tough old liar, where they say stands for the speaker of these words. Further types of figures like hyperbole and paradox come in for discussion below.
7.
Proverb interpretation and the Great Chain Metaphor
Lakoff and Turner (1989) propose the Great Chain Metaphor as a theory of how we understand proverbs. The Great Chain Metaphor (GCM) is not really a metaphor, but an “ensemble” of principles by which we interpret proverbs. According to Lakoff and Turner, the GCM has four elements: (1) The GENERIC IS SPECIFIC metaphor, which maps specific-level schemas onto parallel specific-level schemas, when they share generic-level structure. (2) The Great Chain, which reflects our folk theory about the attributes and behavior of humans, animals, plants, complex physical objects, and natural physical things. At each level, entities stand for their highest property (human for reason, aesthetic sense; animal for instinct etc.), but they are understood to posses all the attributes of entities at lower levels as well. (3) The Nature of Things is a commonsense causal theory, which links attributes to behavior. (4) The Maxim of Quantity “Be as informative as is required and not more so” (due to Grice 1975), by which listeners infer that speakers are referring to the highest level properties of entities at the appropriate level in the Great Chain. There is a fifth principle, repeatedly cited by Lakoff and Turner, namely that “we already know that proverbs concern general issues about the nature of our being, the nature of people and situations that we encounter” (175). Once we recognize a proverb as such, we already know it must apply to the human domain. Two substantial critiques of the GCM have appeared in print: Krikmann (1994) and Honeck and Temple (1994). Krikmann argues that
34. Proverbs as set phrases
the GCM does not really get at the difficult issues like how to figure out just how the proverb applies in any specific case, how good the interpretation is, how well it fits the context and what sort of force it has with the recipient. We need both discourse and laboratory data to determine just how people use, interpret and react to proverbs in concrete contexts. Krikmann points out that the Generic is Specific Metaphor can be better understood as a metonymy, namely a “conceptual synecdoche” Specific Stands for Generic – and this analysis parallels the “scenic species-genus synecdoche” description of proverb meaning set forth in Norrick (1985, 109–115). Honeck and Temple (1994) argue that the GCM is too complicated compared to other approaches. Much of the GCM simply recapitulates creative problem solving of the sort we must do in understanding all kinds of language. The CGM says we must recognize a proverb as such in order to correctly interpret it, but tests show that subjects interpret nonproverbs substantially the same as proverbs. Finally, the GCM is too restrictive and would prevent a human proverb from applying to animals, though this certainly occurs. For instance, when the rooster Chaunticleer quotes a proverb The latter ende of joye is wo in a speech to the hen Pertelote in the famous “Nun’s Priest’s Tale” (line 3205) from Chaucer’s Canterbury Tales, the proverb naturally applies to their own situation, namely the situation of roosters and hens, rather than to human affairs. Lakoff and Turner might counter that in this medieval folk tale it is natural for these fowls to speak, reason and otherwise act like humans, so that the proverb can apply to their situation and still be taken as appropriate to human affairs generally. But that is precisely the point, namely that the specifics of the local discourse context determine whether a proverb fits and what it means, and that no general statement of applicability makes sense – or indeed is necessary. If the GCM includes a principle directing proverb interpretations to human situations, it will make wrong predictions. The GCM needs no such principle in any case, since a more general principle of interpretation dictates that the discourse context determines what constituent units refer to and how they are interpreted, and this will correctly allow proverbs to apply in appropriate animal contexts (or even among the gods, among aliens and so on). Whether we automatically seek an interpreta-
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tion of a proverb in terms of human affairs or rather directly apply the proverb scenario to the immediate discourse context, we naturally develop an interpretation distinct from the narrowly literal reading in most cases, and this accords with the findings of Gibbs (1986) and others that figurative interpretation takes no longer than literal interpretation in discourse contexts. There are other problems for the GCM noone has pointed out in print so far. First, proverbs are by their nature items of folklore enmeshed in systems of stories, allusions, proverbial phrases, superstitions and sayings, so that interpretation often follows paths unaccounted for by the GCM. Lakoff and Turner themselves – apparently inadvertently – supply the example The rats decide the cat ought to be belled, which derives from a fable in which rats are endowed with human characteristics like language and reason, i.e. rat behavior stands for human behavior, then this line or moral from the story is used proverbially to comment on human situations. This story goes back at least to Langland’s Piers Plowman (The Vision of Piers Plowman, Prologue 158–178: UVA, J.D.Brunley 2002) in English and it brings with it corresponding associations in discourses of the culture. The often cited question-form Who will bell the cat? also depends on the Langland story, as does the phrase to bell the cat, which is the citation form in the Oxford Dictionary of English Proverbs (Wilson, ed., 1970). The particular form and interpretation will depend on how the story, its characters and associations fit the concrete discourse context. The GCM becomes irrelevant in the face of such story allusions and rich cultural associations. The same holds for Slow and steady wins the race, the moral from “The tortoise and the hare”, one of Aesop’s well-known fables. In the story the tortoise and the hare act like humans while remaining stereotypes for slow and fast animals respectively. Moreover, the binomial Slow and steady can occur alone, though still with resonance from the story. This is hardly an isolated instance, as we noted above, since recognizable chunks of proverbs frequently float free to become units with a distribution of their own, e.g. the bare noun phrase rolling stone from the proverb A rolling stone gathers no moss. In cases where a story lends meaning to a proverb or smaller phrase and to their applications, there is no need to invoke a Great
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Chain of Being for their interpretation, indeed it is hard to see how the GCM comes in at all. It does not even matter whether Aesop (or his English translator) spawned the proverb and/ or the binomial with his fable or whether he was working with a familiar binomial illustrating a pre-existing proverb with the fable (or whether his translator was); it is the connections between the three that are important – the fact that they feed off of and inform one another. In another rat proverb, Rats desert a sinking ship, we again find rats in relation to a human situation, but they’re not endowed with human characteristics – except that rat has a negative connotation, as in You dirty rat, where rat signifies a (usually human) traitor or back-stabber. Since the rat already has a human dimension in this proverb, it, too, fails to conform to the GCM. Apparently the GCM works best for proverbs built around animals understood as animals, e.g. Big fish eat little fish, where neither allusion nor special connotation gets in the way. But, as items of folklore in a folk-culture, proverbs will often (always?) have relations with stories, riddles, proverbial phrases, and superstitions. In fact, it seems fruitless to propose a single system for interpreting proverbs in concrete contexts. What counts is currency in community discourse in relatively stable form with a literal meaning applicable to various parallel situations. Moreover, in proverbs where animals appear in human situations like: Don’t put the cart before the horse and Don’t look a gift horse in the mouth, the animals stand only for themselves; what’s important is knowing how one hooks a horse up to a cart and why one would look into a horse’s mouth. It is hard to imagine how to apply the GCM in such cases. Even when animals appear in non-human contexts, they do not necessarily stand for any particular property related to humans. Consider the proverb One swallow doesn’t make a summer, for which we need to know that swallows are migratory birds and that migratory birds return in spring in the northern hemisphere, in order to generalize to a typical warning not to over-value initial signals. Swallow does not simply stand for ‘bird’ or ‘animate being’, nor does summer generalize to ‘season’ or ‘period of time’ here. More generally, there doesn’t seem to be any way of predicting what sorts of properties of ani-
IX. Sprichwörter/Proverbs
mals/plants/objects may play a role in determining how proverbs including them will apply to human situations. All in all, the GCM covers ground already covered by more general interpretive principles. When it works, it works for too few proverbs. It suggests incorrect restrictions on proverb interpretation. It fails to support judgments about the appropriateness of proverbs and goodness of interpretations in specific contexts. It fails to take into account all the cultural relations between proverbs and all sorts of other texts, and their significance for contextual proverb interpretation.
8.
Semantic relations between proverbs
We can note semantic relations between proverbs for systematic purposes, but, of course, proverbs do not form a monolithic body of lore, they were not created by a single person with any intention of consistency, and their situational meanings are what really count, as opposed to their general anthology meanings. With these caveats in mind, and because these relations often come up in the literature – even Sacks (1992) mentions them, if only to show that antonymy in particular is irrelevant – consider first synonymy. (1) Synonymy. On a fairly wide definition of synonymy, say equivalence of illocutionary force in some discourse context, proverb pairs like Strike while the iron is hot – Make hay while the sun shines may count as synonyms. These proverbs express the same general idea through parallel images. We would probably also count as synonymous proverbs which express the same idea in different literal terms, e.g. First impressions are most lasting – You never get a second chance to make a first impression. And we might also consider as synonymous pairs of proverbs like The leopard cannot change his spots – Once a thief, always a thief which express the same idea, the first in figurative and the second in literal terms. (2) Implicational Series. Sometimes proverbs which might appear in the same position in a discourse with roughly equal force are further related in that the first offers a rule which suggests the second as a course of action, as in It’s not over till it’s over → Never say die or
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34. Proverbs as set phrases
First impressions are most lasting → Put your best foot forward. Rather than simply calling these pairs further cases of synonymy, I prefer to recognize a special semantic class of proverbs related through an implicational series. (3) Antonymy. As in the case of synonymy, we can recognize different semantic relations between proverb pairs as constituting antonymy. Proverbs are certainly semantically opposite, when they express opposed ideas through related images, as in A big fish in a small pond – A small fish in a big pond, but also when proverbs express opposed ideas in different images, as in He who hesitates is lost Fools rush in or when a figurative and a literal proverb express opposed ideas, as in Out of sight, out of mind – Absence makes the heart grow fonder. We should also distinguish at least two different semantic types of oppositions: first, straightforward negation, as in The closer the bone, the sweeter the meat – The farther the bone, the sweeter the meat; and, second, converseness, as in pairs like Much smoke, little fire – Much fire, little smoke.
9.
Semantic properties of individual proverbs
The semantic properties of individual proverbs are potentially more interesting than relations between proverbs, because they may suggest an approach to proverbiality, and they might serve as a model of standard types of meaning relations which should be familiar to all members of a culture. The assumption that standard proverb meanings will be accessible to normal adult members of the language community provides the foundation for the use of proverbs in tests of understanding by psycholinguists and psychologists. (1) Polysemy. The polysemy of the proverb A rolling stone gathers no moss with its two standard interpretations ‘a person on the move remains young’ and ‘a person on the move remains poor’ has often been noted. Historically the separate interpretations may have originated as dialect variants. Although tests have shown that both readings for this proverb co-exist, hearers interpret it interactionally to
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mean either that they should or should not “roll”, depending on their beliefs (Kirshenblatt-Gimblett 1973). Pun. Proverbs occasionally contain puns. This makes them potentially polysemic as well, in as much as either meaning may predominate in any particular discourse context. For instance, we interpret No news is good news to mean either ‘news is never positive’ or ‘the absence of new information leaves hope that nothing bad has happened’; similarly, we interpret the phrase get up with the fleas in the proverb Lie down with the dogs and get up with the fleas to mean either ‘arise when the fleas do’ or ‘arise infested with fleas’. Hyperbole. Any proverb containing absolute modifiers and adverbs like no, never, all and always is likely to involve overstatement, as in A watched pot never boils and The grass is always greener on the other side (of the fence). We understand the first to mean that a watched pot seems to take longer to boil and the second to mean that distant grass tends to seem greener. See Norrick (1982) on overstatement. Irony. A few proverbs are ironic, e.g., All geese are swans, though irony is much commoner in proverbial phrases such as A fine kettle of fish and As clear as mud. Tautology. Tautologous proverbs are considerably more common. The most obvious examples are proverbs where the same noun phrase appears on both sides of a copula verb, as in Enough is enough; Boys will be boys; What will be, will be and It isn’t over till it’s over. Of course, such proverbs are not meaningless expressions of equivalence. They exhibit regular patterns of interpretation, and various attempts have been undertaken to explain how listeners produce appropriate interpretations, e.g., Wierzbicka (1987), Fraser (1988) etc. Paradox. We might not expect to find paradoxical proverbs at all, in as much as proverbs record salient observations and rules of conduct. Yet proverbs expressing preposterous claims like The pen is mightier than the sword are fairly common in English, and level-mixing, vicious circle proverbs like Never say never and Expect the unexpected are not particularly rare. If proverbs employ
392
paradox, it must somehow reinforce their generalizing, didactic tendencies. Golopentia-Eretescu (1970, 1971) recognizes several different patterns of interpretation, whereby non-contradictory meanings are derived for some paradoxical proverbs, but others like Nothing is permanent but change exhibit genuine logical contradiction, mixing logical levels and leading to vicious circles. For such proverbs no resolution works: The paradox asserts itself, scintillates and intensifies: permanence passes, change abides, as Norrick (1989) shows. (7) Connotation. Connotations contribute to the overall discourse meaning of proverbs as well. They intensify the rhetorical force and the traditional significance of proverbs. Folksy, rural, pre-industrial connotations are typical of proverbs, e. g., Make hay while the sun shines and Don’t put the cart before the horse. Many proverbs also exhibit Biblical and/ or churchy connotations as well, e.g., The spirit’s willing but the flesh is weak and The blind lead the blind. Proverbs employ humor fairly frequently and jocular connotations are evident in many proverbs (see section on “set phrases and humor”), e.g., Monkey see, monkey do and If you can’t be good, be careful used as a leavetaking formula.
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Neal R. Norrick, Saarbrücken, (Germany)
394
IX. Sprichwörter/Proverbs
35. Proverbs as cultural units or items of folklore 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.
Introduction Definition and meaning Genesis and evolution Empiricism and paremiological minima Semiotics and performance Culture, folklore, and history Stereotypes and worldview Proverbs and the social sciences Use in folk narratives and literature Religion and wisdom literature Pedagogy and language teaching Mass media and popular culture Select bibliography
1.
Introduction
Of the various verbal folklore genres like fairy tales, legends, tall tales, jokes, and riddles, proverbs are the most concise but not necessarily the simplest form. The vast scholarship on proverbs is ample proof that they are anything but mundane matters in human communication (cf. Mieder 1982–2001, 1999). Proverbs fulfill the human need to summarize experiences and observations into nuggets of wisdom that provide ready-made comments on personal relationships and social affairs. There are proverbs for every imaginable context, and they are thus as contradictory as life itself. Proverb pairs like Absence makes the heart grow fonder and Out of sight, out of mind or Look before you leap and He who hesitates is lost make it abundantly clear that proverbs do not represent a logical philosophical system. But when the proper proverb is chosen for a particular situation, it is bound to fit perfectly, becoming an effective formulaic strategy of communication. Contrary to some isolated opinions, proverbs have not lost their usefulness in modern society. They serve people well in oral speech and the written word, coming to mind almost automatically as prefabricated verbal units. While the frequency of their employment might well vary among people and contexts, proverbs are a significant rhetorical force in various modes of communication, from friendly chats, powerful political speeches, and religious sermons on to lyrical poetry, best-seller novels, and the influential mass media. Proverbs are in fact everywhere, and it is their ubiquity which has led scholars from many disciplines to study them from classical times to the modern age (cf. Mieder 1997a). The playful alteration of the proverb
If the shoe fits, wear it to “If the proverb fits, use it” says it all!
2.
Definition and meaning
The definition of a proverb has caused scholars from many disciplines much chagrin over the centuries. Many attempts have been made from Aristotle to the present time (cf. Kindstrand 1978, Russo 1983), ranging from philosophical considerations to cut-and-dry lexicographical definitions. The American paremiologist Bartlett Jere Whiting (1904– 1995) reviewed many definitions, summarizing his findings in a lengthy conglomerate version of his own: A proverb is an expression which, owing its birth to the people, testifies to its origin in form and phrase. It expresses what is apparently a fundamental truth– that is, a truism,– in homely language, often adorned, however, with alliteration and rhyme. It is usually short, but need not be; it is usually true, but need not be. Some proverbs have both a literal and figurative meaning, either of which makes perfect sense; but more often they have but one of the two. A proverb must be venerable; it must bear the sign of antiquity, and, since such signs may be counterfeited by a clever literary man, it should be attested in different places at different times. This last requirement we must often waive in dealing with very early literature, where the material at our disposal is incomplete. (Whiting 1932, 302)
That certainly is a useful summation, albeit not a very precise statement. It represents a reaction to a tongue-in-cheek statement that Whiting’s friend Archer Taylor (1890–1973) had made a year earlier at the beginning of his classic study on The Proverb (1931, cf. also Taylor 1975): The definition of a proverb is too difficult to repay the undertaking; and should we fortunately combine in a single definition all the essential elements and give each the proper emphasis, we should not even then have a touchstone. An incommunicable quality tells us this sentence is proverbial and that one is not. Hence no definition will enable us to identify positively a sentence as proverbial. Those who do not speak a language can never recognize all its proverbs, and similarly much that is truly proverbial escapes us in Elizabethan and older English. Let us be content with recognizing that a proverb is a saying current among the folk. At least so much of a definition is indisputable. (Taylor 1931, 3)
In 1985 I put Taylor’s supposition that people in general know what a proverb is to the test
35. Proverbs as cultural units or items of folklore
and simply asked a cross section of fifty-five Vermont citizens how they would define a proverb. After all, the general folk uses proverbs all the time, and one would think that they know intuitively what a proverb represents. A frequency study of the words contained in the definition attempts made it possible to formulate the following general description:
395 handed down from generation to generation. (Mieder 1996b, 597)
This summary definition mirrors that of Whiting, while the short conglomerate version “A proverb is a short sentence of wisdom” based on the words most often used in the fifty odd definitions resembles Taylor’s statement. People in general, not bothered by academic concerns and intricacies, thus have a good idea of what a proverb encompasses. This is also born out by a number of proverbs about proverbs, representing folk definitions as it were: Proverbs are the children of experience, Proverbs are the wisdom of the streets, and Proverbs are true words. Proverbs obviously contain a lot of common sense, experience, wisdom, and truth, and as such they represent ready-made traditional strategies in oral speech acts and writings from high literature to the mass media (cf. Hasan-Rokem 1990). But proverb scholars have, of course, not been satisfied with the vagaries of this type of definitions. Again and again they have tried to approximate the definition (cf. Arora 1984). Suffice it to cite two more general working definitions starting with Stuart A. Gallacher’s short statement: “A proverb is a concise statement of an apparent truth which has [had, or will have] currency among the people” (1959, 47). The parenthetical modifications have been added by me to indicate that while some proverbs have been in use for hundreds of years, others have passed out of circulation and new ones will certainly be coined. One of my own attempts of defining proverbs precisely shows my indebtedness to my teacher Stuart A. Gallacher:
One of the major concerns of paremiologists is to get to the bottom of that “incommunicable quality” of proverbiality. It is a fact that not even the most complex definition will be able to identify all proverbs. The crux of the matter lies in the concept of traditionality that includes aspects of both age and currency. In other words, a particular sentence might sound like a proverb, as for example “Where there is money, there is crime,” and yet not be one. This invented sentence is based on the common proverb pattern “Where there is X, there is Y” (cf. Peukes 1977), and it appears to contain some perceived generalizations about wealth and legal matters. But that does not attest to its alleged proverbiality. This piece of created wisdom would have to be taken over by others and be used over a period of time to be considered a bona fide proverb. As it stands here on this page, it is nothing more than a “proverb-like” statement. Proverb definitions often include the term “traditional”, but proving that a given text has gained traditionality is quite another matter. This makes it so very difficult to decide what new statements have in fact gained proverbial status. Such modern American texts as Been there, done that, The camera doesn’t lie, No guts, no glory, and There is no (such thing as a) free lunch have made it (cf. Doyle 1996). Why is this so? Simply stated, they have been registered numerous times over time. The last example also shows the formation of variants. And it is exactly the requirement of all folklore, including proverbs, that various references and possibly also variants are found that attest to oral currency. Stephen D. Winick has tried valiantly to break with the requirement of traditionality for new proverbs, arguing that a text becomes a proverb upon its creation (cf. also Honeck/ Welge 1997). That would make the sentence “Where there is money, there is crime” a proverb! Most folklorists and paremiologists would disagree with this assessment. The fact that the sentence is “proverb-like” does not make it a folk proverb, putting in question Winick’s convoluted definition:
Proverbs [are] concise traditional statements of apparent truths with currency among the folk. More elaborately stated, proverbs are short, generally known sentences of the folk that contain wisdom, truths, morals, and traditional views in a metaphorical, fixed, and memorizable form and that are
Proverbs are brief (sentence-length) entextualized utterances which derive a sense of wisdom, wit and authority from explicit and intentional intertextual reference to a tradition of previous similar wisdom utterances. This intertextual reference may take many forms, including replication (i.e., repetition of
A proverb is a short, generally known sentence of the folk which contains wisdom, truth, morals, and traditional views in a metaphorical, fixed and memorizable form and which is handed down from generation to generation. (Mieder 1985b, 119)
396 the text from previous contexts), imitation (i.e., modeling a new utterance after a previous utterance), or use of features (rhyme, alliteration, meter, ascription to the elders, etc.) associated with previous wisdom sayings. Finally, proverbs address recurrent social situations in a strategic way. (Winick 2003, 595)
The preference for metaphorical proverbs lies in the fact that they can be employed in a figurative or indirect way. Verbal folklore in general is based on indirection, and much can indeed be said or implied by the opportune use of such proverbs as Don’t look a gift horse in the mouth, Don’t count your chickens before they are hatched, Every cloud has a silver lining, or You can’t teach an old dog new tricks. By associating an actual situation with a metaphorical proverb, the particular matter is generalized into a common occurrence of life. Instead of scolding someone directly for not behaving according to the cultural customs of a different social or cultural setting, one might indirectly comment that When in Rome, do as the Romans do. Or if someone must be warned to be more careful with health issues, the proverb An ounce of prevention is worth a pound of cure might well serve the purpose to add some commonly accepted wisdom to the argument. Kenneth Burke has provided the following explanation of this effective use of metaphorical proverbs: Proverbs are strategies for dealing with situations. In so far as situations are typical and recurrent in a given social structure, people develop names for them and strategies for handling them. Another name for strategies might be attitudes. (1941, 256)
Proverbs in actual use refer to social situations, and it is this social context that in turn gives them meaning (cf. Seitel 1969). They act as signs for human behavior and social contexts and as such must be studied both from the structural and semiotic point of view (cf. Kuusi 1957a, Grzybek 1987, Zholkovskii 1978). The meaning of proverbs is thus very much dependent on the contexts in which they appear. Barbara Kirshenblatt-Gimblett has shown how a number of common proverbs have multiple meanings that come to light only in particular situations. For example, she asked about eighty students in Texas to explain the meaning of the proverb A friend in need is a friend indeed. Here are the different explanations with comments on the various sources of the multiple meanings:
IX. Sprichwörter/Proverbs (1)
Someone who feels close enough to you to be able to ask you for help when he is in need is really your friend. – Syntactic ambiguity (is your friend in need or are you in need). (2) Someone who helps you when you are in need is really your friend. – Lexical ambiguity (indeed or in deed). (3) Someone who helps you by means of his actions (deeds) when you need him is a real friend as opposed to someone who just makes promises. – Key meaning. (4) Someone who is only your friend when he needs you is not a true friend. – Does “a friend indeed” mean “a true friend” or “not a true friend”? (Kirshenblatt-Gimblett 1973, 822).
Clearly only a specific context will reveal what the proverb really wants to say. The Estonian paremiologist Arvo Krikmann has spoken in this regard of the “semantic indefiniteness” of proverbs that results from their hetero-situativity, poly-functionality and poly-semanticity (cf. Krikmann 1974a and 1974b). The meaning of any proverb must therefore be analyzed in its unique context, be it social, literary, rhetorical, journalistic, or whatever.
3.
Genesis and evolution
Proverbs, like riddles, jokes or fairy tales, do not fall out of the sky and neither are they products of a mythical soul of the folk. Instead they are always coined by an individual either intentionally or unintentionally, as expressed in Lord John Russell’s well-known one-line proverb definition that has taken on a proverbial status of sorts: “A proverb is the wit of one, and the wisdom of many” (ca. 1850). If the statement contains an element of truth or wisdom, and if it exhibits one or more proverbial markers (such as alliteration, rhyme, parallelism, ellipsis, etc.), it might “catch on” and be used first in a small family circle, and subsequently in a village, a city, a region, a country, a continent, and eventually the world. The global spread of proverbs is not a pipe-dream, since certain ancient proverbs have spread to many parts of the world. Today, with the incredible power of the mass media, a newly formulated proverb-like statement might become a bona fide proverb relatively quickly by way of the radio, television, and print media. As with verbal folklore in general, the original statement might well be varied a bit as it gets picked up and becomes ever more an anonymous proverb whose
35. Proverbs as cultural units or items of folklore
wording, structure, style, and metaphor are such that it is memorable. Older literary sources show very clearly that proverbs existed in such variants until one dominant wording eventually became the standard, to wit the following three historical variants of a proverb of prudence: It is good to be wise before the mischief (1584), After the business is over, every one is wise (1666), and It is easy to be wise after the event (1900), with the latter version having become today’s standard form (Wilson, 1970, 898). It is usually quite difficult to trace the origin and history of a proverb in a particular language. Such studies quickly take on major proportions, and they get very involved if the proverb under investigation proves to go back to medieval times or even further to classical antiquity. Any bilingual speaker or translator will have noticed that there exist two types of proverbs. On the one hand, there are those proverbs which mean the same but which have different structures, vocabulary, and metaphors, and consequently have different origins in their respective languages. Thus English speakers since Shakespeare say Brevity is the soul of wit, while the Germans utter In der Kürze liegt die Würze (In brevity there is [lies] spice). Whoever needs to translate one of these texts would have to know the quite different equivalent in the target language or find it in a dictionary. Regional proverbs become especially difficult translation problems, since possible equivalents are often missing from dictionaries which tend to include only the more common proverbs. On the other hand, many proverbs are identical not only in German and English but in most Germanic, Romance, and Slavic languages of Europe, and these do not present any particular translation problem. In other words, there exist general European proverbs, i.e., proverbs that have been disseminated through precise loan translations throughout Europe. That is why Emanuel Strauss could publish his three-volume Dictionary of European Proverbs (1994) and why Gyula Paczolay could follow suit with his invaluable collection of European Proverbs in 55 Languages (1997), to name but two of the many polyglot proverb collections. Four sources for the distribution of European proverbs can be identified (similar processes have occurred in the dissemination of proverbs in Asian, African, and other linguistic and cultural groups). There is first of
397
all Greek and Roman antiquity whose proverbial wisdom found a broad geographical dissemination primarily through the Latin language. The scholarly study of proverbs begins with Aristotle, and many Greek proverbs have been found in the works of Plato, Sophocles. Homer, Aristophanes, Aeschylus, Euripides, etc. Many of them reappeared in Latin translation in Plautus, Terence, Cicero, Horace, and other Roman writers (cf. Mieder and Bryan 1996). Ancient writers also added new Latin proverbs, and many of these classical texts became part of a rich medieval Latin proverb tradition. More importantly, however, these common Latin texts were then translated into the many developing European languages. Erasmus of Rotterdam played a major role in spreading this classical and medieval wisdom throughout Europe by means of the many editions of his Adagia (1500ff.) that contains over four thousand explanatory notes and essays on classical proverbs and proverbial expressions (cf. Phillips 1964). His works were read and translated, and he himself had also shown interest in early Dutch regional proverbs. The same is true for Martin Luther in Germany, who was a masterful translator of classical proverbs but who also employed many indigenous German proverbs in his writings (cf. Cornette 1942). Latin proverbs were used in school translation exercises, and many of them entered the various languages through oral channels thus spreading classical wisdom through the written and spoken word all over Europe. By way of English they travelled on to Australia, Canada, the United States and the rest of the world, where English is used as a second language. Some of these proverbs have truly taken on an international and global currency, showing once again that they contain universal human experiences and insights. There is then no doubt that a considerable corpus of common European proverbs can be traced back to classical times. Since they were loan translated from the same sources, they exist in the many languages of Europe in identical wordings and structures. Little wonder then that Gyula Paczolay was able to find exact equivalents of the classical proverb Where there is smoke, there is fire in 54 European languages. A few other popular proverbs from classical times that are still very much in use today in Europe and elsewhere are: Barking dogs do not bite (51 European languages), One swallow does not make a
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summer (49), Walls have ears (46), One hand washes the other (46), Make haste slowly (43), Children and fools tell the truth (41), Still waters run deep (38), and Love is blind (37). Their general use in present-day Europe and beyond indicates a strong intellectual, ethical, and human bond among people. All of these texts express general human wisdom without any specific national or ethnic references. And since they are basically identical in all languages, they are and will continue to be effective modes of metaphorical communication among Europeans, North Americans, and other peoples. A second source of proverbs for the entire European continent and beyond is the Bible whose proverbs date back to classical antiquity and early wisdom literature. As a widely translated book the Bible had a major influence on the distribution of common proverbs since the various translators were dealing with the same texts. Several dozen Biblical proverbs are thus current in identical wordings in many European languages, even though speakers might not remember that they are employing proverbs from the Bible. A few obvious examples are As you sow, so you reap (Paczolay lists 52 European references; see Galatians 6:7), He who digs a pit for others, falls in himself (48; Proverbs 26:27), He that will not work, shall not eat (43; 2. Thessalonians 3:10), A prophet is not without honor save in his own country (39; Matthew 13:57), An eye for an eye, a tooth for a tooth (38; 2. Moses 21:24), and There is nothing new under the sun (29; Ecclesiastes 1:9). It is important to note, however, that the number of Biblical proverbs in various European languages is not identical. Much depended on the linguistic skills of the translators. In the case of Martin Luther, quite a few of his German formulations have actually become proverbial without having been proverbs in the original text. The third source for common European proverbs is medieval Latin. The Latin language of the Middle Ages had the status of a lingua franca, and as such it developed new proverbs that can not be traced back to classical times. Hans Walther and Paul Gerhard Schmidt have put together thousands of medieval proverbs in their massive nine-volume collection of Lateinische Sprichwörter und Sentenzen des Mittelalters (1963–1986), and the thirteen-volume Lexikon der Sprichwörter des romanisch-germanischen Mittelalters
IX. Sprichwörter/Proverbs
(1995–2002) by Samuel Singer and Ricarda Liver shows the relationship of many of these Latin proverbs to those of the vulgate languages. Many medieval Latin proverbs in their exact translations have spread to European languages, and they certainly belong to some of the most popular proverbs today. A few well-known examples are: Crows will not pick out crows’ eyes (Paczolay lists 48 European references), Strike while the iron is hot (48), New brooms sweep clean (47), All that glitters is not gold (47), When the cat is away, the mice will play (46), The pitcher goes so long to the well until it breaks at last (40), No rose without thorns (39), At night all cats are grey (38), and Clothes do not make the man (37). Of special interest is the Middle Latin proverb Mille via ducunt hominem per secula ad Romam from the 12th century, for which Paczolay cites 33 European equivalents. In all these languages the direct loan translation of All roads lead to Rome exists. However, there are also variants which replace “Rome” with another city. In an Estonian proverb the city is St. Petersburg, a Finnish proverb refers to the old capital Turku, a Russian proverb mentions Moscow, and a Turkish proverb names Mecca. But these are variants which one might well have expected in Europe, and perhaps one day the American version All roads lead to Washington will also appear in a proverb collection. It does exist, but has simply not been recorded yet. As for one speaker, I know that I have used this variant from time to time when discussing national politics. The fourth source for common European proverbs reverses the historical move of proverbs from Europe to the United States. They are modern texts which have been disseminated since the middle of the 20th century throughout Europe by means of the mass media. A few new proverbs, which are already spreading across the European continent either in the new lingua franca of English or in new loan translations are such American proverbs as A picture is worth a thousand words, It takes two to tango, and Garbage in, garbage out (from the world of computers). Of special interest is also the “Europeanization” of the well-known American proverb What’s good for General Motors is good for America which the President of General Motors Charles Erwin Wilson coined on January 15, 1953, during a Senate hearing. Willy Brandt, the renowned European politician, changed this proverb in a loan transla-
35. Proverbs as cultural units or items of folklore
tion to fit the European context. Calling for European solidarity in a speech on November 18, 1971, he exclaimed: “Im übrigen könnte man jedoch in Abwandlung eines alten amerikanischen Sprichwortes sagen: Was gut ist für Europa, ist gut für die Vereinigten Staaten. Die Zeit des Feiertags-Europäertums ist vorbei, Europa ist unser Alltag” (All around one could say by changing an old American proverb: What is good for Europe, is good for the United States. The time of holiday-Europeanness is over, Europe is our normal workday). One is inclined to change the 16thcentury proverb Handsome is as handsome does to the new proverbial slogan “Europe is as Europe does” to fit the new European consciousness as the move towards unity continues (cf. Mieder 2000c). In any case, the United States and its English language are not only spreading new words throughout Europe and the rest of the world. They are also disseminating new proverbs from popular culture (music, film, etc.) and the mass media (advertisements, cartoons, etc.) as bits of wisdom that fit the 21st century.
4.
Empiricism and paremiological minima
As Peter Grzybek and Christoph Chlosta (1993) have shown, scholars must base their studies on demographic research methods utilizing questionnaires and sophisticated statistical analyses in order to establish lists of those proverbs which are actually known and continue to be in current use (cf. Levin 1968– 1969, Mieder 1985a). This research methodology will also help to establish the proverbiality of the new proverbs of the modern age (see Doyle 1996). There is thus a definite need for increased global field research, from highly technological societies to those parts of the world where life continues to be based on traditional and rural life. Such empirical work will, of course, also help to establish “paremiological minima” for many languages and cultures, as Grigorii L’vovich Permiakov (1919–1983), one of the greatest theoretical paremiologists of the 20th century, suggested already in the early 1970s. Utilizing his paremiological experiment conducted in Moscow in 1970, Permiakov was able to establish the general currency of 1,494 phaseological units among modern inhabitants of that city. Included were 268 proper proverbs, and the rest of the texts were pro-
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verbial expressions, proverbial comparisons, wellerisms, fables, anecdotes, riddles, slogans, weather signs, superstitions, allusions to fairy tales, oaths, etc. Permiakov’s list shows clearly that many long folk narratives have currency as short phraseological remnants (allusions). All of these texts are part of the general cultural literacy of Russians (Permiakov 1971). Native as well as foreign speakers of Russian need to know them in order to communicate effectively in that language. Permiakov subsequently established a socalled “paremiological minimum” of 300 such texts based on this experiment (Permiakov 1982 [1989]) and published it with an explanatory introduction and many notes as 300 obshcheupotrebitel’nykh russkikh poslovits i pogovorok (1985; cf. Grzybek and Eismann 1984, 351–358). German and Bulgarian translations have appeared that enable foreign language instructors to teach their students the most frequently used Russian proverbs, proverbial expressions, proverbial comparisons, etc. Similar paremiological minima of such common phraseological units of other national languages are now being established by paremiographers, to wit the very useful results for Croatian, Czech, German, and Hungarian. Many proverbs of classical, Biblical or medieval origin will belong to the paremiological minima of European languages. But there will still be room for national proverbs among a list of about 300 texts. Since these texts are identified by statistical frequency studies of actual use in oral and written communication, they become a useful list for foreign language instruction. After all, it is important to teach the most well-known and current proverbs to foreign language learners rather than obscure and seldomly used texts. The proverbs that belong to the paremiological minimum of a language are clearly part of the cultural literacy of native speakers, and it behooves foreign language teachers to include them in their instruction of language and culture (Mieder 1992, Tóthné Litovkina 1998). Demoscopic research will also finally give scholars a much better idea as to which of the thousands of proverbs listed in the older collections are still in actual use today. Paremiography cannot remain a science that looks primarily backwards and works only with texts of times gone by. Modern paremiographers can and should also assemble proverb collections that
400
IX. Sprichwörter/Proverbs
include the texts of the 20th and 21st centuries, as is the case at least in part with Stewart A. Kingsbury’s, Kelsie B. Harder’s and my A Dictionary of American Proverbs (1992). Regarding the English language, no precise paremiological minimum has been established thus far. However, some empirically oriented work has been done (Mieder 1992a, Tóthné Litovkina 1994, Lau 1996), indicating that such proverbs as the following are certainly used with high frequency in the United States today: Absence makes the heart grow fonder, An apple a day keeps the doctor away, Beauty is only skin deep, The early bird catches the worm, You can’t judge a book by its cover, First come, first served, The grass is always greener on the other side of the fence, Make hay while the sun shines, Honesty is the best policy, Practice makes perfect, A stitch in time saves nine, A rolling stone gathers no moss, If at first you don’t succeed, try, try again, Time is money, etc.
5.
Semiotics and performance
Theoretical proverb scholarship has been influenced to a large degree by the semiotic studies of Permiakov (1970), Grzybek and Eismann (1984), and Kanyo (1981). Grzybek has summarized this linguistic approach to proverbs in his seminal article on “Foundations of Semiotic Proverb Study” (1987, cf. also Grzybek 2000). As scholars investigate the hetereo-situativity, poly-functionality, and poly-semanticity of proverbs as “einfache Formen” (simple forms), it is important that they pay attention to the paradigmatic, syntagmatic, logical, structural, pragmatic, and semantic aspects of these traditional utterances as communicative and strategic signs (cf. Anscombre 2000). Structural analyses of texts will certainly gain in value if semiotic aspects of proverbs as linguistic and cultural signs are added to them with a special focus on actual proverb performance in speech acts (Goodwin and Wenzel 1979). Linguists and folklorists have repeatedly attempted to explain the semantic ambiguity of proverbs, which results to a large degree from being used in various contexts with different functions (cf. Jason 1971). But proverbs also act as analogies, which adds to the complexity of understanding their precise meaning in a particular speech act (Kirshenblatt-Gimblett 1973, Honeck/Kibler 1984, Lieber 1984, Suard/Buridant 1984). In fact,
linguist Neal R. Norrick dedicated his entire book on How Proverbs Mean: Semantic Studies in English Proverbs (1985) to this problem. He deals primarily with both the literal but usually figurative meaning of proverbs, emphasizing the ambiguity of metaphorical proverbs. In trying to understand the meaning of proverbs in certain contexts, one must keep in mind that they are usually employed to disambiguate complex situations and events. Yet they are paradoxically inherently ambiguous, because their meaning depends on analogy. Proverbs as devices of disambiguation, the paradox of analogic ambiguity in proverb usage, and the socio-cultural use of proverbs in oral and written communication still require further study by paremiologists as they map out the strategies used in the appropriate employment of seemingly simple and yet so complex proverbial utterances. Clearly the meaning and purpose of proverbs are best revealed by strategic use in social situations (cf. Seitel 1969, Barakat 1980). When one considers proverbs in context, it should not be surprising that there are such contradictory proverb pairs as Birds of a feather flock together and Opposites attract. After all, proverbs are not universal truths but rather limited pieces of folk wisdom which are valid only in certain situations. The problem of contradictory proverbs exists primarily because people ignore their social context (cf. Yankah 1984). If one deals with proverbs only as a concept of a cultural fact or truism, contradictions are easily found in any proverb repertoire. In contextual usage, however, proverbs function effectively as social strategies. Proverbs in normal discourse are not contradictory at all, and they usually make perfect sense to the speaker and listener. After all, people don’t speak in proverb pairs, unless they are “duelling” with proverbs as a verbal contest (cf. Yankah 1989). Today it has almost become a cliché to point out that proverbs must be studied in context, but it took a long time for anthropologically-oriented proverb collectors to go beyond mere texts and look at the use and function of the proverbial materials in actual speech acts. The noted anthropologist Edward Westermarck (1862–1939) began to look at proverbs from this contextual point of view in his Wit and Wisdom in Morocco. A Study of Native Proverbs (1930). Modern scholars trained in the theoretical aspects of speech acts or performance look at proverbs as part
35. Proverbs as cultural units or items of folklore
of active verbal communication. E. Ojo Arewa and Alan Dundes (1964) laid the groundwork for this type of analysis by looking at such questions as “What rules govern the use of proverbs? Who is using them and to whom? On what occasions? In what places?” (cf. also Penfield 1983, Fabian 1990). A study by anthropologist Charles L. Briggs (1985) on the pragmatics of proverb performances is exemplary in this respect. He conducted field research on the oral proverb performance in Córdova, a community of about 700 inhabitants located in the mountains of northern New Mexico in the United States. From transcriptions of recorded performances, Briggs isolates eight features of proverb use: tying phrase (i.e., introductory formula), identity of owner, quotation-framing verb, proverb text, special association, general meaning or hypothetical situation, relevance of context, and validation of the performance. Most speakers have never thought of all of this when expressing a proverb during an actual speech act, but these linguistic strategies definitely exist as proverbs are cited as signs of commonly understood and accepted folk wisdom.
6.
Culture, folklore, and history
Folklorists, cultural historians, and philologists have occupied themselves for a long time with tracing the origin, history, dissemination, and meaning of individual proverbs and their variants. One could go so far as to say that there is a “story” behind every proverb, and it is usually a sizable task to deal with just one text in this diachronic and semantic fashion. About some proverbs entire books have been written (cf. Kuusi 1957b), but there are also numerous lengthy articles and small notes on specific expressions (cf. Mieder 1977). The German folklorist and paremiologist Lutz Röhrich has put together a three-volume Das große Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten (1991–1992), in which he discusses the history and meaning of hundreds of German texts. While there exist exemplary studies on such proverbs as When Adam delved and Eve span, who was then the gentleman? (Friedman 1974), Don’t throw the baby out with the bathwater (Mieder 1993, 193–224), and It is an ill bird that fouls its own nest (Kunstmann 1939), much remains to be done for obscure regional and
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dialectical texts (cf. Hain 1951, Ruef 1995) as well as for globally-disseminated proverbs. Folklorists and cultural historians are also interested in how proverbs were used in different historical periods. Proverbs do, at least to a degree, reflect the attitudes or worldview (mentality) of various social classes at different periods, for example in an English urban industrial region or in early modern French society (cf. McKelvie 1965, Davis 1975). The African paremiologist J.O.J. Nwachukwu-Agbada (1990) has analyzed the origin, meaning and value of Igbo historical proverbs, showing that they are significant keys for an understanding of the cultural history of Nigeria. Although the proverbs might not be precise history, they contain important information concerning the folk interpretation of colonialism, wars, and other events. The fact that these matters were crystallized into proverbial form brought about the remembrance and memorability of such historical facts in a primarily oral culture. Of major interest is also James Obelkevich’s (1987) social investigation of the users and uses of proverbs in Europe during different historical periods. He deals with various meanings of proverbs in their historical and social context, emphasizing their significance as expressions of “mentalities” or worldview and socially relevant wisdom. Another area of interest for folklorists and cultural historians are proverbs that belong to a particular group or that can be grouped together under a theme, showing, for example, the traditional wisdom about gender issues and misogyny over the centuries (Kerschen 1998, Rittersbacher 2002). At their best, studies of this type are comparatively oriented, i. e., they look at proverbs from different cultural and linguistic groups (cf. Sabban/Wirrer 1991, Prahlad 1994 and 1996, Petrova 2003). A group can be just a family, and folklorists have been eager to find out how proverbs function in these small social units (cf. Lévy/ Zumwalt 1990, Williams 2003). But the group studied can also be as complex as the multi-ethnic society of Israel. Galit HasanRokem (1992) has dealt with the use and function of proverbs in Israeli discourse, showing that proverbs can take on an important role in conflict solutions. Finally, one might ask what the proverb repertoire of one particular person might be. In order to answer this question, Stanley Brandes (1974) interviewed an elderly Spanish widow. He com-
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IX. Sprichwörter/Proverbs
pares her proverbs with the total inventory of proverbs collected in her village, he examines how the proverb content may reflect or relate to her direct experience, he evaluates whether her proverbs express consistent or contradictory notions, and he determines the functions and goals of her proverb use. Above all, Brandes shows that there is always a selection process going on whereby each person seizes upon or rejects the proverbs he or she has heard, depending upon his or her momentary outlook, status or life style. All of this is yet another indication that proverbs are no simple matter. Being acquainted with a number of proverbs is one thing, knowing when and how to use what proverb is quite another. Any person speaking a foreign language is well aware of this communicative difficulty with proverbs. More than other scholars, folklorists and cultural historians are also interested in the content of proverbs, to wit what cultural realia are contained in individual proverbs and how they differ from culture to culture in proverbs that might mean the same. Many proverbs refer to old measurements, obscure professions, outdated weapons, unknown tools, plants, animals, names, and various other traditional matters. Often it is not clear any longer what exactly is meant by certain words in a proverb, even though its actual sense is understood, to wit Many a mickle makes a muckle or Possession is nine points of the law (cf. Geise 1999). That is why people so often ask what a proverb really means, where it comes from, etc. Folklorists and cultural historians together with historically minded linguists are the ones who provide answers to these fascinating questions (cf. Mieder 1978a, Röhrich/ Mieder 1977, Seiler 1922).
7.
Stereotypes and worldview
Care must be taken when looking at proverbs as expressing aspects of a certain worldview or mentality of a people that no stereotypical conclusions about a so-called “national character” are drawn. There are so many popular proverbs from classical, Biblical and medieval times current in various cultures that it would be foolish to think of them as reflecting some imagined national character, as for example Chinese or Finnish (Lister 1874– 1875, Kuusi 1967). Nevertheless, the frequent use of certain proverbs in a particular culture could be used together with other social and
cultural indicators to formulate valid generalizations. Thus, if the Germans really do use the proverbs Morgenstunde hat Gold im Munde (The morning hour has gold in its mouth, i.e., The early bird catches the worm) and Ordnung ist das halbe Leben (Order is half of life) with high frequency, then they do mirror at least to some degree the German attitude towards getting up early and keeping things in good order (cf. Dundes 1984). Nevertheless, proverb studies looking for national character traits should be undertaken with much care. Proverbs can be quite negative when they express, as many of them do, slurs or stereotypes (cf. Profantová 1997, Ronesi 2000). Such negative proverbial texts appear in the earliest proverb collections, and they are still used today despite attempts to be openminded towards ethnic, religious, sexual, national, and regional differences. Two special collections are Otto von Reinsberg-Düringsfeld’s Internationale Titulaturen (1863) and Abraham A. Roback’s A Dictionary of International Slurs (1944). Folklorist Alan Dundes (1975) has studied the international scope of national slurs or “blasons populaires”, dealing with such topics as stereotypes, national character, ethnocentrism, and prejudice. Shirley L. Arora (1994) has dealt with the proverbial stereotypes that the Spanish colonizers invented against the native populations of Central and South America, I have described the use of anti-Semitic proverbs by the National Socialists in their murderous campaign of the destruction of the European Jews (Mieder 1982), and J.O.J. Nwachukwu-Agbada (1988) has studied the historical and social background of proverbs against the white colonizers. The sad story of just one such hateful proverb I have shown in my analyses of the proverbs The only good Indian is a dead Indian (1993a) and No tickee, no washee (1996a) as well as in my book-length study “Call a Spade a Spade”: From Classical Phrase to Racial Slur (2002). These proverbial stereotypes against the Native Americans, Chinese Americans, and African Americans respectively have done much harm in the American society, and they should not be used any longer. Finally, folklorists, historians, and political scientists have also looked at the use of proverbs in politics as most effective rhetorical devices (Louis 2000). Shirley L. Arora (1989) scrutinized the intriguing role that the Greek
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35. Proverbs as cultural units or items of folklore
proverb The fish rots from the head first with its major variant The fish begins to stink at the head played during the American presidential campaign in the summer of 1988 in the mass media. Politicians from classical to modern times have deployed proverbs effectively in their rhetoric. Adolf Hitler, for example, used proverbs in his propagandistic and prophetic book Mein Kampf (My Battle, 1925–1926) to advocate the military and deadly goals of Nazism (Mieder 1997, 9–38, cf. also Doerr 2000). Winston S. Churchill employed proverbs in his speeches and letters to convince the British people and the rest of the world that Nazi Germany had to be overcome by all means (Mieder/Bryan 1995). And, as expected, the plain-speaking Harry S. Truman added many proverbs and proverbial expressions to his verbal messages in order to communicate in a language that the average folk could understand (Mieder/Bryan 1997). But proverbs in political use are not without their problems. While they can do much good in creating solid communication based on generational wisdom, they can also be misused to manipulate people into following the wrong leaders. Nazi Germany is a warning of how proverbs, especially anti-Semitic proverbs, became dangerous verbal weapons. People followed such proverbial invectives blindly, forgetting that proverbs are not absolute truths. Proverbs can cut both ways in the political realm-–as stereotypical invectives they can lead to tensions, but as metaphors of indirection they can in fact relax tensions (cf. Raymond 1956). My investigation of the proverbs and political cartoons employed during the Cold War shows clearly that world leaders like Leonid Brezhnev, Mikhail Gorbachev, Margaret Thatcher, Helmut Kohl, François Mitterand, and Ronald Reagan as well as international journalists employed such proverbs as Hear no evil, see no evil, speak no evil, Big fish eat little fish, The pen is mightier than the sword, and It takes two to tango to deal with serious political issues (Mieder 1987, Mieder 1997b, 99–137 and 214–221 [notes]). As the world continues its struggle towards peace and democracy, people might well keep in mind the American proverb of democracy: Government of the people, by the people, for the people (Mieder 2003b).
8.
Proverbs and the social sciences
Social scientists have contributed a wealth of scholarship about the multifaceted characteristics, uses, functions, and meanings of proverbs (cf. Mieder/Sobieski 2003). Some of the major areas of inquiry are abstraction, attitude, behavior, cognition, communication, community, ethnicity, experience, gender, intelligence, memory, mental health, perception, schizophrenia, socialization, transmission, validity, wisdom, etc. Anthropologist Ruth Finnegan (1970) has given a detailed survey of the concept of proverbs in African societies, especially among the Jabo, Zulu, and Azande peoples. While she deals in general with the language, style, content, use, and function of the proverbs as part of social life, there is also Samuel Gyasi Obeng’s (1996) much more specific study on how proverbs are employed as a mitigating and politeness strategy in Akan discourse. He interprets the performance of proverbs in social contexts, showing that it is the indirection of the proverbial message that brings about a congenial communicative process that otherwise might have been confrontational. While social anthropologists have dealt with proverbs since the 19th century, basing their research on impressive field research, sociologists regrettably have had much less interest in proverbs. And yet, as they study the social organizations and the behavior of people in them, it would make eminent sense to take a look at how proverbs relate and participate in social structures and life. Some exciting new scholarship is available, as for example Paul Hernadi’s and Francis Steen’s (1999) crossdisciplinary look at proverbs as socially sanctioned advice. Marilyn A. Nippold, Linda D. Uhden, and Ilsa E. Schwarz (1997) have studied the ability of understanding and interpreting proverbs at different age stages, and Alyce McKenzie (1996a; cf. also Mieder 1989, 317–332) analyzed the American proverb Different strokes for different folks, explaining that while this modern proverb does advocate the freedom of choice (especially in behavioral matters), it must not be interpreted from a relativistic point of view lacking any moral and social obligations. The liberating thoughts of the proverb regarding individual choices obviously should go only so far as they conform with ethical concepts of society at large. Proverbs have also been studied and used by social psychologists to help people deal
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with various behavioral problems including alcohol or drug addictions. Tim B. Rogers (1989) has shown that proverbs like No pain, no gain can be used on posters in treatment centers as a constant reminder that it is a worthwhile struggle to overcome an addiction in order to live a normal life. Such proverbs have also been used during discussions in group therapeutic sessions where they help to create a common ground for the addicts. But the therapeutic use of proverbs is not without its problems and they should not be overused as simplistic remedies of folk speech (cf. Whaley 1993). Psychologists and psychiatrists have long been interested in proverbs for testing intelligence, attitudes, aptitudes, and various mental illnesses. Numerous so-called “proverbs tests” have been devised for this purpose, the best known and most commonly used of which is the Gorham Proverbs Test. It was developed by Donald R. Gorham in 1956 as a tool for diagnosing schizophrenia, since schizophrenics have difficulty in understanding the metaphors of proverbs by interpreting them literally (Gorham 1956). Obviously psycho- and sociolinguistic aspects of normal comprehension of metaphors by children vs. adults, native vs. foreign speakers, white-collar vs. blue-collar workers, etc. enter into this. Of greatest importance is, however, that proverbs tests usually exclude any contextualization of the proverbs, even though it has long been established that proverbs can only be understood properly in social contexts (Mieder 1978b, Rogers 1986). But it is in the area of psycholinguistics that the true cutting edge work is going on in theoretical paremiology. Psycholinguists have employed proverbs to study the mental development of children and the whole question of cognition and comprehension of metaphors (cf. Mieder 2003a). Diana Van Lancker’s seminal article on “The Neurology of Proverbs” (1990) looks at the complex mental processes that must take place in the brain of healthy people to understand abstract (i.e., metaphorical) proverbs, and Raymond W. Gibbs and Dinara Beitel (1995) discuss various theories of metaphor understanding based on proverbs. The psycholinguist Richard P. Honeck has dedicated his entire scholarly career to find solutions to the vexing problems of cognition and figurative (metaphorical) language. In his superb book on A Proverb in Mind: The Cognitive Science of
IX. Sprichwörter/Proverbs
Proverbial Wit and Wisdom (1997) he reviews all relevant previous scholarship on metaphor comprehension and then examines proverbs in particular, looking at such matters as cognition, comprehension, communication, indirection, memory, metaphor, etc. As Honeck and his psycholinguistic colleagues have shown, proverbs might appear to be simple truths, but they certainly demand complex brain transactions to be properly understood and effectively used.
9.
Use in folk narratives and literature
The interrelationship of proverbs with other verbal folklore genres has been of great interest to folklorists in general and paremiologists in particular for a long time. Classical Greek and Latin writers commented on the obvious interrelationship between fables and proverbs, theorizing, as it were, about which of the genres came first (cf. Carnes 1988). In other words, does the proverb that adds a bit of moralizing or ethical wisdom at the end of a fable summarize its content, or is the fable nothing but an explanatory comment on the original proverb? The use and function of proverbs in German fairy tales has been studied by Lothar Bluhm and Heinz Rölleke (1997), and I have shown that especially Wilhelm Grimm changed the style of the fairy tales that he and his brother Jacob had collected from oral sources to make them sound even more “folksy” and ready-made for children (Mieder 1986). Galit Hasan-Rokem’s valuable study on Proverbs in Israeli Folk Narratives: A Structural Semantic Analysis (1982) is also of much interest. The connections between proverbs and riddles, proverbs and jokes, and wellerisms and tall tales have also been studied in smaller articles and notes, and both Bartlett Jere Whiting and Richard Sweterlitsch have looked at the significance of proverbs in the narrative texts of ballads (Whiting 1934, Sweterlitsch 1985; see also Harris 1933). Much work remains to be done in this area, especially regarding etiological tales that serve the purpose of explaining the origin and meaning of proverbs and proverbial expressions (Taylor 1971–1973, Röhrich 1991–1992). Much has also been accomplished regarding the use and function of proverbs in literature (cf. Mieder/Bryan 1996). Early scholarship consists primarily of annotated lists of the proverbs found in literary works, while
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35. Proverbs as cultural units or items of folklore
more recent publications address the problems of identification and interpretation of proverbial language in poetry, dramas, and prose. There are hundreds of literary proverb studies centering primarily on European and American authors ranging from the Middle Ages through the 19th century (cf. Abrahams/ Babcock 1977), but there are now also investigations of the proverbs in modern writers of Africa, Asia and elsewhere (cf. Adéèkó 1998). While the many monographs on famous writers like Goethe (Pfeffer 1948), Cervantes (Colombi 1989), Voltaire (Calvez 1989), Shakespeare (Donker 1992), Agatha Christie (Bryan 1993), and Frederick Douglass (Mieder 2001) are of importance, there are also more inclusive literary proverb studies of a national literature or a certain historical period, as on the use and function of proverbs in 19th-century German literature (Mieder 1976), medieval French literature (Schulze-Busacker 1985), in African literature (Adéèkó 1998), and Russian literature (McKenna 1998). Rather than writing yet another study on Chinua Achebe or William Shakespeare, more such inclusive investigations are in order to draw valid conclusions regarding the use and function of proverbs during the different literary periods of various cultures and languages. The many specific analyses of literary works ought to add up to a better understanding of the poetics of proverbs in literature, also indicating, of course, what proverbs were in frequent use at what time. Although authors differ in the frequency with which they employ proverbs, proverbial expressions, proverbial comparisons, and wellerisms, their works become important repositories of proverbial language. Whatever the number of proverbial texts in a literary work might be, locating them and interpreting their meaning can be a significant twofold task. Identification serves primarily paremiographical goals in that it deals with the texts. Since the oral use of proverbs in former centuries can no longer be investigated through field research, scholars depend on the written word as sources of them. Every literary investigation of proverbs should, ideally, include an index of all proverbial material with proper verification of their proverbiality (as far as this is possible) by means of standard proverb dictionaries. Such annotated proverb lists are of great importance for the preparation of both expanded and new historical prov-
erb dictionaries. However, this is only the paremiographical side of the coin. In addition to the identification of proverbial texts there should also be a detailed interpretation of their contextual function. Literary critics, folklorists, and paremiologists want to know when, why, how, by whom, and to whom proverbs are used in literary works. They will thus consider each example in its context to determine what effect it has on the style and message of the entire work. Of much interest is also whether introductory formulas are used to integrate the proverb into the text, whether the formulaic standard structure of the proverb has been changed for stylistic effect, whether a proverb is merely alluded to in an ironic twist, whether a proverb is intentionally parodied or questioned, etc. Ideally a literary proverb investigation consists of a proverb index and an interpretive essay.
10. Religion and wisdom literature Proverbs derived from the sacred writings of the world’s religions have also gained wide circulation and have been collected as international expressions of wisdom (cf. Champion 1945, Griffin 1991). A vast international scholarship centers on wisdom literature which has found its way into traditional proverbs in various languages and cultures (cf. Plopper 1926, Thompson 1974, Fontaine 1982, Winton 1990, O’Connor 1993, Perry 1993, Westermann 1995, Brown 2000). But much more comparative work is needed to point out the similarities and dissimilarities of the proverbial wisdom of the various religions. There is also not enough known yet about the influence that Biblical proverbs had on the African or Asian population due to the missionary work (cf. Nzambi 1992, Saayman 1997). Yet such indigenous studies as Gerald J. Wanjohi’s The Wisdom and the Philosophy of the Gikuyu Proverbs (1997) are also of great value in understanding the religious and ethical value system of various peoples as expressed in folk proverbs. Evidence of verbal wisdom, much of it in the form of proverbs, can be seen in religious writings and in everyday communication on all levels. Scholars from such diverse fields as theology, philosophy, medicine, psychology, and linguistics continue to look at the sources of this wisdom (ancient wisdom literature, cultural traditions, moral values), the science of wisdom (cognition, comprehen-
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sion, psycholinguistics), and the learning of wisdom (pedagogy, memorization, communication). John Marks Templeton published an uplifting book on Worldwide Laws of Life: Two Hundred Eternal Spiritual Principles (1997) based on wisdom drawn from major sacred scriptures of the world and different philosophies. The book is intended to help people to acquaint themselves with and hopefully to practice universally accepted moral truths, often expressed in the form of proverbs, as for example Love thy neighbor as yourself (Matthew 19:19), Hitch your wagon to a star (Ralph Waldo Emerson), A healthy mind in a healthy body, and, of course, the so-called golden rule of Do unto others, as you would have them do unto you (Matthew 7:12). There is also the ever expanding area of “self-help” books that draw on the wisdom of religious and folk proverbs to assist people in coping with the many challenges of modern life. Such books are meant to be therapeutic both from a sociological and psychological point of view, being based to a considerable extent on such proverbs as If at first you don’t succeed, try, try again, No pain, no gain, and Don’t put off until tomorrow what you can do today (cf. Arthurs 1994, Eret 2001). Some of the “gurus” of the self-help phenomenon also create their very own maxims in the style of proverbs to spread their message among their eager readers. Finally, there is the long tradition of the sermonic use of proverbs. Preachers in all religions frequently base their sermons on religious as well as folk proverbs to teach moral values for an upright life. From the folk preachers of the Middle Ages via Martin Luther (cf. Cornette 1942) to the 19th-century American preacher Henry Ward Beecher and on to such internationally acclaimed preachers like Martin Luther King, proverbs have played a central role in their religious and social messages. At times the proverbs were simply used in an exegetic way to clarify certain Bible passages, but a much more important function of proverbs in sermons is to employ them as a sapiential leitmotif (cf. McKenzie 1996b).
11. Pedagogy and language teaching Proverbs have been used as teaching tools for centuries to teach moral values and social skills. In fact, there exist special proverbs that deal with such matters as the mind, wisdom,
IX. Sprichwörter/Proverbs
experience, learning, authority, and the teacher (cf. Stanciu 1986). Proverbs contain much educational wisdom, and they have long been used as didactic tools in child rearing, in linguistic and religious instruction in schools, and in teaching about general human experiences. Such proverbs continue to play a major role as a pedagogical tool in modern societies, especially among family members and at school. They deserve to be taught as part of general education, and since they belong to the common knowledge of basically all native speakers, they are indeed very effective devices to communicate wisdom and knowledge about human nature and the world at large. The African educator Felix Boateng (1985) has called for a return to traditional education in Africa with an emphasis on the rich heritage of oral literature as expressed in fables, myths, legends, folk tales, and proverbs. Clearly the educational and communicative power of proverbs in African societies lies in their use as validators of traditional ethics, procedures, and beliefs in teaching children as well as adults. The value and power of proverbs as educational tools are also recognized in modern technological societies. Proverbs have also been used in native language instruction and to bring cultural traditions to foreign language classes. Text books on both the teaching of native and foreign languages usually include at least some lists of proverbs and accompanying exercises. In Europe this began in the Middle Ages when Latin proverbs were used for translation exercises and to teach children moral precepts. This tradition has by no means come to an end. In fact, the developmental stage of fourth graders might be the perfect time to confront students with the character-building values of proverbial laws of life. The fact that they learn proverbs, that they can employ them in meaningful contexts, and that they act according to their wisdom is proof that children aged nine to ten can cope with abstract and metaphorical proverbs as rules of moral conduct (Mieder/Holmes 2000). But proverbs also play a major role in the teaching of English as a second language, where they are included as part of metaphorical and cultural learning. Obviously it behooves new speakers of English or any other language to be acquainted with proverbs and other phraseological units for effective communication. As instructors plan the
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35. Proverbs as cultural units or items of folklore
curriculum and devise text books for teaching another language, they do well to choose those proverbs for inclusion that are part of the paremiological minimum. It is the proverbs that are in use today that need to be taught (cf. Abadi 2000). All of this also holds true for foreign language instruction in general, where proverbs have always been included as fixed cultural expressions. There is much scholarship on how to integrate proverbs into the teaching of foreign languages (cf. McKenna 1991, Nuessel 1999), but Anna Tóthné Litovkina’s book A Proverb a Day Keeps Boredom Away (2000) is exemplary. While it is intended primarily for Hungarian students learning English, it could easily be adapted for other language classes. The aim of the book is to familiarize language students with over 450 Anglo-American proverbs by providing a series of activities and exercises which will help the learner to discover what each proverb means and how to apply it in particular situations. The exercises bring the proverbs alive with short illustrative references from books, magazines, and newspapers, as well as from poems, fables, and folk narratives. The book also focuses on proverb humor, including anti-proverbs and wellerisms. The fact that the author has also provided sixty proverb illustrations from such well-known artists as Hieronymus Bosch and Pieter Bruegel the Elder as well as woodcusts, engravings, emblems, caricatures, cartoons, and advertisements (cf. Jones 1989, Mieder/ Sobieski 1999) makes it a most attractive and useful text book for proverb acquisition in language classes.
12. Mass media and popular culture While it is perfectly appropriate for paremiologists to look backwards for the use of proverbs, they must not forget to investigate their traditional and innovative use in modern times (cf. Koller 1977). With the growing interest in popular culture, the mass media, and cultural literacy, paremiologists look at which traditional proverbs survive today and which have actually been coined in the 20th and 21st centuries (cf. Rees 1984). I have dealt with the modern German scene (Mieder 1983, 1985c, 1992b, 1995a, 1995b, 2000a) and with Anglo-American materials (Mieder 1989, 1993b) in a number of books, showing that people do not necessarily consider proverbs to be sacrosanct. The “fun” of parodying,
manipulating, and perverting traditional proverbs has become quite widespread. While such parodies might be humorous, they also often express serious socio-political satire in the form of slogans and graffiti (Nierenberg 1983). There is, of course, also the well established tradition of intentionally rephrased anti-proverbs in all types of modern communication from books of witticisms to Tshirt inscriptions and on to advertising slogans (cf. Mieder 1989: 239–275, Valdaeva 2003). While such play is not absolutely new, humorous or satirical proverb parodies certainly abound in modern literature, the mass media, and the popular culture of television, film, and music. Anna Tóthné Litovkina and I have assembled over 3,000 parodied proverbs in Twisted Wisdom: Modern Anti-Proverbs (1999, cf. also Mieder 1998). As I list but a few expressive anti-proverbs that include humor as well as social comments, the traditional proverb text is cited first. It is, after all, the juxtaposition of the original proverb with the innovative variation that adds even more spice to this play with proverbial language: Absence makes the heart grow fonder. Absence makes the heart go wander. An apple a day keeps the doctor away. A condom a day keeps the doctor away. Too many cooks spoil the broth. Too many legislators spoil reform. Experience is the best teacher. Expedience is the best teacher. A miss is as good as a mile. A Ms. is as good as a male. Nobody is perfect. No body is perfect. Different strokes for different folks. Different Volks for different folks.
The last anti-proverb was a popular advertisement for various Volkswagen models in the 1970s. Proverbs have been an intricate part of the persuasive if not manipulative tactics of advertisements for a long time. Copy writers noted decades ago that the authority and truth inherent in proverbs could easily be exploited as advertising headlines. In order to add even more convincing power to such proverbial slogans, they often use Biblical proverbs, thus putting an almost sacrosanct claim of high value on the advertised product (cf. Mieder/ Mieder 1977). While such traditional use of proverbs continues in advertisements to the present day, the modern proverbial slogans tend to be based on different strategies. Proverbs are more often than not twisted into
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innovative formulations based on puns that act as attention-getters. An eye-catching picture and relatively little precise information do the rest to push the reader and viewer into a purchasing decision (Mieder 1989: 293– 315, Winick 1998: 163–216). Much work has also been accomplished on the manipulative use of proverbs in the mass media as well as their (mis)use in political discourse. Journalists have long ago discovered the usefulness and effectiveness of proverbial headlines. Placed at the beginning of an article in large and bold print, they summarize the content of a newspaper or magazine article into an interpretive and emotionalized image. As with advertising slogans, traditional proverbs or their innovative variations serve as attention-getters to get readers to stop and actually read the following article. While the proverb of the headline does not deal with specifics, the sub-title usually zeroes in on the actual topic. Journalists obviously delight in citing traditional proverbs that are short enough to fit into a oneline headline. If they exceed the limited space, they are quickly shortened into mere allusions that will be understood by most readers. But above all journalists enjoy “playing” with proverbs, creating revealing antiproverbs that will get the readers’ attention who then want to read the entire article. Such proverbial headlines can be found in all sections of newspapers and magazines, from politics and economics to sports and entertainment. This play with proverbial language can go so far that up to three headlines based on proverbs and proverbial expressions can be found on just one page, including sophisticated newspapers like The New York Times and The Wall Street Journal (cf. McKenna 1996 and 2002). The use of proverbs as satirical caricatures or humorous cartoons goes back at least to the 17th century, and certainly by the beginning of the 19th century sequences of framed images based on proverbs foreshadow the comic strips of today. This tradition of illustrating proverbs for the purpose of humorous, ironical, or satirical commentaries on the sociopolitical life has been maintained by modern artists (cf. Mieder 1989, 277–292). For some proverbs there exists an iconographic history from medieval to modern times that comprises dozens of woodcuts, misericords, emblems, paintings, caricatures, cartoons, and comic strips, including also various types of
IX. Sprichwörter/Proverbs
illustrated greeting cards (cf. Röhrich 1991– 1992). Usually the modern illustrations have captions to assure meaningful communication, but there are also proverb depictions that merely allude to the proverb or that exclude any caption whatsoever. In the latter case the cartoonist expects viewers to understand the proverbial message from the picture alone, something that is perfectly possible if the proverb is in fact well known. It certainly is not difficult to find such proverb depictions in magazines and newspapers, commenting as it were with image and text on literally all social issues. While caricatures in newspapers usually refer to social and political problems, proverb illustrations in the comics section stress the humorous side of life. Single-frame series like Family Circle, Dennis, the Menace, and The Far Side abound with proverbs (cf. Winick 1998, 217–283), and comic strips like Peanuts, Hi and Lois, and Beetle Bailey are frequently based on more than one prov erb. There is no doubt that proverbs are very much alive in this visual type of communication. However, their wisdom is often put into question, resulting in innovative antiproverbs. The appearance and function of proverbs in film and music have received only little attention thus far. Donald Haase (1990) has at least looked at the use of proverbs in Angela Carter’s and Neil Jordan’s film version of her tale The Company of Wolves (1979) that is based on the fairy tale Little Red Riding Hood. Of special value is also an analysis of proverbial statements in the film Forrest Gump (1994), including such “Gumpisms” as Life is like a box of chocolates: you never know what you’re gonna get that has become a proverb due to the incredible popularity of this Hollywood film with its thousands of screenings (Winick 1998, 83–162). In the area of music, George B. Bryan (1999) uncovered the pervasive use of proverbs in the popular music of Gilbert and Sullivan, Steven Folsom (1993) has done the same for the hits of American country music (1993), and I have discussed the inclusion of proverbs (Mieder 1989: 195– 221) in such hits as Bob Dylan’s Like a Rolling Stone (1965), Cher’s (Cherilyn Sakisian) Apples Don’t Fall Far from the Tree (1973), and, of course, also the Beatles’ song [Money] Can’t Buy Me Love (1964). This review of scholarship and approaches with an emphasis on publications in English has shown that the ubiquitous proverbs en-
35. Proverbs as cultural units or items of folklore
able and empower paremiologists and scholars from other disciplines to study them literally everywhere at any time. Modern paremiology is an absolutely open-ended phenomenon with many new challenges lying ahead. There is no doubt that proverbs, those old gems of generationally-tested wisdom, help people in everyday life and communication to cope with the complexities of the modern human condition. The traditional proverbs and their value system provide some basic structure, and if their worldview does not fit a particular situation, they are quickly changed into revealing and liberating anti-proverbs. And there are, of course, the new proverbs of modern times, such as Different strokes for different folks, that express a liberated worldview. Proverbs don’t always have to be didactic and prescriptive; they can also be full of satire, irony, and humor. As such, the thousands of proverbs that make up the stock of proverbial wisdom of all cultures represent not a universally valid but certainly a pragmatically useful treasure. In retrospect, paremiologists have amassed a truly impressive body of proverb scholarship upon which prospective paremiology can build in good faith. Modern theoretical and empirical paremiology will doubtlessly lead to new insights about human behavior and communication, and by comparing these research results on an international basis, paremiologists might add their bit to a humane and enlightened world order based on common sense and experienced wisdom.
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414
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Wolfgang Mieder, Vermont (USA)
36. Sprichwörtersammlungen 1. 2. 3. 4. 5.
Sprichwörterlexikographie Sprichwörterbücher Metalexikographische Aspekte der Sprichwörterbücher Ausblick Literatur (in Auswahl)
1.
Sprichwörterlexikographie
Für den Wissenschaftszweig, der sich mit der Erforschung der Sprichwörter befasst, hat sich in der Volkskunde der Terminus Parömiologie eingebürgert. Der Teilbereich der Parömiologie, der die Probleme der Sprichwörterlexikographie untersucht, wird demnach vielfach Parömiographie genannt. Da jedoch die Parömiologie und auch die Parömiographie sowohl die Sprichwörter als auch die Redewendungen, eigentlich fast den ganzen Bereich der Phraseologie zum Gegenstand haben, und vor allem volkskundlich interessiert sind, ist es sinnvoller hier bei dem Terminus Sprichwörterlexikographie zu bleiben. Es wäre zwar lockend die Termini “Parömiologie”, “parömiologisch”, “parömiographisch” in Gegenüberstellung zu den Termini “Phraseologie”, “phraseologisch” und “phraseographisch” zu benutzen, wenn man die Ansicht vertritt, dass die Phraseologie in engerem Sinne keine Sprichwörter und die Parömiologie in engerem Sinne nur die Sprichwörter untersucht, aber die heutigen For-
schungsanstrengungen wollen gerade eine solche scharfe Trennung vermeiden. Die lexikographischen Probleme der Sprichwortdokumentation wurden bis 1984 kaum ausführlicher erörtert. Mieder (1984) überblickt die neuhochdeutschen Sprichwörtersammlungen vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. In Mieder (1989) thematisiert er auch anderssprachige und mehrsprachige Sammlungen. Grzybek (1992) behandelt die theoretischen Fragen der Definition, Klassifikation und Selektion, wobei er neuere Ansätze der semiotischen und der empirischen Sprichwortforschung vor allem aus dem russischsprachigen Bereich auf den deutschsprachigen Bereich überträgt. Kispál (2000) untersucht vier deutsche Sammlungen anhand von metalexikographischen Aspekten.
2.
Sprichwörterbücher
Laut Mieder (1989, 1033) “beschäftigt sich die Parömiographie mit der schriftlichen Überlieferung von Sprichwörtern, sprichwörtlichen Redensarten und Sondergruppen wie Wettersprichwörtern, Wellerismen (Sagwörtern) und Rechtssprichwörtern”. Sprichwörter werden in Wörterbüchern tatsächlich oft zusammen mit verschiedenen anderen festen Wortverbindungen aufgeführt. Da sie viele Ähnlichkeiten mit anderen Phraseologismen
36. Sprichwörtersammlungen
aufweisen, werden Sprichwörter dort häufig nicht von Redewendungen u.ä. abgetrennt. Allgemeine phraseologische Wörterbücher, die mehrere Phraseologismustypen enthalten, können mit einem größeren Leserkreis rechnen als Wörterbücher, die nur geflügelte Worte, Redewendungen oder nur Sprichwörter aufführen. Diese speziellen Wörterbücher können aber natürlich mehr Platz einem Phraseologismustyp widmen, dadurch den Bestand vollständiger aufführen und ausführlicher beschreiben. Das begründet auch die Existenzberechtigung der Sprichwörtersammlungen. Unter Sprichwörtersammlungen werden im Folgenden Wörterbücher verstanden, die nur oder größtenteils Sprichwörter enthalten, und neben Sprichwörtern in kleinerem Umfang auch sprichwortähnliche Gattungen wie Wellerismen, Bauern- und Wetterregeln und eventuell Redewendungen und (sprichwörtliche) Redensarten kodifizieren. Vorliegender Beitrag konzentriert sich jedoch auf die Sprichwörter. Wörterbücher, die Redewendungen, mit oder ohne Sprichwörter, enthalten, werden allerdings gewöhnlich auch zu den phraseologischen Wörterbüchern gerechnet (s. Kap. XVII: Phraseographie). Da sich in der Lexikographie der Terminus “Sprichwörterbuch” eingebürgert hat, wird im Weiteren statt Sprichwörtersammlung das Wort “Sprichwörterbuch” überwiegend auf allerlei Nachschlagewerke angewandt, die Sprichwörter kodifizieren. Der Ausdruck “Sprichwort-Wörterbuch” könnte noch überlegt werden (vgl. Kispál 2000), aber in Anlehnung an die Bildung der Komposita Fremdwörterbuch und Schimpfwörterbuch bleibt hier der gewohnte Terminus “Sprichwörterbuch”. Sprichwörterbücher können nach verschiedenen Aspekten klassifiziert werden. Nach dem Informationsangebot kann man allgemeine Sprichwörterbücher von speziellen Sprichwörterbüchern, die nur einen bestimmten Sprichworttyp (z.B. Wettersprichwörter, Rechtssprichwörter, Wellerismen (Mieder/ Kingsbury 1994), biblische Sprichwörter (Mieder 1990, Schulze 1860), Antisprichwörter (Mieder 1982/85/89) enthalten, abgrenzen. Nach dem Umfang der Information sind Nachschlagewerke, die bloß Sprichwortlisten ohne jegliche Angaben enthalten (Simrock 1846), von Sprichwörterbüchern, in denen die Sprichwörter durch semantische, pragmatische, etymologische Angaben ergänzt werden, abzutrennen. Nach der Anordnung des Sprichwortbestandes lassen sich alphabetisch
415
geordnete von thematisch gegliederten Sprichwörterbüchern (Beier/Herkt/Pollmann 2002, Müller-Hegemann/Otto 1965) unterscheiden. Synchrone Sprichwörterbücher, die Informationen aus einem Zeitraum aufführen, können von diachronen Sprichwörterbüchern, die die Herausbildung von Sprichwörtern durch Belege dokumentieren (Whiting 1968), abgegrenzt werden. Nach der Diatopie kann man mundartliche Sprichwörterbücher (Fogel 1929) und Sprichwörterbücher der zentralen Sprachvarietäten (Mieder/Kingsbury/Harder 1992, Portmann 1983) unterscheiden. Nach dem Adressatenkreis unterscheiden sich die Sammlungen für Lerner (Frey/Herzog/Michel u.a. 1974) von den anderen Sprichwörtersammlungen. Nach der Sprache lassen sich Sprichwörterbücher in einsprachige und in zwei- und mehrsprachige Sprichwörterbücher (Paczolay 1997) klassifizieren. Die ersten Sprichwortaufzeichnungen sind auf sumerischen Tafeln zu lesen. Die Sprichwörter der Griechen und der Römer sind auch gesammelt worden, ebenso die lateinischen Sprichwörter, auf die viele europäische Sprichwörter zurückgehen. Die Sammeltätigkeit der Sprichwörter diente im Mittelalter vor allem dem Lateinunterricht und der moralischen Erziehung. Dies wird durch Sammlungen aus dem 11. bis 15. Jh. nahegelegt. Auch die “Adagiorum collectanea” des Erasmus von Rotterdam (1500) und andere Sammlungen des sprichwortreichen 16. und 17. Jh. verfolgten einen pädagogischen Zweck mit didaktischen-moralischen Auslegungen und Erklärungen der Sprichwörter. Die erste deutschsprachige Sprichwörtersammlung erschien von Johann Agricola (1529). Diesem Werk folgen zahlreiche Sammlungen aus dem deutschsprachigen Gebiet bis heute. Zu den wichtigsten deutschsprachigen Sammlungen gehören Agricola (1534), Franck (1541), Egenolff (1548), Petri (1604/05), Lehmann (1630), Körte (1837), Simrock (1846), Wander (1867–1880), Beyer (1984). Die erste englischsprachige Sammlung erschien von Heywood (1549). Weitere wichtige Sammlungen englischsprachiger Sprichwörter sind Ray (1670), Kelly (1721), Bohn (1855), Smith (1935), Whiting (1968). Bekannte amerikanische Sammlungen sind Taylor/Whiting (1958) und Mieder/Kingsbury/Harder (1992). Zur vergleichenden Sprichwortforschung tragen u.a. folgende größere mehrsprachige Sprichwörterbücher bei: Düringsfeld/Reinsberg-Düringsfeld (1872–73),
416
IX. Sprichwörter/Proverbs
Kuusi/Joalaid/Kokare u.a. (1985), Paczolay (1997) TPMA (1995–2002).
3.
Metalexikographische Aspekte der Sprichwörterbücher
Die in der Metalexikographie übliche Gliederung nach der Makro-, Mikro- und Mediostruktur ermöglicht die systematische Untersuchung der wichtigsten sprichwörterlexikographischen Problembereiche. Bei der Makrostruktur werden die Fragen der Definition, Klassifikation, Selektion des Wörterbuchbestandes sowie die Anordnung der Wörterbucheinträge thematisiert. Die Mikrostruktur beinhaltet die Einordnung der Einträge im Wörterbuchartikel und die lexikographischen Angaben. Die mediostrukturellen Aspekte werden durch das Verweissystem des Wörterbuches geprägt. 3.1. Makrostruktur 3.1.1. Definition und Selektion der Sprichwörter In den früheren Sammlungen wurden neben Sprichwörtern meistens auch Redewendungen kodifiziert. Eine Ausnahme bildet Petri (1604/05), der die sprichwörtlichen Redensarten bewusst ausgeklammert hat. Simrock (1846) hat meist auch nur Sprichwörter aufgenommen, obwohl auch einige sprichwörtliche Redensarten unter den Sprichwörtern auftauchen. Wander (1867–80) hat keine eigene Sprichwortdefinition in der 25-seitigen Vorrede des 1. Bandes seines Wörterbuches. Man kann hier bloß erfahren, dass Wander (1867, XI) die sprichwörtlichen Redensarten nicht ausschließen wollte, “weil die Grenze zwischen Sprichwort und sprichwörtlicher Redensart oft so schwer zu finden ist, weil derselbe Gedanke bald als Sprichwort, bald als Redensart auftritt”. Auch Fritz (2000, 11), der mit Ausschnitten des Gemäldes von Pieter Bruegel d. Ä. “Die niederländischen Sprichwörter” illustriert wurde, schreibt über die “sprichwortähnlichen Spruchweisheiten”, die er auch kodifiziert hat, nur, dass sie “formal und inhaltlich [...] von den übrigen Sprichwörtern kaum zu unterscheiden” sind. Redensarten hat er allerdings ausgeklammert. Fritz (2000, 11) erwähnt nach einem Hinweis auf das Wörterbuch von Wander (1867–80) auch, dass “in den meisten dieser frühen Sammlungen (...) Sprichwörter, anonyme und nachgewiesene sprichwörtliche Redensarten bunt gemischt” werden. Beyer (1984, 6ff.)
enthält im Vorspann eine Sprichwortdefinition und eine ausführlichere theoretische Beschreibung über die Sprichwortmerkmale Reim, Rhythmus, Parallelismus, Grundmuster, Bildhaftigkeit durch Beispiele. Hier werden auch verwandte Bereiche abgegrenzt, indem auch die Möglichkeit des Übergangs zu anderen Gattungen betont wird. Er gibt auch an, dass “bis auf Grenzfälle, wo es sich gleichzeitig um Sprichwörter handeln dürfte, (...) Redewendungen, Zitate, geflügelte Worte, Aphorismen u. dgl., ebenso Slogans und Losungen nicht aufgenommen worden” sind. Als Beispiele für Grenzfälle werden im Vorspann folgende Sätze genannt: Die Axt im Haus erspart den Zimmermann als Sprichwort und gleichzeitig geflügeltes Wort, Andre Städtchen, andre Mädchen oder Es ist noch nicht aller Tage Abend, “weil sie auch als Redensarten angesehen werden könnten”, Morgen ist auch noch ein Tag als Sprichwort und gleichzeitig Gemeinplatz. Beyer (1984, 17) will auch “sprichwörtlich gewordene Bibelstellen, Scherzwörter, Reimsprüche u. dgl., nur weil sie einem eng aufgefassten Sprichwortbegriff vielleicht nicht in jedem Fall genügen”, nicht ausklammern. Dieses Wörterbuch entspricht folglich bei der Selektion und Klassifikation seines Bestandes den wissenschaftlichen Ansprüchen in hohem Maße, indem die Kriterien genannt und auch die Grenzfälle durch Beispiele veranschaulicht werden. Englischsprachige Wörterbücher mit der Bezeichnung “dictionary of proverbs” führen Redewendungen neben Sprichwörtern noch häufiger auf als deutschsprachige “Sprichwörterbücher”. Auch “The Oxford Dictionary of English Proverbs” (Wilson 1970) macht z.B. keinen Unterschied zwischen “proverbs, proverbial phrases and proverbial similes” (vgl. Benjafield/Frommhold/Keenan u.a. 1993, 27). Der Bestand der Sprichwörterbücher basiert meistens nur teilweise auf eigenen Untersuchungen der Wörterbuchautoren. Wie bei anderen Wörterbüchern, wird auch das Material der Sprichwörterbücher oft von früheren Sammlungen abgeschrieben. Das gilt z. B. schon für die populärste deutschsprachige Sprichwortsammlung des 16. Jh., Egenolff (1548), bei dem es sich um ein Plagiat aus Agricolas und Francks Sammlungen handelt. Ebenso hat Bohn (1855) die Sammlung von Ray (1670) übernommen. Die Verwendung der Quelle sollte allerdings im Wörterbuch
417
36. Sprichwörtersammlungen
immer erwähnt werden. Wander (1867, XV) gibt seine Wörterbuchquellen (“die bisherigen Sammlungen insbesondere, die Literatur überhaupt und der Volksmund”) an. Bei Beyer (1984) wird schon im Titel angedeutet: “Sprichwörter und sprichwörtliche Ausdrücke aus deutschen Sammlungen vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart”. Obwohl Fritz (2000) nichts über die Auswahl der kodifizierten Sprichwörter in der Einleitung seines Wörterbuches schreibt, ist dem Sprichwortteil zu entnehmen, dass er eine Auslese aus Beyer (1984) darstellt. In ein zweisprachiges Wörterbuch von Predota wurden diejenigen deutschen Sprichwörter aufgenommen, die mindestens in sechs von zwölf ausgewählten “zeitgenössischen Sprichwörterbücher[n]” verzeichnet sind (vgl. Predota 1991a, 29). Wander (1867, XIIIf) weist bei der Diskutierung der Aufnahme der Sprichwörter in sein “Sprichwörter-Lexikon” außer der Wörterbuchquellen auf das “Sprichwörterohr” bzw. den “Sprichwörter-Instinct” hin und schreibt sogar, “wenn es mir als Sprichwort zugesandt wurde, so nahm ich es in meine Sammlung auf”. Dies kann allerdings keine genügende wissenschaftliche Begründung der Selektion des Materials für ein Sprichwörterbuch sein. Die empirische Sprichwortforschung der letzten 20 Jahre hat viele Anregungen zur Festlegung der Aufnahmekriterien des Bestandes der Sprichwörterbücher, u. a. bezüglich der Bekanntheit, gegeben. Im Rahmen des Projektes “Sprichwörter-Minima im Deutschen und Kroatischen” wurde der potentielle Bekanntheitsgrad jener Sprichwörter empirisch erhoben, die in einigen traditionellen Sprichwörtersammlungen kodifiziert sind. Demnach sind sehr viele Sprichwörter in Simrock (1846) auch heute noch bekannt (Chlosta/Grzybek/Roos 1994, 47), und die Sprichwörter in Beyer (1984) allgemein bekannt und ziemlich aktuell (Grzybek/Chlosta 1993, 115ff.). Das bestätigt die Aufnahme und gewissermaßen die Aktualität der meisten in diesen Wörterbüchern enthaltenen Sprichwörter empirisch. Im Gegensatz dazu stellte sich als Ergebnis der Untersuchung einer für DaF-Lerner angefertigten bekannten Sammlung von 275 deutschen Sprichwörtern (Frey/Herzog/Michel u.a. 1974) heraus, dass “nur weniger als ein Fünftel der Sprichwörter zu den allgemein bekannten” gehört (Grzybek 1991, 251). Die Bestrebungen der modernen empirischen Sprichwortforschung weisen statt Maximalismus in Richtung Minimalis-
mus, und als Ziel formuliert sich das Sprichwort-Minimum, das letzten Endes in Form eines Wörterbuches schriftlich festgelegt werden sollte (Baur/Grzybek 1990). Als Beispiel können hier Permjakov (1985) und Mieder/ Kingsbury/Harder (1992) gelten. Während Permjakov (1985) “300 allgemeingebräuchliche russische Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten” anhand einer empirischen Untersuchung zum parömischen Minimum des Russischen in einer Sammlung zusammengestellt hat, wurden die ca. 15.000 Sprichwörter von Mieder/Kingsbury/Harder (1992) anhand einer langjährigen empirischen Untersuchung der “American Dialect Society” herausgestellt. 3.1.2. Anordnung der Sprichwörter Die verbreitetste und bekannteste Methode zur Anordnung der Einträge der Sprichwörterbücher ist die alphabetische Anordnung nach Stichwörtern. Bei den frühen Sammlungen war jedoch das Aufzeigen des sprichwörtlichen Reichtums einer Sprache wichtiger als eine auf wissenschaftlicher Basis erstellte logische Gliederung. Die Zugriffsmöglichkeiten waren deshalb bei den deutschsprachigen Sammlungen des 16. Jh. noch ziemlich gering. Auf deutschsprachigem Gebiet gilt Petri (1604–1605) als das erste wirkliche Sprichwörterbuch, das das Anordnungsprinzip nach dem ABC des ganzen Sprichwortes konsequent durchgeführt hat (Mieder 1984, 319). In Simrock (1846) wurden schon die Sprichwörter nach Stichwörtern alphabetisch geordnet. Welches Wort jedoch als Stichwort gilt, ist oft nicht leicht zu entscheiden. Vgl. folgende Beispiele: Frisch gewagt ist halb gewonnen (unter frisch); Wer zuletzt lacht, lacht am besten (unter lachen). Auch Wander (1867, X) verwendet die alphabetische Anordnung nach Stichwörtern, wobei “als Regel gilt, dass jedes Sprichwort nur einmal und zwar unter dem ersten Hauptbegriff desselben [...] aufgeführt ist”. Das Auffinden des “Hauptbegriffes” kann jedoch auch hier problematisch sein, vgl. Frisch gewagt, ist halb gewonnen (unter Wagen (Verb)); Wer zuletzt lacht, lacht am besten (unter Lachen). Die Sprichwörter kommen auch hier meist nur unter jeweils einem Stichwort vor. Als Gründe für mehrmalige Aufnahmen nennt Wander (1867, X), “dass seine Stellung schwankend ist, oder dass es in verschiedenen Fassungen, Formen oder Sinnschattierungen vorkommt”. Auch Beyer
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(1984) wendet die alphabetische Anordnung nach Stichwörtern an. Die Sprichwörter werden hier allerdings bewusst unter mehreren Komponenten aufgeführt (die 30.000 Einträge bedeuten nur etwa 15.000 verschiedene Sprichwörter), was einen viel schnelleren Zugang zu den Sprichwörtern zur Folge haben kann, vgl. Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein (unter der andere, Grube, hineinfallen); Gebranntes Kind scheut das Feuer (unter gebrannt, Kind, scheuen, Feuer). Diese Methode ist zwar platzaufwendig, aber benutzerfreundlich. Auch in zweisprachigen Sprichwörterbüchern ist die häufigste Methode die alphabetische Anordnung der Sprichwörter der Ausgangssprache nach ihren Stichwörtern (vgl. Bartoszewicz 1998; Predota 1986). Die Problematik der Stichwortauswahl wurde in dem deutsch-polnischen Sprichwörterbuch von Predota z.B. dadurch gemildert, dass “die Sprichwörterliste um ein alphabetisches Register ergänzt worden ist, das alle Autosemantica dt. Sprichwörter umfaßt” (Predota 1991a, 30). Das Thema der Sprichwörter war immer ein beliebtes Gliederungsprinzip. Diese Anordnung wurde jedoch sehr unterschiedlich und oft nicht konsequent durchgeführt. Bereits Lehmann (1630) ordnete das Material seiner Sammlung nach übergeordneten Begriffen. Neuere inhaltlich gegliederte Sprichwörterbücher sind Bárdosi 2003, Beier/ Herkt/Pollmann 2002, Müller-Hegemann/Otto (1965), Meier-Pfaller (1970), Mieder (1990). Eine andere Methode schlägt Permjakov (1979) ein, der “Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten orientalischer Völker” als praktische Realisierung der von ihm herausgearbeiteten Theorie in Form eines Wörterbuches aufbereitet hat. Dieses in erster Linie für wissenschaftlich-praktische Zwecke geeignete Wörterbuch enthält einen logisch-semiotischen und einen thematischen Teil, und dadurch zwei verschiedene Zugriffsstrukturen. Ein für den durchschnittlichen Benutzer nötiges zusätzliches Stichwortverzeichnis zu dieser Sammlung wurde wiederholt vermisst (Grzybek 1992, 208; Mieder 1989, 1033). Einen leichteren Zugang bietet allerdings Grzybek (2000, 151ff.), wo die logisch-semiotische Klassifikation der russischen Sprichwörter aus Permjakovs Sammlung mit deren deutscher Übersetzung dargestellt wird. Die Struktur der Sprichwörter bildet auch die
IX. Sprichwörter/Proverbs
Grundlage des Wörterbuches von Kuusi/Joalaid/Kokare u.a. (1985). 3.2. Mikrostruktur 3.2.1. Lemmatisierung und Varianten In Sprichwörterbüchern ist die Vielfalt der Wörterbuchartikel noch auffallender als in allgemeinen Wörterbüchern. Die einfachste Mikrostruktur haben diejenigen Wörterbücher, in denen die Sprichwörter als Lemmata allein den Wörterbuchartikel bilden. Solche Sammlungen (z.B. Simrock 1846) können als bloße Sprichwortlisten gelten. Durch die Demonstration des Vorhandenseins der aufgeführten Sprichwörter erfüllen sie allerdings ihre Funktion als Massensammlungen. Sprichwörterbücher mit einer differenzierteren Mikrostruktur stellen dem Benutzer, seien sie Fachleute oder Laien, viel nützlichere Nachschlagewerke dar. Informationen zu einzelnen Sprichwörtern lassen sich bereits in Sammlungen des 16. und 17. Jh. finden. Sie entbehren jedoch jeglicher wissenschaftlicher Systematik. Durch die didaktischen Erläuterungen der Sprichwörter dürften sie allerdings den erzielten pädagogischen Zweck erfüllt haben. Auf deutschsprachigem Gebiet ist Wander (1867–1880) das erste Sprichwörterbuch, das sowohl das Material systematisch angeordnet als auch die Einträge unter einem Stichwort ziemlich benutzerfreundlich eingeordnet hat. Im Vorspann des ersten Bandes seines Wörterbuches schreibt Wander zwar, dass die Grenze zwischen Sprichwort und Redensart schwer zu finden sei, aber in dem Verzeichnis trennt er unter einem Stichwort die sprichwörtlichen Redensarten von den Sprichwörtern eindeutig. Die Sprichwörter und die Redensarten werden unter jedem Stichwort besonders, fortlaufend gezählt und nach dem Anfangsbuchstaben ihrer ersten Wörter alphabetisch geordnet. Das erleichtert das Auffinden des gesuchten Sprichwortes. Genauso werden die Sprichwörter unter einem Stichwort in Beyer (1984) alphabetisch nach dem Anfangsbuchstaben geordnet. Viele Sprichwörter sind in zahlreichen Varianten verbreitet. Deshalb ist die Problematik der Sprichwortvarianten bei der Lemmatisierung der Sprichwörter immer zu berücksichtigen. Welche Variante als Nennform in einem Wörterbuch gelten soll, ist nicht leicht zu entscheiden. Auf Varianten wird in Wörterbüchern gewöhnlich durch Schrägstrich und Klammern hingewiesen, z.B. Morgenstund hat gold (Brot) im Mund (Wander 1867–
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1880, Bd. III, Sp. 753); Der Krug geht so lange zum Brunnen (zu Wasser), bis er bricht (Beyer 1984, 333). In Wander (1867–80) kommen auch viele Mundartvarianten vor, was den Wert dieses Wörterbuches zwar erhöht, aber leider sind dann die hochdeutschen Varianten dieser Sprichwörter nicht im Wörterbuch zu finden, z.B. Ein gebrand Kind fürchtet das Fewer (Wander 1867–80, Bd. II, Sp. 1279); Es ist besser ein Sperling ynn der handt, denn ein Kranich auff dem dache (oder: der fliegt über Land) (Wander 1867– 80, Bd. IV, Sp. 688). Auch in einer empirischen Untersuchung jüngeren Datums, in der die englischen Sprichwörter aus Mieder (1988) mittels Teiltextpräsentation (die jeweils zweite Hälfte der Sprichwörter soll von den Probanden ergänzt werden) nach ihrer Form überprüft wurden, zeigte sich die Vielfalt der Variationen, z.B. orthographische/graphematische Variation (Discretion is the better part of valour/valor/valoir), morphologische Variation (First come, first served/ serve), lexikalische Variation (You cannot teach an old dog/cat/horse new tricks), syntaktische Variation (He who hesitates is lost/ loses) (die jeweils erste Variante steht in Mieder 1988), Verkürzung (The grass is always greener on the other side (of the fence)) (Grzybek/Chlosta/Roos 1994, 241ff.). In Mieder/Kingsbury/Harder (1992) sind nach der Nennform häufig mehrere Varianten enthalten. Nach dem Sprichwort An apple a day keeps the doctor away stehen z.B. zehn Varianten, u.a. An apple a day keeps the doctor away; an onion a day keeps everyone away (Mieder/Kingsbury/Harder 1992, 23). Mitunter ist eine Inkonsequenz in Wörterbüchern zu beobachten, wenn bei Mehrfachnennungen unter verschiedenen Stichwörtern verschiedene Varianten desselben Sprichwortes aufgeführt werden, z.B. in Beyer (1984): Wer Pech angreift, besudelt sich (unter Pech); Wer Pech anfasst (angreift), besudelt sich (unter anfassen, besudeln). Bartoszewicz (1998) führt nicht nur Varianten, sondern auch synonyme Sprichwörter auf. Unter dem Stichwort brennen wurden z.B. nach dem Sprichwort Gebranntes Kind scheut das Feuer nicht nur die Variante Gebrannte Kinder scheuen das Feuer, sondern auch u.a. folgende synonyme Sprichwörter kodifiziert: Wer sich einmal verbrannt hat, bläst hernach die Suppe. Begossene Hunde fürchten das Wasser. (Bartoszewicz 1998, 40).
3.2.2. Angaben bei den Sprichwörtern Der Wörterbuchbenutzer, der ein Sprichwort in einem Wörterbuch nachschlägt, begnügt sich wohl nicht mit der Information zur Form des gesuchten Sprichwortes. Wie man in allgemeinen Sprachwörterbüchern meistens nach der Bedeutung eines Wortes oder einer Wortverbindung sucht, dürfte eine der wichtigsten Angaben auch in einem Sprichwörterbuch die Bedeutungsangabe sein. Dabei ist die verallgemeinerte Bedeutung, die in der semiotischen Sprichwortforschung auch allgemeine Sprichwortidee oder Modellsituation genannt wird (Eismann/Grzybek 1994, 100f.), m. E. die wichtigste zu kodifizierende Angabe. Die verallgemeinerte Bedeutung wird in Beyer (1984), allerdings relativ selten, nach den Sprichwörtern angegeben, z.B. Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen: ‘Wo was ist, kommt was dazu’. Sprichwörter lassen sich auf verschiedene Situationen anwenden. Eine solche auch Referenzsituation genannte Verwendungsmöglichkeit kann in einem Wörterbuch durch ein Verwendungsbeispiel veranschaulicht werden. Frey/Herzog/Michel/Schütze (1974) enthält bei den aufgeführten Sprichwörtern meist diese beiden Angaben (Modellsituation, Referenzsituation), die auch den DaF-Lernern, dem Zielpublikum dieser Sammlung am wichtigsten sind. Die Angabe von konkreten Situationen aus schriftlichen Quellen, statt oder neben erfundenen Beispielen, könnte die tatsächliche Verwendung von Sprichwörtern belegen, was heute noch eher nur in phraseologischen Wörterbüchern und in historischen Sprichwörterbüchern zu finden ist. Eine erfreuliche Ausnahme bildet Forgács (2003), der die ungarischsprachigen Sprichwörter und Redewendungen mit Belegen (meistens aus der Pressesprache der 90er Jahre) versehen hat. Für die Erweiterung der Forschungen zum parömiologischen Minimum durch korpusorientierte Untersuchungen plädiert auch Durco (2001, 101ff.). Eine vor allem für wissenschaftliche Forschungen nützliche Information bieten die Quellenangaben. Die Angaben zur Herkunft der sprichwörtlich gewordenen biblischen oder literarischen Quellen können noch den durchschnittlichen Benutzer interessieren, wie sie z.B. auch in Beyer (1984) enthalten sind (z.B. Wes das Herz voll ist, des (dem) geht der Mund über: “Nach Matthäus 12,34”; Die Axt im Haus erspart den Zimmermann: “Nach Schiller, Wilhelm Tell”), aber die Be-
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legangaben aus anderen Sprichwortsammlungen und Publikationen sind eher für Sprichwortforscher von Belang. In historisch ausgerichteten Sprichwörterbüchern sind gewöhnlich der erste Beleg sowie weitere charakteristische Belege eines Sprichwortes angegeben, wodurch die Geschichte des Sprichwortes in Varianten abzulesen ist, z.B. Whiting (1968) (vgl. auch Mieder/Kingsbury/Harder 1992). Gegen Kritiken, dass Sprichwörter in Sammlungen aus jedem Situationskontext isoliert aufgeführt sind (z.B. Eikelmann 1994, 93), können solche Wörterbücher gewissermaßen aufkommen. Für deutsche Sprichwörter gilt Wander (1867–80) als das größte Sprichwörterbuch, das Quellenangaben zu Sprichwörtern enthält. Wander (1867–80) führt bei Sprichwörtern im Idealfall folgende Angaben auf: Bedeutungsangabe, Verwendungsbeispiel, Quellenangaben, etymologische Angaben zur Herausbildung des Sprichwortes und fremdsprachliche Parallelen. Die Ordnung dieser Angaben zur Bedeutung, Verwendung und Etymologie der Sprichwörter ist im Wörterbuch nicht systematisch festgelegt: Man muss den ganzen zusammenhängenden Erläuterungstext, der ansonsten für philologisch oder geschichtlich Interessierte von großem Nutzen sein kann, durchlesen. Angaben zur Frequenz, zur Vorkommenshäufigkeit von Sprichwörtern finden sich in wenigen Wörterbüchern. Predota (1986) markiert ausdrücklich “selten auftretende” sowie “veraltete Sprichwörter, Sprichwortvarianten und –synonyme” (Predota 1991b, 240). Auch in Kuusi/Joalaid/Kokare u.a. (1985) wurde die Frequenz markiert. Wohl wegen ihrer Anfechtbarkeit verzichten die meisten Sprichwörterbücher auf Stilangaben. Man kann allerdings Mieder (1999, 23) zustimmen, dass bezüglich Sprichwörter “Varianten, Bedeutungen, Funktionen, Stilschichten usw. zu einem wissenschaftlich fundierten Lexikon gehören”. In zwei- und mehrsprachigen Sprichwörterbüchern kommt den Äquivalenten die größte Bedeutung zu. Dabei sollte hier bloß angedeutet werden, dass zur Äquivalenz von zwei Sprichwörtern die Übereinstimmung auf der semantischen Ebene, d. h. der logisch-semiotischen und der thematischen Ebene am wichtigsten ist (Grzybek 1984, 349). Neben der verallgemeinerten Bedeutung sollten natürlich auch andere Aspekte berücksichtigt werden (vgl. Bartoszewicz 1998, 11ff.; Kispál 1999, 162ff.).
IX. Sprichwörter/Proverbs
3.3. Mediostruktur Der Zugang zu einem Sprichwort in Wörterbüchern ist umso leichter, je mehr Zugriffsmöglichkeiten dem Benutzer zur Verfügung stehen. Die alphabetische Anordnung nach Stichwörtern – sei sie auch konsequent durchgeführt – ist wegen der Sprichwortvarianten und der auch damit zusammenhängenden häufigen Ungewissheit beim Beherrschen einer Sprichwortform nicht ausreichend. Auch deshalb führen einige Wörterbücher die einzelnen Sprichwörter mehrmals, unter mehreren Komponenten auf (vgl. 3.1.2.). Wenn dies nicht möglich ist – und das ist bei den meisten Sprichwörterbüchern der Fall -, könnte ein gut ausgebautes Verweissystem die Auffindbarkeit der Sprichwörter erleichtern. In dieser Hinsicht haben Sprichwörterbücher im Gegensatz zu einigen neueren phraseologischen Wörterbüchern noch einen großen Nachholbedarf. Eine Ausnahme bildet Mieder/Kingsbury/Harder (1992), in dem am Ende der Stichwortartikel alle Sprichwörter aufgezählt werden, die das betreffende Stichwort als Komponente enthalten, aber unter einem anderen Stichwort kodifiziert wurden. Das Sprichwort Don’t count your chickens before they are hatched wurde z.B. unter dem Stichwort chicken aufgenommen und mit Angaben versehen, aber die Sprichwortform ist auch am Ende der Stichwortartikel count und hatch nach der Verweisangabe “See also” mit der Hervorhebung des Wortes chicken zu finden. Aber auch Wander (1867–80) hat schon Verweisstichwörter bei einigen Sprichwortartikeln eingefügt. Sie verweisen dort meist auf synonyme Sprichwörter. Unter Rose steht z.B. beim Sprichwort Keine Rose ohne Dornen der Verweis (s. Haus 306) (Wander 1867–80, Bd. III, S. 1725). Der Verweis führt zum Sprichwort Kein Haus ohne Winkel (Wander 1867–80, Bd. II, S. 410). Durch solche Verweise können inhaltliche Zusammenhänge zwischen Sprichwörtern, die die alphabetische Anordnung nach Stichwörtern zerstört hat, gewissermaßen wiederhergestellt werden. Elektronische Wörterbücher können im Gegensatz zu gedruckten Buchausgaben gerade bei Verweisen einen revolutionären Beitrag leisten. In der CD-ROM-Version von Wander (2001) kann man z.B. die Verweisstichwörter anklicken und dadurch die Zeit des Blätterns in der fünfbändigen Druckausgabe ersparen.
36. Sprichwörtersammlungen
4.
Ausblick
Die moderne Sprichwörterlexikographie sollte die Ergebnisse der empirischen Sprichwortforschung und der Korpuslinguistik berücksichtigen. Sprichwortarchive, die ausführliche Informationen über Sprichwörter enthalten, können eine verlässliche Grundlage für moderne Sprichwörterbücher bieten (vgl. das Westfälische Sprichwortarchiv). Für die Aufstellung eines Sprichwörterarchivs mittels Datenbank plädiert auch Hose (1998, 126ff.). Eine Sprichwörter-Datenbank “als Basis des Sprichwortlernens” wird von Baur/Chlosta (1996, 98ff.) vorgestellt. Solche Untersuchungen könnten dazu beitragen, dass auch neuere Sprichwörter in Sprichwörterbüchern auftauchen (vgl. Doyle 1996). Durch vielfältige Erweiterungsmöglichkeiten und benutzerorientierte differenziertere Zugriffsstrukturen erhöht sich in der Zukunft der Bedarf an elektronischen Sprichwörterbüchern sowie an Sprichwörterbüchern auf CD-ROM, DVD und im Internet.
5.
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Tamás Kispál, Szeged (Ungarn)
X. Besondere Typen von Phrasemen/Particular types of set phrases 37. Phraseme mit spezifischer Struktur 1. 2. 3.
7. 8.
Grundlegendes Problematik der Sonderklassen Feste Vergleiche als prototypische Klasse mit besonderer Struktur Aspekte der Struktur Das Phänomenfeld “Variabilität” Problematik der interkulturellen und zwischensprachlichen Äquivalenzbeziehungen Schluss Literatur (in Auswahl)
1.
Grundlegendes
4. 5. 6.
Die Klassifizierungsaspekte sowie damit im Zusammenhang die Problematik von besonderen strukturellen Typen haben von Anfang an das Interesse phraseologischer Forschungen auf sich gezogen (vgl. Burger/Buhofer/ Sialm 1982, 20ff.; Fleischer 1997, 110). Diesbezüglich stellt Palm (1997, 107) fest: “Klassifikationsvorschläge zum phraseologischen Material spielen in den meisten allgemeinen Arbeiten eine entscheidende Rolle.” Typen und Arten von Klassifikation sind abhängig von Kriterien der Gegenstandsbestimmung und den Untersuchungszielen. Dementsprechend ist der phraseologische Sprachschatz bereits unter zahlreichen Gesichtspunkten typisiert worden. So können Analysen, die sich auf das Sprachsystem richten, z.B. von der syntaktischen Struktur und Funktion sowie von der Lexik und der Semantik ausgehen, wohingegen sich sprachverwendungsorientierte Arbeiten vor allem von Aspekten der Stilistik, der Rhetorik und der Pragmatik leiten lassen. In diachroner Sicht geht es meist um sprach- und kulturhistorische Klassifizierungen, so etwa im Hinblick auf die Herkunftsbereiche von Phraseologismen. Eine weitere Richtung resultiert aus kontrastiven Auseinandersetzungen mit der Phraseologie, im Rahmen derer die Gruppierung der verglichenen Wendungen nach dem Grad der Äquivalenz erfolgt (vgl. Korhonen 2002, 402). Die einzelnen phraseologischen Wesensmerkmale sind an den Dimensionen der Typologisierung unterschiedlich beteiligt. Beispielsweise resümiert Korhonen (2002, 402): “Zu den phraseologischen Merkmalen,
die für besonders viele Klassifikationsversuche den Ausgangspunkt bilden, gehören die Polylexikalität und die Idiomatizität. Dagegen wurde das Kriterium der Stabilität wesentlich seltener bei der Klassifizierung des phraseologischen Materials angewendet”. In der Fachliteratur überwiegen insgesamt Klassifikationen morphosyntaktischer, semantischer und pragmatischer Prägung. Dabei gilt grundsätzlich: Typologien gründen sich entweder (a) auf ein gemeinsames Ordnungsprinzip für alle Einheiten, d.h. man operiert aufgrund eines Kriteriums oder (b) auf eine Merkmalsmatrix, d.h. man setzt zwei oder mehr Kriterien ein. Die Zugrundelegung nur eines klassenbildenden Kriteriums ist zwar methodologisch am saubersten, jedoch ist dieses Verfahren in der Forschung als wenig zweckmäßig eingestuft worden. So argumentiert z.B. Korhonen (2002, 402), dass wohl deswegen eher Mischklassifikationen überwiegen (z.B. Burger 2003, 50 f), die gleichzeitig morphosyntaktische und semantische Kriterien verwenden.
2.
Problematik der Sonderklassen
Unter Hinzuziehung verschiedener Kriterien kann man also eine Bandbreite unterschiedlicher phraseologischer Formationen orten, die Sonderklassen bzw. besondere Strukturtypen konstituieren können. Aufgrund grammatischer Bindung lassen sich vor allem folgende Strukturtypen ermitteln (vgl. ausführlicher Fleischer 1997, 99ff. und Burger 2003, 33ff.): –
– – – – –
Paarformeln/Zwillingsformeln (z.B. frank und frei), aber auch Drillingsformeln (z.B. heimlich, still und leise) und Vierlingsformeln (z. B. frisch, fromm, fröhlich, frei), feste Vergleiche/komparative Phraseologismen (z.B. arm wie eine Kirchenmaus), Minimalphraseme/präpositionale Phraseologismen (z.B. der Nase nach), festgeprägte prädikative Konstruktionen/Prädikativphraseme (z.B. jmdm. geht ein Licht auf), phraseologische/phraseologisierte Teilsätze (z. B. wissen, wo Barthel den Most holt), usuelle Wortkoppelungen (z.B. ein kapitaler Hirsch),
37. Phraseme mit spezifischer Struktur – – – – – – – – – –
3.
stehende Ausrufe (z.B. Ab durch die Mitte!), Bekräftigungsformeln (z.B. letzten Endes), geflügelte Worte (z.B. das Ei des Kolumbus), bevorzugte Analysen (z.B. komfortable Mehrheit), syntaktische Modellbildungen (z.B. von X zu Y, etwa: von Tag zu Tag), Funktionsverbgefüge/Streckformen des Verbs (z.B. Einfluss nehmen, zur Durchführung gelangen), komplexe Benennungen/phraseologische Termini (z.B. Der Nahe Osten), lexikalische Ganzheiten/feste Syntagmen (z.B. der indirekte Freistoß), lexikalische Solidaritäten (z.B. der späte Goethe), feste Phrasen (z.B. das geht auf keine Kuhhaut).
Feste Vergleiche als prototypische Klasse mit besonderer Struktur
Aus der Fülle der möglichen Sonderklassen soll im Folgenden stellvertretend die Klasse der festen Vergleiche im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen. Eine Konzentration auf eine einzige “prototypische” Sonderklasse schien dadurch gerechtfertigt, dass (a) eine eingehende Beschäftigung mit sämtlichen besonderen Typen aus Umfangsgründen nicht machbar wäre und (b) die festen Vergleiche gewissermaßen als eine prototypische Klasse betrachtet werden können und praktisch in allen Sprachen produktiv vertreten sind, sodass z.T. eine einzelsprachübergreifende Bedeutung erlangt werden kann. Außerdem gilt dieser Mikrobereich als ziemlich erforscht, sogar unter diachronem Blickwinkel (vgl. z.B. Van den Broek 1991). Die exemplarische Vorstellung des phraseologischen Strukturtyps “feste Vergleiche” erfolgt schwerpunktmäßig am Material des Deutschen, des Russischen und des Ungarischen, die als typologisch disparate und genetisch nicht-verwandte Sprachen (Deutsch und Russisch als flektierende indogermanische Sprachen vs. Ungarisch als agglutinierende finnisch-ugrische Sprache) eine breite Palette der Problematik veranschaulichen und von besonderer sprachtheoretischer Relevanz sind. Außerdem wird bei der Darstellung – einer breiteren Fundierung und Repräsentativität der Aussagen sowie einer generelleren Informativität und Nachvollziehbarkeit wegen – stellenweise auch das Englische berücksichtigt. Methodologisch wird dabei phänomen- bzw. belegorientiert und problembezogen vorgegangen.
425
3.1. Die festen Vergleiche sind – als teilidiomatische phraseologische Wortgruppen – im Hinblick auf die von uns untersuchten Sprachen unter verschiedenen Bezeichnungen zum Gegenstand linguistischer Forschungen geworden. Während in der Germanistik vorwiegend von “komparativen Phraseologismen”, von “phraseologischen Vergleichen” oder von “festen/stehenden/sprichwörtlichen” oder “redensartlichen Vergleichen” gesprochen wird, nennt sie die slawistische Fachliteratur “komparativnye frazeologičeskie edinicy”, “sravniteľnye frazeologizmy” und “ustojčuvye sravnenija”. Im Bereich der ungarischen Sprache begegnen uns die Termini “szóláshasonlat” sowie “komparatív szerkezet”. Anglistische Publikationen operieren meist mit “comparative idioms” oder mit “comparative phrases”. 3.2. Obwohl die Zugehörigkeit dieser Klasse zur Phraseologie nach wie vor nicht unumstritten ist, wird in den meisten phraseologischen Studien darauf hingewiesen, dass sie auf jeden Fall eine große Produktivität aufweist und im Vergleich zu anderen Strukturtypen am üppigsten ist (vgl. beispielsweise Nevedomskaja 1973, 3). Dementsprechend groß ist die Spannbreite einschlägiger Problemaspekte. Im Folgenden wird das Problemfeld auf weiten Strecken unter Rückgriff auf die Befunde einer kontrastiv-empirischen Untersuchung (vgl. Földes 1992) erörtert. Das der Analyse zugrunde gelegene Korpus wurde aus phraseologischen wie auch allgemeinen Wörterbüchern der drei Sprachen exzerpiert und umfasst für das Deutsche 276, für das Russische 194 und für das Ungarische 315 feste verbale Vergleiche. Diese quantitative Verteilung macht deutlich, dass den festen Verbvergleichen des Russischen sowohl in den allgemeinen als auch in den phraseologischen Sprachlexika zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Das ist deshalb etwas verwunderlich und bedauerlich, weil ja gerade russische Forscher im Bereich der Phraseologie eine bahnbrechende Rolle spielten und noch immer herausragende Ergebnisse erzielen. Die erschlossenen Werte bedeuten prozentual: Deutsch 35 Prozent, Russisch 25 Prozent, Ungarisch 40 Prozent. Somit widerspricht diese Auszählung – zumindest im verbalen Bereich – der Feststellung Hesskys (1989, 197), dass sich das Deutsche durch eine größere Bereitschaft auszeichne, phraseologische Vergleiche zu bilden, als es im Ungarischen der Fall ist. Indes darf wohl den Zahlenanga-
426
X. Besondere Typen von Phrasemen/Particular types of set phrases
ben in ihrem gegenseitigen Verhältnis weder bei Hessky noch in der von mir genannten Arbeit allzu große Bedeutung beigemessen werden, da sie vermutlich weniger auf sprachspezifische Besonderheiten, vielmehr auf die Eigenschaften der benutzten Quellen zurückzuführen sind. Klar dürfte jedoch sein: Innerhalb der komparativen Phraseologismen stehen in allen drei Sprachen (mit einem Anteil von über 50 Prozent) die Verbalvergleiche an erster Stelle, während die Adjektiv- und Partizipialvergleiche mit etwa 30 Prozent den zweiten Platz einnehmen. Ihnen folgen dann die mit Substantiven und die mit Zahlwörtern (Földes 1992, 61). Dabei sind die Verbvergleiche in jeder Hinsicht übergreifend und dominant, wies doch bereits Pilz (1978, 738) darauf hin, dass Adjektiv- und Partizipialvergleiche lediglich als eine Sondergruppe der Verbalvergleiche gelten, “denn sie treten alle nur als Sein-Ergänzungen auf und können nicht etwa attributiv verwendet werden.” Er schlägt eine ins Detail gehende Gliederung vor, nämlich Adjektivvergleiche (und Partizipialvergleiche), Verbalvergleiche, Nominalvergleiche, Adverbialvergleiche und Sprichwörter mit Vergleichen, die er weiterhin unterteilt (Pilz 1978, 738ff.). Interessant ist jedoch die von ihm vorgenommene Differenzierung der Verbalvergleiche in prädikat-, subjekt- und objektbezogene Strukturen (Pilz 1978, 740). 3.3. Im vorliegenden Beitrag werden mithin feste verbale Vergleiche aufgrund ihrer strukturell-semantischen Merkmale als ein besonderer Strukturtyp, als eine Subklasse der Phraseologismen erfasst. Eine genaue Bestimmung ihrer Merkmale, Strukturen und Kategorien fördert allerdings mehrere Schwierigkeiten bzw. diskutable Fragen zutage. Michajlov (1972, 4) definiert sie so: “Unter komparativem Phraseologismus verstehen wir eine feste Wortverbindung, bestehend aus zwei Komponenten, zusammengefügt mit Hilfe der Vergleichspartikeln wie und als sowie ihrer Äquivalente als ob, als wenn, wie wenn zu einer semantischen Ganzheit”. (Allerdings dürfte hier wohl die Formulierung “semantische Ganzheit” nicht ohne weiteres zutreffen.) Auch andere Linguisten heben bezüglich unterschiedlicher Sprachen praktisch dieselben Merkmale hervor, beispielsweise gehören nach Rojzenzon/Šugurova (1968, 13) solche festen Redewendungen hierher, die in der Rede als ganzheitlich reproduzierbare Einheiten mit semantischem Vergleichs-
charakter auftreten und strukturell-syntaktisch über verschiedene einfache oder zusammengesetzte Vergleichspartikeln verfügen. In analoger Weise formuliert Černyševa (1970, 48), dass es “feste und reproduzierbare Wortverbindungen sind, deren phraseologische Spezifik auf der Grundlage des traditionellen Vergleichs beruht”. Über die minimale morphosyntaktische Struktur bzw. die Anzahl der Bestandteile sind aber die Meinungen nicht so einhellig, obzwar das zugrunde liegende rationale, logisch-semantische Konzept sehr prägnant und einfach überschaubar ist (vgl. Földes 1992, 62). Vom logischen Standpunkt aus handelt es sich um einen sprachlichen Ausdruck, bei dem etwas mit etwas aus einem anderen (gegenständlichen) Bereich im Hinblick auf ein beiden Gemeinsames in Beziehung gesetzt und dadurch eindringlich veranschaulicht wird. So bestehen diese Konstruktionen nach den “klassischen Vorstellungen über die Natur des Vergleichs” aus drei Komponenten: z. B. jmd. [= Vergleichsobjekt/comparandum] schläft [= tertium comparationis] wie ein Murmeltier [= Vergleichsmaß/comparatum mit einer Partikel des Vergleichs] (siehe z.B. Burger 2003, 45). Nach Ansicht von Matta (1999, 193f.) bestehen die “redensartlichen Vergleiche” gleichwohl aus vier Konstituenten, nämlich dem Vergleichsempfänger, dem Vergleichssignal, dem Vergleichsspender und dem tertium comparationis. Zudem bezieht sie am Rande auch eine fünfte Konstituente mit ein, “die eher eine syntaktische Notwendigkeit – vor allem im Deutschen – darstellt”, nämlich den sog. Anschluss (im Deutschen ist ja ein Verb syntaktisch obligatorisch), dem mitunter auch eine semantische Funktion zukommt, indem er die Rolle des tertium comparationis übernimmt. Als eindeutig fünfteilige Konstruktionen erscheinen die Vergleichsstrukturen bei Ortner (1985, 257), indem sie die Gleichsetzungsrelation als fünfte Komponente integriert. Demgegenüber geht aus Michajlovs obiger Definition klar hervor, dass er die festen Vergleiche als zweigliedrige Konstruktionen erfasst. Er meint also, dass nur das tertium comparationis und das Vergleichsmaß (das comparatum) die Wendung bilden und schließt damit das Vergleichsobjekt aus dem Bestand der komparativen Phraseologismen aus, z.B. aussehen wie eine Vogelscheuche [aussehen = tertium comparationis, eine Vogelscheuche = Vergleichsmaß oder Vergleichswort]. Ogoľcev (1978, 81) sowie Ko-
37. Phraseme mit spezifischer Struktur
stov (1982, 127) betrachten in Ausdrücken dieser Art nicht einmal das tertium comparationis als zur Wendung gehörend und sprechen in solchen Fällen von Ein-Komponenten-Vergleichen. Diese Ansicht erscheint jedoch problematisch, da aus dem Vergleichsmaß allein – infolge der breiten Verbindbarkeit des Comparatums – die Aussage der Konstruktion nicht immer erschlossen werden kann. Beispielsweise vermag der elliptische Vergleich deutsch (im Weiteren: dt.) wie ein Hund auch mit Elementen wie leben, frieren in jeweils unterschiedlicher Bedeutung zu stehen; ähnlich auch die gleichartige russische (im Weiteren: russ.) Wendung kak sobaka: mit ziť (‘leben’), umereť (‘sterben’), mërznyť (‘frieren’) u.ä. bzw. ungarisch (im Weiteren: ungar.) mint a kutya: mit fázik (‘frieren’), gyalogol (‘zu Fuß gehen’), koslat (‘laufen’), morog (‘murren’). Daher wäre wohl zu resümieren, dass komparative Phraseologismen grundsätzlich aus drei Gliedern bestehen, wobei aber das Vergleichsobjekt nicht immer explizit genannt zu werden braucht. Auch die lexikographischen Quellen verzichten gewöhnlich auf die Angabe des Vergleichsobjektes. 3.4. Inhaltlich besteht das Phraseologische in dieser Subgruppe darin, dass eine bestimmte Handlung oder ein bestimmter Vorgang durch einen k o n v e n t i o n a l i s i e r t e n, dadurch objektivierten Vergleich versprachlicht wird (Földes 1992, 63). Dabei unterliegen einige Komponenten einer (teilweisen) semantischen Veränderung, aber ihre Bildlichkeit ist mit einer Symbolik verbunden, welche im kollektiven Gedächtnis der jeweiligen Sprachgemeinschaft tief verwurzelt ist. (Das hebt sie von den freien Vergleichen ab, die ein individuelles Gepräge tragen.) Für kontrastive Zwecke sind die komparativen Phraseologismen auch deswegen besonders relevant, da durch sie Parallelen und Divergenzen in den Symbolfeldern der Kulturen sichtbar werden. 3.4.1. Wendungen des besprochenen Typs haben meist eine intensivierende Funktion (zur Interpretation des Terminus vgl. Schade 1976, 130, Burger/Buhofer/Sialm 1982, 35f.; Militz 1982, 135 und Lichtenberg 1994, 30). Daher verleihen sie der Aussage einen höheren Grad an Expressivität, z.B. dt. frieren wie ein junger Hund, russ. mërznuť kak sobaka (wörtlich: “frieren wie ein Hund”), ungar. fá-
427
zik, mint a kutya (wörtlich: “frieren wie der Hund”). Dies hängt auch damit zusammen, dass viele der festen Vergleiche “von vornherein auf Witz und Groteske aufgebaut sind” (Röhrich/Mieder 1977, 24). Es wurde schon mehrfach ermittelt, dass insbesondere diese Gruppe der Verbvergleiche zu Variantenbildung neigt (z.B. Röhrich/Mieder 1977, 24 und Burger/Buhofer/Sialm 1982, 36), vielleicht weil sie sich rasch abnützen (vgl. Abschnitt 5). 3.4.2. Anhand der Variantenbildung kann eine weitere Leistung der komparativen Phraseologismen veranschaulicht werden. In vielen Fällen wird durch den Vergleich die bezeichnete Handlung als solche nicht intensiviert, sondern in ihrer Auffassung in bestimmter Weise spezifiziert, näher charakterisiert. Dies kann nicht zuletzt auf die diversen Bedeutungen sowie Assoziationszusammenhänge der als Vergleichsobjekt stehenden Lexeme zurückgeführt werden. Hier dient also der Vergleich zur semantischen Differenzierung (vgl. Schade 1976, 130; Lichtenberg 1994, 31; Fleischer 1997, 104f. und Burger 2003, 45), vgl. reden wie ein Buch/Wasserfall ‘unaufhörlich, sehr viel reden’, reden, wie man’s versteht ‘ohne Sachkenntnis oder ohne Überlegung über etw. reden’ und reden wie einem der Schnabel gewachsen ist ‘frei heraus und ungeniert reden’ (die Bedeutungsangabe der Wendungen nach Duden 2002, 594). In diesen Belegen kommen die semantischen Nuancierungen des Verbs reden durch die Unterschiedlichkeit der als Vergleichsmaß fungierenden Glieder zustande. 3.4.3. Eine weitere wichtige Funktion der komparativen Phraseologismen der drei Sprachen wird in einer indirekten Verneinung deutlich. Bei diesen “nichtstimmigen” Vergleichen schlägt sich die Semantik des als Vergleichsobjekt stehenden Lexems in ihr Gegenteil um, weil kein gemeinsames semantisches Merkmal – d.h. keine tatsächliche Ähnlichkeit – vorliegt. Diese Ausdrücke beruhen auf einer Art Kontrast (siehe Gulyga/ Šendels 1970, 313). Vgl. dt. von etw. so viel verstehen wie der Hahn vom Eierlegen, russ. razbiraťsja v čëm-l. kak svin’ja v apeľsinach (“sich mit etw. auskennen wie das Schwein mit den Apfelsinen”), ungar. annyit ért hozzá, mint [a] tyúk az ábécéhez (“von etw. so viel verstehen wie das Huhn vom ABC”, d.h. ‘von etw. nicht die mindeste Ahnung haben’).
428
X. Besondere Typen von Phrasemen/Particular types of set phrases
3.4.4. Es ist aufschlussreich, dass im deutschen und im ungarischen Korpus mehrere Verbvergleiche enthalten sind, die nachweisbar über zwei gegensätzliche (positive bzw. negative) Bedeutungen verfügen, d.h. ‘plus’ oder ‘minus’ aktualisiert werden können, vgl. dt. passen wie die Faust aufs Auge 1. ‘etw. passt überhaupt nicht zu etw. anderem’ und 2. ‘sehr gut, ganz genau passen’ (zur Interpretation vgl. Duden 2002, 571) bzw. ungar. fizet, mint a katonatiszt (“bezahlen wie der Offizier”) 1. ‘großzügig zahlen’, 2. ‘nicht zahlen, sondern die Zeche anschreiben lassen’ (zu den Bedeutungsangaben vgl. O. Nagy 1999, 342). Dieses semantisch-kognitive Phänomen, das der antonymischen Polysemie ähnelt, aber nicht ganz mit ihr gleichzusetzen ist, dürfte wohl auch dem Russischen und anderen Sprachen nicht fremd sein. (Bezüglich des Russischen haben allerdings die konsultierten Wörterbücher keine einschlägigen Informationen geliefert.) Das prototypische Grundmuster ist relativ einfach: Wenn beide Bedeutungsvarianten gleichzeitig entstehen, hat man es vielleicht mit der ambivalenten Natur der menschlichen Psyche und der Denkweise zu tun, nämlich ein und dasselbe Verhalten o.ä. sowohl positiv als auch negativ zu deuten bzw. zu werten; gleichwohl kann u. U. auch die positive Grundbedeutung der zugrunde liegenden Verben hineinspielen. In anderen Fällen, wenn eine der Bedeutungen später hinzugekommen ist, kann sich durch häufigen ironischen Gebrauch der ersten, ursprünglichen Bedeutung, die neue, gegenteilige herausbilden.
4.
Aspekte der Struktur
4.1. Aus dem Strukturmodell der Verbvergleiche im Deutschen, im Russischen und im Ungarischen ergibt sich, dass sie in der Regel aus drei Komponenten bestehen: Verb + Vergleichspartikel + Vergleichsmaß (vgl. Földes 1992, 64f.), z.B. dt. arbeiten wie ein Pferd, russ. rabotať kak lošaď, ungar. dolgozik, mint egy ló (beide: “arbeiten wie ein Pferd”, vgl. auch im Englischen: to work like a horse). Bei der lexikographischen Erfassung fällt auf, dass in der Stammform das Verb im Deutschen und Russischen generell im Infinitiv steht, im Ungarischen erscheint hingegen die dritte Personalform des Singulars (dolgozik = “er arbeitet”); das gilt in der ungarischen lexikographischen Tradition im Allgemeinen für sämtliche Bereiche von Lexik und Phra-
seologie. Eine grammatische Spezifik der ungarischen Sprache zeigt sich darin, dass eine relativ hohe Anzahl der Verben (im analysierten Datenmaterial deutlich über 10 Prozent) mit einem obligatorischen hinweisenden Wort auftritt, z.B. úgy élnek, mint a galambok (“so leben wie die Tauben”, d.h. ‘in Ruhe und Frieden leben’), annyit ért hozzá, mint bagoly az ávemáriához (“von etw. so viel verstehen wie die Eule vom Ave-Maria”, d.h. ‘von etw. gar nichts verstehen’) oder olyat esett, mint egy zsák (“so gestürzt sein wie ein Sack”, d.h. ‘schwer stürzen’). In anderen Fällen treten diese Deiktika lediglich fakultativ auf, dann stehen sie bei der Formulierung der “Normalform”, etwa in der Nennform in den Lexika, jeweils in Klammern. Die graphische Realisierung der Verbalvergleiche weist ferner im Ungarischen – im Kontrast zu den anderen beiden Sprachen – einen orthographischen Unterschied auf: Nämlich wird in den ungarischen Belegen das Verb von den anderen Bestandteilen der Konstruktion durch ein Komma getrennt; diese Trennung lässt sich auch akustisch wahrnehmen. Vgl. ungar. alszik, mint a mormota – aber dt. schlafen wie ein Murmeltier und russ. spať kak surok (“schlafen wie ein Murmeltier”), vgl. englisch to sleep like a log (“schlafen wie ein Klotz”). 4.2. Die Untersuchung der Verbkomponenten von Vergleichen ergibt folgende Befunde. Nachstehende sechs Verben zeigen im Deutschen die höchste phrasembildende Aktivität: (aus)sehen, (da)sitzen, (da)stehen, schlafen, gehen und reden (samt ihren präfigierten Formen). Sie machen im Deutschen 31 Prozent aller verbalen Komponenten aus. Im Russischen und im Ungarischen stehen auf der Frequenzliste vielfach die Äquivalente der genannten deutschen Verben: russ. stojať (“stehen”), sideť (“sitzen”), idti/chodiť (“gehen/ laufen”), spať (“schlafen”) und žiť (“leben”) – 23 Prozent aller verbalen Bestandteile; ungar. megy (“gehen”), alszik (“schlafen”), él (“leben”), néz/bámul (“sehen/starren”) und hallgat (“schweigen”) – 18 Prozent aller verbalen Komponenten. Daraus ist ersichtlich, dass die phraseologischen Systeme der untersuchten Sprachen oftmals auf den gleichen lexikalischen Feldern operieren. Die zentralen Verben beziehen sich grundlegend auf menschliches Denken und Verhalten. Diese Handlungen sind nicht spezifisch auf einzelne Sprachgemeinschaften beschränkt, sondern korrespondieren mit dem Alltagsleben und
37. Phraseme mit spezifischer Struktur
mit der allgemeinen menschlichen Verhaltensweise. Aus den angeführten Prozentwerten ergibt sich ferner, dass die phraseologische Aktivität der aufgezählten Verben bei den Vergleichen im Deutschen wesentlich größer ist als im Russischen oder im Ungarischen. Daraus folgt andererseits auch, dass der Komponentenbestand im Russischen und Ungarischen vielfältiger ist. Für interlinguale Divergenzfälle seien folgende Belege genannt. Ohne gleichartige phraseologische Entsprechungen in den beiden anderen Sprachen stehen z.B. die deutschen Verben sich verbreiten und hausen: sich wie der Wind verbreiten bzw. wie die Hunnen hausen. Im Russischen steht beispielsweise das Verb obdirať (“abziehen”, “schälen”) ohne zwischensprachliche Parallelen, vgl. obdirať kak lipku (“schälen wie einen Lindenbaum”, d.h. ‘völlig ausrauben’). Für das Ungarische können hierbei u.a. die Verben megkóstol (“verköstigen”) und spekulál (“spekulieren”) hervorgehoben werden, vgl. megkóstolta, mint a cigány lovát a farkas (“etw. verköstigen wie der Wolf das Pferd des Zigeuners”, d.h. ‘man behauptet, etw. nur probiert zu haben, obwohl man den größten Teil aufgegessen hat’) oder spekulál, mint zsidó az üres boltban (“spekulieren wie der Jude im leeren Geschäft”, d.h. ‘brüten bzw. brütend auf und ab gehen’). 4.3. Eine Analyse der verbalen Komponenten nach ihrer Bedeutung zeigt, dass in allen drei Sprachen die Tätigkeitsverben am häufigsten auftreten, was sich wohl daraus ergibt, dass man bezogen auf das menschliche Handeln bzw. die allgemeine Tätigkeit der Menschen mit Vorliebe Vergleiche anstellt. Diese Verben machen im Deutschen 49 Prozent aller Verbkomponenten von festen Vergleichen aus. Auch im Russischen und im Ungarischen werden sie am häufigsten verwendet, dort beläuft sich ihr Anteil auf 55 Prozent bzw. 54 Prozent. Den zweithöchsten Wert weisen in allen drei Sprachen die Zustandsverben auf: im Deutschen 37 Prozent, im Russischen 30 Prozent und im Ungarischen 32 Prozent. Beachtenswert ist noch der Anteil der Vorgangsverben: im Deutschen 13 Prozent, im Russischen 14 Prozent und im Ungarischen 12 Prozent. Die sog. Witterungsverben und Funktionsverben sind nur durch einen verschwindend geringen Prozentsatz gekennzeichnet: im Deutschen und im Russischen jeweils 1 Prozent, im Ungarischen 2 Prozent.
429
4.4. Eine Untersuchung der Vergleichskonjunktionen kann interessante zwischensprachliche Unterschiede aufdecken. Universell gilt, dass die vergleichende Konjunktion dazu dient, die Komponenten des komparativen Phraseologismus zu verbinden und zu einer semantischen Einheit zusammenzufügen. Durch das Verbindungslied entsteht der Vergleichscharakter dieses phraseologischen Strukturtyps, d.h. die Vergleichspartikeln sind die konkreten, wahrnehmbaren Signale des Vergleichs. In der deutschen Sprache wird die überwiegende Mehrheit der komparativen Phraseologismen mit der Vergleichskonjunktion wie gebildet. Das trifft auch auf die Verbalvergleiche zu. Die Konjunktion wie wird gegenüber den subordinierenden Konjunktionen als, als ob, als wenn, wie wenn und gleich in etwa 92 Prozent der Vergleiche verwendet. Es sei hier allerdings auf einige Belege für die seltener vorkommenden Konstruktionen mit als ob und als verwiesen: essen, als ob man es bezahlt bekäme; aussehen, als ob man kein Wässerchen trüben könnte bzw. jmdn. ansehen/anschauen, als wollte man ihn fressen. Bei diesen Vergleichen springt ins Auge, dass das Verb vom anderen Teil des Vergleichs durch ein Komma getrennt wird; dies ist im Ungarischen stets der Fall. Das kommt wohl daher, dass die genannten Beispiele die Gestalt von hypothetischen Komparativsätzen haben. Im Russischen verwendet man neben der subordinierenden Konjunktion kak – dem Gegenstück zu wie – (in 96 Prozent der Belege) noch weitere vergleichende Konjunktionen: slovno, točno, budto, čto, rovno, vgl. kto-l. smotrit na kogo-l. tak, slovno chočet ego s’’esť (ein gleichartiges Pendant zur deutschen Wendung jmdn. ansehen, als wollte man ihn fressen), ferner: kričať budto režut (“brüllen, als ob man abgestochen würde”). Ein mit Blick auf die Variationsmöglichkeit der Vergleichspartikel aufschlussreiches Beispiel ist kak budto/budto/slovno/točno bannyj list pristal (etwa: “sich an jmdn. wie eine Klette hängen”). Im Ungarischen findet man die Vergleichspartikel mint (wie) am häufigsten. Außerdem treten die Konjunktionen mintha, hogy und ahogy auf. Mintha hat im analysierten Korpus einen Anteil von 4 Prozent, hogy und ahogy einen von jeweils 2,8 Prozent, vgl. úgy áll, mintha ráöntötték volna (‘passen wie angegossen’), úgy kidobja, hogy a lába sem éri
430
X. Besondere Typen von Phrasemen/Particular types of set phrases
a földet (“jmdn. so hinauswerfen, dass nicht einmal seine Füße den Boden berühren”, d.h. ‘jmdn. rücksichtslos hinauswerfen’) und úgy kiabál, ahogy a torkán kifér (“so schreien wie es nur durch den Hals hindurchgeht”, d.h. ‘sehr laut schreien’). Außerdem finden in der Alltagssprache ab und zu die Verbindungsglieder akár und akárcsak Verwendung. Im Zusammenhang mit den Vergleichskonjunktionen sollte noch erwähnt werden, dass manche Forscher – z.B. Pilz (1978, 741), Fleischer (1997, 105f.) und Palm (1997, 46) – auch diejenigen Strukturtypen zu den komparativen Phraseologismen zählen, bei denen der Vergleichscharakter nicht durch die genannten Partikeln zum Ausdruck kommt und die nicht ganz mit dem behandelten strukturellen Schema übereinstimmen, etwa: lügen, dass sich die Balken biegen. 4.5. Das Vergleichsmaß ist das Element von komparativen Phraseologismen, das alle Linguisten als einen obligatorischen Bestandteil des Vergleichs erachten, da es – als das “Bild” der festen Vergleiche – den Bezug zur außersprachlichen Wirklichkeit herstellt. Sogar Ogoľcev (1978, 81) hält es für obligatorisch, wenn er vom komparativen Phraseologismus als eingliedriger Konstruktion spricht. Mit Hilfe einer vergleichenden Untersuchung des Vergleichsworts kann erschlossen werden, welche Ähnlichkeitsrelationen in den einzelnen Sprachen aufgegriffen und phraseologisiert wurden bzw. was für Analogien mehr oder minder willkürlich geschaffen werden (siehe ausführlicher Hessky 1989, 199). Seine Stellung in der Komponentenkette der festen Vergleiche der drei Sprachen ist unterschiedlich. Für den Großteil der Verbvergleiche des Deutschen ist sowohl die Nachstellung als auch die Vorausstellung des Vergleichsmaßes möglich, vgl. dastehen wie ein Ölgötze – wie ein Ölgötze dastehen. Bei vielen Belegen entspricht allerdings eher die Nachstellung dem Sprachusus: gucken wie eine Gans, wenn’s donnert oder es gießt wie aus Kannen. In diesen Fällen würde eine Vorausstellung wegen des hypothetischen Vergleichs und des formalen Subjekts sinnstörend wirken. Für die russische Sprache ist die Nachstellung des Vergleichswortes typisch: vrët kak sivyj merin (“lügen wie ein grauer Wallach”, d.h. ‘gewissenlos, unverschämt lügen’ oder idët kak [k] korove sedlo (“etw. passt wie der Sattel zur Kuh”, d.h. ‘etw. passt gar nicht’). Es lassen sich aber einige Gegenbeispiele finden, wo das Vergleichsmaß vor dem Verb steht: kak
Mamaj prošël (“wie Mamaj vorbeigegangen sein”, d.h. ‘es herrscht größte Unordnung, alles ist vernichtet’) oder kak gora s pleč svalilas’ (“wie ein Berg von den Schultern gefallen ist”, d.h. ‘jmdm. ist ein Stein vom Herzen gefallen’). Für das Ungarische ist ebenfalls die Nachstellung des Vergleichswortes charakteristisch, z.B. kíséri/követi, mint az árnyék[a] (“jmdm. folgen wie sein/der Schatten”, d.h. ‘jmdm. ständig folgen’) oder úgy élnek, mint a kutya meg a macska (“sie leben so wie der Hund und die Katze”, d.h. ‘wie Hund und Katze miteinander leben’). Das geläufigste Strukturmodell der verbalen Vergleiche beruht in allen drei Sprachen auf dem folgenden Schema: Verb + Vergleichspartikel + Substantiv im Nominativ (eventuell mit einem attribuierenden Zusatz ergänzt, vgl. Földes 1992, 69f.). Als Vergleichswort steht also am häufigsten ein Substantiv im Nominativ, z.B. dt. schwimmen wie eine bleierne Ente, russ. plavať kak topor (“schwimmen wie eine Axt”) und ungar. úgy úszik, mint a nyeletlen balta (“schwimmen wie die Axt ohne Stiel”). Das Vergleichsmaß kann natürlich auch viele andere sprachliche Realisierungen aufweisen. Diese Optionen lassen sich – im Kontext der syntaktischen Manifestation der Konstituenten in der Oberflächenstruktur – durch eine Herausarbeitung ihrer Frequenz veranschaulichen (Abkürzungen: S = Substantiv im Nominativ, S* = Substantiv im obliquen Kasus, Adj. = Adjektiv, P = Partizip, V = Verb, Sa = Satz). Deutsch a) b) c) d) e) f) g) h)
(Adj. + ) S: wie ein Kartenhaus zusammenfallen; rennen wie ein geölter Blitz (54 Prozent); (Adj. + ) S*: wie am Schnürchen gehen; jmdn. wie ein rohes Ei behandeln (14 Prozent); S + S: wie Milch und Blut aussehen; wie Topf und Deckel zusammenpassen (1 Prozent); (Adj. + ) S + (Adj. +) S*: etw. liegt jmdm. wie Blei in den Knochen; sich benehmen wie ein Elefant im Porzellanladen (17 Prozent); (Adj. + ) S* + (Adj. + ) S*: kein Beleg; (S* + ) P: wie angegossen passen; jmd. steht da wie mit kaltem Wasser übergossen (10 Prozent); (S* + ) V: kein Beleg; Sa: aussehen, als hätte man einem die Butter vom Brot genommen; jmd. tut, als hätte er die Weisheit mit Löffeln gefressen (4 Prozent)
Russisch a)
(Adj. + ) S: dymiť kak truba (“rauchen wie ein Schornstein”); lomaetsja, kak kopeečnyj prjanik (“etw. bricht wie ein billiger Honigku-
431
37. Phraseme mit spezifischer Struktur
b) c) d) e)
f) g)
h)
chen”, d.h. ‘sich heuchlerisch bitten lassen’) (36 Prozent); (Adj. + ) S*: menjať kak perčatki (“wechseln wie die Handschuhe”); idët kak po konvejeru (“es geht wie am Fließband”) (21 Prozent); S + S: kein Beleg; (Adj. + ) S + (Adj. + ) S*: rassuždať o čëm-l., kak slepoj o kraskach (“über etw. urteilen wie der Blinde über die Farben”) (17 Prozent); (Adj. + ) S* + (Adj. + ) S*: byť kak obuchom po golove (“wie mit einer Axt am Kopf”, d.h. ‘niedergeschlagen sein’); žiť kak u Christa zu pazuchoj (“leben wie bei Christus hinter dem Brustteil des Kleides”, d.h. ‘leben wie Gott in Frankreich’) (2 Prozent); (S* + ) P: nestis’ kak ugorelyj (“rennen wie ein Verbrannter”); spať kak ubityj (“schlafen wie ein Totgeschlagener”) (12 Prozent); (S* + ) V: idët kak plyvët (“es geht wie es schwimmt”); pominaj kak zvali (“erinnere, wie es hieß”, d.h. ‘über alle Berge sein’) (11 Prozent); Sa: kto-l. smotrit na kogo-l. tak, slovno chočet ego s’’esť (“jmd. schaut auf jmdn. als würde er ihn fressen”) (1 Prozent)
Ungarisch a)
b)
c) d)
e) f) g) h)
(Adj. + ) S: úgy dolgozik, mint egy ló (“arbeiten wie ein Pferd”); úgy úszik mint a nyeletlen balta (“schwimmen wie die Axt ohne Stiel”) (42 Prozent); (Adj. + ) S*: szidja, mint a bokrot (“jmdn. schimpfen wie den Busch”); úgy él, mint a paradicsomban (“so leben wie im Paradies”) (12 Prozent); S + S: úgy élnek, mint a kutya meg a macska (“sie leben wie der Hund und die Katze”) (2 Prozent); (Adj. + ) S + (Adj. + ) S*: él, mint a madár az ágon (“leben wie der Vogel auf dem Ast”); ért hozzá, mint tyúk az ábécéhez (“von etw. so viel verstehen wie das Huhn vom ABC”) (33 Prozent); (Adj. + ) S* + (Adj. + ) S*: kein Beleg; (S* + ) P: kein Beleg; (S* + ) V: kein Beleg; Sa: úgy alszik, hogy ágyúkat süthetnek el a füle mellett (“jmd. schläft so, dass man neben seinen Ohren Kanonen abfeuern kann”); úgy retteg, mintha akasztani vinnék (“jmd. zittert so, als ob man ihn zum Erhängen führte”) (11 Prozent).
Aus dieser Gegenüberstellung kann man mehrere interlinguale Unterschiede erkennen. Das Strukturmodell Verb + Verbindungsglied + Substantiv im Nominativ erreicht von den untersuchten drei Sprachen besonders im Deutschen einen großen Prozentanteil. Im Russischen existieren zwei strukturelle Modelle e) und g), die in der deutschen und der ungarischen Datenbasis nicht vorhanden wa-
ren. Andererseits konnten im Russischen keine Belege für den Typ c) ermittelt werden. Mit Blick auf das Ungarische überrascht zunächst, dass der Anteil der Gruppe d) mit 33 Prozent doppelt so hoch liegt wie in den anderen beiden Sprachen. Es sollte auch hervorgehoben werden, dass im Ungarischen das Strukturmodell h), also: Verb + Verbindungsglied + hypotaktischer Satz mit 11 Prozent ebenfalls relativ frequent zu sein scheint. Die Modelle Verb + Vergleichspartikel + Partizip und Verb + Vergleichspartikel + anderes Verb sind hingegen für das Ungarische nicht kennzeichnend. Solche Fälle wie úgy nő, mintha húznák (“wachsen wie gezogen werden”) wurden zum Strukturmodell mit einer Satzkomponente als Vergleichsmaß (d.h. Gruppe h)) gerechnet. Das Verblexem húznák ist zwar formal lediglich ein Einzelwort, es kann aber im Ungarischen auch als ein elliptischer Satz aufgefasst werden: úgy nő, mintha valaki húzná őt (“so wachsen, als wenn jmd. ihn ziehen würde”). Deshalb enthält in der obigen Übersicht das Modell “Partizip oder Verb als Vergleichswort” keine ungarischen Belege. Insgesamt gilt, dass der “Kern” der Vergleichsstrukturen (nämlich der Vergleichsspender und das Vergleichssignal) durch größere zwischensprachliche Übereinstimmungen gekennzeichnet ist, während die übrigen Konstituenten (nämlich der Vergleichsempfänger, das tertium comparationis und der Anschluss) eher Unterschiede aufweisen.
5.
Das Phänomenfeld “Variabilität”
Im Hinblick auf die lexikalisch-semantischen Besonderheiten der komparativen Phraseologismen ist ferner die Kulturrealität “Variabilität” anzusprechen. Ohne an dieser Stelle auf die allgemein-theoretischen Aspekte der phraseologischen Variabilität sowie deren begrifflichen Abgrenzung einzugehen (siehe hierzu ausführlicher: Michajlov 1972, 21f.; Barz 1992, 25ff. und Korhonen 1992, 49ff.), sei festgehalten, dass für die Struktur von festen Vergleichen die Varianz im Komponentenbestand typisch ist. Dabei ist zwischen okkasioneller Modifikation und usueller Variation zu differenzieren (Barz 1992, 28f.), was aber im Einzelnen gerade bei den festen Vergleichen als nicht unproblematisch gilt. Es muss ebenfalls verdeutlicht werden, dass die Normal-/ Grundformen und die Varianten der Phraseologismen nicht unabhängig voneinander, sondern zusammen in einem komplexen Bezie-
432
X. Besondere Typen von Phrasemen/Particular types of set phrases
hungsgefüge existieren. Diese Variabilität kann das Ergebnis der historischen Entwicklung (z.B. die Entstehung neuer Wörter und grammatischer Formen) sein oder mit der typologischen Struktur der jeweiligen Sprache zusammenhängen (z.B. das vollendete/unvollendete Aspektpaar bei den russischen Verben). Die Variabilität als Merkmal wirkt in gewisser Weise der Festigkeit entgegen, während die phraseologische Bedeutung als integrierende Kraft auftritt. Die phraseologische Variabilität tritt vor allem auf lexikalischer, grammatischer und phonetischer Ebene in Erscheinung. Im untersuchten Belegmaterial sind in allen drei Sprachen die lexikalischen Varianten die frequentesten. Die Varianz vollzieht sich am häufigsten durch Synonyme oder zumindest durch Elemente desselben Wortfeldes. Variieren kann das tertium comparationis, z.B. dt. sitzen/leben/sich fühlen wie die Made im Speck, russ. razbiraetsja/smyslit/ponimaet kak svin’ja v apeľsinach (“sich auskennen/ denken/verstehen wie das Schwein mit den Apfelsinen”) und ungar. fut/szalad, mint a nyúl (“laufen/rennen wie der Hase”) wie auch das Vergleichsmaß, z.B. dt. schlafen wie eine Ratte/ein Murmeltier, russ. nosiťsja kak duren’/durak s pisanoj torboj (“umherrennen wie ein Idiot mit einem bemalten Ranzen”, d. h. ‘einer Kleinigkeit zu viel Aufmerksamkeit widmen’) und ungar. úgy beszél, mintha galuska/gombóc volna a szájában (“jmd. redet so als hätte er einen Kloß/Knödel im Munde”). Bei den grammatischen Varianten sind die morphologischen in der Überzahl. Besonders das Deutsche bietet hier vielfältige Potenzen: Es können der Artikel, der Numerus, die Präpositionen und die Adjektivflexion geändert werden, vgl. wirken wie das rote Tuch vs. wirken wie ein rotes Tuch; sein wie der erste Mensch vs. sein wie die ersten Menschen; es gießt wie mit Kannen vs. es gießt wie aus Kannen oder etw. anbieten wie sauer Bier vs. etw. anbieten wie saures Bier. Im Russischen variieren meist der unvollendete und der vollendete Verbalaspekt, die Präpositionen oder die Endungen, vgl. kak po notam razygryvať/ razygrať (“wie nach Noten spielen”, d.h. ‘flott, gekonnt’); kak ob stenu/v stenu/ot steny goroch (“wie Erbsen gegen die Wand”) oder dorožit kak zenicej/zenicu oka (“hüten wie den Augapfel”). Im Ungarischen variieren vor allem die Tempusformen oder die Verbpräfixe, z.B. szétpattan/elpattan, mint a
szappanbuborék (“platzen/zerplatzen wie die Seifenblase”). Syntaktische Varianten sind wesentlich seltener, vgl. dt. schreien wie am Spieß vs. schreien, als ob man am Spieße stäke. Bezüglich des Russischen und des Ungarischen liegen lediglich Belege für Veränderungen in der Wortfolge vor. Phonetische Varianten konnten bei den festen Verbalvergleichen der drei Sprachen keine ermittelt werden. (Hierher hätte z.B. im Russischen der Wechsel der Betonung gehört.) Insgesamt kann aufgrund des Datenmaterials festgehalten werden, dass die Varianz bei den festen Verbvergleichen am stärksten im Deutschen und am wenigsten im Ungarischen ausgeprägt ist.
6.
Problematik der interkulturellen und zwischensprachlichen Äquivalenzbeziehungen
Phraseologismen können zum einen als prototypische Verkörperung des “kulturellen Gedächtnisses” (zu seiner Konzeptualisierung vgl. Assmann 2002) einer Sprachgemeinschaft, zum anderen als ein universelles, jeder Sprachkultur immanentes Kulturphänomen angesehen werden. In diesem Zusammenhang muss die Verflochtenheit von ‘Kultur’ und ‘Sprache’ mit ihren Ausprägungen und Konsequenzen stets mehrperspektivisch hinterfragt werden, denn ‘Kultur’ ist doch bei der sprachkommunikativen Domäne ‘Phraseologie’ konstitutiv! Folglich stellen die Kulturbzw. Mentalitätsgeschichte und die Phraseologie eine äußerst facettenreiche Thematik dar, die eine Reihe kulturphilosophischer, kultursemiotischer, interkultureller, kognitivlinguistischer u.a. Fragen aufwirft und sowohl einen synchronen als auch einen diachronen Betrachtungsrahmen erfordert. Bekanntlich verfügen Phraseologismen – neben ihrer kommunikativen Funktion – auch über eine kumulative Funktion, die sich in der Widerspiegelung und Fixierung von Erfahrungen und Ergebnissen der sozialen Praxis in der Sprache manifestieren (vgl. Földes 2005, 323f.; zur Kulturspezifik in der Phraseologie im Allgemeinen z.B. Dobrovol’skij/ Piirainen 2005). Phraseologismen sind also als prototypischer Hort des “kulturellen Gedächtnisses” einer Sprachgemeinschaft zu betrachten; in ihnen manifestiert sich das versprachlichte kollektive Wissen und damit das “sprachliche Weltbild” in anschaulicher und aufschlussreicher Weise (vgl. zur Interpretati-
37. Phraseme mit spezifischer Struktur
on des Konstrukts ‘Weltbild’ bzw. ‘Weltmodell’ z.B. Bäcker/Civ’jan 1999, 289f.). Dementsprechend greifen viele Phraseologismen dezidiert kulturspezifische und kulturtypische Begebenheiten auf. Da die ‘Bildspender’ in der Regel den direkten sozialen Praxis-, Wahrnehmungs- und Erfahrungsbereichen der jeweiligen Sprachgemeinschaft entstammen, wird für die (metaphorische) Phraseologiebildung spezielles, kulturell geprägtes Wissen aktiviert. Außerdem sind Phraseologismen wohl verbale Manifestationen von sog. Kulturemen (vgl. Oksaar 2003, 38ff.), d. h. sie gelten als Ausdrucksmittel, durch die abstrakte Kultureme konkret realisiert werden. Vor diesem Hintergrund sind mithin die Beziehungen zwischen Phraseologie, Weltbild und Inter- bzw. Transkulturalität besonders vielschichtig und instruktiv (vgl. Földes 2005, 324). Im obigen Zusammenhang kommt im Bereich der verbalen Vergleiche oft das gleiche Weltwissen, die korrespondierenden Alltagserfahrungen mehrerer Sprachgemeinschaften zum Ausdruck (vgl. Földes 1992, 72ff.): der Schlot raucht bei allen drei Sprachgemeinschaften in gleicher Weise, das tiefe Schweigen gleicht dem Schweigen eines Grabes, der Fisch fühlt sich im Wasser wohl, Hund und Katze leben in ständigem Streit miteinander usw. usf. In dieser Dimension überwiegen also die kulturellen und zwischensprachlichen Ähnlichkeiten. Bei der Postulierung von Äquivalenz ist in zwischensprachlichen Relationen jedoch äußerste Umsicht erforderlich, zumal die konkrete einzelsprachliche Realisierung beispielsweise des Vergleichs – im Sinne des Analogiedenkens – nicht notwendigerweise an die gleichen bzw. interlingual einander entsprechenden sprachlichen Mittel gebunden ist. Man denke z.B. an die Wortbildung, die Komposition und die Derivation (vgl. auch Hessky 1989, 201). Außerdem können selbst bei interlingual gleichartigen festen Vergleichen besondere kulturspezifische bzw. -typische Bedeutungen und/oder Verwendungsmodalitäten entstehen. Indes zeigen sich in vielen Fällen – mehr oder weniger markante – sprachliche und kulturelle Divergenzen: Im Deutschen und Ungarischen gleichen die Eier einander, im Russischen dagegen die Wassertropfen (und im Englischen z.B. wie die Erbsen in einer Hülse). Oder wenn einem etwas absolut bekannt ist, kennt man es im Deutschen wie seine eigene Tasche, im Russischen wie seine
433
fünf Finger, im Ungarischen wie seinen Handteller (und im Englischen z.B. wie seine Rückhand). Ein starrer, dummer Blick erinnert die Deutschsprachigen an eine Gans beim Donner, die Russisch- und die Ungarischsprachigen an ein Schaf bzw. an ein Kalb vor einem neuen Tor. (Allerdings gibt es im Deutschen auch die Wendung dastehen wie die Kuh/der Ochs am/vorm neuen Tor.) Noch gravierender fallen bei den komparativen Phraseologismen die Unterschiede aus, die auf spezifische (kultur)historische, landesspezifische u.ä. Begebenheiten der einzelnen Sprach- bzw. Kulturgemeinschaften zurückgehen. So kommen in Wendungen des Deutschen im Vergleich zu den anderen beiden Sprachen viele Berufsbezeichnungen vor: Schneider, Scheunendrescher, Besenbinder u. a. Im Ungarischen finden sich z.B. bei vielen phraseologischen Verbvergleichen solche Komponenten als Vergleichsmaß wie Zigeuner, Betyár (“volkstümlicher Räuber”), Knecht, Tschikosch (“Pferdehirt”) usw. Die Verschiedenheiten widerspiegeln Unterschiede in der realen außersprachlichen Wirklichkeit der Sprachgemeinschaften. Die Grundnatur des Vergleichs, d.h. dass dabei zwei Dinge auf ein beiden Gemeinsames in Beziehung gesetzt werden, bringt es mit sich, dass bei bezüglich der Komponentenkette gleichartigen festen Vergleichen kaum nennenswerte interlinguale semantische Differenzen auftreten. Zwischensprachliche Äquivalenz (d.h. völlige Übereinstimmung der Komponenten, gleiche denotative und konnotative emotional-expressive und stilistische Bedeutung; zu den Entsprechungsrelationen in der Phraseologie siehe ausführlicher Földes 1996, 117ff.) wird beispielsweise durch die Wendung dt. arbeiten wie ein Pferd, russ. rabotať kak lošaď, ungar. dolgozik, mint egy ló verkörpert. Aufgrund der Beleglage tritt vollständige Äquivalenz im Hinblick auf die Relation Deutsch-Ungarisch viel häufiger auf als bei den Sprachenpaaren Deutsch-Russisch und Russisch-Ungarisch. Für die sog. zwischensprachliche strukturelle Synonymie (d.h. Gleichheit der Gesamtbedeutung und des syntaktischen Modells bei nicht genauer Übereinstimmung im Komponentenbestand) liegen mehrere Belege vor, etwa: dt. sich benehmen wie ein Elefant im Porzellanladen gegenüber russ. vesti sebja kak slon v posudnoj lavke (“sich benehmen wie ein Elefant im Geschirrladen”, wo also das Element posuda ‘Geschirr’ und nicht ‘Porzellan’ bedeutet).
434
X. Besondere Typen von Phrasemen/Particular types of set phrases
Die Zahl der Beispiele für die sog. HyperoHyponymie ist geringer. Diese Erscheinung, also eine Art Inklusion, besteht in der unvollständigen Äquivalenz der signifikativen Gesamtbedeutungen durch das Vorhandensein von zusätzlichen Semen bei einem der kontrastierten Phraseologismen, vgl. dt. um etw. herumgehen wie die Katze um den heißen Brei ‘über etw. reden, ohne aber auf den eigentlichen Kern der Sache zu sprechen zu kommen’ gegenüber ungar. kerülgeti, mint macska a forró kását (“um etw. herumgehen wie die Katze um den heißen Brei”) 1. ‘nicht wagen, sich an etw. heranzumachen’, 2. ‘nicht wagen, über etw. entschlossen zu reden’ (die deutsche Bedeutungsparaphrase nach Duden 2002, 822 und die ungarische nach Bárczi/ Országh 1984, IV/875). Hier besitzt der deutsche Phraseologismus nur eine der zwei Bedeutungen des ungarischen Pendants. Auch für die sog. stilistische Synonymie lassen sich Belege ermitteln, z.B. dt. schwimmen wie eine bleierne Ente, russ. plavať kak topor (“schwimmen wie eine Axt”) und ungar. úgy úszik, mint a nyeletlen balta (“schwimmen wie die Axt ohne Stiel”). Den lexikographischen Quellen zufolge ist die Wendung im Deutschen umgangssprachlich-scherzhaft, im Russischen unmarkiert und im Ungarischen spöttisch. Wohl infolge der schon erwähnten transparenten und gleichsam universellen Grundnatur des Kulturphänomens “Vergleich” lagen im Korpus keine Belege für phraseologische Faux amis u.Ä. vor. Insgesamt kann bezüglich der Entsprechungsverhältnisse in den drei Sprachen konstatiert werden, dass sich in diesem Segment der Phraseologie – wie auch mehreren anderen bisher analysierten phraseologischen Subsystemen (vgl. Földes 1996, 182) – das Sprachenpaar Deutsch-Ungarisch durch ein deutlich höheres Maß an interkultureller Kompatibilität und interlingualer Äquivalenz auszeichnet als die meisten anderen (sogar genetisch verwandten und typologisch gleichartigen) Sprachrichtungen.
7.
Schluss
Vermutlich ist der spezifischen kognitiv-inhaltlichen und formal-grammatischen Struktur dieser phraseologischen Subklasse zu verdanken, dass im Falle zahlreicher Sprachenkombinationen ein hohes Maß an kulturellen und interlingualen Ähnlichkeiten präsent ist (vgl. z.B. Deutsch-Russisch-Bulgarisch-Ita-
lienisch bei Lichtenberg 1994, 39; DeutschFranzösisch bei Nahon 1997, 157ff.), sogar bei kulturell und strukturell voneinander weit entfernten Sprachen wie Deutsch und Ägyptisch-Arabisch (vgl. die Befunde von Matta 1999, 222). Diese relativen Gleichheiten dürfen aber nicht automatisch als volle Übereinstimmungen verstanden werden, zumal bei ihnen – selbst bei gleichartiger Bildlichkeit – verschiedene Bedeutungsnuancierungen, stilistisch-pragmatische Markierungen sowie Frequenzunterschiede auftreten können. Dagegen ist wohl bei anderen Klassen und Typen von Phraseologismen mit besonderer Struktur der Anteil einzelsprachspezifischer Merkmale deutlich höher, z.B. im Falle der festgeprägten prädikativen Konstruktionen (vgl. Fleischer 1997, 99ff.), zumal hier meist weder die zugrunde liegenden kognitiven Denk- noch die die sprachliche Oberfläche bildenden syntaktischen Strukturmodelle interkulturell und zwischensprachlich isomorph sind.
8.
Literatur (in Auswahl)
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Csaba Földes, Veszprém (Ungarn)
436
X. Besondere Typen von Phrasemen/Particular types of set phrases
38. Funktionsverbgefüge und verwandte Erscheinungen 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Terminologie Definition Probleme Leistungen der Funktionsverbgefüge Funktionsverbgefüge in der Phraseologieforschung Literatur (in Auswahl)
1.
Terminologie
In einem umstrittenen Grenzbereich zwischen Syntax und Phraseologie befinden sich VerbSubstantiv-Verbindungen vom Typ Beobachtungen anstellen, in Aufregung bringen im Deutschen, to have a look, to move into action im Englischen oder faire une promenade, être en préparation im Französischen. Die linguistischen Bezeichnungen für solche verbonominalen Konstruktionen mit einem Abstraktum oder einer Nominalisierung verweisen meist auf das bedeutungsarme Verb oder auf den Prädikatstatus der ganzen Verbindung. Auf Deutsch sind “Funktionsverb” als Bezeichnung für das Verb (v. Polenz 1963) und “Funktionsverbgefüge” (abgekürzt FVG) für die ganze Verbindung am stärksten verbreitet und haben ältere Bezeichnungen wie z.B. “Funktionsverbfügung” (Heringer 1968) oder “Streckverb” (Schmidt 1968) weitgehend abgelöst. Im Französischen bildet “locution verbale” den traditionellen Begriff, heute gilt hier aber “verbe support” und “construction à verbe support” als gängige Bezeichnung (auch in den übrigen romanischen Sprachen, z.B. Span. “verbo soporte”, It. “verbo supporto”). Der Begriff “verbe support” wurde zwar ursprünglich von M. Gross (1934–2001) im Rahmen der Lexikongrammatik (“Lexiquegrammaire”) geprägt, wird aber heute auch völlig unabhängig von den theoretischen Prämissen dieses Beschreibungsmodells benutzt (vgl. Alonso Ramos 2001). Das Englische verfügt nicht über einen einheitlichen Begriff; hier ist mit einer Fülle an meist uneindeutigen Bezeichnungen zu rechnen. Einigermaßen etabliert sind “light verb” und “light verb construction” (vgl. Brugman 2001) sowie “composite predicate” (vgl. Brinton/Akimoto 1999). Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass diese Begriffe auf verschiedenartige Verbindungen verweisen können. So bezeichnet “composite predicate” manchmal VerbAdjektiv- und Verb-Verb-Verbindungen (z.B. in Hinrichs/Kathol/Nakazawa 1998). “Light
verb” geht zwar ursprünglich auf Jespersen (1942, 117) zurück, der mit “light” die Bedeutung einiger frequenter, unspezifischer Verben charakterisierte (have, make usw.), wird aber heute auch in den auf Chomskys Vorstellungen und Prämissen aufbauenden Grammatikmodellen benutzt und verweist dort nicht immer auf das Verb einer VerbSubstantiv-Verbindung (Cattell 1984, Grimshaw/Mester 1988), sondern manchmal auf modale oder aspektuelle Hilfsverben, oder auf hochabstrakte Postulate, die je nach der Ausrichtung und dem Entwicklungsstand des Modells variieren (vgl. Chomsky 1995, 62 und 315–316, Radford 1997, 369–370). Solche Anwendungen des Begriffs “light verb” befassen sich jedoch nicht mit empirischen Verb-Substantiv-Verbindungen und werden uns hier nicht weiter beschäftigen. In der englischsprachigen Forschung kommt es des Weiteren oft zu Ad-hoc-Bezeichnungen, wie z.B. “expanded predicate” (Algeo 1995) oder “thin verb” und “stretched verb construction” (Allerton 2002). Die vielfältigen Bezeichnungen signalisieren keineswegs systematisch unterschiedliche Auffassungen oder Definitionen der Funktionsverbgefüge, sondern in erster Linie unterschiedliche Forschungstraditionen (v.a. Germanistik, Romanistik bzw. Anglistik). Solange die Definitionsfrage ungeklärt ist (vgl. 2. und 3.) und in nahezu jedem Beitrag neu angegangen wird, sind alle Bezeichnungen gewissermaßen als austauschbar zu betrachten. Allerdings ist zu bemerken, dass die Germanistik die Verb-Adjektiv-Verbindungen (z.B. dt. jmdm. hilfreich sein, engl. to be critical of something) nicht zu den Funktionsverbgefügen rechnet und sie ansonsten auch unberücksichtigt lässt, während in der englischsprachigen Forschung Verb-Substantiv- und Verb-Adjektiv-Verbindungen manchmal unter demselben Begriff zusammengefasst werden (z.B. “composite predicate” in Cattell 1984 oder “stretched verb construction” in Allerton 2002). Auch “construction à verbe support” bezieht sich im Rahmen der Lexikongrammatik sowohl auf Verb-Substantiv- als auch Verb-Adjektiv-Verbindungen (vgl. M. Gross 1996a). Für solche mit einem Verb verwandten Verb-AdjektivVerbindungen stellen sich grundsätzlich dieselben Fragen wie für die Funktionsverbgefüge. Beiträge, die Verb-Adjektiv-Verbindungen systematisch analysieren und sich dabei nicht
38. Funktionsverbgefüge und verwandte Erscheinungen
in erster Linie mit der Arbeit an einem formal-theoretischen Beschreibungsmodell beschäftigen, stehen jedoch noch weitgehend aus (eine Ausnahme bildet Allerton 2002). Die vorliegende Übersicht beschränkt sich daher auf Verb-Substantiv-Verbindungen.
2. Definition Trotz der kaum zu überschauenden Forschungsliteratur der jüngsten 40 Jahre fehlen nach wie vor Kriterien, mit denen sich Funktionsverbgefüge oder “light verb constructions” eindeutig abgrenzen lassen. Die Grenzen zur freien Syntax und den idiomatischen Phrasemen sind nicht festgelegt, so dass die Materialsammlungen meist Funktionsverbgefüge aus beiden Bereichen enthalten. Nahezu alle Abgrenzungsversuche kreisen um folgende vier Hauptmerkmale: (1)
(2)
(3)
(4)
Das Verb der Konstruktion ist “bedeutungsarm” oder wird in einer “verblassten” Bedeutung benutzt. Es handelt sich meist um stereotype Allerweltsverben, was auch mit dem Adjektiv “light” zum Ausdruck gebracht wird. Das Substantiv ist im Prinzip ein Verbalabstraktum oder formal mit einem Verb verwandt. Es bezeichnet ein Ereignis oder einen Zustand und ist daher “Träger der Bedeutung”. Als zentraler Bestandteil übernimmt das Substantiv teilweise die Rolle des Verbs, v.a. im Hinblick auf die Leerstellen im Satz, deren Ausfüllung von der Bedeutung des Substantivs bestimmt wird (z.B. das Gesetz kommt zur Abstimmung, wo das Substantiv Abstimmung das Subjekt Gesetz selektiert, und nicht das Verb kommen, vgl. Helbig/Buscha 2001, 92, Detges 1996, 157–166, Grimshaw/Mester 1988). Substantiv und Verb bilden zusammen eine enge formale und semantische “Einheit” oder ein einziges (mehrteiliges) “Prädikat”. Das Funktionsverb oder “light verb” allein ergibt entweder einen unvollständigen Satz (z.B. er stellt es zur Diskussion → *er stellt es) oder eine völlig andere Interpretation (vgl. z.B. er kommt zur Ruhe mit er kommt). Die Verb-Substantiv-Verbindung ist mit einem verwandten Verb “paraphrasierbar”. Dieses Merkmal spielt eine bedeutende Rolle in der Heuristik der Funktionsverbgefüge, weil die Paraphrasierbarkeit nicht nur die enge (semantische) Einheit belegt, sondern das Nebeneinander von z.B. zur Anwendung bringen und anwenden trägt auch zu der Auffassung bei, dass ein Funktionsverbgefüge einen verbalen Charakter aufweist und systematisch mit dem verwandten Verb zusammenhängt.
437
Diese Hauptmerkmale bilden die Grundlage für zusätzliche Abgrenzungskriterien, die man meist in einer gewissen formalen Fixierung der Bestandteile oder in bestimmten Kombinationsrestriktionen erblickt; sie variieren je nach Autor und Sprache, und ihre Gültigkeit ist in vielen Fällen eingeschränkt (vgl. in Bezug auf das Dt. Helbig 1984, Helbig/Buscha 2001, 87–92). In diesen Hauptmerkmalen, insbesondere in der Paraphrasierbarkeit mit einem verwandten Verb und der formalsemantischen Einheit des Gefüges, gründet auch die Auffassung, dass Funktionsverben einen grammatischen Status haben oder Funktionsverbgefüge ein grammatisches Verfahren darstellen; diese Auffassung ist sogar viel stärker verbreitet als die phraseologische Betrachtung der Funktionsverbgefüge. Deshalb werden sie oft in Grammatiken und der Syntax beschrieben, v.a. im Falle des Deutschen (vgl. Zifonun/Hoffmann/Strecker u.a. 1997, 702–705, Eroms 2000, 162–170, Eisenberg 1999, 299–307). Die Lexikongrammatik verknüpft die “constructions à verbe support” im Prinzip mit Sätzen mit einem verwandten “verbe distributionnel” (einem verwandten Vollverb) und betrachtet sie als Transformationsbasis für Nominalisierungen und deren (Nominal-)Valenz (einführend dazu M. Gross 1996b, vgl. Detges 1996, 69–72 für eine Kritik). Die Beschreibung der “constructions à verbe support” versteht die Lexikongrammatik entsprechend ihrem Hauptanliegen als Beitrag zur maschinellen Sprachverarbeitung. Oft nimmt man ein regelmäßiges oder sogar transformationelles Verhältnis zwischen Funktionsverbgefüge und verwandtem Vollverb an (vgl. Fillmore 1968, 84f., Jackendoff 1974), oder auch ein weniger regelmäßiges Verhältnis (“kindred relations”, Allerton 2002, 16f.). Dementsprechend betrachtet man die Funktionsverbgefüge als das Ergebnis eines Grammatikalisierungsprozesses (Lehmann 1991, 517–520, Leiss 1992, 255–271 und 2000, 209–213). Diese Auffassung findet ihre radikalste Ausprägung bei Wierzbicka (1988) und Dixon (1991, 336–362), die die englischen Konstruktionen vom Typ to have a drink als periphrastische Verbformen mit einer eigenständigen, paradigmatischen Bedeutung betrachten und den substantivischen Charakter von a drink (trotz des unbestimmten Artikels) leugnen. Verb-Substantiv-Verbindungen mit einem Verbalabstraktum werden manchmal mit einer umfassenden (sprachhistorischen) Tendenz zum Analytis-
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X. Besondere Typen von Phrasemen/Particular types of set phrases
mus verknüpft, die den verbalen Inhalt über zwei Komponenten verteilt (vgl. zum Engl. Poutsma 1926, 385–400, Hopper 1991, Brinton 1996). Solchen spekulativen Urteilen ist aber entgegenzuhalten, dass Funktionsverbgefüge auch in älteren Sprachstufen und in typologisch völlig verschiedenen Sprachen vorkommen (vgl. 5.).
3.
Probleme
Die vier Hauptmerkmale, die unter 2. beschrieben wurden, stellen sich bei näherer Betrachtung als besonders dehnbare Begriffe heraus und sind nicht als Kriterium operationalisierbar. Zu (1): Obwohl stereotype oder verblasste Verben meist eine beschränkte Gruppe bilden, sind die Verben, die typischerweise als Funktionsverb oder “light verb” benutzt werden, einzelsprachlich zu bestimmen, denn nicht jedes bedeutungsarme oder “light” Verb ist auch häufig in Funktionsverbgefügen. Im Deutschen ist z.B. kommen als Funktionsverb beliebt (z.B. zum Einsatz kommen), während die stereotypen Verben machen und tun eher selten sind (z.B. einer Sache Erwähnung tun); im Vergleich zum Deutschen benutzt das Französische hingegen oft faire (vgl. Giry-Schneider 1978), jedoch kaum (par)venir (z.B. parvenir à échéance). Das Englische macht oft von to give Gebrauch (z.B. to give a smile, vgl. Labuhn 2001), während weder im Deutschen noch im Französischen die Funktionsverbgefüge mit den Entsprechungen geben bzw. donner (z.B. eine Antwort geben oder donner un conseil) ein häufiges Muster darstellen. Umgekehrt ist nicht jedes Funktionsverb ein bedeutungsarmes oder “light” Verb im dem Sinne, dass es kaum Selektionsbeschränkungen aufwiese und mit beliebigen Objekten kombinierbar wäre. Beispielsweise wird erheben oft als Funktionsverb zitiert, obwohl es in Funktionsverbgefügen wie Anklage, Anspruch, einen Vorwurf erheben spezifische Selektionsbeschränkungen aufweist und sich keineswegs mit jedem deverbalen Substantiv oder jeder Nominalisierung kombinieren lässt. Zu (2): Kennzeichnend für Verbalabstrakta ist, dass sie (nach dem Beispiel der meisten Verben) einen Zustand oder ein Ereignis zum Ausdruck bringen, und gerade dies verleiht den Funktionsverbgefügen ihren verbalen Charakter. In der Praxis entspricht dem morphologischen Kriterium (dem Verbalabstraktum) jedoch nicht eindeutig ein semantisches Kriterium (ein Ereignis oder ein Zustand, die für typisch “verbale” Bedeutungen gehalten werden), denn es können auch andere Substantivtypen einen Zustand oder ein Ereignis bezeichnen, z.B. deadjektivische Nominalisierungen, die ebenfalls als Substantiv eines Funktionsverbgefüges akzeptiert werden (z.B. dt. in Verlegenheit geraten, frz. rester
dans l’incertitude). Ein mit dem Substantiv verwandtes Verb kann in der Gegenwartssprache aber auch fehlen, obwohl das Substantiv als Nominalisierung erscheint (z.B. in Verruf geraten, être en compétition, to make an effort), und auch solche Fälle werden meist als Funktionsverbgefüge eingestuft (z.B. Allerton 2002, 234–238, Detges 1996, 143–145). Einige Autoren rechnen sogar Verbindungen mit einer undurchschaubaren Bedeutung zu den Funktionsverbgefügen, weil sie als Einheit im Satz eine mit dem Verb vergleichbare Rolle erfüllen (z.B. jmdn. auf die Palme bringen, v. Polenz 1987, 180). Der Begriff “verbale Bedeutung” lässt sich nicht genau abgrenzen, und es wäre der Frage nachzugehen, ob hier nicht eine Bedeutungsklasse (Ereignis oder Zustand) mit einer Kategorie (der Wortart “Verb”) oder Wortbildungstypen (deverbalen Substantiven) verwechselt wird. Es trifft ferner zwar zu, dass das Substantiv den “Träger der Bedeutung” der Verbindung darstellt und anstelle des Verbs die Ausfüllung der Leerstellen im Satz bestimmt, aber dies ist keineswegs typisch für Funktionsverbgefüge, wie aus einem Vergleich mit z.B. Die Katastrophe stellt die Bevölkerung vor große Schwierigkeiten hervorgeht, wo nicht das Verb stellen die Satzglieder selektiert, sondern in erster Linie das Komplex vor große Schwierigkeiten stellen. Hier liegt also allenfalls ein gradueller Unterschied zur freien Syntax vor. Zu (3): Das Funktionsverbgefüge ist ohne sein Substantiv tatsächlich unvollständig, aber dies ist ebenfalls eine verbreitete syntaktische Erscheinung. Manche Verben haben ein fixiertes Valenzmuster, in dem die Aktanten nicht fortgelassen werden können, z.B. verhelfen, das neben einem Dativobjekt auch ein Präpositionalobjekt mit zu erfordert (*er verhilft ihm statt er verhilft ihm zu etwas ist genauso unvollständig wie *er stellt etwas statt er stellt etwas zur Diskussion). Mit der Forderung, dass Funktionsverb und Substantiv ein einziges “(komplexes) Prädikat” bilden, greift man nur auf einen breiteren Begriff zurück, dessen Abgrenzung ebenfalls unklar ist. U.a. aus der Valenzforschung ist bekannt, dass ein Verb allein oft nicht im Stande ist zu “prädizieren”, d.h. eine semantisch abgerundete Aussage zu bewirken, und erst mit weiteren Aktanten ein “Prädikat” bildet. Zu (4): Die Paraphrasierbarkeit mit einem verwandten Verb ist im Grunde kein eigenständiges Kriterium, sondern weitgehend eine Folge des Verbalabstraktums, das man für das grundlegende Merkmal des Substantivs des Funktionsverbgefüges hält. Ansonsten bildet die Paraphrasierbarkeit auch kein Merkmal des Funktionsverbgefüges an sich, sondern besagt nur, dass in der Sprache ein alternativer Ausdruck vorhanden ist. Solche alternativen Ausdrücke können aber durch Zufall fehlen, ohne dass die Verb-Substantiv-Verbindung einen unterschiedlichen Charakter oder das Verb der Verbindung eine andere Bedeutung aufweisen würde, z.B. liegen in engl. to cause annoyance to somebody (neben dem
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38. Funktionsverbgefüge und verwandte Erscheinungen Verb to annoy) und to cause anguish to somebody oder to cause problems to somebody (die nicht mit einem verwandten Verb paraphrasiert werden können) keine unterschiedlichen Verwendungsweisen des Verbs to cause vor. Die Forschung hat auf zwei Weisen versucht, dieses Problem zu umgehen. Einerseits hat man Verb-Substantiv-Verbindungen ohne verbale Paraphrasemöglichkeit zu den Funktionsverbgefügen im weiteren Sinne gerechnet (Allerton 2002, 21 und 234–238). In diesem Fall stellt sich im Grunde heraus, dass viele “Funktionsverben” oder “light verbs” nicht nur mit Verbalabstrakta kombiniert werden können, sondern ohne erkennbaren Bedeutungsunterschied auch mit anderen Substantivtypen, so dass das Kriterium der Paraphrasierbarkeit zweifelhaft wird. Andererseits hat man die Verb-Substantiv-Verbindungen ohne Paraphrasemöglichkeit und ohne verwandtes Verb konsequent ausgeschlossen, z.B. implizit, indem man bei einem Funktionsverb nur auf dessen Verbindungen mit Verbalabstrakta hinweist (z.B. jmdn. in Aufregung, in Erstaunen, in Erregung usw. versetzen) und sonstige Kombinationsmöglichkeiten (z.B. jmdn. in eine Zwangslage, in eine moralische Zwickmühle versetzen) nicht erwähnt. In diesem Fall wird aber eine bestimmte Ausfüllung, nämlich diejenige mit Verbalabstrakta, künstlich aus den breiteren Verwendungsmöglichkeiten eines Satzschemas (in diesem Fall jmdn. in etw. versetzen) ausgegliedert (vgl. Van Pottelberge 2001, 267– 278).
Die Versuche, die Hauptmerkmale als Abgrenzungskriterien zu operationalisieren, haben zahlreiche Unregelmäßigkeiten, Lücken und Idiosynkrasien zutage gefördert, die zeigen, dass Funktionsverbgefüge (zumindest im Dt., Engl. und Frz., zu denen die meisten Untersuchungen vorliegen, aber wohl auch in anderen Sprachen) nicht in einem transformationellen Verhältnis zu dem mit dem Substantiv verwandten Verb stehen und auch kein grammatisches oder grammatikalisiertes Verfahren darstellen. Es ist immer mit verschiedenen Zwischenebenen zwischen den Funktionsverbgefügen einerseits und den verwandten Verben andererseits zu rechnen. Die erste Ebene ist die Ebene der Wortbildung, die für die Ableitung des Substantivs vom Verb (oder dem Adjektiv) verantwortlich ist; in keiner Sprache bringen die Funktionsverbgefüge selber neue Verbalabstrakta hervor. Die zweite Ebene ist entweder die Ebene der Phraseologie oder diejenige der freien Syntax. Bestimmte Funktionsverbgefüge weisen als Einheit eine idiomatische Bedeutung und syntaktische Restriktionen auf, die auf phraseologischer Ebene anzusiedeln sind (z.B. zur Sprache bringen); andere sind im Grunde freie syntaktische Verbindungen, in denen das
“Funktionsverb” die Selektionsmerkmale und das Satzmuster bestimmt (z.B. durchführen in eine Untersuchung durchführen oder to cause in to cause annoyance to somebody). Diese Zwischenebenen schließen eine Bildung der Funktionsverbgefüge nach vorhersagbaren Regeln und eine direkte Ableitung der Funktionsverbgefüge aus verwandten Verben aus. Versuche, die Funktionsverbgefüge oder “komplexe Prädikate” als grammatische Kategorie darzustellen, wobei semantische Merkmale systematisch mit bestimmten formalen Merkmalen zur Deckung gebracht werden können, sind als gescheitert zu betrachten (vgl. kritisch zu einer grammatisch-syntaktischen Erklärung der Funktionsverbgefüge Gaatone 1981, G. Stein 1991, Alonso Ramos 2001 und Van Pottelberge 2000 und 2001).
4.
Leistungen der Funktionsverbgefüge
Fruchtbarer als die Abgrenzungs- und Definitionsfrage war bisher die Ermittlung der Leistungen der Funktionsverbgefüge. Dies setzt voraus, dass man Funktionsverbgefüge nicht als grammatisches Verfahren betrachtet, sondern als alternative Ausdrücke für bestimmte Verben oder verbale Ausdrucksweisen, wie es bis zur Mitte des 20. Jh.s auch immer der Fall war, als die Verb-Substantiv-Verbindungen unter stilistischem Gesichtspunkt beschrieben wurden. In Deutschland sind die Funktionsverbgefüge zunächst aktuell geworden in der Sprachkritik, die sie (wie auch den Nominalstil schlechthin) als Anzeichen eines modernen Sprachverfalls ablehnte. Dies hat Linguisten dazu herausgefordert nachzuweisen, dass die verfemten Funktionsverbgefüge besondere Ausdrucksmöglichkeiten leisten (vgl. die Reaktion von v. Polenz 1963 auf Korn 1958). Im Französischen wurden die Funktionsverbgefüge von Seiten der Stilistik hingegen neutral oder sogar positiv bewertet (vgl. Bally 1909, 34, Lombard 1930, 200–223). Im Englischen findet man schon in den philologischen Grammatiken der ersten Hälfte des 20. Jh.s. Hinweise auf Verb-Substantiv-Verbindungen als Alternative für das einfache Verb, entweder ausgehend von dem im Neuenglischen beliebten Wortbildungsmuster der deverbalen Nullableitungen (wie a look, a talk, Jespersen 1942, 117) oder in der Darstellung von Prädikaten mit bedeutungsarmen Verben (Poutsma 1926, 393–400, Curme 1935, 69, vgl. auch Kirchner 1952). Seit den sechziger Jahren des 20. Jh.s hat die Linguistik die
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X. Besondere Typen von Phrasemen/Particular types of set phrases
Leistungen der Funktionsverbgefüge besonders im Rahmen der Syntax und Grammatik herausgearbeitet. Dabei hat v. Polenz (1987, 170) vorgeschlagen, nur diejenigen Verb-Substantiv-Verbindungen, in denen das Verb “eine systematisch beschreibbare Eigenbedeutung” hat, d.h. eine Aktionsart oder ein kausatives oder passivisches Verhältnis ausdrückt, als Funktionsverbgefüge zu betrachten, alle übrigen Verbindungen einer Nominalisierung mit einem bedeutungsarmen Verb hingegen als “Nominalisierungsverbgefüge” (und deren bedeutungsarme Verben als “Nominalisierungsverben”). 4.1. Aktionsartendifferenzierung Für viele Sprachen wird auf den Ausdruck von Aktionsarten hingewiesen als bedeutende Leistung der Funktionsverbgefüge im Vergleich zum jeweiligen verwandten Verb (zum Dt. vgl. Heringer 1968, Leiss 1992; zum Frz. vgl. Detges 1996, G. Gross 1996; zum Engl. vgl. Brinton 1996, Allerton 2002, 197–207). Meist wird zwischen inchoativen/terminativen und durativen Funktionsverbgefügen unterschieden. Obwohl unbestreitbar ist, dass viele Funktionsverbgefüge eine Aktionsart aufweisen (wie viele Verben auch), wird die Aktionsartendifferenzierung generell überschätzt. In vielen Fällen ändert sich die Aktionsart im Verhältnis zum verwandten Verb nicht. Beispielsweise ist in Erscheinung treten genauso “inchoativ” als das Verb erscheinen, und ist zur Verfügung stehen nicht durativer als über etw. verfügen. Viele Funktionsverbgefüge weisen außerdem eine “Reihenbildung” auf, d.h. sie können oft mittels verschiedener Funktionsverben variiert werden, so dass ein und dieselbe Handlung nach Aktionsarten abgestuft wird, z.B. dt. in Bewegung kommen, sein, bleiben oder frz. entrer, être, rester en fonction. Bislang ist aber ungenügend geklärt, in welcher Hinsicht sich diese Reihenbildung unterscheidet von der Reihenbildung bei undurchschaubaren Phraseologismen (z.B. im Lot sein, ins Lot kommen, jmdn. ins Lot bringen) oder von Möglichkeiten zur Reihenbildung in der freien Syntax, z.B. Max bekommt, behält, verliert das Geld, die ebenfalls eine aktionale Ausdifferenzierung bewirken. 4.2. Aktanten Viele Funktionsverbgefüge ermöglichen, Zahl und Art der Aktanten der Verbalhandlung zu differenzieren. So ist ein beträchtlicher Teil
der Funktionsverbgefüge in vielen Sprachen “passivwertig”. Das heißt, dass sie als Alternative für die Passivform des verwandten Verbs benutzt werden können: Die Instanz, die beim verwandten Verb als Objekt und Patiens erscheint, erfüllt im Funktionsverbgefüge die Rolle des Subjekts, und gleichzeitig kann das Agens unausgedrückt bleiben, vgl. z.B. dt. etw. ändern mit etw. erfährt eine Änderung. Solche passivwertigen Funktionsverbgefüge sind v.a. im Deutschen stark verbreitet (mit den Funktionsverben erfahren und finden, z.B. Anerkennung finden, Rösch 1994), sie kommen aber auch im Französischen vor (vgl. z.B. construire quelque chose mit être en construction, G. Gross 1993 und Gaatone 1998) sowie im Englischen (vgl. z. B. to treat somebody mit somebody undergoes treatment, Allerton 2002, 192, Algeo 1995, 206). Die “Agensabgewandtheit” teilen solche Funktionsverbgefüge mit der Passivtransformation, im Unterschied zu letzterer lassen sich jedoch nicht systematisch passivwertige Funktionsverbgefüge zu jedem Verb bilden. Die Passivwertigkeit bedeutet außerdem nicht automatisch, dass das Funktionsverbgefüge mit der Passivform des verwandten Verbs synonym wäre, z.B. dt. zur Verfügung stehen ≠ verfügt werden. Bestimmte Muster haben ein obligatorisches Akkusativobjekt, z.B. dt. jmdn./etw. zu etw. bringen, wie etw. zu Ende bringen, und werden daher kausative Funktionsverbgefüge genannt. Manchmal sind solche kausativen Funktionsverbgefüge aber nicht kausativ im Vergleich zum verwandten Verb, insbesondere, wenn es sich um ein transitives Verb handelt, vgl. etw. zum Abschluss bringen mit etw. abschließen. 4.3. Textlinguistische Leistungen Relativ wenig erforscht sind die textlinguistischen Leistungen der Funktionsverbgefüge. Sie ermöglichen die Vorwegnahme oder Wiederaufnahme einer nominalen Komponente in einem breiteren Textzusammenhang (vgl. Gautier 1998), z.B. 100 Opfer haben Anzeige erstattet. In etwa 40 Prozent der Fälle handelte es sich um Anzeigen wegen Körperverletzung. Insbesondere ein fixierter Begriff, wobei das verwandte Verb nicht dieselbe terminologische Bedeutung hat und daher unangebracht wäre, kann nur mittels stereotyper (Funktions-)Verben in einen Satz eingebettet werden, z.B. ist in eine Betriebsprüfung durchführen
38. Funktionsverbgefüge und verwandte Erscheinungen
das Substantiv ein wirtschaftstechnischer Begriff, den man nicht gegen eine verbale Konstruktion austauschen kann. Man hat die Funktionsverbgefüge deshalb auch für typisch fachsprachlich gehalten, aber diese Behauptung muss nuanciert werden. Für die Wiederaufnahme von Termini in Fachtexten sind in erster Linie die nicht-idiomatischen Funktionsverbgefüge ohne syntaktische Restriktionen relevant, also im Grunde die syntaktisch freien Verben wie durchführen, erstellen usw.; formal fixierte oder idiomatische Funktionsverbgefüge wie z.B. zur Sprache bringen, etw. in Betracht ziehen ermöglichen keine Wiederaufnahme eines Substantivs aus der freien Rede und haben im Übrigen auch einen fachindifferenten Charakter (vgl. Köhler 1984, mit empirischen Daten).
5.
Funktionsverbgefüge in der Phraseologieforschung
Wie schon erwähnt, wurden die Funktionsverbgefüge bisher vorwiegend unter syntaktischem Gesichtspunkt, als grammatisches oder halbgrammatisches Verfahren untersucht (vgl. 3.), und eher selten als Phraseme (vgl. jedoch Schemann 1982, Schmid 1984), allerdings mit Ausnahme der undurchschaubaren Verbindungen wie in Harnisch geraten. Manchmal werden die Funktionsverbgefüge in der Phraseologie generell von der Darstellung ausgeschlossen (vgl. Palm 1997, 2), was in Anbetracht der Idiomatizität oder Fixiertheit vieler Funktionsverbgefüge nicht vertretbar ist. Gewiss stellen aber nicht alle Verbindungen, die in der Forschung als Funktionsverbgefüge aufgeführt oder von den gängigen Definitionen erfasst werden, auch Phraseme dar. Bei manchen Mustern, die vielen Funktionsverbgefügen zugrunde liegen, wie dt. jmdn. zu etw. bringen (mit belebtem Subjekt) oder engl. to cause something (to somebody), ist zu fragen, ob sie nicht aufgrund der lexikalisch bedingten Syntax und Semantik des Verbs zu erklären sind, zumal nicht nur verschiedenartige Nominalphrasen, sondern auch die üblichen syntaktischen Transformationen problemlos sind, wie z.B. die Pronominalisierung der Nominalphrase (z.B. er bringt ihn dazu bzw. he caused it). Solche Fälle scheinen keinen Ansatzpunkt für phraseologische Analysen zu bieten. Aber auch wenn offensichtliche syntaktische Restriktionen fehlen und die Verbindung semantisch transparent ist, ist die Kombination manchmal stabil, wie
441
z.B. Beobachtungen anstellen oder Verhandlungen führen. Die Stabilität solcher Kombinationen ist nicht von der lexikalischen Bedeutung des Verbs oder des Substantivs her vorhersagbar, sondern wird von der Sprachnorm (im Sinne von Coseriu 1975) vorgeschrieben. Eine solche schwach- oder nichtidiomatische Stabilität begegnet in vielen Bereichen der Sprache und wird oft mit dem Oberbegriff “Kollokation” umschrieben (Burger 2003, 52f.). Neben einer mehr oder weniger schwachen Fixiertheit weisen viele Typen von Funktionsverbgefügen auch eine gewisse Produktivität auf, die Fleischer (1997, 134) mit der Kategorie “Phraseoschablonen” gerecht zu werden versucht, d.h. eine gewisse syntaktische Idiomatizität bei Variabilität der lexikalischen Ausfüllung. Die idiomatische (und daher einzelsprachliche) Produktivität geht daraus hervor, dass mit sprachtypischen Schablonen zu rechnen ist. Beispielsweise sind im Englischen die Schablonen to take, have, make a + deverbale Nullableitung beliebt, während auf Deutsch die Schablonen in/zu etw. kommen/geraten in Opposition zu etw. in/zu etw. bringen (Heringer 1968) häufig angewandt werden. U.a. wegen ihrer idiomatischen Aspekte sind die Funktionsverbgefüge auch Gegenstand kontrastiver Analysen, die bisher v.a. Klassifikationen nach Aufbau und Bedeutungsklassen lieferten und nur beschränkt sprachtypische Schablonen und Restriktionen zutage gefördert haben (vgl. Bassola 1997, A. Stein 1998). Wegen der lockeren Definition, die im Großen und Ganzen nichts weiter als die Verbindung eines stereotypen Verbs mit einer Nominalisierung/einem Abstraktum vorschreibt, lässt sich geradezu erwarten, dass in den meisten Sprachen Funktionsverbgefüge existieren, vgl. zum Arabischen Ibrahim (2002), zum Chinesischen Yuan (1986), zum Japanischen Matsumoto (1996). Zu einigen Sprachen gibt es auch sprachhistorische, stark empirisch orientierte Untersuchungen, v.a. zu den deutschen Funktionsverbgefügen (vgl. So 1991, Tao 1997, Seifert 2004) und den englischen (vgl. Brinton/Akimoto 1999). Ihre Materialsammlungen und Analysen leiden meist jedoch stark unter der ungeklärten Definitionsfrage und den unter 3. skizzierten Abgrenzungsschwierigkeiten. Die Ergebnisse zeigen jedoch, dass Funktionsverbgefüge seit alters her in diesen Sprachen vorkommen, und erlauben gleichzeitig den Schluss, dass keine Tendenz zur Grammatikalisierung der Funkti-
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X. Besondere Typen von Phrasemen/Particular types of set phrases
onsverbgefüge zu beobachten ist, sondern v.a. unterschiedliche Stufen der Lexikalisierung einzelner Verbindungen (vgl. zum Engl. Traugott 1999). Probleme bei der lexikographischen Darstellung von Funktionsverben und Funktionsverbgefügen diskutieren v. Polenz (1987, 176–187), Kotschi (1998) und Allerton (2002, 245–253).
6.
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Jeroen van Pottelberge, Fund for Scientific Research (Flandern-Belgien)
39. Pragmatische Phraseme: Routineformeln 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Begriffsbestimmung Routine in der Kommunikation Differenzierung von Routineformeln Kulturspezifik von Routineformeln Ausblick Literatur (in Auswahl)
1.
Begriffsbestimmung
Als Routineformeln werden gewöhnlich Ausdrücke wie Herzlichen Glückwunsch, Guten Appetit, Mit freundlichen Grüßen oder aber gern geschehen, offen gesagt u.ä. bezeichnet. Sie stehen den Sprachteilnehmern gleichsam als fertige Wortverbindungen in der Kommunikation zur Verfügung und müssen nicht jeweils neu konstruiert werden. Charakteristisch für sie ist ferner der Bezug zu (Typen von) Interaktionssituationen, in denen es auf die Ausführung bestimmter Handlungen ankommt. Im Unterschied etwa zu verbalen Phraseolexemen wie roter Faden oder den Löffel abgeben können sie meist als selbständige Äußerungen vorkommen; dabei geht ihre Bedeutung, ihre Funktion, keineswegs immer aus der wörtlichen Bedeutung der Ausdruckskomponenten hervor noch ist sie mit dieser identisch. So signalisiert man z.B. mit dem Gebrauch der Routineformel Guten Appetit zu Beginn des Essens nicht primär, daß man einen guten Appetit wünscht, sondern sich seinem Gesprächspartner gegenüber respektvoll und höflich verhält und die in der betreffenden sozialen Gemeinschaft gültigen Tischgepflogenheiten beachtet (vgl. Kühn 1984, 188f.). Ebensowenig will man üblicherweise mit der Äußerung Wie geht’s? seinem Gegenüber eine Frage stellen, die nur mit einem ausführlichen Bericht zum persönlichen Befinden beantwortet werden kann (vgl. Coulmas 1981a, 70ff.).
Es handelt sich vielmehr um eine releativ offene Form der Gesprächseröffnung, die verschiedene Reaktionen zuläßt. Auch ein Ausdruck wie Grüß Gott! stellt bekanntlich keine Aufforderung zur Grußübermittlung dar; der Sprecher kommt lediglich einer kommunikativen Verpflichtung nach und drückt dem Adressaten gegenüber aus, daß er ihn höflich und den sozialen (und regionalen) Konventionen gemäß behandeln möchte. Die wörtliche Bedeutung der genannten Ausdrücke wie auch die daraus abgeleitete illokutionäre Rolle (z.B. der Aufforderungscharakter) sind also nicht mehr von entscheidender Relevanz. Erinnert sei in dem Zusammenhang an die sog. “Krisenexperimente” Garfinkels (1967, 44). In ihnen wird deutlich, in welchem Maße das Wörtlichnehmen von Routineformeln die wechselseitige Verständigung gefährden kann. Wenn etwa auf die Äußerung How are you? eine problematisierende Antwort wie “How am I in regard to what? My health, my finances, my school work, my peace of mind, my …?” folgt, dann widerspricht eine solche Reaktion zweifellos der hier gegebenen Normalitätserwartung. Die Interpretation von How are you? als Frage setzt die gemeinsame Interaktionsbasis zumindest zeitweise außer Kraft; sie provoziert einen Konfklikt, dessen Renormalisierung nur auf der Metaebene erfolgen kann (etwa über eine Erklärung, es habe sich nur um ein Experiment gehandelt, das die Funktion von How are you? als nicht wörtlich zu nehmende Höflichkeitsformel bewußtmachen soll). Bezeichnendes Merkmal des hier zur Diskussion stehenden Ausdrucksbestands ist der Routinecharakter. Routine ergibt sich immer dann, wenn bestimmte Handlungen oder Abfolgen von Handlungen mehrfach ausgeführt
445
39. Pragmatische Phraseme: Routineformeln
werden; ein Gewöhnungseffekt führt dazu, daß die einzelnen Schritte nicht mehr die gleiche Aufmerksamkeit erfordern und sich so bewährte Lösungsmuster zur Erreichung von Handlungszielen etablieren können. Dieser Prozeß der Routinierung gilt für sprachliche und nichtsprachliche Aktivitäten gleichermaßen: Jede Handlung, die man häufig wiederholt, verfestigt sich zu einem Modell, welches unter Einsparung von Kraft reproduziert werden kann und dabei vom Handelnden als Modell aufgefaßt wird. Habitualisierung in diesem Sinne bedeutet, daß die betreffende Handlung auch in Zukunft ebenso und mit eben der Einsparung von Kraft ausgeführt werden kann. (Berger/Luckmann 1980, 56)
Routinen sind somit anzusehen als verfestigte, wiederholbare Prozeduren, die den Handelnden als fertige Problemlösungen zur Verfügung stehen. Für die sprachliche Kommunikation stellen sie habitualisierte Muster dar, die sich als Resultat wiederholt auftretender Formulierungsprobleme in bestimmten Zusammenhängen etabliert haben. Sie bilden die Grundlage dafür, daß sich verschiedene kommunikative Aufgaben zügig und ohne allzu großen Aufwand bewältigen lassen. Dabei kann sich der Routinecharakter auf Aktivitäten ganz unterschiedlichen Umfangs erstrecken: z.B. auf einzelne elementare sprachliche Handlungen (wie im Fall einer einfachen Gruß- oder Abschiedsformel) oder auf mehr oder weniger komplexe Abfolgen von Aktivitäten, wie etwa im Fall standardisierter Auskunftsdialoge oder formelhafter Brieftexte (vgl. Lüger 1993; Gülich 1997; Stein 2001). Je nach Prästrukturierung einer Äußerungssequenz ist somit problemlösendes Formulieren eingeschränkt, vom vermeintlichen Ideal kreativer Textbildung, der Unikaliät des Gesprochenen oder Geschriebenen, scheint man somit weit entfernt. Die Routiniertheit der Ablaufgestaltung trägt andererseits entscheidend zur Entlastung bei: Die Kommunizierenden können sich bezüglich der anstehenden Aufgaben ganz auf das Wesentliche, auf die Erreichung ihrer Ziele konzentrieren und müssen ihre Aufmerksamkeit nicht mehr voll auf die Äußerungskonstruktion selbst richten.
2.
Routine in der Kommunikation
Routineformeln im oben skizzierten Sinne kann man generell als sprachliche Mittel oder Prozeduren betrachten, die sich in der Sprach-
gemeinschaft für die Erfüllung bestimmter kommunikativer Aufgaben eingespielt haben und die für die Sprecher/Schreiber als vorgeprägte Muster abrufbar sind. Eine wichtige Funktion üben sie vornehmlich an exponierten Stellen der Kommunikation aus, insbesondere in sog. Übergangsphasen, wo es um die Bewältigung verschiedener Standardaufgaben geht. 2.1. Kommunikationsrituale Ein bekanntes und oft untersuchtes Feld sind Kontakteröffnungen und -beendigungen (Franke 1990, 108ff.; Lüger 1992, 15ff.; Traverso 1996, 35ff.). Sowohl für direkte Gespräche wie auch für Telefondialoge oder Brieftexte lassen sich typische Schemata feststellen, die a) den Ablauf strukturieren helfen und für eine gewisse (für die Teilnehmer erwartbare) Rahmung der Kommunikation sorgen und b) zu ihrer Umsetzung in der Regel den Einsatz spezifischer Routineausdrücke erfordern. Hier von Schemata zu sprechen, bedeutet jedoch nicht, daß es sich um starr anzuwendende Muster handelt; Optionen bezüglich der Art, der “Vollständigkeit”, der Reihenfolge, der Ausführung einzelner Handlungsschritte sind durchaus möglich und üblich. Dies läßt sich leicht am Beispiel der Eröffnung von Telefondialogen veranschaulichen. Gesprächsschritte wie die Signalisierung von Kommunikationsbereitschaft, der Austausch von Identifikation und Gegenidentifikation, Gruß und Gegengruß sowie der Ausdruck von Befindlichkeitsbekundungen (mit anschließender Anliegenspräsentation und -ratifikation) werden gewöhnlich nicht in einem a priori festgelegten Nacheinander abgewickelt, sie brauchen auch nicht in jedem Fall vollständig vorzukommen – je nach Vertrautheit der Gesprächspartner und je nach institutioneller Bindung erfährt die Struktur der Eröffnungsphase im Rahmen des Interaktionsprozesses eine relativ flexible Gestaltung. Diese Flexibilität gilt erst recht für die sprachliche Ebene: Die Sprecher verfügen in aller Regel über mehrere Ausdrucksmöglichkeiten, um innerhalb der gegebenen Redekonstellation etwas über Zugänglichkeit, wechselseitige Vertrautheit, aktuelle Stimmung o.ä. anzuzeigen. Allein die Verbalisierung von Gruß und Anrede kann, trotz der vergleichsweise starken Konventionalisierung, auf ein breites Spektrum von Ausdrücken zurückgreifen, so daß eine Feinabstimmung auf die konkreten
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X. Besondere Typen von Phrasemen/Particular types of set phrases
Erfordernisse der Kommunikationssituation keineswegs ausgeschlossen ist. Mit Hilfe von Varianten wie Guten Tag, Tag, Grüß dich, Grüß Gott, Hallo, häufig verbunden mit einer namentlichen Anrede (Vorname, Familienname) und modulierenden parasprachlichen Signalen, lassen sich u.a. regionale Merkmale, die Art der sozialen Beziehung oder des emotionalen Befindens, Stufen der Formalität oder Informalität vermitteln (vgl. Coulmas 1979, 251ff.; Lenk 1995, 10ff.). Die Realisierung der genannten Handlungsschritte erfüllt noch eine andere wichtige Aufgabe: sie verweist auf eine bestimmte soziale Ordnung, auf die Art und Weise, wie die Mitglieder einer Kommunikationsgemeinschaft sich zueinander verhalten (Gülich/Henke 1980, 7). Die Gesprächspartner bringen mit dem Einsatz der betreffenden Routineformeln zum Ausdruck, daß sie sich einer bestimmten Gruppe zugehörig fühlen und die betreffende Ordnung, die jeweils geltenden Normen respektieren und aufrechterhalten. Dieser Verweischarakter ist es, den Jetter (1978, 116f.) treffend als “symbolischen Mehrwert”, als ein “Mehr an Sinn” bezeichnet hat. Für Handlungen oder Handlungssequenzen, die in diesem Sinn über sich hinausweisen, nämlich auf ein gegebenes Ordnungsoder Wertesystem, wird häufig der Begriff Ritual verwendet (vgl. Werlen 1984, 81ff.; Stein 1994, 172ff.). Rituale stellen insofern eine Unterklasse von Routinen dar, denen kein Zweck-Mittel-Verhältnis im üblichen Sinne zugrunde liegt: Rituale als muster expressiven, nicht technischen, instrumentalen handelns und nicht bestimmt durch zweck-mittel-relationen (wie z.b. im frühjahr kartoffeln pflanzen, um sie im herbst zu ernten) verweisen als symbolische handlung wieder auf etwas anderes, das in der form und im inhalt einer szenischen darbietung bei der aufführung eines rituals mitpräsent ist; in einem ritual können teilnehmer durch die tatsache ihrer teilnahme repräsentierte wertsysteme und machtverhältnisse anerkennen. (Hartmann 1973, 140)
Die Funktion von Kommunikationsritualen sei noch einmal schematisch in Abb. 39.1 zusammengefaßt. Zu unterscheiden sind also vor allem zwei Ebenen: a) eine gleichsam symbolische mit Verweis auf ein Ordnungsoder Wertesystem und b) eine Beziehungsebene, auf der die Beteiligten signalisieren, wie freundlich, wie distanziert oder vertraut sie miteinander kommunizieren wollen.
Abb. 39.1: Funktionsebenen ritueller Sequenzen
Die Abfolge einzelner Ritualelemente folgt weitgehend konventionellen Vorgaben, ihr Zusammenhang ist nicht unbedingt nach Kriterien der Zweckmäßigkeit motiviert (Lüger 1983, 698ff.). Im Gegensatz dazu wird man bei einem Handlungsschema wie ‘eine Auskunft erbitten/erteilen’ trotz des routinierten Ablaufs nicht einfach von einer Konventionsbefolgung sprechen können. Die einzelnen Handlungsschritte werden ausgeführt, um ein konkretes Ziel zu erreichen - und dies auf eine zweckhafte, ökonomische Weise und daher oft unter Rückgriff auf habitualisierte Lösungsmuster. Genau diese Zweckrationalität macht hier den Unterschied zwischen rituellen und nicht-rituellen Kommunikationsroutinen aus. Der rituelle Verweischarakter kennzeichnet nicht allein die Eröffnung der Kommunikation, sondern analog auch die Beendigungsphase. Über die Art der Schlußeinleitung, über den Austausch von Dank- und Abschiedssequenzen bestätigen sich die Teilnehmer wiederum ihre gemeinsame Handlungsbasis; die jeweiligen Sequenzen fungieren gewissermaßen als rituelle Klammern (“ritual brackets”) der gesamten Interaktion. Ebensowenig ist das Phänomen der Ritualität auf die peripheren Phasen begrenzt, sie kommt grundsätzlich auch in den Anrede- und Höflichkeitsformen, die im Laufe eines Austausches eingesetzt werden, zum Tragen. Insbesondere mit Hilfe höflichkeitsstilistischer Ausdrücke läßt sich – und zwar über allgemeine kulturelle Zuweisungen hinaus (Held 1992, 147ff.) – die Zugehörigkeit zu bestimmten Epochen (Linke 1996; Watts 1999), fachlichen Domänen und Institutionen (Kleinberger Günther 2002; Ebert 2003), zu speziellen Altersgruppen (Lang-Félicité 2000; Hartung 2002), Bevölkerungsschichten (Keim
39. Pragmatische Phraseme: Routineformeln
2002) oder anderen sozialen Identitäten “symbolisch” vermitteln. Zu weiteren Details sei hier auf die Spezialliteratur verwiesen. 2.2. Aufgabenorientierte Routinen Geht man aus von Sequenzen der Kontakteröffnung und –beendigung oder von Äußerungsformen des Grüßens und des Vorstellens, so handelt es sich um kommunikative Rituale, deren Einsatz in der Regel an bestimmte Situationen in der Interaktion oder an bestimmte Positionen im Text gebunden ist. Im Vergleich dazu wird man beim Gebrauch von Höflichkeitsformeln, die Respektbezeugung, Sympathiebekundung oder Dissensvermeidung anzeigen, nicht mehr eine situationelle oder positionelle Festlegung annehmen können; die rituelle Verweisfunktion bleibt indes bestehen. Daneben gibt es eine Reihe formelhafter Ausdrücke, die sich weder als rituell noch als situationsgebunden betrachten lassen: Mit Wortverbindungen des Typs um es kurz zu sagen, meiner Meinung nach oder wenn ich das noch anmerken darf stehen z.B. Routineformeln zur Verfügung, die sich für die routinierte Lösung häufig wiederkehrender Aufgaben, und zwar unabhängig von einer bestimmten kommunikativen Situation, heranziehen lassen (vgl. die Zusammenstellung in Tab. 39.2). Tab. 39.2: Routineformeln im Überblick situations- rituell aufgabenBeispiele: gebunden verweisend orientiert Eröffnungsund BeendiX X X gungsformeln, Vorstellungsformeln HöflichkeitsFormeln des Bedauerns, der O X X Beteuerung, der Dissensvermeidung ... Formeln der Korrektur, der VerständnisO O X sicherung, der Kommentierung ...
Derart aufgabenorientierte, standardidierte Formeln ermöglichen es dem Sprecher/ Schreiber, den kognitiven Aufwand bei der Äußerungsproduktion an bestimmten Stellen gering zu halten und auf bewährte Muster zu-
447
rückzugreifen – “according to successful solutions of recurring verbal tasks, fixed by functional appropriateness and tradition” (Coulmas 1981b, 3; vgl. Dalmas 1999, 442f.). Eine solche Entlastungsfunktion ist sowohl in der mündlichen wie auch in der schriftlichen Textproduktion von Nutzen. Um etwa eine Formulierung als vorläufig, als vage zu markieren, um einen Nachtrag anzukündigen oder um eine Pause zu überbrücken, können mehr oder weniger komplexe Formeln verwendet werden (z.B. um das einmal so auszudrücken, lassen Sie mich noch folgendes sagen, wie heißt es doch so schön?). Für Burger u.a. (1982, 123ff.) handelt es sich hier um “gesprächs- und schreibspezifische Phraseologismen”; Stein (1995, 290ff.) spricht diesbezüglich von Formulierungsroutinen, die als “mikrostrukturelle Verfestigungen” ihren Niederschlag finden. Für die Äußerungskonstruktion sind gewöhnlich ganz unterschiedliche Aspekte zu berücksichtigen und Aufgaben auf verschiedenen Ebenen der Textbildung auszuführen. Bei der Verbalisierung eines für den jeweiligen kommunikativen Zusammenhang konstitutiven Handlungsmusters müssen nicht allein die passenden lexikalischen Elemente aktualisiert und nach den morphosyntaktischen Regeln entsprechend verknüpft werden; es kommt ebenso darauf an, den Kontakt zum Adressaten, die Beziehungsgestaltung, die Art der Selbstdarstellung, Momente der Ablauforganisation (Sprecherwechsel, Themensteuerung, Phasenstruktur) und der Interaktionsmodalität mit zu bedenken (vgl. Coulmas 1981a, 94ff.; Lüger 1999, 160ff.). Vor diesem Hintergrund erfüllen Routineformeln normalerweise nicht nur eine Funktion, sondern mehrere. Aufgrund dieser Polyfunktionalität kann es grundsätzlich auch keine eindeutige Relation zwischen kommunikativer Funktion und Routineformel geben: Viele Formeln können je nach Kontext und ihrer Position zu Beginn oder innerhalb von Sprecherbeiträgen verschiedene Funktionen übernehmen; sie sind nicht auf bestimmte Funktionen festgelegt, wenn auch in einigen Fällen für die Erfüllung einer bestimmten Funktion prädestiniert. (Stein 1995, 237)
So mag z.B eine metakommunikative Formel wie um das einmal so auszudrücken in erster Linie der inhaltlichen Relativierung oder Hervorhebung einer vorangehenden Formulierung dienen, gleichzeitig kann man mit ihrem
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X. Besondere Typen von Phrasemen/Particular types of set phrases
Gebrauch noch wenigstens folgende Handlungen zu verstehen geben: – – –
den Abschluß einer thematischen Einheit, die Abgabe der Sprecherrolle (sofern es sich um mündliche Kommunikation handelt), die Schonung des Adressatenimage und, damit verbunden, die Förderung der gegebenen Partnerbeziehung.
An Beispielen aus politischen Fernsehdiskussionen zeigt Kühn (1988, 163ff.), wie bestimmte sprachliche Versatzstücke – hinzuzufügen wäre, wobei ich hinzusetze, im übrigen u.a. – zwar primär als Signale zur Einleitung einer inhaltlichen Erweiterung fungieren, aber letztlich doch eher als “Themen-Joker” aufgefaßt werden müssen: Es wird praktisch jedes beliebige Thema anschließbar, so konstruiert, so fern der Zusammenhang auch erscheinen mag. Vor allem im Kontext öffentlicher Kommunikation erhalten solche (und vergleichbare) Ausdrücke die Aufgabe, dem Empfänger semantische Kohärenz zu suggerieren, und dies offenbar gerade in solchen Fällen, wo eine thematische Anbindung zunächst überhaupt nicht einsichtig und plausibel ist (= Funktion als “Kohärenz-Joker”). Eine besondere Bedeutung kommt aufgabenorientierten Routinen zweifellos im Hinblick auf das Erlernen einer Fremdsprache (oder Zweitsprache) zu. Wie bereits mehrfach angedeutet, ist sprachliche Verständigung ohne Rückgriff auf sog. “Fertigteile” kaum denkbar, sie sorgen als Öl im Getriebe der Kommunikation für Entlastung, Flüssigkeit des Sprechens und für Verhaltenssicherheit. Ein wichtiges Ziel fremdsprachendidaktischer Bemühungen besteht somit darin, die schnelle Abrufbarkeit, das routinierte Verfügen-Können über vorgeprägte Wendungen und Formeln zu forcieren bzw. zu automatisieren. Grundlegend, und zwar sowohl für die Ausgangssprache L1 als auch für die Zielsprache L2, ist dabei die Annahme, daß weder in der Rezeption noch bei der Produktion von Sätzen in jedem Fall deren Struktur gänzlich zerlegt bzw. synthetisch aufgebaut werden muß. Der normale Sprecher hat in seinem sprachlichen Gedächtnis zahlreiche Satzstämme und Satzmuster gespeichert, deren Gebrauch mit nur partieller Regelanwendung möglich ist, da sie als ganze abgerufen werden können und nur an Leerstellen zu ergänzen sind (Coulmas 1985, 60; vgl. Krashen/Scarcella 1978, 283).
Es versteht sich, daß ein Fremdsprachenlerner zunächst nicht über ein vergleichbares Repertoire ganzheitlich memorisierter Wortverbin-
dungen und Satzmuster verfügt, eine fließende Sprachproduktion kann deshalb überhaupt nur sehr eingeschränkt in Betracht kommen. Damit verbunden ist, vor allem für die mündliche Kommunikation, ein weiteres Manko. Da sprachliches Formulieren, auch für den Muttersprachler, normalerweise eine Reihe kognitiver Ressourcen bindet, kommt es für den L2-Sprecher leicht zu Störungen, Abbrüchen, zu Pausen oder Flauten bei der Äußerungsproduktion; das wiederum kann die Beibehaltung der Sprecherrolle und somit die Teilnahme an der Kommunikation in Frage stellen. Während für den L1-Sprecher zur Überbrückung solcher “Formulierungsflauten” nun verschiedene Strategien und Mittel ohne nennenswerten Planungsaufwand abrufbar sind (insbesondere Verzögerungen, Wiederholungen, Korrekturen, formelhafte Wendungen wie sagen wir mal oder wie heißt es doch gleich), stehen dem Nichtmuttersprachler diese Sprachmittel nicht ohne weiteres zur Verfügung. Zu welchen Formulierungsschwierigkeiten das führt und auf welche Weise fortgeschrittene L2-Lerner dennoch bemüht sind, kritische Stellen auch mit Hilfe vorgefertigten Sprachmaterials zu überwinden, hat anhand empirischer Analysen ausführlich Stein (1997, 48ff.) demonstriert. Aufgrund ihrer muttersprachlichen Kompetenz wissen Kommunikationsteilnehmer gemeinhin, wie wichtig die Aufrechterhaltung des Formulierungsvorgangs ist, um den Erwartungen an die Sprecherrolle zu entsprechen. Ergeben sich Wortfindungsprobleme oder steht nur ein unzureichender, vager Ausdruck zur Verfügung, dann dienen vielfach formelartige Wortverbindungen dazu, zusätzliche Planungszeit zu verschaffen oder den Hörer zur Mithilfe bei der Lösung des Formulierungsproblems aufzufordern. Insgesamt lassen sich die Funktionen solcher Ausdrucksroutinen mit folgenden Stichworten zusammenfassen (Stein 1997, 74): – – –
Absicherung der Sprecherrolle, Förderung der Gleichzeitigkeit von Äußerungskonzeption und Äußerungskodierung, Freisetzung von Planungsaktivität für die Fortsetzung der Kommunikation.
Betrifft die Überwindung von Formulierungsflauten noch in erster Linie lokale Aufgaben der Textproduktion, so gibt es andererseits Gesprächssorten, wo der Austausch mehr oder weniger vorgefertigter Ausdrücke zu den konstitutiven, prägenden Merkmalen gehört. Ein gleichsam extremes Beispiel in dieser
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39. Pragmatische Phraseme: Routineformeln
Hinsicht ist der Small talk. Viele Passagen weisen eine hohe Vorhersagbarkeit auf, manche Äußerungen sind weitgehend standardisiert, andere weniger. Die erfolgreiche Teilnahme am Small talk setzt auf jeden Fall – wie phatische Kommunikation allgemein – die Beherrschung eines umfangreichen Repertoires an Formeln unterschiedlichster Art voraus. Fehler wiegen, da es vor allem um die Gestaltung sozialer Beziehungen geht, relativ schwer, etwa im Vergleich zu grammatischen Verstößen. Hinzu kommt, daß Selbstverständlichkeiten und Erwartungen hier von Gruppe zu Gruppe, von Kultur zu Kultur stark variieren können. Aus der L2-Perspektive stellt Small talk eine große Herausforderung dar, die sowohl sprachliche wie auch interkulturelle Problemfelder betrifft. Die Fremdsprachendidaktik hat die Bedeutung von Small talk bisher größtenteils ignoriert, konkrete Vorschläge zum Aufbau entsprechender Kompetenzen sind daher eher selten (vgl. Edmondson/House 1981; Klein 1995).
3.
Differenzierung von Routineformeln
3.1. Ausgangspunkt: pragmatische Idiome 3.1.1. Unter dem Begriff pragmatische Idiome und mit der 1973 erschienenen Arbeit zur “Idiomatik des Deutschen” von Burger (unter Mitarbeit von Jaksche) rücken Routineformeln erstmals stärker ins Blickfeld der phraseologischen Forschung – wobei man berücksichtigen muß, daß zu diesem Zeitpunkt die Phraseologie insgesamt erst wenig entfaltet ist. In den vorherrschenden sprachwissenschaftlichen Richtungen und Ansätzen führt sie lange Zeit, sieht man einmal von einigen Einzelarbeiten sowie vom Bereich der slawischen Sprachen ab, nur ein Schattendasein (vgl. den Forschungsüberblick bei Coulmas 1981a, 18ff.; Fleischer 1997, 4ff.; Gonzáles Rey 2002, 19ff.). In der Einführung von Burger/Jaksche (1973, 58f.) geht es zunächst hauptsächlich darum, die Wichtigkeit der pragmatischen Dimension zu betonen. Herangezogen werden Formeln, die als satzwertig, als situationsgebunden gelten können und die in Abschnitt 2.1 als Kommunikationsrituale beschrieben wurden. An einfachen Beispielen wie Guten Morgen/Guten Tag/Guten Abend/Gute Nacht wird gezeigt, daß die Semantik der Grußformeln sich nicht analog zu den Bezeichnungen für Tageszeiten (Morgen/Vormittag/Mittag/ Nachmittag ...) verhält; außerdem seien einige
Grußformeln nur zur Begrüßung, andere auch oder nur zum Abschied verwendbar (vgl. Guten Tag vs. Gute Nacht). Da speziell die Unterscheidung der Funktionen ‘Begrüßung’, ‘Abschied’ nicht in der Semantik der Tageszeiten enthalten sei, komme zur Erklärung nur die pragmatische Ebene in Betracht. Gleiches gelte für bestimmte Kurzformen (Tag, Adieu ...), die zwar häufig auf mehrgliedrige Wortverbindungen zurückgehen, deren ursprüngliche Bedeutung aber zugunsten einer situationsabhängigen, pragmatischen Funktion verblaßt oder obsolet geworden sei. Bewußt offengelassen wird die Frage, ob derart charakterisierte pragmatische Idiome noch zum Gegenstand der Phraseologie (bzw. der Idiomatik) gehören oder nicht. 3.1.2. Auf diese Phase der Anbahnung folgt aus pragmalinguistischer Sicht eine Phase der Fundierung, die, ohne andere Arbeiten herabwürdigen zu wollen, vor allem in der hauptsächlich Routineformeln gewidmeten Studie “Routine im Gespräch” von Florian Coulmas (1981a) ihren Ausdruck findet. Ziel dieser Untersuchung ist es u.a., eine Klassifikation von Routineformeln nach dem Kriterium ihrer Funktion vorzunehmen. Dabei lassen sich zunächst zwei große Hauptgruppen unterscheiden: a) soziale Funktionen, die sich auf die Leistung von Routineformeln für die interpersonale Interaktion beziehen, b) diskursive Funktionen, die die Strukturierung mündlicher Kommunikation mit Hilfe von Routineformeln betreffen (Coulmas 1981a, 94ff.). Da dieser Gliederungsversuch verschiedentlich wieder aufgegriffen und kommentiert wurde, seien kurz die wichtigsten Elemente genannt. Zur ersten Hauptgruppe gehören folgende soziale Funktionen und Formeltypen: a1:
a2: a3: a4:
Kontaktfunktion (Aufmerksamkeitserlangung und –steuerung, soziale Beziehungskontrolle, konventionelle Höflichkeitssignale) Stärkung der Verhaltenssicherheit (Zustimmungsformeln, Vorstellungs- und Entschuldigungsformeln) Schibboleth-Funktion (gruppenspezifische Anredeformen und andere Ausdrücke sozialer Identität) Konventionalitätsfunktion (Glückwünsche, Verbalisierung sog. Übergangsriten).
Der diskursive Bereich umfaßt folgende Funktionen und Routinen: b1: Gesprächssteuerung (Eröffnungs- und Einleitungsformeln, Rede-
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X. Besondere Typen von Phrasemen/Particular types of set phrases
rechtverteidigungsformeln, Signale der Beitragsübergabe, Abschlußformeln) b2: Evaluation (psychoostensive Formeln, emotive und kognitive Einstellungskundgaben) b3: Metakommunikation (Verständnissicherung, Kommentar- und Korrekturformeln) b4: Entlastungsfunktion (Verzögerungsformeln als Anhangfragen, Pausenfüller, Hörersignale)
Die Differenzierung darf nicht im Sinne einer monofunktionalen Zuordnung mißverstanden werden, hierauf weist auch Coulmas selbst hin (1981a, 108): “die Annahme, daß jede gegebene Formel auf genau eine Funktion spezialisiert sei, (wäre) völlig abwegig”. Zu fragen bleibt dennoch, ob die Funktionszuweisungen genügend stringent sind und ob sie sich überhaupt beim Gebrauch in konkreten Texten bestätigen lassen (vgl. Kühn 1988, 159ff.). Trotz möglicher Kritik gebührt Coulmas’ Arbeit zweifellos das Verdienst, erstmals auf breiter Basis den pragmatischen Aspekt von Routineformeln untersucht und damit entscheidend zu einer kommunikativen Öffnung der Phraseologie beigetragen zu haben. Alternative Konzeptionen werden u.a. entwickelt, wenn auch meist in einem begrenzteren Rahmen, bei Pilz (1978, 632ff.), Burger u.a. (1982, 110ff.), Heinemann (1984, 38ff.). Als Oberbegriffe finden sich: ‘pragmatische/ kommunikative Formeln’ bzw. ‘Phraseologismen’ oder ‘sprachliche Schematismen’ (Daniels/Pommerin 1979, 575). Ganz auf gesprächssteuernde und gesprächsstrukturierende Formeln, sog. gambits, konzentriert ist Keller (1979, 219ff.). Einen ersten fremdsprachendidaktischen Transfer stellt die mate-
rialreiche Studie von Gülich/Henke (1979/80) dar, die am Beispiel des Englischen und Französischen eine detaillierte Beschreibung zum Gebrauch von Routineformeln in Lehrbuchtexten sowie in mündlicher und schriftlicher Kommunikation liefert. 3.1.3. In einer dritten Phase könnte man vor allem Arbeiten zusammenfassen, die sich um eine weitere Differenzierung und Einordnung des Gegenstandsbereichs bemühen. Im Rahmen einer Überblicksdarstellung zur “Phraseologie der englischen Sprache” widmet sich zum Beispiel Gläser (1986, 129ff.) ausführlich der Funktionsanalyse von Routineformeln. Unter Einbeziehung verschiedener Ansätze und Terminologien wird eine Typologie entwickelt, die vier Basisfunktionen – eine phatische, eine expressive, eine direktive, eine kognitive – zugrundelegt und diesen dann verschiedene Formel-Gruppen – wie Begrüßungs- und Abschiedsformeln oder Erwiderungs- und Zustimmungsformeln – zuordnet (vgl. Abb. 39.2). Auch hier wird deutlich, daß es kaum möglich erscheint, klar abgrenzbare, disjunkte Klassen zu bilden; aufgrund ihrer Polyfunktionalität können bestimmte Routineformeln durchaus mehr als nur einer Gruppe angehören (so werden z.B. Zustimmungs- und Ablehnungsformeln nicht auschließlich in einem kognitiven Sinne eingesetzt, sondern ebenso als Mittel mit expressiver Funktion. “Gerade in der situationsgebundenen Verwendung solcher Routineformeln erweist sich der Sprecher im Kommunikationsgeschehen als ein unteilbares erkennendes, fühlendes, wertendes und handelndes Subjekt” (Gläser 1986, 130). Feste Funktionszuweisungen sind damit
Routineformeln
phatische Funktion 8 Begrüßungs> > > > Abschieds> > < Glückwunsch> Erkundigungs> > > > Dankes> : formeln
expressive Funktion 9 > > > > > > = > > > > > > ;
8 Entschuldigungs> > > > Erstaunens> > < Bedauerns> Beteuerungs> > > > Fluch- u. Schelt> : formeln
Abb. 39.3: Funktionstypologie
direktive Funktion 9 > > > > > > = > > > > > > ;
9 8 Ermutigungs > > > > > > > > Warn> > > > = < Beschwichtigungs> Aufforderungs- > > > > > > > > > > > formeln ; :
kognitive Funktion 8 Zustimmungs> > > > Lobes> > < Ablehnungs> Erwiderungs> > > > Einschränkungs> : formeln
9 > > > > > > = > > > > > > ;
451
39. Pragmatische Phraseme: Routineformeln
weitgehend ausgeschlossen. Den Aspekt der Mehrfachfunktion hat aus handlungstheoretischer Sicht erneut Kühn (1988, 155ff.) thematisiert, und zwar anhand authentischer Kommunikationsbeispiele und mit Blick auf verschiedene Ebenen der Textkonstitution. Gerade diese empirische und textorientierte Absicherung ist es jedoch, die vielen phraseologischen Arbeiten in dieser Phase noch fehlt. Grundsätzlich kann man festhalten, daß Routineformeln als pragmatisch bestimmte Einheiten nunmehr ein etablierter Untersuchungsgegenstand sind und ihre Zugehörigkeit zu einem Teilbereich der Phraseologie nicht mehr in Frage gestellt wird (vgl. 3.2). Unter dieser Voraussetzung ist es nur konsequent, wenn über Verfeinerungen der Differenzierung und über eine Ausweitung des Objektbereichs nachgedacht wird. Entsprechende Detailanalysen zum Deutschen hat Stein (1995, 129ff.) vorgelegt, dies vor allem mit Blick auf eine bestimmte Gruppe aufgabenorientierter Routineausdrücke: die gesprächsspezifischen Formeln (vgl. dazu auch Siepmann 2000/01, 257ff., mit Kontrastvergleichen zum Englischen und Französischen). Die Funktionsvielfalt wird in konsequent empirischer Weise beschrieben, d.h. “datennah” anhand einer Vielzahl von Ausschnitten aus natürlichen Gesprächen. Die Bedeutungszuschreibungen erfolgen weitgehend induktiv, nämlich auf der Grundlage des jeweiligen Gebrauchszusammenhangs. Zuordnungen zu einem allgemeinen Kategorienraster stehen nicht im Vordergrund. Die Beobachtungen münden insofern auch eher in Auflistungen eines offenen Funktionsspektrums (Stein 1995, 239ff.; vgl. Tab. 39.4). Tab. 39.4: Funktionsvielfalt aufgabenorientierter Routineformeln Beispiele:
dominante Funktion
sagen wir mal
Formulierungshilfe: Überbrückung, Verzögerung
was weiß ich ...
Markierung kritischer Formulierungen
weitere Funktionen Markierung kritischer Formulierungen, Vagheitsindikator, Exemplifizierung, Gliederungssignal Vagheitsindikator, Themen(aspekt)verkürzung, Gliederungssignal, Formulierungshilfe: Überbrückung, Verzögerung
Beispiele:
dominante Funktion
hören Sie mal
Aufmerksamkeitssteuerung
weitere Funktionen Kontaktsicherung, Kontaktüberprüfung, Gliederungssignal, Gesprächssteuerung: Sicherung der Sprecherrolle
Außerdem macht Stein (1995, 295ff.) darauf aufmerksam, daß neben den sprachlichen oder Formulierungsroutinen, die als mikrostrukturelle Verfestigungen beschrieben werden können (vgl. 2.2), auch konzeptuelle Routinen zu beachten sind. Es handelt sich dabei um Schemata auf der Textebene, die die Sprecher/Schreiber nach Bedarf aktivieren können und die sich im Zuge der häufigen Bearbeitung bestimmter Textbildungsprobleme in einer Sprachgemeinschaft ausgeprägt haben: Aus der wiederholten Bewältigung gleicher oder ähnlicher Kommunikationssituationen verdichten sich globale Textstrukturen zu Textmustern (oder Textsorten), und das Wissen über den Textaufbau, die Textkomponenten und den Textinhalt ist im Langzeitgedächtnis als Textmuster- oder Textsortenwissen abgelegt (Stein 1995, 297).
Als Resultat konzeptioneller Routinen werden makrostrukturelle Verfestigungen angenommen; diese können – wie auch ihr mikrostrukturelles Pendant – im Sinne erprobter und bewährter Lösungsmuster in der Kommunikation Anwendung finden und so die Textproduktion entlasten: Diese Formulierungsressourcen werden im Zuge des Erstspracherwerbs angelegt. Wie wichtig sie sind, nimmt ein erwachsener Sprecher erst wahr, wenn sie versagen, was ihm z.B. widerfahren kann, wenn er sich in einer Fremdsprache mitteilen oder sich zu einem ungewohnten Thema äußern muß. [...] Die vorgeformten Strukturen sind offenbar allgegenwärtig, und ihr Gebrauch ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel. (Gülich/Krafft 1998, 31)
In dem Maße nun, wie die Textbildung musterorientiert erfolgt oder für den Textproduzenten weitgehend auf eine Reproduktion vorgefertigter oder “vorgeformter” Komponenten hinausläuft (z.B. bei Danksagungen, Grußworten oder Mahnbriefen), wird von formelhaften Texten gesprochen. Von hier aus ist es nur ein kleiner Schritt zu der Auffassung, daß formelhafte Texte als “eine Art von komplexen Routineformeln” betrachtet werden
452
X. Besondere Typen von Phrasemen/Particular types of set phrases
können (Gülich 1997, 146), daß sie im Vergleich zu den bisher erwähnten Ausdrucksroutinen also lediglich eine höhere Expansionsstufe darstellen. Ob sich der Objektbereich der Phraseologie jedoch in einer solchen Weise ausdehnen läßt, kann hier nicht näher diskutiert werden. 3.2. Routineformeln in der Phraseologie Hinsichtlich der Bestimmung phraseologischer Einheiten und ihrer Unterscheidung von sog. freien, nichtphraseologischen, Wortverbindungen hat sich mit Fleischer (1982, 72f.) ein Modell von Zentrum und Peripherie durchgesetzt (vgl. Gläser 1986, 48ff.). Diese Konzeption ist insbesondere geprägt von der Annahme, daß die sprachliche Wirklichkeit sich in diesem Bereich weniger durch scharfe Trennlinien als eher durch zahlreiche Übergangsstufen und unscharfe Zuordnungen auszeichnet. Versucht man, die Frage der Abgrenzung mit den traditionellen Kriterien ‘Mehrgliedrigkeit’, ‘(relative) Festigkeit’, ‘Idiomatizität’ zu klären, zeigt sich schnell, daß oft nur graduelle Unterschiede vorliegen und daß sich je nach Dominanzsetzung eines Merkmals ganz andere Klassifikationen ergeben können (Lüger 1999, 37ff.). Zum Zentrum werden üblicherweise die satzgliedwertigen Wortverbindungen gerechnet; zum Beispiel: zweigliedrige Phraseologismen (kalte Dusche), Zwillingsformeln (gang und gäbe), phraseologische Vergleiche (hart wie Stahl), idiomatische Wendungen (jmdm. einen Korb geben). Hiervon zu unterscheiden sind prädikative Konstruktionen (jmdn. sticht der Hafer), phraseologische Teilsätze (wissen, wo Barthel den Most holt), festgeprägte Sätze (das geht auf keine Kuhhaut); sie bilden gleichsam eine Übergangszone zur Gruppe der satzwertigen Phraseologismen, der sog. Peripherie des phraseologischen Ausdrucksbestands. Typische Vertreter dieses Bereichs sind normalerweise Sprichwörter (Neue Besen kehren gut) und Gemeinplätze (Aller Anfang ist schwer). Ausdrücke dieser Art zeichnet es aus, daß sich mit ihnen vollständige sprachliche Handlungen (und nicht nur Teilhandlungen) ausführen lassen, sie erfüllen das Kriterium “funktionaler Vollständigkeit” (Coulmas 1981a, 56). Aus diesem Grunde kann man, trotz vieler Unterschiede, ebenfalls Routineformeln als eine Unterklasse satzwertiger Phraseologismen betrachten. Insgesamt ergibt sich damit vorerst folgende Konstellation (Abb. 39.5):
Abb. 39.5: Zentrale und periphere phraseologische Einheiten
Die schematische Einordnung ist zweifellos stark vereinfachend und abstrahiert von zahlreichen Binnendifferenzierungen. Insbesondere kann die Heterogenität innerhalb verschiedener Kategorien auf diese Weise nicht wiedergegeben werden. Dies gilt gleichermaßen für die Gruppe der Routineformeln. Wie bereits oben skizziert, ist zunächst zwischen situationsgebundenen, rituell verweisenden und aufgabenorientierten Formeln zu unterscheiden, danach weiter zwischen verschiedenen Untergruppen (vgl. Abschn. 2, Tab. 39.1). Darüber hinaus sind Routineformeln auch in syntaktischer Hinsicht nur wenig homogen: von Satzgefügen (wie Gelobt sei, was hart macht) über vollständige Satzstrukturen (die Sitzung ist eröffnet) bis hin zu elliptischen Formen (Statt Karten, Schönes Wochenende) gibt es ein breitgefächertes Spektrum; auch Einwort-Formeln wie Verzeihung, Wiedersehen wären hier zu nennen. Nicht minder variabel sind die Satzarten: Es kommen sowohl Aussagen (jetzt reicht es), Fragen (darf ich bitten?), Ausrufe (das kann nicht wahr sein!) und Aufforderungssätze (Schwamm drüber!) vor (vgl. Burger u.a. 1982, 110ff.; Fleischer 1982, 130ff.). Der Übergang insbesondere zu den festgeprägten Sätzen und den phraseologischen Teilsätzen wird hier fließend. Weiterhin zeigt sich die Uneinheitlichkeit von Routineformeln in den unterschiedlichen Idiomatizitätsgraden: es finden sich sowohl vollidiomatische (jetzt schlägt’s dreizehn!) wie auch teilidiomatische
39. Pragmatische Phraseme: Routineformeln
(abwarten und Tee trinken!) oder nichtidiomatische Ausdrücke (um es noch einmal zusammenzufassen). Die Zuordnung von Routineformeln zur Peripherie (wie in Abb. 39.3) kann sich also in dem Maße relativieren, wie aufgrund ausdrucksseitiger Vielfalt Übereinstimmungen mit dem Kernbereich entstehen oder wie andererseits das Merkmal funktionaler Vollständigkeit nicht mehr im ursprünglichen Sinne anwendbar ist.
4.
Kulturspezifik von Routineformeln
4.1. Routinen und interkulturelle Kommunikation Kommunikationsroutinen sind bekanntlich nicht ohne weiteres auf andere Kulturen übertragbar. Es ist kaum damit zu rechnen, daß sich in unterschiedlichen Sprachgemeinschaften für bestimmte kommunikative Aufgaben gleiche Möglichkeiten der Bearbeitung herausgebildet haben; ebensowenig müssen für vergleichbare Situationen immer auch entsprechende Routinen etabliert sein. Es hängt vor allem von den Bedingungen, den Präferenzen und Zufällen in einer soziokulturellen Gruppe ab, welche Verfahren sich als angemessen (und zweckmäßig) durchsetzen, welches Repertoire an Routineformeln schließlich zum Einsatz kommen kann: In gewisser Weise objektiviert sich in ihnen die Sprache zum Ausdruck der gesellschaftlich akzeptierten Organisation kommunikativer Handlungsabläufe, deren erfolgreiche Durchführung von den Sprechern nicht ad hoc ausgehandelt zu werden braucht. (Coulmas 1981a, 129)
Ob für rekurrente Handlungsabläufe überhaupt habitualisierte Muster existieren, ob mit gegebenen Standardsituationen auch bestimmte sprachliche Routinen korrespondieren, wird nicht durch universal gültige Normen determiniert, sondern durch spezifische Einflüsse und Voraussetzungen der umgebenden Kultur. Von daher überrascht nicht, wenn sich schon bezüglich der Frequenz formelhafter Ausdrücke und formelhaften Sprachgebrauchs vielfach sprachspezifische Unterschiede feststellen lassen. Doch über die Frage der Häufigkeit hinaus sind es vor allem die pragmatischen Divergenzen zwischen Ausgangs- und Zielsprache, die unterschiedlichen, bisweilen subtilen Gebrauchsbedingungen, die es hier zu beachten und zu erfassen gilt. Für den Nichtmuttersprachler stellen sie nicht selten eine Hürde dar und können leicht
453
zur Ursache für Interferenzen, Mißverständnisse und andere kommunikative Störungen werden. Und selbst bei entwickelten Kompetenzstufen liefert der Umgang mit Formelhaftem oft Belege für auffällige “Xenismen” (Ehlich 1986, 51). Oder mit den Worten von John Gumperz (1982, 145): “Formulaic use of language is always a problem for non-native speakers.” 4.2. Verstehens- und Handlungsvoraussetzungen 4.2.1. Es fehlt nicht an exemplarischen Analysen, die insbesondere für die mündliche Kommunikation wichtige interkulturelle Unterschiede aufzeigen. Bevorzugte Untersuchungsgegenstände sind dabei zunächst wieder diejenigen phatischen Aktivitäten, die der Gestaltung des kommunikativen Kontakts und der Beziehungsorganisation dienen und die einen vergleichsweise hohen Grad an Konventionalisiertheit aufweisen. Es versteht sich, daß im Zentrum des Interesses nicht allein die Kontrastierung ausdrucksseitiger Merkmale (im Sinne interlingualer Vergleiche) stehen kann; es geht vielmehr darum, auch das soziokulturelle Hintergrundwissen zugänglich zu machen, welches benötigt wird, um bestimmte Situationen und Aufgaben in angemessener, intentionsgerechter Weise zu bewältigen. Die Annahme kulturspezifischer Faktoren ist allerdings nicht so zu verstehen, daß für den Austausch von Routineformeln generell mit Unvereinbarkeiten zu rechnen wäre. Aufgrund vielfältiger Kontakte und der oft langen Zugehörigkeit zu einem gemeinsamen Kulturkreis können selbst zwischen Sprachen aus ganz unterschiedlichen Sprachfamilien weitgehende phraseologische Konvergenzen bestehen (vgl., am Beispiel des Sprachenpaares Deutsch-Ungarisch, Földes 1996, 86ff.). Andererseits weisen benachbarte Kulturen mitunter bemerkenswerte Differenzen auf, die, gerade weil man nicht mit ihnen rechnet, leicht zu ungerechtfertigten Übertragungen von L1 auf L2 Anlaß geben. Ein schon triviales Beispiel ist der Austausch elementarer Grußformeln: so wäre dt. Guten Tag in vielen Fällen (dem vom Zeitbezug her allerdings eingeschränkteren) engl. Good afternoon oder frz. Bonjour, Monsieur/ Madame vergleichbar; es fehlt also entweder eine wörtliche Entsprechung, oder die Grußformel erfordert in der Zielsprache eine zusätzliche persönliche Adressierung. Bereits
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X. Besondere Typen von Phrasemen/Particular types of set phrases
auf dieser allgemeinen, neutralen Stufe, die zudem noch von para- und extraverbalen Momenten abstrahiert, zeigt sich, daß z.B. im Französischen mit der Grußformel gleichzeitig auch etwas über den Partnerbezug und die Wahrnehmung des Anderen kommuniziert werden muß; ein schlichtes Bonjour wäre gegenüber Guten Tag diesbezüglich markiert (vgl. auch, anhand englischer Beispiele, Laver 1981, 298ff.). Dieser Aspekt kann in entfernteren Kulturen noch wesentlich stärker ausgeprägt sein. So verweist etwa Coulmas (1992, 306ff.) auf ein kompliziertes System von Ehrerbietungs- und Ergebenheitsformeln im Japanischen, wonach beim Gruß- und Anredeverhalten normalerweise wenigstens drei verschiedene Parameter mit zu beachten sind: der Status (superior – inferior), die Gruppenzugehörigkeit (in-group – out-group), das Geschlecht (männlich – weiblich). Im Chinesischen dagegen wären es vor allem die in Frageform gekleideten Grußformeln, welche, zumindest aus europäischer Sicht, ungewöhnlich wirken können: Haben Sie schon gegessen? Gehen Sie zur Arbeit? Sind Sie schon da? usw. Hier mag man am ehesten eine Gemeinsamkeit mit sog. Befindlichkeitsfragen sehen, obgleich die interaktionelle Position durchaus eine andere ist (vgl. Ding/Fluck 2002, 101ff.). Um reibungslos zu kommunizieren, greifen folglich allein auf Sprachliches bezogene Kenntnisse zu kurz. Die Beteiligten müssen um die pragmatischen Gebrauchsbedingungen wissen, genauer: wie, mit welchen Mitteln z.B. eine Grußhandlung in der Zielkultur relativ zu einer gegebenen Sprecherkonstellation auszuführen ist, welche Erwartungen jeweils bestehen, welche Handlungen gleichzeitig zugeschrieben werden und wo Quellen für mögliche Fehler und Irritationen liegen. Ähnliches gilt in analoger Weise für eine Reihe weiterer Handlungen oder Sprechakte wie etwa das Danken, das Vorstellen, die Entschuldigung, das Glückwünschen oder das Aussprechen von Komplimenten (die Literatur hierzu ist inzwischen sehr umfangreich, vgl. als ersten Überblick: Casper-Hehne 1999, 79ff., und zur allgemeinen Einführung: De Carlo 1998; Volkmann u.a. 2002). 4.2.2. Das Verhältnis von manifestem, beobachtbarem Sprachverhalten und zugrundeliegenden kulturspezifischen Normen, Einstellungen und Werten hat Gibson (2000, 16) einmal mit dem Bild eines Eisbergs veranschaulicht. Der größte und wichtigere Teil interkultureller Komunikation ist gleichsam
direkter Wahrnehmung entzogen und zumindest für den Nichtmuttersprachler oft schwer durchschaubar. Wechselseitige Verständigung setzt insofern auch eine Beschäftigung mit dem voraus, was sich, um im Bild zu bleiben, unter der Oberfläche befindet: Jeder, der mit einer Sprache in Kontakt tritt, muß versuchen, in das Denken und Weltverstehen der Sprachgemeinschaft einzudringen, die diese Sprache spricht. (Merten 1996, 121)
Ist diese Voraussetzung nicht gegeben, sind kommunikative Fehlschläge vorprogrammiert. Einige der Schwierigkeiten, auf die beispielsweise Sprecher arabischer Herkunft im Deutschen stoßen können, hat in detaillierter Weise Haddad (1987) deutlich gemacht. Aus seiner breit angelegten kontrastiven Studie sei hier exemplarisch die Analyse der Routineformel Komm doch mal vorbei aufgegriffen. Was geben Muttersprachler zu verstehen, wenn sie diese Formel einem Freund oder einem Bekannten gegenüber verwenden? Welche Verpflichtungen gehen sie ein, welche Erwartungen lösen sie aus? Es gehört zum kulturspezifischen Hintergrundwissen, daß man im Deutschen mit der Äußerung von Komm doch mal vorbei sein Interesse an der Fortsetzung oder Vertiefung eines Bekanntschaftsverhältnisses signalisiert. Als Reaktion des Adressaten wäre ein kurzer Besuch (z.B. zum Kaffeetrinken) nach vorheriger telefonischer Ankündigung denkbar; dabei kann eventuell auch, je nach zeitlicher Disponibilität, eine Verschiebung ins Auge gefaßt werden. Genau hierin liegen für einen arabischen Sprecher, so Haddad (1987, 56ff.), Ursachen für Konflikte und Mißverständnisse, denn der Formel-Gebrauch impliziere aus dieser Perspektive einen wesentlich stärkeren Obligationscharakter: eine Vertagung komme einem persönlichen Affront gleich, Voranmeldungen erübrigen sich, der Gastgeber habe gleichsam die Pflicht, seinen Gast zu empfangen und ohne Zeitdruck zu bewirten (vgl. Ehnert 1988, 301ff.). In einer daraus resultierenden Problemsituation beziehen sich beide Seiten offensichtlich auf sehr unterschiedliche “Systeme” von Gebräuchen und Besuchsregeln sieht man einmal von weiteren intrakulturellen Differenzierungen ab. Der arabische Sprecher läuft Gefahr, eine Routineformel der Zielsprache im Sinne seiner arabischen Ausgangskultur (C1) zu interpretieren, ohne die Möglichkeit einer anderen Bedeutungszuschreibung einzukalkulieren. Umgekehrt wird
39. Pragmatische Phraseme: Routineformeln
ein deutscher Kommunikationsteilnehmer sich ganz auf die Gültigkeit seiner Normal-Interpretation verlassen, ohne zu sehen, daß diese als Teil einer für den arabischen Sprecher fremden Kultur (C2) keineswegs geläufig sein muß. Die Zuordnung stark divergierender Erwartungen ist die Folge (vgl. Abb. 39.6).
Abb. 39.6: Divergierende Bedeutungszuschreibungen
In dem Zusammenhang ergibt sich weiterhin, daß Komm doch mal vorbei einem anderen Formel-Repertoire angehört und nicht isoliert gleichsetzbar ist mit dem vom Wortlaut her korrespondierenden Ausdruck tafadal wa zourana. Wichtig sind vor allem die unterschiedlichen Verwendungskontexte; im arabischen Raum kommt dem Besuch aus sozialen und religiösen Gründen nach wie vor eine größere und andere Bedeutung zu, was wiederum die spezifischen Erwartungshaltungen im Vergleich zum Deutschen erklärt (Haddad 1987, 41ff.). Die Inkongruenz der skizzierten Handlungsinterpretationen (der C1-Hörer versteht eine Verabschiedungsformel des C2-Sprechers als persönliche Einladung) basiert im wesentlichen darauf, daß die Beteiligten das für sie selbstverständliche eigenkulturelle Wissen jeweils auch beim Partner als Grundlage unterstellen. Sie übertragen ihre vertraute Sicht der Dinge auf einen fremdkulturellen Bereich, ohne Reichweite und Gültigkeit der bemühten Konzepte zu hinterfragen. Auf die Problematik eines derartigen “thinking as usual” für die interkulturelle Verständigung hat sehr klar bereits Alfred Schütz (1943/44, 502) aufmerksam gemacht: As a matter of course, therefore, the stranger starts to interpret his new social environment in terms of his thinking as usual. Within the scheme of referen-
455 ce brought from his home group, however, he finds a ready-made idea of the pattern supposedly valid within the approached group – an idea which necessarily will soon prove inadequate.
Da hier eine Reziprozität der Perspektiven nicht mehr besteht, ist eine explizite Behandlung der Verständigungsbasis sinnvoll, um sich über die jeweils unterstellten Annahmen klarzuwerden, um das eigenkulturell Selbstverständliche für den Partner nachvollziehbar zu machen und um eine Renormalisierung der Situation zu ermöglichen. Nur wenn die stillschweigend gemachten Voraussetzungen und damit die Ursachen der Interpretationsprobleme - zur Sprache kommen, ist die genannte Perspektivenübernahme als tragfähige Handlungsbasis auch interkulturell erreichbar. 4.2.3. Es ist zweifellos ein Verdienst der linguistischen Gesprächsanalyse, den Blick für dialogische Ablaufstrukturen und, im Gefolge der konsequent empirischen Ausrichtung, für Phänomene des interaktiven Austausches geschärft zu haben. Das heißt für die Betrachtung von Routineformeln, daß auch ihre Einbettung in Sequenzen und ihr Vorkommen in realen Verwendungssituationen stärker zu berücksichtigen sind. Von kulturspezifischen Interaktionsnormen spricht in dieser Hinsicht bereits Godard (1977, 210ff.), die am Beispiel von Eröffnungssequenzen in Telefondialogen nachweist, wie amerikanische und französische Sprecher unterschiedliche Ablaufmuster und Ausdrucksformen für die Identifikations- und Begrüßungsphasen bevorzugen. Auf vergleichbare Diskrepanzen in der japanischen und der deutschen Telefonkommunikation macht Coulmas (1985, 53f.) aufmerksam. Einen ersten systematischen und kontrastiv angelegten Überblick geben Gülich/Henke (1979/80), indem sie speziell für die Kontakteröffnung (Austausch von Grußformeln, Vorstellung, Erkundigung nach dem Befinden) und Kontaktbeendigung (Schlußeinleitung, Austausch von Dankesund Wunschformeln, Verweis auf Folgekontakte, Grüße, Abschiedsformeln) im Deutschen, Englischen und Französischen eine Reihe von Übereinstimmungen und Abweichungen ermitteln (1980, 2ff.; vgl. House 1982; Béal 1993). Inzwischen liegt eine Fülle von Untersuchungen vor, deren Interesse a) nicht mehr primär der Realisierung bestimmter situationsgebundener Kommunikationsrituale, sondern dem Einsatz von Routineformeln generell gilt, die b) ebenso schriftliche Kommunikation in den Blick nehmen und die
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X. Besondere Typen von Phrasemen/Particular types of set phrases
darüber hinaus c) Vergleiche mit anderen Sprachen vorsehen. Von solchen Akzentverschiebungen zeugen u.a. kontrastive Arbeiten zu Ausdrucksroutinen im Zusammenhang von Bitten und Danken im Französischen, Italienischen, Japanischen (Held 1995, 132ff.; Coulmas 1981a, 145ff.; Elwert 1984, 411ff.), zum Gebrauch von Abschwächungsprozeduren im Finnischen (Muikku-Werner 1991), zu Indirektheitsformeln bei Kritik und Aufforderung und bei Komplimenterwiderungen im Englischen oder Chinesischen (House/Kasper 1981, 166ff.; Chen 1993), zur Ablehnung im Thailändischen (Kimsuvan 1984, 129ff.), zu metakommunikativen Gesprächsformeln im Portugiesischen (Kaeppel 1984, 53ff.) oder Briefkonventionen im Spanischen (Büchle 2002) – um nur einige Beispiele zu nennen. Die insgesamt zu beobachtenden Spezifika müssen nicht immer gravierende Mißverständnisse oder Konflikte zur Folge haben, oft sind es lediglich kleine Nuancenunterschiede, die die Kommunikation belasten: Elles [= les différences culturelles] sont perçues sous forme de vague malaise, de gêne, d’irritation des uns à l’égard des autres difficilement cernables pour les participants, car tout se joue sur des nuances et des dixièmes de secondes. (Béal 1993, 106)
Gewissermaßen die Nagelprobe für das “richtige” Verständnis von Routineformeln stellt nun die Übersetzung dar. Adäquate Entsprechungen in der Zielsprache sind allein schon aufgrund der eingangs genannten Polyfunktionalität problematisch, und die Verhältnisse erscheinen oft komplizierter, als es eine Aussage nahelegt wie: “Jeder L1-Formel können eine, mehrere oder überhaupt keine L2-Formeln entsprechen und umgekehrt.” (Coulmas 1981a, 138) Es ist nicht nur der Faktor ‘Idiomatizität’ (vgl. Schwamm drüber! du kriegst die Motten!), der die Übersetzbarkeit erschwert; das Eingebundensein in spezifische soziokulturelle Zusammenhänge kann funktionale Äquivalenzen sogar ausschließen, etwa dann, wenn die Gepflogenheiten einer Sprechergemeinschaft nur wenig oder gar nicht vergleichbar sind (vgl. Stolt 1988, 111ff.). Aufgabenorientierte Routineformeln muten diesbezüglich zunächst leichter handhabbar an; allerdings sind auch hier, wie bisweilen bei bestimmten Abschwächungs- oder Kommentarformeln, kulturabhängige Bedingungen des Gebrauchs zu beachten, spezifische Präferenzen, die letztlich den Unterschied zwischen markiertem und unmarkiertem Sprachverhalten ausmachen können. Zur
Illustration ein deutsch-französisches Beispiel, bei dem es um die in einem Korpus ermittelten Entsprechungen zweier metakommunikativer Formeln geht (Bastian/Hammer 2000, 299): kurz gesagt → bref/donc, autrement dit, pour tout dire, à vrai dire, en fait genauer gesagt → plus exactement, c’est-à-dire, soit, bref/donc, à vrai dire
Ein Sonderfall des Übersetzens ist das Simultandolmetschen. Aufgrund der erschwerten Texterstellungsbedingungen und der Tendenz, sich eher auf den propositionalen Gehalt der Äußerungen zu konzentrieren, werden gerade solche Formeln häufig getilgt, die der Relativierung und Abtönung von Kritik oder von gesichtsbedrohenden Handlungen dienen. Modalisierungen dieser Art gelten beim Simultandolmetschen, so Müller (1998, 147ff.), offenbar als eine quantité négligeable und werden daher bis zu einem gewissen Grad weggelassen. An diversen Gesprächsmitschnitten läßt sich zeigen, in welchem Maße in den Übersetzungen nichteingeschränkte Assertionen dominieren, wohingegen die Ausgangsbeiträge noch von Routineformeln der Abmilderung, von Heckenausdrücken und anderen Abtönungsverfahren geprägt sind. Ursache für dieses Mißverhältnis kann zum einen die prinzipielle Schwierigkeit einer exakten Übertragung sein, zum andern das eventuell mangelnde Bewußtsein für die Bedeutung von Ausdrucksroutinen in der alltäglichen Kommunikation.
5.
Ausblick
Das ohne Zweifel große und anhaltende Interesse an Routineformeln und formelhaftem Sprachgebrauch spiegelt nicht allein eine Schwerpunktverlagerung innerhalb der Phraseologie wider; ebenso bedeutsam ist hier der Klärungsbedarf, wie er sich aus Fragestellungen benachbarter Disziplinen ergibt, insbesondere der Textlinguistik, der Gesprächsanalyse, der kontrastiven Linguistik und auch der Übersetzungswissenschaft. Routineformeln sind insofern ein interdisziplinärer Untersuchungsgegenstand. Trotz der großen Zahl an vorliegenden Arbeiten bleibt gleichwohl festzuhalten, daß verschiedene Aspekte bisher nur wenig Beachtung fanden oder noch genauerer Fundierung bedürfen. Ein wichtiges Desiderat wäre die Intensivierung empirischer Analysen, um anhand corpusgestützter Daten weitere Aussagen
39. Pragmatische Phraseme: Routineformeln
über die Gebrauchsbedingungen und das Bedeutungspotential von Routineformeln zu erhalten (vgl. Siepmann 2001). Dies würde ebenfalls für Sprachvergleiche gelten, will man methodisch über eher punktuell vorgehende und an Einzelbeispielen orientierte Analysen hinausgelangen. Von einer stärkeren Akzentuierung des empirischen Zugangs könnte nicht zuletzt auch die Lexikographie (bzw. die Phraseographie) profitieren. Ein ohne Frage nicht zu vernachlässigender Bereich wäre schließlich die phraseodidaktische Anwendung, die Nutzbarmachung vor allem für Zwecke der Fremdsprachenvermittlung. Zwar existieren inzwischen verschiedene didaktische Vorschläge, zum Teil sogar auf bestimmte Zielgruppen bezogen (so etwa Ullmann 1997), nur fehlt es nach wie vor an einer breiteren Rezeption in sprachdidaktischen Handbüchern und, mehr noch, an der konkreten Umsetzung in Fremdsprachen-Lehrwerken und damit auch in der unterrichtlichen Praxis.
6.
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40. Der Spruch – Slogans und andere Spruchtextsorten Stein, S. (1995): Formelhafte Sprache. Frankfurt/M. Stein, S. (1997): O leck! ich wä:ß nimme: wie das heißt – Formulierungsflauten in der Zweitsprache. In: Beiträge zur Fremdsprachenvermittlung 31, 33– 77. Stein, S. (2001): Formelhafte Texte. In: LorenzBourjot, M./Lüger, H.-H. (Hrsg.): Phraseologie und Phraseodidaktik. Wien, 21–39. Stolt, B. (1988): Kulturbarrieren als Verständnisproblem. In: Moderna språk 82, 110–125. Traverso, V. (1996): La conversation familière. Analyse pragmatique des interactions. Lyon.
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Heinz-Helmut Lüger, Landau (Deutschland)
40. Der Spruch – Slogans und andere Spruchtextsorten
4. 5.
Alltagsweltliche Konzepte Theoretische Grundlagen Die Behandlung von Spruchtextsorten außerhalb der Sprachwissenschaft Politische Spruchtextsorten Literatur (in Auswahl)
zeichnungen für Spruchtextsorten zusammengestellt sind, wäre ein – immer noch “naiver” – Überblick über deren Vielfalt möglich, der der Bedeutung der Textsortennamen, wie Rolf (1993, 146) sie hervorgehoben hat, entspräche:
1.
Alltagsweltliche Konzepte
“Die Rolle, die eine Textsortenbezeichnung in der ihr zugewiesenen Umgebung spielt, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Wie Gattungsbegriffe aus dem Bereich der Literatur, so sind auch Textsortenbezeichnungen zunächst einmal ‘Namen für Klassen von Texten’”.
1. 2. 3.
Die Vorstellungen davon, was man als “Spruch” zu verstehen hat, sind im Alltagsbewusstsein ebenso wie in der wissenschaftlichen Beschreibung so zahlreich wie vielfältig und weisen doch ein gemeinsames intuitives Verständnis auf. Die Vielfalt wird bereits deutlich, wenn man einmal die Komposita, in denen das Wort Spruch als Grundwort auftritt und die man als alltagssprachliche Spruchtextsortennamen auffassen könnte, zusammenstellt und auf ihre Inhalte hin, d.h. auch hinsichtlich ihrer Spezifizierungen, betrachtet (z.B. Sinnspruch, Trinkspruch, Urteilsspruch, Zauberspruch). Es versteht sich, dass man mit einer Zusammenstellung der Lemmata mit dem Grundwort -spruch, wie sie z.B. rückläufige Wörterbücher (Mater 1983, Muthmann 1991) bieten, noch längst nicht alle existierenden Spruchtextsorten im Sinne von “Routineformeln auf der Textebene” (Adamzik 1995, 28) erfasst hätte. Nicht jede der in Betracht kommenden Textsorten ist durch das Grundwort -spruch markiert. Namen wie “Sprichwort”, “Maxime”, “Abzählvers” und viele andere kann man hier ja auch zuordnen. Erst wenn möglichst alle alltagssprachlichen Be-
Man verfügt mit einer Aufstellung von Alltagsphänomenen aber natürlich noch nicht über eine theoretisch gesicherte und vollständige Systematik des Bestandes an Spruchtextsorten. Dem Schritt der “naiven” Zusammenschau einer “Semantik von Textklassennamen” (Rolf 1993, 97) muss die textsortenlinguistisch begründete Systematisierung und Deskription folgen (vgl. 2., 4.). Bereits bei der Musterung der vielen durch das Grundwort -spruch markierten Textsortennamen wird aber auch deutlich, dass es ein gemeinsames Verständnis davon gibt, was unter dem Oberbegriff “Spruch” subsumiert werden kann. “Man weiß intuitiv ganz genau, was gemeint ist, welcher Bereich kultureller Produkte mit dem Sammelbegriff ‘Spruch’ bezeichnet wird. Man erkennt Sprüche […] sofort, es fällt jedoch schwer, sie klassifikatorisch/typologisch zu bestimmen” (M. Fleischer 1991, 11).
460
X. Besondere Typen von Phrasemen/Particular types of set phrases
Das, was dem Spruch im Alltagsverständnis unfehlbar zugeordnet wird und was Bedeutungswörterbücher (Langenscheidt DaF 1993, de Gruyter DaF 2000, Duden Universalwörterbuch 2001, Paul 2002 u.a.) übereinstimmend festhalten, ist inhaltlicher Natur, nämlich die Vorstellung, dass ein Spruch eine generelle, abschließende Erfahrung (Jolles 1982) vermittelt. Aber nicht alle Spruchtextsorten haben diese Funktion – z.B. nicht Slogan und Losung. Deren Aufgabe ist vielmehr die Übermittlung aktueller auffordernder Botschaften. Und doch gelten sie, auf Grund ihrer Kürze und Prägnanz, als Sprüche (4.1). Zu den bestimmenden Merkmalen der Spruchtextsorten sind demnach neben den inhaltlichen auch die formalen zu rechnen. Mit der Eigenschaft, Sammelkategorie für mehrere Spruchtextsorten zu sein, gehört der Spruch zu den Basistextsorten, übergeordneten typenhaften Phänomenen, denen nach Heinemann (2000, 515) “universelle Geltung” und zugleich “gesellschaftliche und kulturelle Spezifika” zugesprochen werden können. Der Basistextsorte Spruch wären dann die oben genannten Textsorten wie Sprichwort, Maxime, Abzählreim aber auch Slogan, Losung, Protestparole zuzuordnen. Diese müssen demzufolge neben den ins Auge fallenden Unterschieden inhaltliche und/ oder formale Gemeinsamkeiten aufweisen. Auskunft über das alltagsweltliche Verständnis von Spruchtextsorten erhält man in Wörterbüchern und einschlägigen Lexika. Ein rückläufiges Wörterbuch z.B. liefert mit der Lemmatisierung usueller Komposita mit spruch als Grundwort, folgt man Dimter (1981), automatisch Textsortenbezeichnungen für Spruchtextsorten. So findet man bei Mater (1983, 259) 22 Einträge, die als Spruchtextsortennamen verstanden werden könnten, u.a. Bannspruch, Bauernspruch, Bibelspruch, Trinkspruch, Wahlspruch,, Wappenspruch, Zauberspruch (vgl. Muthmann 1991, 443). Da diese Bezeichnungen auf sehr verschiedenen Ebenen liegen, kann man von ihnen nicht unmittelbar auf Textsorten schließen. Als mögliche Kandidaten für Textsortennamen sind sie aber ernst zu nehmen. Man wird sie zum einen am eigenen Sprachgefühl messen. Zum anderen kann man sie auch mit Eintragungen in Bedeutungswörterbüchern vergleichen: Duden-Universalwörterbuch: Urteils-, Schieds-, Orakelspruch und Spruchweisheit; Langenscheidts Großwörterbuch DaF: Leit-, Merk-, Trink-, Werbe-, Bauern-, Bibel-, Grab-,
Kalender-, Tisch-, Zauberspruch, Spruchweisheit). Auch in Lexika, so im Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte (Merker/ Stammler 1984), findet man Spruchtextsorten. Denk-, Lehr-, Mahn-, Sinn-, Sitten- und Wahrheitsspruch − ähnlich wie in den Wörterbüchern – als Gattungen angeführt. Mit diesen Angaben sind Konzepte von Spruchtextsorten erfasst, über die eine Sprach- und Kulturgemeinschaft verfügt. Die allgemeine Kategorie Spruch ist nun in ihrem Verhältnis zu der Vielzahl einzelner Spruchtextsorten neu zu durchdenken und diese dem Spruch untergeordneten Phänomene sind − mit dem Schwerpunkt auf Slogan und verwandten Textsorten − zu erfassen und zu beschreiben. Man steht damit weder theoretisch noch analysepraktisch am Anfang. Aus verschiedenen Richtungen hat man sich dem Phänomen einer vermuteten Textsortenhierarchie bzw. dem Spruch als übergeordneter allgemeiner Kategorie gegenüber dem Spruch als Textexemplar im Besonderen schon genähert (vgl. 2.2, 3).
2.
Theoretische Grundlagen
2.1. Textproblem: Beziehung zwischen “Phrasemen” und “Texten” als “besonderen Typen von Phrasemen” Die Überschrift “Besondere Typen von Phrasemen”, zu denen auch Textsorten gerechnet werden, macht ein Problem deutlich: Einerseits gibt es sehr wohl einen Unterschied zwischen Wendungen und dem, was man unter “Text” versteht. Andererseits muss es aber doch Gründe dafür geben, dass feste Wendungen und feste Texte in der Konzeption des Bandes unter dem Begriff “Phrasem” zusammengefasst werden. Es liegt auf der Hand, dass es hier ausschließlich um kurze und prägnant gestaltete, immer wieder im selben Wortlaut verwendete Texte geht, für die im folgenden die Benennung feste Kurztexte verwendet werden soll. Worin bestehen die angenommenen Übereinstimmungen mit festen Wendungen und was unterscheidet diese von solchen Texten bei aller Übereinstimmung doch? Ausgangspunkt ist der von den Herausgebern als Oberbegriff für alle Arten fester Wendungen und für feste Texte verwendete Begriff “Phrasem”. In der Diskussion um die Frage, mit welcher Kategorie man alle einschlägigen Phänomene erfassen könne (vgl. Burger 1998; Donalies 1994; W. Fleischer 1997; Pilz 1981), werden die Kriterien für die
40. Der Spruch – Slogans und andere Spruchtextsorten
zur Rede stehenden festen Ausdrücke ganz eindeutig aus der Gegenüberstellung der Wendung mit dem Wort gewonnen. Dass die gefundenen Kriterien nicht auch auf ihre Tauglichkeit für feste Texte überprüft werden, zeigt, dass der Oberbegriff auf Wendungen und nicht auch auf Texte “zugeschnitten” ist (vgl. Donalies 1994). Nun werden in diesem Band Texte aber in die Gruppe fester Wendungen einbezogen und “Phrasem” dient hier als Terminus, der alle festen Wortverbindungen, also auch die Texte, zusammenfassen soll. Was rechtfertigt es, den Terminus “Phrasem” so weit zu fassen und dies sogar angesichts mehrfach geäußerter Bedenken hinsichtlich seiner Brauchbarkeit an sich (W. Fleischer 1997, 230; Burger 1998, 34ff.)? Die konsequente Verwendung des Terminus “Phrasem” als allgemeinen Oberbegriff wird von Donalies (1994, 346–347) aus folgenden Gründen befürwortet: Analogie zu Termini wie “Phonem”, “Morphem”, “Lexem”, Akzentuierung des Einheits- und Mehrwortcharakters sowie Handlichkeit. Dabei blickt Donalies jedoch aus einer eindeutigen WortWendung-Perspektive auf das Problem. Sie rechtfertigt den favorisierten Terminus “Phrasem” mit Hinweis auf die analogen Bildungen “Morphem”, “Lexem” und auch “Textem”. “Phrasem” wird terminologisch also von “Textem” klar abgehoben, obwohl die Phänomene Text und Phrasem unter bestimmten Bedingungen, die im Fall der Spruchtextsorten erfüllt sind, durchaus zusammenfallen können. Die übliche Konzentration der Beschäftigung mit Phrasemen auf die WortWendung-Perspektive, d.h. der Verzicht auf den Vergleich mit dem festen Text, entspricht dem Stand der Phraseologie-Forschung, den Feilke (2003) “vorpragmatisch” nennt. Gemeint ist “die Phase der Konsolidierung der Phraseologie, der Herausarbeitung der zentralen Bestimmungsmerkmale der Polylexikalität, Festigkeit und Figuriertheit bzw. Idiomatizität. […] Kernpunkt der Begriffsbildung ist die Analogie von Wort und idiomatisch geprägtem Ausdruck” (Feilke 2003, 3–4).
Entsprechend werden von Donalies (1994) zur Abgrenzung der festen Wendung gegenüber dem Wort die Kriterien Mehrwortcharakter, Stabilität, Idiomatizität, Einheitsstatus (Reproduzierbarkeit) und Sprachüblichkeit aufgeführt. Vom Text her, aus der Text-Wendung-Perspektive gesehen, zeigen sich ebenso wie bei der Wort-Wendung-Beziehung sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschie-
461
de. Es ist zu fragen, unter welchen Umständen man Texte zu den Phrasemen rechnen kann. Für feste Texte haben ebenso wie für Wendungen die folgenden der von Donalies aufgezählten Kriterien Geltung: Mehrwortcharakter, (relative) Stabilität, (textspezifische) Idiomatizität, Einheitsstatus und vor allem Sprachüblichkeit. W. Fleischer geht darüber hinaus und grenzt Phraseologismen dezidiert ab von “anderen fest geprägten Konstruktionen” (1997, 75ff; vgl. auch W. Fleischer 1991, 4ff.), mit denen er hier textwertige Äußerungen, v.a. das Sprichwort, meint. Gemeinsam ist aus seiner Sicht beiden Erscheinungen, dem Phraseologismus und dem Sprichwort, der feste, invariable Bestand und die Bedeutung, “die nicht identisch ist mit dem unmittelbar im Satz mitgeteilten Sachverhalt” (1997, 76). Das von den Wendungen Abweichende sieht W. Fleischer mit Verweis auf Häusermann (1977, 113) im Textcharakter der Äußerungen, die nicht als Benennungseinheiten gespeichert sind und nicht reproduziert werden, sondern eigene Mikrotexte darstellen und demzufolge, wie man es von anderen Texten, z.B. Gedichten und Gebeten, auch kennt, zitiert werden. Diese Texte bieten anders als Wendungen keine formalen Möglichkeiten des Anschlusses an den Kontext. Die Tatsache, dass die Verwendung nicht als Reproduktion, sondern als Zitation vor sich geht, verweist auf die aus der antiken Rhetorik bekannte Kategorie der “Wiedergebrauchsrede”. Sie ist zum einen aufschlussreich, weil sie textbezogen ist, zum anderen, weil sie die Vorstellung von Elaboriertheit weckt. Texte, die immer wieder zitiert werden, müssen der Abnutzung durch ihre besondere Form standhalten können. Röhrich/Mieder (1977, 56ff.) nennen für das Sprichwort solche Formmerkmale, z.B. Prägnanz, Gegensatztechnik, Reim (vgl. 4). Das wesentliche Merkmal der Texthaftigkeit lässt sich nach W. Fleischer nicht nur bei Sprichwörtern, sondern auch bei anderen fest geprägten Mikrotexten finden, die ebenfalls nicht reproduziert, sondern zitiert werden. Man kann ihnen jeweils eine spezifische Illokution zuordnen, dem Sprichwort nach W. Fleischer (1991, 7) das Bewerten bzw. die Verhaltensanweisung. Wenn Burger (1998, 102) erklärt, inwiefern Sprichwörter zur Phraseologie gehören, und die Merkmale polylexikalisch, fest und idiomatisch anführt, steht ebenfalls die Übereinstimmung zwischen Wort und Wendung im Zentrum. Er hat aber auch die Tatsa-
462
X. Besondere Typen von Phrasemen/Particular types of set phrases
che im Blick, dass es satzwertige und sogar textwertige Phraseologismen gibt. Letztere setzt er mit Bezug auf Gläser (1990) von anderen Phraseologismen durch das Merkmal “propositional” ab, d.h. durch die spezifische Leistung, Aussagen über Objekte und Vorgänge zu machen. Im textlinguistischen Sinne ist zu ergänzen, dass diese Texte nicht allein Referenz herstellen (Proposition) und Aussagen machen, sondern dass sie damit auch Intentionen verfolgen (Illokution, W. Fleischer 1991; 1997) und dies in einer bestimmten Form (Lokution). Indem man eine Kurztextsorte so beschreibt, hat man deren Textcharakter gleichsam “nachgewiesen”. Diese Sachverhalte – die “nachweisbare” Texthaftigkeit und das Kriterium der Sprachüblichkeit, d.h. die Kompetenz und das Bedürfnis, bestimmte Texte immer wieder zu zitieren − scheinen für die festen Kurztexte konstitutiv zu sein. Mit dem Bezug auf die “Präsenz, […] die sich aus dem in einer Sprachgemeinschaft wiederholten Gebrauch ergibt” (Donalies 1994, 342), ist im Sinne Feilkes (2003) die Schwelle von der vorpragmatischen zur pragmatischen Idiomatik überschritten. Der Gedanke der “Tradierung” steht in Beziehung zu der sowohl auf Wortgruppen wie auf feste Texte anwendbaren Feststellung Feilkes, dass “Wortverbindungen fest [werden] durch den Gebrauch und pragmatisch fixiert [sind] innerhalb konventionaler Gebrauchskonstellationen” (Feilke 2003, 8). Nahe zu den Begriffen “Phrasem” und “fester Kurztext” stehen Auffassungen von Formeln bzw. formelhaften Ausdrücken. Aus kognitiver Sicht betrachtet Stein (1995, 11) “Formelvarianten wie Dank-, Gruß-, Glückwunsch […] Fluch-, Merk-, Lern-, Zauberformel”. Es handelt sich hier um Phänomene von Spruchcharakter, die “für etwas sprachlich Festes und als solches Wiederholtes/Wiederholbares” stehen, “das jeweils zu einem bestimmten Zweck verwendet wird” (Stein 1995, 11). Nach Stein dienen Formeln als Wissensspeicher und Formulierungshilfen (Stein 1995, 280ff.). Feste Texte (Stein 1995, 305ff.) als komplexe Routineformeln leisten dies in besonderem Maße.
2.2. Textsortenproblem: Zuordnung der Basistextsorte Spruch zu Textsortenfamilien, Textsorten und Einzeltexten Bei der Sichtung der Spruchtextsortennamen in 1. wurde neben der inhaltlichen Vielfalt dessen, was “Spruch” genannt wird, auch deutlich, dass die Begriffe auf verschiedenen Ebenen angesiedelt sind. So bezeichnet “Spruch” eine allgemeinere Einheit als z.B. die Textsortennamen “Sprichwort” und “Slogan”, die aber immer noch verallgemeinernde Benennungen sind: Sie umfassen alle Textexemplare, die die Eigenschaften dieser Textsorte aufweisen. Zugleich sind sie aber eindeutig dem Textklassenkonzept “Spruch” (vgl. Dimter 1981, Rolf 1993, 143) unterzuordnen. Es zeigt sich, dass man mit der in der Textlinguistik bisher üblichen zeichentheoretisch begründeten Zweierbeziehung von Textsorte/type und Textexemplar/token nicht auskommt. Vielmehr ist eine tiefer gestufte, mindestens dreistufige Hierarchie anzusetzen, an deren Spitze die Textsortenklasse (Heinemann/Heinemann 2002, 143) steht (vgl. auch Heinemann 2000, 515: Basistextsorte). In unserem Falle ist der Spruch die alle Spruchtextsorten zusammenfassende Klasse. Während er als Basistextsorte an der Spitze der Hierarchie für sich allein betrachtet werden kann, finden sich tiefer in der Hierarchie die einzelnen Spruchtextsorten, z.B. Slogan, Losung, Parole, Sprichwort usw., die nur in Abgrenzung voneinander beschrieben und eingeordnet werden können. Ihnen untergeordnet ist der konkrete Text, also ein ganz bestimmter politischer Slogan, wie z.B. der Leitspruch der CDU/CSU, den sie im Jahr 2003 verwendet hat: “Besser für die Menschen”. Die von Heinemann/Heinemann (2002, 143) eingeräumte Möglichkeit von Zwischenstufen muss im Falle der Basistextsorte Spruch tatsächlich wahrgenommen werden. Die Textsorten sind nicht allein nach Funktion und Form (vgl. 1., 4.), sondern auch nach ihren Verwendungsbereichen und damit nach ihrem Charakter als politische, religiöse, ludophile, alltagspraktische Textsorten zu gruppieren. Zwischen die Basistextsorte Spruch und die einzelnen Spruchtextsorten schiebt sich also noch eine Hierarchie-Ebene, für die hier die Benennung “Textsortenfamilie” eingeführt werden soll. Das führt zu folgender Hierarchisierung:
40. Der Spruch – Slogans und andere Spruchtextsorten
Basistextsorte Spruch │ Spruchtextsortenfamilie z.B. Gruppe politischer, religiöser u.a. Spruchtextsorten │ Spruchtextsorte z.B. politische Spruchtextsorten: Slogan, Losung, Protestparole, Demo-Spruch, Graffito │ Spruchtextexemplar Leitspruch der CDU / CSU 2003 Besser für die Menschen. Im Vergleich zu anderen Nomenklaturen (vgl. Darstellungen von Rolf 1993, Göpferich 1995, Heinemann 2000) scheint die hier vorgestellte besonders geeignet, um die Tiefe der Schichtung zu erfassen. Hinzu kommt, dass an die Benennung “Basistextsorte” wie auch an die der “Spruchtextsortenfamilie” die Vorstellung von der Kulturgebundenheit des Phänomens Spruch und seiner Spielarten (s. 3.) gebunden ist. Nach Heinemann (2000, 515) werden mit den Basistextsorten “die gesellschaftliche/n/ und kulturelle/n/ Spezifika einzelner Kulturen und Regionen” erfasst. Die “kondensierte/n/ Reflexe kommunikativer Aufgaben” (Heinemann 2000, 515) werden noch deutlicher als in der Kategorie “Basistextsorte”, wo Heinemann sie ansiedelt, durch die auf Kommunikationsbereiche bezogene Kategorie der “Spruchtextsortenfamilie” erfasst.
3.
Die Behandlung von Spruchtextsorten außerhalb der Sprachwissenschaft
In anderen Disziplinen, die sich mit Gattungsfragen, auch mit Sprüchen, befassen, wie Volkskunde, Literaturwissenschaft, Theologie spielen textsortenbezogene Überlegungen auch eine Rolle (zur historischen Darstellung und zum Gesamtüberblick vgl. “Spruch” in Reallexikon der dt. Literaturgeschichte 1984). Es ist aufschlussreich, dass Jolles den Begriff der “Einfachen Form” am Beispiel des Spruches entwickelt hat. Der textlinguistische Terminus “Basistextsorte” drückt den Grad von Allgemeinheit aus, den auch Jolles mit Spruch im Allgemeinen als “Einfache Form” gegenüber dem Sprichwort im Besonderen (1982, 155) im Blick hat (vgl. aber 2.2 und
463
4.) und der in der Literaturwissenschaft oft mit dem Terminus “Gattung” im Sinne von gruppen- oder familienbildender Organisationstypen (Corbineau-Hoffmann 2000, 139– 140) in Abgrenzung zu “Genre” belegt wird. Texte wie Spruch, Märchen, Legende sind nach Jolles gekennzeichnet durch einen spezifischen sprachlich gestaltenden Zugriff auf die Welt. Diese Sprachgestalt (Jolles 1982, “Sprachgebärde”) bringt eine bestimmte Lebenshaltung, eine “Geistesbeschäftigung”, zum Ausdruck. Gemeint ist die einer Gruppe von Menschen gemeinsame Einstellung und Handlungsweise gegenüber ihrer Wirklichkeit (vgl. Bausinger 1980, 56: “ordnende Auseinandersetzung des Menschen mit der Welt”; Fix 1996b). Beim Spruch ist das nach Jolles das Mitteilen einer abschließenden Erfahrung. Was erfasst wird, ist der Typ (die “Einfache Form”), der umgesetzt wird in der “vergegenwärtigten Einfachen Form”, dem realen Spruchtextexemplar wie z.B. Morgenstunde hat Gold im Munde. Dass die Form mit der “Sprachgebärde” bereits vorgegeben ist, erklärt die Wiederholbarkeit, ja die Notwendigkeit des Zitierens bei den Spruchtextsorten. Als Mitteilung einer abschließenden Erfahrung kann der Spruch nach Jolles je nach dem Erfahrungsbereich, dem er angehört, z.B. als Maxime, Sentenz, Sprichwort vergegenwärtigt werden. So nützlich die type-token-Unterscheidung ist, die hinter Jolles’ Überlegungen steht, so unvollständig ist sie aus heutiger Sicht doch auch; denn wie der Spruch ist auch das Sprichwort ein type, wenn auch von geringerem Verallgemeinerungsgrad, und kann daher nicht als das Besondere im Sinne eines Textexemplars gelten. Es ist nur in Beziehung zum Spruch etwas Besonderes, mit Blick auf das realisierte Sprichwort, z.B. Morgenstunde hat Gold im Munde, ist es das Allgemeine. Auf dieses differenzierte Verhältnis lassen sich die Kategorien “Basistextsorte” (“Spruch”), “Spruchtextsortenfamilie” (z.B. politische Texte) und Spruchtextsorte (z.B. Losung) sowie Spruchtextexemplar (z.B. Besser für die Menschen) anwenden. Bausinger (1980, 68), der sich mit Jolles und anderen (z.B. Petsch 1938, Ranke 1961) auseinandersetzt, unterscheidet auf der Basis eines “strukturellen Unterschieds” zwischen “Formeln” einerseits, die “nach demselben Plan gebaut” und auch “im Detail festgelegt” sind, und “Formen” andererseits, die “in Varianten gestaltet” sind und wo “lediglich der Bauplan festliegt” (Bausinger 1980, 64).
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X. Besondere Typen von Phrasemen/Particular types of set phrases
Sprüche als feste Kurztexte gehören nach dieser Festlegung in den Bereich der Formel. Formen dagegen sind für Bausinger Erzählformen wie z.B. Schwank, Märchen, für die der Plan vorliegt, der ausgeführt werden muss. Auf die nicht unübliche Vermischung der Termini “Formel” und “Spruch” weist Pilz (1981, 69ff., 95ff., 102–103) hin. Neuere außerlinguistische Ansätze auf semiotischer Basis legen unter struktur- und systemtheoretischem Aspekt M. Fleischer (1991) und aus der Perspektive der Evolution Koch (1994) vor. Fleischers Schwerpunkt liegt (neben der Frage nach Generierungsregeln) auf dem kulturellen Charakter des Spruches. Sprüche sind für ihn “eine Art Minimaleinheit […], durch die kulturelle Bedeutungen zum Ausdruck kommen”; sie verhelfen “zu einer prägnanten […] Manifestation der für diese Kultur relevanten kulturellen […] Bedeutungen” (M. Fleischer 1991, 9). Mit der Vorstellung, dass Sprüche Konstanten der Kultur sind, in der sie gebraucht werden, hängt auch die Auffassung von Sprüchen als Teil unseres Alltagswissens zusammen, die sich in einer Common-sense-Bereich-Matrix (M. Fleischer 1991, 61) niederschlägt, in der Spruchsorten wie Sinnspruch, Epigramm, Sprichwort u.a. mit ihren charakteristischen Eigenschaften erfasst werden. Einen Unterschied (vgl. 4.1) hinsichtlich der Funktion macht er zwischen Sprüchen mit bindendem und solchem mit postulativem Charakter (M. Fleischer 1991, 28): “bindend” = Ausdruck einer Lebensregel im Sinne abschließender Erfahrung (z.B. Sprichwort), “postulativ” = das Appellhafte (z.B. aktuelle politische Sprüche). “Der postulative Charakter von Sprüchen geht auf eine individuelle, gruppenabhängige (Schule, Strömung, Philosophie u. dgl.) oder eine subkulturelle Motivierung zurück”. “Der bindende Charakter von Sprüchen geht auf eine die gesamte Kultur […] bedingende Motivierung zurück” (M. Fleischer 1991, 28f.).
Koch (1994) stellt auf evolutionstheoretischer Grundlage eine “Encyclopaedia of Simple Text-Types in Lore and Literature” zusammen, in der er die Jollesschen Einfachen Formen um weitere wie z.B. Graffiti, Nursery Rhyme und Spell ergänzt. Basis ist die Feststellung, dass zu dem von Generation zu Generation weitergegebenem Wissen auch ein “pool of important textemes” (Koch 1994, 320) gehört. Die bisherigen Kriterien für Einfache Formen – überliefert, mündlich, funk-
tional, bündig, (nahezu) universal – ergänzt er durch das Merkmal “kulturell” und zeigt aus dieser Perspektive neue Einfache Formen auf wie z.B. “Cartoon” und “Pop and Rock Song”.
4.
Politische Spruchtextsorten
4.1. Was macht den Spruch aus? Wie entscheidet man, ob Textsorten zur Basistextsorte Spruch gehören? Zum kulturellen Wissen über das Phänomen Spruch (vgl. 1.) gehört, dass Texte bzw. Textsorten, die man als Spruch bzw. als Spruchtextsorte versteht, in der Regel eine abschließende Erfahrung vermitteln, dass sie sich mit der ihnen zugesprochenen generellen Aussage weniger auf eine aktuelle als vielmehr auf eine verallgemeinerbare Situation beziehen und an einen Adressaten wenden, dem Erwartung auf Orientierung unterstellt wird. Nun erfüllen nicht alle Spruchtextsorten die Vorstellung, eine allgemeine Erfahrung abschließend oder auf Zukünftiges orientierend zu vermitteln. Das trifft auf ältere Spruchtextsorten wie Leitspruch oder Trinkspruch zu, mehr aber noch auf aktuellere wie Slogan, Losung, DemoSpruch, die als stark situationsgebundene Texte mit primär appellativer Funktion gebraucht werden. Ihr Spruchcharakter hat eher mit formalen Merkmalen wie Elaboriertheit und Memorierbarkeit als mit inhaltlichen Kriterien zu tun. Das Besondere der Sprachgebärde von Sprüchen liegt in ihrer Kürze und Prägnanz. Mit minimalem, aber gut durchdachtem Aufwand an Zeichen wird ein genereller oder aktueller Inhalt in eine knappe Form gebracht. Meist handelt es sich um nur einen – oft auch elliptischen – Satz Besser für die Menschen oder um einen endreimenden Zweizeiler Ohne Gott und ohne Sonnenschein bringen wir die Friedensernte ein. Kohärenz wird hergestellt mit Hilfe von Stabreim, Assonanz, Rhythmus, Parallelismen, Antithese, Anspielung, Wortspiel u.a. Grund für die Prägnanz ist neben dem Bedarf an inhaltlicher Bündigkeit auch die Tatsache, dass es sich um zwar schriftkonstituierte, aber auch für den mündlichen Gebrauch gemachte Texte handelt, die nicht nur leicht merkbar, sondern auch gut sprechbar sein sollten. Zu den drei Gruppen solcher Texte, die Gutenberg (2000) ansetzt, gehört auch das “intentional auf Entbindbarkeit aus der konkreten Produktionshandlung gestaltete gesprochene Sprachwerk”, zu dem er mit Verweis auf das Phäno-
465
40. Der Spruch – Slogans und andere Spruchtextsorten
men der “Wiedergebrauchsrede” (Gutenberg 2000, 576) “Spruch, Sprichwort u.ä.” (Gutenberg 2000, 574) und an anderer Stelle auch Losung, Parole, Werbespruch (Gutenberg 2000, 582ff.) zählt. Zunehmend wird bewusst, dass neben Inhalt und Form auch Medialität im technischen Sinne ein bestimmender Faktor für Texte sein kann. Zum einen, weil mit der Verschriftlichung der Texte deren Materialität ins Spiel kommt. Die graphische und typographische Gestaltung können zu einem bedeutungstragenden Faktor werden. Vor allem aber verweist die Tatsache, dass Spruchtextsorten bereits durch ihr Trägermedium definiert sind, wie es bei den Graffiti der Fall ist, auf ein bisher nicht beachtetes potentielles Textualitätskriterium: der Ort, an dem der Text erscheint. Eine Zeichenfolge kann zum Spruch werden, weil sie sichtbar auf einer Wand angebracht ist (vgl. M. Fleischer 1999, 137ff., Blume 1985, 138). 4.2. Politische Spruchtextsorten: Slogan, Protestparole, Losung, Demo-Spruch, Graffito Aus den Spruchtextsorten wird die Familie politischer Kurztextsorten herausgegriffen. Sie soll im Ganzen wie nach den zu dieser Familie zu rechnenden, bisher nicht klar abgegrenzten Textsorten – Slogan, Protestparole, Losung, Demo-Spruch, Graffito –charakterisiert werden. Am genauesten bearbeitet ist die Spruchtextsorte Slogan. Alltagskonzepte und wissenschaftliche Darlegungen stimmen darin überein, den Slogan als eigene appellierende Textsorte zu betrachten, die je nach ihrem politisch oder kommerziell werbenden Charakter (Pilz 1981, 102; von Polenz 1999, 518) als Politik- oder Werbeslogan bezeichnet wird. In manchen Fällen findet auch eine Verschmelzung beider Funktionen statt, so in der Werbung für Kienzle-Uhren Deutsch die Uhr, deutsch der Klang aus dem Jahre 1933 (Dt. Rundfunkarchiv. Ffm.). Der politische Slogan wird von Klein (2000) als “Wahlslogan” angeführt und folgendermaßen beschrieben: “Als Motto der Wahlkampagne, als Transparent bei Wahlveranstaltungen, als temporäres ‘geflügeltes’ Wort ist der Slogan eine selbständige TS mit der Funktion, ‘die gesamte Kampagne brennpunktartig zusammenzufassen’ (Radunski 1980, 99–100) […]” (Klein 2000, 742; vgl. auch Girnth 2002, 74; von Polenz 1999, 530; 4.1).
Klein (2000, 733) setzt drei “Interaktionsrahmen” für Slogans an: Gesetzgebung, politi-
sche Willensbildung in Parteien, politische Werbung von Parteien. Für die Ausführung der Textsorte bestimmend sind Emittenten (Parteien), Grundfunktionen der Texte (direktiv/regulativ und meinungsbildend/appellativ, Klein 2000, 734) und Art der Adressatenorientierung (primär und sekundär). Diese Charakterisierung kann über die Verwendung im Wahlkampf hinaus auf alle Werbesprüche von Parteien in vielen Situationen angewendet werden. Im Gegensatz zu Spruchtextsorten mit bindendem Charakter (Sprichwort, vgl. 3.) hat der Slogan postulierende Funktion. (1) Freiheit statt Sozialismus. (1976, CDU) (2) Leistung wählen. (1976, FDP) (3) Willy Brandt muß Kanzler bleiben. Deshalb: SPD. (1972) W. Fleischer (2001, 112) erfasst Slogan und Losung in einer gemeinsamen Definition als Nicht-Wortschatzeinheiten mit appellativer Funktion und aktuellem Bezug. Nach Grünert (1984) handelt es sich bei beiden Textsorten um Texte des integrativen Sprachspiels, darauf angelegt, ein gruppenspezifisches Bewusstsein zu schaffen. Der Textsortenname “Losung”, in der DDR gebraucht, bezeichnet zunächst einmal genauso wie der Name “Slogan” eine von einer Partei verwendete politisch werbende Kurztextsorte. Anders als der Slogan ist die Losung aber Werbetext einer einzigen, der herrschenden Partei, die um ihre Macht nicht mit anderen zu kämpfen braucht. Die Texte wenden sich nicht an eine spezielle Adressatengruppe, nämlich die Klientel einer Partei neben anderen, sondern als Stimme einer “Einheitspartei” undifferenziert an alle Bürger des Landes. Die Funktion verschiebt sich damit vom integrierenden Sprachspiel hin zum regulativen. (4) Mit erfüllten Plänen zur Wahl am 7. Mai!. (5) Weiter voran unter dem Banner von Marx, Engels und Lenin! Folgen für die Sprachgestalt sind u.a. Stereotypie, leeres Pathos, Wörter ohne Aussagekraft, Unbestimmtheit in den Sprachhandlungen (Fix 1990, 1996a). Viele der sprachlichrhetorischen Mittel, die Klein (2000) für Slogan und Fix für Demo-Sprüche (1990, 1994, 1996a) aufzählen, sind nach 1945 in den Losungen der DDR noch vorhanden (6, 7: Reim, Rhythmus, Antithese, Paarigkeit), treten aber später mit der zunehmenden parteipolitischen
466
X. Besondere Typen von Phrasemen/Particular types of set phrases
Verkrustung auffallend zurück (4, 5, 8: bedeutungsentleerter Wortschatz, Schlagwörter, unklare Sprachhandlungen). (6) Vorwärts immer, rückwärts nimmer. (7) Junkerland in Bauernhand. (8) Je stärker der Sozialismus, umso sicherer der Frieden. Mit Bezug auf Kleins Feststellung, dass die Kommunikationsfunktionen politischer Institutionen “in hohem Maße abhängig vom politischen System” (2000, 732) sind, kann man eine terminologische Unterscheidung zwischen “Slogan” als politischem Werbespruch in einer demokratischen Gesellschaft und “Losung” als politischem Regulierungsspruch in der totalitären Gesellschaft einführen. Neben den Spruchtextsorten Slogan und Losung, die Bestandteil des integrativen und regulativen Sprachspiels sind, findet man auch Spruchtextsorten, die dem instrumentalen Sprachspiel dienen, d.h. solche, in denen die Herrschaftsunterworfenen ihre Forderungen bzw. ihren Widerspruch äußern. Eine der hier in Frage kommenden Textsorten ist, in der Terminologie Kleins, die “Protestparole” (Klein 2000, 753) oder, mit dem in der Wendezeit in der DDR üblichen Namen bezeichnet, der “Demo-Spruch”. Diese Texte sind zwar mit den Wahlslogans bürgerlicher Demokratien vergleichbar, da auch sie politischen Inhalt und politische Intention aufweisen, sie weichen aber hinsichtlich ihrer Funktion ab; sie werden im instrumentalen Sprachspiel als Mittel des Widerspruchs verwendet. Dass natürlich auch Slogans dem Widerspruch dienen – z.B. dem einer Partei gegenüber einer anderen –, gehört zu den Verfahren des auf Gewaltenteilung beruhenden bürgerlichen Systems und ist durch das demokratische Prinzip legitimiert. Es geht bei Protestparole und Demo-Spruch aber um von Bürgern, nicht von Parteien ausgeübte “Kritik und […] Meinungsbeeinflussung” (Klein 2000, 753). Die – externen – Emittenten dieser Texte sind z.B. Mitglieder von außerparlamentarischen Bewegungen, Bürgerinitiativen und Protestgemeinschaften. Zu den Texten gehören z.B. Protestparolen der APO der sechziger Jahre des 20.Jhs. und die gegenwärtig von der Non Government Organisation ATTAC gegen die Globalisierung und die WTO gerichteten Spruchtexte. (9) Wir sind die, vor denen uns unsere Eltern immer gewarnt haben.
(10) Lasst uns die Entwaffnung globalisieren. (11) G8 – illegal. (2003 in Evian) Neben diesen stehen Texte mit vergleichbarer Funktion, die in totalitären Systemen halblegal oder illegal verfasst und verbreitet werden. Die hier gemeinte Textsorte “DemoSpruch” wird in Wörterbüchern nicht genannt, die Benennung kommt nur mündlich, z.B. in Zeitzeugenberichten, vor. Sie ist reserviert für spruchartige Äußerungen, wie sie z. B. auf den Demonstrationen des Herbstes 1989 in der DDR (und vergleichbar in den Ländern des Ostblocks) verwendet wurden. Durch diese nicht vorgegebenen Sprüche, hinter denen eine Vielzahl von (noch nicht legalisierten) Gruppen steht, wird das Prinzip des Systems selbst angegriffen. Während die Losungen der DDR einen einzigen Emittenten, die SED, haben, von der alle Bürger des Landes gemeinsam als einheitliche Adressatengruppe angesprochen werden, gibt es mit den Demo-Sprüchen eine zunächst nicht überschaubare und vielfältig orientierte Menge von Emittentengruppen, die sich an differenzierte Interessengruppen wenden. Das erklärt, dass die Texte im Verständnis der Mächtigen illegal und gefährlich waren. Man findet hier alle rhetorisch-stilistischen Elemente, die Sprüchen den Charakter von Wiedergebrauchsrede geben, auch spielerische, humoristische, intertextuelle Elemente (12, 13, 14, vgl. Fix 1990). Es sind Texte, zu denen sich ihre Urheber(gruppen) bekennen. Sie werden öffentlich getragen oder gesprochen. Die Beteiligten machen von ihrem formal zwar zugestandenen, aber faktisch verhinderten Recht des instrumentalen Sprachspiels Gebrauch. (12) SED - Sicher Ein Debakel (13) Verdummung und Stolz wachsen auf einem Holz. (14) Lügen haben kurze Beine. Gysi zeig uns doch mal deine. Die Spruchtextsorte Graffito, bisher kaum Gegenstand der sprachwissenschaftlichen Beschäftigung, ist, wenn sie politische Inhalte hat, ebenfalls ein Element des instrumentalen Sprachspiels. Graffiti werden in Wörterbüchern in der Regel lediglich als Technik, nicht als Textsorte angeführt. Wenn sie definiert werden, dann, indem das Trägermedium zum Definiens gemacht wird. So spielen in den Darstellungen des Phänomens Graffito weder typische Inhalte noch typische Funktionen oder gar sprachliche Besonderheiten eine Rol-
40. Der Spruch – Slogans und andere Spruchtextsorten
le. Es sind Texte, die außerhalb der Spielregeln des demokratischen Diskurses und anonym verwendet werden. Anders als der Demo-Spruch bzw. die Protestparole geben Graffiti keine Auskunft über ihre Urheber. Ihre Signaturen (“tags”) werden nur von Insidern verstanden, ihre Sprache dient zur Abgrenzung nach außen (Skrotzki 1999, 45). Die Emittenten sehen sich in einem asymmetrischen Verhältnis und richten ihre Proteste von “unten” nach “oben” bzw. an Gleichgesinnte “neben” sich, um deren Orientierung und deren Normen, deren “private Utopien” (Neumann 1991, 270) es ihnen geht. Graffiti sind demnach Indikator und Ventil für Lebensgefühl und gesellschaftliche Konflikte. Ihre Themen, Sprachhandlungen und Mittel können mit denen der Demo-Sprüche oder Protestparolen übereinstimmen. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass Graffiti Äußerungen von Gruppen oder Individuen sind, die außerhalb der Parlamente und Bürgerbewegungen gebraucht werden. Sie sind ein an “Gruppen und Gangs” (Neumann 1991, 15) gebundenes politisches und ästhetisches Phänomen, Ausdruck einer selbst gewählten Subkultur, definiert durch einen bestimmten Ort. (15) 89 auf die Straße gegangen – 90 auf die Straße geworfen? (1990, Mauer in Leipzig). (16) Armut ist nicht naturgegeben. (2001, Mauer in Leipzig). Ihre Urheber bleiben, wohl in ihrem Selbstverständnis als “Außenseiter”, anonym, wenn sie auch mit Namen und Namensbildern spielen. In dieser Konstellation, die in hohem Maße vom politischen Verständnis der Urheber abhängig ist, liegt der gravierende Unterschied zu den anderen instrumental gebrauchten politischen Spruchtextsorten.
5.
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Ulla Fix, Leipzig (Deutschland)
41. Phraseologische/formelhafte Texte 1. 2. 3. 4. 5.
1.
Begriffsbestimmung anhand eines Beispiels Formelhafte Texte als Gegenstand der Phraseologieforschung Andere Zugänge zum Phänomenbereich formelhafte Texte Vorgeformtheit als Formulierungsressource Literatur (in Auswahl)
Begriffsbestimmung anhand eines Beispiels
verehrte fahrgäste wir befinden uns in der ANfahrt auf (.) hamm in west(.)falen, &sie erreichen dort alle planmäßigen anschlussmöglichkeitn; (–) ↑bitte beachten sie (.) folgenden hinweis (-) IN hamm wird unser zug mit einem weiteren (-) aus düsseldorf
kommenden zugteil (.) vereinigt (–) dazu is=es notwendig dass: unser zug (.) am bahnsteig kurz zum HALTN kommt, (-) An den anderen zug MIT (.) geringer geschwindigkeit (.) heranfährt, (-) und erst, (.) NACH (.) verbindung der beiden zugteile lassen sich dann die:; (.) TÜren öffnen; (-) (und?) wir bitten (auch?) ein wenig geduld; (–) wir: ver↑ABschieden uns von den fahrgästen die in hamm westfalen den zug verlassen &danken für ihre reise mit der deutschen bahn, & wir hoffen dass es ihnen an bord unseres intercity express gefallen hat, .h wünschen ihnen noch einen angenehmen tag (Corpus K.Schindler 10/2001; Transkriptionskonventionen nach GAT)
Reisende, die diese Ansage hören, werden sie als vertraut empfinden, auch wenn sie genau diesen Wortlaut mit genau dieser prosodi-
41. Phraseologische/formelhafte Texte
schen Gestaltung noch nicht gehört haben. Auch der Zugchef, der die Ansage macht, produziert den Text in genau dieser verbalen und prosodischen Form vermutlich nur einmal, aber er benutzt bei jeder Ansage vor jedem neuen Bahnhof bestimmte wiederkehrende inhaltliche und formale Elemente. Wenn wir sprachliche Produkte dieser Art als “formelhafte Texte” bezeichnen, dann meinen wir damit, dass Sprecher bei der Äußerungsproduktion auf solche vorformulierten Elemente rekurrieren und sich einer vorgegebenen Gesamtstruktur bedienen und dass Rezipienten diese Elemente und diese Struktur auch als vorformuliert oder vorgegeben erkennen und einer bestimmten Kommunikationssituation zuordnen. Formelhafte Elemente fungieren also als Kontextualisierungsmerkmal. Dabei ist der Terminus “formelhaft” nicht bewertend oder gar abwertend zu verstehen, sondern beschreibend im Sinne von “vorgeformt”, oder “vorgefertigt”. Texte sind nicht deshalb formelhaft, weil formelhafte Ausdrücke aneinandergereiht werden, sondern die gesamte Struktur, die Auswahl und häufig auch die Reihenfolge der Elemente sind vorformuliert oder vorgeprägt. Das bedeutet jedoch nicht, dass immer wieder identische Texte produziert würden, also beispielsweise alle Ansagen im ICE völlig gleichlautend wären, sondern es müssen immer wieder Anpassungen an Zeit und Ort und andere situative Umstände vorgenommen werden. Der Zugchef reproduziert nicht in Bielefeld die Ansage aus Hamm, sondern er bedient sich bei der Ansage in Bielefeld bestimmter Elemente, die er in Hamm auch benutzt hat und später in Hannover oder anderen Orten auch benutzen wird. Anders gesagt: Er bedient sich einer Art Schablone mit wiederkehrenden Ausdrücken (z.B. „wir befinden uns in der Anfahrt auf...“, ”wir verabschieden uns von den Fahrgästen die...“ u.a.), in die jeweils aktuelle neue Elemente wie Ort (Hamm in Westfalen), Zeit (häufig Angaben wie z.B. ‘in wenigen Minuten’), Besonderheiten der jeweiligen Station (Zugteilung in Hamm) integriert werden. Für die Reisenden als Rezipienten sind die aktuellen Elemente die eigentlich informativen, aber die Schablone ermöglicht es, sie zu verstehen und in den Gesamtzusammenhang einzuordnen. In vielen gesellschaftlichen Bereichen haben sich für Aufgaben, die sich den Mitgliedern immer wieder stellen, feste Formen bzw. “kommunikative Gattungen” (im Sinne von
469
Luckmann 1986) ausgebildet, auf die die Mitglieder bei der Lösung dieser Aufgaben zurückgreifen. Formelhafte Texte – die Bahnansagen sind ein Fall unter vielen anderen – sind in hohem Maße routinisierten oder standardisierten kommunikativen Gattungen zuzuordnen, die den Kommunikationsteilnehmern für die Bewältigung rekurrenter Aufgaben zur Verfügung stehen, d.h. ihnen in ihrer Formulierungstätigkeit (beim Sprechen und beim Schreiben) ebenso wie im Verstehen (beim Hören und Lesen) als Modell dienen. Die Entstehung formelhafter Texte für Bahnansagen hat man in jüngster Zeit beobachten können: Der Ausdruck “wir befinden uns in der Anfahrt auf...”, die Verabschiedung, der Dank und die Wünsche ebenso wie die Begrüßung der zugestiegenen Fahrgäste haben sich erst in den letzten Jahren offenbar nach dem Modell der Ansagen im Flugzeug entwickelt. Formelhaftigkeit oder Vorgeformtheit ist nicht nur auf verbaler Ebene zu beobachten, sondern hinzu kommen bei mündlichen Texten prosodische und u.U. auch mimisch-gestische Muster, bei schriftlichen Textgestaltung und Layout. Im eingangs zitierten Beispieltext können die Verteilung der schnellen Anschlüsse(&), die Verzögerungen (hier als Mikropausen durch (.) notiert) und auch einige Akzente (Großbuchstaben) als solche prosodischen Muster gelten. Auffällig ist vor allem der Übergang (er wurde hier als “schneller, munterer” charakterisiert) von der Information über die Trennung der beiden Zugteile, die spezifisch für den Bahnhof in Hamm ist, zu der hochgradig konventionalisierten Abschieds- und Dankesformel, die in jeder Ansage den Schluss des formelhaften Textes bildet und – abgesehen von dem jeweils einzusetzenden Ortsnamen - nur geringe Variation aufweist. Die Sprechweise kennzeichnet also die Rückkehr zu einem höheren Grad an Formelhaftigkeit nach einem Textteil mit einem geringeren Grad. Als Charakteristika formelhafter Texte lassen sich also festhalten: eine vorgeformte Struktur, konstante inhaltliche Komponenten in einer mehr oder weniger konstanten Reihenfolge und der Gebrauch formelhafter bzw. vorgeformter Ausdrücke (vgl. Gülich 1988/ 1997, 54; Stein 2001, 26 ff). In eine knappe Form gebracht: “Die Formelhaftigkeit von Texten resultiert (...) aus der Kopräsenz inhaltsseitiger und ausdrucksseitiger Konstanz” (Stein 2001, 27). Dabei sind Texte nicht ent-
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X. Besondere Typen von Phrasemen/Particular types of set phrases
weder formelhaft oder frei formuliert, sondern es gibt (wie bei Phraseologismen überhaupt) Gradunterschiede zwischen mehr oder weniger formelhaften Texten je nach dem, wie fest der Rahmen oder die Struktur und wie hoch der Anteil situationsspezifisch eingesetzter Elemente ist und auch in welchem Ausmaß sie aus formelhaften Ausdrücken bestehen. Ansagen in der Bahn oder im Flugzeug weisen einen hohen Grad an Formelhaftigkeit auf, aber beispielsweise rituelle Texte wie Gebete oder Eides- bzw. Versicherungsformeln sind in höherem Maße formelhaft, Begrüßungsansprachen oder Grußworte hingegen in geringerem Maße. Sowohl in mündlicher als auch in schriftlicher Kommunikation gibt es zahlreiche Beispiele für rekurrente Aufgaben, die durch formelhafte Texte bewältigt werden können. Untersucht wurden unter diesem Aspekt z.B. Todesanzeigen (vgl. unten Abschn. 3.1), Danksagungen (Gülich 1988/97, Stein 1995), Grußworte (Antos 1986, 1987 a und b), Absagebriefe (Drescher 1994), Ausflugsankündigungen (Stein 1995), Kündigungsbestätigungen (Stein 2001), Abstracts (Gülich/Krafft 1998), politische Texte (Fix 1994, Pappert 2003) und viele andere (vgl. dazu auch Abschn. 3). Wenn nicht nur Phraseologismen im engeren Sinne, sondern in einem weiteren Verständnis auch andere formelhafte Ausdrucksweisen zum Forschungsgegenstand der Phraseologie gehören, dann gibt es gute Gründe, auch Phraseologismen auf Textebene anzunehmen und somit die Phraseologieforschung um einen komplexen und durchaus eigenständigen Gegenstandsbereich, den der formelhaften Texte, zu erweitern. Die Entwicklung, die zur Wahrnehmung und Definition dieses Gegenstands geführt hat, soll im folgenden skizziert werden.
2.
Formelhafte Texte als Gegenstand der Phraseologieforschung
Dass eine Entwicklung stattgefunden hat, zeigt allein schon die Tatsache, dass im vorliegenden Handbuch den formelhaften Texten ein eigener Artikel gewidmet wird; im Handbuch von Burger/Buhofer/Sialm 1982 war das nicht der Fall. Ebenso wird die Entwicklung deutlich, wenn man die Neuauflage von Fleischer (1997) mit der Auflage von 1982 vergleicht: In Fleischers Überblick über die Forschungsentwicklung seit Beginn der 80er Jahre wird die Frage “Phraseologismen als
formelhafte Texte?” immerhin gestellt, wenn sie auch – in Auseinandersetzung mit Stein (1995) – eher skeptisch behandelt wird (Fleischer 1997, 258f). Für die Erweiterung des Gegenstandsbereichs der Phraseologie lassen sich verschiedene Argumente anführen, die hier nur knapp zusammengefasst werden können (ausführlicher: Gülich 1988/97, Gülich/Krafft 1998, Stein 1995, 2001, 2004). Ein Argument ergibt sich aus einem entscheidenden Schritt in der Erweiterung des Gegenstandsbereichs der Phraseologie, der sich als folgenreicher erwies, als man seinerzeit geahnt hätte: der Einbeziehung der “pragmatischen Idiome” (Burger 1973) bzw. der “pragmatischen Phraseologismen”, wie sie später genannt wurden (Burger/Buhofer/Sialm 1982). Unter der Bezeichnung “Routineformeln” oder “diskursive Routinen” wurde dieser Bereich vor allem in Arbeiten von Coulmas (1981, 1985) genauer untersucht. Die Begriffsbestimmungen und Beispiele für Routineformeln lassen keinen Grund erkennen, neben Gruß- oder Dankesformeln nicht auch komplexere sprachliche Einheiten wie Begrüßungsansprachen oder Danksagungen als Routinen auf Textebene zu betrachten. Bestimmte soziale Aufgaben sind eben nicht durch einfache formelhafte Ausdrücke zu lösen, sondern es besteht – wie z.B. für Grußworte “ein Zwang zur begrenzten textuellen Expansion” (Antos 1986, 56). Das Gesagte gilt sinngemäß auch für den Begriff “wiederholte Rede”, den Burr (z.B. 1997) im Anschluss an Coseriu ihren Corpusuntersuchungen zugrunde legt: Theoretisch ließe er sich ohne weiteres auf komplexere Einheiten beziehen, de facto wird er aber nur auf Phraseologismen im engeren Sinne bezogen. Ein anderes Argument für die Einbeziehung formelhafter Texte lässt sich aus den Beschreibungen der “Phraseoschablonen” von Fleischer (1982) bzw. der “Modellbildungen” bei Burger/Buhofer/Sialm (1982) ableiten: Wenn nach “Modellen” wie von Tag zu Tag oder Sicher ist sicher zahlreiche weitere Ausdrücke gebildet werden können, liegt es nahe, die Produktion von Bahnansagen, Todesanzeigen oder Begrüßungsansprachen in ähnlicher Weise als Rekurs auf Modelle oder Bearbeitung von Schablonen zu beschreiben, denn auch hier werden in eine feste Struktur variable Elemente eingefügt. Schließlich hat sicher auch das zunehmende Interesse der Phraseologieforschung
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41. Phraseologische/formelhafte Texte
an textbezogenen und pragmatischen Aspekten für die Öffnung zu “formelhaften Texten” eine Rolle gespielt (vgl. dazu z.B. Gréciano 1987, Fleischer 1997, 261 ff; diese Orientierung wird deutlich in Sammelbänden wie Sabban 1997 oder Wirrer 1998). Auch wenn sich also aus der Phraseologieforschung durchaus Argumente für die Einbeziehung formelhafter Texte anführen lassen (vgl. dazu auch unten 4.1.), wird diese phraseologische Ausdrucksform in den Standardwerken der Phraseologie noch als Randerscheinung behandelt, wie die wenigen Bemerkungen bei Burger (1998/2003) zeigen: Sie werden zwar als “Text-Muster” charakterisiert, “die in ähnlicher Weise ‘vorgefertigt’ sind wie Phraseologismen” (Burger 1998, 54), aber sie werden nicht weiter behandelt. Für eine adäquate Einordnung der formelhaften Texte in die bisherige Forschung sind daher auch andere Bereiche der Linguistik zu berücksichtigen, in denen Formelhaftigkeit eine Rolle spielt: insbesondere Textsortenforschung, Stilistik und Ritualforschung.
3.
Andere Zugänge zum Phänomenbereich formelhafte Texte
3.1. Textsortenlinguistik und Stilistik Kontrastive Textsortenbeschreibung In der Textsortenforschung spielen formelhafte Texte de facto eine wichtige Rolle, auch wenn sie nicht immer als solche kategorisiert werden. M.a.W.: Es werden häufig Textsorten untersucht, die in hohem Maße konventionalisiert oder standardisiert und somit auch formelhaft sind, aber in diesem Kontext richtet sich das Forschungsinteresse nicht ausdrücklich auf den Aspekt der Formelhaftigkeit. Bei den vielfältigen Versuchen, Kriterien für die Differenzierung von Textsorten zu finden, die in der Textlinguistik seit Beginn der 70er Jahre unternommen worden sind, werden oft stark konventionalisierte oder standardisierte Textsorten gewählt, weil in den ihnen zuzuordnenden Texten textsortenspezifische Strukturen und andere Texteigenschaften besonders gut zu erkennen sind. Das gilt besonders auch für Textsortenvergleiche in verschiedenen Sprachen, angefangen von den frühen Arbeiten von Spillner (z.B. 1983), der an Wetterberichten die Notwendigkeit des interlingualen Textvergleichs aufzeigte, bis zu dem Salzburger Forschungsprojekt zur “kontrastiven Textologie” (vgl. z.B. Eckkrammer/ Hödl/Pöckl 1999), in dem mit Todesanzeigen,
Packungsbeilagen, Kochrezepten, Kontaktanzeigen und gesetzlichen Verordnungen “typologisch eindeutige klassifizierbare” Textsorten mit “rigiden analysetechnisch sehr gut fassbaren” Strukturen ausgewählt wurden (Eckkrammer 2002, 19). Zu solchen Textsorten gibt es auch unabhängig von dem Salzburger Projekt eine ganze Reihe von Untersuchungen (vgl. z.B. die Literaturangaben in Eckkrammer (2002) und Drescher (2002b) zu Todesanzeigen, ebenso in Eckkrammer/Hödl/ Pöckl 1999 zu Packungsbeilagen, Kontaktanzeigen und Kochrezepten sowie die einschlägigen Angaben in der Bibliographie von Adamzik (1995). Dabei richtet sich die Aufmerksamkeit in einigen Forschungen auch auf die historische Herausbildung und Entwicklung der betr. Textsortenkonventionen – einen Aspekt, der für die Analyse formelhafter Texte durchaus fruchtbar sein kann, wenn gezeigt werden kann, wie Textsorten als “Ordnungsinstrumente” “auch für den historischen Akteur Orientierungshilfe bei der Produktion und Rezeption von Texten” leisten (Frank-Job 2002, 171; vgl. auch die Untersuchung von Rechnungsbüchern von Tophinke 1999). So zeigt Eckkrammer (2005) in ihrer umfangreichen Untersuchung medizinischer Ratgeberschriften, wie die Makrostruktur dieser Textsorte von mittelalterlichen Pesttraktaten bis zu modernen Schriften beispielsweise über HIV/AIDS über die Jahrhunderte hinweg im wesentlichen erhalten geblieben ist. Das gilt interessanterweise auch für bestimmte Bildtypen, die fester Bestandteil der Textsorte sind, während sich bei formelhaften Standardformulierungen im 20. Jahrhundert stärkere Veränderungen ergeben. Auch in den Arbeiten über andere als die oben genannten Textsorten finden sich, auch ohne dass die Aufmerksamkeit primär auf den formelhaften Charakter gelenkt würde, wichtige Anregungen für die Beschäftigung mit formelhaften Texten, z.B. wenn es um die Erlernbarkeit einer Textsorte geht wie bei Untersuchungen zu “Abstracts” (vgl. z.B. Kaplan et al. 1994) oder um die Lösung von Problemen bei der Kommunikation mit dem Anrufbeantworter (Knirsch 2005). 3.1.1. Textsorten als Lösungen für Formulierungsaufgaben In der Untersuchung von Hausendorf (2000) zur ‘Zuschrift’ wird ein Beschreibungsansatz vorgestellt, den wir auch für die Analyse for-
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X. Besondere Typen von Phrasemen/Particular types of set phrases
melhafter Texte vorschlagen: nämlich als Gegenstand der Analyse die “Lösung textsortengenerierender Probleme mit sprachlichen und nicht-sprachlichen Verfahren” ins Auge zu fassen (Hausendorf 2000, 240). Diesen Aspekt macht auch Adamzik (1995) in ihrem umfassenden und differenzierten Überblick über die Textsortenforschung geltend. Texte, zwischen denen sich große Ähnlichkeiten feststellen lassen, weil sie “mithilfe derselben Gussform, entsprechend einem vorgeprägten Modell hergestellt sind”, werden Konventionen oder Schemata zugeordnet, die sich “durchaus unsystematisch, nämlich nach dem jeweiligen kommunikativen Bedarf” herausbilden (Adamzik 1995, 28). Adamzik schlägt für diese Fälle den Terminus “standardisierte Textsorten” vor, um auch terminologisch “kommunikative Routinen auf Textebene” von “Texttypen” zu unterscheiden (Adamzik 1995, 29). Aus ihrer Sicht sind diese Textsorten vor allem “unter praktischen, anwendungsbezogenen Gesichtspunkten” von Interesse – gemeint ist insbesondere der muttersprachliche und fremdsprachliche Unterricht, der entsprechende Textkompetenzen zu vermitteln hat (Adamzik 1995,29; 2001, 22). Dabei wird Standardisierung durchaus als graduelles Phänomen gesehen (1995, 30), so dass nicht zwischen standardisierten und nicht standardisierten Texten unterschieden wird, sondern zwischen mehr oder weniger standardisierten. Die häufige Beschäftigung der textlinguistischen Forschung mit standardisierten Textsorten hält Adamzik allerdings nicht mehr für ertragreich; sie erbringt ihrer Meinung nach “nur relativ uninteressante und großenteils triviale Erkenntnisse” (2001, 23). Dagegen sieht sie einen größeren Forschungsbedarf im Bereich “anspruchsvollerer und längerer Texte, die sich nicht weitgehend aus einer begrenzten Menge vorformulierter Versatzstücke zusammensetzen” (2001, 22), da hier “neben der Musterkomponente, dem Vorgeprägten und Überlieferten, die kreative oder individuelle Komponente eine entscheidende Rolle” spielt (ebd., 23). Die Rolle des Vorgeformten für die Textproduktion wird hier in einer reinen Reproduktionstätigkeit gesehen und mit dem Ausfüllen eines Formulars verglichen. Diese Sicht, die in vielen Arbeiten zum Ausdruck kommt, erscheint uns einseitig und somit revisionsbedürftig (vgl. dazu unseren Vorschlag unten in 4.2).
Eine andere Einstellung nimmt Antos in seinen Arbeiten zur Textsorte ‘Grußwort’ ein (1986, 1987a und b): Er formuliert Regeln für die Produktion solcher Texte und arbeitet einerseits deren Formelhaftigkeit deutlich heraus, zeigt aber andererseits auch die Reichhaltigkeit des “Kompositionsmusters” (Antos 1986, 72 ff) und erläutert daran seine Konzeption von Stil, “die an der Variabilität von Vollzügen ansetzt und sie zum Ausgangspunkt einer Stilbeschreibung macht” (ebd. 74). Erwähnenswert ist dabei, dass Antos selbst seine Untersuchungen in drei verschiedene Forschungskontexte einordnet, in den der Stilistik (Antos 1986), in die Textsortenforschung (1987a), und in die Ritualforschung (1987b). Dadurch wird deutlich, dass Formelhaftigkeit von Texten, auch wenn sie nicht als zentraler Untersuchungsgegenstand behandelt wird, für verschiedene Forschungskontexte relevant ist, wobei der jeweilige Forschungskontext natürlich zu unterschiedlichen Akzentuierungen führt. Die Beschäftigung mit Formelhaftigkeit im Rahmen der Stilistik weist allerdings enge Bezüge zur Textsortenforschung auf. Der in der Stilistik bevorzugte Terminus “Textmuster” wird oft ähnlich verwendet wie anderweitig “Textsorte” (vgl. z.B. Antos 1987a, 159; Sandig 1987, 117f., 1989, 135), wenngleich er in der handlungsorientierten Stilistik-Konzeption Sandigs eine deutlich handlungsbezogene Komponente aufweist – er wird abkürzend für “Texthandlungsmuster” verwendet (vgl. dazu auch Klein 2000). Dementsprechend wird hier die Funktion der Aufgabenlösung in den Vordergrund gestellt: Textmuster sind “zu bestimmten gesellschaftlichen Standard-Zwecken ausgebildete Einheiten”, d.h. “standardisierte Mittel für die Lösung sozial relevanter Aufgaben” (Sandig 1987, 117). Solche Funktionen werden häufig auch Ritualen zugeschrieben. 3.2. Ritualforschung Bei der Analyse ritueller Kommunikation haben vorgegebene Strukturen und vorformulierte Formen einen zentralen Stellenwert; daher ist auch dieses Gebiet für die Beschreibung formelhafter Texte relevant. Ein wichtiger Unterschied zwischen formelhaften Texten generell und Ritualen besteht allerdings darin, dass es sich bei letzteren um Formen symbolischer Kommunikation handelt – häufig wird von einem “rituellen Mehrwert”
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41. Phraseologische/formelhafte Texte
gesprochen. Die Definitionen, was darunter genau zu verstehen ist, gehen weit auseinander, zumal der Begriff “Ritual” für höchst unterschiedliche Erscheinungsformen von Kommunikation verwendet wird: im Anschluss an Goffman (1971) für ‘Interaktionsrituale’, also alltägliche Routinen und Formen ritueller Kommunikation in Gesprächen (vgl. dazu die in Stein 1994 referierte Literatur) – ein besonders beliebtes Beispiel sind Grußformeln (vgl. z.B. Hartmann 1973) – ebenso wie für kirchliche Rituale (vgl. z.B. Werlen 1984, Paul 1990). Rituale – welcher Art auch immer – werden im allgemeinen als stabile Handlungsmuster charakterisiert, sie werden als sinnleer, informationslos und grundsätzlich wiederholbar bezeichnet (Hartmann 1973, 140 ff). Formelhaftigkeit gilt als ein unverzichtbares Merkmal von Ritualen; sie erscheint in verschiedenen Formen, auch in der formelhafter Texte (Antos 1987b, 13 f). Letztere gelten bei Antos (1987b, 35) als Kriterium für die Institutionalisierung der von ihm beschriebenen Textsorte ‘Grußwort’; “denn hier verselbständigen sich Texte von den konkreten Anlässen, zu denen sie gemacht sind, vollständig” (Antos 1987b, 35). Da formelhafte Texte in rituellen Kommunikationszusammenhängen – beispielsweise Gebete, Tauf- und Trauformeln oder auch Eidesformeln – einen hohen Grad an wörtlicher Übereinstimmung aufweisen, wird oft angenommen, dass in Ritualen nicht wirklich gehandelt, sondern dass das Ritual “nur” vollzogen wird. In seiner empirischen, von der ethnomethodologischen Konversationsanalyse inspirierten Untersuchung kirchlicher und anderer Rituale zeigt Paul (1990) jedoch, dass Rituale “nicht immer aus vorgefertigten Sätzen und wiederkehrenden Handlungsmustern, sondern auch aus reflektierenden, kommentierenden und moderierenden Äußerungen der Aktanten” bestehen. Vor allem betont er die “Partikularität und Singularität jedes Kommunikationsereignisses” und zeigt, dass “der Kontext, in dem Ritualität von den Beteiligten erlebt und vollzogen wird, jedes Mal wieder neu hergestellt werden muß” (Paul 1990, 11). Dieser Aspekt sollte u.E. grundsätzlich der Analyse formelhafter Texte zugrunde gelegt werden. Dazu bedarf es allerdings eines Konzepts, das schon im Kernbereich der Phraseologie die formelhaften Ausdrücke nicht als Fertigteile definiert, die nur reproduziert wer-
den müssen, sondern das dem Herstellungscharakter und der Prozesshaftigkeit ihrer Produktion Rechnung trägt. 3.3. Fazit Die zunehmende Ausweitung des Gegenstandsbereichs der Phraseologie hat – wie Stein (1994) in seinem Forschungsüberblick anmerkt – dazu geführt, dass die Ränder dieses Gebiets unscharf geworden sind und Abgrenzungsschwierigkeiten zu oder Überschneidungen mit anderen linguistischen Teilbereichen bestehen. Das Konzept der formelhaften Texte, wie wir es dargestellt haben, wurde in der Phraseologie entwickelt (Gülich 1988/97, Stein 1995). Andere Ansätze kamen vor allem aus Textlinguistik, Stilistik und Ritualforschung. Dabei ergaben sich zahlreiche Berührungspunkte, die allerdings in den verschiedenen Teildisziplinen kaum thematisiert werden; denn diese haben unterschiedliche Forschungstraditionen ausgebildet und nehmen sich nicht unbedingt wechselseitig zur Kenntnis. Von daher ist ein einheitliches Konzept “formelhafter Text” kaum zu erwarten, auch wenn sich in den verschiedenen Ansätzen durchaus Gemeinsamkeiten feststellen lassen. Ein gemeinsames Merkmal liegt z.B. darin, dass sich die genannten Arbeiten - wie überhaupt ein großer Teil der textlinguistischen Forschung - auf Texte als Produkte, nicht auf die Textproduktion als Prozess beziehen. Dies trifft selbst dann zu, wenn formelhafte Texte als Lösung von Formulierungsaufgaben aufgefasst werden. Auf diese Weise wurden in der bisherigen Forschung Struktureigenschaften formelhafter Texte, Merkmale der Konventionalisierung, Gradunterschiede in der Formelhaftigkeit, vorgegebene und variierende Elemente herausgearbeitet; dazu wurden vornehmlich schriftliche und schriftlich vorbereitete Texte herangezogen. Die Berücksichtigung dynamischer und interaktiver Aspekte von Formelhaftigkeit im Prozess der Formulierungstätigkeit und beim konversationellen Umgang oder der Bearbeitung formelhafter Elemente bleibt damit ein Desiderat. Um Aspekte der Prozesshaftigkeit und der Interaktion in die Untersuchung formelhafter Texte integrieren – nicht einfach nur hinzufügen – zu können, muss u.E. schon der Beschäftigung mit Phrasemen von vornherein ein anderes Konzept von Vorgeformtheit zugrunde gelegt werden.
474
4.
X. Besondere Typen von Phrasemen/Particular types of set phrases
Vorgeformtheit als Formulierungsressource
Das Konzept der “formelhaften Texte” hat sich aus der phraseologischen Forschung entwickelt und dabei deren Prämissen übernommen. Dies gilt insbesondere für die Konzeption der Phraseme als Zeichen, die das Lexikon dem Sprecher zur Verfügung stellt, der sie dann bei Bedarf reproduziert (1), und für die Definition und Strukturierung des Gegenstandsbereichs der phraseologischen Forschung (2). (1)
(2)
In der phraseologischen Forschung wird die Verwendung eines Phrasems als Reproduktion einer prinzipiell fertigen Formulierung verstanden. Wie ein einfaches Lexem muss es gegebenenfalls morphologisch und syntaktisch der Umgebung angepasst werden. Darüber hinaus, und anders als beim einfachen Lexem, ist es oft möglich, das Phrasem beim Gebrauch abzuwandeln. Dies geschieht allerdings in bestimmten Grenzen, und es kann ein interessantes Forschungsvorhaben sein, diese Grenzen für bestimmte Ausdrücke auszuloten (z.B. Sabban 1998). Dieser Anschauung entspricht auf Textebene die Vorstellung des formelhaften Textes als einer vorgegebenen Formel (z.B. Eidesformel) oder als eines Formulars, das man durch Variablen ergänzt, oder als einer (komplexen) Struktur, die situationsspezifisch zu konkretisieren ist und dabei innerhalb bestimmter Grenzen abgewandelt werden kann (z.B. Todesanzeige, Begrüßungsansprache bei einem offiziellen Ereignis, Abstract, Wetterbericht usw., s. o. 3.1). Der Gegenstandsbereich der Phraseologie definiert und strukturiert sich aus der Definition dessen, was als phraseologischer Ausdruck angesehen werden soll. Üblicherweise werden die drei definitorischen Merkmale der Polylexikalität, der Stabilität und der Idiomatizität angeführt. Polylexikalität und Stabilität sind Definitionskriterien des Ausdrucks. Entscheidend ist das Kriterium der Idiomatizität, die stark oder schwach sein kann (Burger 1998/ 2003, 31f.). Stark idiomatische Ausdrücke (idioms of decoding), bilden den Kern, schwach idiomatische Ausdrücke (idioms of encoding) die Peripherie des Gegenstandsbereichs der Phraseologie. Dementsprechend betrachtet man stark “idiomatische” Texte als, wenn man so sagen darf, formelhafteste Texte. Es sind Texte, deren Realisierung syntaktische oder semantische “Defekte” zulässt oder erfordert und die man nicht nur zu verfassen, sondern manchmal auch zu lesen lernen muss. Kandidaten für diesen Kernbereich wären etwa Anzeigen (Todesanzeigen, Kontaktanzeigen, Stellenanzeigen usw.). Im weiteren Sinn formelhaft wären Texte, die keine Defekte
aufweisen, aber mehr oder weniger verbindliche, manchmal sehr genaue Präferenzen für bestimmte syntaktische Formen, lexikalische Wahlen (inkl. phraseologische Ausdrücke), Länge, Strukturierung usw. vorgeben (Geschäftsbriefe, Gutachten, Danksagungen usw.).
Gibt man diese phraseologischen Prämissen auf, dann kommt man zu einer anderen Konzeption des formelhaften Textes. Feilke hat ein sprachtheoretisches, genauer: zeichentheoretisches Konzept vorgelegt, in dem der Gegenstandsbereich der Phraseologie neu strukturiert wird (4.1.). Konversationsanalyse und Formulierungstheorie betrachten Phraseme und Texte nicht als fertige Produkte, sondern unter dem Gesichtspunkt ihrer Herstellung (4.2.). Diese beiden neuen Prämissen enthalten selbst noch keine Konzeption für den formelhaften Text, können aber auf diesen Gegenstandsbereich angewendet werden. Wie dabei der formelhafte Text konzipiert werden kann, wird im folgenden skizziert. 4.1. Das zeichentheoretische Konzept der “Prägung”. In seinen sprachtheoretischen Überlegungen setzt Feilke nicht an der Idiomatizität der Phraseme an. Vielmehr untersucht er die (polylexikalen und stabilen) Ausdrücke, die, so sein Konzept, eine eigene Zeichenebene zwischen dem Wort und dem Text konstituieren. Der Ausdruck ist Teil des Sprachsystems (Feilke 2004, 59). Idiomatische Ausdrücke im Sinne der Phraseologie, also Ausdrücke mit syntaktischen und vor allem semantischen Defekten, bilden in diesem weiten Bereich (“Kollokationen”) eine relativ kleine Gruppe. Die überwältigende Mehrheit der Ausdrücke wird semantisch und syntaktisch regulär gebildet und interpretiert. Trotzdem stellt Feilke für die ganze Gruppe der Ausdrücke eine “idiomatische Prägung” fest. Diese Prägung kann prinzipiell zwei Formen annehmen: a) Der Gebrauch der Ausdrücke ist “durch konventionelle Präferenzen bestimmt” (Feilke 1998, 72), die vor allem die lexikalische und syntaktische Form betreffen und mehr oder weniger verpflichtend sein können. Durch diese Präferenzen werden die Ausdrücke zu idioms of encoding (Beispiel: Zähne putzen, Haare waschen, Fingernägel reinigen). Dies wird bei Burger als “Idiomatizität im weiteren Sinne” erfasst. Auch eine auf den ersten Blick völlig unauffällige Äußerung wie er sitzt in der Sonne kann sich als idiomatisch geprägt erweisen, wie der Vergleich mit dem unüblichen *er sitzt im Mond zeigt.
41. Phraseologische/formelhafte Texte b) Viele Ausdrücke haben eine “kompositionell nicht prädiktable, präferentielle Bedeutung” (Feilke 1998, 74). Diese Bedeutung betrifft die “Typik der Interpretation des Ausdrucks hinsichtlich spezifischer usueller Verwendungskontexte” (Feilke 1998, 76). Beispiele: Mit dem Ausdruck das kann jedem passieren entschuldigt man ein Versehen oder eine Ungeschicklichkeit des Partners; das Tanzbein schwingen konnotiert eine festliche Situation; plötzlich und unerwartet steht in einer Todesanzeige usw. Ebenso wie die formalen Präferenzen macht die konnotierte Bedeutung die Ausdrücke zu idioms of encoding.
Wenn Ausdrücke einen bestimmten Verwendungskontext evozieren, geschieht dies konnotativ, ohne dass sich diese evozierende Bedeutung aus Form oder Bedeutung des Ausdrucks ableiten ließe. Verwendungskontexte sind bestimmte Textsorten, z.B. … plötzlich und unerwartet… : Todesanzeige; …Durchzug von …, …weitgehend trocken… : Wetterbericht; … dass Sie den weiten Weg hierher gefunden haben…: Begrüßungsansprache, usw. Das Konzept der idiomatisch geprägten Ausdrücke, die als Teil ihrer präferentiellen Bedeutung Hinweise auf usuelle Verwendungskontexte mit sich tragen, ist geeignet, den Zusammenhang zwischen Ausdruck und Textsorte zu klären. “Kollokationen sind als Zeichen bestimmt, und zwar als Zeichen relativ zu typischen Textkontexten” (Feilke 2003, 214; unsere Hervorhebung). Ausdruck und Text verhalten sich wie Gestalt und Hintergrund, wobei die Gestalt den Hintergrund evoziert. Feilkes Beobachtungen und Überlegungen zur idiomatischen Prägung der Ausdrücke kann man auch auf Texte anwenden, und dies führt zu einer Restrukturierung dieses Untersuchungsbereichs. Was zunächst Strukturierung, Regelhaftigkeiten, Präferenzen in Texten betrifft, so fällt es schwer, sich einen gänzlich ungeregelten Text vorzustellen. Texte gehören immer zu Textsorten, die sich in der Menge, der Art und der Verbindlichkeit der Regeln, denen die Texte genügen, nur graduell unterscheiden. Es gibt Texte, die sehr engen Regelungen unterliegen (vgl. unser Eingangsbeispiel der Ansage im Zug) oder sogar morphologische, syntaktische und lexikalische “Defekte” zulassen (z.B. viele Anzeigen). Wir schlagen vor, den Terminus “Formelhaftigkeit” für solche Besonderheiten zu reservieren, die bestimmte Texte auszeichnen. Ebenso wie es unter den Ausdrücken die stark idiomatischen gibt, findet man unter den Textsorten solche
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mit einem hohen Grad an Formelhaftigkeit. Wiederum ganz wie bei den Ausdrücken machen unter den Textsorten die stark formelhaften nur einen geringen Teil aus. Wir schlagen vor, die Bezeichnung “formelhafter Text” für diese kleine Gruppe (mit allerdings unscharfen Rändern) zu reservieren. Formelhafte Texte wären dann eine Sondergruppe der im Sinne von Feilke “idiomatisch geprägten” Texte, die wir “vorgeformte Texte” nennen (vgl. dazu unten 4.2.). Alle Texte, ob einfach vorgeformt oder stärker formelhaft, evozieren einen (situativen) Verwendungszusammenhang. Dies trifft für manche Texte besonders deutlich zu. So ist die Begrüßungsansprache, die z.B. einen Kongress eröffnet, Teil einer großen organisatorischen Form, die auch die Teilnehmer zu bestimmten Verhaltensweisen verpflichtet (z. B. rituelle Aspekte der Referate und Diskussionen). Die Begrüßungsansprache erhält ihre für den Kongress konstitutive Bedeutung aus der Funktion, das organisierte Ereignis zu eröffnen, und verleiht ihrerseits als Teil der feierlichen Eröffnung dem Gesamtereignis Gewicht und Würde. Die Todesanzeige verweist auf die gesellschaftlich eingeführte Form der öffentlichen Verarbeitung von Trauer; dazu gehören außerdem noch Kondolenzbesuche, Karten, Kränze, Kleiderordnung, Trauergottesdienst, etc. Ein Text, der sich als “wissenschaftlich” zu lesen gibt, evoziert ein weitläufiges System von Anforderungen und Normen, die in der jeweiligen Disziplin als verbindlich anerkannt werden. Neben diesen sehr stark strukturierten und mit gesellschaftlichen Werten besetzten Verwendungszusammenhängen gibt es viel diffusere, weniger klar abgegrenzte Bereiche, auf die etwa ein privater Brief oder eine geschäftliche Mitteilung verweisen - also Texte, die sich durch einen geringeren Grad an Formelhaftigkeit auszeichnen. Unter beiden Gesichtspunkten, dem der mehr oder weniger verbindlichen Regelhaftigkeiten und dem des Zusammenhangs zwischen Text, Textsorte und Verwendungszusammenhang, gilt, dass es nicht darum geht, festzustellen, ob ein Text “vorgeformt” ist, sondern vielmehr, auf welche Weise und in welchem Grad er vorgeformt (oder gar formelhaft) ist (Gülich/Krafft 1998).
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X. Besondere Typen von Phrasemen/Particular types of set phrases
4.2. Formulierungstheoretische Aspekte: Zur Herstellung formelhafter/vorgeformter Texte Um den Umgang mit Formelhaftigkeit bzw. Vorgeformtheit im Interaktionsprozess zu beschreiben, greifen wir auf das Konzept der Formulierungsverfahren zurück, das im Wesentlichen in der Gesprächsforschung entwikkelt worden ist. Dieses Konzept bezieht sich weniger auf Texte als bereits erzeugte Produkte als vielmehr auf die interaktiven Herstellungsprozesse, in denen Texte als Lösungen für praktische Probleme entstehen. Kallmeyer (1996) weist in seiner Einleitung in den Sammelband zur “Gesprächsrhetorik” darauf hin, dass sich die Konversationsanalyse üblicherweise auf die Untersuchung von Geordnetheit in Interaktionen und deren Herstellung konzentriert. Er plädiert dafür, das Programm um einen für die Untersuchung von Gesprächsverläufen relevanten Aspekt zu erweitern: Gesprächsbeteiligte produzieren ihre Beiträge nicht nur, sie gestalten sie auch mit Hilfe so genannter rhetorischer Verfahren, und zwar deswegen, weil sie Interessen verfolgen (Kallmeyer 1996, 10; siehe auch Kallmeyer/Schmitt 1996, 88ff.). Dieses Argumentationsmuster gilt nicht nur für die von Kallmeyer akzentuierten rhetorischen Absichten der Interaktanten, sondern für das Konzept der Formulierungsverfahren allgemein. Die multimodale “Gestaltung” (der sprachlichen Oberfläche und der körperlichen Darstellungsformen) von Gesprächsbeiträgen wird als eine - weitgehend unbewusst getätigte - Wahl konzipiert, d.h. dass es zu jeder Formulierung im Prinzip immer auch Alternativen gibt. Die jeweilige Wahl geschieht unter der Prämisse, dass damit verschiedene Ziele verfolgt werden, wie dies etwa der Fall ist, wenn erklärende Expansionen einer Äußerung einen Beitrag zur Herstellung von Verständigung leisten. Ein Beleg dafür, dass mit Verfahren Ziele verfolgt werden, ist u.a. darin zu sehen, dass man für Formulierungen zur Rechenschaft gezogen werden kann (Gülich/ Kotschi 1995, 30). Gülich/Kotschi (z.B. 1995) haben drei Typen von Verfahren unterschieden (Verbalisieren, Bearbeiten, Kommentieren), die sich in je verschiedenen Spuren der Formulierungsaktivität manifestieren, sobald die Arbeit in einem diesem Bereiche problematisch wird. Diese Aktivitäten, als (teilweise unbewusst ablaufende) Wahlen verstanden, können also
an der sprachlichen und nicht-sprachlichen Oberfläche der Äußerungsproduktion erkannt und nachgewiesen werden. Das üblicherweise eher kognitionstheoretisch fundierte Paradigma der Sprachproduktionsforschung wird mit diesem Ansatz um eine sozialwissenschaftlich fundierte Variante ergänzt, die an authentischen Gesprächsdaten die Prozesse der Formulierungsaktivitäten rekonstruiert und sie als das Ergebnis interaktiver Leistungen der Gesprächsbeteiligten konzipiert (dazu im Einzelnen Dausendschön-Gay/Krafft 2000). Mit Kallmeyer/Keims (1994) Untersuchung zu “formelhaftem Sprechen” und dem Konzept der “Orientierung am Modell” (Dausendschön-Gay/Gülich/Krafft, im Druck) wird der Bereich der Formulierungsverfahren für die Beschäftigung mit formelhaften Texten vorbereitet. An einem kurzen Äußerungssegment, das einen metaphorischen Phraseologismus enthält, können die Prinzipien dargestellt werden, mit denen das Formulierungsverfahren der “Orientierung am Modell” untersucht wird. Der Transkriptausschnitt aus einem Arzt-Patient-Gespräch stammt aus dem Corpus des Forschungsprojekts “Linguistische Differentialtypologie epileptischer und anderer anfallsartiger Störungen”, das in Zusammenarbeit mit dem Epilepsie-Zentrum Bethel durchgeführt wurde. Im Anschluss werden wir diese Prinzipien auf die Analyse der Prozesse anwenden, die bei der Entstehung eines ganzen Textes zu beobachten sind. Wir finden im Gespräch zwischen einem Arzt und einer anfallskranken Patientin, Frau Bernig, die folgende Passage: (A = Arzt, B = Frau Bernig, Patientin; Transkriptionskonventionen nach GAT) 1
A
2 3 4 5 6 7 8 9
B A B A B A B A
gibt es auch momente wo sie (.) ähm gewissermaßen ANgst vor der angst haben, (-) also dass sie (.) plötzlich einfach angst empfinden weil sie denken jetz:t (.) . wenn jEtzt eine käm (-) das wäre ja: (-) saublöd ja: (-) äh:m (.) Ohne (.) (?...) dass da die aura überhaupt einsetzt, ja, (–) und das lähmt sie dann auch, oder da könnse dann ähm etwas (-) lEIchter mit umgehen;
41. Phraseologische/formelhafte Texte 10 B
11 A 12 P 13 A
(-) nö das das (-) . lähmt nich in dem MAße aber äh (–) son bisschen wie n kaninchen komm ich mir dann schon, vor; ne, [das so vorm abschuss steht] [(?...) schlange der (-) in der luft] liegenden aura; hm (—) aber es hindert sie 14 ja nich; sie können (-) ihre dinge tun (...)
Für uns interessant an dem Gesprächsausschnitt ist die Passage, in der die Patientin ihre Angstgefühle während der Aura vor einem drohenden Anfall schildern soll. Sie produziert nicht einfach den bekannten Phraseologismus des Kaninchens, das vor der Schlange erstarrt, sondern sie evoziert mit der Äußerung “wie n kaninchen komm ich mir dann schon vor” ein Szenario, das hinsichtlich seiner Formulierung in der Folge interaktiv genauer entwickelt wird, ohne dass der lexikalisch bekannte Wortlaut formuliert würde. Jedoch ruft die Wortmarke “Kaninchen” im Zusammenhang mit dem Thema Angst beim Arzt sofort das Komplement der Schlange auf, das dann in kreativer Freiheit in den thematischen Kontext des Gesprächs über Auren integriert wird. Die Patientin ihrerseits vervollständigt mit “Abschuss”, das auch nicht wörtlich an der im “idiomatischen Wörterbuch” belegten Form orientiert ist, wohl aber den wesentlichen semantischen Kern der Bedrohung wiedergibt. Das Beispiel dieses metaphorischen Phraseologismus’, das selbstverständlich nicht beliebig verallgemeinert werden kann, zeigt gleichwohl einige relevante Aspekte, die auch für die Beschäftigung mit formelhaften Texten von Bedeutung sind: –
– –
Die Evozierung des durch den belegten Phraseologismus bekannten Kaninchens im Kontext eines Gesprächs über Angst ruft mit der Schlange ein weiteres, für die Bedeutung der idiomatische Wendung zentrales Element auf. Auch ohne die Herstellung der Wörtlichkeit des Ausdrucks wird Verständigung erreicht; offenkundig genügt die Nennung zentraler Wortmarken, um die gewünschte Beschreibung des Angstzustandes zu geben. Beide Interaktanten sind während der Gesprächssequenz an dem bekannten Ausdruck orientiert. Die Formulierungsarbeit wird von beiden Interaktanten gemeinsam geleistet.
Sich an einem Modell zu orientieren heißt hier also, während der Formulierungsarbeit
477
mittels geeigneter lexikalischer Elemente ein komplexes situatives Szenario mit konventionell festgelegter Bedeutung zu evozieren, das in der Regel mit einer üblichen Formulierung (einer prototypischen Form) versehen wird, das aber auch ohne die Herstellung von Wörtlichkeit funktioniert. Die hergestellten Ausdrücke sind also nicht nur hinsichtlich der sprachlichen Oberfläche “vorgeformt”, sie begnügen sich mit Kernelementen und einer Reihe akzeptabler lexikalischer Varianten, solange der situative und thematische Kontext, der “text so far” und die semantisch-konzeptionellen Bedingungen dies zulassen. Von besonderer Wichtigkeit ist dabei, dass die Interaktanten gemeinsam an dem Modell – und nicht unbedingt an der wörtlichen Form des Phraseologismus – orientiert sind, dass sie die für den aktuellen Bedarf geeignete Form gemeinsam hervorbringen, und dass sie dabei nicht einfach eine konventionelle Form reproduzieren, sondern eben auf der Grundlage des zugrunde liegenden Modells neu formulieren. Die Modelle, an denen wir unsere Formulierungsarbeit orientieren, sind vielfältiger Art. Neben dem großen Bereich der konventionell üblichen Formulierungslösungen für rekurrente Probleme, zu denen als Teilbereich die Phraseologismen gehören, gibt es auch individuelle Formulierungspräferenzen. Anders als die Idiome können sie aber nicht aufgrund unseres geteilten Wissens über konventionelle Formulierungslösungen vom Interaktionspartner ohne weiteres erkannt werden. Deshalb finden wir immer wieder eine Reihe von Techniken, mit denen die Orientierung am Modell erkennbar gemacht wird: metadiskursive Kommentare vom Typ “wie ich meistens so sage”, besondere Verfahren der prosodischen Gestaltung, z.B. durch dysfunktionale Pausen wie in unserem Eingangsbeispiel, aber auch betont flüssige Formulierungsschübe während des Formulierungsprozesses, die deutlich erkennbar als solche präsentiert werden und auf diese Weise als Wiederholung einer gelungenen Form inszeniert werden. Die gleichen Markierungstechniken finden sich übrigens auch häufig bei der Verwendung konventionell üblicher Ausdrücke, insbesondere natürlich bei der Bildung von Varianten, wie im obigen Beispiel. Ein weiterer, im Zusammenhang mit dem Thema “formelhafte Texte” wichtiger Aspekt besteht in der unterschiedlichen Reichweite der Wirkungen, die durch die Orientierung am Modell für die folgenden Formulierungen
478
X. Besondere Typen von Phrasemen/Particular types of set phrases
erzeugt werden. Die bereits angesprochenen Phraseologismen sind oft lokale Ereignisse, mit denen neben inhaltlichen und stilistischen Absichten vor allem Strukturierungsaktivitäten verfolgt werden. Diese Leistung haben vor allem Drew/Holt in ihren Beiträgen 1988 und 1998 genauer herausgearbeitet. Sie weisen u.a. darauf hin, dass solche Ausdrücke in thematischen Abschlusssequenzen meist metaphorisch sind. Zusätzlich zu ihrer strukturierenden Funktion kann an einmal gewählten metaphorischen Bereichen beobachtet werden, dass sie im weiteren Verlauf der Formulierungsarbeit häufiger wieder gewählt werden. Die Reichweite des lokalen Ausdrucks wird auf diese Weise großflächiger, was am Beispiel eines Sporttherapeuten deutlich wird, der sich in seinen Vorträgen vor HerzpatientInnen einer Rehaklinik dafür entschieden hat, Stoffwechselprozesse bei körperlicher Anstrengung mit der ontologischen Metapher einer Kommunikation zwischen den beteiligten Zellen und Organen darzustellen, einschließlich der Möglichkeit der Selbstgespräche, in denen eine Muskelzelle etwas zu sich selbst sagt. Diese Lösung hält er in allen Vorträgen als sein individuelles Modell und über lange Textpassagen hinweg konsequent durch (siehe dazu im Einzelnen Dausendschön-Gay/ Gülich/Krafft im Druck). Derartige Beobachtungen gelten selbstverständlich auch für gängige Argumentationsmuster oder mündliche Erzählungen, die genauso wie Ausdrücke vom Typ “entweder – oder” längerfristige Strukturbindungen implizieren. Auch an ihnen lässt sich das Formulierungsverfahren der Orientierung am Modell gut aufzeigen, auch wenn der Grad an Vorgeformtheit in solchen Fällen wesentlich geringer ist. Wir wollen zum Abschluss das Verfahren an einem Beispiel verdeutlichen, das unserem Korpus konversationeller Schreibinteraktionen entnommen ist (zu Details siehe Dausendschön-Gay/Gülich/Krafft 1992). Die deutsche Studentin Laura hat ihre frankophone Kommilitonin Nathalie um Hilfe bei der Abfassung eines Briefes gebeten, den sie an einen Professor in Lyon schreiben möchte. Sie will ihn um Informationsmaterialien zum Studium bitten, das sie unter Studierenden verteilen möchte. Sie selbst hat im vergangenen Jahr ihr Studium in Lyon absolviert und dabei den Professor kennengelernt. Zum Treffen mit Nathalie bringt sie einen Textentwurf in Französisch mit, der die wesentlichen Inhaltselemente enthält und sprachlich weitge-
hend korrekt ist. Wir haben das Textherstellungsgespräch auf Tonband aufzeichnen lassen und verfügen außerdem über die Informationsbroschüren des Vorjahres sowie die Endfassung des Briefes, der tatsächlich verschickt worden ist. Erst dieser Datensatz, und besonders die Tonaufnahme, sind die methodisch notwendigen Voraussetzungen dafür, dass überhaupt konversationsanalytische Prozessanalysen zu Schreibvorgängen vorgenommen werden können. Von Beginn an ist erkennbar, dass Laura und Nathalie sich bei der Herstellung des Briefes an einem Modell orientieren; dies manifestiert sich schon allein darin, dass Laura Nathalie um Hilfe bittet, obwohl sie auf der Ebene der formalen Korrektheit ihrer Sätze eigentlich keine Unterstützung benötigt. Viel expliziter wird die Orientierung dann aber in den Kommentaren und Begründungen für alle Etappen des Schreibvorgangs, die in der Tonaufnahme dokumentiert sind. Die Tatsache, dass Laura nicht frankophon ist, ihr kulturelles Wissen über Schreibkonventionen also eingeschränkt ist, wirkt wie ein methodischer Lupeneffekt, denn alle Formulierungen werden explizit im Hinblick auf ihre Üblichkeit kommentiert. Die Erarbeitung des Einstiegs in den Brief ist dafür ein besonders instruktives Beispiel. Nathalie schaut sich kurz den Entwurfs Lauras an, der mit dem folgenden Satz beginnt: Monsieur, étant donné que l’année dernière, plusieurs personnes (étudiants) de différentes villes de l’Allemagne m’ont (m’avaient) demandé des renseignements sur l’Université d’été à Lyon II, je compte recommencer à faire de la publicité (dans ces villes) également cette année-ci. (Sehr geehrter Herr, da im vorigen Jahr mehrere Personen verschiedener Städte mich um Auskünfte über die Sommeruniverstät in Lyon II gebeten haben, beabsichtige ich auch dieses Jahr erneut dafür Werbung zu machen). Zwei Dinge sind für Nathalie hieran problematisch: Sie fragt nach, ob der Adressat Laura kennt (il te CONNAIT’ non lui,) und ob sie ihm bereits im Vorjahr geschrieben hat (tu lui as déjà écrit, à lui,); und sie sinniert über einen möglichen Beginn des Briefes nach (). Dieses mündet in den Kommentar, der gleichzeitig eine Kategorisierung der Beteiligten enthält: tiens en france il faut faire des paragraphes, et ça je mettrais dans l/dans le: (.) deuxième paragraphe;. Das Modell, an dem sich Nathalie orientiert, hat kein festes Strukturmuster, sondern eine
479
41. Phraseologische/formelhafte Texte
generelle Angabe für die Organisation von Inhalten, nämlich in Paragraphen, und für die Präferenz von spezifischen Inhalten für den ersten Absatz: bon normalement il faut faire référence à quelque chose dans le premier paragraphe – und das genau ist es, wonach sie gesucht hat. Welche Referenz gewählt wird, welche Inhalte “paragraphenwürdig” sind, ist das Ergebnis eines langen Aushandlungsprozesses zwischen den Beiden, der sich allein für den ersten Satz über vier Transkriptseiten hinzieht. Das gemeinsam erarbeitete Ergebnis des Schreibprozesses beginnt folgendermaßen: Monsieur, lors de mon dernier séjour à Lyon j’ai pu obtenir par votre intermédiaire des renseignements sur les cours d’été …(während meines letzten Aufenthaltes in Lyon habe ich Dank Ihrer Vermittlung Informationsmaterial über die Sommerkurse erhalten können). Wir können an dem Ergebnis der Formulierungsanstrengungen, die Laura und Nathalie unternehmen, noch eine weitere Beobachtung machen, die sich auf ein häufig vorgebrachtes Argument in Bezug auf vorgeformte Elemente bezieht: Angeblich sollen sie formulierungserleichternd wirken, weil sie das Nachdenken über Alternativen überflüssig machen und als passe-partout-Lösungen reproduziert werden können (vgl. z.B. Stein 2004, 277). Tatsächlich ist das nicht die zentrale Frage, wenn es um die Rolle des Vorgeformten oder Formelhaften geht, zumal häufig genug die Suche nach der regelgerechten und konventionellen Wörtlichkeit eine Formulierungshemmung erzeugt (Gülich/Krafft 1998). Vielmehr geht es darum herauszufinden, welches Formulierungsproblem mit dem Rekurs auf Vorgeformtes im je konkreten Fall gelöst wird. In unserem Beispiel kontextualisiert der Beginn des Briefes seinen offiziellen, höflichen Charakter, er evoziert einen Beziehungskontext, der es möglich macht, ein Anliegen vorzutragen, und er benennt den Anlass des Briefes. Das Modell, an dem sich Nathalie in ihren Kommentaren zu Lauras Entwurf orientiert, enthält außerdem auch einige formularartige und formelhafte Elemente, die sich auf die äußere Gestaltung der Seite, die Anrede und die Verabschiedungsformel, den Platz für die Adressen der Absenderin und des Empfängers beziehen. Es gibt ferner Präferenzen für Syntaxformate, spezifische Wortstellungen und Phrasenverschiebungen zur Thematisierung, Konventionen über angemessenes Vo-
kabular und typische Formeln eines offiziellen Briefes, die allesamt auch in Briefstellern vorkommen, die im Handel erhältlich sind oder sich in Lehrwerken finden. Wir können all diese Elemente übrigens gut als Kontextualisierungshinweise im Sinne Gumperz’ verstehen, denn ihre Verwendung schafft den Kontext für die Interpretation des Briefes, sie ist also nicht nur die Erfüllung einer normativen Anforderung. Wenn wir nun den gesamten Schreibprozess betrachten, dann wird deutlich, dass jede einzelne Formulierung zunächst inhaltlich erarbeitet werden muss (Laura wird regelmäßig dazu aufgefordert, zu sagen was sie schreiben will, dies ist also ihr Kompetenzbereich); dann muss die adäquate Form für den Inhalt gefunden werden; schließlich muss die Komponente in den Gesamtzusammenhang eingepasst werden (das sind jeweils Nathalies Kompetenzbereiche, in die Laura ihr nicht hineinredet). Dabei wird vor allem in den Revisionsphasen auch auf rhythmische Passung geachtet. Die gesamte Formulierungsarbeit, einschließlich der “reproduktiven” Aktivitäten in Bezug auf die formelhaften Elemente, muss als Formulierungsleistung der beteiligten Interaktanten beschrieben werden. 4.3. Fazit Das zeichentheoretische Konzept der Prägung und das konversationsanalytische Konzept der Formulierungsverfahren sind zwei zentrale Aspekte eines neuen Zugangs zum Phänomenbereich “formelhafte Texte”. Die in Kapitel 3 dargestellten Ansätze zur Beschäftigung mit diesem Aspekt von Texten werden dadurch theoretisch und methodisch bereichert und um die Prozessperspektive erweitert. Die Phraseologieforschung, deren wichtiger Beitrag zur Konstituierung des Forschungsbereichs vielfach betont werden konnte, wird nun ihrerseits von den neueren Entwicklungen angeregt werden können, ihren Gegenstandsbereich teilweise neu zu konzipieren. Dies könnte der Beginn eines fruchtbaren Wechselwirkungsprozesses sein.
5.
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Ulrich Dausendschön-Gay, Bielefeld (Deutschland) Elisabeth Gülich, Bielefeld (Deutschland) Ulrich Krafft, Bielefeld (Deutschland)
XI. Fachphraseologie/Set phrases in technical language 42. Fachphraseologie 1. 2. 3.
6.
Einleitung Forschungsstandpunkte und Definitionen Vergleich zwischen dem phraseologischen System der Allgemeinsprache und der Fachsprache Fachphraseologismen in ausgewählten Kommunikationsbereichen Ausblick: Fachphraseologie – Translatologie – Textlinguistik Literatur (in Auswahl)
1.
Einleitung
4. 5.
2.
Die Thematik “fachsprachliche Lexikologie” und “Phraseologie” steht in einem engen Wechselverhältnis zur Fachkommunikation (bzw. zum fachsprachlichen Diskurs), zur Fachsprache und zur Allgemeinsprache. Diesem Untersuchungsgegenstand wurden bereits eine Reihe einschlägiger Artikel in dem zweibändigen HSK-Handbuch 14.1 und 14.2 “Fachsprachen. Languages for Special Purposes” (1998/1999) gewidmet, so dass in dieser Einleitung nur einige allgemeine Aspekte, die für die Einordnung der Fachphraseologismen in einen komplexen Zusammenhang erforderlich sind, thesenartig an den Anfang gestellt werden sollen. 1.
Fachkommunikation vollzieht sich als schriftlicher und mündlicher Diskurs in Form von Fachtexten und Fachgesprächen. Sie wird unterstützt durch Informationsträger des numerischen und visuellen Codes (Tabellen, Diagramme, Symbole, Graphiken, Computerdarstellungen). Fachkommunikation ist stets eine notwendige Folge- und Begleiterscheinung der arbeitsteiligen Gesellschaft. Aus dieser Spezialisierung im weitesten Sinne sind Fächer erwachsen als Wissensbestände, Kenntnissysteme und Handlungsanweisungen auf einem bestimmten Gebiet gesellschaftlicher Tätigkeit. Bestandteil der Fachkommunikation sind ebenfalls die didaktisierte oder popularisierte Vermittlung von Fachwissen, die Pflege fachspezifischer Information und Dokumentation, die Entwicklung einer Sprachtechnologie, das Wissen über kulturelle Traditionen und historische Verhältnisse der Gemeinschaft von Fachleuten, die Terminologieplanung im nationalen und internationalen Rahmen (Picht 1996) und nicht zuletzt die effektive Textgestaltung im Hinblick auf unterschiedliche
3.
4.
Kommunikationsgegenstände und Adressatengruppen. Fachsprache, die traditionelle Bezeichnung für fachbezogenen Sprachgebrauch, hat einen systemlinguistischen und einen pragmalinguistischen Aspekt. Durch ihre enge Beziehung zur Allgemeinsprache hat sie lediglich den Status eines Subsystems und nur relative Selbständigkeit. Ebenso ist die Kommunikationsgemeinschaft der Fachleute einer bestimmten Disziplin stets ein fester Bestandteil der Sprachgemeinschaft. Das Verhältnis zwischen Allgemein- und Fachsprache wird in der modernen Angewandten Linguistik nicht mehr als Opposition, Antinomie oder Polarität aufgefasst, sondern als Beziehung der Inklusion oder einer Graduierung hinsichtlich des Anteils fachsprachlicher Elemente in einem situationsabhängigen Text verstanden. Funktional richten sich Fachtexte nach den Anforderungen der Fachexperten, angehenden Fachleute sowie interessierten Nichtfachleute einer breiten Öffentlichkeit. Auch historisch gesehen ist die Allgemeinsprache die Voraussetzung für das Entstehen und die Vervollkommnung von Fachsprachen. Jeder Fachtext ist in seiner Grundsubstanz allgemeinsprachlich; die sprachlichen Mittel werden lediglich neuen kommunikativen Bedürfnissen angepasst, was auch die englische Bezeichnung für Fachsprache, Language for Special/Specific Purposes, zutreffend belegt. Der Wortschatz der Allgemeinsprache gliedert sich in das Lexikon (d.h. das Gesamtinventar appellativischer Lexeme), das mit dem Phrasikon (dem Gesamtbestand an Phraseologismen/Phrasemen bzw. festen Wortverbindungen) in einer ständigen Austauschbeziehung steht, und das Onomastikon (den Namenschatz einer Sprachgemeinschaft, das Material onymischer Einheiten) (vgl. Witkowski 1964). Das Lexikon und das Phrasikon umfassen die Appellativa, das Onomastikon die Nomina propria einer Nationalsprache. Als Kernstück der Fachsprache und als ihr hauptsächliches Unterscheidungsmerkmal gegenüber der Allgemeinsprache gilt traditionsgemäß, aber nicht ausschließlich, der Fachwortschatz. Analog zum Fachwortschatz der Allgemeinsprache umfasst er Fachwörter, die einfache oder komplexe Lexeme sein können, und Fachwendungen, d.h. Wortgruppenlexeme oder Phraseologismen/Fachphraseme. Onyme haben dagegen im Fachwortschatz einen Sonderstatus, insofern als sie als Konstituenten von Fachwörtern und Fachwendungen,
483
42. Fachphraseologie
5.
die Bestandteil der Terminologien und Nomenklaturen sind, auftreten können. Zwischen Phraseologismen der Allgemeinsprache und der Fachsprache besteht seit alters her ein reger Austausch. Wortgruppen der Allgemeinsprache können eine fachspezifische Bedeutung annehmen. In der deutschen Gegenwartssprache gibt es zahlreiche Phraseologismen, die ursprünglich aus dem ritterlichen Turnierwesen, dem Sprachgebrauch der alten Gewerke, der Rechtspflege, des Jagd- und Fischereiwesens stammen. Ihr historischer Bezug zu einer speziellen beruflichen Tätigkeit, die allerdings noch nicht als Fach mit einer entwickelten Fachsprache im modernen Sinne gelten kann, ist vor allem in verbalen Wendungen erhalten, die heute nur noch in übertragener Bedeutung gebraucht werden und deren denotative Bedeutung bereits verdunkelt ist: jmdn. in Harnisch bringen, auf den Sand setzen; für jmdn. eine Lanze brechen; etwas auf dem Kerbholz haben; den Stab über jmdn. brechen; auf den Busch klopfen; im Trüben fischen. Neuere fachbezogene Phraseologismen hat die Allgemeinsprache dem Sport und der Medizin entlehnt: am Ball bleiben; ein Eigentor schießen; am Ruder sein; jmdn./etw. auf Herz und Nieren prüfen. Der Fachwortschatz ist kein homogenes lexikalisches und phraseologisches Inventar, sondern weist eine Schichtung nach fachlichen Abstraktions- und stilistischen Sprachgebrauchsebenen (durch expressive und stilistische Konnotationen) auf. So ist auch im Gebrauch der Fachlexik und Fachphraseologie eine vertikale Schichtung zu erkennen (die Hoffmann 1984, 64 für die Fachsprache generell vorgeschlagen hat). Auf der obersten Abstraktionsstufe und stets auf der neutralen Stilebene befinden sich Termini und Nomenklaturzeichen sowie die terminologischen Phraseologismen. Nomenklaturzeichen sind ihrerseits keine Fachphraseologismen, sondern stehen den Onymen nahe. Umgangssprachlich konnotiert sind Jargonismen; sie können auch idiomatisierte Fachphraseologismen einschließen. Alltags- und allgemeinsprachlichen Bezug haben die Trivialnamen. Sie sind stilistisch neutral und fungieren als nicht-systematische Benennungen für Einheiten wissenschaftlicher Nomenklaturen in der Botanik, Zoologie, Chemie, Pharmakologie, Mineralogie u.a.m. Trivialnamen und Jargonismen können durch ihre Bildhaftigkeit auch zu Idiomen werden (Beispiele für Trivialnamen von Pflanzen und Tieren bietet Abschnitt 3.2.1.).
Die Wechselwirkung zwischen Allgemeinsprache und Fachsprache bildet auch den Einordnungsrahmen für die im nächsten Abschnitt folgende Darstellung bestimmter Forschungsrichtungen der Fachphraseologie. Als
zeitlich versetzte Entwicklungsstufen zeichnen sich ab: 1.
2.
3.
2.
die nur punktuelle Berücksichtigung bzw. der grundsätzliche Ausschluss fachsprachlicher Phraseologismen in den von den Philologien erarbeiteten Darstellungen des phraseologischen Systems der Gegenwartssprache als Allgemeinsprache; die Untersuchung fachsprachlicher Phraseologismen durch Disziplinen der Angewandten Sprachwissenschaft, der Translatologie und der textbezogenen Fachsprachenforschung; der integrative Untersuchungsansatz, der die philologische Tradition in der auf die Allgemeinsprache bezogenen Phraseologie mit Positionen der Fachsprachenlinguistik verbindet und korpusgestützt phraseologische Erscheinungen der Fachsprachen mit den gleichen Kategorien und Typen wie in der Allgemeinsprache erfasst, so dass die Fachphraseologie und die Phraseologie der Allgemeinsprache in einem komplementären Verhältnis zueinander stehen.
Forschungsstandpunkte und Definitionen
Die auf die Fachsprachen bezogene Untersuchung von Phraseologismen entwickelte sich nicht im konzeptionellen und methodischen Rahmen der allgemeinsprachlichen Phraseologieforschung, die von den Philologien getragen wurde, sondern hatte ihre Wurzeln zunächst in Randbezirken der Terminologieforschung, der Translatologie und der Fachsprachenlinguistik – und somit in der Angewandten Sprachwissenschaft und im fachbezogenen Fremdsprachenunterricht. Bis in die 1980er Jahre gab es zwischen beiden phraseologischen Interessengebieten kaum Berührungspunkte. 2.1. Die philologische allgemeinsprachliche Richtung Das Einführungswerk “Phraseologie der deutschen Gegenwartssprache” von Fleischer ((1997) [1982]) konzentriert sich auf die Allgemeinsprache und klammert terminologische Wortverbindungen – ebenso wie onymische Wortgruppen – mit der Begründung aus, dass sie hinsichtlich ihrer semantischen Eigenschaften und ihrer Konstituentenstruktur einen Sonderstatus einnehmen. Fleischer erwähnt substantivische und verbale Wortgruppen (spezifisches Gewicht; den Anker lichten) nur unter funktionalem Aspekt und weist darauf hin, dass die Wortgruppenstruktur als Bil-
484
dungsmuster bei den Termini möglich, für Phraseologismen dagegen zwingend sei. Neue Wege beschreitet Kunkel (1985) in ihrer Arbeit “Untersuchungen zur funktional differenzierten Verwendung von Phraseologismen in ausgewählten Textsorten der deutschen Gegenwartssprache”, in der sie, ausgehend von den Klassifizierungskriterien Fleischers, Textsorten unterschiedlicher Bereiche der fachinternen und fachexternen Kommunikation analysiert. Zwar versucht sie terminologische Wortgruppen auszuklammern, doch kann sie diese Bezeichnungen in Textsorten mit einem hohen Fachlichkeitsgrad nicht umgehen. Entsprechend ihrer Prämisse einer Wechselwirkung zwischen Sprachsystem und Sprachverwendung erörtert sie die stilistische Funktion von Phraseologismen der Allgemeinsprache (hauptsächlich Nominationsstereotype und Phraseoschablonen) in solchen Textsorten wie Dissertationsthesen, wissenschaftlichen Vorträgen in Akademiesitzungen sowie in Gesetzestexten. Sie weist nach, dass die Vorkommenshäufigkeit von Phraseologismen als Kriterium für die Abgrenzung von Textsorten geeignet ist. Damit hat sie wichtige Anstöße für die Untersuchung von Phraseologismen in Fachtexten, die in Nachfolgearbeiten fruchtbar wurden, gegeben, auch wenn noch lange Zeit die Phraseologismen der Allgemeinsprache im Vordergrund des Forschungsinteresses standen. Die Gemeinschaftsarbeit von Gustafsson und Piirainen (1985), “Untersuchungen zur Phraseologie in Zeitungstexten der deutschsprachigen Länder”, gründet sich auf unterschiedliche journalistische Textsorten und die Fachgebiete Politik, Kultur, Wirtschaft, Innen- und Lokalpolitik. Sie analysiert die allgemeinsprachlichen Phraseologismen nach den Kategorien Fleischers und belegt die Vorkommenshäufigkeit einiger Typen von Wendungen durch statistische Angaben. Fachphraseologismen stehen hier jedoch nicht zur Diskussion. Einen Vorstoß in Richtung terminologischer Phraseologismen unternimmt Duhme (1991) in seiner Monographie “Phraseologie der deutschen Wirtschaftssprache. Eine empirische Untersuchung zur Verwendung von Phraseologismen in journalistischen Fachtexten”. Auch er ist weitgehend dem Forschungskonzept Fleischers verpflichtet. Sein Textkorpus besteht aber nicht nur aus Zeitungstexten, die wirtschaftsbezogene Themen behandeln, sondern auch aus einem vierbän-
XI. Fachphraseologie/Set phrases in technical language
digen Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik von 1980. Der Verfasser stellt als Ergebnis fest, dass in Texten der wissenschaftlichen Literatur Phraseologismen weitaus schwächer vertreten sind als in journalistischen Texten, zumal auch in seinem Materialkorpus von 2300 Phraseologismen nur rd. 400 Belege als wirtschaftsspezifisch gelten können, die übrigen der Allgemeinsprache angehören. Einen wichtigen Akzent setzt das “Handbuch der Phraseologie” von Burger/Buhofer/ Sialm (1982), wo erstmals phraseologische Termini als “nominale satzgliedwertige Phraseologismen” mit einer transparenten Bedeutung in einem eigenständigen, wenn auch nur kurzen Artikel vertreten sind. Als Nebenaspekt behandeln die Autoren bereits Fachtermini mit Wortbildungsvarianten und ihrer Einbettung in formelhafte Texte, eine textlinguistische Dimension der Phraseologie, die erst nach 2000 thematisiert wurde (vgl. Stein (2001). 2.2. Die fachsprachliche, terminologische und translatorische Richtung Die Einbindung von Phraseologismen der Fachsprache in einen Gesamtüberblick über die Phraseologie der Allgemeinsprache, wie sie von Burger/Buhofer/Sialm (1982) vorgenommen worden ist, markiert eine Entwicklungsrichtung, die unabhängig von der philologischen Phraseologieforschung bereits in den 1970er Jahren in der Fachsprachenlinguistik eingesetzt hatte. Mit fachsprachlichen Wendungen beschäftigen sich Sachfachleute an Technischen Hochschulen und Universitäten (vor allem in der DDR), die mit diesen Benennungseinheiten in ihrer fremdsprachigen Fachliteratur in Berührung kommen, darüber hinaus Fachübersetzer, die für fachspezifische Kollokationen zweisprachige Listen (und später Glossare) für den eigenen Bedarf anlegen, weil die einschlägigen Fachwörterbücher dieses phraseologische Material häufig nicht abdecken, und schließlich Lehrkräfte im fachbezogenen Fremdsprachenunterricht, die gerade terminologische Wortverbindungen unterschiedlicher Komplexität in ihre begrifflichen Komponenten auflösen müssen, um den Studierenden die Bedeutung zu erklären. Daran wird der Zusammenhang zwischen dem Terminus als Benennungseinheit in einem Kenntnissystem der Fachleute und seinem fachsprachlichen Strukturmuster in der Mutter- und in der Fremdsprache überzeu-
42. Fachphraseologie
gend erkennbar. Somit stammen eine Reihe früher Untersuchungen von Fachphraseologismen aus solchen Fachgebieten wie dem Eisenbahnbau, der Verfahrenstechnik, den Montanwissenschaften und anderen ingenieurwissenschaftlichen Disziplinen. Einen sehr frühen Untersuchungsansatz zum Verhältnis von Terminologie und Phraseologie hat Hums 1971, in weitergeführter Form 1978 vorgelegt. Seine empirische Grundlage sind Phraseologismen in der russischen Fachsprache des Eisenbahnbaus. Als Fazit einer gründlichen Auswertung der bereits damals produktiven sowjetischen Phraseologieforschung (Vinogradov, Mel’čuk, Amosova, Kapanadze, Petrov), die jedoch infolge der Sprachbarriere, die das Russische bildet, in den westeuropäischen Ländern kaum zur Kenntnis genommen wurde, und mit Bezug auf eigene terminologische Untersuchungen vertritt Hums (1978, 105) die Ansicht, dass der “terminologischen Phraseologie” ein wichtiger Platz in der Fachsprachenforschung zukommen sollte. Er demonstriert die Regelhaftigkeit der Bildung terminologischer Wortgruppen an einem typischen Beispiel: aus einem die Fachsystematik widerspiegelnden, begrifflich geordneten Mehrwortkompositum entsteht durch Linkserweiterung mit Hilfe eines attributiven Adjektivs oder durch Rechtserweiterung mit Hilfe einer Präpositionalphrase eine Wortgruppe, die den Status eines terminologischen Phraseologismus (den Fleischer als “Nominationsstereotyp” einordnen würde) hat: profilfreie Schotter/bett/reinigungs/maschine; Schraub/ maschine mit benzin/motorischem Antrieb. Diese Termini sind eingegliedert in Begriffsreihen und Begriffsleitern. Trotz des Gebotes der Selbstdeutigkeit kann ein Terminus metaphorische Elemente enthalten, wenn er ein früheres Entwicklungsstadium, “die sogenannte vorwissenschaftliche Terminologie” belegt oder Bestandteil des “modernen Berufsjargons” ist (1978, 107). Hums vertritt 1978 einen noch relativ engen Begriff des Phraseologismus, indem er eine feste Wendung mehr oder weniger mit einem Idiom gleichsetzt und sich an der Literatursprache (im weitesten Sinne) orientiert. Er äußert die heute nahezu rigoros anmutende Meinung, dass es in der wissenschaftlichen und institutionell genormten Terminologie keine Berührungspunkte mit der Phraseologie (offenbar verstanden als Idiomatik) geben dürfte. Entsprechend den Anforderungen an
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einen Terminus müssen auch terminologische Wortgruppen stilistisch und expressiv neutral, selbstdeutig und nicht-idiomatisiert sein. Idiomatisierte Phraseologismen sind, wie bereits erwähnt, aufgrund ihrer Bildhaftigkeit charakteristisch für eine “vorwissenschaftliche Terminologie” mit fehlender Systematik. Ihre ausgeprägte Metaphorik findet man, wie Hums feststellt, “vorwiegend in den deskriptiven Wissenschaften (u.a. in der Botanik, Zoologie, Anthropologie)” (1978, 107) und in Bezeichnungen für Werkzeuge. Aus dieser tentativen Erörterung zieht aber Hums eine zutreffende Schlussfolgerung: Die Frage nach der Existenz und Existenzberechtigung der terminologischen Phraseologie muss grundsätzlich positiv beantwortet werden – wenn auch mit der gewichtigen Einschränkung, dass es sich dabei um eine nur periphere Erscheinung handelt, die wahrscheinlich auf ganz spezifische Wissenschaftsgebiete begrenzt ist, die über naturgegebene, nicht-technische Forschungsobjekte verfügen, sowie solche Sphären, deren objektiv gegebene Mikrostrukturen Anlass sind zu sinnbildlichen Verdeutlichungen von sonst schwierig zu bezeichnenden Realien (etwa Kernphysik) (1978, 114).
Die weitere Entwicklung der Fachphraseologie als Disziplin hat jedoch die anfängliche Skepsis von Hums gegenüber einer “gemeinsamen nominativen Funktion” eines Terminus und eines Phraseologismus inzwischen zerstreut und auch metaphorischen Konstituenten in einem terminologischen Phraseologismus ihr Recht als ein Erkenntnis vermittelndes Analogon zuerkannt. Stärkere Impulse für die Entwicklung einer Fachphraseologie als Forschungsrichtung kamen von der Terminologiewissenschaft und -lehre. Einführungswerke in die Terminologie wie z.B. das Gemeinschaftswerk von Picht/ Draskau, “Terminology: An Introduction” (1985), das in Dänemark und Großbritannien als Standardwerk für Studierende gilt, haben der LSP Phraseology und typischen Kollokationen bereits ein eigenständiges Kapitel gewidmet. Eine grundsätzliche Diskussion über eine Fachsprachenphraseologie als linguistische Disziplin war erstmals Gegenstand des 6. Europäischen Fachsprachensymposiums in Vaasa, Finnland, im August 1987. Dort vertrat Picht in seinem Plenarreferat “Fachsprachliche Phraseologie” die Berechtigung einer fachsprachlichen Disziplin, die zwischen Fachsystematik, Lexikologie und Syntax vermittelt, vorrangig verbale Wortgruppen kontrastiv untersucht und außerdem Berührungs-
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XI. Fachphraseologie/Set phrases in technical language
punkte mit mehreren praxisorientierten Wissensgebieten hat. Die Anfänge einer Beschäftigung mit phraseologischen Phänomenen sieht Picht bereits bei den Wiener Terminologen Schlomann (1928) und Wüster (1931), die namentlich verbale Fachphrasen mit besonderen Eigenschaften in Form von Valenzen oder Kollokationen als Übersetzungsproblem in der Elektrotechnik und Elektrochemie erkannten. Die von Picht vorgeschlagene Definition einer “Fachsprachlichen Phraseologie” lässt den Vorrang des Verwendungsaspekts der Sprache und der fachlichen Korrektheit (als Wahrheitskriterium einer fachlichen Äußerung) deutlich werden. Wenn die Fachsprachliche Phraseologie sachlogische und selbstdeutige Aussagen gewährleisten soll, dürfte sie im Grunde auch keine Idiome enthalten: ’Fachsprachliche Phraseologie’ ist eine fachsprachliche Disziplin, die einerseits die syntaktischen Bindungen fachsprachlicher Ausdrucksmittel, ihre Synonymie und Äquivalenz und andererseits die begrifflichen Beziehungen sowie deren Veränderungen jener fachsprachlichen Elemente untersucht, die zu einer fachlich gültigen und sprachlich korrekten Aussage zusammengefügt werden können (1989, 92).
Die so von Picht skizzierte fachsprachliche Phraseologie hat einen eindeutig terminologischen Ansatz, wobei offen bleibt, ob sie neben Nominationen prinzipiell auch Propositionen einschließen könnte. Praktische Anwendungsmöglichkeiten dieser neuen Disziplin prognostiziert Picht in der Terminologie selbst, in der fachsprachlichen Lexikologie und Terminographie, in der Fachsprachendidaktik und Fachübersetzerausbildung, in der Fachsprachenforschung sowie in Datenbanken als Wissenstechnik und Wissenstransfer. Als Fazit dieser intradisziplinären Bezüge der fachsprachlichen Phraseologie formuliert er ihre Wesensmerkmale dahingehend, dass sie –
– –
wesentliche Unterschiede gegenüber der Phraseologie der Gemeinsprache aufweist, indem sie eine starke Verbindung mit der Terminologie eingeht, so dass die “terminologischen Methoden” für die gesamte fachsprachliche Phraseologie nutzbar gemacht werden könnten, dass sie eine Teildisziplin der Phraseologie der Allgemeinsprache bildet und dass sie schließlich durch interdisziplinäre Beziehungen und Anwendungsbereiche den Erkenntnisfortschritt – mit Blick auf die Angewandte Linguistik – beschleunigen kann (1989, 107).
Die starke Betonung der Terminologie hat unter anderem dazu geführt, dass in der “Deutschen Norm, DIN 2342” vom Oktober 1992, überschrieben “Begriffe der Terminologie (Grundbegriffe)” folgende Definitionen für die Fachwendung und die Fachphraseologie festgelegt wurden: 3.11 Fachwendung (auch: fachsprachliche Wendung) Ein Verb enthaltende festgefügte Gruppe von Wörtern zur Bezeichnung eines Sachverhalts in einer Fachsprache. Beispiele: einen Wechsel ziehen; den Hochofen anstechen; in Phase sein; eine Spannung anlegen. 3.12 Fachphraseologie “Gesamtbestand der Fachwendungen in einer Fachsprache.” (DIN 2342, Teil 1, Berlin, Seite 3).
In der umfangreichen Gemeinschaftsarbeit von Arntz und Picht, “Einführung in die Terminologiearbeit” (1991) nimmt jedoch die “Fachsprachliche Phraseologie” nicht mehr Raum als knapp drei Seiten ein, was angesichts des hohen Stellenwertes, den ihr Picht in seiner Grundsatzerklärung 1987 in Vaasa beimaß, verwundert. Und erneut werden hier fachsprachliche Wendungen ausschließlich als Verben, die gleichermaßen als Kollokationen gelten können, und ihre Nominalisierung abgehandelt. Doch bieten die Autoren eine verallgemeinernde Definition: Eine Fachwendung ist das Ergebnis der syntaktischen Verbindung von mindestens zwei fachsprachlichen Elementen zu einer Äußerung fachlichen Inhalts, deren innere Kohärenz auf der begrifflichen Verknüpfung beruht. (1991, 34)
Zu Beginn der neunziger Jahre gab es innerhalb der Romanistik Bemühungen, eine Verbindung zwischen Phraseologie und Terminologie herzustellen. So fand 1991 zu diesem Thema eine internationale Konferenz in Genf statt, und 1993 wurde ein Internationales Phraseologieseminar in Hull/Ottawa veranstaltet (vgl. Gréciano 1995, 185). Ein umfangreiches Kolloquium als Table ronde zum Thema “Terminologie, discours et textes spécialisés” fand im Rahmen des XV. Internationalen Linguistenkongresses im August 1992 in Québec statt. Dort wurde auch auf die Fachphraseologie Bezug genommen. 2.3. Der integrative Ansatz Auf der VII. Internationalen Konferenz zur Angewandten Sprachwissenschaft und fachsprachlichen Ausbildung, die im September 1988 an der Technischen Universität Dresden
42. Fachphraseologie
stattfand, wurde in dem Referat “Gibt es eine Fachsprachenphraseologie?” von Gläser ein integrativer Ansatz einer Phraseologie der Fachsprache vorgestellt. Dieser beruht auf dem System, den Beschreibungskategorien sowie den Strukturmodellen der Allgemeinsprache. Seine empirische Grundlage ist ein Korpus von Fachphraseologismen, das aus Fachtexten und Fachwörterbüchern gewonnen und für theoretische Verallgemeinerungen verarbeitet wurde. Das Ergebnis einer empirisch-induktiven Analyse des Materialkorpus ist eine Typologie fachsprachlicher Phraseologismen auf mehreren Sprachgebrauchsebenen. Den speziellen Untersuchungsgegenstand bilden Fachphraseologismen der englischen Gegenwartssprache – gleichsam als notwendige Ergänzung zu dem von Gläser 1990 [1986] vorgelegten Einführungswerk “Phraseologie der englischen Sprache”. Eine Definition des Fachphraseologismus bzw. der fachsprachlichen Wendung muss sich folgerichtig an der Definition für den Oberbegriff Phraseologismus und den Unterbegriff Idiom in der Allgemeinsprache orientieren. Die Begriffsbestimmungen lauten: Ein Phraseologismus ist ein stabiles, usuelles Wortgruppenlexem, dessen Formativ sich aus mehreren Konstituenten (Einzelwörtern) zusammensetzt und dessen Semem aus einer spezifischen Auswahl und Kombination von Semem-Komponenten der Konstituenten entsteht, wobei zusätzlich neue Komponenten aufgenommen werden und im Extremfall solche Komponenten hinzutreten können, die keinerlei Bezug zur denotativ-wörtlichen Bedeutung der Konstituenten mehr haben, was zur Idiomatisierung des Phraseologismus führt. (Gläser 1986, 19) Das Idiom ist ein Phraseologismus, der sich durch eine übertragene (metaphorische oder metonymische) Bedeutung auszeichnet und nur in dieser usuell verwendet wird. Die übertragene Bedeutung des Phraseologismus, d.h. seine Idiomatizität, entsteht aus einer spezifischen Auswahl und Kombination von Komponenten aus den Sememen der ihn bildenden Konstituenten, wobei zusätzlich neue Komponenten aufgenommen werden und im Extremfall solche Komponenten hinzutreten können, die keinerlei Bezug zum Objektabbild des Phraseologismus mehr haben. (Gläser 1986, 28).
Ein Beispiel soll diesen Prozess illustrieren: a lame duck hat als Syntagma die denotativ-wörtliche Bedeutung ’verletzter Schwimmvogel’, als Phraseologismus aber mehrere idiomatische Bedeutungen in der englischen Allgemein- und Fachsprache: a lame duck1 son’
– ´a disabled or disadvantaged per-
487 a lame duck2 – ´a disabled or disadvantaged ship’ (fachsprachliche Nebenbedeutung: ’ein fahruntüchtiges, manövrierunfähiges Schiff’) a lame duck3 – ´a disabled or disadvantaged vehicle’ (’ein reparaturbedürftiges Fahrzeug, Auto’) a lame duck4 – ´an organization, or business firm, not able to function effectively, esp. because of financial difficulties’ (mehrere fachsprachliche Nebenbedeutungen: ’eine vom wirtschaftlichen Ruin bedrohte Firma oder Organisation’) (Quelle: A.P. Cowie/R. Mackin/I.R. McCaig, Oxford Dictionary of Current Idiomatic English. Vol. 2: Phrase, Clause & Sentence Idioms. Oxford University Press 1983, 339)
Der Fachphraseologismus bzw. die fachsprachliche Wendung wird definiert als eine in einem bestimmten Bereich der Fachkommunikation lexikalisierte, usuell verwendete, verfestigte und reproduzierbare Wortgruppe, die in der Regel nicht idiomatisiert ist und keine expressiven oder stilistischen Konnotationen trägt. Während das Idiom im phraseologischen System der Allgemeinsprache der Prototyp des Phraseologismus ist, stellt er unter den fachsprachlichen Wendungen die Ausnahme dar und ist häufig ein Kennzeichen vorwissenschaftlicher Benennungen oder umgangssprachlicher Jargonismen. Idiome sind in der Allgemeinsprache wie in der Fachsprache verblasste Metaphern bzw. Metonymien oder beruhen auf sprachgeschichtlichen Vorgängen besonderer Art. Von den Fachleuten selbst werden sie meistens nicht mehr als bildhaft empfunden (vgl. auch Gläser 1989, 51).
Detaillierte Untersuchungen zur Fachphraseologie unterschiedlicher Kommunikationsbereiche entstanden am Fachsprachenzentrum an der Universität Leipzig in der von Gläser geleiteten Forschungsgruppe “Fachsprachen des Englischen”, wobei das Korpusmaterial aus einer Vielzahl von Fachtextsorten gewonnen wurde. Müller (1993) gründet ihre Arbeit “Phraseologismen in englischen Fachtexten der Humanmedizin” auf die Fachtextsorten Monographie, wissenschaftlicher Zeitschriftenartikel, akademisch-wissenschaftlicher Informations- und Ratgebertext sowie auf Einträge in zweisprachigen medizinischen Fachwörterbüchern. Analysiert werden terminologische Benennungen im medizinischen Begriffssystem und allgemeinsprachliche Phraseologismen, die im medizinischen Text bestimmte Wirkungen als Stilmittel erzielen können. Ähnlich wie Duhme (1991) beobachtet Müller ein Wechselverhältnis von Phraseo-
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XI. Fachphraseologie/Set phrases in technical language
logismen und Textsorten. Das Vorkommen von (Fach) phraseologismen im Fachtext erlaubt gewisse Rückschlüsse auf das Abstraktionsniveau des medizinischen Gegenstandes, den Autor und Adressaten, die Funktion des Textes und die Absicht des Verfassers. Auch die Monographie von Kißig (1995) über “Fachsprachliche Wortgruppen in englischen und deutschen Texten der Mikroprozessortechnik” hat ein englisches und deutsches Materialkorpus zur Grundlage, das aus mehreren für das Fachgebiet relevanten Textsorten zusammengestellt wurde. Die Fachtextsorten für den englischen Teil sind wissenschaftlicher Zeitschriftenartikel, hardwarebzw. softwareorientiertes Handbuch, Datenblatt und Produktbeschreibung. Die Quellen für den deutschen Teil bilden ein lehrbuchähnliches Handbuch und wissenschaftliche Zeitschriftenaufsätze. Die Datenmenge beläuft sich auf insgesamt 20.000 Wortgruppen je Sprache. Sie besteht aus typischen Kollokationen, terminologischen Wortverbindungen und syntaktischen Fertigstücken sowie aus allgemeinsprachlichen Phraseologismen. Neuartig an den Arbeiten von Müller (1993) und Kißig (1995) sind die korpusgestützten Kollokationsnetzwerke, in deren Mittelpunkt englische Kernlexeme stehen (vgl. Abschnitt 3.2.3.).
3.
Vergleich zwischen dem phraseologischen System der Allgemeinsprache und der Fachsprache
Die in diesem Abschnitt vorgenommene Gegenüberstellung des phraseologischen Inventars und Systems der Allgemeinsprache und der Fachsprache stützt sich auf englische und deutsche Beispiele, ohne dass damit eine kontrastive Untersuchung beabsichtigt wäre. Die Gründe dafür liegen in bereits vorhandenen Materialuntersuchungen (Gläser, 1986, 1989, 1994, 1995). Die Diskussion des Systems der Phraseologie der Allgemeinsprache und der Fachsprache geht von folgenden Prämissen aus: 1. 2.
3.
Die Phraseologie der Allgemeinsprache stellt das objektsprachliche Material für die Fachphraseologie zur Verfügung. Die Fachphraseologie ist kein selbständiges System neben der allgemeinsprachlichen Phraseologie, sondern bildet ein Teilsystem, das in diese integriert ist. Die Fachphraseologie kann in Teilbereichen durch metasprachliche Festsetzungen (Nor-
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5.
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mung und Standardisierung) präskriptiv beeinflusst werden. Das gilt für Nominationen (hauptsächlich Termini), Propositionen (verhaltensteuernde Routineformeln) und formelhafte Kurztexte im institutionellen Verkehr. Das System der Fachphraseologie gliedert sich analog zu dem phraseologischen System der Allgemeinsprache in Zentrum (Nominationen), Übergangszone (Nominationen mit relikthaften Merkmalen von Propositionen) und Peripherie (Propositionen). Hinsichtlich der Typenvielfalt und Strukturmuster sind das phraseologische System der Allgemeinsprache und das der Fachsprache jedoch nicht deckungsgleich. Im Unterschied zum elaborierten (voll entfalteten, umfangreichen) System der Allgemeinsprache verfügt die Fachsprache nur über ein restringiertes (eingeschränktes, begrenztes) phraseologisches System. Während das Idiom unter den Nominationen im phraseologischen Inventar der Allgemeinsprache als der Prototyp gelten kann, ist es in der Fachphraseologie eher der Ausnahmefall und eine durch die Stilebene oder die Entwicklung des Fachs begründete Randerscheinung.
3.1. Das phraseologische System der Allgemeinsprache Das Zentrum des phraseologischen Systems der Allgemeinsprache beherrschen die Nominationen, d.h. die wortähnlichen Wendungen. Sie beziehen sich auf Objekt- oder Sachverhaltsabbilder und finden ihren Ausdruck in den autosemantischen Wortarten Substantiv, Adjektiv, Verb und Adverb. Nicht-idiomatisierte Phraseologismen dieses Bereiches rücken bereits in die Nähe der Fachbezeichnungen. Substantive: running water; special offer; French window; bedingungslose Kapitulation; friedliche Koexistenz; the line of least resistance; das Recht der ersten Nacht; bed and breakfast; Kost und Logis. Ihnen gegenüber stehen Idiome des gleichen Strukturmusters: wet blanket; sitting duck; a skeleton in the cupboard; grüne Welle; der Pfahl im Fleisch; Kind und Kegel. Adjektive: nicht-idiomatisiert sind gainfully employed; wet to the skin; nass bis auf die Haut; finanziell abgesichert – im Unterschied zu Idiomen wie born with a silver spoon in one’s mouth; alive and kicking; as dead as a doornail; unter einem glücklichen Stern geboren sein; klar wie Kloßbrühe; Verben: nicht- idiomatisiert sind to levy taxes; to open an account; Anklage erstatten; ein Testament errichten.
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42. Fachphraseologie Idiome sind to breed like rabbits; to call a spade a spade; den Laufpass geben; hecken wie die Karnickel; nicht viel Federlesens machen. Adverbien: nicht-idiomatisiert sind at the earliest convenience, so bald als möglich; unter Ausschluss der Öffentlichkeit; Idiome sind in next to no time; before you can say Jack Robinson; im Handumdrehen; vor Tau und Tag.
3.
In der Übergangszone zwischen Nominationen und Propositionen befinden sich 1.
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Sprichwortfragmente, die als Signalwörter das ganze Sprichwort assoziieren: a new broom (sweeps clean); too many cooks (spoil the broth); die Axt im Haus (erspart den Zimmermann); der Spatz in der Hand (ist mehr wert als die Taube auf dem Dach); Sprichwörtliche Redensarten, die durch das Hinzutreten eines finiten Verbs leicht in ein Sprichwort umgewandelt werden können: to put the cart before the horse; das Pferd am Schwanze aufzäumen; don’t/man soll nicht... Literarische Anspielungen, die teils Fragmente literarischer Zitate, teils geflügelte Worte aus der Bibel sind und eine Proposition als Hintergrundwissen der Sprecher aktivieren: the green-eyed monster (’jealousy’ – Shakespeare); die Bretter, die die Welt bedeuten (Schiller); a doubting Thomas (Bibel) Paar- und Zwillingsformeln als Verbindungen von zwei Nominationen, die aber durch ihre Verbindung mit Hilfe der Konjunktion and/ und bzw. or/oder eine semantische Einheit bilden, wobei ihre Konstituenten unumkehrbar sind: safe and sound; gesund und munter; goods and chattels; Hab und Gut; now or never; jetzt oder nie; to fetch and carry; hoffen und harren Stereotype Vergleiche: sie verbinden zwei verschiedene Aussagen über eine Handlung, einen Vorgang, einen Zustand bzw. eine Eigenschaft mit Hilfe eines Vergleichsbildes, wobei sie faktisch Ellipsen von zwei Vergleichssätzen sind (vgl. Gläser 1986, 46): to tremble like an aspen leaf; zittern wie Espenlaub; as proud as a peacock; stolz wie ein Pfau/ein Spanier.
An der Peripherie des phraseologischen Systems sind Propositionen als vollständige Sätze (oder gelegentliche Reduktion von Sätzen) angesiedelt. Sie bilden komplexe Sachverhalte ab und können auch idiomatisiert sein. Den Idiomen verwandt sind 1.
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Sprichwörter als Allgemeingut der Sprachgemeinschaft, die oft in gleichnishafter Einkleidung überzeitliche Lebensweisheiten vieler Generationen weitergibt: Make hay while the sun shines; Schmiede das Eisen, solange es heiß ist. More haste, less speed. Eile mit Weile. Gemeinplätze als banale und triviale Aussprüche und Redensarten, die das Gespräch als
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Pausenfüller in Gang halten, sind in der Regel nicht idiomatisiert: You never can tell. Man kann nie wissen. We live and learn. Man lernt nie aus. Zitate als Aussprüche, deren Quellen bekannt sind und deren Gebrauch vom Bildungshintergrund der Sprecher abhängt: England expects every man to do his duty (Nelson); Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze (Schiller). Eine Untergruppe der Zitate bilden die Geflügelten Worte. Sie sind volkstümlich gewordene Zitate, deren Herkunft allmählich in Vergessenheit gerät, den gebildeten Sprechern aber noch bekannt ist: We are not amused (Queen Victoria); Brevity is the soul of wit (Shakespeare): die Forderung des Tages (Goethe); die Mühen der Ebenen (Brecht). Gebote und Maximen als Lebensregeln unterschiedlicher Herkunft und Geltungsbereiche: Thou shalt not kill. Du sollst nicht töten. Think globally, act locally. Safety before schedule. Frieden schaffen ohne Waffen. Losungen als festgefügte Sätze mit Appellcharakter, die einen politischen, sozialen oder kommerziellen Inhalt (z.B. als Werbelosungen) haben können. Sie berühren sich in ethischer Hinsicht mit den Maximen und Geboten: War is no solution. Schwerter zu Pflugscharen. Losungen zur gesunden Lebensweise und zur Körperpflege sind: Rauchen gefährdet die Gesundheit. Nimm dir Zeit für deine Zähne, sonst nimmt die Zeit dir deine Zähne. Routineformeln als syntaktisch und semantisch feste Fügungen mit usueller, oft institutionalisierter Geltung und kulturellen Implikationen. Idiomatische Wendungen treten beispielsweise als Gruß- und Erkundigungsformeln auf: How do you do? Come again? What’s cooking? Erwiderungsformeln sind in der Regel nicht idiomatisiert: Habe die Ehre. Freut mich – ganz meinerseits. Keine Ursache, gern geschehen. Dem entspricht im Englischen das Idiom You are welcome. Wunschformeln: Many happy returns of the day. Happy landings. Hals- und Beinbruch.
Wenn man das phraseologische System der Allgemeinsprache mit dem der Fachsprache vergleicht, dann geschieht das unter semiotischem und funktionalem Aspekt. Dabei ist zu untersuchen, auf welche Weise Wortgruppenlexeme oder satzähnliche Strukturen zur Benennung eines fachspezifischen Begriffs, der ein Objekt oder einen Sachverhalt abbildet, ausgenutzt werden. Eine völlig andere Perspektive ist dagegen der individuelle Gebrauch von Phraseologismen der Allgemeinsprache als Ausdrucks- und Stilmittel in Fachtexten (vgl. Kunkel 1985; Gustafsson/ Piirainen 1985; Duhme 1991) oder das bereits tendenzielle Vorkommen expandierter formel-
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XI. Fachphraseologie/Set phrases in technical language
hafter Phraseologismen in bestimmten Fachtextsorten. Hier liegt der Schwerpunkt auf dem pragmalinguistischen Aspekt. Im Unterschied zu dem reich gegliederten phraseologischen System der Allgemeinsprache ist das der Fachsprache weitaus einfacher strukturiert. Bereits bei den im Zentrum angesiedelten Nominationen fällt auf, dass bei der Bildung von Fachphraseologismen die Wortarten nicht gleichmäßig vertreten sind. Hier dominieren die Substantive und Verben; Adjektive und Adverbien treten weitaus seltener in Erscheinung. Die Substantive sind zumeist terminologische Wortverbindungen (unter denen Idiome die Ausnahme bilden) auf der neutralen Sprachgebrauchsebene – oder sie begegnen als idiomatisierte Berufsjargonismen auf der Stilebene der Umgangssprache. Die verbalen Fachphraseologismen schließen auch bestimmte Funktionsverbgefüge und Kollokationen ein. Gegenüber der Phraseologismenvielfalt der Übergangszone zwischen den Nominationen und Propositionen weist die Fachphraseologie faktisch nur die Paarformeln (als Zwillingsund gelegentlich auch Drillingsformeln) auf. Stereotype Vergleiche, Anspielungen, sprichwörtliche Redensarten und Sprichwortfragmente eignen sich offensichtlich nicht zur Benennung von Fachbegriffen. Differenzierter zu betrachten sind hingegen die Arten von Propositionen (und ihrer möglichen Reduktionen) an der Peripherie des phraseologischen Systems. Zwar prägt die Fachsprache keine eigenen Sprichwörter und Gemeinplätze, doch ist sie durchaus eine Quelle für Zitate, Maximen, Lehrsätze (in einer komprimierten, griffigen Form), für Losungen und Routineformeln, die innerhalb der Kommunikationsgemeinschaft der Fachleute zirkulieren und durch die Popularisierung von Fachwissen in die Allgemeinsprache gelangen können. In den folgenden Abschnitten soll das phraseologische System der Fachsprache in seinen wesentlichen Bestandteilen ausführlicher dargestellt werden. 3.2.
Das phraseologische System der Fachsprache
3.2.1. Nominationen Die allgemeinsprachliche Phraseologieforschung hat der Fachsprachenphraseologie eine Reihe offener Probleme, die sie innerhalb des eigenen Gegenstandsbereiches nicht lösen konnte, hinterlassen. Dazu gehören:
1. 2.
3.
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die Einordnung mehrgliedriger Eigennamen, d.h. onymischer Wortgruppen; die Beurteilung lateinischer Nomenklaturzeichen des linnéschen Systems und der anatomischen Nomenklatur in bezug auf die Fachphraseologismen; die Zuweisung mehrgliedriger volkstümlicher Bezeichnungen (Trivialnamen) für Krankheiten, Pflanzen und Tiere unter die Fachphraseologismen oder ihren generellen Ausschluss aus der Fachphraseologie; die Verwendung von Onymen als Konstituenten terminologischer Phraseologismen.
Die genannten Fragen werden im Rahmen dieses Artikels annäherungsweise wie folgt entschieden: ad 1) Onymische Wortgruppen gehören zwar nicht zu den Fachphraseologismen (obwohl Burger/Buhofer/Sialm 1982, 38, Namen für Institutionen unter die “phraseologischen Termini” aufgenommen haben), sie sind aber ein unverzichtbarer Bestandteil des Benennungsinventars einer Fachdisziplin, z.B. der Geographie (die Weiße Elster; der Stille Ozean; the Great Stony Desert; der Bottnische Meerbusen), der Historiographie (der Dreißigjährige Krieg; die Schlacht bei Jena und Auerstädt) und der Politikwissenschaften (das Potsdamer Abkommen; die Schlussakte von Helsinki; das Weiße Haus; die Vereinten Nationen; der Prager Frühling/die Ära Dubček). Die geographischen Namen, Ereignis- und Institutionennamen bilden innere Systematiken, die mit Nomenklaturen vergleichbar sind. Sie haben aber weder den Status von Termini noch von Nomenklaturzeichen. ad 2) Nomenklaturzeichen stehen im Grunde zwischen Eigennamen und Appellativa. In der Terminologiewissenschaft werden sie als Sonderform der Termini angesehen. Die binären lateinischen Namen des linnéschen Systems der Pflanzen und Tiere sind Nomenklaturzeichen, somit Bestandteil einer wissenschaftlichen Taxonomie und keine Fachphraseologismen: z.B. Thymus vulgaris (Thymian); Felis communis domestica (die Gemeine Hauskatze). Im Deutschen ist die Großschreibung des den Fachbegriff determinierenden Adjektivs ein Hinweis auf den Namencharakter des aus Appellativa gebildeten Nomenklaturzeichens (die Immerblühende Begonie; die Gemeine Stubenfliege). Die deutschsprachigen Nomenklaturzeichen können andererseits auch als Termini betrachtet werden, weil sie begriffliche Merkmale aufweisen und ihre formale Struktur derjenigen der terminologischen Phraseologismen
42. Fachphraseologie
gleicht. Hieran zeigt sich, dass für bestimmte fachsprachliche Bezeichnungen eine Mehrfacheinordnung möglich ist. Die Platzierung der lateinischen Nomenklaturzeichen ist hingegen eindeutig. Ausgeschlossen von den Fachphraseologismen sind die medizinischen Namen für Knochen, Muskeln, Sehnen, Nerven, Arterien, Drüsen, innere Organe und Organteile. Sie haben ihren Platz in der Pariser anatomischen Nomenklatur. Beispiele sind Abductor longus pollicis (’der lange Abziehermuskel am Daumen’); Tendo calceneus Achillis (’Achillessehne am Fersenbein’). ad 3) Die volkstümlichen Bezeichnungen (Trivialnamen) für Krankheiten, Tiere und Pflanzen werden dagegen als mehrgliedrige Fachphraseologismen betrachtet und nach ihrer Stilebene untersucht. ad 4) Die Verwendung onymischer Konstituenten bei der Bildung neuer Termini ist ein produktiver Vorgang auch unter den Fachphraseologismen, wobei es aber in den einzelnen Fachdisziplinen Unterschiede geben kann. Als Unterklasse der Onyme übernehmen Anthroponyme (Personennamen) und Toponyme (Ortsnamen) eine wichtige Funktion bei der Terminusbildung, sowohl bei den Komposita als auch bei den terminologischen Phraseologismen. Der Personenname als Terminuskonstituente erinnert an einen Arzt, Forscher, Erfinder oder Entdecker, der einen persönlichen Beitrag zur Entwicklung eines Faches geleistet hat. Die Namen von Ärzten sind in Benennungen von Organen, Organteilen, Syndromen und Krankheiten, Heilverfahren und Operationstechniken in die Fachgeschichte eingegangen. Beispiele: Basedowsche Krankheit (med.); parkinsonsche Lähmung (med.); Nisslsche Körperchen; Morbus Koch (med.). Auch in der Chemie, Physik, Biologie, Mathematik und selbst in einigen Geisteswissenschaften sind Personennamen unverzichtbarer Bestandteil der Terminusbildung, was die folgenden Beispiele belegen: Bohrsches Wasserstoffatommodell (chem.); voltasche Säule (phys.); faradayscher Käfig (phys.); linnésches System (biol.); darwinsche Evolutionstheorie (biol.); euklidscher Höhensatz (math.); gaußsche Zahlenebene (math.); vernersches Gesetz (ling.); aristotelisches Drama (lit.wiss.).
Toponyme als Konstituenten terminologischer Phraseologismen geben dagegen Aus-
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kunft über das Entstehungs- und Verbreitungsgebiet eines fachlichen Phänomens, z.B. siamesische Zwillinge (med.); südafrikanisches Zeckenbissfieber (med.); kanadische Hemlocktanne (bot.); indischer/afrikanischer Elefant (zool.); Hafflinger Pferde (zool.); der Rheinische Fächer (ling.); die Benrather Linie (ling.).
Im Englischen stehen Personennamen als Konstituenten terminologischer Phraseologismen gelegentlich mit einem “besitzanzeigenden” Morphem, in diesem Falle dem Indikator einer Urheberschaft: Grimm’s law (ling.); Verner’s law (ling.); Tyson’s glands (med.); Faraday’s cage (phys.); Newton’s rings (phys.); islets of Langerhans (med.).
Die typischen terminologischen Phraseologismen werden jedoch nicht mit Eigennamen, sondern mit Appellativa gebildet. Das Appellativum ist durch seine Eigenmerkmale (sofern es keine Metapher ist) selbstdeutig; seine inhärenten bzw. intrinsischen Merkmale geben über den Begriffsinhalt Auskunft. Dagegen sind die Eigennamen als Benennungselemente nur Relationsmerkmale, indem sie eine Beziehung zu einer Person oder einem Ort herstellen. Diese bilden die extrinsischen Merkmale einer Fachbezeichnung, unabhängig von ihrer Struktur (als einfaches, komplexes oder Wortgruppenlexem). In der Terminologienormung werden deshalb Benennungen, die sich durch ihre intrinsischen Merkmale selbst erklären, bevorzugt (die DIN 2330 “Begriffe und Benennungen. Allgemeine Grundsätze (1979)” empfiehlt “Beschaffenheitsmerkmal vor Begriffsmerkmal”, daher die Benennung ’Woodruffkeil’ durch ’Scheibenkeil’ bzw. ’Scheibenfeder’ zu ersetzen). Beispiele für terminologische Phraseologismen in diesem Sinne sind: totale vs. partielle Mondfinsternis (astr.); mittelfristige Finanzplanung (ökon.); arglistige Täuschung (jur.); studentische Hilfskraft (admin.); bösartiger/ gutartiger Tumor (med.); juvenile delinquency (jur.); acid rain (ökol.); saurer Regen (ökol.).
Ein anderes typisches Bildungsmuster ist ein substantivisches Appellativum mit nachgestellter Präpositionalphrase: Vorspiegelung falscher Tatsachen (jur.); Reinhaltung der Gewässer (ökol.); Einwerbung von Drittmitteln (admin.); Kürzung des Arbeitslosengeldes (ökon.); Verfall der Kasusendungen (ling.); contempt of court (jur.); burden of proof (jur.).
Von diesen terminologischen Phraseologismen, die auf der neutralen Stilebene zu finden sind und von Fachleuten gebraucht werden,
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sind die “volkstümlichen” Benennungen für Krankheiten, Pflanzen und Tiere zu unterscheiden, die umgangssprachlich verwendet werden und außerdem durch eine plastische Metaphorik gekennzeichnet sein können. Wie bereits erwähnt, sind sie keine Einheiten einer wissenschaftlichen Taxonomie (der Krankheiten und Syndrome, Pflanzen und Tiere), sondern Trivialnamen. Gerade in medizinischen Aufklärungs- und Ratgebertexten wird neuerdings bewusst auf solche Bezeichnungen, die auf den Rezipienten auch eine vertrauensbildende Wirkung haben können, zurückgegriffen. Ein Beispiel dafür sind Faltblätter aus der Praxis eines Augenarztes. Die umgangssprachliche Bezeichnung Trockenes Auge ist dem Ophthalmologen bekannt als Sicc- Syndrom (von sicca = ’trokken’) oder “Benetzungsstörung”; der systematische Name in der Augenheilkunde lautet aber Keratoconjunctivitis sicca, abgekürzt KCS. Der Name bedeutet “trockene Entzündung der Horn- und Bindehäute”. Eine Variante dieses Krankheitsbildes wird mit Hilfe eines Anthroponyms als Morbus Sjögren (oder Sjögren-Krankheit) bezeichnet nach dem (schwedischen) Arzt, der die Krankheit als erster erkannt und beschrieben hat, wobei hier noch andere Begleiterscheinungen wie “Mundtrockenheit und/oder Rheuma” vorliegen können. Ein bekanntes Idiom für eine weniger gravierende Sehstörung sind die sogen. Fliegenden Mücken oder Mücken vor den Augen (nach franz. mouches volantes) als “Folgen der alterabhängig zunehmenden Glaskörpervertrübung” (Faltblatt von Alcon Pharma GmbH Freiburg). Das volkstümliche Fachidiom beruht auf einer empirisch genauen Wiedergabe des subjektiven Empfindens der von diesen Beschwerden betroffenen Personen. Die Metaphorik ist zutreffend. In den folgenden Beispielen ist die Bildhaftigkeit nicht weniger plastisch, wenn eine leichte Halsentzündung beschrieben wird als to have a frog in one’s throat ’einen Frosch im Halse haben’. Auch in der Botanik kommen idiomatisierte Benennungen z.B. für Blumen vor: das Fleißige Lieschen (engl. Busy Lizzie), ein Trivialname für die Immerblühende Begonie (bot. Begonia semperflorens) sowie die Zimmer-Balsamine (bot. Impatiens walleriana); lily of the valley (Maiglöckchen, bot. Convallaria majales); love-liesbleeding (Gartenfuchsschwanz, bot. Amaranthum caudatus); forget-me-not (Vergissmeinnicht, bot.
XI. Fachphraseologie/Set phrases in technical language Gattung Myosotis; Myosotis palustris), Jelängerjelieber (Geißblatt, bot. Lonicera).
Auch unter den Vogelarten gibt es idiomatisierte Trivialnamen. Ein bekannter einheimischer australischer Vogel, der auch in der Folklore eine Rolle spielt und dem Eisvogel verwandt ist, trägt in der Sprache der Ureinwohner den Namen Kookaburra, in der Umgangssprache im Australischen Englisch heißt er laughing jackass (’lachender Hans’) wegen seiner an menschliches Lachen erinnernden Rufe. Das Appellativum jackass bedeutet ’Dummkopf’, ’Esel’. Andere umgangssprachliche Namen dieses Vogels sind die Idiome bushman’s clock und settler’s clock – eine Anspielung darauf, dass der Kookaburra regelmäßig in der Morgendämmerung oder bei Sonnenuntergang zu hören ist. Ein vergleichbares Idiom als Vogelbezeichnung im Deutschen ist der Trivialname Onkel Bülow für den Pirol (zool. Oriolus oriolus); die englische Entsprechung lautet golden oriole; die französische loriot. Der deutsche Trivialname und die französische Bezeichnung bewogen den deutschen Schriftsteller, Film- und Fernsehautor, den Satiriker und Karikaturisten Vicco von Bülow (geb. 1923), den Künstlernamen Loriot anzunehmen. Weniger vielgestaltig als die Substantive sind die Verben unter den Nominationen im Zentrum des phraseologischen Systems der Fachsprache. Sie sind meist selbstdeutige Wendungen wie eine Naht legen (med.); einen Eid ablegen (jur.); die Wurzel ziehen (math.); die Regelstudienzeit einhalten/überschreiten (admin.); to levy taxes (ökon.); to practise birth control (med.). (Weitere Beispiele finden sich im Abschnitt 4 zum phraseologischen Inventar einzelner Kommunikationsbereiche.) Der einzige Typ von Phraseologismen in der Übergangszone zwischen Nominationen und Propositionen, der im System der Fachphraseologie produktiv genutzt wird, sind die Paar- oder Zwillingsformen. Sie sind eine durch die Kopula und/and gebildete Verbindung von zwei thematisch/begrifflich zusammengehörigen Substantiven. Stark ausgeprägt sind sie in der englischen Rechtssprache, wo sie u.a. historisch durch das Nebeneinander englischer und normannisch-französicher Rechtsbegriffe begründet sind (Gläser 1994). Aber auch in anderen Fachgebieten sind solche Phraseologismen anzutreffen, vgl. goods and chattels (jur.); Hab und Gut; receipts and expenditures (ökon.); Einnahmen und Ausga-
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42. Fachphraseologie
ben; research and development (ökon.); Forschung und Entwicklung; male and female joint (elektr.); Stecker und Kupplung; pigments and dyes (techn.); Farben und Lacke; man and environment (ökol.); shock and awe (US mil.); damages for pain and suffering (jur.) (’Schmerzensgeld’); hit-and-run driving (jur.) (’Fahrerflucht’). (Weitere Beispiele in den Abschnitten 4.1.–4.3.) 3.2.2. Funktionsverbgefüge In der Allgemeinsprache des Deutschen und mit gewissen Einschränkungen auch des Englischen gibt es eine Vielzahl häufig gebrauchter verbaler Verbindungen, die sich an der Grenze der Phraseologisierung befinden und in einer Übergangszone zwischen Lexik und Syntax angesiedelt sind, so dass sie sich einer eindeutigen Zuordnung zu den Nominationen oder Propositionen im System der Phraseologismen entziehen. Zu diesen Verbindungen zählen die Funktionsverbgefüge und Kollokationen. Funktionsverbgefüge oder “Streckformen”, bekannt als typische Ausprägung des Nominalstils im Deutschen, bestehen aus einer usuellen Verbindung zwischen einem Verb und einem vorangestellten Objekt oder einer Präpositionalphrase. Kollokationen hingegen schließen verbale und substantivische Wortverbindungen ein. Kennzeichnend für das Funktionsverbgefüge ist ein bedeutungsarmes oder nahezu sinnentleertes Verb, das erst durch das nominale Agens, meist ein Abstraktum, seine semantische und funktionale Wertigkeit erhält. Der daraus entstehende Verbund ist stets selbstdeutig und nicht idiomatisiert. Dem Funktionsverbgefüge steht in vielen Fällen ein einfaches Verb an der Seite, ohne dass damit eine semantische oder stilistische Deckungsgleichheit und Austauschbarkeit besteht. Beispiele: Einwände erheben vs. einwenden; Forderungen stellen vs. fordern; in Anspruch nehmen vs. beanspruchen; unter Beschuss nehmen vs. beschießen.
Die Bedeutungsunterschiede liegen in der Aktionsart. Während das einfache Verb eine gewohnheitsmäßige Handlung oder Verhaltensweise ausdrückt, vermittelt das Funktionsverbgefüge eine aktuelle, konkrete, situationsbedingte einmalige Handlung. In der bisherigen Phraseologieforschung sind die Funktionsverbgefüge unterschiedlich beurteilt worden (vgl. Artikel 38 von van Pottelberge in diesem Band; in Wörterbüchern der Linguistik Conrad 1985, 77; Glück
2000, 225; Bußmann 2002, 231; in Monographien Fix 1971; Fleischer 1982, 135; 1997, 253; vom Standpunkt der Übersetzungspraxis Englisch-Deutsch Königs 2000, 575). Im Englischen werden die den Funktionsverbgefüge verwandten Wortverbindungen als “paraphrasal verbs” (Gläser 1986/1990, 68) bezeichnet. Diese Wortgruppenlexeme bestehen aus einem weitgehend sinnentleerten transitiven Verb (to bring, give, have, make, put, set, take) und einer als direktes oder präpositionales Objekt nachfolgenden Nominalphrase, die der eigentliche Träger der Verbbedeutung ist. Als Modelle lassen sich unterscheiden: Vt + NP (to give a warning vs. to warn; to make a decision vs. to decide) und Vt (+NP) + PP (to put to the test vs. to test; to fall into love vs. to love). Die semantischen Unterschiede zwischen dem “paraphrasal verb” und dem einfachen Verb (to give a look vs. to look (at); to take risks vs. to risk) weisen – ähnlich wie bei den Funktionsverbgefügen im Deutschen – auf verschiedene Aktionsarten hin. In Anlehnung an Helbig (1979) unterscheidet Fleischer die Aktionsarten (1997, 253) a) b) c) d)
Zustand/Vorgang (durativ) Zustandsveränderung (inchoativ) das Bewirken eines neuen Zustandes (kausativ) und das Hinnehmen/Erleiden eines Zustands (passiv)
Die folgende Zuordnung deutscher und englischer Beispiele kann für die Allgemein- wie die Fachsprache gelten. a) durativ sich im Aufbau/Verfall befinden; in Geltung/in Kraft sein; to be at attention/at a standstill/in charge/in harmony/on the go/in force; to hold in high esteem; to keep one’s promise/pace with
b) inchoativ den Anfang/einen Versuch machen; zum Einsatz/Erliegen kommen; einer Lösung zuführen; in Vergessenheit geraten; to come into fashion/sight/view/ season; to fall in love/into disuse/in oblivion/from grace; to get to sleep
c) kausativ eine Entscheidung treffen; einen Entschluss/Beschluss fassen; einen Besuch/Dank abstatten; Forderungen/Fragen stellen; Maßnahmen/die Flucht ergreifen; Vergleiche/Beobachtungen anstellen; Widerstand/Folge leisten; eine Vertretung/Berichter-
494 stattung vornehmen; to bring to attention/notice/a halt; to make a suggestion/proposal
d) passiv sich einer Prüfung/Analyse/Kontrolle/Behandlung unterziehen; Anerkennung/Anwendung/Unterstützung finden; in Erfüllung gehen; Lob/Fürsorge erfahren; to meet with resistance/approval/obstacles/ an accident; to take risks.
Einige dieser und ähnlicher Funktionsverbgefüge können zu Fachphraseologismen werden, wenn das sinntragende Substantiv einen Fachbegriff benennt, z.B. eine Obduktion/ Operation/einen Eingriff vornehmen; einen Eid ablegen; Anzeige/Meldung erstatten; Anklage erheben; eine Entscheidung/ein Urteil fällen. Im gehobenen Stil der Schriftsprache können Funktionsverbgefüge mitunter eine pathetische Wirkung erzielen: Respekt zollen; Ehrerbietung erweisen; ein Gelöbnis/Gelübde ablegen. Thomas Mann verwendet den Fachphraseologismus zur Extraktion schreiten, ein Funktionsverbgefüge vermutlich eigener Prägung, wenn er über den Zahnarzt, der dem Senator Thomas Buddenbrook einen hohlen und entzündeten unteren Backenzahn ziehen will, berichtet: ’Wir müssen zur Extraktion schreiten’, sagte er nach einer Weile und erblich noch mehr. ’Schreiten Sie nur’, sagte der Senator und schloss die Lider noch fester. (Th. Mann, Buddenbrooks. Verfall einer Familie. Berlin und Weimar 1972, 698. Ein ironischer Kunstgriff des Autors besteht gerade darin, dass er den Senator das Verb des Funktionsverbgefüges in seiner Erwiderung gewissermaßen resemantisiert verwenden lässt).
In Texten der öffentlichen Verwaltung, in der Presse und in parteipolitischen Verlautbarungen sind Funktionsverbgefüge eine bekannte Erscheinung, weshalb sie in der praktischen Stil- und Sprachpflege wiederholt als schablonenhafte Ausdrücke (auch Fleischer bezeichnet sie noch 1982, 139 als “Phraseoschablonen”) kritisiert worden sind. 3.2.3. Kollokationen Der Begriff “collocation” entstand im britischen Kontextualismus, dessen führender Vertreter Firth (1890–1960) war, und hat inzwischen einen festen Platz in der Lexikologie, Phraseologie/Idiomatik, Stilistik, Lexikographie und im Mutter- und Fremdsprachenunterricht. Unter einer Kollokation versteht man die bevorzugte, gewohnheitsmäßige Kombination von mehreren Einzelwörtern zu
XI. Fachphraseologie/Set phrases in technical language
einer syntagmatischen/syntaktischen Einheit ohne Benennungsfunktion. Eine notwendige Voraussetzung für die Kookkurrenz der Wortkombination ist die semantische und referentielle Verträglichkeit der Einzelwörter. In der englischen Phraseologie-Forschung wird unterschieden zwischen “open collocations” (Wortkombinationen mit einem freien paradigmatischen Austausch der Konstituenten: white clouds/hair/pepper), “restricted collocations” (mit einer teilidiomatisierten Konstituente, die einen Austausch ausschließt: white flag/white heat) und “idioms” (bei denen beide Konstituenten in einer übertragenen/metaphorischen oder metonymischen/Bedeutung auftreten: white lie/white hope/white elephant) (Gläser 1986, 38f.). Von besonderem Interesse für die Fachphraseologie ist der Begriff des “collocational range”. Darunter versteht man den Rahmen eines lexikalischen Paradigmas, dessen Wörter ein gemeinsames semantisches Merkmal aufweisen, das ihre Verbindbarkeit (Kollokabilität) steuert. Im englischen juristischen Wortschatz bildet das Verb produce eine Kollokationsreihe mit Objekten, deren referentieller Rahmen eine Problemlösung ist: to produce an alibi/a certificate/documents/an invention (‘Patent’)/ a prisoner. Kollokationen in der Wirtschaftssprache bildet das Verb to levy mit Objekten, die eine finanzielle Verpflichtung implizieren: to levy taxes/a fine/a ransom on sb./soldiers/ troops. Mit Kollokationen in der englischen Fachsprache der Humanmedizin hat sich eingehend Müller (1993) beschäftigt. Sie untersucht u.a. eine Gruppe verbaler Kollokationen, die einen Krankheitszustand bezeichnen, freie austauschbare Konstituenten haben und gewisse Ähnlichkeiten mit Funktionsverbgefügen der durativen Aktionsart aufweisen: to have/to experience/to suffer from a breakdown/a mental block/a cold/a heart attack/diarrhoea/epilepsy/a nose bleed/a sore throat/ deprevation/AIDS. An inchoative Funktionsverbgefüge erinnern folgende verbale Kollokationen: to catch a cold / chickenpox / German measles / yellow fever / herpes / pneumonia. Sinnverwandte, gleichfalls relativ bedeutungsarme Verben, die Kollokationen bilden, sind to come down with und to get: to come down with a cold/flue/diarrhoea/dysentry; to get AIDS/a depression/a bedsore.
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42. Fachphraseologie
In Arbeiten zur Terminologie ist wiederholt die Aufmerksamkeit auf verbale Fachkollokationen gelenkt worden, so dass man daraus schlussfolgern kann, dass die Verben auf Grund ihrer Fügepotenz (Valenz) als prototypisch für die Fachkollokationen insgesamt angesehen werden (Picht 1989). Substantivische Fachkollokationen spielen in der Terminologie offenbar eine untergeordnete Rolle. Doch hat gerade Müller substantivische Fachkollokationen in der Humanmedizin in einem “Kollokationsnetzwerk” (Müller 1993, 35) zu erfassen versucht. Das Substantiv als Kennwort (z.B. blood) ist das Bezugslexem attributiver Adjektive (human blood/pure blood/tired blood/circulating blood); es funktioniert als Agens (the blood cakes/clots/ coagulates/congeals) oder als direktes Objekt (to draw/give/donate/examine/type blood). Die Kollokationsbedingungen der Lexeme werden durch die medizinische Terminologie und die medizinischen Sachverhalte gesetzt. Die substantivischen Verbindungen, die Müller (1993, 32f.) als “restringierte Kollokationen” einstuft, z.B. accidental symptom (’Zufallssympton’), accidental death (’Tod durch Unfall’) erweisen sich zugleich als terminologische Phraseologismen, was erneut die Möglichkeit einer Mehrfacheinordnung veranschaulicht. Ähnliche Kollokationsnetzwerke stellt Kißig in ihrer Untersuchung über “Fachsprachliche Wortgruppen in englischen und deutschen Texten der Mikroprozessortechnik” (1995, 175f.) auf. Sie demonstriert “syntagmatische und paradigmatische Beziehungen” der Substantive MEMORY, STACK, BUS CYCLE, TASK und INSTRUCTION, wobei die tabellarische Darstellungsform Angaben über die referentielle Bedeutung und Struktur der in einem umfangreichen Computercorpus erfassten Wortgruppen ermöglicht. Der Begriff “Kollokation” wird außerhalb der Fachphraseologie als Sammelbegriff für ganz unterschiedliche Erscheinungen verstanden. Rehbock (in Glück 2000, 353) definiert die Kollokation als das erwartbare Miteinandervorkommen (Kookkurrenz) von Lexemen aufgrund von a) b) c) d) e)
Sachrelationen der Denotate (Regen ↔ Wolke) semantischer Assoziation (Mut ↔ Zuversicht) lexikalischer Solidarität (Rappe → schwarz) phraseologischer Verbindungen (Anordnungen treffen...) konzeptueller Stereotypie (tragischer Unfall ...).
Hier zeigt sich erneut der Übergang zwischen Kollokationen und Phraseologismen. 3.2.4. Propositionen Der Unterschied zwischen dem elaborierten phraseologischen System der Allgemeinsprache und dem restringierten phraseologischen System der Fachsprache tritt augenfällig bei den Propositionen zutage. Die Kommunikationsgemeinschaft der Fachleute ist kaum der Nährboden für das Entstehen neuer Sprichwörter und Gemeinplätze, Maximen und geflügelter Worte, die Allgemeingut der Sprachgemeinschaft werden könnten. Und doch gibt es ein interdisziplinäres phraseologisches Inventar, das aus Zitatfragmenten besteht, die auf markante, Erkenntnis vermittelnde Aussprüche von Philosophen und Gelehrten der Vergangenheit zurückgehen und durch ihre Bekanntheit durchaus mit den geflügelten Worten der Allgemeinsprache vergleichbar sind. Ihre Quelle sind Werktitel, Lehrsätze, philosophische Prinzipien, Sentenzen als Kernaussage einer Hypothese oder Aphorismen mit einer didaktischen Absicht. Solche geflügelte Worte gehören zum Allgemeinwissen der bildungstragenden Schicht. Der Ursprung dieser fragmentarischen Propositionen ist in den meisten Fällen bekannt, ihre überzeitliche Geltung unbestritten: der Kampf ums Dasein (struggle for life/the survival of the fittest): das von Charles Darwin formulierte Prinzip; das Gesetz von der Erhaltung der Energie (nach dem Physiker Robert Mayer); das Prinzip Hoffnung (nach dem Leipziger Universitätsprofessor und Philosophen Ernst Bloch); der kategorische Imperativ; das Ding an sich (Einsichten des Philosophen Kant); edle Einfalt und stille Größe (das Diktum des Kunsthistorikers und Altertumsforschers Johann Joachim Winckelmann über die griechische Architektur und Kunst der Antike); Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze (das Postulat der Junggrammatiker Brugmann, Delbrück, Leskien u. a.); the greatest happiness for the greatest number (“das größte Glück der größten Zahl” – Diktum des englischen Juristen und Philosophen Jeremy Bentham (1748–1832), der den Boden für den späteren Pragmatismus bereitete).
Zitate von Wissenschaftlern wie dem letztgenannten haben in der Regel ihren Platz im kollektiven Gedächtnis einer Kommunikationsgemeinschaft. So formulierte der Leipziger Germanist Theodor Frings in den Jahren um 1955 den Satz “Französisch ist Latein im gallischen Munde”, der in seinen Vorlesungen häufig zu hören war und sich seinen Stu-
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denten dauerhaft eingeprägt hat; an ihm könnte man unschwer die Substrat-Theorie erläutern. Maximen können in den Bezeichnungen für internationale Organisationen, die enge Bezüge zur Fachkommunikation haben, ihren Ausdruck finden: Ärzte ohne Grenzen (als e. V. in Deutschland seit 1993 als Zweig der internationalen Vereinigung mit Sitz in Bonn ansässig) oder Brot für die Welt (mit einem theologischen Hintergrund, die Aktion aller deutschen evangelischen Landes- und Freikirchen seit 1959). Die beiden letztgenannten Maximen sind aber gleichzeitig onymisiert und damit Namen von Institutionen – Eigennamen im Außenbezirk der Phraseologie, aber im Innenbezirk der Onomastik. In den technischen Disziplinen sind Losungen entstanden, die an der Peripherie der Fachkommunikation angesiedelt sind und auf die kommerzielle Werbung für Erzeugnisse und Dienstleistungen übergreifen, wobei auch die Grenze zur Allgemeinsprache überschritten wird. Die folgenden Beispiele hat Rees als fachbezogene Losungen mit Langzeitwirkung in sein “Dictionary of Slogans” (1997) aufgenommen: Computers Help People Help People (“Corporate Slogan for IBM, quoted 1976”); Advancement through technology (“Audi motor cars, UK, from 1982”); Where The Rubber Meets The Road (“Firestone tyres, US quoted 1976”). Ein wichtiger Sektor der satzähnlichen Fachphraseologismen sind jedoch die kommunikativen Formeln: sie sind Routineformeln im Verkehrswesen, in der Rechtssprache, in der Medizin und im Gesundheitswesen. Sie vermitteln zwischen mündlicher und schriftlicher Kommunikation sowie zwischen Fach- und Allgemeinsprache und sind außerdem ein Untersuchungsgegenstand der Fachgesprächsanalyse. Aus dem komplexen Gebiet der Routineformeln mit Aufforderungscharakter können in diesem allgemeinen Überblick nur typische Beispiele herangezogen werden, womit auch die Grenze zu den “formelhaften Texten” (Stein 2001) erreicht ist. Im System des Luft-, Schienen- und Straßenverkehrs sind strikte Verhaltensnormen und eindeutige Anweisungen unabdingbar. Ihren sprachlichen Ausdruck finden sie in juristischen und administrativen Regelungen, die als spezifische verhaltensteuernde kommunikative Formeln festgelegt sind. Ihre administrative Grundlage sind amtliche Richtli-
XI. Fachphraseologie/Set phrases in technical language
nien für den Luftverkehr und die Deutsche Bahn AG, die ständig aktualisiert werden. Routineformeln auf Flughäfen und im Flugzeug sind: Passengers should not leave their luggage unattended. No smoking behind this point. Captain crew ready for take-off/landing. Fasten seat-belts. Put your seats in upright position. Der Grundsatz der Flugsicherheit lautet: Safety before schedule (’Sicherheit geht vor Pünktlichkeit’). Kommunikative Formeln zwischen Pilot und Bodenpersonal sind: Cleared into position. Standby for take-off. Cleared for take-off.
Im Straßenverkehr englischsprachiger Länder fällt auf, dass zu den Piktogrammen der Verkehrszeichen noch verbale Gebote auf Autobahnen oder vergleichbaren nationalen Verkehrsstraßen verwendet werden. So steht in Großbritannien unter einem Vorfahrtsschild häufig die Aufforderung GIVE WAY, in den USA dagegen das einfache Verb YIELD. Auf amerikanischen Highways sind solche Aufforderungsformeln üblich wie Speed monitored by aircraft; Thru traffic – any vehicle; Road construction ahead; Watch for motorcycles; Watch for ice; Dangerous crosswinds; Scenic overlook 2 miles (Winter 1992).
Auf australischen und neuseeländischen Fernverkehrsstraßen wird besonders auf die Geschwindigkeitskontrolle hingewiesen und eindringlich zur Sauberhaltung der Verkehrswege ermahnt: Beispiele aus dem Northern Territory, Lesseter Highway, (Frühjahr 1993): Red light camera ahead. PLEASE DONT LITTER HIGHWAYS. No lines – do not overtake unless safe. Two way – new lining. Roadwork hazards ahead. Keep left unless overtaking. Fire danger today – total ban. Road closed – alternatives. Prepare to stop. Stock crossing. Trucks entering.
Beispiel für Aufforderungsformeln auf Fernverkehrsstraßen in Neuseeland (Frühjahr 1997): Speed camera ahead. Don’t litter. Watch for road slumps. Slow. Extreme care. Caution for wide vehicles. Fire emergency dial 111. Lagging trucks. Accident area next 6 km. Trucks use low gear next 450m. Caution. Turning traffic. Wet tar. New seal. Loose grit.
Auch die Ellipsen deklarativer Sätze vermitteln eine Handlungsanweisung in Sinne vorsichtigen Fahrens. In der Sprechakttheorie ist die direktive bzw. instruktive Funktion deklarativer Äußerungen in differenzierter Weise nachgewiesen worden.
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42. Fachphraseologie
3.2.5. Formelhafte Kurztexte In der Regel beschränken sich Routineformeln als kommunikative Phraseologismen auf den einfachen Satz. Jedoch gibt es gerade im institutionellen Verkehr formelhafte Handlungsanweisungen und Willensbekundungen, die komplexe Satzgefüge sind oder sogar die Satzgrenze überschreiten und bereits minimale Textstrukturen bilden. Sie befinden sich am äußersten Rand des phraseologischen Systems und berühren den Gegenstandsbereich der Textlinguistik. Schon die Autoren des “Handbuchs der Phraseologie”, Burger/Buhofer/Sialm (1982, 38) lenkten – eher beiläufig – die Aufmerksamkeit auf normierte fachsprachliche Wendungen mit einer stereotypen Lexik und Syntax, die keine einfachen Routineformeln mehr sind. Als Beispiel wählen sie deklarativ-direktive Polizeimeldungen über Verkehrsstörungen auf Autobahnen mit folgendem Wortlaut: “Etwa drei Kilometer zähflüssiger Verkehr wegen starken Verkehrsaufkommens an einer Baustelle.” Rundfunkdurchsagen der Polizei über einen Falschfahrer auf der Autobahn untersucht Stein (2001, 26) unter dem Oberbegriff “formelhafte Texte”. Darunter versteht er stereotype Textmuster, die Leerstellen für eine jeweils situative Aktualisierung vorsehen. Als eine funktional vergleichbare Entsprechung in der schriftlichen Kommunikation beschreibt Stein Erwiderungstexte bei der Entgegennahme von Kündigungen. Verallgemeinernd kann man nach Steins vorläufigen Untersuchungen feststellen, dass formelhafte Kurztexte (dieser Terminus soll hier fortan verwendet werden) einen mehrfachen Bezug aufweisen: Sie berühren die Gesprächsanalyse, die Pragmatik und auch die Stilistik. Im Folgenden sollen einige Beispiele solcher formelhaften Kurztexte an Beispielen des institutionellen Verkehrs und der Fachkommunikation im engeren Sinne vorgestellt werden. Beispiele für die mündliche Kommunikation finden sich im Verkehrswesen, als Durchsagen an Bahnsteigen der Bahnhöfe (Ankunft oder Abfahrt der Züge; Zugverspätungen). In der Rechtspflege begegnen formelhafte Kurztexte bei der Vereidigung eines Zeugen oder der Verkündung des Urteils. Formelhafte Kurztexte der schriftlichen Kommunikation im Hochschulwesen findet man als Text eines Abschlusszeugnisses oder
einer Promotionsurkunde (einschließlich einer Ehrenpromotion) sowie als Selbständigkeitserklärung des Kandidaten bei der Anfertigung einer akademischen Graduierungsarbeit. Im englischen Rechtswesen sind solche formelhafte Kurztexte üblich als Präambel eines innerstaatlichen Gesetzes und als stereotyp formulierter Patentanspruch in einer Patentschrift. Diese Vorkommenstypen sollen durch Beispiele veranschaulicht werden. Auf deutschen Bahnhöfen richten sich die Zugansager nach den im Jahre 2003 wieder aktualisierten Richtlinien der Deutschen Bahn AG, die genaue Textmuster für die Ansage von Zugankunft, Zugabfahrt und Zugverspätung vorschreibt. Ankündigung der Zugankunft
Meine Damen und Herren, auf Gleis (...) fährt ein der (Regionalexpress, ICE, IC) von (...) Hauptbahnhof nach (...) Hauptbahnhof über (Angabe der Haltepunkte). Abfahrt (Zeitangabe) (...) Nächster Halt Ihres Zuges ist (Angabe des Haltepunkts). Bitte Vorsicht bei der Einfahrt.
Ansage bei Ankunft des Zuges
Meine Damen und Herren auf Gleis (...) Willkommen in (Ortsangabe, eventuell mit Lokalkolorit: der Messestadt Leipzig/der Lutherstadt Wittenberg/Eisleben/der Klassiker-Stadt Weimar). Ihre nächsten Reisemöglichkeiten (Nennung der Art des Zuges, des Reiseziels, der Zeit- und Gleisangabe).
Ansage bei Abfahrt des Zuges:
Meine Damen und Herren am Gleis (...) Bitte steigen Sie ein. Vorsicht an den Türen und bei Abfahrt des Zuges.
Bei Zugverspätungen werden mitunter die Gründe genannt (Betriebsstörung, Bauarbeiten, Warten auf einen Anschlusszug). Der erwartbare Schlusssatz lautet:
“Wir bitten um Ihr Verständnis”.
Das nächste Beispiel stammt aus der Rechtspflege. Nach der in Deutschland bestehenden Strafprozessordnung gilt im Gerichtssaal bei der Vernehmung eines Zeugen eine Eidesformel, deren Wortlaut (§ 66 der STPO) der Richter dem Zeugen für die Beeidung einer Aussage wie folgt vorspricht: Sie schwören bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, dass Sie nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen haben, worauf der Zeuge die Worte gebraucht: Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe. Die nicht-religiöse Beteuerung einer Aussage besteht darin, dass der Richter an den Zeugen die Worte richtet:
498 Sie schwören, dass Sie nach dem bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen haben. Die Antwort des Zeugen lautet: Ich schwöre es. Die Strafprozessordnung legt außerdem fest (§ 66, Abs. 4), “Der Schwörende soll bei der Eidesleistung die rechte Hand erheben.”
Formelhafte Kurztexte der schriftlichen Kommunikation im Hochschulwesen sind für die Ausstellung eines Abschlusszeugnisses und einer Promotions- oder Habilitationsurkunde verbindlich. Der Wortlaut ist durch die Promotions- bzw. Habilitationsordnung der jeweiligen Fakultät festgelegt. Ein ähnliches Textmuster gilt für Urkunden bei Ehrenpromotionen, wobei bestimmte Modifikationen notwendig sind: bei der Begründung des Ehrentitels hinsichtlich der individuellen Leistungen des/der zu Ehrenden. Das folgende Beispiel für einen formelhaften Kurztext sind veröffentlichte Urkunden von Ehrenpromotionen an der TU Dresden im Jahre 2002 und 2003, deren Text aus einem einzigen Satz besteht: Die (Name und Ort der Universität/Hochschule) verleiht unter dem Rektorat von (Titel und Name) auf Beschluss des Senats und der Fakultät (Bezeichnung) unter dem Dekanat von (Titel und Name des Dekans) Herrn/Frau (Titel und/Name der Person) geboren am (Datum) die Würde doctor philosophiae honoris causa (oder eine andere) Dr. phil. h.c. in Würdigung seines/ihres wissenschaftlichen Werkes und seines/ihres (...) Wirkens in (...)/als (...) Ort, Datum Unterschrift Unterschrift Rektor Dekan
Die Selbständigkeitserklärung eines Kandidaten/einer Kandidatin als Anhang zu einer Graduierungsarbeit hat folgenden Wortlaut (bezogen auf die TU Dresden):
XI. Fachphraseologie/Set phrases in technical language BE IT ENACTED by the Queen’s most Excellent Majesty, by and with the advice and consent of the Lords Spiritual and Temporal, and Commons, in this Present Parliament assembled, and by the authority of the same, as follows: ... (vgl. Gläser 1979, 145).
Auch im englischen Patentrecht sind formelhafte Kurztexte für den Patentanspruch als Teiltext einer Patentschrift verbindlich. Er steht – im Unterschied zum Deutschen – stets am Anfang der Patentschrift und ist durch heute archaisch wirkende Ausdrücke der englischen Rechtssprache charakterisiert (z.B. den “subjunctive” und das Adverb hereby): “We (Name und Adresse des Unternehmens) do hereby declare the invention, for which we pray that a patent may be granted to us, and the method by which it is to be performed, to be particularly described in and by the following statements: ...” (Gläser 1979, 112).
Auch im Gesundheitswesen zirkulieren formelhafte Kurztexte im Zusammenhang mit der öffentlichen Aufklärungsarbeit über die Gefahren des Rauchens und der Ansteckung mit AIDS, aber auch als Teiltexte einer Pakkungsbeilage für Medikamente. In diesem Bereich gibt es bereits internationale Gemeinsamkeiten. Formelhafte Kurztexte als Warnung vor dem Zigarettenkonsum findet man in Deutschland auf erleuchteten Reklametafeln für bestimmte Zigarettensorten, die meist an den Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel angebracht sind. Die Warnung ist konstant, die Messwerte der Schadstoffe können je nach Zigarettensorte variieren. Die EG-Gesundheitsminister: Rauchen kann tödlich sein. Der Rauch einer Zigarette dieser Marke enthält 10 mg Teer, 0,8 mg Nikotin und 10 mg Kohlenmonoxide. (Durchschnittswerte nach ISO)
Diese Formel wirkt noch eindringlicher als die bisher übliche Warnung: Der EG-Gesundheitsminister: Rauchen gefährdet die Gesundheit (...)
Erklärung zur selbständigen Anfertigung der Dissertation Ich erkläre hiermit, dass ich die vorliegende Arbeit ohne zulässige Hilfe Dritter und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe. Die aus anderen Quellen und der Literatur direkt oder indirekt übernommenen Daten, Konzepte und Texte sind unter Angabe der Quellen gekennzeichnet (...)
DANGER. H.M. GOVERNMENT HEALTH DEPARTMENT’S WARNING: CIGARETTES CAN SERIOUSLY DAMAGE YOUR HEALTH.
In Großbritannien gelten für die Präambel zu einem Gesetz traditionelle Formulierungsmuster:
In den USA gilt seit 1970 folgende formelhafte Warnung gegen das Rauchen von Zigaretten:
Als funktionales Pendant ist in Großbritannien seit 1980 folgender formelhafter Kurztext im Gebrauch:
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42. Fachphraseologie WARNING: THE SURGEON GENERAL HAS DETERMINED THAT CIGARETTE SMOKING IS DANGEROUS TO YOUR HEALTH.
Die englischsprachigen Warnformeln und Losungen sind bereits in dem “Dictionary of Slogans” von Rees (1997) kodifiziert. Medizinische und rechtliche Bezüge haben Beipackzettel für Medikamente. Sie enthalten Warnformeln unterschiedlicher Art und weisen auch funktionale Parallelen in anderen Sprachen auf. Für die Textsorte Beipackzettel bzw. Packungsbeilage (engl. drug information sheet/patient instruction leaflet) als Gebrauchsinformation für pharmazeutische Erzeugnisse, die der Patient als Medikament verschrieben bekommt oder rezeptfrei erwirbt, gelten in Deutschland seit 1970 rechtliche und behördliche Vorschriften hinsichtlich des Informationsgehalts und der Textstruktur. Da der Beipackzettel als produktbegleitender Text der fachexternen Kommunikation gleichzeitig an den Patienten, den Arzt und den Apotheker gerichtet ist, muss er genaue Auskunft geben über die Zusammensetzung, Eigenschaften und Anwendungsgebiete des Medikaments, über Nebenwirkungen, Unverträglichkeit und Risiken sowie über Darreichungsformen und Packungsgröße (vgl. Schuldt 1992). Jeder Beipackzettel enthält drei bis vier formelhafte Handlungsanweisungen, die kaum Modifikationen zulassen. Höflichkeitsausdrücke sind fakultativ. 1.
Der Leseimpuls an den Patienten:
Gebrauchsinformation, bitte aufmerksam lesen!/ Gebrauchsinformation. Sorgfältig lesen Gebrauchsinformation. Bitte sorgfältig lesen! Important! Read carefully! Please read this carefully before you start to take your medicine.
2.
Aufbewahrungspflicht im Sinne des Kinderschutzes:
Arzneimittel unzugänglich für Kinder aufbewahren! Arzneimittel für Kinder unzugänglich aufbewahren! Keep all medicines out of the reach of children! Keep your medicine out of reach of children.
3.
Beachtung des Verfallsdatums Die Anweisung, auf das Verfallsdatum des Medikaments genau zu achten, wird nicht als Imperativ, sondern mit Hilfe eines Modalverbs ausgedrückt:
Das Arzneimittel soll nach Ablauf des/auf der Pakkung angegebenen/Verfallsdatums nicht mehr angewendet werden/Nach Ablauf des Verfallsdatums soll
(Name des Arzneimittels) nicht mehr angewandt werden.
4.
Konsultationsempfehlung des Arztes oder Apothekers bei Unklarheiten Die gängige Formulierung lautet:
Bei Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.
In dieser Form kommt der als klassisch geltende und in der Pharmazeutika-Werbung im Fernsehen oft zitierte Satz selten vor. Üblicher sind Einkleidungen wie Wenden Sie sich bitte an Ihren Arzt oder Apotheker./Wenn Sie Nebenwirkungen bei sich beobachten, die nicht in dieser Gebrauchsinformation aufgeführt sind, teilen Sie das bitte Ihrem Arzt oder Apotheker mit.
Eine fakultative verhaltensteuernde Routineformel in englischen Packungsbeilagen betrifft den ausschließlich persönlichen Gebrauch des Medikaments: REMEMBER: This is medicine for YOU. Never give it to someone else. It may harm them even if their symptoms are the same as yours.
Die wenigen Beispiele haben gezeigt, dass formelhafte Kurztexte ein relevanter Typ kommunikativer Einheiten im Grenzbereich von Phraseologie und Textlinguistik sind.
4.
Fachphraseologismen in ausgewählten Kommunikationsbereichen
Die bisher nur allgemeine Charakteristik der Fachphraseologismen soll in den folgenden Abschnitten am Beispiel sehr unterschiedlicher Kommunikationsbereiche konkretisiert werden (weiteres Material bieten die Artikel 45 und 46 in diesem Band). Ausgewählt wurden die Fachsprache der Wirtschaft mit ihrem komplexen Bezug auf die Befriedigung der gesellschaftlichen Bedürfnisse an Produkten und Dienstleistungen und die Sprache der Politik, des Öffentlichkeitsbereiches als Organisation des Staatswesens in seiner inneren und äußeren Funktion – und schließlich die Fachsprache der Kraftfahrzeugtechnik als einer Disziplin der Ingenieur- bzw. Technikwissenschaften. In dieser exemplarischen Beschreibung sollen die Fachphraseologismen nach charakteristischen Bildungsmustern, nach ihrem Auftreten in bestimmten Textsorten und ihrer Zugehörigkeit zu einer Sprachgebrauchs- bzw. Stilebene untersucht werden. Die Material-
500
quelle sind Fachwörterbücher, Glossare und publizistische Texte. 4.1. Phraseologismen in der Fachsprache der Wirtschaft Sowohl das “Wirtschaftsenglisch-Wörterbuch” von van Bernem (1994) als auch die Monographie Duhmes zur “Phraseologie der deutschen Wirtschaftssprache. Eine empirische Untersuchung zur Verwendung von Phraseologismen in journalistischen Fachtexten” (1991) haben den Nachweis erbracht, dass der ökonomische Wortschatz im allgemeinen und das phraseologische Inventar im besonderen eine Schichtung nach Sprachgebrauchsebenen, die sich auch in einzelnen Textsorten ausprägen, aufweisen. Diese Stratifikation reicht von stilistisch neutralen terminologischen Phraseologismen bis zu salopp oder gar grob umgangssprachlichen Ausdrücken mit starken expressiven Konnotationen. Moderne Wörterbuchautoren haben daher zu Recht Fachwörter der Umgangssprache und des Slang mit aufgenommen und Stilmarkierungen bei den Eintragungen in der Quellenund Zielsprache angegeben. In der Fachsprache der Ökonomie sind terminologische Phraseologismen der fachinternen Kommunikation stets stilistisch neutral. Die folgenden phraseologischen Äquivalente stammen aus dem Wörterbuch von van Bernem. Hier ist ein verbreitetes Bildungsmuster die Nominalgruppe, die aus einem attributiven Adjektiv (das im Sinne einer Informationsverdichtung auch ein Kompositum sein kann) und einem Substantiv besteht: amtliche Währungsreserven (official reserves); angelernte Arbeitskraft (semi-skilled worker); exportinduzierter Aufschwung (export-led recovery); lizenzfreie Einfuhr (imports on general licence).
Ein anderes häufiges Bildungsmuster besteht aus einem Substantiv und einer Präpositionalphrase: Abbau von Sozialleistungen (social dumping); Rendite auf durchschnittliche Laufzeit (yield to average life); Abschreibung auf Wertminderung (depreciation on wear and tear).
Im englischen Fachwortschatz der Ökonomie kommen substantivische Zwillingsformeln vor, die im Deutschen selten ein strukturelles Gegenstück haben. Auch sie sind stilistisch neutral: wear and tear (Wertminderung); cash and carry arbitrage (Preisspanne im Terminhandel); research and development (Forschung und Entwicklung); either-or order (Alternativauftrag); duty and taxfree
XI. Fachphraseologie/Set phrases in technical language importation (abgabefreier Markt). Leicht umgangssprachlich gefärbt ist pop-and-mom corner store (Tante-Emma-Laden).
In der englischen Tagespresse werden ökonomische Sachverhalte mit negativen Auswirkungen häufig durch Substantivgruppen wiedergegeben, die aus einem expressiv konnotierten Kompositum mit metaphorischer Bedeutung und einem Substantiv, das als Terminus gelten kann, bestehen. Das deutsche Äquivalent kann ein komplexes Lexem, eine Wortgruppe oder eine Paraphrase sein: meat-axe reduction (pauschale Kürzung); blind-alley job/dead-end job (Beruf ohne Zukunft); yellowdog contract (Arbeitsvertrag, der den Beitritt zur Gewerkschaft verbietet); beggar-my neighbour policy (Leistungsbilanzüberschusspolitik).
Die englischen Beispiele liegen bereits an der Grenze der stilistisch und expressiv konnotierten Phraseologismen im journalistischen Sprachgebrauch der Wirtschaftspresse, die Duhme (1991) untersucht hat. Die folgenden Beispiele aus dem Wörterbuch von van Bernem lassen sich dieser Stilebene der Umgangssprache zuordnen. Auch das deutsche Äquivalent hat diese Konnotationen: messy job (Drecksarbeit); sweated money (Hungerlohn); slaughteredprice (Schleuderpreis); sagging market (abgeschwächter Markt); filthy lucre (schmutziges Geschäft).
Auch die verbalen Phraseologismen in der englischen und deutschen Wirtschaftssprache verteilen sich auf die neutrale und die umgangssprachliche Stilebene. Als terminologische Phraseologismen, die wiederum den Funktionsverbgefügen und Kollokationen nahestehen, können gelten: Bilanz ziehen (balancing); eine Forderung geltend machen (to raise a claim); eine Prognose nach unten korrigieren (to revise a forecast downwards); zur Einkommenssteuer veranlagen (to levy income tax on sb.); ein Produkt bewerben (to advertise a product); eine Anleihe begeben (to grant a loan).
Auf der umgangssprachlichen Stilebene angesiedelt sind verbale Phraseologismen, deren expressiven und stilistischen Konnotationen im Englischen und Deutschen übereinstimmen: to jam the credit brake (die Kreditbremse anziehen); to work on the knocker (Klinken putzen, bezogen auf die Arbeit eines Handelsvertreters); to eke out a living (sich kümmerlich durchschlagen); to bust one’s breeches (AE. vulg. breeches steht für BE. britches) (sich abrackern).
42. Fachphraseologie
Ein ähnliches phraseologisches Material auf der salopp-umgangssprachlichen Stilebene konnte Duhme (1991) aus deutschen journalistischen Texten über ökonomische Themen gewinnen. Die verbalen Phraseologismen zeichnen sich durch eine starke Metaphorik aus: das große Geschäft wittern; den Markt beackern; sich auf dem Markt tummeln; den Markt abgrasen; eine schnelle Mark verdienen; ein Schnäppchen machen; den Rückwärtsgang einlegen; die Notbremse ziehen; das Konjunkturtal durchschreiten; ein Geschäft platzen lassen; Geld lockermachen; schwarze/rote Zahlen schreiben.
Die Bildspender solcher und ähnlicher verbaler Idiome im Wirtschaftsjournalismus sind neben der Kraftfahrzeugtechnik und der Tierwelt häufig auch sportlicher Kampf und militärische Auseinandersetzungen. 4.2. Phraseologismen in der Sprache der Politik Da die Sprache der Politik keine Fachsprache im Sinne eines eingegrenzten Gegenstandsbereiches und eines homogenen Benennungsinventars ist, begegnen in der Medienberichterstattung Begriffe und Benennungen des Völkerrechts, der Diplomatie, des Parlamentarismus, der Ökonomie, des Kultur- und Sportsektors, des Erziehungs- und Bildungswesens, des Militärs und der Weltraumforschung, wenn Themen der Innen- und Außenpolitik zur Diskussion stehen. Dementsprechend vielfältig ist das phraseologische Inventar für feststehende politische Begriffe. Von diesen Fachphraseologismen sind jedoch die Phraseologismen der Allgemeinsprache zu unterscheiden, die Journalisten in tagespolitischen Leitartikeln, Meldungen, Kommentaren, Glossen oder Feuilletons zur Ausdrucksverstärkung und für andere stilistische Effekte verwenden. Eine wichtige Quelle für terminologische Phraseologismen im parlamentarischen Sprachgebrauch ist die 2001 vom Deutschen Bundestag, Referat Öffentlichkeitsarbeit, herausgegebene Informationsbroschüre “Parlamentsdeutsch für Anfänger und Profis”. Dort werden zentrale Begriffe allgemeinverständlich definiert und erläutert. Unter ihnen sind substantivische Wortgruppen zahlreich vertreten. steuerfreie Kostenpauschale; soziale Marktwirtschaft; namentliche Abstimmung; konstruktives Misstrauen; befriedete Bezirke (eine Schutzzone um öffentliche Gebäude, damit die Verfassungsor-
501 gane ungestört arbeiten können); Kleine Anfrage/ Große Anfrage (unterschiedliche schriftliche Anfragen der Fraktionen an die Bundesregierung zu einem bestimmten Sachverhalt).
Aus Bundestagsdebatten und der Berichterstattung in den Medien bekannt sind eine Reihe idiomatischer Phraselogismen wie der große Lauschangriff (seit 1998 eine punktuelle akustische Überwachung von Privaträumen zur Bekämpfung späterer Kriminalität); feindliche Übernahme (bezogen auf die erzwungene Fusion eines ökonomisch schwächeren Unternehmens durch einen ökonomisch stärkeren Konkurrenten mit internationalen Verflechtungen); die samtene Revolution (eine aktualisierte Metapher von 1989/90, als die sozialistische Staatsordnung in der ČSSR abgelöst wurde, erneut angewandt auf den Regierungsrücktritt des georgischen Präsidenten Eduard Schewardnadse am 23. November 2003 in Tbilissi/Tiflis). Einige Phraseologismen des deutschen parlamentarischen Sprachgebrauchs bestehen aus einer stabilen Folge von Adjektiven, die infolge ihres formelhaften Charakters weder Stellungsvarianten noch Substitutionen zulassen. Sie bezeichnen komplexe politische Prinzipien und Sachverhalte: legislative, exekutive und judikative Gewalt; allgemeine, unmittelbare, freie, gleiche und geheime Wahlen.
Verbale Phraseologismen bezeichnen bestimmte Verfahrensweisen im Bundestag wie per Gesetz ermächtigen; mit Handzeichen abstimmen; eine Nullrunde einlegen (das Aussetzen der Rentenerhöhung im Jahre 2004).
Einige in der Öffentlichkeit oft zitierte Grundsätze der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland sind zugleich festgefügte Propositionen, die sich in die periphere Zone der Fachphraseologie einordnen lassen: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. – Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. – Eigentum verpflichtet. – Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
Lockeren Bezug zur Sprache der Politik haben die in der Allgemeinsprache bekannten Gemeinplätze Das Gesetz ist dehnbar. – Every law has a loophole. Neue Phraseologismen auf dem Gebiet der Außenpolitik kamen im Deutschen wie im Englischen im Zusammenhang mit dem IrakKrieg (2003) in Umlauf; einige Phraseologismen waren bereits nach dem 11. September 2001 entstanden und erneut aktuell geworden. Sie bezeichnen politische und militärische
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XI. Fachphraseologie/Set phrases in technical language
Begriffe der USA-Regierung und des Pentagons: axis of evil (’die Achse des Bösen’); fog of war (’die Unwegsamkeiten des Krieges’); pre-emptive war (’Präventivkrieg’; ’Erstschlag’); dirty war (’schmutziger Krieg’); clean war (’chirurgisch/sauberer Krieg’); embedded journalists (’in die Truppen ’eingebettete’ Journalisten’); friendly fire (’Beschuss aus den eigenen Reihen’); collateral damage (’Kollateralschaden’) – Unwort des Jahres 1999 in Deutschland); shock and awe (’Schock und Schrekken’; ’Schock und Einschüchterung’ – der detaillierte Maßnahmeplan des Pentagons zur Bombardierung irakischer Städte kurz nach dem 20. März 2003).
Die militärischen Phraseologismen embedded journalists und shock and awe sind Neologismen. 4.3. Phraseologismen in der Fachsprache der Kraftfahrzeugtechnik Im phraseologischen Inventar der Kraftfahrzeugtechnik, eines Fachgebiets mit starkem Praxisbezug, lassen sich zumindest drei Sprachgebrauchsebenen, zwischen denen aber gleitende Übergänge bestehen, unterscheiden: 1.
2.
3.
die terminologischen Phraseologismen auf der neutralen Ebene der schriftlichen Kommunikation, repräsentiert durch solche Fachtextsorten wie technisches Handbuch, Betriebsanleitung, Ausstellungskatalog für Auto-Messen, Produktspezifikationen in einem Werbeinserat, Reparatur- und Wartungsbuch, Vertragstext und Geschäftskorrespondenz. In der mündlichen Fachkommunikation sind Phraseologismen auf dieser Ebene im technischen Vortrag, in Produktionsgesprächen, Geschäftsverhandlungen und in Kundenberatungsgesprächen erwartbar. die dem Fachjargon der materiellen Produktion zuzuordnenden Phraseologismen mit expressiven und stilistischen Konnotationen der Umgangssprache. Sie werden vorzugsweise in der mündlichen Kommunikation von Produktionsarbeitern gebraucht, z.B. in der Montagehalle, in der Lackiererei, in der Reparaturwerkstatt oder auch auf Plätzen, wo stillgelegte Autos verschrottet und entsorgt werden. Diese Phraseologismen sind bildhaft und oft idiomatisiert. salopp-umgangssprachliche, dem Slang nahestehende Phraseologismen in Pressetexten, die fachextern auf die Autobranche Bezug nehmen, indem sich Journalisten an eine technisch wenig gebildete Leserschaft wenden. Abhängig von der journalistischen Textsorte (Meldung, Feuilleton, Glosse) kann der Stil solcher Texte auch durch expressive phraseo-
logische Neubildungen z.B. für KFZ-Typen, Bauelemente, Verfahren, Werkstoffe oder auch die Fahreigenschaften eines Autos geprägt sein.
Es ist gerade ein besonderer Vorzug des “PONS Fachwörterbuchs der KFZ-Technik Englisch-Deutsch. Deutsch-Englisch” von Schmitt (1992), dass es Fachwörter und -wendungen der unteren Sprachgebrauchsebenen mit aufgenommen hat. Erstmals wird hier das gesamte lexikalische und phraseologische Material mit einem einheitlichen System von Indizes versehen, die zu jedem Stichwort semantische und pragmatische Angaben liefern. Der Eintrag enthält einen Hinweis auf das betreffende Gebiet der KFZTechnik, berücksichtigt mögliche geographische Varianten (Britisches, Amerikanisches und Australisches Englisch), Synonyme und verwandte Termini. Für die stilistische Einordnung der Bezeichnungen aufschlussreich sind die Indizes der Sprachgebrauchsebene und Verwendungsweise eines Lexems oder Phrasems: rare, coll, obs (obsolete), thsc (theoretical science), ppsc (popular science), press (journalistischer Sprachgebrauch). Diese Indizes werden konsequent in der Quellen- und Zielsprache angewendet. Diese neuartige Darstellungsweise des Fachvokabulars ermöglicht einen system- und pragmalinguistischen Zugriff auf das phraseologische Material dieses Technik-Wörterbuchs. Die typischen terminologischen Phraseologismen sind selbstdeutige Verbindungen aus einem Adjektiv und einem Substantiv: verbleiter Kraftstoff (leaded fuel); stoffliche Wiederverwertung (recycling); verstellbares Lenkrad (tilt steering wheel); ausziehbarer Radmutternschlüssel (telescoping lug wrench); verbeulte Felge (dented rim).
Adjektivkomposita unterstützen die Informationsverdichtung durch Ausdrucksökonomie: sitzintegrierter Sicherheitsgurt (seat integrated belt system); warmhärtender Klebstoff (hot-curing adhesive); streusalzbedingte Korrosion (salt corrosion); diebstahlsicheres Rad (lockable wheel); runderneuerte Reifen (retreaded tire).
Ein weiteres Bildungsmuster phraseologischer Termini sind Substantive mit Präpositionalphrase: Warnleuchte für offene Tür (door ajar indicator); Haftung auf nasser Straße (wet grip/wet road holding); Absterben im Leerlauf (stalling at idle).
42. Fachphraseologie
Phraseologisch interessant sind ferner eine Reihe von Zwillingsformeln, die aber nur in den englischen Bezeichnungen auftreten: pigments and dyes (Farben und Lacke); cam-androller steering (AE)/worm-and-roller steering (BE) (Schneckenlenkung mit Schneckenrad; Schneckenlenkung mit Rollzahn); worm and wheel (Schneckenradgetriebe). Umgangssprachlich markiert ist die Adverbialphrase without runs and sags (’tränenfrei’, ohne Lackfehler), bezogen auf die Oberfläche der Karosse.
Beispiele für verbale Phraseologismen der neutralen Stilebene sind: die Batterie laden (to charge the battery); die Batterie abklemmen (to disconnect the battery); Spannung anlegen (to energize); nass schleifen (to wet sand); vor Korrosion schützen (to provide corrosion protection); den roten Drehzahlenbereich erreichen (to redline).
Auch bei den idiomatisierten Phraseologismen der umgangssprachlichen Ebene können die stilistischen Markierungen in beiden Sprachen variieren. Gemeinsam ist diesen Bezeichnungen ihre plastische Metaphorik, die freilich der Fachmann, der sie täglich gebraucht, nicht mehr als solche empfinden mag: topless automobile/open air automobile (Press) (Kabrio ugs.); bald tire (coll.)/worn-out tire (abgefahrener Reifen); bare shell (nackte Karosse ugs.); green tire (Reifenrohling, unvulkanisiert); flooded engine (abgesoffener Motor ugs.) rich mixture (fettes Luft/Kraftstoff/Gemisch); dead battery (coll.) (leere Batterie).
Ein verbales Idiom dieser Stilebene ist den Motor abwürgen (to stall an engine). Zusammenfassend kann man feststellen, dass die Fachsprache der Kfz-Technik einen stilistisch differenzierten Bestand an Phraseologismen aufweist, der auch technischen Veränderungen und der Vermarktung in der KfzBranche – nicht zuletzt durch die Medien – ausgesetzt ist. Die Dynamik der Produktionsund Absatzbedingungen in dieser technischen Disziplin macht eine ständige Aktualisierung terminographischer und lexikographischer Standardwerke wie des “PONS Fachwörterbuchs der Kfz-Technik” notwendig.
5.
Ausblick: Fachphraseologie – Translatologie – Textlinguistik
Erfahrungsgemäß sind Phraseologismen – der Allgemeinsprache wie der Fachsprache – für die Translatologie ein Problem der Entsprechungsbeziehungen, die dem Übersetzer das
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zweisprachige Wörterbuch anbietet, und der Äquivalenzbeziehungen, die gerade der Text durch seine situative Einbettung erfordert. Den literarischen Übersetzer beschäftigen die sozialen, kulturellen, historischen, ästhetischen und individualstilistischen Bezüge von Phraseologismen in einem Wortkunstwerk. Der Fachübersetzer hingegen muss sich im Sachfach auskennen und sollte sogar bei den terminologischen Phraseologismen auf die adäquaten Entsprechungen im Begriffs- und Benennungssystem der Zielsprache bedacht sein. Welche Hilfe der Übersetzer aus Fachwörterbüchern, deren Einträge auch die Sprachvarianten und Stilebenen der Lexeme berücksichtigen, erhalten kann, haben die Lexikographen Schmitt (1992) durchgehend für die Kfz-Technik und van Bernem (1994) zumindest ansatzweise für die Wirtschaftssprache, jeweils für das Deutsche und Englische, unter Beweis gestellt. Auch von Seiten der universitären Übersetzerausbildung ist die Wichtigkeit phraseologischer Einheiten, halbfester Wortverbindungen, syntaktischer Formulierungsmuster u.a.m. in der praktischen Arbeit am Text erkannt worden. Der Translatologe Wilss hat in Anlehnung an den englischen Terminus “building block of cognition” den Oberbegriff “Textbausteine” geprägt. In seinem Buch “Übersetzungsunterricht. Eine Einführung” (1996, 128f.) widmet er dieser Erscheinung ein selbständiges Kapitel. Unter “Textbausteinen” versteht der Verfasser u.a. phraseologische, syntagmatische und syntaktische Strukturen, die in unveränderter oder abgewandelter Form besonders in Fachtexten ständig wiederkehren und im Englischen und Deutschen Parallelen aufweisen. Der sichere Umgang mit Textbausteinen wäre für den (Fach-) Übersetzer, wie Wilss überzeugend begründet, eine spürbare Arbeitserleichterung (1996, 130): Textbausteine sind ’Hohlformen’, die kontextunabhängig sind, aber kontextspezifisch aufgefüllt werden können (...) Textbausteine reduzieren, unabhängig von aller subjektiven Erfahrung, die Vielfalt der sprachlichen Erscheinungen auf eine begrenzte Zahl von Grundstrukturen; (...) Textbausteine sind keine einzelsprachliche, sondern eine interlingual beobachtbare Erscheinung; ihre Untersuchung unter dem Aspekt interlingualer Konvergenzen und Divergenzen ist eine zentrale Aufgabe des Übersetzungsunterrichts.
Zu solchen Textbausteinen zählt Wilss als nicht-phraseologische Einheiten informationsverdichtende adjektivische Komposita im
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Englischen und Deutschen wie result-focused/ergebnisorientiert; rocket-powered/raketengestützt und substantivische Mehrwortkomposita, deren Basisgruppe durch ihre feste Konstituentenfolge an Zwillingsformeln erinnert, auch wenn hier die Kopula fehlt: cost-benefit analysis/Kosten-Nutzen-Analyse; part/whole relation/Teil-Ganzes-Relation. Den Phraseologismen am nächsten stehen solche Nominalgruppen, die Wilss als “syntagmatisch-syntaktische Konfigurationen” (1996, 146) bezeichnet, Formulierungen wie z.B. Werkzeuge für die wirksame Beobachtung von (...); an excellent tool for observing efficiently and quickly the interaction (...); die Methoden bei der Untersuchung von (...); the techniques employed in the studying (...). Das Konzept der Satzbausteine hat Berührungspunkte mit dem von Krahl und Kurz in der deutschen Stilistik verwendeten Begriff der “Fertigstücke”, der ebenfalls aus der praktischen Arbeit am Text mit Journalistik-Studenten hervorgegangen ist. In dem “Kleinen Wörterbuch der Stilkunde” (1984, 49) definieren die Autoren Fertigstücke als sprachliche Formulierungen für Beziehungen und Sinnkomplexe, die in der gesellschaftlichen Praxis ständig wiederkehren und nicht von jedem Sprechenden und Schreibenden neu geprägt, sondern insgesamt übernommen, in eine eigene Darstellung eingefügt, beigegeben werden (...)
Beispiele dafür sind Nominalketten, die mehrere Attribute enthalten und für den Stil der Publizistik typisch sind: die Organisierung der Kontrolle/der Erfüllung/der Verpflichtung; das Gesetz der ungleichmäßigen politischen und wirtschaftlichen Entwicklung der kapitalistischen Länder; die Erhöhung der Effektivität.
Sowohl die methodischen Ansätze der Translatologen und Lexikographen als auch der Stilistiker, die ihr phraseologisches Material (im weiteren Sinne) aus der praktischen Textarbeit gewinnen, haben überzeugend bewiesen, dass die Textlinguistik in mehrfacher Hinsicht zu einer wichtigen Bezugsdisziplin für die Fachphraseologie geworden ist. Jede Korpusarbeit, die das Auftreten und die Verwendungsweise, die Struktur und Funktion von Fachphraseologismen qualitativ und quantitativ nachweisen will, setzt zunächst eine bewusste Entscheidung über die relevanten Textsorten eines Fachgebiets voraus und erfordert den Einschluss der sozialen und stilistischen Stratifikation der Fachkommunikation. Die Textlinguistik ist auch die An-
XI. Fachphraseologie/Set phrases in technical language
schlussstelle für die Untersuchung kommunikativer Formeln im institutionellen Verkehr, die bereits die Gestalt “formelhafter Texte” haben, wie sie Stein (2001) in der Tätigkeitssphäre der Polizei und des Geschäftsverkehrs von Firmen an Beispielen veranschaulicht hat. Auch die Fachtextlinguistik im engeren Sinne hat sich schon in den 1980er Jahren mit “formelhaften Texten” beschäftigt, ohne allerdings diesen Terminus zu verwenden. So hat Krefeld in seiner Monographie “Das französische Gerichtsurteil in linguistischer Sicht: Zwischen Fach- und Standessprache” (1985) detailliert beschrieben, dass das französische Urteil (...) in seiner starren Formalisierung ein Konglomerat aus Bestandteilen aller Epochen der Sprach- und Rechtsgeschichte (...) ist“ und faktisch aus einem einzigen komplexen Satz besteht. (1985, 10)
Perspektivisch gesehen, wird man formelhafte Kurztexte der mündlichen (Fach)kommunikation nur dann adäquat beschreiben können, wenn man auch die Kategorien und Methoden der (Fach)gesprächsanalyse berücksichtigt.
6.
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506
XI. Fachphraseologie/Set phrases in technical language
43. Phrasemes in legal texts 1. 2. 3. 4.
Introduction Phraseology in legal language Conclusion and perspectives Select bibliography
1.
Introduction
1.1. LSP phraseology – no coherent research field Recognition of phraseology as an independent academic discipline within linguistics is evident from the intense and widespread research activity of the past 30 years. Apart from a considerable number of theoretical studies, the increasing interest in phraseology manifests itself in the publication of several specialized dictionaries and in the growing attention given to the subject in textbooks on lexical semantics, lexicology, and in foreign language teaching and learning (Cowie 1998: 2). Phraseology is an expanding field of research. Today, a great variety of theories are employed in the study of word combinations, including, e.g., cognitive linguistics, psycholinguistics, cultural anthropology, pragmatics, and discourse analysis. One of the fields that have attracted increasing attention in recent years is phraseology in Language for Specific Purposes - LSP (Burger 2003, 48). This is documented by the growing number of publications concerned with phrasemes in specialized languages; e.g. the language of medicine (Müller 1993), economics (Duhme 1991, Stolze 1994, Delplanque 1997, Gühnter 2003, Tognini-Bonelli 2002), computer science (Rothkegel 1997), science and economics (Ulfborg (forthcoming)), law (Kjær 1990a, 1991, 1992, 1994, Gautier 1999, Wirrer 2001, Eckardt 2002, Bonfort-Bernuit (2003), Seifert 2004), European law & politics (Rothkegel 1989, Cohen 2003, Gréciano 2004), and politics (Elspaß 2000). See also the general introduction to the field in Gréciano (1995). Nevertheless, it seems fair to say that, so far, LSP phraseology remains an under-explored sub-field in the research history of phraseology. It is not institutionalized as an independent line of research, and it is difficult to point out specific scholars and works representing the field, let alone research groups working together with a view to establishing a coherent theory of LSP phraseology. In that
respect, the state-of-the-art in the field of LSP phraseology resembles that of cognitive approaches to phraseology (Dobrovol’skij 2004, 119). Moreover, only a few attempts have been made to develop comprehensive theories, tailored to phraseology in particular specialized languages. The consequence of the lack of a coherent research activity in the field seems to be, on the one hand, that only certain aspects of LSP phraseology are covered, the terminological perspective being the dominant one, and, on the other hand, that LSP phraseology is treated as a special case, as an exception from the rule, belonging, at best, to the periphery of the discipline of phraseology. I shall comment on these consequences in the following. 1.2. LSP phraseology – the terminological point of view In most cases, LSP word combinations are introduced in general descriptions of phraseology under the heading of “multi-word terms”, and either dismissed as not being phraseological at all (Fleischer 1997, 251) or left undescribed (Burger 2003, 165). As indicated by Fleischer (1982, 71ff), the treatment of multi-word-terms should be left to the science of terminology. However, the focus and primary concern of terminological research are not word combinations as such, but word combinations only in their capacity of signifying concepts (multi-word-terms) or making out the stable environment of terms (LSP phrases – Picht 1990). Rather than outlining overall theories of word combinations, comprising all types of “more or less” stable word combinations in specialized fields of communication, many studies aim at describing the relationship and difference between terminology and phraseology (e.g. Warner 1966, Mattusch 1977, Hums 1978, Picht 1987, 1988, 1990, Budin 1990, Galinski 1990, Duhme 1991, and more recently Tryuk 2000, Tognini-Bonelli, 2002, Umborg (forthcoming); see also the overview in Gréciano (1995, 185)). The description of word combinations in LSP seems to fall between two research traditions: The discipline of phraseology on the one hand, and the science of terminology and theories of LSP on the other hand. Neither of
43. Phrasemes in legal texts
the disciplines sees LSP phraseology as their primary concern. Moreover, the dominance of the terminological point of view also implies that other aspects of LSP phraseology are hardly described at all. It should be mentioned, however, that cognitive, pragmatic, and discursive theories seem to be gaining ground, thus creating an opening for a broader perspective on LSP phraseology (see e.g. Bonfort-Bernuit 2003, Cohen 2003, Eckardt 2002, Gautier 1999, Gréciano 2004, Wirrer 2001). 1.3. LSP phraseology – a special case? As stated in section 1.1., LSP is often treated as a special case, which is also apparent from the overall structure of the present handbook. The primary focus is on word combinations which do not belong to any specific sublanguage or which belong to sublanguages not considered to be languages for specific purposes (e.g. “Jugendsprache” or “Stadtsprache”, described in Chapter VI). Likewise, Chapter VII, which deals with phrasemes in certain non-literary texts (i.e. media texts, political texts, advertisements, comics, popular short texts (horoscopes), and texts of popular science), might have included LSP genres. By excluding LSP, the special character of LSP phraseology is implicitly underlined, whereas features that LSP has in common with other sublanguages and other non-literary text genres remain undisclosed. Perhaps researchers in the field of phraseology are reluctant to treat LSP word combinations in detail because a proper understanding of their meaning and function requires indepth knowledge of the science or profession in question. As observed by Gréciano (1995, 184), “Sachverhalt und Sprache gestalten den Fachtext”, i.e., subject matter and language shape the specialist text. This implies that one cannot analyse the language of an LSP text without considering the “Sachverhalt” (subject matter) treated in the text, or without knowing its genre specific functions. A crossdisciplinary approach is necessary. But, even if it is, indeed, reasonable to treat LSP phraseology as a special case - because of the tight bonds between “Sprache” and “Fach” (language and subject) - the reader may get the false impression that LSP phraseology is so special that the general concepts, categories, and methods of analysis are inapplicable to LSP phrasemes.
507
It would be more adequate to say that some categories of general phraseology are hardly relevant in the case of LSP phraseology (e.g. author specific phrasemes), that some categories are especially relevant (e.g. “Funktionsverbgefüge” in legal language), and, finally, that some characteristics of the forms and functions of LSP phrasemes require the adoption of special categories (e.g. multiword-terms), special concepts (e.g. legal prescription of word combinations in the language of law), and specially designed methods of analysis (methods that can account systematically for the interdependency of phraseology and the social and professional context of its use, which are particularly important in the case of legal phraseology, see section 2.2.). However, it should be borne in mind that LSP phraseology could be analyzed along with LGP phraseology under most of the headings in the handbook. Put differently, a comprehensive theory of phraseology in any sublanguage would have to comprise aspects of structure, semantics, pragmatics, semiotics, discourse, genre, translation, contrast of cultures and languages, cognition, language learning, lexicographical treatment, computer and corpus linguistics, and history. A thorough description of all special subjects would probably require a distinct account – perhaps even a handbook dedicated to phraseology in various specialized fields of communication. However, in a general introduction to phraseology, the best solution is the one chosen in this handbook: A special chapter, focusing on the peculiarities of LSP phraseology in comparison with phrasemes in general language, and illustrated by carefully selected specialized languages, here the language of medicine and the language of law. 1.4. The text and corpus linguistic turn in the theory of phraseology Before I turn to phrasemes in legal language, I would finally like to comment on two lines of development in the research history of phraseology of importance for the study of word combinations in language for specific purposes in general, and legal language in particular. What I have in mind is what might be called the text and corpus linguistic turn in the theory of phraseology. In effect, the increasing attention directed towards the use of stable phrases and text patterns in large corpora of texts (Sinclair 1991, 2004, Steyer
508
XI. Fachphraseologie/Set phrases in technical language
2004), and in text production processes (Gülich 1997, Gülich/Krafft 1998) may bring about a renewal of the dominant terminological approach to LSP phraseology. As indicated in section 1.2., this may already be happening. Furthermore, along with the text and corpus linguistic turn in research, the general opinion of what defines phraseological word combinations has changed. Under the influence of British contextualism and methods of corpus linguistics (Sinclair 2004, Stubbs 2001), the focus is no longer primarily on lexicalization, idiomaticity, and structural stability of word combinations as the core features of phraseology. Instead, the relative stability of word combinations caused by re-occurrence and reproduction in particular extra-linguistic situations and textual contexts has attracted increasing interest. In consequence, as suggested by Feilke (2004), the center – periphery model introduced into German phraseology by Fleischer (1982) seems obsolete and should be replaced by a three-layer model of word combinations, in which conventional co-occurrence of words (“usuelle Rekurrenz”) should be the fundamental distinguishing feature (Feilke 2004, 58). Such a shift would imply that the transparent, “more or less” stable and “more of less” restricted word combinations that are characteristic of LSP texts, would no longer belong to the periphery of phraseology, but would, in fact, make out the very basis of the entire field. As corpus linguistic studies reveal, idioms are the special case; the normal case is the conventional use of phrases, with or without paradigmatic and syntagmatic restrictions and semantic (or terminological) specialization.
2.
Phraseology in legal language
We are now in a position to take up the subject of phrasemes in legal texts. The introductory remarks were concerned with general aspects and considerations pertaining to LSP phraseology. The purpose of the following overview is to highlight the respects in which legal phraseology differs from phraseology in other LSP domains. To that end, it is important to stress that language is an irreducible part of the very functioning of a legal system. Without language, there would be no legal system. With-
out language, no legal acts could be accomplished. Without language, legal concepts and legal institutions would have no existence in social reality. Therefore, a description of any aspect of legal language should always take into account the role that particular words, phrases, texts, and genres are playing in the extra-linguistic, legal context in which they are applied. For example, what is the legal function of various text genres? To what end do legal actors apply certain words and phrases rather than others in specific contexts of language use? Why do they tend to reproduce prefabricated phrases and text patterns rather than choosing freely among lexical alternatives? What are the reasons for overrepresentation of formulae, binominals and “Funktionsverbgefüge” in legal language? Another important point to be made is that legal language is inextricably intertwined with one particular legal system. Unlike the language of medicine, science, technology, and economics, the language of law has no universal validity. From the point of view of translation and contrastive linguistics, the result is that non-equivalence is the rule rather than the exception (see e.g. Kjær 1995). Linguistic relativity in law implies that legal phraseology is an integral part of one particular legal system and that the meaning, function, and stability of legal phrasemes can be measured only against the background of that particular legal system (Kjær 1994). One final characteristic of legal language should be emphasized. The functioning of a legal system is dependent on constant processes of stabilization and specialization of words and phrases that accompany the construction, deconstruction or reconstruction of legal concepts. Lawyers, judges, and legal scholars interpret legal texts (contracts, statutes, judgments), and through their interpretations, as documented in judgments, law reports, and scholarly comments, they contribute to maintaining and developing the legal system (see Busse 1992, 2002, Luhmann 1993, Teubner 1989). The process of concept formation in law gives rise to classes of word combinations that are typical for legal language, and may be described only by including the textual, situational, and institutional contexts of their use. From a legal point of view, it follows that concept formation in a legal system may be analyzed by studying the stabilization and
43. Phrasemes in legal texts
specialization of legal phraseology, i.e. by means of a discourse analysis of the production, reproduction, and recontextualization of particular legal phrases that are quoted again and again by legal actors in the discursive flows and genre chains characteristic of law (see Kjær 1990a, 1992). A discourse analysis of phraseology is especially relevant in studies of the construction of new legal orders – such as European Union law and European human rights law, which are legal systems in development (Kjær 2002, see also Gréciano 2004). In the following, I shall first comment on phrasemes that are typically applied in various legal text genres. The focus will be on types of phrasemes that – for historic and/or stylistic reasons – are particularly relevant for the study of legal phraseology (2.1.). Then follows a comprehensive description of the specific conditions under which legal phrases are formed and maintained as more or less stable - and more or less obligatory - routine expressions in legal texts (2.2.). Although in the following description of legal phraseology, focus is only on a few aspects of legal phraseology, the reader should not take this to mean that other issues are irrelevant; compare my statement concerning the structure of the handbook in section 1.3. In accordance with the guidelines of the handbook editors, the subjects to be analyzed illustrate the use of phrasemes in the context of law and the types of phrasemes applied in legal texts. The examples that accompany the present survey are primarily drawn from German legal language. 2.1. Types of phrasemes applied in legal texts Idiomatic word combinations, traditionally counting as the predominant type of phrasemes, are not typically applied in the language of law (cp. Kunkel 1986). Semantically transparent multi-word-terms and collocations with a specialized legal sense are the types of word combinations that are most frequently found in legal texts of all genres. The most productive type of multi-wordterms in German legal language are combinations of Adjective + Noun, such as elterliche Sorge, rechtliches Gehör, einstweilige Verfügung, gesetzlicher Vertreter, eidesstattliche Erklärung, die guten Sitten. They are phrasemes of absolute stability, and morpho-syntactic operations that would be possible in the case of free word combinations, are blocked,
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e.g.: *die Sorge ist elterlich, *die Sitten waren gut. Their semantic content is specialized (terminological) and can be accounted for only by giving an encyclopedic description of the legal concepts for which they stand. The frequent use of Latin multi-word-terms which penetrated German legal language (like most other European legal languages) with the reception of Roman law in the Middle Ages, should also be mentioned; for example culpa in contrahendo, audiatur et altera pars, prima facie, ex officio. The structurally most frequent type of collocation is combinations of Noun + Verb, in the science of terminology usually called LSP phrases or “Fachwendungen” (Picht 1990). The basis of such collocations is a legal term combined conventionally with one particular verb, the collocator. They express a legally defined act, e.g. ein Testament errichten, einen Wechsel ziehen, einen Vertrag eingehen, ein Urteil erlassen, einen Antrag stellen. Some terminologists regard collocations of the type in question as multi-word-terms (e.g. Budin 1990, Galinski 1990) based on the fact that they are applied in texts in a nominal form: Testamentserrichtung, Erlass des Urteils, Antragssteller. One particularly dominant category is constituted by the so-called “Funktionsverbgefüge” (FVG). It consists of a semantically vague functional verb combined with a noun (often, but not always a nominalized verb), which carries the verbal sense of the expression, e.g. Klage erheben, Widerspruch einlegen, Einspruch erheben. The syntactic form consisting of Preposition + Noun + Verb is frequent: in Anspruch nehmen, im Auftrag geben, in Empfang nehmen, in Kraft treten, in Rechnung stellen, im Rückstand bleiben, in den Ruhestand treten, unter Strafe stellen, in Verwahrung nehmen, zur Verantwortung ziehen, in Verzug kommen and so forth. FVG in the language of German statutes of the 18th, 19th, and 20th centuries are the subject of a dissertation (Seifert 2004), from which the above examples are drawn. The legal phrasemes mentioned so far are word combinations of general application in the language of law. However, legal language is not a homogeneous sublanguage, and legal texts represent a great variety of very different genres that should be treated separately. An overall distinction must be made between text genres that are legal documents or “legal instruments”, i.e. they fulfill institutionalized le-
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gal acts (statutes, contracts, wills, judgments, and many more), and text genres that serve the function of lawyers’ expert communication (monographs, research articles, academic essays, text books). On the face of it, there is nothing specific about scholarly texts in the field of law. Like expert writing in other specialized fields of communication, the language of legal academics is generally impersonal and abstract, neutrally descriptive and informative (even though individual authors may choose a more personal style, cf. Gläser 1998, 134ff). However, the texts of legal scholars are not exclusively meant for other legal experts, but are also often called upon by judges as legal sources for their decisions in law suits, especially in the German legal system. Therefore, there is an important interplay between the language of legal scholars and the language of lawyers and judges that influence legal phraseology. More notable characteristics are found in the language and style of legal documents. Formulaic expressions and standard phrases seem to dominate the language of such texts. Examples include the structural subtypes of “binominals” (“Paarformeln”, “Zwillingsformeln”) and phrasemes with archaic words or word forms (“unikale Komponenten”), usually highlighted in introductions to phraseology (e.g. Burger 2003, 45, 23). Binominals are word phrase patterns consisting of two words belonging to the same word class, connected by a conjunction (and, or), e.g. Treu und Glauben, null und nichtig, recht und billig. In many cases, they are old forms that have been preserved in legal language for centuries, but originate in German law of the early Middle Ages. At that time, the local practitioners of law were not professional jurists, but lay people, who applied German law (“Land- und Stadtrechte”) and locally valid customs. In contrast to the written texts of Roman law, German law had for centuries been expressed at public assemblies in oral form only. “Als Recht galt, was im Urteil seinen Niederschlag fand, und nur solange, wie die Erinnerung daran reichte (Grundmann et al. 1987, 130). Therefore, the functioning of the legal system was dependent on the expressive iconicity of formulae that were easy to remember and to understand. Later on, in German law of the 12th and 13th centuries, local law was being written
XI. Fachphraseologie/Set phrases in technical language
down, and Latin gradually lost its position as the primary language of legal documents. Through this process, many fundamental legal principles expressed in binominal phrases and other formulae were preserved and have been handed down during the past centuries as stabilized patterns or expression, still in existence in contemporary legal language (see also Wirrer 2001, 258ff). It should be added that some binominals, originally with a legal content and function, occur today only as (partly) idiomatic expressions in general usage, e.g. Bausch und Bogen, mit Kind und Kegel, mit Fug und Recht. The same holds true for many legal proverbs, e.g.: Wer A sagt, muss auch B sagen; Keine Regel ohne Ausnahme; Mein Haus, meine Burg; Viele Köche versalzen den Brei; examples from Grundmann et al. (1987). Particularly in English legal language, there are many instances of binominals and formulae with archaic, petrified words or word forms, such as give, devise, and bequeath; goods and chattels; hereinafter called; Now therefore this agreement witnesseth. They are stabilized as units in legal language and still used by legal writers. The reason for the preservation of such archaic phrases and formulae is the precaution of legal actors against variation in the wording of legal documents. Therefore, the legal speech community tends to reproduce again and again – sometimes for centuries – the very same words and phrases. In German legal language, there are few examples of legal phrasemes with archaic forms, e.g. von Amts wegen, an Eides statt, which are word combinations comprising phrasal prepositions no longer productive in German. The tendency to reproduce words and phrases in exactly the same form is still highly active in legal text production. However, whereas binominals are stable, context independent lexical units, many standard phrases used in contemporary legal language can be recognized as units only in the context of their actual use in certain recurrent situations and text genres. I shall deal with such routine phrases in legal communication and text production in the following. 2.2. Norm-conditioned word combinations in legal texts As suggested in my introductory remarks, a comprehensive description of word combinations in legal language requires a cross-disci-
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43. Phrasemes in legal texts
plinary approach. Linguistic knowledge alone is not sufficient to give an in-depth account of the peculiarities of legal phraseology and the special categories of word combinations that dominate language use in the context of law. For a proper understanding of the functioning of language in law, it is necessary to draw on insights from sociology and law as well. The word combinations that we have considered so far could easily be described by methods and categories of general phraseology. In the following survey, the focus will be on legal word combinations which can be analyzed adequately only by including a description of their legal context (situation, institution, text genre, legal actors, and type of legal action performed). Such ”norm-conditioned“ word combinations in German legal language were described in detail in (Kjær 1990a). They cover a wide spectrum of word combinations of various degrees of stability and specialization. What combines them, is their relative stability vis-à-vis norms and prescriptions of language use in the legal domain. In that sense, their stability is a pragmatic one (Burger 2003, 29). Unlike the above-mentioned multi-wordterms elterliche Sorge, gesetzlicher Vertreter, eidesstattliche Versicherung etc., which are independent lexical units, their stability is a matter of usage, frequency, and reproduction. They are conventional word combinations that can be recognized as units only by competent language users in the field of law. Otherwise, their relative stability reveals itself only when large text corpora are analyzed. In that respect, they resemble routine formulae (Coulmas 1981, Gülich 1997) and ”Nominationsstereotype“ (Fleischer 1982) in general language. However, there are certain peculiar aspects of legal phrasemes of the kind analyzed here that set them off from routine formulae and ”Nominationsstereotype“ of general language. Two points should be highlighted: (1) The stereotypical or routine character of norm-conditioned word combinations is sometimes caused by legal constraints bearing on language users in the field of law (2.2.1.). (2) The stability of norm-conditioned word combinations is the linguistic result of the very functioning of law as a social system (2.2.2.). The following survey is a short introduction to the specific conditions under which le-
gal phrases are formed and maintained as more or less stable - and more or less obligatory – prefabs and routine expressions, as the result of extra-linguistic influence on the way legal actors use language. 2.2.1. Legal constraints Legal text writers perform acts which have legal effects defined by the legal system. Therefore, legal actors are not always free to choose whatever words and phrases they like. Legal rules, norms, or conventions sometimes require them to apply specific expressions, in order for the texts to gain legal validity or in order for the texts to be recognized as performing specific legal acts. The mediation dialogues (”Schlichtungsgespräche“) analyzed in Dobrovol’skij (1995, 214ff) are a good point of departure for understanding the legal conditioning of language use in the field of law. Even though a ”Schlichtungsgespräch“ is not performed within a legal institution in a narrow sense, it serves a well-defined legal function and must comply with the rules of a statute (the ”Schiedsstellengesetz“ – abbreviated SchG). The agreement reached through mediation settles a conflict between two parties out of court and replaces a court decision (a judgment). What the parties agree on is entered into a record kept by the ”Schiedsstelle“ (the mediation authority), and thereby the settlement of the conflict becomes final and, importantly, may form the basis of an execution by the court. Thus, the data analysed in Dobrovol’skij (1995, 214ff) with quite a different purpose (to show the role that idioms play in the cognitive structuring of mediation dialogues) – also illustrate that the language used by mediators is conditioned to a considerable degree by the legal purpose and the legal effect of their work. In fact, even though the language they employ would generally not count as ”legal language“, the mediators seem to be very conscious of the legal background and consequences of the ”Schlichtungsgespräche“ of which they are in charge. This is illustrated by the following extracts from two cases reported in Dobrovol’skij (1995). During an apparently rather difficult dialogue with two parties, the mediator in one of the cases reminds the parties of the advantages of a mediation as compared with legal proceedings, by saying:
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”Sie sehen, ich habe nur mit Ihnen beiden zu tun. Bei Gericht geht das ’n bisschen anders her. Da wird also mit harten Bandagen gekämpft, und sitzt hinten die Presse, und morgen steht’s in der Zeitung und übermorgen steht darin: Frau Meier wurde verurteilt [...] und dann sieht man also ganz alt aus. Und das sind also enorme Kosten, sehen Sie. Und deswegen haben wir hier nun hinter verschlossener Tür und in nichtöffentlicher Sitzung über die Sache eingehend verhandelt. […] Ich sagte schon mal eingehends, vorm Schiedsmann wird nicht öffentlich verhandelt. Was hier hinter verschossenen Türen gesprochen wird, geht niemand was an.“ (Dobrovol’skij 1995, 222f; my italics). At the end of this extract, the mediator – who until then has used idioms of general usage only – applies word combinations clearly belonging to legal language (in nichtöffentlicher Sitzung, über die Sache verhandeln, nicht öffentlich verhandeln.) It seems obvious that by using these expressions, the mediator refers implicitly to the wording of the statute governing the way ”Schlichtungsgespräche“ have to be conducted (s. 24 of the statute SchG): ”Die Verhandlung vor der Schiedsstelle ist mündlich und nicht öffentlich.“ Such implicit quotations are frequently applied by language users in legal settings, and are a major source for the stabilization of the word combinations quoted. The settlement agreed upon during the mediation dialogue has legal effect, once it has been recorded. This is probably the reason for the shift in the type of phrasemes that the mediator applies in the next example. In this case, the mediator uses idiomatic expressions of general language as long as he is conducting the dialogue between the parties. But once a settlement of the conflict has been reached, the language use of the mediator clearly turns professional, and he inserts legal phrases quoted from the statute: ”Das ist hier Sache, und das muss aus der Welt. Er entschuldigt sich für sein Verhalten, und dann ist die Sache vom Tisch. [...] Dann möcht’ ich jetzt auch über die ganze Sache kein Wort mehr hören, wir bringen das jetzt zu Protokoll und dann ist die Sache damit erledigt. [...] Damit schliesse ich die Verhandlung, und die Sache ist damit erledigt. [...] Ich betrachte die Angelegenheit hiermit als erledigt und schliesse die Verhandlung.“ (Extract from Dobrovol’skij 1995, 214f; my italics).
XI. Fachphraseologie/Set phrases in technical language
The mediator is implicitly quoting s. 28 of the statute (SchG): ”Kommt ein Vergleich zustande, so ist er zu Protokoll zu nehmen. Also phrasemes drawn from the language of civil proceedings are adopted: die Verhandlung schliessen, die Sache/die Angelegenheit ist erledigt. By his choice of words the mediator refers implicitly to the fact that he is performing the legally defined act of (settling a conflict out of court). Although mediators are not obliged to apply specific words and phrases, they tend to do so anyway. The very existence of legal rules governing the negotiations at the “Schiedsstelle” affect the way the mediators talk. In more formal legal settings, the constraints put on the language use of legal actors are stronger, but there are very few examples of word combinations that are directly prescribed by law. In Kjær (1990a) a distinction is made between four degrees of constraint, which give rise to four degrees of stability and four types of norm-conditioned legal word combinations: (1)
(2)
(3)
(4)
Prefabricated word combinations directly prescribed by law. Failure to employ such word combinations in accordance with the legally prescribed formulation will result in the invalidation of the whole text in which they occur. Word combinations only indirectly prescribed by law. Variation of such word combinations will not render the whole text invalid, but its legal force will be affected. Word combinations based on implicit quotation from other texts in a genre chain in the legal domain. They serve the function of concept formation or continuity and security in law. Routine phrases whose use is merely habitual. If they are not applied, or if variations in their wording are made, the writer will need to spend more time, but otherwise, an omission or a variation will have no effect whatsoever.
The following examples illustrate these four degrees of conditioning of word combinations in the field of law. Ex. (1) According to s. 211 of the German civil procedure act (ZPO) a document which is served on a person by way of the so-called “vereinfachte Zustellung” (i.e. a ‘simplified’ procedure), has to include the exact wording vereinfachte Zustellung. If it does not, the service of the document is invalid and, consequently, without legal force. The law requires
43. Phrasemes in legal texts
the legal actor to apply a prefabricated legal phrase. Ex. (2) An indirect prescription of a particular legal phrase is documented by the following example, also drawn from the law of German civil procedure. Section 518 of the ZPO provides that a “Berufungsschrift” (‘a notice of appeal’) against a judgment must include “die Erklärung dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt wird”. The German supreme court has ruled that the exact wording is not decisive; however, it must be clear from the declaration made that the party wants to bring an appeal against the judgment. The best way of achieving that end is, of course, to apply the wording of the statute, Berufung einlegen. Ex. (3) A third category of word combinations are stabilized by constant reproduction and quotation. They are neither directly, nor indirectly prescribed by law, and in contrast to the above examples they do not function as the linguistic expression of performative legal acts. They are stabilized as the conventional expression of a legal concept, and therefore tend to develop into a term standing for that concept. They resemble “Nominationsstereotype” described by Fleischer (1982, 63ff). Interestingly, word combinations of this type are not absolutely stable, but tend to dissolve as units outside specific contexts of use. One example is the expression einfaches Bestreiten (‘simple denial’) in the language of German civil procedure. The expression was coined (probably by one particular language user) in the discourse of legal scholars commenting on s. 138 ZPO: “Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, sind als zugestanden anzusehen” (‘facts which are not explicitly denied, shall be considered as having been confessed’). Characteristically, when legal scholars analyse the concept of “Bestreiten” relating to other sections of the statute, the phrase einfaches Bestreiten is not applied at all; synonymous word combinations are used instead; e.g. blosses Bestreiten, blosses Leugnen. Such quoted word combinations owe their existence to the outspoken intertextual bonds and genre chains characteristic of law. (For a detailed analysis of the relative stability of quoted word combinations, see Kjær 1990a, 76–95, 142–159). Ex. (4) The final category is constituted by word combinations which are habitually used as routine phrases in particular legal documents, often with fixed positions in the texts.
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They resemble the routine formulae and routines of formulation described in Gülich (1997). One example is the phrase Deshalb ist Klage geboten (‘Thus, litigation is mandatory’), which is often reproduced in exactly that wording in “Klageschriften” (writs) commencing proceedings before a law court. The usual content and structure of a “Klageschrift” may be described in terms of the following pattern: Namens und in Vollmacht (…) erhebe ich Klage gegen (…) und werde beantragen (…). Begründung: (Der Beklagte hat/hat nicht (…). Deshalb ist Klage geboten. The word combination is not absolutely stable; variations do occur, e.g. Deshalb ist Klagestellung geboten. Moreover, as no legal effect is attached to the phrase, it can safely be left out – as some lawyers actually do. Routine formulae of this kind cannot be explained by reference to any legal norms governing language use in the legal system. But they are normally used, simply because they serve the important function of relieving lawyers from the immense burden of text production connected with the exercise of their profession. 2.2.2. Phraseology contributing to the discursive reproduction of the legal system The four types of norm-conditioned legal word combinations presented in the previous section all have one thing in common. They contribute to the functioning of the legal system as a system. The system, so to speak, keeps itself going by legal actors repeating and quoting themselves and each other again and again in legal texts. In the words of Luhmann (1993, 339), a legal system is an “Ansammlung aufeinander verweisender Rechtstexte”. Coherence of the system is based on the intertextual relations between legal texts, obtained by reproduction (implicit quotation) and recontextualization of words and phrases. Teubner (1989) describes such intertextual bonds between legal texts as a an autopoietic, self-productive system of texts which refer cyclically to themselves and each other: Judgments refer to statutes and precedents; statutes refer to other statutes; legal monographs comment on judgments and statutes; and documents are formulated on the basis of statutes and other documents of the same type. Thus, a systematic account of norm-conditioned word combinations in the language of
514
XI. Fachphraseologie/Set phrases in technical language
law must include the role of phraseology in the social processes that maintain the legal system.
3.
Conclusion and perspectives
The overall impression that one gets when analyzing research in the field of LSP in general, and legal language in particular, is the lack of coherence between the individual studies. Works in the field are disparate and oriented towards general theories and methods in phraseological research, rather than relying on a common conceptual framework. The field requires cross-disciplinary studies that can account for the functioning of word combinations in LSP texts with a view to the roles that those texts play in the social contexts in which they are embedded. As for legal language in particular, the importance of including a description of the legal system to which legal texts belong is paramount. If one excludes the non-linguistic context of legal phraseology, one cannot account for the factors that determine the degree of stability of legal word combinations, and, consequently, one can say nothing substantial about legal phraseology. In some situations, users of legal language are subject to specific constraints regarding their choice of words and phrases. In other situations, there are no such constraints. The result is a relative stability of legal word combinations that apply not only to varying degrees of stability of different word combinations, but also to varying degrees of stability of one and the same word combination, depending on the situation of use. Thus, the “more-or-less-stability” referred to in the title of the conference report of the IDS Jahrestagung 2003 (Steyer 2004) has a special meaning when applied to legal language. Interestingly, the relative stability extends to multi-word-terms, which are not as stable as one might first think. Therefore, mere listings of multi-word-terms, collocations, and other word groups characteristic of legal language or applied in specific legal texts or legal text genres can not adequately elucidate the actual functioning of legal language and legal phraseology, and their relative stability vis-à-vis their context of use. Instead, an integrated approach that combines insights of phraseology, legal linguistics, sociology, and law is needed.
4.
Select bibliography
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XI. Fachphraseologie/Set phrases in technical language
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Anne Lise Kjær, Copenhagen (Denmark)
44. Phraseme in medizinischen Texten 1. 2.
5. 6.
Arbeitsbegriffe Propositionale Erklärung für Phraseme im Bereich Medizin Textthematische Erklärung für Phraseme im Bereich Medizin Textsortenerklärung für Phraseme im Bereich Medizin Zusammenfassung und Ausblick Literatur (in Auswahl)
1.
Arbeitsbegriffe
3. 4.
Die internationale Durchsetzung von “Phrasem” als vereinheitlichender und verbreiteter Oberbegriff für die unterschiedlichen phraseologischen Einheiten/Phraseologismen/Phraseolexeme ist Mel’cuk (1994) zu verdanken. Er erlaubt, Wortbildungen, Kollokationen, Idiome, Funktionsverbgefüge, Nominationsstereotype und Sprichwörter angesichts formaler und inhaltlicher Merkmale zusammenzufassen, aber auch zu differenzieren. “Fachphraseologie” als Sammelbegriff für phraseologische/syntagmatische Termini/terminologische Phraseme/Fachausdrücke/Phraseotermini ist eine in Terminologie und Phraseologie konkordierende Entdeckung der jünge-
ren Forschung. Empirisch kann an Fachphraseme über das Lexikon und/oder den Text herangegangen werden. Im Vergleich zu Wörterbüchern der Gemeinsprache sind Wörterbücher der Fachsprachen eine relativ späte Erscheinung, die z.B. in Steger/ Wiegand (1989) noch nicht erfasst sind, die sich aber in den 90er Jahren mit der Fachsprachenforschung intensiv verbreiten und unterschiedlich gestalten. Hoffmann/Kalverkämper/Wiegand (1998, 1999) sowie die zu Grunde liegenden und ergänzenden Publikationen der Mitarbeiter belegen die Vielzahl und Vielfalt der lexikographisch erschlossenen Fachbereiche. Die traditionell bewusste und gewollte Einschränkung der linguistischen Analysen auf die Gemeinsprache erklärt diese Verspätung. War Fachwortschatz laut Kempcke (1989) noch in den Fachbereichen selbst und in Spezialwörterbüchern zu beheimaten, so bedingen die überhand nehmende Technisierung und Verwissenschaftlichung unseres Alltags die Durchdringung des gemein- und fachsprachlichen Wortschatzes und fordert die heute gesellschaftlich notwendige Berufsorientierung von Kommunikation die
44. Phraseme in medizinischen Texten
allgemeinlinguistische Auseinandersetzung mit Fachsprache. Fachlexika der Vergangenheit waren Sachexperten allein anvertraut und beschränkten sich auf Fachdefinitionen, was die an ein Sprachlexikon gestellten Erwartungen der Benutzer nicht befriedigt. Die Umwandlung vom Fach- in das Sprachlexikon gelingt u.E. über die Phraseologie, wobei linguistische Modelle wie Valenz Pate stehen (Korhonen 1996, Wotjak 1992, Jahr 1993, Gréciano 2003a). Überraschender-, aber erklärlicherweise finden sich die spezifischen Merkmale der Phraseme in der Terminologie exemplarisch und z.T. vereinfacht belegt. Polylexikalität beschränkt sich häufig auf lexikalische Zweigliedrigkeit, Fixiertheit auf erweiterte Substantivstrukturen und Figuriertheit auf kognitive Verstehenshilfe. Phraseologieforschung erweist sich als guter Erklärungsansatz für “Terminologie” (Arntz/Picht 1989), deren Informativität und Präzision, in Annäherung an die Idealvorstellung von Monosemie, über phraseologische Charakteristika erreicht wird. Fachphraseographie steht somit der Terminographie näher als der Lexikographie (de Schaetzen 1999). Terminologische Datenbanken, meistens betriebsintern und vertraulich, machen über computergestützte Extraktoren die großteils syntagmatische/phraseologische Natur von Termini/termes complexes augenfällig; in Kanada, für syntagmatische Termini des Französischen allgemein Filtact mit Kollokationsgenerator collgen.exe (Auger/Auger 1996) und für Textinformatik Termplus (Ladouceur/Cochrane 1996). Nach einer frühen elektronischen Analyse der medizinischen Fachsprache im Deutschen (Schefe 1975) bleibt die Schweiz die Referenz für mehrsprachige Terminologieprojekte auch in diesem Bereich. Geri (1995) berichtet über die Terminologiearbeit bei Hoffmann-La Roche in Basel, wo MedTermBank und MultiTermTrados einander ergänzen zur Generation bi- und multilingualer Glossare von Termini wie: acceptable daily intake (ADI) for man/für den Menschen annehmbare Tagesdosis, air pollution by ozone/Luftverschmutzung durch Ozon, atmospheric deposition/Ablagerung aus der Luft, biological and genetic diversity/biologische und genetische Vielfalt, nucleid acid probe/sonde ADN/DNS Sonde/sonda de acidos nucleios. Ganz im Sinne von Bergenholtz/Pederson (1994, 168), Fachkorpora auf Einzelfächer zu konzentrieren, schlagen “Medizinische Texte”
517
die Brücke vom Fachbereich zur Kommunikation. Trotz ihrer herausragenden Stellung unter den Fachsprachen und einem Wortschatz von 500.000 Einheiten (Lippert 1999), der die Gemeinsprache übertrifft, bleibt die Disziplin aus linguistischer Perspektive eine der wenigst untersuchten. Abgesehen von den Schwierigkeiten der Fachzuweisung angesichts der Multivalenz des wissenschaftlichen Grundwortschatzes schlechthin, belegt die fachsprachliche Bibliographie Naturwissenschaften (Chemie, Biologie), Technik (Luftfahrt, Schiffbau), Wirtschaft (Finanzen, Handel) und Sozialbereiche (Recht, Versicherung). Medizin wird im Deutschen meistens vom Sprachsystem aus betrachtet (Wiese 1984), ist so Thema auch des lexikographischen Sammelbandes von Dressler/Schaeder (1994), sowie der nur zwei von 271 Beiträgen in Hoffmann/Kalverkämper/Wiegand (1998, 1999): Wiese (1997) und Lippert (1999), ebenfalls auch von Ylönen (1993) im Sammelband von Schröder (1993). Angesichts vereinfachender und diffuser Klassifikationsversuche erklärt Mentrup (2001, 566) über Sprachverwendung und –verkehr die auffallende Vielzahl und Vielfalt medizinischer Texte und gruppiert sie nach ihrer situativen Konstellation in fünf umfassende Kommunikationskreise. Im Französischen ergeben sich Phraseme als das Ergebnis empirischer, vorwiegend elektronischer Korpuserhebungen zur Terminologie – gelegentlich auch der Medizin – in Kanada, der Schweiz, Belgien und Afrika. Es ist der interlinguale berufliche Kontakt, der in den frankophonen Ländern mehr als in Frankreich selbst den medizinischen Bereich allmählich erkundet. Das Interesse gilt der Rezeptionsforschung, in Kanada der Aufnahme durch die Sprechergemeinschaft für Termini, deren Begriffe, Namen und Werte aus entfernten Kulturen: Beispiel Akupunktur, wo 145 von 193 Grundtermini syntagmatisch sind (énérgie ancestrale/cosmique/essentielle, méridiens curieux/extraor(Boulanger/Lavigne dinaires/merveilleux) 1994); in Frankreich der Aufnahme der ministeriell verordneten offiziellen Terminologie durch die praktizierenden Ärzte (Thoiron/ Iwaz/Zaouche 1992). Die Textperspektive wird im Titel einer Arbeit zur Phraseologie des Englischen (Müller 1992) thematisiert; sie äußert sich in der Verwendung von Textpassagen neben systemfundierten Benennungslisten; sie verweist auf die seit Burger/Buhofer/Sialm (1982, 81) bekann-
518
XI. Fachphraseologie/Set phrases in technical language
te Korrelation zwischen Textsorten und Phrasem-Typen, ohne diese jedoch nachzuvollziehen. Textlinguistik hat sich seit 20 Jahren als interessanter Partner zur Phraseologie bewiesen, als Analysemethode und Erklärungsansatz: Text als Gebrauchsvorkommen von Phrasemen, deren Pragmasemantik sich propositional und funktional gut eruieren lässt (Gréciano 1982). Phraseme in Fachtexten der Medizin werden im Folgenden unter dem Aspekt ihrer propositionalen Natur (2.), des Textthemas (3.) und der Textsorte (4.) dargestellt. Laut Textlinguistik bestimmen Textgegenstände und deren Entfaltung die Textthemen und Textsorten. Diese Erkenntnis lässt sich mit den in der Fachsprachenforschung üblichen Gliederungen gut verbinden (Fluck 1991, Hoffmann 1997a, Wiese 1984, 1998). Syntax und Semantik erfassen über die Textgegenstände die “horizontalen” Bereiche (3.), Pragmatik und Semantik angesichts der Autorenabsicht die “vertikalen” Ebenen (4.). Folgende Darstellung bezieht die einschlägig existierenden Arbeiten mit ein, unter Bevorzugung des vom Autor untersuchten Korpusmaterials der Kardiologie (Gréciano 1996), eines der 100 medizinischen Fachgebiete (Wiese 1998, 1278), in dem der Fortschritt der Technologie den Wissensstand für Diagnose und Therapie seit einer Generation entschieden erneuert, Interdisziplinarität eine wichtige Rolle spielt und die Versprachlichung somit fachrichtungstypisch besonders geprägt ist.
2.
Propositionale Erklärung für Phraseme im Bereich Medizin
Wie in Texten des Alltags und der Literatur sind Phraseme in Fachtexten im Einsatz der Proposition. Anders als in Alltag und Literatur dienen Fachphraseme vorwiegend der Nomination, was den hohen Anteil von Substantiv-Phrasemen begründet. Aufgabe der medizinischen Nomination ist die Benennung von Krankheiten, Untersuchungen, Behandlungen, Geräten und Medikamenten. Ihr griechisch-lateinischer Ursprung, im Stamm und den Affixen erkennbar (Extrasystole, intravenös), die Übernahme aus der Gemein- und Fachsprache (Bündel, Knoten, Kammer, Systole, Ruptur, Insuffizienz), die Entlehnungen aus dem Angloamerikanischen (pacemaker/ Schrittmacher) sind anhand der zahlreichen Wortbildungen gut bekannt und untersucht (Murken 1994). Wichtig dabei ist die Seman-
tik dieser morphologischen und lexikalischen Komponenten zum Ausdruck von Eigenschaften (Stenose), Vorgängen (Konjunktivitis, Kammerflimmern, Vorhoferregung), Tätigkeiten (Defibrillator), Zuständen (Herzstillstand) und Gegenständen (Katheder, Elektrokardiograph). Mehrworttermini entstehen über die Kombinatorik von (Einwort) Termini als Basen/Kollokatoren mit Kookkurenten/Kollokaten. Diese terminologische Entscheidung umgeht den Widerspruch, der sich zwischen Hausmann (2003: Kollokator anstelle von Kollokat) und Teubert (2003: Kollokator anstelle von Basis) ergibt. Sie trifft sich mit Bergenholtz/Tarp (1994). Aus der Fachperspektive ist die Miteinbeziehung von Wortbildung und Mehrworttermini in die Phraseologie umso zwingender, als sich interlinguale sachliche Konvergenzen über die formalen, durch die analytische und synthetische Natur der Einzelsprachen bedingten Divergenzen hinwegsetzen (Herzrhythmusstörung/ trouble du rythme cardiaque, Verzweigungsblock/bloc de branche, Leitungsstörung/trouble de la conduction). Die Umformulierung von Mehrgliedrigkeit in Teilbarkeit ist eine harmonisierende Lösung für die einzelsprachlichen Unterschiede in der Oberflächenmarkierung (graphische Kontinuität vs Diskontinuität) der Phraseotermini. Der hohen Anzahl terminologischer Wortbildungen im Deutschen (Mitralklappeninsuffizenz, Herzwandruptur) entsprechen syntagmatische Mehrworttermini im Französischen (95 Prozent des Grundwortschatzes bei Tricot/Valere/Guerot/Castillo 1974, 80 Prozent bei Pelletier 1994) (arythmie sinusale/auriculaire/jonctionelle/ventriculaire). Angesichts der Mischform zwischen Gemein- und Wissenschaftssprache, die Fachsprachen allgemein, Medizin besonders eigen ist, bietet die Teilbarkeit die beliebte Gelegenheit zur Arbeitsteilung, erwiesen anhand z.B. des deutschen Stichwortverzeichnisses der Elektrokardiographie (Klinge 1992): 78 Prozent gemein-, 22 Prozent fachsprachliche Kollokatoren (kreisende Erregung, multifokale Extrasystolen), je 50 Prozent der gemein- und fachsprachlichen Kollokate (kreisende Erregung, multifokale Extrasystolen). Das fachsprachliche Gegenstück der Mehrworttermini sind deren Abkürzungen, Kurzwörter, die das Vorurteil der Fachsprachen als Kalkülsprachen verantworten, das der ArztPatientenkommunikation besonders nachträglich ist und angesichts des “sprachlosen
519
44. Phraseme in medizinischen Texten
Leids” zu Titeln führt wie “Keine Medikation ohne Kommunikation”, (Gottschlich 1994, Stoffers 1994). Jeder Formativ, ob deutsch oder fremdsprachlich, ist von der Abkürzung betroffen, die sich über die graphische (Dis) Kontinuität hinwegsetzt (BWA: Brustwandableitung, OHV/UHV: obere/untere Hohlvene, aVR/aVL/avF: augmented voltage right/left/ foot, EKG: Elektrokardiogramm, LAH: Linksanteriorer Hemiblock, LVH: linksventrikuläre Hypertrophie, HOCM: hypertrophische obstruktive Kardiomyopathie, IHSS: idiopathisch hypertrophe Subaortenstenose). Neben lexikalischen Initialen entsprechen Kurzwörter auch Namen (WPWS: Wolff-ParkinsonWhite Syndrom) und geometrischen Variablen, so P,Q,R,S,T,U: Punkten auf den Achsen des Elektrokardiogramms (P-Welle, QRSKomplex, T-Achse, QT-Strecke, U-Welle). Medizinische Nomination ist (metaphorische) Benennung der Pathologie durch den vorwiegend gemeinsprachlichen Kollokator (Flatterwelle, Digitalismulde, Herzstillstand); sie ist bewertende Beschreibung durch das gemeinsprachliche Kollokat (verminderte, verstärkte Ableitungen, rückläufige Vorhoferregung); technische Kollokate dienen der anatomischen, lokalen, elektrophysiologischen oder pharmakologischen Determinierung (artriovertikuläre Überleitungsstörung, elektrischer Schock). Die Lexikalisierung dieser zusätzlichen semantischen Merkmale führt zur Bildung komplexer Begriffe. Die die Proposition mitkonstituierende Prädikation ist in medizinischen Fachtexten meistens nominal ausgedrückt. So sind Operationsberichte und Untersuchungsprotokolle fast ausschließlich im Nominalstil verfasst. In englischen Texten der Naturwissenschaft und Technik erkennt bereits Johansson (1979) dreimal so viel Nominalphrasen mit of-Konstruktionen wie in der Literatur. In deutschen Texten der Medizin zählt Kühtz (2002, 66) 1379 medizinische Fachkollokationen 1281 Substantiv-Phraseme neben 29 Verb-Phrasemen und wenigen anderen und findet unter 50 Prozent Mehrfachbenennungen nur 1 Prozent Funktionsverbgefüge. Prädikate sind vorzugsweise in Substantiv-Phrasemen integriert, in die Basis selbst oder in ihre Kollokate: Adjektive, Partizipien, Rechtserweiterungen im Genitiv und in Präpositionalform. In ihrem kontrastiven Pneumologiekorpus erzielt Raimondez-Nahon (2003) für Substantivergänzungen folgende Schätzwerte:
Tab. 44.1
Deutsch Französisch
Adjektive
Sustantive
47 % 38 %
20 % 49 %
Präpositionalgruppen 33 % 14 %
Substantiv-Phraseme sind prädikatenlogische Aussagestrukturen, bzw. “Namen mit Aussagewert” (Wiese 1994, 15), wobei der Aussagewert auf die integrierte Prädikation zurückgeführt werden kann. Infinitive und Derivata (-ung/-tion,-ment) geben die Prädikatfunktion der Nominalbasis selbst zu erkennen, meistens – domänenbedingt – als Vorgänge die Krankheit betreffend (Abklingen des Hustens/ diminution de la toux, Verschlechterung des Asthmas/aggravation de l’asthme, als Zustände des Patienten (Morbidität des Patienten), als Handlungen des Arztes (Behandlung der Infektion/traitement de l’infection, Verschreibung der Antibiotika/préscription des antibiotiques). Die Kollokate tragen mit ihrer Eigensemantik zur Bedeutung bei: Bewertung und Messung (erhöhtes Asthmarisiko, la forme sévère de la maladie), zeitliche und anatomische Lokalisierung (nächtliches Asthma/ asthme nocturne, pulmonare Insuffizenz), medizinische Begründung (bakterielle Infektion, allergische Krankheit, maladie professionnelle, pollution industrielle). Verbal-Phraseme finden in der Tat selten Verwendung. Verbaltermini bleiben phraseologieferne Derivata (diagnostizieren, infiszieren, operieren). Verben der Gemeinsprache hingegen verbinden sich im erwähnten Korpus mit Schlüsselbegriffen der Domäne zu Kollokationen (Anfall: einen • verhindern, einem • vorbeugen, auf einen • hinweisen; Patienten: einen • untersuchen/behandeln; Behandlung: eine • führt zu/besteht in/wird (gut/ schlecht) vertragen; maladie: la • se traduit par, avoir une •, traiter une •; diagnostique: faire, porter, écarter, affiner, affirmer un • ; traitement: mettre en route/remplacer/augmenter/modifier/adapter/suivre/définir/simplifier/proposer/recevoir un •)
3.
Textthematische Erklärung für Phraseme im Bereich Medizin
Ergänzend zur Grammatik der Textkonstitution erarbeitet die Semantik die Textthematik über kognitive Muster, die sich für Fachtexte besonders gut bewähren. Es sind die Sachverhaltsgebundenheit und das Fachwissen, die aus dieser Perspektive die Kohärenz der Text-
520
XI. Fachphraseologie/Set phrases in technical language
gegenstände und ihrer Entfaltung und die darauf aufbauenden Textfunktionen begründen. Gréciano (1983, 1995, 1996, 1998) verbindet für die Phraseologie der Gemein- und Fachsprache (nicht)idiomatische Phraseme mit begrifflichem und bildlichem Denken und erklärt Fachphraseologie über die integrative Valenz. Gansel (1992, 1996) sieht die Valenz als Resultat mentaler Operationen, die auch den semantischen Transfer ermöglichen. Jahr (1993, 1997) überträgt die Kombinierbarkeit der Konstituenten vom Fachwort auf den Fachtext, den sie als Vernetzung semantischer Felder anhand eines Umweltkorpus und folgenden medizinischen Beispiels illustriert: Klinik Arzt Krankheit behandelt Patient Diagnose Skalpell
Für Roelcke (1999) ereignet sich in den 90er Jahren mit den Arbeiten zur fachsprachlichen Kognitionsfunktion die Wende zur integrativen Fachtextlinguistik. Aus dieser Perspektive kommt es zur fachsemantischen Interpretation und Dehnung des Valenzbegriffes, von Phrasem und Satz zu Situation und Text; die Kollokabilität, Variante der Konnexion bei Tesnière, wird zum Grundprinzip der Vertextung. Phraseologie lässt sich als Festprägung von Valenzen deuten (Gréciano 2003), als Komplex reziproker Abhängigkeiten zu Wortklassen, ihren Bild- und Begriffsbedeutungen und den Äußerungssituationen. Themen werden zu Valenzträgern, Verben und Substantive zu Valenzfunktoren/-kollokatoren, Substantive, Adjektive und Adverbien zu Valenzargumenten/-kollokaten. Wotjak (1992) gelingt aufgrund einer graduierten Wertigkeit eine komplexe Mehrebenenbeschreibung der phraseologischen Einheiten. Bresson/Kubczak (1998) unternehmen diesen Vorstoß in die Nominalvalenz zur Erklärung der Substantivkollokationen. Das kontextuelle Hintergrundwissen, das bei Brinker (1985, 41) für Gebrauchstexte die Wiederaufnahme bestimmt, bedeutet bei Fachtexten Sachwissen. Äußert sich diese bei Gebrauchstexten logisch, ontologisch und kulturell, so ist sie bei Fachtexten vorwiegend ontologisch. Die sich ergebende Einheitlichkeit des Themas entspricht dem Fachbereich. Kohärenz und Isotopie sind fachrichtungsbedingt. In diesem Zusammenhang erlauben Textbelege aus jüngsten Arbeiten zu drei “horizontalen” klinischen Teildomänen der Medizin: der Anästhesiologie und Pneumologie
(Kühtz 2002, Raimondez-Nahon 2003) sowie der Kardiologie (Gréciano 1996) folgende zusätzliche Beobachtungen. Das erste Fach ist namentlich geprägt vom Behandlungsverfahren, die beiden letzten von den betroffenen Organen. Phraseotermini scheinen sich auf den ersten Teil dieser wissenschaftlichen Aufsätze zu konzentrieren und geben in ihrer gedrängten Folge die über Fachkenntnis erhobenen semantischen Merkmale zu erkennen; in Anästhesiologie ist es die Wirkung der vorgestellten Substanz (Rapacuronium, ein ideales Muskelrelaxans, neuromuskuläre Blockade, keine unerwünschte Nebenwirkung, nichtdepolarisierende Muskelrelaxans, Blockierung von Kalzium-Kanälen, verminderter KalziumEinstrom in die Muskelzelle, wenig ausgeprägte Blockade am Larynx, Sicherung der Atemwege, rascher Wirkungseintritt, zügige Intubation). Ähnlich schildern die Phraseotermini in sachverhaltsgerichteter Verkettung zu Beginn der französischen (frz.) Darstellung einer akuten bronchialen Lungenkrankheit das prototypische Krankheitsbild (la bronchiolite, broncho-pneumopathie aiguë dyspnéisante, infection d’origine virale, obstruction bronchiolaire, infection des voies respiratoires supérieures, battement des ailes du nez, râles sibiliants/ronflants/(sous)crépitants, obstructions nasales). Überraschenderweise bestätigt das medizinische Korpus die die Textgegenstände porträtierende Funktion der Phraseme, die dank mehrerer Erhebungen in der Literatur bereits gut bekannt ist. Der kognitivistische Ansatz ist ein vielversprechender Erklärungsrahmen für Fachphraseologie, weil er die integrierte Valenz sachsemantisch begründet. Rollensemantisch bieten Phraseme über die Festgeprägtheit ihrer Formative aufschlussreiche Informationen. Exklusiver als in der Gemeinsprache lexikalisieren Phraseme der Fachsprache die teilhabenden Instanzen. Sie versprachlichen die betreffenden Szenarien/Frames und sind Sachwissensrepräsentationen. Das ist eine inzwischen allgemeine Erkenntnis aus den unterschiedlichen Bereichen, wie Wirtschaft, Recht, Umwelt, Software, Medizin und Sport (Gréciano/Rothkegel 1997, Gréciano 2003b). Über die phraseologische Dimension, die Mehrgliedrigkeit und Festgeprägtheit, vermögen die Termini und deren Definitionen das thematische Geschehen und die thematischen Geschehensträger des Sachbereichs zu verkörpern. Auf dieser Ebene gilt Sachspezifik
44. Phraseme in medizinischen Texten
vor Sprachspezifik. Interlingual ermöglicht die Phraseologie einen Zugang zu den Fachdomänen. Im hier untersuchten Phrasem-Material verweisen die festgeprägten Aktanten und Zirkumstanten auf den bereichspezifischen Frame: die Anatomopathologie, Elektrophysiologie und die Therapie der Herzrhythmusstörungen. Notgedrungener Weise erfolgen Anpassung bzw. Auswahl der aus der Alltagssprache für die Gemeinsemantik konzipierten Rollen für die spezifischen Bereiche. Rollenzuweisungen verlangen nach Sach- und nach Sprachkenntnis, die durch Kooperation zwischen Fachexperten und Linguisten gewährleistet werden muss. Kollokatoren versprachlichen Geschehen. Das der rhythmologischen Phraseologie zugrunde liegende anatomopathologische Geschehen verträgt sich nur selten mit der üblicherweise als intentional charakterisierten Tätigkeit und der telischen Handlung. Es versprachlicht sich im hauptsächlich gemeinsprachlichen Kollokator in Substantivform für die Nomination, in verbaler Form für die Definition. Medizin thematisiert Vorgänge und Zustände einer bestimmten Art, so dass die Modalität, die negative, irreguläre, anomale, pathologische, als zusätzliche Kategorie hinzukommt. Die hohe Frequenz der deutschen (dt.) und frz. Belege ist aufschlussreich: – –
– –
Handlungen: Aktivitäten/activités, Vorgänge: Zuwachs, Aufhören, Unterbrechung, Stauung, Erkrankung, Veränderung, Verlust; accélération, cessation, conduction, contradiction, disparition, fusion, relâchement, rythme; empècher, entrainer, limiter; Zustände: Stillstand, Block, Pause, Störung; arrêt, êtat, bloc, pause, immobilité; Eigenschaften: Anarchie, Unregelmäßigkeit, Beschleunigung, Verlangsamung, Verspätung, lnsuffizenz; nicht gleichbedeutend sein; anomalies, déficiences, faisceau, foyer, perturbation, trouble, aberration, torsade; caractériser, comporter
Kollokate versprachlichen Geschehensträger. Die Kollokate, vorwiegend Adjektivattribute, Substantiverweiterungen und Substantivkonfixe, verkörpern die Geschehensträger. Bei Herzrhythmusstörungen sind das Herz und seine Teile weniger LOCATIV, als vielmehr PATIENS und AFFIZIERTES OBJEKT der Pathologie, INSTRUMENT der Elektrotechnik und BENEFAKTIV der Therapie. Gleich Tätigkeit und Handlung als Geschehen, ist hier auch AGENS als Geschehensträger nur selten. Vorgang und Zustand bevorzugen PA-
521
TIENS, AFFIZIERTES OBJEKT, EXPERIENS, INSTRUMENT. Ob deren systematische Differenzierung angebracht und wie sie gegebenenfalls ohne übertriebenen Aufwand zu erreichen ist, die Beantwortung dieser Fragen bedarf zusätzlicher Untersuchungen mit noch reicherem Korpusmaterial. Sprachlich und sachlich kontrollierte Paraphrasentests, die wie folgt in Zusammenarbeit von Linguisten und Medizinern, Phraseologen und Kardiologen auf ihre Richtigkeit und Gültigkeit geprüft wurden, erleichtern dabei die Zuteilung. AGENS: Herzaktion, elektrische Kammeraktion, Schenkelblock, Erregungsausbreitung; activité auriculaire, bloc de branche, faisceau de His, aberrration de conduction; Paraphrase: das Herz arbeitet; die Erregung breitet sich aus; l’oreillette est active; la branche ne conduit plus. PATIENS: Herzstillstand, Herzbeutelentzündung, Herzmuskelerkrankung; arrêt sinusal/cardiaque, déficience sinusale Paraphase: die Herzaktion fällt aus; der Herzbeutel ist entzündet; der Herzmuskel ist erkrankt; le sinus/ le coeur est arrété/est déficient. EXPERIENS: Überleitungs-, Ausbreitungs-, Rhythmus-, Erregungsstörung; trouble de conduction, trouble du rythme. Paraphrase: Überleitung/Ausbreitung/Rhythmus/Erregung sind gestört; la conduction/le rythme est frappé(e) par des troubles. INSTRUMENTE: Erregungsausbreitungskomplex, bradykarder/tachykarder Rhythmus; rythme auriculaire/jonctionnel/ventriculaire, pause sinusale/auriculaire/ventriculaire; Paraphrase: der Vorhof schlägt unregelmäßig; ein langsamer/schneller Herzrhythmus wird gemessen; l’activité est régulière et périodique dans l’oreillette/l’oreillette permet d’enregistrer une activité régulière et périodique; AFFIZIERTE OBJEKTE: AV- Dissoziation; Kammerflimmern, Erregungsbildungszentrum; trouble de la repolarisation ventriculaire, dissociation auriculo- ventriculaire; Paraphrase: die Herzkammer ist vom Flattern der Erregung betroffen; ein Zentrum ist von der Erregungsbildung betroffen; le trouble affecte la repolarisation du ventricule; la jonction auriculo-ventriculaire est frappée par une dissociation; LOCATIV: Rechts/Linksschenkelblock, linksanteriorer/linksposteriorer Faszikel; bloc de branche gauche/droit, bloc à deux étages; Paraphrase: der rechte/linke Schenkel leitet nicht mehr; à gauche/droite la branche ne conduit plus. TEMPUS: Eingangsblock, Austrittsblock, vorzeitige Erregung, Erregungsausbreitungsbeginn, Rechtsverspätung; bloc d’entrée/de sortie;
522 Paraphrase: die Erregung beginnt frühzeitig; au moment d’entrer/de sortir, à deux moments le flux éléctrique se bloque. URSACHE/FOLGE: Chinidin-, Digitalisvergiftung, beruhen auf, mit der Folge, auf Grund, infolge, ist die Folge; provoque, ètre provoqué; Paraphrase: eine Vergiftung von Chinidin/Digitalis; cet accès provoque une crise d’angine de poitrine.
In beiden Sprachen haben Kollokate unterschiedlicher Formen am phraseologisch ausgedrückten rhythmologischen Geschehen teil. Ihre semantischen Rollen sind jedoch übereinzelsprachlich sachgebunden und deren sprachliche Repräsentationen perspektivgebunden, was prinzipiell je nach Sprecherintention und Textfunktion mehrfache Zuteilungen und Paraphrasierungen erlaubt. Die Fachund nicht Sprachspezifik dieser Ebene erklärt eine zwischensprachlich ausgeprägte Äquivalenz auch dieses Parameterbündels. Der kognitivistische Ansatz ermöglicht auch sehr treffend, die idiomatischen Phrasemen eigene Metaphorik zu erklären, ihren Bildwert und dessen Relation zu den vermittelten Begriffen. Die Herzrhythmus-Phraseologie hat sich als besonders bilderreiche Sprache erwiesen (Gréciano 1996). Tragen die technischen Formative der HerzrhythmusPhraseologie vorwiegend zur sachlichen Begriffsdetermination bei, so vermitteln die gemeinsprachlichen Konstituenten zusätzliche Erkenntnismuster und Denkmodelle. Diese Prozedur wurzelt im phraseologischen Merkmal der Figuriertheit. Hier begegnet man einer weiteren empirischen Bestätigung für die wissenschaftliche Metapher, die über das Analogiedenken mehrmals erfasst wurde (Gréciano 1983, 1995). Untersuchungsgegenstand waren bisher gerne die Geisteswissenschaften. Organische Natur und Technologie liefern die Metaphern für Geschichts- und Politikwissenschaft; Zoologie wurde das Analogiemuster für die Verhaltenstheorie des Menschen; Physik und Meteorologie die Mäzene für Börse und Wirtschaft (Hundt 1995). Mit Recht sind in der Medizin bestimmte Entlehnungen aus der Militärsprache als kontraproduktives Beispiel bedauert worden (Liebert 1994). Die Rhythmus-Phraseologie hingegen kann über mehrerer Kanäle, den optischen, akustischen und taktilen, als eine wertefreie Bildersprache betrachtet werden, als zusätzliche semantische Gestaltung des rhythmologischen Sachverhalts: die Anatomopathologie, Elektrophysiologie und Therapie des Herzens.
XI. Fachphraseologie/Set phrases in technical language
Bildspendung erfolgt über Analogie. Die Sprach-, sogar Einzelsprachspezifik prägt hier entscheidend die Bildbedeutung, die rückwirkt auf die Begriffsbildung. Die Herkunft der Bilder ist nicht willkürlich. Der bereichsspezifische Frame selbst vermittelt die Spenderbereiche. Die Hauptmetaphern der Rhythmologie verlaufen optisch und elektrophysiologisches Geschehen entlehnt erstrangig der Geometrie und Physik: Bogen, Zacke, STStrecke/Hebung/Senkung, P/TWelle, TAbflachung, Digitalismulde, Haarnadelkurve, Schenkelblock, elektrische Herzachse, Sägeblattlinie, Niederspannung, elektrische/steile/ senkrechte Achse, Negativitätsbewegung; torsade de pointe, axe éléctrique du coeur, segment ST en dôme/cupule, flutter en dents d scie, fibrillation auriculaire à petits/gros grains/à larges mailles, rythme accordéon. Anatomopathologisches Geschehen entlehnt der Botanik und Geographie, die in der Rhythmologie, anders als in der allgemeinen Medizin, jedoch erst an dritter Stelle stehen: Arborisationsblock, Verzweigungsblock, Kranzarterie, Aufzweigung der Aorta, Bündel, doppelgipflig, sich aufbäumen; branche, cupule, faisceau, canal, oreillette, ventricule; Bautechnik bzw. Architektur nehmen eine Mittelstellung ein, zweidimensionale Bilder aus der Elektrophysiologie, dreidimensionale aus der Anatomie: atrium, dôme, dents de scie, Herzhöhlen, Vorhof, Kammer, Herzwand, Vorder-/Hinterwand, Sägeblatt, Herzgefäß, Aortenklappen. Die analoge Nomination und deren Terminologisierung schafft eine Ähnlichkeit zwischen den Herzrhythmusphänomenen und der Welt der Geometrie, Physik, Bautechnik, Geographie und Botanik, die gebunden sein kann an –
–
Formen: Bogen, Bündel, Haarnadelkurve, Höhle, Schenkel, Zacke, sich aufbäumen; atrium, dôme, pointe, oreillette, ventricule, branche, torsade, faisceau und Funktionen: Achse, Block, Kammer, Vorhof, Eingang, Austritt; axe, bloc, entrée, sortie, sentinelle, extrasystole gachette, réciproque;
Analogiedenken erzeugt Ähnlichkeit, was Selektion und Fiktion, Empirie und Intuition voraussetzt; sie zielt nicht auf Ästhetik, sondern auf das Nützliche. Das Bild ist mnemotechnisch und heuristisch. Dank seiner Anschaulichkeit verleiht es der Fachsprache ihre Güte (Oksaar 1986, Gauger 1986). Es erklärt die Beliebtheit von EKG-Atlanten und den interlingualen Übersetzungserfolg des Bildwör-
523
44. Phraseme in medizinischen Texten
terbuchs/répertoire illustré der Anatomie des Menschen von Feneis/Dhem (1985). Wissenserwerb ist Wissenstransfer. Analoge Wissensrepräsentation bedient sich des Wortschatzes des Alltags aus der vortheoretischen Erfahrung und begnügt sich mit Familienähnlichkeiten. Das macht die besondere Angepasstheit der mentalen und kognitiven Semantikmodelle für die Erklärung von Fachbedeutung verständlich. Prototypische und assoziative Verfahren erklären die Beliebtheit der Entlehnungen von Basiskonzepten und Wahrnehmungsprimitiva für die wissenschaftliche Erkenntnis. Der wissenschaftliche Fortschritt liegt in der Wahl, in der Produktivität und Hierarchisierung der Bilder. Die akkustischen Metaphern werden klinisch wahrgenommen, über das Abhorchen und Abtasten mit und ohne Geräte: Geräusch, Flattern, Flimmern, Pause, Rhythmus, Schlag, Salve; bruit, pause, rythme, salve d’extrasystoles, rafale d’extrasystoles. Zurzeit lässt sich keine systematische 1:1 Entsprechung zwischen Art der Formative (Kollokatoren vs. Kollokate) und Bildern erkennen, obgleich Bilder eher zu Kollokaten als zu Kollokatoren tendieren. Die hier untersuchte Fachrichtung ist ein repräsentatives Exemplar für eine framesemiotische Bildersprache. Die medizinische Semiotik deutet diese Formen, Geräusche und Bewegungen als Index, motiviertes Ikon oder willkürliches Symbol. Rhythmologie verbegrifflicht anhand ikonischer und symbolischer Prozeduren; ikonisch ist die Relation zwischen Sprache und Echo-/Elektrographie; symbolisch jene zwischen Echo-/Elektrographie und Anatomopathologie. Die phraseologischen Termini ihrerseits sind eine Veranschaulichung zum einen des Ikons, zum anderen des Symbols, oder von beiden: bloc de branche/Verzweigungsblock. Für beide Konstituenten besteht eine Ähnlichkeit zwischen der visuellen oder phonischen Wahrnehmung und der wörtlichen Bedeutung: bloc, branche. Der Unterschied besteht im Zeichentyp. Der Formativ verbildlicht einmal das optisch elektrokardiographisch, bzw. das akkustisch echographisch dargestellte Symbol: bloc/Block und zum anderen die ikonische Repräsentation der Anatomie: branche/Verzweigung. Aber das symbolische und das ikonische Zeichen sind beide Index des pathologischen Geschehens, der Rhythmusstörung. Hand- und Lehrbücher der Rhythmologie illustrieren die Bildbreite. Gay/
Benoît/Desnos (1990) bieten im EKG die symbolische und im Anatomieschema die ikonische Darstellung zu blocs de branches bilateraux. Die Analogie zwischen Sprache und Wirklichkeit via Bild ist nie Verzierung, sondern Beschreibung und sie verdankt ihre Interpretationskraft der gemeinsprachlichen Natur der betreffenden Formative. Im eidetischen Denken kommen Sprach-, Einzelsprach- und Kulturspezifik zu Worte. Im Unterschied zur sachbedingten Gleichheit der Rollen, erkennt man fehlende und andere Entsprechungen in der Bildwelt. Bisher interlingual echolos geblieben sind elektrographisch geprägte Fachidiome (Haarnadelkurve, torsade de pointe). Festzuhalten bleibt eine unterschiedliche Gewichtung der Quellen und Bildspenderbereiche, vorwiegend Geometrie und Physik im Deutschen (Rechts-/Linksschenkel, nach oben bogenförmige Strecke), Botanik und Bauwesen im Französischen (bloc de branche, dôme). Ausnahmen bestätigen die Regel (Atemwege, appareil respiratoire). Die heuristische Bildkonfiguration der idiomatischen Phraseotermini ist das Parameterbündel mit wenig ausgeprägten interlingualen Äquivalenzen.
4.
Textsortenerklärung für Phraseme im Bereich Medizin
Ob “theoretisch unmöglich und uninteressant” (Knobloch 1997, 449), ob “aussichtslos” (Wolski 1998, 466), die systematische Klassifizierungstendenz von Texten nach Klassen, Typen und Mustern scheint derzeit überwunden, wenn sie auch weiterhin gute Kritierien zur Beschreibung bietet. Für Fachbereiche bewähren sich am besten frühe fächerübergreifende “vertikale” Gliederungen nach dem Abstraktionsgrad, d.h. nach der Fachkompetenz der Rezeption: Wissenschaftler, Fachkollegen, Institutionen oder Laien (Hoffmann/Kalverkämper/Wiegand 1998). Für die Medizin konzentriert sich Wiese (1997) auf Lehr- und Nachschlagewerke, Fachzeitschriften, Ärztebriefe und Krankengeschichten. Lippert (1999) räumt auch Enzyklopädien und medizinischen Ratgebern ihren Platz ein. Folgende Überlegungen stützen sich auf ein Textexemplar aus der Fachrichtung Kardiologie, das theoretische, praktische und institutionelle Erwartungen prototypisch zu erfüllen hat: Leitlinien/Indications/Guidelines, eine fakten- und fortschrittsorientierte, wis-
524
senschaftszusammenstellende, instruktive und normative Mischform, die die Textsortenforschung noch nicht erfasst (Göpferich 1995, 124). Als Geflecht komplexer Wissensund Handlungszusammenhänge vertreten die “Leitlinien zur Implantation von Defibrillatoren” den aktuellsten wissenschaftlichen Erkenntnisstand, erteilen Indikationen zur ärztlichen Behandlung und gewähren individuelle und gesellschaftliche Absicherung. Diese Leitlinien haben folgende Akteure: Expertenkollektive als Autoren, Fachgremien (Kommission für Klinische Kardiologie/Bureau du Groupe de rythmologie/Society of Pacing and Electrophysiology) und nationale Fachverbände (Deutsche Gesellschaft für Kardiologie/Société Française de Cardiologie/American College of Cardiology/American Heart Association) als Verantwortende, individuelle, soziale und staatliche Instanzen (Forscher, Praktiker, Versicherungen, Krankenkassen, Gerichte) als Empfänger, Fachzeitschriften in Druck und Internet als aktuellste wissensschaftliche Mediation: Zeitschrift für Kardiologie 9 (2000), Archives des Maladies du Cœur et des Vaisseaux 93 (2000), Circulation 106 (2000). Leitlinien speichern, reproduzieren, autorisieren und performieren Wissen, im Sinne der institutionellen Materialität (Rehbein 1998, 666). Diese Leitlinien, weder Einladung noch Gebot, haben dennoch gesellschaftsbedingt normierende Funktion und Wirkung; sie entsprechen in einer ganz anderen Domäne wie dem internationalen Rechtsbereich den Richtlinien z.B. des Europarats. Das hier als exemplarische Stichprobe gewählte Korpus rückt in die natürliche Nähe des rekonstruierenden (Versuchs-, Verlaufs-) Protokolls; mit seiner inhaltlichen Gliederung, seiner bibliographischen Dokumentation und sachlichen Begründung besonders des Ereignisprotokolls (Kretzenbacher 1998, 497). Wie Rechtsprotokolle muss der Text von einer Fachinstanz, (Klinischen Kommission/Bureau de rythmologie/Society of Pacing and Electrophysiology) gebilligt werden. Wie in empirischen Disziplinen entstehen die Leitlinien, gleich anderen medizinischen Protokollen (Labor-, Operationsprotokoll), aus Prätexten. Diese kardiologischen Leitlinien haben verschriftlichte Beobachtungen, Fallstudien, Protokolle und wissenschaftliche Aufsätze als Vor- bzw. Teiltexte. Die untersuchten Leitlinien rücken in die Nähe auch von Gutachten, die Gegenstände, Vorgänge und Zustände ausführlich begründet darstel-
XI. Fachphraseologie/Set phrases in technical language
len und bewerten als zukunftsorientierte Entscheidungshilfe und Handlungsanweisung (Hoffmann/Kalverkämper/Wiegand 1998, 504). Da ein- und mehrsprachige Spezialwörterbücher und Glossare für diese jüngste der kardiologischen Fachrichtungen gänzlich fehlen, bietet konkrete Korpusarbeit die einzige Hilfe zur Erschließung des neuen Wortschatzes, der für die wissensvermittelnde Textredaktion und Textübersetzung notwendig geworden ist. Eine linguistische Paralleltextstudie dieses dreisprachigen Korpus nach Hartmann (1994) gibt folgende Konvergenzen und Divergenzen zu erkennen, deren inhaltliche Richtigkeit von sachverständigen Medizinern überprüft wurde. Den drei Fachzeitschriftfassungen gemeinsam ist der aus gleichen Teiltexten, nämlich Schema und Kommentar bestehende Gesamttext. Das englische (engl.) und frz. Teiltextschema zeigt die Äquivalenzen der phraseologischen Nomination und deren syntaktischer Strukturen, die über Sprachkontakt und Übersetzung durch Experten entstanden. Textuelle Divergenzen ergeben sich trotz gleicher Situation, Intention und Funktion aus der sprachlichen Gestaltung in Textform und -struktur, in der Wahl der Textgegenstände und der thematischen Entfaltung: im Angloamerikanischen, eine abschließende, explizite Aufzählung der die Implantation allgemein, fallweise oder nicht indizierenden Zeichen und Symptome anhand 20 numerierter Paragraphen, die diese Leitlinien in die Nähe von Rechtstexten und Glaubenssätzen rücken; im Französischen, eine in den Textverlauf verwobene stichwortartig geraffte Tabelle vorwiegend der Zeichen, manchmal der Symptome in 14 aneinander gereihten Zeilen; im Deutschen, eine ebenfalls in den Kommentartext vernetzte Tabelle der allein über Merkmalbündel etablierten Indikationsklassen nach 4 klinischen Symptomen. Herrschen im Angloamerikanischen und Deutschen die klinischen Symptome (cardiac arrest/Herzstillstand, syncope/Synkope) vor und wird in den meisten amerikanischen Paragraphen der Patient thematisiert, so arbeitet das Französische fast ausschließlich mit hämodynamischen und elektrographischen Kürzeln (TV/FV), mit wenig Symptom- und ohne Patientenbezug; Nominalsyntax in den drei Sprachen, obgleich mehr eingebaute Hypotaxe und daher Prosanähe im Angloamerikanischen. Diese kulturell (Lerclerq/Lévy 2000, 1228) und semiotisch bedingten Divergenzen haben Konse-
44. Phraseme in medizinischen Texten
quenzen auf die Textvergleichsmethode. Können die konvergierenden übereinzelsprachlichen Phraseotermini in Kooperation von Linguisten und Kardiologen dem amerikanischen und frz. Schematextteil entnommen werden, so müssen für das Deutsche, angesichts seiner auf Merkmale reduzierten Tabelle, der kommentierende Teiltext und dessen Titel als Korpusmaterial hinzugezogen werden und manche dt. Entsprechungen entstehen über fachliche Interpretation. Man erkennt folgende interlinguale Phrasem-Konkordanzen: 4.1. cardiac arrest due to VF or VT not due to a transient or reversible cause/arrêt cardiaque par FV ou par TV sans cause aiguë ou reversible/HerzKreislauf-Stillstand durch VT/VF ohne akute oder vermeidbare Ursache; nonsustainable VT in patients with coronary disease/TV non soutenue avec sequelle d’infarctus/nicht anhaltende VT nach Myokardinfarkt; sustained VT at electrophysiologic study that is not suppressible by Class I drugs antiarrrhythmica/TV soutenue ou FV déclenchable sous traitement médical/anhaltende induzierbare VT; spontanous sustained VT in association with structural heart disease/TV soutenue spontanée sur cardiopahtie/spontane anhaltende VT bedingt durch kardiale Grunderkrankung; familial or inherited conditions with a high risk for life-threatening ventricular tachiarrythmias/maladie génétique à haut risque de mort subite par FV/Familienanamnese für plötzlichen Herztod in Zusammenhang mit genetisch mitbestimmten Krankheitsbildern; syncope of unexplained origine in the presence of ventricular dysfunction and inducible ventricular arrhythmias at electrophysiological study/syncope de cause inconnue avec TV soutenue et FV déclenchable/nicht dokumentierte Synkope mit induzierbarer VT/VF; severe symptomes (e.g. syncope) attribuable to ventricular tachyarrhythmias in patients waiting cardiac transplantation/TV soutenue mal tolérée chez un patient en attente de transplantation cardiaque/ schwerste Herzinsuffizenz bei für Herztransplantation vorgesehenen Patienten; syncope of undetermined cause in a patient without inducible ventricular tachyarrhythmias/syncope de cause inconnue sans trouble du rythme déclenchable/nicht dokumentierte Synkope mit induzierbarer VT/VF; incessant VT or VF/TV ou FV incessants malgré le traitement/unaufhörliche VT/VF; VF or VT resulting from arrhythmias amenable to surgical or catheter ablation/TV ou FV curables par chirurgie ou ablation par cathétère/durch ablative Techniken oder rhythmuschirurgische Eingriffe heilbare VT/VF; Ventricular tachyarrhythmias due to transient or reversible disorder/TV ou FV dues à des causes aiguës ou reversibles/VT/VF durch akute oder vermeidbare Ursachen bedingt; significant psychiatric illnesses that may be aggravated by device implantation or may preclude systematic follow-up/TV ou FV et maladie mentale suceptible d’être aggravée par l’implantation ou d’empêcher le suivi/schwere psychia-
525 trische durch ICD aktivierte oder mit der Nachsorge unvereinbare Krankheit; terminal illness with projected life expectancy less than 6 months/TV ou FV et maladie terminale avec espérance de vie de moins d’un an/mit geringerer als sechsmonatiger Lebenserwartung; drug-refractory congestive heart failure in patients who are not candidates for cardiac transplantation/TV ou FV et insuffisance cardiaque réfractaire chez un patient non candidat à la transplantation/VT/VF bei schwerst herzinsuffizentem nicht transplantierbarem Patienten.
Nicht Sprach-, sondern Fachwissen vermag bestimmte Entsprechungen herzustellen und lässt die Folgen ahnen für die Schwierigkeiten des Dolmetschens und Übersetzens: at electrophysic study, not repressible by a Class I antiarrhythmic drug/déclenchable sous traîtement médical/induzierbar; undetermined caues/cause inconnue/undokumentiert. Das Tabu des Todes mag die Einsparung von terminal illness/maladie terminale im Deutschen erklären. In den Kommentarteiltexten können in den drei Sprachen zusätzliche phraseologische Nominationen erhoben werden, die “horizontal” zur Kardiologie und Medizin allgemein (4.2.), “vertikal” zum wissenschaftlichen Fachzeitschriftenaufsatz gehören (4.3.) und die so seltenen Verbpartner prädikativ vertexten (4.4.). 4.2. Englisch: increased/substantial risk of sudden (unexpected) death, high/low-risk patient/population, survival benefits/curve/rate/prognosis, mortality rate, absolute/relative risk reduction for death, long-term maintenance/administration/result/treatment/efficacy, (lifelong) pharmacological therapy/ shock therapy, therapeutic alternative. Französisch: réduction de la mortalité subite/totale, patient classé à haut risque, séquelle d’infarctus du myocarde, traitement médical conventionnel, pontages aorto-coronariens, arsenal thérapeutique, trouble du rythme documenté, diagnostic et traitement appropriés. Deutsch: Lebensverlängerung, Vermeidung/Verhinderung des plötzlichen Herztodes, Verhinderung/ automatische Terminierung von Tachykardien, antitachykarde Stimulation, Verbesserung der Lebensqualität, Sicherheit/Schutz vor dem plötzlichen Herztod, rezidivierende Tachykardieepisoden, prompte Beseitigung einer Tachkardie, (lebens)bedrohliche Rhythmusstörungen, therapeutische Maßnahmen, vermeidbare Ursachen, Risiko für einen plötzlichen Herztod, schwerste/ausgeprägte Herzsuffizens, Überbrückung zur Herztransplantation. 4.3. Englisch: observational report, prospective, randomizes multicenter studies/trials, retrospective analysis, cost-effectiveness of ICD, clinical effectiveness, ICD reliability and longevity. Französisch: études randomisées, seuil statistique,
526 facteur de gravité, prévention primaire/secondaire, efficacité controlée, valeur prédictive, consensus d’expert, souci de clarté. Deutsch: randomisierte Studie, retrospektive Fallstudie Analyse von Patienten-Registern, Konsens der Experten, EKG-Aufzeichung/Registrierungssystem, Signalmittlungs-EKG. 4.4. Englisch: to experience/prevent/reduce sudden cardiac death(rate)/risk/VT or FV, to be at high risk, to resuscitate from cardiac death, to undergo bypass surgery, to await a donor organ, to improve survival/the patient’s quality of life, to merit/require consideration. Französisch: traiter les troubles du rythme ventriculaires graves par défibrilateur implantable antiarythmique, prolonger la (sur)vie des patients, survivre les troubles du rythme, atteindre la FV, réduire la mortalité, prévenir la mort subite, mettre en jeu le pronostic vital, déclencher une arythmie ventriculaire, montrer de l’intérêt, faire l’objet de critiques, revoir les indications, trouver mention, avoir lieu d’être, il va de soi, faire appel au bon sens. Deutsch: einen Herz-Kreislauf-Stillstand durchmachen/beenden, ein bedeutsames Risiko für einen plötzlichen Herztod haben, ein Belastungs-EKG/ eine Implantation von ICD/invasive elektrophysiologische Untersuchung durchführen/erwägen, das Oberflächen-EKG sichtet Episoden von Kammerflimmern, das Herzfrequenz-Profil bestimmen, die Möglichkeit eines sofortigen Eingriffs geben, einen ausreichenden Standard gewährleisten, Hygienevorschriften erfüllen, Nutzen von einer Therapie erfahren/erwarten, in Erwägung ziehen, Rechnung tragen, eine VT erleiden, eine Therapie erfolgt/verabreichen.
Ist im französischen Kommentartext die metadiskursive Tendenz auch in der Phraseologie zu erkennen, so fallen in den deutschen Leitlinien noch folgende Fachphraseme auf, die in der angloamerikanischen und frz. Fassung ohne Entsprechung bleiben und die an die Technologismen erinnern, die aus interkultureller Perspektive für das Deutsche ganz allgemein charakteristisch sind: (nicht)invasive Diagnostik, apparative Ausrüstung, Programmierung von ICD, elektrophysiologisches Labor, monoplane Röntgenanlage, röntgentransparenter Operations-/Untersuchungstisch, Röntgenschutzvorrichtungen, Klebeelektroden, Mehrkanalregistrierung, medikamentöse Therapie, rhythmuschirurgische Eingriffe, ablative Techniken, prophylaktische ICD-Implantation, klinische Manifestationen, kardiale Grunderkrankung, differentialtherapeutisches Vorgehen, ICD Patient, Postinfarktpatient. Augenfällige Unterschiede ergeben sich aus der Makrostruktur der Kommentarteiltexte. In der amerikanischen Fassung sind die
XI. Fachphraseologie/Set phrases in technical language
Indications for ICP-Therapy selbst Teiltext; sie bilden den 2. mit jenen die Herzschrittmacherimplantation betreffenden ebenbürtigen Teil (S. 23–29) der Guidelines; sie umfassen einen alphabetisch nach 11 Aspekten gegliederten Kommentar zu Forschungsentwicklung, Ergebnisberichten, Vergleich mit Pharmakologie und Ablationstechnik, Herzkrankheiten, Grenzen, Kosten und Nachsorge. Die französische und deutsche Fachzeitschrift widmet der Implantation de défibrillateurs/ von Defibrillatoren unter Recommandations und Indications und unter Leitlinien eine eigene Publikation. Obgleich an unterschiedlichen Stellen, lehnen sich beide europäischen Fassungen an die amerikanische Bewertung an, sowohl der wissenschaftlichen Studien nach Beweiskraft (Grade A, B, C) als auch der ICP-Therapy nach ihrem Nutzen (Klassen I, II, III). Der frz. Kommentar-Text ist ungegliedert, verteilt sich auf nur eineinhalb Seiten (S. 1228, 1230, 1231) und wird eingeleitet von zusätzlichen eineinhalb Seiten mit ebenfalls kommentierender Funktion besonders der statistischen Erhebungen und kritischen Stellungnahmen, die zur Neuformulierung der Indikationen geführt haben. Thema des Kommentartextes selbst ist mehr die Rechtfertigung der Anpassung an Frankreich als das Wissen um die ICD-Implantation selbst, das dank auch vermittelnder Phraseme zum Selbstverständnis wird (faire appel au simple bon sens, mettre en jeu le pronostic vital). Der dt. Kommentartext bezieht sich einleitend auf die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie von 1993 und rechtfertigt sich als Stellungnahme zum aktuellen Erkenntnisstand. Den ärztlichen, räumlichen und apparativen Voraussetzungen wird eine einmalige Aufmerksamkeit gewidmet. Die pathologischen Indikationen raffen die 13 Fälle der amerikanischen Empfehlungen in sieben Grunderkrankungen zusammen.
5.
Zusammenfassung und Ausblick
Obige Überlegungen vertreten die Textperspektive, beschränken sich auf eine Fachrichtung der Domäne Medizin und erkennen die terminologische Funktion der Phraseme. Ausgehend von den unterschiedlichen Interessenbereichen und Arbeitsmethoden in den verschiedenen Einzelsprachen (vgl. 1.) belegen Text und Wörterbuch übereinzelsprachlich die propositionale Natur der medizinischen Phraseotermini, vorwiegend Substantiv-Phra-
527
44. Phraseme in medizinischen Texten
seme, prädikatenlogische Aussagestrukturen, die Gemein- und Fachsprache auf ihre Art verbinden (vgl. 2.). Die Kombinierbarkeit der Formative lässt sich über integrative Valenz und kognitive Rollensemantik begründen, wobei Sachwissen das Szenario bestimmt. Kollokatoren verkörpern das Geschehen, Kollokate die Geschehensträger mit heuristischem Bildwert (vgl. 3.). Phraseme zeugen von der Domänen- und Text(sorten)gebundenheit, was empirisch anhand eines dreisprachigen Parallelkorpus, den “Leitlinien zur Implantation von Defibrillatoren” untersucht worden ist. Das erhobene Phrasem-Material trägt deutliche Spuren der vertikalen und horizontalen Gliederungen, die für die Fachsprache allgemein bekannt sind (vgl. 4.). Der interlinguale Vergleich dieser Textsorte der Herzrhythmus-Phraseologie zwischen dem Deutschen, Französischen und Englischen gibt neben der sachgebunden Universalität kulturell geprägte Einzelsprachspezifik zu erkennen, die fortan im vereinten Euopa und in der globalisierten Welt auch die Mediziner interessiert; als Beispiel das Thema einer Kardiologietagung in Straßburg, November 2003: die Unterschiede der gesetzlichen Fahrerlaubnis für Patienten mit Defibrillator in Amerika, Frankreich und Deutschland sowie deren Folgen. Die hier untersuchten Tritexte der Kardiologie sind ein Beweis, dass sich die Unifizierung der wissenschaftlichen Aufsätze nicht in allen Fachbereichen durchsetzt und dass die internationale Normierung nach einem vereinheitlichenden Vorbild nicht überall gelingt. Es überrascht, dass dieser Beweis gerade aus der Humanmedizin kommt, einem ontologischen und wissenschaftlichen Bereich, in dem sich gewöhnlich die Thesen der Universalität und Invarianz behaupten (Guntzmann 1997, 268). Hauptaufgaben für die Zukunft bleiben die lexikographische und didaktische Ausarbeitung der intra- und interlingualen Konkordanzen im Sinne einer gesundheitsfördernden Wissensvermittlung. Kulturspezifik behauptet sich sowohl in der Makrostruktur der untersuchten Textsorte als auch in den phraseologischen Benennungen, was eine Übersetzung ohne Auslegung unmöglich macht. Die Textwissenschaft bietet der Translationswissenschaft Konzepte und Methoden, die Produktion mit Sinngebung und Rezeption mit Sinnfindung bereichern (Gerzymisch-Arbogast/ Hajicová/Sgall/Jettmarová/Rothkegel/Rothfuß-Bastian 2003). Die Übersetzung medizi-
nischer Phraseotermini bedarf eines Modells, das den Entsprechungen der interkulturellen Textnormen trotz deren Differenz Rechnung trägt und “Wissen um Translation” mit “Wissen im Fach” und “Wissen um Texte” verbindet (Gerzymisch-Arbogast 1996, 1999).
6.
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Gertrud Gréciano, Strasbourg (Frankreich)
XII. Areale Aspekte der Phraseme/Areal aspects of phraseology 45. Dialectal phraseology: Linguistic aspects 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Preliminary remarks Areal aspects of phraseology Notions of dialect State of the art Individual results Conclusion Select bibliography
could include semantic and cultural aspects to a larger extent than is currently the case. For phraseology research, on the other hand, including dialects means, above all, paying more attention to areal aspects.
2. 1.
Preliminary remarks
As a linguistic discipline, dialectology dates from the middle years of the 19th century, when local dialect dictionaries and grammars began to develop in Western Europe. Principally, it refers to the study of linguistic data in relation to space. Main subjects include the uncovering of geographical boundaries of dialect areas, i.e. the discovery of distinctive linguistic features that manifest themselves in (bundles of) isoglosses, which can be plotted on the maps of dialect atlases. Dialectology studies such boundaries worldwide, for the most part by means of phonetic and phonological criteria but also by means of morphological and lexical characteristics, whereas it does not primarily involve semantic properties. Although this goal unites dialectologists in many countries of the world, we cannot speak of a unified research discipline. The individual linguistic situations are too different, and, accordingly, so are the opinions as to what precisely should be understood by dialect, a term which may refer to quite heterogeneous concepts (see 3). As research in phonetics, phonology, grammar, and, fairly recently, even syntax has shown, dialectology benefits from current developments in modern linguistic theory, while at the same time linguistics profits from the inclusion of dialects. Similarly, the disciplines of dialectology and phraseology could enrich each other with respect to analyses as well as methods. Yet until recently, much of phraseological research has been concerned only with standard languages and thus almost exclusively with written forms of language, while dialects, as predominantly oral forms, have largely been ignored. If dialectology were to take phraseology into its scope of research, it
Areal aspects of phraseology
It is well known that the knowledge of phrasemes varies greatly within a speech community, depending, for instance, on the individual speaker’s biography. The diachronic aspect, too, is familiar: phrasemes can become obsolete or come back into fashion. What has hardly been called attention to, however, is the diatopic aspect. Until recently, phraseological research showed little awareness of the fact that many phrasemes are known only in very limited geographical areas. This concerns standard languages just as well as vernacular and dialectal varieties. In standard phraseological dictionaries, diatopic markings are either non-existent or insufficient, while studies in contrastive phraseology do not normally deal with the phenomenon of areal limitedness of individual phrasemes. Rather, traditional phraseological research starts out from the idea of a homogeneous set of phrasemes, thought to exist in a language as a whole, above regional level. To a language such as German, which is based historically on a large number of dialects, this concept is inapplicable. There are clear traces of its dialects in the phraseology of the standard language up to the present day, particularly in varieties of the regional colloquial language, a fact that has hardly been problematised so far. Furthermore, there is an abundance of originally dialectal idioms in regional colloquial varieties, idioms which have not been captured lexicographically at all yet. Phraseology research has so far been analysing only a small section of the existing phraseme material and to a large extent ignored the dominant form of phrasemes, viz. the oral form used in regional languages and dialects. This can be assumed to be true for many languages, although relevant studies are rare.
531
45. Dialectal phraseology: Linguistic aspects
3.
Notions of dialect
There is no suitable, universally applicable definition of dialect. Various attempts have been made to define the term, but no definition has succeeded in covering this complex phenomenon completely. Since there are quite different traditions that work with the concept of dialect, it is hard to find one comprehensive definition. Modern dialectology increasingly uses the term as applied to user-defined varieties, i.e. for any group of speakers of a variety, be it geographical or social in nature. Other traditions use dialect to divide a standard language into regions. Dialect is then understood as one of the synchronic variants of a standard language. In this sense, we can speak of different dialects of English (e.g. Midwest American English, Australian English, etc.). When Makkai (1972, 18–19) speaks of “the dialect problem” in idiom research, he mainly refers only to these standard varieties of English. American sociolinguistics (also labelled social dialectology) equated the term dialect with the language usage of a given social group, especially of minority groups. According to this tradition, the term is often attached to substandard speech or slang, i.e. to usage that deviates from the norm. With respect to the European national languages developed in the 19th century, dialect is often defined against the background of a “roofing” standard language. We can speak of a diasystem, where the dialect is the subsystem of a superordinate system (the standard language). However, the criterion of mutual intelligibility within one dialect speaking community, often mentioned in this context, is not a tenable definition criterion for dialects (Chambers/Trudgill 2002, 3ff.). Rather, the diasystematic concept is connected with further criteria for determining the notion of dialect: these are the functional domains (use of the dialect is assigned to the personal domain, while use of the standard language is assigned to public and official domains), as well as the spatial extension and the communicative range (the dialect mostly extends over only a small area, in contrast to the standard language); see e.g. Koch/Oesterreicher (1990). This third notion of dialect seems most appropriate to the investigation of dialectal phraseology. We must concede, however, that it cannot be applied to all European dialects, as the concept of an overarching standard “roof” is not applicable to all European areas
(see e.g. Auer/Hinskens 1996, 1ff.). The German language area alone offers a broad spectrum of dialect situations, ranging from archaic, isolated basic dialects, spoken by an old, barely mobile, rural society in the private domain, to modern urban dialects and diglossia situations, where dialect and standard language co-exist side by side, even if they fulfil different functions.
4.
State of the art
4.1. Dialect research Dialect phraseology is virtually non-existent in national or international compendia of dialectology. Terms like phrasal lexical items, idioms, collocations, or proverbs cannot be found e.g. in Chambers/Trudgill (2002); Löffler (2003). Even recently, these topics have not been a matter of discussion in international congresses of dialectology or geolinguistics (cf. Warchoł 2000; Filppula et al. 2005). International dialectology still centres on phonology, morphology, lexis (excluding conventional multiword units), dialectometry and the compilation of linguistic maps, and it was only a short time ago that dialect syntax was taken into account (e.g. Ihalainen 1990). Although most of Japanese dialectology is concerned with word-pitch accent systems, research on polite phrases (belonging to the utmost periphery of phraseology) should be mentioned here (Ebata 2003). Despite the general lack of interest of contemporary dialectology in phraseology, dialectologists gathered a vast amount of phraseological material from the earliest beginnings. There are various compilations of dialectal phrasemes by competent researchers (most of them dialect lexicographers) since the 1850s (e.g. Haltrich 1858; Woeste 1858 on German dialects; extensive dialectal material can also be found in DWB 1854ff.). However, this once well-developed approach to dialect phraseology fell into oblivion and had no influence on later phraseology research. Although Bellmann (1995, 567ff.) realised the lack of research on “phraseological areality”, this insight could not really help to launch such research. In this context, mention should be made of the large dialect dictionary projects in many countries, though it is often only with much effort that their material can be used for further investigations (in the sense of modern
532
XII. Areale Aspekte der Phraseme/Areal aspects of phraseology
phraseological research), as these dictionaries were not written with this goal in mind. The “English Dialect Dictionary” (EDD 1898– 1905), compiled by Joseph Wright, one of the pioneers of English dialectology, is a welcome exception. Quite modern in appearance, phrasemes are highlighted by “Phr.” markings so that the material really becomes clear to researchers. Among the more recent dictionaries which cover a national dialectal lexicon, “The New Hungarian Dialect Dictionary” (Lörinczy et al. 1979ff.) should also be mentioned as a positive example, as it presents collocations, idioms, and proverbs, sorted by linguistic criteria. Comparable large dialect dictionaries exist e.g. for Finland (SMS; OFSF). They list innumerable dialectal idioms and proverbs, although it is not always easy to comprehend how and by what criterion phrasemes are arranged in the dictionary; labels such as “saying” or “proverb” are sometimes used inconsequently or incorrectly. The same holds for many regional or local dialect dictionaries. Innumerable collections of dialectal phrasemes have been compiled by laymen. Similes have always been among the most noticeable phrasemes, and collectors have always paid much attention to this phraseological subgroup (e.g. Woeste 1858; Melchers 1997). An interesting contribution is the dictionary by Putiņa and Timuška (2001), which deals with comparisons of an East Latvian dialect. 4.2. Phraseology research As far as proverbs are concerned, the investigation of dialectal phrasemes has a much older tradition. Paremiology never differentiated between the written languages of Europe – until recently the only subject of phraseology research – and other linguistic varieties, including dialects. Dialectal proverbs are recorded side by side with standard language ones (e.g. in Wander 1867ff.). In his references, Wander lists collections of regional dialectal proverbs since the late 17th century. Similarly, paremiologists such as Grigorij L’. Permjakov or Matti Kuusi used the same methods for investigating standard language proverbs and dialectal proverbs. However, their work is not exclusively linguistic in nature but also includes aspects of folklore, as well as ethnological, semiotic and culturalhistorical aspects. Research on diachronic phraseology and culturology often makes use of dialectal phra-
semes. There is Röhrich’s (1995) culturally and historically significant study, which incorporates rich material from many dialects, an approach which gives insight into many older variants and meanings of current German phrasemes. Since the 1960s, several Slavic studies have been exploiting dialectal phrasemes as a source of etymological and cultural-historic research. Dialectal material was used to reconstruct the phraseology of a Proto-Slavic variety (Tolstoj, 1973) and aspects of early religious-mythological concepts or folk culture. For example, the one-time significance of forest beekeeping in the Baltic-Slavic area was reconstructed from phrasemes of dialects (Eckert, 1991). Further goals include uncovering the etymologies of phrasemes of the contemporary standard language. Using variants or (quasi)-synonyms of a given phraseme in many different dialects and related languages as a starting point, Mokienko (1973, 1989) develops certain structural semantic models. This approach finds expression in studies of the Pskov dialect (Ivaško 1981, 1994) and further etymological and diachronical studies, above all in the historicaletymological dictionary of Birix et al. (2003). See Kostjučuk (1993) for more research on the phraseology of Pskov. Some recent Russian studies are concerned with the question of how to capture semantic fields of dialectal phraseology with the help of an associative experiment and describe them lexicographically (Nikitina 1995; Smetanina 1997). However, their studies do not contribute to uncovering specifics of dialect phraseology. The Slavic dialectal data of the studies mentioned so far have been drawn, for the most part, from dictionaries. Dialectal phraseology is used here primarily as ancillary material rather than as an end in itself. Fedorov’s (1980) analysis of Siberian dialects differs from these studies with respect to the linguistic data. The author reports on interviews made with dialect speakers of Siberian villages, where he collected about 6,000 dialectal phrasemes. Regrettably, he does not inform us of the methods used in those interviews. For an overview of the literature on Slavic dialect phraseology, see Filatkina (2005a, 31–34). Systematic investigations into dialectal phraseology which are based on empirical research and working within the framework of
45. Dialectal phraseology: Linguistic aspects
linguistic theories are limited to only a few publications, as emerges from bibliographies of phraseology and surveys carried out among phraseologists. Thus, there are, to my knowledge, only some recent studies on dialects of the German speaking area, that is, of Low German, Luxembourgish, and Swiss German dialects. The first systematic study of dialectal phraseology covers the Low German dialect Westmünsterländisch (WML) (Piirainen 1994, 2000). This dialect (located “west of the city of Münster” in North West Germany) was spoken until recently in a small region adjacent to the Netherlands. Due to this border location, WML had been preserved as an archaic dialect, used in some private domains of an agrarian community, and almost exclusively in oral form. In the late 1980s, when there were still a sufficient number of competent speakers available, intensive field research was carried out in order to compile a possibly complete inventory of the phraseology of this dialect. More than 4,500 dialectal idioms were amassed by “indirect” methods (onomasiologic and semasiologic questionnaires) and “direct” methods (interviews, talk circles). Topics addressed included appearance and characteristics of human beings, people’s subjective views of the world, interpersonal relationships, experiences, and human actions. WML speakers were asked about their knowledge of idioms and the mental images evoked by specific figurative units. A database was developed to be in a position to put queries to the entire WML phraseology; it facilitates fast access to all sorts of data combinations. For example, a given semantic field can easily be related to its source concepts so that regularities in the metaphorisation can be detected (see 5.3). Main goals of the studies on WML were to describe the characteristics of its phraseology within the theoretical framework of cognitive semantics, cultural semiotics, and linguistic pragmatics. A large-scale study deals with the phraseology of Lëtzebuergesch (LB), spoken by about 480,000 people in Luxembourg (Filatkina 2002, 2003, 2005a, b; cf. Art. 55). LB is historically a dialect, based on the German West Moselle Franconian dialect. Today’s Lëtzebuergesch is the only means of oral communication between native Luxembourgophone speakers, recently it has gained the position as a written language as well. Its relation to
533
Standard German (SG) can be characterised as a medial diglossia with a distinction between written and spoken language varieties. Nevertheless, some dialectal features have clearly been preserved in the language system of LB. The empirical basis is a corpus which is built multi-methodologically from text corpora (literature, mass-media and oral parliamentary debates) as well as from comprehensive written and oral surveys (Filatkina 2003, 331ff., 2005b). In contrast to WML, a moribund dialect, LB is a language variety which is alive, dynamic, and increasingly being used in the media and many other areas of public life. With this dynamism in mind, Filatkina tackles the question of the degree of familiarity of individual idioms. Specifically designed methods of questioning serve to determine how familiar different age groups are with given dialectal idioms. The most important aim is the discovery of structural and semantic peculiarities of Lëtzebuergesch phraseology as well as its figurative-semantic characteristics. Because of the linguistic situation in the German-speaking part of Switzerland, the two afore-mentioned approaches to dialect phraseology are both possible in this area: there are the conservative Highest Alemannic dialects of the Alpine area, used by a predominantly rural society (comparable with the WML basic dialect), and the modern urban Swiss German dialects, used actively as spoken varieties in most situations and standing in a medial diglossic relation to SG as the principal written form of communication. Recently, work has begun on a research project on the phraseology of the Walser dialects (Zürrer 2003; Zürrer/Burger 2004). The Walser dialects are spread throughout the Alpine area, also beyond Switzerland; since they are “roofed” partly by German and partly by Romance languages, they offer the chance of studying traditional dialects with regard to various issues of contact linguistics. The diglossia in Switzerland provides favourable conditions for examining dialectal phrasemes against a standard phraseology, as Burger’s (1979) analysis of idiom patterns in spoken language has shown. Furthermore, several projects on today’s Swiss German dialectal phraseology have been announced (Burger 2002). Central topics include (as with LB) problems of aliveness and familiarity of phrasemes, with ensuing empirical and theoretical implications.
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5.
XII. Areale Aspekte der Phraseme/Areal aspects of phraseology
Individual results
In the hope to arrive at a coherent theory of dialect phraseology, only empirically sound findings can be a guide for statements about the nature of dialectal phraseology that are both generally valid and theoretically reliable. The following summary of individual results is based on the few dialectal-phraseological studies mentioned above, which extend to traditional, local basic dialects as well as to modern dialectal varieties that are valid beyond regional level. The characteristics of dialectal phraseology can often be recognised most clearly in contrast to the phraseology of the standard language. This comparison, however, should not be limited to isolated cases but extend to larger sections of the complete phraseological inventory (for example to certain constituent groups, semantic fields, source domains, or pragmatic peculiarities), and results of research on European standard languages should also be taken into account. The similarity of many phrasemes in European standard languages is a well-known fact. This uniformity can be attributed to the common cultural heritage of the European speech communities, on the one hand, and to the convergence of modern urban societies, on the other. The specifics of the phraseology of a dialect can be measured, among other things, by the extent to which these similarities can or cannot be observed (Piirainen 2004b, 2005, 2006a, 2006b). 5.1. Formal structure A common feature of dialectal idioms, as compared to standard linguistic idioms, seems to be a greater morphosyntactic and lexical variability, a fact that has been noticed for Siberian (Fedorov 1980), Swiss German (Burger 1979, 96–97), and other dialects. With regard to LB and the regional alpine dialects, there are additional variations caused by linguistic contacts (Filatkina 2003, 338; Zürrer 2003, 311). Variations emerge most clearly in the realm of “irreversible binomials”. Good examples are the dialectal equivalents of SG Hals über Kopf “neck over head” ‘hurriedly, overhastily’, codified only in this unique form. WML and LB provide not only morphosyntactic variations (“over neck and head”) and inversion (“over head and neck”) but also lexical variants (“over head and bottom”, “head over backside”), etc. (Piirainen 1994, 477ff.; Filatkina 2002, 33). Apart from binomials, there are also idioms that can be
realised with a set of exchangeable constituents (LB eng mat der Schëpp/Schossel/Hummer/Dänn/Ratsch hunn “to have one with the shovel/bowl/hammer/spruce/rattle” ‘to be very stupid’, Filatkina 2003, 333). The tendency of dialects to form variants emerges clearly in comparison to contemporary standard languages. For example, the SG idiom er ist nicht ganz gar “he is only half-done” ‘he is stupid’ can correspond to a number of WML expressions (he mutt noch eenmaol in’n Backowwen/in’n Pottowwen/daor is noch kinne Koste üm/em schellt noch ne Buuske “he must go again into the oven/into the potter’s oven/there is no crust around him/ he still lacks a bundle of brushwood (needed for cooking)”, etc.). In cases like these, it is impossible to differentiate between a variation of the idiom and an underlying image that is constantly unfolding anew (Piirainen 2000, 146ff.). We know that there is greater variability in the phraseology of other types of languages with a smaller tendency to converge, such as historical language stages and languages with a late literary tradition (see e.g. Eckert 1979, 144ff.). An equally great variation can be observed for contemporary idioms of near-standard colloquial German with a predominantly oral circulation, with individual speakers having several variants at their disposal. For example, the lexicographically codified form sich die Radieschen von unten besehen “to look at the radishes from below” ‘to be dead’ is only one of numerous expressions. The nominal and verbal constituents of this idiom can be replaced by many other words; only the adverbial “from below” remains constant (Piirainen 2003, 124ff.). Empirical findings show that although dialects follow an internal norm, this norm has a greater tolerance for variants than in languages whose norms are codified in writing. This less established and more flexible norm allows dialect speakers to unfold idioms anew on every use. This means for the theory formation that the problem of a norm within phraseology needs to be discussed first. After that, the idioms that have been “codified” by traditional phraseography must be examined carefully. New methods need to be developed in order to register them lexicographically while doing justice to the diversity of variants mentioned above. Finally, there are psycholinguistic results as well, since the dialectal variability permits conclusions about the
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45. Dialectal phraseology: Linguistic aspects
ways of storage in the mental lexicon, that is, idioms are not merely reproduced but “summarised” in an underlying conceptual structure which can be unfolded in different ways. 5.2. Constituents The dialects analysed so far have some features in common with regard to their inventory of phraseological constituents. There are constituents that dialect speakers realise or feel belong to specifics of their traditional culture, e.g. constituents referring literally to certain idioethnic realia. These constituents stand out for their cultural connotations. Words denoting specific objects of the particular material culture are mentioned from the earliest phraseological studies through to the most recent ones (Woeste 1858, 163; Putiņa/Timuška 2001, 146). Supposedly, most of these constituents have no correlate in the standard phraseology. LB phraseology possesses several constituents connected with winegrowing and winemaking, as for instance Hatt ‘a basket made of fir or sheet iron, which winegrowers carried on the back for picking grapes or transporting soil to the vineyards’ (Filatkina 2002, 41–42, 48). An abundant group of idioethnic realia in dialectal phrasemes are based on the elementary requirements of human life, i.e. ‘housing’, ‘food’ and ‘clothing’. The dialectal constituents show the cultural diversity: how people build their homes, prepare their food, or manufacture their clothes (for WML see Piirainen 2000, 221ff., 408ff.). Due to the relative uniformity of the European standard languages, only a few constituents denote realia that are restricted to one single standard language (English apple-pie or Russian лапти (lapti) ‘bast shoe’ are among the rare examples). Many dialectal phrasemes contain onymic constituents, e.g. names of lakes in the dialect of Sinole (Putiņa/Timuška 2001, 172) or names of small villages in the LB phraseology, all of which are culturally connoted (Filatkina 2005a, 261–271). Special cases are microtoponyms in the dialectal phraseology: because of the restricted areas where field names are known, they cannot occur, by their very nature, in national standard languages. In dialectal phrasemes, however, they occur just like other toponyms and evoke the same kind of cultural connotations as place names do in standard languages (Piirainen 1999a, 131ff.). A peculiarity of LB phraseology is the high productivity of (mostly male) perso-
nal names, with various functions. A person called Batti, Hännes or Jang is regarded as the embodiment of stupidity, and idioms with these names hand down such “ethnoculturally marked stereotypes”. The differences between dialectal and standard language phraseology also become obvious in the realm of somatic constituents. All languages analysed so far show that somatisms are among the largest groups of constituents. It has been started from the assumption that this is always a matter of human somatisms, but the dialects of (formerly) rural communities also include many animal somatisms. Besides a juxtaposition of human and animal somatisms (e.g. “rumen” as a variant of “belly”), there are somatic constituents that are applicable to both humans and animals. Often the theriophoric background can only be revealed with the help of a dialect speakers’ explication. For example, ANGER in WML is often verbalised by using animal metaphors, repeatedly involving the image of the breeding bull. Idioms evoking this image refer either to the animal’s eyes (“he rolls the eyes in the head”) or to the animal’s posture (“he puts the head to the neck”). WML speakers are acquainted with the motivating links between ‘rolling the eyes’ or ‘putting the head to the neck’ and ANGER because it is precisely the behaviour of a breeding bull, as can be observed in the everyday environment of the WML speech community. Obviously, the constituents signifying head, neck and eyes originally referred to animals rather than humans (Piirainen 2000, 386–393). Thus, the inclusion of dialectal phraseology also leads to single theoretical consequences if we start out from the inventory of constituents. One of them is the so-called “double anthropocentric orientation”, often considered to be of universal value, which holds that the current meanings of idioms refer mostly to humans and at the same time take most of their words from the field ‘humans and body parts’ (see Rajxštejn 1980, 91–92). Dialectal phraseology makes it quite clear that many somatisms, including somatisms of standard languages, do not refer to humans but to the dominant figurative fields of pets and livestock. 5.3. Semantic domains Central research questions are whether the phraseology of a dialect can be ascribed a character of its own, and whether a dialect provides a view of the world or particular va-
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XII. Areale Aspekte der Phraseme/Areal aspects of phraseology
lues that are not shared by the standard language. A prerequisite for answering these questions is the examination of the phraseology of the dialect as a whole. The analysis of complete semantic domains (source concepts, semantic fields, metaphors, symbols) allows an insight into the world knowledge and aspects of a (former) worldview of the dialect speaking community. The most productive source domains of the phraseologies of WML and LB centre on cultural elements of former times, rooted in the everyday experience of the rural communities. The substantial exploitation of the source domain WINEGROWING AND WINEMAKING by LB phrasemes (cf. 5.2) reveals the dialectal roots of Lëtzebuergesch. Salient source concepts of the WML phraseology include, among other things, STOCKBREEDING, PLOUGH AND HORSE CARRIAGE or CUSTOMS OF BURYING. Whether these sources are unique to the dialect can be determined by comparing equivalent domains of the standard language phraseology. One such unique source frame of WML phrasemes is the traditional farmhouse. The phraseologies of the European standard languages exposes a relatively uniform HOUSE concept (a multiple room urban building with walls and ceilings), which differs completely from the one found in WML: more than 60 WML phrasemes refer to the concept of the traditional half-timbered open hall-house, without walls or single rooms and constructed with large beams, which once united livestock, harvest, family, and farmhands in one large room (Piirainen, 1999d, 2004a, 54–56; 2004b, 345–347). The systematic analysis of semantic fields can reveal certain views and hierarchies of values of a dialect speaking community. The field DILLIGENCE, for example, is particularly elaborate in LB, finding expression in highly familiar idioms. The positive attitude towards hard work that becomes visible here qualifies Rajxštejn’s (1980) oft-quoted hypothesis that negative elements are dominant in the phraseology of a language (Filatkina 2002, 38). The field PIETY, similarly rich in the WML phraseology, is another salient type of semantic field, where negative aspects of a piety that is too intense and only external predominate; there is no comparable phenomenon in standard languages. The semantic field PREGNANCY is also highly elaborate. Pregnancy turns out to be a taboo topic which one must not talk about directly, while a plethora of
phrasemes offer indirect ways of speaking about it. Besides, only very negative conceptualisations of PREGNANCY, as a physical pain, misfortune, or distress, manifest themselves in WML idioms (clearly in contrast to conceptualisations in standard languages), which permits a look at some aspects of a former worldview (Piirainen 2000, 157ff., 165ff., 2001a, 288f.). As motivational basis of phrasemes, metaphors show different levels of abstraction. Both the superordinate level of conceptual metaphors (metaphoric models in the sense of the Cognitive Theory of Metaphor) and the basic level of rich mental images can be significant for the discovery of semantic specifics of dialectal phraseology. Some metaphoric models that seem to be of no importance in standard languages have been detected in the phraseology of dialects, e.g. STUPIDITY IS
BEARING A MARKED NAME, WEALTH IS ABUNDANCE OF FOOD or MISERLINESS IS INSANE BEHAVIOUR TO ONE’S OWN DISADVANTAGE in LB
phraseology (Filatkina 2002, 52, 44, 2005, 302f., 357f., 364–366). However, the interpretation on the level of rich cultural knowledge is often more convincing than proposing an unspecific conceptual metaphor. Note the WML idiom “he puts the head to the neck” ‘he is very angry’, mentioned in 5.2. A metaphor such as ANGER IS ANIMAL BEHAVIOUR seems to be meaningless here, as it disregards the referential restriction to men, suggested by the rich image of the BREEDING BULL. By contrast, angry women are verbalised using the image of the BROOD-HEN (Piirainen 2000, 392); see 5.4. If complete semantic fields are studied in combination with the rich source images, some regularities can be observed. In LB phraseology, WINEGROWING, often induced by the constituent Hatt (see 5.2), is one of the most widespread source domains of the semantic field POVERTY and serves to illustrate the changes in social values, e.g. someone who walks with a Hatt makes a living out of begging (hie geet mat der Hatt “he walks with the basket” ‘he’s very poor’). The absence of two of the most common objects— the glass (of wine) (Patt) and the Hatt—is a sign of utter poverty, cf. si hu kee Patt a keng Hatt méi “they have no glass (of wine) and no basket any longer” ‘they are impoverished, living in very poor conditions’. The figurativeness of sie huet de Bakuewen an der Hatt (“she has the oven in the basket” ‘she’s a beg-
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45. Dialectal phraseology: Linguistic aspects
gar’) is informed by the idea of bread, a sufficient quantity of which functioned as a symbol of wealth. The oven in the Hatt is interpreted, on the one hand, as a sign of absence of a home, and on the other hand as the need to earn one’s bread by begging. The majority of the Luxembourgish population is no longer familiar with idioms that include the constituent Hatt. This can be explained by the fact that these idioms borrow their images from the agrarian domain, which today is increasingly losing importance in everyday Luxembourgish life (Filatkina 2002, 48ff.). POVERTY in WML is conceptualised as a lack of symbols of wealth. An outstanding symbol are oak trees; they ensured the prosperity of a farm, formed the raw material for the construction of a house, for coaches, chests and many things needed for a life of affluence (dicke Eeken bünt daor nich te saagen “thick oaks are there not to saw” ‘there is poverty, it is a poor farm’). Another symbol of wealth are wool knops on garments: se höllt kinne Noppe up’n Rock “she keeps no wool knop on the skirt” ‘she is very poor’. Wool knops not only served as ornaments but also had a semiotic function. Since a lot of wool was needed for their manufacturing (and wool for clothes was precious and expensive), they were a status symbol by which the wealth of a person or family could be recognised from the outside. Today, wool knops on garments do not play any role at all in the culture, neither ornamentally nor semiotically, and it is only through the language that the symbolic knowledge about them is passed on (Piirainen 2000, 128ff.). LB and WML idioms show the speaker’s attitude towards the utterance: POVERTY of a person or a family is not pronounced directly. Instead, one turns to prefabricated word strings, which, on the surface, make rather harmless statements. Only those speakers who possess the corresponding symbolic knowledge can decode the real message and recognise the target concept POVERTY. It can be gathered from this kind of encoding that, according to the values of the dialect speaker community, POVERTY is a stigmatised domain and therefore is paraphrased euphemistically. In sum, as far as figurative properties are concerned, the phraseology of dialects clearly differs from that of standard languages, showing idiosyncratic behavior with regard to their images, metaphors, and symbols.
5.4. Pragmatics When one describes dialectal phrasemes on the basis of their pragmatic functions or within the framework of speech act theory, the divergence between old basic dialects and modern dynamic varieties of dialectal origin becomes apparent. Nevertheless, dialects seem to have one pragmastylistic feature in common, namely a greater indifference to stylistic markedness. There are several hundred WML phrasemes that in spite of their scatological (often rustic) source domain are not felt to be rude (Piirainen 2000, 394ff.). According to Filatkina’s (2005, 95f.) survey, the stylistic registers developed for standard languages are hardly applicable to LB. Some idioms which would have to be considered low style from the standard language perspective can be used without restrictions in public, without violating the norm. Another pragmalinguistic feature of dialects is a tendency to make use of hyperbole, irony, and sarcasm. Humorous phrasemes also appear to be more prominent in WML and LB than in the standard languages. Conventional word plays or punning clichés are not only particularly numerous in WML but also used for specific pragmatic functions of education and concealment, which do not exist in this form in the standard languages (Piirainen 1995, 1999e, 2000, 332ff., 2001b). A gender markedness seems to be restricted to conservative dialects such as WML. The last example of 5.3, “she keeps no wool knop on the skirt”, can only be used with reference to a female person. The idiom has a conventionalised gender-specific variant, he höllt kinne Noppe up’t Böis “he keeps no wool knop on the jacket”. The restriction is grounded in the image components, with “skirt” representing a garment for women and “jacket” for men. The gender in this pair of idioms is considered to be a salient feature. In this regard, WML differs fundamentally from the standard languages that have been investigated so far (Piirainen 1999b, 199c, 2000, 308ff., 2001a, 2002). WML possesses about 500 gender-marked idioms, most of which are restricted to male referents. In many cases, the usage restrictions are brought about by culture specifics of the source domains, such as the working world of men and women: the source HORSE AND CARRIAGE always restricts the usage of the idioms to men, while KITCHEN, COOKING is associated with a restriction to women (e.g. he häff met alle Schwöppen
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XII. Areale Aspekte der Phraseme/Areal aspects of phraseology
knappt “he has cracked with all whips” ‘he is crafty, ingenious, clever’; se kockt up’n Kessling Suppe “she cooks soup on a big stone” ‘she does pointless things; she is confused, mentally ill’). A strict role-specific behaviour of a once patriarchal society becomes visible through the phraseology of the dialect, which differs noticeably from standard languages in this respect.
6.
Conclusion
Linguistic research on the phraseology of dialects is still in its infancy; it has hardly ever been carried out as an end in itself. Preliminary studies that have started in the last decade suggest that the inclusion of dialects into the theoretical framework of phraseology research would offer promising results. On the one hand, the systematic investigation of dialectal phraseologies sharpens the researcher’s awareness of peculiarities that may exist in the standard language as well but have not been perceived so clearly there. On the other hand, seen from a cultural-semiotic and cognitive viewpoint, the phraseologies of dialects are considerably different from those of standard languages as far as the underlying knowledge structures are concerned. Above all, the phraseology of those basic dialects that are highly conservative reflects the culture by means of an idiosyncratic imagery and aspects of the individual worldview and values. The most urgent research task is now to compile inventories of the phraseologies of those dialects whose existence is threatened, as the extinction of an old basic dialect entails a loss of the entire figurative and cultural world that was once handed down via figurative language. In addition to that, the phraseology of traditional and modern dialects, of regional vernacular varieties and minor languages with less developed literary traditions, should be gathered and analysed linguistically on the basis of extensive data collections. Reliable studies on the phraseology of dialects and other varieties not described before are desirable in order to broaden and modify the results of phraseology research, which so far have mainly been drawn from standard language.
7.
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XII. Areale Aspekte der Phraseme/Areal aspects of phraseology
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Elisabeth Piirainen, Steinfurt (Germany)
46. Phraseme aus germanistisch-dialektologischer Sicht 1. 2. 3. 4. 5.
Vorbemerkung Kritische Bestandesaufnahme Bisherige Erfassung und Beschreibung dialektaler Phraseologie Linguistische Untersuchungen Literatur (in Auswahl)
1.
Vorbemerkung
Mit dem allgemeinen Interesse, das sich seit der Mitte des 18. Jhs. auf die Mundarten richtet, geht eine eifrige Sammlertätigkeit einher, die sich in Idiotika und Idiotismensammlungen niederschlägt. Es ist das Lexikon, auf das sich die Neugier richtet, und es sind ebenso sehr Redensarten und Sprichwörter wie Einzelwörter, in denen man den regionalen und volksmässigen Charakter zu erfassen glaubt.
Diese Tendenz setzt sich im 19. Jh. fort. Ein Titel wie der folgende zeugt davon, wie eine Phraseologie avant la lettre bei den Mundartwörterbüchern Pate gestanden hat; gleichzeitig zeigt er ein volkskundliches Programm an: “Holsteinisches Idiotikon, ein Beitrag zur Volkssittengeschichte, oder Sammlung plattteutscher, alter und neugebildeter Worte, Wortformen, Redensarten, Volkswitzes, Sprichwörter, Spruchreime, Wiegenlieder, Anekdoten und aus dem Sprachschatze erklärter Sitten, Gebräuche, Spiele, Feste der alten und neuen Holsteiner. Mit Holzschnitten. Von J.F. Schütze (Kanzleisekretär). Hamburg, 4 Thle. 1800– 1806.” (Tobler 1837, XVI, Anm.; Haas 1994a, XLIII)
Der landschaftliche “Sprachschatz” wird hier als ein komplexes Gebilde verstanden. In den
541
46. Phraseme aus germanistisch-dialektologischer Sicht
Unterschieden zur Hochsprache, in den sogenannten Idiotismen, teilt sich der spezifische Charakter des “Volks” der Holsteiner mit, und insbesondere in plattdeutschen Redensarten, Sprichwörtern und verwandten Kurztexten will man die “Sitten”, das Leben und Treiben des “gemeinen Mannes”, erkennen. Das Interesse an regionalen Spracheigentümlichkeiten ist offensichtlich ein ethnographisches. Die Anregung dazu dürfte auf Rousseau und Herder zurückgehen; noch 1837 beruft sich Titus Tobler in der Einleitung zu seinem “Appenzellischer Sprachschatz” auf Herder (Tobler 1837, XVI). Hier kündigt sich an, was bis in die Gegenwart hinein Tradition haben wird: die Dialektlexikographie verzeichnet die Phraseologismen als Zeugnisse des Volkscharakters und zum Zwecke der Selbstbestätigung – “Unsere Sprache, das sind wir selber” heisst es in einem frühen Aufruf des “Schweizerdeutschen Wörterbuchs” (1862, zit. in Haas 1981, 19). Um eine adäquate Beschreibung und Auswertung nach phraseographischen Prinzipien geht es dabei nicht.
2.
Kritische Bestandesaufnahme
Das Urteil der modernen phraseologischen Forschung über den Umgang mit dialektalen Phraseologismen in der traditionellen Dialektlexikographie kann denn auch nicht über Mängel und Versäumnisse hinwegsehen; sie sind übrigens dieselben wie bei der hochsprachlichen Phraseographie. Fatalerweise zeigen sie sich selbst noch in jüngst erschienenen Mundartwörterbüchern, was nach dem Erscheinen der Standardwerke von 1982 schwer wiegt; während bei früheren Arbeiten auf Grund der damaligen Forschungslage Vorwürfe fehl am Platz sind, kann Kritik rezenten Arbeiten “zünftiger” Herkunft nicht erspart bleiben. Gesamthaft betrachtet lässt sich sagen: Phraseologismen sind berücksichtigt, werden aber nicht als selbständige Einheiten des Lexikons begriffen und behandelt. Eine spezifische Erforschung dialektaler Phraseologismen, vor allem auch hinsichtlich ihrer arealen Verbreitung, hat nicht stattgefunden. Diese kritische Beurteilung geht deutlich hervor aus dem Überblick, den Piirainen (2000, 24ff.) gibt; er wurde von Filatkina (2005, 27–34) aufgenommen. Den phraseologischen Forschungsstand für die schweizerdeutsche Dia-
lektologie referiert Burger (2002). Die Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen. (1)
(2)
(3)
(4) (5)
Zur dialektalen Phraseologie gibt es eine grosse Anzahl von phraseologiespezifischen Sammlungen. Regionale und überregionale Wörterbücher enthalten ebenfalls phraseologisches Material. Sprachatlanten verzeichnen phraseologisches Material in geringem Umfang. Die darin dokumentierte diatopische Gliederung des Sprachraums gibt über die areale Begrenzung von Phraseologismen keine Auskunft. Zumindest bis zur Mitte des 20. Jhs. wurden die phraseologischen Typen nur selektiv erfasst (Sprichwörter, “sprichwörtliche Redensarten”, Grussformeln). Es waren vor allem volkskundliche Interessen, die sich auf die Phraseologie richteten. In Einführungen und in Handbüchern zur Dialektologie bleibt die Phraseologie unerwähnt.
Obwohl die Phraseologie auch im deutschsprachigen Raum zu einer hochentwickelten linguistischen Disziplin ausgebaut wurde, fand die dialektale Phraseologie lange Zeit kaum Beachtung (Piirainen 1991a, 370f.). Dies änderte sich grundlegend mit Piirainen (2000), der ersten umfassenden und systematischen Untersuchung in einer fest umrissenen Region. Im Folgenden handelt es sich darum, die angeführten Punkte zu ergänzen und zu präzisieren. Den Nachweis führe ich vornehmlich auf Grund von Arbeiten zu den oberdeutschen Mundarten. Darunter fallen GrossraumWörterbücher wie das “Schweizerische Idiotikon” und das “Bayerische Wörterbuch”, regionale Wörterbücher der Reihe “Grammatiken und Wörterbücher des Schweizerdeutschen”, ausserdem Atlanten wie der “Sprachatlas der deutschen Schweiz” und der “Bayerische Sprachatlas”; für die Frühzeit der Lexikographie stütze ich mich auf die in Haas (1994a) versammelten Arbeiten aus dem 18. und beginnenden 19. Jh.
3.
Bisherige Erfassung und Beschreibung dialektaler Phraseologie
3.1. Phraseographische Prinzipien in Sammlungen und Wörterbüchern 3.1.1. Sammlungen Die Anzahl der in den Bibliographien von Sonderegger (1962) und Baur (2002) verzeichneten Titel vermag eine Vorstellung von der bis ins 20. Jh. geleisteten Beschäftigung
542
XII. Areale Aspekte der Phraseme/Areal aspects of phraseology
mit Phraseologismen zu geben. In den Rubriken “Sprichwörter, Sprüche, Redensarten” verzeichnet Sonderegger 48, Baur 163 Titel. Den Anfang machen die überaus zahlreichen Idiotismensammlungen der zweiten Hälfte des 18. Jhs., ediert in Haas (1994a, vgl. auch Haas 1994b). Selbst wenn der sprachwissenschaftliche Wert dieser frühen, zum Teil in Reiseberichten eingefügten Laiensammlungen eher gering veranschlagt wird (auf Grund post festum gesetzter lexiko- und phraseographischer Kriterien und also zu Unrecht), sind sie doch sprechende Zeugnisse ihrer Zeit und dürften zumindest für die historische Dialektphraseologie und -phraseographie zahlreiche Forschungsmöglichkeiten bereit halten. Dass diese Sammlungen nicht unergiebig sind, ist darauf zurückzuführen, dass man unter “Idiotismen” während des ganzen 18. Jahrhunderts in erster Linie Mehrwortverbindungen verstand; selbst später, als vorwiegend Einzelwörter unter den Begriff fielen, blieb der Terminus “Idiotismus” immer noch auf Redensarten anwendbar (Haas 1994a, XXV). Zwei Beispiele sollen einen Begriff geben von der Beschaffenheit dieser frühen Phraseologismensammlungen. Aus dem 18. Jh. stammt der “Versuch eines Augsburger Idiotikons”, verfasst von Mertens und erschienen zu Fulda und Nürnberg 1789 (Haas 1994a, 515ff.). Gewiss muten Auswahl und Einordnung zufällig an, die Nennform wechselt zwischen Infinitivkonstruktion und konkretem Satz und wird hochdeutsch “normalisiert”, die Erklärung besteht in einer Übersetzung, die die phraseologische, nicht aber die wörtliche Lesart wiedergibt. Bemerkenswert sind indes drei Eigentümlichkeiten: 1.
2. 3.
Die Bedeutungsangabe erfolgt in einigen Fällen durch einen französischen (oder lateinischen) Phraseologismus: ein Memfeli machen ‘faire la mine’, er hängt d’Schleer runter ‘il fait la mine’. Ein gruppenspezifischer Gebrauch wird vermerkt: ein koscher Wein ‘ein reiner Wein (nur unter Juden gebräuchlich)’. Sachkundliche Angaben erklären die Herkunft einer Redensart: “Ein Kreas der breite Halskragen der evangel. Geistlichen zu Augsburg. Von der mühsamen Arbeit eines solchen Kragens mag der Augsb. Ausdruck herkommen: da möcht man zur Kreasaufthoneri weare, das heisst: es möchte doch einem darüber die Geduld vergehen, oder sed tu homo me adigis ad infaniam.”
Anfangs des 19. Jhs., 1807, erschienen in München “Appenzeller Idiotismen”, gesammelt von Wilhelm Zeller. Ungefähr fünfzig Wörter und Redensarten sind darin aufgelistet (Haas 1994a, 597f.; Trümpy 1955, 147). Die auch hier verhochsprachlichten Redensarten bestehen meistens aus zwei Komponenten und bilden vom Hochdeutschen abweichende Kollokationen, vgl. die folgenden Beispiele von verbalen Verbindungen: “Nüsse töden statt aufknakken, Aepfel schinden st. schälen, Taback trinken st. rauchen”.
Einen verallgemeinernden Schluss von der Sprache auf die ethnische Eigenart zieht der Verfasser - wohl im Unernst? – aus dem folgenden Satzbeispiel: “Die Blume schmekt gut statt sie riecht gut. Ueberhaupt gebraucht man hier den Sinn des Geschmaks für den Geruch, daher viele Appenzeller nur vier Sinne zu haben scheinen.”
Nach dem Aufschwung, den die Idiotismensammlungen im 18. und anfangs des 19. Jhs. genommen hatten, gehen die Publikationen im Laufe des 19. und 20. Jhs. zurück; das journalistische Interesse, das Jagd auf Provinzialwörter machte und landschaftliche Kuriositäten-Sammlungen entstehen liess, hat sich erschöpft, nicht aber das wissenschaftliche Interesse an der Wortkunde: es sind die grossen regionalen Wörterbuchunternehmen, die nun die phraseologischen Schätze absorbieren. Daneben entstehen weiterhin selbständige Sammlungen, die sich nun stärker auf die Sprichwörter konzentrieren; zum Teil sind diese Sammlungen grossräumig angelegt, u. U. landesweit (Kirchhofer (1824), Sutermeister (1869), Stucki (1918). Auch in der zweiten Hälfte des 20. Jhs. erscheinen phraseologische Sammlungen, die neben Sprichwörtern meist ohne Abtrennung auch (sprichwörtliche) Redensarten umfassen (vgl. z.B. fürs Pfälzische Post 1992, 167f.). Nicht selten segeln sie unter einem mundartlichen Titel: Läbigs Bärndütsch (Bieri 1958), Mach kä Schbrisch! (Bräutigam 1979). Eine in verschiedener Hinsicht problemreiche Sammlung bilden die “Walser Weisheiten” (Waibel 1998). Mit den “Walsern” steht nicht eine Region im Zentrum, sondern eine “Volksgruppe”, eine alpine Bevölkerung mit höchstalemannischer Mundart. Die Sammlung bietet aber entgegen der Erwartung keine ethnologischen Aufschlüsse, sondern folgt in ihrer inneren Ordnung den Siedlungsorten von Westen nach Osten und innerhalb der Or-
46. Phraseme aus germanistisch-dialektologischer Sicht
te einem Sachprinzip. Die onomasiologische Ordnung mit den Sachgruppen “Erfahrung, Wissen, Lebensweisheit”/“Planen und Handeln”/“Jung und Alt” usw. gestattet es, diese Gruppen ortsbezogen miteinander zu vergleichen; vor allem erleichtert sie das phraseologische Verständnis der Items, die in der Regel nur wörtlich übersetzt sind, engt aber andererseits deren Sinn ein und suggeriert eine Lesart, die u.U. den Phraseologismen nicht gerecht wird. (Eine “systematische”, d.h. nichtalphabetische Anordnung schon bei oben erwähntem Sutermeister 1869). 3.1.2. Wörterbücher 3.1.2.1. Aufnahme, Auswahlprinzipien Seit den Anfängen nehmen die Mundartwörterbücher phraseologisches Material auf. Ein frühes Beispiel ist das vom Appenzeller Arzt und Lexikographen Tobler herausgegebene, von ihm so benannte “Idioticon Bernense” aus dem 18. Jh., das von zwei Bearbeitern stammt, von denen nur einer namentlich bekannt ist (Samuel Schmid(t), gestorben 1768). Beide Verfasser begnügen sich nicht mit der blossen Übersetzung der Wörter, sondern führen sie nicht selten in Redensarten vor: Für “Nase” z.B. d’nase z’vordrist ha, e längi nase dervo trage, eim über d’nase gä (usw. usw.) (Trümpy 1955, 125f.; Haas 1994a, LXVI). Die Mitberücksichtigung der Redensarten kommt im Übrigen schon in den Titeln zum Ausdruck. Tobler selbst macht in der Vorrede seines Wörterbuchs auf den verwandten Titel des “Holsteinischen Idiotikons” (1800–1806) (vgl. 1.) aufmerksam (Tobler 1837, XVI, Anm.); ebenso sprechend ist der Titel des anonym erschienenen, von Joseph Sonnleithner 1811 verfassten Buchs “Mundart der Oesterreicher oder Kern ächt österreichischer Phrasen und Redensarten. Von A bis Z. Wien. 2. Aufl. 1811, 3. Aufl. 1824” (Haas 1994a, XLIIIf.). Das Auswahlverfahren ist ein doppeltes, es wird bestimmt durch die geographische Begrenzung einerseits, die Differenz zur Hochsprache andererseits. Die in der deutschen Schweiz ab der zweiten Hälfte des 20. Jhs. erschienenen regionalen Mundartwörterbücher beschränken sich auf den Wortschatz eines Kantons (Zürich, Bern, Schaffhausen), einer Region (Prättigau, Rheinwald) oder eines Orts (Obersaxen). Die landschaftliche Begrenzung, die sich in den Titeln ausdrückt, birgt allerdings ein
543
mögliches Missverständnis. Durch eine Erklärung, wie sie das “Schaffhauser Mundartwörterbuch” enthält, wird ihm noch Vorschub geleistet: “Im Zentrum des Interesses stehen die typisch schaffhauserischen Wörter und Wendungen, also der Teil des Wortschatzes, der sich von der hochdeutschen Standardsprache abhebt.” Und ebenda: “Auf die Aufnahme von Wörtern, die gleichbedeutend und im Wesentlichen gleichlautend in der Hochsprache geläufig oder im ganzen Schweizer Dialektraum verbreitet sind, wurde verzichtet” (Richli/Gallmann 2003, 26).
Dieses Interesse am unverwechselbar Eigenen erfüllt sich indes nur zum Teil. Effektiv werden Phraseologismen aufgenommen, die überregional, ja selbst standardsprachlich belegt sind und keine kantonale Eigenart spiegeln. Die suggerierte Spezifik erweist sich in diesen Fällen als reine Augenwischerei. Zwei Beispiele, die zeigen, wie angeführte Phraseologismen unspezifische, da überregionale, ja selbst standardsprachliche Verbreitung haben: Us em Lächli giit s e Bächli ‘auf übermütiges Spiel folgen Tränen’ (Richli/Gallmann 2003, 76), ebenso belegt fürs Berndeutsche bei von Greyerz/Bietenhard (1981, 33) und fürs Baseldeutsche bei Suter (1984, 131). Die Frau hät Hòòr an Zää ‘weiss ihren Willen durchzusetzen’ (Richli/Gallmann 2003, 419), ebenso geläufig im Hochdeutschen, vgl. Duden 11 (2002, 305).
Angestrebte, aber nur zum Teil eingelöste Regionalität lässt sich nicht nur in Wörterbüchern, sondern auch in Phraseologismensammlungen nachweisen. Dies trifft z.B. auf die bereits angeführte Sammlung von Waibel (1998) zu. Der Titel, “Walser Weisheiten”, verspricht Spezifica einer bestimmten alpinen Bevölkerung, Weisheiten, die für die Walser typisch sind - in der Einleitung aber wird festgehalten, dass der dargebotene Sprachschatz weder im Walser Siedlungsgebiet entstanden noch bloss in diesem heimisch sei, vielmehr seien Sprichwörter und Redensarten im Wesentlichen Wanderformeln, Wandergut, das weit über die Walser hinausweist (Waibel 1998, 15f.). (Zur Ermittlung räumlicher Verbreitung vgl. 3.2.). 3.1.2.2. Funktion im Artikel. Semantik Phraseologismen als Belegmaterial Wo im Belegteil zwischen phraseologischen und freien Fügungen sorgfältig unterschieden wird, gewinnen die Phraseologismen einen gewissen Eigenwert. Wo zusätzlich eine Un-
544
XII. Areale Aspekte der Phraseme/Areal aspects of phraseology
terscheidung nach phraseologischen Klassen vorgenommen wird und die Belege entsprechend auseinander gehalten werden, geben Wörterbücher auch in Hinsicht auf Phraseologismen differenzierte Auskunft. Dies ist der Fall in den neueren Lieferungen des “Westfälischen Wörterbuchs”. Hier wird das phraseologische Material getrennt behandelt nach Redensarten, phraseologischen Termini (Pflanzen-, Vogelnamen usw.), Sprichwörtern, Sagwörtern, (usuellen) Wortspielen, Bauernregeln. Im Artikel Ealene ‘Elle’ lassen sich die Vorteile dieser differenzierten Zitiermethode verfolgen; nur freie Fügungen sind ohne Kennzeichnung im unmittelbaren Anschluss an die Bedeutungspunkte aufgeführt, während den Phraseologismen die typologische Bezeichnung vorangestellt wird (Westfälisches Wörterbuch II, 451). In den meisten Wörterbüchern figurieren Phraseologismen aber als undifferenziertes Belegmaterial: sie haben keinen eigenen Status. Nicht Phraseologismen werden dokumentiert, sondern Lemmata mittels des zur Verfügung stehenden phraseologischen Belegmaterials. Die zufälligen Belege werden mit hochdeutscher Übersetzung (die oft auch fehlt), ohne phraseographisches Zitierprinzip, quasi im “Rohzustand”, angeführt. Die Einleitung zum “Bayerischen Wörterbuch” (I, XLII), sagt dies wie folgt: “Nach den literarischen Quellen werden, soweit vorhanden, Redensarten, Sprichwörter, Rätsel, Wetterregeln und Wortspiele u.a. angeführt, wenn das Lemma darin sinntragendes Element ist.”
Die Einschränkung “soweit vorhanden” drückt das Zufallsprinzip aus, “wenn das Lemma darin sinntragendes Element ist” kündigt den Zweck an, die Illustrierung der Bedeutung des im Phraseologismus enthaltenen Lemmas. Das “sinntragende Element” ist aber nicht unbedingt identisch mit dem Lemma. Die Bedeutungserläuterung wird durch die Anführung von Phraseologismen dann verfehlt, wenn der angeführte Ausdruck idiomatisch ist und die Bedeutung nicht über die Komponenten erschlossen werden kann, sondern nur global, aus dem Ausdruck als Ganzem, zu gewinnen ist. Im Artikel “Bank” im “Bayerischen Wörterbuch” (I, 1036) werden unter dem Bedeutungspunkt “Sitzgelegenheit aus Holz, Stein o.ä. für mehrere Personen” folgende “feste Fügungen” angeführt: “durch die B. durchwegs, überhaupt, Streitikeitn gibts in insern Haus durch die B. nicht. Ab-/aufgeräumte B. Anwesen, auf dem kein Aus-
trägler zu versorgen ist. Ra.: um dö oign Bänk (heiraten) das heisst um Haus, Niedersitz und Feld mehr als um ein Weib.”
Offensichtlich stimmt hier die idiomatische Bedeutung von “Bank” mit der konkreten des Bedeutungspunkts nicht überein. “Wenn man bedenkt, dass der Effekt der Idiomatisierung gerade die Verdunklung der ursprünglichen Bedeutung der Komponenten des Phraseologismus ist, dann macht es vielfach wenig Sinn, den Phraseologismus als Bedeutungserläuterung eines einfachen Lexems heranzuziehen” (Burger 2002, 15).
3.1.2.2.1. Separate Dokumentierung Grundsätzlich ist anzunehmen, dass Wörterbücher, die Idiome nicht unter den Bedeutungspunkten anführen, die Gefahr vermeiden, die wörtliche mit der phraseologischen Bedeutung in eins zu setzen; sie dürften der phraseologischen Spezifik, zumindest bei Idiomen, eher gerecht werden. Zwei unterschiedliche Verfahren sind dabei gebräuchlich: entweder werden die Phraseologismen völlig abgetrennt in einem Anhang aufgelistet oder sie finden sich im Artikel eines bestimmten Lemmas, werden dort aber als gesonderte Bedeutungspunkte angesetzt. Das erste Verfahren, so einfach es ist, hat zur Folge, dass sich der Status der Phraseologismen ändert. Sie gewinnen an Eigenwert, insofern sie nicht der blossen Illustration von Lemmata dienen. Zugleich verbessert sich mit der Auflistung der “Zugriff” des Benutzers gegenüber der oft versteckten Platzierung unter den Bedeutungspunkten im Innern der Artikel. “Fügungen und Bilder” verzeichnet z.B. das “Simmentaler Wörterbuch” (Bratschi/Trüb 1991, 563ff.) in einem Anhang unter fünf Rubriken (Paarformeln, Vergleiche, Redensarten, Sprichwörter, Weitere Kleinformen). Die phraseologische Lesart ist den Items unmittelbar mitgegeben, das wörtliche Verständnis erschliesst sich über die Wörterbuchartikel. Dieses Verfahren findet sich nicht selten in einbändigen Wörterbüchern. Sie ist im Übrigen kein Novum, angewendet wird sie bereits bei Zaupser 1789, “Versuch eines baierischen und oberpfälzischen Idiotikons” (Haas 1994a, XLI), bei Hausleutner 1790, “Schwäbisches Idiotikon” mit einem Verzeichnis “Sprüchwörter, auch sprüchwörtliche und figürliche Redensarten und Wizspiele, besonders des gemeinen Volks in Schwaben” (wiedergegeben in Haas 1994a, 497ff.), bei von Schmid 1831, “Schwäbisches Wörterbuch” mit einer Sammlung von
46. Phraseme aus germanistisch-dialektologischer Sicht
Sprichwörtern, Redensarten, Sprüchen im Anhang (Baur 1973/75, 37). Zum zweiten Verfahren – Phraseologismen als interne Gliederungsteile eines Wortartikels – ist man in den neueren Artikeln des “Schwz. Id.” übergegangen. So wird z.B. der Phraseologismus sini vier Wänd “seine vier Wände” im Artikel “Wand” unter eigenem Bedeutungspunkt (Buchstabe d) und mit explizitem Hinweis am Abschnittsanfang angeführt: “in Fügungen (meist im Pl.) als pars pro toto für das ganze Haus”, worauf Satzbeispiele folgen, u.a. Belege aus den siebziger und neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts (Schwz. Id. XVI, 347f.). Die gesonderte Ansetzung führt zu gesonderter semantischer Erklärung; der phraseologischen Spezifik ist damit Rechnung getragen (vgl. auch Lösch 1998, Mulch 2000). 3.1.2.3. Sachkundliche Ausschöpfung In den grossräumigen Mundartwörterbüchern wie dem “Schwz. Id.” (1881ff.) und dem “Schwäbischen Wörterbuch” (1904–1936) erfüllen Phraseologismen indes nicht allein die Funktion als Belegmaterial zu den Lemmata. Das phraseologische Material bildet vor allem einen Grundstock sachkundlicher Information: volkskundliches und rechtshistorisches Wissen werden daraus gewonnen. Die Wörterbücher kreuzen sich mit Reallexika. 3.1.2.3.1. In volkskundlicher Hinsicht Die Beschäftigung mit Phraseologismen nimmt ihren Ausgang von volkskundlichen Interessen. Von dialektologischer Seite her muss man feststellen, dass die Erforschung im Grossen und Ganzen nicht über die Stufe der Inventarisierung hinausgewachsen ist. Die Sammlungen sind allerdings beeindrukkend. In der zweiten Hälfte des 20. Jhs. nimmt dann die volkskundliche phraseologische Forschung einen Verlauf, der sich über die blosse Sammeltätigkeit hinausentwickelt und der dialektologischen phraseologischen Forschung vorangeht. Unter den frühesten Wörterbüchern mit deutlich volkskundlichem Einschlag ist das “Holsteinische Idiotikon” von 1800–1806 zu nennen. Mit seiner Sammlung von Redensarten, Sprichwörtern u.ä. soll es, dem Titel gemäss, als “ein Beitrag zur Volkssittengeschichte” verstanden werden (vgl. 1.). Dies trifft auch auf das Wörterbuch des Appenzellischen zu. Von keiner anderen Quelle verspricht sich sein Verfasser, der Appenzeller
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Arzt Titus Tobler, gründlichere Auskunft über sein Volk als aus dessen Sprachschatz: “... und so legt der Idiotikograph die eigenen Wörter, Redensarten, Sprichwörter ... u. dgl., zur Schau. Daraus geht zur Genüge hervor, dass ein Idiotikon die Hauptabschnitte der Volksbiographie bildet ... Die Idiotismen jeder Sprache sind Abdrücke ihres Landes, ihres Volkes, ihrer Geschichte” (Tobler 1837, XVI).
Sein Wörterbuch trägt denn auch den programmatischen Titel: “Appenzellischer Sprachschatz. Eine Sammlung appenzellischer Wörter, Redensarten, Sprichwörter, Räthsel, Anekdoten, Sagen, Haus- und Witterungsregeln, abergläubischer Dinge, Gebräuche und Spiele, würzender Lieder oder Reime; nebst analogischer, historischer und etymologischer Bearbeitung einer Menge von Landeswörtern, zum Theile nach altteutschen Handschriften der katholischen Kantonsbibliothek in St. Gallen. Herausgegeben von Dr. Titus Tobler. Zürich, 1837.”
Die zeitgenössischen Urteile heben die ethnographische Bedeutung dieser Werke heraus. “Geradezu eine Volkskunde für das Elsass” sei das “Wörterbuch der elsässischen Mundarten”, wird in einer Besprechung im “Internationalen Archiv für Ethnographie” (1898) festgehalten, während Kluge das “Schwz. Id.” einen “Spiegel des Volkslebens” nennt (Baur 1973/75, 55f., 62). Neben Wörterbüchern enthalten volkskundliche Monographien phraseologische Schätze. Ein Beispiel von einmaliger Belegdichte und thematischer Vielfalt (zumindest im Rahmen des Schweizerdeutschen) stellt das dem Kanton Bern gewidmete, sieben Bände umfassende Werk “Bärndütsch als Spiegel bernischen Volkstums” dar (Friedli 1905–1928). Die laufend in den Text eingestreuten Phraseologismen sind so ausgewählt, dass sie die sachkundliche Beschreibung ergänzen; darüber hinaus knüpfen sie assoziativ an den Bildspendebereich der Sachgebiete an. Im Kapitel “Brotbacken” stehen also auch die übertragenen Verwendungen der Teigzubereitung: jez isch’s aa’teigget (jetzt ist der Teig angerührt) ‘das Unternehmen ist in’s Werk gesetzt, und man kann den Fortgang abwarten’, d’Finger im Teigg ha (die Finger im Teig haben) ‘sich ebenso energisch wie auch aufdringlich und rechthaberisch, wohl auch eigennützig in eine Angelegenheit mischen, sich einer Sache bemächtigen’ (Friedli 1905, 1, 500f.). Auf Grund des geographischen Prinzips dürften Volkskundeatlanten, die Phraseologis-
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XII. Areale Aspekte der Phraseme/Areal aspects of phraseology
men berücksichtigen, für räumliche Aspekte der Phraseologieforschung eine ergiebige Auskunftsquelle darstellen. Mit den phraseologischen Karten des “Atlas der deutschen Volkskunde” hat sich Grober-Glück (1974) auseinandergesetzt. Als Nachteil stellt sich dabei aber heraus, dass bei der Erhebung der Redensarten nicht zwischen mundartlichen und hochsprachlichen Einheiten unterschieden wurde. Räumliche Verbreitungsbilder von eindeutig dialektalen Phraseologismen enthält, wenn auch in geringer Zahl, der “Atlas der schweizerischen Volkskunde” (ASV). Ein deutlich fassbares Raumbild entsteht z.B. auf der Karte “Redensarten bei Donner. Welche Redensarten braucht man, wenn es donnert?” Die Antwort Käse rollen entspricht einem alpwirtschaftlichen Vorstellungskreis und deckt ein geschlossenes alpines Areal ab (ASV II 248). Um die Hebung phraseologischen Sprachguts hat sich vor allem die Sprichwortforschung volkskundlicher Provenienz verdient gemacht. Diese Disziplin legte die kulturhistorischen Grundlagen, von denen die spätere (strukturell orientierte) Phraseologieforschung noch heute profitiert. Röhrich (1991– 1992) ist auch für den Dialektologen eine Fundgrube; unter den älteren Sammlungen ist z.B. Sutermeister (1869) anzuführen, unter den neueren Ruef (1995). Aus mehrjähriger unmittelbarer Beobachtung einer geschlossenen Sprachgemeinschaft ist die “volkskundlich-soziologische Dorfuntersuchung” von Hain (1951) hervorgegangen. Der konkrete Sprichwortgebrauch wird an Beispielen aufgezeigt, die lebendigen Gesprächssituationen entnommen sind; wie sich Sprichwörter ins Sprachleben eingliedern, wie sie sich auswirken und was für Funktionen sie übernehmen, ist ebenso Thema wie die Frage nach Bekanntheit und Gebrauch bei Jung und Alt (zu diesem Aspekt, anschliessend an Hain 1951, vgl. Burger/Zürrer (2004, 56f.)). 3.1.2.3.2. In (rechts-)geschichtlicher Hinsicht Die volkskundliche Ausrichtung der grosslandschaftlichen Wörterbücher impliziert eine starke Verbindung mit dem Studium der Sachen (und Begriffe). Dabei ist eine historisierende Betrachtungsweise unverkennbar – das “Schwz. Id.” erfasst Belege zur deutschen Sprache bis zurück ins Spätmittelalter -, und ebenso unverkennbar ist, dass damit die Darstellung nach phraseographischen Kriterien in den Hintergrund gedrängt wird. Aufschluss-
reich sind die Artikel “Stuhl” und “Ding” (Schwz. Id. XI, 284ff.; XIII, 470ff.), worin sich deutlich die Rechtsgeschichte spiegelt. Die Fülle der rechtssprachlichen Belege trug denn auch dem Idiotikon das Lob eines “Rechtswörterbuchs der schweizerdeutschen Sprache” ein (zit. Baur 1973/75, 48). An einem Einzelbeispiel hat Burger (2002, 16) aufgezeigt, wie bei der Erläuterung nicht die aktuelle Bedeutung im Vordergrund steht, sondern die historische Einsicht, die der Phraseologismus zu vermitteln imstande ist. Die auch heute noch gebräuchliche Beteuerungsformel Ender liess ich m’r d’Hand abhaue(n), weder dass ich... ist im Artikel “Hand” bezeichnenderweise aufgeführt unter dem Bedeutungspunkt ‘die Hand im Rechtsleben’ (Schwz. Id. II 1388), und zwar mit beeindruckender Zitierung rechtssprachlicher Belege über das Abhauen der Hand als Kriminalstrafe. “Inwieweit der juristische Tatbestand für synchrone Bedeutung und für die potentielle Motivierung des Phraseologismus durch heutige SprecherInnen tatsächlich noch relevant ist, müsste untersucht werden” (Burger 2002, 16), was der Artikel unterlässt. (Damit zu vergleichen ist der demselben Lemma “Hand” gewidmete Artikel bei Tobler (1837, 255f.), der eine ganze Spalte Redensarten umfasst, denen geschichtlich orientierte Anmerkungen folgen). 3.1.2.4. Nennform Die (einheitliche) Formulierung einer Nennform fehlt, entsprechend lassen sich strukturelle und semantische Informationen aus der Anführung von Beispielen und ihrer (zufälligen) Übersetzung nur indirekt gewinnen. Die Lesartenproblematik erfährt, wo übersetzt wird, ohnehin keine systematische Berücksichtigung. In Richli/Gallmann 2003, 207 findet sich weder eine wörtliche noch eine phraseologische Übersetzung des unter “Holz” aufgeführten Sprichworts S cha au im ene chliine Hölzli schöö Gwild ha (wäre wohl wörtlich zu übersetzen: “Es kann auch in einem kleinen Wäldchen schönes Wild haben”). Noch mehr offene Fragen wirft der Artikel Struuss ‘Strauss’ auf (Richli/Gallmann 2003, 338). Unter dem zweiten Bedeutungspunkt ‘Streit, Streitigkeit, Kampf’ ist ein Satzbeispiel angeführt, das explizit als “Wendung” gekennzeichnet ist: Ha grad doo die Mol e Strüüsli uuszfächte ghaa mit im, dä cha jo nüüt weder all schimpfe über d Puure abe, desäb gross Chelle (eine Übersetzung fehlt, sie könnte lauten: “Ich hatte damals einen
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46. Phraseme aus germanistisch-dialektologischer Sicht
kleinen Streit mit ihm auszufechten, der kann ja nichts anderes als ständig auf die Bauern zu schimpfen, jener grosse Löffel”). Dabei bleibt aber unklar, ob die “Wendung” den ganzen Satz umschliesst, ob nur das Diminutiv Strüüsli gebräuchlich ist, ob die “Wendung” ausschliesslich in der Verbindung mit uusfächte und mit haa ‘haben’ (im Sinne von ‘müssen’) gilt und aufs Perfekt eingeschränkt ist. Die methodologischen Unzulänglichkeiten in der Phraseologismenbearbeitung werden in Burger (2002) an Hand eines Beispiels aus drei schweizerischen Mundartwörterbüchern nachgewiesen. Dabei handelt es sich um die im Schweizerdeutschen verbreitete, hier hochdeutsch typisierte Redensart “Das Heu (nicht) auf dem gleichen Heuboden haben” ‘nicht die gleichen Ansichten, Interessen haben’. Es zeigt sich, dass die Wörterbücher keine einheitliche Nennform ansetzen und die affirmative und die negative Variante nur zum Teil anführen. Bei Mehrfachlemmatisierung im selben Wörterbuch variiert die Nennform und selbst die Paraphrasierung (Burger 2002, 14f.). 3.1.2.5. Weitere phraseologische und -graphische Aspekte Eine differenzierte zeitliche Schichtung, die sich am aktuellen Gebrauch orientiert, geben z.B. Schmutz/Haas (2000, 16): die Skala der “Lebendigkeit” führt von “ausgestorben” bis “neu” über nicht weniger als neun verschiedene Stufen. Wo phraseologisches Material nur dem Zweck dient, die Verwendung der Lemmata zu belegen, erstaunt es nicht, dass wichtige phraseographische Information unter den Tisch fällt. So bleibt selbst in den jüngsten Regionalwörterbüchern die Markierung der Phraseologismen als solche nicht selten weg, und die Abhebung gegenüber freien Verbindungen ist dem Benutzer überlassen. Die Angabe von (grammatischen wie auch lexikalischen) Varianten ist vernachlässigt, ob aus Platzgründen oder aus versteckter normierender Absicht ist nicht zu entscheiden. Stilistische Charakterisierung schränkt sich auf pauschale Urteile ein, so z.B. in Bräutigam (1979, 3), wo ein Zitat aus Goethes “Dichtung und Wahrheit” der Sammlung als Motto vorangestellt wird, das besagt, dass in sprichwörtlichen Redensarten manchmal etwas unterlaufe, was gegen ein zarteres Ohr sich anstössig erweise.
Bestimmte dialektale Zonen wie der Alpenraum weisen eine eigene Problematik auf: die deutschen Dialekte treten hier in Kontakt mit anderssprachigen Varietäten und entwickeln spezifische Kontaktphänomene. Der “Dicziunari Rumantsch Grischun” verzeichnet hybride romanisch-deutsche bzw. deutsch-romanische sowie bedeutungsentlehnte Phraseologismen, z.B. d bränte heile ‘den Nebel kastrieren (vertreiben)’ (DRG 2, 493ff., vgl. 3.2.1), far latmilch ‘schnarchen’ (DRG 10, 574), laschar larg ‘loslassen’ (calque, DRG 10, 473). An einzelnen Punkten des Alpenbogens findet ein Kontakt statt, der mehrere Varietäten zugleich impliziert. So kontaktieren die höchstalemannischen Walsermundarten des Aostatals (in der Nordwestecke Italiens) mit den regionalen Varianten des Italienischen und Französischen sowie mit den frankoprovenzalischen und piemontesischen Dialekten. Davon betroffen sind die Sprichwörter, Kollokationen und Routineformeln (Zürrer 2003; Burger/Zürrer (2004, 62–67)). Was für ein Weltbild drückt sich im phraseologischen Sprachschatz aus? Eine bemerkenswerte Antwort gibt Stucki (1918, 68f.): “Dass sich, neben wenigen freundlichen Lichtblikken, im ganzen ein Weltbild, getränkt mit Bitterkeit und Misstrauen, herausschälte, entspricht nicht etwa einer besondern schweizerischen Grundstimmung, sondern dem Wesen solcher Volksweisheit überhaupt: Bildeten doch überall und zu allen Zeiten die Armen, die Niedern die grosse Masse, die mit Ärger und Missgunst auf den reichen Glücklichen schaute.”
Bemerkenswert ist diese Ansicht aus zwei Gründen: einmal weil sich darin, wie aus dem Erscheinungsjahr zu schliessen ist, die Zeiterfahrung niederschlägt: diejenige des Ersten Weltkriegs, und weil die Sprichwortwelt, wie sie der Autor in seiner Auswahl vermittelt, sozialpsychologisch-universell verstanden wird, was (anderswo geläufige) nationalistische oder regionalistische Erklärungen ausschliesst. 3.2.
Phraseologie in Sprachatlanten
3.2.1. Phraseologische Arealdistribution im “Sprachatlas der deutschen Schweiz” (SDS) Die Frage, ob sich mundartliche Redensarten sprachgeographisch fassen und kartographieren lassen wie phonologische, morphologische und lexikalische Erscheinungen, hat die Herausgeber der Atlanten offenbar nicht beschäftigt. Kein Wort zur Phraseologie in Hot-
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XII. Areale Aspekte der Phraseme/Areal aspects of phraseology
zenköcherle (1962, A, 23ff.) und in Gabriel (1985). Über die Gründe für die phraseologische Lücke kann man nur mutmassen; abgesehen vom damals mangelnden Forschungsinteresse dürften wohl aufnahmepraktische und kartographische Probleme die Herausgeber von der Berücksichtigung abgehalten haben (die Darlegung der Schwierigkeiten erst bei Grober-Glück 1974, 7ff.). Phraseologisches Material ist trotzdem von den SDS-Exploratoren erhoben worden; es handelt sich, neben vereinzelten Ausdrücken, einerseits um Bezeichnungen für Spiele (SDS V 80–88), andererseits um Gruss- und Dankformeln (SDS V 111–116). Das Ergebnis dieser phraseologischen Kartographierung mag überraschen: Die meisten phraseologischen Kartenbilder sind weder vage noch verwirrend, sie stellen vielmehr klar erkennbare Verbreitungsareale heraus. Zwei Arealtypen kristallisieren sich dabei heraus: zum einen Grossräume, die die bekannte Raumstruktur des Schweizerdeutschen spiegeln, zum andern kleine, geschlossene Areale, die sich zum Teil mit aussersprachlichen Territorien decken. Auf den West-/Ostgegensatz, wie er für die schweizerdeutsche Sprachlandschaft (und dessen nördlich anschliessendes Dialektgebiet) konstitutiv ist, stösst man auf der Karte “Fangen spielen” (SDS V 86): im westlichen Teil der Deutschschweiz gelten die Typen Tschiggi/Ziggi machen, gehen, hauen gegenüber Fangis machen im östlichen Teil. Auch bei der Bezeichnung des (gestisch begleiteten) Verspottens weist der Westen der Deutschschweiz (ohne Basel, aber bis weit in die Zentralschweiz hinein) mit Gäbeli machen eine dichte Verbreitung auf einer grossen Fläche auf (SDS V 108ff.). Eine ähnlich gelagerte westliche Hälfte deckt der Ausdruck z Chilt gaa für den Kiltgang ab, während die östliche Hälfte mehrere Bezeichnungstypen aufweist (SDS V 18). Ein klares, wenn auch auf mehrere Randzonen aufgegliedertes Bild ergibt sich für die Grussformel am frühen Nachmittag (ab 14 Uhr): gueten Aabe in Freiburg, im Wallis und tw. in Graubünden sowie in der Nordwestecke (SDS V 111ff.). Ein Beispiel für ein teilkantonales Gebiet bietet die Frage nach der Uhrzeit: sie wird in einem schmalen Streifen des Berner Mittellands (und nur hier) mit den Worten gestellt Wi(e) mängs isch (es)? (SDS VI 32). Gleich dreimal sticht das Deutschwallis als Landschaft mit völlig eigenständigen Wendungen heraus: mit
den Bezeichnungen des Huckepack-Tragens, ufem Riggu-Bräntsch träägu, machu, nee, des Purzelbaum-Schlagens, di Giige stütze, sowie mit den Ausdrücken fürs bereits erwähnte Verspotten, d Hoorlini/der Tifel machu, zeichu (SDS V 108ff.). Weitere klar umrissene kantonale bzw. teilkantonale Verbreitungsbilder zeigen folgende Karten: (1) (2) (3)
“Die Glocken läuten, wenn jemand gestorben ist”: Luzern s Endzeiche lüüte, Freiburg s Tooteglöggli/s Tootezeiche lüüte (SDS V 54). “Zu Kilt gehen (traditioneller abendlicher Besuch eines Burschen bei einem Mädchen)”: Graubünden z Hengert gaa (SDS V 18). Das Hirtenspiel, das im “Feuer-Bohren” besteht und den Nebel vertreiben soll, heisst im Westen (Freiburg, Berner Oberland) de Tüüfel heile, im Osten, in einem bündnerischen Kerngebiet, dagegen d Bränte heile (rätorom. Bränte, Bräntine ‘Nebel’, SDS VI 54, vgl. 3.1.2.5).
Wie erklären sich die unerwartet klar ersichtlichen Verbreitungsareale? Zum einen durch den Erhebungsstand. Die SDS-Aufnahmen wurden von 1939 bis 1958 gemacht und repräsentieren die Grundmundart der ersten Jahrhunderthälfte, wenn nicht sogar der Zeit davor. Davon dürfte sich die Gegenwart, vor allem in sozio- und pragmalinguistischer Hinsicht, wesentlich unterscheiden. (Zur Zeitdimension im Phraseologismengebrauch ist die Kartenfolge in SDS V 115f. lehrreich, die den diatopisch-diachronen Aspekt an Hand der Rückzugsstaffelung der Dankesformel “Vergelts Gott” zeigt.) Erhellend ist sodann die Vergegenwärtigung der erfassten phraseologischen Typen: es handelt sich um Bezeichnungen für eindeutig fassbare Sachverhalte, Verhaltensmuster und Bräuche. Der Schluss auf ähnliche Arealdistribution bei Phraseologismen, die denotativ anders gelagert sind oder die wie die “prototypischen” Idiome anderen Gesetzmässigkeiten folgen, ist sicher nicht zulässig. 3.2.2. Phraseologie in anderen Sprachatlanten Der “Deutsche Wortatlas” enthält keine Phraseologismen. Im “Bayerischen Sprachatlas, Sprachatlas von Bayerisch-Schwaben” (2, 113, 131) findet sich je eine Karte zum Kiltgang, “fensterln”, mit den Typen auf das fenstern gehen, auf (die) Karess gehen u.ä. und zum “Glückwünschen am Neujahrstag” (Neujahr an-, abwünschen, anschreien). Eichhoff (1977, 1, 47) gibt das Verbreitungsbild der Bezeichnungen für den “Gruss beim Betreten eines Geschäftes (am Nachmittag)”.
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46. Phraseme aus germanistisch-dialektologischer Sicht
3.3. Phraseologische Klassen Wo Phraseologismen gesondert von anderem Wortgut gesammelt und herausgegeben wurden, fanden vor allem Sprichwörter starke Berücksichtigung (unter entsprechender Vernachlässigung der anderen phraseologischen Typen); dazu vgl. 3.1.2.2. sowie die Artikel 34, 35 Sprichwörter und 36 Sprichwörtersammlungen. Neben Sprichwörtern und sprichwörtlichen Redensarten wurden Gruss-, Glücks- und Segensformeln gesammelt und kommentiert. Sonderegger (1962) verzeichnet neun Arbeiten zu Grussformeln, Baur (2002) deren fünfzehn. Weise (1921) beschäftigt sich mit den praseologischen Vergleichen in den deutschen Mundarten, die angeblich den “Mann aus dem Volke” kennzeichnen, denn “abgezogene Begriffe” kenne derselbe nur in geringem Umfange, und deshalb “drängen sich dem gemeinen Manne häufig Vergleiche auf”. Paradoxerweise führt er seine Belege durchwegs hochsprachlich an, wertet sie als “Spiegelungen der Kultur- und Weltgeschichte” und leitet beispielsweise leben wie Gott in Frankreich von der Französischen Revolution her. Unter den “Vergleichsgegenständen” hebt er die Tiervergleiche als die häufigsten hervor, auch zur lexikalischen Variation und zum stilistisch “unpassenden Gebrauch” äussert er sich. Kaum berücksichtigt blieben dagegen Kollokationen. Die einseitige Wahl der phraseologischen Klassen erklärt sich aus der volkskundlichen Optik; der kontrastive Aspekt (Mundart-Mundart bzw. Mundart-Standardsprache), der gerade bei den nicht berücksichtigten Typen zum Ausdruck kommt, ist volkskundlich bzw. sachkundlich (realenzyklopädisch) kaum relevant. 3.4. Phraseologie als Disziplin in Handbüchern, Einführungen und Bibliographien In Einführungen und in Handbüchern zur Dialektologie bleibt die Phraseologie unerwähnt, vgl. dazu Piirainen (2000, 29). Auch in Kompendien zur “dialectology” ausserhalb der Germanistik sind Begriffe wie “phraseology”, “idioms” ausgeklammert; in Grassi/Sobrero/Telmon (2003) beschränkt sich die Phraseologie der italienischen Dialekte auf ein Kapitel über Grussformeln. Umgekehrt wird die Dialektologie weitgehend vernachlässigt in Handbüchern zur Phraseologie. Für die romanische Philologie existiert zur phra-
seologischen Forschung eine teilkommentierte Bibliographie (Lengert 1997, mit Angaben auf hundert Seiten zu den französischen, auf zweihundert Seiten zu den italienischen Dialekten und Regiolekten), für deutsche Mundarten sucht man vergeblich nach einem Pendant.
4.
Linguistische Untersuchungen
Frühere Arbeiten behandeln nur Ausschnitte aus phraseologischen Feldern und bildlichen Bereichen und berücksichtigen die linguistischen Aspekte nur am Rande. Piirainen (1991a, 1991b) hat aufgezeigt, wie Phraseologie und Dialektologie sich gegenseitig fruchtbar ergänzen und bereichern könnten und wie die kontrastive Methode neue Erkenntnisse zum Verhältnis von Dialekt und Standardsprache zutage fördern könnte. Ein Jahrzehnt später liegen aus drei Regionen Arbeiten vor, die die Forschungslücke füllen: aus dem Westmünsterland, aus Luxemburg und aus der deutschen Schweiz. An dieser Stelle genügt es, sie nachfolgend zu zitieren; ihre theoretischen Ansätze, empirischen Erhebungsmethoden und neuartigen Ergebnisse sind im Artikel 45 in einem erweiterten Rahmen vorgestellt. (1) Piirainen (2000) war bahnbrechend mit ihrer Phraseologie der westmünsterländischen Mundart; darin sind über 4 550 Phraseologismen zusammengetragen und im Rahmen moderner linguistischer Theorien und mit einer adäquaten Metasprache (u.a. kognitiv, kultursemiotisch, pragmatisch) analysiert. (2) Das von Filatkina (2005) phraseologisch untersuchte Luxemburgisch bildet ein Spannungsfeld zwischen Dialekt und Standardsprache: Luxemburgisch, die Nationalsprache des Landes, basiert historisch auf dem Westmoselländischen, einem fränkischen (deutschen) Dialekt. Unter dieser spezifischen Konstellation leiten ethnokulturelle Perspektiven, Erkenntnisse der kognitiven Metapherntheorie und der Kultursemiotik Filatkinas phraseologische Analysen. (3) Mit der Phraseologie des Schweizerdeutschen beschäftigen sich Häcki Buhofer (2004) und Burger (2002). Erste Ergebnisse aus Stichprobenuntersuchungen zum Verhältnis der heutigen SprecherInnen zur Phraseologie sowie methodologische Überlegungen zeigen die Bedeu-
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XII. Areale Aspekte der Phraseme/Areal aspects of phraseology
tung der “medialen” Diglossie, die für die Lebendigkeit und die Veränderbarkeit der Phraseologismen in der deutschen Schweiz bestimmend ist. Innerdialektale Probleme behandeln Burger/Zürrer (2004) und Zürrer/Burger (2004). Elisabeth Piirainen danke ich für mannigfache Hinweise und Anregungen.
6.
Literatur (in Auswahl)
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551
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Peter Zürrer, Zürich (Schweiz)
47. Phraseological expressions in German standard varieties 1. 2. 3. 4. 5.
Pluricentricity and phraseology Research to date into phraseological expressions varying on a national/regional basis Current and open research questions Conclusion Select bibliography
1.
Pluricentricity and phraseology
It is well known that the German nonstandard language varies regionally to a great extent (for regional variation of dialectal phraseolo-
gical expressions see ch. 45, and ch. 46). However, the (formal) standard language, too, shows regional and national variation as to lexis, semantics, pronunciation, orthography, syntax and pragmatics. German is used as a solo- or co-official language in Germany, Austria, Switzerland, Luxembourg and Liechtenstein and has official status in regions of Belgium and Italy. For instance, administration, laws, and institutions are sources of technical terms and linguistic norms for their respective nations. Moreover, the standard language used in the media is distinctly pluri-
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XII. Areale Aspekte der Phraseme/Areal aspects of phraseology
centric (cf. Bickel 2001). Regional and national differences of standard German have been acknowledged for quite a while as far as single lexemes are concerned. This type of variation has been referred to as plurizentrisch (‘pluricentric’), plurinational or pluriareal (‘pluriregional’), depending on the specific perspectives of the writers. Among the linguistic forms that differ nationally and regionally, there are a considerable number of phraseological units. It is assumed that between half and two thirds of all standard German phraseological expressions are used in the whole of the German speaking area (Korhonen 1992a, Burger 1995 and 1998, Häcki Buhofer 1998). The remaining phraseological units show national/regional differences as regards form, lexis or semantics. Widely held though this opinion is, there has not been much empirical evidence for this judgment up until recently (see 3.1). Firstly, this might be due to the lack of empirically feasible methodologies before the introduction of corpus linguistics in phraseology. Secondly, it might go back to the polylexical structure of phraseological expressions, which increases the potential of variation exponentially. Thirdly, it might reflect the still widely spread view on the core of standard German as most distinctly corresponding to the northern German variety. In this view, any variation is erroneously seen as dialectal variation. For instance, let us consider the phraseological expression das kannst du in die Esse/ in den Schlot/Kamin/Rauchfang/Schornstein schreiben (literally “you can write this into the chimney [and nobody will be able to read it because the fire will wipe it out immediately]”, i.e. ‘you will have to kiss that goodbye’). There are well substantiated national/ regional German standard variants for ‘chimney’: Esse is most frequently used in middle east Germany, Schlot in middle east/south east Germany, Kamin in western Austria, Switzerland and south/middle west Germany, Rauchfang in middle and east Austria and Schornstein in northern middle Germany (see Ammon/Bickel/Ebner, forthcoming). Accordingly, the variants of the phraseological expression das kannst du in die Esse/in den Schlot/Kamin/Rauchfang/Schornstein schreiben are more frequent in the areas where the variable constituents Esse, Schlot, Kamin etc. prevail – even though the regional attribution of one constituent of the idiomatic expression
does not always guarantee the same regional attribution for the whole expression (Piirainen 2002); thus, the expression das geht weg wie warme Semmeln (literally “it sells like warm bread rolls”, i.e. ‘it sells very well’) is much more widely spread than the constituent Semmel, which is a variant mainly restricted to Austria and northeast/southeast Germany (Piirainen 2002a, 38). To accept regional and national variants as standard variants, which are unmarked in terms of style and register, presupposes the concept of the pluricentricity of standard languages (Clyne 1992, 1993, Ammon 1995; also see ch. 48, this volume for phraseological expressions in varieties of English). Swiss variants are commonly called Helveticisms, Austrian variants Austriacisms and German German variants Teutonisms (for a discussion of the controversial term Teutonism see von Polenz 1996). In contrast to the older, monocentric view, which assumes that the normative core of a standard language can be geographically localized (e.g. northern Germany for the German standard language) and which tends to consider speakers outside this core area (e.g. speakers of the southern areas) to use varieties which are peripheral and slightly deviant from the “actual” standard, the pluricentric view proceeds from various so-called centres of equal normative status; apart from areas where German is spoken as a minority language, these centres of German varieties roughly correspond with nations or parts of nations where German is used as an official language (Ammon 1995, Burger 1998, 193). The linguistic differences originate in historical and political processes of these political entities and different language contact situations, by which for instance the frequent occurrences of Gallicisms in Swiss standard can be explained, e.g. à fonds perdu (‘[investment] without repayment’), à jour (‘up to date’), or Slavicisms in Austrian standard, e. g. etw./jmd. ist jmd. Powidl (literally “sth. is plum purée to sb. ”, i.e. ‘somebody couldn’t care less about someone/something’), auf Lepschi gehen (‘go out/hang around [and have fun]’), in alles seinen Kren reiben (literally “to rub one’s horseradish into everything”, i.e. ‘to have to have one’s say’). For further examples of loan words and loan phraseology in German varieties see Burger 1998, 201; Ammon/Bickel/Ebner 2004, and Ammon 1995, 178–179; 281–282; 356–357.
47. Phraseological expressions in German standard varieties
Also see Burger 1998, 201 on loan-phraseology resulting from international contacts in Austria and Switzerland. The pluricentric view of standard languages disregards the imbalance in the number of speakers in the individual centres and supports the equal recording, description and analysis of lexemes irrespective of the asymmetry in the relationship between the communities. In this view, the phraseological variants das kannst du in die Esse/in den Schlot/ Kamin/Rauchfang/schreiben are not seen as dialectal variants of das kannst du in den Schornstein schreiben, but they are all considered to be of the same standard level – provided they occur frequently enough in the written or formally spoken language. For the problem of the differentiation between dialect and standard see chs. 45. and 46. this volume, Burger 1998, 203–204, Burger 2000, 39, Eismann 1991, Piirainen 2002a, 38–39, Ebner 1988. It can be argued that even dialect words recognizable/identifiable by their morphology can be considered standard as long as they are frequent enough in written language and thus have risen to the standard level, e.g. the Swiss phraseological expression wissen, wo Bartli den Most holt (literally “to know where Bartholomew gets his cider from”, i.e. ‘to know every trick in the book’). (Bartli ends in a dialect diminutive). Burger (1998, 203), however, doubts whether dialectal phraseological expressions ought to be accepted as standard language simply due to their occurrence in written texts. The concept of pluricentricity has often been criticised for its alleged overemphasis on national linguistic variation (e.g. Besch 1990, Koller 1999). However, in the linguistic awareness of the speakers, the status of national variants plays an important role for national, linguistic and social identification and is hence not to be underestimated (see Hofer 2003, 479). This also applies to variants of phraseological expressions. A number of them are used for special stylistic purposes in media language (Burger 1998, 206ff.), e.g. for references to matters typical of the country or the reflection of spoken language in written texts. Moreover, the category of regional variation is not merely to be replaced by the category of national variation; rather the national and regional levels of variation are intended to complement each other for an adequate description of the variation of written and spoken language (Hofer 2003, 479, also see Piir-
553
ainen 2002b, 2003, 119, who emphasizes that especially in respect to phraseological expressions, Germany is not to be considered as a uniform centre; she opts for a more regional view of phraseological variation). For further discussions and controversies about German pluricentricity see Besch 1990, Kloss 1978, Koller 1999, Muhr 1993, von Polenz 1999, Schmidlin 2003.
2.
Research to date into phraseological expressions varying on a national/ regional basis
General dictionaries as well as phraseological dictionaries have shown surprisingly little awareness of the diatopic variation of phraseological expressions roughly until the 1970s, despite the existing general interest in the diatopic variation of standard German (e. g. Kretschmer 1918, Eichhoff 1977, who focussed on single lexemes rather than phraseological expressions (discussed in Piirainen 2003, 117–118)). For instance, many expressions used as examples in the rich Leipzig tradition of phraseological research and phraseography (e.g. Binowitsch/Grischin 1975) are regionally limited, but lexicographically unmarked due to the authors’ lack of awareness of the regional restriction of the phraseological expressions concerned, such as etwas in die Esse schreiben (mentioned in 1.), or Fettlebe machen (‘live luxuriously/sumptuously’), which, by the way, is nonspecifically marked as ‘regional’ in DUW. As noted by Piirainen (2003, 118), phraseological expressions like these, which were published in Leipzig research contributions and spread out to German studies abroad and teaching material for German as a foreign language, are still often wrongly presumed to be used in the whole German speaking area (see Piirainen 2003a, 205, see 3.2). Furthermore, diatopic markings in the most widely used dictionaries such as DUW and Wahrig are often mainly based on lexicographic tradition and intuition rather than empirical research (see Bickel/Hofer 2003 for a general criticism of Swiss markings in the latest edition of GWDS). In several pilot studies comparing dictionary markings with the actual familiarity and use of phraseological expressions, Piirainen (2002, 2002a) shows that the diatopic markings in current monolingual dictionaries are often doubtful. The earliest empirical contribution to research into the diatopic variation
554
XII. Areale Aspekte der Phraseme/Areal aspects of phraseology
of German phraseological expressions was published in the 1970s (Grober-Glück 1974) and was based on data collected in the 1930s (Piirainen 2003, 118). However, GroberGlück 1974 focussed on a selection of thematically restricted phraseological expressions. Her study was dedicated to ethnological/ anthropological rather than linguistic research questions. However, since then, research in national and regional variation of phraseological expressions in standard German has increased and diversified. In the following sections, (partially overlapping) aspects of recent studies are presented in more detail. 2.1. “Thesauric” research into the national/ regional variation of phraseological expressions: collections of peculiarities Nationally and regionally varying phraseological units have been systematically contrastively studied (see Földes 1992 for Austrian variants). In studies like these, the “peripheral” variants (e.g. Austrian, Bavarian or Swiss variants) have been compared with “Binnendeutsch” (i.e. what was taken for Common German and thus thought of as being used in the whole German speaking area), thus proceeding from a monocentric rather than a pluricentric concept of the German standard language (see 1.). (Please note that throughout this article, Common German is used with the meaning ‘used in the whole German speaking area’.) It is within this tradition that one can view Ebner 1998 [1969] (“Wie sagt man in Österreich?”, ‘How do you say in Austria (i.e. in Austrian standard German)’) as well as Meyer 1989 (new edition forthcoming) (“Wie sagt man in der Schweiz?”, ‘How do you say in Switzerland (i.e. in Swiss standard German)’), both of whom have collected phraseological expressions varying on a national and regional basis, among thousands of national and regional single lexemes. Ebner 1998 lists about 500 Austriacisms, e.g. jmdm. das Kraut ausschütten (literally “to pour out somebody’s cabbage”, i.e. ‘to have had it as far as somebody is concerned’), auf der Marodenliste stehen (literally “to be on the list of the sick”, i.e. ‘not to be fit [to compete]’). Meyer 1989 lists about 200 Helveticisms, e.g. mit abgesägten Hosen dastehen (literally “to find oneself with one’s trousers sawn off”, i.e. ‘to show oneself up/to be caught with one’s pants down’), das schleckt keine Geiss weg (literally “no goat will lick it away”, i.e. ‘nobody
will deny it, nobody can change it’). For earlier collections of Helveticisms and Austriacisms see Kaiser 1969–70, Rizzo-Baur 1962 and Valta 1974. Numerous examples, especially for Austriacisms and Helvetisms, can also be found in Földes 1992, 1996, Ammon 1995 and Burger 1998, 194. The relationship between a dictionary entry and its verifiability in texts is one of the main problems in lexicography. It is difficult to empirically account for the frequency of occurrence of phraseological units (see 3.1). Furthermore, and related to this, historicity is another weak point in existing collections (Burger 1995, 14). A few of the phraseological units listed in Meyer 1989 have probably become obsolete meanwhile. In particular, contrastive studies in phraseology are based on the lexicographic tradition of types independently of their verifiability as tokens. The fact that the entries and diatopic markings are not always reliable is not only due to the lack of solid quantitative empirical research; Teutonisms (i.e. German German variants) are unmarked (apart from some expressions labelled “norddeutsch” (‘North German’)) in phraseological collections as well as current monolingual dictionaries. Phraseological units like (aller)erste Sahne sein (‘to be top notch’) (marked as colloquial in DUW/ GWDS), or bei jemandem Schlag haben (‘stand a chance with somebody’) go regionally unmarked (or regionally, but nonspecifically marked) in DUW/GWDS. However, they can hardly be attested empirically in Austria and in Switzerland and can therefore be considered as Teutonisms (German German variants). Ammon/Bickel/Ebner (2004), which in one volume represents the regional and national variants not only of Austria and Switzerland, but of all centres of the German standard language (including Germany and its regions), and bases its entries on a large new database and analyses of frequency (Bickel 2000), lists about 900 national and regional variants of phraseological expressions of standard German, many of which had not been codified up to the time of writing. As the latest empirical implementation of the theoretical linguistic concept of the pluricentricity of the German standard language, Ammon/Bickel/Ebner (2004) marks the transition from collections of peculiarities of so-called peripheral varieties to pluricentric lexicography.
47. Phraseological expressions in German standard varieties
2.2. Systematic typologies of the national/ regional variation of phraseological expressions In the following sections, four approaches are presented for classifying national and regional phraseological variants. The classifications have been used for different purposes. Typologies of cross-linguistic/variety-specific equivalence (2.2.1) and typologies according to linguistic level (2.2.2) are useful for contrastive studies and basic lexicographic research. The syntactic function of the variants (2.2.3) is a relevant issue in basic phraseological research and is also helpful for applied lexicographic problems, e.g. the choice of lemmata for the dictionary entry (see ch. 78). The communicative function and pragmatics of phraseological variants (2.2.4) is especially important for learners; Dobrovol’skij (2002, 446) points out that systematic typologies are of little use for learners of phraseological expressions as long as the functional equivalence is not taken into account. The reader of the contrastive study or user of the phraseological dictionary can only make use of the information given on the equivalence of two phraseological expressions if the L2 translations (in the case of varieties: V2 translations) go back to a similar functional domain and level of register – provided this similarity in L1 and L2 exists at all. 2.2.1. Typology according to the equivalence of phraseological expressions of one variety to phraseological expressions of other varieties Burger (1998, 196–197) estimates that (a) for about half of the phraseological expressions typical of Swiss standard (i.e. phraseological Helveticisms), there are corresponding expressions in Common German, e.g. den Anschein machen (Swiss standard, see Burger 1998, 197, also see the entry Anschein in Ammon/Bickel/Ebner 2004) vs. den Anschein haben (Common German) (i.e. ‘to appear/ give the impression of’); Burger (1998, 196) estimates the same degree of relationship between phraseological expressions typical of Austrian standard (i.e. phraseological Austriacisms) and Common German expressions. Numerous examples of this type are listed in Ammon/Bickel/Ebner (2004), e.g. etw. geht jemanden einen Schmarren an (Austrian, southeast German) vs. etw. geht jmdn. einen [feuchten] Dreck an (Common Standard), i.e. ‘sth. is none of one’s damned business’; sich
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(selber) an der Nase nehmen (Austria and Switzerland) vs. sich an die (eigene) Nase fassen (Germany), literally “to take/touch one’s own nose”, i.e. ‘to take a good look at oneself (instead of criticizing others)’, where the variants can be grouped around the same core word (Burger 1983, 37; 62, Hofer/ Schmidlin 2003). Burger (1998, 197) calls differences of this first type “regular differences”, which are not phraseological in nature, but which have to do with the pluricentric differences of the constituents of the expression. The other half (b) can be seen as “independent” phraseology, which is culturally/historically/anthropologically the more interesting part (Burger 1998, 197–201); phraseological expressions of this category have no corresponding expressions in Common German and often respond to genuine geography, history, civilization, typical institutions, politics of the individual centres, e.g. the Austriacism wenns Graz kost’t (literally “even if it costs Graz”, i.e. ‘at any price’, probably following an utterance of the Emperor Ferdinand II in the context of the counter-reformation: “I mach euch katholisch und wenns Graz kost’t” (‘I’ll make you catholic even if it costs Graz’; see Burger 1998, 198, Földes 1996, 50), or the Helveticism das Fuder überladen, literally “to overcharge the cartload” (‘to want too much at once’) (Schmidlin 2003a). Category (b) includes the group of “faux amis”, where formally identical phraseological expressions have different meanings, which could be especially relevant for teaching German as a foreign language as well as teaching literacy at primary schools, e.g. the Helveticism jmdm. die Stange halten (literally “to hold the bar for sb. ”, which in Swiss standard means ‘to stand up against sb./to be a match for sb.’, whereas the meaning ‘stick up for sb.’ is Common German; see Burger 1998, 200, Meyer 1989, Ammon/Bickel/Ebner 2004). Burger’s (1998, 197) category of phraseological expressions that are semantically equivalent but that have “regular” formal/lexical diatopic differences (see category (a) mentioned above) is divided into further subcategories by Schmidlin 2003a and Hofer/ Schmidlin 2003. One group of phraseological units have different, though semantically roughly equivalent, components, e.g. jemandem ins Gäu kommen (Austrian, southern German) vs. jemandem ins Gehege kommen (Common Standard) (‘to encroach on some-
556
XII. Areale Aspekte der Phraseme/Areal aspects of phraseology
body’s territory’). Another group of phraseological units have different constituents which are semantically unrelated, e.g. keinen Schimmer haben (Common Standard) vs. keinen Tau haben (Austrian) (literally “to have no glimmer/dew”, i.e. ‘to have no clue’), or weder Fisch noch Vogel sein (Swiss) vs. weder Fisch noch Fleisch sein (Austrian/German) (literally “to be neither fish nor bird/meat”, i. e. ‘to be neither fish nor fowl’). Finally, there are variants with a similar structure and different lexical fillings of the central slots, e.g. Hans was Heiri (Swiss standard, literally “as much John as Henry”) vs. Jacke wie Hose (German standard, literally “as much jacket as trousers”), i.e. ‘much of a muchness’. In this last category it becomes evident that the dividing line between independent and equivalent phraseological units is often blurred. 2.2.2. Typology according to linguistic level National and regional variance can imply variance at several linguistic levels: (a) lexical variance, i.e. expressions have roughly the same or a similar meaning but differ in one constituent, e.g. keinen Schimmer haben (Common Standard) vs. keinen Tau haben (Austrian) (mentioned in 2.2.1); (b) formal variance, i.e. expressions vary in orthography, morphology, or pronunciation, e.g. von Kindsbeinen an (Swiss standard) vs. von Kindesbeinen an (Austrian and German standard), literally “from children’s legs on”, i.e. ‘from the cradle on’ (Hofer/Schmidlin 2003); (c) semantic variance, i.e. the same expression has different meanings, e.g. jmdm. die Stange halten (mentioned in 2.2.1); (d) register variance/pragmatic variance, i.e. pragmatic variants have a nationally restricted distribution (see Földes 1992 for Austriacisms, for further examples see 2.2.4). The most frequent level of difference in phraseological variants is the lexical level (a) (Burger 1998, 196). 2.2.3. Typology according to the syntactic function of phraseological expressions Burger (1998, 195) established a syntactic classification of regional phraseological differences: verbal, nominal, adverbial, prepositional, adjectival, propositional, and routine formulae. Half of the phraseological expressions of his corpus (partially based on Meyer 1989) are verbal, 23 percent nominal and 17 percent adverbial. The dominance of the ver-
bal type corresponds to the distribution of phraseological classes for the whole of the German phraseological corpus established so far. Another syntactically based typology is Schmidlin (2003a): (a) propositional phraseological expressions/interjections (satzwertig) (partially elliptical), e.g. da beisst die Maus keinen Faden ab (German German, literally “the mouse doesn’t bite a thread off”, i.e. ‘there is no doubt about it’), or Schluss mit lustig (Germany except south east, literally “funny is over”, i.e. ‘that’ll do’); (b) phraseological expressions forming a constituent with two free syntactic positions (satzgliedwertig) (subject and object position), e.g. jmdn. auf dem Kieker haben (Germany except middle east and south east, literally “to keep watch on sb. with a telescope”, i.e. ‘to have it in for sb.’); (c) phraseological expressions forming a constituent part with one free syntactic position (mostly subject position), e.g. die Hände verwerfen (Switzerland, literally “to throw up one’s hands”, i.e. ‘wave sth. aside/turn sth. down’); (d) adverbial phraseological expressions, e.g. frei (nach) Schnauze (Germany, literally “freely according to one’s snout/ mouth”, i.e. ‘as the mood takes one/as one sees fit’); (e) phraseological expressions as predicative complements, e.g. erste Sahne (Germany except south east, literally “first cream of all”, i.e. ‘top notch’), fix und alle (north east/middle Germany, ‘completely shattered’). For further examples see Schmidlin 2003a. 2.2.4. Typology according to idiomaticity, fixity, communicative function and pragmatics Many phraseologists have agreed upon a continuum between a strict, narrow, formal-structural view on phraseological expressions and a wider view in which not all of the phraseological criteria (idiomaticity, fixity, irregularity) have to be fulfilled (Burger 2002, 393, 400; Stein 1995, Beckmann/König 2002, Fleischer 1997, 58, Elspaß 1998, 35–44). The wider view includes pragmatic, sociolinguistic and psycholinguistic aspects. In respect to nationally and regionally varying phraseological expressions, the group of phraseological expressions with a low degree of idiomaticity is of particular interest, e.g. the speech act die Sitzung ist eröffnet (‘the meeting is declared open’), or sind Sie noch da? (Swiss standard for ‘are you still there?’ after the interruption of a telephone call). Often
47. Phraseological expressions in German standard varieties
part of everyday routine, they attract the attention of speakers of other varieties as well as L2 learners particularly frequently (for further examples see Ammon 1995, 55; 176; 280; Elspaß 1998, 87ff.). Burger (2002, 397) categorizes pragmatic phraseological expressions as follows: greeting formulae, addressing people, and discursive phraseological expressions. Weakly or even non-idiomatic fixed expressions can be labelled usuelle Wortverbindungen (‘usual/frequent word combinations’, i.e. collocations) (see Steyer 2000), denoting combinations resulting from words that occur in connection with a certain other word/certain other words with a higher probability than is the case with occasional word combinations. Often, expressions of this type of fixity are associated with certain text genres, e.g. gegen Vorweis (Swiss institutional expression for ‘when producing [one’s identity card etc.]’), an ruhiger Lage (‘in a quiet area’, often found in advertisements, see 2.4). For non-idiomatic collocations in the GDR variety see Wolf 2000, XVIII. 2.3. National/regional variation of phraseological expressions from the speakers’ perspective This area of research comprises the individual comprehension of phraseological units, their usage, the judgement of phraseological units (by informants) as to their meaning as well as stylistic and regional validity. Concluding from studies such as Häcki Buhofer/Burger 1994, Häcki Buhofer 1996; 1998, and Grzybek/Chlosta/Roos 1994, the mental phraseological lexicon, independently of the regional origin of the informants, varies considerably among speakers, especially as far as phraseological units are concerned which are marked as colloquial in current dictionaries. For quantitative variability (quantitative referring to the number of constituents, e.g. einen Affen (sitzen) haben, literally “to have a monkey (sitting) on one”, i.e. ‘to be drunk/plastered’) see Korhonen 1992; on unpredictable individual use and native speaker knowledge see Cowie 2003 and Elspaß 2002. However, apart from the wide inter-individual variation as to the knowledge and usage of phraseological units, Häcki Buhofer 1998 also shows intergroup variation; there are differences between German and Swiss German students. But it is important to note that the phraseological expressions which are more familiar to the Swiss informants than to the German infor-
557
mants are by no means only Helveticisms (Häcki Buhofer 1998). Burger (1998, 74) claims that there is only little awareness of Helveticisms among Swiss informants. A group of students only recognized 19 percent of phraseological units as Helveticisms – even though all phraseological expressions used in the questionnaire had been proven as generally well-known in a preliminary study. One could postulate that the inability to spot national/regional variants of one’s own nation/region is the best proof that they are well embodied in the respective standard variety. Generally, the intergroup differences in the use and awareness of phraseological expressions and their national/regional restriction can be explained by the fact that the different sociolinguistic situations of the German varieties (in terms of the functional distribution of the dialect and the social role of its register) become especially evident in phraseological expressions (Burger 1998, 201; 210). For instance, there are different permeabilities on one hand between standard and dialect (greater permeability in Swiss and Austrian standard which leads to the rise of many dialectisms in the respective written standard) and on the other hand between colloquialisms and standard, which is especially evident in German German media language. Burger (1998a, 77) mentions that Helveticisms and Teutonisms can be used next to each other with particular stylistic functional purposes. At the same time, he observed a certain convergence of phraseological variants in mass media language: for example, kein Bock (literally “no goat”, i.e. ‘not feel like [doing] something’) has been considered as typical German German but has been established in the media language of the whole German speaking area (Burger 1998, 202). 2.4. Textual functions of national/regional phraseological variants In this field of research, the occurrence of nationally specific phraseological units is looked at in their various textual contexts. This comprises their textual function. As far as phraseological Helveticisms are concerned, Burger (2000, 39–42) states that they are especially frequent in local newspapers and tabloids. Especially when dialectal phraseological units are transferred into the written language (Burger 1998a, 78), they create puns, double-entendres (Burger 2000, 40) and the impression of orality in written language.
558
XII. Areale Aspekte der Phraseme/Areal aspects of phraseology
Nonce translations of dialectal phraseological expressions can be used for dramaturgical reasons to shape a lively dialogue. Furthermore, standardized dialectalisms and Helveticisms can be used to refer to down-to-earth, slightly right wing concepts stemming from a rural context and intesifying the cliché of Swiss farmers, e.g. in die Hosen steigen, literally “to climb into one’s trousers”, in allusion to traditional Swiss wrestling, meaning ‘to get ready for hard work/for a fight’ (Burger 1998, 209). This largely applies to the independent phraseology (see category (b) mentioned in 2.2.1, cf. Burger 1998, 206). Furthermore, there are fixed expressions consisting of lexemes that are strongly associated with national institutions. For instance, the expression Vereinigte Bundesversammlung (‘federal assembly’, specific to Swiss politics) only exists in Switzerland. The closest German equivalent would be Bundestag (i.e. ‘Parliament’). The lexicon in advertisements is generally influenced by local, regional and national traditions, even in widespread newspapers such as the “Neue Zürcher Zeitung” with its international readership. This can be illustrated by two Swiss examples from the field of real estate and housing: an zentraler Lage (Swiss standard) ‘close to transport’, and an ruhiger Lage ‘in a quiet area’ (Hofer/ Schmidlin 2003). Generally, as far as newspapers are concerned, there are more regionally specific phraseological expressions in reviews, letters to the editor, other commentary sections and headlines than in news and reports (Burger 1998a). For further examples of communicative formulae in media texts see Burger 1998, 159–160.
3.
Current and open research questions
3.1. New empirical research possibilities The lack of statistics is often noted with regret in studies on phraseology (Burger 1995, 14 on obsolete phraseological expressions, Burger 1998, 193; 211; Ebner 1988, 185; Eismann 1991, 44–45; Braasch 1998, 96–97). There are basically two possible methods of studying the actual use of phraseological units (i.e. their “liveliness”) in quantitative terms. (a) If done by means of questionnaires, the studies rely on the individuals’ judgments of their language use; due to the wide individual variation of the phraseological lexicon, the informants have to be very numerous. (b) In the last decade, the facilities for finding and iden-
tifying linguistic structures in a corpus have dramatically improved. Text corpora can be used to calculate and analyse the occurrence of phraseological units. Electronic text archives (i.e. data bases on CD-ROMs) and online databases (e.g. newspaper archives and entire texts on the web) can be searched by search engines and thus provide new resources in lexicographic research (see Bickel 2000, Čermák 1997; Cowie 1999; Steyer 2000, Chlosta/Ostermann 2002, Colson 2003). They enable lexicographers to trace the most recent lexical developments of certain words. Furthermore, by specifying the domain of the search in the world-wide-web (de for Germany, at for Austria, ch for Switzerland), the national and regional (quantitative) specificity can be identified quite precisely (Bickel 2000). However, since fixed expressions not only vary regionally, but are frequently modified when used by speakers in a concrete situation (Häcki Buhofer 1996 and 1998; Grzybek/Chlosta/Roos 1994), the statistical analysis of fixed expressions has to be carried out separately for each form and its syntactic and semantic variation, taking advantage of the search tools provided by engines such as Google or Altavista and by corpus systems such as COSMAS (COrpus Storage, Maintenance and Access System of the Institut für deutsche Sprache in Mannheim), which offers the possibility of looking up collocators in data bases, i.e. words which most frequently co-occur with certain other words. 3.2. Regional subdifferentiation and its lexicographic consequences Phraseological units can occur as numerous different variants, as shown by Piirainen 2002 with the example jemand steht da wie die Kuh vorm neuen Tor/vorm Scheunentor/… wie der Ochs vorm Berg(e) (literally “to stand in front of the barn door like the cow/to stand in front of the mountain like the ox”, i.e. ‘to be completely baffled’). However, the lexicographic representation of this varation is not adequate. For instance, the Berlin marked phraseological expression es regnet Schusterjungen (literally “it is raining shoemakers’ sons”, i.e. ‘it is raining cats and dogs’) is much better known in southern Germany than anywhere else, rather than in the Berlin area itself (although in the form es regnet Schusterbuben) (Piirainen 2002). However, the form es regnet Schusterbuben does not occur in DUW/GWDS. This is not the only doubt-
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47. Phraseological expressions in German standard varieties
ful regional marking mentioned by Piirainen 2002. The enormous variation in her database might partially be explained by the fact that she did not restrict her data to the written use of phraseological expressions (Piirainen 2003, 127). However, her criticism of the insufficient subdifferentiation in dictionaries remains justified, which she illustrates by the example für lau (literally “for not” – lau = Jüdischdeutsch ‘no, not’, i.e. ‘for free’) which in DUW/GWDS appears to be Common Standard but, based on Piirainen’s empirical research, turns out to be regionally restricted (2003, 119; 123). Moreover, the former GDR as a centre of the German standard in its own right is still underestimated and lexicographically underrepresented (Piirainen 2003, 124). This area, due to its political seclusion, has readily developed variants, some of which have not been discovered yet and some of which, promoted by the Leipzig phraseological research tradition (see 2.), have been erroneously thought of as Common Standard. According to Piirainen 2003, 205, studies of this period, meant to cover German phraseological expressions in general, can be indirectly used as a data base of possible GDR-variants. Among many other examples, Piirainen mentions nicht ganz ausgeklebt sein (literally “to be not properly lined”, i.e. ‘to be crazy’) (Piirainen 2003, 205 and 208–213). On the basis of empirical studies, Piirainen (2003, 216) states a certain convergence of variants within the area of the former GDR (especially spreading out from Thüringen (Thuringia) and Obersachsen (Upper Saxony) into other parts of the former GDR), but not across the former border to the FRG which was a distinct variety border. Naturally, a great number of these variants were related to socialistic contents and the political reality of the former GDR, e. g. seinen sozialistischen Gang gehen (literally “to go at its socialist pace”, i.e. ‘to go as usual’); Zettel falten gehen (literally “to go and fold scraps of paper”, i.e. (ironically) ‘to go and vote’); Kollege kommt gleich (‘colleague won’t be long’, in allusion to waiting for service in GDR restaurants) (Wolf 2000). However, Piirainen (2003, 205, also cf. Wolf 2000) also mentions some “nonspecific” GDR-variants: beim Urschleim anfangen (literally “to start from the primeval slime”, i.e. ‘to start from the very beginning’); nicht aus der Asche kommen (literally “to be unable to get out of the ashes”, i.e. ‘to be unable to get
properly started’). The politically nonspecific phraseological expressions of the variety of the former GDR will probably have a bigger chance of survival and of getting used in the whole German speaking area than the specific ones. For further references on language and language change in the former GDR see Fleischer 1987, Schönfeld/Schlobinski 1997, Piirainen 2003, 204, Piirainen 2003a, 218– 219. Lexicographically, the systematic consideration of variants leads to a more complex structure of the entries not only on the macrolevel (reference between the entries) but also on the micro-level (inner structure and order of formal and semantic slots within the entries); see ch. 78, Hofer/Schmidlin 2003, Kühn 2003, Schmidlin (forthcoming), Hofer 2003, Eismann 1991.
4.
Conclusion
The familiarity, use and frequency of phraseological expressions are nationally and regionally highly variable. The national variation of phraseological expressions has only been researched since the variation of standard languages has been acknowledged. The normative tolerance in respect to the variation of standard German increased after WW II (Burger 1998, 210). About half of the national and regional phraseological variants can be traced back to the pluricentric variation of their constituents, the other half consist of independent phraseological expressions with no equivalents in the other varieties and are hence the more interesting ones from an etymological, cultural and historical point of view. The different sociolinguistic situations of the German varieties become especially evident in phraseological expressions (Burger 1998, 210). In contrast to the pluricentric variation of single lexemes, the pluricentric variation of phraseological expressions, due to their polylexical structure, is multiplied (Burger 2000, 35). The quantification and codification of this variation is only possible on the basis of intensive empirical research. The results of these studies can be a solid basis for contrastive studies and teaching material (Čermák 1997, Durco 2001, Dobrovol’skij 2002, 450). I would like to thank Stephan Elspaß (Münster, Germany), Elisabeth Piirainen (Steinfurt, Germany) and Christina Eira (Adelaide, Australia) for their valuable comments.
560
5.
XII. Areale Aspekte der Phraseme/Areal aspects of phraseology
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48. Set phrases in the national varieties of English
48. Set phrases in the national varieties of English 1. Introduction 2. Recent work on idioms in national varieties of English 3. Recent work on set phrases in discourse in national varieties of English 4. Set phrases and cultural scripts 5. New empirical research possibilities – corpora 6. Contrastive methods to study set phrases in different varieties 7. Set phrases and theory 8. Typology according to discourse function and pragmatics 9. Typology according to the degree of fixedness 10. Typology according to frames and scripts 11. A typology of equivalents 12. Some differences between British and American English 13. The need for research 14. Select bibliography
1.
Introduction
National varieties of English can be distinguished in countries such as England, America, Australia, Canada, South Africa, Ireland, New Zealand, Scotland. When one compares national varieties such as British and American English, the distinctions are least obvious in grammar. The variation is greatest in the forms and uses of words. Recently more interest has been paid to regional variation at the level of phraseology. This area is in many ways complex because differences between the varieties are not absolute and because idioms and other set phrases can vary in ways which are difficult to describe systematically. The research in this area therefore goes hand in hand with theoretical developments in phraseology and with new methodological tools such as large corpora of varieties of English. A great many phrases are best analysed from a discourse or pragmatic perspective. Particularly in spoken language we find a large number of phrases such as you know, I think, sort of, or thank you, etc. Phrases functioning in discourse can also be whole sentences such as I’m sorry about that. Such phrases are needed in all languages for interpersonal and textual functions; however we can expect differences with regard to their quantity, frequency and situational use when we compare languages or varieties (cf. Coulmas 1981, Pawley & Syder 1983, Nattinger & De Carrico 1992, Aijmer 1996). For exam-
ple in both British and American English there are similar ways of concluding an utterance by special phrases (and things like that); there are mental verbs with first person subject (I think, I guess) used as softeners and hedges. It does not follow that the phrases are equally frequent or that they are used in the same way. When similar strategies are used in different varieties, differences are often difficult to discover. However even quantitative differences between languages may reflect different cultural values or norms. This chapter will be concerned with the following questions. Do national varieties use the same phrases in similar situations? If not, can we establish equivalence between phraseological expressions of one variety and such expressions of another variety? How should we interpret the differences in terms of types of politeness and cultural values or norms? What tools and methods are needed to study national/regional variation? To what extent do we find interaction between the varieties?
2.
Recent work on idioms in national varieties of English
The identification of fixed expressions is typically bound up with the lack of compositionality and semantic anomaly. However formal variations are typically underrepresented in dictionaries and handbooks as are functions and syntactic behaviour (Moon 1998, 18). Some set phrases are idioms and are dealt with in dictionaries. No attempt is generally made to represent idioms which are solely or principally American although some idioms are included which have a marginal status in British English and are regarded as “American” by British speakers (cf. Cowie et al, ODCIE part 2: xxxviii; cf. also The Longman dictionary of idioms). However dictionaries are not in general interested in how American or how British an idiom is. The importance of dictionaries is that they identify the different linguistic levels (clause, group, word, etc.) at which meanings are lexicalized (Moon, ibid). The Oxford dictionary of current idiomatic English (ODCIE part 1 and 2; = Cowie et al) and The BBI combinatory dictionary of English represent serious attempts to categorise
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phrases in English. For example, the BBI dictionary describes lexical combinations including collocations and idioms. The dictionary also includes grammatical collocations, i.e. the regular occurrence of forms in close grammatical combinations. Moon’s (1998, 133ff) study of fixed expression focuses mainly on idioms. Her corpus consists of British English texts but she also analyses lexical distinctions between British and American data in connection with the work carried out for Collins Cobuild dictionary of idioms (CCDI) For example, it is shown that the verb may vary when one compares idioms in the two languages: Cut a long story short (BrE), make a long story short (AmE). Even more common is the variation of noun or noun modifier between idioms in the two languages: throw a spanner in the works (BrE), throw a (monkey) wrench in the works (AmE). There were also a few cases in Moon’s investigation where British and American English had parallel idioms with similar meanings, usages and source domains but there were lexical differences, e.g. a storm in a teacup BrE and a tempest in a teapot AmE. Another tendency is that the influence of American culture and media causes American variations to become established in British English idioms (Moon 1998, 134). There has been very little research on idioms when there are degrees of variation between national varieties of English. Lavelle and Minugh’s (1998) exploration of the idiomatic expression it’s high time in several regional varieties of English (British, American and Australian English) is of interest both methodologically and theoretically. In order to make the comparison as strict as possible they focused on data from newspapers available on CD-Rom. A general result of their study was that in British English and in Australian English the phrase it’s high time was fixed and conventionalised in that it strongly adhered to the canonical form of a following that-clause. In American English, on the other hand, it’s high time was grammatically more flexible with no single form clearly dominant. Grammatical constructions are a fruitful area for discovering differences between American and British English (cf. Estling 1999; Estling Vannestål 2001 on complex prepositions such as out of BrE/out AmE; or Tottie 2000 on the complementation patterns of enough).
Kjellmer (1994) deals with collocations rather than with idioms and set phrases. The lists of recurrent collocations in A dictionary of English collocations are taken from the Brown Corpus of American English. Kjellmer’s typology of collocations is based on the grammatical structure of the collocations such as “noun phrase” or “verb phrase +object”. However the concern is with general English rather than with differences between British and American English.
3.
Recent work on set phrases in discourse in national varieties of English
The work by Biber et al. (1999) and by Tottie (2002a, 2002b) is particularly valuable because it is based on corpora. Corpora can tell us how frequent certain variants are in either British or American English. Biber et al. (1999) provide frequency figures for discourse markers, and interjections on the basis of the Longman Spoken and Written English Corpus (LSWE). The corpus, which dates from the 1990s, contains both written and spoken British and American English and makes it possible to make quantitative comparisons between British and American English conversation (Biber et al. 1999, 25). Tottie (2002a, 2002b) is concerned with forms and meanings occurring in both varieties but in different contexts and collocations. Like Biber et al., she used the American spoken component of the LSWE and variation was studied systematically in different linguistic areas. Also corpora which have been used for other purposes make it possible to compare different regional varieties. Moon has compiled a 18-million word corpus of British English (The Oxford Hector Pilot Corpus) and compared the frequencies of fixed expressions with frequencies from other corpus investigations. In this context Sorhus’ investigation of phraseology in Canadian English is of interest. Sorhus (1977) made a corpus study of “gambits” or sentence framers in Canadian English speech (cf. Coulmas 1981, 96). In her corpus of c. 130,000 words she found a very high frequency of fixed expressions. According to Moon, the most common phrases in Sorhus’ investigation were also among the most common in her own investigation, for example, of course, at all, at least, I think and I know. There were also differ-
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ences between individual items. At times and of course appeared to be significantly more frequent in Sorhus’ study than in Moon’s database (Moon 1998, 67). In contrast, in fact was considerably more frequent in Moon’s data of British English. In a comparison with Altenberg’s frequency data of recurrent phrases in the London-Lund Corpus (1991), only five of the most frequent combinations coincide with Sorhus’ top 19, namely at all, I think, thank you, you know and you see (reported by Moon 1998, 68). In Altenberg’s study, you know was the most frequent expression. In Sorhus’ data you know was nearly 9 times more frequent than in Altenberg’s data. A greater frequency of you know is also reported from the comparison between American English and British English (Biber et al. 1999, 1096; Tottie 2002b, 187).
4.
Set phrases and cultural scripts
In philosophical speech act theory, speech acts are defined by enumerating their felicity conditions (Searle 1969). The analysis by Wierzbicka in several works (1991, 1992) is more interesting since we can express more subtle differences between phrases in her framework. In a number of works Wierzbicka has suggested that in order to show differences and similarities between discourse phenomena in different languages (idioms, interjections, speech acts) we need to make use of universal semantic primitives (natural semantic metalanguage). Her explication of thank is as follows: thank (a) (b)
I know: you did something good for me I feel something good towards you because of this (c) I say this because I want you to feel good (Wierzbicka 1991, 157)
In this analysis the act identified by thank is a bundle of components referring to assumptions, beliefs, intentions, etc. Thank can then be compared, for example with the Japanese kansha suru, in terms of its explication into components. For the tag okay the following explication is proposed and compared with the related will you: OK? I say: I want this to happen I think it will be a good thing
I know: it will not happen if you don’t want it I say this because I want it to happen (Wierzbicka 1991, 232)
The use of phrases which are specific to or more frequent in a certain variety or language can be shown to be related to cultural norms, values or identities. For example, one has to “appreciate the core Australian values of ‘mateship’, ‘toughness’, ‘antiverbosity’, ‘antiemotionality’ and so on, to appreciate the attitudes expressed in characteristic Australian greeting exchanges” (Wierzbicka 1991, 56). Phrases such as Have a nice day! (often addressed to complete strangers) reflect “general friendliness” of the kind associated with American culture (Wierzbicka 1991, 86–87). Routine phrases can also be analysed in terms of positive or negative politeness. For example, address forms such as American English you guys (cf. Section 12.7) convey in-group membership and function as markers of positive politeness (Brown & Levinson 1987). Similarly Biber et al. (1999, 1098) find that “it is tempting to see cultural differences behind the AmE speakers’ greater use of expressions of thanks (thank you especially) and BrE speakers’ greater use of ‘negative’ or redressive politeness in the use of sorry and please”.
5.
New empirical research possibilities – corpora
As indicated in Section 3, linguists interested in regional variation across the national varieties of English, have great help from corpora. Corpora make it possible to compare the distribution of phrases and the larger patterns in which they occur. The Frown and the FLOB Corpus, the Freiburg updates of the Brown Corpus (American English) and the LOB corpus (British English) compiled 20 years earlier (1961), have been mainly used for grammatical comparisons. Larger databases of written British and American corpora used to compare varieties are newspaper archives (cf. Lavelle & Minugh 1998). The problems with comparing set phrases in a discourse perspective are the lack of a spoken American English Corpus and the difficulty of knowing that we are comparing set phrases in the same types of text. The release of the American National Corpus (presently about 10 million words of which c. 3 million words of spoken English) will be helpful for
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finding information about the similarities and differences between British and American English phraseology but is at present not balanced with regard to text type. For the present article I have made use of illustrative material from the Santa Barbara Corpus of Spoken American English (parts 1 and 2).The corpus was compiled by John Du Bois at the Santa Barbara Center for the Study of Discourse and is available on a CDROM optical disk (Du Bois 2000, 2003). The corpus, which consists of about 200,000 words, has been transcribed with special attention to pauses, laughter, vocal noises, turntaking and overlaps. The Santa Barbara Corpus provides the American component of the International Corpus of English, a project begun in 1990 with the aim of collecting material for comparative studies of English worldwide. At present, the British component of the ICE-Corpus (ICE-GB), an Australian component and a New Zealand Corpus have been completed (Kennedy 1998, 54–55). There are also more specialised corpora of spoken American English. The Michigan Corpus of Academic Spoken English (MICASE) is useful for studying academic speech in the US in the late 1990s (Simpson et al. 1999). The Michigan project, which is directed by J. Swales and R. Simpson, is intended to reflect what goes on in the university environment and includes lectures, seminars, thesis defences, meetings, etc. However there is so far no corresponding corpus of British English of Academic Spoken English. There are several corpora of spoken British English which could be used for comparison. The spoken component of the British National Corpus contains about 10 million words and there are several smaller corpora of spoken British English such as the London-Lund Corpus (Svartvik 1990).
6.
Contrastive methods to study set phrases in different varieties
We need contrastive methods to show how set phrases in different varieties of English are related. When one compares two languages the methods used involve translation from one language to another. The translator chooses a particular correspondence in the target language on the basis of various factors in the situation (such as who the participants are, setting and activity, and what one wants
to achieve). This method cannot be used when one compares variants of English. Some pioneering contrastive work in the area of speech acts has been done by Coulmas (1981), who used contrastive analysis to compare thanks and apologies in English and Japanese. By analysing the speech acts in terms of many different distinctions we can see if the same phrase/strategy is used under the same conditions by speakers using a different language or a different variety of a language. When one compares languages there may also be pragmatic gaps. For example, there are languages where verbal gratitude is not expressed when a person receives a gift (Coulmas 1981, 81). Moreover in American English one uses a responder after thanks more often than in British English and the verbal strategy is not the same. This is apparent when one looks at the meaning of the responder you’re welcome (expressing appreciation of the addressee) and compares it with the responder (occasionally) used by English speakers (not at all) which minimizes the favour. 6.1. The Cross-Cultural Speech Act Realization Project Of interest for the comparison of phrases across languages is the Cross-Cultural Speech Act Realization Project (CCSARP) (BlumKulka 1989, 47). The participants in this project were interested in the degree to which similar strategies of apologising and requesting were used in different languages and if the strategies conveyed similar social meaning. Blum-Kulka found, for instance, that substrategies of requesting varied across languages and that languages differed in the preferences shown for various substrategies. The most frequently used substrategies in Australian English were can you/could you, will you/would you and would you mind. In Hebrew, on the other hand, can you was the first choice followed by possibility (“would it be possible to”) (Blum-Kulka 1989, 50). It was also shown that the situational range in the use of substrategies varied with language. For example the suggestory formula how about used in Australian English had no correspondence in Hebrew or the other languages compared (Canadian French, Argentinean Spanish). Blum-Kulka suggested that the differences in requesting behaviour between languages form part of a culture’s way of speaking and
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contribute to its cultural ethos. For example members of the discourse community share certain expectations about the amount and type of directness needed to ask someone to do something in a particular situation. In comparing English with Hebrew it is suggested that the cultures can differ with regard to whether they are oriented towards solidarity politeness or more formal deferential behaviour (cf. positive and negative politeness; Brown & Levinson 1987). The cultural differences found by Blum-Kulka can also be illustrated when we investigate regional varieties although the similarities might be much larger than the differences.
7.
Set phrases and theory
The study of set phrases can be combined with different linguistic theories and approaches such as construction grammar. The study of let alone is a good demonstration of how construction grammar can be used to characterise a phrase which is difficult to describe in grammar (cf. Fillmore et al. 1988, Kay 1997). Let alone requires a formalism that does not isolate matters of syntactic form from semantic interpretation or either of these from pragmatic information. The approaches or models which are needed have in common that they do not just treat phrases as “long words” but account for their grammatical properties, their fixedness or semi-fixedness and their indexical properties in the same theoretical framework.
8.
Typology according to discourse function and pragmatics
We need a typology of fixed or semi-fixed expressions (set phrases) in order to compare them in different varieties of English (Moon 1998). As Moon points out, different models foreground different aspects of set phrases. For example, models focus on set phrases and acquisition, on processing, the ethnography of phrases and longer patterns, etc. I think that the approach which is most useful for contrastive purposes focuses on their pragmatic function. Three groups of set phrases can be distinguished: –
one group consists of formulaic speech acts such as greeting, thanking, apologising which have social function.
– –
9.
the second group has discourse-organising functions or interpersonal functions (you know, you see, I mean). a third group expresses attitudes (I guess) or hedges the speaker’s opinions (vagueness markers, vagueness tags).
Typology according to the degree of fixedness
Set phrases consist of clauses (I think), sentences (I’m sorry, how do you do, that’s okay) or phrases (red herring). They can also be abbreviated versions of sentences or clauses (sorry, beg your pardon, thanks). We can describe set phrases on different grammatical levels by means of stems corresponding to clauses or sentences. A lexicalized sentence stem is a lexicalised (sentence) structure with slots for grammatical categories. An example is provided by the following frame: &
$ & '% ' NP I thank you ðINT ÞðV OCÞ for V " ing we
Fig. 48.1. Notation: ( ) = optional elements { } = forced choice of one of the elements within parentheses
The stem is partly productive and can for example generate the following phrases: I thank you very much Joe for your call, thank you very much indeed Joe, thank you Joe, thank you for ringing; we thank you, we thank you for your gift, etc.
The set phrase I’m sorry to keep you waiting is associated with the following stem: NP be-TENSE sorry to keep you waiting
Variants are formed from the stem by modifying existing structures for example by ellipsis and by combining phrases into larger sets corresponding to new strategies (that’s great thanks). Set phrases can cluster (well okay); there are short and long forms (and that sort of thing- and that). Another phrasal unit is the adjacency or formulaic pair such as greeting return greeting or thanking-responder (thank you- you’re welcome). Incomplete phrases such as the thing is or partly fixed phrases such as a sort of can be described by the frameworks the … is (the
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thing is, the fact is) or a … of (a sort of). The framework has grammatical words enclosing a slot for a lexical word (cf. Renouf & Sinclair 1991). (1)
But the thing is, [that second one looks like the guy] who was in [one of the] skits. (SBCSAE)
The pattern can also be modified: (2)
But the shitty thing is (SBCSAE)
Regional variation can be characterised in terms of an inventory of stems in different varieties and a description of how the stems are elaborated or modified in different varieties. It should be noted that some recurrent patterns are fairly long and show considerable variation for example the negotiations that we find in openings and closings of conversation.
10. Typology according to frames and scripts Set phrases are associated with frames or “rules of speaking” for how and when they are used. In artificial intelligence, “frame” is a memorized knowledge framework which contains stereotypic knowledge about places, functions, etc. (Brown & Yule 1982, 238– 239). People also have frames for thanking, apologising, requesting, etc. A simplified description of a frame for thanking might for example include a description of setting, participants and types of favour, function (acceptance of a favour, closing signal) and continuation patterns. Such frames might look partly similar, partly different when one compares varieties of English. Frames provide a useful model for comparing languages or varieties of language. When we start looking at routine phrases we find that there are frames and subframes which may differ between varieties. The simple thank you is associated with one frame and the intensified thank you may have another frame. The situational meaning of phrases is also defined by scripts. Scripts are interpreted as sequence of events where each subevent can be accompanied by a special phrase. The notion of script is taken from Kiefer (1996) and comes close to van Dijk’s definition (quoted by Kiefer): Scripts “denote prototypical episodes, that is”, they are “sequences of events and actions, taking place in frames” (van Dijk
1980, 234). A telephone opening, for example, consists of subevents which are sequentially ordered and are accompanied by one or more phrases. The notion script as well as frame are useful when we compare telephone openings and closings between the two variants. When we compare British and American English telephone conversations, a particular subevent can be missing in one variety (e.g. the routine enquiry about the answerer’s health) but the order of events seems to be fairly fixed.
11. A typology of equivalents When one compares phrases in several languages the equivalents might be unexpected. For example American English sure seems to correspond mainly to certainly. Usually there is nothing in the form itself which explains the difference between British and American English. I think and I guess have the same meaning but I guess sounds more natural than I think in American English. Another generalisation is that Americans tend to say and stuff when British English speakers would say and things. When differences are not absolute, frequency plays a role. Americans use kind of more frequently than sort of to be compared with the British situation where sort of is frequently used where Americans would use kind of. There is nothing in the phrase itself which explains that it would sound unnatural in the language community. In other cases the phrase might reflect different ways of viewing the situation. In British English one does not normally use a response after a thanks, Americans frequently say You’re welcome which is not used at all in British English.
12. Some differences between British and American English 12.1. Greetings We greet and say farewell, introduce ourselves, express gratitude, apologise. These acts are small everyday rituals used to strengthen social bonds between the participants in interaction (Goffman 1971). They are interesting because they typically show variation with regard to form and use within languages and across languages. For greetings and return greetings we use hi, hello, good
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morning, etc. In both British and American English, how are you is a conventional conversational opening. In the American example, the response is I’m doing good (cf. British English very well thank you). (3) JILL:
How are you,
.. [ho]ney? JEFF: I’m doing [good].
(SBCSAE)
The pattern has some variations both in the opening phrase and the continuation: (4) LARRY: nice to meet you [How you doing]. SETH: Good to see you. (SBCSAE)
12.2. Thanking Set phrases like thank you or thanks may be used differently also in closely related varieties like British and American English although the differences are quantitative rather than qualitative. Some mainly anecdotal observations have to be tested on larger corpus material. Hymes (l971), for instance, observed that British thank you is different from American thank you. While in American English it is still mainly a formula for the expression of gratitude, ‘British ‘thank you’ seems on its way to marking formally the segments of current interactions, with only residual attachment to “thanking” in some cases’ (Hymes 1971, 69: quoted from Coulmas 1981, 81). The differences between British and American English involve the conditions under which one uses a thanking formula. For example in American English, one is more likely to thank a person for having had time to talk to you since one is aware that one may have taken up the other person’s time (thank you for your attention, thank you for your time) (Tottie 2002b, 191). Biber et al. (1999, 1098) found that thanks/thank you was more frequent in American English than in British English. However in a study by Fetescu and Rupp based on Spoken American English (The Longman Spoken American Corpus) and the demographic part of the BNC (reported in Tottie 2002a, 53), the authors found that Americans and Britons were equally active as thankers. Thank you and thanks were used with about equal frequency in the British and American samples studied by Fetescu and
Rupp; c 30 percent thanks and 70 percent thank you of the examples. My own results based on the SBCSAE showed that thanks occurred 15 times, to be compared with thank you (19 examples). More heartfelt expressions of gratitude were thank you very much, that was really great thanks, thanks so much (cf. British English that’s lovely thank you). Cf. also (from the Longman Spoken American Corpus) the compound phrase well great thanks a lot thank you I appreciate it. Thanks occurred frequently as a response to compliments or congratulations and in closings: Compliment-thanks (5) RANDY: .... And, ... I thought you did a good job all the way through. ... I mean you were on [top of what you were] scanning, LANCE: [Hm. Thanks]. (SBCSAE)
Both thanking and you’re welcome occur in the telephone closing with the same meaning of closing down the conversation and making the other person feel good: Telephone closing (6) ... Um, and if he, if he isn’t, or if he starts vomiting, having diarrhea, we may need to see him. we - we w- will need to see him again. ... so. um, Okay=? ... Mhm, you’re welcome, mm bye. (SCBSAE)
Thanking is sometimes followed by a responder minimizing the favour (that’s okay, don’t mention it, that’s all right), expressing pleasure (great pleasure). In American English you’re welcome is frequent even if it is not restricted to that variety. For example, in the Cobuild Corpus (British English) it occurred 65 times. Fetescu and Rupp (2000) documented the following additional responders in the American Corpus which were not found in British English (sure, sure thing, you bet, glad to help, no big deal, I don’t mind, anytime dude, no sweat). Cheers was more frequent in
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British English and lovely was restricted to British English in the sample investigated by Fetescu and Rupp. In both British and American English a common responder was thank you or thanks indicating that the recipient of a favour feels good towards the person who has done something good for him or her.. Responders may also differ between other varieties of English. Taylor (1998) noted the use of cheers in Australian English as a response to an expression of thanks. The use of the word has long existed in Australian English as an expression of farewell or as a competitor to casual thank you but as a responder it is used to fill a pragmatic gap. According to Taylor, Australians avoid the American use of you’re welcome as a rather self-conscious Americanism and prefer the more Britishsounding cheers. 12.3. Apologising Apologising in the American English material (SBCAE) was most frequently carried out by the full phrase I’m sorry, occasionally by a fuller phrase expressing more sincere regret: Oh I’m really feeling sorry for you. It was frequent with oh (also with whoops in a few examples) and occurred often with talk offences (as in British English). Apologies have been studied also for New Zealand English with somewhat different results (Holmes 1990). In Holmes’ material, speakers apologised considerably more (than speakers in the LLC) for disturbing another person and they also apologised for damaging a person’s possessions. However it is difficult to draw any conclusions from the comparison since the British English and the New Zealand databases are not comparable with respect to other variables (such as gender and text type). The following situation was only found in the American material (the speaker apologises insincerely): (7)
Don’t they know you’re marrie=d ? ... Are you – they said, .. like I told !DR, ..just cause I’m married, I ain’t dead ... ... I still like to go to parties. .. I’m sorry. (SBCSAE)
12.4. Discourse markers and frequencies Biber et al. (1999, 1096) point out that many discourse markers are strikingly more common in either British or American English.
You know was, for instance, more than twice as frequent in American as in British English. You see on the other hand is primarily British English. There were 48 examples in the Santa Barbara corpus to be compared with 877 examples of you know. In the London-Lund Corpus, well was the most frequent marker and considerably more frequent than you know. A comparison between the LLC (a sample of 50,000 words; cf. Altenberg 1990, 183 ) and the Santa Barbara Corpus is shown below: Tab. 48.1: A comparison of the frequencies of some discourse markers in the LLC and the SBCSAE (figures normalised to 10,000 words in parentheses) LLC Well you know ... you see I mean
SBCSAE 365 (72) well 212 (42.4) you know 119 (23.8) you see 102 (20.4) I mean
571 (28.6) 877 (43.9) 48 (2.4) 285 (14.25)
Discourse markers were generally more frequent in the British English material. In the American material you know is more frequent than well, and I mean is more frequent than you see. 12.5. I think and I guess Expressions such as I think, I suppose, etc. are frequently used in English to show subjectivity. In American English both I guess and I think make it possible for the speaker to sound less certain: I guess occurred 102 times in the material to be compared with I think (184 examples). However, they are not always synonymous, and both I think and I guess are used in American English, sometimes with different meanings. (8)
(about goldfish) I guess they’re very bright (SBCSAE)
I think and I guess can be used together: (9)
but then, ... I guess I wasn’t trying. ... I think I was in a .. bit of denial. Like I wasn’t really thinking about it much. (SBCSAE)
12.6. Vagueness markers: Sort of and kind of There is a striking difference in the frequency of use between sort of and kind of. As a lexical hedge kind of (kinda) was more frequent (192 examples) than sort of which was found
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in 25 examples in the Santa Barbara Corpus. Mauranen (forthcoming) has pointed to the much smaller number of kind of in the British National Corpus than in the academic MICASE Corpus suggesting that the reason is a difference between British and American English. The emphasis is on the speaker’s inability or unwillingness to express himself/herself directly. In the examples below, kind of also contributes to intimacy and in-group feeling (Brown & Levinson 1987 “positive politeness”). It is clear that kind of and like function as vagueness markers individually. When they cooccur, their function is to enforce the vagueness of the item which comes afterwards: (10) RICKIE:
... nobody else was around, .. and he= sort of walked up and [down the train]. [Down the ais]le, =an=d I just, ... I was still kind of like shocked,
(SBCSAE) (11) WALT: (SBCSAE)
That’s kind of gross, isn’t it.
12.7. Vagueness tags The most frequent vagueness tags in the SBCSAE were or something (42 examples), and stuff (32 examples), or anything (13 examples), or whatever (12 examples), or something like that (11 examples), and everything (13 examples). The results are similar to Overstreet and Yule’s data (1997). Other less frequent examples in the American data were and that junk and stuff, and all this other shit, and all that shit, that kind of shit. And everything was the most frequent tag with and in the material. And so on was the most frequent tag in the London-Lund Corpus but occurred only once in the American Corpus. In the London-Lund Corpus the most frequent tags were and so on, or something, and things, or something like that, or anything, and everything, and things like that. In the COLT corpus (The Bergen Corpus of London Teenage Language; cf. Andersen 2001, 84–85), containing the speech of British English adolescents from different London schools, the most frequent tags (after or something) was and everything, and stuff, or anything, or something like that, and all that.
12.8. Interaction between British and American English – the case of like The hedging like illustrates that American English can have an influence on other “Englishes”. Like is extremely frequent in American English (like 964 examples). It is also frequent in collocational or structural patterns (SBCSAE was/is like 55 examples; just like 31 examples). Franco (2000), as reported by Tottie (2002a), found that the type modifying a noun phrase was the most frequent one in American English (23 percent). In the corresponding British material investigated by Franco, like in this position was even more frequent (43 percent), Andersen (2001, 276) got high figures for like modifying noun phrases in British English (37 percent). Like modifying verb phrases accounted for 28 percent of the examples indicating that this pattern is also frequent in American English: (12) LYNNE: ... Yeah. ... Her brother was like, ... just right out of high school? I mean, you know, did mom tell you, ... about !Deb at all? (SBCSAE)
It’s like is a marker in its own right (Andersen 2001, 214). Another example from the Santa Barbara Corpus is: (13) So, every once in a while I’d get up and dance, ... and it’s like, ... when I’d come ba=ck, I mean there was some guy there, sitting in my chair. (SBCSAE)
And like is illustrated in (14): (14) oh, it’s just gross. And like in some of em? ... blood will spurt out, you know, and I mean, oh. It’s nothing – . (SBCSAE)
The quotative meaning was unusual in the Santa Barbara Corpus although it has been claimed to be prevalent in American English (Tagliamonte & Hudson 1999; Andersen
572
XII. Areale Aspekte der Phraseme/Areal aspects of phraseology
2001, 268). The quotative meaning is illustrated in: (15) . And the first part of it, .. is like, well we have lecture, .. then we have la=b. ... And like, the first part of it, .. we just go into the classroo=m, (SBCSAE) (16) some of em you have to,you know, like say, okay, say your shoe’s like thi=s? .. and your horse’s foot is just really wide or something=? (SBCSAE)
A comparison can be made with Andersen’s data from the COLT-Corpus (British English teenagers) where and like was most frequent followed by because/cos like, I mean like, but like (Andersen 2001, 285). In the American data you know like was most frequent (23 examples) followed by and like (14 examples). Less frequent combinations were so like (3 examples), but like (3), I guess like /like I guess (2 examples), cause like (1), I mean like (1). Kinda/kind of like occurred 10 times to be compared with sort of like (1 example). In British English like is above all characteristic of the speech of London teenagers (Andersen 2001). According to Andersen (2001, 216), there are two distinct traditions concerning the use of like as a pragmatic marker in British English, one of which stems from (rural) dialects of Britain. Like in present-day English adolescent speech seems to be the result of a trend due to American influence as English increasingly has become a global language. Observations about its use in American English are that it is common in urban and suburban areas, that it has a female bias and that it is predominant in the younger generation (Tagliamonte & Hudson 1999; Andersen 2001, 221).
13. The need for research Cross-linguistic analysis both across languages and varieties is still a new area. Much more detailed research needs to be carried out on the use of routines, discourse markers and hedges which is not restricted to quantitative differences. We also need more research on idioms and set phrases in the major national
varieties of English in a wide range of varieties and text types. So far balanced corpora which could be used for such studies are only available for British English. It is clear even from this small investigation that thanking, apologising and requesting are not the same speech act in British and American English. Cultures are associated with different values and may differ in how they regard informality or values such as solidarity and deference. However we need many more studies investigating how quantitative and qualitative differences between routines and other set phrases can be explained in terms of cultural traditions and values. Another issue which needs exploring is the existence of semantic and pragmatic gaps. Are there phrases in one variety of English which has no equivalent in other varieties?
14. Select bibliography Aijmer, K. (1996): Conversational routines in English: Convention and creativity. London. Altenberg, B. (1990): Spoken English and the dictionary. In: Svartvik, J. (ed.): The London-Lund corpus of spoken English. Description and research. Lund, 177–91. Andersen, G. (2001): Pragmatic markers and sociolinguistic variation. Amsterdam. Benson, M./Benson, E./Ilson, R. (eds.) (1991): BBI combinatory dictionary of English: A guide to word combinations. Amsterdam. Biber, D./Johansson, S./Leech, G./Conrad, S./Finegan, E. (1999): Longman grammar of spoken and written English. London. Blum-Kulka, S. (1989): Playing it safe: The role of conventionality in indirectness. In: Blum-Kulka, S./ House, J./Kasper, G. (eds.): Cross-cultural pragmatics: Requests and apologies. Norwood, 37–70. Brown, G./Yule, G. (1983): Discourse analysis. Cambridge. Brown, P./Levinson, S.C. (1987): Politeness. Some universals in language usage. Cambridge. Coulmas, F. (ed.) (1981): Conversational routine. Explorations in standardized communication situations and prepatterned speech. The Hague. Cowie, A.P/Mackin, I.R. (1979): Oxford dictionary of current idiomatic English. Oxford. Dijk, T.A. van (1980): Macrostructures. Hillsdale. Du Bois, J. (2000): Santa Barbara Corpus of Spoken American English, Part 1. Six hours of digitized audio and transcriptions on 3 CD-ROMs. Linguistic Data Consortium, University of Pennsylvania. Du Bois, J. (2003): Santa Barbara Corpus of Spoken American English, Part 2. Digitized audio and
48. Set phrases in the national varieties of English transcriptions of 16 interactions on one DVD disc. Linguistic Data Consortium, University of Pennsylvania. Estling, M. (1999): Going out (of) the window. A corpus-based study of competing prepositional constructions in American and British English. In: English Today 59, 22–27. Estling Vannestål, M. (2002): Prepositional variation in American and British English. In: Modiano, M. (ed.), 74–86. Fetescu, T./Rupp, M. (2000): Responders to thanks in British and American English. Unpublished term paper, The University of Zurich. Fillmore, Ch.J./Kay, P./O’Connor, M.C. (1988): Regularity and idiomaticity in grammatical constructions. In: Language 64, 501–38. Franco, I. (2000): “Like” as a discourse item in British and American speech. Unpublished term paper, the University of Zurich. Goffman, E. (1971): Relations in public. Microstudies of the public order. Harmondsworth. Holmes, J. (1990): Apologies in New Zealand English. In: Language in Society 19, 155–199. Hymes, D. (1971): Sociolinguistics and the ethnography of speaking. In: Ardener E. (ed.): Social anthropology and language. London, 47–95. Kay, P. (1997): Construction grammar. In: Kay P.: Words and the grammar of context. Stanford, 123– 31. Kennedy, G. (1998): An introduction to corpus linguistics. London. Kiefer, F. (1996). Bound utterances. Language Science 18 (1–2), 575–87. Kjellmer, G. (1994): A dictionary of English collocations: Based on the Brown Corpus. Oxford. Lavelle, T./Minugh, D. (1998): And high time, too: A corpus-based study of one English construction. In: Lindquist, H./Klintborg, S./Levin, M./Estling, M. (eds.), 213–26. Lindquist, H./Klintborg, S./Levin, M./Estling, M. (eds.) (1998): The major varieties of English. Papers from MAVEN 97, Växjö 20–22 November 1997. Växjö. Mauranen, A. (forthcoming): They’re a little bit different… Observations on hedges in academic talk. In: Aijmer, K./Stenström, A.B. (eds.): Discourse patterns in spoken and written corpora. Amsterdam. Modiano, M. (ed.) (2002): Studies in mid-Atlantic English. Gävle.
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Karin Aijmer, Göteborg (Sweden)
XIII.Phraseme im Sprachgebrauch und in der Übersetzung/ Contrastive phraseology and translation 49. Probleme der kontrastiven Phraseologie 1. 2. 3. 4.
Konzepte der kontrastiven Phraseologie Interlinguale kontrastive Phraseologie Bilanz Literatur (in Auswahl)
1.
Konzepte der kontrastiven Phraseologie
1.1. Kontrastive Phraseologie im weiteren Sinne Während die Kontrastivität in der älteren Forschungsliteratur weitgehend mit der Gegenüberstellung verschiedener Einzelsprachen gleichgesetzt wurde, wird in neueren Untersuchungen die Auffassung vertreten, dass für eine kontrastive Sprachbetrachtung mehrere Dimensionen infrage kommen. Diese Perspektivenerweiterung ermöglicht es, für die kontrastive Phraseologie zunächst eine Zweiteilung in ein interlinguales und intralinguales Beschreibungsverfahren einzuführen (vgl. Földes 1996, 17ff.; 1997, 169ff.; Korhonen 1998a, 7; 1998b, 117; Korhonen/Wotjak 2001, 227). Die kontrastive Erforschung der Phraseologie im Sinne eines interlingualen Vergleichs von zwei oder mehr Sprachen ist Mitte der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts aufgekommen, bezieht man aber die Bemühungen der historisch-vergleichenden Komparatistik mit ein, dann wird die Tradition dieser Forschungsrichtung wesentlich länger. Wichtige Arbeiten zum interlingualen Vergleich wurden bereits in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts, später dann in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts vorgelegt (vgl. dazu Korhonen 1998a, 7; 1998b, 117 mit entsprechenden Literaturhinweisen). Die meisten älteren Studien beziehen sich explizit auf Sprichwörter, im Beispielmaterial tauchen aber auch satz- und wortgruppenförmige Phraseologismen auf. Der Schwerpunkt dieser Untersuchungen liegt auf der Ermittlung der Herkunft, Verbreitung und Entlehnungsrichtungen phraseologischer Ausdrücke. Außer der sprachvergleichenden Betrachtung von Phraseologismen, zu der auch das strukturtypologische bzw. universalienlinguistische Herangehen und die kultursemiotisch orientierte Forschungsrichtung gerechnet wer-
den können (vgl. dazu u.a. Eismann 1998a, 12ff. und Dobrovol’skij 2002, 442f.), wurde in den Bereich der Kontrastivität in letzter Zeit auch eine intralinguale Komponente mit einbezogen. Hier lassen sich zwei Dimensionen, und zwar eine diachronische und eine synchronische, unterscheiden. Die intralinguale diachronische Phraseologieforschung beschäftigt sich mit der Entwicklung von Phraseologismen anhand entsprechender Belege aus einer früheren und einer späteren Sprachperiode. In synchronischer Hinsicht wiederum ergeben sich für eine plurinationale Sprache wie das Deutsche u.a. folgende Forschungsmöglichkeiten: Gegenüberstellung der dialektalen Phraseologie und der des Standarddeutschen, Kontrastierung der Phraseologie einer nationalen Varietät des Deutschen mit der des Binnendeutschen sowie Vergleich der phraseologischen Besonderheiten des Deutschen als Minderheitensprache mit der binnendeutschen Phraseologie (vgl. Korhonen 1998a, 8ff.; 1998b, 117; Korhonen/Wotjak 2001, 227 mit weiterführender Literatur). Diesbezügliche Untersuchungen sind nicht nur getrennt, sondern auch im Rahmen eines integrativen Ansatzes durchführbar (vgl. dazu Földes 1996, 19f.; 1997, 170f.). 1.2. Kontrastive Phraseologie im engeren Sinne Wird mit Kontrastivität nur auf die interlinguale Dimension Bezug genommen, kann von kontrastiver Phraseologie im engeren bzw. eigentlichen Sinne gesprochen werden. Eröffnet wurde das neue Untersuchungsgebiet der zwischensprachlichen kontrastiven Phraseologie in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts von sowjetischen Sprachforschern, und seit Anfang der 80er Jahre erfreut sich diese Forschungsrichtung besonders großer Beliebtheit. In den letzten beiden Jahrzehnten wurden für die interlinguale Ausrichtung der Kontrastivität folgende Aktivitäten entwickelt: internationale Tagungen, Forschungsprojekte, Sammelbände, Themenhefte wissenschaftlicher Zeitschriften, Handbücher und Einführungen, Arbeits- und Übungsbücher, eine Publikation mit einem umfassenden
575
49. Probleme der kontrastiven Phraseologie
Fragenkatalog (Wotjak 1992a) sowie eine Vielzahl von Monographien, Aufsätzen und Beiträgen. Das primäre Ziel der kontrastiven Phraseologie im engeren Sinne besteht in der Herausarbeitung von Übereinstimmungen, Ähnlichkeiten und Unterschieden von Phraseologismen verschiedener (meistens zweier) Sprachen, wobei weder die genetische Verwandtschaft noch die typologische oder areale Nähe der einbezogenen Sprachen von Relevanz ist. Außer auf einzelne Phraseologismen können sich die Untersuchungen u.a. auf bestimmte syntaktische und lexikalische Strukturtypen, phraseologische Herkunftsbereiche und Sachgruppen sowie auf die ganzen phraseologischen Systeme der miteinander kontrastierten Sprachen erstrecken. Vgl. Ďurčo (1994, 25), Földes (1996, 17ff.; 1997, 169ff.), Korhonen (1998a, 11ff.; 1998b, 118ff.), Korhonen/Wotjak (2001, 228f.) und Dobrovol’skij (2002, 442f.). Eine noch engere Auffassung sieht für die kontrastive Phraseologie nur die Aufdeckung und Beschreibung von Kontrasten in der Struktur und Bedeutung phraseologischer Einheiten zweier Sprachen vor. Hier wird die Kontrastivität der phraseologischen Sprachkonfrontation untergeordnet, die wiederum als Synonym der interlingualen kontrastiven Phraseologie verstanden werden kann. Da diese Auffassung in der neuesten Fachliteratur jedoch nicht mehr üblich ist (vgl. dazu auch Földes 1996, 15; 1997, 167; Dobrovol’skij 2002, 442), soll hier auf sie nicht näher eingegangen werden. Die unten stehenden Ausführungen werden sich generell auf den interlingualen Aspekt der kontrastiven Phraseologie konzentrieren.
2.
Interlinguale kontrastive Phraseologie
2.1. Äquivalenz als Vergleichsgrundlage Grundsätzlich kann bei der Kontrastierung phraseologischer Einheiten von zwei oder mehr Sprachen entweder die Bedeutung oder die Form zum Ausgangspunkt genommen werden. Handelt es sich um eine praxisorientierte Untersuchung, die z.B. mit der Erstellung eines zwei- oder mehrsprachigen phraseologischen Wörterbuchs in Verbindung steht, wird eine semantische Übereinstimmung auf denotativer Ebene als Vergleichsgrundlage, d.h. als Tertium Comparationis, gewählt. Diese Übereinstimmung der denotativen Bedeutung kann als inhaltliche oder se-
mantische Äquivalenz bezeichnet werden. Die Methode, die hierbei angewendet wird, ist eine onomasiologische: Zugrunde gelegt wird eine bestimmte denotative Bedeutung, für die in der Ausgangs- und Zielsprache passende Einheiten gesucht werden. Da Phraseologismen nicht selten eine polyseme Bedeutungsstruktur aufweisen, folgt daraus für die kontrastive Methodik, dass nicht phraseologische Einheiten überhaupt, sondern Bedeutungen dieser Einheiten einander gegenübergestellt werden. Für polyseme Phraseologismen bedeutet dies, dass sich die Kontrastierung jeweils nur an einer Bedeutungsvariante orientiert. Geht man dagegen von der Form aus, dient die morphosyntaktisch-lexikalische Struktur der Phraseologismen als Vergleichsbasis. Im Falle einer Übereinstimmung in diesem Bereich kann von formaler oder morphosyntaktisch-lexikalischer Äquivalenz gesprochen werden. Dieses Verfahren sollte jedoch um eine semasiologische Betrachtungsweise ergänzt werden, d.h. es wäre zu ermitteln, welche Bedeutung bzw. Bedeutungsvarianten eine ausgangssprachliche Einheit besitzt und wie sich die zielsprachliche Einheit dazu in semantischer Hinsicht verhält. Wird eine genauere semantische Analyse in diesem Zusammenhang unterlassen, entsteht eine Äquivalenzkonstellation, die Lerner einer Fremdsprache irreführen kann (vgl. dazu genauer 2.3.3.). Unabhängig davon, ob von der Bedeutung oder der Form ausgegangen wird, können Phraseologismen entweder als konkrete Realisationen oder als abstrakte Formenkomplexe miteinander kontrastiert werden. Ersteres bezieht sich auf die Ebene der Parole und besitzt für das Übersetzungswesen Relevanz. Letzteres wiederum hat Bezug auf die Ebene der Langue und beinhaltet, dass bei der Gegenüberstellung die morphosyntaktische und lexikalische Variantenbildung berücksichtigt wird. Diese Verfahrensweise liegt dann nahe, wenn die kontrastive Analyse ein praktisches Ziel auf dem Gebiet der Phraseographie verfolgt. Vgl. dazu u.a. auch Günther (1990, 505) und Eckert/Günther (1992, 149). 2.2. Äquivalenzparameter In den meisten Fällen wird einer interlingualen Gegenüberstellung von Phraseologismen eine Bedeutungsidentität auf denotativer Ebene zugrunde gelegt. Die denotative Bedeutung gilt als unerlässliche Voraussetzung für
576
XIII. Phraseme im Sprachgebrauch und in der Übersetzung/Contrastive phraseology and translation
eine interlinguale Kontrastierung von Phraseologismen mit praktischer Zielsetzung, und zugleich kann sie als dominierender äquivalenzbestimmender Faktor definiert werden. Darauf, dass bei der Kontrastierung der denotativen Bedeutung gewisse Asymmetrien auftreten können, macht Hessky (1987, 66ff.) aufmerksam. Zu solchen Asymmetrien gehört u.a. die Ungleichheit des Bedeutungsumfangs, d.h. der Umstand, dass die denotative Bedeutung in der einen Sprache enger ist als in der anderen. Dieser Unterschied zeigt sich darin, dass z.B. die kontextuellen Gebrauchsmöglichkeiten eines Phraseologismus von L1 vielseitiger sind als die seines Äquivalents in L2. Ein weiteres Beispiel für Asymmetrie im Hinblick auf die denotative Bedeutung ist, dass ein Phraseologismus von L1 monosem, sein Äquivalent in L2 hingegen polysem ist oder umgekehrt. Zu weiteren Äquivalenzparametern, die in der Forschungsliteratur zum Diskussionsgegenstand gemacht worden sind, zählen u.a. Struktur, Idiomatizität, Bildhaftigkeit, Stabilität, Konnotationen und Valenz (vgl. etwa Hessky 1987, 64ff.; Ehegötz 1990, 499f.; Günther 1990, 505f.; Eckert/Günther 1992, 149f.; Worbs 1994, 146ff.). Für die Struktur ist zunächst festzuhalten, dass bei der Gegenüberstellung typologisch verschiedener Sprachen von bestimmten morphosyntaktischen Unterschieden abgesehen werden muss. Im Falle von Deutsch und Finnisch wäre z.B. darauf hinzuweisen, dass im Finnischen weder Artikel noch Genus vorhanden sind, dass die Wortfolge z.T. anders ist als im Deutschen, dass den deutschen Präpositionen meistens Kasus entsprechen und dass im Finnischen anstelle von Possessivpronomina und einigen Partikeln Possessivsuffixe bzw. Anhängepartikeln verwendet werden. Entsprechende morphosyntaktische Strukturen werden in solchen Fällen als reguläre interlinguale Äquivalente deklariert (vgl. u.a. Korhonen 1987b, 10; 1995, 316f., s. dazu auch Hyvärinen 1996, 366, für den deutschungarischen Kontrast wiederum Hessky 1987, 76f.). Demgegenüber gibt es unterschiedliche Auffassungen von der Rolle solcher Erscheinungen wie Differenzen im Numerus der Komponenten, in der Wortbildung und in der Lexik für die Bestimmung des Äquivalenzgrades. So bleiben nach Worbs (1994, 147ff.) z.B. der Numerusunterschied in poln. ciemnósci egipskie – dt. eine ägyptische Finsternis, der Unterschied in der Wort-
bildungsstruktur in russ. burja v stakane vody – dt. ein Sturm im Wasserglas und die differierende Lexik in poln. robić z muchy słonia (wörtl. “aus einer Fliege einen Elefanten machen”) – dt. aus einer Mücke einen Elefanten machen ohne Einfluss auf den Äquivalenzgrad, während sie z.B. nach Korhonen/Korhonen (1995) nicht zu ignorieren sind. Vgl. dazu auch Hessky (1987, 78f.). Eine entscheidende Bedeutung für den Grad der phraseologischen Äquivalenz hat die Tatsache, ob die Idiomatizität eines L1Phraseologismus im L2-Äquivalent gewahrt bleibt. Phraseologismen lassen sich unter dem Aspekt der Idiomatizität in drei Gruppen einteilen, und zwar in voll-, teil- und nichtidiomatische Phraseologismen (vgl. u.a. Korhonen 2002b, 404). Im Idealfall steht einem vollidiomatischen L1-Phraseologismus ein ebensolcher L2-Phraseologismus gegenüber, vgl. dt. jmdm. den Laufpass geben – engl. give sb his marching orders. Das Gleiche gilt für teilidiomatische Phraseologismen, vgl. dt. sich einen Ast lachen – finn. nauraa katketakseen (lachen und nauraa nicht idiomatisiert). Bei der interlingualen Gegenüberstellung kommt es jedoch oft vor, dass L1- und L2Phraseologismus im Idiomatizitätsgrad differieren. So kann einem vollidiomatischen Phraseologismus ein teilidiomatischer entsprechen, vgl. dt. fünf Minuten vor zwölf – finn. yhdennellätoista hetkellä (hetki ’Stunde’ als nichtidiomatische Komponente), oder einem voll- oder teilidiomatischen Phraseologismus ein nichtidiomatischer (vgl. dazu genauer Worbs 1994, 151f.). Die Bedeutung einer Mehrzahl von Phraseologismen ergibt sich aus einer bildlichen Übertragung, weshalb die Bildhaftigkeit als ein typisches phraseologisches Merkmal angesehen werden kann. Bei der interlingualen Kontrastierung von Phraseologismen spielt der Erhalt der Bildhaftigkeit eine wichtige Rolle, nicht zuletzt deshalb, weil die Bildhaftigkeit eine wesentliche Quelle der Expressivität, eines weiteren zentralen Merkmals der Phraseologie, darstellt. Für die Wiedergabe der Bildhaftigkeit lassen sich folgende Abstufungen feststellen, die sich bei der Festlegung des Äquivalenzgrades entsprechend widerspiegeln: 1. totale Wahrung des Bildes, 2. teilweise Veränderungen, 3. vollständiger Ersatz des Bildes, 4. Verlust der Bildhaftigkeit. Für 3. zeigt sich nicht selten, dass in L2 mehrere potentielle Äquivalente zur Verfügung stehen, die sich jedoch etwa hinsichtlich der Expres-
49. Probleme der kontrastiven Phraseologie
sivität voneinander unterscheiden können. – Die Bildhaftigkeit ist zwar ein typisches Kennzeichen der Phraseologie, es gibt aber auch Phraseologismen, die auf keinem Sprachbild fußen, vgl. z.B. es bei/mit etw. bewenden lassen und an [und für] sich. Damit ist die Bildhaftigkeit als ein fakultatives phraseologisches Merkmal zu betrachten, wohingegen die Expressivität “ein nahezu kategorielles Merkmal” ist (Worbs 1994, 154f.). Näheres zur Bildhaftigkeit in Worbs (1994, 152ff.), s. aber auch die Ausführungen von Hessky (1987, 72ff.) zur “wörtlichen Bedeutung”. Die Rolle der restlichen drei Parameter Stabilität, Konnotationen und Valenz kann hier nicht ausführlicher dargelegt werden. Stattdessen sei kurz erwähnt, worauf mit diesen Faktoren jeweils Bezug genommen wird. Von Stabilität kann dann Gebrauch gemacht werden, wenn es zu einem L1-Phraseologismus mehrere L2-Äquivalente gibt. Bestehen die Äquivalente aus stabilen, reproduzierbaren Mehrwortlexemen und freien Wortverbindungen oder Einwortlexemen, ist der Vorzug den Mehrwortlexemen zu geben (vgl. Worbs 1994, 155f.). Die Konnotationen stehen einerseits im Zusammenhang mit der Bildhaftigkeit und der Expressivität, andererseits beziehen sie sich auf den Gebrauch von Phraseologismen unter dem Gesichtspunkt von Stilebene, Sprechergruppe, regionaler und zeitlicher Zuordnung u.Ä. (vgl. u.a. auch Palm 1992, 89–106). Mit Differenzen in der Konnotativität ist besonders dann zu rechnen, wenn das sprachliche Bild von L1- und L2Phraseologismus unterschiedlich ist oder wenn einem bildhaften L1-Phraseologismus in L2 ein Ausdruck ohne Bildmotivation gegenübersteht (Hessky 1987, 91f.). Ähnlich wie bei den Konnotationen hat man es bei der Valenz mit Gebrauchsbedingungen von Phraseologismen zu tun. Ein L1-Phraseologismus und sein L2-Äquivalent können sich sowohl in Bezug auf die Zahl als auch die Art der Ergänzungen voneinander unterscheiden. Zur Valenz von Phraseologismen im Deutschen und Finnischen vgl. genauer Korhonen (1995, 216f.; 315ff.), Korhonen/Korhonen (1995, 85) und Piitulainen (1996). Vgl. im Übrigen z.B. Hessky (1987, 87ff.) (Valenz im Deutschen und Ungarischen) und Wotjak (1987, 96ff.; 1992a, 204f.; 1992b, 47f.; 1992c, 83ff.) (Valenz im Deutschen und Spanischen bzw. Valenz und kontrastive Phraseologie allgemeiner).
577
2.3. Verschiedene Auffassungen der Äquivalenz Die interlinguale phraseologische Äquivalenz kann sowohl unter quantitativem als auch unter qualitativem Gesichtspunkt betrachtet werden. Je nachdem, welche Äquivalenzbeziehungen sich für Phraseologismen zweier Sprachen feststellen lassen, können die Phraseologismen verschiedenen Äquivalenztypen zugeordnet werden. Die Ermittlung von Äquivalenztypen stellt einen der am meisten untersuchten Aspekte der kontrastiven Phraseologieforschung der letzten Jahrzehnte dar (vgl. z.B. Korhonen 1998a, 22; 1998b, 124; Korhonen/Wotjak 2001, 231; Dobrovol’skij 2002, 445). 2.3.1. Die quantitative Äquivalenz gliedert sich nach der Zahl der Äquivalente in L2. Dabei sind drei Arten zu unterscheiden: Monoäquivalenz, Polyäquivalenz und Nulläquivalenz. (a) Die Monoäquivalenz bezieht sich auf Fälle, in denen einem Phraseologismus von L1 nur ein Phraseologismus von L2 entspricht (= 1:1-Entsprechung): (1) dt. auf freiem Fuß sein – finn. olla vapaalla jalalla Dieser quantitative Typus lässt sich vor allem für phraseologische Internationalismen bzw. Entlehnungen beobachten. Den Ausdrücken liegt dann jeweils das gleiche Bild zugrunde. Das L2-Äquivalent ist jedoch nicht an die qualitativen Eigenschaften des L1-Phraseologismus gebunden; es kann z.B. in struktureller Hinsicht vom L1-Ausdruck verschieden sein. (b) Polyäquivalenz bedeutet, dass ein L1Phraseologismus in L2 mehrere phraseologische Äquivalente hat (= 1:viele-Entsprechung): (2) dt. mit Ach und Krach – finn. työllä ja tuskalla, hädin/töin tuskin, nipin napin Umgekehrt kann mehreren L1-Phraseologismen ein Phraseologismus in L2 entsprechen: (3) dt. den Buckel voll Schulden haben, bis über die/beide Ohren verschuldet sein/in Schulden sitzen/stecken, mehr Schulden als Haare auf dem Kopf haben, tief in Schulden stecken – finn. olla korviaan myöten veloissa Polyäquivalenz (fakultative Äquivalenz in der Terminologie von Heesch 1977, 176; vgl.
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XIII. Phraseme im Sprachgebrauch und in der Übersetzung/Contrastive phraseology and translation
auch Kammer 1985, 82ff.) ist dann möglich, wenn es in der Bildmotivation der L1- und L2-Ausdrücke kleinere oder größere Unterschiede gibt (in (3) steht das finnische Äquivalent dem zweiten deutschen Phraseologismus am nächsten). (c) Mit Nulläquivalenz sind Fälle gemeint, in denen L2 für einen L1-Phraseologismus keine phraseologische Entsprechung kennt (1:0-Entsprechung). Die betreffende Bedeutung wird in L2 mittels verschiedener Kompensationsstrategien ausgedrückt: (4) dt. aus der Fasson geraten – finn. pulskistua, pyöristyä (5) dt. eine leichte Ader haben – finn. olla huoleton, olla suruton In (4) können im Finnischen zwei Einwortlexeme (Verben), in (5) zwei freie Wortverbindungen (Verb + Adjektiv) als Äquivalente angesetzt werden. – Vgl. zur quantitativen Äquivalenz auch Wotjak (1987, 92f.; 1992b, 44), Günther (1990, 506), Eckert/Günther (1992, 153), Worbs (1994, 160) und Davidou (1998, 113f.). 2.3.2. Die qualitative Äquivalenz orientiert sich an der Beschaffenheit der Äquivalente, die sich von den oben dargestellten Äquivalenzparametern ableitet. Auf der Basis des Äquivalenzgrades, der unter Zugrundelegung einer gemeinsamen denotativen Bedeutung von den Parametern bestimmt wird, entstehen verschiedene Äquivalenztypen, von denen die folgenden drei in der Forschungsliteratur am häufigsten anzutreffen sind: Volläquivalenz, Teiläquivalenz und Ersatzäquivalenz (zu weiteren Konzeptionen der qualitativen Äquivalenz vgl. Rajxštejn 1979, Reichstein 1981 und Eismann 1989, s. dazu auch Burger/Buhofer/Sialm 1982, 294 und Földes 1990, 67ff.; 1996, 118ff.). Bevor die einzelnen Äquivalenztypen genauer dargelegt werden, ist zum methodischen Vorgehen Folgendes anzumerken: Da die Festlegung von Äquivalenten auf der Basis einer gemeinsamen denotativen Bedeutung erfolgt, kann im Falle polysemer Phraseologismen nicht der gesamte Bedeutungsumfang, sondern jeweils nur eine Bedeutungsvariante in Betracht gezogen werden. Es sollen konkrete Realisationen von Phraseologismen miteinander kontrastiert werden: Weisen Phraseologismen lexikalische und/oder morphosyntaktische Varianten auf, wird in den zu vergleichenden Sprachen
die am nächsten liegende Variante der L1Einheit gegenübergestellt. Für fakultative (weglassbare) Komponenten bedeutet dies, dass sie bei der Gegenüberstellung nicht beachtet werden. (a) Die Volläquivalenz (vollständige, totale Äquivalenz) kann als Idealfall von Äquivalenz angesehen werden. Um in diese Gruppe eingeordnet werden zu können, müssen die Phraseologismen bezüglich aller wesentlichen Äquivalenzparameter miteinander übereinstimmen. Zugelassen sind nur Unterschiede in Bezug auf Varianten, die im Sprachsystem verankert sind. Die Variante, die aufgrund der größten Ähnlichkeit mit den L2-Ausdrücken gewählt wird, braucht nicht die häufigste zu sein, desgleichen ist es nicht erforderlich, dass die Zahl der Varianten in L1 und L2 gleich ist. Die meisten Vertreter dieses Äquivalenztyps sind phraseologische Internationalismen, die auf einem ähnlichen kulturellen Hintergrund fußen. Die Phraseologismen stammen oft aus der Bibel, den mythologischen Überlieferungen der Antike oder aus bekannten Werken der Weltliteratur. Einige phraseologische Äquivalente können Entlehnungen sein oder basieren auf den universellen Gesetzen des menschlichen Denkens. Beispiele für volle Äquivalente im Bereich der deutsch-englischen Kontrastierung sind die Phraseologismen in (6) bis (9): (6) dt. das schwarze Schaf sein – engl. be the black sheep (7) dt. auf seinen Lorbeeren ausruhen – engl. rest on one´s laurels (8) dt. seinen Augen nicht trauen – engl. not believe one´s eyes (9) dt. sein eigener Herr sein – engl. be one´s own master Für einige weitere Sprachen sei die Volläquivalenz mit Hilfe folgender Phraseologismuspaare illustriert: (10) dt. ein Herz aus Stein haben – schwed. ha ett hjärta av sten (11) dt. jmdm., einer Sache den Rücken kehren – franz. tourner le dos à qn., qc. (12) dt. den Stier bei den Hörnern packen – span. coger el toro por las astas (13) dt. jmdm. die Zähne zeigen – russ. pokazat’ zuby komu-l. (14) dt. den Faden verlieren – ungar. elveszíti a fonalat
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Handelt es sich bei (6) bis (14) um Verbidiome, so liegen in (15) und (16) jeweils volläquivalente Sprichwörter vor (zu weiteren Beispielen vgl. z.B. Kispál 1998, 384f.; 1999a, 162):
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(23) dt. Himmel und Erde in Bewegung setzen – finn. panna taivaat ja maat liikkeelle Eine differierende Reihenfolge der Komponenten lässt sich vor allem für Phraseologismen mit Wortpaaren nachweisen. Der einzige Unterschied in den Strukturen der Phraseologismen in (24) bis (26) besteht in der Umkehr der Reihenfolge der Komponenten der Wortpaare:
(15) dt. Besser spät als nie – engl. Better late than never (16) dt. Undank ist der Welt Lohn – schwed. Otack är världens lön b) Die Teiläquivalenz (teilweise, partielle, approximative Äquivalenz) bezieht sich darauf, dass sich ein L1- und L2-Phraseologismus bei mehr oder weniger identischer denotativer Bedeutung in Bezug auf einen oder mehrere Faktoren voneinander unterscheiden. Im Ganzen erweist sich dieser Äquivalenztyp als ein “Sammelbecken für eine sehr heterogen zusammengestellte Menge von Übereinstimmungen/Nichtübereinstimmungen”, die sich auf den Äquivalenzgrad unterschiedlich auswirken (Worbs 1994, 157). Was zunächst die Struktur betrifft, können die Differenzen morphosyntaktisch oder lexikalisch sein. Im Bereich der Morphosyntax ist eine Einteilung in drei Aspekte möglich: Die Strukturen lassen sich hinsichtlich der Zahl, der Art und der Reihenfolge der Komponenten betrachten. Ein differierender Umfang der Phraseologismen kann u.a. folgende Ursachen haben: Fehlen eines Artikels bei Substantiven in L2 und Vorhandensein einer zusätzlichen Komponente in L2 (diese Komponente kann z.B. ein Pronomen, ein Adjektiv oder ein Substantiv sein): (17) dt. von der Hand in den Mund leben – engl. live from hand to mouth (18) dt. päpstlicher sein als der Papst – finn. olla paavillisempi kuin paavi itse (wörtl. “der Papst selbst”) (19) dt. in der Regel – franz. en règle générale (20) dt. auf der Erde bleiben – finn. pysyä maan pinnalla (wörtl. “auf der Oberfläche der Erde”)
(30) dt. den Augiasstall reinigen – finn. puhdistaa Augiaan talli (31) schwed. linda ngn om lillfingret – dt. jmdn. um den kleinen Finger wickeln
Die Unterschiede in der morphosyntaktischen Art der Komponenten betreffen den Numerus. Dabei können z.B. einem oder zwei singularischen Substantiven in L1 ein bzw. zwei pluralische Substantive in L2 gegenüberstehen:
In den nächsten drei Beispielen differiert bei gleicher morphosyntaktischer Struktur jeweils nur eine lexikalische Komponente: In (32) ist es das Substantiv, in (33) das Adjektiv und in (34) das Verb:
(21) dt. ganz Ohr sein – franz. être tout oreilles (22) dt. zur See gehen – finn. mennä merille
(32) engl. be as tired as a dog – finn. olla väsynyt kuin riepu (wörtl. “[Wasch-]Lappen”)
(24) dt. weder Fisch noch Fleisch sein – span. no ser carne ni pescado (25) dt. von Kopf bis Fuß – span. de pie a cabeza (26) dt. wie Hund und Katze sein – finn. olla kuin kissa ja koira Unterschiede in der Lexik seien anfangs anhand von Komposita in L1 und ihren Äquivalenten in L2 dargestellt. In (27) weisen beide Sprachen in der Struktur des Phraseologismus ein Kompositum auf, aber das Zweitglied des Kompositums ist unterschiedlich: (27) dt. arm sein wie eine Kirchenmaus – finn. olla köyhä kuin kirkonrotta (wörtl. “Kirchenratte”) Einem Kompositum von L1 kann ein Simplex von L2 entsprechen, wobei sich das Simplex lexikalisch entweder auf das Erst- oder das Zweitglied des Kompositums beziehen kann: (28) dt. von der Bildfläche verschwinden – finn. häipyä/hävitä/kadota kuvasta (wörtl. “vom Bild”) (29) dt. etw. unter dem Ladentisch verkaufen – finn. myydä jtak tiskin alta (wörtl. “unter dem Tisch, unter der Theke”) Darüber hinaus gibt es u.a. die folgenden zwei Entsprechungsmöglichkeiten: L1 Kompositum – L2 Substantivgruppe mit Genitivattribut und L1 Kompositum – L2 Substantivgruppe mit Adjektivattribut:
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(33) engl. be an open secret – finn. olla julkinen salaisuus (wörtl. “öffentlich”) (34) dt. das große Los ziehen – franz. gagner le gros lot In (35) bis (37) bleibt die morphosyntaktische Grundstruktur gleich, aber die lexikalische Besetzung ist in Bezug auf den nominalen und verbalen Teil unterschiedlich: (35) dt. Öl ins Feuer gießen – engl. add fuel to the fire (36) dt. jmdn. zur Hölle wünschen – franz. envoyer qn. au diable (37) dt. vom/aus dem Regen in die Traufe kommen – russ. popast’ iz ognja v polymja Je größer die Unterschiede in der Bildmotivation sind, umso mehr differieren die Strukturen der entsprechenden Phraseologismen. Die Idiome in (38) und (39) weisen Differenzen in der Zahl der Komponenten und z.T. in der Lexik auf: (38) dt. Öl auf die Wogen gießen – engl. pour oil on troubled waters (39) dt. den Teufel an die Wand malen – franz. tenter le diable Den Phraseologismen in (40) ist nur die Vergleichspartikel gemeinsam, in (41) und (42) dagegen sind alle Komponenten unterschiedlich: (40) dt. wie auf glühenden Kohlen sitzen – engl. be like a cat on hot bricks (41) dt. etw. über den Daumen peilen – schwed. beräkna ngt på en höft (42) dt. etw. in den Wind schlagen – finn. viitata kintaalla jllek (wörtl. “einer Sache mit dem Fausthandschuh winken”) Wenn die Struktur eines L1- und L2-Phraseologismus ganz unterschiedlich ist, sind damit nicht selten Differenzen in den Konnotationen verbunden. Bezüglich der Stilebene trifft dies u.a. auf das deutsche klipp und klar und das finnische ilman sarvia ja hampaita (wörtl. “ohne Hörner und Zähne”) zu: Ersteres gehört der umgangssprachlichen, Letzteres der neutralen Ebene an. Es finden sich aber auch Beispiele dafür, dass die Stilebene trotz identischer oder ähnlicher Struktur differiert, vgl. dt. ein Herz und eine Seele sein (neutral) und finn. olla yksi sydän ja yksi sielu (gehoben). Ebenso kann es Unterschiede in der Aktualität von Phraseologismen geben, vgl. dt. sich ins Fäustchen lachen – engl. laugh in one’s beard: Das deutsche Idiom ist
noch ganz gebräuchlich, sein englisches Äquivalent hingegen ist in der Lexikographie als “old-fashioned” markiert (vgl. Korhonen/ Korhonen 1995, 86). Relativ oft sind für Phraseologismen zweier Sprachen auch Unterschiede in der Valenz nachzuweisen. In (43) ist das deutsche Verbidiom zwei-, das finnische einwertig, in (44) ist das Gegenteil der Fall: (43) dt. etw. an den Nagel hängen – finn. panna/pistää hanskat naulaan (wörtl. “die Handschuhe an den Nagel tun”) (44) dt. ein Auge riskieren – finn. katsahtaa syrjäsilmällä jkhun (wörtl. etwa “einen verstohlenen Blick auf jmdn. werfen”) Wie in (43) steht auch in (45) einem Verbidiom mit zwei Substantiven der einen Sprache ein Verbidiom mit einem Substantiv der anderen Sprache gegenüber, wobei einem der beiden Substantive in der anderen Sprache eine Objektergänzung entspricht: (45) dt. seine Hände in Unschuld waschen – engl. wash one’s hands of sth Ein L1-Phraseologismus kann von seinem L2-Äquivalent auch in Bezug auf den Inhalt der Ergänzungen abweichen: (46) dt. die Hosen anhaben – finn. sanoa missä kaappi seisoo (wörtl. “sagen wo der Schrank steht”) Das Subjekt des deutschen Idioms ist vorwiegend eine Frau, im Finnischen kann das Subjekt entweder ein Mann oder eine Frau sein. Die Teiläquivalenz kommt nicht nur bei Phraseologismen unterhalb der Satzebene, sondern auch bei satzwertigen Phraseologismen, z.B. bei Sprichwörtern, vor, vgl. (weitere Beispiele u.a. in Kispál 1998, 385f.; 1999a, 162): (47) dt. Alte Liebe rostet nicht – schwed. Gammal kärlek rostar aldrig (48) dt. Alter schützt vor Torheit nicht – engl. There’s no fool like an old fool Im Zusammenhang mit der Darstellung der Teiläquivalenz wird in einigen Untersuchungen auch auf die Problematik von Asymmetrien bzw. gewissen Unterschieden in der denotativen Bedeutung eingegangen. Worbs (1994, 158) weist auf die Bedeutungsinklusion hin und zeigt am Beispiel von poln. czytać od deski do deski (wörtl. “von Einbanddeckel zu Einbanddeckel lesen”) und dt. von A bis Z, dass der Bedeutungsumfang des deutschen
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Phraseologismus größer ist; er beschränkt sich nicht auf die Tätigkeit des Lesens. Desgleichen gibt es kontrastive Studien, in denen die Teiläquivalenz auch mit einer differierenden Anzahl von Bedeutungsvarianten von L1- und L2-Phraseologismus in Verbindung gebracht wird. Nach Krohn (1994, 108) besitzt das deutsche wieder auf die Beine kommen die beiden Bedeutungen ’wieder gesund werden’ und ’seine Lage verbessern’, sein schwedisches Äquivalent komma på benen dagegen nur eine, die der ersten deutschen Bedeutungsvariante entspricht. Die zweite Bedeutungsvariante von wieder auf die Beine kommen wird im Schwedischen mit dem Phraseologismus komma på fötter zum Ausdruck gebracht. Aber auch das Umgekehrte ist möglich: Der L1-Phraseologismus kann monosem, sein L2-Äquivalent polysem sein (vgl. z.B. Worbs 1994, 158). Zu dieser Betrachtungsweise ist jedoch zu bemerken, dass die Gegenüberstellung von Phraseologismen hier nicht auf der Grundlage einzelner Bedeutungsvarianten erfolgt (vgl. oben 2.1). Vielmehr werden in diesen Darstellungen Phraseologismen als Form- und Bedeutungskomplexe – wie Lexikoneinheiten in der zweisprachigen Lexikographie – miteinander kontrastiert. Im Hinblick auf die Heterogenität der Erscheinungen, die in der einschlägigen Forschungsliteratur unter Teiläquivalenz subsumiert worden sind, wurde in Korhonen (1995, 221ff.) und Korhonen/Korhonen (1995) ein Vorschlag gemacht, diesen Äquivalenztyp in drei Teile aufzugliedern. Der Bereich der Teiläquivalenz wird dort auf kleinere morphosyntaktische Unterschiede eingeschränkt; hier sind vor allem Fälle gemeint, in denen sich die Substantivkomponenten in Bezug auf Kasus, Präpositionen, Numerus, Gebrauch des Artikels und Possessivpronomens sowie Wortfolge und (z.T.) Wortbildung voneinander unterscheiden. Nach dieser Auffassung wären von den oben angeführten Beispielen (17), (21) bis (26) sowie (30) und (31) unter Teiläquivalenz einzuordnen. Weist das Bild der kontrastierten Phraseologismen eine Ähnlichkeitsvorstellung auf, d.h. differieren sie teilweise in der Lexik und/oder stärker in der Morphosyntax sowie möglicherweise in der Pragmatik (Konnotationen), so hat man es mit partieller Differenz zu tun. Entsprechende Beispiele für diesen Äquivalenztyp wären (18) bis (20), (27) bis (29), (32) bis (35), (38) und (39) sowie (43) bis (45) oben. Ist das zu-
grunde liegende Bild aber völlig unterschiedlich, liegt eine totale Differenz vor. Daraus ergibt sich eine lexikalische Verschiedenheit, die sehr oft mit Unterschieden in der Morphosyntax, manchmal aber auch in der Pragmatik einhergeht. In den Bereich der totalen Differenz würden folgende Beispiele fallen: (36) und (37), (40) bis (42) und (46). – Zu den theoretischen Grundlagen dieses Beschreibungsmodells vgl. genauer Korhonen (1995, 222f.) und Korhonen/Korhonen (1995, 69). Im Übrigen vgl. auch Mrazović (1985) und Petrović (1988), wo auch vom Begriff der Differenz Gebrauch gemacht wird; allerdings wird hier die Differenz der Äquivalenz untergeordnet. c)
Die Ersatzäquivalenz (phraseologische Nulläquivalenz) bedeutet, dass L2 für einen L1-Phraseologismus über kein systemhaftes phraseologisches Äquivalent verfügt. Die Bedeutung des L1-Phraseologismus wird in L2 mit Hilfe von nichtphraseologischen Entsprechungen wie freien syntaktischen Wortverbindungen, Wortbildungskonstruktionen und primären Einzellexemen ausgedrückt. Dabei können für die kompensierenden Elemente bestimmte phraseologische Äquivalenzfaktoren festzustellen sein, denn Merkmale wie Idiomatizität, Bildhaftigkeit und Konnotativität sind nicht nur phraseologischen Einheiten eigen.
Freie syntaktische Wortverbindungen als nichtphraseologische Äquivalente von L1Phraseologismen ähneln oft stark den Bedeutungsparaphrasen dieser Phraseologismen in einsprachigen Wörterbüchern (vgl. auch Martín 2001, 18); die freien Wortverbindungen stellen genauer gesagt Übersetzungen der Paraphrasen dar. Das Problem dabei ist, dass bestimmte Konnotationen dann in der Regel verloren gehen wie z.B. unten, wo die englischen Idiome als umgangssprachliche Einheiten zu klassifizieren sind: (49) engl. not know sb from Adam – dt. jmdn. überhaupt nicht kennen (50) engl. wet the baby’s head – finn. juoda vastasyntyneen kunniaksi (wörtl. “auf das Wohl des Neugeborenen trinken”) Bei den Wortbildungskonstruktionen lassen sich zunächst bildhafte bzw. idiomatisierte Komposita und Derivate unterscheiden. Die Komposita können die gleiche oder eine ähnliche oder eine ganz unterschiedliche Bildmo-
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tivation aufweisen, vgl. (zu weiteren Beispielen s. auch Ďurčo 1994, 45ff. und Vapordshiev 2000, 143): (51) dt. der große Bruder – finn. isoveli (52) poln. słomiany wdowiec – dt. Strohwitwer (vgl. Worbs 1994, 167) (53) dt. ein billiger Jakob – finn. helppoheikki (wörtl. “ein leichter Heinrich”) (54) poln. bajońskie sumy (wörtl. “Summen von Bayonne”) – dt. Heidengeld (vgl. Worbs 1994, 167; 232) In den beiden unten stehenden Beispielen mit Derivaten als L2-Äquivalenten ist die Bildmotivation identisch bzw. ähnlich (in (56) setzt sich das L2-Äquivalent aus einem idiomatisierten Derivat und einer Kopula zusammen): (55) dt. Moos ansetzen – finn. sammaloitua (56) dt. klebrige Finger haben – finn. olla pitkäkyntinen (wörtl. “langfingrig sein”) Als L2-Äquivalente können aber auch nicht idiomatisierte Komposita und Derivate vorkommen: (57) dt. der dumme August – finn. sirkuspelle (wörtl. “Zirkusclown”) (58) finn. lyödä jk lukkoon (wörtl. “etw. ins Schloss schlagen”) – dt. etw. abmachen Ausdrücke in Form eines Wortes, seien es primäre Einzellexeme oder Derivate ohne bzw. mit verdunkelter Bildhaftigkeit, können entweder zusammen mit Bezeichnungen für valenzbedingte Ergänzungen oder allein das L2Äquivalent ausmachen: (59) dt. jmdn. in den April schicken – finn. aprillata jkta (60) dt. es auf etw. ankommen lassen – finn. uskaltautua jhk (61) dt. zu Fall kommen – finn. kaatua (62) dt. im Allgemeinen – finn. yleensä Dabei können diese Einwortäquivalente entweder nicht markiert (vgl. (61) und (62)) oder markiert sein: (63) dt. eine halbe Portion – finn. rääpäle Wie dem deutschen Idiom kann auch dem finnischen Äquivalent der Konnotationsmarker “spöttisch” bzw. “abwertend” zugeordnet werden. Für nicht wenige satzförmige Phraseologismen wie für bestimmte Routineformeln und Sprichwörter kann in L2 oft jeweils nur eine nichtphraseologische Satzkonstruktion als
Äquivalent angesetzt werden (vgl. dazu u.a. auch Kispál 1998, 387f.): (64) poln. Nie tędy droga (wörtl. “Hier entlang geht der Weg nicht”) – dt. Dieser Weg führt nicht zum Ziel (vgl. Worbs 1994, 169) (65) dt. Die Bäume wachsen nicht in den Himmel – finn. Jokaisella menestyksellä on rajansa (wörtl. “Jeder Erfolg hat seine Grenzen”) In (65) entspricht die wörtliche Übersetzung des finnischen Satzes genau einer Bedeutungsparaphrase, wie sie etwa im Duden (2003, 238) für dieses Sprichwort begegnet. Die weitaus meisten kontrastiven Untersuchungen mit Äquivalenz als zentraler Problematik beziehen sich auf eine Gegenüberstellung von zwei Sprachen. Entstehen dabei noch relativ übersichtliche Gruppierungen, so wird bereits die Kontrastierung von drei Sprachen wesentlich komplizierter. Je mehr Sprachen in die Analyse einbezogen und je strenger die Äquivalenzkriterien gehandhabt werden, umso umständlicher werden der theoretische Beschreibungsapparat und die entsprechende Darstellungspraxis; dies ist besonders dann der Fall, wenn der kulturelle Hintergrund der Sprachen verschieden ist. Eine mehrsprachige Kontrastierung von Phraseologismen sei hier kurz am Beispiel deutscher, englischer und finnischer Verbidiome veranschaulicht (vgl. dazu genauer Korhonen/Korhonen 1995). Auf weitere Untersuchungen mit drei oder mehr Sprachen kann nicht eingegangen werden; darauf soll unten nur anhand ausgewählter Literaturangaben verwiesen werden. Die Zahl der deutschen, englischen und finnischen Phraseologismen, die sich bezüglich der wichtigsten Äquivalenzfaktoren völlig decken, ist relativ gering. Volläquivalenz lässt sich u.a. in folgenden Fällen für die drei Sprachen beobachten: (66) dt. jmdm. auf die Zehen treten – engl. tread on sb’s toes – finn. astua jkn varpaille (67) dt. jmdn. unter den Tisch trinken – engl. drink sb under the table – finn. juoda jku pöydän alle Werden unter Teiläquivalenz vorwiegend nur Fälle mit kleineren morphosyntaktischen Unterschieden zusammengefasst, so könnte sie mit folgendem Beispiel illustriert werden:
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(68) dt. das Gesicht verlieren – engl. lose face – finn. menettää kasvonsa Das finnische Verbidiom unterscheidet sich von seinem deutschen und englischen Äquivalent in Bezug auf das Possessivsuffix, das deutsche Verbidiom vom englischen in Bezug auf den Artikelgebrauch. Wenn ein deutscher und ein englischer Phraseologismus total äquivalent sind, ist für die finnische Entsprechung z.B. partielle oder totale Differenz festzustellen: (69) dt. seine Karten auf den Tisch legen – engl. lay one’s cards on the table – finn. lyödä kortit pöytään (wörtl. “die Karten auf den Tisch schlagen”) (70) dt. Fühler ausstrecken – engl. stretch out feelers – finn. tunnustella maaperää (wörtl. “den Boden prüfen od. sondieren”) Partiell äquivalenten deutschen und englischen Phraseologismen kann im Finnischen ein total äquivalenter oder partiell differenter Phraseologismus gegenüberstehen: (71) dt. den Wald vor Bäumen nicht sehen – engl. not see the wood for the trees – finn. jku ei näe metsää puilta (72) dt. das Handtuch werfen – engl. throw in the towel – finn. heittää pyyhe kehään (wörtl. “das Handtuch in den Ring werfen”) In (71) differieren der deutsche und der englische Ausdruck in Bezug auf den Artikelgebrauch. Da das Finnische eine artikellose Sprache ist, ergibt sich dafür in solchen Fällen eine Volläquivalenz. In (72) fehlt im Deutschen eine Entsprechung für das englische in; im Finnischen steht dafür ein zweites Substantiv (kehä). Bei totaler Äquivalenz Deutsch-Finnisch kann das Englische von den beiden Sprachen teilweise oder völlig abweichen (partielle bzw. totale Differenz): (73) dt. gegen Windmühlen kämpfen – finn. taistella tuulimyllyjä vastaan – engl. tilt at windmills (74) dt. zur Salzsäule erstarren – finn. jähmettyä suolapatsaaksi – engl. stand rooted to the spot Auch ein englisches und ein finnisches Verbidiom können völlig identisch sein, wobei sich ein deutscher Ausdruck von ihnen morphosyntaktisch oder teilweise lexikalisch un-
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terscheidet (partielle Äquivalenz bzw. Differenz: (75) engl. turn one’s back on sb, sth – finn. kääntää selkänsä jklle, jllek – dt. jmdm., einer Sache den Rücken kehren (76) engl. buy a pig in a poke – finn. ostaa sika säkissä – dt. die Katze im Sack kaufen Die Teiläquivalenz in (75) erklärt sich daraus, dass im Englischen vor dem Substantiv ein Possessivpronomen, im Deutschen dagegen der bestimmte Artikel erscheint. In der Gruppe Differenz Deutsch-EnglischFinnisch finden sich u.a. folgende Konstellationen: partielle Differenz Deutsch-EnglischFinnisch (vgl. (77)), partielle Differenz Englisch-Finnisch, totale Differenz Deutsch (vgl. (78)) und totale Differenz Deutsch-EnglischFinnisch (vgl. (79)): (77) dt. den Kopf in den Sand stecken – engl. bury one’s head in the sand – finn. panna päänsä pensaaseen (wörtl. “seinen Kopf in den Busch stecken”) (78) engl. call sb to account – finn. vaatia jku tilille (wörtl. “jmdn. zur Rechenschaft verlangen”) – dt. jmdn. zur Rede stellen (79) dt. in den Mond gucken – engl. be left out in the cold – finn. jäädä lehdellä soittelemaan (wörtl. “auf dem Blatt spielen bleiben”) Neben lexikalischen Differenzen weist (77) zwischen dem deutschen Idiom einerseits und dem englischen und finnischen Idiom andererseits einen morphosyntaktischen Unterschied beim ersten Substantiv auf (bestimmter Artikel vs. Possessivpronomen bzw. Possessivsuffix). Im Bereich der Ersatzäquivalenz sind u.a. folgende Konstellationen möglich: Deutsch ohne Phraseologismus (vgl. (80)), Englisch und Finnisch ohne Phraseologismus (vgl. (81)) sowie Deutsch und Englisch ohne Phraseologismus (vgl. (82)): (80) engl. pay on the nail – finn. lyödä rahat pöytään (wörtl. “die Gelder auf den Tisch schlagen”) – dt. sofort bar bezahlen (81) dt. etw. an den Tag legen – engl. display sth – finn. osoittaa jtak (82) finn. panna paperit vetämään (wörtl. “die Papiere ziehen lassen”) – dt. seine Bewerbungsunterlagen einreichen – engl. send in one’s application
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Das englische und das finnische Idiom in (80) sind hinsichtlich ihrer Struktur völlig unterschiedlich, es liegt also eine totale Differenz vor. Zur äquivalenzbezogenen Kontrastierung von drei oder mehr Sprachen vgl. u.a. auch Dobrovol’skij (1988, 57ff.) (Deutsch-Englisch-Niederländisch), Frackiewicz (1988, 27ff.) und Bartoszewicz (1994) (Deutsch-Niederländisch-Polnisch), Mikić/Škara (1988, 109ff.) (Deutsch-Englisch-Serbokroatisch), Koller (1974, 17ff.) (Deutsch-EnglischSchwedisch-Französisch), Moter Erichsen (1989) (Deutsch-Englisch-Norwegisch-Französisch), Braun/Krallmann (1990) (DeutschEnglisch-Französisch-Italienisch), Menac (1987) (Deutsch-Englisch-Französisch-Italienisch-Russisch-Kroatisch), Menger (1988) (Deutsch-Schwedisch-Dänisch-NorwegischIsländisch-Finnisch) und Korhonen (1995, 221ff.) (Deutsch-Englisch-Schwedisch-Französisch-Italienisch-Russisch-Ungarisch-Estnisch-Finnisch). 2.3.3. Wird bei der interlingualen Kontrastierung von Phraseologismen von der Form ausgegangen und wird dabei eine genauere Bedeutungsanalyse vernachlässigt, kann es zu Konstellationen kommen, in denen formal gleiche oder ähnliche Ausdrücke von L1 und L2 einander nicht semantisch entsprechen (die denotative Bedeutung kann in unterschiedlichem Grad differieren). In solchen Fällen liegt eine Scheinäquivalenz (Pseudoäquivalenz) vor, und die betreffenden Phraseologismen werden als “falsche Freunde” bezeichnet. Da die Gegenüberstellung von Phraseologismen hier nicht auf einer semantischen Übereinstimmung beruht, wird die Scheinäquivalenz nicht von allen Phraseologen für einen Äquivalenztyp gehalten. Dass eine Scheinäquivalenz bei völliger formaler Identität der Phraseologismen existieren kann, geht aus den folgenden vier Beispielen hervor: (83) dt. jmdn. aufs Haupt schlagen ’jmdn. völlig besiegen’ – engl. knock sb on the head ’jmdn. umbringen’ (vgl. Korhonen/ Korhonen 1995, 83) (84) dt. einen Floh im Ohr haben ’verrückt sein’ – niederl. een vlo in’t oor hebben ’unruhig sein’ (vgl. Piirainen 1997, 207) (85) dt. jmdm. auf die Füße treten 1. ’jmdn. zurechtweisen’; 2. ’jmdn. zur Eile antreiben’ – franz. marcher sur les pieds de qn
’jmdn. zu verdrängen, auszuschalten versuchen’ (vgl. Ettinger 1994, 130) (86) dt. reden wie ein Buch ’viel reden’ – span. hablar como un libro ’klug, gelehrt reden’ (vgl. Wotjak 1992b, 45) Beim nächsten Phraseologismuspaar handelt es sich um partielle Äquivalenz im Bereich der Morphosyntax. Der einzige Unterschied besteht im Numerus des Substantivs (Dt. Singular, Finn. Plural): (87) dt. sich an die Brust schlagen ’Reue empfinden’ – finn. lyödä rintoihinsa (wörtl. “in die Brüste”) ’sich brüsten, angeben’ (vgl. Korhonen 1987b, 11) Wenn es einen Unterschied in der Lexik gibt, hat man es mit dem formalen Äquivalenztyp partielle Differenz zu tun. In (88) differiert das Substantiv, in (89) und (90) das Verb: (88) dt. sich auf die Hinterbeine stellen ’sich sträuben, Widerstand leisten’ – russ. vstat’ na zadnie lapy (wörtl. “sich auf die Hinterpfoten stellen”) ’dienern, kriechen, Männchen machen’ (vgl. Worbs 1994, 159; 235) (89) dt. jmdm. auf die Finger klopfen ’jmdn. scharf zurechtweisen’ – schwed. slå ngn på fingrarna ’jmdn. der Unkenntnis überführen’ (vgl. Krohn 1994, 112) (90) dt. aus der Haut fahren ’wütend werden’ – poln. wyłazić ze skóry (wörtl. “aus der Haut kriechen”) ’sich bemühen, anstrengen’ (vgl. Worbs 1994, 159; 231) Zu weiteren Beispielen vgl. u.a. Günther (1990, 507) (Deutsch-Russisch), SchellbachKopra (1990) und Korhonen (1995, 212f.; 251; 376) (Deutsch-Finnisch), Korhonen/ Korhonen (1995, 83ff.) (Deutsch-Englisch, Deutsch-Finnisch, Englisch-Finnisch), Földes (1996, 127ff.) (Deutsch-Ungarisch) und Segura García (1998, 173ff.) (Deutsch-Spanisch). 2.4. Praktische Anwendungsmöglichkeiten Bereiche, die von der interlingualen kontrastiven Phraseologie praktischen Nutzen haben, sind Übersetzung, Fremdsprachenunterricht sowie ein- und zweisprachige Lexikographie. Kennzeichnend für die Entwicklung der kontrastiven Phraseologie ist, dass Probleme der Kontrastivität früher nicht selten vor dem Hintergrund der Übersetzung betrachtet wurden. Dies ist sowohl in einigen Handbüchern (vgl. u.a. Gläser 1986 und Kostov/Vapordžiev 1990) als auch in verschiedenen Spezialunter-
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suchungen (Monographien, Aufsätzen und Beiträgen) der Fall. Hier werden in der Regel zuerst interlinguale Äquivalenztypen aufgestellt und dann anhand konkreter Übersetzungsfälle näher beleuchtet. Als Korpus dienen meistens literarische Werke (vgl. etwa Kammer 1985, Higi-Wydler 1989, Koller 1994, Łabno-Falęcka 1995 und Segura García 1998), wohingegen z.B. Untersuchungen zur Übersetzung von Phraseologismen in Fernsehserien eine große Ausnahme bilden (vgl. Korhonen 1998c). Zur phraseologiebezogenen Übersetzungsproblematik vgl. genauer Korhonen (2004) und Artikel 51 in diesem Band. Beim Fremdsprachenunterricht ist ein kontrastiver Blick auf Äquivalenzrelationen insofern bedeutsam, als er dem Lerner viele der eigenen Fähigkeiten bewusst macht, die dieser dann in der Fremdsprache anwenden kann (vgl. Hallsteinsdóttir 1999, 97). Zu den wichtigsten Fragen in diesem Zusammenhang gehören die Selektion und die didaktische Aufbereitung des Lernmaterials. So erscheint es zweckmäßig, bei der Selektion nicht nur die Geläufigkeit der fremdsprachlichen Phraseologismen, sondern auch die Muttersprache der Lerner zu berücksichtigen: Das Material sollte Beispiele für alle Äquivalenztypen einschließlich falscher Freunde enthalten. Da totale interlinguale Äquivalente geringere Lernschwierigkeiten bereiten und kaum Interferenzfehler verursachen, wäre die Aufmerksamkeit eher auf die übrigen Äquivalenztypen zu lenken. Bei der Zusammenstellung des Lernmaterials kann außerdem davon ausgegangen werden, dass der Verstehensprozess im Falle partieller Äquivalenz bzw. Differenz – besonders bei kontextueller Vermittlung der Phraseologismen – wohl nur selten erschwert oder gar blockiert wird, weshalb entsprechende fremdsprachliche Einheiten nicht unbedingt in ein phraseologisches Minimum aufgenommen werden müssen (s. Hessky 1992, 163). Im Übrigen vgl. z.B. Földes (1988), Petrović (1988), Kühn (1992), Wotjak (1996) und Kispál (1999b). Besonders intensiv waren in letzter Zeit die Beziehungen zwischen der kontrastiven Phraseologie und der Lexikographie. Dazu kann zuerst ganz allgemein festgestellt werden, dass die einsprachige Lexikographie von der zweisprachigen insofern profitieren kann, als die letztgenannte durchaus in der Lage ist, den Verfassern von allgemeinen und phraseologischen Wörterbüchern einer bestimmten
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Einzelsprache besonders aus der Sicht von fremdsprachigen Benutzern wichtige Impulse und Anregungen für eine adäquate Beschreibung von Form, Bedeutung und Gebrauch von Phraseologismen zu bieten. Was dann das Verhältnis der kontrastiven Phraseologie mit Schwerpunkt auf der Erstellung von Äquivalenzrelationen und der zweisprachigen Lexikographie betrifft, so sei hier u.a. auf folgende Aspekte und Probleme hingewiesen. Für die Erarbeitung von zweisprachigen allgemeinen oder phraseologischen Wörterbüchern wäre es ein großer Vorteil, wenn den Verfassern eine bereits vorliegende kontrastive Beschreibung der Phraseologismen der betreffenden Sprachen (möglichst in Form von konzeptuell-semantischen Gruppierungen bzw. semantischen Feldern) zur Verfügung stünde (vgl. z.B. Korhonen 1987b, 8f. und Dobrovol’skij 1997, 55, s. auch Heinz 1999, 150ff.). Da dies jedoch meistens wohl nur für einzelne Teilbereiche der Phraseologie denkbar ist, kommt bei der Äquivalentermittlung zunächst die Auswertung von existierenden zweisprachigen Wörterbüchern als Methode in Betracht. Es empfiehlt sich, diese Phase der Gewinnung von Äquivalenten um eine Auswertung von Textbelegen aus umfassenden Übersetzungskorpora zu ergänzen, denn es hat sich vor allem für die Teiläquivalenz gezeigt, dass sich phraseologische Ausdrücke auf der Textebene nicht immer als Entsprechungen eignen. Gerade in den Fällen, wo Teiläquivalenz vorliegt, sollten einem L1Phraseologismus mehrere L2-Äquivalente zugeordnet werden, wobei neben phraseologischen auch nichtphraseologische Ausdrücke zu den potentiellen Äquivalenten zählen. (Vgl. Eismann 1989, 92; 1995, 99ff. und Worbs 1994, 162ff.) Allerdings würde dieses Prinzip dann zu einer gewissen Einseitigkeit der Gestaltung des Äquivalentteils führen, wenn ein bestimmtes semantisches Feld in L2 nicht so weit ausgebaut ist wie in L1. Mehreren verschiedenen L1-Phraseologismen müssten dann oft die gleichen L2-Äquivalente gegenübergestellt werden. Besteht der L2-Teil einer phraseologiebezogenen lexikographischen Beschreibung aus mehr als einem Äquivalent, sollten Phraseologismen – falls semantisch und pragmatisch möglich – nichtphraseologischen Ausdrücken vorangehen. Bei phraseologischer Polyäquivalenz, d.h. im Falle von Synonymäquivalenten, wären die Ausdrücke, die dem L1-Phraseologismus bezüglich der Bedeutung, Ge-
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brauchsbedingungen und Struktur am besten entsprechen, an erster Stelle aufzuführen. Wenn die L2-Phraseologismen untereinander gleichwertig sind, so dass z.B. für die Struktur totale Differenz, für alle anderen Äquivalenzparameter aber völlige Identität zu beobachten ist, könnten sie nach dem Alphabet des jeweiligen Stichwortes geordnet werden. Auf die Anordnung nichtphraseologischer Äquivalente wäre ein Prinzip anzuwenden, nach dem Ausdrücke in Form von Wortgruppen vor Einwortäquivalenten stehen, wenn es die Semantik und Pragmatik erlauben. Auch die nichtphraseologischen Äquivalente könnten alphabetisch geordnet werden, falls dies in semantisch-pragmatischer Hinsicht möglich ist. (Vgl. Korhonen 2002a, 52; 2003, 496.) Eine wichtige lexikographische Frage ist schließlich, ob auch ein passives Wörterbuch auf der Äquivalentseite für die Phraseologie spezifizierender Erläuterungen bedarf. Während einige Forscher der Ansicht sind, dass dies nicht erforderlich sei (vgl. z.B. Kromann 1987, 190), vertreten andere den Standpunkt, dass eine explizite Glossierung einen notwendigen Bestandteil des Äquivalentteils darstelle (vgl. u.a. Worbs 1994, 178). Tatsächlich gibt es bestimmte Bereiche (z.B. die Bedeutungsspezifizierung und die Valenzbeschreibung, vgl. Korhonen 2002a, 53; 2003, 496f.), in denen zusätzliche Informationen fremdsprachigen Wörterbuchbenutzern nützlich erscheinen. Darüber hinaus plädieren einige Phraseologen dafür, dass die unterschiedlichen Äquivalenzgrade im passiven Wörterbuch sichtbar gemacht werden (vgl. Worbs 1994, 177; s. auch Czochralski/Ludwig 1996, 178, Kispál 1999a, 170 und Martín 2001, 154, wo dafür verschiedene Symbole verwendet werden). – Vgl. dazu u.a. auch folgende Untersuchungen, die mit einem geplanten bzw. bereits abgeschlossenen zweisprachigen allgemeinen oder phraseologischen Wörterbuch oder einem Teilbereich des Phraseolexikons in engem Zusammenhang stehen: Scholze-Stubenrecht (1995, 10f.), Davidou (1998, 259ff.), Hessky/Iker (1998), Zhu (1998), Dobrovol’skij (1999; 2000), Palm Meister (2000) und Korhonen (2003).
3.
Bilanz
Eine genauere Durchsicht der verschiedenen Forschungsaktivitäten und Fragestellungen auf dem Gebiet der interlingualen kontrasti-
ven Phraseologie während der letzten Jahrzehnte lässt erkennen, dass hier die Ermittlung von Äquivalenztypen deutlich im Vordergrund steht. Entsprechende Bemühungen haben denn auch vielseitige theoretische Erkenntnisse und wertvolle Beschreibungsergebnisse mit hohem praktischem Belang für die Übersetzung, den Fremdsprachenunterricht und die Lexikographie erbracht. Die theoretische Vielseitigkeit macht sich allein schon in den verschiedenen Auffassungen der Äquivalenz bemerkbar: Einerseits gibt es eine quantitative und eine qualitative Äquivalenz, und andererseits gibt es variierende Zugänge zur Erfassung der qualitativen Äquivalenz. Oft wurden die Äquivalenztypen anhand bestimmter Sachgruppen erarbeitet, wobei die Beliebtheit von Somatismen besonders augenfällig ist. Von den Subklassen des phraseologischen Materials wurden früher vor allem die Verbidiome als Beschreibungsgegenstand gewählt, für die letzten Jahre ist aber ein kleiner Anstieg des Anteils der Sprichwörter zu verzeichnen. Einen ganz wesentlichen Beitrag zur phraseologischen Sprachkonfrontation haben Slawisten, Germanisten und Romanisten geleistet. Sehr oft war das Deutsche eine der Sprachen, die einer oder mehreren anderen Sprachen gegenübergestellt wurden; am häufigsten bzw. am intensivsten wurde es mit dem Russischen, Polnischen, Französischen, Spanischen, Ungarischen und Finnischen kontrastiert. Für die neueste Entwicklung kann auf die zunehmende Bedeutung nichteuropäischer Sprachen wie des Arabischen, Chinesischen, Japanischen und Koreanischen (im Kontrast mit dem Deutschen) hingewiesen werden. Im Bereich der zwischensprachlichen kontrastiven Phraseologie kommt der Äquivalenz und der damit verbundenen Problematik zwar eine zentrale Rolle zu, aber Kontrastivität in der Phraseologie umfasst daneben auch viele weitere Aspekte. Dazu zählen nicht nur die in der bisherigen Forschung bevorzugten Kontrastierungen anhand bestimmter Sachgruppen sowie syntaktischer und lexikalischer Strukturtypen, sondern u.a. auch folgende Fragen, die zugleich als weiterhin bestehende Desiderata (vgl. Korhonen/Wotjak 2001, 231f. und Dobrovol’skij 2002, 450) angesehen werden können: Vorkommen von Phraseologismen im Text und in Textsorten, pragmatische Gebrauchsbedingungen, Übersetzung von Phraseologismen auch in nichtliterarischen Texten, Aufdeckung von phra-
49. Probleme der kontrastiven Phraseologie
seologischen Universalien, stärkere Berücksichtigung neuerer Erkenntnisse der kognitiven Linguistik (etwa im Rahmen phraseologisch relevanter konzeptueller Bereiche), Erforschung von Symbolen in Sprache und Kultur sowie ethnolinguistische und kultursemiotische Problemstellungen. Seit Ende der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts sind zu diesen Gebieten zwar einzelne Arbeiten erschienen, erwünscht wären aber vor allem umfangreichere Forschungsvorhaben mit jeweils einer breiteren Sprachenpalette, als dies bislang der Fall war.
4.
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Jarmo Korhonen, Helsinki (Finnland)
590
XIII. Phraseme im Sprachgebrauch und in der Übersetzung/Contrastive phraseology and translation
50. Culture-boundness and problems of cross-cultural phraseology 1. 2.
6.
Subject and basic problems Culture-boundness in referential phrasemes: motivation by reference to living environment Culture-boundness of phraseological meaning Cross-linguistic and cross-cultural comparison Routine formulae: culture-boundness and cross-cultural comparison Select bibliography
1.
Subject and basic problems
3. 4. 5.
1.1. Subject Cross-cultural phraseology is concerned with comparing two or more languages or language varieties with regard to the ways in which their phraseologies are culturally bound. This definition requires that the culture-boundness of phrasemes be explicated instead of simply posited, as was the case in traditional approaches. These were characterized by the overall assumption that phrasemes, in particular idioms, due to their supposedly unique appearance – a view backed up by their features imagery, holistic phraseological meaning and (presumed) untranslatability –, were “culture-specific” and that the “world-view” of a group of people, or “nation”, was cristallized in them. Comparing phraseologies presupposes an explication of the culture-boundness of the phraseology of each of the languages or varieties involved. Therefore, in the following, reference will also be made to proposals for explicating culture-boundness generally, without there necessarily being a comparison between languages. In view of the fact that the debate on the subject began only recently (i.e. in the 1990s), there is no real tradition of large-scale comparative studies. The term culture-boundness (cf. Bragina 1996, 199; Gläser 1999, 156) is preferable to the widespread term culture-specificity. For the latter has sometimes been used misleadingly, without distinguishing sufficiently between two, albeit related, meanings: (1) that which is specific to a culture, or group, with culture referring to the group itself, and (2) that which is specific to the culture of a culture (group of people). In its first meaning, the term culture-specific can be applied to virtually any linguistic feature which, considered from the outside, appears peculiar to the group in question. It has even been applied to gestures accompanying a phraseme (with re-
ference to French and German: Baur/Baur/ Chlosta 1998, 6ff.), although not always with explication of the notion of culture or specification in which way culture can be said to manifest itself in the peculiarities observed. On the other hand, the very application of the term culture-specific in such cases is suggestive; it may be taken to imply that culture does indeed manifest itself in some way (i.e. meaning (2)). This again would be tantamount to considering every linguistic difference as a cultural difference and to considering language and culture as isomorphic instead of distinct, though highly interrelated, phenomena. In this approach, the notion of culture-specificity becomes void of meaning (Sabban 2004, 403). In addition, the uniqueness of idioms has itself been questioned on a number of grounds: when distinguishing between various analytical levels, as has become common in phraseology, many idioms can be shown to participate, on a more abstract level, in more general models of construction (Mokienko 1998, 543ff.); etymological analyses have cast into doubt the uniqueness of many a source and hence the state of belonging to a specific culture. The second meaning of culture-specificity (see (2)) requires an explication of the term culture, for example by referring to a concept of culture or by specifying a relevant dimension of culture. The term culture-boundness as opposed to culture-specificity is more readily associated with this second interpretation, which is also in line with the general requirement for operationalizing the term culture-specificity in the field of phraseology (Dobrovol’skij 1998, 55–56; 1999, 45ff.; Sabban 2004, 403ff.). At the same time, the term is less exclusive in that it allows for similarities in a comparison of phraseologies. 1.2. Conceptions and dimensions of culture Many recent studies on cultural aspects of phraseology make explicit reference to a notion of culture or to a particular dimension of culture. This is not the place for an exhaustive discussion of cultural approaches (see e.g. Berry/Poortinga/Marshall/Dasen 2002, 225ff.). The following considerations are presented here only as a guideline for the discussion of the culture-boundness of phraseology in a variety of existing and rather different studies.
50. Culture-boundness and problems of cross-cultural phraseology
Broad definitions of culture typically make reference to the classical anthropological notion of culture as the “shared way of life of a group of people”, focusing on the objective context for human development and action, on concrete observable patterns of activities and artefacts (cf. Berry/Poortinga/Marshall/ Dasen 2002, 2; 225ff.). Newer approaches (since the 1970s) either take into account or focus on interpretative frameworks acquired by people on the basis of (more or less) shared experiences, including underlying values and symbolic meaning (e.g. Strauss/ Quinn 1997, 6ff.). With regard to language, the following dimensions of culture are particularly useful: (1) Firstly, culture can be characterized in terms of modes of experiencing the world, in particular modes of conceptualizing and evaluating it as offered by language, shared by members of a group or society in a specific living environment and contributing to a culture’s mental model of the world (cf. Johnson-Laird 1983, 10), or its particular worldview. This is an important part of a culture’s cognitive dimension. (2) Secondly, a culture can be characterized in terms of shared modes of social behaviour (cf. Berry/Poortinga/Marshall/Dasen 2002, 52ff.). These include a variety of phenomena, such as role distribution, e.g. according to gender, affective display, degree of individualism versus collectivism, etc. More particularly, modes of behaviour include modes of interacting, or interactional styles, the discussion of which has given rise to definitions of culture in terms of different face-wants attended to in interaction (e.g. Brown/Levinson 1987, 61ff.). The behavioural and interactive dimensions of culture may also comprise certain collectively held stereotypes, values and attitudes underlying modes of behaviour and interaction. Modes of experiencing the world, of behaving and interacting, are considered as natural, as a matter of course, by the members of the group themselves; they constitute patterns of and for behaviour (cf. Kroeber/Kluckhohn 1952, 181). They provide orientation for everyday practices and thought without, however, determining them fully, thereby allowing for individual agency, deviation and adaptive change. Looked at from the outside, that which is natural or a matter of course is con-
591
sidered typical of a group, or culture-specific. Modes of behaviour may result in what is perceived as personality traits defined at the level of groups or even as “national character” (Berry/Poortinga/Marshall/Dasen 2002, 87– 88, 96–97). (3) Thirdly, a culture can be characterized in terms of shared traditions, which have accumulated historically and are part of its collective memory (Kramsch 1998, 7). These may be encountered on the level of thought (convictions, mental stereotypes) as well as of social behaviour (e.g. ceremonies, rites and rituals). But they are particularly prominent in a number of material productions, such as monuments and architecture, products of folklore and popular culture, or works of art and literature. Such achievements are manifestations of a society or a group and its ways of viewing the world, as well as its attempts at explaining life and the universe, its aesthetic values, modes of imagining, dreams and ideals. Some of these products are linguistic in nature and may constitute truly linguistic “monuments” (the works of Shakespeare, the Koran, the Bible). They provide a stock of textual material that speakers can draw on in allusions and quotations, thereby signalling their cultural identity. Some instances may become fixed in sayings, proverbs and other kinds of phraseological units. 1.3. Culture-boundness, types of phrasemes, and semantic level of analysis The ways in which phrasemes are culturally bound differ, depending, firstly, on the type of phraseme and its associated dominant function, and, secondly, on the semantic level under consideration (phraseological or literal meaning). Referential phrasemes are culturally marked in a way different from that of communicative or possibly even structural phrasemes (for this tripartite classification see Burger 2003, 36). This follows from their respective types of function. Thus, referential phrasemes serve to categorize and evaluate the world, and as such may be said to constitute conceptual and evaluative linguistic routines, contributing, ultimately, to the expression as well as formation of a world-view. They are closely associated with the cognitive dimension of culture and with language as an instrument of thought. One major function of communicative phrasemes is to perform speech acts; they are therefore an immediate part of behavioural and interactive routines
592
XIII. Phraseme im Sprachgebrauch und in der Übersetzung/Contrastive phraseology and translation
and closely associated with language as an instrument of action, as conceived of in linguistic pragmatics. Structural phrasemes have not been considered in any analysis of cultureboundness. Semantic level of analysis. A study of culture-boundness with regard to the phraseological meaning (in the case of referential phrasemes) or pragmatic function (with communicative phrasemes) is not different, in principle, from the study of the cultureboundness of single lexemes. In the case of referential phrasemes, the focus is on the conceptual as well as on the evaluative assessment of the world, i.e. on denotation (segmenting the world conceptually) and connotation (collectively shared evaluations), both of which are components of a world-view (Dobrovol’skij/Piirainen 1992, 143). These are generally studied to a much lesser extent in the special context of phraseology (see 3). The majority of investigations into cultureboundness and cross-cultural comparison of referential phrasemes have focused on that which is specific to most of them, in particular idioms and semi-idioms, and that is their mode of construction, their internal semiotic complexity. In this case, an investigation of culture-boundness involves establishing links between the motivation of a phraseme and culture. This again can be approached from different perspectives (see 4). In the case of communicative phrasemes, investigating culture-boundness involves establishing explicit links between modes of usage and culture. It also involves, though to a much lesser extent than in the case of referential phrasemes, establishing links between their literal level on the one hand, and dimensions of culture, on the other, such as norms of interaction, underlying values and attitudes or basic face-wants (see 5).
2.
Culture-boundness in referential phrasemes: motivation by reference to living environment
Approaching the culture-boundness of referential phrasemes typically involves establishing explicit links between the phraseme’s literal level, i.e. its motivational base, and culturally relevant aspects or entire domains of reference. In the following, this will be illustrated with examples discussed in phraseological research. What they have in common is that the aspects and domains referred to on
the literal level are part of the living environment (Lebenswelt) of a group at a particular moment in time, including that which is part of the collective memory. When entire domains or parts of one and the same object can be discerned as reflected in the construction of phrasemes, these results have also been referred to as source domains, especially in studies from the perspective of cognitive linguistics (see 4.2.1). Whether the aspects and domains referred to are indeed relevant to culture depends on the underlying concept of culture (see 1.2). 2.1. Natural environment and everyday life Some authors consider referential phrasemes to be culturally marked when their literal level refers to a group’s natural environment, its “unique cultural setting” (Gläser 1999, 167), or some typical everyday activity. Frequent examples include references to characteristic plants, animals and other objects or to traditional rural life, as in colloquial Australian English to have a kangaroo loose in the top paddock, “to be crazy/eccentric”; as mad as a gumtree full of galahs, “out of one’s mind”; to drive the pigs home, “to snore” (examples from Gläser 1999, 163ff.). Farm animals figure prominently in Czech phraseological similes, whereas reference to wild birds is comparatively frequent in English (Rakusan 2000, 267ff.). But reference may also be made to modern life, as in colloquial German er hat sich bei der Krankenkasse abgemeldet, ‘he is no longer registered with the health insurance’, er kann nicht mehr bei Aldi einkaufen, ‘he can no longer shop at Aldi’s (a chain of supermarkets)’ (Piirainen 2002, 220), both of which, by way of metonymy (“no longer be able to pursue some everyday activity”), mean “he has died”. Some of these instances of motivation are by no means specific to a particular language community. Thus, constituents denoting “exotic” animals (monkey, crocodile, kangaroo, etc.) occur in quite a number of German idioms (examples in Porsch 1997, 195), although these animals are not part of the natural environment. Case studies on entire domains of everyday life as reflected in phraseology include: modes of cultivating the land, in particular wine growing, as in idioms of Lëtzebuergesch (Filatkina 2002, 47–48); rural life and forestry, typical domains of a traditional agrarian
50. Culture-boundness and problems of cross-cultural phraseology
society, as in idioms of a Low German dialect (Piirainen 1998, 683ff.; 2000, 218ff.); and eating and food in Chinese idioms (Liu 2002, see 4.2.3), even in routine formulae (Kuiper/ Tan Gek Lin 1989, 296ff.; see 5). In the cases mentioned, the motivation of the phraseme was, initially, based on observation and immediate experience: on perceived contiguity or part-whole relationship in the case of metonymy, or on perceived similarities in the case of metaphor, the latter corresponding to metaphoric motivation as used in the narrower sense by Dobrovol’skij (2001, 90ff.; see 4.1). The cultural relevance of this type of phrasemes is a debatable point. They are culturally bound only if one applies a broad definition of culture in terms of a group’s way of life, as is the case in the traditional anthropological paradigm (see 1.2): the natural environment comes in as a part of everyday life which is experienced and acted upon and, as a result, perceived in a particular way. Thus, the wood is perceived as a natural resource of high utility by members of agrarian societies in that it provides them with material (wood) for construction purposes, fuel, etc. This is reflected in the motivation of a number of phrasemes in Westmunsterlandic such as he is in’n Düüstern wossen, ‘he has grown (up) in the dark’, “he is not very bright”, which, according to Piirainen (1998, 683), reflects the knowledge that some trees do not grow well if they receive too little sunlight. A similar world-view is reflected in the chronological order in which polysemous words denoting “tree” and “wood” have acquired their meanings over time and in different languages (Witkowski/Brown/Chase 1981, 6ff.). Cultural relevance of this category of examples may be denied because the literal level refers to nothing cultural in a stricter sense of the word. From a cognitive standpoint, however, it may be argued that singling out an object or domain points to some saliency in experience; widespread and recurrent selection of the same object or domain in language may reflect and reinforce a particular world-view, which is an important ingredient of culture (e.g. Liu 2002, 8; see 1.2). From a yet stricter cognitive perspective, such instances of “surface metaphors” are considered culturally relevant only when they can be shown to be exponents of a particular metaphoric or metonymic model (e.g. Dobrovol’skij 1999, 49; see 4.2.1 and 4.2.3).
593
2.2. Socio-cultural reality: social roles and role relationships The literal level of phrasemes may refer to aspects of socio-cultural reality, among them gender roles. Thus, in the Low German dialect Westmunsterlandic, reference is made to tasks traditionally assigned to men or women, or to garments worn by men or women, often resulting in corresponding gender restrictions of the phraseme itself; e.g. of men, literally ‘ have calluses in his armpit (from leaning on the shovel, a typical male implement) instead of using it’, i.e. “be very lazy”; of women, literally ‘not let anything burn in the pot’, i.e. “be hard-working” (Piirainen 1999b, 154). The images of men and women have been a strong focus of attention in paremiological research (for an outline of basic problems see Daniels 1985; for the Spanish tradition see Calero Fernández 1991, 112–165). A socio-cultural reality more remote in time is revealed in a study of binomials in the context of cultural history and more particularly in legal discourse (Schmidt-Wiegand 1991, 285; 288; Röhrich 1992, 37; Hüpper/ Topalovic/Elspass 2002, 81ff.). Thus the components of German treu und hold, encountered in documents of the 13th to 18th centuries as part of the oath of office or the citizen’s oath, can be traced back to ethical concepts of the Middle Ages on which the relationship between a vassal and his feudal lord was based: truwi (> treu), ‘reliability and honesty’, and hulde (> hold), ‘fidelity and allegiance’. 2.3. Institutions and traditions Reference to institutions and traditions provide phrasemes with a motivation that is not so much derived from immediate observation and experience (see 2.1., 2.2.), but rather from the function and significance ascribed to objects, events or rules of performance in the domain in question. These are instances of mediated motivation (cf. the notion of symbolic motivation, as in Dobrovol’skij 2001, 90ff.). The institutions and traditions concerned may be as different as sports, genres in the performing arts, courtroom proceedings, customs and beliefs, myths and legends, or works of literature. These domains largely correspond to the specific notion of texts as defined by cultural semiotics (see 4.1).
594
XIII. Phraseme im Sprachgebrauch und in der Übersetzung/Contrastive phraseology and translation
2.3.1. Sports: the rules of the game Phrasemes may be motivated by reference to sports that are particularly popular in a country. The literal level often refers to the rules, strategies and phases of a game, or to specifics of the sportsground or arena, the places of performance. Thus, a large number of idioms in Spanish draw on the national sport of bullfighting, e.g. mirar los toros desde la barrera, ‘watch the bulls from [behind] the barriers (in the arena)’, “watch without intervening”. Idioms in American English draw heavily on sports generally, with baseball and American football figuring prominently; this is especially so in political discourse, as shown by the media’s coverage of election campaigns (Liu 2002, 27ff.; 39ff.). Examples from baseball are: to hit a home run/to hit a homer, “to achieve a great success”; to touch base with, “consult with s.o.”. Examples from American football include: to get in a huddle, “have an informal meeting to communicate strategy”; to run with the ball, “to take the lead and try to accomplish the task at hand”. The deeper reasons for a society’s predilection for a particular sport, its possible connection with underlying values (e.g. fair play in Britain), or its role in shaping and maintaining group identity are a matter of concern for sociologists and cultural scientists. 2.3.2. Performing arts: genre-specific rules In Chinese, many idioms are based on the tradition and popularity of musical arts in China, and more particularly on the Beijing Opera, an important entertainment genre for several hundred years (Liu 2002, 103ff.). The phraseological meaning is derived from the domain-internal symbolic meaning of movements, objects, colours, costumes or other genre-specific features, including rules of performance; e.g. chàng bái/hóng liăn literally ‘sing in white/red face’, “play the bad/nice guy”, used in business dealings or other engagements (Liu 2002, 104; 134). 2.3.3. Social organization: judicial practices and rules of performance The administration of justice is an important part of societal organization. A number of German idioms can be traced back to judicial practices in the Middle Ages. In particular, the literal level refers to what were originally ritual gestures performed in the context of courtroom proceedings and the administration of justice (Schmidt-Wiegand 1991, 285ff.).
Such gestures, sometimes involving the posture and movement of the entire body as well as the use of certain signs and symbols, either counted as the performance of a particular judicial act or else accompanied a verbal act in a formalized, prescribed way (hence the term Sprachgebärde, p. 287; Röhrich 1992, I, 38); e.g. über jdn den Stab brechen, ‘to break the rod over s.b.’, referring to snapping a rod over the head of a person who had been sentenced to death (Schmidt-Wiegand 1991, 292), today meaning “to criticize/condemn s. b. on moral grounds”; stehenden Fußes (< Latin stante pede), ‘standing on one’s foot’, referring to the requirement of remaining upright while protesting against a sentence which had just been pronounced, today meaning “immediately”. In the course of time, these expressions gained currency outside the legal domain and at the same time developed into idioms with a phraseological meaning in some way related to that of the original judicial act. These particular instances of idiomatization are connected with a cultural-historical fact of prime importance: the codification of law initiated by the introduction of Roman Law (SchmidtWiegand 1991, 297), resulting in a decline in the importance of ritual gestures tied to the immediate situation of action. 2.3.4. Customs, beliefs and superstitions The literal level may refer to customs that are still observed or at least part of the collective memory of a group at a particular point in time (Röhrich 1992, I, 38). Funeral rites, mourning customs and attitudes to death have been a recurrent object of study (Piirainen 2002, 213ff.; Piñel 2003, 235ff.). Idioms in colloquial varieties of German are based on scenes that are part of a more complex scenario of strictly observed funeral rites in former times, as in, literally, ‘to have left the house feet first’, i.e. “to have died”; the scene refers to the custom of carrying the dead out of the house feet first (Piirainen 2002, 219). Reference to traditional medicine and the assumptions on which it is based provides a source of motivation for many Chinese idioms, as in chīle bàozi dăn, ‘having eaten a panther’s gall-bladder’, i.e. “be very bold” (Liu 2002, 69). The literal level refers to the practice of eating animal organs because it is believed that this is beneficial to health and well-being, since powers and abilities are ascribed to particular animals.
50. Culture-boundness and problems of cross-cultural phraseology
Yet another group of examples typically contains toponyms or other names which point to some belief or superstition. Thus, British English to have kissed the Blarney Stone, “to have the gift of speaking persuasively”, goes back to an Irish inscription and a superstition related to it (Corpas Pastor 2000, 122–123). Occasionally, onymic phrasemes may be connected with cultural phenomena, as is the case in nicknames of local communities in Czech based on their observance of customs or on stereotypical assumptions about their character (Čukan 1998, 52– 53). 2.3.5. Myths and legends Phrasemes may be based on traditions of a predominantly linguistic nature, i.e. on myths and legends. An example from Spanish is prometer el oro y el moro, ‘promise the gold and the Moor’, i.e. “promise the earth/the moon”, the phraseological meaning of which goes back to a legend (Corpas Pastor 2000, 122). This type of phraseme has been dominantly studied from an etymological point of view. There are problems in relating phrasemes attested in a legend, etc., to a specific culture. Firstly, although it is often assumed that a phraseme originated in a legend or anecdote, it might just as well be so that the legend was created to illustrate an already existing phraseme (Röhrich 1992, II, 817–818; Mokienko 1998, 546ff.). Secondly, there may be equivalent phrasemes based on the same or a very similar motive in very different languages, thus calling into question the uniqueness of the source, an example being English to buy a pig in a poke as opposed to German die Katze im Sack kaufen and French acheter chat en poche (literally ‘to buy a cat in a sack/in a bag’); cf. the proverb from Bété, a dialect spoken in Ivory Coast, literally, ‘The rat is not bought in a sack’ (Zouogbo 2003, 299). 2.3.6. The common European heritage: ancient literature and mythology, the Bible and other great works of literature Some traditions have transcended the boundaries of their country of origin and have entered the collective memory of a wide range of cultures. Thus, ancient literature and mythology are generally considered a common cultural heritage by many European peoples (Corpas Pastor 2000, 111ff.). An example from Greek mythology is Pandora’s box; French la boîte de Pandore; Spanish la caja
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de Pandora; German die Büchse der Pandora. The existence of analogous phrasemes, including proverbs, quoted from or alluding to the text of the Bible or to biblical themes, is shown for different European languages for example by Paszenda (2003, 244ff.; e.g. An eye for an eye, and a tooth for a tooth, < The Bible, Exodus 21, 23–25). In addition, works of literature have made their mark beyond the boundaries of their country of origin (e.g. from Cervantes Don Quixote: to tilt at windmills, “to waste one’s energy attacking imaginary enemies”; German ein Kampf gegen Windmühlen; French se battre contre des moulins à vent). The dissemination of these texts is to a large extent the result of translations, the conditions of which are themselves culturally relevant facts. Questions of cultural relevance of this type of idioms ranging wider than their etymological origin have so far been paid comparatively little attention. With regard to cultural aspects in the transmission of biblical idioms, Gak (1998, 240ff.) discusses differences between Russian and French in their modes of borrowing from the Bible, with Russian favouring literal quotes, due to the existence of only one authorized version of the Bible in Russia and the role of Church Slavonic, in particular as a common language of both the Bible and liturgy. From a synchronic point of view, differences in cultural relevance could be derived from usage, such as the comparative frequency of biblical phrasemes in everyday discourse in Russian (Gak 1998, 245).
3.
Culture-boundness of phraseological meaning
Culture-boundness of referential phrasemes can be approached through studying elements of their phraseological meaning and usage (3.1) as well as through the way in which they participate in the structuring of semantic fields (3.2). The problems raised are not different in principle from those of studying the culture-boundness of single lexemes or the lexicon in general. 3.1. Denotation, connotation and stylistic markedness Referential phrasemes may themselves denote cultural matters such as customs or role behaviour. In this case, their boundness to a culture at a particular moment in history may be revealed when the phraseme undergoes some change (1) in usage or (2) in meaning, as is
596
XIII. Phraseme im Sprachgebrauch und in der Übersetzung/Contrastive phraseology and translation
suggested by individual examples dispersed throughout the literature; there are no comprehensive studies. Changes in usage could include: the phraseme is becoming old-fashioned; it is predominantly used in a humorous or ironic way, thereby indicating the speaker’s distance; certain restrictions on usage, e.g. with regard to gender, are beginning to be observed less. Changes in meaning may point to a cultural change when the meaning generalizes in such a way as to exclude precisely the culturally relevant component. A combination of these aspects is the case with the following German idioms denoting former instances of gender-related social behaviour: jdm den Hof machen, “to court (a woman)”, marked as “old-fashioned” in the dictionary (Duden 11); jdn unter die Haube bringen, typically: “to find a husband for s.o., i.e. one’s daughter/a woman”, more generally: “to find a marriage partner for s. o.”; in addition, the entire phraseme is marked as “humorous” (Duden 11). Of prime importance to considerations of cultural boundness are negative and positive connotations, since one of the major functions of phrasemes, in particular of idiomatic phrasemes, is connected with the attitudinal and expressive dimensions of language. Connotations are manifestations of collective attitudes to that which is denoted. This can be exemplified with British English to wear the trousers, “be the person who makes most of the decisions in a relationship”, which is often used “disapprovingly” of a woman; in this case it is implied that the behaviour runs counter to expected role behaviour. An example of how negative connotations of Russian idioms may be interpreted in terms of societal values is provided by Teliya (1998, 788). A special case is when the connotation or stylistic markedness of idioms can be related to cultural factors through an interpretation of their literal meaning in cultural terms (cf. 2). Thus idioms which, when said of a woman as opposed to a man, may develop an additional, pejorative meaning due to the fact that they are motivated by the description of an activity which is evaluated differently in view of expected male – female role behaviour (examples in Piirainen 1999b, 155). Norms of female behaviour are also inferred from a group of Russian idioms in Teliya/Bragina/Oparina/ Sandomirskaya (1998, 61), albeit in rather different descriptive terms.
The intimate connections between connotations, collective norms and attitudes, in particular societal taboos, and euphemistic expressions – including idioms – are outlined by Hessky (2001, 170ff.), who, in addition, points out the importance of distinguishing between the expression of individual attitude and the coding of collective attitudes. Only the latter are of interest to culture-boundness in phraseology. The connection between euphemisms and idioms has been dealt with in more detail in the context of dialectology (Piirainen 2000, 356ff.). It is also briefly mentioned in Röhrich (1992, I, 38). Connections between taboos and stylistic markedness have also been observed: phrasemes may be marked as “vulgar” when their literal basis touches upon a societal taboo, such as eating horse meat (Piirainen 2000, 369; 2002, 221). Dimensions of usage and ongoing changes are important indications of culture-boundness, transcending the study of the form and meaning of an expression as recorded in the dictionary. Such questions would have to be empirically investigated in a systematic way and by studying corpora from different periods. A different meaning of connotation, also referred to as cultural connotation in the East European tradition (e.g. Bragina 1998, 58), concerns what may be evoked by a particular linguistic expression for members of the group or society. These “key terms of culture” may enter into the construction of restricted collocations, of which they typically constitute the base. Russian examples include, literally, ‘sinful/satanic pride’, ‘a woman’s/maiden’s pride’, and ‘motherly care’. Bragina (1996, 200ff.; 1998, 57ff.) and Teliya/Bragina/Oparina/Sandomirskaya (1998, 59ff.) propose to study such collocations in terms of cultural presuppositions and stereotypes. 3.2. Semantic fields It has been noted repeatedly that certain semantic fields in some languages or varieties are structured by a remarkably high number of phrasemes. Semantic fields include that which is referred to in cognitive linguistics as target domains, these being the result of metaphoric processes (see 4.2.1). The profusion of phrasemes in the fields concerned is generally interpreted as indicating that the domain in question is of special importance to the group (e.g. Piirainen 2000, 111). Depending on the particular domain and the style and
50. Culture-boundness and problems of cross-cultural phraseology
motivation of the phrasemes included, explanations offered are in terms of societal taboo and the need for euphemisms (e.g. Piñel 2003, 229–300). Semantic fields as structured by idioms have received particular attention in the context of dialectology; comparatively little attention has been devoted to them regarding the major languages. Examples of semantic fields investigated include: piety, death, stupidity, poverty and pregnancy in Westmunsterlandic (Piirainen 2000, 106ff.); poverty, stupidity and drunkenness in Lëtzebuergesch (Filatkina 2002, 48ff.); death with reference to Spanish and German (Piñel 2003, 230ff.). A detailed empirical study of phrasemes in the field of death in regional varieties of colloquial German is provided by Piirainen (2002, 213ff.); the study is based on data collected with the help of questionnaires and includes neologisms and young people’s slang (e.g. Er ist jetzt bei Elvis, ‘He is now with Elvis’). It is tempting to interpret some of these findings in terms of taboos or negative societal attitudes towards the domain in question, e.g. in the case of phrasemes denoting unwanted pregnancy, by recurrent reference to physical injury in their motivational base (Piirainen 1999b, 149; 155). However, establishing such immediate links between language and culture is problematical and likely to require a number of intervening steps. Firstly, the existence of certain collective attitudes and taboos would need to be corroborated by other than linguistic data; it cannot be derived from the linguistic expressions and their connotations alone, and alternative explanations of linguistic data should be taken into account (for phrasemes referring to death see Piirainen 2002, 217). Secondly, when interpreting the linguistic structuring of a semantic field in cultural terms, it seems problematical to consider phrasemes only; rather, the totality of linguistic expressions should be taken into account. (For comprehensive approaches along these lines see the comparative studies on jealousy and envy as expressed in German and Russian, Sjuvalova/ Stedje (1997, 123), suggesting that envy is more clearly seen as a vice in Russian than in German, and on laziness in German and Swedish, Skog-Södersved/Stedje (1997, 160), revealing a tendency towards a somewhat more marked stigmatization of laziness in the German language.) Thirdly, the profusion of – very often, stylistically marked or pejora-
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tively connotated – phrasemes in a particular field would first of all have to be related to one of the raisons d’être of phrasemes in any language, which is precisely to enrich the lexicon with possibilities of expressing attitudes and emotions.
4.
Cross-linguistic and cross-cultural comparison
In the preceding presentation (sections 2 and 3) of some of the ways in which referential phrasemes can be related to domains of culture, the boundness to a particular culture or cultural area is typically presupposed. There are, however, methods for discovering and delimiting instances of culture-boundness as such, prior to investigating the way in which the phrasemes under discussion are bound to the culture in question. The heuristics involve comparing sections of different phraseologies. Corresponding approaches, each with its own focus of study and analytical tools, are dealt with in the following section. It should be remembered that the object of comparison are not pairs of single phrasemes. The contribution in this case to the question of cross-cultural comparison would be very limited and of a somewhat anecdotal nature. It would only allow statements of the kind that for some culturally bound examples (e.g. Spanish prometer el oro y el moro, see 2.3.5) the corresponding expression in the language compared lacks the cultural connotation of the Spanish phrase. No conclusions as to cultural relevance, e.g. as to a particular world-view, can be drawn on the basis of paired single examples. Therefore, the objects of comparison are groups of phenomena: a type of motivation (4.1), or comparable source domains and comparable fields of phraseological meanings in their criss-cross connections (4.2). Patterns and sets of pragmatic strategies are involved in the comparison of routine formulae (5). 4.1. Comparing symbolic motivation: the cultural semiotics approach Working within the theoretical framework of the semiotics of culture as developed by the Moscow and Tartu School, Dobrovol’skij/ Piirainen (1997; 1998; 1999) propose a model for the study of symbols in language. Analyses in terms of cultural semiotics are also included by Teliya (1998, 784) who proposes, as one possible way of explicating the cultural relevance of phrasemes, interpreting their
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XIII. Phraseme im Sprachgebrauch und in der Übersetzung/Contrastive phraseology and translation
“figurative basis” against the background of the semiotic cultural “space” of a given linguistic community. The cultural semiotics approach aims at establishing links with the study of symbols in cultural domains other than language while at the same time providing a framework for cross-linguistic and cross-cultural analyses. The starting point is the observation that there are instances of figurative uses of language, very often in idioms and proverbs, that cannot be explained by the mechanisms essentially underlying metaphor, i.e. by (initially) perceived similarities between a source and a target concept in immediate experience. Rather, such instances of figurativeness have to be looked upon as essentially mediated by culture and tradition; they are “cultural taxons” preserved and transmitted by phrasemes (Teliya 1998, 788). Thus, certain objects and animals have traditionally been endowed with particular qualities and abilities in popular beliefs, myths and legends, fables, fairy-tales, or biblical stories, and sometimes even in contemporary films, comic strips and cartoons. According to the conception of the semiotics of culture, such domains of tradition are examples of a culture’s texts in a specifically semiotic sense, i.e. of “cultural codes”, of “secondary modelling systems”, which are “supplementary superstructures based on natural language”; their totality makes up culture (e.g. Dobrovol’skij/Piirainen 1998, 7). For instance, there is a long tradition in European cultures of conceiving of the fox as clever and cunning (as in: He’s a wily old fox) or of associating the colour black with misfortune and villainy (as in: not as black as it is painted). In order to take into account this special kind of figurativeness, Dobrovol’skij (2001, 90ff.; see also Dobrovol’skij/Piirainen 1997, 110ff.; 1998, 8) distinguishes two types of figurative meaning, or types of semantic motivation: metaphoric motivation proper, based on immediate experience and perceived similarity, and symbolic motivation, based on conventions as transmitted by traditions and their requisite rules. The distinction is not always clear-cut, since many symbols, especially of animals, are in fact ultimately rooted in experience or may at least be conceived of as such (as in a snake in the grass, Dobrovol’skij/Piirainen 1999, 68). In a large-scale study (Dobrovol’skij/Piirainen 1997), the phraseologies of a number of languages (Russian; Fin-
nish; Japanese; several Germanic languages, including English) have been analyzed with regard to the symbolic functions of constituents from three domains: animal terms, colour terms and numbers. The symbolic functions discovered are then compared with those of corresponding items in cultural codes other than language proper, revealing correspondences (so-called symbols par excellence, e.g. white, representing positive qualities) or differences (symbols in language only, e.g. pink or rose; or symbols existing only in some other domain of culture; Dobrovol’skij/Piirainen 1997, 240; 259). A cross-linguistic and crosscultural comparison shows that certain symbolic functions are limited to particular languages. Only in Finnish and Swedish phrasemes does the bear occur as a symbol of danger, malice and aggressiveness. This is in accordance with the representation of the bear in the Finnish epic poem Kalevala (an example of a “linguistic monument”, see 1.2), where it is treated with reverence. The symbolic meaning also corresponds to the treatment of the bear in ancient cults of the bear (Dobrovol’skij/Piirainen 1999, 79–80). In the present-day consciousness of the average Finn, however, such concepts are somewhat on the retreat. One difficulty of cross-linguistic comparison is the fact that the degree of familiarity of the phrasemes compared may differ. However, the approach is synchronically oriented in the sense that it aims at considering only symbols that are firmly established in present-day language (Dobrovol’skij/Piirainen 1999, 67). Similarly, it favours synchronically perceived motivating links between the literal and the figurative levels over links established by etymological research. In both respects, it manifests its affinity to cognitive approaches (see 4.2). Generally speaking, the analysis of symbols underlines the potential of phrasemes for maintaining and passing on conceptual categories of culture. Compare also article 16. 4.2. Comparison of concepts, of metaphoric models, and of metonymic models. 4.2.1. Major analytical tools of cognitive linguistics have been applied to questions of culture-boundness and cross-cultural phraseology. However, not all authors using these or similar analytical tools necessarily subscribe to the cognitive paradigm in toto. The tools applied are:
50. Culture-boundness and problems of cross-cultural phraseology
(1) Cognitive models, or concepts. These are models of conceptual structures, essentially in the form of frames and scripts, representing knowledge associated with lexical units that is available to speakers (Piirainen 1998, 682; Burger 2003, 85–86). As analytical tools, they are useful to phraseology for establishing links between phrasemes whose motivational bases make use of different elements or scenes from the same concept. (2) Conceptual metaphors, or metaphoric models. These constitute patterns underlying “surface” metaphors in multi-word as well as single-word lexical units. In the tradition of Lakoff/Johnson (1980), conceptual metaphors involve relating a source domain, consisting of one or a number of concepts, to a target domain by mapping the structure of the one onto the other, e.g. MENTAL RETARDATION IS PHYSICAL RETARDATION (cf. Piirainen 1998, 684), or STUPIDITY IS A HEAD INJURY (cf. Filatkina 2002, 48). Alternative terms proposed include metaphoric models (cf. Burger 2003, 85) and basic metaphors (Teliya 1998, 788). The advantage of these terms is that they do not make any implications as to the models’ psychological reality prior to this having been demonstrated. Neither of the terms, however, makes explicit reference to metonymic models, which are nevertheless to be found in the analyses, e.g. POVERTY IS LACK OF FOOD (Filatkina 2002, 41), or TO DEPRIVE SOMEONE OF THE FREEDOM OF WILL IS TO DEPRIVE HIM OF THE FREEDOM OF ACTION (cf. Teliya 1998,
788). There are two possibilities of dealing with concepts and models abstracted from phraseological data:
1) Within the cognitive paradigm proper, they are typically interpreted as revealing conceptual structures and modes of conceptualizing underlying language, and hence, to be part of a group’s or society’s world-view. In particular, metaphoric models are assumed to be a pattern of thought of synchronic relevance, a living ingredient of a world-view (“a collective conceptual system shared by most speakers”, Liu 2002, 19). However, even when supported by considerations of familiarity and currency, such conclusions seem problematical, in the same way as it is not possible to conclude, for example, that the naive worldview underlying the commonly used collocations the sun rises/goes down/sets corresponds to the current world-view of speakers of English.
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2) Alternatively, the concepts and models abstracted may be looked upon as traditions of conceptualization, without any implications as to their psychological reality and synchronic relevance. One may then set out to investigate factors of cultural history that might account for the fact that the same concepts and models keep reoccurring over time (e.g. Teliya 1998, 790; Rakusan 2000, 276–277). If, however, the interest is in source domains as they are conceived of synchronically (as opposed to domains of origin as reconstructed by etymology and cultural history), then this entails providing empirical evidence for the speakers’ interpretation of the phrasemes’ motivational base and the knowledge they associate with it at a particular moment in time. Arguments and means provided to this end are: evidence of productivity (neologistic phrasemes making use of the same concept or metaphoric model; Filatkina 2002, 44); questionnaires on the familiarity of the idioms and especially interviews and discussions eliciting what speakers consider to be the motivating link in a phraseme on the basis of their knowledge of the objects and domains referred to (Piirainen 2000, 47–48; Filatkina 2002, 36; 41). One may also combine the interest in source domains as conceived of synchronically and in domains of origin by asking whether a domain of origin is still accessible to speakers and part of their knowledge. The comparison of the phraseologies of varieties or languages has been applied to concepts (see 4.2.2) and to metaphoric and metonymic models (see 4.2.3). 4.2.2. In a comparison of concepts, a concept underlying a number of phrasemes in one variety or language is compared with a referentially similar concept underlying phrasemes in another variety or language, irrespective of the phraseological meanings involved. This procedure has been applied by Piirainen (1999a, 120ff.) with regard to concepts of a HOUSE in idioms of two Germanic varieties: that of the traditional farmhouse in Westmunsterlandic as opposed to that of Standard German. Empirical evidence is provided that the concept of the traditional farmhouse which underlies the idioms in question is still available to a majority of dialect speakers and, furthermore, that it is very different from that associated by speakers of Standard German (as well as, incidentally, by speakers of other European languages) with their idioms: for
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XIII. Phraseme im Sprachgebrauch und in der Übersetzung/Contrastive phraseology and translation
them it is typically the urban type of house with rooms, walls and a ceiling. This is, however, not to say that the concepts of a house as such are different for the groups in question, which would amount to a clear cognitive difference. The real life experience, which contributes to the formation of concepts, is not confined to the images preserved in phrasemes. Rather, it is first and foremost the concepts associated with the idioms which are different. – What, then, is the cultural significance of these findings? Firstly, availability of a concept to a majority of speakers is a culturally relevant fact: the items in question are still part of the collective memory. Secondly, the idioms themselves are relevant to culture in that they potentially evoke and transmit a piece of cultural knowledge. To what extent they actually do this, is an open question: it depends on whether the ongoing task requires activating the motivational base and associated knowledge. Thirdly, it may be argued that knowledge components are part of the “cognitive system” of speakers and their mental model of the world. Investigations such as these contribute to the more general question of how the objects and domains of a culture’s experience are reflected in its phraseology. 4.2.3. In a comparison of metaphoric and metonymic models in different phraseologies, the essential question is the following: Which source domains are preferably linked to which target domains (more generally: semantic fields of phraseological meanings) in one phraseology as opposed to another? Are there specific models which do not have a counterpart in the languages under consideration? Metaphoric and metonymic models, being abstractions, are often of a very general nature. The probability of discovering differences, therefore, increases when the domains investigated are comparatively restricted. In principle, there are two possible directions. The first is to start from similar source domains and to compare the target domains linked to them in the languages concerned. The second is to start from comparable target domains and compare the corresponding source domains that are drawn upon in the languages concerned. Both approaches may also be combined. Examples of studies: (1) Rakusan (2000, 266ff.) compares the metaphoric potential of animal terms in Czech and English with regard to the expres-
sion of human nature and physical characteristics (metaphoric model: THE HUMAN IS AN ANIMAL). The study is limited to a specific subtype of phrasemes, i.e. similes, as they are found in dictionaries. In both languages, animal terms (source domain) are projected onto three semantic fields, with some differences in their respective proportions: the physical (to have cat’s eyes), the mental (to be as timid as a doe) and the social domain (to charge like a bull). A comparison of the animal terms making up the source domains in Czech and in English reveals that there is a greater frequency of farm animals in Czech as opposed to a comparatively greater importance of seabirds in English. There are, in addition, differences in the metaphoric potential of these animal terms, as shown by the number of target domains in which they participate. The differences observed are interpreted, among others, in terms of differences in living environments (“habitat”) and “traditions”: agriculture for Czech as opposed to hunting and seafaring for English. Furthermore, the quantitative differences in the linguistic data are taken as indicating a different perception of the animals as such and different relationships with them. (2) Metaphoric and metonymic models specific to one language can be discovered by analysing groups of phrasemes belonging to a similar target domain (more generally: semantic field) in different languages and by comparing the models accounting for the phraseological subsections in the languages in question. Thus, Piirainen (1998, 687ff.) postulates two models accounting for phrasemes expressing poverty in Westmunsterlandic: model A: POVERTY IS LACK OF RESOURCES, such as clothing or food, which may in turn be connected with the harvest results; model B: POVERTY IS LACK OF SPACE. Whereas model A can also be found in Standard German (as well as, incidentally, in Lëtzebuergesch, see Filatkina (2002, 41): POVERTY IS LACK OF FOOD), model B is absent from it. More precisely still, its source domain, LACK OF SPACE, can very well be identified in Standard German, but it is linked to different target domains (Piirainen 1998, 689). (3) In studies which, in addition, tie in with the study of metaphor in general, similar methods are considered as a means of finding “dominant metaphors” in different languages and within a comparable semantic field, which is itself related to a domain of dis-
50. Culture-boundness and problems of cross-cultural phraseology
course. Thus, Liu (2002, 111ff.) examines paired expressions in American English and Chinese with a similar figurative meaning, including phrasemes, and compares the metaphors used in both languages. One conclusion is that in a domain of discourse such as politics, there is a dominance of expressions with sports metaphors in American English as opposed to family and eating metaphors in Chinese. The linguistic facts are interpreted in cognitive terms and considered as manifestations of current ways of seeing the world, as part of Chinese or American “consciousness”. The underlying assumption is that of a direct connection between metaphor and experience. In addition, the dominance of source domains such as family and eating in Chinese is explained by recourse to cultural history and philosophy (Liu 2002, 55ff.). There are some difficulties in the approaches outlined. Comparing abstract models depends on categorizing idiomatic phrasemes as an exponent of a particular model; this, however, is a matter of interpretation and it may be difficult to reach a consensus. The assumption in some studies that such models are a mirror of speakers’ current consciousness needs further examination. When establishing the cultural relevance of the differences found, there is the danger of a biased selection of arguments in confirmation of the hypothesis advanced (see also 5).
5.
Routine formulae: culture-boundness and cross-cultural comparison
Routine formulae, also referred to as pragmatic, or communicative, phrasemes, are basically associated with cultural dimensions in two ways. Firstly, they are themselves a part of a group’s or a society’s behavioural and interactive routines in that they serve to perform conventionalized speech acts or acts related to various levels of discourse management, or in that they serve to invoke, for example by way of a stereotypical comment, that which has come to be commonly accepted, thereby contributing to reinforcing group identity. Secondly, it is by their usage as well as by their form, i.e. their wording, that routine formulae convey cultural information, pointing to norms of interaction, common assumptions and modes of experiencing the world, or deeper values and attitudes.
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From among the many types of routine formulae, the focus of studies taking into account cultural and cross-cultural aspects has been on formulaic speech acts and formulaic components in speech act sets. The study of their culture-boundness was preceded by research in ethnography (e.g. Gumperz 1978) as well as contrastive and cross-cultural pragmatics (Blum-Kulka/House/Kasper 1989), which provided accounts of similarities and differences in the realization patterns of speech acts in and across different languages or speech communities, demonstrating that cultures differ considerably in their preferences for modes of speech act behaviour. These are sometimes also referred to as interactional styles (Blum-Kulka/House/Kasper 1989, 1; 7). But in order to investigate culture-boundness, it is necessary to go beyond a mere account of differences and provide in addition explicit links between routine formulae as an instance of norms of linguistic usage, on the one hand, and certain aspects of culture, on the other. Studies of this kind focus on a single formula as an example, or they investigate formulae in the context of a larger topic. A notable area of pragmatic research has been that of politeness, as initiated by Brown/Levinson (1978; 1987; see the bibliography of DuFon/Kasper/Takahashi/Yoshinaga 1994) with a concomitant discussion of culture in terms of face-wants. The following proposals for explicating links between routine formulae and culture can be discerned: (1) Analyzing the conditions of use of a routine formula or groups of formulae. This is done in terms ultimately derived from the classical questions of sociolinguistic and pragmatic analyses, i.e. who uses it to whom, on what occasion and why. This analysis can be applied (i) to individual formula, an example being He’s old enough to be your father (Kuiper/Tan Gek Lin 1989, 282). When used, the formula implies particular norms of behaviour, in this case disapproval of younger women who have sexual relationships with older men. This may in turn be related to a social taboo. Information of this kind is useful as a pragmatic comment on a formula for the purposes of lexicography. Another example of a particularly elaborate analysis is that of the formula C’est la crise as used in Cameroon (Kokemohr 1994, 235ff.). This versatile comment is rooted in a collective mode of experiencing the world; its
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XIII. Phraseme im Sprachgebrauch und in der Übersetzung/Contrastive phraseology and translation
repeated use in many different situations serves to evoke and reinforce group identity in interaction. Conditions of use may also be analyzed with regard to (ii) functionally equivalent routine formulae in different languages or cultures, with the aim of uncovering underlying values and attitudes. With this aim in mind, Wierzbicka (1992, 389ff.) analyses the use of Australian English Good on you (..., mate), in contrast to the pan-English expressions Well done and Congratulations, observing that the Australian English formula is used more for commenting on the attitude and qualities which the addressee has demonstrated by means of an action, and rather less for commenting on the action itself. This is interpreted as providing “linguistic confirmation of the view that the Australian ethos values attitudes (such as ”toughness“) more than success” (Wierzbicka 1992, 390). Insight can also be gained by considering (iii) groups of functionally related formulae while at the same time explicating the underlying concept of culture. An example is the study by Kuiper/Tan Gek Lin (1989) on a range of politeness formulae as used in Singapore English by bilingual speakers. The study draws on the theory of face as presented in the original version by Brown/Levinson (1978). Singapore English, especially its basilectal variants, is characterized by a large amount of borrowing from Hokkien, a variety of the Chinese contact language. As shown by an analysis of conversations, routine formulae are borrowed together with their rules of usage, in particular the culture-specific features of facework. An example provided is that of the numerous variants of the before meal formula, a type of respectful address to elders and hosts, arising from the behavioural requirement in Chinese culture for younger people to defer to aged relatives, or older people generally. This study, incidentally, also underlines the necessity for distinguishing between language and culture, for “what will appear on the outside as the same language [in this case: English] may actually code a very different culture” (Kuiper/Tan Gek Lin 1989, 304). – Schellbach-Kopra (1991, 214ff.) compares the formulaic expression of thanks in Finnish and German on the background of a general preference for negative politeness strategies in Finnish. (2) Another type of approach focuses on speech act sets of formulae or strategies
which regularly co-occur in the act in question, such as a request or an apology (for speech act sets see Olshtain/Cohen 1983; Blum-Kulka/House/Kasper 1989, 12; 289). In a search for culture-boundness, it is assumed that the (preferred) choice of a routine formula for the realization of a particular strategy within a set of strategies as well as the (preferred) linguistic realization of this formula, i. e. its exact wording, are culturally bound in that they are related to fundamental culturespecific values and attitudes. In particular, such an analysis involves interpreting the form and literal meaning of a routine formula, which in principle is similar to investigating the motivation of idiomatic phrasemes in cultural terms. This runs counter to the traditional view, according to which the literal meaning of a routine formula is a matter of convention only and has been completely superseded by its pragmatic function. An example of this kind of analysis is the investigation of apologies in English, Hungarian and Polish by Suszcyńska (1999, 1056ff.). Data for the study were collected by means of a discourse completion test, which yielded differences such as the following: the so-called illocutionary force indicating device (IFID), i.e. the obligatory kernel component of the entire act of an apologetic response, is typically realized in American English by the formula I’m (very/ so/...) sorry, a speaker-oriented expression of regret, whereas in Polish the kernel component is typically realized as, literally, Don’t be angry/Forgive me, which is a request for forgiveness and, as such, addressee-oriented. These differences are considered non-arbitrary. They are ultimately explained in terms of a different valuation of distance in AngloSaxon countries, where it is a positive value, being associated with a respect for autonomy, as opposed to Eastern European countries, where distance is associated with hostility and where more emphasis is placed on displaying emotional involvement. Furthermore, this interpretation is related to a similar interpretation of other linguistic phenomena as provided, for example, by Wierzbicka (1985, 150ff.). One of the difficulties of this approach is how to avoid an ad hoc explanation of the literal meaning in cultural terms, or, on a more general level, how to validate the interpretation offered. Mere reference to interpretations of other linguistic data in similar terms is not sufficient. Firstly, there is the danger of a
50. Culture-boundness and problems of cross-cultural phraseology
biased selection of data and arguments in confirmation of the hypothesis advanced (see 4.2.3). Secondly, a truly interdisciplinary approach requires going beyond linguistic evidence alone. As far as the choice of descriptive terms and dimensions of culture is concerned, the terms should make use of, or be explicitly linked to, concepts as defined within a conception of culture.
6.
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Annette Sabban, Hildesheim (Germany)
51. Probleme der Übersetzung von Phrasemen 1. 2. 3. 4. 5. 6.
1.
Kontrastiver Ausgangspunkt: phraseologische Entsprechungstypen Übersetzungswissenschaftlicher Ausgangspunkt: Phraseme im Text Lokalisierung phraseologischer Übersetzungsprobleme: Phraseoaktivität und phraseologischer Mehrwert Textsortenspezifische Aspekte Perspektiven der Analyse und Beispiele Literatur (in Auswahl)
Kontrastiver Ausgangspunkt: phraseologische Entsprechungstypen
Ausgangspunkt der Beschreibung der Übersetzungsproblematik bei Phrasemen sind die Befunde der kontrastiven Phraseologie. Auf systematischer, langue-bezogener Ebene unterscheidet man phraseologische Entsprechungstypen, wobei denotative (semantische) Äquivalenz als Grundbedingung für die Zuordnung von L2- zu L1-Phrasemen gilt. In der Fachliteratur sind unterschiedliche Klassifikationen vorgeschlagen worden (vgl. etwa Korhonen 1991, Dobrovol’skij 1988, 58ff., Hessky 1987, Kammer 1985, Földes 1996, 118ff., Korhonen/Wotjak 2001); sie lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: a)
1:1-Entsprechung (totale Äquivalenz)
Kriterien: semantische Äquivalenz, (weitgehend) übereinstimmende lexikalische Besetzung und syntaktische Struktur, keine oder nur minimale konnotative Unterschiede. Beispiele: dt. Schritt für Schritt – fr. pas à pas,
dt. eine Rolle spielen – fr. jouer un rôle, dt. in den sauren Apfel beißen – norw. bite i det sure eplet, dt. seine Hand für etw. ins Feuer legen – engl. put one’s hand into the fire for s.th. b)
1:Substitutions-Entsprechung (Ersetzung durch ein anderes Phrasem, Substitutions-Äquivalenz)
Kriterien: semantische Äquivalenz, unterschiedliche lexikalische Besetzung, keine oder nur geringfügige konnotative Unterschiede. Beispiele: engl. hot potatoe – dt. heißes Eisen, fr. passer un savon à q. – dt. jm. den Kopf waschen, dt. die Flinte ins Korn werfen – engl. throw in the towel. c)
1:Teil-Entsprechung (partielle Äquivalenz)
Kriterien: semantische Äquivalenz, geringfügige Unterschiede in der lexikalischen Besetzung und/oder der syntaktischen Struktur und/oder konnotative Unterschiede. Beispiele: norw. toe sine hender “seine Hände waschen” – dt. seine Hände IN UNSCHULD waschen, dt. im Laufe der Zeit – fr. avec le temps, engl. by a pig in a poke – dt. die Katze im Sack kaufen, dt. jn. grün und blau schlagen – engl. beat one black and blue. d)
1:Null-Entsprechung (Null-Äquivalenz)
Kriterium: in L2 gibt es kein semantisch äquivalentes Phrasem. Beispiele: norw. ha sine svin på skogen ‘fragwürdige Angelegenhei-
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XIII. Phraseme im Sprachgebrauch und in der Übersetzung/Contrastive phraseology and translation
ten zu verbergen haben’, wörtlich “seine Schweine im Wald haben” – dt. ? (je nach Kontext wären allerdings folgende Entsprechungen in Betracht zu ziehen: Leichen im Keller haben, Dreck am Stecken haben). Im Falle der Null-Äquivalenz muss das L1-Phrasem in L2 paraphrasiert werden, entweder in Form eines Lexems oder eines Syntagmas. Beispiel: dt. das Herz auf der Zunge haben – schwed. vara öppenhjärtig ‘offenherzig sein’. Wichtiges Untersuchungsfeld für die kontrastive Phraseologie sind die sog. falschen Freunde/faux amis (Földes 1996, 127ff. spricht von Pseudo-, Korhonen/Wotjak 2001, 228 von Scheinäquivalenz), d.h. L2- und L1Phraseme stimmen strukturell und in ihrem lexikalischen Bestand (mehr oder weniger) miteinander überein, sie unterscheiden sich aber in ihren Bedeutungen partiell oder total (s. dazu Ettinger 1994, der den Begriff der phraseologischen faux amis allerdings weiter fasst). Beispiele: fr. suer sang et eau ‘sich große Mühe geben’ – dt. Blut und Wasser schwitzen ‘in großer Angst, Aufregung sein’, norw. bite i gresset ‘sich geschlagen geben’ – dt. ins Gras beißen ‘sterben’. Der systemlinguistische Ansatz in der kontrastiven Phraseologie ist dadurch gekennzeichnet, dass der denotativ-strukturelle Aspekt im Vordergrund steht. Komponenten textueller/intertextueller und pragmatischer, zum Teil auch konnotativer Art werden, wenn nicht ausgeklammert, so doch nur am Rande berücksichtigt, ganz zu schweigen von intralinguistischen Bedeutungen, die sich z.B. daraus ergeben, dass der betreffende Phraseologismus in einem phraseologischen “Feld” verankert ist oder durch seine Bildhaftigkeit Assoziationen zu anderen Phrasemen und Lexemen auslöst. Kontrastive Beschreibungen gehen in der Regel von Verwendungsweisen in neutralen Kontexten aus (Hessky 1987, 116); d.h. Phraseme werden als isolierte sprachliche Einheiten analysiert.
2.
Übersetzungswissenschaftlicher Ausgangspunkt: Phraseme im Text
Die übersetzungswissenschaftliche Beschreibung weitet die kontrastive Analyse von Phrasemen auf die Ebene des Textes, der parole, aus. In deskriptiver Hinsicht geht es darum zu untersuchen, wie Übersetzer in ihren Übersetzungen tatsächlich mit AS-Phrasemen umgehen (AS=Ausgangssprache, ZS=Ziel-
sprache). Während es beim kontrastiven Ansatz um Entsprechungen (Korrespondenzen) geht, stehen beim übersetzungsbezogenen Ansatz äquivalente Äußerungen im Vordergrund. Dabei sind sowohl die in kontrastiver Hinsicht problemlosen 1:1-Entsprechungen (wählt der Übersetzer tatsächlich die nahe liegende wörtliche Entsprechung in der ZS?), als auch die Substitutionen, die 1:Teil- und die 1:Null-Entsprechungen von Interesse. Eine solche korpusbasierte Untersuchung legt etwa Higi-Wydler (1989) vor, in der deutschfranzösische Übersetzungsfälle (aus 10 Romanen und Erzählungen der deutschen Nachkriegsliteratur) in eine verfeinerte kontrastive Klassifikation eingeordnet werden (die Substitution wird dabei zur partiellen Äquivalenz gerechnet, mit der Begründung, dass sich ZSund AS-Phraseme in ihrer konnotativ relevanten Bildhaftigkeit unterscheiden). Im Bereich der partiellen Äquivalenz unterscheidet HigiWydler drei Fälle von Entsprechungen, wobei die konnotative Dimension (Expressivität, Bildhaftigkeit, Stilregister, Frequenz) ausschlaggebend ist: Idiome mit annähernd identischer Konnotation (dt. jm. den Mund stopfen – fr. clore le bec à q.), mit beschränkt ähnlicher Konnotation (dt. aus Fleisch und Blut – fr. en chair et en os) und mit verschiedener Konnotation (dt. scharf sein auf jn./etw. – fr. avoir envie de q./qc). Die Entsprechungen bei der Null-Äquivalenz werden den Kategorien (1.) Phraseologische (aber nicht idiomatische) Entsprechungen bzw. freie Mehrwortentsprechungen (dt. etwas läuten hören – fr. entendre dire qc., dt. sein Brot verdienen – fr. gagner sa vie) und (2.) Einwortentsprechungen (dt. mit jm. ins Bett gehen – fr. coucher avec q., dt. kurz und gut – fr. bref) zugeordnet. Diese ZS-Entsprechungen können sich wiederum hinsichtlich konnotativer Werte mehr oder weniger stark von den Idiomen der AS-Texte unterscheiden. In Übersetzungen finden sich nun allerdings nicht nur (mehr oder weniger) geglückte Lösungen phraseologischer Übersetzungsschwierigkeiten (es kommt immer wieder vor, dass AS-Phraseme in der ZS paraphrasiert werden, obwohl es phraseologische Entsprechungen gibt), sondern auch Beispiele für inadäquate oder falsche Wiedergaben, mit denen sich die Übersetzungskritik beschäftigt. Sie weisen auf unzureichende “phraseologische Kompetenz” der Übersetzer hin (viele Fehlleistungen sind allerdings auf den Zeitdruck zurückzuführen, unter dem
51. Probleme der Übersetzung von Phrasemen
Übersetzer oft arbeiten müssen). Neben offensichtlichen Übersetzungsfehlern/-schnitzern oder Inadäquatheiten (etwa bei der Übersetzung von Kollokationen), sind hier die “falschen Freunde” zu nennen, die sich vereinzelt sogar in Übersetzungen qualifizierter Übersetzer finden. In anderen Fällen wird der phraseologische Charakter eines AS-Ausdrucks verkannt und eine wörtliche Übersetzung geliefert. Falls die Bedeutung des ASPhrasems vom zugrunde liegenden Bild her stark motiviert ist, kann die phraseologische Bedeutung auch in der wörtlichen Übersetzung rekonstruiert werden; die Übersetzung ist in ihrer Bildhaftigkeit allerdings stärker als die Vorlage. In anderen Fällen sind wörtliche Übersetzungen nicht oder nur schwer verständlich: das wörtlich als seine Schweine im Wald haben ins Dt. übersetzte norw. Phrasem ha sine svin på skogen dürfte – obwohl sehr bildlich – in seiner phraseologischen Bedeutung kaum erschließbar sein. Und selbst wenn der Textzusammenhang den Leser auf die Spur der (annähernd) richtigen Bedeutung bringt, ist die Dekodierung des ZS-Textes aufwändiger als dies für den Leser des Originals der Fall ist.
3.
Lokalisierung phraseologischer Übersetzungsprobleme: Phraseoaktivität und phraseologischer Mehrwert
Die Übersetzungsproblematik bei Phrasemen hängt mit dem zusammen, was Gréciano (1994) so überaus prägnant als Phraseoaktivität bezeichnet. Für unsere Zwecke sei dieser Begriff weit definiert: es werden darunter alle Eigenschaften, Wirkungsmöglichkeiten und Funktionen von Phraseologismen verstanden, die sich im Text entfalten (können) und die über die denotative Dimension hinausgehen. Phraseme haben zusätzlich zur beschreibenden Komponente einen semantischen Mehrwert (Kühn 1985). Zu letzterem rechnet Sandig (1989, 388) expressive, wertende, emotionale und handlungsanweisende Komponenten, die “Idiome geeignet für charakteristische stilistische Verwendungen” machen. Übersetzungswissenschaftlich gefasst: es handelt sich bei der Phraseoaktivität um die textuell-konnotativen Werte von Phrasemen, die nicht nur die denotative, sondern auch die konnotative, die textnormative, die pragmatische und die formal-ästhetische Äquivalenz betreffen (zu diesen Äquivalenzrahmen, s. Koller 2001, 214ff.). Nachdrücklich sei aber
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auf die Feststellung von Hessky (1992, 90) hingewiesen, dass konnotative Bedeutungselemente den Sprachteilhabern unterschiedlich bewusst sind und ihre Wirkung kontextuell bedingt ist: “Ein und derselbe phraseologische Ausdruck kann in deutlich verschieden markierten Situationen oder Textsorten verschiedene Wirkung haben.” Das breite Spektrum dieser potentiellen Werte zeigt sich besonders deutlich in literarischen Texten, Werbetexten und politischen Texten. Jeder einzelne dieser Werte kann (aber muss natürlich nicht) ein Übersetzungsproblem darstellen, wenn in der jeweiligen Zielsprache keine phraseologische 1:1-Entsprechung vorliegt, mit der der betreffende Wert erhalten bleibt. Im Blick auf die unten angeführten Werte ist davon auszugehen, dass der Fall der 1:1-Entsprechung eher die Ausnahme darstellen dürfte, sind doch die sprachlich-stilistischen Voraussetzungen (mit ihren kulturellen, historischen, sozialen usw. Implikationen) in den verschiedenen Sprachen und Sprachkulturen, in die übersetzt wird, und im Blick auf die verschiedenen einzelsprachlichen und -kulturellen Textwelten unterschiedlich. Die übersetzungsrelevante Textanalyse ermittelt die in einem Text realisierten textuell-konnotativen Werte und bestimmt, wo diese in der Hierarchie der in der Übersetzung zu erhaltenden Werte platziert sind. Ohne Vollständigkeit anzustreben, seien diese Werte, die für die Übersetzung problematisch sein können, im Folgenden aufgelistet und kurz erläutert. Es wird ausgegangen vom Konzept des phraseologischen Mehrwerts (Mehrwert hinsichtlich der rein denotativen Komponente), wobei unterschieden wird zwischen dem konnotativen, dem textuellen, dem pragmatisch-rhetorischen und dem feldbedingten Mehrwert. 3.1. Konnotativer Mehrwert von Phrasemen Ein Blick in phraseologische Wörterbücher zeigt, dass viele Phraseme diaphasisch markiert sind: die Markierung umgangssprachlich kommt sehr häufig vor; es gibt aber auch zahlreiche Phraseme, die einer gehobenen (oft bildungssprachlichen) Schicht zuzuweisen sind. Durch Verwendung von umgangssprachlichen Phrasemen im geschriebenen Text kann Mündlichkeit “simuliert” werden (zeigt sich im Gebrauch von Phrasemen in der Figurenrede in Erzählungen und Romanen). Durch den Gebrauch von landesspezifischen und regionalen Phrasemen kann ein
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XIII. Phraseme im Sprachgebrauch und in der Übersetzung/Contrastive phraseology and translation
Text geographisch lokalisiert werden: in Deutschland (spezifisch binnendeutsche Phraseme), Österreich (s. dazu Földes 1992, Gautier 2001) oder der deutschen Schweiz (s. Burger 1996b). Viele Phraseme sind diachronisch markiert (veraltete, modische etc. Phraseme). Im Vergleich mit semantisch (mehr oder weniger) synonymen Einzellexemen stellen Phraseme expressive Konkurrenzformen dar (Fleischer/Michel/Starke 1993, 154ff.; Scheichl 1982). Diese Expressivität ist in der Bildhaftigkeit von Phrasemen begründet (s. Burger 1996a); sie lässt Phraseme im Vergleich mit nicht-idiomatischen Ausdrükken “emotionaler” wirken. Viele Phraseme verbalisieren tabuisierte Denotate auf verhüllend-euphemistische, verharmlosende, mildernde Art und Weise (Hessky 2001), andere wiederum haben einen humoristisch-ironischen Beiklang (Fleischer/Michel/Starke 1993, 154ff.). Schließlich ist auf die soziale Gebundenheit von Phrasemen hinzuweisen: ihr Gebrauch kennzeichnet Gruppen (z.B. jugendspezifische Phraseme) (Wotjak 1992, 29). 3.2. Textueller Mehrwert von Phrasemen Phraseme haben eine “textbildende Potenz” (Fleischer 1997, 13ff.), d.h. im Text werden die spezifischen semantisch-syntaktischen Eigenschaften von Phrasemen ausgenutzt. Diese Möglichkeiten der nicht-neutralen Verwendung von Phrasemen werden textgestalterisch eingesetzt (siehe dazu Sabban 1998). Folgende Möglichkeiten der Phrasemverfremdung sind in Betracht zu ziehen: a) Neben der phraseologischen Bedeutung wird zugleich die wörtliche, nicht-phraseologische Bedeutung des Ausdrucks aktualisiert – viele Sprachund Bildwitze machen sich diese Möglichkeit zunutze. b) Im Kontext werden einzelne Lexeme des Phrasems wieder aufgenommen durch wörtliche Wiederholung, durch Synonyme, Antonyme, Paraphrasen unterschiedlicher Art. c) Phraseme werden erweitert (durch Attribuierungen unterschiedlicher Art); diese Erweiterungen werden im Text weiter entfaltet. d) Phraseme werden verkürzt, wodurch sich Leerstellen ergeben, die im Text gefüllt werden (Beispiel: Schlagzeile/Überschrift zu einem Zeitungsbeitrag). e) Phraseme werden modifiziert. Vor welche Schwierigkeiten der Übersetzer durch den textuellen Mehrwert von Phrasemen gestellt wird, illustrieren Beispiele 4/5, unten.
3.3. Pragmatisch-rhetorischer Mehrwert von Phrasemen Viele Phraseme enthalten eine bewertende Komponente: sie beurteilen die mit ihnen erfassten Situationen, Handlungen und Verhaltensweisen als positiv oder negativ, als wünschenswert oder nicht, als gut oder schlecht (Sandig 1989). Die Analyse von Texten der politischen Berichterstattung und der Werbung zeigt, dass Phraseme eine Reihe rhetorischer Funktionen haben können: Übertragung, Anbiederung, Vereinfachung, Ersparung von Argumentation, Autoritätsbezug, Unschärfe, Anschaulichkeit (s. Koller 1985). Es zeigt sich auch, dass die als sprichwörtliche Redensarten bezeichneten Phraseme implizite Handlungsanweisungen und Situationsbeurteilungen enthalten (man soll die Flinte nicht gleich ins Korn werfen; im Berufsleben kommt es darauf an, am Ball zu bleiben). Die unter 3.2. genannten textuellen Verfahren der Phrasemverfremdung können dazu dienen, Aufmerksamkeit zu erregen, Interesse zu aktivieren und zu steuern (Rothkegel 2001, 216). Argumentation wird durch den Gebrauch von Phrasemen anschaulicher, einprägsamer und emotionaler gestaltet (Fleischer 1997, 220). Mit Phrasemen kann der Sender seine Einstellung zum geschilderten Sachverhalt und zu den beteiligten Kommunikationspartnern vermitteln (emotionale Beteiligung, ironische Distanzierung, Beziehungsgestaltung etc.) (Sandig 1989, Wotjak 1992, 29, Fleischer 1997, 218f.). Siehe dazu Beispiel 1. 3.4. Mehrwert, der sich aus der Verankerung von Phrasemen in Phrasemfeldern und phraseologischen Weltbildern ergibt Mit Phrasemen werden Welt und Umwelt, Sitten und Gebräuche, soziale Beziehungen, Einstellungen zu Sachverhalten und Menschen erfasst. Ein Blick in phraseologische Wörterbücher zeigt, dass einige Lexeme besonders phrasem-produktiv sind: Auge, Finger, Hand, Kopf, Wort etc. (Schemann 1993: CI). Diese Phraseme bilden Phrasemfelder. Falls sich nun, wie Dobrovol’skij (1992) und Dobrovol’skij/Piirainen (1992) annehmen, in Phrasemen und Phrasemfeldern phraseologische “Weltmodelle” widerspiegeln, die sprach- und kulturspezifisch sind, dann stellt sich das Übersetzungsproblem auf eine absolute Art und Weise: in den Phrasemen schlagen sich “muttersprachliche Weltbilder” nieder, die in anderen Sprachen nur metasprach-
51. Probleme der Übersetzung von Phrasemen
lich (erklärend-kommentierend), nicht aber objektsprachlich (direkt in Übersetzungen) vermittelt werden können. Der unübersetzbare Mehrwert besteht in der Verankerung von Phrasemen in den (einzel-)sprachlich vermittelten, naiv-vorwissenschaftlichen Weltauffassungen. Gegen diese Sichtweise ist allerdings starke Kritik geübt worden (Eismann 2001, 108 spricht von “kuriosen Konzeptionen von einem phraseologischen Weltbild”).
4.
Textsortenspezifische Aspekte
Der Faktor Textsorte spielt bei der Bestimmung der Mehrwert-Komponenten, die bei der Übersetzung zu erhalten sind, eine wichtige Rolle (zur funktionalistisch differenzierten Verwendung von Phrasemen, s. Fleischer 1997, 222ff.). Man vergleiche dazu folgendes Beispiel: Beispiel 1 (a)
(b)
So viel hat mich das Leben gelehrt: Nicht alle Typen von schlechten, aber auch nicht von sogenannten guten Handlungen lassen sich über den gleichen Leisten schlagen. Unsere Arbeit hat zur Kritik an den Handlungstheorien geführt: es sind unterschiedliche Handlungskonzepte anzunehmen; nicht alle Typen von Handlungen lassen sich über den gleichen Leisten schlagen. (Werlen 1984, 380)
Die Verwendung des Phrasems alles über einen/den gleichen Leisten schlagen (‘alles mit dem gleichen Maßstab messen; alles gleich behandeln, wobei wesentliche Unterschiede verwischt werden’) in (a) resp. (b) ist unter dem Aspekt der Übersetzung unterschiedlich zu beurteilen. In (a) steht die handlungsanweisende und -bewertende, d.h. die eigentlich sprichwörtliche Komponente im Vordergrund und ist übersetzungsrelevant (“man soll das nicht tun”); in (b), einem Satz aus einem Fachtext, ist das nicht oder nur sehr eingeschränkt der Fall. Man könnte den betreffenden Teilsatz in (b) ohne weiteres paraphrasieren mit: ‘es gibt verschiedene Typen von Handlungen’ oder ‘wie in dieser Untersuchung gezeigt worden ist, lassen sich verschiedene Typen von Handlungen unterscheiden’ oder ‘es geht darum, im Bereich der Handlungstypen zu differenzieren’ etc. Die Frage nach den stilistischen Funktionen von Idiomen in verschiedenen Textsorten, d.h. “wie sie verwendet werden und zwar wie sie charakteristisch für die Textsorte verwendet
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werden” (Sandig 1989, 389), ist also in höchstem Maße übersetzungsrelevant. In wissenschaftlichen Texten dürften Phraseme wie alles über einen Leisten schlagen in der Regel bloß eine “ornamentale” Funktion haben; von ihrem phraseologischen Bedeutungspotential (Mehrwert) entfalten sie nur wenig (immerhin machen sie den Fachtext stilistisch lebendiger und variierter). Im Unterschied dazu sind formal-ästhetische Qualitäten konstitutiv für literarische Texte: ein literarischer Text, der dieser Qualitäten verlustig geht, verliert an Literarizität. Sachtexte können dagegen auch in “ent-ästhetisierter” Form ihre Textfunktion(en) erfüllen. Oder wie es van den Broeck (1981, 84) im Zusammenhang mit der Frage nach der Übersetzbarkeit von Metaphern ausdrückt: “Finally it seems reasonable to assume that ‘decorative’ metaphors (as e.g., in journalistic prose) will impose lower requirements on the translator than ‘creative’ ones (as in poetry); to the degree that they are less relevant for the communicative function of the text – at least in so far as their ‘vehicles’ are concerned – they may often either be substituted by TL-specific equivalents or paraphrased.” Unter dem Aspekt der Übersetzung ist ein Phrasem wie in Beispiel 1(b) nicht als phraseologische Übersetzungsschwierigkeit zu betrachten: es kann nicht-phraseologisch übersetzt werden, ohne dass der Text als wissenschaftlicher Text etwas verliert. Im literarischen Text spielen phraseologischer Mehrwert, textinterne und -externe Bezüge, sprachlich-thematische Verflechtungen und Vernetzungen unterschiedlichster Art in der Regel eine ganz andere Rolle als in Sachtexten (zum kreativen Umgang mit Phrasemen in literarischen Texten, s. Fleischer 1997, 222ff., Wotjak 1992, 99ff.). Dazu Beispiel 2 (aus Henrik Ibsens “Wildente”, 1. Akt): Gregers deutet seinem Vater gegenüber an, dass sich dieser allzu stark für die ehemalige Haushälterin, Gina, interessiert hat. Gina ist jetzt verheiratet mit Gregers’ Schulfreund Hjalmar Ekdal, dem Sohn des alten Ekdal, der wegen einer undurchsichtigen Sache (Abholzung von staatlichem Wald) ins Gefängnis musste. Gregers deutet an, dass die Tochter von Hjalmar und Gina ein außereheliches Kind seines Vaters ist. Auf die Frage, von wem er das alles gehört habe, antwortet Hjalmar, es sei die Mutter. Der Dialog geht folgendermaßen weiter:
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XIII. Phraseme im Sprachgebrauch und in der Übersetzung/Contrastive phraseology and translation
Beispiel 2 Werle. Din mor! [...] Det var hende, som fra først af fik dit sind vendt bort ifra mig. Gregers. Nej, det var alt det, hun måtte lide og døje, til hun bukked under og gik så ynkelig til grunde. [Übersetzung von H. E. Gerlach 1958:] Werle. Deine Mutter! [...] Sie war es, die dich mir von Anfang an entfremdet hat. Gregers. Nein, nicht sie – sondern all das, was sie leiden und erdulden mußte, bis sie es nicht mehr ertrug und so jämmerlich zugrunde ging. [Übersetzung von Rolf Fjelde 1965:] Werle. Your mother! [...] It was she who, right from the start, turned your mind against me. Gregers. No. It was everything she had to suffer and endure until she broke down and died so miserably.
Die Mehrzahl der dt. Übersetzungen (gegen ein Dutzend im Laufe von über 100 Jahren) verwendet das Phrasem zu Grunde gehen/zugrunde gehen, d.h. die 1:1-Entsprechung zu norw. å gå til grunne. In einem unmarkierten, neutralen Kontext denkt man nicht daran, dass Grund in zu Grunde gehen zu tun haben könnte mit der konkreten Bedeutung ‘Erdboden, Boden eines Gewässers’. Das phraseologische Umfeld, zu dem auch die Ausdrücke einer Sache auf den Grund gehen/kommen gehören, wird wohl kaum aktiviert (das Phrasemfeld umfasst außerdem festen Grund unter den Füßen haben, von Grund auf/aus, im Grunde genommen). Nun laufen aber Ibsens Menschen, die den Dingen auf den Grund gehen, Gefahr, zu Grunde zu gehen oder andere zu Grunde zu richten. So wie die Mutter von Gregers, die ihr Wissen nicht erträgt und stirbt/untergeht (hun bukket under), und wie Gregers, dessen “Jagd” nach der Wahrheit tragische Folgen hat. Selbstverständlich handelt es sich bei der zusätzlichen intralinguistischen Bedeutung von zu Grunde gehen, die sich durch den innersprachlichen Bezug auf einer Sache auf den Grund gehen ergibt, nur um einen potentiellen Bezug; ob er von den Lesern/Hörern tatsächlich realisiert wird, ist eine andere Frage. Die Einzelsprachspezifik solcher intralinguistischer Bedeutungen zeigt sich im Vergleich mit dem Norwegischen, wo es heißt å gå til grunne ‘zugrunde gehen’, aber å gå til bunns i en sak ‘einer Sache auf den Grund gehen’. (Im Norwegischen ist also der intralinguistische Bezug nicht auf dieselbe unmittelbare sprachformbezogene Weise gegeben wie im Deutschen. Die dt. Übersetzung ist in diesem Fall reicher an potentiellen Bezügen als das norwegische Original.)
Zu diesem intralinguistischen Bezug hinzu kommt eine intratextuelle Beziehung zu einer anderen zentralen Textstelle des Stücks (auch im 1. Akt), wo davon die Rede ist, dass es Menschen gibt, die “auf den Grund tauchen/ gehen” (norw. dukke til bunns), wenn sie angeschossen werden, und die dann nie wieder “hinaufkommen”. In der betreffenden Textstelle wird Grund konkret verstanden als ‘Boden/Grund eines Gewässers’. Diese Bedeutung strahlt aus auf die Textstelle in Beispiel 2: Die Mutter von Gregers gehört zu den Menschen, die zugrunde gehen, untergehen, auf Grund gehen – und nicht wieder hochkommen. Diese intralinguistischen und intratextuellen Bedeutungsbeziehungen werden nun noch ergänzt durch eine intertextuelle Bedeutung, die sich dem deutschsprachigen Leser allerdings kaum erschließen dürfte (zu Phraseologie und Intertextualität, s. Burger 1991). Mit den “zu Grunde gehen”-Textstellen und dem Titel des Stücks (“Wildente”) wird nämlich angespielt auf das Gedicht “Søfuglen” des norwegischen Naturromantikers J.S.Welhaven (1807–1873) (dieser Bezug ist mindestens für Norweger der älteren Generation gegeben). Das Phrasem zugrunde gehen erhält durch seine Remotivierung eine neue semantisch-bildliche und literarische Qualität, die für das Stück konstitutiv ist. Unabhängig vom Gedicht – das jüngere Norweger zum Teil auch nicht kennen – besteht aber der Bezug auf das Bild des Volksglaubens, dass eine angeschossene Wildente mit letzter Kraft auf den Grund des Gewässers taucht, sich im Tang festbeißt und nicht mehr nach oben kommt. Diese Bezüge sind im Deutschen nur mittels eines Kommentars zu vermitteln; mit diesem Verfahren wird aber die für ein Theaterstück geforderte Wirkungsgleichheit beeinträchtigt.
5.
Perspektiven der Analyse und Beispiele
Die konkreten Probleme der Übersetzung von Phrasemen können in drei Perspektiven angegangen werden: der rein übersetzungsbezogenen Perspektive (d.h. die Übersetzung wird unabhängig vom Ausgangstext im Blick auf phraseologische Erscheinungen analysiert), der rein ausgangstextbezogenenen Perspektive (d.h. der zu übersetzende Text wird darauf hin analysiert, welche phraseologischen Übersetzungsprobleme er stellt), und der
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51. Probleme der Übersetzung von Phrasemen
übersetzungsvergleichenden Perspektive (d.h. die phraseologischen Übersetzungslösungen werden, ausgehend von der ausgangstextbezogenen Analyse, untersucht und bewertet,). Das folgende Beispiel für die rein übersetzungsbezogene Perspektive stammt aus der Erzählung “Bei unserem Batjko Machno” in Isaak Babels “Die Reiterarmee” (aus dem Russischen übersetzt von Peter Urban), Zürich 1998. Im zweitletzten Abschnitt äußert sich die “Rotznase Kikin, ein Melder” folgendermaßen: Beispiel 3 Da redet das Volk über die Machno-Kämpfer, über ihren Heldenmut, – stieß er mürrisch hervor, – aber wenn du mit denen nur mal n bißchen Salz gegessen hast, dann weißt du, daß jeder von denen einen Stein unterm Hemd trägt...
Für den Leser der Übersetzung sind – neben der Bezeichnung Machnokämpfer – die Ausdrücke (1) mit jm. (ein bisschen) Salz gegessen haben und (2) einen Stein unter dem Hemd tragen erklärungsbedürftig. Handelt es sich um Phraseme? Um die dt. Lexeme Salz und Stein gibt es in der Tat ganze Phrasemfelder; die Ausdrücke in unserer Erzählung sind aber nicht dabei. Bei (1) helfen aber Kontext (“wenn … dann weißt du…”) und evtl. enzyklopädisches Wissen weiter: In Russland spielt die Begrüßung mit Brot und Salz eine wichtige Rolle; in der Bibel isst der auferstandene Jesus mit seinen Jüngern Salz; in den von Karl Simrock gesammelten deutschen Sprichwörtern (Reclam) findet sich “Traue keinem, du habest denn ein Scheffel Salz mit ihm gegessen”. Man wird also – nach mehr oder weniger Nachdenken – (1) interpretieren als ‘jn. kennen, mit jm. vertraut/freundschaftlich verbunden sein’. Schwieriger ist (2): eine direkte wörtliche Interpretation ist kaum möglich, dagegen bieten sich Bedeutungsübertragungen an: Stein als ‘Herz’, d.h. die Machnokämpfer sind völlig gefühllos (“das steinerne Herz”) oder Stein als ‘Waffe’ (ein Hyponym steht für das Hyperonym), d.h. Machnokämpfer greifen schnell und heimtückisch zu einer versteckten Waffe. Kontextuell sind beide Interpretationen sinnvoll: mit dem Heldenmut der Machnokämpfer ist es nicht weit her, denn es sind a) völlig gefühllose Menschen, bei denen weder von Mut noch von Feigheit die Rede sein kann, oder b) es sind eigentlich Feiglinge, denn ihre “Heldentaten” basieren auf bloßer Niedertracht. Diese Erläuterungen zeigen, dass der Dekodierungsaufwand für
den Leser der Übersetzung erheblich ist und auch nicht zu einem eindeutigen Resultat führt. Nun handelt es sich bei der dt. Übersetzung von Babels “Die Reiterarmee” um eine kommentierte Ausgabe. Zu Stein unter dem Hemd findet sich in einem Anhang folgende Erklärung: populäre russ. Redewendung, meint: der Mensch ist unberechenbar; noch tut er freundlich, und gleich haut er dir den Stein über den Schädel.
Hier werden zwei Bedeutungen des Phrasems angegeben: a) ‘unberechenbar sein’, und b) ‘hinterhältig und gewalttätig sein’. Die erste Deutung passt schlecht im Kontext, denn sie bildet keinen Gegensatz zu ‘heldenmütig sein’. Aber auch die zweite Bedeutung macht Schwierigkeiten: Wenn in unserem Kontext gemeint ist, dass ein Machnokämpfer jemandem, mit dem er Salz isst (“freundlich sein”), unversehens “den” (einen?) Stein über den Schädel haut, so steht auch dieses Verhalten nicht im Gegensatz zu ‘heldenmütig sein’. Mit anderen Worten: die nicht-idiomatischen Deutungen leuchten mehr ein als die Erläuterungen, die in der Anmerkung gegeben werden. Folgendes Beispiel soll die ausgangstextund übersetzungsvergleichende Perspektive illustrieren. In Günter Grass’ Roman “Die Blechtrommel” wird die Mutter des Trommlers Oskar Matzerath folgendermaßen charakterisiert: Beispiel 4 1
Mama konnte sehr lustig sein. Mama konnte sehr ängstlich sein. 2Mama konnte schnell vergessen. Mama hatte dennoch ein gutes Gedächtnis. 3Mama schüttete mich aus und saß dennoch mit mir in einem Bade. 4Mama ging mir manchmal verloren, aber ihr Finder ging mit ihr. 5Wenn ich Scheiben zersang, handelte Mama mit Kitt. 6Sie setzte sich manchmal ins Unrecht, obgleich es ringsherum Stühle genug gab. 7Auch wenn Mama sich zuknöpfte, blieb sie mir aufschlußreich. 8Mama fürchtete die Zugluft und machte dennoch ständig Wind. 9 Sie lebte auf Spesen und zahlte ungerne Steuern. 10 Ich war die Kehrseite ihres Deckblattes.
Die Sequenzen (3) – (10) enthalten sprachund textakrobatisch verwendete Phraseme: das Kind mit dem Bade ausschütten, im gleichen (in einem) Boot sitzen, sich ins Unrecht setzen, sich zwischen zwei Stühle setzen, zugeknöpft sein, Wind machen, auf Spesen leben, die Kehrseite der Medaille. Die Sequenzen (1) und (2) haben die Funktion, den Leser auf die Doppelstrukturen in den folgenden
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Sätzen vorzubereiten; diese realisieren sich in der Doppelheit von wörtlicher und idiomatischer Bedeutung der Phraseme (oder einzelner Lexeme der Phraseme). Das Spiel mit Phrasemen in dieser Textstelle ist ein formalästhetisches Merkmal, das in der Hierarchie der Werte, die in der Übersetzung zu erhalten sind, hoch oben steht (gegebenenfalls höher als denotative Werte). Vergleicht man verschiedene Übersetzungen dieser Textstelle miteinander, so kann man feststellen, dass sich die Übersetzer dieser Herausforderung gegenüber höchst unterschiedlich verhalten. Im folgenden sei die englische Übersetzung angeführt, die sich bemüht, die sprachspielerischen Qualitäten nachzuvollziehen – mit unterschiedlichem Erfolg (die Reihenfolge der Sätze in der englischen Übersetzung ist verändert): Beispiel 5 1
Mama could be very gay, she could also be very anxious. 2Mama could forget quickly, yet she had a good memory. 3Mama would throw me out with the bath water, and yet she would share my bath. 5 When I sang window-panes to pieces, Mama was on hand with putty. 6Sometimes she put her foot in it even when there was plenty of safe places to step. 4 Sometimes Mama was lost to me, but her finder went with her. 7Even when Mama buttoned up, she was an open book to me. 8Mama feared draughts but was always stirring up a storm. 9She lived on an expense account and disliked to pay taxes. 10I was the reverse of her coin.
Es gelingt dem Übersetzer ohne Zweifel, einen Teil der sprachspielerischen Qualitäten des Originals wiederzugeben – unübersehbar sind allerdings auch die Verluste, die sich zu dem summieren, was in übersetzungskritischen Arbeiten im Satz zusammengefasst wird: “Übersetzungen sind flacher als ihre Originale”. Im Extremfall muss der Übersetzer vor der Übersetzungsaufgabe resignieren – oder die Flucht nach vorn antreten, wie das etwa Max Knight mit Christian Morgensterns Gedicht “Die weggeworfene Flinte” tut, das in seiner “Übersetzung” den Titel “The Thrown-away Towel” trägt. Das Spiel mit dem Phrasem die Flinte ins Korn werfen wird ersetzt durch to throw in the towel. Dass es sich dabei um weniger – und zugleich mehr – als eine “eigentliche” Übersetzung handelt, bringt Knight durch einen Untertitel zum Ausdruck: “An Approach” nennt er seine Fassung. Die Komplexität der Aufgabe, Phraseme in der Übersetzung wiederzugeben, führt dazu, dass viele Übersetzungen nur –
mehr oder weniger gelungene – Annäherungen sind. Mit Recht weist Zybatow (1998, 164) darauf hin, dass es kein “universelles Patentrezept” für die Übersetzung von Phrasemen gibt – und dass “Intuition und Kunst des Übersetzers” entscheidend sind, wenn es um die Überwindung der phraseologischen Übersetzungsbarriere geht.
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Werner Koller, Bergen (Norwegen)