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German Pages 211 [216] Year 1971
PHILOSOPHISCHE
THEOLOGIE
IM S C H A T T E N D E S N I H I L I S M U S
W DE G
PHILOSOPHISCHE THEOLOGIE IM SCHATTEN DES NIHILISMUS
Mit Beiträgen von W. Weischedel · G. Noller · H.-G. Geyer W. Müller-Lauter • W. Pannenberg · R. W. Jenson Herausgegeben von J. Salaquarda
W A L T E R DE G R U Y T E R & CO. B E R L I N 1971
ISBN 3 11 006429 4 Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es audi nicht gestattet, dieses Budi oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. © 1971 by Walter de Gruyter & Co., Berlin 30 Printed in Germany Satz und Druck: Thormann & Goetsch, Berlin 44
VORWORT W. Weischedels 1961 an der Kirchlichen Hochschule Berlin gehaltener Vortrag „Philosophische Theologie im Schatten des Nihilismus" hat ein lebhaftes Echo gefunden. Auf die erste Veröffentlichung in der 'Evangelischen Theologie' folgten in den Jahren 1962—1966 in derselben Zeitschrift eine Reihe von Aufsätzen, die die programmatischen Überlegungen des Philosophen einer kritischen Würdigung unterzogen. Weiscbedel hat 1967 eine erste, von ihm ausdrücklich als nicht abschließend bezeichnete Stellungnahme zu diesen Kritiken vorgelegt. Die Diskussion ist damit nicht abgeschlossen, hat aber eine Zäsur erhalten. Dies veranlaßte mich, den Autoren eine gesammelte Veröffentlichung vorzuschlagen. Für ihre Zustimmung und für die Unterstützung des Vorhabens sei ihnen an dieser Stelle mein Dank ausgesprochen. Druckvorlage für die Beiträge ist ihre jeweils letzte Veröffentlichung (s. Quellennachweis). Druckfehler wurden korrigiert, einschlägige Zitatnachweise der hier vorgelegten Edition angepaßt. Daß noch vieles zu klären und erläutern sein wird, läßt sich ζ. B. an einem Brief W. Pannenbergs an Weiscbedel und an dessen Antwortschreiben ablesen. Die beiden Verfasser waren so freundlich, ihre Briefe zur Veröffentlichung freizugeben, wofür ihnen besonders gedankt sei. Der die Kritiken aufnehmende Fortgang von Weischedels Überlegungen wird, über die Darstellung in dem hier an letzter Stelle abgedruckten Aufsatz hinaus, im demnächst erscheinenden 1. Band seines Buchs 'Der Gott der Philosophen' zum Ausdruck kommen. Eine von Weiscbedel und Gollwitzer an der Freien Universität Berlin gemeinsam gehaltene Vorlesung, die 1965 unter dem Titel „Denken und Glauben. Ein Streitgespräch" veröffentlicht wurde, steht in engem thematischen Zusammenhang mit der hier
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Vorwort
wiedergegebenen Diskussion; einige Aspekte derselben wurden in dem 'Streitgespräch' aufgenommen und weitergeführt. Eine Darstellung und Kritik der philosophischen Grundposition Weischedels findet sich im Abschnitt 2 meiner Dissertation (s. die Bibliographie). Die Einleitung greift nicht in die Diskussion ein, sondern unternimmt den Versuch, in die Probleme und Schwierigkeiten heutiger Philosophischer Theologie einzuführen. Zur leichteren Orientierung sind dem Band in einem Anhang Quellennachweis, Namenregister, sowie Kurzbiographien und -bibliographien der Autoren und des Herausgebers beigegeben. Mein Dank für zuvorkommende Beratung und Förderung gilt den Repräsentanten des Verlags W. de Gruyter & Co., Herrn Prof. Dr. H. Wenzel und Herrn H. Imendörffer. Berlin, September 1970
Jörg Salaquarda
INHALTSVERZEICHNIS Vorwort
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Jörg Salaquarda, Einleitung Wilhelm Weischedel, Philosophische Theologie im Schatten des Nihilismus
ι 24
Vom theologischen und vom nihilistischen Wesen der Philosophie . . . .
26
Von der Möglichkeit des Philosophierens im Sdiatten des Nihilismus Von der Möglichkeit einer Philosophischen Theologie im Schatten des Nihilismus
40
Gerhard Noller, Philosophische und christliche Theologie
49
Hans Georg Geyer, Theologie des Nihilismus
66
Wolfgang Müller-Lauter, Zarathustras Schatten hat lange Beine
88
Wolfhart Pannenberg, Die Frage nach Gott 113 Robert W. Jenson, „Gott" als Antwort 146 Wilhelm Weischedel, Von der Fragwürdigkeit einer Philosophischen Theologie 160 Zur offenbarungstheologischen Kritik von Gerhard Noller
161
Zur esdiatologisch-theologischen Kritik von Wolfhart Pannenberg . . . .
1
Zur metaphysisch-theologischen Kritik von Hans Georg Geyer
181
Zur philosophischen Kritik von Wolfgang Müller-Lauter
Zur Biographie und Bibliographie der Autoren
200
Quellennachweis
202
Namenregister
203
Jörg Salaquarda EINLEITUNG In einer Zeit, für die der ,Tod Gottes' in zunehmendem Maße zur undiskutierten Voraussetzung des Denkens und Handelns zu werden beginnt, mutet der Titel „Philosophische Theologie" befremdlich an. Weischedel, dessen Entwurf hier zur Diskussion steht, hat dieses Befremden zu Beginn eines 1957 gehaltenen Vortrages aufgenommen, als er sich selbst und den Hörern die Frage stellte: „Gibt es eine Philosophische Theologie?"1 Diese Frage soll hier als Leitfaden für eine einleitende Erläuterung der Anforderungen und Probleme heutiger philosophischer Rede von Gott dienen. Gibt es eine Philosophische Theologie? Das heißt zunächst: gibt es in der zeitgenössisdien Philosophie positive Rede von Gott? So verstanden muß die Frage zweifellos bejaht werden. Den philosophischen Bemühungen, die den Atheismus als notwendig voraussetzen, ζ. B. denen N. Hartmanns2 und Sartresum zwei bekannte Entwürfe zu nennen, stehen eine Mehrzahl von anderen gegenüber, für die ,Gott c Anfang und Ziel des menschlichen Denkens und Handelns ist. Dies gilt vor allem für das katholische Philosophieren, das mit den Sammelbegriffen ,Neuscholastik' oder ,Neuthomismus* bezeichnet zu werden pflegt. Bei aller Vielfalt, die diese Richtung auszeichnet — sie nimmt die verschiedensten zeitgenössischen Strömungen auf und setzt sidi auf ζ. T. sehr hohem Niveau 1
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1
Abgedruckt in: W. Weischedel, Wirklichkeit und Wirklichkeiten. Vorträge und Aufsätze, Berlin i960, 142 if. Vgl. die Antinomie zwischen Ethik und Religion in: N . Hartmann, Ethik, Berlin 19493, 808 ff. Vgl. z . B . J.P.Sartre, Ist der Existentialismus ein Humanismus? in: Drei Essays, Frankfurt/Main, Berlin 1963, 11 und 21. Philosophische Theologie
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Jörg Salaquarda
mit ihnen auseinander4 — , bleibt sie mit ihrem Ansatz doch bewußt dem Hochmittelalter, nämlich dem thomistischen Aristotelismus, verhaftet. Zu diesem Ansatz gehört als integrierender und grundlegender Bestandteil eine Philosophisdie Theologie. Die These von der Erkennbarkeit Gottes durch die ,natürliche Vernunft* wurde im Ersten Vaticanum neu formuliert5 und im ,Antimodernisteneid' bekräftigt®. Eine vergleichbar geschlossene »protestantische Philosophie' gibt es nicht. Immerhin liegt mindestens ein großangelegter Versuch einer Philosophischen Theologie vor, nämlich der Tillidos. ,Gott', den Tillich nicht als Seiendes, sondern als „das Sein selbst* oder als den „Grund des Seins" versteht, wird dieser Konzeption zufolge von Theologie und Philosophie thematisiert — von der Theologie, insofern das „Sein selbst" dasjenige ist, was uns „unbedingt angeht", von der Philosophie, insofern die Strukturen des Seins einer Erörterung bedürfen7. Theologie und Philosophie haben dasselbe Thema und stehen zueinander im Verhältnis der Korrelation. Neben Tillich gibt es eine andere Art,protestantischer Philosophie', die — bei allen Unterschieden im einzelnen — in der Grundthese übereinkommt, daß Gott nur durch seine Selbst-Offenbarung in Christus erkennbar wird. Philosophen wie H. Barth8 und Reisner9 denken somit zwar von ,Gott' her, verstehen aber ihr Vorgehen nicht als Philosophische Theologie. 4
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Im Blick auf das Folgende seien hier nur zwei Beispiele genannt: E. Biser, der Nietzsches Kritik an christlicher und philosophischer Theologie einer sorgfältigen Analyse unterzieht (Gott ist tot, München 1962), und M. Müller, der sich um die Anbahnung des Gesprächs zwischen Wesensmetaphysik und dem Denken Heideggers bemüht (Existenzphilosophie im geistigen Leben der Gegenwart, Heidelberg 1964 s , bes. 95 ff.). Denziger-Schönmetzer, Enchiridion Symbolorum, Definitionum et Declarationum de rebus fidei et morum, editio X X X I I I , 1965, N r . 3004.
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A a O , N r . 3538.
7
P. Tillich, Systematische Theologie, Bd. 1, Stuttgart 1965 s , 30 und 185. Vgl. H. Barth, Existenzphilosophie und neutestamentlicher Glaube. Abhandlungen, hrsg. von G. Hauff, Basel 1967, bes. die sechs Aufsätze 112 ff. Vgl. bes. E. Reisner, Die Frage der Philosophie und die Antwort der Theologie, in: Z T h K $3/1956, 2 j i ff., und ders., Philosophie als Frage, in: ThViat
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9
I I I / I 9 J I , 31 ff.
Einleitung
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Eine vergleichbare Haltung findet sich auch bei Philosophen, die sich selbst nicht als Christen verstehen, wie besonders das Werk von Kamiah zeigt. Dieser sdireibt etwa: „Obwohl die Philosophie als solche keinerlei christlichen Glauben im Sinne des Glaubens an den auferstandenen und wiederkommenden Christus enthalten kann, ist dennodi eine heute zu Ende gedachte Philosophie als solche nicht antichristlich, nicht heidnisch, nicht aufklärend, sondern glaubend. Und damit ist sie vernehmend bezogen nicht auf irgendeine natürliche Religiosität' oder auf den einstigen ,Gott der Philosophen', sondern auf die neugründende Wahrheit, deren fortwirkende Bekundung die Jahrhunderte des christlichen Abendlandes durchzieht."10 Ganz ähnlich hat sich vor kurzem van Peursen geäußert: „Nicht auf Grund philosophisch-theologischer Spekulation, nicht durch tiefsinnig-metaphysische Besinnung, sondern einzig von der konkreten und durchlebten Verbindung mit diesem Gott her, welche auf eine nicht mehr rein menschliche Dimension der Lebensereignisse hinweist, kann der Mensch etwas über die Macht sagen, die weit über die Horizonte menschlicher Zeit hinausreicht."11 Eine wieder andere Form der Rede von ,Gott' findet sich in der expliziten Philosophischen Theologie von Jaspers, in der ,Gott' als nie objektivierbare „Transzendenz" erscheint; diese ist „das Sein, das niemals Welt wird, aber das durch das Sein in der Welt gleichsam spricht." 12 — Die Reihe der Beispiele ließe sich fortsetzen. Man könnte ζ. B. auf Hartshornes Philosophische Theologie verweisen, die eine gewisse Rolle in der amerikanischen Diskussion spielt und durch Ogden Bedeutung für die protestantische Theologie erlangt hat". Ferner kann man an den katholischen ,Existen10
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1*
W. Kamiah, Nachwort zu: Gibt es einen „Philosophischen Glauben"? in: Der Ruf des Steuermanns. Die religiöse Verlegenheit dieser Zeit und die Philosophie, Stuttgart 1954, 8j ff., hier 93. C. A . van Peursen, Das Wort „Gott". Betrachtungen eines Philosophen, Göttingen 1969, 23. K. Jaspers, Der philosophische Glaube, Frankfurt/Main 1960, 18. Vgl. Sdiubert M. Ogden, Zur Frage der „richtigen Philosophie", in: ZThK 61/1964, 103 ff., hier 120.
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tialismus' Marcels erinnern14 oder auch an den späteren Heidegger, der zwar nicht die Absicht hat, eine Philosophische Theologie zu erstellen, aber im Rahmen der Geviert-Problematik von den „Göttlichen" spricht15. Vollständigkeit ist hier nicht angestrebt; es sollte nur deutlich werden, daß philosophische Rede von Gott — wie auch immer begründet — heute nicht so selten ist, wie es auf den ersten Büdk scheinen mag. Daß sie sich dem Zeitbewußtsein nicht einprägt, muß andere Gründe haben. Weischedel faßt diese Gründe in seinem programmatischen Aufsatz mit der Wendung „Schatten des Nihilismus" zusammen. Wenn er sich anderen philosophisch-theologischen Entwürfen zuwendet — die beiden hier abgedruckten Aufsätze geben Beispiele für solche Auseinandersetzungen —, dann lautet sein Haupteinwand, daß diese sich nicht ernsthaft genug auf den Nihilismus einlassen. Was er in früherem Zusammenhang gegen den Neuthomismus und gegen den ethischen Ansatz Sc&e/ers gesagt hatte: „Das Verlorene kann nicht einfachhin erneuert werden, wenn die Voraussetzungen versunken sind, aus denen heraus es seine Kraft erhielt"16, könnte er tendenziell gegen die meisten zeitgenössischen Versuche, philosophische Rede von ,Gottc zu erneuern, vorbringen". Weischedel will zwar den Nihilismus überwinden, aber er will ihn nicht ignorieren. „Die Philosophie", so schreibt er an anderer Stelle, „läßt in der Uberwindung den Nihilismus nicht hinter sich, sondern bleibt ihm als dem Grund ihres Denkens verhaftet."18 Die Frage: Gibt es eine Philosophische Theologie? hat damit eine tiefere Bedeutung bekommen. Sie lautet jetzt: Ist Philosophische Theologie heute, d. h. im „Sdiatten des Nihilismus", von der Vgl. ζ. B. G. Marcel, Le myst^re de l'etre, Paris 1 9 j i . Vgl. z . B . M.Heidegger, Das Ding, in: Vorträge und Aufsätze, Pfullingen 19J4, 163 ff., hier 1 7 6 ff. ιβ Weischedel, Die Zeit der ursprünglichen Erfahrungen, in: Wirklichkeit und Wirklichkeiten . . . 86 ff., hier 94. 1 7 Vgl. auch W. Weischedel, P. Tillichs Philosophische Theologie. Ein ehrerbietiger Widerspruch, in: Festschrift für P. Tillidi, Stuttgart 1 9 6 1 , 25 ff. 1 8 H . Gollwitzer und W. Weischedel, Denken und Glauben. Ein Streitgespräch, Stuttgart o. J . (1965), 89. 14
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Einleitung
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Sache her möglich? Wenn ,Nihilismus' nun nichts anderes bedeutet als: Konsequenz des ,Todes Gottes', wie Weischedel unter Hinweis auf Nietzsche hevorhebt 19 , dann läßt sich die Frage noch präziser formulieren: Ist es von der Sache her möglich, philosophisch in einer Weise von ,Gott' zu reden, die das Bewußtsein vom ,Tode Gottes' in sich aufgenommen hat? D a ß es nicht von vornherein unmöglich zu sein braucht, zeigt ein Blick auf Hegel, in dessen Denken Konsequenzen der neuzeitlichen Philosophie seit Descartes zu deutlichem Ausdruck kommen. Bekanntlich findet sich nidit erst bei Nietzsfhe, sondern schon bei Hegel der Satz: „Gott selbst ist todt." 20 Nach Hegels Darstellung spricht sich in diesem Satz „das Gefühl" aus, „worauf die Religion der neuen Zeit beruht". Hegel will dem Schmerz, der in diesem Gefühl zum Ausdruck kommt, „rein als Moment, aber auch nicht als mehr denn als Moment, der höchsten Idee" fassen und ihm in der „Idee der absoluten Freiheit . . . eine philosophische Existenz geben." Aus dem damit „in der ganzen Wahrheit und Härte seiner Gottlosigkeit" philosophisch begriffenen „spekulativen Charfreitag . . . kann und muß" freilich das philosophische System entstehen, oder — wie Hegel sich in dieser Schrift ausdrückt — „die höchste Totalität in ihrem ganzen Ernst und aus ihrem tiefsten Grunde, zugleich allumfassend, und in die heiterste Gestalt ihrer Freiheit auferstehen." 21 Hegel begreift den ,Tod Gottes* als eine dialektische Durchgangsstufe. Dem „unendlichen Schmerz", der in dem Gefühl vom ,Tode Gottes' zum Ausdruck kommt, entspricht in der einige Jahre später erschienenen Phänomenologie des Geistes' die „Verzweiflung" des „sich vollbringende(n) Skeptizismus"; diesen aber faßt Hegel als die Bewegung, die „den Geist erst geschickt (macht) zu prüfen, was Wahrheit ist", d.h. als notwendiges Movens der Philosophie22. 19 yff Weisdiedel, Philosophische Theologie im Schatten des Nihilismus, 24. 20
21 22
G. W. F. Hegel, Glauben und Wissen, in: Sämtliche Werke (Jubiläumsausgabe), ed. H. Glockner, Stuttgart i9j8 s , Bd. 1, 213 ff., hier 433. Ebd. G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, ed. J. Hoffmeister, Hamburg
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Die Grundtendenz der Hegel sehen Rede vom ,Tod Gottes* kommt gut in einer Bemerkung von Rosenkranz zum Ausdruck: Hegel hätte „das erhabene Bewußtsein über die welthistorische Bedeutung und Vollendung der Philosophie... auch der Religion zu(gewandt), insofern auch die Philosophie die Unendlichkeit der Entgegensetzung, die Negation, aber nur als Moment, in sidi aufzunehmen habe". Rosenkranz schließt mit einer Wendung, die klarlegt, wie weit Hegels Rede vom ,Tode Gottes' von einem Atheismus entfernt ist: die Passage sei „von der ganzen Gewalt seiner speculativ-religiösen Begeisterung erfüllt" 83 . Hegels Ausführungen zum ,Tode Gottes' stehen zu späteren, wonach die Logik (die ja auch die Metaphysik repräsentiert24) oder sogar die Philosophie insgesamt, Theologie seien, insofern ,Gott' der „eine und einzige Gegenstand der Philosophie" ist25, nicht in Widerspruch. Philosophische Theologie scheint durch diese Überlegung selbst im „Schatten des Nihilismus" einiges von ihrer Befremdlichkeit verloren zu haben. Hegels Denken zeigt, daß es nicht aussichtslos ist, sich angesichts der Erfahrung von Skepsis und ,Tod Gottes' um eine Erneuerung philosophischer Rede von ,Gott' zu bemühen. Es ist daher verständlich, daß Hegel für heutige Philosophische Theologie ebenso wichtig ist wie Nieizscfee. Die beiden Aspekte von Philosophie, die Weiscbedel unterscheidet, indem er von ihrem „theologischen" und ihrem „nihilistischen Wesen" spricht26, werden beispielsweise zwar nicht ausschließlich, wohl aber am entschiedensten durch die philosophischen Entwürfe dieser beiden Denker repräsentiert. Während Nietzsche als Verkünder des ,Todes Gottes' und Herold des Nihilismus auftritt, heißt es über Hegel, er vor allem und die „Denker des Deutschen Idealismus" überhaupt, 19 j 2®, 17 f. Vgl. audi den Journalaufsatz ,Verhältniß des Skepticismus zur Philosophie', in: Sämtliche Werke (Jubiläumsausgabe) . . . Bd. 1, 213 ff. 23 K . Rosenkranz, G . W . F. Hegels Leben, Darmstadt 19632, 172. 24 Vgl. G. W. F. Hegel, Wissenschaft der Logik, ed. G. Lasson, Hamburg 1963, Erster Teil, Einleitung, bes. 32 f. 25 G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion, ed. G. Lasson, Hamburg 1966, Erster Band, 30. 29 Weischedel, Philosophische Theologie im Schatten des Nihilismus, 26.
Einleitung
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„bringen das theologische Wesen der Philosophie zu deutlichstem Ausdruck." 87 Hegels Philosophische Theologie zeichnet sich freilich gerade dadurch aus, daß sie sich nicht mit der bloßen Setzung oder Voraussetzung Rottes* zufriedengibt, sondern die durch Negationen hindurchgehende Selbstentfaltung ,Gottes', die in seinem Zu-sich-selbstKommen in der absoluten Philosophie gipfelt, zur Darstellung bringt. Hegels Rede von ,Gott' faßt auch die dialektisch aufgehobenen Momente der Gottlosigkeit und des ,Todes Gottes' in sich. In dieser Hinsicht bleibt das Hegels die Denken unaufgebbares Vorbild für alle späteren Bemühungen um Erneuerung von Philosophischer Theologie: eine solche kann nur gelingen, wenn sie alle Bestreitungen ,Gottes' überzeugend in sich aufzuheben vermag. Seit Hegel hat es viele und verschiedene Bestreitungen ,Gottes' gegeben. Die äußerste Radikalität verbunden mit einem Höchstmaß an Reflektiertheit hat diese Bestreitung im Denken Nietzsches erhalten. Das läßt es gerechtfertigt erscheinen, in diesem den eigentlichen Antipoden Hegels zu sehen. Wenn es heute Philosophische Theologie geben soll, dann muß sie Nietzsches Atheismus, seine Ansage des ,Todes Gottes' und der Konsequenzen desselben, in sich aufheben können. Nietzsche hat in seiner späteren Autobiographie mit Stolz betont, daß der Atheismus für ihn kein Denk-Ergebnis, sondern eine Voraussetzung gewesen sei: „Ich kenne den Atheismus durchaus nicht als Ergebniß, noch weniger als Ereigniß: er versteht sich bei mir aus Instinct." M In der gleichen Schrift nennt er als entscheidenden Beweggrund seiner Hinwendung zu Schopenhauer dessen Atheismus89. NiefZiG^es Biograph bestätigt diese Selbsteinschätzungen: das Christentum sei „für den jungen Nietzsche kein Gegenstand intensiver Beschäftigung" gewesen, „jedenfalls nicht mehr als andere geschichtliche Phänomene, sogar weniger"; als Nietzsdie sich ihm schließlich „von einem größeren philosophi27 28 2e
A a O 27. F. Nietzsdie, Ecce homo, Groß-Oktav-Ausgabe ( = G A ) X V 26. A a O 70.
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sehen Problem (sc. dem der Willensfreiheit) aus" zuwandte, unterwarf er es sogleich kühler Kritik30. Für sich allein genommen hat diese Betonung des Atheismus und der Kritik am Christentum freilidi wenig zu besagen. Ganz abgesehen davon, daß viele von sich behauptet haben und behaupten, sie seien radikale Atheisten — der Atheismus könnte das eine Moment sein, das Nietzsche, wie es die Hegel-Epigonen getan haben, in eigensinniger Aufspreizung der Subjektivität dem System entgegenstellte, obwohl es in diesem längst vermittelt und aufgehoben war31. Von Hegel kann doch nicht gelten, was Zarathustra von dem „alten Heiligen" sagte: dieser habe „in seinem Walde noch Nichts davon gehört, daß Gott todt ist."32 Allerdings zeigt schon ein erster und oberflächlicher Vergleich, daß 2Vieizsd?e anderes und mehr »gehört' hat als Hegel. Seine Rede vom ,Tod Gottes* gibt nicht eine partielle Erfahrung wieder, die der Geist auf dem Weg seiner Entfaltung zur Totalität macht — vielmehr drückt sie die Erfahrung der Auflösung der Totalität aus. Daher ist der ,Tod Gottes4 nicht ein Ereignis unter anderen, sondern „das größte neuere Ereigniß"33; es läßt sich im Sinne Nietzsches nicht mehr vermitteln, um schließlich in einer neuen Rede von ,Gott* aufgehoben zu werden: ,Gottc ist „gründlich todt"34. Zarathustra verkündet den ,Tod Gottes' nicht als Gottsucher!35 In bekanntester Äußerung über den ,Tod Gottes' ruft der „tolle Mensch" zwar aus: „Ich suche Gott! Ich suche Gott!"3® Aber dieser Ruf ist ein Stilmittel, mit dem er gerade auf den Tod ,Gottes' aufmerksam machen will. Das scheint paradox zu sein, vor allem, wenn man berücksichtigt, daß seine Zuhörer als 30 31
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R. Blunck, Fr. Nietzsche. Kindheit und Jugend, München, Basel 1953, 7 1 . Vgl. ζ. B. die Kritik von K . Rosenkranz an der nachhegelschen Philosophie in: G . W. F. Hegels Leben, aaO X X I I I . F. Nietzsche, Also sprach Zarathustra, G A V I 12. Ders., Die fröhliche Wissenschaft, G A V 2 7 1 . Ders., Also sprach Zarathustra, G A V I 3 8 1 . A a O 380 f. Ders., Die fröhliche Wissenschaft, G A V 163.
Einleitung
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solche vorgestellt werden, „die nicht an Gott glaubten"®7. Haben sie es denn nötig, Kunde vom ,Tod Gottes' zu erhalten? D a ß sie es nötig haben, ist in der Tat Nietzsches Meinung. Die Herumstehenden sind zwar Atheisten, aber sie sind gedankenlos. Sie glauben nicht an ,Gott', erliegen aber dem Wahn, es könnte alles so bleiben, wie es bisher gewesen ist. Nietzsche setzt dagegen die Einsicht, daß mit ,Gott c auch alles andere dahinfällt, was bisher gegolten hat: galt es doch nicht durch sich selbst, sondern nur insofern, als es durch ,Gott* garantiert wurde. Der „tolle Mensch" spricht diese Einsicht in Bildern aus: „Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was thaten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten?"38 Spätestens bei der letzten Frage wird zur Gewißheit, daß die von Nietzsche herangezogenen Bilder „vermutlich für das Denken noch anderes sind als Bilder" 39 . Die ,Sonne* steht in Piatons Höhlengleichnis als Sinnbild für die alles einende und verbindende Idee des Guten — für das Göttliche40. Fällt diese einende Instanz weg, dann verschwimmt audi der Horizont der Wahrheit und aus dem Seienden wird das — durch das Meer versinnbildlichte — Sein herausgezogen. „Wird die Welt von . . . ihrer Sonne losgekettet und versinkt der Gott, so müssen notwendig auch das Sein und die Wahrheit entschwinden."41 Das Hinfälligwerden von ,Gott', Sein, Wahrheit, Vernunft etc. ist es, was Nietzsche als Nihilismus bezeichnet. „Was bedeutet Nihilismus? — D a ß die obersten Werthe sich entwerthen." 42 Nietzsche begreift die Grundgegebenheiten bisherigen Philosophierens nicht als selbständige Wesenheiten und auch nicht als Strukturen der in sich göttlichen Vernunft; sie sind Werte, d. h. „ErhaltungsSteige37 38 39
40 41
42
Ebd. Ebd. M. Heidegger, Nietzsches Wort „Gott ist tot", in: Holzwege, Frankfurt/Main 1950, 193 ff., hier 241. Pol. 541 ä f f . G. Picht, Der Gott der Philosophen, in: Der Gott der Philosophen und die Wissenschaft der Neuzeit, Stuttgart 1966, 13 ff., hier 26. F. Nietzsche, Der Wille zur Macht, GA X V 145.
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rungs-Bedingungenaa des als „Wille zur Macht" ausgelegten Lebens. Im bisherigen Denken hat man ihren Wert-Charakter übersehen; durdi den ,Tod Gottes* wird er offenbar. Auf ihn muß mit Notwendigkeit die Entwertung aller bisherigen Werte folgen. „Der Nihilismus, . . . dieser unheimlichste aller Gäste . . . steht vor der Thür"44. Nietzsches Rede vom ,Tod Gottes', so läßt sich zusammenfassend sagen, ist nicht bloß Ansage des Atheismus, den sie schon voraussetzt; sie hat ihre Spitze in der Verdeutlidiung der Konsequenzen des Atheismus. Damit destruiert Nietzsche nicht nur die Möglichkeit philosophischer Rede von ,Gott', sondern macht darüber hinaus deutlich, daß mit dieser Destruktion auch die Möglichkeit von Philosophie überhaupt hinfällig wird. ,Philosophie' — das ist für Nietzsche die Darstellung einer durch einen obersten Wert ( = Gott) zusammengehaltenen und garantierten Wert-Hierarchie. Eine solche Darstellung kann es nach dem ,Tod Gottes' nur mehr um den Preis des Selbstbetruges geben. Der Philosoph, der es eigentlich besser wissen müßte, ist daher, nach einer Formulierung in dem zum ,Antichrist' gehörigen ,Gesetz wider das Christenthum' der „Verbrecher der Verbrecher"45. „Nach Hegel zerbricht . . . (die) Zuversicht in die positiven Möglichkeiten philosophischen Denkens . . . Ein solcher Wegfall jeglicher positiven metaphysischen Erfahrung vollzieht sich in voller Konsequenz bei Nietzsche."4" Gibt es eine Philosophische Theologie? Hatte Hegels Vorgehen für ein derartiges Unternehmen selbst angesichts der Erfahrung des ,Todes Gottes' Möglichkeiten eröffnet, so scheint Meizsc&es Denken diese wieder zu verschließen. Der Versuch, philosophische Rede von ,Gott' neu zu begründen, rückt damit in ein neues Licht. In ihm steht nicht ein Randthema zur Diskussion, das die Philosophie beliebig aufgreifen oder beiseitelegen könnte — bei diesem Ver43
A a O X V I 171. AaO X V 141. 45 Ders., Der Antichrist, Kritisdie Gesamtausgabe, ed. G. Colli und M. Montinari, Werke, Abt. V I , Bd. 3, Berlin 1969, 2 j 2 . 4β -ψ Weisdiedel, Denken und Glauben, aaO 196. 44
Einleitung
II
such geht es um die Möglichkeit von Philosophie überhaupt. Wenn wir Nietzsche ernst nehmen, können wir die leitende Frage daher nach den bisherigen Überlegungen kürzer und präziser formulieren: Gibt es Philosophie? Wer sich mit dieser Frage an das nachhegelsche Denken wendet, wird bald die Entdeckung machen, daß der Begriff ,Philosophie* schillernd geworden ist. Manche versuchen, ihn in einem überlieferten Sinn aufrechtzuerhalten, andere verwerfen ihn und wieder andere verwenden ihn in einer gegenüber der Tradition stark veränderten Bedeutung. Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts überwog zunächst die Verwerfung. „Kein Zweifel", schrieb 1857 Haym in seiner Studie über Hegel, „der Verfall der Hegeischen Philosophie steht im Zusammenhang mit der Ermattung der Philosophie überhaupt. Dieses eine große Haus hat nur fallirt, weil dieser ganze Geschäftszweig darniederliegt."47 Der junge Marx hat das Denken Hegels als die „Vollendung der Philosophie" angesehen48; ähnlich dachte die gesamte Hegelsdie Linke und denken viele ihrer Nachfolger bis heute. „Es war die Überzeugung der Linkshegelianer, daß mit Hegels Weltsystem die Philosophie selbst zu ihrem unüberbietbaren Abschluß gekommen sei", und daß nun „etwas anderes an deren Stelle zu treten habe"49. Zumindest der Marxismus hat sich aber später wieder zu einer Art ,Philosophie' entfaltet. Daß dieser Titel sich jedoch ziemlich verändert hat, wird deutlich, wenn man ζ. B. das Lehrbuch ,Grundlagen der marxistischen Philosophie'50 daraufhin durchsieht. Um ein extremes Gegenbeispiel zu bringen: auch der Positivismus und selbst der Neupositivismus in seinen verschiedenen Filiationen können sich des Begriffs ,Philosophie' bedienen — er findet sich beispielsweise im 47 48
50
R. Haym, Hegel und seine Zeit, Darmstadt 1962 s , $. S. Landshut, Einleitung zu: K. Marx, Die Frühschriften, Stuttgart 19$3, XIII. I. Fetsdier, Der Marxismus. Seine Geschichte in Dokumenten, München 1962, Bd. 1, Einleitung, 20. Berlin 1961 s (Es handelt sidi um die deutsche Ubersetzung eines sowjetischen Lehrbuches, von dem man sagt, daß es von Stalin konzipiert wurde; inzwischen wurde es mehrfach überarbeitet).
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Titel von Werken Comtes51 und Wittgensteins52. Aber was heißt hier »Philosophie*? Für Wittgenstein ist sie letztlich ein zum Scheitern verurteiltes Unternehmen, das entweder zur Wissenschaft werden oder in der Sprachlosigkeit versinken muß: „Die richtige Methode der Philosophie wäre eigentlich die: Nichts zu sagen, als was sidi sagen läßt, also Sätze der Naturwissenschaft — also etwas, was mit Philosophie nichts zu tun hat —, und dann immer, wenn ein anderer etwas Metaphysisches sagen wollte, ihm nachzuweisen, daß er gewissen Zeichen in seinen Sätzen keine Bedeutung gegeben hat/ 58 Das Brüchigwerden des Begriffs ,Philosophie' und seine allmähliche Abnutzung kommen vielleicht am deutlichsten im Denkweg Heideggers zum Ausdruck. In ,Sein und Zeit* hatte dieser noch keine Bedenken, den Begriff im positiven Sinn zu gebrauchen54, und er nimmt ihn auch später, bis in die Mitte der 50er Jahre, immer wieder auf65. Die „Besinnung", die ihn veranlaßte, allmählich neben vielen anderen Grundbegriffen schließlich audi den „Titel Philosophie . . . zurückzulassen"58, ging von einer intensiven Beschäftigung mit Nietzsche aus, in dessen Denken für Heidegger die abendländische Metaphysik an ihr Wesensende gekommen ist57. In dem Vortrag ,Die onto-theo-logische Verfassung der Metaphysik' hat Heidegger anhand der Frage: „Wie kommt der Gott in die Philosophie?"58 das Wesen der Philosophie als „Onto-TheoLogik" 59 bestimmt. Der Gott kommt in die Philosophie, weil diese des sich selbst hervorbringenden Grundes, der causa sui, bedarf, 51 52 53 64 55
se 57 58
59
A . Comte, Cours de philosophic positive, 6 vol., Paris 1 8 3 0 — 1 8 4 2 . L.Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, Frankfurt/Main 1963. AaO 115. M. Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen i9609, ζ. B. 38. Vgl. ζ. B.: »Aber das Ziel unserer Frage ist, in die Philosophie hineinzukommen, in ihr uns aufzuhalten, nach ihrer Weise uns zu verhalten, d. h. zu philosophieren'." in: Was ist das — die Philosophie, Pfullingen 1963 3 , 8. O. Pöggeler, Der Denkweg M. Heideggers, Pfullingen 1963, 184. Vgl. ζ. Β. M. Heidegger, Nietzsche, Bd. 2, Pfullingen 1 9 6 1 , 360. M.Heidegger, Die onto-theo-logische Verfassung der Metaphysik, in: Identität und Differenz, Pfullingen 1957, 35 ff., hier 52. A a O 56.
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um Philosophie sein zu können60. Wenn in der Weise des Nietzscheschen Nihilismus der ,Tod Gottes' angesagt wird — nämlich in der Interpretation der causa sui als Wert —, dann ist die Metaphysik und damit audi die Philosophie an ihr Wesensende gekommen. Das Zurücklassen des Begriffs,Philosophie* hatte sich bei Heidegger schon früher angedeutet. „Das künftige Denken ist nicht mehr Philosophie, weil es ursprünglicher denkt als die Metaphysik, welcher Name das gleiche sagt" 91 , schrieb er 1947 an Beaufret. In jüngst veröffentlichten Äußerungen hat er diesen Gedanken wiederholt, etwa in einem Interview aus Anlaß seines 80. Geburtstages: „Ich mache . . . einen JJntersdoied zwischen Philosophie, d. h. Metaphysik, und dem Denken, so wie ich es verstehe."62 Ein Blick auf den Text, auf den sich diese Äußerung bezieht63, zeigt freilidi, daß auch bei Heidegger das Zurücklassen* zweideutig bleibt. Er versteht das Ende der Philosophie als den „ O r t . . . , worin sich das Ganze ihrer Geschichte versammelt."64 Das von der Philosophie unterschiedene Denken muß sich damit begnügen, diesen ,Ort* zu erkunden; es hat „einen vorbereitenden, keinen stiftenden Charakter"05. Das Ende der Philosophie, so läßt sich in einer ersten Zusammenfassung sagen, bleibt selbst mehrdeutig. Es gehört als das Ver-enden der Philosophie noch in deren Geschichte. Zu Recht sagt daher Picht: „Mit dem Entschwinden des Gottes aus der Philosophie ist auch die Philosophie selbst in Auflösung geraten."66 Indizien dafür finden sich auch in der zeitgenössischen protestantischen Theologie. Dabei ist nicht einmal primär an die in letzter Zeit hervorgetretene „Theologie nach dem Tode Gottes"67 zu denken, 40
A a O 70; Heidegger verwendet hier die Begriffe Metaphysik und Philosophie schon promiscue. 61 M. Heidegger, Uber den Humanismus, Frankfurt/Main o. J., 47. 62 M. Heidegger im Gespräch, hrsg. von R. Wisser, Freiburg, München 1970, 7 7 63 M. Heidegger, Das Ende der Philosophie und die Aufgabe des Denkens, in: Zur Sache des Denkens, Tübingen 1969, 61 ff. M A a O 63. «5 A a O 66. M G. Pidit, Der Gott der Philosophen, aaO 17. 67 Vgl. ζ. B. Th. J . J . Altizer, . . . Daß Gott tot sei. Versuch eines christlichen
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sondern an theologische Entwürfe, die Nietzsches Kritik in sich aufgenommen haben, Entwürfe, für die es also selbstverständlich ist, daß sich im ,Absoluten' der Philosophie von Plato bis Hegel immer nur ein Höchstwert des Menschen ausdrückt. Bultmanns Kriterium für die „richtige Philosophie" liegt z.B. gerade nicht darin, daß diese über ,Gott' redet, sondern darin, daß sie in die Lage versetzt, „das mit der Existenz gegebene Existenzverständnis in angemessener Begrifflidikeit zu entwickeln"®8. Der Versuch, die Analysen von ,Sein und Zeit' durch die „philosophische Theologie des amerikanischen Denkers Charles Hartshorne" zu ersetzen89, kann daher von Bultmann nicht als Weiterführung, sondern nur als Verkehrung seiner Absicht verstanden werden70. Ebeling, für den als philosophischer' Gesprächspartner vorwiegend der spätere Heidegger in Betracht kommt, sieht dessen Denken zwar einerseits in einem nicht zu bestreitenden Traditionszusammenhang mit der bisherigen Philosophie, sagt aber einschränkend: „Als radikales Umdenken gegenüber dem metaphysisch bestimmten Denken tritt das Denken des Seins der gesamten Geschichte der Philosophie gegenüber und macht seine eigene vorgängige Einordnung als ,Philosophie' fraglich."71 Auf die Frage, was der Theologe dem Philosophen eigentlich zu sagen habe, antwortet K. Barth, dies könne „auf die unverschämte und untragbare Zumutung hinauslaufen, daß die Philosophie das längst eingetretene Ende aller Philosophie bedenken" solle72. Barth versteht die Äußerung zweiAtheismus, Züridi 1968, und D . Solle, Atheistisch an Gott glauben. Beiträge zur Theologie, Freiburg 1968. 88 R . Bultmann, Zum Problem der Entmythologisierung, in: H . W . Bartsch (Hg.), Kerygma und Mythos, Bd. 2, Hamburg 1952, 179 ff., hier 192. " Schubert M. Ogden, Zur Frage der „richtigen Philosophie", aaO 109. 70 R . Bultmann, Zur Frage einer „Philosophischen Theologie", in: Glauben und Verstehen, Bd. I V , 104 ff. — Ogdens vorläufige Antwort auf diese Ausführungen, die er in einer Fußnote zu Beginn seines Aufsatzes mitteilt (aaO 103, A . 1), vermag nicht zu überzeugen. 71 G . Ebeling, Verantworten des Glaubens in Begegnung mit dem Denken M. Heideggers. Thesen zum Verhältnis von Theologie und Philosophie, in: Z T h K , Beiheft 2, 1961, 1 1 9 ff., hier 1 2 1 . 72 K . Barth, Theologie und Philosophie, in: Philosophie und christliche Existenz,
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fellos als eine theologisch begründete und nur theologisch begründbare These; sie kann aber nur in einer Zeit, in der ,Philosophie' ohnehin fragwürdig geworden ist, in dieser Unbefangenheit geäußert werden. Die Reihe der zeitgenössischen philosophischen' und theologischen Stellungnahmen, die als direkte oder indirekte Ansagen des Endes der Philosophie genommen werden können und in denen dieses als Konsequenz des Gottesverlustes erscheint, ließe sidi fortsetzen. So viel ist deutlich geworden: es ist keineswegs klar, ob es eine ,Philosophie' im Sinne ihres ursprünglichen Anspruchs gibt. Wer den „Streit um die göttlichen Dinge"78 wieder entfacht, indem er sidi um eine Philosophische Theologie bemüht, hat in eins damit zu erweisen, daß es überhaupt eine Philosophie geben kann. Beides hängt innig zusammen und läßt sich nicht trennen. Diese Einsicht ist geeignet, das Befremdliche einer Philosophischen Theologie im vollen Ausmaße sichtbar werden zu lassen. Denn es scheint kaum etwas zu geben, wonach diese Epoche weniger verlangt, als nach einer Neubegründung von Philosophie. Der oben als Zeuge für das Zuendegehen der Philosophie zitierte Haym hatte eine solche zwar nodi nicht ausgeschlossen, wohl aber in unbestimmte Ferne gerückt: „Es ist weit bis dahin, so weit, daß wir uns billig von dem Ausschauen nadi diesem Ziel zu der Pflicht zurückrufen, selbst Hand anzulegen und uns einzustellen in die Reihen derer, die um das Eine was Noth ist, um eine vernunftgemäßere und sittlichere Gestaltung unseres Staatslebens kämpfen."74 Schon zuvor hatte Marx in seiner berühmten Elften These über Feuerbach lapidar notiert: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kömmt darauf an, sie zu verändern."75 Diese Tendenz zur Praxis, zur vernunftgemäßen Umge-
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Festschrift für H . Barth, ed. G . Huber, Basel und Stuttgart i960, 93 ff., hier 94. Streit um die göttlichen Dinge. Die Auseinandersetzung zwisdien Jacobi und Schelling. Mit einer Einleitung von W . Weischedel, Darmstadt 1966. R. Haym, Hegel und seine Zeit, aaO 46 j . K . Marx, Die Frühschriften, aaO 3 4 1 .
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staltung der menschlichen Gesellschaft und der Wirklichkeit überhaupt, hat sich inzwischen eher verstärkt; die Tendenz zu einer Neubegründung von Philosophie ist zwar wiederholt aufgeflammt7", hat aber aufs ganze gesehen eher abgenommen. Gibt es eine Philosophische Theologie? — das heißt letzten Endes: Gibt es überhaupt Philosophie, kann es sie „Im Schatten des Nihilismus" geben? Die Antwort auf diese Frage scheint aber nur wenige »Fachleute* zu interessieren; unsere Zeit hat andere Fragen und andere Intentionen. Es bleibt allerdings zu fragen, ob der „Schatten des Nihilismus", in dem die Philosophische Theologie zu verdorren droht, sich nicht auch noch lähmend auf die vernunftgemäße Umgestaltung der Wirklichkeit legt. „Naivetät, als ob Moral übrig bliebe, wenn der sanktionierende Gott fehlt!", notiert Nietzsche im Nachlaß der 8oer Jahre77. Unter dem Begriff ,Moral' subsumiert Nietzsche alle Richtlinien und Anweisungen für das menschliche Handeln — also audi diejenigen, die die vernunftgemäße Praxis leiten sollen.,Vernunft* selbst gehört zu denjenigen Gegebenheiten, die sich als nach dem ,Tod Gottes* auflösende Werte enthüllen. Wenn die obersten Werte sich entwerten, dann sieht sich jeder auf sein eigenes wertsetzendes Streben zurückverwiesen. Ein Zeuge für diese Erfahrung ist Dostojevski, der in den ,Brüdern Karamasov* Ivan wiederholt sagen läßt, daß alles erlaubt sei, wenn Gott nicht existiere78. Dabei steht nicht einmal so sehr das Bedrohliche des Zusammenbruchs aller Normen und Schranken als vielmehr das Lähmende der nun einsetzenden Orientierungs- und Richtungslosigkeit im Vordergrund. Mefzsc&e hat diese Erfahrung der Generationen nach dem ,Tod Gottes* in den Fragen des „tollen Menschen" schon unüberbietbar zum Ausdruck gebracht: „Wohin bewe7β
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So ζ. B. in dem Versuch E. Husserls, eine streng wissenschaftliche Philosophie zu begründen. F. Nietzsche, Der Wille zur Macht, G A X V 332. J. P. Sartre, der in dieser Formel den „Ausgangspunkt des Existentialismus" gesehen hat, schrieb zustimmend: „In der Tat, alles ist erlaubt, wenn Gott nicht existiert . . ( I s t der Existentialismus ein Humanismus? aaO 16). — Vgl. auch A . Camus, Der Mythos von Sisyphos, rde 90, 91.
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gen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nadi allen Seiten? Giebt es noch ein Oben und Unten?79 Die bisherige Geschichte unseres Jahrhunderts wirkt wie eine Illustration dieser Sätze, als eine Bestätigung der Voraussage Nietzsches, der Nihilismus werde sich erst allmählich zu seiner vollen Wirksamkeit entfalten. Die Gesdiidite dieser „Heraufkunft" könne aber „jetzt schon erzählt werden: denn die Nothwendigkeit selbst ist hier am Werke." 80 Nodi deutlicher drückt sich der allmähliche Verlust der Richtlinien und Maßstäbe in der Entwicklung der Philosophie seit Hegel aus81. Ein besonders anschauliches Beispiel dafür bietet der in der Entwicklung der ,Hegelsd\en Linken' zu konstatierende Versuch, den ,Tod Gottes' ernst zu nehmen und zugleich Richtlinien für vernünftige Praxis zu erstellen. Einig in der These, daß mit Hegel die Philosophie zu ihrem Abschluß gekommen sei82, entzweiten sich die einzelnen Linkshegelianer über der Frage nach dem »positiven Neuen'. Hinter jedem positiven Satz des einen witterte ein anderer sogleich das Wiederaufleben des ,toten Gottes'. Vom Standpunkt seines „Egoismus" waren z . B . für Stirner alle allgemeinen Aussagen über den Menschen oder die Menschheit theologische Aussagen: „ ,der Mensch' ist der heutige Gott, und Menschenfurcht an die Stelle der alten Gottesfurcht getreten. Weil aber der Mensch nur ein anderes höchstes Wesen vorstellt, ist in der That am höchsten Wesen nur eine Metamorphose vor sich gegangen und die Menschenfurcht bloß eine Gestalt der Gottesfurcht. Unsere Atheisten sind fromme Leute."88 Feuerbach hat in einer Besprechung des Stirnersdien Buches diesen Vorwurf zurückgegeben: „So hat also der ,Egoist' dodi audi noch seine Sache auf Gott gestellt! So gehört also auch Er 79 80 81
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F. Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, G A V 163. F. Nietzsche, Der Wille zur Macht, G A X V 137. Vgl. dazu bes. die Untersuchungen K. Löwiths (Von Hegel zu Nietzsche, Stuttgart 19645). Siehe oben S. 11 ff. M. Stirner, Der Einzige und sein Eigentum, Leipzig 1892, 216. Philosophische Theologie
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zu den ,frommen Atheisten' Marx und Engels haben in den beiden gemeinsam verfaßten Schriften ,Die heilige Familie* und ,Die deutsche Ideologie' dieses ,Heiligsprechen' der anderen Vertreter der Hegelsdien Linken zum Extrem getrieben. Vielleicht haben sie alle recht. Das wäre dann der Fall, wenn ihre Kritik — sei es die wechselseitige, sei es die an den bestehenden und zu verändernden Verhältnissen — einen Sinnhintergrund voraussetzte, der im Rahmen ihrer Denkansätze nicht begründbar ist und audi gar nicht begründet werden kann, wenn sie, um mit Nietzsche zu reden, einen Schatten des ,toten Gottes' vorzeigen85. Heidegger betont, im Rahmen seiner seinsgeschichtlichen Deutung, daß die „marxistische(n) Dialektik . . . im Prinzip mit Hegels Metaphysik" identisch ist86, daß sie also nur unter stillschweigender Voraussetzung der Philosophischen Theologie, als deren Negation sie sich doch versteht, verwendet werden kann. Bleibt somit auch der Marxismus-Leninismus, von dem es heißt, er habe „zum ersten Male eine konsequent wissenschaftliche Grundlage für die Praxis der revolutionären Umgestaltung der Welt geschaffen"87, zur Begründung dieser Praxis noch — ,Gott' verpflichtet? Vieles spricht dafür, daß es sich in der Tat so verhält. Zwar bezeichnet sich ζ. B. Bloch mit Entschiedenheit als einen Atheisten; andererseits betont er immer wieder, daß die materialistische Tendenzkunde nur geleitet von der ,Hoffnung' auf ein zukünftiges „Totum" Anleitung zur vernünftigen Praxis sein kann88. Dieses ,Totum' und die Richtung auf es hin haben sich seiner Darstellung nach bisher am adäquatesten in den eschatologischen Vorstellungen des Juden- und Christentums ausgesprochen89. Läßt sich darin noch 84
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L . Feuerbach, Das Wesen des Christenthums in Beziehung auf den „Einzigen und sein Eigenthum", in: WW ed. Bolin und Jodl, Stuttgart 196ο 2 , Bd. V I I , 294 ff., hier 295. F. Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, G A V 147. M.Heidegger, Zeichen, in: Neue Zürcher Zeitung N r . 579, 1969. Grundlagen der marxistischen Philosophie, aaO 3 6. E. Bloch, Das Prinzip Hoffnung. Erster Band, Berlin 1954, bes. 233 ff. („Kälteund Wärmestrom im Marxismus"). Vgl. z . B . E. Bloch, Atheismus im Christentum ( = Gesamtausgabe Bd. 14), Frankfurt/Main 1968, 81 ff.
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eine konsequente Vergeschichtlichung religiöser Vorstellungen sehen, so sieht sich Bloch letzten Endes vor die Frage gestellt, ob sein Ansatz nicht ein in-sich-ruhendes, von den menschlichen Wünschen unabhängiges ,Totum' braucht, um tragfähig zu sein. Pannenberg hat daraus zurecht gefolgert, „daß die Thematik des Gottesgedankens bei Bloch keineswegs endgültig und überzeugend ausgeräumt ist"90. Ein anderes Indiz dafür, daß der Marxismus ,Gott' nicht losgeworden ist, ist der sich ständig ausweitende christlichmarxistische Dialog 91 . Daß sich christliche Theologen in derartigen Gesprächen und Diskussionen um Begriffe, Vorstellungen und Methoden bemühen, mit deren Hilfe sie hoffen können, die Vorgänge in einer sich rasch verändernden Gesellschaft besser zu begreifen, ist nur die eine Seite; ihr steht auf der anderen die wachsende Einsicht der Marxisten gegenüber, daß „Gott" vielleicht „nicht ganz tot" ist92. Ähnliches läßt sich auch von der ,Kritischen Theorie' sagen. Horkheimer, einer ihrer Begründer und Exponenten, hat in einem Interview zwar deutlich herausgestellt, daß es seiner Meinung nach heute eine positive Theologie, eine direkte Berufung auf ,Gott c nicht geben könne; er ließ aber ebensowenig Zweifel daran, daß das menschlidie Denken von der „Sehnsucht" nach „dem Anderen" bestimmt bleiben muß, wenn es nicht zur bloßen technischen Regelkenntnis erstarren soll93. Horkheimer, der sich in seinen Büchern und Aufsätzen schon vorher wiederholt in diesem Sinne geäußert hatte, sieht auch bei Marx eine solche Sehnsudit als maßgebenden Antrieb: in dessen Werk seien, „wie auch immer unbewußt, jedoch logisch von seinem Gehalt unablösbar theologische
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W . Pannenberg, Der G o t t der Hoffnung, in: E. Bloch zu ehren, ed. S. Unseld, Frankfurt/Main 1965, 209 ff., hier 21 j .
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Trägerin dieses Gesprächs ist vor allem die Paulus-Gesellschaft; vgl. z . B . Christentum und Marxismus — Heute, hg. v o n E. Keller (Gespräche der Paulus-Gesellschaft), Wien 1966.
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V g l . V . Gardavsk^, G o t t ist nicht ganz tot. Ein Marxist über Religion und Atheismus, München 1968. D E R S P I E G E L , N r . 1—2/1970, 79 ff.
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Postulate entscheidend.UM Inzwischen hat Habermas den Versudi unternommen, die »Kritische Theorie' ohne Rückgriff auf eine wie immer geartete Gottesvorstellung zu begründen. In einer Analyse dieses Versuches kommt Theunissen zu dem Ergebnis, daß er scheitern muß; wir dürfen seiner einleuditenden These zufolge mit gutem Grund vermuten, „daß Geschichtsphilosophie nidit nur aus der Theologie hervorgegangen, sondern nach wie vor nur als solche möglich ist."95 Es scheint also, daß vernunftgemäße Praxis, wo sie in Angriff genommen wird, nicht von ,Gott' loskommen kann. Aber bedarf es etwa deswegen einer Philosophischen Theologie? Horkheimer, Bloch und andere rekurrieren doch eher auf jüdisch-christliche Gottesvorstellungen als auf den ,Gott der Philosophen'. Vielleicht kann christlidie Theologie an die Stelle der philosophischen treten. Zwar richtet sich Nietzsches Kritik auf beide gleichermaßen, eher noch stärker auf die christliche. Man kann aber fragen, ob dieser „Antichrist" mit seiner Rede vom ,Tod Gottes' auch den Gott der Bibel getroffen hat. Biser macht zurecht darauf aufmerksam, daß sich diese Rede „nur sehr mittelbar in Zusammenhang mit MefZicÄes Angriffen auf Christentum und Kirche bringen läßt. Weder finden sich derartige Invektiven im engeren Umkreis der einschlägigen Texte, noch gipfeln die ausgesprochenen Kampfschriften, Götzendämmerung und Antichrist, in der ihnen scheinbar so nahe liegenden Parole ,Gott ist tot'."9® Als Indiz dafür, daß Metzsc&es Rede vom ,Tod Gottes' den christlichen Gott nicht erreiche, pflegt man eine Notiz aus dem Nachlaß heranzuziehen: „eigentlich ist nur der moralische Gott widerlegt."97 Der »moralische Gott' — das ist nach einer Auslegung Heideggers, die weithin und besonders unter protestantischen Theologen Zustimmung ge94
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ββ 97
M. Horkheimer, Religion und Philosophie, in: Zur Kritik der instrumenteilen Vernunft, Frankfurt/Main 1967, 229 ff., hier 229. M. Theunissen, Gesellschaft und Geschichte. Zur Kritik der kritischen Theorie, Berlin 1969, 39 f. E. Biser, Gott ist tot, aaO 74. F. Nietzsche, Nachlaß, G A X I I I 7 j .
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funden hat, eben der metaphysische, philosophische ,Gott', die „causa sui", vor der „der Mensch weder aus Scheu ins Knie fallen, noch . . . musizieren und tanzen" kann. „Demgemäß", so fährt Heidegger fort, „ist das gott-lose Denken, das den Gott der Philosophie, den Gott als Causa sui preisgeben muß, dem göttlichen Gott vielleicht näher."98 Als ein Denken, das — jedenfalls der Absicht nach — den ,Gott der Philosophen* preisgegeben hat, versteht sich fast die gesamte zeitgenössische protestantische Theologie. K.Barth, der mit Hilfe seines trinitarisdien Ansatzes von vornherein jeden spekulativ-philosophischen Gottesbegriff vermeiden will, formuliert mit Entschiedenheit: Gott ist „mehr als der Inbegriff des seienden Seins, des Ursprungs, der Transzendenz, des Umgreifenden, des ,ganz Anderen', er ist . . . Gott auch über dem so oder so zu benennenden ,Gott der Philosophen'. Er, er allein i s t . . . ,Gott über Gott' — nämlich Gott über allem, was sich einem allgemeinen Denken als ,Gott' darstellen und empfehlen mag."49 Für Barth geht diese Uberzeugung so weit, daß er zweifellos auch noch Heideggers »göttlichen Gott' unter die Kategorie philosophischer Gott' subsumieren würde — Heidegger könnte ihm darin sogar beipflichten100. Vielleicht im Ton nicht so schroff wie Barth, aber in der Tendenz sehr ähnlich haben sich viele protestantische Theologen geäußert 101 . Kann christliche Theologie durch diese Distanzierung den ,Tod (des philosophischen) Gottes' und damit das Zuendegehen der Philosophie überleben? Das wird nicht nur von Atheisten bezweifelt. Picht hat in Form von rhetorischen Fragen die entscheidenden Gegengründe formuliert: „Wenn die Philosophie im Sterben liegt, 68 88 100
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M. Heidegger, Die onto-theo-logische Verfassung der Metaphysik, aaO 70 f. K.Barth, Kirdilidie Dogmatik, Bd. IV, 4 (Fragment), Züridi 1968, 161. In einer von Η. H . Schrey mitgeteilten Äußerung betonte Heidegger, daß kein philosophischer Gottesbegriff je den diristlidien Gott treffen könne (Die Bedeutung der Philosophie Heideggers für die Theologie, in: M. Heideggers Einfluß auf die Wissenschaften, Bern 1949, 9 ff., hier 16). Vgl. ζ. B. die übersichtliche und informative Darstellung von J. M.Robinson, Die deutsdie Auseinandersetzung mit dem späteren Heidegger, in: Neuland in der Theologie, Bd. 1: Der spätere Heidegger und die Theologie, Züridi/ Stuttgart 1964, iy ff.
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trifft dann nicht unausweichlich das gleiche Schicksal auch ihre Zwillingsschwester, die Theologie, die, seit es christliche Theologie überhaupt gibt, aus dem zwiespältigen Gespräch mit der Philosophie gelebt und sich aus ihr immer wieder erneuert hat? Ist ohne Philosophie Theologie noch möglich? Oder ist vielleicht gar mit dem Gott der Philosophen auch der Gott der Theologen im Entschwinden? Konnte nicht auch der Gott der Theologen (von dem wir nicht wissen, ob er mit dem Gott der Offenbarung identisch ist), seit es Theologie überhaupt gibt, nur so verstanden werden, daß man ihn im ersten Schritt mit dem Gott der Philosophen in eines setzte, um ihn danadi in einem zweiten Schritt, aber unter Voraussetzung des ersten Schrittes, dem Gott der Philosophen entgegenzusetzen? Bedeutet das Entschwinden Gottes aus der Philosophie nicht notwendig, daß er aus unserem Denken überhaupt entschwindet? Ist er aber aus dem Denken einmal entschwunden, kann er dann in unserem Leben, in unserem Handeln und unserem Glauben, in unseren Kirchen und in unserer Welt noch anders da sein als in der Philosophie, nämlich als eine historische Reminiszenz, als Tradition und als Erinnerung an vermeintlich bessere Zeiten, von denen wir wissen, daß sie unwiederbringlich versunken sind?"102 Wenn die Philosophie wirklich an ihr Ende gekommen sein sollte, dann mag es zwar weiterhin christlichen Glauben geben, nicht aber christliche Theologie im bisherigen Verständnis, damit aber auch kein relevantes Bedenken der Probleme der Welt aus christlicher Verantwortung. Auch die Möglichkeit von Theologie hängt letzten Endes am Gelingen einer Philosophischen Theologie — mag sie dieser dann auch als Antithese gegenübertreten. Wir stehen damit vor einem befremdlichen Ergebnis: die beherrschende Tendenz der Zeit — der Ruf nach vernunftgemäßer Umgestaltung der Wirklichkeit — bleibt letzten Endes an das, was 102
G . Picht, Der Gott der Philosophen, aaO 1 7 f. — Vgl. dazu W . Pannenberg, Die Frage nach Gott: „Wenn der Gedanke eines persönlichen Gottes . . . sonst überall als mythologische Selbstauslegung des Menschen zu beurteilen wäre, dann würde sich die Rückwirkung dieser Auffassung auf die christliche Theologie und ihr Reden von Gott kaum aufhalten lassen." (S. 1 1 7 ) .
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sie zugunsten der Praxis verwirft, gebunden. Der Handelnde sieht sich in der Reflexion seines Tuns auf Philosophie und speziell auf Philosophisdie Theologie verwiesen. Solange es so steht, bleibt die Bemühung um eine philosophisdie Rede von ,Gott', die den „Schatten des Nihilismus" ernst nimmt, ein sinnvolles Unterfangen. — Über die folgenden Aufsätze ist im einzelnen an dieser Stelle nidit zu handeln, sie sprechen für sich selbst. In ihnen steht zur Diskussion, ob und inwiefern der von Weischedel vorgelegte Entwurf einer Philosophischen Theologie tragfähig ist und den Aufgaben und Problemen heutiger Rede von ,Gott* gerecht zu werden vermag. Der Sammelband soll zur Ausweitung und Intensivierung dieser Diskussion beitragen.
Wilhelm Weischedel PHILOSOPHISCHE THEOLOGIE IM SCHATTEN DES NIHILISMUS „Das größte neuere Ereignis — daß ,Gott tot ist' . . . — beginnt bereits seine ersten Schatten über Europa zu werfen", so lautet der erste Satz des fünften Buches der Fröhlichen Wissenschaft von Friedridi Nietzsche.1 Nichts anderes meint der erste Satz des ersten Buches der unter dem Titel Der Wille zur Madht herausgegebenen Fragmente: „Der Nihilismus steht vor der Tür. a! Nietzsche nennt sich im Hinblick darauf selber „den Propheten einer Verdüsterung und Sonnenfinsternis, deren Gleichen es wahrscheinlich noch nicht auf Erden gegeben hat".8 Der Schatten aber, den er erblickt, ist, wenn nicht alles trügt, heute noch länger und noch dunkler geworden. Gesetzt aber, die Menschheit stehe in der Gegenwart, mehr noch als zu Nietzsches Zeiten, im Schatten des Nihilismus, gesetzt auch, Nihilismus bedeute, wie Nietzsche meint, den Tod Gottes, dann muß unser Thema absurd erscheinen. Müßte nicht hinter den Worten Philosophische Theologie im Schatten des Nihilismus ein unübersehbares Fragezeichen stehen? Und doch ist die Uberschrift nicht in der Frageform gefaßt. Das besagt aber: das weggelassene Fragezeichen ist das eigentliche Thema; es geht um die Frage nach der Möglichkeit einer Philosophischen Theologie im Zeitalter des Nihilismus. Der Schatten des Nihilismus ist freilich nicht der einzige, in dem 1
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Friedridi Nietzsdie: Die fröhlidie Wissenschaft. N r . 343. In: Nietzsche: Werke ( G O A ) . Bd. 5. Leipzig 1 9 1 5 . S. 2 7 1 . Friedrich Nietzsche: Der Wille zur Macht. N r . 1. In: Nietzsdie: Werke ( G O A ) . Bd. 1 $ (Abt. 2. Bd. 7). Leipzig 1 9 1 1 . S. 1 4 1 . Friedridi Nietzsdie: Die fröhlidie Wissenschaft. Nr. 343. S. 2 7 1 f.
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die Philosophische Theologie steht. Auch die Theologie der Offenbarung drängt die Philosophische Theologie häufig ins Dunkel. Keiner, der heute von dieser redet, wird an dem Verwerfungsurteil vorübergehen können, das die beiden Großen der gegenwärtigen protestantisdien Theologie ausgesprochen haben: Karl Barth und Rudolf Bultmann. Karl Barth sagt in seiner zornigen Streitschrift gegen Emil Brunner: „Die natürliche Theologie . . . ist . . . a limine: schon auf der Schwelle, abzulehnen. Sie kann nur der Theologie und Kirche des Antichrist bekömmlich sein."4 Und Rudolf Bultmann schreibt in einem Aufsatz über Das Problem der „natürlichen Theologie" nicht minder deutlich: „es bleibt . . . dabei, daß alles menschliche Reden von Gott außerhalb des Glaubens nicht von Gott redet, sondern vom Teufel".5 Der Streit zwischen Offenbarungstheologie und Philosophischer Theologie, so heftige Formen er annehmen kann, erscheint jedoch dem besorgten Blick auf die Gegenwart als weniger bedrohlich als die tödliche Gefährdung, unter der beide vom Nihilismus her stehen. Denn dessen Behauptung lautet, alles Reden von Gott, das philosophische wie das im eigentlichen Sinne theologische, sei sinnlos. Daher auch muß si