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German Pages 700 [704] Year 2002
Series Maior
LEXICOGRAPHICA Series Maior Supplementary Volumes to the International Annual for Lexicography Suppléments à la Revue Internationale de Lexicographie Supplementbände zum Internationalen Jahrbuch für Lexikographie
Edited by Sture Allén, Pierre Corbin, Reinhard R. K. Hartmann, Franz Josef Hausmann, Ulrich Heid, Oskar Reichmann, Ladislav Zgusta 110
Published in cooperation with the Dictionary Society of North America (DSNA) and the European Association for Lexicography (EURALEX)
Perspektiven der pädagogischen Lexikographie des Deutschen II Untersuchungen anhand des »de Gruyter Wörterbuchs Deutsch als Fremdsprache«
Herausgegeben von Herbert Ernst Wiegand
Max Niemeyer Verlag Tübingen 2002
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme [Lexicographica / Series maior] Lexicographica : supplementary volumes to the International annual for lexicography / pubi, in cooperation with the Dictionary Society of North America (DSNA) and the European Association for Lexicography (EURALEX). Series maior. - Tübingen : Niemeyer. Früher Schriftenreihe Reihe Series maior zu: Lexicographica 110. Perspektiven der pädagogischen Lexikographie des Deutschen II. - 2002 Perspektiven der pädagogischen Lexikographie des Deutschen / hrsg. von Herbert Ernst Wiegand. - Tübingen : Niemeyer (Lexicographica : Series maior ; ...) 2. Untersuchungen anhand des »de Gruyter Wörterbuchs Deutsch als Fremdsprache«. - 2002 (Lexicographica : Series maior ; 110) ISBN 3-484-39110-3
ISSN 0175-9264
© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2002 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Einband: Nädele Verlags- und Industriebuchbinderei, Nehren
Inhalt
Vorwort
IX
KAPITEL I D a s DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE i m V e r g l e i c h
Werner Wolski D a s DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE u n d LANGENSCHEIDTS GROBWÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE.
Ein Vergleich im Hinblick auf die Semantik
3
Henning Bergenholtz D a s DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
und das neue DuDEN-Wörterbuch in zehn Bänden. Ein Vergleich im Hinblick auf die Grammatik
35
KAPITEL II Grammatik und Wortbildung im DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
Elmar Schafroth Die Grammatik der Verben im DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
57
STEFAN J. SCHIERHOLZ DIE GRAMMATIK DER SUBSTANTIVE IM DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
75
JENS ERIK MOGENSEN DIE GRAMMATIK DER ADJEKTIVE IM DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
91
IRMHILD BARZ DIE WORTBILDUNGSMITTEL IM DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
105
VI
Inhalt
KAPITEL III Phonetik und Orthographie im DE GRUYTER
WÖRTERBUCH
DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
Elmar Ternes Die phonetischen Angaben im DE GRUYTER
WÖRTERBUCH
DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
125
Gerhard Äugst Die Orthografie im DE GRUYTER WÖRTERBUCH
DEUTSCH
ALS FREMDSPRACHE
137
KAPITEL IV Pragmatik und Semantik im DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
Klaus-Dieter Ludwig Die Markierungsangaben im DE GRUYTER
WÖRTERBUCH
DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
147
PETER KÜHN KULTURGEBUNDENE LEXIK UND KULTURSENSITIVE BEDEUTUNGSERLÄUTERUNGEN IM DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
161
THORSTEN ROELCKE DAS VERHÄLTNIS DER SEMASIOLOGISCHEN UND ONOMASIOLOGISCHEN ANGABEN IM DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
201
KARIN MÜLLER / GERHARD A UGST WORTFAMILIEN IM DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
245
MATTHIAS KAMMERER DIE ABBILDUNGEN IM DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
257
KAPITEL V K o t e x t e i m DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
Lutz Köster / Fritz Neubauer Kollokationen und Kompetenzbeispiele im DE GRUYTER DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
WÖRTERBUCH 283
Inhalt
VII
KAPITEL VI Die lexikographische Bearbeitung ausgewählter lexikalischer Einheiten i m DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
Gottfried Kolde D i e Gradpartikeln i m DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
313
GERHARD HEIBIG DIE MODALPARTIKELN IM DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
325
URSULA BRAUßE DIE KONJUNKTIONEN IM DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
339
BURKHARD SCHAEDER DIE PRÄPOSITIONEN IM DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
349
DMITRIJ DOBROVOL 'SKIJ PHRASEOLOGISMEN IM DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
363
ULRIKE HAß-ZUMKEHR DIE POLITISCHE LEXIK IM DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
375
KAPITEL VII Zur Makrostruktur und zu den äußeren Zugriffsstrukturen im DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
Michael Beißwenger / Boris Körkel D i e L e m m a s e l e k t i o n i m DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
393
Herbert Ernst Wiegand Zur Makrostruktur und zu den äußeren Zugriffsstrukturen im DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
413
Vili
Inhalt
KAPITEL Vili Zu den textuellen Strukturen und zu den Funktionen im DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
Michael Beißwenger Die Datendistribution im DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
445
RUFUS HJALMAR GOUWS THE OUTER TEXTS IN THE DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
471
PETER 0. MÜLLER DIE MEDIOSTRUKTUR IM DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
485
HERBERT EMST WIEGAND ÜBER TEXTUELLE STRUKTUREN DER WÖRTERBUCHARTIKEL UND ARTIKELNISCHEN IM DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE.ZUGLEICH EIN BEITRAG ZUR WEITERENTWICKLUNG EINER THEORIE DER WÖRTEIBUCHFORM
497
SANDRO NIELSEN TEXTUAL CONDENSATION IN THE ARTICLES OF DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
597
SVEN TARP FUNCTIONS IN DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
609
KAPITEL DC Z u r B e n u t z u n g des DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
Irmgard Honnef-Becker
D i e B e n u t z u n g d e s DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE IN SITUATIONEN DER TEXTPRODUKTION
623
PAUL BOGAARDS THE USE OF THE DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE FOR RECEPTIVE PURPOSES
647
ANHANG: ABSTRACTS, ZUSAMMENFASSUNGEN UND RÉSUMÉS
661
Vorwort
Rund vier Jahre nachdem der erste Band „Perpektiven der pädagogischen Lexikographie des Deutschen" (hrsg. von Herbert Ernst Wiegand) als Band 86 der Reihe „Lexicographica. Series Maior" erschienen ist, in dem 22 Autoren und Autorinnen in 19 Beiträgen „Untersuchungen anhand von .Langenscheidts Großwörteibuch Deutsch als Fremdsprache'" vorgelegt haben, kann hier der zweite Band präsentiert werden, in dem 30 Autoren und Autorinnen 30 Beiträge geschrieben haben, die auf 9 Kapitel verteilt sind Der erste Band wurde von der Wissenschaft freundlich aufgenommen; ein Teil der Rezensionen wurde an die Autorinnen und Autoren dieses Bandes verschickt, damit Anregungen gegebenenfalls aufgegriffen werden konnten. Insgesamt sind mir folgende Anzeigen und Rezensionen bekannt geworden: - Gerhard Heibig in: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 66.1999, 368-369. - Csaba Földes in: Linguistische Berichte 184. 2000,509-514. - Stanislava Droumeva in: Zeitschrift für interkulturellen Fremdsprachenunterricht 4. 2000, Nr. 3 (online unter: www.ualberta.ca/~german/ejournal/droumel.htm). - Marek Konopka in: International Journal of Lexicography 13. 2000,197-203. - Lothar Lemnitzer in: Muttersprache 110. 2000, H. 2,176-179. - Klaus-Dieter Ludwig in: Germanistik 41. 2000,69. - Csilla Stockbauer in: Jahrbuch der ungarischen Germanistik 1998,313-316. - Barbara Wotjak in: Deutsch als Fremdsprache 1. 2001, 50-51. Nach den Rezensionen des ersten Bandes zu urteilen, bestand kein Anlaß, die Herausgeberstrategie für den zweiten Band zu ändern. Gemäß meiner Auffassung, daß sich drei Arten von Wörterbuchpflege unterscheiden lassen, nämlich die verlegerische, die lexikographische und die metalexikographische, habe ich auch diesen Band im Sinne einer metalexikographischen Wörterbuchpflege konzipiert. Damit die Beiträge des ersten und des zweiten Bandes möglichst unter der gleichen Einstellung zum Gegenstand verfaßt werden, habe ich in das persönliche Einladungsschreiben an die Autorinnen und Autoren des zweiten Bandes einen Textabschnitt aufgenommen, der bis auf notwendige Anpassungen, einen Abschnitt in dem ersten Einladungsschreiben zum ersten Band entspricht. Er lautet: „Es ist der Sinn des geplanten Buches, der pädagogischen Lexikographie in Deutschland und der Wörterbuchforschung Anregungen zu geben. Es ist nicht der Sinn des Bandes, so etwas wie eine „konzertierte, metalexikographische Kollektivrezension" zu machen. Zwar ist eine wöiterbuchkritische Komponente Ihrer Beiträge durchaus erwünscht. Kein Beitrag sollte jedoch bei der kritischen Analyse stehen bleiben. Vielmehr denke ich mir, daß folgendes wünschenswert ist: bei den Themen, welche dies erlauben, sollen nach der kritischen Sichtung und nach einer Problemdiskussion Vorschläge erfolgen, die in der Wörterbucharbeit umsetzbar sind. Wenn Sie zu dem Schluß kommen, daß im Bereich des Themas, das Sie (hoffentlich) bearbeiten werden, die lexikographische Bearbeitung gelungen ist, wäre selbstverständlich auch dies ein willkommener Beitrag. Bitte beachten Sie also den vorgesehenen Untertitel des Bandes; es heißt anhand des de Gruyter Wörterbuchs, nicht zu dem de Gruyter Wörterbuch Deutsch als Fremdsprache. Damit soll im Titel des Bandes angedeutet werden, daß die einzelnen Beiträge zwar vor allem Ausführungen zu diesem Wörterbuch enthalten, daß aber Schlußfolgerungen gezogen werden, welche für die pädagogische Lexikographie der Zukunft von Interesse sind."
χ
Vorwort
Die wörterbuchkritische Komponente der Beiträge ist in diesem zweiten stärker ausgeprägt als im ersten Band. Der Grund hierfür ist, daß das „Wörterbuch Deutsch als Fremdsprache" aus dem Verlag Walter de Gruyter (Berlin. New York 2000), das in diesem Band einheitlich „de Gruyter Wörterbuch Deutsch als Fremdsprache" (DGWDAF) genannt wird, den Erwartungen an ein modernes allgemeines einsprachiges polyfunktionales Lernerwörterbuch mit Studierkomponente nicht entspricht. Es kann den verantwortlichen Lexikographen der Vorwurf nicht erspart bleiben, daß das D G W D A F in den meisten relevanten Aspekten altmodisch und falsch konzipiert ist und daß darüberhinaus die handwerkliche Qualität in mehreren Bereichen stark zu wünschen übrig läßt, so daß Ternes, was die phonetischen Angaben betrifft, sogar von einer „Blamage für die deutschsprachige Lexikographie" sprechen muß. Zwar gibt es in einzelnen Beaibeitungsbereichen, die in diesem Band thematisiert werden, auch Lichtblicke, etwa bei der Bearbeitung der Modalpartikeln (vgl. Gerhard Heibig) oder bei der Mediostruktur (vgl. Peter O. Müller), und man findet auch einige bedenkensweite Innovationen, wie z.B. die semantische Charakterisierung der Subjektaktanten. Auch die immer besonders schwer zu beurteilende Lemmaselektion kann als einigermaßen gelungen gelten (vgl. Beißwenger/Körkel). Anderes dagegen ist vom lexikographischen Ansatz her richtig, in der Durchführung jedoch nur halb gelungen, so vor allem die Bearbeitung der synchronischen Ausschnitte aus den Wortfamilien, die asemantisch bleibt (vgl. Müller/Augst). Insgesamt überwiegen die grundsätzlichen Mängel jedoch stark. Nur zu den wichtigsten seien hier kurz einige Erläuterungen gegeben. Das D G W D A F ist nicht in ausreichendem Maße benutzerspezifisch konzipiert. Denn es ist keine Konzeption des Lerners erkennbar (vgl. Tarp). Vieles ist für den Anfänger ungeeignet (wie z.B. die komplexe Syntax in verdichteten Bedeutungsparaphrasenangaben); anderes dagegen ist für den Fortgeschrittenen überflüssig (wie z.B. die Angaben der Stammformen bei regelmäßigen schwachen Verben).- Die von den Lexikographen im Vorspann genannten Wörterbuchfunktionen finden sich in der Textgestaltung des Wörterbuchs z.T. nicht wieder. Insbesondere fehlt eine Wörterbuchgrammatik, die mediostrukturell mit den Artikeln vernetzt ist (vgl. Bergenholtz). Es ist ein Unding, daß Lexikographen behaupten, die primäre Wörterbuchfunktion des DGWDAF sei die textproduktionsunterstützende Funktion und daß sie weiterhin feststellen, sie wollten dem Benutzer auch die Möglichkeit eröffnen, für den Zugang vom Einzelwort zum Sprachsystem (Studierfunktion des Wörterbuchs), aber trotz dieser Aussagen dem Wörterbuch kerne Wörterbuchgrammatik beigeben.- Offenbar haben die Lexikographen nicht berücksichtigt, daß zum System nicht nur Felder und Wortfamilien im Bereich der Lexik, sondern vor allem das grammatische System gehört. Die Wahl der textuellen Strukturen, die getroffen wurde, um die lexikographischen Daten zu präsentieren, muß in allen Strukturbereichen als ungeeignet gelten. Eine komprimiert-nischenalphabetische Makrostruktur mit lemmaexternen Nischeneingängen ist von allen inzwischen unterscheidbaren Makrostrukturen eine der ungeeignetsten für ein Lernerwörterbuch, da sie den externen Zugriff erheblich erschwert (vgl. Wiegand). Die zugehörigen funktionalen Artikelteilstrecken, nämlich die gruppierten Artikelnischen mit erweitertem lemmaexternen Nischeneingang, erfüllen ihre zusammenordnende Funktion in den meisten Fällen nicht, denn die initialalphabetische Ordnung ist bekanntlich oft so, daß nicht alle Komposita mit gleicher Erstkonstituente alphabetisch aufeinander folgen. Dadurch entstehen zugriffserschwerende (durch alphabetische einzuordnende Störenfriede)
Vorwort
XI
unterbrochene Folgen von Nischen mit gleichem lemmaexternen Nischeneingang. Bei einer solchen makrostrukturellen Organisation, die sich über viele Wörterbuchseiten erstrecken kann, ist es für einen fremdsprachigen Lemer kaum möglich zu erkennen, was wortbildungsmorphologisch zusammengehört; dies wäre aber gerade die Funktion von funktionalen Artikelnischen, die Kompositanischen sind.- Die Wörterbuchartikel des DGWDAF sind in ihrer Präsentationsform, im Stil und im Layout Wörterbuchartikel von gestern und entsprechen nicht mehr den Lesegewohnheiten der jüngeren Generation. Ihre Textkondensation ist viel zu hoch (vgl. Nielsen). Ihre textuellen Strukturen sind zu kompliziert; subintegrierte Mikrostrukturen z.B., oder die verschiedenen Strukturen mit Linksauslagerungen von Angaben, die komplizierte Skopusverhältnisse bewirken, sind für ein Lernerwörterbuch ausgesprochen ungeeignet Hinzu kommt, daß jeder vernünftige Ansatz für einen durchgehenden textarchitektonischen Ausbau der Artikelstrukturen fehlt, so daß nichts unternommen wurde, um die Textgestaltwahrnehmung zu unterstützen (vgl. Wiegand).- Die starke Textkondensation und die Wahl komplexer Strukturen schaffen erhebliche Erläuterungsverpflichtungen. Diesen sind die Lexikographen zum größeren Teil nicht nachgekommen. Für sie ist offenbar ein fremdsprachiger Benutzer ein gänzlich unbekanntes Wesen, da sie nur rudimentäre Vorstellungen davon haben, was dieser alles wissen muß, um ein so kompliziert gestaltetes Wörterbuch erfolgreich benutzen zu können. Entsprechend sind die „Hinweise für die Benutzung des Wörterbuchs" die schlechtesten, die in einem neueren größerem Lernerwörterbuch der Sprachen Europas zu finden sind.- Weiterhin ist die Bearbeitung der politischen Lexik außerordentlich problematisch (vgl. Haß-Zumkehr) und geradezu erschreckend ist die mangelnde Sensibilität gegenüber allen kulturellen Besonderheiten im deutschen Sprachgebiet, die sich im Gebrauch der deutschen Sprache niedergeschlagen haben und die ein Lemer erfahren muß (vgl. Kühn). Das DGWDAF, so läßt sich zusammenfassend sagen, ist in zahlreichen Aspekten kein richtiges Lernerwörterbuch. Die Lexikographen haben die einschlägigen Forschungen zu den Lernerwörterbüchern ganz offensichtlich nicht ausreichend berücksichtigt und gute Ansätze in anderen Wörterbüchern der pädagogischen Lexikographie unbeachtet gelassen. Damit wurde die Chance vertan, daß im Lehrbereich Deutsch als Fremdsprache ein neues gutes Wörterbuch zur Verfügung steht. Denn das DGWDAF kann niemandem empfohlen werden. Abschließend danke ich den 30 Autorinnen und Autoren dieses Bandes, die meinen durch die Bandgliederung gemachten Vorgaben weitestgehend gefolgt sind. Kleinere Änderungsvorschläge habe ich dankbar berücksichtigt. Für den Inhalt ihrer Beiträge sind die Autoren und Autorinnen selbst verantwortlich; dies soll zugleich auch heißen, daß ich nicht alle Auffassungen teile, die in diesem Band vertreten werden.- Mein besonderer Dank gilt abschließend meinem wissenschaftlichen Mitarbeiter Michael Beißwenger sowie meiner studentischen Hilfskraft Christina Lippert, die die Herstellung der Druckvorlage betreut haben. Stellenbosch, im September 2001
H.E.W.
RAPITELI D a s DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE im Vergleich
Werner Wolski D a s DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE u n d L A N G E N S C H E I D T S G R O B W Ö R T E R B U C H D E U T S C H ALS F R E M D S P R A C H E .
Ein Vergleich im Hinblick auf die Semantik Bedeutung Sie ist der Funke, der geschlagen wird: aus Lauten-Strom - und isoliert mit jenem Kitt, welcher gleiche Mantik sozial vertritt. W.W.
1 2
3.1
Einleitung Zur Bezugnahme auf Bedeutungsfragen in den Textteilen des Wörterbuchvorspanns Bedeutungsparaphrasen in den beiden Wörterbüchern Allgemeine Aspekte
1
Einleitung
3
3.2 3.3 4 5 6
Zur Darstellung homonymer und polysemer Lemmazeichen Besonderheiten des Kommentierungsvokabulars Zum Datenangebot weiterer Angabeklassen Schlussbemerkungen Literatur
A l s d a s LANGENSCHEIDT GROBWÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE ( L G W D A F ) in
der Aufl. von 1993 erschien, ist es von metalexikographischer Seite weithin beachtet worden. Vor allen in zwei umfangreichen Sammelbänden, nämlich Barz/Schröder Hrsg. (1996) sowie Wiegand Hrsg. (1998), werden die wesentlichen, mit einem Lernerwörterbuch diesen Typs verbundenen, konzeptionellen Aspekte ausführlich angesprochen, zahlreiche Vorzüge des LGWDAF hervorgehoben, aber auch verschiedene Mängel aufgezeigt. F ü r d e n v o r l i e g e n d e n V e r g l e i c h d e s L G W D A F m i t d e m DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE ( D G W D A F ) e r s c h e i n t e s als nützlich, e i n e A n s c h l u s s k o m -
munikation in der Weise herzustellen, dass vor allem auf die in den Beiträgen genannter Bände vorgebrachten Argumente zu Details des LGWDAF Bezug genommen wird. Auf eine ausführliche Erörterung bedeutungstheoretischer Grundsatzfragen zu tradierten Konzepten (Merkmalsemantik, sog. „lexikographische Definition") sowie auf eine Auseinandersetzung mit Perspektiven framebasierter Darstellungsverfahren (vgl. Konerding 1998) und zum Status von Kollokationen (vgl. Lehr 1998) muss an dieser Stelle allerdings verzichtet werden. Mit dem Untertitel vorliegenden Beitrags, nämlich „Ein Vergleich im Hin-
4
Werner Wolski
blick auf die Semantik", wird in verkürzter Formulierung erfasst, dass auf Spezifika der Kommentierung von Bedeutungen (qua so bezeichnetem semantischen Kommentar versus Form/commentar) in den beiden Wörterbüchern abgehoben wird, die auf - wie immer auch vermittelten - bedeutungstheoretischen (i.e. semantischen) Annahmen beruhen; zu Details des Verhältnisses von Semantik und Lexikographie sei auf Wolski (1999) u. (2001a) verwiesen. Im Hinblick auf Fragen der Kommentierung von Bedeutungen im Wörterbuch steht - in sämtlichen Arbeiten, teils auch in den beiden genannten Bänden zum L G W D A F - die sog. „lexikographische Definition" durchaus im Zentrum der Aufmerksamkeit. Eine Auseinandersetzung zu Statusfragen vermeintlicher „Definitionen" im Wörterbuch erübrigt sich im Rahmen vorliegenden Beitrags aber angesichts ausführlicher Arbeiten dazu (vgl. z.B. Wiegand 1989); wo sich die Bezugnahme auf „Definitionen" heute noch findet (z.B. in Wörterbucheinleitungen), dürfte es sich überwiegend um eine laxe, bloß abkürzende bzw. auch unbedachte Redeweise handeln, mit welcher der Ausdruck Definition nicht unbedingt in einem wissenschaftstheoretisch gewichtigen Sinne vertreten wird. In terminologischer Übereinstimmung mit der internationalen neueren Wörterbuchforschung, deren Ergebnisse das „Wörterbuch zur Lexikographie und Wörterbuchforschung/Dictionary of Lexicography and Research of Lexicography" präsentieren soll, wird hier - zur Vermeidung von Missverständnissen hinsichtlich der bedeutungstheoretischen Orientierung - der Terminus Bedeutungsparaphrase bzw. Bedeutungsparaphrasenangabe (abgekürzt: BPA) verwendet, um auf dasjenige Textsegment aus der Menge der Bedeutungsangaben Bezug zu nehmen, das man manchmal (aus Gründen der einfacheren Verständigung) als lexikographische Definition bezeichnet. Gerade für das Lernerwörterbuch ist, hier im Rahmen der Untersuchungen zum LGWDAF, wiederholt auf Ergebnisse der Sprachlernforschung hingewiesen worden, wonach zu einer erfolgreichen Semantisierung sprachlicher Einheiten über die BPA hinaus der Vernetzung mit Daten anderer Angabeklassen ein wesentliches Gewicht zukommt. So stellt Sylvia Eggert heraus: Ausgehend von Erkenntnissen der Gehirnforschung wird immer wieder betont, dass es für eine dauerhafte Speicherung und flexible Abrufbarkeit von Lexik wichtig ist, Wortschatz als System darzustellen (z.B. indem man Ordnung und Strukturierung transparent macht durch Systematisierung und Differenzierung) [...], Paradigmatische Beziehungen im Lexikon mit den syntagmatischen zu verbinden [...] und Wortschatz zu veranschaulichen durch Verknüpfung mit visuellen Elementen [...]. Ferner wirkt sich nachweislich eine Einbettung der Lexik in ein textuelles bzw. situatives Umfeld auf die Dauer des Behaltens aus. (Eggert 1996,9).
Was das L G W D A F angeht, so wird laut Eggert dessen „großer Wert für die detaillierte Semantikbeschreibung" (ebd., 8) immer wieder hervorgehoben. Dass das D G W D A F diesbezüglich hinter dem L G W D A F gewiss nicht zurücksteht, zeigen bereits oberflächliche Stichproben zu einzelnen Artikeln. In vorliegendem Beitrag ist aber nicht angestrebt, die lexikographischen Ergebnisdarstellungen aus L G W D A F und D G W D A F insgesamt bewertend einander gegenüberzustellen. Auch braucht auf Details verschiedener, für die Semantisierung relevanter, Textbausteine (Kollokationsangaben, Beispielangaben u.a.m.) ebenso wenig ausfuhrlich eingegangen zu werden, wie auf die Wortarten- bzw. funktionstypspezifische Kommentierungspraxis (Gradpartikel, Modalpartikel, Phraseologismen u.a.m.), da dies den jeweiligen Einzelbeiträgen vorliegenden Bandes vorbehalten ist.
Das DGWDAF und LGWDAF. Ein Vergleich im Hinblick auf die Semantik
2
5
Zur Bezugnahme auf Bedeutungsfragen in den Textteilen des Wörterbuchvorspanns
Das L G W D A F will „Leitfaden flir den richtigen produktiven wie rezeptiven Sprachgebrauch und Unterrichtsmittel zugleich" („Lexikographische Vorbemerkung", vii) sein. Im D G W D A F wird die Zielsetzung des Wörterbuchs mit anderer Gewichtung so präzisiert: D a s DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE ist vor allem als Wörterbuch zur
Sprachproduktion gedacht, doch kann es natürlich auch im Rahmen seines Wortschatzausschnitts für die Sprachrezeption verwendet werden, (vii).
Wenn man an dieser Stelle Einzelheiten der in beiden Wörterbucheinleitungen dargelegten Gesichtspunkte übergeht (vgl. einiges dazu in nachfolgenden Abschnitten), dann hebt sich im L G W D A F vor allem die Bezugnahme auf eine „integrative Bedeutungsbeschreibung" (vii) hervor: Kollokationen, Beispielsätze, „Typische Komposita, idiomatische Ausdrücke" vermitteln demgemäß „in ihrer Gesamtheit ein klares Bild von Inhalt und Umfang der Bedeutungen eines Stichworts"; außerdem verdeutlichen Illustrationen „Bedeutungsunterschiede und semantische Zusammenhänge" weiter (vi). Dies könnte auch in der Wörterbucheinleitung eines allgemeinen einsprachigen Wörterbuchs stehen, wären nicht doch einige Spezifika hervorzuheben, durch die sich das L G W D A F von Wörterbüchern diesen Typs abhebt und auf die in genannten Bänden allenthalben hingewiesen wird (vgl. unter 4.). Das D G W D A F bietet sicher keine minder „integrative Bedeutungsbeschreibung" als das L G W D A F , wenngleich hier weniger griffig formuliert wird: Der Wortkombinatorik kommt in einem Wörterbuch dieser Spezies eine besondere Bedeutung zu. Semantik, grammatische Regularitäten und die lexikalische Verbindbarkeit bilden ein Beziehungsgeflecht, das dem Nichtmuttersprachler bei der Textbildung erhebliche Schwierigkeiten bereitet. (xiv)
Anschließend wird sehr ausführlich und hinreichend präzise auf Spezifika und die Präsentationsweise der „idiomatischen Wendungen (Phraseologismen)", FunktionsverbgefÜge, „kommunikativen Wendungen", sowie der „Kollokationen und freien Verbindungen" (xiv) eingegangen. Wesentlich reichhaltiger und aussagekräftiger als im L G W D A F sind im D G W D A F auch Ausführungen zur Rolle der „Bedeutungserklärung" (x), zu Stilebenen und Stilfärbungen (xi), sowie zu ,,Wortbildungsmuster[n], Wortfamilien und Wortfelder" (xi). Nicht allein aus der Bezugnahme auf z.B. die „onomasiologische Blindheit" (auch andernorts oft aufgegriffener terminologischer Phraseologismus im Anschluß an Arbeiten von H. E. Wiegand), sondern auch aus anderen Passagen der Wörterbucheinleitung geht hervor, dass Aspekte der neueren Wörterbuchforschung einen Einfluss auf die Abfassung insbesondere bedeutungstheoretischer Details ausgeübt zu haben. Die Wörterbucheinleitung des L G W D A F ist im Vergleich dazu eher traditionellen Mustern werbend-floskelhafter Darlegungen zur eigenen Kommentierungspraxis verpflichtet. Da die Wörterbuchartikel beider Wörterbücher einen erheblichen Komplexitätsgrad aufweisen (das Datensortiment ist in beiden sehr groß und der Textverdichtungsgrad hoch), ist es Benutzern unumgänglich, die entsprechenden Partien der Wörterbucheinleitung zuvor zur Kenntnis zu nehmen. H.E. Wiegand gelangt nach der Analyse der Mikrostruktur einiger Artikel des L G W D A F dem entsprechend zu folgendem Resümee:
Werner Wolski
6
Das Wissen über die Artikelgestaltung, das ein kundiger Benutzer-in-actu (also einer, der die Metatexte des LGWDAF genau kennt und sich nach ihnen richtet) haben muß, um aus den lexikographischen Textdaten des ersten Subkommentars zur Form und Semantik [Bezug ist der Artikel zu Dose - W.W.] lexikographische Informationen (als kognitive Entitäten) erarbeiten zu können, geht über die Kenntnis der allgemeinen Benutzungspraxis [...] erheblich hinaus. (Wiegand 2000, 1154; zuerst 1995).
Vom Blickwinkel der Unterrichtspraxis mit Deutschstudenten aus Taiwan macht Ingrid Plank auf weitere Aspekte aufmerksam: Nun wird man zu Recht anmerken, alle diesen nötigen wissenswerten Informationen [auf welche die Verf. zuvor eingeht - W.W.] stecken ja in dem Kapitel Hinweise für den Benutzer, mit dem man sich eben vertraut machen muß. Es wäre jedoch naiv zu glauben, der Durchschnittsstudent werfe freiwillig mehr als einen Blick in die trockene theoretische Gebrauchsanweisung. Auch das LWB bildet da leider keine Ausnahme, mag sein achtzehnseitiges theoretisches Einweisungskapitel auch noch so systematisch aufgebaut und in relativ einfachem Deutsch gehalten sein. (Plank 1993, 166).
Sie weist aufgrund ihrer praktischen Erfahrungen mit chinesischen Studenten außerdem auf folgendes hin: Das Kapitel Verwendete Abkürzungen und Bezeichnungen auf der Innenseite des Buchrückens ist außerdem ohne entsprechende Beispiele für chinesische Studenten nicht so einfach zu entschlüsseln wie fìir Europäer, da die chinesische Sprache so gut wie keine Internationalismen kennt [...] und mit dem lateinischen Grammatiksystem nur schwer zu fassen ist (es gibt z. B. keinen Plural, keinen Kasus, keine Konjugation und keine Zeiten), (ebd. 167).
Deshalb muss nach Plank der „Aufbau eines Wörterbuchs" erst „bewusst gemacht werden" (ebd. 167). Dazu stellt sie mit einiger Berechtigung die Frage „Aber warum sollte es eigentlich nicht möglich sein, in einem speziellen LERNERwörterbuch z.B. die Hinweise für den Benutzer gestalterisch und didaktisch .aufzupeppen'?" (ebd. 168), um sogleich Vorschläge dazu anzuschließen (168ff.). Diesen Vorschlägen kann hier nicht nachgegangen werden. Angemerkt sei lediglich, dass sich dem D G W D A F ein solches Optimierungsanliegen im Hinblick auf die Benutzer gleichermaßen stellt, wenn auch dessen Wörterbuchvorspann der sprachlichen Ausformung nach im Vergleich zum LDAF inhaltliche und gestalterische Vorzüge aufweist.
3
Bedeutungsparaphrasen in den beiden Wörterbüchern
3.1
Allgemeine Aspekte
Bevor auf zwei in den genannten Bänden immer wieder angesprochene Spezialprobleme eingegangen wird, seien an dieser Stelle zunächst einige übergreifende Aspekte zum Charakter der hier so bezeichneten Bedeutungsparaphrasen (in zitierten Beiträgen auch: Bedeutungserläuterungen, Bedeutungserklärungen, Definitionen) angesprochen: Klaus-Peter Konerding weist auf die „Semantische Schematizität" hin, welche darin besteht, dass „ein Großteil sprachpragmatisch und kognitiv relevanter Aspekte und Eigenschaften möglicher und typischer Referenten einer lexikalischen Einheit in deren Semantik
Das DGWDAF
und LGWDAF.
Ein Vergleich
im Hinblick
auf die
Semantik
7
nur dem allgemeinen Typ nach determiniert sein müssen" (Konerding 1998, 117); weiterreichende Kommentierungen erfolgen durch ko- und kontextspezifische Spezifizierungen (auch in Form von Beispielangaben). Mit den Vorschlägen „zu möglichen Systematisierungen der frameattributspezifischen Bedeutungsparaphrasenangaben" (ebd. 130) sollen die „weitgehend auf Intuition" beruhenden „traditionellen Bedeutungskommentare" (ebd. 132) auf eine nachvollziehbare Basis gestellt werden. Vor einer Überbewertung der Bedeutungsparaphrasen (dort: „Bedeutungserläuterungen") warnt Peter Kühn, der verschiedene kritische Einwände gegen deren Spezifika und Rolle anführt: Bezugnehmend auf Zöfgen (1994, 141 ff.) stellt er nach kritischer Sichtung der Kommentierungspraxis in gemeinsprachlichen Wörterbüchern („umständlich und unnatürlich", unglaubwürdiger Definitionsanspruch etc.) fest: „Alis lernerlexikographischer Sicht stellt sich damit die Frage nach dem Stellenwert und Nutzen solcher Bedeutungserläuterungen." - Am Beispiel des Lemmazeichens Hund merkt er des weiteren (gleichfalls im Anschluß an Ausführungen aus Zöfgen 1994) an, Bedeutungserläuterungen seien „für die Deutschlerner kaum nützlich", welche „wohl eher selten die Bedeutung eines Wortes im Wörterbuch nachschlagen" (Kühn 1998, 37). Neben der geforderten Einbeziehung „fremdkulturelle[r] Perspektiven" (vgl. dazu einige Bemerkungen anschließend) hebt er anschließend hervor: Fremdsprachenlerner wollen nicht wissen, was beispielsweise ein Hund ist und wie sich ein Hund von anderen Säugetieren oder Haustieren unterscheidet - dies wissen sie auf Grund ihrer eigenen Lebenserfahrung. Sie wollen eher Information darüber, wozu man einen Hund benutzen kann oder wie Hunde aussehen und vor allem auch, wozu und wie Hund gebraucht wird. Diese Informationsbedürfnisse erfordern folglich eher Bedeutungserläuterungen im Sinne von Funktions- und Gebrauchsbeschreibungen als Bedeutungserklärungen [...]. (Kühn 1998, 37).
Ein Vergleich zwischen den beiden Wörterbüchern zeigt: Im L G W D A F findet sich s.v. Hund nach der ersten Polysemieangabe: „ein Tier, das dem Menschen bei der Jagd hilft, sein Haus bewacht u. bes als Haustier gehalten wird" [hier schließen sich Kollokationsangaben an; sh. dazu die Ausführungen unter 4.]. Im D G W D A F ist das folgendermaßen gefasst: „Haustier, das sehr gut hören und riechen kann und zur Jagd und zu Hause als Wächter verwendet wird; gilt als treuer Freund des Menschen" [...]. An dieser Stelle soll auf kritische Anmerkungen zu den hier (wie in fast sämtlichen anderen Artikeln, auch solchen aus anderen Wörterbüchern) hervortretenden Unterschieden verzichtet werden, was Auswahl und Reihenfolge der verwendeten Prädikatoren samt dabei hervortretender Besonderheiten von Hypero- und Hyponymiebeziehungen angeht. Wichtiger erscheint es darauf hinzuweisen, welche Perspektiven (neben denen aus Konerding 1998) zur Verbesserung der Kommentierungspraxis aufgezeigt werden. Kühn spricht sich für „lexikographische Erzählungen oder Geschichten" (Kühn 1998, 52) aus, in die außer der BPA weitere paradigmatische und syntagmatische Angaben integriert sein sollen. In ähnlicher Weise stellt sich Günter Kempcke eine „narrative Beschreibung" für ein Lernerwörterbuch als „besonders geeignet" (Kempcke 1996, 122) dar. Das Beispiel ist das Lemmazeichen Schere aus dem L G W D A F . Zur Veranschaulichung sei der Artikel aus dem D G W D A F gleichfalls präsentiert (vgl. Abb. 1). Kempcke moniert zurecht, dass man Paraphrase und Bild (hier nicht wiedergegeben) hätte aufeinander abstimmen sollen, „dass man in der Paraphrase auf alle äußeren Angaben zum Gegenstand" besser „verzichtet und sich beispielsweise auf die Funktion des referier-
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Werner Wolski
ten Gegenstandes beschränkt" hätte. Mit vielen, von anderer Seite vorgetragenen, kritischen Stellungnahmen zum Charakter von Bedeutungsparaphrasen stimmt überein, was Kempcke sodann im ersten Teil nachfolgend zitierter Passage feststellt. Die Feststellung, hier liege eine „narrative Beschreibung" vor, erscheint allerdings nicht nachvollziehbar, zumal vor dieser Passage von ihm sämtliche „Erklärungsmerkmale" des Subkommentar - von „ein Gerät" bis „miteinander verbunden wird" (vgl. /WA 1/) - als „überflüssig" (vgl. ebd.) bezeichnet werden: Hier hätte statt einer umständlichen, enzyklopädisch anmutenden Beschreibung die Angabe der Funktion völlig ausgereicht. Die Paraphrasierung hat in den Gesamtwörterbüchern meist die Form eines Relativsatzes. Der Hauptsatz und Vordersatz enthält Angaben zum genus proximum, der Nebensatz die Merkmale, die das Lexem vom Oberbegriff unterscheiden. Im LWB folgt man im großen und ganzen dieser Tradition, wendet sich aber auch gelegentlich einer narrativen Beschreibungsform zu, wie die Paraphrase von Schere zeigt. Diese narrative Beschreibung erscheint uns für ein Lemerwörterbuch besonders geeignet; dem Benutzer werden auf diese Weise mit Attributen überfrachtete Erklärungen erspart, Erklärungen, die beim Lesen einen langen Atem erfordern und die Paraphrase unübersichtlich erscheinen lassen. (Kempcke 1996, 122). Sche-re die: -. -«; 1 ein Gerät, mit dem man bes Schere ['Jeao], die; —, — η "zum Schneiden dienendes Gerät, Werkzeug aus zwei über Kreuz verbundenen Papier od. Stoff schneidet. Es besteht aus zwei scharfen, flachen Meiallstücken. die an einem Ende messerartigen Teilen"; / FELD V.5.1 ( s TABI. e-η GrifT(m.vi mil c-in Loch für e-η Finger) haben vi. Werkzeuge): eine scharfe, kleine eine ~ schleidie beweglich in der Form e-s X miteinander verfen; Papier, Stoff, Blech mit der ~ zerschneiden: bunden sind ") sind allerdings kaum von einem Rhombus „ o " (im Wörterbuchartikel zu Schwein kommt ein Rhombus vor) zu unterscheiden.
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Stefan J. Schierholz
4.2
Die Vollständigkeit der Grammatikangaben
Für die linguistische Analyse der in den Wörterbuchartikeln enthaltenen GrA.S werden aus dem D G W D A F zwei Stichproben zu 129 Lemmata gezogen,20 bei denen es sich nicht ausschließlich um Eingangslemmata handelt. Insbesondere soll geprüft werden, ob die lexikographischen Angaben entsprechend den Ankündigungen aus den Benutzungshinweisen in den Wörterbuchartikeln enthalten sind und ob die Angaben korrekt sind.
4.2.1 Die Morphologieangaben Von insgesamt 258 Lemmata sind zu 160 (Stichprobe I: 78; Stichprobe II: 82) keine Beanstandungen in Bezug auf die MorA.S zu machen. Von den Stichprobenmitgliedem sind 38 (I: 20; II: 18) Komposita, die keine Eingangslemmata sind. Das Verfahren im D G W D A F , bei den meisten Komposita das Bestimmungswort als Eingangslemma und somit als Teillemma einzutragen, während das Grundwort als Teillemma innerhalb des Wörterbuchartikels in einer gruppierten Nische steht, mag Platz sparend sein, ist aber wenig benutzungsfreundlich. Die Suchzeit nach einem Kompositum wird verlängert, weil keine deutlich erkennbaren Suchzonenanzeiger verwendet werden.21 Einen besonderen Aufwand erfordert das Lemmazeichensuchen, wenn innerhalb des Wörterbuchartikels ein ständiger Wechsel zwischen Groß- und Kleinschreibung der Lemmata vorkommt und somit die Lemmazeichengestaltangabe auf zwei Teillemmata zu beziehen ist, wie es z.B. in den zwei Wörterbuchartikeln der Fall ist, die mit „drei/Drei" beginnen, oder in dem Wörterbuchartikel mit dem Eingangs lemmazeichen „zu/Zu-schanden". Hier findet ein Benutzer, der eine Wissenslücke in Bezug auf die Groß- oder Kleinschreibung des Lemmazeichens hat, keine eindeutigen Angaben zur Rechtschreibung. Hinzu kommt, dass die Nachschlagehandlung in die Länge gezogen wird, da bei einem Kompositum „beim Substantiv die Flexionsformen [entfallen], wenn diese mit dem Grundwort (ζ. B. Brot in Abendbrot) identisch sind".22 Bei 67 lemmatisierten Komposita der beiden Stichproben (I: 33; II: 34)23 muss man zweimal nachschlagen, wenn man etwas Uber die MorA wissen will. Bei Holzblasinstrument und Voranschlag muss gar ein drittes Mal nachgeschlagen werden, wenn man nicht sogleich erkennt, dass das lemmatisierte Kompositum dreigliedrig ist. Lässt man diese vor allem die Mikroarchitektur betreffenden Probleme außer Acht, so bleiben 44 Wörterbuchartikel (I: 21; II: 23), das sind etwa 17% der Stichproben, die ein
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21
In die erste Stichprobe ist auf jeder zehnten Seite, beginnend mit Seite drei des Wörterbuchartikelverzeichnisses, das erste substantivische Lemma, an das eine Bedeutungsangabe adressiert ist, aufgenommen worden. Ist auf einer Seite kein substantivisches Lemma vorhanden, so wird das nächstfolgende Substantiv der Wörterbuchartikelstrecke in die Stichprobe aufgenommen. So findet man z.B. auf der Seite 643 des DGWDAF kein substantivisches Lemma, so dass das Lemma Machenschaften, das sich auf der Seite 644 des DGWDAF befindet, aufgenommen wird. Bei der Ziehung der zweiten Stichprobe wird ebenso verfahren, nur dass auf der Seite neun des DGWDAF mit der Ziehung des ersten substantivischen Lemmas begonnen wird. Zu den Suchzonen und deren Strukturen vgl. u.a. Bergenholtz/Tarp/Wiegand 1999:1774FF.
22
Vgl. D G W D A F 2000:XV.
23
Es handelt sich dabei um 30 Komposita (1: 12; 11: 18) von insgesamt 38, die keine Eingangslemmata sind, plus 37 Komposita (I: 21; II: 16), die als Eingangslemma im DGWDAF stehen.
Die Grammatik der Substantive im DE GRUYTER
WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
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Eingangs- bzw. Nischenlemma enthalten und in denen man mit den MorA nicht einverstanden sein kann. Es handelt sich dabei um Druckfehler, benutzerunfreundliche Darstellungen, Unregelmäßigkeiten, Unverständliches oder Fehler, die im Folgenden anhand ausgewählter Beispiele vorgestellt werden. 1.
2.
24
25
26 27
28 29
In den Wörterbuchartikeln werden die typographischen Markierungen, die die GrA.S betreffen, oftmals nicht eingehalten. 24 Druckfehler, die die nicht typographischen Strukturanzeiger betreffen, finden sich beim Lemma Bestimmtheit, in dessen Formkommentar das Komma vor der Angabe zur Numerusrestriktion fehlt, und bei den Lemmata Formular und Karies, in deren Formkommentar das Semikolon nach der Genusangabe vergessen worden ist. Bei vielen Lemmata kann die Genitiv-Singularform alternativ mit -es oder -s gebildet werden. Das DGWDAF nennt in diesen Fällen die gebräuchlichere Variante zuerst, während der selteneren Form zur Markierung ein „auch" vorangestellt wird, also: „~s/ auch - e s " bzw. „~es/ auch ~s". 25 Diese Gewichtung der alternierenden Formen - seit langem eine Forderung der theoretischen Lexikographie - 2 6 ist gegenüber der bisherigen lexikographischen Praxis in gängigen einsprachigen Allgemeinund Lernerwörterbüchern eine deutliche Verbesserung. In den Stichproben gibt es 25 Fälle (I: 17; II: 8), in denen die Genitiv-Singularform mit ,,-s" als die gebräuchlichere Form angegeben wird, und 19 Fälle (I: 9; II: 10), in denen es umgekehrt ist.27 Im Vergleich mit Corpusbelegen 28 und mit den Genitiv-Singularangaben in anderen Wörterbüchern 29 weichen im DGWDAF die Angaben in einigen Wörterbuchartikeln ab. Im Folgenden einige Beispiele: Zu den Lemmata Bleikristall und Vormittag enthalten LGWDAF und DDUw ausschließlich die Genitiv-Singularform mit -s, das DGWDAF lässt auch „Kristalles" und „Mittages" zu. In den Corpusabfragen findet sich zu „Bleikristalles" (oder zu „Kristalles") bzw. zu „Mittages" kein Beleg und zu „Vormittages" nur ein Beleg. Zum Lemma Schlaf wird im DGWDAF die Genitiv-Singularform „Schlafs" gegenüber „Schlafes" als die gebräuchlichere Form angegeben. Die Vergleichswörterbücher enthalten beide Formen, die Corpusdaten jedoch deutlich mehr Belege zu „Schlafes" (-es: 14; -s: 4). Ähnlich verhält es sich mit den Lemmata Sozialamt
Weitere Druckfehler, die in den Wörterbuchartikeln zu den in der Stichprobe enthaltenen Lemmata gefunden worden sind: Bei dem Lemma Laut ist der Kursivdruck für die Beispiele („ein klagender, unartikulierter, unverständlicher unterblieben, und bei dem Lemma Klischee fehlt die Polysemieangabe vor der ersten Bedeutungsparaphrase. Auch andere Genitiv-Singularformalternationen werden in den Wörterbuchartikeln angegeben, z.B. zu Diagonale „Diagonale/Diagonalen", zu Meteorit „Meteoriten/Meteorits", zu Parallele „Parallele/Parallelen". Vgl. Mugdan 1985:193f.; Schierholz 1996a:146f.; Schierholz 1998:93f. Die Genitiv-Singularangaben, die bei einem Kompositum fehlen, aber bei dem Grundwort des Kompositums stehen, sind bei der Ermittlung der Werte mitgezählt worden. TAZ-2 Corpus (TAZ 1995) und FAZ 1994. LGWDAF 1994 und DDUw 1996. Diese Wörterbücher enthalten zwar keine Gewichtung der Genitiv-Singularform, geben aber auch Alternationen an.
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3.
4.
Stefan J. Schierholz (bzw. dem Grundwort „Amt"), Verband und Verstand, bei denen ebenfalls die Genitiv-Singularform mit -es wesentlich häufiger belegt ist als die Form mit -s. 30 Bei den Lemmata Umfang, Wahnsinn und Zusammenhang bzw. den lemmatisierten Grundwörtern Fang, Sinn und Hang, zu denen die Genitiv-Singularformen angegeben sind, wird im DGWDAF „-es" als die gebräuchlichere Form genannt. Die Vergleichswörterbücher enthalten beide Genitiv-Singularformen, die Corpusabfragen zeigen bei den Komposita eine deutliche und bei den Grundwörtern eine leichte Überzahl für die Genitiv-Singularbildung mit -$. 31 Zur Kennzeichnung von Genusvarianten, die laut „Hinweise zur Benutzung des Wörterbuchs" durch eine Virgel markiert sind, werden verschiedene nicht typographische Strukturanzeiger, nämlich „," (bei „Erwachsene, der, die;"), , / " (bei „Spray, der/das;") sowie „u." (bei „Tote, der u. die; Verwundete, der u. die; Strafgefangene, der u. die; Reisende, der u. die;") verwendet. Die zuletzt aufgeführte Variante („u.") wird in den Benutzungshinweisen nicht erwähnt, tritt aber am häufigsten in den Stichproben auf. Diese Angabenvielfalt wird im Zuge einer Nachschlagehandlung höchstwahrscheinlich nicht zu Missverständnissen führen, die Angabebezeichnungen sollten aber vereinheitlicht werden. Verbesserungswürdig ist auch die Reihenfolge der Angaben zu Genusvarianten. Ähnlich wie bei den Angaben zur Genitiv-Singularform sollte das häufiger vorkommende Genus zuerst genannt werden. 32 Neben den in den Benutzungshinweisen erklärten Angaben zur Numerusrestriktion, „", „", „ " und „", 33 findet man in den Wörterbuchartikeln auch die Varianten „", „", „" und „". 34 Hier wünscht man sich eine einheitliche Benennung der Angabeklassen. Aber auch die Richtigkeit einiger Numerusangaben muss angezweifelt werden. So stimmt zum Lemma Reisende die Angabe „" nicht, zu den Lemmata Anziehungskraft und Berührung die Angabe „ < o . P l > " nicht, zu Machenschaften die Pluraletantumangabe nicht, die besser in „" geändert werden sollte. 35 Auch die alternative Pluralbildungsform zum Lemma Nachlass, „Nachlasse" bzw. „Nachlässe", sollte nicht gleichberechtigt nebeneinander stehen; denn die Abfragen zeigen in beiden Corpora eine eindeutige Überzahl von „Nachlässe" (TAZ: 17; FAZ: 25) gegenüber „Nachlasse" (0/0). Hier wäre eine Gewichtung der Pluralbil-
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Sozialamt (-es·. 53; -i: 15), Amt (-es: 1072; -s: 265), Verband (-es: 1917; -Î: 217), Verstand (-es: 31 ; -s: 3). Es sind jeweils die Summenwerte der Abfragen aus beiden Corpora eingetragen. Umfang (-ei: 9; -s: 56), Fang (-ei: 2; -Î: 5), Wahnsinn (-es: 0; -Í: 88), Sinn (-es: 26; -s: 45), Zusammenhang (-es: 7; -i: 70), Hang (-es: 5; -s: 10). Es sind jeweils die Summenwerte der Abfragen aus beiden Corpora eingetragen. Dies würde im Wörterbuchartikel mit dem Lemma Spray zu einer Änderung führen: Im LGWDAF ist zu Spray der sächliche Artikel zuerst angegeben, im DW fehlt der maskuline Artikel, und in den Corpora kommt das neutrale Genus wesentlich häufiger vor. V g l . DGWDAF 2 0 0 0 : X V I I I .
Z.B. unter den Lemmata Wind, Möglichkeit, Qualität, Lager. Machenschaften: 459 Belege, Machenschaft: 9 Belege (Summenwerte der Abfragen aus beiden Corpora).
Die Grammatik der Substantive im DE GRUYTER
5.
WORTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
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dungsangabe sinnvoll, vorausgesetzt man hält die Pluralbildung mit „Nachlasse" überhaupt für eine korrekte Form. Beim Lemma Lager führt das Verfahren, die MorA, die für den ganzen Wörterbuchartikel gelten, vor die erste Polysemieangabe zu setzen („das; ~s, -/auch Läger"), zu einer wenig übersichtlichen Darstellung, weil hinter den fünf Polysemieangaben mit Ausnahme der vierten die Pluralbildungsangabe „" lautet, während hinter der vierten Polysemieangabe keine MorA stehen. Damit soll ausgedrückt werden, dass der Plural des Lemmas Lager viermal „Lager" lautet und nur einmal neben „Lager" auch „Läger" bildbar ist. Besser und auch Platz sparender wäre es, die Pluralform „Läger" nur bei der vierten Polysemieangabe anzugeben; denn dann hätte man die Pluralangaben im ersten Formkommentar kürzen können, und die schwer zu interpretierende Pluraiformbildungsrestriktion („") hinter den übrigen Polysemieangaben zu Lager könnten wegfallen. Die Auswahl der Beispielangaben, die die Numerusrestriktionsangabe erläutern sollen, ist in einigen Wörterbuchartikeln nicht optimal. Zu der zweiten Polysemieangabe, die an das Lemmazeichen Eimer adressiert ist, kann die Angabe „" im Zusammenhang mit den Beispielangaben, „ein Eimer Wasser; einen Eimer Wasser auf das Beet gießen", zu Fehlinterpretationen führen; wenn man den Schluss ziehen sollte, dass man das Lemma gar nicht im Plural verwenden darf, also nicht sagen kann: „zwei Eimer Wasser". Wenn zur zweiten Bedeutung des Lemmas Wind die MorA „" lautet, so ist es ungeschickt, wenn von zwei Beispielangaben die eine die Singularform des Lemmas enthält („einen Wind fahren lassen"). Das Weglassen der MorA bei den Komposita, das einen Benutzer-in-actu oftmals zu mehrfachen Nachschlagehandlungen zwingt, ist im DGWDAF nicht systematisch durchgeführt worden und hat in einigen Wörterbuchartikeln zu Fehlern geführt. Zur Deklination der Lemmata Schublade und Ziehharmonika erfährt man nichts, da die jeweiligen Grundwörter, „Lade" und „Harmonika", nicht lemmatisiert sind. Man findet Wörterbuchartikel, in denen zu den lemmatisierten Komposita die MorA zum Genitiv Singular und zum Nominativ Plural vorhanden sind (zu Büchsenöffner, Schönfärberei, Tuchfühlung), obwohl deren Grundwörter lemmatisiert sind. Zu Sauwetter und Zugluft ist die Numerusrestriktion „" angegeben, die auch bei den lemmatisierten Grundwörtern Wetter bzw. Luft angegeben ist. Zu Textilindustrie, für dessen Grundwort „" angegeben ist, liegt keine Numerusverwendungshäufigkeitsangabe vor. Gleiches gilt für Einverständnis, Habgier und Traubenzucker, bei denen die Numerusrestriktionsangabe „" fehlt, die bei den Grundwörtern (Verständnis, Gier, Zucker) angegeben ist. Hingegen ist es benutzerfreundlich, wenn bei einigen Komposita (zu Streichholz, Zollstock) auch die Pluralform in den Wörterbuchartikeln genannt wird. Das Verfahren, von den MorA, die beim Grundwort stehen, auf die Flexion des Kompositums zu schließen, ist insbesondere bei den Verwendungshäufigkeitsangaben problematisch, weil die Angabe, die für das Grundwort gilt, keineswegs für jedes mit dem Grundwort gebildetes Kompositum gelten muss. Wenn außerdem die MorA bei den Grundwörtern fehlerhaft sind, lassen sich Suchfragen zur Flexion von Komposita kaum zuverlässig beantworten. So ist die Präferenzierung von ,,-s" gegenüber „-es" in der Genitiv-Singularform zu den Grundwörtern „Tier" (zum Kom-
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Stefan J. Schierholz
positum Nagetier) und „Stoff (zum Kompositum Schaumstoff) fehlerhaft, ebenso wie die Präferenzierung von „-es" gegenüber ,,-s" in der Genitiv-Singularform bei „Instrument" (zu den Komposita Holzblasinstrument und Zupfinstrument). 36 Das führt dazu, dass im DGWDAF alle lemmatisierten Komposita, die „Stoff' bzw. „Tier" als Grundwort haben, fehlerhaft in Bezug auf die Verwendungshäufigkeit der Genitiv-Singularform bearbeitet sein können, weil keine MorA gemacht werden. Zu einigen Lemmata (Einhalt, Fersengeld, Mucks, Unding) der Stichprobe sind keine MorA eingetragen, weil diese Wörter nur in Redewendungen vorkommen. Zumindest eine Genusangabe wäre erforderlich, damit die korrekte Flexion präponierter Lexeme möglich ist. Auch andere Wörterbücher verfahren hier uneinheitlich. LGWDAF zeigt das Genus bei allen Lemmata an, das DDUw zu Unding; zu Mucks ist in den letztgenannten Wörterbüchern neben der Genusangabe auch die GenitivSingularform und Nominativ-Pluralform angegeben; DW enthält zu allen Lemmata die genannten MorA. Corpusabfragen (TAZ-2 Corpus) belegen, dass „Einhalt" auch mit flektierendem Indefinitpronomen („kein/keinen Einhalt bieten") vorkommt, dass zu „Mucks" neben den Redewendungen im DGWDAF, die „kein Mucks" oder „keinen Mucks" enthalten, auch Varianten möglich sind („ein Mucks", „der geringste Mucks") und dass „Unding" auch im Plural gebräuchlich ist. Die im DGWDAF angegebenen Redewendungen schränken also die Gebrauchsmöglichkeiten von „Mucks" zu sehr ein. Das Genus von „Einhalt" kann mit Hilfe des DGWDAF nicht erschlossen werden, und die Pluralverwendung von „Unding" ist für einen Lerner, der das DGWDAF konsultiert, nicht existent. Die MorA. S enthalten Verbesserungen in der Gewichtung alternierender GenitivSingularformen. Das Weglassen der MorA bei den Komposita mag einerseits Platz sparend sein, ist aber kontraproduktiv, da nicht immer von den Angaben des Grundworts auf die Angaben eines Kompositums geschlossen werden kann. 37 Das Verfahren ist benutzungsunfreundlich, weil sich durch das Mehrfachnachschlagen die Suchzeit verlängert. Zu einigen Lemmata muss der Formkommentar ergänzt werden; uneinheitlich ist die Benennung der Angaben zum Numerus.
6.
4.2.2
Die syntaktischen Angaben
Hinweise zur syntaktischen Umgebung der Substantive findet man in den Wörterbuchartikeln des DGWDAF als explizite und implizite Angaben in Winkelklammem gesetzt oder in kursiver Schrift. Die Angaben in Winkelklammern sind u.a. Hinweise zur Artikel- und Pronomenverwendung, zum Gebrauch attributiver Adjektive und zum Genitivattribut. Syntaktische Angaben in kursiver Schrift sind implizite Angaben, die aus dem Kursivgedruckten erschlossen werden müssen. Explizite Angaben zur Valenz von Substantiven, zu regierten Präpositionen oder zur PPA-Konstruktion gibt es im DGWDAF nicht.
37
Tier (-s: 10; -es: 111), Stoff (s: 41; -es: 149), Instrument (-es: 13; -s: 118) (Summenwerte der Abfragen aus beiden Corpora). Vgl. auch die Kritik zu den MorA im LGWDAF in Schierholz 1998:94FF. und van der Colff 1998:202.
Die Grammatik
der Substantive
im DE GRUYTER WORTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
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Zu den in Winkelklammern gesetzten Angabeklassen gehören Angaben zum Artikelgebrauch, „" (unter Betrieb 2., unter Küche 3.) 38 , „" (zu Bestimmtheit 2.), „" (zu Unzahl) und „" (zu Literatur). Zu der Angabe „ " liegt auch die Variante „" (zu Geflügel) vor. Die Angabe zur Possessivpronomenverwendung gibt es als „" (unter Scharfblick) sowie unter Verwendung des Pluszeichens, „" (zu Junge 2.). Auch zum Pluszeichen findet man eine Variante; denn die Angabe „" (u.a. zu Gestaltung, Klasse 6., Kürze, Vertreter 2., Umfang 5.) kommt ebenso unter Verwendung der Präposition „mit" vor: „" (zu Unzahl). Nicht einheitlich sind auch die Angabebezeichnungen zur Verwendungshäufigkeit von Ordnungszahlen. An das Lemmazeichen Klasse sind „" (zu Klasse 4.) und „" (zu Klasse 5.) adressiert. Diese variantenreichen Ausgestaltungen, deren genuiner Zweck nicht erkennbar ist, erschweren die Wörterbuchbenutzung; denn es ist nirgends im D G W D A F angegeben, welche Angaben als Varianten von welchen Angaben in welcher Weise vorkommen. Leider entsteht dadurch der Eindruck einer nicht Ubermäßig sorgsamen Bearbeitung der syntaktischen Angaben. Unabhängig davon wäre es von Vorteil, wenn im D G W D A F erklärt werden würde, welche Bedeutung das Pluszeichen in den lexikographischen Angaben tragen soll. Verweist das Pluszeichen vor „Gen.attr." auf eine obligatorische oder eine fakultative Verwendung, oder ist das Zeichen ganz anders zu interpretieren? Ähnliche Rezeptionsprobleme kann die Abkürzung „best." bereiten, obwohl sie im Abkürzungsverzeichnis aufgeführt ist. 39 Während man die Verwendung von „best. Artikel" und „unbest. Artikel" als ein grammatisches Grundwissen voraussetzen darf, 40 ist die Markierung „best." im Zusammenhang mit Adjektiven weniger eindeutig („ " zu Praxis 3.); denn es bleibt ungeklärt, welches „bestimmte Adjektiv" oder welche „bestimmten Adjektive" gemeint sein könnten. Die gute Absicht, die Hinweise zu den syntagmatischen Beziehungen des Substantivs in Winkelklammern zu setzen und möglichst ausführlich zu halten, 41 ist wenig benutzungsfreundlich, wenn die Textkondensation übermäßig zunimmt, die Informationsverdichtung zu sehr ansteigt und damit die Wörterbuchbenutzung erschwert wird. Diese Merkmale enthalten z.B. die grammatischen Informationen zu Betrieb 3. („") oder zu Unzahl („"). Darüber hinaus sind die Angaben in den Winkelklammem mehrfach fehlerhaft. Bei Ehemann stimmt die Angabe „" nicht; denn laut TAZ-2 Corpus kommt „ihr Ehemann" nur in 18 von 222 Belegen vor, und bei Zugluft ist die Artikelhäufigkeitsverwendungsangabe „" fehlerhaft, weil das Wort 38
Die Artikelverwendungsangabe erscheint sowohl ohne Blank, „", als auch mit Blank, „". Die Blankverwendung, die in unterschiedlichen Angabeklassen permanent wechselt, wird im weiteren nicht untersucht.
39
Vgl. DGWDAF 2000:XXX.
40
Vgl. auch die Erklärung zu „Artikel" in „Verwendete sprachwissenschaftliche Begriffe", DGWDAF 2000:1325.
41
Allerdings kommen auch Hinweise zur unmittelbaren Kombinatorik vor, die nicht durch Winkelklammem, sondern durch Schrägstriche markiert sind (,/einem Temporaladv. od. der Bez. für einen Wochentag nachgestellt/" zu Vormittag).
Stefan J. Schierholz
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laut TAZ-2 Corpus häufiger mit Artikel auftritt (mit Artikel: 7; ohne Artikel: 3). Zu Klasse stimmt unter der fünften Polysemieangabe die Angabe in den Winkelklammern „" nicht mit der Beispielangabe „die Mannschaft war eine Klasse besser" tlberein. Zu den besonders wichtigen GrA.S gehören für Fremdsprachler die von Substantiven regierten Präpositionen. In der Fachliteratur ist die Bedeutung dieses unregelmäßigen grammatischen Phänomens mehrfach an unterschiedlichen Stellen dargestellt worden.42 Auch die „ D e u t s c h e G r a m m a t i k " von HELBIG/BUSCHA, die der Erstellung der G r A im D G W D A F
zugrunde liegt, beinhaltet seit der ersten Ausgabe die Rektion der Präposition als ein grammatisches Phänomen der Substantive.43 Von einem Fremdsprachler muss die Einheit, Substantiv plus Präposition, als Ganzes gelernt werden, wenn er das Rektionssubstantiv grammatikalisch korrekt benutzen will, und die Wörterbücher, insbesondere Lernerwörterbücher, müssen die Substantive sowie die von ihnen regierten Präpositionen enthalten. Weiterführende Hinweise auf die komplexe Nominalphrase, in der eine regierte Präposition vorkommt, die Präpositionalattributskonstruktion (= PPA-Konstruktion), sind zu einigen substantivischen Lemmazeichen notwendig, bei vielen wünschenswert. Im DGWDAF gibt es keine expliziten lexikographischen Angaben zu PPAKonstruktionen, und die Beispielangaben, in denen PPA-Konstruktionen vorkommen, scheinen diese eher zufällig zu enthalten, so z.B. in den Wörterbuchartikeln zu Fahndung, Kommentar, Machenschaften, Meinung, Parallele, Wissen, Zusammenhang. Zu einigen Lemmata gibt es neben den Beispielangaben eine Angabe in Kursivschrift (z.B. bei Aufschluss („~ über jmdn., etw"), Heißhunger („~ auf etw"), Suche („die ~ nach etw. ")), deren genuiner Zweck möglicherweise als Hinweis auf eine PPA-Konstruktion verstanden werden könnte. Wörterbuchbenutzer müssen dies jedoch aus dem kursivgedruckten Textsegment interpretieren. Wie schwierig das sein kann, soll exemplarisch der Wörterbuchartikel mit dem Lemma Bitte demonstrieren. Bitte, die; ~n '(höflich formulierter) Wunsch, um dessen Erfüllung man jmdn. ersucht, bittet': eine dringende, große eine ~ an jmdn.: ich habe eine ~ an Sie; eine ~ an jmdn. richten; jmds. ~ um etw.: jmds. ~ um Beistand, Unterstützung, Ruhe, Verzeihung; eine ~ äußern, aussprechen; jmdm. eine ~ erfüllen, abschlagen; auf jmds. ~ hin: das ist auf ihre ~ hin gemacht worden; auf seine ~ hin bin ich sofort gekommen; vgl. Dank •> ? bitten
Ein geübter Wörterbuchbenutzer wird bei genauerem Hinsehen die strukturierenden Funktionen der Doppelpunkte und der Semikolons erkennen; allerdings werden diese Funktionen im DGWDAF nirgends erklärt. Darüber hinaus ist für die Besetzung der NachfolgerNPppA zum Rektionssubstantiv Bitte ein Kommentar erforderlich, durch den der Zusammenhang zwischen der unterschiedlichen Semantik („Bitte an jemanden", aber „Bitte um etwas") und den unterschiedlichen regierten Präposition („an" bzw. „um") verdeutlicht wird.
42 43
Vgl. u.a. Müller 1998; Schierholz 1995, 1996, 1998; Wiegand 1985, 1998. Vgl. Helbig/Buscha I972:265ff.
Die Grammatik der Substantive im DE GRUYTER ÍVORTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
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Ein Kommentar zur PPA-Konstruktion ist auch bei Anziehungskraft erforderlich, weil bei „Anziehungskraft a u f nicht - wie allgemein üblich - das Grundwort die Präposition „ a u f fordert, sondern das Bestimmungswort. Verwunderlich ist es auch, dass bei Lemmata, die besonders häufig als Rektionssubstantiv vorkommen, keine Angaben zur regierten Präposition gemacht werden. Bei den Stichprobenmitgliedern fehlen die Angaben zu Absprache mit, zwischen; Allergie gegen, Daten zu, Durchschnitt von, Entscheidung gegen, Favorit auf, Rabatt auf, Mitteilung über, Verfügung gegen. Auch zu den Nebensatzanschlussmöglichkeiten findet man im DGWDAF kaum lexikographische Angaben. Eine Ausnahme stellt u.a. das Lemma Überzeugung dar, an das die Beispielangabe, „er war der Überzeugung, dass" adressiert ist. Der Umfang und die Qualität der syntaktischen Angaben im DGWDAF sind äußerst dürftig. Ein Lernerwörterbuch muss im Bereich der Substantivvalenz mehr Informationsmöglichkeiten anbieten. Die Präsentation der in den Winkelklammern enthaltenen Angaben ist oft uneinheitlich, und das Zusammenspiel mit den Beispielangaben häufig nicht gelungen. Für den Bereich der syntaktischen Angaben zu Substantiven wünscht man sich baldigst eine grundlegende Überarbeitung.
5
Fazit
Im Vorwort des DGWDAF heißt es, dass andere Wörterbücher „weitgehend [...] auf detaillierte Hinweise zum grammatischen Gebrauchs der Stichwörter [verzichten]" und dass das DGWDAF „die Informationsdaten in einer fiir den Benutzer nachvollziehbaren Form anbietet".44 Der Aufwand, den die Autoren für die Erstellung der GrA.S betrieben haben, ist sehr viel geringer als der Aufwand, der für andere Angaben im DGWDAF betrieben worden ist, und als der Aufwand, der für die GrA zu Verben oder Adjektiven gemacht worden ist. Eine eingehende Lektüre des Vorspanns lässt vermuten, dass für die Bedeutungsangaben, zu den Wortfamilien, für die grammatischen Funktionen von Adjektiven und die grammatische Charakterisierung der Verben vielfach Verbesserungen vorliegen.45 Gegenüber anderen Wörterbüchern findet man im DGWDAF Verbesserungen im Bereich der MorA.S, vor allem die Gewichtung der Genitiv-Singularform bei alternativer Formenbildung, aber auch im Bereich der syntaktischen Angaben, vor allem die Informationen in Winkelklammern. Für Lerner würden diese Kommentare jedoch wesentlich nützlicher sein, wenn sie einheitliche Bezeichnungen enthalten würden. Da die Angaben, die in den Winkelklammern vorkommen, zahl- und variantenreich sind, ist es bedauerlich, dass es im
44 45
Vgl. DGWDAF 2000:VII. Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass in diesem Zusammenhang nicht geprüft worden ist, ob diese Absichten und Ankündigungen innerhalb der Wörterbuchartikel auch eingelöst werden.
88
Stefan J. Schierholz
DGWDAF keine Übersicht dazu gibt, welche Angaben in Winkelklammern in dem Wörterbuch verwendet werden. 46 Da das DGWDAF „vor allem als Wörterbuch zur Sprachproduktion gedacht" sein soll, 47 bleibt jedoch zu fragen, ob das Wörterbuch diesem Anspruch gerecht werden kann, wenn eine lexikographische Angabe zu den von Substantiven regierten Präpositionen ausbleibt. Fremdsprachler benötigen diese Angabe vor allem für die Sprachproduktion, da regelgeleitete Übersetzungen aus anderen Sprachen nicht möglich sind. 48 Hier würde man sich eine Angabe ähnlich den Strukturformeln wünschen, die sich im LGWDAF bewährt haben. Schlecht zu erkennen sind in den Wörterbuchartikeln die Beispielangaben, weil sie in Zusammenballung mit mehreren anderen Angabeklassen im gleichen Textblock und in gleicher Typographie stehen. Eine wichtige Ergänzung stellt das Verzeichnis der verwendeten sprachwissenschaftlichen Begriffe im Nachspann dar, auch wenn hier Fachtermini, die im Vorspann benutzt werden, hinzugefügt werden sollten. In Bezug auf die GrA.S sollten auch die Benutzungshinweise überarbeitet und vervollständigt werden. Insbesondere müssen mehr exemplarische Wörterbuchartikel zu Substantiven eingefügt werden. Dabei muss die Beziehung zwischen dem Text in den Hinweisen und den beschriebenen Angaben in den Wörterbuchartikeln deutlich werden. Berücksichtigt man bei den 258 Lemmata der Stichprobe zur Bestimmung der Wörterbuchqualität sämtliche hier untersuchten GrA.S (fehlende Angaben bei Komposita, fehlerhafte MorA, fehlende syntaktische Angaben), so kann man lediglich 85 (I: 40; II: 45) Wörterbuchartikel (knapp 33%) als fehlerfrei auszeichnen. Wenn im Bereich der MorA.S nur 17% Fehler auftreten, so ist dies im Vergleich zum LGWDAF ein guter Wert, 49 der darauf hinweist, dass innerhalb der GrA.S die Stärken des DGWDAF im Bereich der MorA liegen. Als ein besonderes Problem erweist sich die variantenreiche Gestaltung der GrA.S, die man auch als kreative Vielfalt bezeichnen kann. Dies drückt in erheblicher Weise die Qualität des Wörterbuchs und führt zu grundsätzlichen Fragen, die die Wörterbuchproduktion und die Sprachbasis betreffen, auf der das DGWDAF erstellt worden ist. Ist das DGWDAF elektronisch gespeichert? Liegt der lexikographischen Bearbeitung eine Datenbank zugrunde? Eigentlich Fragen, die im Jahre 2000 angesichts des Fortschritts in der maschinellen Datenverarbeitung und des aktuellen Forschungsstandes in der europäischen Wörterbuchproduktion und Computerlexikographie gar nicht mehr aufkommen dürften. Weiterhin lassen die in dieser Untersuchung durchgeführten Corpusabfragen Zweifel aufkommen, ob die lexikographischen Angaben im DGWDAF corpusgestützt erarbeitet worden sind. Die Autoren hätten gegensteuern können, indem sie die verwendeten Corpora ausgewiesen hätten. Hinweise zur empirischen Basis des DGWDAF sollten bei einer Überarbeitung unbedingt gegeben werden.
46
In den Hinweisen zur Benutzung heißt es: „In der Übersicht werden Hinweise zu einigen (Hervorhebung S. J. Sch.) grammatischen Besonderheiten und ihrer Darstellung gegeben" (DGWDAF 2000:XVIII). Ganz anders wird bei den Verben verfahren, bei denen die Angaben, die zur Kennzeichnung des Subjekts oder Objekts in Schrägstrichen stehen, aufgeführt sind (vgl. DGWDAF 2000:XXI).
47
Vgl. DGWDAF 2000:VII.
44
Vgl. Schierholz 1996b zum DaF-Bereich. Vgl. Schierholz 1998:93.
49
Die Grammatik
der Substantive
im DE GRUYTER WORTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
89
D i e Autoren d e s D G W D A F schreiben, sie s e i e n für „ H i n w e i s e und weiterführende Kritik
[...] dankbar";50 der vorliegende Beitrag möge als ein solcher Hinweis verstanden werden, auch wenn die Kritik in einigen Punkten kräftig ausgefallen ist.
6
Literatur
6.1
Wörterbücher und Corpora
D D U w (1996) = DUDEN. DEUTSCHES UNIVERSALWÖRTERBUCH. 3., neu bearbeitete und erweiterte Aufl. Bearbeitet von Günther Drosdowski und der Dudenredaktion. Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich 1996. DGWDAF (2000) = Kempcke, Günter WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE. Berlin/New York 2000. FAZ (1994) = Die F.A.Z. (= Frankfurter Allgemeine Zeitung) auf C D - R O M . Jahrgang 1993. Frankfurt a.M. 1994. LGWDAF (1994) = Götz, Dieter/Haensch, Günther/Wellmann, Hans (Hrsg.): LANGENSCHEIDTS GROSSWÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE. Das neue einsprachige Wörterbuch für Deutschlernende. 3. Aufl. Berlin/München 1994. D W (1997) = Wahrig, Gerhard: DEUTSCHES WÖRTERBUCH. Neu herausgegeben von Dr. Renate Wahrig-Burfeind. Mit einem „Lexikon der deutschen Sprachlehre". Neuausgabe. Gütersloh 1997. TAZ (1995): tazCompact: Sieben lange Jahre, Wort für Wort: taz, die tageszeitung. 1.7.1988 bis 30.6.1995. Berlin 1995.
6.2
Sonstige Literatur
Bergenholtz, Henning/Tarp, Sven/Wiegand, Herbert E. (1999): Datendistributionsstrukturen, Makround Mikrostrukturen in neueren Fachwörterbüchern. In: Hoffmann, Lothar/Kalverkämper, Hartwig/Wiegand, Herbert E. (Hrsg.): Fachsprachen. Ein internationales Handbuch zur Fachsprachenforschung (= Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft Bd. 14.2). Berlin/New York, S. 1762-1832. Colff, Adrian van der (1998): Die Komposita in LANGENSCHEIDTS GROSSWÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE. In: Wiegand, Herbert E. (Hrsg.): Perspektiven der pädagogischen Lexikographie des Deutschen. Untersuchungen anhand von LANGENSCHEIDTS GROSSWÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE (= Lexicographica. Series Maior 86). Tübingen 1998, S. 193-207. Heibig, Gerhard/Buscha, Joachim (1972): Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Leipzig 1972. Müller, Wolfgang (1998): Wörterbücher der Zukunft - oder: Terrae incognitae. In: Wiegand, Herbert E. (Hrsg.): Wörterbücher in der Diskussion III (= Lexicographica. Series Maior 84). Tübingen 1998, S. 212-261. Mugdan, Joachim (1985): Pläne fur ein grammatisches Wörterbuch. Ein Werkstattbericht. In: Bergenholtz, Henning/Mugdan, Joachim (Hrsg.): Lexikographie und Grammatik (= Lexicographica. Series Maior 3). Tübingen 1985, S. 187-224. Schierholz, Stefan J. (1996a): Grammatische Informationen zu Substantiven in einsprachigen deutschen Wörterbüchern. In: Wiegand, Herbert E. (Hrsg.): Wörterbücher in der Diskussion II (= Lexicographica. Series Maior 70). Tübingen 1996, S. 140-203.
50
Vgl. DGWDAF 2000:VIII.
Stefan J. Schierholz
90
Schierholz, Stefan J. (1996b): Grammatik im Wörterbuch. Zur Wörterbuchbenutzung aus fremdsprachiger Perspektive. In: Deutsch als Fremdsprache. 33. Jg., H. 4. 1996, S. 223-232. Schierholz, Stefan J. (1998): Die Grammatik der Substantive in LANGENSCHEIDTS GROSSWÔRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE. In: Wiegand, Herbert E. (Hrsg.): Perspektiven der pädagogischen Lexikographie des Deutschen. Untersuchungen anhand von LANGENSCHEIDTS GROSSWÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE (= Lexicographica. Series Maior 86). Tübingen 1 9 9 8 , S. 8 8 - 1 0 3 .
Wiegand, Herbert E. (1985): Fragen zur Grammatik in Wörterbuchbenutzungsprotokollen. In: Bergenholtz, Henning/Mugdan, Joachim (Hrsg.): Lexikographie und Grammatik (= Lexicographica. Series Maior 3). Tübingen 1985, S. 20-98. Wiegand, Herbert E. (1996): Über primäre, von Substantiven „regierte" Präpositionen in Präpositionalattributkonstruktionen. In: Harras, Gisela/Bierwisch, Manfred (Hrsg.): Wenn die Semantik arbeitet. Klaus Baumgärtner zum 65. Geburtstag. Tübingen 1996, S. 109-147. Wiegand, Herbert E. (2000): Über Suchbereiche, Suchzonen und ihre textuellen Strukturen in Printwörterbüchern. Ein Beitrag zur Theorie der Wörterbuchform. In: Wiegand, Herbert E. (Hrsg.): Wörterbücher in der Diskussion IV. Vorträge aus dem Heidelberger Lexikographischen Kolloquium (= Lexicographica. Series Maior 100). Tübingen 2000, S. 233-301.
Jens Erik Mogensen Die Grammatik der Adjektive im DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
1 2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4
1
Einleitung Flexionsmorphologische Angaben Deklination Informationen zum Basiswissen (am Beispiel der schwachen Deklination) Informationen zu lexembedingten Schwankungen bei der Deklination Informationen zur fehlenden Deklination Informationen zur fonologisch bedingten Allomorfie
2.1.5 2.2 3 3.1 3.2 4 5 6
Informationen zur Deklination substantivierter Adjektive Angaben zur Komparation Syntaktische Angaben Die syntaktischen Funktionen des Adjektivs Die Rektion der Adjektive Verteilungsstruktur und Umtexte Vorschläge und Perspektiven Literatur
Einleitung
Das DGWDAF ist - so heißt es im Vorwort - vor allem als Wörterbuch zur Sprachproduktion gedacht. Es richtet sich an Deutsch lernende Benutzer, welche „in erster Linie an grammatischen Informationen [...] interessiert" sind1. Daher will das Wörterbuch besonders detaillierte Hinweise zum grammatischen Gebrauch der Stichwörter bieten, und es wird vorausgesetzt, dass der Benutzer über mangelnde Norm- und Systemkenntnisse bezüglich der deutschen Sprache verfügt. Gleichzeitig möchte das Wörterbuch das zweisprachige Wörterbuch ergänzen, von dem behauptet wird, dass es „in der Darstellung der Normen in der Zielsprache unter den Erwartungen bleibt" 2 . Durch die folgenden Ausführungen wird versucht, die Behandlung der Grammatik der Adjektive im DGWDAF ZU beleuchten. Nicht alles, was in der Grammatikografie über das Adjektiv von Relevanz ist, kann und soll in einem Wörterbuch - auch nicht in einem grammatisch orientierten Lernerwörterbuch - wiederholt werden. Andererseits kann - nicht zuletzt durch eine angemessene Ausnutzung der Verteilungsstruktur - eine breite Auswahl der für die Zielgruppe des Wörterbuches relevanten Informationen gebracht werden. Es bleibt im Folgenden u.a. zu untersuchen, ob die von der DGWDAF-Redaktion getroffene Auswahl von Informationen in Bezug auf die Zielgruppe angemessen ist, ob die gebrachten Angaben konsistent sind und nach einem konsequenten Muster erfolgen. Behandelt werden dabei sowohl flexionsmorphologische (Abschn. 2) als auch syntaktische Fragestellungen (Abschn. 3).
1 2
DGWDAF S. VII. DGWDAF S. VII.
Jens Erik Mogensen
92
Da aus dem Abschnitt „Erläuterungen zur Konzeption des Wörterbuches" S. XII hervorgeht, dass die „Deutsche Grammatik" von Helbig/Buscha für die Darstellung der grammatischen Informationen zu Grunde gelegt wurde, wird auch bei den folgenden Ausführungen von diesem Handbuch ausgegangen.
2
Flexionsmorphologische Angaben
2.1
Deklination
Das der Deklination des Adjektivs im Deutschen zu Grunde liegende System ist im Grunde genommen relativ unkompliziert, zumal es sich auf die einfache Formel stark -* schwach; 0 -* stark reduzieren lässt3. Dennoch stellt gerade die Adjektivdeklination einen der Problembereiche dar, mit denen Deutschlehrer auf allen Ebenen des Fremdsprachenunterrichts - von der Grundschule bis hin zur Universität - zu kämpfen haben.4 Die deklinatorischen Regeln sind zum größten Teil nicht lexemspezifisch, sondern allgemein und regelmäßig, und es würde den Rahmen eines jeden Wörterbuches sprengen, diese bei jedem lemmatisierten Adjektiv in den jeweiligen Artikeln auch nur annäherungsweise vollständig zu berücksichtigen.5 Welche Informationen bezüglich der Adjektivdeklination bekommt nun der Benutzer des DGWDAF? In den einleitenden Bemerkungen im Vorspann ist - außer einer ganz knappen Bemerkung zum Segment (S. XIX) - nur von grammatischen Informationen zu den syntaktischen Funktionen bzw. zur Steigerbarkeit des Adjektivs die Rede. Dennoch enthält der Wörterbuchteil eine beträchtliche Anzahl von Informationen zur Deklination. Dies betrifft vor allem Auskünfte zum Basiswissen über die Determination (2.1.1), zu besonderen lexembedingten Schwankungen (2.1.2), zur fehlenden Deklination einiger Adjektive (2.1.3), zur fonologisch bedingten Allomorfie (2.1.4) sowie zur Deklination der substantivierten Adjektive (2.1.5).
2.1.1 Informationen zum Basiswissen (am Beispiel der schwachen Deklination) Neben dem bestimmten Artikel fungieren folgende Pronomina tendenziell als starke Determinatoren, welche die schwache Adjektivdeklination hervorrufen: aller, dieser, jeder, jener, mancher, solcher und welcher. Dies gehört zum Basiswissen über die Adjektivdeklination und kann in jeder Schulgrammatik nachgelesen werden. Auf die Frage, ob die 3
4 5
Vgl. Bepler/Mogensen/Schjerring (2000, 33). Die Formel kann wie folgt paraphrasiert werden: Nach einem stark deklinierten Determinator folgt ein schwach dekliniertes Adjektiv; nach einem 0-Determinator folgt ein stark dekliniertes Adjektiv (z.B. 0 schwarze Pferde oder ein-0 schwarzes Pferd). Dabei wird stark als gleichbedeutend mit den Flexionsendungen von dieser, schwach als 5e definiert. Für andere Vorschläge zur vereinfachten Darstellung der Adjektivdeklination vgl. z.B. Colliander (1992) und Darski (1979). Vgl. Melier (1973) sowie Baymler et al. (1981). Vgl. Mogensen (1998, 195).
Die Grammatik
der Adjektive
im DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCHALS FREMDSPRACHE
93
Vermittlung solches Basiswissens eher der Grammatikografie oder der Lernerlexikografie obliegt, existiert keine eindeutige Antwort. Leider bezieht auch das DGWDAF offensichtlich keine eindeutige Position dazu. Von den oben genannten Determinatoren findet der Benutzer nämlich nur bei dieser, jener und welcher explizite Informationen zur Deklination eines nachfolgenden Adjektivs, nicht aber bei den entsprechenden Determinatoren aller, jeder, mancher und solcher.6 So heißt es bei jener in einem den Artikel abschließenden Kommentar: MERKE Das Pronomen wird immer stark flektiert, das folgende Adj. stets schwach: an jenem schönen Tage; die Ideen jener jungen Leute
Bei dieser kurz und bündig: Das nachfolgende Adj. wird schwach flektiert; vgl .jener (Merke)
Solche Informationen können natürlich nichts schaden, und in Anbetracht der Tatsache, dass ausländische Schüler trotz intensiven Grammatikpaukens bis hin zur obersten Stufe des universitären Unterrichts in diesem Bereich gehäuft Fehler machen7, wären sie fllr ein pädagogisch orientiertes Lernerwörterbuch m.E. sogar zu empfehlen. Nur muss man als Benutzer eine gewisse Konsequenz erwarten können. Wie schon nachgewiesen wurde, verfährt das DGWDAF in diesem Punkt inkonsequent. Falls unter den oben genannten Determinatoren eine Auswahl zu treffen wäre, hätte man m.E. lieber solche Fälle, bei denen lexembedingte Schwankungen auftreten, berücksichtigen sollen als eine völlig willkürliche Berücksichtigung des eigentlichen Regelfalls. Solche Schwankungen liegen tendenziell bei aller und mancher vor - so heißt es in einigen Grammatiken, dass nach aller starke Formen auftreten können8. Da die starken Formen allerdings nur selten vorkommen (wenn überhaupt), ist es m.E. wichtig, gerade in einem für Ausländer gedachten Produktionswörterbuch nur die schwachen Formen zu proskribieren, damit der Benutzer beim Sprechen oder Schreiben nicht auffällt. Das unkommentierte Beispiel unter all: alle halbe(n) Stunden schafft beim Benutzer nur Unsicherheit bezüglich der normalen Verwendung der Adjektivdeklination nach aller.
2.1.2 Informationen zu lexembedingten Schwankungen bei der Deklination Eigentlichen Schwankungen unterliegt der Deklinationstyp des Adjektivs nach Lexemen wie ander-, beide, folgend-, sämtlich-, viel- und wenig-9. Dasselbe ist, so Lauridsen/Poulsen (1994, 145-147), nach folgenden Lexemen der Fall: einig-, etlich-, mehrere, (oben) erwähnt·, nachstehend- und vorstehend- sowie nach dem Personalpronomen. Die Regel kann folgendermaßen zusammengefasst werden: 6
7 8
9
S.v. solcher heißt es zwar: „In Verbindung mit folgendem stark flektiertem Adj. meist unflektiert". Dies ist aber keine für die Produktion geeignete Regel: Der Benutzer erfährt ja eben nicht, wann er das folgende Adjektiv stark deklinieren soll und wann nicht. Vgl. Meiler (1973Ì sowie Baymler et al. (1981). Helbig/Buscha (1¿M991, 301) bezeichnen starke Adjektivformen nach aller als „selten"; bei Lauridsen/Poulsen (1994, 145) heißt es hingegen, dass sie nur bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts vorkommen. Helbig/Buscha ( 1 4 1991, 302-303).
Jens Erik Mogensen
94
-
-
-
Nach beide folgt überwiegend schwache Deklination des Adjektivs (z.B. beide jungen Leute). Nach mehrere sowie Singular von ander-, einig- und etlich- folgt gewöhnlich schwache Deklination (z.B. aus anderem festen Material; mit einigem berechtigten Zweifel). (Im Plural werden die beiden Adjektive parallel dekliniert). Nach Singular von (oben) erwähnt-, folgend-, nachstehend-, sämtlich- und vorstehend- folgt gewöhnlich schwache Deklination (z.H. folgendes neue Gesetz)·, im Plural schwankt die Deklination (z.B. sämtliche Abgeordnete(n)). Nach dem Personalpronomen uns folgt gewöhnlich die starke Deklination (z.B. für uns Deutsche), nach wir hingegen die schwache Deklination (z.B. wir älteren Söhne, wir Deutschen)}0
Wie wird nun im DGWDAF diesem Tatbestand Rechnung getragen?
Von den oben genannten Lexemen sind folgende nicht lemmatisiert: oben erwähnt-, nachstehend- und vorstehend-. Die Lexeme anderer und mehrere sind zwar in die Lemmaliste aufgenommen, es werden aber keine - weder implizite noch explizite Angaben - zur Deklination eines drauffolgenden Adjektivs gebracht. Vom Lemma folgend wird auf folgen (3.1) verwiesen, wo zwar das Partizip I, nicht aber das Deklinationsproblem berücksichtigt wird, zumal nur Beispiele ohne ein zweites Adjektiv gebracht werden. Unter dem Lemma wir findet der Benutzer keine Informationen zur Deklination eines evtl. nachfolgenden Adjektivs. Informationen verstecken sich allerdings unter dem Lemma beide, wo es am Ende des Artikels heißt: In Verbindung mit wir, ihr: wir ~ (nicht: wir ~n)\ ihr ~ (nicht: ihr ~n), aber mit Subst. ihr, wir ~n Brüder, Schwestern
Der Deutsch lernende Ausländer, der wissen möchte, ob er z.B. in einer Übersetzung „wir Deutsche" oder „wir Deutschen" schreiben soll (oder aber ob evtl. beides möglich ist), wird im Stich gelassen, da er weder s.v. wir noch s.v. Deutscher die gesuchte Information findet.
10
Was diesen spezifischen Fall betrifft, sind die Informationen in den Grammatiken uneinheitlich. Jergensen 1976, 145) führt an, dass die starke Deklination (wir Deutsche) verhältnismäßig häufig vorkommt, was er in Verbindung mit den „bekannten Worten Bismarcks" bringt (Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst nichts in der Welt). [Rede Bismarcks im deutschen Reichstag am 6.2.1888; J.E.M.]. Lauridsen/Poulsen (1994, 147) hingegen geben hier nur die schwache Deklination an (wir Deutschen). - Dass beide Möglichkeiten in der Tat auch im selben Text nebeneinander vorliegen können, wird durch folgende von mir exzerpierte Zufallsbelege bestätigt: (1) Daß wir Deutschen, daß jeder Deutsche, in irgendeiner Weise schuldig ist, daran kann, wenn unsere Ausführungen nicht völlig grundlos waren, kein Zweifel sein (Jaspers 1946, 50). Im selben Text: (2) Wir Deutsche sind untereinander sehr verschieden durch Art und Maß der Teilnahme am Nationalsozialismus oder des Widerstandes gegen ihn (Jaspers 1946, 79). Dieselbe Varianz liegt bei (3) und (4) vor: (3) Viele Völker gedenken heute des Tages, an dem der Zweite Weltkrieg in Europa zu Ende ging. Wir Deutsche begehen den Tag unter uns, und das ist notwendig (von Weizsäcker 1985, 441, linke Spalte). Im selben Text jedoch: (4) Wir Deutschen sind ein Volk und eine Nation. Wir fühlen uns zusammengehörig, weil wir dieselbe Geschichte durchlebt haben (von Weizsäcker 1985, 446, linke Spalte).
Die Grammatik
der Adjektive
im DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCHALS
FREMDSPRACHE
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Falls in den einzelnen Wörterbuchartikeln überhaupt Angaben zur Deklination gebracht werden, erfolgt dies nicht nach einem bestimmten Redaktionsmuster, sondern inkonsequenterweise entweder explizit oder implizit. So finden sich in den Artikeln s.v. beide und etliche explizite, durch MERKE eingeleitete Informationen: beide [...] MERKE Das folgende Adj. od. Part, wird schwach flektiert: ~ jungen Leute/die jungen Leute; die Eltern beider jungen Mädchen. [...] etliche [. . .] MERKE Das nachfolgende (substantivierte) Adjektiv wird schwach flektiert: etliche neue Erfahrungen; etliches Gute, Neue, vgl. auch einige Der Kommentar s.v. etliche ist übrigens falsch, zumal die angeführten Adjektive nicht schwach, sondern stark flektiert sind. Bei einige und sämtlicher hingegen finden sich keine expliziten Informationen, hier muss der Benutzer aufgrund der Beispiele selbst die Regel erschließen: einige [...]
~s alte Gerumpel
sämtlicher [...] ~ gesammelte(r) Schrott, sämtliches alte(s) Gerumpel wird abgeholt; [...] die Diebe haben sämtliches Wertvolle, sämtliche wertvolle(n) Stücke mitgenommen; [,..] die Titel - vorhandener/vorhandenen Bücher
2.1.3
Informationen zur fehlenden Deklination
Die fehlende Deklination eines Adjektivs kann explizit aus der Angabe indekl. oder implizit aus der Angabe nicht attr. hervorgehen: 'extra [...] [...] dafür haben wir ein ~ Zimmer; eine ~ Belohnung" chamois [...] Da das Adjektiv nicht in attributiver Stellung vorkommt und da Adjektive nur in attributiver Stellung dekliniert werden können, erübrigt sich bei chamois die Angabe indekl. In noch anderen Fällen ist das attributive Adjektiv standardsprachlich indeklinabel, kann aber in der Umgangssprache dekliniert werden: lila [...] [...] umg. ein ~nes Kleid; ~ner Stoff rosa [...] [...] ~ Rosen; [...] umg. ein ~ner Pulli, ein ~nes Kleid In einer weiteren Gruppe kommt das Adjektiv nur umgangssprachlich attributiv vor - nach welchen Regeln die Deklination aber dann erfolgt, ist aus den Wörterbuchartikeln leider nicht zu ersehen: beige [...] [...] umg. ein ~s Kleid orange [...] [...] umg. ein ~nes Kleid
11
Der Homonymenindex b e i 1 extra ist nicht sinnvoll, da kein 2 extra lemmatisiert ist.
Jens Erik
96
Mogensen
Dabei erfährt der Benutzer nicht, ob beige und orange in attributiver Stellung unter Umständen indeklinabel sein können 12 , auch vermisst er Angaben zum w-Einschub in dem s.v. lila, rosa und orange angeführten Beispiel 13 .
2.1.4
Informationen zur fonologisch bedingten Allomorfie
Nach Helbig/Buscha ( ^ 1 9 8 4 , 302) verlieren Adjektive auf -el bei der Deklination den Schwavokal: dunkel > ein dunkles Zimmer; heikel > eine heikle Frage; komfortabel > eine komfortable Wohnung. Dasselbe gilt in der Regel bei fremden Adjektiven auf -er und bei Adjektiven mit Diphthong vor -er: integer > ein integrer Mensch; teuer > ein teures Kleid; sauer > die sauren Gurken. Das DGWDAF enthält verschiedene Informationen zu diesem ,e'-Ausfall. Beim Adjektiv diskutabel muss der Benutzer die Regel aus dem angeführten Beispiel ein diskutabler Vorschlag selbst erschließen. Weniger wortkarg wird in einem durch das Segment MERKE eingeleiteten Kommentar bei sauer expliziterweise so formuliert: sauer [...] MERKE Das ,e' der Endung von sauer entfällt, wenn sauer flektiert wird, aber es gilt nicht als falsch, es dennoch zu schreiben, sprechen
Abgesehen davon, dass es dem Benutzer wohl kaum einleuchtet, wieso man ein ,e', das schon entfallen ist, trotzdem sprechen kann, erscheint es überhaupt fragwürdig, in einem für Deutsch lernende Ausländer konzipierten Wörterbuch auf eher unübliche Allomorfien hinzuweisen (die Form ohne ,e' gilt als die Regel, vgl. oben). In einem Produktionswörterbuch für Ausländer geht es vornehmlich darum, immer diejenige Variante anzugeben, welche „der Ausländer getrost benutzen kann, ohne Gefahr zu laufen, durch seinen Sprachgebrauch aufzufallen". 14 Bei teuer und dunkel sind nur die flektierten Formen ohne e verzeichnet, vgl.: dunkel [...] MERKE Das ,e' der Endung von dunkel entfällt in den flektierten Formen und im Komparativ
Leider trifft diese Regel nur für einige der angeführten Beispiele zu: ein dunkles Zimmer, einen dunklen Verdacht haben etc. Bei anderen der im selben Artikel angeführten Beispiele muss sich der Wörterbuchbenutzer allerdings wundern, denn hier entfällt bei der Deklination von dunkel eben nicht das ,e' der Endung -el, sondern vielmehr das -e der drauffolgenden Adjektivendung: im Dunkeln nach Hause kommen, im Dunkeln (,ohne Licht') sitzen, im Dunkeln tappen. In einigen Fällen scheinen sogar beide Möglichkeiten nebeneinander vorzuliegen: jmd. über etw. im Dunklen/im Dunkeln (,im Unklaren, Ungewissen') lassen.
12
13
14
Vgl. z.B. die Undefinierten attributiven Adjektive in folgenden Beispielen aus Duden Bd. 4 (1995, 256): die orange Farbe (Mannheimer Morgen) sowie diese beige und lila Schinkelbeutel (Fallada). Vgl. Duden Bd. 4 (1995, S. 256, § 445, 5): „Bestimmte Farbadjektive, die meist aus Substantiven hervorgegangen sind, bleiben in der Regel ungebeugt: diese beige und lila Schinkelbeutel (Fallada), ein rosa Landhaus [...]. In der Umgangssprache wird aber oft flektiert, wobei manchmal ein η zwischen die Vokale geschoben wird: ein rosaes/rosanes Band, die Ulanen Hüte, eine beiges Kleid." Bergenholtz/Mogensen (1998, 78).
Die Grammatik
der Adjektive
im DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
97
Wie soll sich der Deutsch lernende Ausländer, der in der Fremdsprache keine Systemkompetenz hat, dies im Lichte der gebotenen Regelformuliering erklären? Die Differenz zwischen Beispielen und Regelformulierung ist auf jeden Fall kritikabel.
2.1.5
Informationen zur Deklination substantivierter Adjektive
Adjektive können syntaktisch als Substantive fungieren (vgl. unten 3.1) und gleichzeitig ihre adjektivische Deklination sowie ihre Zugehörigkeit zur Wortklasse Adjektiv beibehal-
ten (z.B: der/die Deutsche, der/die Alte, der/die Jugendliche, der Beamte, das Kleine). Viele - aber nicht alle 15 - solcher partiell substantivierten Adjektive sind eigens lemmatisiert, z.B. ^Deutsche, der u. die; ~n, ~n; [ . . . p TAFEL II Jugendliche [...], der u. die; ~n, ~n; [...] Radtouren. Auf der anderen Seite ist das Fahrrad als -> umweltfreundliches Verkehrsmittel zur Zeit sehr in Mode. Es gibt -> Radlervereine und Gruppen, die sich aus ökologischen Gründen für ein Verkehrskonzept im städtischen Straßenverkehr einsetzen, das die vielen Radfahrer stärker berücksichtigt und für mehr Radwege sorgt. Abb. 24: Bedeutungserläuterung von Fahrrad bei Müller (1994,56).
Müller (1994, 54ff.) und Kühn (2001b) illustrieren auch Techniken, wie sich die klassischen Schema-F-Definitionen in Wörterbüchern in Richtung kultursensitive Bedeutungserläuterungen verändern bzw. erweitern lassen: zur Illustration dieser Techniken werden nachfolgend die Randkommentare aus dem B W D A F (1999) sowie Wörterbuchartikel aus dem LEXIKON DER UNWÖRTER (Schlosser 2000) herangezogen. Diese kultursensitiven Kommentare und Wörterbuchartikel können hinsichtlich ihrer Konzeption und Formulierung für kultursensitive Bedeutungserläuterungen als beispielhaft angesehen werden: (1) Stereotypische Bedeutungserläuterungen in Form von wenn-dann-¥ormi\ierungen binden den Gebrauchswert eines Wortes eng an eine typische, immer wiederkehrende Situationen: Toilette Wenn man in Deutschland, Österreich oder der Schweiz einem Gastgeber sagen will, dass man auf die Toilette gehen möchte, fragt man: „Dürfte ich mal Ihre Toilette benutzen?" Abb. 25: Wörterbuchartikel Toilette aus dem BWDAF (1999,380).
Peter Kühn
194 (2)
Prototypische Bedeutungserläuterungen orientieren den Gebrauchswert eines Wortes auf eine gesellschaftlich bestimmte Norm bzw. auf ein bestimmtes Muster:
Haustier Die meisten Haustiere sind in Deutschland, Österreich und der Schweiz Hunde, Katzen, Hamster, Meerschweinschen, Zierfische und Kanarienvögel. Abb. 26: Wörterbuchartikel Haustier aus dem BWDAF ( 1 9 9 9 , 1 6 4 ) .
(3)
Kulturvergleichende Bedeutungserläuterungen beziehen sich auf interkulturelle Unterschiede beim Gebrauch eines Wortes:
Sechs Die Sechs ist in Deutschland die schlechteste Schulnote. Sie bedeutet .ungenügend'. Die beste Note ist die Eins. In vielen Kantonen der Schweiz ist es umgekehrt: Die Sechs ist die beste Note und die Eins die schlechteste. In Österreich ist die Fünf die schlechteste Note. Abb. 27: Wörterbuchartikel Sechs aus dem BWDAF ( 1 9 9 9 , 3 4 2 ) .
(4)
Bedeutungsgegensätze und -kontraste verdeutlichen Einzelbedeutungen:
Süden Wie in vielen anderen Ländern auch existiert in Deutschland ein relativ großer Gegensatz zwischen Nord und Süd. Der Norden ist flach und grenzt ans Meer, der Süden hügelig und grenzt an die Alpen. Der Norden ist vor allem protestantisch, der Süden eher katholisch. Abb. 28: Wörterbuchartikel Süden aus dem BWDAF (1999,370).
(5)
Angaben kulturspezifischer Bedeutungsassoziationen verdeutlichen oft stereotype kulturspezifische Bedeutungsunterschiede (Suchfrage: Woran denkst du beiX):
heiß In Mitteleuropa gelten Temperaturen von 28-30 Grad Celsius als heiß. Deutsche Schüler bekommen ab 28 Grad im Schatten hitzefrei. Das heißt, sie dürfen nach Hause gehen. Abb. 29: Wörterbuchartikel heiß aus dem BWDAF ( 1 9 9 9 , 1 6 7 ) .
Kulturgebundene Lexik und kultursensitive Bedeutungserläuterungen im DGWDAF (6)
195
Beschreibung der distinktiven Synonymik heben kultursensitive Bedeutungsunterschiede hervor:
siezen Obwohl sich das ,Du' immer mehr verbreitet, ist das ,Sie' wichtig. Lehrer siezen Schüler ab etwa 17 Jahre. In der Regel siezt man Verkäufer, Bankangestellte, Beamte oder die Bedienung im Restaurant. In Kneipen hingegen duzt man die Bedienung immer häufiger. A b b . 3 0 : Wörterbuchartikel siezen aus d e m BWDAF ( 1 9 9 9 , 3 4 8 ) .
(7)
Einordnungen in einen sozialkulturellen Zusammenhang zeigen, das sich der kulturspezifische Gebrauch eines Wortes erst aus seiner Beziehung mit anderen kulturspezifischen Begriffen ergibt:
verbleit Früher tankte man verbleites Benzin (Benzin mit Blei). Weil es Air die Umwelt besonders schädlich ist, wurde es verboten. Heute muss ein Auto einen sogenannten .Katalysator' haben, bei dem man nur bleifreies Benzin verwenden darf. Abb. 31: Wörterbuchartikel bleifrei aus dem BWDAF (1999,407). (8)
Darstellungen der historischen Bedeutungsentwicklung heben intrakulturelle Bedeutungsunterschiede heraus:
Wende Bereits nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 führte die SED einen angeblich neuen politischen Kurs die Propagandaformel von der Wende ein. 1989 versuchte es der Honecker-Nachfolger Egon Krenz noch einmal, für eine Fortsetzung der SED-Herrschaft mit dem Begriff Wende zu werben. Anders als Krenz es sich gedacht hatte, wurde Wende aber bald zur Bezeichnung des endgültigen politischen Umschwungs und hat inzwischen die Formel von der , friedlichen Revolution' verdrängt. Vorübergehend war in der alten Bundesrepublik Wende auch die Kurzform der 1982/83 von der CDU/CSU propagierten Formulierung von der .geistig moralischen Wende', die auch nicht so eingetreten ist, wie es sich die Urheber gewünscht hatten. Vielleicht sollte man das Wort Wende doch lieber den Schwimmern und Seglern lassen, von denen man es entlehnt hat. Abb. 32: Wörterbuchartikel Wende bei Schlosser (2000,76).
Peter Kühn
196 (9)
Angaben kulturspezifischer Erfahrungen aus Distanz und Fremdperspektive verdeutlichen Typisches und Klischeehaftes (Ermittlung: Mir istXaufgefallen.):
Stammtisch Wenn in traditionellen Gaststätten oder Restaurants ein Schild mit der Aufschrift .Stammtisch' steht, dann sollte man sich nicht dorthin setzen. Auf diesen Tisch wird von der Bedienung oft streng aufgepasst. Dieser Tisch ist ftlr die Stammgäste reserviert. Abb. 33: Wörterbuchartikel Stammtisch aus dem BWDAF ( 1 9 9 9 , 3 5 9 ) .
(10)
Angaben von Ritualen, Sitten und Gebräuchen verdeutlichen Kulturspezifisches:
Polterabend Am Abend vor der Hochzeit zerschlagen Freunde und Verwandte des Brautpaares Geschirr vor dem Haus. Dieser Brauch soll in der Ehe Glück bringen. Die Tradition des Polterabends ist seit dem 16. Jahrhunderts bekannt. Abb. 34: Wörterbuchartikel Polterabend aus dem BWDAF ( 1 9 9 9 , 1 6 4 ) .
(11)
Einordnungen eines Wortes in typische situative Kontexte oder gesellschaftlich bestimmte Handlungsabläufe (Situations- und Handlungsframes) machen Unterschiede und Besonderheiten deutlich:
Taxi Taxis werden telefonisch bestellt, auf der Straße angehalten, oder man geht zum nächsten Taxistand. Bezahlt wird der Betrag auf dem Taxameter, und man gibt etwas Trinkgeld. Der Taxifahrer darf zusätzlich etwas ftlr größere Gepäckstücke und für das Abholen berechnen. Sammeltaxis gibt es in der Regel nicht. Abb. 35: Wörterbuchartikel Taxi aus dem BWDAF (1999, 376).
(12)
Angaben (sprach)kritischer Kommentare führen Besonderheiten vor Augen:
neue Bundesländer Die auf dem Boden der DDR 1990 wiederhergestellten östlichen Länder, die mit der Wiedervereinigung zu „Bundesländern" wurden, lassen sich nur unter Ausklammerung der historischen Fakten als neue Bundesländer bezeichnen. Denn manche von ihnen sind tatsächlich älter als die sogenannten alten Bundesländer und existierten zwischenzeitlich, 1946 bis 1952, sogar noch im Rahmen der Sowjetischen Besatzungszone und DDR. In dieser Fehlbezeichnung schwingt nicht zuletzt auch westdeutsches Überlegenheitsdenken mit. Abb. 36: Wörterbuchartikel neue Bundeslander bei Schlosser (2000,72).
Kulturgebundene Lexik und kultursensitive Bedeutungserläuterungen
im DGWDAF
197
Im D G W D A F fehlen bei landes- und kulturkundlich „anfälligen" Wörtern der Alltagssprache (vgl. z.B. Stammtisch) kultursensitive Bedeutungserläuterungen. Zudem werden die Wörter des Alltagswortschatzes (z.B. Taxi) deflatorisch erklärt und nicht kultursensitiv kommentiert und erläutert.
3
Fazit
Das DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE ist kein kulturbezogenes und kultursensitives Lernerwörterbuch.
4
Literatur
4.1
Nachschlagewerke, Wörterbücher, Lehrwerke
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von
LANGENSCHEIDTS GROSSWORTERBUCH DEUTSCH ALS
Thorsten Roelcke Das Verhältnis der semasiologischen und onomasiologischen Angaben im DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
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Einleitung Grundsätzliche Überlegungen Semasiologische Elementarfrage Onomasiologische Elementarfrage Polysemiefrage
1
Einleitung
6 7 8 9 10
Synonymiefrage Wortfamilienfrage Wortfeldfrage Abschließende Überlegungen Literatur
Semasiologische Angaben (Angaben über Bedeutungen von bestimmten Ausdrücken) und onomasiologische Angaben (Angaben über Ausdrücke für bestimmte Bedeutungen) gehören mit Sicherheit zu den zentralen Angaben einbändiger allgemeiner einsprachiger Wörterbücher wie dem DUDEN. DEUTSCHES UNIVERSALWÖRTERBUCH (DUDEN- 3 DUW), dem WAHRIG. DEUTSCHES WÖRTERBUCH (WAHRIG- 7 DW) oder dem unter Fremdsprachlern bis Anfang der 1990er Jahre mangels besserer Alternativen ebenfalls beliebten DTVWÖRTERBUCH DER DEUTSCHEN SPRACHE (WAHRIG-DTV). In einbändigen pädagogischen einsprachigen Wörterbüchern wie dem LANGENSCHEIDTS GROBWÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE (LGWDAF) oder dem WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE aus dem Haus de Gruyter (DGWDAF) kommt solchen Angaben mindestens dieselbe Bedeutung zu, sofern diese Wörterbücher als Nachschlagewerke (neben zweisprachigen Wörterbüchern oder über diese hinaus) bei der Produktion oder Rezeption fremdsprachiger Texte Verwendung fîndea Werden diese Wörterbücher (nicht allein) als Nachschlagewerke, sondern (darüber hinaus) als Studienwerke im Rahmen des Fremdspracherweibs mit dem Ziel der Erweiterung des Wortschatzes genutzt, so erhalten solche Angaben ein zusätzliches Gewicht (vgl. Wiegand 1995,494; 1999,270f„ Zöfgen 1985,14-21; 1994, 20-28). Im Hinblick auf das DGWDAF setzt Günter Kempcke zu Beginn der 1990er Jahre zunächst die Funktion eines Nachschlagewerks bei Produktion und Rezeption für den Bereich Deutsch als Fremdsprache an: „Das Lernerwörteibuch - und im folgenden beziehen wir das Lernerwörterbuch auf den fremdsprachigen Nutzer - geht davon aus, daß es als einsprachiges Wörterbuch zur Ergänzung des zweisprachigen Wörterbuchs genutzt wird, und es wählt seine Informationsdaten für den fremdsprachigen Nutzer nach lernspezifischen Gesichtspunkten aus, die sowohl der Sprachrezeption als auch der Sprachproduktion dienen" (Kempcke 1992, 170). Zum Ende der 1990er Jahre verlagert Kempcke diese Funktion in Richtung eines Studienwerks zur Wortschatzarbeit: „Das didaktische Ziel dieses Wörterbuchs, dem sich alles unterzuordnen hatte - die Wortschatzauswahl, die Beschreibung des Wortgebrauchs mit allen seinen Regularitäten -, war, ein Nachschlagewerk zu schaffen, das dem Benutzer beim Spracherwerb dienen sollte, das ihn vom Einzelwort zu Ähnlichem und
Thorsten Roelcke
202
Vergleichbarem fuhren, ihm das, was gemeinhin als System bezeichnet wird, erschließen sollte und ihm die sprachlichen Nonnen vermitteln könnte" (Kempcke 1999, 124). Angesichts dieser Funktionszuweisungen ist das DGWDAF gleichermaßen als Nachschlagewerk wie als Studienwerk zu betrachten und zu bewerten. Der fremdsprachige Benutzer einsprachiger Wörterbücher erscheint in der Metalexikographie noch immer als Phantom, über dessen Fragen und Handlungen vergleichsmäßig wenig bekannt ist (vgl. Wiegand 1998; Zöfgen 1994, 29-61); daher können diesbezüglich im Folgenden nicht allein aus Raum-, sondern auch aus Fachgründen keine weiteren Spezifizierungen vorgenommen werden. Vor dem Hintergrund der Nachschlage- und Studienfunktion werden im Folgenden anlässlich des Erscheinens des DGWDAF einige Überlegungen zu semasiologischen und onomasiologischen Angaben in einsprachigen pädagogischen Wörterbüchern angestellt. Über das DGWDAF hinaus wird an gegebener Stelle auch das Konkurrenzwerk LGWDAF vergleichend betrachtet; die traditionsreichere einsprachige pädagogische Lexikographie aus dem französisch- und englischsprachigen Raum findet hier aus Raumgründen keine nähere Berücksichtigung (vgl. hierzu Hausmann 1990; Herbst 1990; Zöfgen 1985; 1994). Dabei werden die semasiologische und die onomasiologische Betrachtungsweise zunächst mit verschiedenartigen lexikographischen Fragestellungen in Veibindung gebracht, um vor diesem Hintergrund die Wörterbuchkonzeption des DGWDAF prüfen zu können. Im Anschluss hieran werden die verschiedenen Fragestellungen einzeln aufgegriffen und jeweils im Hinblick auf allgemeine lexikographische Grundlagen sowie im Hinblick auf die Erfordernisse pädagogischer Lexikographie am Beispiel des DGWDAF erörtert.
2
Grundsätzliche Überlegungen
Die Unterscheidung zwischen semasiologischer und onomasiologischer Vorgehensweise erlebte ihre Blüte zuletzt innerhalb der strukturellen Semantik um die 1970er Jahre und drang von dort bis in die Wörterbuchforschung vor (vgl. Wiegand 1970; Wörterbücher 1989-1991). Während diese Unterscheidung nun insbesondere in den 1990er Jahren zunehmend, wenn auch nicht ausschließlich einigen kognitionslinguistischen Alternativen (mehr terminologisch als methodisch) weichen musste, erfreut sie sich bis in die Gegenwart hinein im Rahmen der Wörterbuchforschung zu Recht weiter einiger Beliebtheit, da sie sich (methodisch verstanden) gegenüber verschiedenartigen semantischen Konzeptionen neutral verhält und somit als gute Grundlage für metalexikographische Untersuchungen erweist. Einer Unterscheidung zwischen semasiologischer und onomasiologischer Vorgehensweise liegt in aller Regel ein bilaterales Zeichenmodell zu Grunde, nach dem eine Ausdrucks· und eine Bedeutungsseite von sprachlichen Ausdrücken im Allgemeinen und von Wörtern im Besonderen angenommen werden; die Zuordnung von Ausdruck und Bedeutung wird dabei (mehr oder weniger ausdrücklich) mit einem bestimmten kommunikativen Kontext in Verbindung gebracht. Die semasiologische Vorgehensweise geht auf dieser Grundlage (vereinfacht) von bestimmten Ausdrücken aus und ermittelt deren Bedeutungen innerhalb bestimmter Kontexte, während die onomasiologische Vorgehensweise genau umgekehrt von bestimmten Bedeutungen ausgeht und die Ausdrücke ermittelt, die diesen in
Das Verhältnis der semasiologischen und onomasiologischen Angaben im DGWDAF bestimmten Kontexten entsprechen. Dies lässt sich graphisch etwa wie folgt darstellen (vgl. Abbildung 1): Semasiologische Vorgehensweise
Kontext
Qnomasiologische Vorgehensweise Abb. 1: Semasiologische und onomasiologische Vorgehensweise im Rahmen eines elementaren bilateralen Zeichenmodells. Werden die semasiologische und die onomasiologische Vorgehensweise aus dem Bereich der Sprachwissenschaft bzw. Lexikologie auf den der Wörteibuchbeaibeitung und -benutzung bzw. Lexikographie übertragen, so ergeben sich aus der Kombination der Unterscheidung zwischen Semasiologie und Onomasiologie einerseits sowie zwischen Wörterbuchbearbeitung und Wörteibuchbenutzung andererseits vier lexikographische Aspekte: Die semasiologische Elementarfrage, die semasiologische Elementarangabe, die onomasiologische Elementarfrage und die onomasiologische Elementarangabe. Die semasiologische Elementarfrage eines Wörterbuchbenutzers an ein Wörterbuch lautet: Welche Bedeutung B x hat ein bestimmter Ausdruck At (in einem bestimmten Kontext KO? Diese Frage wird idealiter durch eine entsprechende semasiologische Elementarangabe, die der Wörterbuchbenutzer dem betreffenden Wörterbuch entnehmen kann, beantwortet: Der Ausdruck Ai hat (in einem bestimmten Kontext K ) die Bedeutung Bj ! Demgegenüber lautet die onomasiologische Elementarfrage eines Wörterbuchbenutzers an ein Wörterbuch: Welcher Ausdruck Ax gilt für eine bestimmte Bedeutung B t (in einem bestimmten Kontext Ki)? Und diese Frage wird dann idealiter durch eine entsprechende onomasiologische Elementarangabe beantwortet, die der Wörterbuchbenutzer ebenfalls dem betreffenden Wörteibuch entnehmen kann: Für die Bedeutung Bi gilt (in einem bestimmten Kontext Ki) der Ausdruck Ai ! Dies klingt zu diesem Stand der Argumentation sicher simpel, wenn nicht gar lapidar: Doch erweisen sich die semasiologischen und onomasiologischen Elementarangaben sowie deren Verknüpfungen innerhalb der lexikographischen Wirklichkeit durchaus als problematisch, und es wird daher im Folgenden zu erörtern sein, worin diese Probleme im Einzelnen be-
203
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Thorsten Roelcke
stehen und in wie weit das DGWDAF diesen Problemen in Konzeption und Präsentation der Wörterbuchartikel und Begleittexte Rechnung trägt. Die semasiologische und die onomasiologische Vorgehensweise erschöpfen sich jedoch nicht allein in der Betrachtung einzelner Ausdrücke und einzelner Bedeutungen. So zielt die Semasiologie auch auf Polysemie (bzw. Homonymie) im Sinne einer Zuordnung mehrerer Bedeutungen zu einem bestimmten Ausdruck (in einem gemeinsamen oder mehreren verschiedenen Kontexten), während sich die Onomasiologie der Synonymie im Sinne einer Zuordnung mehrerer Ausdrücke zu einer bestimmten Bedeutung (in einem gemeinsamen oder mehreren verschiedenen Kontexten) zuwendet. Im Hinblick auf die Bearbeitung und Benutzung von Wörterbüchern ergeben sich hieraus weitere vier lexikographische Aspekte: Die (semasiologische) Polysemiefrage, die (semasiologische) Polysemieangabe, die (onomasiologische) Synonymiefirage und die (onomasiologische) Synonymieangabe. Die Polysemiefrage eines Wörteibuchbenutzers an ein Wörterbuch lautet dabei: Welche verschiedenen Bedeutungen B x bis B z hat ein bestimmter Ausdruck A] (in einem oder mehreren Kontexten K x bis K z )? Diese Frage wird idealiter durch eine entsprechende Polysemieangabe, die der Wörterbuchbenutzer dem betreffenden Wörterbuch entnehmen kann, beantwortet: Der Ausdruck Ai hat (in den Kontexten Ki bis K J die Bedeutungen Bi bis Bn! Die Synonymiefrage des Wörteibuchbenutzers lautet demgegenüber: Welche Ausdrücke A x bis A z gelten (in einem oder mehreren Kontexten K x bis K J fur eine bestimmte Bedeutung Bi? Und die entsprechende Synonymieangabe, die der Wörterbuchbenutzer dem betreffenden Wörterbuch entnehmen kann, lautet idealiter dann: Für die Bedeutung Bi gelten (in einem oder mehreren Kontexten K] bis K n ) die Ausdrücke A] bis An! Wie schon im Falle der semasiologischen und onomasiologischen Elementarfragen und -angaben erweist sich auch hier die lexikographische Praxis gegenüber der lexikologischen Theorie als problematisch und bildet somit ebenfalls im Hinblick auf das DGWDAF einen Gegenstand der folgenden Erörterungen. Bei der Benutzung eines Wörterbuchs als Studienwerk zur Erweiterung des Wortschatzes im Rahmen des Fremdsprachenerwerbs erschöpft sich der Bereich der Semasiologie und Onomasiologie nicht allein auf Fragen und Angaben zu einzelnen oder mehreren Ausdrücken bzw. Bedeutungen. Gerade hier greift das Erkenntnisinteresse von bestimmten einzelnen Ausdrücken und ihren Bedeutungen bzw. bestimmten einzelnen Bedeutungen und ihren Ausdrücken auf weitere verwandte Ausdrücke und wiederum deren Bedeutungen bzw. weitere verwandte Bedeutungen und wiederum deren Ausdrücke über. In dem ersten Fall gilt die Aufmerksamkeit sog. Wortfamilien, in dem zweiten sog. Wortfeldern. Aus Sicht der Wörterbuchbeaibeitung und -benutzung ergeben sich hieraus mit der (semasiologischen) Wortfamilienfrage, der (semasiologischen) Wortfamilienangabe, der (onomasiologischen) Wortfeldfrage und der (onomasiologischen) Wortfeldangabe wiederum vier lexikographische Aspekte. Dabei lautet die Wortfamilienfrage eines Wörterbuchbenutzers an ein Wörterbuch: Welche verwandten Ausdrücke A u bis Ai.z gibt es mit welchen Bedeutungen B x bis B z (in einem oder mehreren Kontexten K x bis K z )? Die Wortfeldangabe, die der Wörterbuchbenutzer idealiter in dem betreffenden Wörterbuch vorfindet, lautet dann: Die verwandten Ausdrücke A n bis A ] n haben (in den Kontexten Ki bis K n ) die Bedeutungen Bi bis Bn! Die Wortfeldfrage eines Wörterbuchbenutzers lautet entsprechend: Welche Ausdrücke A x bis A z gelten (in einem oder mehreren Kontexten K x bis K z ) für die verwandten Bedeutungen Bn bis B l z? Und die Wortfeldangabe, die der Wörterbuchbenutzer
Das Verhältnis der semasiologischen und onomasiologischen Angaben im DGWDAF
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auf diese Frage vorfindet: Für die verwandten Bedeutungen B n bis B l n gelten (in den Kontexten Ki bis K„) die Ausdrücke At bis AJ Die Problematik lexikographischer Praxis gegenüber lexikologischer Theorie wird spätestens an dieser Stelle offensichtlich, insbesondere dann, wenn eine Verknüpfung von Wortfamilien- und Wortfeldfragen bzw. -angaben angestrebt wird. Zusammenfassend lassen sich nun aus Sicht des Wörterbuchbenutzers sechs semasiologische und onomasiologische Fragestellungen unterscheiden (vgl. dazu Abbildung 2): 1) 2) 3) 4) 5) 6)
Semasiologische Elementarfrage: Frage nach einer einzelnen Bedeutung von einem bestimmten Ausdruck innerhalb eines bestimmten Kontexts. Onomasiologische Elementarfrage: Frage nach einem einzelnen Ausdruck für eine bestimmte Bedeutung innerhalb eines bestimmten Kontexts. Polysemiefirage: Frage nach verschiedenen Bedeutungen von einem bestimmten Ausdruck in einem oder mehreren Kontexten. Synonymiefrage: Frage nach verschiedenen Ausdrücken für eine bestimmte Bedeutung in einem oder mehreren Kontexten. Wortfamilienfrage: Frage nach den Bedeutungen von verwandten Ausdrücken in einem oder mehreren Kontexten. Wortfeldfrage: Frage nach den Ausdrücken für verwandte Bedeutungen in einem oder mehreren Kontexten.
Diese sechs Fragestellungen bilden im Folgenden den Ausgangspunkt für einige Überlegungen zur pädagogischen Lexikographie im Allgemeinen sowie zum D G W D A F im Besonderen. Dabei werden diese Fragestellungen einzeln aufgegriffen und jeweils im Hinblick auf die entsprechenden lexikographischen Angabeverfahren (semasiologische wie onomasiologische Angabe, Polysemie- wie Synonymieangabe und Wortfamilien- wie Wortfeldangabe) und deren Verknüpfung sowie auf die entsprechende Teilkonzeption und Teilpräsentation der Wörterbuchartikel und Begleittexte des D G W D A F diskutiert. Da es sich bei dem D G W D A F (wie auch beim LGWDAF) um ein semasiologisches Wörterbuch mit einer alphabetischen Makrostruktur handelt, wird dabei von dem Typ des semasiologischen Wörterbuchs ausgegangen. Die Möglichkeit von onomasiologischen Gliederungen in einsprachigen pädagogischen Wörterbüchern ist von metalexikographischer Seite wiederholt aufgegriffen worden. Dabei herrscht einhellig die Meinung, dass sich hier „das onomasiologische Gliederungsprinzip dem semasiologischen in vieler Hinsicht als überlegen" (Zöfgen 1994, 74) erweist. Gegen onomasiologische Gliederungen innerhalb einsprachiger pädagogischer Wörterbücher können jedoch prinzipielle und praktische Einwände erhoben werden: Zum einen erweisen sich onomasiologische Gliederungen prinzipiell aus linguistischer und epistemologischer Sicht als ausgesprochen vielseitig und erlauben so keine allgemeinverbindliche Gliederung; und zum anderen lässt sich praktisch angesichts dieser Vielfalt an Gliederungsmöglichkeiten und der Vielfalt an möglichen (und dabei oftmals nicht hinreichend bekannten) Benutzungssituationen keine pädagogisch verbindliche Gliederung generieren oder selektieren. Kempcke vermerkt hierzu im Hinblick auf das DGWDAF: Für „den ausländischen Benutzer, der von der Arbeit am lebendigen Text ausgeht, scheint uns die alphabetische Anordnung der Stichwörter unabdingbar. Sie erleichtert ihm das Nachschlagen, sie ist die einfachste Orientierung. Onomasiologische Gliederungen ermöglichen zwar die Systemtrans-
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parenz, erfordern aber ihrerseits eine nach lernspezifischen Gesichtspunkten aufbereitete Gliederung, die sich thematisch nicht ohne weiteres nach einheitlichen Kriterien herstellen ließe. Die alphabetische Ordnung verpflichtet jedoch den Lexikographen, alle Möglichkeiten zu nutzen, die eine Atomisiening der Wortschatzzusammenhänge überwinden helfen" (Kempcke 1992,173). Vor diesem Hintergrund nimmt das Problem der onomasiologischen Aufarbeitung semasiologischer Wörterbücher einen zentralen Gesichtspunkt der folgenden Überlegungen ein (zum Typ des onomasiologischen Wörterbuchs im Allgemeinen vgl. zusammenfassend Reichmann 1990 und zu dem des onomasiologischen pädagogischen Wörterbuchs vgl. etwa Kloster 1997).
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Abb. 2: Semasiologische und onomasiologische Sichtweise sowie Polysemiesicht, Synonymiesicht, Wortfamiliensicht und Wortfeldsicht in schematischer Übersicht.
Das Verhältnis der semasiologischen und onomasiologischen Angaben im DGWDAF
3
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Semasiologische Elementarfrage
Die Beantwortung der semasiologischen Elementarfiage nach einer einzelnen Bedeutung von einem bestimmten Ausdruck innerhalb eines bestimmten Kontexts setzt zunächst einmal voraus, dass das betreffende Wort von dem Benutzer des betreffenden Wörterbuches überhaupt gefunden wird Im Rahmen eines semasiologischen Wörterbuchs scheint dies in der Regel durch eine alphabetische Makrostruktur gewährleistet zu sein, so dass der Wörterbuchbenutzer unmittelbar auf die semasiologische Elementarangabe trifft und somit (mehr oder weniger) rasch zu der gewünschten semasiologischen Elementarkenntnis gelangt. Dieser Weg von semasiologischer Elementarfrage über semasiologische Elementarangabe zu semasiologischer Elementarkenntnis bei der Benutzung eines semasiologischen Wörterbuchs lässt sich schematisch vereinfachend folgendermaßen darstellen (vgl. Abbildung 3): Der Wörterbuchbenutzer stellt die Frage nach der Bedeutung Bi zu einem bestimmten Ausdruck At (in Kenntnis oder in Unkenntnis des entsprechenden Kontexts Ki). Er schlägt dann in seinem Wörterbuch unter dem Ausdruck A] nach und findet dort die Angabe, dass der Ausdruck Ai (im Kontext K t ) die Bedeutung Bi trägt. Sofern der Benutzer diese Angabe versteht und die Nachschlagehandlung erfolgreich ist, verfügt er sodann über die Kenntnis, dass der Ausdruck A, (im Kontext K]) die Bedeutung B] zeigt.
• Semasiologische Frage
• Semasiologische Angabe
• Semasiolog. Kenntnis
Abb. 3: Schematische Darstellung des Wegs von semasiologischer Elementarfrage über semasiologische Elementarangabe zu semasiologischer Elementarkenntnis bei der Benutzung eines semasiologischen Wörterbuchs.
Angesichts dieses Wegs von der semasiologischen Elementarfrage über die semasiologische Elementarangabe zur semasiologischen Elementarkenntnis stellt sich im Weiteren die Frage, welche Stichwörter nun in dem betreffenden Wörterbuch überhaupt aufgenommen werden und wie denn nun eine einzelne Wortbedeutung innerhalb eines Wörterbuchartikels dargestellt wird. Die Diskussion um die Stichwortauswahl und Stichwortanzahl in einsprachigen pädagogischen Wörterbüchern und dem D G W D A F wird in diesem Zusammenhang außer Acht gelassen (vgl. hier insbesondere Kempcke 1992, 172-177; 1999, 122-124), obwohl sie im Hinblick auf die verschiedenen Ausprägungen semasiologischer und onomasiologischer Fragestellungen durchaus nicht ohne Bedeutung ist. Das Problem der Beschreibung einzelner Bedeutungen hingegen stellt einen zentralen Gesichtspunkt semasiologischer Vorgehensweise dar und soll daher im Folgenden im Hinblick auf das D G W D A F etwas näher betrachtet werden.
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Im Bereich Deutsch als Fremdsprache erscheinen nach Köster (1994, 36-43) vor allem drei Verfahren der Bedeutungsangabe einschlägig: Erstens „Erklärungen mit Hilfe von Bildern" (Visualisierung durch Angabe von Abbildungen), „kontextuelle Erklärungen" (Dokumentation durch Angabe von Verwendungsbeispielen) und „Erklärungen auf der Basis semantisch-lexikalischer Relationen" (Interpretation durch Angabe bedeutungsverwandter Wörter). Weitere Verfahren, insbesondere das der Paraphrasierung durch Angabe von Bedeutungsumschreibungen (Definition) oder das der Exemplifikation durch Angabe von Beispielen, sind hier ebenfalls denkbar. All diese Verfahren sind in der allgemeinen wie in der speziellen einsprachigen Lexikographie bekannt und gründen sich auf mehr oder weniger traditionelle Bedeutungskonzeptionen; ein Anschluss lexikographischer Bedeutungsangaben an moderne kognitive Bedeutungskonzeptionen wie der Prototypen- und Stereotypensemantik sowie der Frame- oder Skriptsemantik erscheint möglich und nicht zuletzt auch im Bereich der pädagogischen Lexikographie fruchtbar (vgl. hierzu etwa Harras 1991; Konerding 1993; 1998). Auf eine ausführliche Diskussion und Evaluation der einzelnen Verfahren im Rahmen der pädagogischen Lexikographie des Bereichs Deutsch als Fremdsprache selbst muss hier im Rahmen der Betrachtung des Verhältnisses von semasiologischen und onomasiologischen Angaben verzichtet werden. Ohnehin erscheint diese Diskussion wenig fruchtbar, da hier eine Kombination verschiedener Verfahren die größte Aussicht auf Erfolg verspricht; dies belegen zahlreiche Untersuchungen zu periphrastíschen, exemplarischen oder synonymischen Bedeutungsangaben in einsprachigen pädagogischen Wörterbüchern deutlich (vgl. etwa Drysdale, 1987; Laufer 1993; Müllich 1990; Kempcke 1992, 210-212; 1999, 126Í; Zöfgen 1985, 38-44, 75; 1994, 126-147). Auf einige wenige grundsätzliche Probleme sei jedoch auch hier hingewiesen: Erstens das Problem der Verständlichkeit und Angemessenheit solcher Angaben fur fremdsprachige, deutschlernende Wörterbuchbenutzer, bei denen recht unterschiedliche Sprachkenntnisse vom Anfänger über den Fortgeschrittenen bis hin etwa zum professionellen Sprachmittler vorausgesetzt werden müssen (zu der hier naheliegenden Diskussion um eine Orientierung von Bedeutungsparaphrasen an dem entsprechenden Grund- und Aufbauwortschatz vgl. etwa Herbst 1986; Kempcke 1992, 209f., 225f.; 1999, 126f.; Zöfgen 1985, 38-44; 1994, 131-141). Zweitens das Problem einer angemessenen Berücksichtigung des Kontexts, ohne die eine Bedeutungsangabe gerade im Bereich Deutsch als Fremdsprache leicht sinnlos bleibt. Drittens das Problem unterschiedlicher Anforderungen an solche Bedeutungsangaben aus verschiedenen Benutzungsweisen heraus (insbesondere im Hinblick auf einfache Nachschlagehandlungen oder komplexe Wortschatzarbeit). Viertens das Problem der Verknüpfung von semasiologischen und onomasiologischen Angaben, da mit einsprachigen (deutschen) semasiologischen Angaben auch ein nicht unerheblicher Beitrag zur onomasiologischen Erschließung der Fremdsprache (Deutsch) geleistet werden kann. Insbesondere unter dem letzten Gesichtspunkt werden die genannten Verfahren der Angabe von Bedeutungen im Folgenden wiederholt aufgegriffen. Das DGWDAF ist ein semasiologisches Wörterbuch mit einer alphabetischen Makrostruktur. Die Mikrostruktur der einzelnen Artikel umfasst den „Hinweisen zur Benutzung des Wörterbuchs" nach fünf Positionen (vgl. DGWDAF, XV-XVI): 1. Stichwort (einschließlich Ausspracheangabe sowie kategorialen und grammatischen Angaben); 2. Stilistische Hinweise; 3. Bedeutungseiklärung; 4. Kontextbeispiele; 5. Angaben über Wortfamilie, Phraseologismen und weitere Kommentare. Semasiologischen Angaben kommt hiemach
Das Verhältnis der semasiologischen und onomasiologischen Angaben im DGWDAF also eine zentrale Bedeutung zu: „Die Beschreibung der Inhaltsseite, die Bedeutungserklärung, ist neben der Darstellung der grammatischen Gebrauchsbedingungen das Hauptanliegen dieses Wörterbuchs" (DGWDAF, X). Den „Erläuterungen zur Konzeption des Wörterbuchs" zu Folge werden dabei fünf Typen der Angabe von Bedeutungen unterschieden (vgl. DGWDAF, X): 1. Die Form der Umschreibung - die Paraphrase', 2. Die Form der Bedeutungserklärung mit Hilfe eines Synonyms; 3. die Kombination Umschreibung + Synonym, Antonym; 4. Die Form eines Kommentars; 5. Die Kombination Umschreibung + Kommentar. Hiernach erfolgen also Bedeutungsangaben im DGWDAF konzeptionell zum einen durch Angabe bedeutungsverwandter Wörter und zum anderen durch engere oder weitere Paraphrasierungen (zu den typographischen und weiteren formalen Einzelheiten vgl. DGWDAF, XVII). Exemplifizierungen und Visualisierungen, die ebenfalls einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Angabe einer Bedeutung leisten können, finden sich im D G W D A F gleichfalls; sie werden hier jedoch konzeptionell anderen Artikelpositionen zugerechnet. Angaben zum Kontext bzw. zu Varietäten, Stilebenen, Gebrauchsnormen usw. erfolgen im DGWDAF spärlich, aber nicht unsystematisch (vgl. DGWDAF, XII, XXIV; Kempcke 1992, 215f.; 1999, 129f.; Zöfgen 1994, 110-126). Sie sind nicht eigens Gegenstand des vorliegenden Beitrags (vgl. den entsprechenden Beitrag in diesem Band) und werden im Folgenden als (mehr oder weniger deutlich und umfangreich) gegeben vorausgesetzt. Ein einfaches Beispiel für eine Bedeutungsangabe durch Angabe eines Synonyms unter Berücksichtigung des Kontexts samt Angabe eines Verwendungsbeispiels stellt der folgende Artikel zu Fernsprecher dar: Fern|sprecher, der amtsspr. SYN ,Telefon': ein öffentlicher ~ • 71 sprechen (DGWDAF, 328)
Als einfaches Beispiel für eine paraphrasierende Bedeutungsangabe samt Angabe von Verwendungsbeispielen dient der Artikel zu Telefon, in dem wegen allgemeinsprachlicher Verwendungsweise des betreffenden Worts kein ausdrücklicher Hinweis zum Kontext erfolgt: Telefon [tele'foin/te:..], das; ~s, ~e .Apparat mit einer Scheibe od. Tasten zum Wählen, der das Telefonieren über eine Leitung od. drahtlos über Funk ermöglicht'; SYN Fernsprecher: er hat (kein) das ~ klingelt, läutet; jmdn. ans ~ rufen; ans ~ gehen • telefonieren, telefonisch Telefonnummer (DGWDAF, 1019)
Eine Durchsicht des DGWDAF zeigt, dass hier paraphrasierende Bedeutungsangaben den größten Raum einnehmen. Das Bemühen angesichts der Schwierigkeit, dass „sich Bedeutungsbeschreibungen im Kreise bewegen können", solche „Bedeutungsbeschreibungen so
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anzulegen, dass sie für den Benutzer und sein begrenztes sprachliches Bedeutungswissen nachvollziehbar sind" (DGWDAF, X), ist deutlich erkennbar, auch wenn in Einzelfällen wie oben definitorische Virtuosität und Zirkularität unvermeidbar erscheinen. Andere Verfahren der Bedeutungsangabe (insbesondere die durch bedeutungsverwandte Wörter und Beispiele) werden im Folgenden bei der Erörterung weiterer semasiologischer und onomasiologischer Angabeverfahren betrachtet.
4
Onomasiologische Elementarfrage
Die onomasiologische Elementarfrage zielt auf einen einzelnen Ausdruck für eine bestimmte Bedeutung innerhalb eines bestimmten Kontexts. Die Beantwortung dieser Frage setzt voraus, dass die Bedeutung von dem Benutzer des betreffenden Wörterbuchs überhaupt gefunden wird. Im Rahmen eines semasiologischen Wörterbuches, in dem die Ausdrücke und nicht die Bedeutungen unmittelbar über die alphabetische Makrostruktur zugänglich sind, ist jedoch ein solcher Zugriff auf eine Bedeutung nur mittelbar möglich, so dass sich der Weg von der onomasiologischen Elementarflage zur onomasiologischen Elementarerkenntnis im Vergleich hierzu als kompliziert erweist. Er lässt sich schematisch ebenfalls vereinfachend darstellen (vgl. Abbildung 4). Der Wörterbuchbenutzer stellt die Frage nach dem Ausdruck Ai zu einer bestimmten Bedeutung Bi Λ (in Kenntnis oder in Unkenntnis des entsprechenden Kontexts KM). Um an diese Bedeutung innerhalb seines semasiologischen Wörterbuchs zu gelangen, greift er zunächst auf seine semantische Elementarkenntnis zurück, in dem er sich (seinen Sprachkenntnissen entsprechend) den Ausdruck A2 und die Bedeutung B ] 2 (im Kontext Ki.2) eines hierzu bedeutungsverwandten Wortes vergegenwärtigt. Im folgenden Schritt schlägt er dann in dem Wörterbuch unter dem Ausdruck A2 nach und findet dort (sofern er sich nicht geirrt hat) zunächst einmal die (für ihn mehr oder weniger verständliche) Angabe, dass der Ausdruck A2 (im Kontext K2 2) die Bedeutung Bi 2 trägt. Mit etwas Glück fmdet der Wörterbuchbenutzer dann auch einen Hinweis auf ein oder mehrere bedeutungsverwandte Wörter, darunter auch auf das mit dem Ausdruck Ai. Im vierten Schritt schlägt er dann unter dem Ausdruck Ai nach und findet dort die Angabe, dass der Ausdruck A! (im Kontext Ki) tatsächlich die Bedeutung B n trägt. Sofern er schließlich diese Angabe versteht und die mittelbare Nachschlagehandlung erfolgreich ist, verfügt der Benutzer dann über die Kenntnis, dass für die Bedeutung n (im Kontext KO der Ausdruck Ai gilt. Dieser allgemeine Prozess der Beantwortung einer onomasiologischen Elementarfrage in semasiologischen Wörterbüchern ist auch und gerade in pädagogischen Wörterbüchern für Fremdsprachler wie dem DGWDAF ausgesprochen störanfällig. Zu den einzelnen Unwägnissen und Gefahrenquellen gehören dabei insbesondere: 1. Die Kenntnis oder Unkenntnis bedeutungsverwandter Wörter des Wörterbuchbenutzers im Rahmen des zweiten Schritts; 2. Das sichere oder unsichere Verständnis des Benutzers angesichts der Bedeutungsangabe im dritten Schritt; 3. Der vorhandene oder fehlende Hinweis auf den gefragten Ausdruck innerhalb des betreffenden Artikels selbst, der selbst nicht unwesentlich von der Konzeption und der Koordination der Wörterbuchbearbeitung abhängt; 4. Das sichere oder unsichere
Das Verhältnis der semasiologischen und onomasiologischen Angaben im DGWDAF
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Verständnis des Benutzers angesichts der Bedeutungsangabe im vierten Schritt, das einen sicheren oder unsicheren Rückschluss auf die fragliche Bedeutung und den fraglichen Ausdruck gewährleistet. Allein diese kurze Übersicht zeigt, dass die Verfolgung onomasiologischer Fragestellungen in semasiologischen Wörterbüchern einerseits wesentlich komplexere WörterbuchstruktuFen sowie andererseits weitaus höhere Benutzerkompetenzen hinsichtlich der betreffenden Sprache wie der Kenntnis des Wörterbuchs erfordern, als dies bei der Verfolgung semasiologischer Fragestellungen der Fall ist.
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Onomasiologische Frage und semasiologische Kenntnis Abb. 4:
Semasiologische Angabe und onomasiologische Angabe
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Onomasiologische Kenntnis
Schematische Darstellung des Wegs von onomasiologischer Elementarfrage bei semasiologischer Elementarkenntnis über semasiologische Elementarangabe und mittelbarer onomasiologischer Elementarangabe zu onomasiologischer Elementarkenntnis bei der Benutzung eines semasiologischen Wörterbuchs.
Eine hinreichende Sprach- und Wörterbuchkompetenz des Benutzers einmal vorausgesetzt hängt also der Erfolg der Beantwortung einer onomasiologischen Elementarfìage in starkem Maße auch von der Konzeption des betreffenden Wörterbuchs und der Koordination seiner Bearbeitung ab. In der Konzeption des DGWDAF kommt dem Problem der Beantwortung onomasiologischer Elementarfragen nicht eigens eine herausragende Stellung zu. Dennoch findet die elementare onomasiologische Sichtweise hierin in zweierlei Hinsicht durchaus Berücksichtigung: Zum einen durch eine (mehr oder eher weniger) konsequente Berücksichtigung von bedeutungsverwandten Wörtern in den einzelnen Wörterbuchartikeln
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und zum anderen durch eine onomasiologische Aufarbeitung dieser Artikel im Hinblick auf einzelne Wortfelder am Ende des Wörterbuchs. Ein Beispiel für die erste onomasiologischen Verfahrensweise anhand des D G W D A F lässt sich für die Bedeutung .Pflanze mit Zweigen ohne Stamm' konstruieren: Der Benutzer des D G W D A F weiß vielleicht, dass er die Bezeichnung fur so etwas wie einem kleinen Baum sucht und dass im Deutschen den Ausdruck Baum mit der Bedeutung .Pflanze mit Stamm und Zweigen' üblich ist. Also schlägt er im Wörterbuch unter Baum nach und findet dabei das Folgende: Baum [bäum], der; ~es/auch ~s, Bäume ['bDima] .Pflanze mit einem Stamm, Ästen und Zweigen aus Holz, die Nadeln od. Blätter trägt'; 71 FELD II.4.1: Bäume pflanzen, fällen; der ~ wächst, treibt, schlägt aus, hat viele Blüten, große Blätter; im Garten stehen alte, morsche, blühende Bäume; /in der kommunikativen Wendung/ umg. es, das ist, um auf die Bäume zu klettern (,es, das ist zum Verzweifeln')! /sagt jmd., der sich über einen bestimmten Sachverhalt zwar ärgert, aber nicht wirklich tief betroffen ist/; vgl. Busch, Strauch • Apfelbaum, Aprikosenbaum, Birnbaum, Kirschbaum, Laubbaum, Lorbeerbaum, Mandelbaum, Nadelbaum, Nussbaum, Obstbaum, Pflaumenbaum, Pfirsichbaum, Stammbaum, Tannenbaum, Walnussbaum, Weihnachtsbaum; vgl. Baum(DGWDAF, 105 (ohne Abbildung))
Zum Ende des mittleren Artikeldrittels stößt der Wörterbuchbenutzer auf den Hinweis „vgl. Busch, Strauch" und interpretiert diese Ausdrücke zu Recht als enge Bedeutungsverwandte von Baum. Also schlägt er zunächst unter Busch nach: Busch [buj], der; -es/auch ~s, Büsche [ bYJaJ 1. .Strauch mit dicht gewachsenen Zweigen und dichtem Laub'; 71 FELD II.4.1: ein blühender einen ~ pflanzen, roden; die Büsche am Wegesrand 2. ,'Bund aus Zweigen (mit Laub, Blüten)': ein ~Flieder, Rosen; vgl. Baum, Strauch • Büschel, Gebüsch, Buschwerk (DGWDAF, 196f.)
Das Verhältnis der semasiologischen und onomasiologischen Angaben im DGWDAF
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Da der Benutzer des DGWDAF hier ein weiteres Mal auf Strauch verwiesen wird und diesen Ausdruck zudem in der ersten Bedeutungsparaphrase wiederfindet, schlägt er nun unter Strauch nach und begegnet dabei Folgendem: Strauch [ftRaux], der; ~s/auch ~es, Sträucher ['/tRsiçe] ,nicht sehr hoch wachsende Pflanze ohne Stamm, deren holzige Triebe, Zweige zu mehreren aus der Wurzel ragen'; 71 FELD II.4.1: der Flieder und der Holunder sind Sträucher; frisch vom ~ gepflückte Johannis-, Stachelbeeren; ein blühender einen ~ pflanzen, beschneiden, abernten; vgl. Baum, Busch • Brombeerstrauch, Gesträuch, Himbeerstrauch, Johannisbeerstrauch, Stachelbeerstrauch (DGWDAF, 991)
In diesem Artikel findet der Benutzer des DGWDAF nun endlich eine Bedeutungsangabe, die seinem Bedeutungswissen entspricht, und er gelangt so zu der onomasiologischen Elementarkenntnis, dass so etwas wie eine Pflanze mit Zweigen ohne Stamm im Deutschen mit dem Ausdruck Strauch bezeichnet wird; ein erneuter Blick in die Bedeutungsangabe zu Busch eröf&iet ihm hier weitere Differenzierungen. Dem Benutzer des DGWDAF dürfte in diesem Falle kaum entgangen sein, dass sowohl unter Baum als auch unter Busch und Strauch auf ein Wortfeld auf „FELD II.4.1" verwiesen wird. Dieses Feld findet sich in der onomasiologischen Aufarbeitung der Wörterbuchartikel am Ende des Wörterbuchs und fuhrt zu Baum folgende Wortschatzeinheiten auf: „Strauch, Staude, Kraut, Wald, Forst, Dickicht, Dschungel, Urwald, Gebüsch, Buschwerk, Busch, Gesträuch, Gestrüpp, Gehölz, Hecke, 2Bruch, Unterholz" (DGWDAF, 1301); zu Strauch sind zu finden: „Ginster, Wacholder, Schlehe, Füeder, Holunder, Haselstrauch, Himbeerstrauch, Brombeerstrauch, Johannisbeerstrauch, Stachelbeerstrauch, Heidekraut" (DGWDAF, 1301); zu Busch finden sich keine Nennungen. Diese onomasiologische Wortfeldaufarbeitung, auf die von den einzelnen Wörterbuchartikeln verwiesen wird, erfüllt hinsichtlich der Beantwortung onomasiologischer Elementar&agen dieselbe Funktion wie die Angabe bedeutungsverwandter Wörter innerhalb einzelner Wörterbuchartikel selbst. Ihr Vorteil besteht sicher in der höheren Quantität und Systematizität solcher Angaben, ihr Nachteil (je nach Benutzungssituation) in der größeren Unübersichtlichkeit und in dem Zwang zu einem weiteren Nachschlageschritt für den Benutzer. Die weitere Gestaltung der Darstellung von Wortfeldern im DGWDAF ist im Folgenden Gegenstand eines weiteren Abschnitts. Ein vergleichender Blick in das LGWDAF zeigt, dass eine mittelbare onomasiologische Verfahrensweise, wie sie anhand der Artikel zu Baum, Busch und Strauch des DGWDAF konstruiert werden kann, nicht selbstverständlich ist. Schlägt derselbe Wörterbuchbenutzer nicht im DGWDAF, sondern im LGWDAF unter Baum nach, so findet er hier Folgendes:
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Baum, der, -(e)s, Bäu me-, e-e große Pflanzen mit e-m Stamm aus Holz, aus dem Äste mit Zweigen wachsen, die Nadeln od. Blätter tragen l| K-: Baum-, rinde, Laub-, Nadel·,
-stamm, -wipfel |) -K: Obst- || ID mst Bäume
ausreißen können gespr, sich so gesund u. kräftig fühlen, dass man glaubt, jede (körperliche) Leistung mühelos vollbringen zu können (LGWDAF, 1 2 3 )
Einen Hinweis auf Busch, Strauch oder andere Bedeutungsverwandte von Baum sucht der Wörterbuchbenutzer hier vergebens, so dass die Kette zur mittelbaren Beantwortung seiner onomasiologischen Elementarfrage bereits hier unterbrochen wird und nicht zu einem erfolgreichen Schluss geführt werden kann - und das, obwohl im L G W D A F durchaus Artikel zu Busch und Strauch angesetzt (und aufeinander bezogen) werden: Busch, der, -(e)s, Bü sche-, 1 e-e Pflanze ohne Stamm mit vielen (u. dichten) Ästen aus Holz, die direkt aus dem Boden wachsen « Strauch || -K: Holunder-,
Rosen- 2 meh-
rere abgeschnittene Äste mit Blüten 3 ein relativ großes Büschel 4 nur Sg., Geogr, e-e trockene Zone bes in Afrika u. Australien, in der mst nur niedrige Büsche (1) wachsen || ID (bei j-m) auf den B. klopfen gespr, e-e Anspielung machen od. vorsichtig Fragen stellen, um etw. Bestimmtes zu erfahren; sich in die Büsche schlagen gespr, heimlich verschwinden; mst Da ist doch (et)was im B.l gespr, Da
wird doch etwas heimlich geplant od. vorbereitet (LGWDAF, 1 9 5 )
Strauch, der, -(e)s, Sträu cher « Busch (1)
II - K : Beeren-, Brombeer-, Hasel(nuss)-, Himbeer-, Holunder-, Johannisbeer-, Rosen-; Zier-
(LGwDÀF, 951)
Das Verhältnis der semasiologischen und onomasiologischen Angaben im DGWDAF
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Die Beispiele aus dem DGWDAF und dem LGWDAF belegen, dass beide Wörterbücher hinsichtlich der onomasiologischen Vernetzung einzelner Wörterbuchartikel in Einzelfällen unterschiedlich verfahren, wobei das Verfahren als solches in beiden durchaus präsent ist. Angesichts der Gestaltung beider Wörterbücher wäre indessen insbesondere auch im Hinblick auf den Bereich Deutsch als Fremdsprache eine stärkere Vernetzung der Artikel zu wünschea Mit der gesonderten onomasiologischen Aufarbeitung der Wörterbuchartikel hinsichtlich einzelner Wortfelder am Ende des Bandes stellt das DGWDAF dem fremdsprachigen Wörterbuchbenutzer ein weiteres wirkungsvolles, wenn auch qualitativ wie quantitativ nicht in jedem Falle einfach zu handhabendes Hilfsmittel zur Beantwortung onomasiologischer Elementarfragen bereit, zu dem sich im LGWDAF nichts Vergleichbares findet.
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Polysemiefrage
Im Gegensatz zur semasiologischen Elementarfrage ist die Polysemiefrage nicht auf eine einzelne Bedeutung, sondern auf das Bedeutungsspektrum eines einzelnen Worts gerichtet. Dabei bringt die Beantwortung der Polysemiefrage hinsichtlich einer bestimmten Zahl an einzelnen Bedeutungen selbstverständlich eine entsprechende Zahl an semasiologischen Elementarangaben mit sich. Wie im Falle der semasiologischen Elementarfrage setzt indessen auch die Beantwortung der Polysemiefrage mit Hilfe eines Wörterbuchs zunächst einmal voraus, dass hier das betreffende Wort von dem Wörterbuchbenutzer auch gefunden wird. Dies wird im Rahmen eines semasiologischen Wörterbuchs ebenfalls durch eine alphabetische Makrostruktur garantiert, so dass der Benutzer, sofern das Wort im Wörterbuch aufgenommen ist, (mehr oder weniger) schnell zu der erwünschten Polysemiekenntnis gelangt Der Weg von Polysemiefrage über Polysemieangabe zu Polysemiekenntnis bei Benutzung eines semasiologischen Wörterbuchs ist hiernach schematisch vereinfacht wie folgt darzustellen (vgl. Abbildung 5): Der Wörterbuchbenutzer stellt die Frage nach den Bedeutungen Bi bis B„ zu einem bestimmten Ausdruck Ai (in Kenntnis oder in Unkenntnis der entsprechenden Kontexte Ki bis Kn). Daraufhin schlägt er in seinem Wörterbuch unter dem Ausdruck Ai nach und findet dort die Angabe, dass der Ausdruck At (in den Kontexten Ki bis K„) die Bedeutungen Bi bis Bn trägt. Im Falle einer erfolgreichen Nachschlagehandlung, bei der der Benutzer diese Angabe versteht, besitzt er dann auch die Kenntnis, dass der Ausdruck Ai (in den Kontexten Ki bis Kn) die Bedeutungen Bi bis Bn hat.
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Β, AT
M
I
A,
B2
A,
BN
118111
• Polysemiefrage
Ι *
• Polysemieangabe
• Polysemiekenntnis
Abb. 5: Schematische Darstellung des Wegs von Polysemiefrage über Polysemieangabe zu Polysemiekenntnis bei der Benutzung eines semasiologischen Wörterbuchs. Der Erfolg dieses Wegs von Polysemiefrage über Polysemieangabe zu Polysemiekenntnis hängt in starkem Maße von der Gestaltung der Polysemieangabe in dem betreffenden Wörterbuch ab. Dabei sind neben der Art und Weise der Angabe einzelner Bedeutungen selbst verschiedene Problembereiche erkennbar, die auch und gerade in der pädagogischen Lexikographie von Bedeutung sind: Die Unterscheidung zwischen Polysemie und Homonymie; der Grad an Bedeutungsdifferenzierung bei Polysemie, dessen Zunahme zwar mit einer Zunahme an Informativität, dagegen jedoch auch mit einer Abnahme an Praktikabilität verbunden ist (vgl. Wiegand 1995, 484); die Hierarchisierung der einzelnen Bedeutungen untereinander, und die Kennzeichnung von Bedeutungsrelationen im semasiologischen Paradigma. Insbesondere die Frage nach Polysemie und/oder Homonymie ist nicht allein im Hinblick auf allgemeine, sondern auch auf pädagogische Wörterbücher Gegenstand heftiger Diskussionen. Dabei plädiert beispielsweise Zöfgen (1985, 32-34, 74f.; 1994, 84-96) in Anknüpfung an die englisch- und französischsprachige Lexikographie für eine Tendenz zur Homonymiening (Ansatz mehrerer Wörterbuchartikel mit einer Bedeutung) und führt dabei vornehmlich lernpsychologische Argumente in Feld. Diesen Argumenten können jedoch auch kognitionspsychologische Gesichtspunkte entgegengesetzt werden, unter denen eine Tendenz zur Polysemierung (Ansatz mehrer Bedeutungen in einem Artikel) mit der Darstellung der hierarchischen oder assoziativen Verwandtschaft bis hin zu der wechselseitiger Offenheit dieser Bedeutungen in Verbindung gebracht werden kann (und damit gegebenenfalls zu einer Aufhebung der Polysemie zugunsten einer einzelnen, assoziativen Gesamtbedeutung, deren quasi-polyseme Darstellung pädagogisch jedoch gerechtfertigt bleibt). Kempcke bekennt sich im Hinblick auf das D G W D A F zu einer Tendenz zur Polysemierung und begründet dies mit Erwägungen hinsichtlich der theoretischen wie praktischen Unterscheidung von Polysemie und Homonymie: „In der englischsprachigen Lernerliteratur dominiert das Prinzip der Homonymisierung. In den deutschsprachigen Wörterbüchern wird die Gliederung mit arabischen und römischen Ziffern (und nach Buchstaben) vorgezogen und damit die Einheit des Wortes betont. Die Begründung für die Homonymisierung, sie mache die Sememgliederung überschaubar, halten wir flir nicht stichhaltig, da auf diese Weise die Möglichkeit, wirkliche Homonymie differenzierter darzustellen, verlorengeht" (Kempcke 1992, 212).
Das Verhältnis der semasiologischen und onomasiologischen Angaben im DGWDAF Die „Erläuterungen zur Konzeption des Wörterbuchs" und die „Hinweise zur Benutzung des Wörterbuchs" im DGWDAF zeigen sich indessen gegenüber diesen Problembereichen verhältnismäßig stark bedeckt (vgl. weiter Kempcke 1992, 213). Ein vergleichender Blick in einige typische Artikel aus dem DGWDAF und dem LGWDAF bringt hier jedoch einige Aufschlüsse über deren Stellung hinsichtlich der genannten Bereiche. Dies gilt zunächst fur die Artikel zu Bande im Hinblick auf die Behandlung von Homonymie und Polysemie sowie die Differenzierung von Einzelbedeutungen. Im DGWDAF heißt es da: Bande ["banda], die; ~n 1. ,organisierte Gruppe von Menschen, die gemeinsam Straftaten begehen'; 71 FELD 1.11: einer ~ angehören; eine ~ von Erpressern, Autodieben, Einbrechern; die ~ verübte viele Einbrüche, beging viele Autodiebstähle, machte die Gegend unsicher 2. oft scherzh. .größere Anzahl von Personen, bes. von Kindern, Jugendlichen, die gemeinsam etw. unternehmen und die fest zusammenhalten'; SYN Clique (1.2): eine fröhliche, ausgelassene die ~ tobte auf dem Spielplatz, im Garten 3. fachspr. .stabiler, verschieden hoher Rand der Fläche, auf der bestimmte Sportarten betrieben werden, bes. Billard, Eishockey, Eiskunstlauf: der Eiskunstläufer berührte bei seiner Kür die ist bei seiner Kür an die ~ gestoßen •> bändigen, unbändig (DGWDAF, 101)
Und im LGWDAF findet sich an entsprechender Stelle: Ban-de1 die\ -, -n\ 1 e-e (mst organisierte) Gruppe von Personen, die Verbrechen planen u. begehen || K-: Banden·, -chef, -führer, -mitgtted || -K: Diebes-, Drogen-, Gangster-, Räuber-, Schmuggler-, Verbrecher- 2 pej od hum\ e-e Gruppe bes von Kindern od. Jugendlichen, die gemeinsam etw. unternehmen Ban -d e2die\ -, -n\ Sport 1 der innere Rand e-s Billardtisches 2 die feste Umrandung der Spielfläche beim
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Eishockey 3 die äußere Umrandung e-s Spielfeldes (beim Fußball, Tennis usw), die oft als Abgrenzung von den Zuschauern dient H K-: Banden-, -Werbung Ban-dβ 3 die; PI; 1 geschr veraltend, enge gute Beziehungen zu j-m « Bindung || -K: Ehe-, Liebes- 2 zarte B. (mit j-m)
knüpfen
mst
hum; beginnen, j-n zu lieben (LGWDAF, 117f.)
Ein kurzer Blick auf die Artikel aus dem D G W D A F und dem LGWDAF lässt schnell erkennen, dass ein nahezu deckungsgleiches Bedeutungsspektrum im D G W D A F unter einem Lemma als Polysemie und im LGWDAF unter drei Lemmata als Homonymie erläutert wird. Im D G W D A F werden zwar ebenfalls Homonyme angesetzt; doch geschieht dies hier im Allgemeinen seltener als im LGWDAF. Die Differenzierung von einzelnen Bedeutungen fällt im LGWDAF gegenüber dem D G W D A F in der Regel stärker aus: So finden sich die ersten beiden Bedeutungen aus dem D G W D A F in dem ersten Artikel des LGWDAF wieder, während die dritte Bedeutung aus dem DGWDAF in dem zweiten Artikel des LGWDAF in drei Bedeutungen ausdifferenziert wird; hinzu kommen die zwei weitere Bedeutungen aus dem dritten Artikel des LGWDAF. In diesem Fall erweist sich das D G W D A F gegenüber dem LGWDAF unter semasiologischen Gesichtspunkten als weniger sensibel. In anderen Fällen erweist sich das D G W D A F jedoch gegenüber dem LGWDAF unter semasiologischen Gesichtspunkten als stärker sensibel. Dies wird insbesondere im Hinblick auf die Hierarchisierung von Bedeutungsangaben deutlich. Als Beispiel hierfür können die Artikel zu locker dienen. Im DGWDAF lautet der betreffende Artikel: locker ['bkt>] 1. 1.1. .mangelhaft befestigt, nur leicht haftend, sodass es ein wenig hin und her bewegt werden kann'; SYN lose (1.1); ANT fest (3.1) /auf Gegenständliches bez./; 71 FELD 1.7.6.3, III.4.3: ein -er Zahn, Ziegelstein; der Nagel, Knopf ist etw. - befestigen 1.2. .nicht straff (1)': die Krawatte ist ~ (ANT fest 3.1) gebunden 2. 2.1. ,mit Zwischenräumen, nicht dicht (1)': -es Haar; ihr Pullover, Haar fällt ein -es Gewebe; sie strickt, häkelt ein -er Baumbestand, Bewuchs; ~e Bewölkung 2.2. ,keine fest und dicht zusammenhängende Masse bildend'; ANT kompakt /vorw. auf Materialien bez./: -er Boden, Sand, Schnee; der Kuchen, Teig ist - 3.1. ,nicht straff ge-
Das Verhältnis der semasiologischen und onomasiologischen Angaben im DGWDAF
219
spannt (71 spannen 1.1)': das Seil ist - (ANT straff 1.1) gespannt; die Gliedmaßen sind (.entspannt, 71 entspannen'); mit -er Haltung sitzen 3.2. ,in seiner Wesensart lässig' /auf Personen bez./: er ist ein -er Typ, ist ganz -, gab sich ganz 3.3. umg das schaffe ich - (,ohne große Mühe') 4. eine ~e (.nicht ernsthafte, nicht enge') Beziehung eingehen • lockern - auflockern, lockerlassen (DGWDAF, 6 3 4 )
Und der entsprechende Artikel aus dem
LGWDAF:
lo-ckerAdj. ·, 1 nicht gut befestigt ~ lose, wakkelig und die konsequente Berücksichtigung der Wortfamilienmitglieder in eigenen Artikeln, in denen jeweils deren Bedeutungen angegeben werden, als vergleichsweise übersichtlich.
8
Wortfeldfrage
Die Wortfeldfrage zielt auf verschiedene Ausdrücke fur verwandte Bedeutungen in einem oder mehreren Kontexten. Im Normalfall ist dem Wörterbuchbenutzer dabei mindestens ein Ausdruck mit mindestens einer Bedeutung bekannt, der im Rahmen eines semasiologischen Wörterbuchs mit einer alphabetischen Makrostruktur fur den Wörterbuchbenutzer verhältnismäßig einfach zu finden und durch die semasiologische Elementarangabe semantisch zu überprüfen sein sollte. Im weiteren Verlauf der Nachschlagehandlung kann der Benutzer dann zu den Angaben des Wörterbuchs zum Wortfeld gelangen. Schematisch vereinfacht nimmt sich dieser Weg von Wortfeldfrage über Wortfeldangabe zu Wortfeldkenntnis wie folgt aus (vgl. Abbildung 9): Der Wörterbuchbenutzer stellt die Frage nach den Bedeutungen Β] ι bis Bi n mit ihren Ausdrücken Ai bis A2 (in den Kontexten K| bis Kn). Er geht dabei von der Kenntnis aus, dass der Ausdruck k\ (im Kontext Ki) die Bedeutung B u zeigt, schlägt in dem Wörterbuch unter dem Ausdruck Ai nach und findet dort idealiter die bestätigende Angabe, dass der Ausdruck A) (im Kontext Ki) tatsächlich diese Bedeutung Bi aufweist. Des Weiteren gelangt er unmittelbar über diesen Wörterbuchartikel selbst oder mittelbar durch Verweis auf andere Wörterbuchartikel zu den Angaben, dass für die Bedeutungen Bi 2 bis Bi n (in den Kontexten K2 bis Kn) die Ausdrücke A2 bis A„ gelten, und schließt seine Nachschlagehandlung mit der gewünschten Kenntnis ab, dass das fragliche Wortfeld aus den Ausdrücken Ai bis An mit den Bedeutungen Bu bis Β) n (in den Kontexten Ki bis K„) besteht. Der Erfolg des Wegs von Wortfeldfrage über Wortfeldangabe zu Wortfeldkenntnis ist in sehr starkem Maße von der lexikologischen und lexikographischen Konzeption des betreffenden Wörterbuchs abhängig. Dabei stellt sich das grundsätzliche Problem, ob, und wenn ja, in welchem Umfang und an welcher Stelle klassische Bedeutungsrelationen der Gleich-, Über- und Gegenordnung sowie assoziative Bedeutungsbezüge, wie sie etwa im Rahmen
229
Thorsten Roelcke
230
der Frame- oder Skriptsemantik beschrieben werden, zur Darstellung gelangen (vgl. Zöfgen 1985, 45-68). Dabei geht das D G W D A F einerseits konventionelle und andererseits innovative Wege.
A,
Bu
A2
BL.2
AN
BIN
Wortfeldfrage und semasiologische Kenntnis
Wortfeldangabe
Wortfeldkenntnis
Abb. 9: Schematische Darstellung des Wegs von Wortfeldfrage und semasiologischer Kenntnis über Wortfeldangabe zu Wortfeldkenntnis bei der Benutzung eines semasiologischen Wörterbuchs.
Bedeutungsrelationen im traditionellen Sinne finden im D G W D A F zunächst einmal eine konventionelle Behandlung, die je nach Typ der Relation unterschiedlich ausfällt. Zu diesen Bedeutungsrelationen im onomasiologischen Paradigma gehören insbesondere (denje-
Das Verhältnis der semasiologischen und onomasiologischen Angaben im DGWDAF nigen im semasiologischen Paradigma entsprechend; vgl. oben) Synonymie, Hyperonymie, Antonymie, Komplenymie und Konversonymie, bei denen ebenfalls mit Roelcke (1992a und 1992b) Varietätenimmanenz und Varietätentranszendenz zu unterscheiden sind (vgl. Abbildung 10). Varietätenimmanenz
Varietätentranszendenz
Synonymie (Gleichordnung)
(standardsprachlich Trauung .Schlies- (vorwiegend niederdeutsch Sonnabend sen des Ehebundes') «-• (standard- .sechster Tag der Woche') (vorwiesprachlich Vermählung .Schließen des gend oberdeutsch Samstag .sechster Ehebundes') Tag der Woche')
Hyperonymie (Oberordnung)
(standardsprachlich Sohn .direkter männlicher Nachkomme') —> (standardsprachlich Kind , direkter Nachkomme')
Antonymie (Gegenordnung, relativ)
(standardsprachlich Liebe .Gefühl der (standardsprachlich groß .von starkem Zuneigung') —» - (standardsprachlich Ausmaß') —» - (westniederdeutsch lütt Hass .Gefühl der Abneigung') .von geringem Ausmaß')
Komplenymie (Gegenordnung, absolut)
(standardsprachlich Mutter,weiblicher (standardsprachlich Junge junger Eltenteil') *-* - (standardsprachlich Mann') «-• - (niederdeutsch Deem junge Frau') Vater .männlicher Elternteil')
Konversonymie (Gegenordnung, direktional)
(standardsprachlich Arbeitgeber jemand, der jemanden vertraglich beschäftigt') (aus2.2); oder unbestimmter: (an-1.3); auch: (anstatt). Im Grunde handelt es sich hierbei um eine (allerdings unsystematische) semantische Klassifikation der Substantive. Andere Charakterisierungen lauten: (à), (auf-7.1); oder: (angesichts), (auf-2.4), (auf-1.4, bezüglich), (auf-5), (auf-6). In anderen Fällen wird auf die problematische Bezeichnung „Begriff' verzichtet. So heißt es z.B. auch: (anstelle); oder: (auf-7.3), (aus-3).
358
Burkhard Schaeder
Zu(b): Semantische Charakterisierung der Präpositionen Zur semantischen Charakterisierung der Präpositionen werden folgende Merkmale verwendet (die zitierten Erläuterungen finden sich in der „Liste der verwendeten sprachwissenschaftlichen Begriffe"): adversativ: „drückt den Gegensatz aus" (entgegen, wider)·, final: „die Absicht, den Zweck bezeichnend" ( a u f - 5 , f ü r - \ , nach-3, um-3, um... willen (und kausal), zu, zugunsten, zuungunsten, zwecks); instrumental: „drückt das Mittel aus" {dank-2, mit-1, mittels, ohne-1); kausal: „drückt den Grund aus" (angesichts, anhand, anlässlich, auf-6, bei-4, dank-l, halber, infolge, innerhalb-2, mangels, mit-5, ob, um ... willen (und final), vermöge, vor5, wegen, zu-5, zufolge-1), zuliebe (und final); konditional: „drückt die Bedingung aus" (bei-3, mit-6, ohne-3); konsekutiv: „drückt die Folge aus" (zu-6); konzessiv: „drückt ein Einräumen aus" (bei-5, trotz, ungeachtet)·, lokal: „drückt ein örtliches Verhältnis aus" (ab-1, α/7-1/2, auf-Ml, aus-1, außer-2, außerhalb-\, bei-l, bis-2, diesseits, durch-l, fern, entlang, gegen-l, gegeniiber-i, gen, hinter-i, hinter-2, in-l/2, inmitten, innerhalb-l, jenseits, längs, mit-3, nach-l, nahe, neben-\/2, oberhalb, seitlich, seitwärts, über-1/2, um-I, unfern, unter-M2ß, unterhalb, unweit, von-1, vor-1/2, zu-1); modal: „drückt die Art und Weise aus" (an-4: am [als Superlativpartikel; BS], aus-3/4, außer-3, bis-3/4, durch-4, für-4, gegenüber-2/3, gemäß, in-5, kraft, laut, mit-2, mitsamt, nach-4, nächst, namens, ohne-2,per, samt, über-516, um-4, unter-4, von-3, zu5, zufolge- 2, zwischen-3); temporal: „drückt ein zeitliches Verhältnis aus" (ab-2, an-3, aus-2.3, außerhalb-2, bei-2, binnen, bis-\, für-3, «7-3/4, mit-4, nach-2, seit, über-3/4, um-2, von-2, vor-3, während, zu-2, zwischen). Daneben stößt man auf die Merkmalsangaben: „mit kausalem Charakter" (um-3)·, „mit modalem Charakter" (zu-3.2). Zu (c): Semantischer Kommentar Üblicherweise folgt den „Einordnungsmerkmalen", wie Schröder (1986, 27) sie nennt, eine Spezifizierung, wie z.B. aus-1 /lokal; gibt die Richtung von innen nach außen an/; aus-2.3 /temporal; gibt die Herkunft aus einer zurückliegenden Zeit an/; aus-4 /kausal; gibt den Beweggrund fllr eine Handlung an; außerhalb-1 /lokal; gibt eine Lage an, die nicht innerhalb eines bestimmten Bereiches ist/; außerhalb-2 /temporal; gibt an, dass etw. nicht innerhalb eines zeitlichen Rahmens liegt/; bei-l /lokal; [...] gibt die räumliche Nähe zu etw., jmdm. an, nicht den Kontakt/; bei-2.1 /temporal; [...] gibt an, dass ein Vorgang, ein Zustand denselben genannten Zeitpunkt hat/; bei-2.2 /temporal; [...] gibt die Verlaufsform an; gibt an, dass eine Tätigkeit gerade zu diesem Zeitpunkt abläuft/; bei-2.3 /temporal; [...] gibt eine bestimmte Zeitdauer an/; bei-3 /konditional; gibt die Bedingung, Voraussetzung für das Geschehen, den Zustand an/; bei-4 /kausal; gibt die Begründung für einen Sachverhalt an/; bei-5 /konzessiv; gibt an, dass ein bestimmter Umstand ohne Einfluss auf den Sachverhalt ist, obwohl man es hätte erwarten können; bei-6.1 /modal; gibt einen Umstand, Zustand an/; binnen /temporal; gibt die Dauer einer meist festgelegten Zeitspanne an/; bis-
Die Präpositionen
im DE GRUYTER WORTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
359
1 /temporal; gibt den Endpunkt einer Zeitdauer an/; bis-2 /lokal; gibt den Endpunkt einer Erstreckung, Bewegung an/; bis-3 /modal; gibt die Art und Weise eines Zustands, einer Haltung an/; dank-1 /kausal; gibt die Voraussetzung od. Begründung für einen positiven Sachverhalt an/; dank-2 /instrumental; gibt auch das Mittel für die Erreichung eines meist positiven Zieles an/ usw. Zu dem Verfahren der Bedeutungserklärung in DGWDAF ist anzumerken: a)
b)
In einigen Fällen ist die Zuordnung der semantischen Merkmale zweifelhaft. So heißt es z.B. bei per ,/modal; gibt das Mittel an für die Sendung, Beförderung'. Der semantische Kommentar lässt aber eher auf /instrumental/ schließen; vergleichbar jenem bei mit-1 ./instrumental; gibt das Mittel für die Realisierung von etw. an/'. Ohne Angabe eines semantischen Merkmals dieser Art sind u.a.: à, abseits, abzüglich, anstatt, anstelle, auf-3/4/7/9, aus-2.1/2.2., ausschließlich, außer-1, durch2/3, einschließlich, exklusive, für-5/6, gegen-2/3/4/5, inklusive, je, neben-3, nebst, ohne-4, pro, seitens, statt, von ... wegen, vor-4, zeit, zu-4, zwischen-1/4. Einige dieser Präpositionen könnten mit einem solchen Merkmal versehen werden, wie z.B. abseits und zwischen-1 mit /lokal/, wie sich aus den angegebenen Beispielen ergibt. Bei gegenttber-2 steht zu lesen: ,/modal; gibt eine Vergleich an, der meist Ungleichheit ausdrückt/'; SYN gegen (3)'; bei gegen-3 findet sich zwar der nahezu gleichlautende semantische Kommentar ,/gibt einen Vergleich an, der Ungleichheit ausdrückt/', es fehlt aber die Angabe des Merkmals /modal/. Gleiches gilt für wegen ,/kausal; gibt die Ursache, den Grund an/' und von ... wegen ,/gibt den Grund an/'. Bei auf-7 lautet der semantische Kommentar ,/gibt die Art und Weise an/', es fehlt aber die Angabe des Merkmals /modal/, obwohl es in der „Liste der verwendeten sprachwissenschaftlichen Begriffe" unter dem Stichwort „modal" heißt: „drückt die Art und Weise aus".
c)
Die Charakterisierung der durch die Präpositionen gestifteten Relationen durch derartige Merkmale ist problematisch und überaus uneinheitlich. Die DudenGrammatik (1998, 386-391) unterscheidet lediglich vier „durch die Präpositionen gekennzeichnete Verhältnisse": lokal, temporal, modal, kausal. Helbig/Buscha (1984, 413-114) nehmen 16 Merkmale dieser Art an (mit weiteren Ausdifferenzierungen) und Schröder (1986, 27-28; 246-248) verwendet zur Beschreibung der Präpositionen gar 34 sog. „Einordnungsmerkmale", unter denen sich auch die im DGWDAF gebrauchten finden und zu deren näherer Bestimmung rd. 200 sog. „semantische Merkmale" angesetzt werden, wie z.B. zur Bestimmung von oberhalb LOKAL [+ loc (= Lokalisationsbereich), + stat (= Verlauf des Geschehens im Lokalisationsbereich (mit Ausnahme der Fortbewegung)), + plan (= Fläche), + vertikal (= vertikale Einordnung einer Fläche), + superior limes (= Befindlichkeit eine Lage höher als eine Grenzlinie)]. Hier ist nicht der Platz, derartige Verfahren der Bedeutungsbeschreibung von Präpositionen zu diskutieren, in jedem Fall darf aber bezweifelt werden, dass sie - welches Ziel sich Schröder (1986, 7) auch gesetzt hat - „dem Ausländer eine Hilfe" bieten, „der sich beruflich oder interessehalber mit der deutschen Sprache beschäftigt".
d)
Auch wenn dies weder unter dem Stichwort „Zu den Formen der Bedeutungserklärung" (S. XVII) noch unter dem Stichwort „Präpositionen" (S. XXII) ausdrücklich
Burkhard Schaeder
360
gesagt wird, hat es den Anschein, dass im DGWDAF die Merkmale /lokal/, /temporal/, /modal/ usw. als allgemeine semantische Merkmale fungieren und primär dazu dienen sollen, Gruppen von speziellen Verwendungsweisen zusammenzufassen, wie z.B. [die Unterstreichungen finden sich nicht im Original; BS] vor ,[...] 1. /lokal/1.1. /gibt (vom Standpunkt des Sprechers) eine Lage an einer vertikalen Fläche an, die auf der Vorderseite eines Gebäudes, Berges, eines Gegenstandes od. einer Fläche ist/ [...] 1.2. /gibt bei einer Fortbewegung das Ziel, den Endpunkt an/ [...] 1.3. /gibt in einer Reihe sich hintereinander vorwärts bewegender Personen, Fahrzeuge die erste Position an/ [...] 1.4. /gibt die Präsenz gegenüber einer Gruppe an/ [...] 2. /lokal/ 2.1. /gibt die Richtung einer Bewegung und deren Endpunkt an einer vertikalen Fläche an, die aus der Sicht des Sprechers die Vorderseite ist/ [...] 2.2. /gibt die Richtung einer Bewegung und deren Endpunkt an; der Endpunkt ist eine Gruppe/ [...] der Endpunkt ist eine Person/ [...] 3. /temporal/ 3.1. /gibt einen Zeitpunkt an, der einem Zeitpunkt od. Vorgang od. der Gegenwart des Sprechers vorausgeht/ [...] 3.2. /gibt den Endpunkt einer Zeitdauer an, die in der Vergangenheit liegt/ [...] 3.3. /gibt einen Zeitpunkt an, der nach der Gegenwart des Sprechers liegt/ [...] 4. /gibt in einer Rangfolge die zweite Position an/ [...] 5. /kausal; gibt die Ursache, den Beweggrund an/ [...]
Auch wenn dieses Verfahren zur Strukturierung des Wörterbuchartikels auf den ersten Blick Uberzeugend wirkt, hat es erhebliche Nachteile. Zum ersten dürfte ungewiss sein, ob sie den Benutzem die intendierte Information bieten. Zum zweiten lassen sich offenkundig (wie Ziff. 4 des Beispiels und viele andere Fälle zeigen; vgl. oben) nicht alle Verwendungsweisen durch ein derartiges Merkmal charakterisieren. Zum dritten ist fraglich, ob die unter dem jeweiligen Merkmal zusammengefassten Verwendungsweisen tatsächlich dieses Merkmal gemeinsam besitzen. Für die notwendige Strukturierung der Präpositionen-Artikel sind - wie der Vergleich mit dem LGWDAF zeigt - diese Merkmale also entbehrlich. Nahezu durchgängig wird in den semantischen Kommentaren formuliert: Die Präposition χ „gibt ... an". Die Bedeutung des Verbs angeben wird im DGWDAF allein durch ein Synonym erklärt: .nennen'. Wie in Schaeder (1998, 220-222) ausgeführt wird, gehört es nicht zu den Eigenschaften von Präpositionen, etwas zu nennen, zu bezeichnen, etwas auszudrücken, auf etwas hinzuweisen, etwas anzugeben. In grammatischer Sicht „kennzeichnen" Präpositionen „als syntaktische Basis von Präpositionalgruppen [...] deren syntaktische Verknüpfung mit anderen Redeteilen. Auf Grund ihrer Wortbedeutung können sie die Art der Beziehung zwischen den verknüpften Einheiten semantisch charakterisieren" (Grundzüge 1981, 695). Da Präpositionen in semantischer Hinsicht also eine Beziehung, ein Verhältnis bzw. eine Relation zwischen Gegenständen, Personen, Sachverhalten usw. begründen, charakterisieren bzw. anzeigen, wäre zutreffender zu formulieren: die Präposition χ „zeigt... an" bzw. „zeigt an, dass ...".
6
Zusammenfassung
Man darf den Verfassern des DGWDAF ohne Zweifel bescheinigen, dass sie die Präpositio-
nen in beträchtlichem Umfang gebucht haben, grammatisch und semantisch in übersichtlich
Die Präpositionen im DE GRUYTER
WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
361
strukturierten Artikeln nach einem einheitlichen Konzept beschreiben und ihren Gebrauch durch hinreichend viele, meines Erachtens gut ausgewählte Beispiele demonstrieren. Lässt man die wenigen offenkundigen Fehler einmal außer Betracht, verbleiben als kritikwürdige Punkte: die Beschreibung der Wortart „Präposition" in der „Liste der verwendeten sprachwissenschaftlichen Begriffe", die Systematik der Struktur der PräpositionenArtikel, die zur Beschreibung der Präpositionen gebrauchten semantischen Merkmale des Typs /lokal/, /modal/, /temporal/ usw. und die definitorische Erklärung ihrer spezifischen semantischen Leistung. Wünschenswert und dem intendierten Zweck des Wörterbuchs dienlich wären Arbeitshefte, mit deren Hilfe sich seine kundige und sichere Benutzung und u.a. auch der aktive Gebrauch der Präpositionen einüben ließe.
7
Literatur
7.1
Wörterbücher
DGWDAF = DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE. V o n Günter K e m p k e unter
Mitarbeit von Barbara Seelig, Birgit Wolf, Elke Tellenbach u.a. Berlin, New York 2000. L G W D A F = LANGENSCHEIDTS GROBWÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE. D a s n e u e e i n s p r a -
chige Wörterbuch für Deutschlernende. Hrsg. von Dieter Götz, Günther Haensch, Hans Wellmann. In Zusammenarbeit mit der Langenscheidt-Redaktion. Leitende Redakteure: Vincent J. Docherty und Günther Jehle. Berlin, München 1993. (3. Aufl. 1994, Neubearbeitung 1998) R u o f f , A r n o ( 1 9 8 1 ) : HÄUFIGKEITSWÖRTERBUCH GESPROCHENER SPRACHE GESONDERT NACH WORTARTEN ALPHABETISCH, RÜCKLÄUFIG ALPHABETISCH UND NACH HÄUFIGKEIT GEORDNET. U n t e r
Mitarbeit von Harald Fuchs, Bernhard Gersbach, Rainer Graf, Simone Thiers. Tübingen. Schröder, Jochen (1986): LEXIKON DEUTSCHER PRÄPOSITIONEN. Leipzig. [2. Aufl. 1990]
7.2
Sonstige Literatur (in Auswahl)
Duden-Grammatik (1998) = Duden Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl. Hrsg. von der Dudenredaktion. Bearb. von Peter Eisenberg, Hermann Gelhaus, Helmut Henne, Horst Sitta und Hans Wellmann. Mannheim [u.a.]. Eisenberg, Peter (1994): Grundriß der deutschen Grammatik. 3., Überarb. Aufl. Stuttgart. Forstreuter, Eike/Egerer-Möslein, Kurt (1978): Die Präpositionen. Leipzig. (Zur Theorie und Praxis des Deutschuntenichts fllr Ausländer) Grießhaber, Wilhelm (1999): Präpositionen als relationierende Prozeduren. In: Redder, Angelika/Rehbein, Jochen (Hrsg.): Grammatik und mentale Prozesse. Tübingen 1999,241-260. Grundzüge (1981) = Grundzüge einer deutschen Grammatik. Von einem Autorenkollektiv unter der Leitung von Karl Erich Heidolph, Walter Flämig und Wolfgang Mötsch. Berlin. Heibig, Gerhard/Buscha, Joachim (1984): Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 8. Aufl. Leipzig. (18. Aufl. Leipzig 1998) Klaus, Cäcilia (1999): Grammatik der Präpositionen. Studien zur Grammatikographie. Mit einer thematischen Bibliographie. Frankfurt/M. [u.a.]: Lang. Kühn, Peter (2000) (Hrsg.): Wortschatzarbeit in der Diskussion. Studien zu Deutsch als Fremdsprache V. Hildesheim [u.a.]. (= Germanistische Linguistik, Bd. 155-156).
362
Burkhard Schaeder
Moffat, Ann/Schaeder, Burkhard (1971): The Semantics of English Prepositional Phrases. In: Schweisthal, K.G. (Hrsg.): Grammatik - Kybernetik - Kommunikation. Bonn, 49-64. Schaeder, Burkhard (1985): Die Beschreibung der Präpositionen im einsprachigen deutschen Wörterbuch. In: Bergenholtz, H./Mugdan, J. (Hrsg.): Lexikographie und Grammatik. Tübingen, 278-307. (= Lexicographica, Series Maior 3) Schaeder, Burkhard (1997): Die Präpositionen in LANGENSCHEIDTS GROOWÖRTERBUCH DEUTSCH ALS
FREMDSPRACHE. In: Wiegand, Herbert Ernst (Hrsg.): Perspektiven der pädagogischen Lexikographie des Deutschen. Tübingen, 208-232. Schaeder, Burkhard: Wörterbucharbeit im Unterricht Deutsch als Fremdsprache. In: Kühn 2000, S. 249-280.
Schmitz, Werner (1976): Der Gebrauch der deutschen Präpositionen. 9., verbesserte Auflage. München. Wiegand, Herbert Emst (1996): Über primäre, von Substantiven „regierte" Präpositionen in Präpositionalattributkonstruktionen. In: Harras, Gisela/Bierwisch, Manfred (Hrsg.): Wenn die Semantik arbeitet. Klaus Baumgärtner zum 65. Geburtstag. Tübingen, 109-147.
Dmitrij Dobrovol'skij Phraseologismen im DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
1 2 2.1
Aufgabenstellung Theorie der Phraseologie und lexikographische Praxis Zur Idiomsemantik
1
Aufgabenstellung
2.2 3 4
Zur Idiomsyntaktik Fazit Literatur
Das Ziel dieses Beitrags besteht darin, auf die beiden folgenden Fragen zumindest tentative Antworten zu geben: -
Was wird von einem einsprachigen Lernerwörterbuch in Bezug auf die Darstellung der Phraseologie grundsätzlich erwartet? In welchem Maße werden diese Erwartungen vom DGWDAF (2000) erfüllt?
Die Behandlung dieser Fragen erfolgt in diesem Beitrag nicht in Isolation voneinander, sondern im Komplex, d.h. die uns interessierenden Probleme der lexikographischen Theorie werden sukzessiv anhand von Beispielen aus dem DGWDAF (2000) - auch im Vergleich zu anderen Wörterbüchern - diskutiert, so daß die Besonderheiten des DGWDAF (2000) in Bezug auf die lexikographische Darstellung der Phraseme sichtbar gemacht werden können. Auf die erste Frage kann zunächst eine knappe und anscheinend einfache Antwort gegeben werden. Die Probleme, die im Zusammenhang mit der lexikographischen Darstellung der Phraseme gelöst werden müssen, gliedern sich in Probleme der Materialauswahl und Probleme der Materialbeschreibung. Was die Auswahl betrifft, so ist es evident, daß ein einsprachiges Lernerwörterbuch nur die Phraseme enthalten muß, die ein Nichtmuttersprachler für die aktive Verwendung braucht. Auf die Materialauswahl im DGWDAF (2000), die im großen und ganzen als gelungen zu beurteilen ist, kann hier aus Platzgründen nicht näher eingegangen werden (vgl. in diesem Zusammenhang den Artikel von Wotjak/Dobrovol'skij (1996), in dem die Auswahl von Phrasemen im LGWDAF (1993) ausführlich besprochen wird). Zur Materialbeschreibung läßt sich zunächst sagen, daß jedes lexikographisch erfaßte Phrasem in semantischer, syntaktischer und pragmatischer Sicht vollständig und explizit beschrieben werden muß, denn dies ist die Voraussetzung für seinen kontext- und situationsgerechten Gebrauch in der Rede. Diese anscheinend einfachen Postulate lassen sich aber nicht ohne weiteres realisieren, denn im Grunde handelt es sich dabei um die Wesensaufgaben der Theorie der Phraseologie. Im folgenden gehe ich etwas detaillierter darauf ein.
Dmitrij Dobrovol'skij
364 2
Theorie der Phraseologie und lexikographische Praxis
Die wichtigste Aufgabe der Phraseologieforschung besteht in einer präzisen systematischen Beschreibung der Phraseme aller Klassen in allen möglichen Sprachen. Paradoxerweise hat sich die Phraseologieforschung noch nie ernsthaft mit dieser Aufgabe befaßt, wahrscheinlich in der Annahme, daß die Wörterbuchmacher sie schon irgendwie bewältigen würden. Die Vernachlässigung der „niedrigen Empirie" zugunsten der „hohen Theorie" hat dazu geführt, daß es trotz der jahrzehntelangen aktiven Tätigkeit vieler Phraseologieforscher in verschiedenen Ländern der Welt kein einziges (mir bekanntes) Wörterbuch gibt, in dem der Benutzer die notwendigen Informationen für die produktive (und nicht nur rezeptive) Beherrschung der Phraseme finden kann. Das darf auch nicht verwundern, denn ehe ein gutes Wörterbuch erstellt werden kann, muß ein beträchtliches Volumen an linguistischer Feinarbeit geleistet werden. Die bisherigen Schwerpunkte der Phraseologieforschung kann man wie folgt zusammenfassen: -
-
eine mehr oder weniger erfolgreiche Bestandsaufnahme (zu ernsthaften Defiziten in diesem Bereich vgl. u.a. Piirainen im Druck); Klassifikationen der Phraseme nach verschiedenen Parametern (die das Verständnis des Wesens dieser sprachlichen Zeichen zumeist eigentlich nicht vorangetrieben haben); exemplarische Studien zu Einzelerscheinungen im Bereich der Phraseologie, darunter sprachvergleichende Untersuchungen; Versuche, die Phraseologieforschung an prominente linguistische Theorien zu binden.
Ohne den Wert dieser Forschungsrichtungen (besonders der beiden letzten Punkte) in Zweifel zu ziehen, möchte ich darauf verweisen, daß sie mit der oben formulierten Aufgabe wenig zu tun haben. Die Lösung dieser Aufgabe, die sich auf die Entwicklung der Lexikographie positiv auswirken würde, setzt eine Beschreibung voraus, die eine eingehende, korpusgestützte Analyse eines jeden Phrasems nach den drei semiotischen Dimensionen Semantik, Syntaktik und Pragmatik - verlangt. Im folgenden gehe ich am Beispiel der Idiome, die die zentrale Klasse der Phraseme darstellen und schon aus diesem Grunde für unsere Zwecke repräsentativ sind, auf die Idiomsemantik und Idiomsyntaktik kurz ein. Was die Idiompragmatik betrifft, muß hier auf die Behandlung dieser Dimension aus Platzgründen verzichtet werden. Generell sei zur Idiompragmatik nur soviel gesagt, daß der für die pragmatischen Fragestellungen zentrale Begriff der Konnotation in vielen mir bekannten phraseologischen Studien völlig falsch verwendet wird. Dieser Begriff hat seinen operationalen Wert nur dann, wenn damit etwas greifbar gemacht wird, was nicht schon durch andere Kategorien erfaßt wird. Konnotationen sind dementsprechend nicht axiologische, modale u.ä. Teile der Bedeutung (diese liegen im Kompetenzbereich der semantischen Analyse, die dafür einen in allen Details entwickelten Apparat ausgearbeitet hat, und unterscheiden sich ihrem Wesen nach nicht von den übrigen Bedeutungskomponenten), sondern umfassen (meistens kulturell bedingte) Assoziationen, die für nichttriviale pragmatische Inferenzen verantwortlich
Phraseologismen in DE GRUYTER
WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
365
sind. Dies korreliert auch mit der traditionellen Interpretation der Konnotation als etwas Zusätzlichem, das nicht zur eigentlichen sprachlichen Bedeutung gehört. Was die lexikographische Erfassung pragmatischer Aspekte des Idiom-Inhaltsplanes im DGWDAF (2000) angeht, muß pauschal darauf hingewiesen werden, daß dieses Wörterbuch nahezu keine Informationen bezüglich der Pragmatik der dort erfaßten Idiome enthält. Es finden sich im DGWDAF (2000) keinerlei Angaben zur Kulturspezifik der entsprechenden Idiome oder zu ihrer Affinität, in Sprechakten bestimmter Typen verwendet zu werden. Selbst stilistische Vermerke wie umgangssprachlich, salopp oder gehoben, die zumindest ein Minimum an pragmatisch relevanten Informationen geben sollten, fehlen auch in den Fällen, in denen sie sogar in traditionellen Wörterbüchern ohne Anspruch auf eine sprachproduktive Orientierung vorhanden sind.
2.1
Zur Idiomsemantik
Ausgehend von den inzwischen allgemein bekannten Postulaten moderner Theorien zur lexikalischen Semantik kann man schon a priori annehmen, daß die Existenz der Idiome allein dadurch legitimiert werden kann, daß sie etwas anderes bedeuten als ihre quasisynonymen Einwort-Korrelate, die oft als Bedeutungserklärungen benutzt werden. Solange man auf Behauptungen stößt, daß z.B. ins Gras beißen und den Löffel abgeben nichts anderes als .sterben' und jmdn. übers Ohr hauen bzw. jmdm. das Fell über die Ohren ziehen ,jmdn. betrügen' bedeuten (von den Behauptungen, der Unterschied läge in dem sog. expressiven bzw. stilistischen bzw. konnotativen „Mehrwert", sehen wir hier zunächst ab), kann von einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Idiomsemantik keine Rede sein. Auch in den Fällen, in denen das Idiom nicht durch ein quasisynonymes EinwortKorrelat paraphrasiert wird, sondern eine scheinbar explizite Bedeutungserläuterung bekommt, ist das Ziel meistens verfehlt. Dabei ist für eine adäquate Semantisierung von Idiomen nicht einmal eine besondere Metasprache nötig, die sich grundsätzlich von den in bekannten Studien zur lexikalischen Semantik angewandten Metasprachen unterscheiden würde. Das einzig notwendige Instrument ist die Analyse einer genügenden Anzahl authentischer Kontexte, was in unserer global „korpusbasierten" Zeit kaum Schwierigkeiten bereiten sollte. Wenden wir uns einem Beispiel zu. Idiom (1) wird in den einschlägigen Wörterbüchern recht unterschiedlich definiert. (1) (a) (b) (c) (d)
den Bock zum Gärtner machen1 .einen völlig Ungeeigneten mit einer Aufgabe betrauen' (DUDEN 11 1992:120) ,jmdm. eine Aufgabe geben, für die er besonders ungeeignet ist' (MÜLLER 1994:66) jmdn. etw. tun lassen, wozu er überhaupt nicht geeignet ist' (LGWDAF 1993:176) ,jmdm. im guten Glauben eine Aufgabe übertragen, für die er aufgrund seiner Veranlagung oder seiner Voraussetzungen ganz ungeeignet ist und der er dadurch eher schadet' ( D U 1 9 9 6 : 2 7 2 und DUDEN G W 1 9 9 9 : 6 3 1 ) .
1
Das lexikographische Präsentationsformat der zu besprechenden Idiome wird zum Zweck einer besseren Übersichtlichkeit vereinheitlicht. Bei diesen und weiteren Beispielen aus Wörterbüchern handelt sich also nicht um vollständige Zitate, sondern um Extrakte aus den entsprechenden Wörterbuchartikeln, die die jeweils diskutierte Erscheinung enthalten.
366 (e)
Dmitrii DobrovoV skij ,jmdn. in gutem Glauben mit einer Aufgabe betrauen, wofür er absolut nicht geeignet ist und wobei er eher Schaden anrichtet als Nutzen bringt' (DGWDAF 2000:178)
Den Bedeutungsangaben (la) bis (le) zufolge sollte es möglich sein, Idiom (1) in Kontexten zu gebrauchen, in denen es sich z.B. darum handelt, daß ein Bratschist als Flötist im Konzert auftritt. Die Bedeutungserklärung (lc) im L G W D A F (1993) unterscheidet sich von den Definitionen (la) und (lb), die wahrscheinlich keinen Anspruch auf den produktiven Charakter erheben, lediglich dadurch, daß semantisch komplizierte und wenig gebräuchliche Wörter wie betrauen, die als Elemente der Metasprache grundsätzlich zu vermeiden sind, beseitigt sind und der syntaktische Aufbau übersichtlicher ist. Damit ist die Aufgabe eines Lemerwörterbuchs kaum erfüllt. Die Bedeutungserklärungen (ld) und (le) sind etwas genauer, erfassen jedoch nicht alle relevanten Besonderheiten der Bedeutung des Idioms (1). Dabei scheint die Semantisierung dieses Idioms im DUDEN G W (1999) benutzerfreundlicher zu sein als im D G W D A F (2000), denn der Beleg im DUDEN G W (1999:631) Herrn Markus Wolf einen gewesenen MfS-General, zu seinem Berater bei der Auflösung des Mß, also den Bock zum Gärtner zu machen (Spiegel 136, 1990, 10) hilft die Idiombedeutung besser zu verstehen als das ziemlich nichtssagende Beispiel im D G W D A F (2000:178) Da haben sie ja den Bock zum Gärtner gemacht! Auch Beispiele im DUDEN 11 (1992:120) - Ihr werdet doch nicht den Bock zum Gärtner machen wollen und diesen Kriecher in den Betriebsrat wählen. - und in MÜLLER (1994:66) - Mit der Wahl Hubers zum Projektleiter habt ihr aber den Bock zum Gärtner gemacht. Der wird sich niemals durchsetzen, weil er stets den Kompromiß sucht! - tragen zum besseren Verständnis des Idioms (1) eher bei. Dies ist kein Sonderfall: Die meisten Beispiele des Idiomgebrauchs, falls sie im D G W D A F (2000) überhaupt vorhanden sind, sehen ähnlich aus. Eine Bedeutungserklärung, die das Wesen der Semantik von (1) mehr oder weniger adäquat treffen würde, sollte m.E. ungefähr so aussehen: (lf)
.einer Person, die fähig zu sein scheint, in einem bestimmten Tätigkeitsbereich, der mit Verantwortung und/oder Macht verbunden ist, großen Schaden anzurichten, erlauben, eben diese Tätigkeitsbereich zu übernehmen' (Dobrovol'skij 1999:42)
Es ist offensichtlich, daß in Bezug auf dieses konkrete Beispiel keines der oben besprochenen Nachschlagewerke den Anforderungen, die an eine explizite, präzise und produktiv orientierte Erfassung der Idiomsemantik gestellt werden, Genüge tut. Wenn man die beiden einsprachigen Lernerwörterbücher L G W D A F (1993) und D G W D A F (2000) vergleicht, ist die Beschreibung im D G W D A F (2000) etwas genauer. Eine der wichtigsten Aufgaben der semantischen Analyse besteht ferner in der Ausdifferenzierung jener Idiome, die mit identischen Bedeutungserklärungen versehen und folglich als absolute Synonyme dargestellt werden. So werden die Idiome auf Schritt und Tritt und 'an allen Ecken (und Enden) meistens als ,überall' paraphrasiert (auf Schritt und Tritt hat noch eine zeitliche Bedeutung, und zwar ,« sehr oft', von der im Kontext unserer Diskussion abgesehen werden muß). Vgl. die entsprechenden Eintrag-Fragmente (2) und (3) aus dem DU (1996:385 bzw. 1355): (2) (3)
an allen Ecken [und Enden] ugs. .überall' auf Schritt und Tritt .ständig [und überall], stets': er verfolgte, beobachtete sie auf Schritt und Tritt
Phraseologismen
in DE GRUYTER WORTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
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Diese Lexikoneintrage legen den Eindruck nahe, daß die beiden Idiome in ihrer räumlichen Lesart völlig synonym sind. Vergleichen wir jedoch die folgenden Beispielsätze: (4)
Im Wald findet man dieses Jahr Steinpilze auf Schritt und Tritt. Im Wald findet man dieses Jahr Steinpilze an allen Ecken [und Enden], Man spricht darüber an allen Ecken [und Enden]. "Man spricht darüber auf Schritt und Tritt. So was verkauft man heute an allen Ecken [und Enden], ?7 So was verkauft man heute auf Schritt und Tritt. In dieser Lebensphase erwarteten ihn auf Schritt und Tritt Überraschungen aller Art. 77 In dieser Lebensphase erwarteten ihn an allen Ecken [und Enden] Überraschungen aller Art. 7?
(5) (6) (7)
Aus diesen einfachen Beispielen wird ersichtlich, daß der Unterschied zwischen diesen Idiomen zunächst darin besteht, daß das Idiom an allen Ecken [und Enden] - ganz im Einklang mir seiner bildlichen Bedeutungskomponente - sich nur auf bebaute und bewohnte Räume beziehen kann. Das Idiom auf Schritt und Tritt unterliegt diesen Restriktionen nicht (vgl. (4)). Ein weiterer Unterschied besteht darin, daß in dem Idiom auf Schritt und Tritt der nichttriviale imaginäre Beobachter (vgl. zu dieser Kategorie vor allem Apresjan 1995) in das Geschehen involviert ist - wie dies das mentale Image des Schreitens suggeriert. Beim Idiom an allen Ecken (und Enden) braucht das nicht der Fall zu sein. Der Beobachter kann sich auch außerhalb der durch die Äußerung bezeichneten Situation befinden. Dies erklärt die Verwendungsbesonderheiten in (5-7). Statt der nichtssagenden Pseudo-Bedeutungserklärung .überall' können hier aufgrund dieser Überlegungen die folgenden Paraphrasen vorgeschlagen werden: auf Schritt und Tritt ,[etw. begegnet] an sehr vielen Stellen eines Raums'; an allen Ecken [undEnden] ,[es gibt etw.] an sehr vielen Stellen eines bebauten und bewohnten Raums' - vgl. ähnliche Ansätze am russischen Material in (Baranov/Dobrovol'skij 1998). Aus diesen Beispielen ergibt sich ein ftlr die Idiomsemantik wichtiges theoretisches Postulat, und zwar stellt die bildliche Komponente der motivierten Idiome grundsätzlich einen unabdingbaren Bestandteil des Inhaltsplanes dar und beeinflußt die lexikalische Kompatibilität des betreffenden Idioms. Die praktische Konsequenz ist dabei, daß die Bedeutungsexplikation die linguistisch relevanten Merkmale des mentalen Bildes berücksichtigen muß. Die Beschreibung der beiden Idiome (8) und (9) im D G W D A F (2000:247 bzw. 898) läßt zwar, ähnlich wie (2-3), viele Fragen offen. Die Darstellung des Idioms auf Schritt und Tritt in (9) unterscheidet sich aber vorteilhaft von den Beschreibungsansätzen anderer Wörterbücher dadurch, daß die Anwesenheit des Beobachters mit Hilfe der erklärenden Paraphrase .wohin er geht [...]' angedeutet wird. (8) (9)
an allen Ecken und Enden SYN .überall': sie haben ihn, das Dokument an allen Ecken und Enden gesucht auf Schritt und Tritt l.jmdn. auf Schritt und Tritt (.wohin er geht, wo er sich auch aufhält') verfolgen, beobachten [...]
Obwohl (wie man an diesem Beispiel sehen kann) manche Lösungen bei der Explikation der Idiomsemantik im D G W D A F (2000) im Vergleich zu anderen Wörterbüchern als gelungen eingeschätzt werden können, bleiben gerade in diesem Bereich noch viele Defizite bestehen. So sind z.B. Idiome des semantischen Feldes BETRUG bedeutungsmäßig nicht klar genug ausdifferenziert, um dem Benutzer die Sicherheit bei ihren Gebrauch zu geben; vgl. (10).
Dmitri] Dobrovol'skij
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(10)
jmdn. hinters Licht führen jmdn. täuschen' (DGWDAF 2000:626) jmdn. an der Nase herumführen jmdn. bewußt irreführen' (DGWDAF 2000:707) jmdn. über den Tisch ziehen ,jmdn. übervorteilen' (DGWDAF 2000:1027) jmdn. übers Ohr hauen ,jmdn. betrügen, übervorteilen' (DGWDAF 2000:729) jmdn. fiber den Löffel barbieren/balbieren jmdn. betrügen' (DGWDAF 2000:634)
Auch die Hinwendung zu den Verben, die in den Bedeutungserklärungen dieser Idiome benutzt werden, hilft nicht, die relevanten semantischen Unterschiede zwischen diesen Idiomen herauszufinden. Vgl. (11), wobei unter den im DGWDAF (2000) aufgeführten Lesarten dieser Verben nur auf diejenigen eingegangen wird, die in Bezug auf (10) semantisch relevant sein können. (11)
jmdn. Ubervorteilen ,sich auf jmds. Kosten einen Gewinn, Vorteil verschaffen, indem man seine Unerfahrenheit ausnutzt' (DGWDAF 2000:1068) jmdn. tauschen jmdn. etw. glauben machen, was nicht den Tatsachen entspricht' SYN .trügen', SYN .irreführen (1)' (DGWDAF 2000:1016)
jmdn. irreführen 1. jmdm. absichtlich etw. Falsches erzählen' 2. etw. ftihrt irre ,etw. verursacht Missverständnisse, Irrtümer' (DGWDAF 2000:520) jmdn. betrügen 1.1. jmdn., eine Institution bewusst täuschen, um sich rechtswidrig einen finanziellen Vorteil zu verschaffen' 1.2. .durch Betrügen (1.1) jmdn. um sein Geld, um das, was ihm zusteht, bringen (5) und selbst in den Besitz des Geldes, der Sache gelangen' 2. .außerhalb seiner Ehe (oder Beziehung) mit jmd. anderem sexuelle Beziehungen haben' (DGWDAF 2000:154)
Wenn man z.B. die Idiome jmdn. über den Tisch ziehen, jmdn. übers Ohr hauen und jmdn. über den Löffel barbieren/balbieren miteinander vergleichen und dabei nur den in den betreffenden Wörterbuchartikeln enthaltenen Informationen folgen würde, könnte man annehmen, daß das Idiom jmdn. übers Ohr hauen sowohl mit jmdn. über den Tisch ziehen (nach der Bedeutungskomponente .übervorteilen') als auch mit jmdn. über den Löffel barbieren/balbieren (nach der Bedeutungskomponente .betrügen') völlig synonym ist. Dann stellt sich die Frage, welche der Bedeutungen von betrügen in den Definitionen der Idiome jmdn. übers Ohr hauen und jmdn. über den Löffel barbieren/balbieren gemeint ist. Wenn Bedeutung 2 gemeint ist, dann ist das Idiom jmdn. übers Ohr hauen polysem, denn Bedeutung 2 von betrügen hat mit der Bedeutung von übervorteilen sehr wenig zu tun. Wenn Bedeutung 1.1 oder 1.2 gemeint ist, stellt sich die Frage, ob das Idiom jmdn. über den Löffel barbieren/balbieren wirklich nur im Kontext eines finanziellen Betrugs denkbar ist, ob die Idiome jmdn. über den Tisch ziehen und jmdn. übers Ohr hauen die Ausnutzung der Unerfahrenheit des Kontrahenten voraussetzen (weil sie beide mit .übervorteilen' paraphrasiert werden) und ob sie nach dieser semantischen Komponente dem Idiom jmdn. über den Löffel barbieren/balbieren gegenüberstehen. Ferner stellt sich die Frage, worin die eigentlichen Unterschiede zwischen den Idiomen jmdn. hinters Licht führen und jmdn. an der Nase herumführen bestehen. Da täuschen und irreführen 1 als Synonyme dargestellt werden, müssen diese Idiome demnach auch miteinander synonym sein. Andererseits kann man aus den Bedeutungserklärungen von täuschen und irreführen in (11) schließen, daß täuschen in Bezug auf irreführen eher ein Hyperonym ist Dann muß das Idiom jmdn. hinters Licht führen das Hyperonym des Idioms jmdn. an der Nase herumführen sein, wobei durch die Definitionen in (10) suggeriert wird, daß jmdn. an der Nase herumfuhren eine bewußte Täuschung voraussetzt und jmdn. hinters Licht führen nicht (oder daß diese Bedeutungskomponente zumindest nicht fokussiert ist). Ferner suggerieren die Definitionen in (11), daß irreführen immer eine verbale Handlung darstellt
Phraseologismen
in DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
369
und täuschen nicht. Wenn dieser semantische Kontrast auf die entsprechenden Idiome übertragen wird, kommt der Benutzer zum Schluß, daß jmdn. an der Nase herumführen im Unterschied zu jmdn. hinters Licht führen eine verbale Täuschung, also eine Lüge bezeichnet. Da zumindest einige dieser semantischen Schlußfolgerungen fraglich sind, muß eingeräumt werden, daß das DGWDAF (2000) im Bereich der semantischen Beschreibung der Idiome (ähnlich wie alle mir bekannten deutschen einsprachigen Wörterbücher) ernste Defizite aufweist.
2.2
Zur Idiomsyntaktik
Bekanntlich weisen die Idiome grundsätzlich bestimmte transformationelle Defekte auf. So entziehen sich viele Idiome regulären syntaktischen Transformationen wie Passivierung, Adjektiv-Einschub, Topikalisierung, anaphorischer Pronominalisierung einzelner Konstituenten u.ä. Die Durchführung dieser Transformationen macht die Sätze mit Idiomen (im Unterschied zu Sätzen, die keine Idiome enthalten) entweder grundsätzlich inakzeptabel oder läßt nur die wörtliche Lesart zu. Manche Idiome gestatten aber die genannten Transformationen durchaus, ohne dabei die figurative Lesart zu gefährden; vgl. (12) vs. (13). (12) (13)
"Der Löffel wurde von Hans abgegeben; *Hans hat den großen Löffel abgegeben; *Das war vielleicht ein Löffel, den Hans abgegeben hat. Der Bock wurde von Hans geschossen; Hans hat einen großen Bock geschossen; Das war vielleicht ein Bock, den Hans geschossen hat.
Aus lexikographischer Sicht fragt es sich, wie diese syntaktischen Besonderheiten adäquat dargestellt werden können. Wenn es bestimmte Regeln gibt, nach denen sich die Akzeptabilität der jeweiligen Transformation für das jeweilige Idiom richtet, braucht man die Eigentümlichkeiten des syntaktischen Verhaltens nicht in jedem Eintrag einzeln zu beschreiben. Wenn aber die entsprechenden Restriktionen völlig arbiträr sind, ist die relevante syntaktische Information als idiosynkratisch anzusehen und im Rahmen der Wörterbucheinträge zu verarbeiten. Denkbar sind grundsätzlich zwei Wege der lexikographischen Präsentation des syntaktischen Verhaltens der Idiome. (a)
(b)
Im ersten Fall gehen wir davon aus, daß die relevanten Regeln in der sog. Grammatik der Idiome und nicht in den entsprechenden Wörterbucheinträgen zu fixieren sind. Im zweiten Fall wird vorausgesetzt, daß die Besonderheiten des syntaktischen Verhaltens jedes konkreten Idioms letzten Endes nur individuell definierbar sind, denn es handelt sich meistens nicht um prospektiv wirkende Regeln, sondern um retrospektiv wirkende Erklärungen. Daraus folgt, daß die Fähigkeit eines Idioms, sich einer bestimmten syntaktischen Transformation zu unterziehen, im entsprechenden Wörterbucheintrag explizit markiert werden muß.
Jede dieser Möglichkeiten hat ihre Vor- und Nachteile. Eine explizite Markierung der syntaktischen Transformationen und/oder der diesbezüglichen Restriktionen garantiert den Zugang zu relevanten Informationen in jedem konkreten Fall, strapaziert aber die Struktur
370
Dmitri] Dobrovol'skij
des betreffenden Wörterbuchartikels. Die Anwendung dieser Beschreibungstechnik in vollem Umfang ist wahrscheinlich nur in maschinenlesbaren Wörterbüchern sinnvoll. Der Hinweis auf die Regeln ist dagegen viel ökonomischer und eleganter. Jedoch kann in diesem Fall nur eine approximative Adäquatheit gewährleistet werden. Es wäre aus lexikographischer Sicht wünschenswert, eine brauchbare Kompromißlösung zu finden. Dies kann hier am Beispiel der Passivtransformation gezeigt werden. Wenn die Hinwendung zu den relevanten Regeln zu eindeutigen Ergebnissen führt, kann auf die explizite Markierung der Passivierbarkeit verzichtet werden. Dies betrifft grundsätzlich die idiomexterne NP-Promovierung, d.h. Fälle, in denen ein idiomexterner Aktant, ausgedrückt durch eine Nominalphrase (NP), aufgrund seiner Kasusrolle sowie seiner morphosyntaktischen Eigenschaften zum Subjekt eines Passivsatzes vorrückt (vgl. dazu ausführlicher Dobrovol'skij 2000:31). So ist die Passivfähigkeit von Idiomen wie jmdn. an der Nase herum-
führen, jmdn. übers Ohr hauen, jmdn. über den Löffel barbieren/balbieren, jmdn. hinters Licht führen (im Gegensatz zu Idiomen wie ins Gras beißen oder den Löffel abgeben) schon aus ihrer Form sowie aus einer ihnen zugeordneten Bedeutungserklärung ersichtlich. Selbst eine aus semantischer Sicht so unzureichende Paraphrase wie ,jmdn. betrügen' gibt Auskunft über die Passivierbarkeit der betreffenden Idiome. Denn sowohl die aktuelle Bedeutung dieser Idiome als auch ihre literale Lesart erfüllen die Bedingung der agentiv-transitiven Interpretierbarkeit. Aus der semantischen Beschaffenheit des Idioms und aus seiner Argumentstruktur kann der Benutzer auch bestimmte Besonderheiten des syntaktischen Verhaltens dieses Idioms klar herauslesen. Da das entsprechende sprachliche Wissen beim Benutzer eines einsprachigen Lernerwörterbuchs vorausgesetzt werden kann, sind explizite Hinweise auf die Passivierbarkeit der betreffenden Idiome im Grunde redundant. Anders verhält es sich mit der idiominternen NP-Promovierung, d.h. mit der Promovierung einer Idiomkonstituente aus der Objektposition zum Subjekt eines Passivsatzes (Dobrovol'skij 2000:31-32). Die Regeln, die der Passivierung dieser Art zugrunde liegen, beruhen auf der semantischen Teilbarkeit der Idiomstruktur, d.h. auf einer Eigenschaft, die sich - zumindest mit Hilfe des Instrumentariums der heutigen Phraseologieforschung nicht eindeutig operationalisieren läßt (vgl. zu diesem Begriff Dobrovol'skij 1997:91-102). Man kann zwar grundsätzlich davon ausgehen, daß eine adäquat formulierte Bedeutungserklärung auch über die semantische Teilbarkeit und somit über die Passivierbarkeit des betreffenden Idioms Auskunft geben muß, jedoch sind die relevanten Zusammenhänge zwischen Syntax und Semantik in diesem Bereich weniger eindeutig als in Fällen der idiomexternen NP-Promovierung. Dazu ein Beispiel. Der semantischen Paraphrase des Idioms den Bock zum Gärtner machen in (lf) kann man im Prinzip entnehmen, daß die Konstituente Bock auf die Person, um die es sich in der betreffenden Äußerung handelt, referiert und folglich über eine gewisse semantische Autonomie verfügt. Dennoch wäre ein expliziter Hinweis auf die Passivfähigkeit dieses Idioms hilfreich. Für diese Lösung spricht nicht nur die Tatsache, daß die semantische Autonomie der zum Subjekt zu promovierenden Konstituente aus der Bedeutungserklärung nicht in jedem Fall leicht herauszulesen ist, sondern vor allem die Möglichkeit, dem Benutzer zusätzliche kommunikativ-pragmatische Informationen zu geben. Im analysierten Sample aus den Mannheimer Korpora begegnet das Idiom den Bock zum Gärtner machen oft im Passiv. Semantisch läßt sich die Affinität zur Passivierung dadurch erklären, daß die Bedeutung dieses Idioms eher die Folgen der Handlung als ihren Urheber
Phraseologismen
in DE GRUYTER WORTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
371
fokussiert und folglich Kontexte der Nicht-Thematisierung des Agens bevorzugt. Es handelt sich also um eine anonymisierende Argumentreduktion, vgl. (14-15). (14) (15)
[...] statt dessen wurde auch noch der Bock zum Gärtner gemacht. (Stern, 19.11.1987) [...j der zweite Komplex dreht sich um die Erteilung von Subaufträgen an das Darmstädter Ingenieurbüro Dittrich, mit dem laut Sitzungsprotokoll der ,ßock zum Gärtner" gemacht wurde. (Mannheimer Morgen, 03.03.1988)
Aus kommunikativ-pragmatischer Sicht verdient die Tatsache, daß das Passivsubjekt Bock in allen Kontexten meines Samples zwar thematisiert, aber nicht topikalisiert wird, besondere Aufmerksamkeit. Die entsprechende Umstellung der Konstituente Bock würde zu einem kaum akzeptablen Ergebnis führen, vgl. (15a). (15a)
'[...] mit dem der Bock laut Sitzungsprotokoll zum Gärtner gemacht
wurde.
Mögliche Gründe dafür liegen in der intuitiven Präferenz der Realisationen eines Idioms, in denen seine Teile nicht auseinandergerissen werden; d.h. Uberall, wo es nur möglich ist und den kommunikativen Absichten nicht entgegenläuft, wird die topologische Einheit des Idioms bewahrt. Diese Besonderheit der Wortstellung ist im Falle der Nichtteilbarkeit der Idiomstruktur selbstverständlich (vgl. dazu Burger 1973:84; Fleischer 1997:50): Bei der Besprechung wurde alles wieder über einen Kamm geschoren. Oder: Alles wurde bei der Besprechung wieder über einen Kamm geschoren. Aber nicht: *Über einen Kamm wurde bei der Besprechung wieder alles geschoren. Diese Beschränkungen sind kommunikativsemantischer Natur. Sie erklären sich daraus, daß es aus pragmatischer Sicht kaum sinnvoll ist, einen bestimmten Teil eines semantisch nichtteilbaren Idioms in die Topik-Position umzustellen. Der Ausdruck den Bock zum Gärtner machen unterscheidet sich von diesen Fällen dadurch, daß es sich dabei um ein semantisch teilbares Idiom handelt. Das bedeutet, daß die Topikalisierung bestimmter Idiomteile nicht nur in den Fällen vermieden wird, in denen diesen Idiomteilen keine Bedeutung zugeordnet werden kann, sondern auch in manchen Fällen, in denen die betreffenden Idiomteile Träger einer selbständigen Bedeutung sind und eine kommunikativ-pragmatisch gleichwerige Alternative zur topikalen Umstellung vorhanden ist. Die Sprecher bevorzugen die Alternative, die den Verzicht auf den Gleichlauf von Subjekt, Thema und Topik verlangt, um die Trennung der Konstituente Bock von der Konstituente zum Gärtner zu vermeiden. Man kann also in diesem Zusammenhang von nichttrivialen pragmatisch-syntaktischen Restriktionen sprechen, die spezifisch für Idiome sind. In diesem Bereich können aber keine allgemeinen Regeln aufgestellt werden. Es finden sich genug Beispiele für die Topikalisierung der zum Subjekt promovierten Konstituente, vgl. Sätze wie Der Vogel wurde diesmal von Otto abgeschossen oder Der Stier ist auch heute wieder bei den Hörnern gepackt worden (Beispiele von Fleischer 1997:50). Im Gegensatz zu (15a) scheinen in diesem Fall die rein semantischen Parameter zu überwiegen. Die Umstellung der Nomina Vogel und Stier in die Topik-Position ist akzeptabel, weil sie aufgrund der semantischen Teilbarkeit der Idiome den Vogel abschießen und den Stier bei den Hörnern packen als bedeutungstragende Elemente empfunden werden. Die Existenz individueller Besonderheiten dieser Art, die wahrscheinlich nur an konkreten Idiomen festgemacht werden können, stellt ein zusätzliches Argument dafür dar, nicht nur Eigenschaften wie die Passivfähigkeit jedes in dieser Hinsicht relevanten Idioms,
372
Dmitri)
Dobrovol'skij
sondern auch die Affinität der betreffenden Idiome, in einer bestimmten syntaktischen Konfiguration inklusive bevorzugte Wortstellung verwendet zu werden, lexikographisch zu erfassen. Als ein weiteres Beispiel für die lexikographische Relevanz der Idiomsyntaktik kann die Variation im idiomintemen Artikelgebrauch dienen. Im Idiom den Stein ins Rollen bringen kann der bestimmte Artikel in den entsprechend gestalteten Kontexten durch den unbestimmten ersetzt werden, vgl. (16) und (17). (16) (17)
In Moskau geht man unterdessen offensichtlich davon aus, daß „der Stein ins Rollen gebracht wird' mit dem baldigen Rücktritt Honeckers. (Süddeutsche Zeitung, 18.10.1989) Doch der GSoA geht es vielmehr darum, einen Stein ins Rollen gebracht zu haben. „Der GSoA-Aktivist ist ein Maulwurf, der die politisch versteinerte und vergreiste Schweiz der Gnomen und Obristen etwas durchlüftet", ergänzt Vorstandsmitglied Peter Siegerist. (Mannheimer Morgen, 18.11.1989)
Die Erklärung dafür scheint zunächst darin zu liegen, daß in den Fällen, in denen der Artikel im Idiom nicht fest fixiert ist, die entsprechende NP (wie in freien Wortkombinationen, in denen je nach Kontext und Sprecherintention die Wahl des Artikels variiert) einen selbständigen referentiellen Status und folglich eine relativ autonome Bedeutung hat. Wenn man aber die Fähigkeit der nominalen Konstituente mit einem selbständigen referentiellen Status, den jeweiligen Artikel je nach kommunikativem Bedarf zu variieren, verallgemeinern und als eine generell geltende produktive Regel auf alle Idiome dieser Art extrapolieren würde, stieße man auf eine Reihe von Gegenbeispielen, die entweder als konventionalisierte Ausnahmen oder als durch andere Regeln geleitete Phänomene behandelt werden müßten. So wird die Konstituente Bock im Idiom den Bock zum Gärtner machen, obwohl sie ähnlich wie Stein in (16-17) ihren referentiellen Bezug im Hinblick auf die Kategorie der Bestimmtheit variieren kann, in usuellen Kontexten immer mit dem bestimmten Artikel gebraucht. Kontexte wie (18) haben eindeutig einen wortspielerischen Charakter und verletzen somit die Normen des Usus. (18)
Als Mitarbeiter einer Security-Firma wurden ihnen wertvolle Waren zur Sicherung anvertraut. Doch mit den Wachleuten waren Böcke zu Gärtnern gemacht worden: Die Männer bedienten sich ungeniert, täuschten Einbrüche vor und verhökerten die Beute im großen Stil. (Westfälische Nachrichten, 17.08.2000)
Im Zusammenhang mit (18) kann ferner auf die Variierung im Numerus der nominalem Konstituente als eine Modifikation der Idiomstruktur hingewiesen werden. Auch diese Modifikationsart ist in den Fällen, in denen sie usuell zulässig ist, lexikographisch zu markieren. An diesen Beispielen habe ich versucht zu zeigen, daß die „doppelte Beschreibung" der Besonderheiten des syntaktischen Verhaltens von Idiomen grundsätzlich zu bevorzugen ist. Einerseits müssen die relevanten Spezifika - zumindest in den nicht völlig evidenten Fällen - im Wörterbuch erfaßt werden, andererseits muß die Theorie der Phraseologie eine Beschreibungskomponente entwickeln, die ich als Idiom-Grammatik bezeichne. Wenn es gelingt, unterschiedliche Modifikationsmöglichkeiten der Idiomstruktur auf ein bestimmtes semantisches Merkmal (so etwas wie die semantische Teilbarkeit) zurückzuführen, kann die Markierung syntaktischer Idiom-Transformationen ökonomischer gestaltet werden. Da das syntaktische Verhalten von Idiomen kein rein regelgeleitetes Phänomen ist, bleiben bestimmte Spezifika dieser Art auf jeden Fall im Kompetenzbereich der Lexikonforschung.
Phraseologismen in DE GRUYTER
WORTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
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Vor dem Hintergrund des Gesagten wird klar, daß ein Lernerwörterbuch, das Anspruch auf eine produktiv ausgerichtete Darstellung der sprachlichen Information erhebt, auch die relevanten Besonderheiten der Idiomsyntaktik berücksichtigen muß. Im D G W D A F ( 2 0 0 0 ) ist dies jedoch nicht der Fall.
3
Fazit
Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß es immer noch kein einsprachiges deutsches Lernerwörterbuch gibt, in dem die Phraseme (vor allem die Idiome) in einer Weise dargestellt wären, die ihren fehlerfreien Gebrauch durch Nichtmuttersprachler ermöglichen würde. Nichtsdestoweniger stellt das D G W D A F ( 2 0 0 0 ) in dieser Hinsicht - auch im Vergleich mit dem L G W D A F ( 1 9 9 3 ) - einen (kleinen) Schritt nach vome dar. Dieser Artikel ist entstanden im Rahmen des von der Russischen Stiftung filr Grundlagenforschung (RFFI) geförderten Projektes Nr. 9 8 - 0 6 - 8 0 0 8 1 .
4
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Ulrike Haß-Zumkehr Die politische Lexik im DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
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Was heißt .politische Lexik'? Zum Untersuchungsverfahren Die Behandlung politischen Wortschat-
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Äußere Selektion Semantische Paraphrasen und Kollokationsangaben in der Perspektive der Wör-
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Was heißt politische Lexik'?
zes im DGWDAF
terbuchbenutzung bei der Sprachrezeption Kollokations- und Beispielangaben in der Perspektive der Wörterbuchbenutzung bei der Sprachproduktion Schlussfolgerungen Literatur
Politischer Wortschatz ist nicht annähernd so klar bestimm- und abgrenzbar wie die anderen, in Kapitel IV dieses Bandes behandelten Klassen lexikalischer Einheiten. Es sind nicht sprachsystematische Aspekte, sondern Aspekte des Sprachgebrauchs und damit der politischen Kultur eines Landes bzw. mehrerer Länder1 zu einer bestimmten Zeit, die darüber entscheiden, welche semantisch-pragmatischen Klassen von Wörtern zur politischen Lexik gehören. Es handelt sich um Bezeichnungen für politische Gegenstände und Institutionen wie Bundestag, Politiker, Generalbundesanwalt, Stasi, um den Übergangsbereich vom Allgemein- zum Fachwortschatz von Politologie und Geschichtswissenschaft {Verhältniswahl, Exekutive) und zur Rechts- und Verwaltungssprache {gemeingefährlich, Rechtsweg, Tarifvertrag) sowie zu den Wirtschaftswissenschaften {Devisen, Investitionen), um politisch relevante Lesarten allgemeinsprachlicher Ausdrücke {Bildung, Klasse, Krieg, sozial), um Ausdrücke aus der politischen, meist mediengebundenen Auseinandersetzung innerhalb einer Gesellschaft {Frauenquote, Sozialismus, Zweidrittelgesellschaft). Elemente von Fachwortschätzen weiterer Domänen (Umweltschutz, Gentechnik, Medizin, Medien u.a.m.) können bis ins Zentrum der politischen Lexik rücken, wenn entsprechende Themen auf der politischen Tagesordnung stehen. In den Umtexten des D G W D A F werden zu kultur-, zeit- oder ideologiespezifischer Lexik2 allgemein keinerlei Aussagen gemacht. Da hier auch über ein eventuell benutztes Beleg- oder Textkorpus jede Angabe fehlt und die Bemerkungen zur Bestimmung des „Wortschatzausschnitts" (DGWDAF S. VII und IX) zwar die Ausdrücke Stichwortauswahl (ebd. VII), auswählen und ausklammern (ebd. IX) gebrauchen, aber nicht angeben, woraus ausgewählt wurde, lässt sich auch über die Berücksichtigung sachbereichs- oder textsortenge1
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Im DGWDAF werden im hier untersuchten Wortschatzbereich gelegentlich, aber offenbar nicht systematisch österreichische und schweizerische Lemmata bzw. Verwendungen einbezogen, z.B. s.v. Bundesregierung, Kanton. Zur Bestimmung siehe Haß-Zumkehr (2000).
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Ulrike
Haß-Zumkehr
bundenen Wortschatzes nichts sagen. Allerdings gibt Kempcke (1999) an anderer Stelle an, dass sich die Stichwortauswahl des D G W D A F auf das HANDWÖRTERBUCH DER DEUTSCHEN GEGENWARTSSPRACHE (1984) und auf das WÖRTERBUCH DER DEUTSCHEN GEGENWARTSSPRACHE (1964-1977) stützte. Damit wird nahegelegt, dass die Makrostruktur von 2 0 . 0 0 0 Lemmata des D G W D A F im Wesentlichen durch Reduktion - sicher auch durch Ergänzungen, die quantitativ aber nicht ins Gewicht fallen - aus diesen Vorgängerwerken entstand. Beim speziellen Fall eines Lernerwörterbuchs hat sich die Frage nach dem, was politischer Wortschatz heißt, an den Rede- bzw. Textproduktions- wie -rezeptionsanlässen zu orientieren, die für die Zielgruppe des Wörterbuchs im Zentrum stehen. Sie hat sich damit (a) an dem (medialen) System politischer Kommunikation und (b) am Spektrum politisch relevanter Themen einer Gesellschaft (c) zu einer bestimmten Zeit bzw. in einer bestimmten Zeitspanne zu orientieren. Insgesamt erwartet man von der lexikografischen Behandlung der politischen Lexik in diesem Fall, dass sie Uber die wesentlichen Charakteristika der jeweiligen politischen Kultur informiert und dabei den zu Fragen Anlass gebenden .schwierigen' Ausdrücken besondere Aufmerksamkeit widmet. Einer ähnlichen Aufgabe sehen sich Verfasser von thematisch einschlägigen Sachlexika filr die Schule bzw. für die Bildung (junger) Erwachsener gegenüber, die beinahe alle bekannten Taschenbuchverlage und die Bundes- bzw. Landeszentralen für politische Bildung herausgeben. Ihrer pädagogisch motivierten Bestimmung politischer Lexik können Lexikografen folgen, wenn andere, etwa korpusgestützte Verfahren nicht zur Verfügung stehen. Die Bearbeitungszeit des D G W D A F wird mit 1987 bis 1997 angegeben (s. Kempcke 1999, 122). Bei Wörterbüchern dieser Größenordnung muss davon ausgegangen werden, dass etwa das letzte Drittel von der inhaltlichen wie formalen Überarbeitung des eigentlichen Manuskripts bestimmt ist. Dieses dürfte beim D G W D A F daher vermutlich 1992-1994 abgeschlossen gewesen sein. Ein Teil der Überarbeitungszeit ist für die Umstellung auf die neue Rechtschreibung benötigt worden. Bedenkt man außerdem, dass mehrere der im Titel genannten Lexikografinnen seit Anfang der 90er Jahre anderweitig beschäftigt waren, dann kann die personelle und zeitliche Kapazität, die zur inhaltlichen Überarbeitung des Manuskripts zur Verfügung stand, nur unzureichend gewesen sein.
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Zum Untersuchungsverfahren
Um zu einer exemplarischen Menge im D G W D A F ZU untersuchender Wortartikel politischer' Lemmata zu kommen, wurde folgender Weg beschritten: Aus einem hinreichend verbreiteten pädagogischen Sachlexikon zum Bereich Politik (SCHÜLER-DUDEN POLITIK UND GESELLSCHAFT), dessen Erscheinungsjahr 1992 in einem angemessenen Verhältnis zur Bearbeitungszeit des D G W D A F steht, und das auf 440 Seiten 2200 Lemmata behandelt, sollten ca. 100 Wortartikel ausgewählt werden, die die o.g. semantischen Klassen politischen Wortschatzes ausreichend repräsentieren. Dazu wurden auf jeder fünften und sechsten und auf jeder zehnten und elften Seite (also auf den Doppelseiten 5/6, 10/11, 15/16, 20/21, 25/26, 30/31 usw.) ein Stichwort ausgewählt, dessen Behandlung im D G W D A F
Die politische
Lexik
im DE GRUYTER WORTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
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erwartbar war. Erwartbar bedeutet, dass spracAlexikografische Prinzipien berücksichtigt werden müssen wie: Es werden keine Eigennamen (von Parteien, Institutionen, Personen) und keine Bezeichnungen für singuläre Ereignisse angesetzt. Es werden nur undurchsichtige/lexikalisierte Zusammensetzungen angesetzt (vgl. Kempcke 1999, 123). Es werden bei der äußeren Selektion (vor allem von Einbändern) Simplizia mehrgliedrigen Komposita und Mehrwortverbindungen vorgezogen (vgl. ebd.). Es werden gemeinsprachnahe, nicht fachsprachliche Ausdrücke aufgenommen. Für Sachlexika gelten solche Einschränkungen kaum. Ferner war wichtig, dass das aus dem SCHÜLER-DUDEN POLITIK UND GESELLSCHAFT auszuwählende Stichwort als möglichst zentral und spezifisch für die deutsche politische Kultur der 90-er Jahre gelten kann. Das Verfahren der von außen an ein Wörterbuch herangetragenen Listen politischer Lexik wurde bereits in Holly (1991, 355-357, mit Bezug auf eine Arbeit von Wiegand 1984) angewendet. Hier greift die Untersuchung der politischen Lexik im DEUTSCHEN WÖRTERBUCH von Jacob und Wilhelm Grimm (DWB) auf Wortlisten zurück, die in Arbeiten zur historischen Semantik und Lexikologie der Entstehungszeit des DWB (erste Phase) enthalten sind. Grundsätzlich muss sich ein Vergleich auf solche Wortlisten stützen, die wenigstens teilweise den Zeitraum abdecken, in dem das Wörterbuch entstanden und die noch für den darauf folgenden Zeitraum nutzerrelevant ist. Setzt man für Ersteres ca. 10 Jahre (Entstehungszeit des D G W D A F von 1987 bis 1997) und für Letzteres ca. 20 bis maximal 30 Jahre (vom Erscheinen 2000 bis 2020/2030) an, dann ist vom D G W D A F zweifellos zu erwarten, dass es die zentralen Schlüsselwörter der deutsch-deutschen Vereinigung aus der Zeit von 1989 bis ca. Mitte der 90er Jahre (vgl. Herberg/Steffens/Tellenbach 1997) berücksichtigt, die auch in den Jahren bis 2020/2030 keinesfalls zum veralteten Wortschatz gehören werden, sondern vor allem unter den Aspekten von Landeskunde und Textrezeption für DaF-Lerner wichtig bleiben. Auf die oben genannte Weise wurde aus dem SCHÜLER-DUDEN POLITIK UND GESELLSCHAFT folgende, 100 Stichwörter umfassende Liste gewonnen, um deren Wortartikel im D G W D A F näher zu untersuchen: Abwertung alternativ antiautoritär Arbeitskampf Asyl Aussiedler Beamter Beruf Bildung Briefgeheimnis Bundesrat Bundestag Bürgerinitiative Chauvinismus Deutsche(r) Devisen Ehrenamt Emanzipation Entspannung Erlass
Etat europäisch/Europa Exekutive Faschismus Frauenquote GAU Gemeinde Gerechtigkeit Gesetz/Gesetzgebung Gewerkschaft Grundgesetz Hausfriedensbruch Hochrechnung Immunität Inflation Investition Jurisdiktion Kaufkraft Klasse kommunal
Konsum Krieg Kultur(-hoheit, -politik) Landtag (die) Linke Marktwirtschaft Meinungsfreiheit, -bildung, forschung) Minderheit Mutterschutz Nationalsozialismus Norm Nulltarif Ökonomie Ozonloch Partei Petition(srecht) politisch (+ Kollokationen) Pressefreiheit Putsch
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378 Raumordnung Rechtsweg Ressort Runder Tisch Schlichtung Schwarzarbeit Selbstbestimmung Souveränität sozial
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Sozial(-plan, -politile, -produkt, -recht, -Staat, -Versicherung, -wähl) Staat Stasi Stichwahl Subvention Tarif/Tarifvertrag Treuhand Umweltschutz
Verbraucher Verfassung Vertrauensfrage Volk Wachstum Wechselkurs Wettbewerb (Wiedervereinigung Zensur Zweidrittelgesellschaft
Die Behandlung politischen Wortschatzes im D G W D A F
Nachfolgend werden die äußere Selektion im Feld dieser externen Vergleichsliste, das Vorhandensein politisch relevanter Lesarten, die semantischen Paraphrasen, die Kollokationsangaben und die Beispiele einer Analyse unterzogen, die nicht nur lexikografischsystematische, sondern auch kulturelle Aspekte berücksichtigt. Bei der äußeren Selektion und bei den Kollokationen werden die Angaben im D G W D A F mit den seit Mitte der 90er Jahre öffentlich recherchierbaren elektronischen Textkorpora des Instituts für Deutsche Sprache, Mannheim,3 verglichen, nicht primär, um Defizite der DGWDÁF-Lexikografen aufzuzeigen - sie hatten in den 80-er und frühen 90-er Jahren kaum Zugriff auf dieses Instrument - , sondern um die heute zur Verfügung stehenden, aber noch zu selten beachteten Möglichkeiten zu demonstrieren und um zu belegen - dies Ergebnis sei hier vorweggenommen - , dass die Behandlung der politischen Lexik im DGWDAF sehr wenig mit der politischen Wirklichkeit des Deutschland der 90-er Jahre zu tun hat. Ausdrücklich zu betonen ist aber, dass das DGWDAF in einer Zeit des epochalen politischen Umbruchs und damit unter schwierigen Bedingungen entstand, die einzelnen Wissenschaftlern und Lexikografen nicht zum Vorwurf gemacht werden dürfen. Dennoch darf die Frage ,Was hätte man (besser) machen können oder sollen?' nicht ausgeklammert werden, wenn - wie in diesem Sammelband - die lernerlexikografische Methodik an einem konkreten Wörterbuch, aber allgemein und zukunftsweisend vorangebracht werden soll.
3.1
Äußere Selektion
Von den o.g. 100 Stichwörtern des SCHÜLER-DUDEN POLITIK UND GESELLSCHAFT sind 42 im D G W D A F weder als Haupt- noch als Sublemma noch in Gestalt einer semantischpragmatisch äquivalenten und politisch relevanten Wortartenkonversion (z.B. abwerten statt Abwertung) aufgeführt. Es fehlen demnach: antiautoritär, Aussiedler, Briefgeheimnis, Bundesrat, Bürgerinitiative, Chauvinismus, Emanzipation, europäisch/Europa, Exekutive, Frauenquote, GAU, Hausfriedensbruch, Hochrechnung, Jurisdiktion, Kaufkraft, Kulturhoheit, Kulturpolitik, Mei3
http://corpora.ids-mannheim.de/~cosmas/ProtoDocs/Deutsch/start.html
Die politische Lexik im DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
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nungsfreiheit, -bildung, -forschung, Mutterschutz, Nationalsozialismus, Nulltarif, Ozonloch, Petition/Petitionsrecht, Pressefreiheit, Raumordnung, Ressort, Schlichtung, Sozialplan, -politik, -produkt, -recht, -Staat, -wähl, Stasi/Staatssicherheit, Stichwahl, Tarifvertrag, Treuhand, Vertrauensfrage, (Wiedervereinigung, Zweidrittelgesellschaft.4 Damit fehlen durchaus wichtige Bezeichnungen bzw. Bedeutungen sowohl aus dem landeskundlich zentralen Bereich der politischen Institutionen und des politischen Systems als auch andere, beim Umgang mit Pressetexten häufig begegnende Ausdrücke. Natürlich ist hierbei berücksichtigt, dass manche dieser Ausdrücke auch nicht-politisch relevante Bedeutungen haben, z.B. schlichten, Vereinigung, vereinigen, die angesetzt sind, zu denen aber keine politische Lesart angegeben ist. Um so eher hätte zu einem angesetzten Lemma wie Vereinigung die nach 1990 zunehmend lexikalisierte Lesart .Vorgang der staatlichen Vereinigimg von DDR und BRD' auch aus der Kompetenz der Lexikografen ergänzt werden können. In die Analyse einzubeziehen sind auch die im DGWDAF als Haupt- oder Sublemmata angesetzten Rechtserweiterungen der externen Vergleichslemmata und die im Feld „Wortfamilie" verzeichneten, meist linkserweiternden Elemente, denn natürlich setzen Sprachlexikografen innerhalb eines Wortbildungsparadigmas andere Präferenzen als Lexikonautoren. Die Lemmatisierung eines Sachlexikons ist per se extrem substantivlastig. Außer dem als Hauptlemma angesetzten Asyl wurden im DGWDAF also auch untersucht: Asylant (Hauptlemma), Asylbewerber und Asylrecht (je ein Sublemma). Hierbei wird aber gerade deutlich, dass eine allein kompetenzgestützte Reduktion bzw. Erweiterung des politischen Wortschatzes von HDG und WDG zu mehr als unbefriedigenden Ergebnissen führt: Bundesrat fehlt (s.o.), dafür werden erläutert: Bundesbahn, Bundesbürger, bundesdeutsch, Bundesland, Bundespost, Bundesregierung, Bundesrepublik, Bundesstaat, Bundestag (hier hätte per Kompetenz Bundesrat ergänzt werden müssen), Bundeswehr. Bundesbahn und Bundespost existieren im Erscheinungsjahr des Wörterbuchs (längst) nicht mehr, sind keine Institutionen, sondern privatisierte Firmen und heißen inzwischen Deutsche Bahn und Deutsche Post World Net. Weitere Beispiele: Exekutive fehlt, aber exekutieren und Exekution sind vorhanden. Frauenquote fehlt, aber neben Frau, Fräulein, fraulich werden Ehefrau, Hausfrau, Jungfrau, Putzfrau behandelt. Hausfriedensbruch fehlt, Haussuchung wird behandelt. Kaufkraft fehlt, aber Kaufhalle wird mit „vorw. ehem. DDR" markiert und erläutert. Beim Simplex Meinung und allen verzeichneten Rechtserweiterungen fehlt die politische Lesart durchgängig; die Kollokation politische Meinung ist der allgemeinen Lesart .grundsätzliches persönliches Urteil über jmdn., etw., bes. über einen komplizierten, komplexen Sachverhalt' subsummiert. Man kann das Missverhältnis zwischen fehlenden politischen Lemmata bzw. Lesarten und erläuterten Wortbildungsverwandten auch auf Vergleiche mit ihrer Frequenz in den o.g. Korpora stützen, ohne die .nackten' Zahlen überzubewerten. Auch Kempcke (1999, 123) betont, dass
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Zu Stasi/Staatssicherheit, Treuhand, (Wieder)-Vereinigung vgl. Herberg/Steffens/Tellenbach
(1997).
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nicht die Vorkommenshäufigkeit allein entscheidend [war], sondern der didaktische Wert eines Stichworts und seiner Bedeutungen sowie seine Rolle bei der Bewältigung der Alltagskommunikation.
Ab einem gewissen Größenunterschied zwischen der Häufigkeit angesetzter und derjenigen fehlender Lemmata in einem Textkorpus, das die - schriftliche - Alltagskommunikation durchaus angemessen wiedergibt (vgl. Zöfgen 1994, 31 f.), muss aber von Missverhältnis gesprochen werden. Nationalsozialismus fehlt, obwohl 91 fach höher belegt als das angesetzte Nationalsprache. Mutterschutz fehlt, obwohl doppelt so häufig wie das erläuterte Mutterwitz. Raumordnung fehlt, obwohl sechsmal häufiger belegt als Raumpflegerin und 25fach häufiger als das angesetzte Raumflugkörper. Der über 5000mal belegte Ausdruck Petition hätte eher als das in der Nähe des Suchorts gefundene, durchsichtige Kompositum Petroleumlampe lexikografische Aufmerksamkeit verdient, gerade wenn man die Kriterien des „didaktischen Werts" (s.o.) und der heutigen Alltagskommunikation anlegt. Die der Wortfrequenz entgegen laufenden Präferenzen zeigen indes eine in den Umtexten (DGWDAF S. VII) wie auch bei Kempcke (1999, 123) betonte Alltagssprachlichkeit der äußeren Selektion, wohingegen die hier zum Vergleich genutzten Textkorpora vor allem die Schriftsprache der öffentlichen Kommunikation .repräsentieren'. Es ist jedoch fraglich, ob die typischen Benutzungsanlässe für Lernerwörterbücher auf mittlerem und gehobenen Niveau wirklich eher in der mündlichen Alltagskommunikation als in der Rezeption und Produktion schriftlicher Texte zu sehen sind. Davon abgesehen ist die Varietät der „alltäglichen Kommunikation" (DGWDAF S. VII) ohne Korpora der gesprochenen Sprache5 methodisch nicht bestimmbar. Einen im untersuchten Wortschatzausschnitt der politischen Lexik des DGWDAF singulären, aber wohl doch symptomatischen Fall stellt das Lemma Generalstaatsanwalt dar, auf das innerhalb der Wortfamilie zu Staat verwiesen wird. Nach Ausweis einschlägiger Sachliteratur gibt es im gegenwärtigen Deutsch zu diesem Lemma drei durch Referenz unterschiedene Lesarten, davon eine historische: 1. 2. 3.
Oberster Staatsanwalt der DDR, Oberster Staatsanwalt in den6 Bundesländern der Bundesrepublik. deutsche Bezeichnung für den obersten Staatsanwalt irgendeines Staates (z.B. der Türkei)
Im Unterschied dazu erläutert das DGWDAF: „oberster Staatsanwalt eines Landes, Bundeslands" mit dem Beispiel „der Generalstaatsanwalt des Landes Hessen". Dies ist so formuliert nun keineswegs falsch. Da aber das Lemma Generalbundesanwalt nicht angesetzt ist, kann die Erläuterung von Generalstaatsanwalt durchaus dahingehend missverstanden werden, dass es sich hier um die Bezeichnung für das höchste staatsanwaltliche Amt Deutschlands handelt (vgl. die Erläuterung im DGWDAF s.v. Land). Aus institutionen5
Eine derzeit noch nicht wirklich existierende Möglichkeit der Lexikografie. Das Problem ist nicht die digitale Speicherung gesprochener Sprache, sondern die wortbezogene Recherchierbarkeit im ,Fluss der Rede'. Hierzu notwendige Segmentierungsverfahren setzen immer noch aufwändige Transkriptionen voraus. Eigene Recherchen ergaben, dass die Bezeichnung gilt in den Bundesländern: Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, SchleswigHolstein, Thüringen. Nach Brockhaus (1996-1999) ist Generalstaatsanwalt die allgemeine Bezeichnung für alle obersten Staatsanwälte an den Oberlandesgerichten der Bundesrepublik.
Die politische Lexik im DE GRUYTER
WÖRTERBUCH DEUTSCH AUS FREMDSPRACHE
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kundlicher Sicht ist die Erläuterung von Generalbundesanwalt eindeutig zentraler und erwartbarer als die der entsprechenden Ämterbezeichnungen auf Länderebene. Daraus sind folgende Schlüsse zu ziehen: Da der politische Wortschatz und auch der engere institutionenbezeichnende Wortschatz im DGWDAF nicht systematisch erfasst bzw. kontrolliert wurde, konnte es passieren, dass die den Lexikografen geläufigere und in den Vorgängerwörterbüchern als Lemma angesetzte Bezeichnung Generalstaatsanwalt erhalten blieb7 und mit der den neuen politischen Verhältnissen angepassten Bedeutungsangabe (o.g. Lesart 2) versehen wurde. Der Gedanke, nach der Bezeichnung für die dem DDRGeneralstaatsanwalt äquivalente Institution in der - neuen - Bundesrepublik zu suchen, kam nicht. Um nicht missverstanden zu werden: Es ist in der Wörterbuchkritik immer müßig, auf einzelne Lemma- bzw. Bedeutungslücken hinzuweisen und bei Lexikografen einzelne Assoziationen und Wissensdetails einzufordern. Das Beispiel soll vielmehr zeigen, wie wichtig systematische Kontrollen zumindest in bestimmten, didaktisch bzw. landeskundlich unbezweifelbar wichtigen Wortschatzbereichen sind. Mit irreführenden oder gar falschen (Sach-)Informationen darf sich auch ein Sprachwörterbuch nicht arrangieren, sondern muss sich konzeptionell um Kontrollen hierfür bemühen.
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Semantische Paraphrasen und Kollokationsangaben in der Perspektive der Wörterbuchbenutzung bei der Sprachrezeption
Das DGWDAF ist laut Vorwort „vor allem als Wörterbuch zur Sprachproduktion gedacht, doch kann es natürlich auch im Rahmen seines Wortschatzausschnitts für die Sprachrezeption verwendet werden" (S. VII). Die für Rezeptionssituationen typischen Semantisierungsprobleme sollen gemeinhin mithilfe der semantischen Paraphrase gelöst werden können, die deshalb in einem Lernerwörterbuch vor allem verständlich sein sollte - eine insbesondere bei der Beschreibung politischer Lexeme schwierige und nie völlig befriedigend zu lösende Aufgabe. Die Lexikografen des DGWDAF haben ihr methodisch relativ breiten Raum geschenkt (vgl. Vorwort S. X). Dennoch erscheinen das Explikationsvokabular und mehr noch die syntaktischen Formen der Explikationen (komplexe Nominalphrasen) zum politischen Wortschatz oft (zu) schwierig, z.B.: s.v. Bildung 1.1.: die Vermittlung und Aneignung von Kenntnissen und Fertigkeiten, der Normen des Verhaltens und des Zusammenlebens der Menschen, meist im Rahmen der Erziehung, Ausbildung. s.v. Gesetz: von dem zuständigen Organ eines Staates festgesetzte, allgemein verbindliche Norm des Rechts.
Kollokations- und Beispielangaben kompensieren diese relative Schwerverständlichkeit nur teilweise. 7
Vgl. Generalstaatsanwalt: „oberster Staatsanwalt: der G. der DDR, des Landes Hessen" in: WDG Bd. 2 (1976), 1532. - Generalstaatsanwalt: „oberster Staatsanwalt, der in der DDR von der Volkskammer gewählt wird" in: HDG Bd. 1 (1984), 465. In WDG und HDG nicht angesetzt ist: Generalbundesanwalt.
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Einige Paraphrasen setzen implizit voraus, dass die Adressaten (überwiegend) mit der Rezeption von Texten der ehemaligen DDR bzw. mit Texten eines bestimmten Ausschnitts des westdeutschen „68er" Diskurses beschäftigt sind; angesichts des Erscheinungsjahres 2000 ist dies nicht sinnvoll, z.B.: s.v. Faschismus: Bewegung, System mit extrem radikalem, nationalistischem, demagogischem und mit offen diktatorischem und brutal aggressivem Charakter. s.v. Klasse 2.: große soziale Schicht mit gleichen ökonomischen und sozialen Bedingungen in einem bestimmten gesellschaftlichen System, durch das zugleich ihre politischen und sozialen Interessen geprägt werden. Dazu gehört die Kollokationsangabe: die herrschende die ~ der Arbeiter, Bauern (s.u. 5).
Die Paraphrase zu Klasse findet sich zwar fast wörtlich auch im DUDENUNIVERSALWÖRTERBUCH. Dies zeigt aber nur, wie abhängig die Wörterbücher untereinander bleiben, wenn keine Korpora eingesetzt werden8 (zur semantisch-pragmatischen Charakterisierung von Klasse auf Korpusbasis siehe unten 5). Dass Kollokationsangaben nicht ausschließlich eine sprachproduktionsbezogene, sondern auch eine rezeptionsbezogene Funktion haben, belegen einige erläuternde Paraphrasen, die vor allem bei Idiomatisierungen und Namen innerhalb von Kollokationen eingeklammert stehen (vgl. DGWDAF S. XVII), wie s.v. Gemeinschaft „die atlantische die ~ Unabhängiger Staaten (ABK: GUS; .Bündnis von Staaten der ehemaligen Sowjetunion')"
Bei Lemmata des ideologischen Wortschatzes wie Klassenkampf und Kommunismus weicht die Erläuterung zwar deutlich von denen der Vorgängerwerke WDG und HDG ab, aber die marxistische Theorie wird, wie auch im DUDEN-UNIVERSALWÖRTERBUCH, als Basis der Bedeutungserläuterung beibehalten. Diese Ausdrücke als Stigmawörter der westdeutschen politischen Diskussion zu beschreiben, wäre nicht weniger ideologisch gewesen. Deshalb ist die einzige Alternative bei solchen Ideologismen eine sprechergruppenbezogene, beide politischen Standpunkte gleichermaßen berücksichtigende Beschreibung des Wortgebrauchs. D.h. dass die Lexikografie bei politischer Lexik ohne (korpusgestützte) Pragmatik nicht auskommen kann. Problematisch ist die Textproduktionsbezogenheit des DGWDAF auch bei Paraphrasen zu Lexemen, die nicht zum ideologischen Wortschatz im engeren Sinne gehören, wie: s.v. Landwirtschaft: „planmäßiges Betreiben von Ackerbau und Viehzucht zum Erzeugen tierischer und pflanzlicher Produkte". s.v. Norm 2.: „Leistung, die jmd. in einer bestimmten Zeit durch Arbeit erreichen muss" (s.u. 5).
In beiden Fällen ist Ähnlichkeit mit den entsprechenden Paraphrasen in WDG und DUDENUNIVERSAL WÖRTERBUCH
frappant.
Es sind aber auch bei den nicht im engeren Sinn ideologiegebundenen Lexemen vor allem die Kollokationsangaben, die einer früheren als der politisch-kommunikativen Welt der 90er Jahre angehören und eine eventuelle Interpretationsoffenheit der semantischen Paraphrase zurücknehmen9, z.B. der antifaschistische Widerstandskampf, etwas muss in DeviDie von Hausmann (1986) beklagte Ausschreibung des WDG durch die Duden-Wörterbücher scheint nach diesem Befund also noch viele Jahre später durch. Der Einfachheit halber sind die Lemmata, unter denen die jeweilige Kollokation angeführt wird, hier durch Unterstreichung markiert.
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sen bezahlt werden, der Kampf, Widerstand gegen den Faschismus. der gewerkschaftliche Kampf um höhere Löhne, die Regierung hat den Staat in Grund und Boden gewirtschaftet, sein Grundbesitz wurde enteignet, sein Handeln ist von kaufmännischen Interessen bestimmt, die kommunistische Weltanschauung, Partei, seine kommunistische Gesinnung äußern, zeigen; das .Kommunistische Manifest' von Marx und Engels. Die Kollokationsanalysen im öffentlich recherchierbaren Teil der IDS-Korpora (s. Anm. 2) ergaben großenteils, aber nicht in allen Fällen deutlich andere Kollokatoren, etwa: -
zu antifaschistisch: Schutzwall, aber auch Widerstand/Widerstandskampf, zu Devisen: hart, erwirtschaften, beschaffen; zu Faschismus: Opfer, Befreiung, aber auch Hitler, italienisch, Kampf, zu gewerkschaftlich: organisiert, Interessenvertretung, Rechte, Arbeit, Forderungen, Engagement, Tarifpolitik; zu Grundbesitz: Einheitswert, besitzen, umfangreich, erwerben, wertvoll, seltener auch enteignen·, zu kaufmännisch: Angestellter, Ausbildung; zu kommunistisch: Partei, Manifest, Ideologie, aber nicht Weltanschauung und Gesinnung;
Im Korpus spiegeln die Kollokatoren zum Substantiv Kommunismus mehrheitlich die Situation nach 1990: Zusammenbruch, Ende, Fall, Sturz, tot, scheitern. Damit soll gezeigt werden, dass auch aus Korpora selbstverständlich keine .objektiven', Uberzeitlichen Bedeutungen abgeleitet werden können. Dies kann bei ideologischem Wortschatz aber auch gar nicht das Ziel sein. Vielmehr kann es nur um die explizite Beschreibung der Gebundenheit von Semantik und Pragmatik bestimmter Wörter an eine bestimmte, anzugebende Zeit gehen. Wenn die in Korpora .repräsentierte' Sprache von einem historischen Kontext nicht losgelöst werden kann, so können auch Wörterbücher nicht zeitenthoben sein. Die Sprachrezeption von L2-Lemern ist es eben so wenig. Idealerweise sollten aber die .Zeiten' von Korpora, Wörterbuch und Benutzungssituationen nah beieinander liegen.
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Kollokations- und Beispielangaben in der Perspektive der Wörterbuchbenutzung bei der Sprachproduktion
Wie erwähnt ist das primäre Ziel des DGWDAF die Hilfe bei der Sprach-fTextproduktion fortgeschrittener Deutschlerner (Kempcke 1999, 124). Diesen Zweck erfüllen vor allem syntaktische Gebrauchsmuster, Kollokationen und Beispiele. Kempcke (ebd.) betont, die Lexikografen hätten im DGWDAF den Benutzer nicht in seinem syntaktischen, morphologischen, semantischen und kulturellen Wissen überfordern
wollen. Im Zusammenhang mit Kollokationen und Beispielsätzen verfolgten die Lexikografen ebenfalls das Ziel, daß der Benutzer möglichst nicht durch enzyklopädische und landeskundliche Informationen überfordert wird. (Kempcke 1999,130)
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Dass „enzyklopädisch orientierte Satzbeispiele" im „Widerspruch zu den Aufgaben eines Sprachwörterbuches" stünden, meint auch Zöfgen (1994, 187) und hält die „gelegentliche Vermittlung von landeskundlichem oder kulturspezifischem Wissen in diesem Wörterbuchtyp" höchstens für eine „willkommene Auflockerung" (ebd.). Neubauer (1998, 253) warnt ebenfalls davor, in Beispielen mit ,zu viel' Landeskunde zu viel vorauszusetzen und damit ggf. zu schnell veraltende Informationen zu bieten. Dennoch sollte es gerade in den Beispielen von Lernerwörterbüchern um „eine möglichst große Menge impliziter Informationen" gehen, die „zur richtigen Einschätzung des Gebrauchswerts des Lemma-Zeichens befähigen" (Zöfgen 1994, 191) und „dem Wort das Kolorit zurückgeben, das im definitorischen Akt verlorengeht" (ebd. 192). Beim politischen Wortschatz liegen nun semantisches, pragmatisches und kulturspezifisches (Welt-)Wissen so dicht beieinander wie in nicht vielen anderen Teilwortschätzen. Möglicherweise sind landeskundlich-kulturelle Informationen hier in vielen Fällen sogar die Voraussetzung für den Erwerb von Bedeutungswissen. Zwar ist die Vermittlung solcher Informationen nicht allein Aufgabe der Beispiele oder überhaupt des Lemerwörterbuchs, aber doch ein angemessener, weil in unmittelbarem Bezug zur Bedeutungsparaphrase stehender Ort. Beispielsätze wie „das war ein Justizirrtum" (s.v. Justizirrtum) oder „das Verfahren war sehr ökonomisch" (s.v. ökonomisch) verschenken Möglichkeiten der kulturellen und damit auch der semantischen Kontextualisierung. Die Angaben von Kollokationen dominieren im DGWDAF quantitativ diejenigen von Beispiel(-Sätz)en; auch sind Syntagmen und Sätze sehr kurz und kontextualisieren daher nur wenig. Schafroth/Zöfgen (1989, 6) bezeichnen vollständige Beispielsätze, die „kulturspezifische Phänomene gezielt berücksichtigen", als eines der didaktischen Prinzipien des Lernerwörterbuchs. Obwohl ich hier eine strikte Korpusbasiertheit der Lexikografie in allen denkbaren Aspekten vertrete, sei den differenzierten Argumenten von Zöfgen (1994, 19Iff.) und Neubauer (1998, 247) darin zugestimmt, dass für im unteren und mittleren Niveau angesiedelte Lernerwörterbücher konstruierte Beispiele angemessener sind als Korpusbelege. Dennoch kann nicht nur bei der Angabe typischer Kollokationen, sondern auch bei der Formulierung von satzwertigen und kulturspezifischen Beispielen ein Textkorpus ein sehr nützliches, um nicht zu sagen: unentbehrliches heuristisches Instrument sein. Wie will man den „Gebrauchswert", den Verwendungskontext, die typischen Situationen und die Sach- und Themenbezüge eines Lexems in einem bestimmten Zeitraum überhaupt überschauen, wenn nicht mithilfe von Korpusbelegen, die durch Kürzung, Vereinfachung und Verallgemeinerung dem didaktischen Zweck gemäß umformuliert werden (und dann natürlich keine Zitate mehr sind)? An einigen Beispielsyntagmen und -Sätzen zu politischen Lexemen aus dem DGWDAF in Gegenüberstellung zu Syntagmen, die per Umformulierung aus den öffentlich recherchierbaren Korpora des IDS entstanden, sei nachfolgend demonstriert, worin der Gewinn korpusges/ütef formulierter Beispiele liegen könnte. Teilweise haben die Korpusbefiinde Folgen für die Bedeutungsangabe; auch sie seien jeweils vermerkt: exekutieren: DGWDAF: der Verbrecher wurde exekutiert; einen Verbrecher, zum Tode Verurteilten exekutieren. nach IDS-Korpus gebildet: Bei dem Putsch seien offenbar mindestens 35 Menschen exekutiert worden. Seit Wiedereinfiihrung der Todesstrafe 1982 sind in diesem Land 119 Menschen exeku-
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tiert worden. Die beiden zum Tode verurteilten Männer wurden mit Giftspritzen exekutiert. Vermutlich 8000 Menschen wurden bei Massenhinrichtungen exekutiert. Eine Gruppe bewaffneter Männer stoppte ihr Auto und exekutierte die drei Politiker kaltblütig. Regierungssoldaten sollen fünf Zivilisten exekutiert haben. Exekution: DGWDAF: die Exekution des Verbrechers nach IDS-Korpus gebildet: sich für einen Aufschub der Exekution eines Verurteilten einsetzen; eine allgemeine Abschaffung der Exekution als Bestrafimg verlangen. Es sind keineswegs nur staatliche Organe, die in der Agensrolle und keineswegs nur negativ bewertete Personen, die in der Patiensrolle von exekutieren, Exekution vorkommen. gemeingefährlich: DGWDAF: ein gemeingefährlicher Verbrecher nach IDS-Korpus gebildet: Dem Angeklagten wurde versuchte schwere räuberische Erpressung sowie gemeingefährliche Vergiftung von Lebensmitteln zur Last gelegt. Brandstiftung in bewohnten Gebäuden zählt als gemeingefährliche Straftat. Die Täterin wurde als gemeingefährlich' eingestuft. Er kam wegen des Verdachts der gemeingefährlichen Brandstiftung in Untersuchungshaft. Granaten, Bomben und dergleichen können als gemeingefährliche Mittel gelten. Fahrlässige Trunkenheit im Verkehr stellt im Sinne des Waffengesetzes eine ,gemeingefährliche Straftat'' dar. gemeingefährlich ist ein rechtssprachlich geprägter Ausdruck und kommt meist in den Verbindungen ~ Straftat, ~ Mittel vor. Inflation: DGWDAF: eine schleichende Inflation, die ~ stoppen; sie hatte durch die ~ alle Ersparnisse verloren. nach IDS-Korpus gebildet: Es ist der Regierung gelungen, die Inflation auf unter ein Prozent im Monat zu senken. Täglich steigen die Preise für alles, und die Inflation liegt bei 80 Prozent. Klasse: DGWDAF: die herrschende Klasse, die Klasse der Arbeiter und Bauern Diese Kollokationen beziehen sich auf die Lesart 2. „große soziale Schicht..." (s.o. 4) und sind in den IDS-Korpora nur in Texten bzw. bei Sprechern der ehemaligen DDR belegt. Die Lesart selbst ist in den IDS-Korpora wie folgt belegt und mtlsste danach in einer Weise paraphrasiert werden, die einerseits der Reduktion und Verschiebung, andererseits der Ironisierung der marxistischen Begrifflichkeit Rechnung trägt: nach IDS-Korpus gebildet: Sie fotografiert behutsame Porträts von Menschen aller Klassen und Rassen. Der idealistische Glaube, dass Menschen aller Rassen und Klassen undjeglicher Herkunft zusammen eine Gesellschaft bilden können, die aufgrund ihrer Vielfalt und Toleranz um so stärker ist. Frauen und Männer jeden Alters und aller Klassen suchen Erfrischung an der Theke, in der 24 Eissorten lagern. Am Strand pflegen sich im Sommer Leute aller sozialen Klassen zu sonnen. Das häufigste Syntagma ist: politische Klasse; es zeigt die Verschiebung, der der Klassenbegriff in den letzten Jahrzehnten unterworfen war, in charakteristischer Weise:
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Selten zuvor haben sich die gewählten Vertreter des Volkes so blamiert wie in diesem Affentheater, hat die politische Klasse ihre ganze Hilflosigkeit demonstriert. Unsere politische Klasse gibt ein miserables Vorbild ab. Auffallend häufig ist auch das Muster Zwei-Klassen-: Klassen-Gesellschaft, usw.
Zwei-Klassen-Medizin,
Zwei-
Norm: DGWDAF: Zwei der verzeichneten Einzelbedeutungen kann man als politisch eindeutig relevant einstufen; nur sie seien nachfolgend näher betrachtet: 1. ,als verbindlich anerkannte Auffassung von der Richtigkeit, Angemessenheit menschlicher Verhaltensweisen in einer Gesellschaft': moralische, gesellschaftliche Normen. - und 3. .Leistung, die jmd. in einer bestimmten Zeit durch Arbeit erreichen muss': die, seine Norm erfüllen; eine Norm festlegen, erhöhen, senken; die Norm überbieten. nach IDS-Korpus gebildet: zu Bedeutung 1.: soziale, politische, gemeinsame, westliche, bürgerliche, gesellschaftliche, verbindliche, verbindende, moralische Werte und Normen; Werte und Normen in der Kindererziehung; die Diskussionen über neue Werte und Normen; Formulierung der Ziele, Stärken, Werte und Normen eines Unternehmens; das Schwinden ethischer oder politischer Werte, Normen und sozialer Bindungen in der Gesellschaft wird als häufigste Ursache für jugendlichen Rechtsradikalismus genannt; lernen, andere Kulturen, Normen und Werte zu verstehen. Bei Bedeutung 1 stimmen die Angaben in DGWDÄF und die Korpusbefunde im Wesentlichen Uberein; das Korpus liefert jedoch anschaulichere Beispielangaben. Bedeutung 3 ist im Korpus Uberhaupt nicht belegt. Politiker/Politikerin: DGWDAF: ein einflussreicher, weitsichtiger, berühmter Politiker; führende Politiker dieses Landes, dieser Partei. nach IDS-Korpus gebildet: führende, ostdeutsche, konservative, liberale Politiker hatten sich mehrmals gegen die Pläne der Bundesregierung ausgesprochen; der über die Parteigrenzen hinaus populäre, beliebte, angesehene CDU-, SPD-Politiker; bei der gestrigen Wahl wurde der SPDPolitiker in seinem Amt als Bürgermeister bestätigt. Sie werde für das Amt (der Bundeskanzlerin, der Ministerpräsidentin) kandidieren, erklärte die Politikerin in einem Zeitungsinterview, bei einer Wahlveranstaltung; die parteilose Politikerin wurde von der Partei Die Grünen für den Senatsposten aufgestellt; die Politikerin tritt fur Gesamtschulen und die Gleichstellung der Frau ein. An erster Stelle bei den Kollokatoren im Korpus stehen verba dicendi, nicht Adjektivattribute (wie im DGWDAF); das häufigste Adjektivattribut ist in der Tat führend, ferner aber verantwortlich und danach eine Reihe von Adjektiven, mittels derer eine Einordnung ins politische (Parteien-)Spektrum vorgenommen wird, z.B. konservativ, liberal usw. oder mit denen die Wirkung der Person in den Medien charakterisiert wird, z.B. populär, prominent, beliebt, bekannt. Umweltschutz: DGWDAF: wir müssen mehr für den Umweltschutz tun; es wurden neue Maßnahmen zum Umweltschutz ergriffen; Umweltschutz, das heißt vor allem Kampf gegen die Verschmutzung der Luft und der Gewässer.
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nach IDS-Korpus gebildet: Begeisterung, Engagement der jungen Menschen fiir den Natur- und Umweltschutz; sich fiir einen verbesserten Umweltschutz einsetzen; es wird bereits viel, es wird immer noch zu wenig fiir den Umweltschutz getan. Der Kollokator Kampf kommt im Korpus nicht vor; sehr häufig ist Umweltschutz im Namen von Institutionen. Volk: DGWDAF: Kollokationen zu Bedeutung 1: „durch gemeinsame Sprache, Kultur, Geschichte verbundende Gemeinschaft der Bürger eines Staates": das französische, polnische Volk; die Völker Asiens, Europas; die Geschichte des deutschen Volkes; die Freundschaft mit allen Völkern; zu Bedeutung 2: „die Masse der Bürger eines Staates": das Volk stand hinter der Regierung; die gewählten Vertreter des Volkes; die Abgeordneten arbeiten zum Wohle des Volkes; zu Bedeutung 3: „Gesamtheit der Angehörigen der unteren sozialen Schichten": er ist ein Mann aus dem Volk(e); das einfache, arbeitende Volk Die Unterscheidung des DGWDAF zwischen Bedeutung 1 und 2 lässt sich auch anhand von Belegen nicht nachvollziehen. nach IDS-Korpus gebildet: zu Bedeutung 1 und 2: Geschichte und Kultur des deutschen Volkes; die friedliche Wiedervereinigung des deutschen Volkes im Jahr 1990; „ Wir sind das/ein Volifc"; die gewählten Vertreter des ganzen deutschen Volkes; Minister und Bundeskanzler leisten den im Grundgesetz formulierten Amtseid: ,Jch schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde"; der Bundespräsident bat die Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft im Namen des deutschen Volkes um Vergebung; Bundesliga-Live-Reportagen locken regelmäßig ein Zehntel des deutschen Volkes an den Bildschirm — Zu Bedeutung 3: ab 15.30 Uhr darf dann das gemeine Volk bei einem ,Tag der offenen Tür' die Bühnenanlagen bestaunen. Hier ist der Kollokator gemein sehr häufig; die Verbindung wird meist ironisch verwendet. Verbindungen von deutsch und Volk sind im Korpus geradezu dominant. Entsprechende Kollokationsangaben werden Lexikografen, die nicht unter Nationalismus-Verdacht fallen wollen, sicher scheuen. Strikte Korpusfundiertheit aller, auch der Kollokationsangaben würde solchen Verdacht von vornherein entkräften.
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Schlussfolgerungen
6.1. Die Nutzung elektronischer Textkorpora ist gerade auch für die Lernerlexikografie zu fordern. Ein Wörterbuch, dem, wie dem DGWDAF, offensichtlich keine eigene Korpusbasis zugrunde gelegt wurde10, hängt vor allem in den kulturellen, landeskundlichen, aber auch in den semantischen, pragmatischen und stilistischen Angaben von denjenigen Vorgängerwörterbüchern ab, die allein die Wörterbuchbasis bilden. Die Korrektur (Reduktion, Ergänzung) dieser Basis mittels individueller Kompetenz der Lexikografen reicht, wie die Unter-
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Wenn dies doch der Fall gewesen sein sollte, hätte es in einem wissenschaftlichen Wörterbuch genannt werden müssen. Keine Angaben dazu zu machen, berechtigt zu der Annahme, dass es ein Korpus nicht gab.
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suchung der politischen Lexik gezeigt hat, nicht aus, um dem Wörterbuch die nötige Aktualität zu sichern. 6.2. Anstelle des auf dem Stand der heutigen Stilistik und Pragmatik vielfach als unzureichend kritisierten Stilschichten-/Stilebenenenmodells kann hier - eine linguistisch angelegte Recherchesoftware und eine entsprechende Kodierung der Texte nach Sorte vorausgesetzt - durchaus die Angabe der Distribution eines Lexems im Textsortenspektrum treten. Es entspricht daher nicht mehr dem heutigen Stand der korpuslinguistischen Methodik, wenn Kempcke (1999, 129) schreibt: Forderungen, wonach die stilistisch mögliche Prädisposition eines Lexems durch die Ermittlung seines Textvorkommens zu beschreiben wäre, ist [sie] lexikographisch kaum realisierbar und würde einen immensen Arbeitsaufwand voraussetzen.
6.3. Die Darstellung landeskundlich zentraler Wortschatzbereiche (wie dem der Politik) sollte konzeptionell eigens fundiert sein, indem die äußere Selektion entweder mithilfe korpuslinguistisch ermittelter Frequenz oder durch Abgleich mit anderen landeskundlichen Materialien (Lehrwerken, Broschüren des Bundespresseamtes, der Bundeszentrale für politische Bildung, einschlägigen Internet-Seiten) vorgenommen wird. Dadurch kann die äußere Selektion begründet werden, können die für die Textrezeption wesentlichen Paraphrasen und die für die Textproduktion wichtigen Kollokationsangaben auf diejenigen Text- bzw. Diskurswelten zugeschnitten werden, die für L2-Lerner im Vordergrund stehen. 6.4. Auch die Lernerlexikografie wird in den nächsten Jahrzehnten den Schwerpunkt vom Buch auf die elektronischen Medien (CD-Rom, Internet) verlagern. Dies wird nicht nur wie vielfach gerühmt das Nachschlagen bequemer machen, sondern auch die Anforderungen an die Lexikografen erhöhen, in ihrer Darstellung des Wortschatzes dessen mehrdimensionale Vernetzung stärker zu berücksichtigen. Den sprachsystematischen Vernetzungen widmen die Lexikografen des DGWDAF in der Tat große Aufmerksamkeit: Dem Ziel, den Benutzer auf die Beziehungen der Wörter untereinander hinzuweisen, damit er seinen Wortschatz erweitern kann, dienen in diesem Wörterbuch neben Synonymen und Antonymen auch Wortbildungsmuster, Wortfamilien und Wortfelder. [...] Wir haben die Wortnetze als geschlossenes System dargestellt. [...] Durch die Zusammenordnung dieser alphabetisch mitunter weit auseinanderliegenden Stichwörter werden dem Benutzer Zusammenhänge verdeutlicht, die ihm beim Nachschlagen des einzelnen Wortes sonst verschlossen blieben. (DGWDAF S. XI)
Aber die Darstellung der politischen Lexik weist hier noch Defizite auf, die zum kleineren Teil im Bereich der o.g. systematischen Relationen liegen. Viel deutlicher jedoch ist das Fehlen der Ebene einer konzeptuellen oder enzyklopädischen Vernetzung innerhalb eines sachbereichsbezogenen Wortschatzes, die nur zum Teil Parallelen in Onomasiologie und Wortbildung besitzt. Unter landeskundlichem und kulturpädagogischem Aspekt sind (elektronische) Verweise wünschenswert etwa zwischen: Bundestag und Bundesrat, Staatsanwalt und Generalbundesanwalt, Meinungsfreiheit und Zensur, Faschismus und Nationalsozialismus, Gewerkschaft und Tarifvertrag, u.a.m. Konzeptionelle Vernetzungen sind bisher noch in keinem mir bekannten Wörterbuch systematisch vorgenommen worden. Wer aber in den verfügbaren CD-Rom-Ausgaben (DUDEN UNIVERSAL WÖRTERBUCH, DEUTSCHES WÖRTERBUCH v o n H e r m a n n P a u l , DUDEN
DAS GROBE DEUTSCHE WÖRTERBUCH) über die Volltextsuche oder gar - falls vorhanden in einer feldspezifischen Suche Markierungen bestimmter Domänen abfragt, erhält aben-
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teuerlich anmutende Sammelsurien von Wortartikeln, die die Lexikografie in Zukunft dazu zwingen werden, wenigstens die Behandlung des Wortschatzes der wichtigsten Domänen zu systematisieren. Dies kann mittels externer Wortlisten geschehen oder, um dem Korpusprinzip auch hierin zu folgen, durch Aufnahme systematischer Sachgebietsdarstellungen in das Textkorpus. Der Wortschatz eines oder einiger weniger SchlUsseltexte (etwa über das politische System der Bundesrepublik) kann automatisch lemmatisiert, mittels Abgleich von allgemeinsprachlichen Anteilen separiert, ggf. nach weiteren linguistischen und sprachdidaktischen Kriterien bearbeitet und dann zur Basis des domänenspezifischen Wortschatzes werden, den ein Wörterbuch enthalten soll. Dass konzeptuelle Vernetzungen im DGWDAF keine Rolle spielen, liegt nicht nur an der fehlenden Korpusbasis, die Lexikografen unübersehbar auch mit Relationen konfrontiert, die vom kollektiven Weltwissen bzw. von der Struktur eines Sachbereichs und vom politischen Diskurs einer Zeit selbst gestiftet werden. Sondern dies hat offensichtlich auch mit der bekannten, im Vorwort des vierten Bands des WDG dokumentierten ideologischen Funktionalisierung in der DDR-Lexikografie zu tun. Diese Ideologisierung geht für Kempcke jedoch nicht auf das Konto der Wissenschaftspolitik der ehemaligen DDR, sondern auf das Konto der internationalen Wissenschaftsgeschichte, die mit dem kommunikativpragmatischen Ansatz den sicheren Ort, den eine apolitische Lexikografie in den diversen sprachsystematisch-strukturellen Paradigmen gefunden zu haben glaubte, verließ: Die kommunikativ-pragmatische Wende der 70er Jahre bescherte dem HDG die Auseinandersetzung mit Sprache und Politik, was - zum Schaden des Projekts - zur Ideologisierung der Wörterbucharbeit fllhrte. (Kempcke 1999,121)
Die für die Beschreibung politischer Lexik unerlässliche pragmatische Dimension wird hier mit der Tendenz der Ideologisierung gleichgesetzt; die Gleichsetzung dient als implizite Begründung dafür, dass im DGWDAF auf pragmatische Angaben verzichtet wurde. Der so begründete Versuch des DGWDAF, eine erneute Auseinandersetzung mit Sprache und Politik im historischen Kontext der deutsch-deutschen Vereinigung von 1989/1990 zu umgehen - diesen Versuch belegen alle hier untersuchten Aspekte - , endete jedoch in einer Falle: Die Darstellung des politischen Wortschatzes tradiert noch viel, teilweise mehr vom gesellschaftlichen System der ehemaligen DDR als vom System der vereinigten Bundesrepublik, was einzig und allein im Hinblick auf die Adressatenorientierung des Wörterbuchs negativ zu bewerten ist. Eine aktuelle Korpusbasis und eine pragmatisch akzentuierte deskriptive! - Semantik gerade bei der politischen Lexik hätte diese Situation nicht entstehen lassen. Es sei hier ausdrücklich betont, dass es nicht darum geht, eine Lexikografie nach westdeutschem Muster und in der Tradition des bundesrepublikanischen politischen Systems zu fordern. Das Recht auf eine eigene Sicht und auf eigene politische Orientierungen besitzen auch Lexikografinnen und Lexikografen, sofern deren Arbeiten auf dem Boden intersubjektiv kontrollierbarer Methodik stehen. Noch wichtiger aber als dieses Recht ist der Nutzwert des Wörterbuchs für die Adressaten. Und wenn man, wie das DGWDAF, Textproduktionssituationen von DaF-Lemern in den Jahren 2000ff. ins Zentrum stellt, passen vor allem die veralteten Kollokationen und Beispiele sowie die partielle Blindheit gegenüber den Institutionen der ,neuen' Bundesrepublik nicht ins Konzept.
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7
Literatur
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aktualisierte Auflage in 10 Bden. (auch als CD-Rom). DUDEN - DEUTSCHES UNIVERSALWÖRTERBUCH (1996). Mannheim, 3. Aufl. (auch als CD-Rom). HANDWÖRTERBUCH DER DEUTSCHEN GEGENWARTSSPRACHE (1984). Von einem Autorenkollektiv unter
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KAPITEL VII Zur Makrostruktur und zu den äußeren Zugriffsstrukturen im DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
Michael Beißwenger / Boris Körkel Die Lemmaselektion im DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
1
2
3
Zum Stellenwert der Lemmaselektion bei der Beurteilung von Sprachwörterbüchern Anforderungen an die Lemmaselektion für (primär produktionsbezogene) Lernerwörterbücher Quantitative und qualitative Analyse des
3.3 3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3
Lemmabestandes im DGWDAF
Vergleichende qualitativ-quantitative Auswertung Qualitativ-qualitative Auswertung Exemplarische Analyse einer Artikelteilstrecke Besondere Lemmazeichentypen Stichprobenanalyse zur Darstellung der Lexik zu einzelnen Lebensbereichen Problemfalle Fazit und Ausblick Literatur
3.1 3.2
Quantitative Auswertung Äußerer Umfang und Artikelgestaltung
1
Zum Stellenwert der Lemmaselektion bei der Beurteilung von Sprachwörterbüchern
3.4.4 4 5
Die Auswahl der sprachlichen Ausdrücke, anhand derer in einem einsprachigen Sprachwörterbuch ein Wortschatzausschnitt einer historischen Einzelsprache präsentiert werden soll, hat sich in Umfang und Zusammensetzung danach zu richten, für wen das betreffende Nachschlagewerk gemacht wird und in welchen Situationen es seinen Benutzern zur Erreichung bestimmter Zwecke dienlich sein soll. Generell ist davon auszugehen, daß ein Wörterbuch immer genau einen genuinen Zweck besitzt, der (i.S.v. Wiegand 1998:299, D 3-4) darin besteht, in den vom Lexikographen vorgesehenen (usuellen) Benutzungssituationen Personen, die zu den vom Lexikographen anvisierten Benutzergruppen gerechnet werden können, zu Informationen über Eigenschaftsausprägungen der in ihm erwähnten sprachlichen Ausdrücke zu verhelfen. Je nachdem, welche Benutzungssituationen hierbei primär anvisiert werden, ergeben sich unterschiedliche Anforderungen an die Konzeption des dem Wörterbuch zugrundezulegenden Lemmabestandes. Ist beispielsweise vorgesehen, daß ein Wörterbuch primär wissensbezogen benutzt werden soll (etwa als Lernwörterbuch zu Zwecken einer Erweiterung der Sprachkompetenz), so ist für die Auswahl der lexikographisch zu beschreibenden Lemmazeichen ein anderes Programm zu definieren als für ein Wörterbuch, das primär textbezogen benutzt werden soll (z.B. als Lernerwörterbuch in Textproduktions- oder rezeptionssituationen). Anders ausgedrückt: Das Lemmaselektionsprogramm (oder: Programm für die äußere Selektion) muß sich an den Funktionen (als
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Michael Beißwenger / Boris Korket
Spezifikationen des genuinen Zwecks für bestimmte Benutzer in bestimmten Benutzungssituationen) orientieren, für die das betreffende Wörterbuch konzipiert ist.1 Idealerweise kann die Lemmaselektion (oder: äußere Selektion) beschrieben werden als ein Teilprozeß des lexikographischen Gesamtprozesses, bei dem aus einem Korpus zum infragekommenden Wörterbuchgegenstandsbereich all diejenigen sprachlichen Einheiten isoliert und in einer Lemmakandidatenliste dokumentiert werden, die im geplanten Wörterbuch als Lemmazeichen beschrieben werden sollen. Genauer gesagt: Bei der Lemmaselektion wird anhand einer Menge von vorher festgelegten Selektionskriterien einer Menge an sprachlichen Einheiten aus der Wörterbuchbasis der Status zuerkannt, für bestimmte Personengruppen in bestimmten Situationen nachschlagerelevant zu sein. Diese Einheiten (die auf Languezeichen zurückgeführt werden können) werden anschließend nach vorher festgelegten Lemmatisierungskonventionen in Form von Lemmazeichen als Lemmakandidaten in einer Liste geordnet. Im fertigen Wörterbuch erscheinen diese Lemmakandidaten dann als Lemmata, die zum einen als semiotische Repräsentationen der Languezeichen fungieren und zum anderen Leitelementträger sind und somit die Trägermenge der Makrostruktur bilden. Das Lemmaselektionsprogramm (als Menge von Selektionskriterien) muß hierbei so konzipiert werden, daß die in ihm niedergelegten Vorgaben sowohl qualitative als auch quantitative Aspekte der Zusammensetzung des Lemmabestandes in Hinblick auf die für das geplante Wörterbuch definierten Benutzungssituationen bzw. Funktionen berücksichtigen.2 Mit Blick auf die lexikographische Praxis kann natürlich nicht davon ausgegangen werden, daß jedes Wörterbuchprojekt seinen Bestand an zu bearbeitenden Lemmakandidaten gänzlich ab ovo aus einem lexikographischen Korpus generiert; vielmehr wird bei der Selektion in der Regel auf bereits existierende Wörterbücher gleichen oder ähnlichen Typs zurückgegriffen, worauf Bergenholtz (1989:774) hinweist: „Ausgangspunkt bildet die Selektion in einem vorangegangenen Werk, das unter Vergleich mit anderen Wörterbüchern und Zusatzlisten ergänzt bzw. unter Weglassung von als veraltet oder unwichtig angesehenen Einträgen gekürzt wird". Eine solche Vorgehensweise ist im Grunde nicht kritikabel und erscheint hinsichtlich des bei der Erstellung von Wörterbüchern zu berücksichtigenden Arbeits- und Kostenaufwandes plausibel; sie kann sogar - wie Bergenholtz weiter ausführt - „aus metalexikographischer Sicht um so positiver beurteilt werden, je klarer die Selektionsschritte offengelegt werden" (ebd.). Eine solche Offenlegung der Selektionsschritte zu leisten und im Rahmen eines metalexikographischen Vorworts zu explizieren, sollte den Herausgebern eines jeden Wörterbuches aus mehrerlei Gründen dringlichst ans Herz gelegt werden. Zum einen demonstriert sie das Verantwortungsbewußtsein der Lexikographen gegenüber den für ihr Produkt anvisierten Benutzergruppen: Der Benutzer wird mit dem Wörterbuch nicht allein gelassen, sondern erhält die Möglichkeit, sich eingangs verbindlich darüber zu informieren, welche Erwartungen er in quantitativer und qualitativer Hinsicht an den im Wörterbuch beschriebenen Lemmazeichenbestand stellen kann. Zum anderen nimmt eine Offenlegung der Selektionsschritte die verantwortlichen Lexikographen produzentenseitig dahingehend in die Pflicht, daß Selektionsschritte, um überhaupt offengelegt werden zu können, entlang eines ebenso durchdachten wie stringenten Selektionspro1
2
Zu Wörterbuchfunktionen vgl. Tarp (1994), Bergenholtz (1996) und Bergenholtz/Tarp/Wiegand (1998:1776ff). Zu den qualitativen und quantitativen Aspekten der äußeren Selektion vgl. Wiegand (1989:373).
Die Lemmaselektion im DE GRUYTER WORTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
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gramms ausgeführt werden müssen; die Forderung nach einer expliziten Begründung der Lemmaselektion nimmt somit die Produzenten bereits in der Phase der Wörterbuchkonzeption in die Verantwortung für ihr späteres Produkt: Wer es sich zur Aufgabe macht, im Rahmen eines durchzuführenden lexikographischen Prozesses seine Entscheidungen und Handlungen so zu profilieren, daß sie nach Abschluß des Prozesses auch in nachvollziehbarer Weise offengelegt werden können, der ist von vornherein darauf angewiesen, für die zu treffenden Entscheidungen und auszuführenden Handlungen eine Menge an programmatischen Vorgaben zu definieren, die so beschaffen sind, daß sie einem potentiellen Benutzer nicht verheimlicht werden müssen, sondern vielmehr öffentlich (nämlich im Rahmen eines Umtextes) zugänglich gemacht werden können. Sprachwörterbücher müssen sich hinsichtlich einer Beurteilung der qualitativen und quantitativen Zusammensetzung ihres Lemmabestandes daran messen lassen, inwieweit das spezifische Profil, das sie in Hinblick auf ihren äußeren Umfang aufweisen, (i) den anvisierten Benutzergruppen und (ii) den anvisierten Benutzungssituationen gerecht werden kann, sowie daran, inwieweit die Auswahl der Lemmata für die anvisierten Benutzer (z.B. im metalexikographischen Vorwort) dahingehend transparent gemacht wird, daß ein Vertreter der potentiellen Benutzergruppe nach Lektüre der entsprechenden erläuternden Umtexte abschätzen kann, was ihn im betreffenden Wörterbuch erwartet und hinsichtlich welcher Klassen von sprachlichen Einheiten es für ihn als Nachschlagewerk relevant sein kann.
2
Anforderungen an die Lemmaselektion für (primär produktionsbezogene) Lernerwörterbücher
Unter einem Lernerwörterbuch soll im folgenden ein lexikographisches Nachschlagewerk verstanden werden, dessen genuiner Zweck darin besteht, einem nicht-muttersprachlichen Lerner einer Einzelsprache in textbezogenen Benutzungssituationen Daten bereitzustellen, anhand derer er sich Informationen erschließen kann, die er zur Lösung eines Text- oder Kommunikationsproblems benötigt. Lernerwörterbücher unterscheiden sich insofern von Lernwörterbüchern, als für letztere nicht primär text-, sondern vielmehr wissensbezogene Funktionen definiert sind. Lernwörterbücher dienen also primär einer Erweiterung der Sprachkompetenz, während Lernerwörterbücher ihren anvisierten Benutzergruppen als Hilfsmittel in konkreten Situationen der Textproduktion bzw. -rezeption dienlich sein sollen.3 Bei den Lernerwörterbüchern läßt sich des weiteren differenzieren in (a) primär produktionsorientierte und (b) primär rezeptionsorientierte Lernerwörterbücher. Günter Kempcke deklariert im „Vorwort" des DGWDAF, daß das vorliegende Wörterbuch den folgenden Anforderungen Rechnung trage: (a) (b)
3
den Bedürfnissen des ,,ausländische[n] Deutsch lernende[n] Benutzer[s]" und dessen ,,spezifische[m] Informationsbedarf', „den Anforderungen des Faches .Deutsch als Fremdsprache'",
Vgl. auch Bergenholtz/Miebs (2000:159f.).
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Michael Beißwenger / Boris Korket der Intention, „vor allem als Wörterbuch zur Sprachproduktion gedacht" zu sein, aber „natürlich auch im Rahmen seines Wortschatzausschnitts für die Sprachrezeption verwendet werden" zu können. (VII).
Im folgenden sollen die Implikationen dieser im „Vorwort" des DGWDAF getroffenen Aussagen ein wenig genauer unter die Lupe genommen werden mit dem Ziel, hieraus Kriterien zu gewinnen für eine Beurteilung des DGWDAF als Lernerwörterbuch im allgemeinen sowie für eine Beurteilung der Lemmaselektion im DGWDAF (als Lernerwörterbuch) im speziellen. Die Aussage, den Bedürfnissen nicht-muttersprachlicher, deutschlernender Benutzer gerecht werden zu wollen und deren spezifischen Informationsbedarf zu berücksichtigen, impliziert, daß diejenigen Wortschatzbereiche berücksichtigt sind, die als grundlegend erachtet werden können filr Sprachproduktionssituationen, die mit gängigen Bereichen des alltäglichen Lebens und alltäglicher sozialer Interaktion zu tun haben. Diese Bereiche werden etwa im .Zertifikat Deutsch als Fremdsprache' 1985 wie folgt benannt: Arbeitswelt Behörden, Institutionen, Rechtswesen Bildungswesen Freizeit und Unterhaltung Gesundheitsfürsorge und Krankenversorgung Information und öffentliche Medien: Beratung, Auskünfte, Zeitungen, Zeitschriften, Rundfunk, Fernsehen, Post, Telefon Lebenshaltung: Nahrung, Kleidung, Wohnung, Hygiene Mensch und Umwelt Politik, Gesellschaft Reise und Verkehr: Verkehrsmittel, Restaurants, Unterkunft (Zertifikat DaF 1985:124). Der Anspruch, den Anforderungen des Faches .Deutsch als Fremdsprache' gerecht werden zu wollen, impliziert, daß das Wörterbuch auch in solchen Situationen erfolgreich benutzt werden können muß, die direkt oder indirekt mit dem (universitären) Fremdsprachenunterricht zu tun haben. Dies bedeutet: Das Wörterbuch soll auch in textbezogenen Situationen verwendbar sein, in denen beispielsweise (z.B. in Form von Hausaufgaben) Übungstexte zu produzieren oder zu rezipieren sind. Konsequenterweise müßte das Wörterbuch daher generelle Aspekte und Zielsetzungen des Fremdsprachenunterrichts berücksichtigen, wie sie etwa in Henrici 1986 formuliert sind: Erfahrungsorientierung, Sprachhandlungsorientierung, Reflexionsorientierung und Realitätsorientierung. (Henrici 1986:85-87) Das heißt: Das Wörterbuch müßte - ebenso wie dies vom DaF-Unterricht gefordert wird - auf die „Lebenssituationen" abheben, „die die Lernenden als für sich bedeutsam erfahren haben" (ebd.:85), die zu erlernende Fremdsprache als „reales Handlungsinstrument, so wie es in den verschiedenen Lebenssituationen verwendet wird" (ebd.:86), ausweisen, des weiteren den Prozeß des Sprachlernens nicht auf bloße „Einschleifübungen" reduzieren, sondern vielmehr das „bewußt analysierende Verarbeiten von sprachlichen Regeln als Konstituenten von kommunikativen Handlungen" (ebd.:87) fördern, und nicht zuletzt den Lernenden dazu motivieren, selbst „sprachlich initiativ zu werden" (ebd.). In Hinblick auf die Lemmaselektion bzw. auf eine qualitative Beurteilung des Lemmabestands eines Lernerwörterbuchs ist hierbei vor allem die Frage von Interesse, inwieweit den hier geforderten Punkten Erfahrungs- und Realitätsorientierung bei der Lemmaauswahl Rechnung getragen wurde bzw.
Die Lemmaselektion im DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH AIS FREMDSPRACHE
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inwieweit zentrale Bereiche des täglichen Lebens in angemessener Weise berücksichtigt sind. Hinsichtlich seines absoluten äußeren Umfangs ist von einem Lernerwörterbuch zu erwarten, daß es einen relativ reduzierten Wortschatzausschnitt präsentiert, oder anders ausgedrückt, daß seine Verfasser der äußeren Selektion ein relativ elaboriertes Selektionsprogramm zugrunde gelegt haben, das dazu führen soll, daß (a) die für einen Lerner wichtigen Wortschatzbereiche möglichst repräsentativ erfaßt werden und (b) die Menge der zu buchenden Lemmata insgesamt in einem Rahmen bleibt, der für einen Benutzer der anvisierten Benutzergruppe noch Uberschaubar ist.4 Die Diskussion darum, welche absolute Anzahl an Lemmata für ein Lernerwörterbuch minimal bzw. maximal als ideal zu erachten ist, möchten wir in diesem Zusammenhang weder nachzeichnen noch aufgreifen; vielmehr wollen wir uns an den Hinweisen in Zöfgen (1994) über den Zusammenhang zwischen äußerem Umfang und Mikrostruktur orientieren, aus denen abgeleitet werden kann, daß weniger die absolute Lemmaanzahl, als vielmehr eine sinnvolle Korrespondenz zwischen Lemmaselektionsprogramm und Mikrostrukturenprogramm die Grundlage einer quantitativen Beurteilung des Lemmabestandes in einem Lernerwörterbuch bilden sollte: mangelnde Ausdrucksfähigkeit [ist] keineswegs immer ein Zeichen für einen quantitativ zu geringen Wortschatz [...]. Entscheidende Verbesserungen im Bereich der produktiven Kompetenz sind einerseits von der Kenntnis der vielfältigen Verwendungsweisen schon erworbenen Wortgutes, andererseits von der sicheren Beherrschung der Satzbildungmuster zu erwarten. (Zöfgen 1994: 261).
Quantitative und qualitative Analyse des Lemmabestandes im D G W D A F
3
Im folgenden soll der Lemmabestand des DGWDAF unter drei verschiedenen Aspekten analysiert werden: (i)
(ii)
(iii)
4
In rein quantitativer Hinsicht. Hierbei ist zu fragen, inwieweit die absolute Zahl der im Wörterbuch bearbeiteten Lemmata der von den Autoren im Vorwort genannten Zahl entspricht. An den in diesem Zusammenhang zu ermittelnden absoluten äußeren Umfang des Wörterbuches lassen sich darüber hinaus Fragen nach dem Zusammenhang zwischen äußerem Umfang, Mikrostruktur und Artikelgestaltung anschließen, die hier allerdings lediglich exkursorisch angesprochen werden sollen. In qualitativ-quantitativer Hinsicht. Hierbei ist zu zeigen, (a) wie die Gesamtheit der gebuchten Lemmata auf die Teilstrecken des Wörterverzeichnisses verteilt ist und inwieweit diese Verteilung dem Anspruch gerecht wird, einen repräsentativen und für die anvisierten Benutzergruppen und Benutzungssituationen relevanten Ausschnitt aus der deutschen Gemeinsprache darzustellen. In qualitativ-qualitativer Hinsicht. Hierbei wird exemplarisch untersucht, inwieweit die Auswahl der Lemmata (a) in bezug auf die Lebenssituationen, in welchen der
Vorentscheidungen bezüglich der Lemmaselektion bei der Erarbeitung von Lernerwörterbüchern müssen somit immer unter eine adressatenspezifische Perspektive gestellt werden; vgl. hierzu Barz (2001:210).
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Michael Beißwenger / Boris Korke1
Lerner mit Problemen der Sprachproduktion und -rezeption konfrontiert wird, und (b) in bezug auf eine angemessene Berücksichtigung wichtiger Bereiche der deutschen Sprache für praktikabel erachtet werden kann.
3.1
Quantitative Auswertung
Nach unseren Hochrechnungen kann die absolute Gesamtzahl der im D G W D A F gebuchten Lemmata (einschließlich der Wendungen) mit näherungsweise 20.700 angegeben werden.5 Dies entspricht in etwa der Aussage der Verfasser, das Wörterbuch habe einen äußeren Umfang von „17 000 bis 20 000" (VII) bzw. „circa 20 000 Stichwörtern" (IX). Offenbar wurde eine sehr restriktive Selektionspraxis gewählt, um den Lemmabestand so kompakt als möglich zu halten (man vergleiche demgegenüber den absoluten äußeren Umfang von LANGENSCHEIDTS GROBWÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE (LGWDAF), d e r v o n
Bergenholtz/Meder (1998) mit circa 33.000 veranschlagt wurde).
3.2
Äußerer Umfang und Artikelgestaltung
Allein die Kompaktheit des Lemmabestandes stellt jedoch noch kein Kriterium dafür dar, einem Nachschlagewerk vom Typ „Lernerwörterbuch" ein lexikographisches Gütesiegel zu verleihen, ebenso wie die bloße Benennung eines absoluten numerischen Werts für den Umfang des Lemmabestandes nicht an sich bereits aussagekräftig sein kann. Vielmehr ist anschließend an eine Errechnung der Gesamtzahl an Lemmata zunächst die Frage zu stellen, wie sich der spezifische äußere Umfang in Relation zum äußeren Umfang von Wörterbüchern anderen Typs motivieren läßt. Oben wurde bereits darauf hingewiesen, daß von einem Lernerwörterbuch zu erwarten sei, daß es insgesamt nur einen recht reduzierten Ausschnitt aus dem Wortschatz der bearbeiteten Sprache biete. Eine solche „Erwartungshaltung" läßt sich daraus begründen, daß den verantwortlichen Lexikographen prinzipiell unterstellt werden kann, daß sie die Konzeption ihres Wörterbuches an den spezifischen Bedürfnissen ihrer anvisierten Benutzergruppen orientiert haben. In bezug auf das D G W D A F bedeutet dies: Wer zur Gruppe der Lerner einer Sprache gehört und auf ein Wörterbuch zugreift, das ihm primär in Sprachproduktionssituationen behilflich sein soll, für den wäre eine allzu große Anzahl an Lemmata zunächst einmal mehr verwirrend denn zielführend; vielmehr bedarf er einer übersichtlichen (und damit begrenzten) Auswahl von Einheiten aus dem Wortschatz der betreffenden Sprache (die nicht seine Muttersprache ist). Damit sich die Begrenztheit der von den Lexikographen getroffenen Auswahl in einer Benutzungssituation andererseits aber wiederum nicht als hinderlich erweist, muß die Art der Darstellung der Eigenschaftsausprägungen dieser vergleichsweise geringen Anzahl an lexikographisch bearbeiteten sprachlichen Einheiten dafür umso ausführlicher sein, zumindest so ausführlich, wie es den Situationen, in welchen das Wörterbuch erfolgreich und zielführend benutzt werden können soll, angemessen ist. Eine solche .ausführliche Art der Darstellung' muß in diesem Zusammenhang aber nicht zwangsläufig dazu führen, daß die 5
Hochrechnung auf der Grundlage einer Auszählung der (in quantitativer Hinsicht repräsentativen) Teilstrecke zum Buchstaben T,t (siehe hierzu ausführlicher Abschnitt 3.3.1).
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Mikrostrukturen der Wörterbuchartikel ein Uberdurchschnittliches Maß an Komplexität aufweisen; allzu komplexe Mikrostrukturen dürften es Lernern, für die ja bereits die Benutzung eines einsprachigen (für sie fremdsprachigen) Wörterbuchs relativ anspruchsvoll ist, unnötig erschweren, sich schnell und effizient in den Wörterbuchartikeln zu orientieren. ,So wenig komplex als möglich' muß aber andererseits auch wiederum nicht zwangsläufig bedeuten, daß die Wörterbuchartikel alles in allem relativ kompakt zu halten sind und auch eine Differenziertheit der Eigenschaftsausprägungen, die an den durch die Lemmata repräsentierten sprachlichen Zeichen beschrieben werden sollen, in nur relativ begrenztem Rahmen zugelassen werden sollte; vielmehr sollte angestrebt werden, die Mikrostrukturen so differenziert als möglich zu konzipieren und zugleich auf einem mittleren bis niedrigen Komplexitätsniveau zu präsentieren. Oder anders ausgedrückt: Einem relativ restriktiven Programm für die äußere Selektion muß ein relativ differenziertes Programm für die innere Selektion sowie ein wohldurchdachtes und die Möglichkeit eines schnellen inneren Zugriffs gewährleistendes Programm für die formale Artikelgestaltung zur Seite gestellt werden. Um beides gleichermaßen leisten zu können - Differenziertheit des Datentypensortiments einerseits und relative Übersichtlichkeit in der Präsentation der Mikrostruktur andererseits - , ist hinsichtlich der formalen Artikelgestaltung nach Konzepten zu suchen, die gegenüber .traditionellen' (bzw. .archaischen'; vgl. Kühn 1998:50) Präsentations- und Anordnungsformen insofern als innovativ gelten können, als sie die usuelle Benutzung des Wörterbuches (als Nachschlagewerk) so weit als möglich vereinfachen. In Wiegand (1995) wurde für die Artikelgestaltung des L G W D A F u.a. festgestellt, daß sich sowohl die textuellen Strukturen als auch der Textkondensierungsgrad auf einem Niveau bewegen, das einem potentiellen Benutzer ein hohes Maß an Benutzungskompetenz abverlangt: „Selbst Lehrer [...] werden bei der Benutzung der langen Artikel - textstrukturbedingt - relativ lange brauchen, um die gesuchten lexikographischen Daten zu finden." (Ebd.: 1155). Wiegand schlägt daher vor, vor allem hinsichtlich der mikroarchitektonischen Artikelgestaltung neue Wege zu gehen, beispielsweise durch architektonische Zusammenordnung von Angaben, die in Benutzungssituationen benötigt werden, die zu unterschiedlichen Klassen von Benutzungssituationen gehören (ebd.: 1155-1162).6 Kühn (1998) würdigt diese Initiative, führt aber ergänzend an, daß sich Wörterbücher „sicherlich nicht nur durch eine Auslagerung und Umstellung der lexikographischen Informationen, sondern auch durch Illustrationen und variantenreichere typographische Gestaltungsmittel" so optimieren lassen, daß sie „schneller und zweckorientierter" benutzt werden können (ebd.:50). Die Diskussion um die Textgestaltung in Printwörterbüchern soll hier nicht weiter nachgezeichnet werden. Fakt ist aber, daß gerade in Hinblick auf Lernerwörterbücher, die nur einen relativ begrenzten Wortschatzausschnitt präsentieren, diesen aber auf recht differenzierte Art und Weise zur Darstellung bringen, der Konzeption der medialen Realisierung der Artikeltexte ein hoher Stellenwert eingeräumt werden sollte. Hierbei sind sowohl sinnvolle (nämlich den Zugriff und die Textgestaltwahrnehmung unterstützende) Konzepte für die Anordnung und das Layout der funktionalen Teiltexte auf dem zweidimensionalen Raum der Printseite zu erarbeiten, als auch wohldurchdachte Konzepte für die typographi6
Diese in Wiegand (1995) formulierten Ideen, mit denen u.a. gefordert wird, die Makroarchitektur stärker in den Dienst der Textgestaltwahrnehmung zu stellen, sind an späterer Stelle - etwa in Wiegand (1998[1999J) und Wiegand (2000a) - mit dem Konzept der Suchbereichsstrukturen und Suchereichsarchitekturen weiter ausgearbeitet worden.
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sehe Kennzeichnung von Angaben, die in Hinblick auf eine effiziente Orientierung im Suchraum eines Artikels als Vertreter unterschiedlicher Angabeklassen (mit jeweils spezifischem Angabezweck) ausgewiesen werden sollen. 7 Bedauerlicherweise erweist sich das DGWDAF in dieser Hinsicht und vor allem gegenüber dem bereits seit 1998 greifbaren ,Konkurrenzwörterbuch' LGWDAF, dessen Schwachpunkte man eigentlich als Anreiz zur Innovation hätte berücksichtigen können, als kaum bis überhaupt nicht innovativ. Weniger ins Gewicht fällt hierbei, daß auch im DGWDAF mit integrierten Mikrostrukturen gearbeitet wird; vielmehr wurde bei der medialen Realisierung entweder ein Konzept zugrunde gelegt, bei dem das Kriterium .Übersichtlichkeit' stark vernachlässigt wurde, oder aber in punkto .Übersichtlichkeit' wurde vor allem in Hinblick auf die Typographie - allzu viel guter Wille an den Tag gelegt, allerdings leider nur in theoretischer Hinsicht. So trägt die Vielzahl und der geradezu inflationäre Einsatz von unterschiedlichen typographischen Auszeichnungsformen der Schriftzeichenkörper eher zur Gestaltverschleierung denn zur Gestaltwahrnehmung bei. Von einem ruhigen und übersichtlichen Schriftbild kann jedenfalls kaum die Rede sein: In einem Großteil der Artikel sind annähernd 50% der Zeichenkörper typographisch hervorgehoben (bisweilen sogar bis zu 80%!). Des weiteren bestechen die Artikel durch einen nahezu verschwenderischen Umgang mit unterschiedlichsten Sonderzeichen, die als (an nicht wenigen Stellen sicherlich überflüssige) nichttypographische Strukturanzeiger fungieren. Entsprechend negativ ist auch die diesbezügliche Beurteilung in der Rezension von Bergenholtz/ Miebs (2000:162): Das Gesamtbild ist unübersichtlich durch allzu lange kursiv gesetzte Textstrecken, durch die verwirrende Vielzahl von Klammem, Schrägstrichen und Anführungszeichen. Die auffallenden Versalien bei den Abkürzungen SYN, ANT, FELD, MERKE sind zwar in ihrer Hässlichkeit gut sichtbar, behindern aber eher den Zugriff auf gesuchte Informationen. [...]
Da sich das DGWDAF in mikroarchitektonischer Hinsicht in die Tradition .archaischer' Architekturmuster stellt, muß eine solche typographische und nichttypographische Markierungswut zwangsläufig dazu führen, daß die Wörterbuchartikel in visueller Hinsicht letztlich nicht strukturierter, sondern vielmehr unübersichtlicher erscheinen: Der Benutzer (der - wohlgemerkt - bereits dadurch intellektuell gefordert ist, daß er im DGWDAF als einsprachigem Lemerwörterbuch mit Artikeln konfrontiert ist, die in einer Sprache abgefaßt sind, die für ihn eine Fremdsprache darstellt) sieht vor sich eine Artenvielfalt an hervorgehobenen Textsegmenten und ins Auge springenden Sonderzeichen, die ihm in ihrer Gesamtheit als ein untereinander Revierkämpfe austragendes Textotop aus Rudeln von Individuen entgegentritt, von denen ein jedes ihm zu verstehen geben möchte: „Ich bin etwas Besonderes". Hätte man statt dessen versucht, die strukturelle Gegliedertheit der Artikel wenigstens teilweise auf mikroarchitektonischem Wege zu visualisieren, so hätte in jedem
Der Typoraphie kommt - gerade in stark strukturierten Texten - hierbei zweierlei Funktion zu: Zum einen unterstützt sie (in rein medialer Hinsicht) die übersichtliche Darbietung der Textsegmente, und zum anderen repräsentiert sie (in konzeptioneller Hinsicht) das dem Text zugrunde liegende Datenmodell, nach welchem jedes Textsegment hinsichtlich der Funktion, die ihm in seiner präsentierten Form als Angabe zukommt, einer funktional bestimmten Angabeklasse zugewiesen ist und im Rahmen der Textstruktur in jeweils spezifischen Beziehungen zu anderen Textsegmenten (die Vertreter anderer Angabeklassen darstellen) oder Textkomponenten steht.
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Fall auf einen nicht geringen Teil der typographischen und nichttypographischen Strukturanzeiger verzichtet werden können. Das DGWDAF weist durchaus differenzierte Mikrostrukturen auf. So wurde bei der inneren Selektion Wert darauf gelegt, insbesondere solche Datentypen auszuwählen, die in Sprachproduktionssituationen hilfreich sein können (z.B. Daten zu syntagmatischen Eigenschaften, zum lexikalsemantischen Profil, zur Wortfamilienzugehörigkeit, sowie zu spezifischen Verwendungsbeschränkungen). Leider ist jedoch - in Anbetracht der in vielen Punkten kritikablen Artikelgestaltung - nicht ohne weiteres davon auszugehen, daß dieses differenzierte Angebot an Datentypen von einem Benutzer auch tatsächlich so genutzt werden kann, wie es in einer Sprachproduktionssituation genutzt werden können sollte. Der Zugriff auf die sowie die Orientierung in den Artikel(n) dürfte somit von einem Benutzer primär als mühsam und die Arbeit mit dem Wörterbuch daher leider nur sekundär als hilfreich empfunden werden.
3.3
Vergleichende qualitativ-quantitative Auswertung
Um zu einer qualitativ-quantitativen Beurteilung des Lemmabestands des DGWDAF zu gelangen, erscheint es als ratsam, die relative Mächtigkeit der einzelnen Buchstabenstrekken im Wörterverzeichnis des untersuchten Wörterbuchs der relativen Mächtigkeit der einzelnen Buchstabenstrecken im Wörterverzeichnis eines großen allgemein-einsprachigen Wörterbuchs des Deutschen vergleichend gegenüberzustellen. Aus diesem Grunde wurde für die Buchstabenstrecken des DGWDAF zunächst eine Zählung der Druckseitenspalten durchgeführt; anschließend wurden die für die einzelnen Buchstabenstrecken ermittelten Werte in ein prozentuales Verhältnis zur Gesamtspaltenzahl des Wörterverzeichnisses gestellt.
Als
Referenzwörterbuch
wurde
mit
DUDEN -
DAS
GROBE
WÖRTERBUCH
DER
DEUTSCHEN SPRACHE ( G W D S ) das derzeit aktuellste allgemein-einsprachige Großwörterbuch des Deutschen herangezogen. Für das G W D S wurden in analogem Verfahren vergleichbare Prozentualwerte ermittelt, um zu einer Gegenüberstellung zu gelangen, an welche die Frage gestellt werden kann, ob die Verteilung der ca. 20.700 Lemmata auf die einzelnen Buchstabenstrecken im DGWDAF den Verhältnissen im Wortschatz der Allgemeinsprache entspricht, wie sie etwa in einem Großwörterbuch wie dem G W D S dargestellt ist. (Selbstverständlich kann eine solche Vorgehensweise lediglich eine relative
sein, insofern
das G W D S zwar das derzeit größte Referenzwerk für die deutsche Sprache darstellt, aber selbst letztlich wiederum nur einen - ebenfalls lemmaselektionsbedingt spezifisch konturierten - Wortschatzausschnitt präsentiert.) Somit ergeben sich zwei Reihen mit η Werten: x¡; x2\...
; x„ sowie yy, y2; ... ; y„, mit n = 26 entsprechend der Anzahl der Buchstaben des
Alphabets. Aus der Gegenüberstellung der Prozentualwerte für das DGWDAF und der analog ermittelten Werte für das G W D S wurde in einem zweiten Schritt ein prozentualer (nicht absoluter) Wert a für die jeweilige Abweichung zwischen den beiden Wörterbüchern ermittelt: a = ( |x-y| χ 100 ) / x; das heißt: Die Prozentwerte für die relative Mächtigkeit der einzelnen Buchstabenstrecken im DGWDAF (Y,; ...;yn)
wurden von den analog ermittelten
Werten für das G W D S (JC, ; . . . ; x„) subtrahiert, die Beträge der Differenzwerte anschließend
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Michael Beißwenger / Boris Körkel
mit 100 multipliziert und abschließend durch die Prozentwerte fllr die Mächtigkeit der entsprechenden Buchstabenstrecken im GWDS (x¡ ; ...; x„) dividiert (vgl. hierzu Tab. 1). Somit wurde die absolute Abweichung - als eine Menge von Beträgen von Differenzwerten d¡ ( \x¡-y¡\ ); d2 ( \x2-y¡\ ); ..·; d„ ( \x„-y„\ ) - in ein Verhältnis gesetzt zu dem jeweils für das
GWDS ermittelten Referenzwert. Bei einer durchschnittlichen Abweichung von 16,37% (als arithmetischem Durschschnitt aus der Summe der Abweichungen, wobei die Buchstabenstrecke zu Y statistisch nicht mitberücksichtigt werden kann, da hierzu im Wörterverzeichnis des DGWDAF kein einziger Eintrag enthalten ist) zeigt sich, daß die Unterschiede zwischen den relativen Mächtigkeiten der einzelnen Buchtsabenstrecken beider Wörterbücher bisweilen recht erheblich sind.
A Β C D E F G H I J Κ L M Ν O Ρ Q R S Τ υ ν W χ Υ ζ
GWDS
DGWDAF
8,10% 5,51% 0,87% 3,73% 5,08% 4,53% 5,76% 5,89% 1,91% 0,68% 6,58% 3,24% 4,13% 2,10% 1,30% 4,96% 0,40% 3,80% 12,42% 3,60% 3,40% 4,95% 3,82% 0,06% 0,03% 3,10%
7,47% 7,83% 0,19% 3,39% 5,01% 4,52% 5,38% 5,14% 1,40% 0,66% 5,41% 3,23% 4,13% 2,18% 0,93% 3,31% 0,39% 4,40% 13,08% 3,86% 3,70% 5,38% 5,38% 0,04% 0,00% 3,58%
Tab. 1.
prozentuale Abweichung (Betrag) 7,78% 42,11% 78,16% 9,12% 1,38% 0,22% 6,60% 12,73% 26,70% 2,94% 17,78% 0,31% 0,00% 3,81% 28,46% 33,27% 2,50% 15,79% 5,31% 7,22% 8,82% 8,69% 40,84% 33,33% —
15,48%
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Von Interesse sind vor allem diejenigen Werte, die die ermittelte durchschnittliche Abweichung besonders signifikant überschreiten. Nach dem Vergleich D G W D A F - G W D S in Tabelle 1 ist solches für sieben Buchstabenstrecken festzustellen (ausschließlich der Buchstabenstrecken zum Buchstaben Y, zu welchem im D G W D A F kein Lemma gebucht ist und für den daher in Gegenüberstellung zum GWDS kein statistisch aussagefähiger Abweichungswert festgestellt werden kann). Die betreffenden Buchstabenstrecken sind die Artikelstrecken zu den Buchstaben Β ( 4 2 , 1 1 % ) , C ( 7 8 , 1 6 % ) , I ( 2 6 , 7 0 % ) , O ( 2 8 , 4 6 % ) , Ρ ( 3 3 , 2 7 % ) , W ( 4 0 , 8 4 % ) und X ( 3 3 , 3 3 % ) . Obzwar solcherlei trockene Zahlenakrobatik recht müßig anmuten mag und nicht unbedingt schon an sich aussagekräftig ist (zumal beispielsweise die Artikelstrecke zum Buchstaben X als problematisch zu gelten hat, insofern sie generell in Wörterbüchern nur eine sehr geringe absolute Mächtigkeit aufweist), kann ausgehend von solcherlei signifikanten Abweichungen die Frage gestellt werden, wie es z.B. zu erklären ist, daß das D G W D A F zum Buchstaben C über 7 8 % weniger Lemmata präsentiert als das GWDS. Da eine solche Abweichung kaum ein Zufall sein kann, ist davon auszugehen, daß sie auf spezifische qualitative Selektionskriterien bzw. Selektionsrestriktionen zurückzuführen ist, die bei der Lemmaselektion für das D G W D A F beachtet wurden und die zum Ausschluß bestimmter Wortschatzbereiche geführt haben, in denen sich besonders viele Wörter mit dem Initial „C"/„c" finden. Ein diesbezüglicher Stichprobentest zur Buchstabenstrecke C zeigt, daß beispielsweise die Lemmata changieren, Chansonette, Chansonnier, Chapeau, Charge, chargieren, Charmeur, Charmeuse, charmieren, Charta, Chat, chatten, chauffieren, Chaussee, Chauvinist und chauvinistisch (die sämtlich Lehnwörter repräsentieren!) zwar im G W D S , nicht aber im D G W D A F vorkommen. In den „Erläuterungen zur Konzeption des Wörterbuches" im D G W D A F wird ausgesagt, bei der Bestimmung des Wortschatzausschnitts sei „Fachwortschatz und regional eingeschränkter Wortschatz [...] weitgehend ausgeklammert" worden (IX); offensichtlich scheinen aber auch Teile des alltagssprachlich gebräuchlichen Lehnwortschatzes solcherlei Restriktionen unterworfen worden zu sein. Ein weiterer Stichprobentext - diesmal zur Buchstabenstrecke Ρ - führt zu ähnlichen Ergebnissen: Die Lemmata Phalanx, Phallus, phänomenal, Pharao, Pharisäer, pharisäerhaft, Philanthrop, Philanthropie, Philatelie, Philharmonie, Philister, Phönix und Phosphat, die nicht-fachsprachliche Lehnwörter repräsentieren, sind im D G W D A F nicht enthalten. Selbstverständlich kann an ein relativ kompaktes Wörterbuch wie das D G W D A F nicht der Anspruch gestellt werden, einen äußeren Umfang aufzuweisen, welcher in quantitativer Hinsicht dem des GWDS entspricht. Dennoch wäre es einem potentiellen Benutzer sicherlich von Nutzen, zu erfahren, welche Wortschatzbereiche bei der Lemmaselektion weitgehend ausgeklammert wurden. Daß bei der Konzeption eines einbändigen Lernerwörterbuches die deutsche Sprache nicht in einem ähnlich umfangreichen Wortschatzausschnitt dargestellt werden kann, wie dies im GWDS der Fall ist, liegt auf der Hand; gerade dann aber, wenn der Lemmabestand kompakt gehalten ist, erscheint eine Offenlegung der Selektionskriterien und -restriktionen als überaus wichtig für eine optimale Benutzbarkeit des Wörterbuchs.
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404 3.4
Qualitativ-qualitative Auswertung
3.4.1 Exemplarische Analyse einer Artikelteilstrecke Die Buchstabenteilstrecken des Wörterverzeichnisses des DGWDAF haben einen durchschnittlichen Umfang von 99 Spalten. Aus diesem Grunde wird als Grundlage für die qualitativ-qualitative Beurteilung der Lemmaselektion die Teilstrecke zum Buchstaben Τ gewählt, welche 99 Spalten Umfang aufweist und somit relativ zum Umfang des gesamten Wörterverzeichnisses als repräsentativ angenommen werden kann. Die Teilstrecke T,t umfaßt exakt 796 Lemmata, von denen ein Teil in Form von Nischenlemmata erscheint. Bei der Auswertung nicht berücksichtigt wurden Teillemmata oder Lemmateile wie z.B. „Takt/takt-", denen lediglich eine nischeneinleitende Funktion zukommt. Als eigenständige Lemmata mitgezählt wurden die Wendungen.8 Die 796 Lemmata lassen sich nach der kategorialen Zugehörigkeit der durch sie repräsentierten sprachlichen Ausdrücke wie folgt gruppieren: Substantive: Wendungen: Verben: Adjektive: Wortbildungsmittel: Sonstige:
381 174 112 108 3 14
(entspricht (entspricht (entspricht (entspricht
47,86% 21,86% 14,07% 13,57%
der zu der zu der zu der zu
T,t gebuchten Lemmata) T, t gebuchten Lemmata) T,t gebuchten Lemmata) T,t gebuchten Lemmata)
(Restklasse)
Positiv hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang vor allem die starke Berücksichtigung der sogenannten „Wendungen" (idiomatische Einheiten bzw. Phraseologismen und Kollokationen), die mit 21,86% mehr als ein Fünftel des gesamten Lemmabestandes darstellen.9 Ebenfalls berücksichtigt sind Wortbildungsmittel, allerdings lediglich in begrenztem Umfang. Von den 796 Lemmata sind 79 mit einer Markierung zur Stilebene versehen. Zwar werden laut den „Erläuterungen zur Konzeption des Wörterbuchs" (XII) vier verschiedene Stilebenen unterschieden, von denen drei markiert sind {gehoben - umgangssprachlich derb; die Stilebene neutral wird nicht markiert), doch findet sich in dem hier untersuchten Ausschnitt ausschließlich die Markierung umg. (für umgangssprachlich). Die 79 Vorkommnisse der Stilebenenmarkierung umg. lassen sich nach der kategorialen Zugehörigkeit der betreffenden Lemmazeichen wie folgt aufgliedern:
8
9
Der Entscheidung, die Wendungen bei der Auszählung als Lemmata anzusehen, liegen folgende Beobachtungen zugrunde: (a) Die Wendungen sind typographisch wie Lemmata gestaltet (halbfett), (b) die Wendungen sind zwar anders lemmatisiert als die Einwortlexeme (nämlich nach dem ersten in ihnen enthaltenen nennlexikalischen Ausdruck), sie sind allerdings im Layout deutlich von dem Wörterbuchartikel, dem sie jeweils nachgeordnet sind (bzw. dem sie als Angaben zugehören), abgesetzt, insofern sie als neuer Absatz und linksbündig in der Wörterbuchzeile erscheinen (eingeleitet durch einen Strukturanzeiger „*"). Die Tatsache, daß gerade die Berücksichtigung von Wendungen ein wichtiges Kriterium zur Beurteilung eines textbezogenen Lernerwörterbuchs darstellt, liefert einen weiteren Grund dafür, die betreffenden Ausdrücke bei der quantitativen Analyse des Lemmabestandes wie Lemmata zu behandeln. Zur qualitativen Bewertung der Selektion speziell der phraseologischen Einheiten im DGWDAF vgl. Wotjak 2001.
Die Lemmaselektion im DE GRUYTER Substantive: Verben: Wendungen:
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8 4 67
Des weiteren finden sich im untersuchten Ausschnitt 32 Markierungen zur Stilfärbung, die sich auf 15 Vorkommen von emot. (fllr emotional), 6 Vorkommen von emot. neg. (für emotional negativ), 6 Vorkommen von scherzh. (für scherzhaft), 4 Vorkommen von spött. (für spöttisch) und ein Vorkommen von emot. pos. (für emotional positiv) verteilen. Daneben finden sich eine gebrauchsbeschränkende, eine temporale und eine regionale Markierung, sowie vier fachsprachliche Kennzeichnungen. Insgesamt sind in der untersuchten Artikelteilstrecke nur 97 der Lemmata stilistisch markiert und/oder mit Fachgebietskennzeichnungen versehen (manche davon doppelt), also in etwa 12,2%. Eine solche spärliche Markierungspraxis ist für ein Lernerwörterbuch (das obendrein primär in Produktionssituationen hilfreich sein soll) zu erwarten: Zentraler Gegenstandsbereich ist der (i.d.R. unmarkierte) Kernwortschatz der beschriebenen Sprache. In diesem Zusammenhang ist allerdings anzumerken, daß letztlich die Frequenz von Markierungen nur unter Vorbehalt als ein Indiz dafür gewertet werden kann, daß es sich bei den im Wörterbuch beschriebenen sprachlichen Zeichen tatsächlich um den Kernwortschatz der betreffenden Sprache handelt. Schließlich ist ein sprachliches Zeichen nicht an sich markiert, sondern wird von einem Lexikographen in Hinblick auf die Frequenz seiner Verwendung in bestimmten Lebensbereichen und/oder in Hinblick auf eine Beschränkung seines Gebrauchs auf bestimmte Varietäten der betreffenden Sprache als markiert angesehen. Ab welchem Grad der Frequenz des Gebrauchs von sprachlichen Zeichen in bestimmten Lebensbereichen bzw. Varietäten hierbei von einer Markiertheit auszugehen ist, ist davon abhängig, wie restriktiv bei der Wörterbuchplanung (und speziell bei der Erarbeitung des Lemmaselektionsprogramms) die Markierungsvorschriften gefaßt wurden. Ob ein bestimmtes sprachliches Zeichen den Status der Markiertheit erhält oder nicht, ist des weiteren abhängig vom Profil der Wörterbuchbasis, d.h. z.B. von der Textsortenzugehörigkeit der Quellen, die in dieser enthalten sind. Zuletzt können Markierungen auch deshalb nur mit Vorsicht als Grundlage für eine qualitative Beurteilung der Lemmaselektion herangezogen werden, weil ihre jeweilige Setzung nicht ausschließlich von Markierungsvorschriften geleitet wird, sondern letzten Endes immer auch von der Intuition des verantwortlichen Lexikographen, der ja - sofern die im Wörterbuch beschriebene Sprache zugleich seine Muttersprache ist - aufgrund seiner Sprachkompetenz und seines „Sprachgefühls" nie gänzlich frei ist von individuellen Voreinstellungen und erworbenen Wertzumessungen in bezug auf diejenigen Einheiten seines Beschreibungsgegenstandes, mit denen er selbst tagtäglich kommunikativ umgeht.10
3.4.2 Besondere Lemmazeichentypen Bereits D'Alembert hat 1754 in seinem Encyclopédie-Artikel .Dictionnaire' gefordert, daß unregelmäßige Verbformen in einem Wörterbuch als eigenständige Lemmata anzusetzen seien, und darauf hingweisen, daß eine solche Selektionspraxis vor allem für Nicht10
Zur Problematik der lexikographischen Markierungspraxis vgl. auch Zöfgen (1994:110-115).
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Muttersprachler von großem Nutzen sein könne.11 Ähnliches gilt auch fìlr andere Lemmazeichentypen12: So erscheint es für ein Lernerwörterbuch als sinnvoll, von unregelmäßig gebildeten Adjektiv-Steigerungsformen auf den Haupteintrag zum jeweiligen Adjektiv zu verweisen, sowie (gerade in Anbetracht der Rechtschreibreform) orthographische Nebenformen als Verweislemmata anzusetzen, von denen aus der Benutzer auf die jeweilige Hauptform verwiesen wird. Im DGWDAF sind solche Lemmazeichentypen berücksichtigt; allerdings scheint es so, als seien die damit zusammenhängenden Lemmatisierungskonventionen nicht gänzlich stringent eingehalten worden. So wird beispielsweise zwar von Delfín als orthographischer Nebenform auf Delphin verwiesen; andererseits jedoch findet sich beim Eintrag Phantasie zwar eine Angabe zur orthographischen Nebenform „auch Fantasie", die damit benannte Nebenform Fantasie erscheint in der Lemmareihe jedoch nicht mit einem eigenen Eintrag.
3.4.3 Stichprobenanalyse zur Darstellung der Lexik zu einzelnen Lebensbereichen Im folgenden ist zu prüfen, inwieweit bei der Auswahl der Lemmata die Lexik zu denjenigen Lebensbereichen berücksichtigt wurde, die für einen Lerner als relevant erachtet werden können. Eine solche Prüfung kann lediglich stichprobenartig erfolgen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß es natürlich immer leicht ist, „Lücken" im Lemmabestand eines Wörterbuches aufzuzeigen; - vor allem bei einem Wörterbuch mit sehr kompaktem Lemmabestand wie dem DGWDAF dürfte dies nicht schwerfallen. Um die Stichprobenanalyse daher zu einigermaßen begründbaren Ergebnissen zu führen, gehen wir zunächst so vor, daß wir als Ausgangspunkt denjenigen Teil des Wörterbuches unter die Lupe nehmen, in welchem einzelne Lebensbereiche von den Verfassern explizit zur Darstellung gebracht werden, nämlich das Verzeichnis der Wortfelder. Aus diesem zweiten Wörterverzeichnis greifen wir exemplarisch einzelne Teilfelder heraus, um die darin gelisteten Ausdrücke dann (a) gegen den Lemmabestand im alphabetischen Wörterverzeichnis und (b) hinsichtlich ihrer onomasiologischen Konsistenz zu prüfen. Als Beispiel wählen wir zunächst das Wortfeld 8 zum Lebensbereich „Nahrung/Nahrungsaufnahme" aus der Wortfeldergruppe I „Der Mensch". Dieser Lebensbereich wird auch im Zertifikat DaF (vgl. oben, Abschnitt 2) für zentral erachtet. Aufgeführt werden hier gängige Bezeichnungen für Nahrungsmittel wie Beefsteak, Kotelett, Schnitzel und sogar der Ausdruck Bulette, obwohl dieser im entsprechenden Artikel des alphabetischen Wörterverzeichnisses eine gebrauchsbeschränkende Markierung aufweist (nämlich: landsch., bes. beri, für landschaftlich, besonders berlinerisch). Hier ist zu fragen, weshalb - wenn schon Bulette als Lemma aufgenommen wurde - andererseits Ausdrücken wie Frikadelle oder Hamburger (die in der Alltagssprache sicherlich nicht weniger gebräuchlich sind als Bulette) der Lemmastatus verwehrt wurde. Des weiteren ist auffällig, daß hinsichtlich der Ausdrücke zu kulturspezifischen Nahrungsmitteln lediglich solche zu finden 11
Vgl. hierzu Hausmann (1989: 84). Unter Lemmazeichentypen werden hier Typen von Repräsentationen spezifischer Verwendungsinstanzen von Languezeichen verstanden; von den Lemmazeichentypen zu unterscheiden sind die Lemmatypen, die ordnungsstrukturell bedingte Typen von Lemmata (als semiotische Repräsentationen von Lemmazeichen) darstellen (z.B. Nest-, Nischen- und Verweislemmata).
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sind, die gängige Klischees bedienen (nämlich Sauerkraut, Weißkohl und Bratkartoffeln). Der Deutschen mittlerweile liebste Nahrungsmittel wie Pizza, Döner und Spaghetti fehlen gänzlich; gerade in bezug auf letzteren Ausdruck ist dies erstaunlich, da seit der Rechtschreibreform Spaghetti (jetzt auch: Spagetti (!)) nicht einmal mehr unter orthographischen Gesichtspunkten als Fremdwort angesehen wird.13 Generell ist festzustellen, daß - wie auch schon oben erwähnt - Fremd- und Lehnwörter großenteils von der Selektion ausgeschlossen wurden, selbst wenn es sich bei diesen um hochfrequente Ausdrücke der deutschen Gegenwartssprache handelt. Dies sei am Beispiel der Lexik zum Lebensbereich „Information und öffentliche Medien" (Zertifikat DaF 1985) illustriert: Das Wörterverzeichnis enthält neben den Lemmata Fernseher, Fernsehgerät, Feuilleton, Film, Funk, funken, Information, Nachricht, Radio, Rundfunk, Rundfunkanstalt, Sender, Sendung und Zeitung an gebräuchlichen Anglizismen zwar Computer und Show, nicht aber E-Mail, Handy, Homepage, Internet und Talkshow. Gängige Kurzwörter wie CD, CD-ROM, PC und 7T sind ebenfalls zu vermissen.
3.4.4 Problemfälle Abschließend soll noch an Einzelfällen auf einige Ungereimtheiten von Lemmaansatz und Lemmaselektion hingewiesen werden, die im Rahmen unserer stichprobenartigen Analysen als beachtenswert vermerkt werden konnten. Zunächst scheint einer Unterschiedung von homonymen und polysemen Ausdrücken kein stringentes Konzept zugrundegelegt worden zu sein: Während auf der einen Seite beispielsweise für den Ausdruck Tenor zwei ('Tenor, 2Tenor) und für den Ausdruck Band sogar drei Lemmata geführt werden ('Band, 2Band, 3Band), findet sich zu den Ausdrücken Bank und Ton jeweils nur ein Lemma, in dessen zugehörigem Artikel dann zwischen verschiedenen Bedeutungen differenziert wird. Liest man hierzu die entsprechenden „Hinweise zur Benutzung des Wörterbuchs", so erfährt man, daß Indizes (realisiert durch dem Lemma vorangestellte, hochgestellte arabische Ziffern) zur semantischen Differenzierung verwendet wurden „bei semantisch völlig isolierten Bedeutungen, die sich auch durch Genus od. morphologische Besonderheiten unterscheiden" (XVII). Faßt man das „auch" in dieser Formulierung als Indikator für eine obligatorische UND-Verknüpfung der beiden Kriterien auf, so kann hieraus gefolgert werden, daß beim Lemmaansatz nicht primär nach Homonymie oder Polysemie eines Ausdrucks verfahren wurde, sondern vielmehr danach, ob ein Ausdruck (a) verschiedene Bedeutungen und (b) - als zweite notwendige Voraussetzung - in seinen verschiedenen Bedeutungen variierendes Genus oder morphologische Variationen (z.B. unterschiedlichen Wortakzent) aufweist. Nach diesen Kriterien wären die von uns angeführten Beispielfälle also wie folgt zu erklären: Tenor ist mit zwei Lemmata vertreten aufgrund variierenden Wortakzents, Band mit drei Lemmata aufgrund des variierenden Genus, aber Bank und Ton nur mit einem Lemma, da sie trotz verschiedener Bedeutungen gleichbleibendes Genus aufweisen. Allerdings ist anzumerken, daß dadurch, daß die Herausgeber nicht näher explizieren, was sie eigentlich unter „morphologischen Beson13
Zur Berücksichtigung und Behandlung kulturspezifischer Lexik vgl. auch den Beitrag von Peter Kühn in diesem Band; zu auffälligen kulturspezifischen Lücken im Lemmabestand vgl. die ausführlichen Listen ebd.
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derheiten" verstehen, letztlich nicht schlüssig einsichtig ist, weshalb in bezug auf die angeführten Ausdrücke beim Lemmaansetzen gerade so verfahren wurde und nicht anders. Bei derart vager Formulierung in den „Hinweisen zur Benutzung des Wörterbuchs" läßt sich unter einer „morphologischen Besonderheit" nämlich ebensogut die Tatsache verstehen, daß zwei Ausdrücke mit identischer Ausdrucksseite unterschiedliche Flexionsparadigmen aufweisen (z.B. Bank/Bänke versus Bank/Banken oder Ton/Töne versus Ton als Singularetantum); in diesem Fall wäre gerade der umgekehrte Fall einleuchtend, nämlich das Vorhandensein von zwei Lemmata 'Bank und 2 Bank zu Bank und analog von zwei Lemmata 'Ton und z Ton zu Ton. Gänzlich unverständlich ist schließlich die Tatsache, daß das Nomen Tau nur mit einem Lemma (Tau) vertreten ist, und dies trotz variierendem Genus und unterschiedlichem Flexionsparadigma (was einen eklatanten Widerspruch zu den von den Herausgebern selbst formulierten Kriterien darstellt!). Zu den „Bedeutungserklärungen" erfährt man in den „Erläuterungen zur Konzeption des Wörterbuchs" folgendes: „Wir haben darauf geachtet, dass die in der Bedeutungsbeschreibung verwendeten sprachlichen Mittel selbst Teil des ausgewählten Wortschatzes sind" (X). Ein solches Ansinnen ist löblich; allerdings sollte Vergleichbares auch für sprachliche Ausdrücke angestrebt werden, die (unikale) Komponenten von Wendungen darstellen. Zweiteres scheint in einigen Fällen entweder nicht beachtet oder vergessen worden zu sein. So finden sich im Wörterverzeichnis zwar die Wendungen den Teufel mit dem Beelzebub austreiben und vom Regen in die Traufe kommen, zu vermissen sind aber die Lemmata Beelzebub und Traufe, die - vor allem in Hinblick auf Rezeptionssituationen und unter Rücksicht auf die Problematik des alphabetischen Zugriffs auf phraseologische Einheiten mit mehr als einer nennlexikalischen Konstituente - zumindest in Form erweiterter Verweisartikel hätten behandelt werden können, etwa wie folgt: Beelzebub [...] ungebr. veralt., nur in: * den Teufel mit dem ~ austreiben 71 Teufel Traufe [...] ungebr. veralt., nur in: * vom Regen in die ~ kommen 71 Regen Hierfür spricht u.a. auch, daß nicht unbedingt davon auszugehen ist, daß ein Lerner (als Nicht-Muttersprachler) bei der Textrezeption einen Phraseologismus in jedem Fall als solchen erkennt; vielmehr dürfte er beispielsweise bei der Rezeption eines Textes, in welchem die Wendung ,vom Regen in die Traufe kommen' vorkommt, diesen Ausdruck zunächst als ein Syntagma deuten, welches ein Wort - nämlich .Traufe' - enthält, das ihm nicht bekannt ist. Eine Konsultation des DGWDAF kann in einer solchen Situation nicht zur Lösung des Rezeptionsproblems beitragen. Als ein generelles Problem erscheint auch die Behandlung der von Maskulina abgeleiteten Feminina. So findet sich etwa bei den Lemmata Politikerin, Täterin, Tänzerin und Technikerin eine Angabe, aus der ein (impliziter) Verweis auf die jeweils männliche Form (z.B. „zu Techniker, weibl.") erschlossen werden kann; in bezug auf eine gewisse Zahl anderer Bezeichnungen findet sich dagegen aber lediglich die maskuline Form, so z.B. die Lemmata Chef, Präsident, Theologe oder sogar Kanzler (obwohl sich nach neueren Umfragen mittlerweile bereits stattliche 85% der Deutschen eine Frau im protokollarisch dritthöchsten Amt der Bundesrepublik vorstellen können). Im übrigen mag es als nicht besonders originell gelten, die femininen Formen als markierte Varianten des jeweils maskulinen Pendants darzustellen; Deutschlernende könnten hierdurch zu fragwürdigen kultur-
Die Lemmaselektion
im DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
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spezifischen Schlußfolgerungen gelangen und die deutsche Gesellschaftsordnung als ein striktes Patriarchat auffassen, zumal obendrein bei solcher Handhabung der weiblichen Formen konsequenterweise die Kompetenzbeispielangaben nur auf die jeweils männliche Form zutreffen (siehe z.B. „Politikerin [...], die [...] /zu Politiker, weibl. [...]" und anschließend „Politiker [...], der [...] jmd., der eine maßgebliche Funktion in der Politik (1) hat' [...] ein einflußreicher, weitsichtiger, berühmter führende ~ dieses Landes, dieser Partei).
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Fazit und Ausblick
Einer abschließenden Einschätzung der Behandlung der Lemmaselektion im D G W D A F ist zunächst vorauszuschicken, daß in diesem Beitrag nur einige Aspekte dessen angesprochen werden konnten, was in den Bereich der Lemmaselektion fällt. Generell ist darauf hinzuweisen, daß eine vertretbare Beurteilung der Lemmaselektion in einem Printwörterbuch nicht umhin kommt, auf die Problematik ihres Gegenstandes hinzuweisen. Dies gründet zum einen darauf, daß eine Kritik der Lemmaselektion nicht unter rein quantitativem Aspekt vorgenommen werden kann, sondern auch Fragen der qualitativen Zusammensetzung des Lemmabestandes unter Rücksicht auf die anvisierten Benutzergruppen und Benutzungssituationen miteinbeziehen muß. Zum anderen ergibt sich aber gerade dann, wenn man auch Aussagen Uber das qualitative Profil eines Lemmabestandes machen möchte, das Problem, daß die Zusammensetzung des Lemmabestandes (z.B. nach Kategorienzugehörigkeit der Lemmazeichen, nach Wortfeldzugehörigkeit der Lemmazeichen, nach Zugehörigkeit der Lemmazeichen zu .zentralen', .peripheren' und speziellen Wortschatzbereichen, etc.) nicht relativ zu einem absoluten Vergleichswert, sondern immer nur in Relation zur Zusammensetzung des Lemmabestandes in anderen Wörterbüchern beurteilt werden kann. Da (i) das qualitative Profil des Wortschatzes einer (lebenden) Einzelsprache nicht vollständig überblickt werden kann (eben weil die Sprache „lebt"1 und sich beständig wandelt) und (ii) die ausschnittartige Repräsentiertheit einer Sprache in η Wörterbüchern ebenfalls jeweils wiederum Gegenstand einer spezifischen Kritik der Lemmaselektion sein kann, sind Aussagen Uber die Lemmaselektion in einem Wörterbuch X entweder (i) nur auf der Grundlage bestimmter Hypothesen über den Wortschatz der betreffenden Einzelsprache oder (ii) nur unter Vorbehalt möglich. Perspektivisch dürfte es daher wohl ratsam sein, zur Beurteilung der Lemmaselektion in Wörterbüchern verstärkt auf Methoden der Wörterbuchbenutzungsforschung zurückzugreifen und die Lemmaselektion primär danach zu bewerten, ob ein betreffendes Wörterbuch von Vertretern seiner anvisierten Benutzergruppe(n) in den von den verantwortlichen Lexikographen anvisierten Benutzungssituationen erfolgreich benutzt werden kann oder nicht. Zur Lemmaselektion im D G W D A F läßt sich zusammenfassend (und unter den erwähnten Vorbehalten) feststellen, daß man sich bei der Auswahl der Lemmazeichen im Großen und Ganzen bemüht hat, diejenigen Wortschatzbereiche zu berücksichtigen, die solche Lebensbereiche abdecken, die für fremdsprachige Deutschlerner als zentral erachtet werden kön-
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nen. Innerhalb dieser betreffenden Wortschatzbereiche wurde allerdings offenbar eher nach dem Schneeballprinzip denn nach systematischen Kriterien ausgewählt. Fachsprachliche Lexikbereiche wurden bei der Selektion ausgeklammert, was für ein Lernerwörterbuch angemessen ist. Diskutabel bleibt hingegen der weitgehende Ausschluß von Lehnwörtern, zumal sich hierzu im Vorwort keinerlei Begründung, geschweige denn ein Hinweis finden läßt. Auch auf die Aufnahme gängiger Kurzwörter wurde offenbar ohne Angabe von Gründen verzichtet. Positiv ist hervorzuheben, daß bei der Konzeption des D G W D A F zugunsten eines relativ differenzierten Programms für die innere Selektion bei der äußeren Selektion relativ restriktiv verfahren wurde (wenn auch - wie erwähnt - die qualitativen Selektionsrestriktionen bisweilen im einzelnen nicht transparent gemacht wurden und somit bestenfalls spekulativ nachvollzogen werden können). Zu würdigen ist des weiteren die starke Berücksichtigung der idiomatischen Wendungen, die (teilweise) Berücksichtigung von Wortbildungsmitteln (auch wenn diese ausführlicher hätte ausfallen können), sowie die Berücksichtigung von unregelmäßigen Verbformen, Steigerungsformen unregelmäßiger Adjektive sowie orthographischer Nebenformen bei der Lemmatisierung. Mißt man - wie vorgeschlagen die Lemmaselektion an der Benutzbarkeit des Wörterbuches, so ist jedoch insgesamt festzustellen, daß die benannten positiven Punkte bedauerlicherweise dazu verurteilt sind, vor dem Hintergrund einer kreativ-unübersichtlichen Artikelgestaltung so weit zu verblassen, daß die Maximalerwartung, die man an einen kundigen Benutzer des D G W D A F in der vorliegenden Form stellen kann, bestenfalls diejenige sein kann, sich zumindest einigermaßen in den Artikeln zurechtzufinden.
5
Literatur
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Wörterbücher
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Die Lemmaselektion im DE GRUYTER
WORTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
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Michael Beißwenger / Boris Körkel
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Herbert Ernst Wiegand Zur Makrostruktur und zu den äußeren Zugriffsstrukturen im DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE Ein Begriff entsteht, indem eine produktive Kraft Reize gestaltet. Nietzsche 1
Bemerkungen zum Begriff der lexikographischen Makrostruktur
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Zur Makrostruktur des DGWDAF
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Die äußeren Zugriffsstrukturen des
Das äußere Zugriffsprofil des DGWDAF
Literatur
DGWDAF
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Bemerkungen zum Begriff der lexikographischen Makrostruktur
Der Terminus Makrostruktur und seine Äquivalente in anderen modernen Kultursprachen werden in der Wörteibuchforschung seit mindestens vier Jahrzehnten verwendet. Die Verwendungen sind hinsichtlich des Bezugs mehr oder weniger unterschiedlich. Es gibt derzeit keinen einheitlichen metalexikographischen Gebrauch von Makrostruktur und damit auch keinen einheitlichen Begriff von Makrostruktur innerhalb der Wörteibuchforschung. Nach der modernen Wissenschaftstheorie ist es keineswegs notwendig, daß ein wissenschaftliches Forschungsfeld nur über einen Begriff von einem bestimmten wissenschaftlichen Gegenstand verfügt. Ein Theorienpluralismus kann erkenntnisfördernd sein; er ist es vor allem dann, wenn die gegebenenfalls konkurrierenden theoretischen Begriffe als klar definiert gelten können (vgl. Wiegand 1989a, 410 u. dazu Wolski 1997, 228). Ob das bei den Begriffen der Makrostruktur derzeit der Fall ist, ist m.E. fraglich und soll im folgenden wenigstens in einigen ausgewählten Hinsichten geprüft werden. Dies geschieht so, daß eine Reihe ausgewählter Zitate, und zwar auch solche aus meinen Arbeiten, kritisch kommentiert wird. Um an die Vielfalt der möglichen Fragestellungen zu erinnern, die im Zusammenhang mit alphabetischen Makrostrukturen eines Printwörteibuches auftauchen können, sei mit einem älteren Zitat (Z) begonnen. (Z1-1: Baldinger 1985 [I960], 46) Es ist somit nicht ganz richtig zu sagen, das alphabetische Wörterbuch gebe überhaupt keine durch die Sprache selbst gegebene Gliederung des Wortschatzes. [...] die Makrostruktur des alphabetischen Wörterbuches gibt eine wenn auch unbefriedigende Antwort auf die Frage nach formal gleichen oder ähnlichen Wörtern.
Die Fragestellung, ob die Makrostruktur alphabetischer Wörteibücher als Ganzes eine vorgegebene Gliederung der Lexik einer Einzelsprache wiedergibt und aus diesem Grunde als sinnvoll gelten kann, kann heute als obsolet eingestuft werden; es ist - nebenbei bemerkt -
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Herbert Ernst Wiegand
eine typische Frage aus der vorpragmatìschen Zeit der Wörterbuchforschung, in der der Benutzer noch nicht ernst genommen wurde. Wir wollen uns aber merken, daß in (Z 1-1) die Makrostruktur zum Wortschatz deijenigen Sprache in eine Art von Abbildungsbeziehung gebracht wird (pardon! Der Heckenausdruck ist absichtlich verwendet), die den Wörteibuchgegenstandsbereich (i.S.v. Wiegand 1998, 303; D 3-6) des zugehörigen alphabetischen Wörterbuches bildet. Es war wohl die Arbeit von Josette Rey-Debove von 1971, die zur Hochkonjunktur des Begriffspaares Makro- und Mikrostruktur in der Wörteibuchforschung ab Mitte der 70er Jahre wesentlich beigetragen hat. Rey-Debove stellt fest: (Z1-2: Rey-Debove 1971,21) On appellera macrostructure l'ensemble des entrées ordonnées, toujours soumise à une lecture verticale partielle lors du repérage de l'objet du message. Die Makrostruktur ist also die Gesamtheit der geordneten Lemmata. Zwei wichtige Aspekte aus dieser Definition sollen hervorgehoben werden: Die Lemmata gehören zur Struktur, die eine Ordnung ist Daß die Makrostruktur eine Beziehung zum Wörterbuchgegenstandsbereich aufweist (bzw. aufweisen könnte), spielt in (Z 1-2) keine Rolle mehr. Rey-Debove (1971, 56ff) unterscheidet verschiedene Arten von Makrostrukturen: einfache, doppelte, dreifache Makrostrukturen. Es heißt z.B.: (Z1-3: Rey-Debove 1971,56) La double macrostructure est un procédé ancien [...]. La macrostructure principale est ordonnée alphabétiquement; la macrostructure dérivée présente des formes apparantées, distinguées de l'entrée par un corps typographique plus petit. Es wild also zwischen einer „Hauptmakrostruktur" („macrostructure principale") und einer von dieser „abgeleiteten Makrostruktur" (»„macrostructure dérivée") unterschieden. Das Beispiel aus dem „Dictionnaire du français contemporain" von 1967 zeigt, daß exister als „entrée principale" zur „macrostructure principale" gehört, während die auf exister in der angegebenen Reihenfolge folgenden „entrées dérivées", nämlich existant, inexistant, existence, inexistence, existentiel, -elle, existentialisme, existentialiste, coexister, préexister, préexistant zur „macrostructure dérivée" gehören. Mit anderen Worten: das Nesteingangslemma gehört zur ersten, zur sog. Hauptmakrostruktur, und alle nicht alphabetisch geordneten Nestlemmata eines Wortbildungsnestes gehören zur zweiten Makrostruktur. Auf die Elemente der zweiten kann nur über die erste Makrostruktur zugegriffen werden. Hausmann fuhrt - in der begrifflichen Tradition von Rey-Debove stehend - aus: (Z1-4: Hausmann 1977,3) Der klassische Typ des Wörterbuches besteht aus zwei Dimensionen: a) einer geordneten Folge von Wörtern; man spricht von „Wörterbucheinträgen" oder „Lemmata" (Singular ,Lemma") (französisch: entrée, adresse oder mot vedette), zu denen das Wörterbuch etwas sagt Diese, meist alphabetische, Folge nennen wir Makrostruktur. In (Z 14) wird ein weiterer Aspekt genannt, den wir uns merken wollen: Die Lemmata sind als Elemente der Makrostruktur sprachliche Einheiten „zu denen das Wörterbuch etwas sagt." Mit anderen Worten: Die Lemmata (genauer: die Lemmazeichengestaltangaben) sind (standardisierte) Bezugsadressen (i.S.v. Wiegand 2001) für die Angaben im Wörterbuchar-
Zur Makrostruktur und zu den äußeren Zugriffsstrukturen im DGWDAF
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tikel, mit denen etwas zum Lemmazeichen und gegebenenfalls zum Lemmazeichenparadigma angegeben wird. Neben der besonders durch die Zitate (Z 1-2) bis (Z 1-4) dokumentierten begrifflichen Tradition, die leicht durch zahlreiche weitere Zitate, z.B. aus Svensén (1993, 223ff), aus Bergenholtz et al (Hrsg.) (1997, 190ff) und aus Virtanen (1993, 19f) belegt werden kann und inzwischen auch Eingang in linguistische Wörterbücher gefunden hat (vgl. Glück (Hrsg.) 2000,423, s.v. Makrostruktur 2), gibt es eine andere, die - soweit ich derzeit sehe - eine geringere Verbreitung gefunden hat. Sie findet sich in Haensch et al (1982) und beinhaltet - grob gesprochen - , daß unter der Makrostruktur eines Wörterbuches der „Gesamtaufbau" eines Wörterbuches verstanden wird. In einem Fachwörterbuchartikel von de Sousa (1995) heißt es dazu: (Z 1-5: de Sousa 1995,259; s.v. macroestructura) Posteriormente G. Haensch (1982, 452) extiende el concepto de macroestructura (correctamente, en mi opinión) a la estructura general del diccionario: ordenación de los materiales léxicos, introducción, anexos y suplementos de los diccionarios. Ohne auf Haensch et al (1982) Bezug zu nehmen, vertritt Nielsen (1990) eine entsprechende Auffassung (vgl. dazu auch Wiegand 2001a, 135ff). Nielsen fuhrt z.B. aus: (Z1-6: Nielsen 1990,50) The subject of this paper is the lexicographic macrostructure, i.e. the macrostructure of any given dictionary, realised by the arrangement of the separate parts, or components, which collectively make up the entire dictionary. Nielsen (1990, 52fi) nimmt dann auch eine einfache Klassifikation von Makrostrukturen (verstanden als „Gesamtstruktur" eines Wörterbuches) vor. Er unterscheidet zwischen einfachen und komplexen Makrostrukturen. Die Definitionen lauten: (Z1-7: Nielsen 1980,520 Def. 4: A simple macrostructure is a lexicographic macrostructure which is composed of only two macrostructural components [...] Def. 5: A complex macrostructure is a lexicographic macrostructure which is composed of more than two macrostructural components. Im Beitrag Nielsens ist wichtig, daß er versucht, eine begriffliche und terminologische Lücke zu schließen. Denn die Wörterbuchforschung benötigt einen Terminus für die „Gesamtstruktur" eines Wörterbuchs. In Hartmann/James (1998) wird hierfür megastructure eingeführt. (Z1-8: Hartmann/James 1998,93, s.v. megastructure) The totality of the component parts of a reference work, including the Macrostructure and the Outside Matter} Die Definitionsangabe in (Z 1-8) ist zu unspezifisch, denn es ist nicht hinreichend klar, was unter „totality of component parts" zu verstehen ist (vgl. hierzu Wiegand 2001b). In Wie1
Die Literaturangabe in dem Fachwörterbuchartikel lautet: Hausmann & Wiegand 1989. In diesem HSK-Artikel (erreichbar auch unter http://www.deGniyter.de/hsk/pd£'hsk5-1 .pdf) wird der Terminus allerdings nicht verwendet.
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Herbert Ernst Wiegand
gand (200 la u. 2001b) wird u.a. im Anschluß an Kammerer/Wiegand (1998(1999]) eingehend untersucht, wie die begrifflichen Lücken, die den „Gesamtaufbau" von Wörterbüchern betreffen, und die dazu gehörigen terminologischen Lücken geschlossen werden können. Eingeführt werden die Termini Textverbund, Textverbundreihe, (unmittelbare und mittelbare) Textverbundkonstituente, Textverbundstruktur, Textverbundkonstituentenstruktur, Text-
verbundgesamtstruktur. Zugleich wird eine Typologie von lexikographischen Textverbünden und eine Typologie von Textverbundstrukturen vorgelegt. Durch die Entwicklung dieser texttheoretisch fundierten Terminologie ist die Möglichkeit gegeben, den Terminus Makrostruktur weiter in der Tradition Rey-Deboves zu verwenden. Nachdem ich zunächst in Wiegand (1983) zur Definition von lexikographischen Strukturen (als Ausprägungen der Wörteibuchform) auf den Struktuibegriff in der Tradition Carnaps zurückgegriffen hatte, nach dem die Elemente, die untereinander in Beziehungen stehen, nicht zur Struktur gehören (also: Struktur = Beziehungsgefuge, zusammen mit allen isomorphen Beziehungsgefügen), was z.B. zur Folge hatte, daß die Lemmata nicht zur Makrostruktur gehören, habe ich seit Wiegand (1989, 1989a u. 1989b) mit dem Struktuibegriff der Mathematiker-Gruppe Bourbaki gearbeitet, wonach die Elemente einer konkreten Struktur zur Struktur gehören. Einige Gründe für den Wechsel bei den wissenschaftstheoretischen Grundlagen sind in Wiegand (1998a, 349f) genannt. In Wiegand (1989), der ersten größeren Arbeit über lexikographische Makrostrukturen, habe ich diese wie folgt definiert: (Z1-9: Wiegand 1989,372) Def. 1: Eine lexikographische Makrostruktur ist eine Ordnungsstruktur, deren Tragermenge eine (nichtleere, endliche) Menge von Leitelementträgern eines lexikographischen Nachschlagewerks ist.
Zu (Z 1-9) seien folgende Erläuterungen gegeben: Es ist klar, daß die struktuiprägende Relation R bei lexikographischen Makrostrukturen (welcher Art auch immer) eine (zweistellige) Relation in der Menge M der Leitelementträger ist, die zum Typ der Ordnungsrelation der zweiten Art gehört, so daß für R gilt: (i) R ist transitiv (aus aRb und bRc folgt stets aRc). (ii) R ist asymmetrisch (aRb schließt stets bRa aus). (iii) Mit (ii) ist R auch antireflexiv (aRa für a e M gilt niemals). Zu dem in (Z 1-9) im Definiens genannten Terminus Leitelementträger wurde in Wiegand (1989) u.a. folgendes ausgeführt: (Z1-10: Wiegand 1989,372) Ein Leitelement ist diejenige Eigenschaft oder derjenige Eigenschaftskomplex einer semiotisehen Entität, die Leitelementträger heißt, anhand derer (bwz. dessen) diese Entität angeordnet werden kann Leitelemente können z.B. sein: Ziffern, Ziffemfolgen (z.B. in onomasiologischen Wörterbüchern), Schriftzeichen aller Art (i.S.v. Günther 1988, 44), z.B. Buchstaben, Schriftzeichenketten, z.B. nach graphotaktischen Regeln erzeugte Buchstabenfolgen (z.B. in den deutschen, französischen und englischen allgemeinen einsprachigen Wörterbüchern), geordnete Teile von Schriftzeichen (z.B. im Chinesischen), alphanumerische Gebilde (z.B. in deutschen Nonnwörterbüchern), Farben, Kombinationen von Farben und Formen (z.B. in Kinderwörterbüchern) u.v.a.m. Es ist weiterhin im vorliegenden Zusammenhang wichtig, daran zu erinnern, daß der Wüstersche Terminus Leitelement so motiviert ist, daß jemand, der kognitiv über ein Leitete-
Zur Makrostruktur und zu den äußeren Zugriffsstrukturen im DGWDAF
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ment verfügt und die Anordnungsmethode des Wörterbuchs kennt, wenn er einen sprachlichen Ausdruck sucht, anhand dieses Leitelementes zu dem makrostrukturellen Platz geleitet wird, an der der Leitelementträger zu finden ist (vgl. Wiegand 1989, 372). Ein Leitelementträger ist immer eine angeordnete Entität, die nur angeordnet werden konnte, weil es einen Teil oder eine Eigenschaft gibt, der bzw. die außerhalb der Makrostruktur selbst einer Ordnung unterworfen ist, die der Benutzer kennen muß, damit er externe Zugriffshandlungen erfolgreich ausfuhren kann. Ist der Leitelementträger ein schriftlicher sprachlicher Ausdruck in einem alphabetischen Printwörterbuch und gehört er damit zur Leitelementträgerklasse der Lemmata, dann ist das Leitelement eine Buchstabenfolge und die makrostrukturexterne Ordnung ist das lexikographische Zugriffsalphabet, d.h. grob gesprochen, eine Menge Mi von Buchstaben, auf denen eine Ordnungsrelation Ri definiert ist, auf deren 2-Tupel der Relationsterm χ kommt vor y zutrifft (mit „x" und „y" als Variablen fur Buchstaben aus MO. Ri ist eine linare Ordnungsrelation, da je zwei Elemente aus Mi vergleichbar sind, so daß fur jedes 2-Tupel (x,y) e Μι χ Mi entweder (x,y) eR oder (y,x) eR gilt (von zwei verschiedenen Buchstaben aus Mi kommt jeweils einer vor dem anderen). Zu meiner in (Z 1-9) zitierten Definition schreibt neuerdings Sven Tarp: (Z1-11: Tarp 1999,132) This, however, raises a number of questions. Of course, a lexicographic macrostructure is always an arrangement structure (Ordnungsstruktur). But it is more than that Let us take five lemmata L a< . These five lemmata can be arranged at random, e.g. in the following order: Lb-Le-Lc-La-L