152 61 20MB
German Pages 1646 [1714] Year 2023
Koch Personengesellschaftsrecht · Kommentar
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Personengesellschaftsrecht Kommentar §§ 705-740c BGB §§ 8-16, 105-152, 161-179, 230-236 HGB §§ 39-42, 214-225 UmwG
herausgegeben von
Prof. Dr. Jens Koch
2024
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Bearbeiterverzeichnis Dr. Philipp Ceesay, LL.M. Wissenschaftlicher Referent, Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Hamburg Dr. Tony Grobe Akademischer Assistent a.Z. und Habilitand, Universität Leipzig Prof. Dr. Lisa Marleen Guntermann Bucerius Law School Hamburg Prof. Dr. Rafael Harnos BSP Business & Law School Berlin Prof. Dr. Veronica Hoch-Loy Helmut-Schmidt-Universität/ Universität der Bundeswehr Hamburg PD Dr. Philipp Maximilian Holle Universität zu Köln Prof. Dr. Jens Koch Universität zu Köln
PD Dr. Daniel Könen, LL.M. Akademischer Rat a.Z., Universität zu Köln Prof. Dr. Julia Kraft, LL.M. Universität Potsdam Dr. David Markworth, M.Sc. (Oxford) Akademischer Rat a.Z. und Habilitand, Universität zu Köln PD Dr. Carsten Meinert, Dipl.-Finw. Universität Bonn Dr. Johannes Richter, B.A. Akademischer Rat a.Z. und Habilitand, Universität Bonn Dr. Stephan Szalai, LL.M. Notar, Neuenhagen Dr. Isabelle Tassius Akademische Rätin a.Z. und Habilitandin, Universität Heidelberg
Zitierempfehlung: Bearbeiter in Koch, Personengesellschaftsrecht, 2024, § … BGB/HGB/UmwG Rz. …
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-32656-2 ©2024 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungs beständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: Beltz, Bad Langensalza Printed in Germany
Vorwort In einer Jahrhundertreform wurde das Personengesellschaftsrecht im Zuge des MoPeG vollständig neu geordnet und zu einer einheitlichen Rechtsmaterie aus einem Guss zusammengeschmiedet. Obwohl das reformierte Recht am 1. Januar 2024 in Kraft tritt, spiegelt sich die neue systematische Geschlossenheit und Einheitlichkeit in der Kommentarliteratur bislang nicht wider. Weiterhin werden die Vorschriften über die Personengesellschaften gesondert nach ihrer Zuordnung zu den jeweiligen Gesetzeswerken kommentiert, wobei die Querbezüge, deren Zahl sich mit dem MoPeG noch deutlich vervielfacht hat, zum Teil nicht hinreichend zum Ausdruck kommen. Immer wieder begegnet das Phänomen, dass sich Streitstände etwa zur Kommanditgesellschaft völlig anders entwickeln als zur Gesellschaft bürgerlichen Rechts, obwohl die Sachfragen identisch sind und eine Ungleichbehandlung in den Besonderheiten der jeweiligen Rechtsform keinerlei Rechtfertigung findet. Probleme werden in der Kommentierung zur OHG behandelt, aber nicht bei der Partnerschaftsgesellschaft, weil die Entscheidung, aus der Problembewusstsein resultiert, gerade just zur OHG ergangen ist. Der vorliegende Kommentar soll diese Lücke schließen und die neue Einheitlichkeit und systematische Geschlossenheit des Personengesellschaftsrechts auch in der wissenschaftlichen Entschlüsselung widerspiegeln. Das soll dadurch erreicht werden, dass die Parallelvorschriften in den jeweiligen Gesetzeswerken allesamt aus einer Hand kommentiert werden und dabei von den hilfreichen Entlastungswirkungen der Verweisungstechnik umfassend Gebrauch gemacht wird. Auf diese Weise ist gewährleistet, dass Gleiches tatsächlich auch gleich behandelt wird, die Unterschiede in den Details jedoch sorgfältig herausgearbeitet werden können. Aber nicht nur in dieser wissenschaftlichen Herangehensweise, sondern auch in der personellen Aufstellung beschreitet dieser Kommentar neue und eigene Wege. Die Auswahl der Autorinnen und Autoren ist von der Überlegung geleitet, dass ein junges, neues Gesetz auch von einer jungen, neuen Generation von Gesellschaftsrechtlern kommentiert werden soll, die schon als Leistungsträger ihrer Generation erkennbar sind und mit einem frischen Blick die Probleme des reformierten Personengesellschaftsrechts lösen können. Ein derart umfassendes Kommentarwerk ganz neu aus der Taufe zu heben, ist mit großen Herausforderungen verbunden. Bei allen inhaltlichen und organisatorischen Aufgaben rund um die Entstehung des Kommentars hat mich mein Schüler und heutiger Kollege, Herr Professor Dr. Rafael Harnos, tatkräftig unterstützt, der sich auf die Hilfe seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Frau Lucie Göring und Herrn Christoph König, verlassen durfte. Zu großem Dank verpflichtet bin ich außerdem meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die dazu beigetragen haben, das Projekt reibungslos zu vollenden. Besonders hervorzuheben sind hier Frau Vanessa Akbari, Herr Max Brandt, Frau Rebekka Lucia Goldmann, Herr Johannes Linnartz, Frau Vera Obernosterer und Herr Niklas Ransiek. Ein besonderer Dank gilt auch Frau Dr. Birgitta Peters, Frau Gundula Müller-Frank und Herrn Dr. Michel Schenk vom Verlag Dr. Otto Schmidt, die den Anstoß für die Konzeption des Kommentars gegeben und den Entstehungsprozess von Beginn an in inhaltlicher und technischer Hinsicht aktiv begleitet haben. Kritik und Anregungen sind selbstverständlich hochwillkommen und am besten zu richten an [email protected]. Das Manuskript ist auf dem Stand vom 31. Juli 2023; spätere Entwicklungen konnten vereinzelt noch berücksichtigt werden. Köln, im September 2023
Jens Koch
VII
Bearbeiterverzeichnis Es haben bearbeitet: Ceesay Grobe Guntermann Hoch-Loy Holle Koch/Harnos Könen Kraft Markworth Meinert Richter Szalai Tassius
§§ 719–722 BGB, §§ 123–129, 170–176, 177a HGB §§ 8–16 HGB §§ 723–728b BGB, §§ 130–137, 177, 179 HGB § 161 HGB (Rz. 151–393: Publikumsgesellschaft) § 714 BGB, §§ 109–115 HGB §§ 705–706, 707c BGB, §§ 105, 106, 161 (Rz. 1–50: Kommanditgesellschaft), 162 HGB §§ 708–713, 715–718 BGB, §§ 108, 116–122, 163–169 HGB §§ 39–42, 214–225 UmwG § 107 HGB § 161 HGB (Rz. 51–150: GmbH & Co. KG) §§ 729–739 BGB, §§ 138–152, 178 HGB §§ 707–707b, 707d BGB §§ 740–740c BGB, §§ 230–236 HGB
IX
Inhaltsverzeichnis Seite Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Bearbeiterverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Allgemeines Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXI
Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) Allgemeine Bestimmungen (§ 705) § 705
Rechtsnatur der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
Rechtsfähige Gesellschaft (§§ 706–739) Sitz; Registrierung (§§ 706–707d) § 706 § 707 § 707a § 707b § 707c § 707d
Sitz der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmeldung zum Gesellschaftsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt und Wirkungen der Eintragung im Gesellschaftsregister . . . . . . . . . . . . . . . . Entsprechend anwendbare Vorschriften des Handelsgesetzbuchs . . . . . . . . . . . . . . Statuswechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verordnungsermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
56 70 79 82 88 99
Rechtsverhältnis der Gesellschafter untereinander und der Gesellschafter zur Gesellschaft (§§ 708–718) § 708 § 709 § 710 § 711 § 711a § 712 § 712a § 713 § 714 § 715 § 715a § 715b § 716 § 717 § 718
Gestaltungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beiträge; Stimmkraft; Anteil an Gewinn und Verlust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrbelastungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übertragung und Übergang von Gesellschaftsanteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eingeschränkte Übertragbarkeit von Gesellschafterrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausscheiden eines Gesellschafters; Eintritt eines neuen Gesellschafters . . . . . . . . Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesellschaftsvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschlussfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschäftsführungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Notgeschäftsführungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesellschafterklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ersatz von Aufwendungen und Verlusten; Vorschusspflicht; Herausgabepflicht; Verzinsungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Informationsrechte und -pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechnungsabschluss und Gewinnverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
105 159 184 193 204 211 218 225 231 297 321 326 337 349 358
XI
Inhaltsverzeichnis
Seite
Rechtsverhältnis der Gesellschaft zu Dritten (§§ 719–722) § 719 § 720 § 721 § 721a § 721b § 722
Entstehung der Gesellschaft im Verhältnis zu Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertretung der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Persönliche Haftung der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung des eintretenden Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einwendungen und Einreden des Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwangsvollstreckung gegen die Gesellschaft oder gegen ihre Gesellschafter . . . . .
362 368 392 408 412 422
Ausscheiden eines Gesellschafters (§§ 723–728b) § 723 § 724 § 725 § 726 § 727 § 728 § 728a § 728b
Gründe für das Ausscheiden; Zeitpunkt des Ausscheidens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fortsetzung mit dem Erben; Ausscheiden des Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kündigung der Mitgliedschaft durch den Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kündigung der Mitgliedschaft durch einen Privatgläubiger des Gesellschafters Ausschließung aus wichtigem Grund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ansprüche des ausgeschiedenen Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung des ausgeschiedenen Gesellschafters für Fehlbetrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachhaftung des ausgeschiedenen Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
425 436 450 465 471 478 495 497
Auflösung der Gesellschaft (§§ 729–734) § 729 § 730 § 731 § 732 § 733 § 734
Auflösungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auflösung bei Tod oder Insolvenz eines Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kündigung der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auflösungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmeldung der Auflösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fortsetzung der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
509 519 525 530 532 535
Liquidation der Gesellschaft (§§ 735–739) § 735 § 736 § 736a § 736b § 736c § 736d § 737 § 738 § 739
Notwendigkeit der Liquidation; anwendbare Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Liquidatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerichtliche Berufung und Abberufung von Liquidatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis der Liquidatoren . . . . . . . . . . . . . . . . Anmeldung der Liquidatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtstellung der Liquidatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung der Gesellschafter für Fehlbetrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmeldung des Erlöschens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verjährung von Ansprüchen aus der Gesellschafterhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
541 553 559 564 569 571 583 584 586
Nicht rechtsfähige Gesellschaft (§§ 740–740c) § 740 § 740a § 740b § 740c
XII
Fehlende Vermögensfähigkeit; anwendbare Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beendigung der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auseinandersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausscheiden eines Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
591 629 635 638
Inhaltsverzeichnis
Seite
Handelsgesetzbuch (HGB) Handelsregister; Unternehmensregister (§§ 8–16) §8 § 8a § 8b §9 § 9a
Handelsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eintragungen in das Handelsregister; Verordnungsermächtigung . . . . . . . . . . . . . . Unternehmensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einsichtnahme in das Handelsregister und das Unternehmensregister . . . . . . . . . Übertragung der Führung des Unternehmensregisters; Verordnungsermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 9b Europäisches System der Registervernetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 9c Informationsaustausch über disqualifizierte Personen über das Europäische System der Registervernetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 10 Bekanntmachung der Eintragungen; Registerbekanntmachungen . . . . . . . . . . . . . § 10a Anwendung der Verordnung (EU) 2016/679 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 11 Offenlegung in der Amtssprache eines Mitgliedstaats der Europäischen Union § 12 Anmeldungen zur Eintragung und Einreichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 13 Zweigniederlassungen von Unternehmen mit Sitz im Inland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 13a Europäische Zweigniederlassungen von Kapitalgesellschaften mit Sitz im Inland §§ 13b–13c (aufgehoben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 13d Sitz oder Hauptniederlassung im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 13e Zweigniederlassungen von Kapitalgesellschaften mit Sitz im Ausland . . . . . . . . . . § 13f Zweigniederlassungen von Aktiengesellschaften mit Sitz im Ausland . . . . . . . . . . § 13g Zweigniederlassungen von Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit Sitz im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 13h Verlegung des Sitzes einer Hauptniederlassung im Inland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 14 [Festsetzung von Zwangsgeld] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 15 [Publizität des Handelsregisters] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 15a Öffentliche Zustellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 16 [Entscheidung des Prozessgerichts] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
643 655 657 662 666 668 672 675 678 679 682 688 693 693 694 699 704 707 710 715 718 732 734
Offene Handelsgesellschaft (§§ 105–152) Errichtung der Gesellschaft (§§ 105–107) § 105 § 106 § 107
Begriff der offenen Handelsgesellschaft; Anwendbarkeit des Bürgerlichen Gesetzbuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 739 Anmeldung zum Handelsregister; Statuswechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 750 Kleingewerbliche, vermögensverwaltende oder freiberufliche Gesellschaft; Statuswechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 762
Rechtsverhältnis der Gesellschafter untereinander und der Gesellschafter zur Gesellschaft (§§ 108–122) § 108 § 109 § 110 § 111
Gestaltungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschlussfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anfechtbarkeit und Nichtigkeit von Gesellschafterbeschlüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . Anfechtungsbefugnis; Rechtsschutzbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
786 793 801 812 XIII
Inhaltsverzeichnis
§ 112 § 113 § 114 § 115 § 116 § 117 § 118 § 119 § 120 § 121 § 122
Klagefrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anfechtungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nichtigkeitsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verbindung von Anfechtungs- und Feststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschäftsführungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wettbewerbsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verletzung des Wettbewerbsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verzinsungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ermittlung von Gewinn- und Verlustanteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Feststellung des Jahresabschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gewinnauszahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Seite 815 824 841 847 860 870 876 885 890 896 899
Rechtsverhältnis der Gesellschaft im Verhältnis zu Dritten (§§ 123–129) § 123 § 124 § 125 § 126 § 127 § 128 § 129
Entstehung der Gesellschaft im Verhältnis zu Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertretung der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Angaben auf Geschäftsbriefen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Persönliche Haftung der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung des eintretenden Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einwendungen und Einreden des Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwangsvollstreckung gegen die Gesellschaft oder gegen ihre Gesellschafter . . . . .
903 908 922 929 937 940 947
Ausscheiden eines Gesellschafters (§§ 130–137) § 130 § 131 § 132 § 133 § 134 § 135 § 136 § 137
Gründe für das Ausscheiden; Zeitpunkt des Ausscheidens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fortsetzung mit dem Erben; Ausscheiden des Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kündigung der Mitgliedschaft durch den Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kündigung der Mitgliedschaft durch einen Privatgläubiger des Gesellschafters Gerichtliche Entscheidung über Ausschließungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ansprüche des ausgeschiedenen Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung des ausgeschiedenen Gesellschafters für Fehlbetrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachhaftung des ausgeschiedenen Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
949 954 961 969 971 977 983 984
Auflösung der Gesellschaft (§§ 138–142) § 138 § 139 § 140 § 141 § 142
Auflösungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auflösung durch gerichtliche Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auflösungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmeldung der Auflösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fortsetzung der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
992 1002 1010 1013 1017
Liquidation der Gesellschaft (§§ 143–152) § 143 § 144 § 145 § 146 XIV
Notwendigkeit der Liquidation; anwendbare Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Liquidatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerichtliche Berufung und Abberufung von Liquidatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis der Liquidatoren . . . . . . . . . . . . . . . .
1023 1037 1044 1049
Inhaltsverzeichnis
§ 147 § 148 § 149 § 150 § 151 § 152
Anmeldung der Liquidatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtstellung der Liquidatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung der Gesellschafter für Fehlbetrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmeldung des Erlöschens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verjährung von Ansprüchen aus der Gesellschafterhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbewahrung der Geschäftsunterlagen; Einsicht in die Geschäftsunterlagen . .
Seite 1056 1059 1077 1079 1081 1087
Kommanditgesellschaft (§§ 161–179) § 161 § 162 § 163 § 164 § 165 § 166 § 167 § 168 § 169 § 170 § 171 § 172 § 172a § 173 § 174 § 175 § 176 § 177 § 177a § 178 § 179
Begriff der Kommanditgesellschaft; Anwendbarkeit der OHG-Vorschriften . . . Anmeldung zum Handelsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Rechtsverhältnis der Gesellschafter zueinander] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Geschäftsführungsbefugnis] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Wettbewerbsverbot] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Informationsrecht der Kommanditisten] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Verlustbeteiligung] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (weggefallen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Gewinnauszahlung] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertretung der Kommanditgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Haftung des Kommanditisten] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Umfang der Haftung] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (weggefallen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Haftung bei Eintritt als Kommanditist] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Herabsetzung der Haftsumme] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmeldung der Änderung der Haftsumme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Haftung vor Eintragung] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Tod des Kommanditisten] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Angaben auf Geschäftsbriefen] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Liquidation der Kommanditgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Insolvenz der Kommanditgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1089 1240 1245 1251 1258 1262 1267 1269 1270 1276 1280 1308 1321 1321 1329 1334 1336 1349 1354 1357 1360
Stille Gesellschaft (§§ 230–236) § 230 § 231 § 232 § 233 § 234 § 235 § 236
[Begriff und Wesen der stillen Gesellschaft] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Gewinn und Verlust] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Gewinn- und Verlustrechnung] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Informationsrecht des stillen Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Kündigung der Gesellschaft; Tod des stillen Gesellschafters] . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Auseinandersetzung] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Insolvenz des Inhabers] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1364 1390 1394 1400 1404 1416 1425
XV
Inhaltsverzeichnis
Seite
Umwandlungsgesetz (UmwG) Verschmelzung unter Beteiligung von Personenhandelsgesellschaften (§§ 39–42) § 39 § 39a § 39b § 39c § 39d § 39e § 39f § 40 § 41 § 42
Ausschluss der Verschmelzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verschmelzungsbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterrichtung der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschluss der Gesellschafterversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Widerspruch gegen den Beschluss der Gesellschafterversammlung . . . . . . . . . . . . Prüfung der Verschmelzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeitliche Begrenzung der Haftung persönlich haftender Gesellschafter . . . . . . . . Inhalt des Verschmelzungsvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Widerspruch gegen den Beschluss der Gesellschafterversammlung . . . . . . . . . . . . Entsprechend anzuwendende Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1433 1448 1453 1460 1468 1478 1486 1492 1500 1504
Formwechsel von Personenhandelsgesellschaften (§§ 214–225) § 214 § 215 § 216 § 217 § 218 § 219 § 220 § 221 § 222 § 223 § 224 § 225
XVI
Möglichkeit des Formwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umwandlungsbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterrichtung der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschluß der Gesellschafterversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt des Formwechselbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsstellung als Gründer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitalschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beitritt persönlich haftender Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmeldung des Formwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlagen der Anmeldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fortdauer und zeitliche Begrenzung der persönlichen Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . Prüfung des Abfindungsangebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1516 1525 1527 1534 1538 1543 1547 1552 1557 1560 1562 1567
Allgemeines Literaturverzeichnis Altmeppen
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Bamberger/Roth/Hau/Poseck
Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 5 Bände, 5. Aufl. 2022 f. Beck’sches Handbuch der Gesellschaftsrecht – Steuerrecht, hrsg. von Prinz, Kahle, Personengesellschaften 5. Aufl. 2020 (zit. BeckHdb. PersG) Beck’scher Online-Kommentar Bürgerliches Gesetzbuch, s. Bamberger, Roth, Hau, Poseck (zit. BeckOK/BGB) Beck’scher Online-Kommentar Handelsgesetzbuch, hrsg. von Häublein, HoffmannTheinert (zit. BeckOK/HGB) beck-online.GROSSKOMMENTAR Grosskommentar zum Aktienrecht, hrsg. von Henssler (zit. BeckOGK/AktG) beck-online.GROSSKOMMENTAR Grosskommentar zum Handelsrecht, hrsg. von Henssler (zit. BeckOGK/HGB) beck-online.GROSSKOMMENTAR Grosskommentar zum Zivilrecht, hrsg. von Gsell, Krüger, Lorenz, Reymann (zit. BeckOGK/BGB) Bergmann et al. Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, 2020 Binz/Sorg Die GmbH & Co. KG, 12. Aufl. 2018 Blaurock Handbuch Stille Gesellschaft, 9. Aufl. 2020 Böttcher/Habighorst/Schulte Umwandlungsgesetz, Kommentar, 2. Aufl. 2019 Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn Ensthaler Erman
Handelsgesetzbuch, Kommentar, 4. Aufl. 2020 Handelsgesetzbuch, 8. Aufl. 2015 BGB, Kommentar, 16. Aufl. 2020
Grüneberg Gustavus
Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 82. Aufl. 2023 Handelsregisteranmeldungen, 11. Aufl. 2022
Habersack/Casper/Löbbe
Großkommentar zum GmbHG, 3 Bände, 3. Aufl. 2020 ff. Das Recht der OHG, Kommentierung der §§ 105 bis 160 HGB, 2. Aufl. 2019 HGB, Handkommentar, 3. Aufl. 2019 Handelsgesetzbuch, Handelsrecht – Bilanzrecht – Steuerrecht, von Glanegger, Kirnberger, Kusterer, Ruß, Selder, Stuhlfelner, 7. Aufl. 2007 (zit. HK/HGB) Gesellschaftsrecht, Kommentar, 5. Aufl. 2021 Handbuch GmbH & Co. KG, 22. Aufl. 2020
Habersack/Schäfer Heidel/Schall Heidelberger Kommentar Henssler/Strohn Hesselmann/Tillmann/ Mueller-Thuns Heymann Hopt Kallmeyer Kayser/Thole Koch Koch
Handelsgesetzbuch (ohne Seerecht), Kommentar, hrsg. von Horn, Balzer, Borges, Herrmann, 3. Aufl. 2019 Handelsgesetzbuch, 42. Aufl. 2023 Umwandlungsgesetz, 7. Aufl. 2020 Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 11. Aufl. 2023 Aktiengesetz, 17. Aufl. 2023 Gesellschaftsrecht, 12. Aufl. 2021 XVII
Allgemeines Literaturverzeichnis
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Lutter Lutter/Hommelhoff Münchener Anwaltshandbuch Personengesellschaftsrecht Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts Münchener Kommentar Münchener Kommentar
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Hrsg. von Gummert, 3. Aufl. 2019 (zit. MünchAnwHdb. PersGesR) Band 1: GbR, OHG, PartG, Partenreederei, EWIV, hrsg. von Gummert, Weipert, 5. Aufl. 2019 (zit. MünchHdb. GesR I) Band 2: KG, GmbH & Co. KG, Publikums-KG, Stille Gesellschaft, hrsg. von Gummert, Weipert, 5. Aufl. 2019 (zit. MünchHdb. GesR II) Band 8: Umwandlungsrecht, hrsg. von Lieder, Wilk, Ghassemi-Tabar, 5. Aufl. 2018 (zit. MünchHdb. GesR VIII) Bürgerliches Gesetzbuch, Band 7: §§ 705-853, hrsg. von Säcker, Rixecker, Oetker, Limperg, 8. Aufl. 2020 (zit. MünchKomm/BGB) Handelsgesetzbuch, Band 2: §§ 105–229, hrsg. von Drescher, Fleischer, K. Schmidt, 5. Aufl. 2022 ff., Band 4: §§ 238–342e, hrsg. von K. Schmidt, Ebke, 4. Aufl. 2020 (zit. MünchKomm/HGB) Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG), Band 2: §§ 35-52, hrsg. von Fleischer, Goette, 4. Aufl. 2023 (zit. MünchKomm/ GmbHG)
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Handelsgesetzbuch, Kommentar, 7. Aufl. 2021
Reichert Röhricht/Graf von Westphalen/ Haas Röhricht/Graf von Westphalen/ Haas/Mock/Wöstmann
GmbH & Co. KG, Handbuch, 8. Aufl. 2021 Handelsgesetzbuch, Kommentar, 5. Aufl. 2019
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Umwandlungen, 5. Aufl. 2017 Gesellschaft bürgerlichen Rechts und Partnerschaftsgesellschaft, Kommentar, 9. Aufl. 2023 MoPeG, Modernisierung des Personengesellschaftsrechts mit Synopsen, 2022 Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022 (zit: Neues PersGesR)
Schäfer Schäfer
XVIII
Handelsgesetzbuch, Kommentar, 6. Aufl. 2023
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Westermann/Wertenbruch Widmann/Mayer
Handbuch Personengesellschaften, Loseblatt Umwandlungsgesetz, Kommentar, Loseblatt
Zöller
ZPO, Kommentar, 34. Aufl. 2022
XIX
Abkürzungsverzeichnis a.A. Abs. abw. AcP a.E. AEUV a.F. AG AGB AktG allg. allg.M. Alt. AnfG Anh. Anm. AnwBl. AO ApoG ArbG ArbGG ArchBürgR Art. AT Aufl. ausf.
anderer Ansicht Absatz abweichend/e/r Archiv für die civilistische Praxis am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Aktiengesellschaft; Amtsgericht(e) Allgemeine Geschäftsbedingungen Aktiengesetz allgemein allgemeine Meinung Alternative Anfechtungsgesetz Anhang Anmerkung Anwaltsblatt Abgabenordnung Gesetz über das Apothekenwesen (Apothekengesetz) Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Archiv für bürgerliches Recht Artikel Allgemeiner Teil Auflage ausführlich
BAG BaFin BayObLG BB Bd. BeckOGK BeckOK Begr. BeurkG BFH BGB BGBl. BGH BGHZ BHO BilMoG
Bundesarbeitsgericht Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bayerisches Oberstes Landesgericht Der Betriebs-Berater Band beck-online.GROSSKOMMENTAR Beck’scher Online-Kommentar Begründung Beurkundungsgesetz Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bundeshaushaltsordnung Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz) Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht Bundesministerium der Justiz Bundesnotarordnung Berufsordnung für Rechtsanwälte
BKR BMJ BNotO BORA
XXI
Abkürzungsverzeichnis
BRAO BR-Drucks. Brüssel Ia-VO
BSG bspw. BStBl. BT-Drucks. Buchst. BVerfG BWNotZ bzgl. bzw.
Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesrats-Drucksache Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Bundessozialgericht beispielsweise Bundessteuerblatt Bundestags-Drucksache Buchstabe Bundesverfassungsgericht Zeitschrift für das Notariat in Baden-Württemberg bezüglich beziehungsweise
CR
Computer und Recht
DB ders. DGVO DGVZ d.h. DiREG
Der Betrieb derselbe Datenschutz-Grundverordnung Deutsche Gerichtsvollzieherzeitung das heißt Gesetz zur Ergänzung der Regelungen zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie Dissertation Deutscher Juristentag (e.V.) Gesetz über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsra Datenschutz-Grundverordnung Deutsches Steuerrecht Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (ab 1999 Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht)
DiRUG Diss. DJT DrittelbG DSGVO DStR DZWIR E/B/J/S e.c. Ed. EFG EG/EU eG EGBGB eGbR EHUG EL ErbR etc. EuGH EuZW e.V. EWIV XXII
Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn exempli causa Edition Entscheidungen der Finanzgerichte Europäische Gemeinschaften/Europäische Union; Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft eingetragene Genossenschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch eingetragene Gesellschaft bürgerlichen Rechts Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister Ergänzungslieferung Zeitschrift für die gesamte erbrechtliche Praxis et cetera Europäischer Gerichtshof Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht eingetragener Verein Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung
Abkürzungsverzeichnis
EWIV-VO EWR f., ff. FamFG FamRZ FGG FGPrax Fn. FR FS GBO GbR gem. GenG GenRegV GesR GesRRL GewStG GG ggf. GKG GmbH GmbH & Co. KG GmbHG GmbHR GmbH-StB GNotKG GS GVG GwG GWR Habil. Hdb. HGB h.L. h.M. HRefG Hrsg. HRV
Verordnung (EWG) Nr. 2137/85 des Rates vom 25. Juli 1985 über die Schaffung einer Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV) Europäischer Wirtschaftsraum folgende Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Praxis der Freiwilligen Gerichtsbarkeit Fußnote FinanzRundschau Festschrift Grundbuchordnung Gesellschaft bürgerlichen Rechts gemäß Genossenschaftsgesetz Verordnung über das Genossenschaftsregister Gesellschaftsrecht RICHTLINIE (EU) 2017/1132 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 14. Juni 2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (Gesellschaftsrechtsrichtlinie) Gewerbesteuergesetz Grundgesetz gegebenenfalls Gerichtskostengesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesellschaft mit beschränkter Haftung & Compagnie Kommanditgesellschaft Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung Zeitschrift für Gesellschafts-, Unternehmens- und Steuerrecht GmbH-Steuerberater Gesetz über Kosten der freiwilligen Gerichtsbarkeit für Gerichte und Notare Gedächtnisschrift Gerichtsverfassungsgesetz Geldwäschegesetz Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht Habilitation Handbuch Handelsgesetzbuch herrschende Lehre herrschende Meinung Gesetz zur Neuregelung des Kaufmanns- und Firmenrechts und zur Änderung anderer handels- und gesellschaftsrechtlicher Vorschriften (Handelsrechtsreformgesetz) Herausgeber Verordnung über die Einrichtung und Führung des Handelsregisters (Handelsregisterverordnung – HRV) XXIII
Abkürzungsverzeichnis
i.d.F. i.d.R. i.E. i.e.S. i.H. i.H.v. insb. insg. InsO IPR IPRax i.R. i.R.d. i.R.v. i.S. i.S.d. i.S.v. ITRB i.V.m.
in der Fassung in der Regel im Ergebnis im engeren Sinne in Höhe in Höhe von insbesondere insgesamt Insolvenzordnung Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts im Rahmen im Rahmen des im Rahmen von im Sinne im Sinne des/der im Sinne von IT-Rechtsberater in Verbindung mit
JBL jurisPK jurisPR JuS JVKostG JZ
Juristische Blätter (Österreich) juris Praxiskommentar juris PraxisReport Juristische Schulung Justizverwaltungskostengesetz Juristenzeitung
KAGB KG(aA) KG KostO krit.
Kapitalanlagegesetzbuch Kommanditgesellschaft (auf Aktien) Kammergericht Kostenordnung kritisch
Lfg. LG LHO LLP LS
Lieferung Landgericht(e) Landeshaushaltsordnung Limited Liability Partnership Leitsatz
m.a.W. MDR MHbeG
mit anderen Worten Monatsschrift für Deutsches Recht Gesetz zur Beschränkung der Haftung Minderjähriger (Minderjährigenhaftungsbeschränkungsgesetz) Millionen Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins, der Notarkasse und der Landesnotarkammer Bayern Multimedia und Recht Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen
Mio. MitbestG MittBayNot MMR MoMiG
XXIV
Abkürzungsverzeichnis
MoPeG MünchAnwHdb. MünchHdb. MünchKomm m.w.N. m.W.v. m.z.w.N. NachhBG
Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz) Münchener Anwaltshandbuch Münchener Handbuch Münchener Kommentar mit weiteren Nachweisen mit Wirkung von mit zahlreichen weiteren Nachweisen
n.F. NJOZ NJW NJW-RR NotBZ npoR Nr./Nrn. NZG NZI
Gesetz zur zeitlichen Begrenzung der Nachhaftung von Gesellschaftern (Nachhaftungsbegrenzungsgesetz) neue Fassung Neue Juristische Online-Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift NJW-Rechtsprechungs-Report Zeitschrift für die notarielle Beratungs- und Beurkundungspraxis Zeitschrift für das Recht der Non Profit Organisationen Nummer/n Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Insolvenz und Sanierung
OHG
Offene Handelsgesellschaft
PAO PartG (mbB) PartGG PersGesR Publizitäts-RL
Patentanwaltsordnung Partnerschaftsgesellschaft (mit beschränkter Berufshaftung) Partnerschaftsgesellschaftsgesetz Personengesellschaftsrecht Richtlinie 2009/101/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 48 Absatz 2 des Vertrags im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten
RabelsZ RefE RegE RFamU RGBl. Rpfleger RPflG Rspr. Rz.
Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Referentenentwurf Regierungsentwurf Recht der Familienunternehmen Reichsgesetzblatt Der Deutsche Rechtspfleger Rechtspflegergesetz Rechtsprechung Randzahl
s. S. s.a. SanInsFoG SCE SCE-VO
siehe Seite siehe auch Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz Europäische Genossenschaft Verordnung (EG) Nr. 1435/2003 des Rates vom 22. Juli 2003 über das Statut der Europäischen Genossenschaft (SCE) Societas Europaea, Europäische Gesellschaft
SE
XXV
Abkürzungsverzeichnis
SEAG SGB sog. StBerG StGB StPO str.
Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) Sozialgesetzbuch sogenannte Steuerberatungsgesetz Strafgesetzbuch Strafprozessordnung streitig
TMG TransparenzRL
Telemediengesetz Richtlinie 2013/50/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2013 zur Änderung der Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, sowie der Richtlinie 2007/14/EG der Kommission mit Durchführungsbestimmungen zu bestimmten Vorschriften der Richtlinie 2004/109/EG Text von Bedeutung für den EWR
u.a. UG UGB UmRUG UmwBerG UmwG UmwStG unstr. Urt. URV u.U.
unter anderem Unternehmergesellschaft Unternehmensgesetzbuch (Österreich) Gesetz zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie Gesetz zur Bereinigung des Umwandlungsrechts Umwandlungsgesetz Umwandlungssteuergesetz unstrittig Urteil Unternehmensregisterverordnung unter Umständen
v. VAG Var. v.a. v.A.w. VermAnlG VG vgl. VO vs. VuR VVaG VwGO
vom Versicherungsaufsichtsgesetz Variante vor allem von Amts wegen Vermögensanlagegesetz Verwaltungsgericht vergleiche Verordnung versus Verbraucher und Recht Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit Verwaltungsgerichtsordnung
WEG WiB WM
Wohnungseigentumsgesetz Wirtschaftsrechtliche Beratung Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht
XXVI
Abkürzungsverzeichnis
WPO WpPG
Wirtschaftsprüferordnung Wertpapierprospektgesetz
z.B. ZBB ZD ZEV ZfPW ZGR ZHR Ziff. ZIP ZNotP ZPG
zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift für Datenschutz Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge Zeitschrift für die gesamte Privatrechtswissenschaft Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für die Notarpraxis Zeitschrift für das Recht der Personengesellschaften und Einzelunternehmen Zivilprozessordnung Zeitschrift für Restrukturierung und Insolvenz Zeitschrift für Rechtspolitik zustimmend zutreffend Zeitschrift für Wirtschaftsstrafrecht und Haftung im Unternehmen zuzüglich Zeitschrift für Zivilprozess
ZPO ZRI ZRP zust. zutr. ZWH zzgl. ZZP
XXVII
Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) Allgemeine Bestimmungen (§ 705)
§ 705 BGB Rechtsnatur der Gesellschaft (1) Die Gesellschaft wird durch den Abschluss des Gesellschaftsvertrags errichtet, in dem sich die Gesellschafter verpflichten, die Erreichung eines gemeinsamen Zwecks in der durch den Vertrag bestimmten Weise zu fördern. (2) Die Gesellschaft kann entweder selbst Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen, wenn sie nach dem gemeinsamen Willen der Gesellschafter am Rechtsverkehr teilnehmen soll (rechtsfähige Gesellschaft), oder sie kann den Gesellschaftern zur Ausgestaltung ihres Rechtsverhältnisses untereinander dienen (nicht rechtsfähige Gesellschaft). (3) Ist der Gegenstand der Gesellschaft der Betrieb eines Unternehmens unter gemeinschaftlichem Namen, so wird vermutet, dass die Gesellschaft nach dem gemeinsamen Willen der Gesellschafter am Rechtsverkehr teilnimmt. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Regelungsgegenstand und -zweck; Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Merkmale einer Gesellschaft (§ 705 Abs. 1 BGB) 1. Bedeutung und Grundzüge der Gesellschaftsdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesellschaftsvertrag a) Gesellschafter als Vertragsparteien . . . b) Vertragsschluss aa) Rechtsbindungswille . . . . . . . . . . . bb) Form des Gesellschaftsvertrags . . . c) Auslegung und Inhaltskontrolle des Gesellschaftsvertrags . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtsnatur des Gesellschaftsvertrags e) Vertragsänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft aa) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gemeinsamer Zweck a) Bedeutung des Tatbestandsmerkmals und Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . b) Systematisierung: Gesellschaftszweck, Unternehmensgegenstand und Gesellschaftsinteresse . . . . . . . . . . c) Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Gesellschaftszweck als Abgrenzungskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
3 7 11 13 16 19 20 21 22 28
30 35 38 41
4. Förderpflichten a) Vertragliche Festlegung der Förderpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwendung des Leistungsstörungsund Gewährleistungsrechts aa) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kein synallagmatischer Charakter des Gesellschaftsvertrags . . . . . . . . cc) Unmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Nichtleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Beitragsmängel . . . . . . . . . . . . . . . . c) Mitgliedschaft; ungeschriebene Gesellschafterpflichten aa) Rechte und Pflichten aus der Mitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Mitgliedschaftliche Treupflicht . . . cc) Gleichbehandlungsgebot . . . . . . . . III. Rechtsfähige und nicht rechtsfähige Gesellschaft (§ 705 Abs. 2 BGB) 1. Bedeutung der Vorschrift; Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsfähige Gesellschaft a) Gesetzessystematik und -entwicklung b) Merkmale einer rechtsfähigen Gesellschaft aa) Gesellschafterwille zur Teilnahme am Rechtsverkehr . . . . . . . . . . . . . bb) Indizien zur Feststellung des Gesellschafterwillens . . . . . . . . . . . cc) Bedeutung der Registereintragung
44 46 48 51 53 54
56 57 65
69 74
76 78 79
Koch/Harnos | 1
§ 705 BGB | Allgemeine Bestimmungen dd) Zeitpunkt des Willens zur Teilnahme am Rechtsverkehr . . . . . . . ee) Aufgabe des Willens zur Teilnahme am Rechtsverkehr . . . . . . . ff) Beweisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsfähige GbR im Rechtsverkehr . d) Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nicht rechtsfähige Gesellschaft a) Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83 85 86 87 88 92 93 94
c) Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Schein-Außengesellschaft . . . . . . . . . . . . IV. Vermutung der Rechtsfähigkeit (§ 705 Abs. 3 BGB) 1. Gesetzesentwicklung und Systematik . . 2. Voraussetzungen a) Betrieb eines Unternehmens als Gegenstand der Gesellschaft . . . . . . . . b) Gemeinschaftlicher Name . . . . . . . . . . 3. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95 96
99
101 104 105
Schrifttum: Altmeppen, Kritischer Zwischenruf zum „Mauracher Entwurf“, NZG 2020, 822; Armbrüster, Außengesellschaft und Innengesellschaft, in ZGR-Sonderheft 23, 2021, S. 143; Bachmann, Was ist eine „rechtsfähige Personengesellschaft“? – Ein Rätsel und seine Lösung, in FS K. Schmidt, 2019, S. 49; Bachmann, Zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG), NZG 2020, 612; Bachmann, Das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, NJW 2021, 3073; Bachmann, Abschied von der rechtsfähigen Gesamthand – Zur Rechtsnatur der rechtsfähigen Personengesellschaft, in FS Henssler, 2023, S. 769; Bauermeister/Grobe, Personen im Recht – über Rechtssubjekte und ihre Rechtsfähigkeit –, ZGR 2022, 733; Bergmann, Der Mauracher Gesetzentwurf der Expertenkommission für die Modernisierung des Personengesellschaftsrecht, DB 2020, 994; Escher-Weingart, Die Rechtsfähigkeit der Personengesellschaft nach dem MoPeG – Was ist das eigentlich?, WM 2022, 2297; Fleischer, Annäherungen an den Mauracher Entwurf für ein Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, in ZGR-Sonderheft 23, 2021, S. 1; Fleischer, Leitbildwandel im Recht der BGB-Gesellschaft, DB 2020, 1107; Geibel, Mauracher Entwurf zum Personengesellschaftsrecht, ZRP 2020, 137; Habersack, Reform des Personengesellschaftsrechts – aber wie?, ZGR 2020, 539; Heckschen, Der so genannte „Mauracher Entwurf“ – ein positiver Schritt zur Reform des Personengesellschaftsrechts, NZG 2020, 761; Hermanns, Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG), DNotZ 2022, 3; Lieder, Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, ZRP 2021, 34; Lieder/ Hilser, Die Reform des Personengesellschaftsrechts – Implikationen für Dogmatik und notarielle Praxis, NotBZ 2021, 401; Lüdeking, Der gemeinsame Zweck in § 705 BGB, AcP 220 (2020), 303; Martens, Vom Beruf unserer Zeit für ein Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts – Kritische Anmerkungen zum „Mauracher Entwurf“, AcP 221 (2021), 68; M. Noack, Vom „Mauracher Entwurf“ zum RefE eines Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, DB 2020, 2618; M. Noack, Von Maurach in die Welt – Der Gesetzentwurf der Expertenkommission zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts im Überblick, NZG 2020, 581; Otte-Gräbener, Reform des Personengesellschaftsrechts, in FS Seibert, 2019, S. 1089; Röder, Reformüberlegungen zum Recht der GbR, AcP 215 (2015), 450; Röß, Die GbR nach dem MoPeG, NZG 2023, 401; Roßkopf/Hoffmann, Das MoPeG kommt – was ist zu tun?, ZPG 2023, 14; C. Schäfer, Grundzüge des neuen Personengesellschaftsrechts nach dem Mauracher Entwurf, ZIP 2020, 1149; Schall, Eine dogmatische Kritik am „Mauracher Entwurf“ zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, ZIP 2020, 1443; Schall, Zur Rechtsnatur der Personengesellschaft nach dem MoPeG – Abschied vom „guten alten Recht“?, in FS Heidel, 2021, S. 155; K. Schmidt, Ein neues Zuhause für das Recht der Personengesellschaften, ZHR 185 (2021), 16; Schollmeyer, Reform des Personengesellschaftsrechts, in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2020, 2021, S. 15; Staake/Weinmann, Genehmigungsbedürftige Rechtsgeschäfte in Familienunternehmen, RFamU 2022, 493; Stenert/Gravenhorst, Minderjährige in der Unternehmensnachfolge Zivilrechtliche Grundlagen unter Berücksichtigung der Neuregelungen zum 1.1.2023, GmbHR 2022, 1232; Verse/Tassius, Die Entstehung der rechtsfähigen GbR im reformierten Personengesellschaftsrecht, in FS Grunewald, 2021, S. 1159; Wertenbruch, Rechtsfähigkeit und „Teilrechtsfähigkeit“ von juristischer Person und Personengesellschaft, in FS Seibert, 2019, S. 1089; Wertenbruch, Der BMJV-Referentenentwurf eines MoPeG, GmbHR 2021, 1; Wertenbruch, Das MoPeG – die Reform des Rechts der Personengesellschaften, JZ 2023, 78; Wertenbruch, Gesellschaftsvertrag und Entstehung der rechtsfähigen Gesellschaft iSd § 705 Abs. 2 Var. 1 BGB nF, ZPG 2023, 1; H.P. Westermann, Zum Stand der „Modernisierung“ des Personengesellschaftsrechts, DZWIR 2020, 321; J. Wilhelm, Paradigmenwechsel im Recht der bürgerlichrechtlichen Gesellschaft, NZG 2020, 1041; Wilhelmi, Leistungsstörungsrecht bei Sacheinlagen in der BGB-Gesellschaft, in FS Grunewald, 2021, S. 1337.
2 | Koch/Harnos
Rechtsnatur der Gesellschaft | Rz. 2 § 705 BGB
I. Regelungsgegenstand und -zweck; Entwicklung § 705 BGB ist die einzige Vorschrift des Untertitels 1, der seiner Überschrift nach allgemeine 1 Bestimmungen enthält, die in systematischer Hinsicht gleichermaßen für die rechtsfähige und die nicht rechtsfähige Gesellschaft gelten. Dabei regelt § 705 BGB zum einen die Definition der Gesellschaft (Abs. 1 und Rz. 3 ff.), zum anderen die Abgrenzung zwischen der rechtsfähigen und der nicht rechtsfähigen Gesellschaft (Abs. 2 und Rz. 69 ff.), die durch eine Vermutung in Abs. 3 ergänzt wird (Rz. 99 ff.). Vor dem MoPeG bestand § 705 BGB a.F. aus einem Satz, der lautete: „Durch den Gesell- 2 schaftsvertrag verpflichten sich die Gesellschafter gegenseitig, die Erreichung eines gemeinsamen Zweckes in der durch den Vertrag bestimmten Weise zu fördern, insbesondere die vereinbarten Beiträge zu leisten“. In der Fassung des Mauracher Entwurfs1 wuchs die Regelung um einen zweiten Absatz, der die Definition der rechtsfähigen Gesellschaft enthielt;2 der erste Absatz entsprach der Sache nach im Wesentlichen § 705 BGB a.F., wurde aber umformuliert (s. dazu noch Rz. 3 und Rz. 48).3 Der Referentenentwurf4 übernahm den ersten Absatz in der Fassung des Mauracher Entwurfs und erweiterte den zweiten Absatz um die Legaldefinition der nicht rechtsfähigen Gesellschaft;5 damit ging zugleich eine Abkehr vom Begriff der Innengesellschaft einher (dazu noch Rz. 72).6 Der Regierungsentwurf7 ließ die Formulierung des zweiten Absatzes unangetastet, passte aber den Wortlaut des ersten Absatzes an, der an Stelle von der Gründung nunmehr von der Errichtung der Gesellschaft handelte.8 Die Fassung des § 705 Abs. 1 und 2 BGB wurde bis zum Abschluss des parlamentarischen Verfahrens nicht mehr geändert, auf Prüfbitte des Bundesrats und Beschlussvorlage des Rechtsausschusses hin wurde aber auf den letzten Metern die Vermutung in § 705 Abs. 3 BGB hinzugefügt (im Einzelnen Rz. 99 ff.).
1 Der Mauracher Entwurf ist ein Gesetzentwurf einer Expertenkommission zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts vom April 2020, abrufbar unter https://www.bmj.de/SharedDocs/Down loads/DE/News/PM/042020_Entwurf_Mopeg.pdf?__blob=publicationFile&v=3. 2 „Die Gesellschaft kann Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen, wenn sie nach dem gemeinsamen Willen der Gesellschafter am Rechtsverkehr teilnehmen soll (rechtsfähige Personengesellschaft).“ 3 „Die Gesellschaft wird durch den Abschluss des Gesellschaftsvertrages gegründet, in dem sich die Gesellschafter verpflichten, die Erreichung eines gemeinsamen Zwecks in der durch den Vertrag bestimmten Weise zu fördern.“ 4 Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) v. 19.11.2020, abrufbar unter https://www.bmj.de/Shared Docs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_Personengesellschaftsrecht.pdf?__blob=publicationFile&v=1. 5 „Die Gesellschaft kann entweder selbst Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen, wenn sie nach dem gemeinsamen Willen der Gesellschafter am Rechtsverkehr teilnehmen soll (rechtsfähige Gesellschaft), oder sie kann den Gesellschaftern zur Ausgestaltung ihres Rechtsverhältnisses untereinander dienen (nicht rechtsfähige Gesellschaft).“ 6 Der Mauracher Entwurf enthielt noch einen Untertitel 8, dessen Gegenstand die Innengesellschaft war. 7 BT-Drucks. 19/27635. 8 „Die Gesellschaft wird durch den Abschluss des Gesellschaftsvertrags errichtet, in dem sich die Gesellschafter verpflichten, die Erreichung eines gemeinsamen Zwecks in der durch den Vertrag bestimmten Weise zu fördern.“ Die Fassung des Mauracher Entwurfs und des Referentenentwurfs war insoweit bedenklich, als der Gründungsbegriff Assoziationen mit rechtsfähigen Verbänden hervorruft, § 705 Abs. 1 BGB aber auch für die nicht rechtsfähige Gesellschaft gilt (s. Rz. 4); vgl. dazu die Kritik von Bachmann, NZG 2020, 612, 614. Der Begriff der Errichtung erscheint neutraler und weckt deshalb keine dogmatischen Bedenken. Koch/Harnos | 3
§ 705 BGB Rz. 3 | Allgemeine Bestimmungen
II. Merkmale einer Gesellschaft (§ 705 Abs. 1 BGB) 1. Bedeutung und Grundzüge der Gesellschaftsdefinition 3 § 705 Abs. 1 BGB legt fest, wann eine Gesellschaft vorliegt. Die Definition der Gesellschaft ent-
spricht der Sache nach im Wesentlichen § 705 BGB a.F.,9 indes hat sich der Gesetzgeber für eine leichte Akzentverschiebung entschieden: Während § 705 BGB a.F. die Gesellschafter als Parteien des Gesellschaftsvertrags betonte („Durch den Gesellschaftsvertrag verpflichten sich die Gesellschafter gegenseitig, …“), rückt nach der geltenden Rechtslage die Gesellschaft in den Vordergrund („Die Gesellschaft wird durch den Abschluss des Gesellschaftsvertrags errichtet, …“).10 Die sprachliche Hervorhebung der Gesellschaft korrespondiert mit dem Umstand, dass die Rechtsfähigkeit der Außen-GbR gesetzlich anerkannt (Rz. 69 ff.) und jene Rechtsform zum neuen Leitbild des BGB-Personengesellschaftsrechts erhoben wurde (Rz. 71).11 4 In seinem unmittelbaren Anwendungsbereich enthält § 705 Abs. 1 BGB eine Definition der
Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), die für rechtsfähige und nicht rechtsfähige Gesellschaft gleichermaßen gilt (zu dieser Unterscheidung s. noch Rz. 69 ff.). Die Vorschrift kann aber auch aufgegriffen werden, um generell die Merkmale einer Gesellschaft – sei es einer Personengesellschaft, sei es einer Körperschaft – als einem privatrechtlichen Verband zu bestimmen. Verwendet man den Gesellschaftsbegriff in der letztgenannten Deutung, spricht man von Gesellschaften im weiteren Sinne (weiter Gesellschaftsbegriff). Fokussiert man sich auf die GbR und die anderen Personengesellschaften, die strukturell auf der GbR aufbauen,12 ist von Gesellschaften im engeren Sinne die Rede (enger Gesellschaftsbegriff), die von Körperschaften – mit dem Verein als Grundform13 und den Genossenschaften sowie Kapitalgesellschaften (AG, GmbH14) als Sonderformen – abzugrenzen sind.15 5 Eine Gesellschaft setzt nach § 705 Abs. 1 BGB dreierlei voraus: erstens einen Gesellschafts-
vertrag (dazu Rz. 7 ff.), zweitens die Vereinbarung eines gemeinsamen Zwecks (dazu Rz. 30 ff.) und drittens die Festlegung von Förderpflichten (dazu Rz. 44 ff.). Diese Merkmale, die bereits vor dem MoPeG konsentiert waren16 und die gleichermaßen bei einer rechtsfähigen wie einer nicht rechtsfähigen Gesellschaft vorliegen müssen,17 dienen der Abgrenzung zwischen Gesellschaften einerseits und anderen Formen der Zusammenschlüsse von mehreren Personen sowie rechtlich verselbständigten Vermögensmassen andererseits. Ob die Parteien eine Gesellschaft gründen wollen oder sich der Gesellschaftsgründung bewusst sind, spielt keine Rolle. Maßgeblich ist allein, ob die Merkmale des § 705 Abs. 1 BGB erfüllt sind (s. dazu im Kontext des Vertragsschlusses Rz. 12).18 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
Röß, NZG 2023, 401. Hierzu Martens, AcP 221 (2021), 68, 75 f. Vgl. Fleischer, DStR 2021, 430, 432; Lieder/Hilser, NotBZ 2021, 401, 402. Zur GbR als Grundform und Personenhandelsgesellschaften als spezielle Ausprägungen s. nur Bergmann, DB 2020, 994; M. Noack, NZG 2020, 581; Roßkopf/Hoffmann, ZPG 2023, 14, 15; Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 6, 17. Zur Behandlung von nicht eingetragenen Vereinen i.S.d. § 54 BGB, der im Zuge des MoPeG ebenfalls geändert wurde, vgl. Wertenbruch, JZ 2023, 78, 87 f. Gegen die Einordnung der GmbH als Körperschaft aber – trotz zutreffender Ausführungen zur Realtypik im Ergebnis doch nicht überzeugend – Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2012, Vor § 705 BGB Rz. 14. Zur Unterscheidung zwischen engem und weitem Gesellschaftsbegriff statt vieler C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, Vor § 705 BGB Rz. 1 ff.; eine etwas andere Kategorisierung etwa bei H.P. Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, Vor § 705 BGB Rz. 2. Vgl. nur BGH v. 20.10.2008 – II ZR 207/07, NZG 2009, 21 Rz. 5 = ZIP 2008, 2311; Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2012, § 705 BGB Rz. 1; s. ferner Hippeli, DZWiR 2020, 386, 389. Hippeli, DZWiR 2020, 386, 389; wohl auch M. Noack, NZG 2020, 581. Vgl. auch Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 19: kein Erklärungsbewusstsein erforderlich.
4 | Koch/Harnos
Rechtsnatur der Gesellschaft | Rz. 9 § 705 BGB
§ 705 Abs. 1 BGB spricht davon, dass die Gesellschaft durch den Abschluss des Gesellschafts- 6 vertrags errichtet wird. Gemeint ist damit die Errichtung im Innenverhältnis (also als Rechtsverhältnis zwischen den Gesellschaftern), von der die Entstehung im Außenverhältnis (also gegenüber Dritten) zu unterscheiden ist. Die Entstehung im Außenverhältnis, die ausweislich der Gesetzessystematik nur bei rechtsfähigen Gesellschaften (Rz. 76 ff.) in Betracht kommt, ist in § 719 BGB geregelt (s. dazu § 719 BGB Rz. 6 ff.). Zur Entstehung einer GbR durch Umwandlung vgl. § 39 UmwG Rz. 1 ff. Zu den Gesellschafterpflichten vgl. Rz. 44 f. (Förderpflicht als Voraussetzung der Gesellschaft) und Rz. 56 ff. (Vermögens- und Verwaltungspflichten; mitgliedschaftliche Treupflicht; Gleichbehandlungsgebot).
2. Gesellschaftsvertrag a) Gesellschafter als Vertragsparteien Jede Gesellschaft setzt einen privatrechtlichen, vertraglichen Zusammenschluss zwischen 7 mehreren Personen, kurz: einen Gesellschaftsvertrag, voraus. Die Parteien des Gesellschaftsvertrags sind die Gesellschafter. Als solche kommen sowohl natürliche Personen als auch juristische Personen und rechtsfähige Personengesellschaften in Betracht (zu dieser Kategorisierung und der Einordnung der GbR s. noch Rz. 88 ff.), nicht aber Bruchteilsgemeinschaften und Gesamthandsgemeinschaften wie Erben- oder Gütergemeinschaft, die keine Rechtssubjekte sind.19 Wegen § 711 Abs. 1 Satz 2 BGB, wonach die Gesellschaft ihre eigenen Anteile nicht erwerben kann (dazu § 712a BGB Rz. 9 f.), kann die GbR nicht ihre eigene Gesellschafterin sein.20 Da der Vertragsschluss die Beteiligung von mindestens zwei Gesellschaftern erfordert, ist die Gründung einer Einpersonengesellschaft ausgeschlossen.21 Dieser Grundsatz wird in § 712a Abs. 1 Satz 2 BGB bestätigt, wonach das Gesellschaftsvermögen dem letztverbliebenen Gesellschafter anfällt, sobald der vorletzte Gesellschafter aus der Gesellschaft ausscheidet.22 Auch nicht geschäftsfähige Personen (§ 104 BGB) können Gesellschafter sein. Die Gründung 8 einer Gesellschaft unter ihrer Beteiligung sowie ihr Beitritt zu einer Gesellschaft erfordert aber die Mitwirkung des gesetzlichen Vertreters (§§ 1626, 1629 BGB). Entsprechendes gilt i.d.R. auch für die beschränkt geschäftsfähigen Minderjährigen (§§ 2, 106 BGB): Mit der Beteiligung an einer Gesellschaft gehen meist Verpflichtungen einher (Rz. 44 ff.), so dass nach §§ 107, 108 BGB eine Einwilligung oder Genehmigung des gesetzlichen Vertreters notwendig ist. Dies gilt namentlich für Fälle, in denen sich ein Minderjähriger an einer rechtsfähigen Gesellschaft beteiligt und jedenfalls der persönlichen Außenhaftung nach §§ 721 ff. BGB ausgesetzt ist. Die Beteiligung an einer nicht rechtsfähigen Gesellschaft ist i.d.R. mit Förderpflichten im Innenverhältnis verbunden (§ 740 BGB Rz. 12), doch ist es denkbar, dass der Minderjährige insoweit von jeglichen Verpflichtungen freigestellt ist (a.A. § 709 BGB Rz. 7 f.: keine pflichtenlose Gesellschaftsbeteiligung); in einem solchen Fall kann die Beteiligung rechtlich lediglich vorteilhaft i.S.d. § 107 BGB sein.23 Theoretisch kommt ferner die Anwendung des § 112 Abs. 1 Satz 1 BGB in Betracht, die aber 9 bei Gründung der oder Beitritt zur Gesellschaft, die ein Erwerbsgeschäft24 betreibt, an § 112
19 Ausf. zu Personengemeinschaften als Gesellschaftern C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 80 ff. 20 Zutr. Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 21. 21 Roßkopf/Hoffmann, ZPG 2023, 14, 15; Wertenbruch, GmbHR 2021, 1 Rz. 3. 22 Dazu Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 21; Wertenbruch, ZPG 2023, 1, 3. 23 C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 73 a.E. 24 Zum Begriff etwa Schulte-Bunert in Erman, 17. Aufl. 2023, § 1852 BGB Rz. 3: jede berufsmäßig mit Gewinnerzielung ausgeübte, dauerhafte, auf selbständigen Erwerb gerichtete Tätigkeit einschließlich Koch/Harnos | 5
§ 705 BGB Rz. 9 | Allgemeine Bestimmungen Abs. 1 Satz 2 BGB scheitern wird: In einem solchen Fall ist gem. § 1643 Abs. 1, § 1852 Nr. 2 BGB eine Genehmigung des Familiengerichts erforderlich.25 Fehlt die Genehmigung, so ist der Vertrag nach § 1856 BGB zunächst schwebend – und bei Versagung der Genehmigung endgültig – unwirksam.26 Einer familiengerichtlichen Genehmigung bedarf ferner nach § 1643 Abs. 1, § 1852 Nr. 1 Buchst. c BGB der Erwerb oder die Veräußerung eines Anteils an einer GbR, die ein Erwerbsgeschäft betreibt.27 Inwieweit Änderungen des Gesellschaftsvertrags unter § 1643 Abs. 1, § 1852 Nr. 2 BGB fallen, ist umstritten: Während die (ältere) Rechtsprechung und die wohl h.A. im Schrifttum zwischen unwesentlichen und fundamentalen Vertragsänderungen differenzieren und nur im letztgenannten Fall die Anwendung der § 1643 Abs. 1, § 1852 Nr. 2 BGB für geboten halten,28 ist es nach Ansicht einiger Autoren im Hinblick auf die Sicherung des Minderjährigenschutzes und wegen Abgrenzungsschwierigkeiten erforderlich, bei jeder Vertragsänderung eine familiengerichtliche Genehmigung einzuholen.29 Aus Praktikabilitätsgründen erscheint die erstgenannte Auffassung vorzugswürdig; das Erfordernis einer familienrechtlichen Genehmigung bei allen Vertragsänderungen würde das Gesellschaftsleben über Gebühr erschweren. Nach zutr. h.A. genehmigungspflichtig ist das Ausscheiden eines Minderjährigen aus einer Erwerbsgesellschaft,30 nicht aber das Ausscheiden eines Mitgesellschafters, das der Zustimmung der übrigen Gesellschafter – also auch des Minderjährigen – bedarf.31 10 Ist ein gesetzlicher Vertreter ebenfalls als Gesellschafter an Vertragsschluss oder -änderung
beteiligt, greift das Verbot des Selbstkontrahierens ein (§ 1629 Abs. 1 Satz 1, § 1824 Abs. 2, § 181 BGB); in einem solchen Fall ist gem. § 1809 BGB ein Ergänzungspfleger zu bestellen.32 Zur Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft bei Beteiligung nicht oder beschränkt geschäftsfähiger Personen s. noch Rz. 26. b) Vertragsschluss aa) Rechtsbindungswille 11 Der Abschluss des Gesellschaftsvertrags setzt voraus, dass die Gesellschafter mit Rechtsbin-
dungswillen gehandelt haben. Eine rein faktische Willensübereinstimmung reicht für die Errichtung einer Gesellschaft nicht aus.33 Die Feststellung des Rechtsbindungswillens ist un-
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wissenschaftlicher, künstlerischer oder landwirtschaftlicher Tätigkeiten; s. ferner Stenert/Gravenhorst, GmbHR 2022, 1232 Rz. 54 ff. mit weitergehenden Ausführungen zur Abgrenzung des Erwerbsgeschäfts von der Vermögensverwaltung. Hierzu Schulte-Bunert in Erman, 17. Aufl. 2023, § 1852 BGB Rz. 15 ff.; Staake/Weinmann, RFamU 2022, 493, 497 f.; Stenert/Gravenhorst, GmbHR 2022, 1232 Rz. 46 ff., 68. Schulte-Bunert in Erman, 17. Aufl. 2023, § 1856 BGB Rz. 20. Ausf. dazu Staake/Weinmann, RFamU 2022, 493, 494 ff.; Stenert/Gravenhorst, GmbHR 2022, 1232 Rz. 60 ff. BGH v. 26.1.1961 – II ZR 240/59, NJW 1961, 724, 725; BGH v. 20.9.1962 – II ZR 209/61, BGHZ 38, 26, 29 ff. = NJW 1962, 2344; Staake/Weinmann, RFamU 2022, 493, 498. Noch enger wohl Stenert/Gravenhorst, GmbHR 2022, 1232 Rz. 70: Genehmigungspflicht bei Änderung des Gesellschaftszwecks hin zum Erwerbsgeschäft. Schulte-Bunert in Erman, 17. Aufl. 2023, § 1852 BGB Rz. 20; Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 25. Vgl. nur RG v. 4.12.1928 – II 486/28, RGZ 122, 370, 372; BGH v. 26.1.1961 – II ZR 240/59, NJW 1961, 724, 725; Schulte-Bunert in Erman, 17. Aufl. 2023, § 1852 BGB Rz. 14. BGH v. 26.1.1961 – II ZR 240/59, NJW 1961, 724, 725; BGH v. 20.9.1962 – II ZR 209/61, BGHZ 38, 26, 32 = NJW 1962, 2344; a.A. etwa Schulte-Bunert in Erman, 17. Aufl. 2023, § 1852 BGB Rz. 20. C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 64; Maier-Reimer/Marx, NJW 2005, 3025, 3026 ff. Vgl. im Kontext einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft BGH v. 28.9.2005 – XII ZR 189/02, BGHZ 165, 1 Rz. 27 = FamRZ 2006, 607.
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Rechtsnatur der Gesellschaft | Rz. 13 § 705 BGB
problematisch, wenn die Gesellschafter ihre Vereinbarung in einer Urkunde verkörpert haben, in der die Absicht zur Gründung einer Gesellschaft deutlich zum Ausdruck kommt. Eine solche Gestaltung bietet sich im Hinblick auf die Rechtssicherheit namentlich bei unternehmenstragenden Gesellschaften (Rz. 103) an, die dauerhaft am Rechtsverkehr teilnehmen sollen. In solchen Fällen dürfte die Gesellschaftsgründung häufig ohnehin durch Rechtsberater begleitet werden, die in der Regel für einen hinreichend klar artikulierten Rechtsbindungswillen der Gesellschafter sorgen werden.34 Die Gesellschafter können den Gesellschaftsvertrag nach allgemeiner Auffassung aber auch 12 konkludent abschließen.35 Dabei ist es unerheblich, ob die Gesellschafter ihr Handeln rechtlich zutreffend eingeordnet und die Vorstellung gebildet haben, eine Gesellschaft zu gründen (s. bereits Rz. 5).36 Wurde der Vertrag nicht ausdrücklich abgeschlossen, kann es sich namentlich bei Gelegenheitsgesellschaften,37 die insbesondere als nicht rechtsfähige Gesellschaften in Betracht kommen (Rz. 95, § 740 BGB Rz. 11), als schwierig erweisen, den Rechtsbindungswillen mit hinreichender Sicherheit festzustellen.38 In solchen Fällen ist auf die allgemeinen Grundsätze zurückzugreifen, die zur Abgrenzung von Rechtsgeschäften und Gefälligkeiten in der rein sozialen Sphäre entwickelt wurden.39 Dabei ist eine Reihe von Indizien relevant: die Art der gemeinschaftlichen Tätigkeit, ihr Grund und Zweck, ihre wirtschaftliche und rechtliche Bedeutung für die involvierten Personen, die Interessenlage der Parteien, der Wert der Sachen, die im Rahmen des jeweiligen Verhältnisses betroffen sind und die aus dem Verhältnis erwachsenden (Haftungs-)Risiken.40 bb) Form des Gesellschaftsvertrags Der Gesellschaftsvertrag bedarf grundsätzlich keiner Form.41 Allerdings kann sich die 13 Formbedürftigkeit daraus ergeben, dass gesellschaftsrechtliche Regelungen über die Förderpflichten (Rz. 44 f.) eine Vereinbarung42 enthalten, die nach allgemeinen Grundsätzen formbedürftig sind. In einem solchen Fall muss der gesamte Gesellschaftsvertrag jener Formvorgabe entsprechen.43 Ein praxisrelevantes Beispiel ist die Verpflichtung eines Gesellschafters, 34 Zu den Aufgaben der Kautelarpraxis aufschlussreich Otte, ZIP 2021, 2162 ff. 35 Siehe nur Fleischer, DB 2020, 1107, 1112; Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 11, 19, der im Anschluss an BGH v. 14.12.1998 – II ZR 360/97, ZIP 1999, 581 für geringe Anforderungen an konkludenten Vertragsschluss plädiert. 36 Armbrüster in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 12 a.E.; Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 19. 37 Zur Unterscheidung zwischen Dauer- und Gelegenheitsgesellschaft s. etwa C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, Vor § 705 BGB Rz. 91 ff. 38 Zur fehlenden Abhilfemöglichkeiten des Gesetzgebers im Kontext der nicht rechtsfähigen Gesellschaft vgl. Bachmann, NJW 2021, 3073 Rz. 22. 39 Zum Folgenden statt vieler Bachmann in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2022, § 241 BGB Rz. 239 ff.; F. Schäfer in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2023, § 662 BGB Rz. 29 ff.; Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 19. 40 Diese Indizien sprechen dafür, in Fällen der sog. Decentralized Autonomous Organization (DAO; s. dazu noch Rz. 39 und Rz. 92) den Rechtsbindungswillen der beteiligten Personen i.d.R. zu bejahen; vgl. dazu Fleischer, ZIP 2021, 2205, 2207; Mann, NZG 2017, 1014, 1016 f.; Schwemmer, AcP 221 (2021), 555, 566 f.; Spindler, RDi 2021, 309 Rz. 10; Teichmann, ZfPW 2019, 247, 268 f.; zurückhaltender aber Langenbucher, AcP 218 (2018), 385, 422 ff. 41 Allg.M., vgl. nur C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 38. Aus dem neueren Schrifttum Armbrüster in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 16; Röß, NZG 2023, 401. 42 Zu gewillkürten Formerfordernissen etwa Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 131. 43 Speziell zu Gesamtvermögensgeschäften Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 128. Koch/Harnos | 7
§ 705 BGB Rz. 13 | Allgemeine Bestimmungen ein Grundstück in die Gesellschaft einzubringen. In einem solchen Fall – nicht aber bei Grundstücksüberlassung auf Zeit44 oder bei Gründung einer „Grundstücksgesellschaft“, deren Gegenstand der Handel mit Grundstücken ist45 – bedarf der Gesellschaftsvertrag nach § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB der notariellen Beurkundung.46 Beim Formverstoß greift § 125 Satz 1 BGB ein mit der Folge, dass der gesamte Gesellschaftsvertrag gem. § 139 BGB grds. nichtig ist.47 Gleichwohl kehrt die h.M. das in § 139 BGB angelegte Regel-Ausnahme-Verhältnis um und beschränkt die Nichtigkeitsfolgen häufig auf die „infizierte“ Vertragsbestimmung.48 Geht man von der Gesamtnichtigkeit aus, ist zu beachten, dass mit dem Vollzug des Gesellschaftsverhältnisses die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft eingreift:49 § 125 Satz 1 BGB wird teleologisch reduziert und der Gesellschaftsvertrag wird nicht rückabgewickelt, sondern kann nur mit Wirkung ex nunc gem. § 731 Abs. 1 Satz 1 BGB gekündigt werden (im Einzelnen Rz. 21 ff.). Allerdings kann die Vertragsklausel, auf der der Formmangel beruht, nicht angewandt werden.50 Heilung des Formfehlers ist nach Maßgabe des § 311b Abs. 1 Satz 2 BGB möglich.51 14 Eine notarielle Form ist ferner gem. § 15 Abs. 4 Satz 1 GmbHG erforderlich, wenn die För-
derpflicht auf die Einbringung eines GmbH-Geschäftsanteils abzielt;52 hinsichtlich der Heilung ist § 15 Abs. 4 Satz 2 GmbHG zu beachten.53 Schuldet der Gesellschafter keine Förderpflichten, kann eine schenkweise Zuwendung der Beteiligung an einer Gesellschaft vorliegen, die die Formpflicht des § 518 Abs. 1 BGB auslöst (notarielle Beurkundung).54 Allerdings wendet die Rechtsprechung das Schenkungsrecht bei Gründung einer oder Beitritt zu einer OHG oder KG namentlich wegen der persönlichen Außenhaftung der Gesellschafter gem. §§ 126, 171 ff. HGB nicht an;55 diese Rechtsprechung dürfte im Lichte des § 721 BGB auf die
44 RG v. 2.1.1925 – II 701/23, RGZ 109, 380, 383; H.P. Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 10. 45 BGH v. 13.2.1996 – XI ZR 239/94, ZIP 1996, 547; H.P. Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 10. 46 Ausf. und m.w.N. zur Kasuistik C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 43 ff.; Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 129 ff. 47 Zur Anwendung der §§ 125, 139 BGB im Gesellschaftsrecht allg. Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 127 f., 139 ff. 48 Vgl. etwa BGH v. 20.6.1980 – V ZR 84/79, NJW 1981, 222 (zum Grundstückskauf); BGH v. 27.10.1982 – V ZR 136/81, ZIP 1982, 1415 = NJW 1983, 565 (zur Sicherungsabrede); Schöne in BeckOK/BGB, 66. Ed., Stand: 1.5.2023, § 705 BGB Rz. 48; H.P. Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 10 a.E.; zurückhaltender aber BGH v. 29.6.1992 – II ZR 284/91, NJW 1992, 2696, 2697 = ZIP 1992, 1552 mit weiterführenden Erläuterungen zur Bedeutung salvatorischer Klausel. A.A. C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 46, der stattdessen auf § 140 BGB zurückgreifen will; vgl. ferner Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 28: Differenzierung nach Schutzzweck der Formvorgabe. 49 BGH v. 26.6.1989 – II ZR 128/88, NJW 1990, 573, 574 (obiter dictum); für den fehlerhaften Beitritt eines Kommanditisten BGH v. 28.3.1977 – II ZR 230/75, NJW 1977, 1820 f. 50 Zutr. Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 219b; vgl. ferner zur Anfechtung BGH v. 30.3.1967 – II ZR 102/65, BGHZ 47, 293, 301 = NJW 1967, 1961. 51 Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 28 a.E. 52 BGH v. 29.6.1992 – II ZR 284/91, NJW 1992, 2696, 2697 = ZIP 1992, 1552 (zum Vorkaufsrecht hinsichtlich eines GmbH-Anteils); C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 39. 53 Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 28 a.E. 54 Siehe BGH v. 29.10.1952 – II ZR 16/52, BGHZ 7, 378, 380 = NJW 1953, 138; Koch in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2023, § 516 BGB Rz. 92 ff., § 518 BGB Rz. 28 ff.; Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 130 ff. 55 Zu § 128 HGB a.F. BGH v. 26.3.1981 – IVa ZR 154/80, ZIP 1981, 607, 608 f. Vgl. ferner zur Schenkung auf den Todesfall nach § 2301 BGB BGH v. 11.5.1959 – II ZR 2/58, NJW 1959, 1433.
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Rechtsnatur der Gesellschaft | Rz. 16 § 705 BGB
rechtsfähige GbR zu übertragen sein.56 Mit der h.M. im Schrifttum ist diese Auffassung indes abzulehnen, weil die persönliche Haftung keine (Gegen-)Leistung an den Schenker darstellt, sondern eine Folge der Gesellschafterstellung ist.57 Aus demselben Grund lässt sich der unentgeltliche Charakter der Gründung bzw. des Beitritts nicht mit einem Verweis auf etwaige Geschäftsführerpflichten ablehnen.58 Heilung ist nach § 518 Abs. 2 BGB möglich, wenn die versprochene Leistung bewirkt wurde; erforderlich ist also der Schenkungsvollzug. Dabei hat die ältere Rechtsprechung zwischen Außen- und Innengesellschaft differenziert: Während bei der Außengesellschaft (rechtsfähige Gesellschaft i.S.d. § 705 Abs. 2 Var. 1 BGB, Rz. 74 ff.) die Schenkung durch den Beitritt vollzogen werden kann,59 soll bei der Innengesellschaft (nicht rechtsfähige Gesellschaft i.S.d. § 705 Abs. 2 Var. 2 BGB, Rz. 93 ff.) der Vertragsschluss allein nicht ausreichen, um eine Bewirkung der Leistung i.S.d. § 518 Abs. 2 BGB anzunehmen.60 Diese Differenzierung wird im Schrifttum zu Recht kritisiert.61 Der BGH hält daran neuerdings nicht uneingeschränkt fest und bejaht einen Schenkungsvollzug durch Abschluss des Gesellschaftsvertrags bei einer atypischen stillen Beteiligung.62 Im Schrifttum wird vertreten, dass bei einer Gesellschaft, die in das Gesellschaftsregister 15 eingetragen werden solle, ein mittelbarer Formzwang für den Gesellschaftsvertrag aus § 12 Abs. 1 HGB resultiere, um die elektronische Registeranmeldung unter der Beteiligung des Notars zu gewährleisten.63 In der Tat verweist § 707b Nr. 2 BGB auf § 12 Abs. 1 HGB (dazu § 707b BGB Rz. 20 und § 12 HGB Rz. 7 ff.), es leuchtet aber nicht ein, wieso § 12 Abs. 1 HGB eine Form des Gesellschaftsvertrags faktisch erzwingen sollte. § 12 HGB regelt nur die Formalitäten der Registeranmeldung. Die Form des Gesellschaftsvertrags ist aber von der Form der Registeranmeldung unabhängig. Namentlich muss der Gesellschaftsvertrag nicht zum Gesellschaftsregister eingereicht werden, so dass er nicht der nach § 12 Abs. 2 HGB vorgeschriebenen Form entsprechen muss.64 Allerdings könnte sich ein faktischer Formzwang aus dem Umstand ergeben, dass das Registergericht – und damit auch der mitwirkende Notar (s. § 378 Abs. 3 FamFG)65 – die Vertretungsbefugnisse der Gesellschafter prüft (s. § 707 Abs. 2 Nr. 3 BGB), was in der Regel nur auf Grundlage eines schriftlichen Gesellschaftsvertrags möglich ist. c) Auslegung und Inhaltskontrolle des Gesellschaftsvertrags Die Gesellschafter können nach § 708 BGB ihr Verhältnis untereinander – das Innenverhält- 16 nis – weitgehend frei gestalten (Einzelheiten in § 708 BGB Rz. 104 ff.). Von dieser Option macht die Kautelarpraxis regen Gebrauch, was im Fall von (nicht selten vorkommenden) Gesellschafterstreitigkeiten Auslegungsfragen aufwerfen kann. Dabei gilt im Ausgangspunkt, 56 Vgl. C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 43. Mit der Rechtsprechung augenscheinlich sympathisierend H.P. Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 11. 57 Ausf. Koch in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2023, § 516 BGB Rz. 93; vgl. ferner C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 43. 58 Vgl. Koch in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2023, § 516 BGB Rz. 93. 59 BGH v. 2.7.1990 – II ZR 243/89, BGHZ 112, 40, 46 = ZIP 1990, 1061. 60 BGH v. 24.2.1952 – II ZR 136/51, BGHZ 7, 174, 178 f. = NJW 1952, 1412; BGH v. 29.10.1952 – II ZR 16/52, BGHZ 7, 378, 380 = NJW 1953, 138. 61 Statt vieler C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 51 ff.; Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 130b. 62 BGH v. 29.11.2011 – II ZR 306/09, BGHZ 191, 354 Rz. 21 ff. = ZIP 2012, 326; s. ferner BFH v. 17.7.2014 – IV R 52/11, ZIP 2014, 2131 Rz. 25 ff. 63 Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 27 a.E. 64 Zu § 12 Abs. 2 HGB vgl. § 12 HGB Rz. 18 ff. und Koch/Harnos in Staub, 6. Aufl. 2023, § 12 HGB Rz. 71 ff. 65 Zur notariellen Vorprüfung nach § 378 Abs. 3 FamFG im handelsrechtlichen Kontext Koch/Harnos in Staub, 6. Aufl. 2023, § 8 HGB Rz. 77. Koch/Harnos | 9
§ 705 BGB Rz. 16 | Allgemeine Bestimmungen dass der Gesellschaftsvertrag als Schuldvertrag (s. Rz. 19) gem. §§ 133, 157 BGB nach allgemeinen Grundsätzen ausgelegt wird.66 Nach h.A. ist der wirkliche Wille der Gesellschafter zu ermitteln (subjektive Auslegung),67 wobei neben dem Vertragswortlaut die Systematik der Vertragsregelungen, die Vertragsgeschichte, der von den Gesellschaftern verfolgte Zweck sowie die Art der Vertragsdurchführung zu beachten sind.68 Im Rahmen der Auslegung ist überdies die einverständliche Handhabung des Vertrags durch die Gesellschafter zu berücksichtigen, auch wenn sie ggf. vom Vertragswortlaut abweichen mag.69 Weist der Vertrag eine planwidrige Lücke auf, ist er unvollständig oder teilweise nichtig, so ist das Tor zur ergänzenden Vertragsauslegung eröffnet, mit deren Hilfe der hypothetische Gesellschafterwille zu ermitteln ist.70 Eine objektive Auslegung ist aber bei Publikumsgesellschaften angezeigt (§ 161 HGB Rz. 181 ff.).71 17 Auslegungsprobleme können sich in Fällen ergeben, in denen Gesellschafter im Zeitalter
vor dem MoPeG die damals geltende gesetzliche Rechtslage vertraglich modifiziert haben. Gilt hinsichtlich der Vertragsregelung die in § 708 BGB ausdrücklich angeordnete Gestaltungsfreiheit (§ 708 BGB Rz. 104 ff.), ist zu ermitteln, ob die fragliche Regelung auch im Hinblick auf die Rechtslage nach dem MoPeG dem Gesellschafterwillen entspricht; dies dürfte meist der Fall sein.72 Überschreitet die vormals zulässige Vertragsbestimmung hingegen die durch das MoPeG aufgestellten Schranken der Gestaltungsfreiheit (ausf. dazu § 708 BGB Rz. 107 ff.), handelt es sich nicht um ein Problem der Vertragsauslegung, sondern es stellt sich die Frage, inwieweit das neue Recht als Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB zur Nichtigkeit der fraglichen Vertragsbestimmung führt; dies dürfte i.d.R. zu bejahen sein.73 18 Eine AGB-rechtliche Inhaltskontrolle des Gesellschaftsvertrags ist nach § 310 Abs. 4 BGB
ausgeschlossen (ausf. § 708 BGB Rz. 122 ff.),74 es sei denn, der Rückgriff auf gesellschaftsrechtliche Gestaltungsinstrumente dient der Umgehung des AGB-Rechts, die im Lichte des § 306a BGB unzulässig ist (hierzu § 708 BGB Rz. 125 f.).75 Trotz der klaren Vorgabe des § 310 Abs. 4 BGB unterwirft die Rechtsprechung namentlich die Verträge von Publikumspersonengesellschaften einer Inhalts- und Ausübungskontrolle nach § 242 BGB (im Einzelnen § 161 HGB Rz. 151 ff. [Hoch-Loy] und § 708 BGB Rz. 127 ff.).76 Das Umgehungsverbot des § 306a BGB und die Möglichkeit der auf § 242 BGB gestützten Vertragskontrolle stehen einer teleologischen Reduktion des § 310 Abs. 4 BGB entgegen.
66 Zur Auslegung des Gesellschaftsvertrags im Prozess etwa BGH v. 8.4.1991 – II ZR 35/90, NJW-RR 1991, 1186, 1187 (im Zusammenhang mit dem gemeinsamen Zweck); Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 30. 67 AllgA, s. nur Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 141 ff. 68 Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 29. 69 H.P. Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 35. 70 H.P. Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 36. 71 BGH v. 18.9.2012 – II ZR 178/10, ZIP 2012, 2295 Rz. 19; Schöne in BeckOK/BGB, 66. Ed., Stand: 1.5.2023, § 705 BGB Rz. 70 a.E., 73; Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 142b. 72 Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 5. 73 Zutr. Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 5. 74 Zum Anwendungsbereich ausf. C. Schäfer in Ulmer/Brandner/Hensen, 13. Aufl. 2022, § 310 BGB Rz. 121 ff. 75 Vgl. nur C. Schäfer in Ulmer/Brandner/Hensen, 13. Aufl. 2022, § 310 BGB Rz. 130; Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 32. 76 Statt vieler Bergmann in jurisPK/BGB, 10. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 13; C. Schäfer in Ulmer/Brandner/Hensen, 13. Aufl. 2022, § 310 BGB Rz. 131 ff.
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Rechtsnatur der Gesellschaft | Rz. 20 § 705 BGB
d) Rechtsnatur des Gesellschaftsvertrags Da eine Gesellschaft nur dann vorliegt, wenn sich die Gesellschafter zur Verfolgung eines 19 gemeinsamen Zwecks zusammengeschlossen haben (s. Rz. 4 und Rz. 30 ff.), ist der Gesellschaftsvertrag ein Dauerschuldverhältnis. Dies gilt grds. auch für die sog. Gelegenheitsgesellschaft (Rz. 12) und führt namentlich dazu, dass die Rücktrittsvorschriften auf den Gesellschaftsvertrag keine Anwendung finden; an ihre Stelle treten die Regelungen über die Kündigung der Mitgliedschaft (§§ 725 f. BGB) oder der Gesellschaft (§ 731 BGB; zu Leistungsstörungen im Beitragsverhältnis s. noch Rz. 46 ff. und § 709 BGB Rz. 15 ff.).77 Weitere Aussagen zur Rechtsnatur des Gesellschaftsvertrags hängen davon ab, ob die Gesellschafter eine rechtsfähige oder nicht rechtsfähige Gesellschaft gegründet haben. Im letztgenannten Fall ist der Gesellschaftsvertrag ein reiner Schuldvertrag, mit dem die Gesellschafter das Verhältnis untereinander regeln (vertiefend § 740 BGB Rz. 10 m.w.N. zum Meinungsstand). Liegt eine rechtsfähige Gesellschaft vor, kommt zum schuldrechtlichen Element der Charakter als Organisationsvertrag hinzu.78 Zur Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft als Folge des organisationsrechtlichen Charakters des Gesellschaftsvertrags s. noch Rz. 21 ff. Zu der Frage, ob der Gesellschaftsvertrag ein gegenseitiger Vertrag ist, vgl. im Kontext der Förderpflichten Rz. 48 ff. e) Vertragsänderung Die Änderung des Gesellschaftsvertrags bedarf grds. einer einstimmigen Entscheidung der 20 Gesellschafter. Dabei ist eine konkludente Änderung durch einvernehmliches Handeln möglich.79 Überdies können die Gesellschafter im Vertrag eine Mehrheitsklausel verankern, die sich auch auf Vertragsänderungen erstreckt. Während das RG und der BGH früher eine konkrete Auflistung der Vertragsgegenstände verlangten, die qua Mehrheitsbeschluss geändert werden können (sog. Bestimmtheitsgrundsatz),80 reicht nach neuerer Rechtsprechung eine allgemein gefasste Mehrheitsklausel i.d.R. als formelle Legitimation für Vertragsänderungsbeschlüsse aus.81 Der Minderheitenschutz erfolgt im Rahmen der materiellen Beschlusskontrolle am Maßstab der Treupflicht (hierzu noch Rz. 63; s. ferner § 714 BGB Rz. 86 ff.); die
77 Habermeier in Staudinger, 2003, § 706 BGB Rz. 25. A.A. Wilhelmi in FS Grunewald, 2021, S. 1337, 1347, der einen Rücktritt für möglich hält. 78 Wertenbruch, GmbHR 2021, 1 Rz. 3. Vgl. ferner Fleischer, DB 2020, 1107, 1112; Geibel, ZRP 2020, 137, 138. Zu weitgehend Martens, AcP 221 (2021), 68, 78 und Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 18, 45 a.E., die den organisationsrechtlichen Charakter des Gesellschaftsvertrags auch bei nicht rechtsfähigen Gesellschaften anerkennen wollen. 79 Zur GmbH & Co. KG BGH v. 29.3.1996 – II ZR 263/94, BGHZ 132, 263, 269 ff. = GmbHR 1996, 456; s. ferner Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 31. 80 RG v. 23.11.1917 – II 242/17, RGZ 91, 166, 168 f.; RG v. 15.5.1936 – II 291/35, RGZ 151, 321, 326 f.; RG v. 13.4.1940 – II 143, 39, RGZ 163, 385, 391 f.; BGH v. 12.11.1952 – II ZR 260/51, BGHZ 8, 35, 38 ff. = NJW 1953, 102; BGH v. 13.7.1967 – II ZR 72/67, BGHZ 48, 251, 253 ff. = NJW 1967, 2157; BGH v. 10.5.1976 – II ZR 180/74, WM 1976, 661, 662 f. 81 BGH v. 15.1.2007 – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 Rz. 9 = GmbHR 2007, 437; BGH v. 24.11.2008 – II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 Rz. 16 = GmbHR 2009, 306; BGH v. 25.5.2009 – II ZR 259/07, ZIP 2009, 1373 Rz. 14; BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rz. 9 f., 14 ff. = GmbHR 2014, 1303. Am Bestimmtheitsgrundsatz weiterhin festhaltend Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 31, § 714 BGB Rz. 22 ff. Zur Rechtsprechungsentwicklung anschaulich Paefgen in FS Grunewald, 2021, S. 831, 832 ff.; Wertenbruch in Fleischer/Thiessen, Gesellschaftsrechts-Geschichten, 2018, S. 637, 642. Koch/Harnos | 11
§ 705 BGB Rz. 20 | Allgemeine Bestimmungen sog. Kernbereichslehre82 hat der BGH nach richtiger, wenn auch umstrittener Lesart aufgegeben (s. auch § 714 BGB Rz. 90).83 f) Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft aa) Überblick 21 Trotz der weitreichenden Kodifizierungsbestrebungen hat das MoPeG ein Institut des Gesell-
schaftsrechts, dessen Kern zum Gewohnheitsrecht erstarkt sein dürfte,84 nicht in Gesetzesbuchstaben gegossen: die Lehre85 von der fehlerhaften Gesellschaft.86 Von einer fehlerhaften Gesellschaft ist die Rede, wenn der Gesellschaftsvertrag an einem Mangel leidet, der nach allgemeinen Regelungen zur Rückabwicklung des Vertrags führen würde. Ein solches Ergebnis kann in einem Widerspruch zu gesellschaftsrechtlichen Wertungen stehen,87 namentlich im Hinblick auf den Umstand, dass der Gesellschaftsvertrag nicht nur ein schlichter Schuldvertrag ist, sondern die Züge eines Organisationsvertrags aufweisen kann (Rz. 19). Der organisationsrechtliche Charakter des Gesellschaftsvertrags ist ein Grund, den eine weit verbreitete Auffassung im Schrifttum zum Anlass nimmt, um unter Berufung auf gesellschaftsrechtliche Besonderheiten die allgemeinen Grundsätze zu modifizieren.88 Zur Begründung der Lehre wird zudem auf den Verkehrsschutzgedanken89 sowie auf die praktischen Schwierigkeiten verwiesen, die mit einer Rückabwicklung einer „lebenden“ Gesellschaft einhergehen.90 Inzwischen überwunden sind hingegen die Lehre vom faktischen Gesellschaftsverhältnis und die Einordnung der fehlerhaften Gesellschaft als eine Fallgruppe der Rechtsscheinhaftung.91 bb) Tatbestand 22 Die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft knüpft in ihrer Grundform an drei Vorausset-
zungen an: Erstens müssen die Gesellschafter einen (nach allgemeinen Grundsätzen nichtigen) Gesellschaftsvertrag abgeschlossen haben (Rz. 23), zweitens muss die Gesellschaft in 82 Dazu BGH v. 14.5.1956 – II ZR 229/54, BGHZ 20, 363, 369 f. = NJW 1956, 1198; BGH v. 19.11.1984 – II ZR 102/84, NJW 1985, 972, 973; BGH v. 10.10.1994 – II ZR 18/94, ZIP 1994, 1942, 1943 f.; BGH v. 29.3.1996 – II ZR 263/94, BGHZ 132, 263, 268 = GmbHR 1996, 456. 83 BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rz. 9 f., 14 ff. = GmbHR 2014, 1303. Die Entscheidung als Aufgabe der Kernbereichslehre deutend Haas/Mohamed in Röhricht/von Westphalen/Haas/ Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 109 HGB Rz. 35 ff.; Escher-Weingart, WM 2016, 1569, 1570; Paefgen in FS Grunewald, 2021, S. 831, 836 ff.; Wertenbruch in Fleischer/Thiessen, Gesellschaftsrechts-Geschichten, 2018, S. 637, 642 ff.; an der Kernbereichslehre festhaltend Heckschen/D. Bachmann, NZG 2015, 531, 534 f.; Kleindiek, GmbHR 2017, 674, 678 f.; Schiffer, BB 2015, 584, 586; T. Seidel/Wolf, BB 2015, 2563, 2564 ff. Zur Rechtsprechungsentwicklung, insb. zur Aufgabe des Bestimmtheitsgrundsatzes und der Kernbereichslehre, vgl. Harnos, Gerichtliche Kontrolldichte im Gesellschaftsrecht, 2021, S. 532 ff., 555 ff. 84 Vorsichtig in diese Richtung Habermeier in Staudinger, 2003, § 705 BGB Rz. 63 a.E. Vgl. ferner Bergmann in jurisPK/BGB, 10. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 14: gesicherter Bestandteil des Gesellschaftsrechts. 85 Zur Verwendung der Begriffe „Lehre“ und „Theorie“ im Gesellschaftsrecht vgl. Fleischer, NZG 2023, 243, 245 f. 86 Vgl. bereits zur Abstinenz des Mauracher Entwurfs Fleischer, DB 2020, 1107, 1112. 87 Dazu bereits frühzeitig BGH v. 24.10.1951 – II ZR 18/51, BGHZ 3, 285, 290 = NJW 1952, 97. 88 C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 338 ff. Krit. aber Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 214b; H.P. Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 74. 89 BGH v. 12.5.2954 – II ZR 167/53, BGHZ 13, 320, 324 = NJW 1954, 1562 (noch von „faktischer Gesellschaft“ sprechend). 90 Vgl. Schöne in BeckOK/BGB, 66. Ed., Stand: 1.5.2023, § 705 BGB Rz. 82. 91 Zur Entwicklung C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 331.
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Rechtsnatur der Gesellschaft | Rz. 23 § 705 BGB
Vollzug gesetzt worden sein (Rz. 24) und es dürfen drittens keine Gründe vorliegen, die aus einer teleologischen Perspektive eine Ausnahme von der Anwendung der Lehre gebieten (Rz. 25 ff.). Unter diesen Voraussetzungen kann jedenfalls eine rechtsfähige Gesellschaft (Außengesellschaft) geschützt sein. Rechtsprechung und Schrifttum wenden die Lehre auch auf Innengesellschaften an,92 namentlich auf die mehrgliedrige stille Gesellschaft.93 Die generelle Erstreckung der Lehre auf nicht rechtsfähige Gesellschaften ist im Hinblick darauf, dass es sich i.d.R. um bloße Schuldverhältnisse und nicht um Organisationsverträge handelt (Rz. 19), nicht gänzlich unbedenklich (krit. auch § 740 BGB Rz. 20 und § 230 HGB Rz. 40),94 in der Praxis aber hinzunehmen. Damit die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft eingreift, müssen die Gesellschafter (zu- 23 mindest konkludent) einen Gesellschaftsvertrag abgeschlossen haben; eine rein faktische Zusammenarbeit reicht nicht aus (zur Überwindung der Lehre vom faktischen Vertrag s. bereits Rz. 21).95 Mindestens eine, auf Vertragsschluss gerichtete, Willenserklärung muss an einem Fehler leiden, der nach allgemeinen Regeln die Nichtigkeit des gesamten Vertrags nach sich zieht. In Betracht kommen insoweit etwa Formmängel (§ 125 BGB; zu etwaigen Einschränkungen der Nichtigkeitsfolgen nach § 139 BGB s. Rz. 13), Beteiligung beschränkt geschäftsfähiger Personen ohne erforderliche Zustimmung (Rz. 8 ff.), Anfechtung (§ 142 BGB), Dissens (§ 156 BGB), Gesetzesverstoß (§ 134 BGB) oder Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB). In der Folgezeit wurde die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft dahin fortentwickelt, dass auch andere gesellschaftsrechtlich relevante Ereignisse in ihren Anwendungsbereich fallen können.96 Zu solchen Ereignissen zählen nach der Rechtsprechung etwa der Beitritt,97 das Ausscheiden,98 die Übertragung eines Gesellschaftsanteils99 oder die Vertragsänderung. Im letztgenannten Fall nimmt die Rechtsprechung jedoch eine Einschränkung dahingehend vor, dass nur solche Änderungen erfasst sind, die den Status der Gesellschaft betreffen; ausgeklammert seien hingegen Modifizierungen des schuldrechtlichen Verhältnisses zwischen den Gesellschaftern.100 Im Schrifttum werden zum Teil andere Abgrenzungskriterien vor92 Ausführlich dazu Bergmann in jurisPK/BGB, 10. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 27; Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 216b ff.; H.P. Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 88; s. ferner Servatius, 2023, § 719 BGB Rz. 22 a.E. 93 BGH v. 21.3.2005 – II ZR 310/03, ZIP 2005, 759; BGH v. 23.7.2013 – II ZR 143/12, ZIP 2013, 1761; BGH v. 19.11.2013 – II ZR 383/12, ZIP 2013, 2355; BGH v. 6.11.2018 – II ZR 57/16, ZIP 2019, 22 Rz. 28. Nicht erfasst sein soll aber die zweigliedrige atypische stille Gesellschaft, vgl. BGH v. 19.7.2004 – II ZR 354/02, ZIP 2004, 1706. 94 Krit. auch C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 344 f., der aber zutr. darauf hinweist, dass eine Ausnahme für Innengesellschaften, die über eine Organisationsstruktur verfügen, veranlasst sein kann. 95 BGH v. 28.11.1953 – II ZR 188/52, BGHZ 11, 190 ff. = NJW 1954, 231 (trotz missverständlicher Terminologie: das Urteil handelt von faktischer Gesellschaft); H.P. Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 75. Vgl. ferner im Kontext einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft (ohne Bezug zur Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft) BGH v. 28.9.2005 – XII ZR 189/02, BGHZ 165, 1 Rz. 27 = FamRZ 2006, 607: Faktische Willensübereinstimmung reiche für die Annahme einer Gesellschaft nicht aus. 96 Vgl. statt vieler Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 222a ff. Im Kapitalgesellschaftsrecht ist von der Lehre vom fehlerhaften Organisationsakt die Rede; vgl. dazu Lieder, DNotZ 2022, 252 ff. und 349 ff. 97 Hierzu etwa BGH v. 28.3.1977 – II ZR 230/75, NJW 1977, 1820; BGH v. 12.10.1987 – II ZR 251/ 86, ZIP 1988, 512; BGH v. 11.5.2016 – XII ZR 147/14, ZIP 2016, 1432; Schöne in BeckOK/BGB, 66. Ed., Stand: 1.5.2023, § 705 BGB Rz. 94. 98 BGH v. 14.4.1969 – II ZR 142/67, NJW 1969, 1483; BGH v. 18.1.1988 – II ZR 140/47ZIP 1988, 509; H.P. Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 86. 99 BGH v. 18.1.1988 – II ZR 140/47, ZIP 1988, 509. Krit. aber Schöne in BeckOK/BGB, 66. Ed., Stand: 1.5.2023, § 705 BGB Rz. 96. 100 BGH v. 10.12.1973 – II ZR 53/72, BGHZ 62, 20, 26 f. = NJW 1974, 498. Koch/Harnos | 13
§ 705 BGB Rz. 23 | Allgemeine Bestimmungen geschlagen101 oder die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft auf alle Vertragsänderungen angewendet.102 24 Zweitens setzt die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft den Vollzug des Gesellschaftsver-
trags voraus.103 Die Gesellschaft muss ihre Tätigkeit – zumindest im Vorbereitungsstadium – aufgenommen haben.104 Teleologischer Hintergrund dieses Merkmals sind Rückabwicklungsschwierigkeiten, die mit dem Vollzug einer „lebenden“ Gesellschaft regelmäßig einhergehen. Demnach ist die Voraussetzung jedenfalls dann erfüllt, wenn die Gesellschaft nach außen im Rechtsverkehr aufgetreten ist und Vertragsverhältnisse begründet hat.105 Nach der Rechtsprechung reicht überdies eine Vertragsdurchführung im Innenverhältnis aus, etwa im Wege der Einlagenleistung.106 Ein so weites Verständnis des Vollzugsbegriffs ist indes bedenklich. Nicht überzeugend ist es zunächst, einen Vollzug einer rechtsfähigen Gesellschaft durch Bildung des Gesellschaftsvermögens (§ 713 BGB) zu bejahen,107 weil sich das Gesellschaftsvermögen auch aus (Sozial-)Ansprüchen der Gesellschaft gegen die Gesellschafter auf Leistung der Gesellschafterbeiträge zusammensetzt und deshalb bereits mit dem Abschluss des Gesellschaftsvertrags mit den darin geregelten Förderpflichten entsteht (§ 713 BGB Rz. 10).108 Dass der Vertrag mit seinem Abschluss zugleich vollzogen wird, erscheint systematisch unstimmig und würde im Ergebnis dem Tatbestandsmerkmal des Vollzugs jegliche Relevanz rauben. Überdies sind bei bloßem Leistungsaustausch im Innenverhältnis meist keine Rückabwicklungsschwierigkeiten zu befürchten, die eine Abkehr von den allgemeinen Grundsätzen des Vertragsrechts gebieten.109 Dies gilt jedenfalls in Fällen, in denen die Einlagen noch im Gesellschaftsvermögen vorhanden sind.110 Auch die Anmeldung zur Eintragung in das Gesellschaftsregister (§§ 707 ff. BGB) dürfte alleine nicht ausreichen, um den Vollzug zu bejahen. Vielmehr dürften auch Aktivitäten im Außenverhältnis erforderlich sein, die zu Rückabwicklungsschwierigkeiten führen.111
25 Die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft greift nicht ein, wenn höherrangige Interessen
eine Ausnahme gebieten. Dies ist nach wohl noch herrschender Ansicht namentlich bei ei-
101 Vgl. etwa C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 348, der auf die Folgen für die Gesellschaftsorganisation abstellt; ähnlich Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2012, § 705 BGB Rz. 91. 102 So Schöne in BeckOK/BGB, 66. Ed., Stand: 1.5.2023, § 705 BGB Rz. 93. In diese Richtung wohl auch H.P. Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 84. Vgl. ferner Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 222j ff. 103 Hierzu etwa Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 218 ff. 104 Habermeier in Staudinger, 2003, § 705 BGB Rz. 66. 105 RG v. 13.11.1940 – II 44/40, RGZ 165, 193, 204; BGH v. 24.10.1951 – II ZR 18/51, BGHZ 3, 285, 287 f. = NJW 1952, 97. 106 BGH v. 12.5.2954 – II ZR 167/53, BGHZ 13, 320, 321 f. = NJW 1954, 1562 (noch von „faktischer Gesellschaft“ sprechend); BGH v. 29.11.2004 – II ZR 6/03, ZIP 2005, 254, 255; BGH v. 23.7.2013 – II ZR 143/12, ZIP 2013, 1761 Rz. 17. 107 So aber BGH v. 12.5.2954 – II ZR 167/53, BGHZ 13, 320, 322 = NJW 1954, 1562 (noch von „faktischer Gesellschaft“ sprechend); Servatius, 2023, § 719 BGB Rz. 22. Folgt man der h.A. dahin, dass die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft auch auf die nicht rechtsfähige Gesellschaft anwendbar ist (Rz. 22), kommt der Vollzug durch Bildung des Gesellschaftsvermögens freilich nicht in Betracht, weil die nicht rechtsfähige Gesellschaft nach § 740 Abs. 1 BGB kein Vermögensträger sein kann (ausf. § 740 BGB Rz. 25 ff.). 108 Darauf im Kontext der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft hinweisend Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 218a. Vgl. ferner C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 202; Wertenbruch, ZPG 2023, 1, 6 f. 109 Vgl. C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 315. 110 Schöne in BeckOK/BGB, 66. Ed., Stand: 1.5.2023, § 705 BGB Rz. 85; H.P. Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 79. 111 Überzeugend C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 315.
14 | Koch/Harnos
Rechtsnatur der Gesellschaft | Rz. 26 § 705 BGB
nem gesetzes- oder sittenwidrigen Gesellschaftszweck (§§ 134, 138 BGB)112 der Fall, den die Rechtsprechung etwa bei Verstößen gegen das RDG,113 gegen kartellrechtliche Vorgaben (§ 1 GWB, Art. 101 AEUV)114 oder bei standesrechtlichen Zusammenschlussverboten115 angenommen hat. Freilich ist genau zu prüfen, ob sich der Gesetzes- und Sittenverstoß auf den gesamten Vertrag bezieht oder nach § 139 BGB nur zur Teilnichtigkeit der bedenklichen Vertragsregelung führt. Im letztgenannten Fall bleibt der Vertrag wirksam und es besteht kein Anlass für die Anwendung der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft.116 Die Ausnahme für Gesetzes- und Sittenverstöße wird von einer verbreiteten Gegenauffassung generell mit der Begründung in Frage gestellt, die Belange der Allgemeinheit müssten nicht zwangsläufig durch das Gesellschaftsrecht geschützt werden, sondern könnten auch mit strafrechtlichen Instrumenten durchgesetzt werden; im Übrigen seien auch in diesen Fällen Rückabwicklungsschwierigkeiten denkbar.117 Diese Argumente haben durchaus Gewicht, es bleibt jedoch zu bedenken, dass die Rechtsordnung keine Erleichterungen für die Abwicklung gesetzes- oder sittenwidriger Zusammenschlüsse zur Verfügung stellen sollte. Namentlich sollten die Gesellschafter – auch im Lichte des § 817 Satz 2 BGB – im Innenverhältnis nicht von dem eigenen Gesetzes- oder Sittenverstoß profitieren. Die Belange des Rechtsverkehrs können mit Hilfe der Rechtsscheingrundsätze gewahrt werden (dazu Rz. 96 ff.).118 Eine weitere Ausnahme ist weitgehend anerkannt, wenn nicht oder beschränkt geschäfts- 26 fähige Personen ohne erforderliche Genehmigungen (s. dazu bereits Rz. 8 ff.) sich an der Gesellschaft beteiligen.119 Solche Personen können ihre Einlage zurückfordern, ohne für die Verluste der Gesellschaft einstehen zu müssen.120 Deren Schutz geht aber – entgegen einer teilweise vertretenen Ansicht121 – nicht so weit, dass sie am Gewinn beteiligt werden; die Figur eines „hinkenden Gesellschafters“ ist nach h.A. nicht anzuerkennen.122 Überdies ist zu beachten, dass die Gesellschaft häufig nach dem Willen der übrigen Gesellschafter fortbestehen soll,123 was allerdings nur dann möglich ist, wenn neben dem nicht oder beschränkt geschäftsfähigen Gesellschafter mindestens zwei weitere Personen an der Gesellschaft beteiligt waren (zur Unzulässigkeit einer Ein-Personen-GbR s. Rz. 7).
112 S. dazu den Überblick bei Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 9. 113 BGH v. 25.3.1974 – II ZR 63/72, BGHZ 62, 234, 241 f. = NJW 1974, 1201. 114 BGH v. 4.3.2008 – KVZ 55/07, WuW/E DE-R 2361 Rz. 16; krit. etwa Palzer, ZGR 2012, 631, 644 ff. Ausführlich zum Problem aus neuerer Zeit Dompke, Unionskartellrechtswidrige Gesellschaftsverträge, 2022. 115 BGH v. 20.3.1986 – II ZR 75/85, BGHZ 97, 243, 250 f. = NJW 1987, 65. 116 Vgl. Bergmann in jurisPK/BGB, 10. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 15; Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 224a; H.P. Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 75. 117 Hierzu etwa Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 105 HGB Rz. 495, 503 f.; Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 105 HGB Rz. 115; C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 318; Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 224b; Wertenbruch in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 105 HGB Rz. 317 f. 118 Zu dieser Diskussion s. Koch, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2023, § 5 Rz. 14; wie hier Servatius, 2023, § 719 BGB Rz. 25. 119 So bereits BGH v. 30.4.1955 – II ZR 202/53, BGHZ 17, 160, 166 ff. = NJW 1955, 1067 (noch von „faktischer Gesellschaft“ sprechend); Servatius, 2023, § 719 BGB Rz. 25. Zweifel an der Fortgeltung der Ausnahme nach Einführung des § 1629a BGB (Beschränkung der Minderjährigenhaftung) sowie § 725 Abs. 4 BGB (Kündigungsrecht des Minderjährigen; früher: § 723 Abs. 1 Satz 3–5 BGB a.F.) indes bei C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 348. Dagegen H.P. Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 76. 120 Schöne in BeckOK/BGB, 66. Ed., Stand: 1.5.2023, § 705 BGB Rz. 88. 121 Vgl. Grunewald, Gesellschaftsrecht, 11. Aufl. 2020, § 1 Rz. 178 mit Fn. 20. 122 Bergmann in jurisPK/BGB, 10. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 20. 123 Schöne in BeckOK/BGB, 66. Ed., Stand: 1.5.2023, § 705 BGB Rz. 89. Koch/Harnos | 15
§ 705 BGB Rz. 27 | Allgemeine Bestimmungen 27 Keine Ausnahme von der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft greift nach h.M. bei An-
fechtung des Gesellschaftsvertrags wegen arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung (§ 123 BGB) ein;124 die getäuschten und bedrohten Gesellschafter sind auf Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen verwiesen.125 Auch beim Widerruf der Beitrittserklärung nach §§ 312g, 355 BGB wird das Rechtsfolgenregime in §§ 355 ff. BGB durch gesellschaftsrechtliche Wertungen verdrängt. Das Verbraucherschutzrecht gebietet es nach h.M. nicht, von den tradierten Grundsätzen des Gesellschaftsrechts abzuweichen.126 Dies dürfte der EuGH-Rechtsprechung standhalten, der allerdings nach Inkrafttreten der Verbraucherrechte-RL noch keine Gelegenheit hatte, zu den Einschränkungen des Verbraucherschutzrechts durch die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft Stellung zu beziehen.127 cc) Rechtsfolgen 28 Sind die (positiven und negativen) Voraussetzungen der Lehre von der fehlerhaften Gesell-
schaft erfüllt, werden die Nichtigkeitsgründe teleologisch reduziert128 und die Gesellschaft wird als nach innen und außen bestehend anerkannt;129 namentlich ist eine Rückabwicklung nach bereicherungsrechtlichen Regeln ausgeschlossen (zur Kündigung und Auseinandersetzung s. noch Rz. 29).130 Im Innenverhältnis gilt Folgendes: Die Organisationsverfassung sowie die Rechte und Pflichten der Gesellschafter, die weiterhin die Förder- und Treupflicht zu beachten haben, ergeben sich aus dem fehlerhaften Gesellschaftsvertrag. Unbeachtlich bleiben aber Vertragsregelungen, die die Fehlerhaftigkeit ausgelöst haben; sie sind im Wege ergänzender Vertragsauslegung oder durch Rückgriff auf Gesetzesrecht zu ersetzen.131 Im Außenverhältnis kann die fehlerhafte Gesellschaft Ansprüche und Verbindlichkeiten begründen.132 Für die Gesellschaftsschulden müssen Gesellschafter nach Maßgabe der §§ 721 ff. BGB einstehen, ohne dass es auf die Grundsätze der Rechtsscheinhaftung ankommt.133 Die Vertretungsbefugnisse richten sich nach dem mangelhaften Gesellschaftsvertrag;134 deliktisches Verhalten wird der fehlerhaften Gesellschaft analog § 31 BGB zugerechnet. 29 Die Fehlerhaftigkeit des Gesellschaftsvertrags ist ein Kündigungsgrund i.S.d. § 731 Abs. 1
Satz 1 BGB.135 Die Gesellschafter können also die Gesellschaft (und nicht nur ihre Mitglied124 Vgl. etwa BGH v. 14.4.1969 – II ZR 142/67, NJW 1969, 1483, der eine Ausnahme im Fall der arglistigen Täuschung nicht diskutiert. Zur Rechtsprechungsentwicklung H.P. Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 77. 125 Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 227. 126 Zur alten Rechtslage (Widerruf nach HWiG) s. etwa BGH v. 29.11.2004 – II ZR 6/03, ZIP 2005, 254, 255; BGH v. 5.5.2008 – II ZR 292/06, ZIP 2008, 1018 Rz. 7 ff. Aus neuerer Zeit Koch, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2023, § 5 Rz. 25 ff. 127 Nach der Rechtslage vor Inkrafttreten der Verbraucherrechte-RL hat der EuGH die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft gebilligt, vgl. EuGH v. 15.4.2010 – C-215/08, ZIP 2010, 772 Rz. 25 ff. 128 Zum Einsatz dieses dogmatischen Instruments Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 214c. 129 Statt vieler Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 219; H.P. Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 73, 81. 130 Etwas anderes gilt nach h.M. nur für Einlagen, die noch in natura vorhanden sind, vgl. H.P. Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 83. 131 H.P. Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 81. 132 BGH v. 8.11.1965 – II ZR 267/64, BGHZ 44, 235, 236 f. = NJW 1966, 107. 133 Vgl. zur Rechtslage vor dem MoPeG Schöne in BeckOK/BGB, 66. Ed., Stand: 1.5.2023, § 705 BGB Rz. 91. Zur Kommanditistenhaftung bei fehlerhaftem Beitritt BGH v. 28.3.1977 – II ZR 230/75, NJW 1977, 1820 f. 134 Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 219. 135 Zur OHG vor dem MoPeG-Zeitalter s. BGH v. 24.10.1951 – II ZR 18/51, BGHZ 3, 285, 290 = NJW 1952, 97. Vgl. ferner Servatius, 2023, § 719 BGB Rz. 24; Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 220.
16 | Koch/Harnos
Rechtsnatur der Gesellschaft | Rz. 31 § 705 BGB
schaft gem. § 725 Abs. 2 Satz 1 BGB) unter Berufung auf den Mangel136 außerordentlich fristlos kündigen, ohne dass ein (weiterer) wichtiger Grund vorliegen muss.137 Die Kündigung führt zur Auflösung der Gesellschaft, der – vorbehaltlich einer anderweitigen vertraglichen Regelung – die Auseinandersetzung nach Maßgabe der §§ 735 ff. BGB folgt.138
3. Gemeinsamer Zweck a) Bedeutung des Tatbestandsmerkmals und Begriffsbestimmung Die Gesellschafter müssen sich im Gesellschaftsvertrag darauf einigen, einen gemeinsamen 30 Zweck – den Gesellschaftszweck139 – zu verfolgen. Es handelt sich um ein zwingendes Merkmal jeder Gesellschaft (Rz. 5), das sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben muss140 und der Abgrenzung zu anderen Rechtsverhältnissen dient (s. noch Rz. 41 ff.). Dem Gesellschaftszweck kommt überdies die Funktion zu, das gesellschaftsbezogene Verhalten der Gesellschafter zu determinieren: Die durch die Gesellschafter ergriffenen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Gesellschaft müssen der Verwirklichung des gemeinsamen Zwecks dienen.141 Zur Abgrenzung zwischen Gesellschaftszweck, Unternehmensgegenstand und Gesellschaftsinteresse s. noch Rz. 35 ff. In der Praxis dürfte in etlichen Verträgen, insbesondere bei Gelegenheitsgesellschaften, eine 31 ausdrückliche Zweckbestimmung fehlen. In einem solchen Fall ist der Zweck im Wege der Auslegung zu ermitteln.142 Ob der Zweck dauerhaft – so i.d.R. bei einer unternehmenstragenden Gesellschaft – oder nur vorübergehend – so namentlich bei einer Gelegenheitsgesellschaft143 – verfolgt wird, spielt nach einhelliger Auffassung keine Rolle.144 Überdies ist konsentiert, dass der Zweck sowohl ein erwerbswirtschaftlicher als auch ein ideeller sein kann, solange er erlaubt ist; nicht in Betracht kommen demnach gesetzes- und sittenwidrige Zwecke (s. §§ 134, 138 BGB).145 Bei Gesetzes- oder Sittenwidrigkeit des Gesellschaftszwecks ist der Gesellschaftsvertrag insgesamt nichtig,146 ohne dass die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft eingreift (vgl. bereits Rz. 25). Allerdings ist zu beachten, dass von einem gesetzesoder sittenwidrigen Zweck nicht automatisch nur deshalb ausgegangen werden darf, weil die Gesellschafter gesetzes- oder sittenwidrige (Einzel-)Maßnahmen treffen, die der Gesellschaft
136 Hierzu BGH v. 23.7.2013 – II ZR 143/12, ZIP 2013, 1761 Rz. 23. 137 Zum alten Recht BGH v. 24.10.1951 – II ZR 18/51, BGHZ 3, 285, 290 ff. = NJW 1952, 97. 138 BGH v. 24.10.1951 – II ZR 18/51, BGHZ 3, 285, 290 = NJW 1952, 97. Zum Abwicklungsverfahren Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 221. 139 Dass zwischen den Begriffen „gemeinsamer Zweck“ und „Gesellschaftszweck“ ein Gleichlauf besteht, wird im Schrifttum augenscheinlich vorausgesetzt, vgl. nur Ballerstedt, JuS 1963, 253. 140 Vgl. BGH v. 8.4.1991 – II ZR 35/90, NJW-RR 1991, 1186, 1187 (im konkreten Fall verneint); Schöne in BeckOK/BGB, 66. Ed., Stand: 1.5.2023, § 705 BGB Rz. 64; H.P. Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 31; Böhmer, JZ 1994, 982, 983. 141 Pointiert Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 8: pflichtenbegründende und rechtsbegrenzende Wirkung des Gesellschaftszwecks. 142 Böhmer, JZ 1994, 982, 983: Indiziensuche. 143 Beispiel bei Böhmer, JZ 1994, 982, 988. 144 Statt vieler Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 109. Zu den Einschränkungen im Hinblick auf einmalige Beitragsleistung s. noch Rz. 45 und Habermeier in Staudinger, 2003, § 705 BGB Rz. 18. 145 Fleischer, DStR 2021, 430, 432. Beispiele bei Servatius in Henssler/Strohn, 5. Aufl. 2021, § 705 BGB Rz. 9. 146 Zur Gesamtnichtigkeit Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 33 a.E.; ohne gesellschaftsrechtlichen Bezug BGH v. 21.3.1977 – II ZR 96/75, BGHZ 68, 204 = NJW 1977, 1233. Koch/Harnos | 17
§ 705 BGB Rz. 31 | Allgemeine Bestimmungen zuzurechnen sind, oder wenn die Tätigkeit der Gesellschaft ohne die erforderliche Genehmigung erbracht wird.147 32 Verfolgt die Gesellschaft einen erwerbswirtschaftlichen Zweck, ist sie nur dann eine GbR,
wenn sie kein Handelsgewerbe (§ 1 HGB) betreibt; anderenfalls ist sie gem. § 105 Abs. 1 HGB als eine OHG zu qualifizieren (dazu § 105 HGB Rz. 6 ff.). Betreibt die Gesellschaft ein Kleingewerbe, ist sie eine GbR, wenn sie nicht im Handelsregister eingetragen ist; dies gilt auch für Vermögensverwaltungsgesellschaften (arg e § 107 Abs. 1 Satz 1 HGB; vgl. dazu § 107 HGB Rz. 18 ff.).148 Ein negatives Merkmal ist zudem die fehlende (konstitutive) Eintragung in das Partnerschaftsregister; es dient der Abgrenzung zwischen GbR und Partnerschaft (vgl. § 7 Abs. 1 PartGG).149 Zur Ausklammerung freier Berufe aus dem Gewerbebegriff s. § 105 HGB Rz. 10. Zur Öffnung des Rechts der Personenhandelsgesellschaften für Angehörige freier Berufe in § 107 Abs. 1 Satz 2 HGB s. § 107 HGB Rz. 24 ff. 33 Wann ein Zweck ein gemeinsamer i.S.d. § 705 Abs. 1 BGB ist,150 wird im Schrifttum unter-
schiedlich beurteilt:151 Während manche darauf abstellen, ob die Gesellschafter eine Zielgemeinschaft bilden,152 halten andere eine allseitige Ergebnisbeteiligung153 oder das gemeinschaftliche Zusammenwirken154 für maßgeblich. Zum Teil wird ein typologischer Merkmalsvergleich dergestalt befürwortet, dass im Rahmen einer Abwägung der relevanten Umstände bestimmt wird, inwieweit ein Gebilde einer typischen Gesellschaft entspricht.155 Vorzugswürdig erscheint ein funktionaler Ansatz dahingehend, dass der gemeinsame Zweck den prägenden Grund für die Übernahme und Erfüllung der Förderpflichten durch Gesellschafter darstellt.156 34 Mit der Vereinbarung eines gemeinsamen Zwecks geht keine Erfolgspflicht dergestalt ein-
her, dass die Gesellschafter den Gesellschaftszweck erreichen müssen. Vielmehr sind die Gesellschafter ausweislich des Wortlauts des § 705 Abs. 1 BGB „nur“ verpflichtet, die Zweck-
147 Zutr. Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 9, der darauf hinweist, dass die fehlende Genehmigung zur Unmöglichkeit der Zweckerreichung und damit zur Auflösung nach § 729 Abs. 2 BGB führen kann (dazu generell § 729 BGB Rz. 17 ff.). 148 Geibel in BeckOGK/BGB, Stand: 1.1.2019, § 705 BGB Rz. 173 f. 149 Geibel in BeckOGK/BGB, Stand: 1.1.2019, § 705 BGB Rz. 175. Zur konstitutiven Wirkung der Eintragung in das Partnerschaftsregister s. C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 7 PartGG Rz. 3. 150 Vom Gesellschaftszweck sind nach einhelliger Auffassung die (mitunter individuellen) Motive der Gesellschafter zu unterscheiden, die nicht Gegenstand der vertraglichen Vereinbarung geworden sind, vgl. dazu Fikentscher in FS H. Westermann, 1974, S. 87, 95; C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/ PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 150; H.P. Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 30a. 151 Aufschlussreicher Überblick bei Lüdeking, AcP 220 (2020), 303, 323 ff. 152 So Ballerstedt, JuS 1963, 253, 255; Böhmer, JZ 1994, 982, 983 ff. Vgl. ferner Schöne in BeckOK/ BGB, 65. Ed. Stand: 1.2.2023, § 705 BGB Rz. 64: gemeinsamer Zweck als Hauptzweck aller Beteiligten; ähnlich wohl Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2012, § 705 BGB Rz. 36; H.P. Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 31. 153 Dafür Schulze-Osterloh, Der gemeinsame Zweck der Personengesellschaften, 1973, S. 21 ff. 154 Fikentscher in FS H. Westermann, 1974, S. 87, 96. In diese Richtung auch Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2012, § 705 BGB Rz. 36. 155 Vgl. Geibel in BeckOGK/BGB, Stand: 1.1.2019, § 705 BGB Rz. 146 ff. 156 Ausführlich Lüdeking, AcP 220 (2020), 303, 329 ff., der von einer Rechtsgrundvereinbarung (causa societatis) spricht. In diese Richtung auch C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 145, 151. Vgl. ferner Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 125: Der Fortbestand des gemeinsamen Zwecks reiche über die bereits durchgeführten Förderungsmaßnahmen hinaus. Für einen systematischen Gleichlauf zwischen § 705 BGB a.F. einerseits und § 812 Abs. 1 Satz 2 Var. 2 BGB (Zweckverfehlungskondiktion) andererseits Ballerstedt, JuS 1963, 253.
18 | Koch/Harnos
Rechtsnatur der Gesellschaft | Rz. 35 § 705 BGB
erreichung zu fördern.157 Dies leuchtet auch deshalb ein, weil namentlich der Zweck der unternehmenstragenden Gesellschaften offen formuliert werden kann („Betrieb eines Unternehmens“), so dass die Zweckerreichung im Sinne eines Enderfolges nicht in Betracht kommt. Vielmehr wird der Gesellschaftszweck laufend erreicht, solange die betriebswirtschaftliche Betätigung der Gesellschaft andauert. Im Hinblick darauf ist die Zweckerreichung Gegenstand einer verhaltensbezogenen Leistungspflicht.158 Dagegen kann die Förderpflicht durchaus als eine erfolgsbezogene Leistungspflicht eingeordnet werden, wenn sie auf Leistung von Beiträgen gerichtet ist (s. noch Rz. 44 f.). Wird der Zweck erreicht oder ist seine Erreichung unmöglich, wird die Gesellschaft nach § 729 Abs. 2 BGB aufgelöst (hierzu § 729 BGB Rz. 17 ff.).159 In einem solchen Fall kommt es zu einer Zweckänderung: Der Gesellschaftszweck ist nunmehr auf die Liquidation ausgerichtet (s. noch Rz. 40 und § 729 BGB Rz. 30). b) Systematisierung: Gesellschaftszweck, Unternehmensgegenstand und Gesellschaftsinteresse Anders als im kapitalgesellschaftsrechtlichen Schrifttum wird in der personengesellschafts- 35 rechtlichen Kommentarliteratur die Unterscheidung zwischen Gesellschaftszweck einerseits und Unternehmensgegenstand andererseits selten aufgegriffen.160 Im Kapitalgesellschaftsrecht161 wird unter dem Gesellschaftszweck der finale Sinn des Zusammenschlusses („Endziel“162) verstanden.163 Dagegen stellt der Unternehmensgegenstand das Tätigkeitsfeld der Gesellschaft und damit das Mittel zur Zweckerreichung dar.164 Diese Unterscheidung spielt im Kapitalgesellschaftsrecht eine große Rolle, weil der Gesellschaftszweck nicht zwingend
157 A.A. offenbar Bergmann in jurisPK/BGB, 10. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 32: Durch das Zusammenwirken der Gesellschafter müsse der Zweck erreicht werden. 158 Schall, ZIP 2020, 1443, 1448 („keine Zweckerreichungspflicht“); Sharei, NZG 2023, 200, 201. 159 Ausführlich und mit Bezügen zum allgemeinen Leistungsstörungsrecht Sharei, NZG 2023, 200 ff.; vgl. ferner Geibel in BeckOGK/BGB, Stand: 1.1.2019, § 705 BGB Rz. 150. 160 Vgl. Ballerstedt, JuS 1963, 253, 254: Streit über den Unterschied zwischen Zweck und Gegenstand der Gesellschaft habe für § 705 BGB nur mittelbare Bedeutung. Siehe aber C. Schäfer in Staub, 5. Aufl. 2009, § 105 HGB Rz. 21, der (im Anschluss an den Wortlaut des § 105 Abs. 1 HGB) den Betrieb eines Handelsgewerbes unter gemeinschaftlicher Firma als den Zweck einer OHG bezeichnet und es für möglich hält, dass die OHG daneben einen Unternehmensgegenstand hat, in dem der Gesellschaftszweck auf eine bestimmte Art von Geschäften konkretisiert wird. Ähnlich Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 105 HGB Rz. 18. Für einen Gleichlauf der Begriffe „Gesellschaftszweck“ und „Unternehmensgegenstand“ aber offenbar Haas/Wöstmann in Röhricht/von Westphalen/Haas/ Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 105 HGB Rz. 16 ff. 161 Auch das Vereinsrecht kennt eine vergleichbare Kategorisierung: Während der Vereinszweck (auch Verbandszweck genannt) die abstrakte Zielsetzung des Vereins im Sinne eines obersten Leitsatzes festlegt, adressiert der Gegenstand der Vereinstätigkeit das Mittel zur Erreichung des Vereinszwecks, vgl. Leuschner in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2021, § 33 BGB Rz. 11. 162 Vgl. Fleischer in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 1 GmbHG Rz. 9: Endzweck (mit Verweisen auf schweizerisches Schrifttum). Zu anderen Deutungen dieses Begriffs im Sinne eines (individuellen) Endzwecks der einzelnen Gesellschafter, der vom gemeinsamen Zwischenzweck (Gesellschaftszweck) abzugrenzen ist (dazu etwa BGH v. 29.1.1951 – IV ZR 171/50, NJW 1951, 308; OLG München v. 9.2.1968 – 8 U 2225/67, NJW 1968, 1384, 1385; Ballerstedt, JuS 1963, 253, 254 f.; Fikentscher in FS H. Westermann, 1974, S. 87, 95, 106), zu Recht kritisch Lüdeking, AcP 220 (2020), 303, 323 f. 163 Vgl. AK Bilanzrecht Hochschullehrer Rechtswissenschaft, ZIP 2021, S3, S16 mit weiterführenden Erwägungen zur Unterscheidung zwischen Beiträgen und Einlagen; hierzu auch § 709 BGB Rz. 6. 164 Vgl. statt vieler Altmeppen, 11. Aufl. 2023, § 1 GmbHG Rz. 4 ff.; Koch, 17. Aufl. 2023, § 23 AktG Rz. 22. Koch/Harnos | 19
§ 705 BGB Rz. 35 | Allgemeine Bestimmungen in der Satzung festgelegt werden muss165 und analog § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB nur einstimmig geändert werden kann,166 während der Unternehmensgegenstand nach § 23 Abs. 3 Nr. 2 AktG, § 3 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG zwingender Satzungsbestandteil ist und mit satzungsändernder Mehrheit (§ 179 Abs. 2 AktG, § 53 Abs. 2 GmbHG) modifiziert werden kann. 36 Im Personengesellschaftsrecht erscheint eine solche Differenzierung weniger dringlich, weil
sich der Gesellschaftszweck aus der vertraglichen Vereinbarung ergeben muss (Rz. 30) und der Gesellschaftsvertrag ohnehin grds. nur einstimmig geändert werden kann (Rz. 20).167 Dennoch ist es ratsam, auch in Personengesellschaften mit erwerbswirtschaftlicher Zielrichtung in Anknüpfung an die kapitalgesellschaftsrechtliche Dogmatik zu unterscheiden zwischen dem Gesellschaftszweck, der im Betrieb eines Unternehmens liegt, und dem Unternehmensgegenstand, der das Betätigungsfeld der Gesellschaft näher umschreibt.168 37 Vom Gesellschaftszweck ist ferner das Gesellschaftsinteresse zu unterscheiden:169 Während
der Gesellschaftszweck als das „Endziel“ des Verbands (Rz. 35) mit dem Abschluss des Gesellschaftsvertrags festgelegt wird und im Hinblick auf § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB einen statischen Charakter hat, dient das Gesellschaftsinteresse dazu, den Gesellschaftern in konkreten Einzelfällen während des Verbandslebens eine Richtschnur für die Entscheidungsfindung an die Hand zu geben. Vor diesem Hintergrund hat das Gesellschaftsinteresse einen dynamischen Charakter und lässt sich als das Resultat einer Abwägung zwischen widerstreitenden Gesellschafterinteressen umschreiben, die in der jeweiligen Entscheidungssituation durch das zuständige Gesellschaftsorgan – sei es den geschäftsführenden Gesellschafter, sei es die Gesellschafterversammlung im Rahmen des Beschlussverfahrens – durchgeführt wird; dabei dient der Gesellschaftszweck als die äußerste Grenze der Abwägung.170 Alle Maßnahmen der Gesellschafter, gleich in welcher Funktion sie getroffen werden, müssen dem Gesellschaftsinteresse – und damit auch dem Gesellschaftszweck – entsprechen.
165 Cramer in Scholz, 13. Aufl. 2022, § 1 GmbHG Rz. 3; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2019, § 1 GmbHG Rz. 4. Ist der Gesellschaftszweck nicht in der Satzung angegeben, so ist davon auszugehen, dass er auf Gewinnerzielung ausgerichtet ist, vgl. Koch, 17. Aufl. 2023, § 23 AktG Rz. 22. Die Zweckangabe ist aber nach § 57 Abs. 1 BGB in der Vereinssatzung erforderlich. 166 Statt vieler Cramer in Scholz, 13. Aufl. 2022, § 1 GmbHG Rz. 3; Koch, 17. Aufl. 2023, § 23 AktG Rz. 22. 167 Eine Differenzierung kann aber in Fällen erforderlich sein, in denen der Gesellschaftsvertrag eine allgemein gefasste Mehrheitsklausel enthält und sich die Mehrheit darauf stützt, den Gesellschaftszweck qua Mehrheitsbeschluss zu ändern. In einem solchen Fall könnte im Lichte der Vorgaben zur Abbedingung des § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB der – von der Rechtsprechung aufgegebene (Rz. 20) – Bestimmtheitsgrundsatz wieder aufleben: Rechtsprechung und Schrifttum im Vereinsrecht halten eine allgemein gefasste Satzungsänderungsklausel, die die notwendige Stimmenmehrheit regelt, für nicht ausreichend, um darauf einen mehrheitlich gefassten Zweckänderungsbeschluss zu stützen, vgl. BGH v. 11.11.1985 – II ZB 5/85, BGHZ 96, 245, 249 ff. = ZIP 1986, 368 = NJW 1986, 1033; OLG Köln v. 29.11.1994 – 24 U 101/94, NJW-RR 1996, 1180; Leuschner in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2021, § 33 BGB Rz. 24. Ob diese Grundsätze auf Zweckänderungen im Personengesellschaftsrecht übertragbar sind oder ob die Aufgabe des Bestimmtheitsgrundsatzes (und der Kernbereichslehre) zugunsten einer an der mitgliedschaftlichen Treuepflicht ausgerichteten materiellen Beschlusskontrolle (s. Rz. 63 und § 714 BGB Rz. 94 ff.) auch insoweit gilt, bedarf weiterer Diskussion. 168 Ähnlich Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 105 HGB Rz. 18; C. Schäfer in Staub, 5. Aufl. 2009, § 105 HGB Rz. 21. 169 Für ein gleichsinniges Begriffsverständnis aber Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963, S. 318: siamesische Zwillingsbrüder; ähnlich Lutter, ZHR 153 (1989), 446, 455 (zur AG). Vgl. ferner Maier, Faktischer Bezugsrechtsausschluss, 2014, S. 103; Mayer, Materielle Beschlusskontrolle im Kapitalgesellschaftsrecht, 2013, S. 240; Verse, Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Kapitalgesellschaften, 2006, S. 254; Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 36; Wallisch, Unternehmerische Entscheidungen der Hauptversammlung, 2014, S. 124; Wandrey, Materielle Beschlusskontrolle im Aktienrecht, 2012, S. 143. 170 Ausf. dazu Harnos, Gerichtliche Kontrolldichte im Gesellschaftsrecht, 2021, S. 545 ff. Vgl. ferner Geiger, Mitgliedschaftseingriff und Normprägung, 2020, S. 254, 257.
20 | Koch/Harnos
Rechtsnatur der Gesellschaft | Rz. 39 § 705 BGB
c) Beispiele Als Beispiele für den gemeinsamen Zweck werden genannt:171 Betrieb eines (kleingewerb- 38 lichen oder freiberuflichen) Unternehmens (vgl. dazu auch § 705 Abs. 3 BGB und Rz. 102); Herstellung oder Erwerb eines Gegenstands; Bebauung eines Grundstücks; Durchführung einer Wertpapieremission (Emissionskonsortium);172 Verwaltung von Gesellschaftsanteilen; Führung eines (Muster-)Rechtsstreits; Beteiligung an einem Wettspiel; gemeinsamer Transport (Fahrgemeinschaft); Koordinierung des Stimmverhaltens in einer anderen Gesellschaft (Stimmrechtspool); Schaffung eines Kunstwerks; Aufführung eines Theaterstücks; Veranstaltung einer (Urlaubs-)Reise; gemeinsame Anmietung einer Wohnung173 (zur Einordnung als rechtsfähige oder nicht rechtsfähige GbR s. noch Rz. 92 und Rz. 95); Errichtung einer Kapitalgesellschaft (GbR als Vorgründungsgesellschaft);174 Betrieb einer sog. Decentralized Autonomous Organization (DAO, s. dazu sogleich in Rz. 39)175. Die DAO ist eine auf Blockchain176 basierende Computeranwendung,177 deren Initiatoren178 39 Kapital für Investitionszwecke einsammeln. Dabei sprechen die in Rz. 12 dargestellten Indizien dafür, dass die an der DAO beteiligten Kapitalgeber i.d.R. mit Rechtsbindungswillen handeln und eine vertragliche Verbindung eingehen.179 Die DAO zeichnet sich dadurch aus, dass die Investitionsentscheidungen nicht (zentral) vom Management, sondern (dezentral) von den Kapitalgebern getroffen werden. Die Modalitäten der Entscheidungsfindung, namentlich die erforderlichen Mehrheiten, sind im Beteiligungsvertrag festgelegt.180 Die Funktion der DAO als Kapitalsammelbecken spricht dafür, sie – die (nicht unproblematische) 171 Zum Folgenden Schöne in BeckOK/BGB, 66. Ed., Stand: 1.5.2023, § 705 BGB Rz. 63; H.P. Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 30a; Ballerstedt, JuS 1963, 253, 254; Böhmer, JZ 1994, 982, 983. 172 A.A. neuerdings Nazari-Khanachayi, WM 2020, 2056, 2062, dessen Argument – der Abschied des MoPeG-Gesetzgebers vom Leitbild der Gelegenheitsgesellschaft (dazu Rz. 71) – jedoch nicht überzeugt, weil das neue Leitbild der rechtsfähigen Dauergesellschaft bei Lichte besehen keinen Einfluss auf die vertragstypologische Qualifizierung von Konsortien und sonstigen Modellen der Zusammenarbeit hat. Zu Konsortien als GbR s. C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, Vor § 705 BGB Rz. 52 ff. 173 Grunewald, JZ 2015, 1027 ff.; Staake in Staake/von Bressensdorf, Rechtshdb. WG, 2019, § 1 Rz. 27; H.P. Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, Vor § 705 BGB Rz. 53. Zum „WG-Gesellschaftsrecht“ Sagan in Staake/von Bressensdorf, Rechtshdb. WG, 2019, § 14 Rz. 1 ff. 174 Hierzu etwa Bergmann in jurisPK/BGB, 10. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 38 f. 175 H.M., vgl. Fleischer, ZIP 2021, 2205, 2207; Mann, NZG 2017, 1014, 1017; Schwemmer, AcP 221 (2021), 555, 570 f.; Spindler, ZGR 2018, 17, 51; Spindler, RDi 2021, 309 Rz. 10; Teichmann, ZfPW 2019, 247, 269. Für Einordnung als KG Zetzsche, ZGR 2022, 698, 715, 720 ff. 176 Zur Blockchain im DAO-Kontext etwa Mann, NZG 2017, 1014 f.; Schwemmer, AcP 221 (2021), 555, 560 ff.; Spindler, RDi 2021, 309 Rz. 2 ff.; Zetzsche, ZGR 2022, 698, 701 ff.; s. ferner Kaulartz, CR 2016, 474 ff. 177 Die DAO wird auf Grundlage der sog. smart contracts betrieben, also einer Software, in der die Vertragsbestimmungen niedergelegt sind und die in der Lage ist, die Vertragspflichten durchzusetzen; s. dazu statt vieler mit Beispielen Kaulartz/Heckmann, CR 2016, 618 ff. Im gesellschaftsrechtlichen Kontext Schwemmer, AcP 221 (2021), 555, 561; Spindler, ZGR 2018, 17, 47; Teichmann, ZfPW 2019, 247, 267; Zetzsche, ZGR 2022, 698, 703 (mit der zutr. Bemerkung, dass smart contracts weder smart noch contracts sind). 178 Zur Rechtsstellung des Initiators s. Mann, NZG 2017, 1014, 1017. 179 Fleischer, ZIP 2021, 2205, 2207; Mann, NZG 2017, 1014, 1016 f.; Schwemmer, AcP 221 (2021), 555, 566 f.; Spindler, RDi 2021, 309 Rz. 10; Teichmann, ZfPW 2019, 247, 268 f. Zurückhaltender aber Langenbucher, AcP 218 (2018), 385, 422 ff. 180 Zur Funktionsweise und Ausgestaltung der DAO s. etwa Fleischer, ZIP 2021, 2205 f.; Schwemmer, AcP 221 (2021), 555, 562 ff.; Spindler, RDi 2021, 309 Rz. 8 ff.; Teichmann, ZfPW 2019, 247, 266 f. Zum sog. DAO-Hack – also der Ausnutzung einer Softwarelücke im smart contract einer DAO, um das gesammelte Kapital an einen Investor zu transferieren – s. Heckmann, CR 2016, R99. Koch/Harnos | 21
§ 705 BGB Rz. 39 | Allgemeine Bestimmungen Anwendbarkeit des deutschen Rechts vorausgesetzt181 – den für die Publikumspersonengesellschaft geltenden Regeln zu unterwerfen (zum Recht der Publikumspersonengesellschaft s. § 161 HGB Rz. 151 ff. [Hoch-Loy]).182 40 Die in Rz. 38 genannten Zwecke ändern sich, sobald die Gesellschaft aufgelöst ist (§§ 729 ff.
BGB). Nach der Auflösung liegt der Zweck darin, die Auseinandersetzung der Gesellschaft zu betreiben, also alle Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, um die Gesellschaft abzuwickeln (§ 729 BGB Rz. 30).183 d) Gesellschaftszweck als Abgrenzungskriterium 41 Die Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks erlaubt es, die Gesellschaft von anderen Rechts-
verhältnissen abzugrenzen.184 So verfolgen die Mitglieder einer Bruchteilsgemeinschaft i.S.d. §§ 741 ff. BGB keinen gemeinsamen Zweck.185 Vielmehr steht ihnen ein Vermögensgegenstand zu, den sie gemeinschaftlich halten und verwalten; die Interessengemeinschaft geht nicht über den Gegenstand hinaus.186 Da sich die Abgrenzung im Einzelfall als schwierig erweisen kann, es ist ratsam, ebenfalls an die Frage anzuknüpfen, ob die beteiligten Personen vertraglich Förderpflichten (Rz. 44 f.) übernommen haben.187 Dies dürfte der Fall sein, wenn der Gesellschaftszweck im Halten und gewinnorientierten Verwalten liegt.188 Denkbar ist auch, dass ein Gesellschaftsverhältnis und eine Bruchteilsgemeinschaft nacheinander geschaltet sind, wie etwa in einem Fall, in dem mehrere Personen zusammenwirken, um einen Gegenstand anzuschaffen (Gesellschaft, §§ 705 ff. BGB), den sie sodann gemeinschaftlich halten und verwalten (Gemeinschaft, §§ 741 ff. BGB).189 Zur Abgrenzung zwischen Gesellschaft und Bruchteilsgemeinschaft s. auch § 740 BGB Rz. 7 f. 42 Auch einem partiarischen Darlehen und sonstigen partiarischen Rechtsverhältnissen, bei
denen das Entgelt (insgesamt oder teilweise) in Form der Gewinnbeteiligung eines Vertragspartners vereinbart wird,190 liegt kein gemeinsamer Zweck der Vertragsparteien zugrunde, sondern die Parteien verfolgen – wie in einem klassischen Austauschgeschäft – ihre eigenen
181 Zu diesem Problem Fleischer, ZIP 2021, 2205, 2208 f.; Mann, NZG 2017, 1014, 1018 f.; Spindler, RDi 2021, 309 Rz. 13 ff.; Teichmann, ZfPW 2019, 247, 270; Zetzsche, ZGR 2022, 698, 711 ff. 182 Vgl. Fleischer, ZIP 2021, 2205, 2207; Spindler, RDi 2021, 309 Rz. 10 ff.; skeptisch aber Langenbucher, AcP 218 (2018), 385, 423. 183 Vgl. nur BGH v. 5.7.2011 – II ZR 199/10, ZIP 2011, 1865 Rz. 20; BGH v. 17.9.2012 – II ZR 68/11, NZG 2014, 302 Rz. 38. 184 Ausführlich Geibel in BeckOGK/BGB, Stand: 1.1.2019, § 705 BGB Rz. 129 ff. 185 Vgl. OLG München v. 9.2.1968 – 8 U 2225/67, NJW 1968, 1384, 1385; anderer Ansatz bei Bergmann in jurisPK/BGB, 10. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 33, der im Anschluss an K. Schmidt in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 741 BGB Rz. 4 die Unterscheidung als ein Problem der Vermögenszuordnung versteht. 186 Koch, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. 2023, § 1 Rz. 9. 187 Darauf abstellend C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, Vor § 705 BGB Rz. 130. 188 Zu einem solchen Fall BGH v. 25.3.2014 – II ZB 3/13 Rz. 1. Vgl. ferner C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, Vor § 705 BGB Rz. 131: Auch „Halten und Verwalten“ könne ein Gesellschaftszweck sein. 189 Beispiel bei Ballerstedt, JuS 1963, 253, 260. 190 Zur Definition der partiarischen Rechtsverhältnisse s. nur BFH v. 22.6.2010 – I R 78/09, DStR 2010, 2448 Rz. 17; BFH v. 28.11.2019 – IV 54/16, GmbHR 2020, 489 Rz. 33; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, 4. Aufl. 2019, § 230 HGB Rz. 54. Speziell zu partiarischen Dienst-, Miet- und Pachtverträgen C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, Vor § 705 BGB Rz. 116 f.
22 | Koch/Harnos
Rechtsnatur der Gesellschaft | Rz. 43 § 705 BGB
Interessen.191 Ein Beispiel aus neuerer Zeit ist das sog. Crowdinvesting.192 Freilich kann die Abgrenzung im Einzelfall schwierig sein, weil sich ein partiarisches Rechtsverhältnis gerade dadurch auszeichnet, dass ein Vertragspartner – wie in einer (stillen) Gesellschaft – am Erfolg eines wirtschaftlichen Vorhabens beteiligt ist.193 Für die Qualifizierung des Vertrags ist eine Gesamtbetrachtung der Vertragsumstände maßgeblich,194 wobei die durch die Parteien gewählte Formulierung als bloßes Indiz herangezogen werden kann (zur Abgrenzung s. auch § 230 HGB Rz. 15).195 Für einen Interessengleichlauf und damit für das Vorliegen einer Gesellschaft sprechen etwa die Verlustbeteiligung,196 die Einräumung von Kontroll- und Mitwirkungsbefugnissen,197 die interne Zuständigkeitsverteilung198 oder die Beteiligung im Gründungsstadium.199 Für ein partiarisches Rechtsverhältnis sprechen der Ausschluss oder zumindest die erhebliche Beschränkung der Mitwirkungs- und Kontrollbefugnisse, die nach dem gesetzlichen Leitbild einem Gesellschafter zustehen,200 die Einräumung von Sicherheiten für die Leistung eines Vertragspartners201 oder das Recht eines Vertragspartners, sich vom Vertrag kurzzeitig zu lösen.202 Schließlich kann das Tatbestandsmerkmal des gemeinsamen Zwecks aufgegriffen werden, 43 um agile Softwareentwicklungsprojekte, die mit Hilfe der Scrum-Methode verwirklicht werden, vertragstypologisch einzuordnen. Die agile Softwareentwicklung zeichnet sich dadurch aus, dass das Projekt nicht (wie es der klassischen Softwareentwicklung nach der Wasserfall-Methode203 entspricht) von vornherein geplant und linear umgesetzt wird. Vielmehr werden die zu Beginn noch nicht im Einzelnen definierten Projektergebnisse in wiederkehrenden Arbeitsabschnitten (sog. Sprints), an denen Unternehmensangehörige beider Vertragsparteien teilnehmen, schrittweise entwickelt.204 Von einer solchen Methodik verspre-
191 Darauf abstellend etwa BFH v. 28.11.2019 – IV 54/16, GmbHR 2020, 489 Rz. 33 ff. Vgl. ferner BGH v. 10.10.1994 – II ZR 32/94, BGHZ 127, 176, 177 = ZIP 1994, 1847 = NJW 1995, 192, der in erster Linie auf die gemeinsame Zweckverfolgung abstellt. 192 Siehe nur Danwerth, ZBB 2016, 20, 23; Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 14 a.E.; zur Einordnung nach VermAnlG vgl. überblicksartig und m.w.N. Assmann in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, Prospektrecht Kommentar, 4. Aufl. 2022, Einleitung VermAnlG Rz. 15. 193 Aus diesem Grund kommt der Gewinnbeteiligung als solcher keine Bedeutung für die Abgrenzung zu, s. C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, Vor § 705 BGB Rz. 114. 194 Ganz h.M., s. nur BGH v. 19.9.1951 – II ZR 20/51, BB 1951, 849; BGH v. 22.11.1965 – II ZR 189/ 63, NJW 1966, 501; BGH v. 26.6.1989 – II ZR 128/88, NJW 1990, 573, 574; BGH v. 10.10.1994 – II ZR 32/94, BGHZ 127, 176, 178 ff. = ZIP 1994, 1847 = NJW 1995, 192; C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, Vor § 705 BGB Rz. 115. Zum Teil wird maßgeblich darauf abgestellt, ob der Kapitalgeber einen Anspruch auf Geschäftsführung durch den Geschäftsinhaber hat, vgl. Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 13 a.E. 195 BFH v. 28.11.2019 – IV R 54/16, GmbHR 2020, 489 Rz. 35; Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 13. 196 BGH v. 10.10.1994 – II ZR 32/94, BGHZ 127, 176, 181 = ZIP 1994, 1847 = NJW 1995, 192; BFH v. 28.11.2019 – IV 54/16, GmbHR 2020, 489 Rz. 36; a.A. etwa Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 13. 197 BGH v. 19.9.1951 – II ZR 20/51, BB 1951, 849; BGH v. 26.6.1989 – II ZR 128/88, NJW 1990, 573, 574; BGH v. 29.6.1992 – II ZR 284/91, GmbHR 1992, 747 = NJW 1992, 2696; BFH v. 10.2.1978 – III R 115/76, NJW 1978, 1280; a.A. etwa Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 13. 198 BGH v. 20.12.1952 – II ZR 44/52, BGHZ 8, 249, 255 = NJW 1953, 418. 199 BFH v. 10.2.1978 – III R 115/76, NJW 1978, 1280; H.P. Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 8. 200 BGH v. 29.1.1951 – IV ZR 171/50, NJW 1951, 308. 201 BGH v. 10.10.1994 – II ZR 32/94, BGHZ 127, 176, 178 = ZIP 1994, 1847 = NJW 1995, 192. 202 BFH v. 10.2.1978 – III R 115/76, NJW 1978, 1280. 203 Statt vieler Ernst, CR 2017, 285, 288; Gennen in Schwartmann, Praxishdb. Medien-, IT- und Urheberrecht, 4. Aufl. 2017, Kap. 21 Rz. 225 ff., 283; Lutz/Bach, BB 2017, 3016; Schuster in Schuster/ Grützmacher, IT-Recht, § 631 BGB Rz. 23 ff.; Söbbing, ITRB 2014, 214, 215. 204 Zu Besonderheiten und Vertragsgestaltung bei agilem Softwareentwicklungsprojekt s. etwa Ernst, CR 2017, 285, 288 ff.; Frank, CR 2011, 138, 141 ff.; Fuchs/Meierhöfer/Morsbach/Pahlow, MMR Koch/Harnos | 23
§ 705 BGB Rz. 43 | Allgemeine Bestimmungen chen sich die Beteiligten, mit dem Projektfortschritt neue Erkenntnisse zu gewinnen, um auf dieser Grundlage den Projektplan laufend aktualisieren zu können.205 Im Hinblick auf die kooperative Arbeitsweise wird im Schrifttum die Frage aufgeworfen, ob ein agiles Softwareentwicklungsprojekt auf Grundlage des Gesellschaftsvertrags umgesetzt wird.206 Dies ist i.d.R. zu verneinen:207 Die agile Arbeitsmethode rechtfertigt für sich genommen nicht die Annahme, dass die Parteien einen gemeinsamen Zweck verfolgen.208 Vielmehr stehen sich die Projektbeteiligten – trotz der Kooperation im Zuge der Projektdurchführung – wie die Parteien eines klassischen Austauschvertrags gegenüber:209 Der Auftraggeber vergütet ein IT-Unternehmen für die Entwicklung einer Software.210
4. Förderpflichten a) Vertragliche Festlegung der Förderpflichten 44 Schließlich setzt eine Gesellschaft voraus, dass die Gesellschafter Förderpflichten zur Errei-
chung des gemeinsamen Zwecks (s. bereits Rz. 30 ff.) festgelegt haben.211 Dass alle Gesellschafter am Ergebnis der Gesellschaft beteiligt sind, ist dagegen nach heute ganz h.M. nicht erforderlich. Eine sog. societas leonina, in der einem Gesellschafter der Löwenanteil des Gewinns zusteht,212 ist demnach in Grenzen des § 138 BGB213 zulässig.214 Zur beitragslosen Beteiligung eines Minderjährigen s. bereits Rz. 8. Die Pflicht zur Förderung des Gesellschaftszwecks muss sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben; freilich reicht eine konkludente Festlegung der Förderpflichten aus. Der Gegenstand der Förderpflicht kann vielfältig ausgestaltet sein, was in § 709 BGB bestätigt wird (zu Formvorgaben bei bestimmten Förder-
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2012, 427 ff.; Gennen in Schwartmann, Praxishdb. Medien-, IT- und Urheberrecht, 4. Aufl. 2017, Kap. 21 Rz. 284 ff.; Lutz/Bach, BB 2017, 3016 f.; Redeker, ITRB 2020, 147 ff.; Schuster in Schuster/ Grützmacher, IT-Recht, § 631 BGB Rz. 27 ff.; Söbbing, ITRB 2014, 214, 215 ff. Zu den Vor- und Nachteilen der Scrum-Methode s. etwa Ernst, CR 2017, 285, 289 ff.; Gennen in Schwartmann, Praxishdb. Medien-, IT- und Urheberrecht, 4. Aufl. 2017, Kap. 21 Rz. 286 f.; Schneider in Schneider, Hdb. EDV-Recht, 5. Aufl. 2017, M. Rz. 30 ff.; Schuster in Schuster/Grützmacher, IT-Recht, § 631 BGB Rz. 28. Vgl. Lapp, ITRB 2010, 69, 70, der zugleich darauf hinweist, dass die gesellschaftsvertragliche Bindung von den Parteien meist nicht gewollt ist, und davon ausgehend empfiehlt, die Projektverantwortung und die Mitwirkungspflichten im Vertrag klar zu definieren, um die Errichtung einer GbR zu vermeiden; s. ferner Frank, CR 2011, 138, 139 f.; Meyer-van Raay/Höffler/Wallbank, ITRB 2021, 65, 66; Söbbing, ITRB 2023, 135, 138 f. Ausf. Fuchs/Meierhöfer/Morsbach/Pahlow, MMR 2012, 427, 430 f.; vgl. ferner Schuster in Schuster/Grützmacher, IT-Recht, § 631 BGB Rz. 31. Freilich können die Vertragsparteien ausdrücklich für die Ausgestaltung als GbR optieren; speziell zur Arbeitsgemeinschaft (ARGE) s. Söbbing, ITRB 2023, 135, 138 f. Zur vertragstypologischen Einordnung, speziell zur Abgrenzung zwischen Dienst- und Werkvertrag, s. etwa Ernst, CR 2017, 285, 286 ff.; Fuchs/Meierhöfer/Morsbach/Pahlow, MMR 2012, 427, 429 ff.; Lutz/Bach, BB 2017, 3016, 3017 ff.; Redeker, ITRB 2020, 147, 149 f.; Schuster in Schuster/ Grützmacher, IT-Recht, § 631 BGB Rz. 29 ff.; Welkenbach, CR 2017, 639, 642 ff. So auch Schuster in Schuster/Grützmacher, IT-Recht, § 631 BGB Rz. 31. Missverständlich insoweit Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 125, wonach die Beitragspflicht kein charakteristisches Merkmal der GbR umschreibe. Vgl. bereits zum Mauracher Entwurf AK Bilanzrecht Hochschullehrer Rechtswissenschaft, ZIP 2021, S3, S16. Vgl. Schücking in MünchHdb/GbR, 5. Aufl. 2019, § 2 Rz. 34. Hierzu BGH v. 4.6.2013 – II ZR 207/10, ZIP 2013, 1620 Rz. 17 ff. (im konkreten Fall verneint). Vgl. BGH v. 6.4.1987 – II ZR 101/86, NJW 1987, 3124, 3125 = ZIP 1987, 909; C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 Rz. 152 ff.; H.P. Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 32; Lüdeking, AcP 220 (2020), 303, 325 f. A.A. noch Schulze-Osterloh, Der gemeinsame Zweck der Personengesellschaften, 1973, S. 21 ff.
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Rechtsnatur der Gesellschaft | Rz. 46 § 705 BGB
pflichten s. bereits Rz. 13 f.). Zwar handelt § 709 BGB von Beiträgen, doch spricht im Lichte des Gesetzeswortlauts und der Materialien215 viel dafür, die Begriffe „Beitragspflicht“ und „Förderpflicht“ synonym zu verwenden.216 Nach § 709 Abs. 1 BGB kann der Beitrag eines Gesellschafters in jeder Förderung des gemeinsamen Zwecks, auch in Leistung von Diensten, bestehen (dazu ausführlich und mit Beispielen § 709 BGB Rz. 9 ff.). Bei Sachleistungen spielt es keine Rolle, ob der Gesellschafter das Eigentum an der Sache überträgt oder der Gesellschaft die Gebrauchsüberlassung auf Zeit gewährt.217 Im Fall einer Dienstleistung ist die Beitragspflicht als eine verhaltensbezogene, im Fall der Sachleistung als eine erfolgsbezogene Leistungspflicht zu qualifizieren (s. dazu bereits Rz. 34).218 Die h.M. betont, dass die Förderpflicht wegen des Charakters des Gesellschaftsvertrags als 45 ein Dauerschuldverhältnis eine dauernde sein muss; eine einmalige Beitragspflicht spräche gegen eine Gesellschaft und für ein Schenkungs- oder Austauschverhältnis (dazu auch § 709 BGB Rz. 9).219 Dies trifft insoweit zu, als eine Gesellschaft jedenfalls dann nicht vorliegen dürfte, wenn alle Vertragsparteien zu einmaligen Leistungen verpflichtet sind. In einem solchen Fall liegt es in der Tat nahe, einen Schenkungs- oder Austauschvertrag anzunehmen.220 Anders kann die Rechtslage aber zu beurteilen sein, wenn sich einzelne Gesellschafter zur einmaligen Beitragsleistung (etwa Zahlung einer Geldsumme oder Überlassung eines Gegenstandes) verpflichtet haben, während andere eine fortdauernde Förderung des gemeinsamen Zwecks durch sonstige Leistungen versprochen haben. Auch wenn eine solche Gestaltung vom Idealbild einer GbR als Arbeits- und Haftungsgemeinschaft abweicht, spricht doch nichts dagegen, die Zusage einer einmaligen Leistung durch einzelne Gesellschafter als die Übernahme einer – für die Errichtung einer Gesellschaft ausreichenden – Förderpflicht i.S.d. § 705 Abs. 1 BGB einzuordnen. Es steht den Gesellschaftern frei, ihre Beziehungen privatautonom dergestalt auszuformen, dass nur manche Gesellschafter zur dauernden Förderung des Gesellschaftszwecks – etwa durch Tätigkeiten für die Gesellschaft – verpflichtet sind, während sich der Einsatz anderer Mitglieder in Geldzahlung oder Überlassung eines Gegenstands erschöpft. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Zahlungshöhe oder der Gegenstandswert so erheblich sind, dass sie im Hinblick auf ihre Bedeutung für das Gesellschaftsvermögen nicht wesentlich hinter den dauerhaften Beitragsleistungen liegen. Freilich unterliegen Gesellschafter, deren Förderpflicht sich in einer einmaligen Leistung erschöpft, der mitgliedschaftlichen Treupflicht (Rz. 57 ff.). b) Anwendung des Leistungsstörungs- und Gewährleistungsrechts aa) Überblick Kommen die Gesellschafter ihren Förderpflichten nicht oder nicht vertragsgemäß nach, dis- 46 kutieren Rechtsprechung und Schrifttum seit jeher, ob und inwieweit das Leistungsstörungsrecht angewendet werden kann. Wie bereits in Rz. 19 erläutert, verbietet es der Dauerschuldcharakter des Gesellschaftsvertrags, bei Leistungsstörungen auf die Regelungen über das Rücktrittsrecht zurückzugreifen. Vielmehr kommt eine Kündigung der Gesellschaft nach § 731 BGB in Betracht. Ein früher umstrittenes Problem, das sich im Zuge des MoPeG weit215 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 125, die im Kontext des § 705 Abs. 1 von Beiträgen spricht. 216 Vgl. AK Bilanzrecht Hochschullehrer Rechtswissenschaft, ZIP 2021, S3, S16 mit weiterführenden Erwägungen zur Unterscheidung zwischen Beiträgen und Einlagen. 217 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 142. 218 Zu dieser Unterscheidung im Kontext des Gesellschaftszwecks Sharei, NZG 2023, 200, 201 f. 219 RG v. 30.9.1911 – V 591/10, RGZ 77, 223, 237; BGH v. 8.4.1991 – II ZR 35/90, NJW-RR 1991, 1186, 1187 (zu Bauherrengemeinschaft); C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 156; Schöne in BeckOK/BGB, 66. Ed., Stand: 1.5.2023, § 705 BGB Rz. 65. 220 Auf einen solchen Fall abstellend Habermeier in Staudinger, 2003, § 705 BGB Rz. 18. Koch/Harnos | 25
§ 705 BGB Rz. 46 | Allgemeine Bestimmungen gehend erledigt hat, betrifft die Anwendung der Regelungen über die gegenseitigen Verträge in §§ 320 ff. BGB (s. sogleich in Rz. 48 f.). Problematisch ist zudem, ob die Vorschriften über den Schadensersatz in §§ 280 ff. BGB eingreifen können (dazu Rz. 51 ff.) und ob die gewährleistungsrechtlichen Regelungen in §§ 434 ff. BGB, §§ 536 ff. BGB entsprechend angewendet werden können, wenn ein Gesellschafter die versprochene (Sach-)Einlage mangelhaft erbringt (dazu Rz. 54 f.). 47 Die nachstehenden Grundsätze gelten im Sinne einer Auffanglösung für den Fall, dass der
Gesellschaftsvertrag keine abweichende Regelung enthält. Namentlich kommt es in Betracht, die Rechtsfolgen einer Leistungsstörung – sei es Unmöglichkeit, sei es Mangelhaftigkeit – im Hinblick auf eine Sacheinlage vertraglich zugunsten einer Differenzhaftung festzulegen. Eine solche Vertragsregelung bildet das Rechtsfolgenregime des § 9 GmbHG nach und dürfte unbedenklich sein.221 bb) Kein synallagmatischer Charakter des Gesellschaftsvertrags 48 Im Vergleich zu § 705 BGB a.F. spricht der Wortlaut des § 705 Abs. 1 BGB nicht mehr davon,
dass sich die Gesellschafter gegenseitig zur Beitragsleistung verpflichten. Diese Wortlautänderung ist zu begrüßen, weil der MoPeG-Gesetzgeber damit zur Lösung des Streits beigetragen hat, ob der Gesellschaftsvertrag ein gegenseitiger Vertrag i.S.d. §§ 320 ff. BGB sei. Vor dem MoPeG stand ein Teil des Schrifttums auf dem Standpunkt, dass der Gesellschaftsvertrag zwar ein gegenseitiger ist, die Vorschriften über die gegenseitigen Verträge in §§ 320 ff. BGB aber dennoch grundsätzlich nicht auf das Beitragsverhältnis anzuwenden seien.222 Andere haben den Gesellschaftsvertrag von vornherein nicht als einen gegenseitigen Vertrag eingeordnet, womit automatisch die Unanwendbarkeit der §§ 320 ff. BGB einherging.223 Die Anwendung der §§ 320 ff. BGB wurde lediglich im (Ausnahme-)Fall einer Zweipersonengesellschaft befürwortet.224 49 Nach der zu Beginn der Rz. 48 dargestellten Wortlautänderung im Zuge des MoPeG spre-
chen die besseren Argumente dafür, den Gesellschaftsvertrag nicht als einen gegenseitigen Vertrag einzuordnen.225 Der Wortlaut des § 705 Abs. 1 BGB ist keine Klippe mehr, die es zu umschiffen gilt, um dieses Ergebnis zu begründen. Auch stehen die Gesetzesmaterialien zum MoPeG einer solchen dogmatischen Einordnung des Gesellschaftsvertrags nicht entgegen: Der Regierungsentwurf lässt die Entscheidung dieser Frage offen und betont lediglich pragmatisch, dass eine uneingeschränkte Anwendung der §§ 320 ff. BGB nicht in Betracht kommt.226 Aus einem systematischen Blickwinkel ist zu berücksichtigen, dass die Förderpflichten gegenüber der Gesellschaft und nicht gegenüber den einzelnen Gesellschafter zu erbringen sind.227 Ausschlaggebend sind in systematisch-teleologischer Hinsicht die Unter-
221 Habermeier in Staudinger, 2003, § 706 BGB Rz. 20. 222 So Bergmann in jurisPK/BGB, 10. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 11; Geibel in BeckOGK/BGB, Stand: 1.1.2019, § 705 BGB Rz. 76 ff.; Hüttemann, Leistungsstörungen bei Personengesellschaften, 1998, S. 76 ff. Hd 255/71 Aus der Rechtsprechung BGH v. 29.1.1951 – IV ZR 171/50, NJW 1951, 308. Für großzügigere Anwendung der §§ 320 ff. BGB aber Szalai, Personengesellschaften, Rechtsfähigkeit und Leistungsstörungen, 2013, S. 170 ff.; Wilhelmi in FS Grunewald, 2021, S. 1337, 1338 ff. 223 Vgl. Schöne in BeckOK/BGB, 66. Ed., Stand: 1.5.2023, § 705 BGB Rz. 67; Ballerstedt, JuS 1963, 253 f., 259; H.P. Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 43. 224 So auch noch für die Rechtslage nach MoPeG C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 171. 225 Wertenbruch, ZPG 2023, 1 3 f.; von einer Bestätigung spricht C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 164; vgl. ferner H.P. Westermann, DZWiR 2020, 321, 323. 226 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 125. 227 Vgl. Wertenbruch, ZPG 2023, 1, 4 (im Zusammenhang mit §§ 320 ff. BGB) und 6 f. (im Kontext des Gesellschaftsvermögens).
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Rechtsnatur der Gesellschaft | Rz. 52 § 705 BGB
schiede zwischen dem Gesellschafts- und Austauschvertrag: Während die Parteien eines Austauschvertrags ihre Leistungen im Sinne des „do ut des“-Grundsatzes erbringen, erfüllen die Gesellschafter die Förderpflichten, um den gemeinsamen Zweck zu erreichen.228 Es fehlt die starke Verbindung zwischen den jeweiligen Leistungen, die das Synallagma ausmacht. Will man dennoch auch nach MoPeG an der Einordnung des Gesellschaftsvertrags als gegen- 50 seitigem Vertrag festhalten, sind die §§ 320 ff. BGB in Fortführung der schon früher h.M. und im Einklang mit den Gesetzesmaterialien nicht auf die Förderpflichten anzuwenden.229 Dies sollte konsequent – entgegen der früher h.A. – auch für den Fall einer zweigliedrigen Gesellschaft gelten. Der Umstand, dass nur zwei Personen den Gesellschaftsvertrag abgeschlossen haben, ist für sich genommen kein Grund, um die Rechtsfolgen der §§ 320 ff. BGB auszulösen. Um den vertragstreuen Gesellschafter vor Vertragsbrüchen des anderen Teils zu schützen, erscheint ein Rückgriff auf die mitgliedschaftliche Treupflicht (Rz. 57 ff.) und den Gleichbehandlungsgrundsatz (Rz. 65 ff.) vorzugswürdig, die eine flexible Lösung des jeweiligen Falls ermöglichen (s. auch § 709 BGB Rz. 16).230 cc) Unmöglichkeit Lehnt man mit der hier vertretenen Auffassung die Qualifizierung des Gesellschaftsvertrags 51 als gegenseitigen Vertrag ab, bleibt die Frage offen, inwieweit das allgemeine Leistungsstörungsrecht jenseits der §§ 320 ff. BGB und das Mängelgewährleistungsrecht anzuwenden sind, wenn ein Gesellschafter die Förderpflichten nicht oder schlecht erfüllt.231 Ist die Erfüllung der Förderpflicht nach § 275 Abs. 1–3 BGB unmöglich, sind – vorbehaltlich einer anderweitigen vertraglichen Regelung (Rz. 47) – die in § 275 Abs. 4 BGB aufgezählten Regelungen mit Ausnahme des § 326 BGB, der einen gegenseitigen Vertrag voraussetzt (Rz. 48 ff.; vgl. ferner § 709 BGB Rz. 16),232 grundsätzlich anwendbar.233 Im Fall der anfänglichen Unmöglichkeit bleibt der Gesellschaftsvertrag gem. § 311a Abs. 1 BGB wirksam und der nach § 275 Abs. 1–3 BGB von der primären Leistungspflicht befreite Gesellschafter kann nach Maßgabe des § 311a Abs. 2 BGB auf Schadens- oder Aufwendungsersatz (§ 284 BGB) in Anspruch genommen werden. Hinsichtlich des Vertretenmüssens gilt § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB, d.h. entscheidend ist der Kenntnisstand des Gesellschafters beim Vertragsschluss (s. auch § 709 BGB Rz. 16).234 Im Fall der nachträglichen Unmöglichkeit richtet sich der Schadensersatzanspruch nach 52 § 280 Abs. 1 und 3, § 283 BGB; das Vertretenmüssen bezieht sich auf die Herbeiführung der Unmöglichkeit und wird nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB vermutet. Die Anwendung des Schadensersatzrechts darf allerdings nicht dazu führen, dass der Gesellschaftsvertrag rückabgewickelt wird. Dies stünde mit dem Dauerschuldcharakter des Gesellschaftsvertrags im Widerspruch und führte zur Umgehung des Kündigungsregimes in §§ 725, 731 BGB (s. bereits
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Hierzu bereits Ballerstedt, JuS 1963, 253, 254; aus neuerer Zeit Wertenbruch, ZPG 2023, 1, 3 f. Zutr. Bachmann, NJW 2021, 3073 Rz. 4 a.E.: §§ 320 ff. BGB passen auf die GbR nicht wirklich. In diese Richtung bereits vor dem MoPeG Habermeier in Staudinger, 2003, § 706 BGB Rz. 24. Zur Offenheit des Gesetzes in dieser Hinsicht vgl. Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 391; Fleischer, DStR 2021, 430, 432. Zur generellen Anwendbarkeit des allgemeinen Leistungsstörungsrechts vorbehaltlich gesellschaftsrechtlicher Wertungen Wilhelmi in FS Grunewald, 2021, S. 1337, 1338. 232 A.A. Habermeier in Staudinger, 2003, § 706 BGB Rz. 20, der die Befreiung der Gesellschaft von der Leistungspflicht gegenüber dem Gesellschafter für denkbar hält; so auch Wilhelmi in FS Grunewald, 2021, S. 1337, 1345, 1351 f. 233 Siehe nur Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 394. Abweichender Ansatz bei Szalai, Personengesellschaften, Rechtsfähigkeit und Leistungsstörungen, 2013, S. 237 ff., 272 ff. 234 Habermeier in Staudinger, 2003, § 706 BGB Rz. 21. Koch/Harnos | 27
§ 705 BGB Rz. 52 | Allgemeine Bestimmungen im Kontext des Rücktritts Rz. 19 und Rz. 46). Denkbar sind ferner Ansprüche aus § 284 BGB (Aufwendungsersatz) und § 285 BGB (Herausgabe des stellvertretenden commodum).235 In allen in Rz. 51 f. genannten Fällen ist die Gesellschaft die Gläubigerin des jeweiligen Sekundäranspruchs. dd) Nichtleistung 53 Ist die Förderpflicht möglich, erfüllt sie der Gesellschafter aber dennoch nicht, kann er nach
Maßgabe des § 286 BGB in Verzug geraten mit der Folge, dass er gem. § 280 Abs. 2 BGB Schadensersatz neben der Leistung und – im Fall einer Geldeinlage – nach § 288 BGB Verzugszinsen zu leisten hat; zudem greift die Haftungsverschärfung nach § 287 BGB ein (s. auch § 709 BGB Rz. 17).236 Denkbar ist ferner, dass der säumige Gesellschafter Schadensersatz statt der Leistung gem. § 280 Abs. 1 und 3, § 281 BGB oder Aufwendungsersatz nach § 284 BGB schuldet. Hinsichtlich der Abgrenzung des Schadensersatzes neben und statt der Leistung wegen Nichtleistung gelten die allgemeinen Grundsätze;237 eine Modifizierung wegen gesellschaftsrechtlicher Besonderheiten erscheint nicht notwendig. Wie in Fällen der Unmöglichkeit (Rz. 51 f.) stehen die Ansprüche wegen Nichtleistung der Gesellschaft zu und die Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs aus § 280 Abs. 1 und 3, § 281 BGB darf nicht zu einer Rückabwicklung des Gesellschaftsvertrags führen.238 ee) Beitragsmängel 54 Leistet der Gesellschafter (Inferent) eine mangelhafte Sacheinlage, will die wohl h.A. das
Mängelgewährleistungsrecht anwenden. Soll die Sache dauerhaft bei der Gesellschaft verbleiben, wird eine Analogie zu §§ 434 ff. BGB befürwortet; bei Gebrauchsüberlassung auf Zeit sollen die §§ 536 ff. BGB einschlägig sein.239 Zum Teil wird aber auch die Anwendung des allgemeinen Leistungsstörungsrechts240 oder eine (verschuldensunabhängige) Differenzhaftung241 vorgeschlagen. Die letztgenannten Vorschläge vermögen nicht zu überzeugen. Der „isolierte“ Rückgriff auf das allgemeine Leistungsstörungsrecht entspricht zwar der Gesetzessystematik und kann bei vordergründiger Betrachtung die Regelungslücke schließen, die für die entsprechende Anwendung des Mängelgewährleistungsrechts erforderlich ist, es bleibt jedoch zu beachten, dass das Gewährleistungsrecht gerade auf Fälle der mangelhaften Leistung zugeschnitten ist und deshalb der Interessenlage der Gesellschafter besser entsprechen kann als §§ 280 ff. BGB; dies gilt namentlich für die Nacherfüllungspflicht. Was die Differenzhaftung angeht, entzieht die Streichung des Begriffs „gegenseitig“ aus dem Wortlaut des § 705 Abs. 1 BGB (dazu bereits Rz. 49) – entgegen einer im Schrifttum vereinzelt vertretenen Auffassung242 – nicht die Analogiegrundlage zur Mangelhaftung bei Fehlern von Sacheinlagen. Die Wortlautänderung spielt nur im Kontext der §§ 320 ff. BGB eine Rolle.
235 Vgl. C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 709 BGB Rz. 21. 236 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 393; hierzu auch Szalai, Personengesellschaften, Rechtsfähigkeit und Leistungsstörungen, 2013, S. 385 ff. 237 Siehe dazu statt vieler Ulber in Erman, 17. Aufl. 2023, § 280 BGB Rz. 8 ff. 238 A.A. hinsichtlich der Rückabwicklung Wilhelmi in FS Grunewald, 2021, S. 1337, 1346 f., der aber zutr. von der Gläubigerstellung der Gesellschaft ausgeht. 239 Bergmann in jurisPK/BGB, 10. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 10, 12; C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/ PartG, 9. Aufl. 2023, § 709 BGB Rz. 22 ff.; Schöne in BeckOK/BGB, 66. Ed., Stand: 1.5.2023, § 706 BGB Rz. 18. Ohne Differenzierung zwischen dauerhafter und vorübergehender Überlassung auf §§ 434 ff. BGB abstellend Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 395; Wilhelmi in FS Grunewald, 2021, S. 1337, 1347 ff. 240 Dafür Habermeier in Staudinger, 2003, § 706 BGB Rz. 23. 241 Schall, ZIP 2020, 1443, 1448. 242 Vgl. ohne weitere Begründung Schall, ZIP 2020, 1443, 1448.
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Rechtsnatur der Gesellschaft | Rz. 56 § 705 BGB
Auch wenn das Mängelgewährleistungsrecht in seinem unmittelbaren Anwendungsbereich naturgemäß für gegenseitige Verträge gilt, beruhen die gewährleistungsrechtlichen Rechtsbehelfe nicht auf dem synallagmatischen Charakter der Verträge, sondern schlicht auf dem Umstand, dass eine Partei ihren Vertragspflichten nicht nachgekommen ist. Anders als die §§ 320 ff. BGB löst das Gewährleistungsrecht i.d.R. keine Automatismen – wie die Einrede des nicht erfüllten Vertrags oder den Wegfall der Gegenleistungspflicht – aus, die dem Wesen der Gesellschaft als eines auf Erreichung eines gemeinsamen Zwecks ausgerichteten Verhältnisses unvereinbar sind. Hinzu kommt, dass die verschuldensunabhängige Differenzhaftung den pflichtvergessenen 55 Gesellschafter im Vergleich zum ausdifferenzierten System des Mängelgewährleistungsrechts über Gebühr belasten kann. Deshalb erscheint die Anwendung des Mängelgewährleistungsrechts in Fällen einer fehlerhaften Sacheinlage im Ausgangspunkt vorzugswürdig (so auch § 709 BGB Rz. 18 f.).243 Gleichwohl dürfte eine Differenzierung zwischen einer dauerhaften Übertragung eines Gegenstandes und einer vorübergehenden Gebrauchsüberlassung angezeigt sein. Soll der Gegenstand dauerhaft im Gesellschaftsvermögen verbleiben, spricht nichts gegen die Anwendung der §§ 434 ff. BGB. Das bedeutet, dass die Mangelhaftigkeit nach Maßgabe des § 434 BGB zu beurteilen ist244 und die Gesellschaft die in § 437 Nr. 1 und 3 BGB genannten Rechtsbehelfe geltend machen kann;245 dagegen widersprechen der Rücktritt und die Minderung dem Charakter des Gesellschaftsvertrags als Dauerschuldverhältnis (zum Rücktritt bereits Rz. 19 und Rz. 46; vgl. ferner § 709 BGB Rz. 19).246 Schuldet der Gesellschafter die Gebrauchsüberlassung auf Zeit, passen die mietrechtlichen Vorgaben nicht Recht auf das Gesellschaftsverhältnis. Dies gilt zunächst für die dauerhafte Instandhaltungspflicht aus § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB, aber auch für die Minderung qua Gesetz nach § 536 BGB und die Garantiehaftung aus § 536a Abs. 1 Var. 1 BGB.247 c) Mitgliedschaft; ungeschriebene Gesellschafterpflichten aa) Rechte und Pflichten aus der Mitgliedschaft Die Übernahme von Förderpflichten ist eine Voraussetzung für die Errichtung einer Gesell- 56 schaft (Rz. 44). Ist eine Gesellschaft errichtet, ergeben sich die (laufenden) Pflichten aus dem Gesellschaftsvertrag und aus dem Gesetz. Dabei wird traditionell zwischen Verwaltungsund Vermögenspflichten unterschieden. Zu den Verwaltungspflichten gehören gem. § 715 Abs. 1 BGB namentlich die Pflicht zur Geschäftsführung, deren Verletzung gem. § 280 Abs. 1 BGB Schadensersatzansprüche der Gesellschaft nach sich ziehen kann (§ 715 BGB Rz. 24) und mit der das – ebenfalls in § 715 Abs. 1 BGB verankerte – Geschäftsführungsrecht als Verwaltungsrecht korrespondiert (§ 715 BGB Rz. 5 ff.; zum Grundsatz der Selbstorganschaft § 715 BGB Rz. 14). Weitere Verwaltungsrechte sind das Kontrollrecht nach § 717 BGB, das
243 Freilich ist es denkbar, dass sich die Differenzhaftung aus dem Gesellschaftsvertrag ergibt, vgl. Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 395. 244 Zu § 434 BGB a.F. Szalai, Personengesellschaften, Rechtsfähigkeit und Leistungsstörungen, 2013, S. 374 ff.; Wilhelmi in FS Grunewald, 2021, S. 1337, 1348. 245 Folgt man der hier vertretenen Auffassung dahin, dass der Gesellschaftsvertrag kein Synallagma begründet und §§ 320 ff. BGB deshalb nicht anwendbar sind, kommt die Geltendmachung der Mängeleinrede aus § 320 Abs. 1 BGB i.V.m. § 439 Abs. 1 BGB allerdings nicht in Betracht; a.A. Wilhelmi in FS Grunewald, 2021, S. 1337, 1348, 1352 f. 246 C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 706 BGB Rz. 23; Schöne in BeckOK/BGB, 66. Ed., Stand: 1.5.2023, § 706 BGB Rz. 18; Szalai, Personengesellschaften, Rechtsfähigkeit und Leistungsstörungen, 2013, S. 373. Für die Anwendung auch des § 437 Nr. 2 BGB Wilhelmi in FS Grunewald, 2021, S. 1337, 1349 f., 1353. 247 A.A. Bergmann in jurisPK/BGB, 10. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 12, der nur § 535 Abs. 1 Satz 2, § 538 BGB nicht anwenden will. Koch/Harnos | 29
§ 705 BGB Rz. 56 | Allgemeine Bestimmungen Recht zur Beschlussfassung (Stimmrecht) nach § 714 BGB und das Klagerecht (actio pro societate) nach § 715b BGB. Zu den Vermögenspflichten zählt insbesondere die Beitragspflicht (s. § 709 BGB Rz. 5 ff.); daneben kann die Gesellschafter eine Nachschusspflicht treffen (§ 737 BGB Rz. 1 ff.; zum Mehrbelastungsverbot und dessen Abdingbarkeit § 710 BGB Rz. 6 ff.). Mit den Vermögenspflichten korrespondieren die Vermögensrechte auf Gewinnverteilung (§ 718 BGB Rz. 13 ff.) und auf ein etwaiges Auseinandersetzungsguthaben (§ 736d BGB Rz. 20 ff.); zu nennen ist ferner der Aufwendungsersatzanspruch aus § 716 BGB. Neben die geschriebenen Verwaltungs- und Vermögenspflichten treten ungeschriebene Gesellschafterpflichten in Gestalt der mitgliedschaftlichen Treupflicht (Rz. 57 ff.) und des Gleichbehandlungsgebots (Rz. 65 ff.). Das vorstehend skizzierte Bündel aus Gesellschafterrechten und -pflichten wird als Mitgliedschaft bezeichnet (hierzu ausf. § 708 BGB Rz. 15 ff.),248 das als ein subjektives Recht i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB anerkannt ist (§ 708 BGB Rz. 33).249 Während die Verwaltungsrechte nach § 711a Satz 1 BGB dem Abspaltungsverbot unterliegen, können die vermögenswerten Ansprüche gem. § 711a Satz 2 BGB abgetreten werden (im Einzelnen § 711a BGB Rz. 18 ff.). Ausf. zu den Mitgliedsrechten § 708 BGB Rz. 42 ff.; zu den Mitgliedspflichten § 708 BGB Rz. 70 ff. bb) Mitgliedschaftliche Treupflicht 57 Die mitgliedschaftliche Treupflicht (Loyalitätspflicht) ist eine gesellschaftsrechtliche General-
klausel, die im Bereich des Personengesellschaftsrechts dem Grunde seit Beginn des 20. Jahrhunderts anerkannt ist250 und in der Folgezeit fortentwickelt und präzisiert wurde. Das teleologische Fundament der Treupflicht bildet die Unvollständigkeit des Gesellschaftsvertrags, die sich weder qua Gesetz noch mit kautelarjuristischen Instrumenten beheben lässt:251 Die Konflikte zwischen den Gesellschaftern sind zu vielfältig, um sie im Rahmen der Vertragsgestaltung vorherzusehen und zu regeln. Begrenzt sind auch die Möglichkeiten des Gesetzgebers, die Konfliktlösungsinstrumente in subsumtionsfähige Tatbestände zu gießen. Dabei ist das Zusammenwirken in einer Gesellschaft für Machtungleichgewichte anfällig, die einen fruchtbaren Boden für opportunistisches Verhalten bieten.252 Vor diesem Hintergrund bedarf es der Treupflicht, die die Gesellschafter abstrakt zur Verfolgung der gemeinsamen Interessen und gegenseitiger Rücksichtnahme verpflichtet.253 58 Der Geltungsgrund der Treupflicht ist umstritten: Zum Teil wird sie auf § 242 BGB, zum
Teil auf das Vertragsverhältnis zwischen Gesellschaftern gestützt.254 Die Bedeutung dieser Kontroverse sollte nicht überbewertet werden: Auf der einen Seite kann der Inhalt des § 242 BGB nicht ohne Blick auf das konkrete Schuldverhältnis bestimmt werden, auf der anderen Seite lässt sich der Vertragsinhalt nicht gänzlich ohne Rückgriff auf den Grundsatz von Treu
248 Vgl. nur Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 151 ff. 249 BGH v. 12.3.1990 – II ZR 179/89, BGHZ 110, 323 = ZIP 1990, 1067 (zum Verein); Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 156 (mit restriktiver Tendenz); eingehend dazu Habersack, Die Mitgliedschaft – subjektives und ‚sonstiges’ Recht, 1996. 250 Vgl. RG v. 3.4.1908 – II 608/07, Warn. 1908 Nr. 464; RG v. 13.4.1912 – IV 353/11/5, LZ 1912, 545; RG v. 5.10.1912 – VI 155/12, JW 1913, 29. 251 In der (Rechts-)Ökonomie ist vom relationalen Charakter des Gesellschaftsvertrags die Rede; hierzu aus dem juristischen Schrifttum statt vieler Fleischer, ZGR 2001, 1, 4 f.; Klöhn, AcP 216 (2016), 281, 298 f.; s. ferner Harnos, Gerichtliche Kontrolldichte im Gesellschaftsrecht, 2021, S. 131 f.; Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 157a a.E. 252 Vgl. dazu kompakt Harnos, Gerichtliche Kontrolldichte im Gesellschaftsrecht, 2021, S. 123 ff. 253 Hierzu bereits Harnos, Gerichtliche Kontrolldichte im Gesellschaftsrecht, 2021, S. 535 ff. 254 Für den erstgenannten Ansatz etwa H.P. Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 49; für die zweitgenannte Deutung Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2012, § 705 BGB Rz. 58; Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 157a.
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Rechtsnatur der Gesellschaft | Rz. 60 § 705 BGB
und Glauben ermitteln.255 Namentlich hat der Meinungsstreit keine Bedeutung für die Frage nach der Abdingbarkeit der Treupflicht: Selbst wenn man den – nach § 708 BGB im Innenverhältnis abdingbaren – Gesellschaftsvertrag als Geltungsgrund ansieht, lässt sich die Generalklausel nicht in Gänze qua Vertragsvereinbarung wie „Die Treupflicht gilt nicht“ ausschließen.256 Vielmehr steht es den Gesellschaftern nur frei, einzelne Ausprägungen des Treuegedankens zu konkretisieren oder zu modifizieren.257 Wollte man einen generellen vertraglichen Ausschluss der Treupflicht zulassen, wäre ihr Zweck konterkariert, auf unvorhersehbare Konflikte mit einem flexiblen Instrument reagieren zu können. Nach h.A. entfaltet die Treupflicht in zwei Stoßrichtungen Wirkung: Zum einen bestehen 59 Loyalitätsbindungen im Vertikalverhältnis zwischen den Gesellschaftern und der Gesellschaft,258 zum anderen im Horizontalverhältnis zwischen den Gesellschaftern (§ 708 BGB Rz. 25).259 Im Vertikalverhältnis adressiert die Treupflicht in erster Linie Angelegenheiten, die Interessen aller Gesellschafter berühren, namentlich solche im Zusammenhang mit der Geschäftsführung. Insoweit hält sie die Gesellschafter dazu an, die Interessen der gesamten Gruppe im Blick zu behalten.260 Im Horizontalverhältnis zielt die Treupflicht auf Belange, die einzelne Gesellschafter betreffen, nicht aber die Gesellschaft als solche oder die Interessen aller Gesellschafter. Hierzu gehören Auflösungsvorgänge, Vertragsänderungen und Ausübung von Übernahmerechten. In diesem Kontext sind die Gesellschafter verpflichtet, bei der Verfolgung von eigenen Interessen auch auf die Interessen der Mitgesellschafter Rücksicht zu nehmen.261 Die Intensität der Treupflicht hängt zunächst von der Realstruktur der Gesellschaft im Ein- 60 zelfall ab (s. auch § 708 BGB Rz. 24 a.E.): In einer (gesetzestypischen) Gesellschaft mit einer kleinen Anzahl von Gesellschaftern, die eine echte Arbeits- und Haftungsgemeinschaft bilden, sind die Loyalitätsbindungen stärker ausgeprägt als in einer (Publikums-)Gesellschaft mit einem großen Gesellschafterkreis.262 Eine gewichtige Rolle spielt überdies die Machtstellung des Gesellschafters in der konkreten Entscheidungssituation: Umso mehr der Gesellschafter in der Lage ist, seine eigenen Belange zu Lasten der Gesellschaftsinteressen zu verfolgen, umso eher besteht Anlass, die Treupflicht als ein Instrument gegen opportunistisches
255 Vgl. C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 274; im aktienrechtlichen Kontext ferner Koch, 17. Aufl. 2023, § 53a AktG Rz. 13. 256 Großzügiger aber Hellgardt in FS Hopt, 2010, S. 765, 784 ff. 257 In diese Richtung auch Fleischer/Harzmeier, NZG 2015, 1289, 1293 ff.: abgestuftes Modell; s. ferner Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 158b a.E. Für die GmbH auch Merkt in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 13 GmbHG Rz. 116. Monographisch Mann, Abdingbarkeit und Gegenstand der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht, 2018. 258 Freilich können sich die Gesellschafter umgekehrt auf die (vertikalen) Treuepflichten der Gesellschaft berufen, vgl. zur GmbH BGH v. 20.9.1991 –II ZR 208/90, GmbHR 1992, 104, 105 f.; T. Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2019, § 14 GmbHG Rz. 77 a.E.; a.A. Geibel in BeckOGK/ BGB, Stand: 1.5.2019, § 706 BGB Rz. 73, der nur auf § 242 BGB abstellen will. 259 Statt vieler C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 278 ff.; rechtsformübergreifend Hofmann, Der Minderheitsschutz im Gesellschaftsrecht, 2011, S. 28 f. Krit. gegenüber dieser Dichotomie und für einen einheitlichen Treuepflichttatbestand im Vertikalverhältnis zwischen Gesellschaftern und Gesellschaft Harnos, Gerichtliche Kontrolldichte im Gesellschaftsrecht, 2021, S. 544 ff. 260 Einzelheiten bei Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 159 ff. 261 Überblick bei C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 281 f.; s. ferner Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 160 ff. 262 Vgl. Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2012, § 705 BGB Rz. 59; Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 36; Lutter, AcP 180 (1980), 84, 105 ff. Im Kontext der Beschlussfassung auch Harnos, Gerichtliche Kontrolldichte im Gesellschaftsrecht, 2021, S. 589 ff. Koch/Harnos | 31
§ 705 BGB Rz. 60 | Allgemeine Bestimmungen Verhalten eingreifen zu lassen.263 Gelockert ist die Loyalitätsbindung im Liquidationsstadium, weil wegen der auflösungsbedingten Zweckänderung (Rz. 40) kein natürlicher Interessengleichlauf mehr besteht.264 Zudem ist nach weitgehend konsentierter Ansicht maßgeblich, ob uneigennützige oder eigennützige Gesellschafterrechte betroffen sind. Geht es um uneigennützige Rechte – dazu zählen namentlich alle Rechtspositionen der Gesellschafter im Zusammenhang mit der Geschäftsführung (§ 715 BGB)265 – genießen die Interessen der Gesellschaft einen unbedingten Vorrang vor Belangen einzelner Gesellschafter.266 Im Bereich der eigennützigen Rechte – zu denen nach h.A. insbesondere die Vermögens-, Kontrollund Kündigungsrechte gehören267 – müssen die Gesellschafter hingegen ihre Belange nicht hinter die Interessen der Gesellschaft zurückstellen, so dass der Rückgriff auf die Treupflicht im Sinne einer Ausübungsschranke erst dann in Betracht kommt, wenn sich die Gesellschafter mutwillig über gewichtige Gesellschaftsbelange hinwegsetzen und das Verhältnismäßigkeitsprinzip völlig außer Acht lassen.268 Insoweit ist die Rede vom Gebot, das schonendste Mittel zu wählen.269 So kann ein Gesellschafter seinen Gewinnanspruch nur dann nicht geltend machen, wenn er die finanzielle Lage der Gesellschaft missachtet.270 Das Kündigungsrecht darf er nicht zur Unzeit (s. zur Kündigung der Mitgliedschaft § 725 Abs. 5 BGB und § 725 BGB Rz. 21 ff.; dies gilt aber nicht für Kündigung der Gesellschaft, s. § 731 BGB Rz. 7), das Kontrollrecht nicht in einer Art ausüben, die die Geschäftsführung erschwert271. Die durch § 717 Abs. 1 BGB erfassten Informationen darf der Gesellschafter nicht verlangen, um sie zu einem gesellschaftsfremden Zweck zu verwenden.272 61 Die Treupflicht kann aufgegriffen werden, um Unterlassungs- oder Handlungspflichten der
Gesellschafter zu begründen. Dabei kommen Unterlassungspflichten zunächst im Kontext eigennütziger Rechte in Betracht (s. bereits Rz. 60 a.E.). Eine besondere Ausprägung der Unterlassungspflicht stellt das Wettbewerbsverbot dar, das zwar – anders als im OHG-Recht (vgl. §§ 117 f. HGB) – gesetzlich nicht geregelt ist, aber aus der Treupflicht hergeleitet werden kann und insoweit auch für die unternehmenstragende GbR gilt.273 Ihren Ursprung in der Treupflicht hat auch die Geschäftschancenlehre, die als eigenständiges Rechtsinstitut neben dem Wettbewerbsverbot steht: Die (geschäftsführenden) Gesellschafter einer Erwerbsgesellschaft sind gehalten, etwaige Geschäftschancen der Gesellschaft nicht für sich selbst auszunutzen.274 62 In Gestalt einer Handlungspflicht wird die Treupflicht aufgegriffen, um Zustimmungs-
pflichten der Gesellschafter zu begründen.275 Die Pflicht erstreckt sich grundsätzlich auch 263 Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2012, § 705 BGB Rz. 59, die in Rz. 60 zutreffend auf die besonders ausgeprägten Treuepflichten der geschäftsführenden Gesellschafter hinweisen. 264 Vgl. BGH v. 5.7.2011 – II ZR 199/10, ZIP 2011, 1865 Rz. 20; BGH v. 17.9.2012 – II ZR 68/11, NZG 2014, 302 Rz. 38; Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 36. 265 Schöne in BeckOK/BGB, 66. Ed., Stand: 1.5.2023, § 705 BGB Rz. 103. 266 C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 278. 267 Statt vieler Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 159b. 268 Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 36. 269 Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2012, § 705 BGB Rz. 60. 270 BGH v. 5.11.1984 – II ZR 111/84, ZIP 1985, 407 = NJW 1985, 974; OLG Karlsruhe v. 23.11.1982 – 3 U 17/81, ZIP 1983, 445, 446. 271 Vgl. etwa C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 280 (der allerdings von der „Kündigung der Gesellschaft“ spricht). 272 C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 279; Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 159b. 273 H.M., statt vieler Bergmann in jurisPK/BGB, 10. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 51. 274 BGH v. 4.12.2023 – II ZR 159/10, GmbHR 2013, 259 Rz. 20 ff. Für Anwendung der Geschäftschancenlehre auf alle Gesellschafter Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 37. 275 Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2012, § 705 BGB Rz. 61, 63. Beispiele: Regelung der Geschäftsführung (RG v. 6.11.1923 – II 104/23, JW 1924, 671); Entscheidungen über Geschäftsfüh-
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Rechtsnatur der Gesellschaft | Rz. 64 § 705 BGB
auf die Zustimmung zu Gesellschafterbeschlüssen über Vertragsänderungen, sollte aber in diesem Kontext nur sehr zurückhaltend angenommen werden, um die Privatautonomie der Gesellschafter im Rahmen der Stimmrechtsausübung nicht zu untergraben.276 Erwägenswert erscheint aber ein großzügigerer Rückgriff auf die Treupflicht als Instrument zur Erzwingung von Vertragsänderungen in Fällen, in denen eine Anpassung der vertraglichen Grundlagen im Lichte des MoPeG geboten ist und ein Gesellschafter mutwillig eine Blockadeposition einnimmt.277 Der Rückgriff auf die Treupflicht erscheint auch geboten, um Blockadesituationen zu lösen, in denen ein Gesellschafter die Beteiligung an einer Gesellschaftsregisteranmeldung – die nach § 707 Abs. 4 BGB der Mitwirkung aller Gesellschafter bedarf – verweigert und damit die Umsetzung eines (mehrheitlichen) Gesellschafterbeschlusses unterbindet (vgl. auch § 707 BGB Rz. 33).278 Nach der Aufgabe des Bestimmtheitsgrundsatzes und der Kernbereichslehre dient die Treu- 63 pflicht schließlich als Kontrollmaßstab im Rahmen der materiellen Beschlusskontrolle:279 Mehrheitsbeschlüsse sind – neben der Kontrolle der formellen Legitimation in Gestalt einer Mehrheitsklausel und der ggf. vorliegenden antizipierten Zustimmung im Rahmen des Vertragsschlusses oder der Beschlussfassung – daraufhin zu überprüfen, ob sie im Interesse der Gesellschaft geboten und für den Gesellschafter zumutbar sind.280 Es handelt sich um eine Verhältnismäßigkeitsprüfung: Der Beschluss muss einem legitimen Zweck dienen und für die Zweckerreichung geeignet, erforderlich und angemessen sein (zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch § 708 BGB Rz. 53).281 Welche Rechtsfolgen ein Verstoß gegen die Treupflicht auslöst, hängt davon ab, in welcher 64 Ausprägung die Generalklausel aufgegriffen wird. Eine Verletzung der Unterlassungspflicht führt zur Unwirksamkeit der Rechtsausübung.282 Geht es um Handlungspflichten, resultieren aus der Treupflicht Erfüllungsansprüche, die im Rahmen einer Leistungsklage geltend gemacht und nach § 894 ZPO vollstreckt werden können.283 Denkbar sind ferner Schadens-
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rungsmaßnahmen (RG v. 27.1.1940 – II 151/39, RGZ 163, 35, 38); Veräußerung des unrentablen Geschäftsbetriebs (BGH v. 17.12.1959 – II ZR 81/59, NJW 1960, 434 f.); Abberufung eines Beiratsmitglieds (BGH v. 1.12.1969 – II ZR 14/68, NJW 1970, 706). Zu Personalentscheidungen Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 159f. Vgl. nur BGH v. 17.12.1959 – II ZR 81/59, NJW 1960, 434 (Notwendigkeit der Aufgabe des Geschäftsbetriebs wegen unhaltbarer wirtschaftlicher Lage der Gesellschaft); BGH v. 26.1.1961 – II ZR 240/59, NJW 1961, 724 f. (Ausscheiden eines Gesellschafters wegen persönlicher Zahlungsschwierigkeiten); BGH v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, BGHZ 183, 1 Rz. 23 = GmbHR 2010, 32 – Sanieren oder Ausscheiden. Speziell zu Sanierungsfällen vgl. auch Harnos, Gerichtliche Kontrolldichte im Gesellschaftsrecht, 2021, S. 638 f.; Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 159c ff. Dafür Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 57. Vgl. Noack/Boguslawski in FS Henssler, 2023, S. 1113, 1120 f. Zum Problem ferner Servatius, 2023, § 707 BGB Rz. 24, der die Disponibilität des § 707 Abs. 4 BGB für erwägenswert hält; anders § 707 BGB Rz. 32: Vertretungsmacht der Gesellschafter qua Mehrheitsbeschluss. Zur Rechtsprechungsentwicklung Harnos, Gerichtliche Kontrolldichte im Gesellschaftsrecht, 2021, S. 532 ff.; Paefgen in FS Grunewald, 2021, S. 831, 832 ff. Vgl. BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rz. 11 ff. = ZIP 2014, 2231 = GmbHR 2014, 1303. Zum gerichtlichen Prüfungsprogramm s. ferner Harnos, Gerichtliche Kontrolldichte im Gesellschaftsrecht, 2021, S. 555 ff.; vgl. auch Paefgen in FS Grunewald, 2021, S. 831, 842 ff. Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2012, § 705 BGB Rz. 60; Schöne in BeckOK/BGB, 64. Ed. Stand: 1.11.2022, § 709 BGB Rz. 43 (mit kritischer Haltung gegenüber dieser Kontrollkonzeption). Speziell zu Sanierungsbeschlüssen im Personengesellschaftsrecht Harnos, Gerichtliche Kontrolldichte im Gesellschaftsrecht, 2021, S. 631 ff.; Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 159c ff. Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 161. Schöne in BeckOK/BGB, 66. Ed., Stand: 1.5.2023, § 705 BGB Rz. 107. Koch/Harnos | 33
§ 705 BGB Rz. 64 | Allgemeine Bestimmungen ersatzansprüche für den Fall, dass der illoyale Gesellschafter den Treupflichtverstoß zu vertreten hat (§ 280 Abs. 1 BGB).284 Im Kontext der materiellen Beschlusskontrolle führt ein Treupflichtverstoß zur Nichtigkeit des Beschlusses,285 es sei denn, die Gesellschafter haben für das Anfechtungsmodell optiert (hierzu § 714 BGB Rz. 130 f.). cc) Gleichbehandlungsgebot 65 Ebenfalls im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt ist das Gleichbehandlungsgebot,286 das aber
seit jeher allgemein anerkannt ist und sich aus einzelnen Regelungen in §§ 705 ff. BGB herleiten lässt:287 Die Gesellschafter sind unter gleichen Umständen grundsätzlich gleich zu behandeln, eine Ungleichbehandlung kann aber sachlich gerechtfertigt werden (hierzu ausf. § 708 BGB Rz. 26 ff. und § 708 BGB Rz. 49 ff.).288 Im personengesellschaftsrechtlichen Schrifttum ist insoweit vom Willkürverbot die Rede (s. auch § 708 BGB Rz. 28),289 was indes nicht überzeugt, weil der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht erst bei evidenter Ungerechtigkeit verletzt ist. Namentlich genügt nicht pauschal, dass sich ein Sachgrund zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung finden lässt, sondern es muss eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen werden: Die Ungleichbehandlung muss einem legitimen Zweck dienen, zur Zweckerreichung geeignet und erforderlich sowie angemessen sein (zur Verhältnismäßigkeitsprüfung im Kontext der Treupflicht Rz. 63).290 66 Freilich liegt es in der privatautonomen Macht der Gesellschafter, im Rahmen des nach
§ 138 BGB Zulässigen eine Ungleichbehandlung vertraglich festzulegen. In einem solchen Fall stellt die beim Vertragsschluss erteilte Einwilligung in die Ungleichbehandlung einen Rechtfertigungsgrund dar.291 Insbesondere ist es – auch im Lichte des § 35 BGB – zulässig, einzelnen Gesellschaftern vertragliche Sonderrechte einzuräumen.292 Ein weiterer Rechtfertigungsgrund kann namentlich die Beteiligungshöhe der Gesellschafter sein: Je mehr Einsatz ein Gesellschafter erbringt, um den gemeinsamen Zweck zu erreichen, desto eher lässt es sich begründen, wieso er gegenüber Gesellschaftern mit einer geringeren Beteiligungshöhe bevorzugt wird.293
284 Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 35. Im Kontext der Geschäftschancenlehre BGH v. 4.12.2023 – II ZR 159/10, GmbHR 2013, 259 Rz. 21. Zu Schadensersatzansprüchen bei treuepflichtwidrigen Gesellschafterbeschlüssen Harnos, Gerichtliche Kontrolldichte im Gesellschaftsrecht, 2021, S. 561 f. 285 Zum Beschluss als Kontrollgegenstand und den damit verbundenen verfahrensrechtlichen Folgen statt vieler Harnos, Gerichtliche Kontrolldichte im Gesellschaftsrecht, 2021, S. 550 ff.; a.A. etwa Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 161a: Nichtigkeit der treupflichtwidrigen Stimme. 286 Gesetzlich verankert ist dieser Grundsatz für die AG in § 53a AktG. 287 Im Schrifttum werden insoweit genannt § 709 Abs. 2, §§ 714, 715, 720 Abs. 1, §§ 728a, 737 BGB; s. dazu C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 297; Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 35. 288 Vgl. nur Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 151b. 289 Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2012, § 705 BGB Rz. 65; C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 298; H.P. Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 39. 290 Vgl. Koch, 17. Aufl. 2023, § 53a AktG Rz. 3 a.E. m.w.N. 291 Allg.M., statt vieler BGH v. 14.5.1956 – II ZR 229/54, BGHZ 20, 363, 369 = NJW 1956, 1198; BGH v. 27.9.1965 – II ZR 186/63, WM 1965, 1284, 1286; C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 300 (der von dispositiver Natur des Gleichbehandlungsgrundsatzes spricht). 292 Bergmann in jurisPK/BGB, 10. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 53 a.E. 293 Anschaulich am Beispiel der Gewinnverteilung C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 298.
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Rechtsnatur der Gesellschaft | Rz. 69 § 705 BGB
Der Gleichbehandlungsgrundsatz kann – wie die Treupflicht – in unterschiedlichen Situatio- 67 nen herangezogen werden. So kann er als eine Auslegungsmaxime im Rahmen der (ergänzenden) Vertragsauslegung dienen294 oder als eine Schranke der Mehrheitsherrschaft im Zuge der materiellen Beschlusskontrolle aufgegriffen werden (hierzu § 714 BGB Rz. 109). Namentlich im letztgenannten Fall kann ein Beschlussfehler damit begründet werden, dass die Minderheit qua Mehrheitsbeschluss ohne einen hinreichenden Sachgrund schlechter gestellt werden soll.295 Dies kommt etwa bei unproportionaler Veränderung der Gesellschafterrechte in Betracht.296 Welche Rechtsfolgen eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebots nach sich zieht, hängt 68 von der Stoßrichtung der willkürlichen Maßnahme ab. Denkbar sind zunächst Unterlassungsansprüche der ungleich behandelten Gesellschafter. Allerdings geht der Anspruch nicht so weit, dass die übervorteilten Gesellschafter generell verlangen können, ihnen einen Vorzug, den die begünstigten Gesellschafter erhalten haben, ebenfalls zu gewähren.297 In einem solchen Fall kann es auch veranlasst sein, die bevorzugten Gesellschafter zu verpflichten, den ungerechtfertigten Vorteil zurückzugewähren.298 Systematisch stimmig erscheint es, die Gesellschafter über das Schicksal des Vorteils unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgrundsatzes entscheiden zu lassen.299 Entsteht einem Gesellschafter ein auf die schuldhafte Ungleichbehandlung zurückgehender Schaden, kommen insoweit Ersatzansprüche in Betracht.300 Wer der Schuldner des Schadensersatzanspruchs ist, hängt von der jeweiligen Situation ab. Nach h.M. richtet sich der Anspruch gegen die Gesellschaft und die Gesellschafter, die zur Ungleichbehandlung beigetragen haben.301 Ein gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßender Gesellschafterbeschluss ist – vorbehaltlich einer anderweitigen vertraglichen Regelung zugunsten des Anfechtungsmodells – nichtig (§ 714 BGB Rz. 109).302
III. Rechtsfähige und nicht rechtsfähige Gesellschaft (§ 705 Abs. 2 BGB) 1. Bedeutung der Vorschrift; Terminologie § 705 Abs. 2 BGB enthält die Legaldefinitionen der rechtsfähigen und der nicht rechtsfähigen 69 Gesellschaft. Darin liegt eine der wichtigsten Klarstellungen im Zuge des MoPeG: Der Umstand, dass eine Außengesellschaft rechtsfähig ist (zur Terminologie s. noch Rz. 72), ergibt sich nun unmittelbar aus dem Gesetz und muss nicht mehr im Wege der Rechtsfortbildung entwickelt werden.303 Die damit einhergehende Erleichterung der Rechtsanwendung ist zu begrüßen. Zugleich spiegelt § 705 Abs. 2 BGB die – seit langem anerkannte – Trennung zwi-
294 C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 301 ff. 295 Zum Minderheitenschutz qua Gleichbehandlungsgebot etwa C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 304. 296 H.P. Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 41. 297 C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 305. 298 OLG Karlsruhe v. 23.11.1982 – 3 U 17/81, ZIP 1983, 445, 446; Habermeier in Staudinger, 2003, § 706 BGB Rz. 56; Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2012, § 705 BGB Rz. 67. 299 So der Vorschlag von C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 305; krit. Schöne in BeckOK/BGB, 66. Ed., Stand: 1.5.2023, § 705 BGB Rz. 112. 300 Schöne in BeckOK/BGB, 66. Ed., Stand: 1.5.2023, § 705 BGB Rz. 112. 301 Habermeier in Staudinger, 2003, § 706 BGB Rz. 56; C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 305. 302 RG v. 16.9.1927 – II 21/27, RGZ 118, 67, 72 f. (zum Anfechtungsgrund in der AG); RG v. 13.11.1934 – II 190/34, JW 1935, 1776 (zur Nichtigkeit eines Generalversammlungsbeschlusses). 303 Bachmann, NJW 2021, 3073 Rz. 5. Zum Mauracher Entwurf Fleischer, DB 2020, 1107, 1110. S. ferner Otte-Gräbener, BB 2020, 1295, 1297: systematisch stimmige Legalordnung. Koch/Harnos | 35
§ 705 BGB Rz. 69 | Allgemeine Bestimmungen schen rechtsfähigen und nicht rechtsfähigen Gesellschaften wider (s. noch Rz. 70).304 Dies kommt auch in der Systematik des 16. Titels zum Ausdruck: Während der Untertitel 2 in §§ 706–739 BGB Regelungen über die rechtsfähige Gesellschaft enthält, widmet sich der Untertitel 3 der nicht rechtsfähigen Gesellschaft.305 Freilich hat der Gesetzgeber das „Einheitsmodell“ materiell nicht vollständig aufgegeben: § 740 Abs. 2 BGB erklärt etliche Regelungen über das Innenverhältnis der rechtsfähigen Gesellschaft für entsprechend anwendbar auf das Innenverhältnis der nicht rechtsfähigen Gesellschaft (im Einzelnen § 740 BGB Rz. 37 ff.); dies gilt auch für die Vorschriften über die Beendigung und Auseinandersetzung einer Gesellschaft (§ 740a Abs. 3 BGB, § 740b Abs. 2 BGB) sowie das Ausscheiden von Gesellschaftern (§ 740c Abs. 2 BGB). 70 Die in § 705 Abs. 2 BGB angelegte Unterscheidung zwischen der rechtsfähigen und nicht
rechtsfähigen Gesellschaft ist zentral, weil sie die rechtliche Behandlung der GbR und deren Stellung im Rechtsverkehr prägt: Während die rechtsfähige Gesellschaft als Rechtssubjekt (zur Rechtsnatur s. noch Rz. 88 ff.) selbst Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen kann, woran gem. § 50 Abs. 1 ZPO ihre Parteifähigkeit geknüpft ist (hierzu und zur Vollstreckung § 721 BGB Rz. 46 ff.),306 ist die nicht rechtsfähige Gesellschaft ein bloßes Schuldverhältnis (zur Rechtsnatur s. noch Rz. 94).307 Auch im Innenverhältnis unterscheidet sich die gesetzliche Ausgestaltung der beiden GbR-Typen trotz des Teilverweises auf das Innenrecht der rechtsfähigen Gesellschaft in § 740 Abs. 2 BGB deutlich, was die Notwendigkeit der Differenzierung unterstreicht.308 Die Unterschiede kommen namentlich darin zum Ausdruck, dass die Sozialansprüche und Sozialverbindlichkeiten in einer rechtsfähigen Gesellschaft zwischen der GbR und dem Gesellschafter entstehen, während sie in einer nicht rechtsfähigen Gesellschaft im Gesellschafterkreis abgewickelt werden.309 Dabei schließen die beiden GbR-Typen einander aus;310 eine „Mischform“ aus rechtsfähiger und nicht rechtsfähiger Gesellschaft kommt nicht in Betracht.311 Die Unterschiede zwischen den GbR-Typen sprechen – entgegen einer im Schrifttum vertretenen Auffassung312 – gegen die Möglichkeit einer identitätswahrenden Umwandlung einer nicht rechtsfähigen in eine rechtsfähige Gesellschaft (zum umgekehrten Fall s. noch Rz. 85).313 Bilden die Gesellschafter einer nicht rechtsfähigen Gesellschaft also den gemeinsamen Willen zur Teilnahme am Rechtsverkehr, gründen sie damit eine neue rechtsfähige Gesellschaft. 304 Zur geschichtlichen Entwicklung statt vieler Habersack, ZGR 2020, 539, 542 ff. Im Hinblick auf diese Entwicklung hat das Schrifttum im Vorfeld der Reform zu Recht die Aufgabe der „Einheitslösung“ gefordert, vgl. nur Röder, AcP 215 (2015), 450, 464 f. 305 Zur abweichenden Systematik des Mauracher Entwurfs kritisch Armbrüster in ZGR-Sonderheft 23, 2021, S. 143, 145 ff.; Bachmann, NZG 2020, 612, 613 f. 306 Dazu statt vieler Althammer in Zöller, 34. Aufl. 2022, § 50 ZPO Rz. 17a. Zu prozessrechtlichen Folgen des MoPeG etwa Prütting in FS Grunewald, 2021, S. 881 ff. 307 Vgl. auch Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 10. 308 Zur Bedeutung der Unterscheidung s. auch Bachmann, NZG 2020, 612, 614. 309 Darauf zutr. hinweisend Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 41. 310 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 103; Armbrüster in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 5; Fleischer, DStR 2021, 430, 432; Roßkopf/Hoffmann, ZPG 2023, 14, 24 (grundverschiedene GbR-Formen); C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 184, 213; K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 24 f. („heterogene Gestaltungen“); Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 44. 311 Vgl. K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 22. 312 So augenscheinlich Armbrüster in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 25 ff., 33; C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 21. 313 Überzeugend Roßkopf/Hoffmann, ZPG 2023, 14, 24, die zudem darauf hinweisen, dass die nicht rechtsfähige GbR nach § 740 Abs. 1 BGB über kein Gesellschaftsvermögen verfügt, so dass Vermögensgegenstände, die im Eigentum der Gesellschafter stehen, nicht automatisch auf die rechtsfähige GbR übergehen können; vielmehr bedarf es einer Einzelübertragung. Im Ergebnis auch K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 24 f.
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Rechtsnatur der Gesellschaft | Rz. 73 § 705 BGB
Das modernisierte Gesetz konzentriert sich auf die Ausgestaltung der rechtsfähigen Gesell- 71 schaft, die in den §§ 706–739 BGB geregelt ist und das neue Leitbild der GbR darstellt.314 Der Regelungsbestand, der sich mit der nicht rechtsfähigen Gesellschaft befasst, ist mit vier Vorschriften (§§ 740–740c BGB) dagegen vergleichsweise schmal. Eine so geringe Regelungsdichte ist nachvollziehbar, weil das Innenverhältnis einer nicht rechtsfähigen Gesellschaft in erster Linie durch Verweise auf etliche Vorschriften in §§ 708 ff. BGB ausgeformt wird (vgl. § 740 Abs. 2 BGB und § 740 BGB Rz. 37 ff.) und das Außenverhältnis gänzlich ungeregelt bleiben kann. Überdies erscheint es opportun, der rechtsfähigen Gesellschaft mehr Aufmerksamkeit im Gesetz zu widmen, weil sie am Rechtsverkehr teilnimmt und deshalb einer gesetzlich niedergelegten Grundordnung für den Fall bedarf, dass die Gesellschafter keine vertraglichen Regelungen vorgesehen haben; zudem erfordert die Teilnahme am Rechtsverkehr erhöhte Schutzvorkehrungen zugunsten anderer Rechtsverkehrsteilnehmer.315 Was die Terminologie angeht, hat sich der MoPeG-Gesetzgeber entschieden, die – früher 72 gängige – Gegenüberstellung der Außen- und Innengesellschaft nicht ins Gesetz einzuführen.316 Gleichwohl erscheint die synonyme Verwendung der herkömmlichen Begriffe aus einer dogmatischen Perspektive unproblematisch.317 Wenn § 705 Abs. 2 BGB davon handelt, dass eine rechtsfähige Gesellschaft nach dem Willen der Gesellschafter am Rechtsverkehr teilnehmen – also nach außen in Erscheinung treten – soll, ist es gerechtfertigt, weiterhin von einer Außengesellschaft zu sprechen. Dient die Gesellschaft den Gesellschaftern zur Ausgestaltung ihres Rechtsverhältnisses untereinander (so die Umschreibung der nicht rechtsfähigen Gesellschaft), trifft es das Richtige, wenn sie als eine Innengesellschaft bezeichnet wird (s. auch § 740 BGB Rz. 9: nicht rechtsfähige Gesellschaft als Grundform der Innengesellschaft).318 In terminologischer Hinsicht sollte die gesetzliche Anerkennung der Rechtsfähigkeit einer 73 Außengesellschaft zum Anlass genommen werden, im gesellschaftsrechtlichen Kontext die Figur der Teilrechtsfähigkeit319 endgültig aufzugeben.320 Zwar sprach der BGH im Urteil
314 Zum Leitbildcharakter der rechtsfähigen Gesellschaft Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 105 ff.; Armbrüster in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 12; Fleischer, DStR 2021, 430, 431. Zum Mauracher Entwurf bereits Fleischer, DB 2020, 1107, 1109 ff.; M. Noack, NZG 2020, 581; Schollmeyer in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2020, 2021, S. 15 Rz. 15 ff. 315 Zutreffend Armbrüster in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 12. An der Zweckmäßigkeit der redaktionellen Gewichtung zweifelnd K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 24. 316 Dafür de lege ferenda Armbrüster in ZGR-Sonderheft 23, 2021, S. 143, 147; Bachmann, NZG 2020, 612, 614. Anders aber noch Mauracher Entwurf, der im Untertitel 8 von der Innengesellschaft spricht. 317 So auch Armbrüster in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 1; Fleischer, DStR 2021, 430, 432; vgl. ferner die synonyme Verwendung bei Habersack, Stellungnahme i.R.d. Sachverständigenanhörung v. 19.1.2021, S. 2; Hermanns, DNotZ 2022, 3, 5; C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, Vor § 705 BGB Rz. 96, § 705 BGB Rz. 183 ff. A.A. Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 6, 10; wohl auch Escher-Weingart, WM 2022, 2297, 2304. Kritisch ferner Martens, AcP 221 (2021), 68, 76. 318 Freilich kann es vorkommen, dass die nicht rechtsfähige Gesellschaft nach außen erkennbar ist, s. Armbrüster in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 1; Bachmann, NZG 2020, 612, 614; Hadding in FS Grunewald, 2021, S. 285, 287; s. auch noch Rz. 93. 319 Zur Geschichte und Bedeutung dieser Figur im Kontext der Durchsetzung von Flumes Gruppenlehre, die den Grundstein für die Anerkennung der Rechtsfähigkeit einer Außen-GbR bildete, vgl. Wertenbruch in FS Seibert, 2019, S. 1089, 1094 ff.: Teilrechtsfähigkeit als trojanisches Pferd. Vgl. ferner U. Huber in FS Lutter, 2000, S. 107, 112 f. 320 So auch Armbrüster in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 8; Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 41; Wertenbruch, JZ 2023, 78, 79. Von der Teilrechtsfähigkeit spricht aber nach wie vor Hermanns, DNotZ 2022, 3, 5. Koch/Harnos | 37
§ 705 BGB Rz. 73 | Allgemeine Bestimmungen „ARGE Weißes Roß“ davon, dass eine Außen-GbR teilrechtsfähig sei,321 jedoch hat bereits die spätere Rechtsprechungsentwicklung – etwa die Anerkennung der Grundrechtsfähigkeit,322 der Markenrechtsfähigkeit,323 oder der Grundbuchfähigkeit324 – gezeigt, dass die Rechtsfähigkeit der Außengesellschaft umfassend zu verstehen ist.325 Nach der Einführung des § 705 Abs. 2 BGB ist es noch deutlicher geworden, dass der Begriff der Teilrechtsfähigkeit nicht erforderlich ist, um kenntlich zu machen, dass eine rechtsfähige Gesellschaft nicht jede denkbare Rechtsposition einnehmen kann.326
2. Rechtsfähige Gesellschaft a) Gesetzessystematik und -entwicklung 74 Eine Gesellschaft ist nach § 705 Abs. 2 BGB rechtsfähig, wenn sie nach dem gemeinsamen
Willen der Gesellschafter am Rechtsverkehr teilnehmen soll. Gemeint sind damit sämtliche Gesellschafter; der Wille der geschäftsführenden Gesellschafter reicht alleine nicht aus.327 In systematischer Hinsicht korrespondiert § 705 Abs. 2 BGB mit § 719 Abs. 1 BGB, der bestimmt, dass die Gesellschaft im Verhältnis zu Dritten entsteht, sobald sie mit Zustimmung sämtlicher Gesellschafter am Rechtsverkehr teilnimmt (hierzu ausf. § 719 BGB Rz. 6 ff.).328 Der Unterschied zwischen diesen beiden Vorschriften liegt darin, dass es im Rahmen des § 705 Abs. 2 Var. 1 BGB ausreicht, wenn die Gesellschaft nach dem Willen aller Gesellschafter am Rechtsverkehr teilnehmen soll, während § 719 Abs. 1 darauf abstellt, ob die Gesellschaft nach dem gemeinschaftlichen Gesellschafterwillen am Rechtsverkehr tatsächlich teilnimmt.329 Liegen die Voraussetzungen des § 705 Abs. 2 Var. 1 BGB vor, entsteht die Gesellschaft als ein rechtsfähiges Gebilde im Innenverhältnis zwischen den Gesellschaftern (zum Entstehungszeitpunkt s. noch Rz. 83 f.).330 Dabei verfügt die Gesellschaft bereits zu diesem Zeitpunkt über ein Gesellschaftsvermögen (§ 713 BGB), das jedenfalls aus den Beitragsansprüchen gegen die Gesellschafter besteht (s. bereits Rz. 24 und § 713 BGB Rz. 10).331 Die Gesellschafter können diese Ansprüche der Gesellschaft, die als Sozialansprüche einzuordnen sind, unabhängig von der Entstehung der Gesellschaft im Außenverhältnis (§ 719 Abs. 1 BGB) geltend machen.332 Es spricht viel dafür, dass die Gesellschafter bereits in diesem Stadium eine Gesellschafterklage nach § 715b BGB (actio pro societate) geltend machen können.
321 BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341, 343 ff. = ZIP 2001, 330; s. ferner BGH v. 4.12.2008 – V ZB 74/08, BGHZ 179, 102 Rz. 10 = ZIP 2009, 66; BGH v. 21.3.2018 – VIII ZR 104/ 17, BGHZ 218, 162 Rz. 14 = NJW 2018, 2187. 322 BVerfG v. 2.9.2002 –1 BvR 1103/03, NJW 2002, 3533. 323 BPatG v. 20.8.2004 – 25 W (pat) 232/03, GRUR 2004, 1030, 1031. 324 BGH v. 4.12.2008 – V ZB 74/08, BGHZ 179, 102 Rz. 10 ff. = ZIP 2009, 66. 325 So auch bereits Hadding, ZGR 2001, 712, 717 f.; U. Huber in FS Lutter, 2002, S. 107, 112 f.; Mülbert, AcP 199 (1999), 38, 44 ff.; Ulmer, ZIP 2001, 585, 588 f. Vgl. ferner Wertenbruch in Westermann/ Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 788, 795 ff. 326 Aufzählung der denkbaren Rechtspositionen bei Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 42 f. 327 Armbrüster in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 23. 328 Auf den Zusammenhang hinweisend Armbrüster in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 21, 23. Für einen Gleichlauf zwischen Entstehung im Außen- und Innenverhältnis de lege ferenda Verse/Tassius in FS Grunewald, 2021, S. 1159, 1168 ff. 329 Vgl. hierzu Wertenbruch, ZPG 2023, 1, 5. 330 Röß, NZG 2023, 401, 403 f.; vgl. ferner Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 49, allerdings mit der fragwürdigen Bezeichnung einer solchen Gesellschaft als „leere Hülse“; s. dazu noch Rz. 83. Krit. zur Innenrechtsfähigkeit Verse/Tassius in FS Grunewald, 2021, S. 1159, 1167 f.: „Fehlkonstruktion“. 331 So augenscheinlich auch Wertenbruch, ZPG 2023, 1, 6 f.; a.A. wohl Röß, NZG 2023, 401, 404. 332 Vgl. Wertenbruch, ZPG 2023, 1, 6; s. ferner Verse/Tassius in FS Grunewald, 2021, S. 1159, 1163, die aber auf S. 1167 f. insoweit von einer Fehlkonstruktion sprechen.
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Rechtsnatur der Gesellschaft | Rz. 76 § 705 BGB
Da die Klageerhebung allein das Gesellschafterverhältnis untereinander betrifft und gerade voraussetzt, dass nicht alle Gesellschafter mit der Anspruchsverfolgung einverstanden sind, dürfte sie nicht dazu führen, dass die Gesellschaft nach Maßgabe des § 719 Abs. 1 BGB am Rechtsverkehr teilnimmt und im Außenverhältnis entsteht.333 Mit der Definition des § 705 Abs. 2 BGB hat der Gesetzgeber für die Rechtspraxis die Dis- 75 kussion entschieden, was eine rechtsfähige (Außen-)Gesellschaft kennzeichnet:334 Der BGH hat im „ARGE Weißes Roß“-Urteil die Rechtsfähigkeit der GbR von der Teilnahme am Rechtsverkehr abhängig gemacht,335 was das Schrifttum aufgegriffen336 und durch Kriterien wie den Organisationsgrad337 oder das Vorhandensein des Gesellschaftsvermögens338 ergänzt hat. Andere Stimmen wollten nur der unternehmenstragenden GbR die Rechtsfähigkeit verleihen.339 In der rechtspolitischen Debatte plädierten manche dafür, nur in einem Register eingetragene Gesellschaften als rechtsfähig zu behandeln,340 während andere die Namensführung als maßgeblich erachtet haben.341 All diesen Auffassungen hat der Gesetzgeber in § 705 Abs. 2 BGB eine Absage erteilt.342 Allerdings schimmern die Lehre von der unternehmenstragenden Gesellschaft und das Kriterium der Namensführung im Vermutungstatbestand des § 705 Abs. 3 BGB durch (s. noch Rz. 101 ff.). b) Merkmale einer rechtsfähigen Gesellschaft aa) Gesellschafterwille zur Teilnahme am Rechtsverkehr Freilich führt die gesetzgeberische Entscheidung für die Einführung des § 705 Abs. 2 BGB 76 nicht dazu, dass die rechtsfähige Gesellschaft problemlos von einer nicht rechtsfähigen unterschieden werden kann.343 Dies liegt daran, dass § 705 Abs. 2 BGB ein subjektiver Ansatz zugrunde liegt.344 Im Vordergrund steht der gemeinsame Willen sämtlicher Gesellschafter 333 A.A. für den Fall einer Klage, die durch vertretungsberechtigte Gesellschafter im Namen der GbR erhoben wurde, und ohne Bezugnahme auf § 715b BGB Wertenbruch, ZPG 2023, 1, 6. 334 Aufschlussreicher Überblick über den Meinungsstand bei Denga, ZfPW 2021, 73, 82 ff. Zu den charakteristischen Merkmalen einer rechtsfähigen Gesellschaft C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/ PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 188. 335 BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 Ls. a) = ZIP 2001, 330. 336 Siehe etwa Bergmann in jurisPK/BGB, 10. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 43; H.P. Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 64. 337 Darauf abstellend etwa C. Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 284; ähnlich nunmehr C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 216. 338 Vgl. Habermeier in Staudinger, 2003, § 706 BGB Rz. 58. 339 Hierzu namentlich K. Schmidt, ZHR 177 (2013), 712, 715 ff. m.w.N. 340 AK Bilanzrecht Hochschullehrer Rechtswissenschaft, ZIP 2021, S3, S11 ff.; Habersack, ZGR 2020, 539, 553 ff.; Heckschen, NZG 2020, 761, 762 f.; Röder, AcP 215 (2015), 450, 466 ff.; Schall, Stellungnahme i.R.d. Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss, S. 5; so wohl auch Hippeli, DZWiR 2020, 386, 389. 341 Denga, ZfPW 2021, 73, 88 ff. 342 Armbrüster in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 14. Die Absage an die Lehre von der unternehmenstragenden Gesellschaft führt namentlich dazu, dass auch eine GbR mit ideellen Zwecken rechtsfähig sein kann, vgl. Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 44 a.E. 343 Auf die Schwierigkeiten hinweisend Röder, AcP 215 (2015), 450, 470; K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 25. Anders augenscheinlich Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 44: § 740 Abs. 2 BGB beseitige die bisherigen Abgrenzungsprobleme. 344 Kritisch dazu AK Bilanzrecht Hochschullehrer Rechtswissenschaft, ZIP 2021, S3, S10 f.; Deutscher Industrie- und Handelskammertag, Stellungnahme i.R.d. Sachverständigenanhörung v. 9.3.2021, S. 3; Escher-Weingart, WM 2022, 2297, 2305; Schall, Stellungnahme i.R.d. Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss, S. 4 („zu vage“). Vgl. ferner zum Gegenstand des gemeinsamen Willens Schall, ZIP 2020, 1443, 1448, der die Bildung des Gesellschaftsvermögens als den maßgeblichen Anknüpfungspunkt erachtet. Koch/Harnos | 39
§ 705 BGB Rz. 76 | Allgemeine Bestimmungen dahin, dass die Gesellschaft am Rechtsverkehr teilnehmen soll. Dabei sollen die Gerichte im Einzelfall darüber entscheiden, ob ein solcher Wille vorgelegen hat.345 Ein Teil des Schrifttums erblickt darin eine Kodifizierung der BGH-Rechtsprechung,346 was insoweit überrascht, als der II. Zivilsenat im Urteil „ARGE Weißes Roß“ nur auf die Teilnahme am Rechtsverkehr abstellt347 und den Willen der Gesellschafter in den Urteilsgründen nicht erwähnt. Ein solcher verobjektivierter Ansatz ist de lege ferenda vorzugswürdig: Während die Anknüpfung an den gemeinsamen Willen der Gesellschafter für die Entstehung der Gesellschaft im Außenverhältnis nach § 719 Abs. 1 BGB sachlich gerechtfertigt ist – die Vertretungs- und Haftungsregelungen in §§ 720 ff. BGB sollen erst gelten, wenn alle Gesellschafter damit einverstanden sind (hierzu § 719 BGB Rz. 7 f.) – spricht im Zusammenhang mit der Verleihung der Rechtsfähigkeit mehr dafür, allein an objektive Umstände anzuknüpfen. Für den Rechtsverkehr ist es nämlich im Hinblick auf die Rechtssicherheit misslich, die Entscheidung darüber, ob ein Rechtssubjekt vorliegt, von der – für die Außenstehenden nicht ohne weiteres erkennbaren – inneren Willensrichtung der Gesellschafter abhängig zu machen.348 77 Gleichwohl ist die Entscheidung des Gesetzgebers zugunsten des subjektiven Ansatzes de lege
lata zu akzeptieren.349 Größere Energie ist stattdessen in die Herausarbeitung von Kriterien zu investieren, die herangezogen werden können, um den Gesellschafterwillen zu bestimmen (zur Abgrenzung s. auch § 740 BGB Rz. 3 f.). Maßgeblich für die Bestimmung des Gesellschafterwillens ist in erster Linie der Gesellschaftsvertrag.350 Haben die Gesellschafter in einem schriftlichen Vertrag den Willen zur Teilnahme am Rechtsverkehr hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, handelt es sich um eine rechtsfähige Gesellschaft,351 wobei die allgemeinen Grundsätze zur Auslegung des Gesellschaftsvertrags zu beachten sind (Rz. 16 ff.). Auch wenn die Gesellschafter konkludent vereinbaren können, dass die Gesellschaft am Rechtsverkehr teilnehmen soll,352 sollte die Kautelarpraxis darauf achten, durch eine möglichst genaue Formulierung des Gesellschaftsvertrags für Rechtsklarheit zu sorgen.353 Sind die vertraglichen Regelungen nicht eindeutig oder fehlt ein schriftlicher Vertrag (zur Möglichkeit des konkludenten Vertragsschlusses s. Rz. 12; zur Formfreiheit Rz. 13),354 kann die Vermutung des § 705 Abs. 3 BGB aufgegriffen werden, um zu bestimmen, ob eine Gesellschaft nach dem Willen der Gesellschafter am Rechtsverkehr teilnehmen kann.355 § 705 Abs. 3 BGB stellt darauf 345 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 126. 346 In diese Richtung etwa Armbrüster in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 13, der feststellt, dass der Gesetzgeber die Kriterien des BGH aufgegriffen hat. Vgl. ferner AK Bilanzrecht Hochschullehrer Rechtswissenschaft, ZIP 2021, S3, S10 f.: Festschreibung der vorherrschenden Auffassung. 347 Dies hält auch nach der Verabschiedung des MoPeG für maßgeblich Kruse, DStR 2021, 2412, was aber dem klaren Wortlaut des § 705 Abs. 2 Var. 1 BGB widerspricht. 348 Zur Bedeutung der Rechtssicherheit in diesem Kontext s. Bericht Rechtsausschuss MoPeG, BTDrucks. 19/31105, 6; AK Bilanzrecht Hochschullehrer Rechtswissenschaft, ZIP 2021, S3, S10; Lieder/Hilser, NotBZ 2021, 401, 409; Schall, Stellungnahme i.R.d. Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss, S. 6. Vgl. ferner Martens, AcP 221 (2021), 68, 77: Die Verleihung einer von subjektiven Intentionen abhängigen Rechtsfähigkeit sei ein Fremdkörper im deutschen Zivilrecht. 349 Diese Entscheidung begrüßend Bachmann, NZG 2020, 612, 614. 350 Vgl. C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 215. 351 Armbrüster in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 16; Bachmann, NJW 2021, 3073 Rz. 6. 352 H.P. Westermann, DZWiR 2020, 321, 323. 353 Vgl. Bachmann, NJW 2021, 3073 Rz. 6; Otte, ZIP 2021, 2162, 2163; Roßkopf/Hoffmann, ZPG 2023, 14, 24. 354 Zum Zusammenhang zwischen der Professionalisierung der Vertragsgestaltung und Annahme der Rechtsfähigkeit K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 27. 355 Widersprüchlich Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 46, 53, der einerseits feststellt, dass der Gesetzgeber davon abgesehen hat, eine (generelle) Vermutungsregelung für das Vorliegen einer rechtsfähigen GbR einzuführen, andererseits aber die Vermutung des § 705 Abs. 3 BGB als eine unwider-
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Rechtsnatur der Gesellschaft | Rz. 80 § 705 BGB
ab, ob der Betrieb eines Unternehmens unter gemeinschaftlichem Namen Gegenstand der Gesellschaft ist (hierzu ausführlich Rz. 101 ff.). bb) Indizien zur Feststellung des Gesellschafterwillens Ist ein geschriebener Gesellschaftsvertrag nicht vorhanden oder nicht eindeutig und greift 78 die Vermutung des § 705 Abs. 3 BGB nicht ein, müssen die Rechtsanwender anhand objektiver Kriterien ermitteln, ob die Gesellschafter einen entsprechenden Willen gebildet haben. Dabei können sie sich an den Gesetzesmaterialien orientieren: Der Regierungsentwurf zählt eine Reihe von Indizien auf, die herangezogen werden können, um den Gesellschafterwillen zu bestimmen.356 Hierzu gehören zunächst vertragliche Bestimmungen zur Identitätsausstattung (Name357 und Sitz,358 Handlungsorganisation, Haftungsverfassung). Auch kann der Gesellschaftszweck Aufschluss darüber geben, ob die Gesellschaft am Rechtsverkehr teilnehmen soll. Schließlich nennt der Regierungsentwurf die tatsächliche Art der Teilnahme am Rechtsverkehr als einen Umstand, der ergänzend herangezogen werden kann. Namentlich soll es ein Indiz sein, ob die Gesellschafter gemeinsam eine gewerbliche oder selbständige berufliche Tätigkeit ausüben (zum Zusammenhang mit der Vermutung des § 705 Abs. 3 BGB vgl. noch Rz. 108).359 cc) Bedeutung der Registereintragung Nicht eindeutig geregelt ist das Zusammenspiel zwischen der Rechtsfähigkeit i.S.d. § 705 79 Abs. 2 Var. 1 BGB und der Eintragung in das Gesellschaftsregister (§§ 707 ff. BGB):360 Während § 705 Abs. 2 BGB die Registereintragung gänzlich ausblendet und auch die Gesetzesmaterialien sich damit im Kontext der Rechtsfähigkeit nicht befassen, legt § 719 Abs. 1 a.E. BGB fest, dass die – ausweislich der Gesetzessystematik rechtsfähige – Gesellschaft spätestens mit ihrer Eintragung im Gesellschaftsregister im Verhältnis zu Dritten entsteht. Anknüpfend an diese Gemengelage vertreten manche Stimmen im Schrifttum, dass die Registeranmeldung auf einen gemeinsamen Willen zur Teilnahme im Rechtsverkehr hindeute, es aber möglich sei, dass eine nicht rechtsfähige Gesellschaft in das Gesellschaftsregister eingetragen werde. Im letztgenannten Fall entfalte § 719 Abs. 1 a.E. BGB aber eine unwiderlegliche Vermutungswirkung dahingehend, dass die Gesellschaft rechtsfähig sei. Fehlender gemeinsamer Wille zur Teilnahme am Rechtsverkehr und Rechtsfähigkeit seien miteinander vereinbar.361 Dieses Ergebnis ist durchaus praktikabel. Die Figur einer im Gesellschaftsregister eingetrage- 80 nen Innengesellschaft, die im Verhältnis zu Dritten rechtsfähig ist, erscheint indes überkon-
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legliche bezeichnet (dazu noch Rz. 107); zugleich soll § 705 Abs. 3 BGB eine „sachgerechte Auslegungsregel“ sein. Zum Folgenden Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 126. Vgl. ferner Armbrüster in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 18 ff.; Bachmann, NJW 2021, 3073 Rz. 6; Fleischer, DStR 2021, 430, 438; Kindler, ZfPW 2022, 409, 417. Zum Namensrecht der GbR ausf. C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 207 ff. Speziell zur Sitzbestimmung als Indiz Otte-Gräbener in FS Seibert, 2019, S. 613, 616; C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 212. Hierzu auch K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 26. Kritisch deshalb Bachmann, NZG 2020, 612, 614, dessen Regelungsvorschlag, die Registereintragung mit der Rechtsfähigkeit zu verknüpfen, allerdings (leider) nicht Gesetz geworden ist. Armbrüster in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 32 f. Für eine unwiderlegbare Vermutung im Kontext des § 719 Abs. 1 BGB auch Wertenbruch, ZPG 2023, 1, 6. Koch/Harnos | 41
§ 705 BGB Rz. 80 | Allgemeine Bestimmungen struiert.362 Es spricht mehr dafür, dass eine neue rechtsfähige Gesellschaft entsteht,363 wenn die Gesellschafter einer bisher nicht rechtsfähigen GbR die Eintragung der Gesellschaft in das Gesellschaftsregister (§§ 707 ff. BGB) beantragt haben.364 Ist die Gesellschaftsregistereintragung erfolgt, lässt sich dieses Ergebnis jedenfalls aus § 719 Abs. 1 a.E. BGB herleiten, wonach die Gesellschaft spätestens mit ihrer Eintragung im Gesellschaftsregister im Verhältnis zu Dritten entsteht.365 Ist die Gesellschaft im Außenverhältnis aufgrund der Registeranmeldung und der darauf folgenden Registereintragung entstanden, fällt es schwer, den Willen sämtlicher Gesellschafter zur Teilnahme am Rechtsverkehr zu leugnen.366 81 Nimmt man die Beteiligung der Gesellschafter am Eintragungsverfahren sowie Inhalt und
Folgen der Registeranmeldung näher in den Blick, liegt es nahe, dass die Gesellschaft bereits mit der Anmeldung ihrer Eintragung zum Gesellschaftsregister rechtsfähig wird. Nach § 707 Abs. 4 Satz 1 BGB sind die (fakultativen) Anmeldungen zum Gesellschaftsregister von sämtlichen Gesellschaftern zu bewirken (Einzelheiten in § 707 BGB Rz. 31 ff.).367 Dabei haben die Anmeldungen nach § 707 Abs. 2 BGB u.a. Angaben zum Namen, Sitz und Anschrift der Gesellschaft und zur Vertretungsbefugnis der Gesellschafter zu enthalten (ausführlich § 707 BGB Rz. 17 ff.). Nach dem gesetzlichen Leitbild müssen also alle Gesellschafter eine Erklärung zu Umständen abgeben, die für eine rechtsfähige Gesellschaft prägend sind. Der Gesellschaftsname ist zum einen eine der beiden Vermutungsgrundlagen i.S.d. § 705 Abs. 3 BGB (Rz. 104), zum anderen ein Rechtsfähigkeitsindiz (Rz. 78). Dagegen verfügt eine nicht rechtsfähige Gesellschaft in der Regel nicht über einen Namen (vgl. auch § 740 BGB Rz. 3), hat keinen echten Sitz (dazu § 706 BGB Rz. 27 ff.) und wird durch die Gesellschafter nicht vertreten, weil sie kein Subjekt im Rechtsverkehr ist (§ 740 BGB Rz. 13); dementsprechend verweist § 740 Abs. 2 BGB weder auf § 706 BGB noch auf § 720 BGB. Hinzu kommt, dass die Registereintragung unumkehrbar ist (vgl. § 707a Abs. 4 BGB und § 707a BGB Rz. 14 ff.),368 was die Gesellschafter zu überlegten Anmeldungen anhalten sollte.369 Schließlich muss die Anmeldung nach § 707b Nr. 2 BGB i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 1 HGB öffentlich beglaubigt werden (Einzelheiten in § 707b BGB Rz. 20 und in § 12 HGB Rz. 7 ff.).370 Im Hinblick auf dieses aufwendige und formalisierte Verfahren erscheint es äußerst fernliegend, bei einer eingetragenen Gesellschaft den Willen der Gesellschafter anzunehmen, die Gesellschaft nur als ein Instrument zur Ausgestaltung des Verhältnisses untereinander einzugehen.371
362 Zweifel an dieser Konstruktion auch bei K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 25. 363 Es handelt sich also nicht um eine identitätswahrende Umwandlung einer nicht rechtsfähigen in eine rechtsfähige GbR; s. dazu bereits Rz. 70 a.E. 364 Bachmann, NJW 2021, 3073 Rz. 8; Kindler, ZfPW 2022, 409, 417 f.; K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 26; Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 46 a.E.; so wohl auch Hippeli, DZWiR 2020, 386, 390; C. Schäfer in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 1 Rz. 35 (deutlich nunmehr C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 189, § 719 BGB Rz. 10); Wertenbruch/Alm, ZPG 2023, 201; dafür bereits de lege ferenda Bachmann, NZG 2020, 612, 614. 365 Auf § 719 Abs. 1 BGB abstellend Kindler, ZfPW 2022, 409, 417 f.; C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/ PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 189, § 719 BGB Rz. 10; so wohl auch Wertenbruch/Alm, ZPG 2023, 201. 366 Vgl. auch Bachmann, NJW 2021, 3073 Rz. 8: keine Rücksichtnahme auf den entgegenstehenden Gesellschafterwillen; ähnlich Kindler, ZfPW 2022, 409, 418: Verkehrsschutzerfordernisse stünden über dem Parteiwillen. 367 Darauf weist auch Armbrüster in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 34 hin; im Kontext des § 719 Abs. 1 BGB ferner C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 719 BGB Rz. 10; Verse/Tassius in FS Grunewald, 2021, S. 1159, 1161; Wertenbruch, ZPG 2023, 1, 6. 368 Zur Unumkehrbarkeit der Eintragung etwa Bachmann, NJW 2021, 3073 Rz. 10. 369 Auf diesen Aspekt hinweisend K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 32. 370 S. nur Hermanns, DNotZ 2022, 3, 7. 371 In diese Richtung auch Roßkopf/Hoffmann, ZPG 2023, 14, 24; C. Schäfer in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 1 Rz. 35 a.E. Insoweit zutreffend Armbrüster in C. Schäfer,
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Rechtsnatur der Gesellschaft | Rz. 85 § 705 BGB
Die vorstehenden Überlegungen gelten auch dann, wenn die Gesellschaft durch Bevollmäch- 82 tigte zum Register angemeldet wird, was nach § 707b Nr. 2 BGB i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 3 HGB möglich ist (hierzu § 12 HGB Rz. 11 ff.). Erteilen die Gesellschafter eine Anmeldungsvollmacht, die nach § 12 Abs. 1 Satz 3 HGB wie die Anmeldung selbst der öffentlichen Beglaubigung bedarf,372 werden sie sich in der Regel darüber im Klaren sein, dass in der Anmeldung Umstände aufgegriffen werden, die für eine rechtsfähige Gesellschaft typisch sind. Wegen der Formalisierung der Vollmachtserteilung ist die Annahme fernliegend, dass die Gesellschafter trotz der Anmeldung zur Eintragung in das Gesellschaftsregister eine Innengesellschaft gründen wollen. Etwas anderes dürfte nur in Fällen gelten, in denen ein falsus procurator die Gesellschaft zum Gesellschaftsregister anmeldet.373 Auch in solchen Konstellationen sollte gleichwohl die Publizitätswirkung des Gesellschaftsregisters ein hinreichender Grund dafür sein, die Gesellschaft als rechtsfähig zu behandeln. Selbst wenn man es konstruktiv für möglich hält, dass eine nicht rechtsfähige Gesellschaft in das Gesellschaftsregister eingetragen werden kann, erzeugt die Registereintragung einen Rechtsscheintatbestand und es sind die Grundsätze der Schein-Außengesellschaft zu beachten (Rz. 96 ff.).374 dd) Zeitpunkt des Willens zur Teilnahme am Rechtsverkehr § 705 Abs. 2 BGB regelt nicht eindeutig, wann die Gesellschaft rechtsfähig wird. Maßgeblich 83 dürfte in der Regel der Zeitpunkt sein, in dem sämtliche Gesellschafter den Willen gebildet haben, dass die Gesellschaft am Rechtsverkehr teilnehmen soll. Liegt dieser Zeitpunkt vor der einvernehmlichen Geschäftsaufnahme oder Registereintragung (§ 719 Abs. 1 BGB), entsteht im Innenverhältnis eine rechtsfähige Gesellschaft,375 die bereits über ein Gesellschaftsvermögen (§ 713 BGB) verfügt, das sich aus den Ansprüchen auf Beitragsleistungen zusammensetzt (dazu bereits Rz. 24). Vor diesem Hintergrund überzeugt es nicht, die im Innenverhältnis entstandene rechtsfähige Gesellschaft als eine „leere Hülse“ zu bezeichnen.376 Den Gesellschaftern steht es frei, trotz der in Rz. 83 genannten Willensübereinstimmung die 84 Teilnahme am Rechtsverkehr privatautonom hinauszuschieben. In einem solchen Fall ist auf den späteren Zeitpunkt abzustellen.377 Bis dahin können die Gesellschafter in einer nicht rechtsfähigen Gesellschaft verbunden sein (Rz. 93 ff.). Spätestens mit der Registereintragung wird die Gesellschaft zu einer rechtsfähigen (Rz. 79 ff.).378 ee) Aufgabe des Willens zur Teilnahme am Rechtsverkehr Geben ein oder mehrere Gesellschafter den Willen zur Teilnahme am Rechtsverkehr auf, 85 wird im Schrifttum vertreten, dass die rechtsfähige Gesellschaft, die nicht im Gesellschaftsregister eingetragen ist (zu diesem Fall § 740 BGB Rz. 4) zu einer nicht rechtsfähigen wird und die Grundsätze der Schein-Außengesellschaft (Rz. 96 ff.) aufgegriffen werden können,
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Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 35. A.A. wohl Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 47, der jedoch von einem „(theoretischen?) Fall“ ausgeht. Hierzu statt vieler Koch/Harnos in Staub, 6. Aufl. 2023, § 12 HGB Rz. 36 ff. Auf diesen Problemfall hinweisend Wertenbruch, ZPG 2023, 1, 6. So auch Röß, NZG 2023, 401, 404. Übereinstimmend Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 54: Rechtsfähigkeit bereits vor Aufnahme des „fertigen“ Geschäftsbetriebs. Krit. zur Innenrechtsfähigkeit Verse/Tassius in FS Grunewald, 2021, S. 1159, 1167 f.: „Fehlkonstruktion“. So aber Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 49. Armbrüster in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 24; Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 48. Vgl. auch Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 47 f. Koch/Harnos | 43
§ 705 BGB Rz. 85 | Allgemeine Bestimmungen wenn der Statuswechsel379 für den Rechtsverkehr nicht erkennbar ist (so auch für die Aufgabe des Willens durch alle Gesellschafter § 740 BGB Rz. 4).380 Ein solches Ergebnis steht indes in einem Spannungsverhältnis zu den Regelungen über die Auflösung und Auseinandersetzung einer rechtsfähigen Gesellschaft (§§ 729 ff. BGB): Nach § 729 Abs. 1 Nr. 3 BGB führt die Kündigung der Gesellschaft durch einen Gesellschafter – die von der Kündigung der Mitgliedschaft nach § 725 BGB abzugrenzen ist (s. § 725 BGB Rz. 4 ff.) – zur Auflösung der Gesellschaft. Dabei muss die Kündigung nach außen ausgesprochen werden und dem Kündigungsadressaten381 zugehen (§ 729 BGB Rz. 13 f. und § 731 BGB Rz. 1 ff.). Dies deutet darauf hin, dass die bloße Willensänderung als ein rein interner Vorgang nicht ausreicht, um einen Statuswechsel zu bewirken. Zudem kann ein rechtsfähiges Subjekt nicht ohne weiteres aus dem Rechtsverkehr verschwinden, sondern seine Existenz muss in einem geordneten Verfahren – der Liquidation nach §§ 735 ff. BGB – beendet werden.382 Schließlich ist zu beachten, dass ein Statuswechsel durch bloße Aufgabe des Willens, am Rechtsverkehr teilzunehmen, Fragen nach dem Schicksal des Gesellschaftsvermögens aufwirft:383 Fällt die rechtsfähige Gesellschaft als Träger des Gesellschaftsvermögens (§ 713 BGB) weg, lassen sich die zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Gegenstände nicht zweifelsohne einer Person zuordnen. Vor diesem Hintergrund kann die bloße Aufgabe des Willens, am Rechtsverkehr teilzunehmen, nicht dazu führen, dass die Gesellschaft ihre Rechtsfähigkeit verliert.384 ff) Beweisfragen 86 Nach allgemeinen Grundsätzen obliegen die Darlegung und der Beweis des inneren Gesell-
schafterwillens derjenigen Person, die sich auf die Rechtsfähigkeit der Gesellschaft beruft.385 Geht es also um die Inanspruchnahme des Gesellschaftsvermögens oder der einzelnen Gesellschafter nach §§ 721 ff. BGB, trägt der (potenzielle) Gläubiger die Darlegungs- und Beweislast für die Rechtsfähigkeit der Gesellschaft. Um den Beweis zu führen, kann er einen Auszug aus dem Gesellschaftsregister vorlegen, die Vermutungsgrundlagen des § 705 Abs. 3 BGB vortragen oder die Indizien vorbringen, die in Rz. 78 aufgezählt sind.
379 Damit ist nicht der registerrechtliche Statuswechsel i.S.d. § 707c BGB zu verstehen (hierzu s. § 707c BGB Rz. 1 ff.). 380 Dafür augenscheinlich Armbrüster in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 25, 38. Vgl. ferner Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 126: Die Gesellschafter bleiben in rechtsfähiger GbR verbunden, „bis sie ihre gewerbliche oder selbständige berufliche Tätigkeit durch gemeinsamen Willensakt erkennbar wieder aufgegeben haben“. 381 An wen die Kündigung zu richten ist, ergibt sich nicht eindeutig aus dem Gesetz. Während nach den Gesetzesmaterialien die Kündigung gegenüber der Gesellschaft zu erklären ist (s. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 180), wird im Schrifttum teilweise befürwortet, dass die Gesellschafter die richtigen Kündigungsadressaten sind (so § 731 BGB Rz. 6). 382 Ebenfalls darauf hinweisend C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 21, 186 a.E. So augenscheinlich auch Armbrüster in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 27, was aber im Widerspruch zu seinen Ausführungen in Rz. 25 und 38 steht (ähnlich der Befund bei C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 21 Fn. 37). 383 Zur Bedeutung der unterschiedlichen Vermögensordnung bei rechtsfähiger und nicht rechtsfähiger GbR für die Frage nach der Möglichkeit einer identitätswahrenden Umwandlung s. auch Roßkopf/Hoffmann, ZPG 2023, 14, 24. 384 Ebenso C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 21, 186 a.E.; Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 51. Im Ergebnis wohl auch Bachmann, NZG 2020, 612, 615: Umwandlung einer rechtsfähigen in eine nicht rechtsfähige GbR sei ausgeschlossen (im Kontext der Registereintragung). 385 Armbrüster in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 39; Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 52.
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Rechtsnatur der Gesellschaft | Rz. 88 § 705 BGB
c) Rechtsfähige GbR im Rechtsverkehr Die rechtsfähige GbR kann dieselben Rechtspositionen einnehmen wie sonstige rechtsfähige 87 Verbände.386 Namentlich ist sie grundrechtsfähig,387 markenrechtsfähig,388 grundbuchfähig,389 mitgliedsfähig und insolvenzfähig390 (vgl. § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO). Ihre Prozessfähigkeit folgt aus § 50 Abs. 1 ZPO, der an die Rechtsfähigkeit anknüpft.391 Ferner kann die rechtsfähige GbR Ämter wie organschaftlicher Vertreter bzw. Liquidator einer Personengesellschaft, Testamentsvollstrecker oder WEG-Verwalter bekleiden, allerdings nicht als Mitglied eines AG-Vorstands, GmbH-Geschäftsführer, Prokurist oder Insolvenzverwalter agieren.392 d) Rechtsnatur Die Frage nach der Rechtsfähigkeit einer GbR ist eng mit der Frage nach ihrer Rechtsnatur 88 verbunden.393 Im Schrifttum herrschte seit jeher ein Streit darüber, ob einer rechtsfähigen GbR (und den anderen rechtsfähigen Personengesellschaften, also namentlich der OHG und der KG) der Status einer juristischen Person zu verleihen ist394 oder ob – wie § 14 Abs. 1 BGB es nahe legt – neben den natürlichen oder juristischen Personen eine dritte Kategorie rechtsfähiger Personengruppen zu bilden ist: die rechtsfähigen Personengesellschaften.395 Der Streit, der für die Rechtspraxis freilich ohne Bedeutung und nur von dogmatischem Interesse ist,396 wird auch im Zusammenhang mit der Modernisierung des Personengesellschaftsrechts und nach der Einführung des § 705 Abs. 2 BGB geführt.397 Während die wohl herrschende Ansicht im Schrifttum im Einklang mit der herkömmlichen Auffassung die rechtsfähige Gesellschaft nicht als eine juristische Person einordnet,398 wollen einige Autoren
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Überblick bei H.P. Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 70 ff. BVerfG v. 2.9.2002 –1 BvR 1103/03, NJW 2002, 3533. BPatG v. 20.8.2004 – 25 W (pat) 232/03, GRUR 2004, 1030, 1031. BGH v. 4.12.2008 – V ZB 74/08, BGHZ 179, 102 Rz. 10 ff. = ZIP 2009, 66; eingehend zur Rechtslage vor dem MoPeG: H.P. Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 71 ff. Speziell dazu H.P. Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 70. Vgl. dazu statt vieler C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 235 ff. Zur Amtsfähigkeit der OHG Haas/Mohamed in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 105 HGB Rz. 10, deren Ausführungen sich auf die rechtsfähige GbR übertragen lassen. Aufschlussreicher historischer Überblick bei Schall in FS Heidel, 2021, S. 155, 157 ff. Dafür etwa Bergmann in jurisPK/BGB, 10. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 46; Hadding, ZGR 2001, 712, 718 ff.; T. Raiser, AcP 199 (1999), 104, 141 ff. So die h.M., vgl. statt vieler BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341, 347 = ZIP 2001, 330; BGH v. 4.12.2008 – V ZB 74/08, BGHZ 179, 102 Rz. 10 = ZIP 2009, 66; Bachmann in FS K. Schmidt, Bd. 1, 2019, S. 49, 57 ff. Treffend Bachmann in FS K. Schmidt, Bd. 1, 2019, S. 49: Es handele sich um eine Frage dogmatischer und didaktischer Natur, die nicht von den Gerichten, sondern vom Hochschullehrer zu beantworten sei; s. ferner Bachmann in FS Henssler, 2023, S. 769, 773. Namentlich hat der MoPeG-Gesetzgeber die Frage nach der Rechtsnatur der rechtsfähigen Personengesellschaft – trotz einiger Anhaltspunkte in den Materialien (s. Rz. 89 a.E.) – nicht eindeutig im Gesetz geklärt, s. Schall in FS Heidel, 2021, S. 155, 163 f. Armbrüster in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 46; Bachmann, NJW 2021, 3073 Rz. 12; Bachmann in FS Henssler, 2023, S. 769, 773 ff.; Habersack, ZGR 2020, 539, 548; Lieder/Hilser, NotBZ 2021, 401, 402; Roßkopf, Stellungnahme i.R.d. Sachverständigenanhörung v. 19.1.2021, S. 4; C. Schäfer in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 1 Rz. 16 Fn. 30; Schollmeyer in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2020, 2021, S. 15 Rz. 13; Wertenbruch, GmbHR 2021, 1 Rz. 2; Wertenbruch, JZ 2023, 78, 79 f.; Wilhelm, NZG 2020, 1041, 1042. Vgl. ferner Escher-Weingart, WM 2022, 2297, 2300 ff., die auf S. 2303 von der derivativen Rechtsfähigkeit spricht, um rechtsfähige Gesellschaften von juristischen Personen abzugrenzen; ob damit „eine völlig neue dogmatische Figur“ geschaffen wurde, ist äußerst zweifelhaft. Koch/Harnos | 45
§ 705 BGB Rz. 88 | Allgemeine Bestimmungen die klassische Dreiteilung399 aufgeben und die rechtsfähige Personengesellschaften als juristische Personen anerkennen.400 89 Will man diese Glaubensfrage beantworten, spricht mehr dafür, die rechtsfähige GbR nicht
als eine juristische Person einzuordnen und an der Unterscheidung zwischen natürlichen und juristischen Personen sowie rechtsfähigen Personengesellschaften festzuhalten. Zunächst steht diese herkömmliche Differenzierung mit § 14 Abs. 1 BGB im Einklang, der weiterhin von den drei Kategorien handelt.401 Der Gesetzgeber genießt die Freiheit, jenseits aller dogmatischen Zwänge die Kategorienbildung zu formen;402 die Rechtsdogmatik hat der gesetzgeberischen Entscheidung zu folgen.403 Bis die Dreiteilung des § 14 Abs. 1 BGB aufgehoben ist, können rechtsfähige Gesellschaften nicht als juristische Personen behandelt werden. Anderenfalls wäre die Kategorie der rechtsfähigen Personengesellschaften obsolet. Dass der Gesetzgeber nach wie vor an der herkömmlichen Differenzierung festhalten will, lässt sich auch mit einem Verweis auf registerrechtliche Vorschriften belegen: § 707 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b BGB und § 106 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b HGB unterscheiden zwischen juristischen Personen und rechtsfähigen Personengesellschaften. Überdies kommt dieser Wille in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck.404 90 Schließlich lassen sich auch nach MoPeG etliche Merkmale einer rechtsfähigen Personen-
gesellschaft aus dem Gesetz herausdestillieren, die den Unterschied zu juristischen Personen unterstreichen (zum personengesellschaftsrechtlichen Sozietätsmodell im Kontext der Abgrenzung zur juristischen Person vgl. § 708 BGB Rz. 35 ff.).405 So gelten im Personengesell-
399 Für einen weitergehenden Schritt dahin, nur zwischen Rechtssubjekten und Rechtsobjekten zu unterscheiden, Bauermeister/Grobe, ZGR 2022, 733, 772 ff. Der Vorschlag lässt sich freilich nur schwer mit § 14 Abs. 1 BGB vereinbaren, der an der Differenzierung zwischen drei Typen der Rechtssubjekte festhält. 400 Vgl. etwa Kindler, ZfPW 2022, 409, 413, 420 ff.; de lege ferenda sympathisierend Fleischer, DStR 2021, 430, 433. S. ferner Schall, Stellungnahme i.R.d. Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss, S. 4: „personenabhängige juristische Person“; im Rahmen der Reformdiskussion bereits Schall, ZIP 2020, 1443, 1446; Schall in FS Heidel, 2021, S. 155, 164 ff.; s. auch Geibel, ZRP 2020, 137, 138. Vgl. auch AK Bilanzrecht Hochschullehrer Rechtswissenschaft, ZIP 2021, S3, S5: Es sei zweifelhaft, ob die verbleibenden Strukturunterschiede zwischen rechtsfähigen Personengesellschaft und juristischen Personen tatsächlich eine kategoriale Unterscheidung rechtfertigen würden; in diese Richtung bereits Röder, AcP 215 (2015), 450, 490 f. 401 Fleischer, DStR 2021, 430, 433; Wertenbruch, JZ 2023, 78, 79 f. Auf § 14 Abs. 2 BGB abstellend Bachmann, NJW 2021, 3073 Rz. 12; s. auch schon Bachmann in FS K. Schmidt, Bd. 1, 2019, S. 49, 50 f.; vgl. dazu bereits BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341, 347 = ZIP 2001, 330. Zur Geschichte des § 14 BGB im Kontext der Rechtsfähigkeit aufschlussreich Wertenbruch in FS Seibert, 2019, S. 1089, 1091 ff. 402 Zutreffend AK Bilanzrecht Hochschullehrer Rechtswissenschaft, ZIP 2021, S3, S4 f.; Armbrüster in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 46. A.A. namentlich Kindler, ZfPW 2022, 409, 418. 403 Zum Verhältnis zwischen Gesetzgebung und Rechtsdogmatik im Kontext der Modernisierung des Personengesellschaftsrechts Martens, AcP 221 (2021), 68, 79 (hinsichtlich der Einordnung des Gesellschaftsvertrags als Organisationsvertrag); Schall, ZIP 2020, 1443, 1446; dies verkennend Escher-Weingart, WM 2022, 2297, 2301 ff. 404 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 103 (Abgrenzung der rechtsfähigen Personengesellschaft von der juristischen Person), 106 (Es werde davon ausgegangen, dass die in § 14 Abs. 1 BGB vorgesehene Unterscheidung von der juristischen Person weiterhin Bestand habe; Aufgabe des Gesamthandsprinzips zwinge nicht zur Einebnung der Unterscheidung zwischen rechtsfähigen Personengesellschaften und juristischen Personen). 405 A.A. Bauermeister/Grobe, ZGR 2022, 733, 745 ff.
46 | Koch/Harnos
Rechtsnatur der Gesellschaft | Rz. 92 § 705 BGB
schaftsrecht nach wie vor der Grundsatz der Selbstorganschaft (§ 715 BGB Rz. 14)406 und das Anwachsungsprinzip407 (§ 712 BGB und § 712 BGB Rz. 5 ff.). Auch kann eine Personengesellschaft gem. § 711 Abs. 1 Satz 2 BGB weiterhin keine eigenen Anteile erwerben (§ 712a BGB Rz. 9 f.).408 Scheidet der vorletzte Gesellschafter aus, kann die GbR nicht als eine Einpersonengesellschaft fortgeführt werden, sondern das Gesellschaftsvermögen fällt nach § 712a Abs. 1 Satz 2 BGB dem letztverbliebenen Gesellschafter an (§ 712a BGB Rz. 5 ff.).409 Ebenfalls sollte sich die Rechtslehre – trotz einiger Gegenstimmen im Schrifttum410 – im ge- 91 sellschaftsrechtlichen Kontext von der Figur der Gesamthand trennen.411 Nachdem die §§ 718–720 BGB a.F. – in denen das Gesamthandsprinzip kodifiziert war – gestrichen wurden und das Gesellschaftsvermögen nach § 713 BGB nunmehr unmissverständlich der Gesellschaft zugeordnet ist, besteht kein Grund, an einer überkommenen Rechtsfigur festzuhalten, die nach der Anerkennung der Rechtsfähigkeit durch den BGH für mehr Verwirrung als Nutzen gesorgt hat.412 Dies gilt auch im Hinblick auf die Gesetzesmaterialien, wonach das Gesamthandsprinzip auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts ausgedient habe.413 e) Beispiele Als Beispiele einer rechtsfähigen Gesellschaft dienen in erster Linie die nicht im Handels- 92 register eingetragenen Kleingewerbebetriebe, die von mehreren Personen getragen werden,414 und Freiberufler-Sozietäten wie Anwaltssozietäten oder Gemeinschaftspraxen (zur 406 Siehe nur Roßkopf/Hoffmann, ZPG 2023, 14, 18; Wertenbruch in FS Henssler, 2023, S. 1319 ff. Gegen die Heranziehung der Selbstorganschaft als ein strukturentscheidendes Kriterium für die Abgrenzung der Personengesellschaft von juristischer Person aber § 708 BGB Rz. 41. 407 Hierzu etwa Wertenbruch in FS Henssler, 2023, S. 1319, 1321 f. 408 Darauf abstellend Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 144. 409 Zu diesen Aspekten im Kontext der Unterscheidung zwischen juristischen Personen und rechtsfähigen Personengesellschaften Bachmann, NJW 2021, 3073 Rz. 12; Bachmann in FS Henssler, 2023, S. 769, 774 ff. (der auf das fehlende personale Substrat der juristischen Person hinweist); Habersack, ZGR 2020, 539, 548; Lieder/Hilser, NotBZ 2021, 401, 402 (die zudem zutreffend darauf hinweisen, dass im Recht der Personengesellschaften – anders als im Recht der Körperschaften – das System der Normativbedingungen nicht gilt); Wertenbruch, JZ 2023, 78, 79 f.; vgl. ferner Schollmeyer in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2020, 2021, S. 15 Rz. 12. Mit plastischem Beispiel Wertenbruch in FS Seibert, 2019, S. 1089, 1097 ff. 410 Für ein Festhalten an der personalen Komponente der Gesamthand Habersack, ZGR 2020, 539, 547 ff. Vgl. ferner AK Bilanzrecht Hochschullehrer Rechtswissenschaft, ZIP 2021, S3, S4 f.; Altmeppen, NZG 2020, 822; K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 28 ff.; Wertenbruch, ZPG 2023, 1, 7 ff.; Wertenbruch, JZ 2023, 78, 79; Wilhelm, NZG 2020, 1041, 1042 f. Vgl. ferner C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 201, der darauf hinweist, dass der MoPeG-Gesetzgeber die Flume’sche Lehre von der Gesamthandsgesellschaft in das Gesetz übernommen habe. Von einer Begradigung der Gruppenlehre spricht Bachmann in FS Henssler, 2023, S. 769, 779. 411 So auch Armbrüster in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 45; Bachmann in FS K. Schmidt, Bd. 1, 2019, S. 49, 51 ff.; Bachmann, NJW 2021, 3073 Rz. 12; Bachmann in FS Henssler, 2023, S. 769, 776 ff.; Fleischer, DStR 2021, 430, 435; Heckschen, NZG 2020, 761, 762; Kindler, ZfPW 2022, 409, 412 f.; Kruse, DStR 2021, 2412 f.; Nazari-Khanachayi, WM 2020, 2056, 2060; Wertenbruch, GmbHR 2021, 1 Rz. 2 (anders aber nun augenscheinlich Wertenbruch, ZPG 2023, 1, 7 ff. und Wertenbruch, JZ 2023, 78, 79). Vor dem MoPeG bereits Röder, AcP 215 (2015), 450, 494 ff. 412 Deutlich Röder, AcP 215 (2015), 450, 495: „klare Fehlkonstruktion“; vgl. ferner Altmeppen, NZG 2020, 822: „Quelle andauernder Missverständnisse“; in diese Richtung auch Bachmann in FS Henssler, 2023, S. 769, 779. Zu den positiven Aspekten des Gesamthandsprinzips aber Fleischer, DStR 2021, 430, 435: „wohlfahrtsfördernde Funktion, das Gesellschaftsvermögen vom Privatvermögen der Gesellschafter zu trennen“. 413 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 104. 414 Hierzu C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, Vor § 705 BGB Rz. 43. Koch/Harnos | 47
§ 705 BGB Rz. 92 | Allgemeine Bestimmungen Öffnung der Personenhandelsgesellschaften für Freiberufler durch § 107 Abs. 1 Satz 2 HGB s. § 107 HGB Rz. 10 ff.).415 Auch Sportteams oder Artistengruppen, die unter einem gemeinsamen Namen auftreten, sind im Hinblick auf die Indizienaufzählung in den Gesetzesmaterialien (Rz. 78) sowie die Vermutung des § 705 Abs. 3 BGB (Rz. 99 ff.) als rechtsfähige Gesellschaften einzuordnen.416 Ebenfalls kann eine Wohngemeinschaft als eine rechtsfähige Gesellschaft auftreten, wenn die Mitbewohner den gemeinsamen Willen gebildet haben, gegenüber dem Vermieter als Einheit aufzutreten (s. noch Rz. 95).417 Neuerdings wird die sog. Decentralized Autonomous Organization (DAO; s. dazu bereits Rz. 39) von der herrschenden Auffassung als eine rechtsfähige GbR eingeordnet,418 was jedoch die – nicht unproblematische – Anwendbarkeit des deutschen Rechts voraussetzt.419
3. Nicht rechtsfähige Gesellschaft a) Merkmale 93 Eine Gesellschaft ist gem. § 705 Abs. 2 Var. 2 BGB nicht rechtsfähig, wenn sie den Gesell-
schaftern zur Ausgestaltung ihres Rechtsverhältnisses untereinander dient. Ob die Gesellschaft für außenstehende Dritte sichtbar ist, spielt dagegen keine Rolle. Es kann also vorkommen, dass eine Gesellschaft nach außen erkennbar, aber trotzdem nicht rechtsfähig ist.420 Wie bei der rechtsfähigen Gesellschaft ist die innere Willensrichtung der Gesellschafter maßgeblich. Haben die Gesellschafter ihre Vereinbarung in einem schriftlichen Vertrag niedergelegt (was seltener der Fall sein dürfte als bei einer rechtsfähigen Gesellschaft), können die Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags ausgelegt werden, um den Willen der Gesellschafter zu erforschen (s. dazu bereits Rz. 16 f.). b) Rechtsnatur 94 Die nicht rechtsfähige Gesellschaft ist ein Schuldverhältnis zwischen den Gesellschaftern.
Wie der Name verrät, verfügt das bloß schuldrechtliche Gebilde (Rz. 19) nicht über die Rechtsfähigkeit. Zudem spricht § 740 Abs. 1 BGB der nicht rechtsfähigen Gesellschaft die
415 C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, Vor § 705 BGB Rz. 37 ff.; K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 27. 416 A.A. K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 25. 417 Vgl. Staake in Staake/von Bressensdorf, Rechtshdb. WG, 2019, § 1 Rz. 27; H.P. Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, Vor § 705 BGB Rz. 53. Für das Vorliegen einer Innen-GbR als Regelfall aber Sagan in Staake/von Bressensdorf, Rechtshdb. WG, 2019, § 14 Rz. 6 ff. mit weiterführenden Erläuterungen zur Abgrenzung zwischen Innen- und Außen-GbR vor dem MoPeG. 418 Fleischer, ZIP 2021, 2205, 2207; Mann, NZG 2017, 1014, 1017; Schwemmer, AcP 221 (2021), 555, 570 f.; Spindler, RDi 2021, 309 Rz. 10 ff.; a.A. (Einordnung als KG) Zetzsche, ZGR 2022, 698, 715, 720 ff. Für eine Innen-GbR Teichmann, ZfPW 2019, 247, 269. Überlegungen de lege ferenda zur Schaffung einer Rechtsform für dezentrale Unternehmenssteuerung ohne persönliche Haftung der Gesellschafter bei Fleischer, ZIP 2021, 2205, 2211 ff.; Schwemmer, AcP 221 (2021), 555, 576 ff.; Zetzsche, ZGR 2022, 698, 718 ff. Rechtsvergleichender Überblick, insb. zur Wyoming DAO LLC, bei Fleischer, ZIP 2021, 2205, 2209 ff.; Mienert, RDi 2021, 384 ff.; Spindler, RDi 2021, 309 Rz. 17 ff. 419 Zum Kollisionsrecht der DAO vgl. Fleischer, ZIP 2021, 2205, 2208 f.; Mann, NZG 2017, 1014, 1018 f.; Spindler, RDi 2021, 309 Rz. 13 ff.; Teichmann, ZfPW 2019, 247, 270; Zetzsche, ZGR 2022, 698, 711 ff. 420 Armbrüster in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 1; Bachmann, NZG 2020, 612, 614; K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 25.
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Rechtsnatur der Gesellschaft | Rz. 95 § 705 BGB
Vermögensfähigkeit ab (ausf. dazu § 740 BGB Rz. 25 ff.).421 Diese Anordnung hat im Schrifttum einen Streit darüber ausgelöst, ob zumindest die Gesellschafter ein Gesamthandsvermögen bilden können422 oder ob das Vermögen dinglich den einzelnen Gesellschaftern als Allein- oder Miteigentümern zugeordnet wird und durch schuldrechtliche Gestaltungen (wie etwa Treuhandverträge) gebunden wird.423 Da der Gesetzgeber vom Gesamthandsprinzip im Gesellschaftsrecht erkennbar Abstand nehmen wollte424 und die weiteren Fälle der Gesamthand auf einer gesetzlichen Anordnung beruhen (s. §§ 1419, 2032 BGB),425 spricht mehr dafür, dass die Gesellschafter einer nicht rechtsfähigen Gesellschaft kein Gesamthandsvermögen bilden können.426 Gleichwohl kommt es in Betracht, dass die Gesellschafter das Gesellschaftsvermögen nach den Regeln über die Bruchteilsgemeinschaft oder mit Hilfe von Treuhandverträgen simulieren (ausf. dazu § 740 BGB Rz. 32 ff.).427 c) Beispiele Die nicht rechtsfähigen Gesellschaften zeichnen sich durch eine enorme Vielfalt aus (vgl. dazu 95 § 740 BGB Rz. 18 ff.). Weit verbreitet dürften Gelegenheitsgesellschaften des täglichen Lebens sein, etwa in Gestalt von Fahrtgemeinschaften, Urlaubsgemeinschaften oder Tippgemeinschaften.428 Denkbar sind ferner nicht rechtsfähige Gesellschaften im partnerschaftlichen Bereich, die traditionell als Ehegatteninnengesellschaften429 bezeichnet werden, aber nicht nur zwischen den Ehegatten entstehen können, sondern auch in nichtehelichen Gemeinschaften in Betracht kommen.430 Zu nennen sind ferner Emissions- und Kreditkonsortien, Beteiligungskonsortien, Stimmbindungsverträge, Poolverträge oder Unterbeteiligungen.431 Auch Büro421 Dies in der Reformdebatte begrüßend etwa Habersack, ZGR 2020, 539, 547; dafür auch Otte-Gräbener in FS Seibert, 2019, S. 613, 615 f.; C. Schäfer in FS Seibert, 2019, S. 723, 729 ff. Dagegen Bachmann, NZG 2020, 612, 615 f.; wohl auch H.P. Westermann, DZWiR 2020, 321, 324. 422 Dafür augenscheinlich Escher-Weingart, WM 2022, 2297, 2304 f. Vgl. ferner Martens, AcP 221 (2021), 68, 77. 423 So Armbrüster in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 48 ff.; Bachmann, NJW 2021, 3073 Rz. 23; Fleischer, DStR 2021, 430, 438; Kindler, ZfPW 2022, 409, 417; K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 21 ff.; vgl. ferner Schall, ZIP 2020, 1443, 1448. Vor dem MoPeG bereits Röder, AcP 215 (2015), 450, 494 ff., 500 ff. 424 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 104: „Das Gesamthandsprinzip mit seiner Aufgabe, das Gesellschaftsvermögen dauerhaft für den vereinbarten Gesellschaftszweck zu sichern und gegen den Zugriff von Privatgläubigern abzuschotten, hat damit jedenfalls auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts ausgedient.“ Vgl. auch im Kontext der rechtsfähigen Gesellschaft Rz. 91. 425 Gegen eine Analogie zu §§ 1429, 2032 BGB ausführlich Armbrüster in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 52. 426 So auch Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 107a. Zur rechtsvergleichenden Perspektive Fleischer, NZG 2020, 601, 602 ff. 427 Zur Bruchteilsgemeinschaft Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 16. 428 Zu dieser Kategorie der nicht rechtsfähigen Gesellschaft vgl. Armbrüster in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 29. Siehe ferner Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 190 (Tippgemeinschaft); Kindler, ZfPW 2022, 409, 416. 429 So auch Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 190; vgl. ferner Kindler, ZfPW 2022, 409, 416; C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, Vor § 705 BGB Rz. 78 ff. 430 Speziell dazu C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, Vor § 705 BGB Rz. 86 ff.; Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 108c f. 431 In diesen Fällen spricht Armbrüster in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 29 von Gelegenheitsgesellschaften des Handelsrechts, was im Ausgangspunkt eine griffige Kategorie ist, in die aber die Stimmkonsortien im Hinblick auf den dauerhaften Charakter nicht recht passen. Zu Stimmkonsortium als nicht rechtsfähiger Gesellschaft vgl. etwa Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 190; BGH v. 24.11.2008 – II ZR 116/07, BGHZ 179, 13 Rz. 14 = AG 2009, 163; Koch, 17. Aufl. 2023, § 133 AktG Rz. 26. Vgl. ferner Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 108 ff. Koch/Harnos | 49
§ 705 BGB Rz. 95 | Allgemeine Bestimmungen und Praxisgemeinschaften sind als nicht rechtsfähige Gesellschaften einzuordnen.432 Je nach Lage im Einzelfall kann eine Wohngemeinschaft im Innenverhältnis zwischen den Mitbewohnern, die gegenüber dem Vermieter als einzelne Vertragspartner auftreten, als eine nicht rechtsfähige Gesellschaft ausgestaltet sein (s. auch bereits Rz. 92).433 Die Gesetzesmaterialien nennen als ein weiteres Beispiel die einrichtungsübergreifende Zusammenarbeit von Wissenschaftlern im Rahmen von „Kooperationen“.434 Auch die stille Gesellschaft (§§ 230 ff. HGB) ist eine nicht rechtsfähige Gesellschaft (dazu § 230 HGB Rz. 3).
4. Schein-Außengesellschaft 96 Nimmt die Gesellschaft ohne Registereintragung435 zwar am Rechtsverkehr tatsächlich teil,
lässt sich aber nicht beweisen, dass dies dem gemeinsamen Willen sämtlicher Gesellschafter entspricht, liegt nach dem subjektiven Ansatz des § 705 Abs. 2 BGB eine nicht rechtsfähige Gesellschaft vor. Darauf deutet auch § 719 Abs. 1 BGB hin, der auf die Zustimmung sämtlicher Gesellschafter zur Entstehungsvoraussetzung im Außenverhältnis abstellt. Der innere Wille des Gesellschafters, der die Teilnahme am Rechtsverkehr nicht mitträgt, hindert also die Entstehung der rechtsfähigen Gesellschaft. Gleichwohl stellt sich in solchen Fällen die Frage, wie der Rechtsverkehr, der den inneren Willen des einen Gesellschafters nicht erkennen kann, geschützt werden kann.436 97 Der Verkehrsschutz lässt sich mit Hilfe der allgemeinen Rechtsscheingrundsätze verwirk-
lichen.437 Das tatsächliche Auftreten im Rechtsverkehr schafft nämlich einen Rechtsscheintatbestand,438 der den Gesellschaftern zurechenbar ist, wenn sie das Handeln im Rechtsverkehr kannten oder kennen mussten.439 Hat ein Rechtsverkehrsteilnehmer eine Disposition im Vertrauen auf den Rechtsschein getroffen und ist er schutzwürdig, kann er sich auf die Rechtsscheingrundsätze berufen. Das Erfordernis einer Disposition führt dazu, dass die Rechtsscheinlehre denjenigen Personen nicht zugutekommt, die einen deliktischen Anspruch geltend machen. Erforderlich ist also ein rechtsgeschäftliches oder quasi-rechtsgeschäftliches Schuldverhältnis.440 Schutzwürdig ist der Rechtsverkehrsteilnehmer, wenn er weder wusste noch wissen musste, dass die Teilnahme der Gesellschaft am Rechtsverkehr nicht dem Willen sämtlicher Gesellschafter entspricht.441 98 Freilich führt die Anwendung der Rechtsscheingrundsätze auf Rechtsfolgenseite nicht dazu,
dass die Gesellschaft zu einer rechtsfähigen i.S.d. § 705 Abs. 2 Var. 1 BGB wird. Gleichwohl 432 K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 27. 433 Dafür als Regelfall Sagan in Staake/von Bressensdorf, Rechtshdb. WG, 2019, § 14 Rz. 8; vgl. ferner Grunewald, JZ 2015, 1027; H.P. Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, Vor § 705 BGB Rz. 53. 434 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 126. 435 Zur Bedeutung der Eintragung für die Rechtsfähigkeit s. Rz. 79 ff. 436 Zur Abgrenzung einer Scheingesellschaft i.S.d. § 117 BGB, auf die die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft (Rz. 21 ff.) Anwendung findet, von der Rechtsscheinhaftung vgl. C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 363 ff. 437 Vgl. auch Martens, AcP 221 (2021), 68, 78, der vom Unterlaufen der streng gefassten Voraussetzungen der § 705 Abs. 2, § 719 Abs. 1 BGB spricht. 438 Servatius, 2023, § 719 BGB Rz. 27. 439 Vgl. Bachmann, NJW 2021, 3073 Rz. 8. Einzelheiten zur Zurechnung bei Servatius, 2023, § 719 BGB Rz. 28, der überdies in § 719 BGB Rz. 25 a.E. zutr. darauf hinweist, dass sich die Haftung der Minderjährigen unter Rechtsscheinaspekten mangels Zurechenbarkeit nicht begründen lässt. 440 Servatius, 2023, § 719 BGB Rz. 30 mit Hinweisen darauf, dass dieses Tatbestandsmerkmal in der Praxis häufig dazu führen dürfte, dass sich der Rechtsverkehr nicht auf die Grundsätze der Schein-Außengesellschaft berufen kann, um die (vermeintlichen) Gesellschafter in Anspruch zu nehmen. 441 Vgl. Servatius, 2023, § 719 BGB Rz. 29: Gutgläubigkeit.
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Rechtsnatur der Gesellschaft | Rz. 100 § 705 BGB
kann sich der schutzwürdige Rechtsverkehrsteilnehmer darauf berufen, dass er ein (rechtsgeschäftliches oder quasi-rechtsgeschäftliches, s. Rz. 97) Schuldverhältnis mit der Schein-Außengesellschaft eingegangen ist und nun gem. §§ 721 ff. BGB diejenigen Gesellschafter der Schein-Außengesellschaft persönlich in Anspruch nehmen kann, denen der Rechtsschein zurechenbar ist.442
IV. Vermutung der Rechtsfähigkeit (§ 705 Abs. 3 BGB) 1. Gesetzesentwicklung und Systematik Nach § 705 Abs. 3 BGB wird vermutet, dass die Gesellschaft nach dem gemeinsamen Willen 99 der Gesellschafter am Rechtsverkehr teilnimmt (zur Bestimmung der Rechtsfolge s. noch Rz. 105 ff.), wenn der Gegenstand der Gesellschaft der Betrieb eines Unternehmens unter gemeinschaftlichem Namen ist. Der Vermutungstatbestand war weder im Mauracher Entwurf noch im Referenten- und Regierungsentwurf enthalten (s. bereits Rz. 2) und hat erst auf Anregung des Bundesrats, dem § 1176 Abs. 1 Satz 2 ABGB als Vorbild diente,443 Eingang ins Gesetz gefunden.444 Der Rechtsausschuss ist dieser Anregung grundsätzlich gefolgt,445 hat die Regelung – augenscheinlich in enger Anlehnung an den Vorschlag von Gregor Bachmann446 – aber deutlich modifiziert:447 Während der Bundesrat § 719 Abs. 1 BGB (Entstehung der Gesellschaft im Außenverhältnis, s. Rz. 6 und § 719 BGB Rz. 6 ff.) ergänzen wollte,448 hat der Rechtsausschuss die Vermutung in § 705 Abs. 3 BGB verankert. Diese systematische Verortung entspricht dem österreichischen Regelungsvorbild in § 1176 Abs. 1 Satz 2 ABGB.449 Der Unterschied zu § 1176 Abs. 1 Satz 2 ABGB liegt aber in der Ausgestaltung der Vermutungsvoraussetzungen: Nach § 1176 Abs. 1 Satz 2 ABGB sind der Betrieb eines Unternehmens als Gegenstand der Gesellschaft und die Führung eines gemeinsamen Namens alternative Vermutungsgrundlagen;450 dies hat der Bundesrat in seinem Regelungsvorschlag aufgegriffen.451 Nach § 705 Abs. 3 BGB müssen hingegen die beiden Vermutungsvoraussetzungen kumulativ erfüllt sein. Die Einführung der Vermutung ist grundsätzlich zu begrüßen,452 weil sie die Schwachstellen 100 des subjektiven Ansatzes bei der Abgrenzung der rechtsfähigen von der nicht rechtsfähigen Gesellschaft (Rz. 76) zum Teil behebt (zur Einordnung des § 705 Abs. 3 BGB als Vermutung der Rechtsfähigkeit s. noch Rz. 105 f.). Indes überzeugt die Ausgestaltung des § 705 Abs. 3
442 Armbrüster in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 37 a.E.; Servatius, 2023, § 719 BGB Rz. 31. 443 Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drucks. 19/27635, 304 f. 444 Für eine Vermutungsregelung auch AK Bilanzrecht Hochschullehrer Rechtswissenschaft, ZIP 2021, S3, S11; Deutscher Industrie- und Handelskammertag, Stellungnahme i.R.d. Sachverständigenanhörung v. 9.3.2021, S. 3; Otte-Gräbener in FS Seibert, 2019, S. 613, 616. 445 Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 19/31105, 6. 446 Vgl. Bachmann, Stellungnahme i.R.d. Sachverständigenanhörung v. 18.1.2021, S. 6. 447 Zu den Unterschieden zwischen dem Bundesratsvorschlag und der verabschiedeten Gesetzesfassung s. auch Wertenbruch, ZPG 2023, 1, 10 f. 448 Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drucks. 19/27635, 304. 449 Dazu etwa Fleischer/Heinrich/Pendl, NZG 2016, 1001, 1004. 450 Vgl. nur C. Schäfer in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 1 Rz. 35, der eine solche Ausgestaltung des Vermutungstatbestandes für vorzugswürdig hält (s. C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 189). Für die Einführung eines dritten Vermutungstatbestandes, der auf die Bestimmung eines Gesellschaftssitzes anknüpft, Otte-Gräbener in FS Seibert, 2019, S. 613, 616. 451 Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drucks. 19/27635, 304. 452 So auch Lieder/Hilser, NotBZ 2021, 401, 409. Koch/Harnos | 51
§ 705 BGB Rz. 100 | Allgemeine Bestimmungen BGB nicht gänzlich: Auf der Tatbestandsebene ist unklar, was unter „Gegenstand der Gesellschaft“ (dazu Rz. 101) und „Unternehmen“ (dazu Rz. 102 f.) zu verstehen ist. Dies ist insoweit misslich, als diese Begriffe in der Rechtsordnung je nach Kontext unterschiedlich gedeutet werden. Auch die Rechtsfolge des § 705 Abs. 3 BGB ist im Hinblick auf das Spannungsverhältnis zwischen Gesetzeswortlaut und -systematik nicht leicht zu bestimmen (dazu Rz. 105 ff.).453 Die Auslegungsschwierigkeiten werden dadurch potenziert, dass die Gesetzesmaterialien – namentlich der Bericht des Rechtsausschusses – keinerlei Hinweise enthalten, die im Rahmen der historischen Auslegung aufgegriffen werden können. Da sich der Rechtsausschuss an den Vorschlägen von Bachmann erkennbar orientiert hat (dazu bereits Rz. 99), stellt sich in methodischer Hinsicht die Frage, inwieweit die Ausführungen in der Sachverständigenstellungnahme im Rahmen der Gesetzesauslegung berücksichtigt werden dürfen: Der Wortlaut und die systematische Verortung des § 705 Abs. 3 BGB weisen eine auffällige Ähnlichkeit mit dem Regelungsvorschlag Bachmanns auf, was die Annahme erlaubt, dass der Rechtsausschuss bei der Ausgestaltung der Vermutung unter dem Eindruck des Sachverständigengutachtens stand. Vor diesem Hintergrund erscheint es methodisch zulässig, die Überlegungen Bachmanns im Rahmen der historischen Auslegung zu berücksichtigen.454
2. Voraussetzungen a) Betrieb eines Unternehmens als Gegenstand der Gesellschaft 101 Die Vermutung des § 705 Abs. 3 BGB setzt zunächst voraus, dass Gegenstand der Gesellschaft
der Betrieb eines Unternehmens ist. Diese Formulierung erinnert an § 105 Abs. 1 HGB,455 der aber nicht vom „Gegenstand der Gesellschaft“, sondern von deren Zweck spricht. Diese terminologische Abweichung trägt zu einer begrifflichen Verwirrung bei.456 Das Gesellschaftsrecht unterscheidet herkömmlich zwischen dem Zweck der Gesellschaft und dem Gegenstand des Unternehmens. Während der Gesellschaftszweck den finalen Sinn des Verbands („Endziel“457) umschreibt, stellt der Unternehmensgegenstand das Tätigkeitsfeld der Gesellschaft und damit das Mittel zur Zweckerreichung dar (s. bereits Rz. 35 ff.).458 Weder dem Wortlaut noch der Entstehungsgeschichte des § 705 Abs. 3 BGB lässt sich zweifelsfrei entnehmen, ob die Vorschrift eine dieser beiden Kategorien adressiert oder eine neue dogmatische Figur schafft. Gemeint dürfte wohl der Gesellschaftszweck sein, der eben im Betrieb eines Unternehmens unter gemeinschaftlichem Namen liegen muss.459
453 Treffend Wertenbruch, ZPG 2023, 1, 12: gesetzessystematische Asymmetrie. 454 Zur Berücksichtigung von Stellungnahmen der Sachverständigen BGH v. 12.10.2005 – IV ZR 162/03, BGHZ 164, 297 Rz. 18 = ZIP 2005, 2109; Möllers, Juristische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 4 Rz. 163. Zurückhaltend aber BGH v. 2.3.1951 – IV ZR 171/52, BGHZ 15, 87, 89 f. = NJW 1954, 1884; Korch, BKR 2020, 285, 286 f. 455 Für eine Anlehnung an das OHG-Recht Bachmann, Stellungnahme i.R.d. Sachverständigenanhörung v. 18.1.2021, S. 6. 456 Zum Fehlen eines stimmigen Gesamtkonzepts des Gesetzes bei der Verwendung grundlegender Begrifflichkeiten Fleischer in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 1 GmbHG Rz. 9. 457 Vgl. Fleischer in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 1 GmbHG Rz. 9: Endzweck (mit Verweisen auf schweizerisches Schrifttum). Zu anderen Deutungen dieses Begriffs (kritisch) Lüdeking, AcP 220 (2020), 303, 323 f. 458 Vgl. statt vieler Altmeppen, 11. Aufl. 2023, § 1 GmbHG Rz. 4 ff.; Koch, 17. Aufl. 2023, § 23 AktG Rz. 22. 459 Darauf deutet die Anlehnung des Rechtsausschusses an den Regelungsvorschlag von Bachmann hin (s. Rz. 99), der die Formulierung des § 105 Abs. 1 HGB als einen Orientierungspunkt für die tatbestandliche Fassung der Vermutung herangezogen hat, vgl. Bachmann, Stellungnahme i.R.d. Sachverständigenanhörung v. 18.1.2021, S. 6.
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Rechtsnatur der Gesellschaft | Rz. 103 § 705 BGB
Unklar ist ferner, was unter dem „Betrieb eines Unternehmens“ zu verstehen ist. In systema- 102 tischer Hinsicht dürfte gesichert sein, dass der Begriff des Unternehmens nicht mit dem des Handelsgewerbes gleichzusetzen ist: Der Gesetzgeber wollte an der tradierten – wenn auch rechtspolitisch nicht überzeugenden460 – Unterscheidung zwischen kaufmännischen und nicht-kaufmännischen Unternehmen ausdrücklich festhalten.461 Im Schrifttum wird zum Teil eine Anlehnung an die Definition des § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG vorgeschlagen,462 zum Teil eine Anknüpfung an § 14 BGB befürwortet.463 Beide Ansätze überzeugen nicht. Da das Steuerrecht durch besondere Wertungen geprägt ist, erscheint es generell bedenklich, steuerrechtliche Definitionen im zivilrechtlichen Kontext aufzugreifen.464 Im Fall des § 15 Abs. 2 Satz 2 EStG gilt dies insbesondere deshalb, weil diese Vorschrift auf die Absicht abstellt, Gewinn zu erzielen. Die Gewinnerzielungsabsicht ist aber nach inzwischen herrschender Auffassung kein Tatbestandsmerkmal des Gewerbes i.S.d. § 1 Abs. 1 HGB (s. auch § 105 HGB Rz. 8).465 Wenn der handelsrechtliche Gewerbebegriff keine Gewinnerzielungsabsicht voraussetzt, leuchtet es nicht ein, wieso sie Zusammenhang mit dem bürgerlich-rechtlichen Unternehmensbegriff – der tendenziell weiter sein sollte – erforderlich sein sollte.466 Außerdem überzeugt der Rückgriff auf § 14 BGB nicht, weil dort der Unternehmer, nicht das Unternehmen definiert wird. Hinzu kommt, dass es sich um eine Vorschrift des Verbraucherschutzrechts handelt, dessen Wertungen nicht ohne weiteres ins Gesellschaftsrecht transponiert werden dürfen. Statt auf § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG oder auf § 14 BGB abzustellen, erscheint es naheliegender, an 103 die Lehre von der unternehmenstragenden Gesellschaft anzuknüpfen,467 die lange vor dem MoPeG-Zeitalter mit dem Ziel entwickelt wurde, die rechtsfähigen Außengesellschaften von nicht rechtsfähigen Gesellschaften bürgerlichen Rechts zu unterscheiden. Danach sollte nur solchen Außengesellschaften bürgerlichen Rechts die Rechtsfähigkeit verliehen werden, die ein Unternehmen betreiben; rein zivilistische Gesellschaften sollten hingegen nicht rechtsfähig sein.468 § 705 Abs. 3 BGB, der die Unterscheidung zwischen rechtsfähigen und nicht rechtsfähigen Gesellschaften erleichtern soll (s. noch Rz. 105 f.), kann als eine gesetzliche Anknüpfung an diese Lehre verstanden werden. In Anlehnung an die Vorarbeiten im Schrifttum bietet es sich an, unter einem Unternehmen eine Einheit zu verstehen, die selbständig, planmäßig und entgeltlich am Markt tätig ist. Hierzu gehört namentlich, dass die Einheit über ein Mindestmaß an sachlichen und personellen Mitteln sowie über eine Organisation ver-
460 Kritisch etwa § 107 HGB Rz. 13; Fleischer, DStR 2021, 430, 431; Habersack, Stellungnahme i.R.d. Sachverständigenanhörung v. 19.1.2021, S. 2. Vgl. aber etwa M. Noack, NZG 2020, 581: Pragmatismus. 461 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 105. 462 So Bachmann, Stellungnahme i.R.d. Sachverständigenanhörung v. 18.1.2021, S. 6: „selbständige nachhaltige Betätigung mit Gewinnerzielungsabsicht, die sich als Beteiligung am allgemeinen Verkehr darstellt.“ 463 Dafür Wertenbruch, ZPG 2023, 1, 11. Vgl. ferner Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 54: Anlehnung an § 14 BGB; ähnlich C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 189 a.E. 464 Im Zusammenhang mit dem Gewerbebegriff des § 1 HGB vgl. Ries in Röhricht/von Westphalen/ Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 1 HGB Rz. 20. 465 Ries in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 1 HGB Rz. 48 m.w.N. 466 Dagegen spricht nicht der Umstand, dass der Definitionsvorschlag in Anlehnung an § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG von Bachmann in der Stellungnahme i.R.d. Sachverständigenanhörung v. 18.1.2021, S. 6 unterbreitet wurde: Auch wenn die Ausführungen Bachmanns einen erhöhten Stellenwert im Rahmen der historischen Auslegung haben (Rz. 100), sind sie doch nicht gewichtig genug, um den Grundsatz zu verdrängen, dass das steuerrechtliche Begriffsverständnis nicht unbesehen ins Zivilrecht transponiert werden kann. 467 Dafür augenscheinlich auch Armbrüster in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 17 a.E. 468 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 1720 ff.; K. Schmidt, NJW 2001, 993, 1002. Koch/Harnos | 53
§ 705 BGB Rz. 103 | Allgemeine Bestimmungen fügt.469 Erhebt der Gesellschaftsvertrag das unternehmerische Handeln oder die Markttätigkeit ausdrücklich zum Gesellschaftszweck, ist die erste Vermutungsvoraussetzung erfüllt. Dies gilt auch dann, wenn der Gesellschaftszweck zwar vertraglich nicht eindeutig konturiert ist, die Gesellschaft aber tatsächlich am Markt auftritt.470 b) Gemeinschaftlicher Name 104 Neben dem Betrieb eines Unternehmens als Gesellschaftszweck setzt § 705 Abs. 3 BGB die
Führung eines gemeinschaftlichen Namens voraus. In systematischer Hinsicht spricht viel dafür, dass der Namensbegriff des § 705 Abs. 3 BGB mit dem des § 707 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a BGB übereinstimmt.471 Die zweite Vermutungsvoraussetzung dürfte ihre teleologische Grundlage in dem Umstand haben, dass mit der Namensführung eine natürliche Publizität einhergeht, die zum einen zu einer verstärkten Bindung im Innenverhältnis, zum anderen zum Vertrauen des Rechtsverkehrs in die Stabilität der Gesellschaft beiträgt.472 Allerdings setzt § 705 Abs. 3 BGB – auch insoweit anders als § 1176 Abs. 1 Satz 2 ABGB – nicht die tatsächliche Namensführung im Rechtsverkehr voraus. Vielmehr knüpft die Vermutung allein an den Gesellschaftszweck (s. Rz. 101) an, zu dem die Führung eines gemeinschaftlichen Namens gehören soll. Im Hinblick darauf dürfte die Vermutung bereits dann eingreifen, wenn die Namensführung lediglich gesellschaftsvertraglich vereinbart wurde und deshalb als Bestandteil des Gesellschaftszwecks anzusehen ist, ohne dass dies tatsächlich gelebt wird. Jedenfalls dann, wenn die Gesellschaft als eine unternehmerische Einheit unter einem gemeinschaftlichen Namen am Markt auftritt (s. Rz. 103), ist die zweite Voraussetzung des § 705 Abs. 3 BGB erfüllt. In einem solchen Fall kann der entsprechende Gesellschaftszweck aus den tatsächlichen Gegebenheiten hergeleitet werden (s. Rz. 31); zudem spricht die mit der Namensführung verbundene Publizität für das Eingreifen der Vermutung.473
3. Rechtsfolgen 105 Welche Rechtsfolgen eintreten, wenn die Vermutungsvoraussetzungen des § 705 Abs. 3 BGB
erfüllt sind, lässt sich der – auch insoweit missglückten (zum Tatbestand s. bereits Rz. 101 ff.) – Regelung nicht zweifelsfrei entnehmen. Nach dem Wortlaut des § 705 Abs. 3 BGB „wird vermutet, dass die Gesellschaft nach dem gemeinsamen Willen der Gesellschafter am Rechtsverkehr teilnimmt.“ Diese Formulierung korrespondiert mit § 719 Abs. 1 BGB, der ebenfalls auf die tatsächliche Teilnahme am Rechtsverkehr abstellt (hierzu schon Rz. 74). Darauf gestützt versteht ein Teil des Schrifttums § 705 Abs. 3 BGB als eine Vorschrift, die aufgegriffen werden kann, um die Entstehung der Gesellschaft im Außenverhältnis zu vermuten.474 Andere wollen § 705 Abs. 3 BGB anwenden, um die rechtsfähige von der nicht rechtsfähigen Gesellschaft zu unterscheiden.475 Die letztgenannte Ansicht überzeugt, auch wenn sie in einem gewissen Widerspruch zum Wortlaut des § 705 Abs. 3 BGB steht: Die systematische 469 Ausführlich zum Unternehmensbegriff K. Schmidt, Handelsrecht, 6. Aufl. 2014, § 3 Rz. 4 ff. Vgl. ferner (trotz der Anlehnung an § 14 BGB) Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 54. 470 Für eine großzügige Betrachtung zutr. Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 54. 471 So wohl auch C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 207. A.A. Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 54: Im Rahmen des § 705 Abs. 3 BGB sei kein Name im Rechtssinne erforderlich. 472 Ausführlich und mit ökonomischen, sprachwissenschaftlichen sowie rechtsvergleichenden Bezügen Denga, ZfPW 2021, 73, 88 ff. 473 Enger wohl Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 55. 474 Wertenbruch, ZPG 2023, 1, 11; dagegen implizit Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 53 a.E. 475 Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 53; implizit auch Bachmann, NJW 2021, 3073 Rz. 7; ebenso wohl C. Schäfer in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 35: „Vermutungsregel zugunsten der Außengesellschaft“; so nunmehr auch C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 189.
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Rechtsnatur der Gesellschaft | Rz. 107 § 705 BGB
Stellung der Vermutung im Anschluss an § 705 Abs. 2 BGB ist ein starkes Zeichen dafür, dass sie der Differenzierung zwischen rechtsfähigen und nicht rechtsfähigen Gesellschaften dienen soll.476 Darauf deutet auch die Gesetzesgeschichte hin (dazu bereits Rz. 99): Wenn sich der Rechtsausschuss dafür entscheidet, in Abweichung von der Konzeption des Bundesrats die Vermutung in § 705 Abs. 3 BGB und nicht in § 719 Abs. 1 BGB zu verorten, bringt er dadurch zum Ausdruck, dass die Vorschrift nicht im Zusammenhang mit der Entstehung der Gesellschaft im Außenverhältnis, sondern im Rahmen der Abgrenzung zwischen der rechtsfähigen und nicht rechtsfähigen Gesellschaft maßgeblich sein soll.477 In diese Richtung gehen schließlich die Ausführungen Bachmanns in seiner Stellungnahme für den Rechtsausschuss, die auf die „Lösung der Elementarfrage der Rechtsfähigkeit“ abzielen478 und nach dem in Rz. 100 Gesagten im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigen sind. Bei § 705 Abs. 3 BGB handelt es sich um eine Tatsachenvermutung:479 Liegen die Voraus- 106 setzungen des § 705 Abs. 3 BGB vor, wird eine subjektive Tatsache vermutet, nämlich – ungeachtet des missglückten Wortlauts (Rz. 105) – der gemeinsame Wille der Gesellschafter dahingehend, dass die Gesellschaft am Rechtsverkehr teilnehmen soll. Damit geht einher, dass die Gesellschaft nach § 705 Abs. 2 Var. 1 BGB als rechtsfähig zu behandeln ist, was § 705 Abs. 3 BGB in die Nähe von Rechtsvermutungen rückt.480 Es erscheint gerechtfertigt, § 705 Abs. 3 BGB griffig als eine Vermutung der Rechtsfähigkeit zu bezeichnen.481 Ob die Vermutung widerlegbar ist, lässt sich § 705 Abs. 3 BGB nicht zweifelsfrei entnehmen. 107 Manche bejahen diese Frage mit dem Argument, dass unwiderlegbare Vermutungen ausdrücklich im Gesetz durch das betreffende Adjektiv als Attribut hervorgehoben werden, das aber in § 705 Abs. 3 BGB gerade fehlt.482 Andere verweisen auf die Gesetzesmaterialen und den Zweck der Regelung, um die Unwiderlegbarkeit der Vermutung zu begründen.483 Für die erstgenannte Auffassung spricht, dass unwiderlegbare Vermutungen eine Ausnahme sind, wobei die Unwiderlegbarkeit in der Regel schon im Wortlaut des Gesetzes deutlich zum Ausdruck kommt,484 wie etwa in § 1566 BGB. Gleichwohl kennt die Rechtsordnung auch unwiderlegbare Vermutungen, die nicht ausdrücklich als solche gekennzeichnet sind, z.B. in § 267 ZPO.485 Im verfahrensrechtlichen Schrifttum wird insoweit hervorgehoben, dass sich die Unwiderlegbarkeit auch aus anderen für die Auslegung maßgeblichen Umständen ergeben kann, wenn dafür besondere Anhaltspunkte bestehen.486 Solche Anhaltspunkte lassen sich im Bericht des Rechtsausschusses finden, der mit § 705 Abs. 3 BGB die Sicherheit des Rechtsverkehrs fördern will. Dieses Ziel lässt sich nur erreichen, wenn die Vermutung der Rechtsfähigkeit unwiderlegbar ist. Stünde es den Gesellschaftern offen, darzulegen und zu beweisen, dass sie lediglich eine Innengesellschaft gründen wollten, wäre es der Rechtssicherheit abträglich. 476 Hierzu Bachmann, Stellungnahme i.R.d. Sachverständigenanhörung v. 18.1.2021, S. 6. 477 Vgl. Bericht Rechtsausschuss MoPeG, BT-Drucks. 19/31105, 6: Der Rechtsverkehr soll „bereits aus dem Gesetz ersehen können, ob er von einer rechtsfähigen Gesellschaft ausgehen darf.“ 478 Vgl. Bachmann, Stellungnahme i.R.d. Sachverständigenanhörung v. 18.1.2021, S. 6. 479 Zutr. Wertenbruch, ZPG 2023, 1, 11 f. 480 Zur Unterscheidung zwischen Rechts- und Tatsachenvermutungen mit Beispielen statt vieler Greger in Zöller, 34. Aufl. 2022, Vor § 284 ZPO Rz. 10 a.E. 481 Ähnlich Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 53 a.E.: Vermutet werde der Gesellschafterwille auf Herbeiführung der Rechtsfähigkeit. 482 Wertenbruch, ZPG 2023, 1, 11. 483 Bachmann, NJW 2021, 3073 Rz. 7; dem im Ergebnis folgend C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 189; Servatius, 2023, § 705 BGB Rz. 53. 484 Aus dem verfahrensrechtlichen Schrifttum Bacher in BeckOK/ZPO, 48. Ed., Stand: 1.3.2023, § 292 ZPO Rz. 4; Prütting in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl. 2020, § 292 ZPO Rz. 4. 485 Zum Charakter als unwiderlegbare Vermutung statt vieler Becker-Eberhard in MünchKomm/ ZPO, 6. Aufl. 2020, § 267 ZPO Rz. 1. 486 So Bacher in BeckOK/ZPO, 48. Ed., Stand: 1.3.2023, § 292 ZPO Rz. 4. Koch/Harnos | 55
§ 705 BGB Rz. 108 | Allgemeine Bestimmungen 108 Liegt nur eine Vermutungsvoraussetzung vor, greift § 705 Abs. 3 BGB nicht ein. Allerdings
kann der Betrieb eines Unternehmens oder die Führung eines gemeinschaftlichen Namens als ein Indiz für den Gesellschafterwillen zur Teilnahme am Rechtsverkehr aufgegriffen werden (s. bereits Rz. 78). Für den Unternehmensbetrieb gilt es bereits deshalb, weil er mit einer offenen Tätigkeit am Markt verbunden ist (Rz. 103), so dass der gemeinsame Gesellschafterwille dahin, dass die Gesellschaft am Rechtsverkehr teilnehmen soll, bewiesen werden kann. Der Namensführung kommt wegen der damit verbundenen natürlichen Publizität (Rz. 104) eine erhöhte indizielle Bedeutung zu.487
Rechtsfähige Gesellschaft (§§ 706–739) Sitz; Registrierung (§§ 706–707d)
§ 706 BGB Sitz der Gesellschaft 1Sitz
der Gesellschaft ist der Ort, an dem deren Geschäfte tatsächlich geführt werden (Verwaltungssitz). 2Ist die Gesellschaft im Gesellschaftsregister eingetragen und haben die Gesellschafter einen Ort im Inland als Sitz vereinbart (Vertragssitz), so ist abweichend von Satz 1 dieser Ort Sitz der Gesellschaft.
In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). Regelungsgegenstand und -zweck . . . . . Verwaltungssitz (§ 706 Satz 1 BGB) Bestimmung des Verwaltungssitzes . . . . . Sitzverlegung a) Verlegung des Verwaltungssitzes im Inland und ins Ausland . . . . . . . . . . . . b) Verlegung des Verwaltungssitzes aus dem Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vertragssitz (§ 706 Satz 2 BGB) I. II. 1. 2.
1 4
6 9
1. Anforderungen an den Vertragssitz . . . . 2. Sitzwahl- und Sitzspaltungsfreiheit . . . . . 3. Sitzverlegung a) Verlegung des Vertragssitzes . . . . . . . . b) Verlegung des Verwaltungssitzes . . . . IV. Sitz der nicht rechtsfähigen Gesellschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Behandlung der Altgesellschaften . . . . .
12 14 19 22 27 31
Schrifttum: Hoffmann/Horn, Die Neuordnung des internationalen Personengesellschaftsrechts, RabelsZ 86 (2022), 65; J. Koch, Freie Sitzwahl für Personenhandelsgesellschaften, ZHR 173 (2009), 101; Lieder/ Hilser, Das Internationale Personengesellschaftsrecht des MoPeG, ZHR 185 (2021), 471; Nazari-Khanachayi, Anpassungsvorschläge zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG), WM 2020, 2056; Paefgen, Der Sitz der Personenhandelsgesellschaft, in FS E. Vetter, 2019, S. 527; Röß, GbR: Sitzwahlrecht nur bei Eintragung in das Gesellschaftsregister, MDR 2023, 806; W.-H. Roth, Internationalprivatrechtliche Aspekte der Personengesellschaften, ZGR 2014, 168; Schön, Die Personengesellschaft im europäischen Gesellschaftsrecht, ZHR 187 (2023), 123; ZwirleinForschner, Grenzüberschreitende Umwandlungen außerhalb der Mobilitätsrichtlinie, ZGR-Sonderheft 26 (2023), 195. Vgl. ferner das Schrifttum zu § 705 BGB.
487 C. Schäfer in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 35; C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 189 (mit zutreffendem Hinweis darauf, dass die Einführung der Vermutung in § 705 Abs. 3 BGB die Bedeutung der Indiztatsachen nicht schmälern sollte).
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Sitz der Gesellschaft | Rz. 3 § 706 BGB
I. Regelungsgegenstand und -zweck § 706 BGB regelt den Sitz der rechtsfähigen Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) und ent- 1 hält dabei die Legaldefinitionen des Verwaltungssitzes (Satz 1 und Rz. 4 ff.) und des Vertragssitzes (Satz 2 und Rz. 12 ff.). Die Vorschrift ist zwingend; die Gesellschafter können die Modalitäten der Sitzbestimmung nicht über den in § 706 BGB zugelassenen Rahmen gesellschaftsvertraglich abbedingen. Ausweislich seiner systematischen Stellung im Untertitel 2 sowie des fehlenden Verweises in § 740 Abs. 2 BGB findet § 706 BGB keine Anwendung auf die nicht rechtsfähige Gesellschaft (dazu noch Rz. 27 ff.; zur Systematik der Untertitel im 16. Titel s. § 705 BGB Rz. 69). Auf die OHG, KG und Partnerschaft ist § 706 BGB nach § 105 Abs. 3, § 161 Abs. 2 HGB, § 1 Abs. 4 PartGG entsprechend anwendbar.1 Die Vorschrift wurde im Zuge des MoPeG neu eingeführt; vor dem MoPeG war der Sitz einer 2 GbR gesetzlich nicht geregelt (zur Behandlung der Altgesellschaften Rz. 31 f.). Die Neuregelung ist zu begrüßen, weil sie den bislang im Gesetz stiefmütterlich behandelten Sitz der Personengesellschaft2 an einer prominenten Stelle regelt, womit das Personengesellschaftsrecht zum Recht der Kapitalgesellschaften anschließt (s. § 5 AktG, § 4a GmbHG).3 Überdies räumt § 706 BGB – auch wenn dies im Wortlaut nicht ausdrücklich festgelegt ist – ebenfalls den Personengesellschaften die Sitzwahl- und Sitzspaltungsfreiheit ein (s. noch Rz. 14 ff.),4 die – entgegen der tradierten Auffassung5 – für Personenhandelsgesellschaften schon vor dem MoPeG anzuerkennen war;6 auch in dieser Hinsicht liegt also eine Angleichung an das Kapitalgesellschaftsrecht vor.7 Damit geht die Eignung der deutschen Personengesellschaften als ein Exportprodukt einher: Mit der Einführung des § 706 BGB hat der MoPeG-Gesetzgeber den Grundstein für die grenzüberschreitende Mobilität der Personengesellschaften gelegt, indem er die bisherigen nationalen Schranken abgebaut hat (Rz. 22 ff.).8 Freilich bleibt eine umfassende Regelung der grenzüberschreitenden Sitzverlegung und Umwandlung von Personengesellschaften ein wichtiges politisches Desiderat (s. noch Rz. 26). Wo die Gesellschaft ihren Sitz hat, spielt zunächst für gesellschaftsrechtliche Bestimmungen 3 eine Rolle. So ist der Sitz maßgeblich für die Zuständigkeit des Registergerichts (§ 707 Abs. 1 BGB, § 106 Abs. 1 HGB; vgl. dazu § 707 BGB Rz. 16 und § 106 HGB Rz. 4) und des Gerichts, das nach § 736a Abs. 1 Satz 1 BGB die Liquidatoren beruft und abberuft (dazu § 736a BGB
1 Siehe auch Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 126. 2 Vor dem MoPeG wurde der Sitz der OHG (und gem. § 161 Abs. 2 HGB auch der KG) in § 106 Abs. 2 Nr. 2 HGB a.F. lediglich als eine Angabe erwähnt, die in der Anmeldung zum Handelsregister enthalten werden musste; weitergehende Regelungen enthielten weder §§ 705 ff. BGB a.F. noch §§ 105 ff. HGB a.F. 3 So auch Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 482 f.; Servatius, 2023, § 706 BGB Rz. 1. Zur strukturellen Parallelität zwischen § 5 AktG, § 4a GmbHG in kollisionsrechtlicher Hinsicht s. Hoffmann/Horn, RabelsZ 86 (2022), 65, 69; vgl. ferner Röß, MDR 2023, 806 Rz. 5, 10. 4 Deutlich Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 126: Trennung vom Verwaltungs- und Vertragssitz möglich. Vgl. ferner Lieder/Hilser, NotBZ 2021, 401, 405; Otte-Gräbener, BB 2020, 1295, 1296. 5 Statt vieler Born in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 106 HGB Rz. 14. 6 Vgl. Koch/Harnos in Staub, 6. Aufl. 2023, § 13 HGB Rz. 44 ff. m.w.N. zum Meinungsstand; s. ferner etwa Haas/Wöstmann in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 106 HGB Rz. 8; Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 476 f.; Paefgen in FS E. Vetter, 2019, S. 527, 532 ff. 7 Zur Sitzwahlfreiheit im Kapitalgesellschaftsrecht s. nur Koch, 17. Aufl. 2023, § 5 AktG Rz. 1; Scheller in Scholz, 13. Aufl. 2022, § 4a GmbHG Rz. 1. Zur Angleichung insoweit statt vieler Kruse, DStR 2021, 2412, 2413; Otte-Gräbener, BB 2020, 1295, 1296. 8 Zur internationalen Dimension des § 706 BGB ausführlich Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 488 ff.; vgl. ferner Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 126 f.; Otte-Gräbener, BB 2020, 1295, 1296. Zur alten Rechtslage und den damit verbundenen Problemen statt vieler Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 477 ff. Zum tradierten IPR der Personengesellschaften W.-H. Roth, ZGR 2014, 168, 171 ff. Koch/Harnos | 57
§ 706 BGB Rz. 3 | Rechtsfähige Gesellschaft Rz. 9).9 Die Bedeutung des Gesellschaftssitzes geht aber über das Gesellschaftsrecht hinaus. In verfahrensrechtlicher Hinsicht legt § 17 Abs. 1 ZPO den allgemeinen Gerichtsstand einer Gesellschaft an deren Sitz fest. Maßgeblich ist in erster Linie nach § 17 Abs. 1 Satz 1 ZPO der Vertragssitz (Rz. 12 ff.).10 Ist ein solcher nicht festgelegt, kommt es nach § 17 Abs. 1 Satz 2 ZPO auf den Verwaltungssitz an (Rz. 4 ff.). Der (Verwaltungs-)Sitz beeinflusst zudem nach §§ 3, 4 InsO die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts.11 Schließlich dient er als Anknüpfung für die Bestimmung des Gesellschaftsstatuts der rechtsfähigen Gesellschaft im Internationalen Gesellschaftsrecht.12
II. Verwaltungssitz (§ 706 Satz 1 BGB) 1. Bestimmung des Verwaltungssitzes 4 § 706 Satz 1 BGB enthält die Grundregel, wonach der Sitz der Gesellschaft der Ort ist, an
dem deren Geschäfte tatsächlich geführt werden; dieser Ort – mit dem eine politische Gemeinde gemeint ist13 – wird als Verwaltungssitz legaldefiniert. Was unter der tatsächlichen Geschäftsführung zu verstehen ist, ergibt sich weder aus dem Wortlaut noch aus den Gesetzesmaterialien.14 In systematischer Hinsicht spricht auf den ersten Blick viel dafür, insoweit an § 715 BGB anzuknüpfen, der die Geschäftsführungsbefugnis regelt und dabei in Abs. 2 den Umfang der Geschäftsführung bestimmt (dazu § 715 BGB Rz. 26 ff.). Gleichwohl können die gewöhnlichen Geschäfte, auf die sich die Geschäftsführungsbefugnis gem. § 715 Abs. 2 Satz 1 BGB erstreckt, an mehreren Orten durchgeführt werden,15 so dass sich § 715 BGB doch als ein ungeeigneter systematischer Anknüpfungspunkt erweist, um den Verwaltungssitz zu bestimmen. Deshalb ist die herkömmliche Definition aufzugreifen, wonach unter dem Verwaltungssitz der Ort zu verstehen ist, an dem die grundlegenden Entscheidungen effektiv in die laufende Geschäftsführung umgesetzt werden.16 Maßgeblich ist demnach der Schwerpunkt der unternehmerischen Betätigung,17 also der Ort der Hauptverwaltung.18
9 Vgl. Servatius, 2023, § 706 BGB Rz. 7. 10 Schultzky in Zöller, 34. Aufl. 2022, § 17 ZPO Rz. 9. 11 Servatius, 2023, § 706 BGB Rz. 7, der überdies darauf hinweist, dass die internationale Zuständigkeit in Insolvenzsachen sich gem. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO nach dem Verwaltungssitz (Center of main interest – COMI) richtet. Vgl. dazu auch C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 706 BGB Rz. 7. 12 Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 106 HGB Rz. 28; Servatius, 2023, § 706 BGB Rz. 3. 13 Servatius, 2023, § 706 BGB Rz. 10. 14 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 127: Einer weiteren sinnvollen Konkretisierung sei der Begriff des Verwaltungssitzes nicht zugänglich; s. ferner Servatius, 2023, § 706 BGB Rz. 6: Begriff des Verwaltungssitzes sei kaum rechtssicher handhabbar. 15 Siehe auch C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 706 BGB Rz. 5. 16 BGH v. 21.3.1986 – V ZR 10/85, BGHZ 97, 269, 272 = ZIP 1986, 643 (zur liechtensteinischen AG); BGH v. 10.3.2009 – VIII ZB 105/07, NJW 2009, 1610 Rz. 11 (zur Außen-GbR); Heckschen/Nolting, BB 2020, 2256, 2257; Hoffmann/Horn, RabelsZ 86 (2022), 65, 73 (im kollisionsrechtlichen Kontext); C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 706 BGB Rz. 3; Servatius, 2023, § 706 BGB Rz. 5; zur GmbH Scheller in Scholz, 13. Aufl. 2022, § 4a GmbHG Rz. 5, der überdies in Rz. 1 plastisch vom „Lebensmittelpunkt“ spricht; ebenfalls plastisch Schultzky in Zöller, 34. Aufl. 2022, § 17 ZPO Rz. 10: Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung. 17 Born in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 106 HGB Rz. 14; Haas/Wöstmann in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 106 HGB Rz. 7. Für Anknüpfung an die Sitzdefinition des § 106 Abs. 2 HGB a.F. Servatius, 2023, § 706 BGB Rz. 5. 18 Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 106 HGB Rz. 29.
58 | Koch/Harnos
Sitz der Gesellschaft | Rz. 7 § 706 BGB
Das Schrifttum plädiert dafür, den Gesellschaftern die Möglichkeit einzuräumen, den Ver- 5 waltungssitz klarstellend im Gesellschaftsvertrag festzulegen.19 Dagegen ist – vor allem bei nicht eingetragenen Gesellschaften – im Grundsatz nichts einzuwenden, doch kann sich bei eingetragenen Gesellschaften u.U. die Frage stellen, ob die vertragliche Regelung bei eingetragenen Gesellschaften als eine Konkretisierung des Verwaltungssitzes oder eine Bestimmung des Vertragssitzes i.S.d. § 706 Satz 2 BGB einzuordnen ist (zur Freiheit der eingetragenen Gesellschaften, auf Festlegung des Vertragssitzes zu verzichten, s noch Rz. 16). Um Abgrenzungsschwierigkeiten zu vermeiden, sollte die Kautelarjurisprudenz auf eine möglichst eindeutige Formulierung des Gesellschaftsvertrags achten.
2. Sitzverlegung a) Verlegung des Verwaltungssitzes im Inland und ins Ausland Zur Sitzverlegung enthält § 706 Satz 1 BGB keine näheren Vorgaben, es ist aber auch ohne 6 eine ausdrückliche gesetzliche Gestattung möglich, den Verwaltungssitz einer GbR zu verlegen. Obwohl die Verwaltungssitzverlegung eine tatsächliche Handlung ist,20 so ist sie doch keine gewöhnliche Maßnahme i.S.d. § 715 Abs. 2 Satz 1 BGB, die in der Hand der geschäftsführenden Gesellschafter liegt, sondern – auch im Lichte der Definition des Verwaltungssitzes als Ort der Hauptverwaltung (Rz. 4) – eine grundlegende Entscheidung, die nach § 715 Abs. 2 Satz 2 BGB eines Beschlusses aller Gesellschafter bedarf.21 Den Gesellschaftern steht es aber frei, gesellschaftsvertraglich die Sitzverlegung qua Mehrheitsbeschluss oder Entscheidung der geschäftsführenden Gesellschafter zu gestatten; die Entscheidung über die Sitzverlegung unterliegt der Kontrolle am Maßstab der mitgliedschaftlichen Treupflicht (vgl. dazu § 705 BGB Rz. 57 ff.; § 714 BGB Rz. 109). Ist die Gesellschaft nicht im Gesellschaftsregister eingetragen und hat sie deshalb keinen Ver- 7 tragssitz (Rz. 12 ff.), kann sie ihren Verwaltungssitz nur innerhalb Deutschlands verlegen; eine rechtsformwahrende Sitzverlegung ins (EU-)Ausland lässt § 706 Satz 1 BGB nicht zu.22 Welche Rechtsfolgen eine grenzüberschreitende Verwaltungssitzverlegung auslöst, wird im Schrifttum unterschiedlich beurteilt: Während manche vom Verlust der Rechtsfähigkeit i.S.d. § 705 Abs. 2 BGB sprechen,23 sind andere der Ansicht, dass die Sitzverlegung zur Auflösung der Gesellschaft führt.24 Die erstgenannte Auffassung geht zu weit: Rechtsfähige Verbände lösen sich durch tatsächliches Verhalten deren Mitglieder – wie die grenzüberschreitende Verwaltungssitzverlegung – nicht dergestalt in Luft auf, dass sie ihre Rechtsfähigkeit verlie19 Servatius, 2023, § 706 BGB Rz. 9. Dazu auch C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 706 BGB Rz. 4 mit weiterführenden Erläuterungen zur Sitzverlegung. 20 Vgl. etwa Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 484. Allerdings ist es denkbar, dass mit der Sitzverlegung eine Änderung des Gesellschaftsvertrags einhergeht, wenn der Verwaltungssitz gesellschaftsvertraglich konkretisiert ist (dazu Rz. 5), s. C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 706 BGB Rz. 4. 21 So auch im Ergebnis Servatius, 2023, § 706 BGB Rz. 9, der sich aber auf § 714 BGB stützt; im kollisionsrechtlichen Kontext ebenso Hoffmann/Horn, RabelsZ 86 (2022), 65, 80 f.; vgl. ferner Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 484: Verwaltungssitzverlegung vollziehe sich zumeist auf der Grundlage eines Gesellschafterbeschlusses; C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 706 BGB Rz. 4. 22 Siehe nur Servatius, 2023, § 706 BGB Rz. 10, der insoweit von der Fortgeltung der Sitztheorie ausgeht; vgl. ferner Kindler, ZfPW 2022, 409, 415; Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 493 f.; M. Noack, BB 2021, 643, 644; Schön, ZHR 187 (2023), 123, 137. Zur kollisionsrechtlichen Behandlung eines solchen Falls Hoffmann/Horn, RabelsZ 86 (2022), 65, 74. Zu weitgehend Hippeli, DZWiR 2020, 386, 391, der zwischen den unterschiedlichen Konstellationen der Sitzverlegung nicht differenziert. 23 So augenscheinlich Schön, ZHR 187 (2023), 123, 137, der aber auf S. 138 von Auflösung und Liquidation spricht. 24 So implizit M. Noack, BB 2021, 643, 644. Koch/Harnos | 59
§ 706 BGB Rz. 7 | Rechtsfähige Gesellschaft ren, sondern sie werden in einem geordneten Verfahren liquidiert.25 Deshalb wird mit einer grenzüberschreitenden Verwaltungssitzverlegung ein Auflösungs- und Liquidationsverfahren nach §§ 729 ff. BGB in Gang gesetzt.26 8 Das in Rz. 7 herausgearbeitete Ergebnis stellt in Fällen eines Wegzugs in einen EU-Mitglied-
staat zwar einen Eingriff in die Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) dar, die auch für Personengesellschaften gilt.27 Diese Beeinträchtigung lässt sich jedoch rechtfertigen:28 Hat eine Gesellschaft weder über den Ort der Hauptverwaltung noch über eine Regelung des Gesellschaftsvertrages gefestigte Verbindungen zum deutschen Recht, ist es auch aus der Perspektive des Unionsrechts nicht einsehbar, wieso sie sich eines deutschen Rechtskleids soll bedienen können.29 Dies gilt namentlich wegen der Interessen der Gläubiger, die zum einen im Zusammenhang mit der Rechtsverfolgung auf sichere Kenntnis des Gesellschaftssitzes angewiesen sind, zum anderen durch etwaige Änderungen des Haftungsregimes – insbesondere im Hinblick auf die Ausgestaltung der persönlichen Gesellschafteraußenhaftung – beeinträchtigt werden könnten. Im Vergleich dazu ist ein „faktischer Registrierungszwang“, den § 706 Satz 2 BGB ausübt (s. noch Rz. 13), für die Gesellschafter zumutbar.30 Ob eine rechtsformwechselnde identitätswahrende Verwaltungssitzverlegung in einen EU-Mitgliedstaat aufgrund der Niederlassungsfreiheit gestattet werden muss, bedarf vertiefter Diskussion. Vor dem Hintergrund der EuGH-Rechtsprechung in den Urteilen Cartesio,31 Vale32 und Polbud33 spricht einiges dafür, diese Frage zu bejahen.34 b) Verlegung des Verwaltungssitzes aus dem Ausland 9 Wie mit der Verwaltungssitzverlegung aus dem Ausland nach Deutschland umzugehen ist,
regelt § 706 BGB nicht.35 Der Gesetzgeber hat diesen Fall in den Materialien nicht angespro-
25 Zum vergleichbaren Problem im Zusammenhang mit der Aufgabe des auf Auftreten im Rechtsverkehr gerichteten Willens vgl. § 705 BGB Rz. 85. 26 Zu kollisionsrechtlichen Folgen Hoffmann/Horn, RabelsZ 86 (2022), 65, 81 mit einem sehr großzügigen Vorschlag, um eingetragene Gesellschaften ohne Vertragssitz vor einer unbeabsichtigten Auflösung durch Verwaltungssitzverlegung ins Ausland zu bewahren: Aktueller Verwaltungssitz sei als Vertragssitz anzusehen. 27 Statt vieler Schön, ZHR 187 (2023), 123, 131 ff. mit vertiefenden Ausführungen zu den Anforderungen des Art. 54 Abs. 2 AEUV. Vgl. ferner Schall, ZIP 2020, 1443, 1449, der auf das Polbud-Urteil des EuGH v. 25.10.2017 – C-106/16, GmbHR 2017, 1261 verweist; s. auch Hoffmann/Horn, RabelsZ 86 (2022), 65, 75; Paefgen in FS E. Vetter, 2019, S. 527, 531 f.; Röß, MDR 2023, 806 Rz. 15 ff.; W.H. Roth, ZGR 2014, 168, 176 f., 180 ff. 28 Ausf. dazu Schön, ZHR 187 (2023), 123, 137 ff.; im Ergebnis auch Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 493 f.; Schall, ZIP 2020, 1443, 1449. 29 Zur Verankerung im deutschen Recht im Zusammenhang mit § 706 Satz 2 BGB Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 127. 30 Im Einzelnen Schön, ZHR 187 (2023), 123, 138 ff.; vgl. ferner Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 482, 493 f. A.A. im Hinblick auf die mit der Registrierungsvorgabe verbundenen Kosten Röß, MDR 2023, 806 Rz. 14 ff. mit eingehenden Ausführungen zur – nach Auffassung von Röß nicht möglichen – Rechtfertigung in Rz. 20 ff. Zu den Vorteilen einer Registrierung im Kontext des europäischen Gesellschaftsrechts Schön, ZHR 187 (2023), 123, 143 ff. (zur grenzüberschreitenden „Hereinverlegung“ des Verwaltungssitzes), 158 ff. (zum Formwechsel); s. ferner C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 706 BGB Rz. 1. Diese Vorteile können durchaus als taugliche Rechtfertigungsgründe angeführt werden. 31 EuGH v. 16.12.2008 – C-210/06, GmbHR 2009, 86. 32 EuGH v. 12.7.2012 – C-378/10, ZIP 2012, 1394. 33 EuGH v. 25.10.2017 – C-106/16, GmbHR 2017, 1261. 34 Dafür augenscheinlich Paefgen in FS E. Vetter, 2019, S. 527, 537; Schall, ZIP 2020, 1443, 1449. Vgl. ferner Hoffmann/Horn, RabelsZ 86 (2022), 65, 82 ff. 35 Servatius, 2023, § 706 BGB Rz. 13.
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Sitz der Gesellschaft | Rz. 11 § 706 BGB
chen, sondern sich auf die umgekehrte Konstellation der Verwaltungssitzverlegung ins Ausland fokussiert (dazu Rz. 7 ff.). Insoweit sind die allgemeinen Grundsätze maßgeblich:36 Im Ausgangspunkt ist die (modifizierte) Sitztheorie37 heranzuziehen, die nach dem Trabrennbahn-Urteil des BGH38 nach wie vor gilt39 und auch im Zuge des MoPeG nicht zugunsten der Gründungstheorie aufgegeben wurde:40 Der ausländische Verband ist eine nach deutschem Recht zu behandelnde Personengesellschaft.41 Etwas anderes gilt in Fällen, in denen eine nach dem Recht eines EU-Mitgliedstaates konsti- 10 tuierte Personengesellschaft einen Vertragssitz im EU-Ausland hat und ihren Verwaltungssitz nach Deutschland verlegt. Eine solche Auslandspersonengesellschaft ist aufgrund der Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV)42 in ihrer ursprünglichen Rechtsform anzuerkennen, soweit der besagte EU-Mitgliedstaat den Personengesellschaften die Sitzspaltungsfreiheit gewährt.43 Dies gilt auch in Fällen, in denen die Anerkennung der Gesellschaften in einem völkerrechtlichen Abkommen oder einem bilateralen Staatsvertrag mit einem Drittstaat44 festgeschrieben ist.45 Der Verwaltungssitz der ausländischen Gesellschaft ist nach deutschem Registerrecht als eine Zweigniederlassung (Rz. 14) zu behandeln,46 die als solche nach § 707b Nr. 3 BGB i.V.m. § 13d HGB in das Gesellschaftsregister einzutragen ist.47 Ist die EU-Auslandspersonengesellschaft in ihrem Herkunftsstaat nicht in ein Register ein- 11 getragen, obwohl sie registerfähig ist, wird im Schrifttum mit beachtlichen Argumenten vorgeschlagen, ihr die Eintragung in das Gesellschaftsregister zu verweigern.48 Ob die Eintragungsverweigerung als solche einen spürbaren Effekt bewirken kann, erscheint jedoch fraglich, weil sich die Sanktionierung der Verletzung von Anmeldepflichten aus §§ 13d ff. HGB in der Vergangenheit als schwierig erwiesen hat.49 Einer weiteren Diskussion bedarf die
36 Lieder/Hilser, NotBZ 2021, 401, 406. 37 Zu den Vorzügen der Sitztheorie vgl. nur Gössl in Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, 2019, § 11 Rz. 33 ff. 38 BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06, BGHZ 178, 192 = AG 2009, 84. 39 Am Trabrennbahn-Urteil hält der BGH weiterhin fest, vgl. BGH v. 12.7.2011 – II ZR 28/10, BGHZ 190, 242 Rz. 16 = GmbHR 2011, 1094; BGH v. 22.11.2016 – II ZB 19/15, BGHZ 212, 381 Rz. 20 = GmbHR 2017, 367. 40 Deutlich Schall, ZIP 2020, 1443, 1448: § 706 BGB lege die Sitztheorie als Grundsatz fest. Vgl. ferner Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 496; Nazari-Khanachayi, WM 2020, 2056, 2058 f.; Schön, ZHR 187 (2023), 123, 143. 41 Siehe nur Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, Vor § 105 HGB Rz. 353; Paefgen in FS E. Vetter, 2019, S. 527, 536. Zur Statutenverdoppelung für den Fall, dass der Wegzugsstaat der Gründungstheorie folgt, vgl. W.-H. Roth, ZGR 2014, 168, 202. 42 Zur Geltung für Personengesellschaft s. Rz. 8; speziell zu dieser Konstellation Schön, ZHR 187 (2023), 123, 143; Hoffmann/Horn, RabelsZ 86 (2022), 65, 75. 43 Schall, ZIP 2020, 1443, 1449; Schön, ZHR 187 (2023), 123, 142 f. Vgl. ferner W.-H. Roth, ZGR 2014, 168, 184 f. 44 Hierzu zählt namentlich der Freundschaftsvertrag mit den USA v. 29.10.1954 (BGBl. II 1956, 487), in dessen Art. XXV Abs. 5 Satz 2 die Anerkennung der im jeweiligen Staat gegründeten Gesellschaften geregelt ist; vgl. dazu BGH v. 29.1.2003 – VIII ZR 155/02, BGHZ 153, 353, 355 f. = ZIP 2003, 720; Koch/Harnos in Staub, 6. Aufl. 2023, § 13 HGB Rz. 37; im Kontext der Personenhandelsgesellschaft Paefgen in FS E. Vetter, 2019, S. 527, 534; W.-H. Roth, ZGR 2014, 168, 174 f. 45 Hoffmann/Horn, RabelsZ 86 (2022), 65, 75. 46 Hierzu ausf. Koch/Harnos in Staub, 6. Aufl. 2023, § 13 HGB Rz. 36 f.; s. ferner Schön, ZHR 187 (2023), 123, 143. 47 Servatius, 2023, § 706 BGB Rz. 13. Zur registerrechtlichen Behandlung, insbesondere zu den Anforderungen an den Nachweis der angemeldeten Angaben Schön, ZHR 187 (2023), 123, 145. 48 Vgl. Schön, ZHR 187 (2023), 123, 145 f. 49 Im Einzelnen Koch/Harnos in Staub, 6. Aufl. 2023, § 13d HGB Rz. 59 ff. Koch/Harnos | 61
§ 706 BGB Rz. 11 | Rechtsfähige Gesellschaft rechtsformwechselnde identitätswahrende Sitzverlegung nicht eingetragener Gesellschaften.50
III. Vertragssitz (§ 706 Satz 2 BGB) 1. Anforderungen an den Vertragssitz 12 Nach § 706 Satz 2 BGB steht es den Gesellschaftern frei, den Sitz der Gesellschaft abweichend
von der Grundregel des § 706 Satz 1 BGB privatautonom zu bestimmen. Haben die Gesellschafter die Option des § 706 Satz 2 BGB ausgeübt, verfügt die Gesellschaft über einen Vertragssitz, der gegenüber dem Verwaltungssitz vorrangig ist. Mit Einführung des § 706 Satz 2 BGB hat der Gesetzgeber des MoPeG die früher herrschende – wenn auch nicht überzeugende – Ansicht korrigiert,51 wonach die Gesellschafter einer Personengesellschaft den Gesellschaftssitz nicht privatautonom festlegen durften (s. bereits Rz. 1). 13 Die privatautonome Festlegung des Vertragssitzes ist unter der Voraussetzung zulässig, dass
die Gesellschaft gem. §§ 707 ff. BGB im Gesellschaftsregister eingetragen ist. Damit will der Gesetzgeber eine verlässliche Grundlage für die Sitzbestimmung sicherstellen, den der – grundsätzlich formlose (s. § 705 BGB Rz. 13) – Gesellschaftsvertrag nicht bietet.52 Überdies bedarf es einer gesellschaftsvertraglichen Regelung, in der der Sitz festgelegt wird. Dabei muss der Vertragssitz an einem Ort im Inland liegen, der allerdings keinerlei Bezugspunkte zum Ort der Geschäftsführung aufweisen muss.53 Wie beim Verwaltungssitz (Rz. 4) ist damit eine politische Gemeinde gemeint.54 In größeren Gemeinden mit mehreren potenziell zuständigen Gerichten kann es opportun sein, ergänzend den Gemeindeteil anzugeben, um auf diese Weise die gerichtlichen Zuständigkeiten zu steuern (zur Bedeutung des Sitzes für die Gerichtszuständigkeit Rz. 3).55 Dagegen ist es nicht möglich, einen Ort im Ausland als Vertragssitz zu bestimmen. Dies ergibt sich zum einen ausdrücklich aus dem Wortlaut,56 zum anderen aus den Aussagen des Gesetzgebers in den MoPeG-Materialien: Die GbR mit einem Vertragssitz soll fest in der deutschen Rechtsordnung „verankert“ werden.57
2. Sitzwahl- und Sitzspaltungsfreiheit 14 Nicht aus dem Wortlaut des § 706 BGB, aber aus den Gesetzesmaterialien folgt, dass die
GbR einen vom Vertragssitz abweichenden Verwaltungssitz haben kann, der auch im Ausland liegen darf.58 Dabei muss der Vertragssitz keinerlei Bezüge zum Verwaltungssitz aufwei50 Erste Vorschläge bei Schön, ZHR 187 (2023), 123, 157 ff. Zur grenzüberschreitenden Umwandlung von Personengesellschaften ferner Hoffmann/Horn, RabelsZ 86 (2022), 65, 82 ff. 51 Auf der Grundlage der hier befürworteten Auffassung liegt es freilich näher, von einer Klarstellung zu sprechen; so auch die Einordnung bei Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 482. Einen Korrekturbedarf verneinte konsequent Paefgen in FS E. Vetter, 2019, S. 527, 534 f. 52 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 127; zu diesem Gesichtspunkt auch bereits J. Koch, ZHR 173 (2009), 101, 106. 53 Servatius, 2023, § 706 BGB Rz. 9. 54 C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 706 BGB Rz. 9; Servatius, 2023, § 706 BGB Rz. 8. 55 Vgl. Servatius, 2023, § 706 BGB Rz. 8. Für Erforderlichkeit der Konkretisierung C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 706 BGB Rz. 9. 56 Dies entspricht den kapitalgesellschaftsrechtlichen Parallelregelungen in § 5 AktG, § 4a GmbHG; zu diesem Gleichlauf s. auch Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 127. 57 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 127; vgl. ferner Servatius, 2023, § 706 BGB Rz. 8. 58 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 126 f.
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Sitz der Gesellschaft | Rz. 16 § 706 BGB
sen.59 Damit genießen Personengesellschaften eine Sitzwahl- und Sitzspaltungsfreiheit, die im Ausgangspunkt über die deutschen Grenzen reicht (zu den sach- und kollisionsrechtlichen Schranken der Sitzverlegung s. noch Rz. 19 ff.). Liegt der Verwaltungssitz im Inland, ist er registerrechtlich als eine Zweigniederlassung zu behandeln60 (hierzu noch Rz. 18) und als solche nach § 707b Nr. 3 BGB i.V.m. §§ 13, 13d HGB eintragungsfähig, aber nicht eintragungspflichtig. Er kann sich bereits bei der Gesellschaftsgründung vom Vertragssitz unterscheiden. Namentlich ist es denkbar, dass der Verwaltungssitz von vornherein im Ausland liegt und die Gesellschafter von dort eine (registrierte) GbR mit Vertragssitz in Deutschland gründen.61 Es spricht ferner viel dafür, dass eine Gesellschaftsgründung im Ausland und eine nachträgliche Registrierung und Festlegung des Vertragssitzes im Inland möglich sind; in einem solchen Fall unterliegt die Gesellschaft deutschem Recht.62 Im internationalen Kontext von Bedeutung ist der Umstand, dass die Gesellschafter im Rah- 15 men der Gesellschaftsregisteranmeldung nach § 707 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c BGB eine Anschrift angeben müssen, die – abweichend von § 106 Abs. 2 Nr. 2 HGB a.F., der noch die Angabe einer inländischen Anschrift verlangte – in jedem EU-Mitgliedstaat liegen kann.63 Diese Option erleichtert die Führung der Geschäfte vom Verwaltungssitz, der im EU-Ausland belegen ist.64 Freilich muss die Anschrift nicht mit dem Verwaltungssitz übereinstimmen.65 Zur (grenzüberschreitenden) Sitzverlegung s. noch Rz. 19 ff. Im Schrifttum wird teilweise vertreten, dass mit der Eintragung der Gesellschaft ins Gesell- 16 schaftsregister die Pflicht zur Festlegung eines Vertragssitzes folgt.66 Eine solche Pflicht ergibt sich indes nicht aus dem Wortlaut des § 706 Satz 2 BGB, der eher auf eine Befugnis zur Bestimmung eines Vertragssitzes hindeutet.67 Zudem kann § 707 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b BGB, wonach der Sitz der Gesellschaft in der Anmeldung zum Gesellschaftsregister anzugeben ist, nicht als ein systematisches Argument für eine Pflicht zur Bestimmung des Vertragssitzes angeführt werden.68 Vor dem MoPeG waren die Personenhandelsgesellschaften nach § 106 Abs. 2 Nr. 2 HGB a.F., dem § 707 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b BGB im Wesentlichen entspricht, zur Sitzangabe verpflichtet. Dabei war der Verwaltungssitz maßgeblich69 – in der gerichtlichen Praxis schon deshalb, weil die Rechtsprechung die Sitzwahlfreiheit nicht anerkannte
59 Hoffmann/Horn, RabelsZ 86 (2022), 65, 67. 60 Bayer in Lutter/Hommelhoff, 21. Aufl. 2023, § 4a GmbHG Rz. 1. 61 Vgl. Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 474, 482; C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 706 BGB Rz. 10; mit weiterführenden Erläuterungen zur registerrechtlichen Behandlung, insbesondere der Zuständigkeit des Registergerichts Hoffmann/Horn, RabelsZ 86 (2022), 65, 76 f. A.A. Kindler, ZfPW 2022, 409, 415, der eine Gründung mit anfänglich inländischem Verwaltungssitz für zwingend hält. 62 Hoffmann/Horn, RabelsZ 86 (2022), 65, 69. So wohl auch C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 706 BGB Rz. 10. 63 So auch nunmehr § 106 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c HGB. 64 Zur Einordnung des § 707 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c BGB im Kontext der Niederlassungsfreiheit und des europäischen Sekundärrechts Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 481; Schön, ZHR 187 (2023), 123, 137. 65 Hoffmann/Horn, RabelsZ 86 (2022), 65, 67; Servatius, 2023, § 706 BGB Rz. 10 a.E. 66 So augenscheinlich Servatius, 2023, § 706 BGB Rz. 1, 6, § 707 BGB Rz. 13: Rechtsfähige eingetragene GbR müssten einen Vertragssitz haben. A.A. M. Noack, BB 2021, 643, 644 f.; C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 706 BGB Rz. 8; implizit auch Hoffmann/Horn, RabelsZ 86 (2022), 65, 80 (im kollisionsrechtlichen Kontext). 67 Aufschlussreich M. Noack, BB 2021, 643, 644 f., der darauf hinweist, dass der Wortlaut des § 706 Satz 2 BGB im Vergleich zum Mauracher Entwurf angepasst wurde, um die Gestaltungsfreiheit der Gesellschafter zu unterstreichen. 68 So aber Servatius, 2023, § 707 BGB Rz. 13. Wie hier C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 706 BGB Rz. 8. 69 Born in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 106 HGB Rz. 14. Koch/Harnos | 63
§ 706 BGB Rz. 16 | Rechtsfähige Gesellschaft (hierzu bereits Rz. 2). Es spricht nichts dagegen, auch heute den eingetragenen Gesellschaften die Möglichkeit zu belassen, den Verwaltungssitz in das Gesellschaftsregister eintragen zu lassen und auf eine Bestimmung des Vertragssitzes zu verzichten.70 Wieso der Gesetzgeber ausgerechnet im Zusammenhang mit der Anerkennung der Sitzwahlfreiheit im Zuge des MoPeG eine Pflicht zur Festlegung eines Vertragssitzes bei eingetragener GbR einführen sollte, leuchtet nicht ein; die Gesetzesmaterialien geben keinen Anlass für einen solchen Schluss. Im Gegenteil: Die Gesetzesbegründung deutet darauf hin, dass auch der Verwaltungssitz zur Eintragung in das Gesellschaftsregister angemeldet werden kann.71 Eine Pflicht zur Festlegung des Vertragssitzes lässt sich überdies nicht mit dem Grundsatz der Privatautonomie vereinbaren, die auch die (negative) Entscheidung erfasst, einen Vertragssitz nicht zu bestimmen.72 17 Einen Doppelsitz halten Rechtsprechung und ein Teil des Schrifttums für unzulässig.73
Gleichwohl zeigt die Diskussion zum Kapitalgesellschaftsrecht, dass ein praktisches Bedürfnis nach einer solchen Gestaltung bestehen kann, in der im Gesellschaftsvertrag zwei Orte als Gesellschaftssitz festgelegt werden.74 Daher kann in (eng verstandenen) Ausnahmefällen, die auch im Personengesellschaftsrecht in Betracht kommen,75 angezeigt sein, die Zulässigkeit eines Doppelsitzes zu bejahen. Erforderlich sind nicht unerhebliche wirtschaftliche Vorteile, die für eine Gesellschaft mit der Führung eines Doppelsitzes einhergehen und die die Nachteile überwiegen, die aus registerrechtlichen Verfahrenserschwernissen76 und Irritationen des Rechtsverkehrs resultieren können. Zugleich darf der von der Gesellschaft angestrebte Vorteil nicht durch die Begründung einer Zweigniederlassung (Rz. 18) erreicht werden können.77 So kann ein Doppelsitz zulässig sein, wenn mit der Aufgabe eines Standortes ein Verlust an Goodwill verbunden wäre; bloße Prestigegründe und Affektionsinteressen reichen dagegen nicht aus.78 18 Kein Fall der Ausübung von Sitzwahlfreiheit liegt vor, wenn die Gesellschaft eine sog. Zweig-
niederlassung gründet (vgl. im handelsrechtlichen Kontext § 13 HGB, der wegen des Verweises in § 707b Nr. 3 BGB auch im GbR-Recht eine Rolle spielt; s. § 707b BGB Rz. 25 f.). Es handelt sich um eine organisatorische Einheit, die zwar von der Hauptniederlassung abhängig ist, aber – anders als eine bloß räumlich getrennte Betriebsabteilung – in einem solchen Umfang selbständig am Rechtsverkehr teilnimmt, dass es gerechtfertigt ist, sie einer registerrechtlichen Dokumentation zu unterwerfen. Sie wird definiert als ein räumlich getrennter Teil des Unternehmens, der unter der Leitung der Hauptniederlassung dauerhaft selbständig Geschäfte schließt und die dafür erforderliche Organisation in sachlicher und personeller Hinsicht aufweist.79 Eine Zweigniederlassung verfügt nicht über Rechts-, Partei- und Grundbuchfähigkeit. Die in der Zweigniederlassung abgeschlossenen Rechtsgeschäfte wer-
70 71 72 73 74 75 76
77 78 79
Vgl. M. Roth in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 106 HGB Rz. 8. Siehe Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 129. Vgl. dazu auch M. Noack, BB 2021, 643, 644 f. RG JW 1938, 1718, 1719; Haas/Wöstmann in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 106 HGB Rz. 7 a.E.; Servatius, 2023, § 706 BGB Rz. 8. Ausführlich zu Entwicklung und Meinungsstand Koch/Harnos in Staub, 6. Aufl. 2023, § 13 HGB Rz. 50 ff. LG Köln v. 21.6.1950 – 24 T 2/50, NJW 1950, 871 f.; Koch/Harnos in Staub, 6. Aufl. 2023, § 13 HGB Rz. 54. Solche Erschwernisse sind insbesondere dann in die Abwägung einzustellen, wenn der zweite Vertragssitz im Ausland liegen soll. In einem solchen Fall sprechen etwa Koordinierungsprobleme und Sprachbarrieren gegen die Zulässigkeit eines Doppelsitzes; vgl. dazu Koch/Harnos in Staub, 6. Aufl. 2023, § 13 HGB Rz. 53. Zu den Kriterien Koch/Harnos in Staub, 6. Aufl. 2023, § 13 HGB Rz. 53. BayObLG v. 29.3.1985 – BReg. 3 Z 22/85, BayObLGZ 1985, 111, 118 = ZIP 1985, 929 (zur AG). Einzelheiten bei Koch/Harnos in Staub, 6. Aufl. 2023, § 13 HGB Rz. 19 ff.
64 | Koch/Harnos
Sitz der Gesellschaft | Rz. 20 § 706 BGB
den der Gesellschaft gem. § 164 BGB zugerechnet; die Zurechnung sonstiger Handlungen erfolgt nach Maßgabe der §§ 31, 278 BGB.80
3. Sitzverlegung a) Verlegung des Vertragssitzes Eine Verlegung des Vertragssitzes im Inland ist ohne weiteres möglich. Es handelt sich um 19 eine Vertragsänderung, die nach den hierfür sonst geltenden Regeln zu erfolgen hat (dazu § 705 BGB Rz. 20):81 Grundsätzlich muss die Sitzverlegung einstimmig beschlossen werden, es sei denn, die Änderung qua Mehrheitsbeschluss ist von einer vertraglichen Mehrheitsklausel erfasst und hält der materiellen Beschlusskontrolle am Maßstab der Treupflicht stand. Ist die Sitzverlegung wirksam beschlossen, muss dies gem. § 707 Abs. 3 Satz 1 BGB zur Eintragung in das Gesellschaftsregister angemeldet werden (dazu § 707 BGB Rz. 28 ff.);82 die Anmeldung ist gem. § 707 Abs. 4 Satz 1 BGB grds. von allen Gesellschaftern zu bewirken (s. § 707 BGB Rz. 31 ff.).83 Zuständig ist nach § 707b Nr. 2 BGB i.V.m. § 13h Abs. 1 HGB das Gericht des alten Sitzes.84 Unterbleibt die Eintragung, kann dies die Folgen des § 15 HGB (i.V.m. § 707a Abs. 3 Satz 1 BGB) auslösen.85 Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 706 Satz 2 BGB, der in den Gesetzesmaterialien aus- 20 drücklich bestätigt wird,86 ist eine rechtsformwahrende Vertragssitzverlegung ins Ausland unzulässig:87 Der Vertragssitz muss ein Ort im Inland sein (vgl. bereits Rz. 13). Wie ein Vertragsänderungsbeschluss, der die Vertragssitzverlegung ins Ausland zum Gegenstand hat, zu behandeln ist, wurde im Personengesellschaftsrecht bislang nicht vertieft diskutiert,88 es bietet sich aber an, an die Erkenntnisse der kapitalgesellschaftsrechtlichen Diskussion anzuknüpfen. Die Rechtsprechung versteht den Beschluss als einen Auflösungsbeschluss i.S.d. § 262 Abs. 1 Nr. 2 AktG, § 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG.89 Überträgt man diesen Gedanken in das Personengesellschaftsrecht, wären § 729 Abs. 1 Nr. 4, § 732 BGB, § 128 Abs. 1 Nr. 4, § 140 HGB einschlägig. Vorzugswürdig erscheint indes die überwiegende Ansicht im Schrifttum, das die Nichtigkeit90 des Verlegungsbeschlusses annimmt und das Registergericht dazu
80 Vgl. im handelsrechtlichen Kontext Koch/Harnos in Staub, 6. Aufl. 2023, § 13 HGB Rz. 79 ff. 81 C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 706 BGB Rz. 11; Servatius, 2023, § 706 BGB Rz. 9. 82 Siehe auch Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 481. 83 C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 706 BGB Rz. 11. 84 C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 706 BGB Rz. 11. 85 Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 482; vgl. auch bereits zu Personenhandelsgesellschaften J. Koch, ZHR 173 (2009), 101, 107 f. 86 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 127. 87 C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 706 BGB Rz. 11. Zu weitgehend Hippeli, DZWiR 2020, 386, 391, der zwischen den unterschiedlichen Konstellationen der Sitzverlegung nicht differenziert. 88 Ansätze bei Koch/Harnos in Staub, 6. Aufl. 2023, § 13h HGB Rz. 41. 89 RG v. 29.6.1923 – II 552/22, RGZ 107, 94, 97; BayObLG v. 7.5.1992 – 3Z BR 14/92, BayObLGZ 1992, 113, 116 = ZIP 1992, 842; OLG Hamm v. 30.4.1997 – 15 W 91/97, GmbHG 1997, 848; OLG Hamm v. 1.2.2001 – 15 W 390/00, GmbHR 2001, 440. 90 Den Ausgangspunkt im kapitalgesellschaftsrechtlichen Schrifttum bildet dabei § 241 Nr. 3 AktG (s. Koch/Harnos in Staub, 6. Aufl. 2023, § 13h HGB Rz. 31), der im GmbH-Recht analog anwendbar ist (s. nur Bayer in Lutter/Hommelhoff, 21. Aufl. 2023, Anh. § 47 GmbHG Rz. 16). Im GbR-Recht folgt die Nichtigkeit schlicht aus einem Verstoß gegen § 706 Satz 2 BGB, der ein Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB sein dürfte (so auch Hoffmann/Horn, RabelsZ 86 (2022), 65, 80; zum Beschlussmängelrecht der GbR ausf. § 714 BGB Rz. 110 ff.). Im Recht der Personenhandelsgesellschaften greift § 110 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HGB ein (so auch Hoffmann/Horn, RabelsZ 86 (2022), 65, 80; Lieder/Hilser, Koch/Harnos | 65
§ 706 BGB Rz. 20 | Rechtsfähige Gesellschaft anhält, die Anmeldung des Beschlusses zurückzuweisen; eine dennoch erfolgte Eintragung ist nach § 398 FamFG zu löschen.91 21 Die in Rz. 20 dargestellten Rechtsfolgen sind allerdings in Fällen zu modifizieren, in denen
die Gesellschaft eine rechtsformwechselnde, aber identitätswahrende Verlegung des Vertragssitzes in einen EU-/EWR-Staat anstrebt.92 Ein solcher grenzüberschreitender Herausformwechsel ist im Lichte der Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV)93 und der EuGHUrteile in Rechtssachen Cartesio,94 Vale95 und Polbud96 als zulässig anzusehen;97 namentlich folgt aus dem Polbud-Urteil die Zulässigkeit einer isolierten Vertragssitzverlegung. Dasselbe gilt für den identitätswahrenden Hineinformwechsel.98 Problematisch ist indes, dass die grenzüberschreitende Umwandlung von Personengesellschaften nicht von der Umwandlungsrichtlinie99 erfasst und auch kein Gegenstand des UmRUG ist100 (s. § 39 UmwG Rz. 6).101 Aus diesem Grund müssen Gesellschafter, die eine rechtsformwechselnde identitätswahrende Vertragssitzverlegung anstreben, auf verhältnismäßig wenig erprobte und dadurch unsichere kautelarjuristische Gestaltungen zurückgreifen (s. § 214 UmwG Rz. 3).102 b) Verlegung des Verwaltungssitzes 22 Verfügt die Gesellschaft über einen Vertragssitz, folgt aus der Sitzwahlfreiheit (Rz. 14 ff.) die
Zulässigkeit der Verwaltungssitzverlegung. Dabei handelt es sich – wie bereits in Rz. 6 erläutert – um eine grundlegende Maßnahme, die nach § 715 Abs. 2 Satz 2 BGB vorbehaltlich
91 92 93 94 95 96 97 98
99 100 101
102
ZHR 185 (2021), 471, 497): § 706 Satz 2 BGB ist eine (zwingende) Vorschrift, auf deren Einhaltung die Gesellschafter nicht verzichten können (s. bereits Rz. 1). Zur Nichtigkeit vor dem MoPeG vgl. Paefgen in FS E. Vetter, 2019, S. 527, 536 f. Ausf. und m.w.N. Koch/Harnos in Staub, 6. Aufl. 2023, § 13h HGB Rz. 31. Für Amtslöschung nach § 395 FamFG Paefgen in FS E. Vetter, 2019, S. 527, 537. Hierzu im kapitalgesellschaftsrechtlichen Kontext Koch/Harnos in Staub, 6. Aufl. 2023, § 13h HGB Rz. 32 ff.; s. ferner Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 498. Zur Geltung für Personengesellschaft s. Rz. 8; speziell für den Fall des Formwechsels Schön, ZHR 187 (2023), 123, 147 ff. EuGH v. 16.12.2008 – C-210/06, GmbHR 2009, 86. EuGH v. 12.7.2012 – C-378/10, ZIP 2012, 1394. EuGH v. 25.10.2017 – C-106/16, GmbHR 2017, 1261. Siehe nur Schön, ZHR 187 (2023), 123, 147 f. (mit dem zutr. Hinweis, dass die Cartesio-Entscheidung eine KG betraf; s. dazu auch Paefgen in FS E. Vetter, 2019, S. 527, 532), 161 f.; vgl. ferner Hoffmann/Horn, RabelsZ 86 (2022), 65, 82; Schall, ZIP 2020, 1443, 1449. Vgl. Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 498. Im kapitalgesellschaftsrechtlichen Kontext ausf. Koch/Harnos in Staub, 6. Aufl. 2023, § 13h HGB Rz. 35; vgl. ferner Zwirlein-Forschner, ZGR-Sonderheft 26 (2023), 195, 202 ff., 216 f. Zur Zulässigkeit eines grenzüberschreitenden identitätswahrenden Formwechsels einer luxemburgischen Personengesellschaft in eine deutsche KG, der nach Ansicht des Gerichts möglich ist, s. OLG Oldenburg v. 30.6.2020 – 12 W 23/20 (HR), GmbHR 2020, 1284 m. Komm. Krafczyk/Liebig, GmbHR 2020, 1286; krit. zu dieser Entscheidung etwa Schön, ZHR 187 (2023), 123, 151 ff. m.w.N. Richtlinie (EU) 2019/2121 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.11.2019 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen, ABl. EU Nr. L 321 v. 12.12.2019, S. 1. Gesetz zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie und zur Änderung weiterer Gesetze v. 22.2.2023, BGBl. I 2023, Nr. 51 v. 28.2.2023. Zum eingeschränkten Anwendungsbereich der Mobilitätsrichtlinie statt vieler Zwirlein-Forschner, ZGR-Sonderheft 26 (2023), 195, 197 ff., die überdies auf S. 209 ff. die (nicht ergriffenen) Gestaltungsmöglichkeiten des deutschen Gesetzgebers skizziert; s. ferner Schall, ZIP 2020, 1443, 1449. Zur Ausklammerung des grenzüberschreitenden Formwechsels von Personengesellschaften durch das UmRUG s. nur Schön, ZHR 187 (2023), 123, 126. Ausf. hierzu Hoffmann/Horn, RabelsZ 86 (2022), 65, 82 ff.; Schön, ZHR 187 (2023), 123, 151 ff.; Zwirlein-Forschner, ZGR-Sonderheft 26 (2023), 195, 210 ff.
66 | Koch/Harnos
Sitz der Gesellschaft | Rz. 23 § 706 BGB
einer abweichenden gesellschaftsvertraglichen Regelung des Beschlusses aller Gesellschafter bedarf.103 Nach dieser Maßgabe unproblematisch ist jedenfalls eine Verlegung des Verwaltungssitzes im Inland, die isoliert oder gemeinsam mit einer Vertragssitzverlegung erfolgen kann.104 Zur Sitzverlegung aus dem Ausland ins Inland gilt das in Rz. 9 ff. Gesagte entsprechend. Was die Verwaltungssitzverlegung ins Ausland angeht, ist zwischen der sachrechtlichen und 23 kollisionsrechtlichen Ebene zu unterscheiden. In sachrechtlicher Hinsicht ist ein grenzüberschreitender Wegzug nach § 706 Abs. 2 BGB unproblematisch: Der Gesetzgeber hat die Vorschrift ausweislich der Materialien gerade deshalb geschaffen, um Verwaltungssitzverlegungen ins Ausland zu ermöglichen.105 In kollisionsrechtlicher Hinsicht hängt das Schicksal der Gesellschaft nach herkömmlicher Auffassung davon ab, ob der Zuzugsstaat der Sitzoder der Gründungstheorie folgt.106 Herrscht im Zuzugsstaat die Sitztheorie, führt der grenzüberschreitende Wegzug gem. Art. 4 Abs. 1 Satz 1 EGBGB zu einem Statutenwechsel.107 Folgt der Zuzugsstaat hingegen der Gründungstheorie, verweist das ausländische Recht auf das deutsche Recht zurück, das die Verweisung nach Art. 4 Abs. 1 Satz 2 EGBGB annimmt, so dass die Gesellschaft ihre originäre Rechtsform behält.108 Dieses Ergebnis gilt auch dann, wenn der Verwaltungssitz in einen Staat verlegt wird, der aufgrund der unionsrechtlichen Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV),109 eines völkerrechtlichen Abkommens oder eines bilateralen Staatsvertrags gezwungen ist, die nach deutschem Recht errichteten Gesellschaften in ihrer Ursprungsrechtsform anzuerkennen (dazu bereits Rz. 10).110 Indes soll diese Unterscheidung nach einer aufstrebenden Ansicht im Schrifttum dadurch eingeebnet werden, dass § 706 Satz 2 BGB als eine sog. einseitige verdeckte Kollisionsnorm111 qualifiziert wird,112 die deutschen Personengesellschaften mit inländischem Vertragssitz weitgehende Freiheit der Verwaltungssitzverlegung ins Ausland unter Beibehaltung des bisherigen Rechtskleids gewährt. Dies soll namentlich auch in Fällen gelten, in denen der Zuzugsstaat der Sitztheorie folgt.113 Die traditionelle Auffassung spricht § 706 BGB hingegen einen kollisionsrechtlichen Charakter ab und ordnet ihn als eine reine Sachnorm ein.114
103 So auch C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 706 BGB Rz. 12. 104 C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 706 BGB Rz. 12. 105 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 127; Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, Vor § 105 HGB Rz. 355 a.E. 106 Siehe auch C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 706 BGB Rz. 10. 107 Statt vieler Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, Vor § 105 HGB Rz. 354. 108 S. nur Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, Vor § 105 HGB Rz. 355. 109 Zur Geltung für Personengesellschaft s. Rz. 8. 110 In einem solchen Fall kommt eine Amtslöschung nach § 395 FamFG nicht in Betracht, vgl. Heckschen/Nolting, BB 2020, 2256, 2257; M. Noack, BB 2021, 643, 645. 111 Verdeckte Kollisionsnormen sind sachrechtliche Vorschriften, denen im Wege der Auslegung entnommen wird, dass sie auch das anwendbare Recht bestimmen sollen; vgl. hierzu statt vieler v. Hein in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, Einl IPR Rz. 94; im gesellschaftsrechtlichen Kontext W.-H. Roth, ZGR 2014, 168, 187 ff. 112 Für eine Verortung der Regelung im internationalen Privatrecht de lege ferenda Heckschen, NZG 2020, 761, 764. 113 So Hoffmann/Horn, RabelsZ 86 (2022), 65, 67 ff.; Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 490 ff.; Lieder/Hilser, NotBZ 2021, 401, 405 f.; Schön, ZHR 187 (2023), 123, 137; Servatius, 2023, § 706 BGB Rz. 10; wohl auch Hippeli, DZWiR 2020, 386, 391. Für einen kollisionsrechtlichen Charakter des § 706 Satz 2 BGB, aber wohl mit gegenteiligem Ergebnis Schall, ZIP 2020, 1443, 1448: § 706 BGB lege die Sitztheorie als Grundsatz fest. Zu § 106 Abs. 2 Nr. 2 HGB a.F. als versteckte Kollisionsnorm Paefgen in FS E. Vetter, 2019, S. 527, 535 f. 114 § 214 UmwG Rz. 4; Heckschen/Nolting, BB 2020, 2256, 2257; Heckschen/Nolting, BB 2021, 2946, 2947; Kindler, ZfPW 2022, 409, 414 f.; Nazari-Khanachayi, WM 2020, 2056, 2058; M. Noack, BB 2021, 643, 644. Koch/Harnos | 67
§ 706 BGB Rz. 24 | Rechtsfähige Gesellschaft 24 Will man den kollisionsrechtlichen Gehalt des § 706 Satz 2 BGB vermessen, ist der letzt-
genannten Ansicht im Ausgangspunkt darin beizupflichten, dass der Wortlaut und die systematische Verortung der Vorschrift im Sachrecht starke Zeichen für ihre kollisionsrechtliche Abstinenz sind (darauf hinweisend § 214 UmwG Rz. 4).115 Allerdings macht der Gesetzgeber in den Materialien deutlich, dass er es den registrierten Personengesellschaften ermöglichen will, sämtliche Geschäftstätigkeit außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes zu entfalten, ohne auf eine für sie vertraute deutsche Rechtsform verzichten zu müssen.116 Diese Aussage kann durchaus dahin verstanden werden, eine Verwaltungssitzverlegung unter Beibehaltung des deutschen Vertragssitzes – und damit des deutschen Rechtskleids – auch dann zu gestatten, wenn der Zuzugsstaat der Sitztheorie folgt. Dafür spricht zudem der Umstand, dass es ein zentrales Ziel des MoPeG-Gesetzgebers war, den dauerhaften Bestand der rechtsfähigen GbR zu sichern, was u.a. im Leitbildwandel – weg von der nicht rechtsfähigen Gelegenheitsgesellschaft, hin zur rechtsfähigen Außen-GbR (s. dazu § 705 BGB Rz. 71) – sowie in der Neugestaltung der Ausscheidens- und Auflösungsgründe zum Ausdruck kommt.117 Diese Standfestigkeit könnte gefährdet sein, wenn man die Wegzugfälle in Drittstaaten, die der Sitztheorie folgen, nach den herkömmlichen Grundsätzen löst und einen Statutenwechsel befürwortet. Eine solche Gefahr droht insbesondere dann, wenn der Zuzugsstaat die GbR nicht als einen rechtsfähigen Verband ansieht, sondern in der römisch-rechtlichen Tradition als ein reines Schuldverhältnis. 25 In eine andere Richtung deutet indes § 707 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c BGB hin. Danach müssen
die Gesellschafter im Rahmen der Gesellschaftsregisteranmeldung eine Anschrift angeben, die im EU-Ausland – aber nicht in einem Drittstaat – liegen kann (dazu bereits Rz. 15; s. ferner § 707 BGB Rz. 18). Diese Regelung kann herangezogen werden, um die verbliebenen Einschränkungen der grenzüberschreitenden Mobilität aufzuzeigen, die sich in systematischer Hinsicht auf die Qualifizierung des § 706 Satz 2 BGB auswirken können: Wollte der Gesetzgeber den Wegzug der deutschen GbR in Drittstaaten, die der Sitztheorie folgen, ermöglichen und fördern, böte es sich an, dass er auch die Angabe einer Anschrift in einem Drittstaat als ausreichend erachtet. Weil er aber von diesem Schritt abgesehen hat, ist die Geschäftsführung aus einem Drittstaat – wenn auch praktisch wohl nur unerheblich – erschwert. Dies lässt den vorsichtigen Schluss darauf zu, dass die grenzüberschreitende Mobilität der deutschen GbR doch nicht schrankenlos möglich sein soll. In diesem Lichte erscheint es naheliegend, mit der herrschenden Ansicht anzunehmen, dass § 706 Satz 2 BGB einen Wegzug in einen Drittstaat, der der Sitztheorie folgt, gerade nicht gestatten soll. Dies gilt umso mehr, als die Qualifizierung des § 706 Satz 2 BGB als eine reine Sachnorm in der Tradition des Trabrennbahn-Urteils steht, in dem der BGH dem – funktional vergleichbaren – § 4a GmbHG den kollisionsrechtlichen Charakter abgesprochen hat.118 Die Annahme, dass der Gesetzgeber ohne eine vertiefte Auseinandersetzung die gefestigte BGH-Rechtsprechung zumindest für die Fälle des grenzüberschreitenden Wegzugs lockern wollte,119 lässt sich – trotz der durchaus vorhandenen Anhaltspunkte – doch nicht auf hinreichend deutliche Aussagen in den Gesetzesmaterialien zum MoPeG stützen. Insgesamt spricht mehr dafür, § 706 Satz 2 BGB nicht als eine einseitige verdeckte Kollisionsnorm zu qualifizieren. 26 De lege ferenda sollte der Gesetzgeber die kollisionsrechtliche Behandlung der Wegzugsfälle
im Rahmen einer stimmigen Gesamtkonzeption lösen. Insoweit bietet es sich an, das – zwischenzeitlich aufgegebene – Projekt der Kodifizierung des Internationalen Gesellschafts115 Vgl. Kindler, ZfPW 2022, 409, 414 f. 116 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 127. Maßgeblich auf die Gesetzesmaterialien abstellend Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 491 ff. 117 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 105 ff. 118 BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06, BGHZ 178, 192 Rz. 22 = AG 2009, 84. Auf diese Parallele hinweisend Kindler, ZfPW 2022, 409, 414. 119 Zur Fortgeltung der Sitztheorie nach der BGH-Rechtsprechung vgl. bereits Rz. 9.
68 | Koch/Harnos
Sitz der Gesellschaft | Rz. 29 § 706 BGB
rechts120 wiederzubeleben.121 Überlegenswert ist auch eine unionsrechtliche Harmonisierung der Vorschriften über die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Personengesellschaften.122
IV. Sitz der nicht rechtsfähigen Gesellschaft? Ausweislich seiner systematischen Stellung regelt § 706 BGB nur den Sitz der rechtsfähigen 27 Gesellschaft. Auf die nicht rechtsfähige Gesellschaft ist die Vorschrift nicht anwendbar (s. auch die Aufzählung in § 740 Abs. 2 BGB und § 740 BGB Rz. 37 ff.).123 Vor diesem Hintergrund nimmt ein Teil des Schrifttums an, dass die nicht rechtsfähige Gesellschaft keinen Sitz haben kann.124 Manche Autoren stehen hingegen auf dem Standpunkt, dass die Gesellschafter einer nicht rechtfähigen Gesellschaft zwar keinen Sitz, aber doch einen Ort bestimmen können, an dem die Geschäftsführung der Innengesellschaft zu lokalisieren ist. Dieser „Sitz“ könne etwa dem Registergericht die Prüfung seiner örtlichen Zuständigkeit erleichtern, wenn die nicht rechtsfähige Gesellschaft zur Eintragung in das Gesellschaftsregister eingetragen werde.125 Andere weisen wiederum darauf hin, dass eine vertragliche Vereinbarung über den Erfüllungsort für die Sozialverbindlichkeiten untereinander möglich sei; für die Zuständigkeitsfragen sei allein der Verwaltungssitz maßgeblich.126 In der Tat kann eine nicht rechtsfähige Gesellschaft keinen Sitz im klassischen Sinne haben. 28 Haben die Gesellschafter einen „Vertragssitz“ festgelegt, so ist zunächst zu untersuchen, ob daraus auf den Willen der Gesellschafter dahingehend geschlossen werden kann, dass die Gesellschaft am Rechtsverkehr teilnehmen soll und daher gem. § 705 Abs. 2 Var. 1 BGB rechtsfähig ist: Die Bestimmung des Sitzes ist ein Rechtsfähigkeitsindiz (dazu § 705 BGB Rz. 78).127 Handelt es sich trotz der Sitzfestlegung um eine nicht rechtsfähige Gesellschaft, ist der Inhalt der entsprechenden Vertragsregelung im Wege der Auslegung zu ermitteln; einer teleologischen Reduktion des § 706 Satz 2 BGB bedarf es hierzu nicht.128 Es liegt durchaus nahe, dass die Gesellschafter damit den Erfüllungsort für die Sozialverbindlichkeiten vereinbart haben. Denkbar ist ferner, dem „Vertragssitz“ eine indizielle Bedeutung bei der Bestimmung des Verwaltungssitzes beizumessen, der auch im verfahrensrechtlichen Kontext ausschlaggebend sein kann.129 Im kollisionsrechtlichen Zusammenhang ist zu beachten, dass eine nicht rechtsfähige Gesell- 29 schaft nicht nach dem Verbandsstatut angeknüpft wird, sondern das Vertragsstatut maß-
120 Vgl. dazu statt vieler Bollacher, RIW 2008, 200; zur unionsweiten Kodifizierung des internationalen Gesellschaftsrechts im Rahmen einer Rom-VO Hübner, ZGR 2018, 149 ff. 121 Reformvorschläge etwa bei Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 498 ff. 122 Vgl. zuletzt Schön, ZHR 187 (2023), 123, 146 f., 162 f. 123 De lege ferenda weist der Deutsche Industrie- und Handelskammertag, Stellungnahme i.R.d. Sachverständigenanhörung v. 9.3.2021, S. 3 darauf hin, dass es vereinzelt als sinnvoll erachtet wird, die Option eines Vertragssitzes auch nicht rechtsfähigen Gesellschaften zu eröffnen. 124 So Bachmann, NZG 2020, 612, 614; C. Schäfer in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 1 Rz. 35 (implizit); Wertenbruch, ZPG 2023, 1, 2. Im Ausgangspunkt auch Servatius, 2023, § 706 BGB Rz. 4, 6. 125 Dafür Armbrüster in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 3 Rz. 64; s. auch bereits Armbrüster in ZGR-Sonderheft 23, 2021, S. 143, 147. 126 So Servatius, 2023, § 706 BGB Rz. 4, 6, 8. 127 Zu diesem Gesichtspunkt s. auch C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 705 BGB Rz. 212. 128 So aber augenscheinlich Servatius, 2023, § 706 BGB Rz. 8. 129 Darauf ebenfalls hinweisend C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 706 BGB Rz. 2. Koch/Harnos | 69
§ 706 BGB Rz. 29 | Rechtsfähige Gesellschaft geblich ist.130 Da die nicht rechtsfähige Gesellschaft keinen Sitz im Rechtssinne hat, kommt eine echte grenzüberschreitende „Sitzverlegung“ nicht in Betracht. 30 Im Schrifttum werden zum Teil Friktionen in Zuzugsfällen befürchtet, wenn Gesellschafter
einer (vermeintlich) nicht rechtsfähigen Gesellschaft von ihrer Rechtswahlfreiheit nach dem Schuldstatut Gebrauch machen, dann aber im Zuge ihrer Zweckverfolgung i.S.d. § 705 Abs. 2 BGB doch in irgendeiner Form am Rechtsverkehr teilnehmen. Als Beispiel wird ein Emissions- oder Darlehenskonsortium genannt, das trotz der üblichen Einwahl in das englische Recht bei gleichzeitiger Abbedingung einer partnership unversehens als haftende AußenGbR eingeordnet werden könnte.131 Solche Folgen sind in der Tat misslich, indes bleibt zu bedenken, dass nach dem subjektiven Ansatz des § 705 Abs. 2 Var. 1 BGB der Wille zur Teilnahme am Rechtsverkehr entscheidend ist und nicht die Teilnahme als solche (s. dazu § 705 BGB Rz. 76 ff.). Überdies werden Konsortien nach deutschem Recht traditionell als nicht rechtsfähige Innengesellschaften qualifiziert (s. dazu § 705 BGB Rz. 95), so dass sich die Haftungsfolgen im Außenverhältnis in Grenzen halten dürften.
V. Behandlung der Altgesellschaften 31 Rechtsfähige Gesellschaften, die bereits vor dem MoPeG gegründet wurden, haben jeden-
falls einen Verwaltungssitz i.S.d. § 706 Satz 1 BGB, der nach den in Rz. 6 ff. dargestellten Grundsätzen zu bestimmen ist. Sie können nach § 706 Satz 2 BGB für einen Vertragssitz optieren, was zum einen die Eintragung in das Gesellschaftsregister, zum anderen i.d.R. eine Vertragsänderung voraussetzt (Rz. 19).132 Die Vertragsänderung müssen die Gesellschafter nicht bis zum 1.1.2024 hinausschieben: Haben sie den Vertragssitz bereits vor dem Inkrafttreten des MoPeG am 1.1.2024 (s. Art. 137 Satz 1 MoPeG) im Gesellschaftsvertrag verankert, dürfte regelmäßig eine Gesellschaftsregisteranmeldung, in der ein mit dem Vertragssitz übereinstimmender Sitz gem. § 707 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b BGB angegeben wird, ein hinreichend deutlicher Hinweis darauf sein, dass die Gesellschafter die Option des § 706 Satz 2 BGB ausüben wollen; mit der Eintragung in das Gesellschaftsregister sind die Anforderungen des § 706 Satz 2 BGB erfüllt. Als Alternative kommt es in Betracht, die Vertragsänderung mit Wirkung zum 1.1.2024 zu beschließen und sodann die Gesellschaft zur Eintragung in das Gesellschaftsregister anzumelden. 32 Für nicht rechtsfähige Gesellschaften ergeben sich im Zuge des MoPeG keine Änderungen;
sie können nach wie vor keinen echten Vertragssitz bestimmen (Rz. 27 ff.).133 Freilich steht den Gesellschaftern die Möglichkeit offen, den gemeinschaftlichen Willen zum Auftreten im Rechtsverkehr zu bilden (§ 705 Abs. 2 Var. 1 BGB), damit die neu entstandene rechtsfähige Gesellschaft die Option des § 706 Satz 2 BGB ausüben kann.
§ 707 BGB Anmeldung zum Gesellschaftsregister (1) Die Gesellschafter können die Gesellschaft bei dem Gericht, in dessen Bezirk sie ihren Sitz hat, zur Eintragung in das Gesellschaftsregister anmelden. 130 BGH v. 10.2.2009 – VI ZR 28/08, NJW 2009, 1482 Rz. 10; Hoffmann/Horn, RabelsZ 86 (2022), 65, 72; Schall, ZIP 2020, 1443, 1448; Servatius, 2023, § 706 BGB Rz. 6 a.E. 131 Schall, ZIP 2020, 1443, 1449. 132 Vgl. auch Servatius, 2023, § 706 BGB Rz. 2. 133 Servatius, 2023, § 706 BGB Rz. 15.
70 | Koch/Harnos und Szalai
§ 706 BGB Rz. 29 | Rechtsfähige Gesellschaft geblich ist.130 Da die nicht rechtsfähige Gesellschaft keinen Sitz im Rechtssinne hat, kommt eine echte grenzüberschreitende „Sitzverlegung“ nicht in Betracht. 30 Im Schrifttum werden zum Teil Friktionen in Zuzugsfällen befürchtet, wenn Gesellschafter
einer (vermeintlich) nicht rechtsfähigen Gesellschaft von ihrer Rechtswahlfreiheit nach dem Schuldstatut Gebrauch machen, dann aber im Zuge ihrer Zweckverfolgung i.S.d. § 705 Abs. 2 BGB doch in irgendeiner Form am Rechtsverkehr teilnehmen. Als Beispiel wird ein Emissions- oder Darlehenskonsortium genannt, das trotz der üblichen Einwahl in das englische Recht bei gleichzeitiger Abbedingung einer partnership unversehens als haftende AußenGbR eingeordnet werden könnte.131 Solche Folgen sind in der Tat misslich, indes bleibt zu bedenken, dass nach dem subjektiven Ansatz des § 705 Abs. 2 Var. 1 BGB der Wille zur Teilnahme am Rechtsverkehr entscheidend ist und nicht die Teilnahme als solche (s. dazu § 705 BGB Rz. 76 ff.). Überdies werden Konsortien nach deutschem Recht traditionell als nicht rechtsfähige Innengesellschaften qualifiziert (s. dazu § 705 BGB Rz. 95), so dass sich die Haftungsfolgen im Außenverhältnis in Grenzen halten dürften.
V. Behandlung der Altgesellschaften 31 Rechtsfähige Gesellschaften, die bereits vor dem MoPeG gegründet wurden, haben jeden-
falls einen Verwaltungssitz i.S.d. § 706 Satz 1 BGB, der nach den in Rz. 6 ff. dargestellten Grundsätzen zu bestimmen ist. Sie können nach § 706 Satz 2 BGB für einen Vertragssitz optieren, was zum einen die Eintragung in das Gesellschaftsregister, zum anderen i.d.R. eine Vertragsänderung voraussetzt (Rz. 19).132 Die Vertragsänderung müssen die Gesellschafter nicht bis zum 1.1.2024 hinausschieben: Haben sie den Vertragssitz bereits vor dem Inkrafttreten des MoPeG am 1.1.2024 (s. Art. 137 Satz 1 MoPeG) im Gesellschaftsvertrag verankert, dürfte regelmäßig eine Gesellschaftsregisteranmeldung, in der ein mit dem Vertragssitz übereinstimmender Sitz gem. § 707 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b BGB angegeben wird, ein hinreichend deutlicher Hinweis darauf sein, dass die Gesellschafter die Option des § 706 Satz 2 BGB ausüben wollen; mit der Eintragung in das Gesellschaftsregister sind die Anforderungen des § 706 Satz 2 BGB erfüllt. Als Alternative kommt es in Betracht, die Vertragsänderung mit Wirkung zum 1.1.2024 zu beschließen und sodann die Gesellschaft zur Eintragung in das Gesellschaftsregister anzumelden. 32 Für nicht rechtsfähige Gesellschaften ergeben sich im Zuge des MoPeG keine Änderungen;
sie können nach wie vor keinen echten Vertragssitz bestimmen (Rz. 27 ff.).133 Freilich steht den Gesellschaftern die Möglichkeit offen, den gemeinschaftlichen Willen zum Auftreten im Rechtsverkehr zu bilden (§ 705 Abs. 2 Var. 1 BGB), damit die neu entstandene rechtsfähige Gesellschaft die Option des § 706 Satz 2 BGB ausüben kann.
§ 707 BGB Anmeldung zum Gesellschaftsregister (1) Die Gesellschafter können die Gesellschaft bei dem Gericht, in dessen Bezirk sie ihren Sitz hat, zur Eintragung in das Gesellschaftsregister anmelden. 130 BGH v. 10.2.2009 – VI ZR 28/08, NJW 2009, 1482 Rz. 10; Hoffmann/Horn, RabelsZ 86 (2022), 65, 72; Schall, ZIP 2020, 1443, 1448; Servatius, 2023, § 706 BGB Rz. 6 a.E. 131 Schall, ZIP 2020, 1443, 1449. 132 Vgl. auch Servatius, 2023, § 706 BGB Rz. 2. 133 Servatius, 2023, § 706 BGB Rz. 15.
70 | Koch/Harnos und Szalai
Anmeldung zum Gesellschaftsregister | § 707 BGB
(2) Die Anmeldung muss enthalten: 1. folgende Angaben zur Gesellschaft: a) den Namen, b) den Sitz und c) die Anschrift in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union; 2. folgende Angaben zu jedem Gesellschafter: a) wenn der Gesellschafter eine natürliche Person ist: dessen Namen, Vornamen, Geburtsdatum und Wohnort; b) wenn der Gesellschafter eine juristische Person oder rechtsfähige Personengesellschaft ist: deren Firma oder Namen, Rechtsform, Sitz und, soweit gesetzlich vorgesehen, zuständiges Register und Registernummer; 3. die Angabe der Vertretungsbefugnis der Gesellschafter; 4. die Versicherung, dass die Gesellschaft nicht bereits im Handels- oder im Partnerschaftsregister eingetragen ist. (3) 1Wird der Name der im Gesellschaftsregister eingetragenen Gesellschaft geändert, der Sitz an einen anderen Ort verlegt oder die Anschrift geändert oder ändert sich die Vertretungsbefugnis eines Gesellschafters, ist dies zur Eintragung in das Gesellschaftsregister anzumelden. 2Ist die Gesellschaft im Gesellschaftsregister eingetragen, so sind auch das Ausscheiden eines Gesellschafters und der Eintritt eines neuen Gesellschafters zur Eintragung in das Gesellschaftsregister anzumelden. (4) 1Anmeldungen sind vorbehaltlich der Sätze 2 und 3 von sämtlichen Gesellschaftern zu bewirken. 2Scheidet ein Gesellschafter durch Tod aus, kann die Anmeldung ohne Mitwirkung der Erben erfolgen, sofern einer solchen Mitwirkung besondere Hindernisse entgegenstehen. 3Ändert sich nur die Anschrift der Gesellschaft, ist die Anmeldung von der Gesellschaft zu bewirken. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Bedeutung des Registers und der Eintragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Tatbestände und Rechtsfolgen 1. Anmeldung zum Gesellschaftsregister (Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Inhalt der Anmeldung (Abs. 2) . . . . . . . . a) Angaben zur Gesellschaft . . . . . . . . . . b) Angaben zu jedem Gesellschafter . . . .
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c) Angabe der Vertretungsbefugnis der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Änderungen zum Gesellschaftsregister (Abs. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Anmeldungen zum Register – Mitwirkungsobliegenheiten (Abs. 4) . . . III. Prozessuales und Vertragsgestaltung . .
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Schrifttum: Böhringer/Melchior, Ausgewählte Anmeldungen einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts zum neuen Gesellschaftsregister, NotBZ 2022, 361; Bolkart, Das Zusammenspiel von Gesellschaftsregister, Grundbuch und Notar nach dem Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG), MittBayNot 2021, 319; Noack, Die Gesellschaftsregisterverordnung, ZPG 2023, 95; von Proff, Ausscheiden statt Auflösen: Handlungs- und Beratungsbedarf infolge des MoPeG bei der GbR in der Übergangsphase, NZG 2023, 147.
Szalai | 71
§ 707 BGB Rz. 1 | Rechtsfähige Gesellschaft
I. Bedeutung des Registers und der Eintragung 1 Einer der Kernpunkte des zum 1.1.2024 in Kraft getretenen MoPeG war die Einführung des
Gesellschaftsregisters und die damit verbundene Unterscheidung zwischen a) nicht rechtsfähigen Gesellschaften, b) rechtsfähigen, aber nicht eingetragenen Gesellschaften sowie c) rechtsfähigen und eingetragenen Gesellschaften. 2 Die Schaffung des Gesellschaftsregisters begründet keinen Zwang zur Eintragung, sondern
lediglich eine Eintragungsoption für rechtsfähige Gesellschaften.1 Nicht rechtsfähige Gesellschaften sind nicht eintragungsfähig. Die gemeinsame Entschließung zur Eintragung in das Gesellschaftsregister wird man aber als Entschließung zur (potentiellen) Teilnahme am Rechtsverkehr begreifen müssen (so auch § 705 BGB Rz. 83). Auf die tatsächliche Teilnahme am Rechtsverkehr kommt es nach dem klaren Wortlaut des § 705 Abs. 2 BGB nicht an. Kurz: Die Gesellschaft ist rechtsfähig, wenn bzw. weil die Gesellschafter das so wollen (s. dazu § 705 BGB Rz. 83 ff.). Die Teilnahme am Rechtsverkehr ist entgegen sich hartnäckig behauptender Auffassung2 nicht das die Rechtsfähigkeit begründende Element. Vielmehr ist es der GbR ohne Rechtssubjektivität gar nicht möglich, am Rechtsverkehr teilzunehmen, da es sie ja „noch gar nicht gibt“.3 3 Wenngleich kein Eintragungszwang besteht, ist die Eintragung in das Gesellschaftsregister
Voraussetzung für den Erwerb diverser Registerrechte, d.h. von Rechten, die in einem Objektregister eingetragen sind. Registerrecht in diesem Sinne sind nicht nur das Grundbuch (vgl. hier etwa § 47 Abs. 2 GBO mit dem Registerzwang), sondern auch Schiffs- bzw. Luftfahrzeugregister oder die GmbH-Gesellschafterliste. Selbst in Fällen, in denen die Gesellschaft schon Rechtsinhaber solcher Rechte ist (diese Rechte also nicht erwirbt), sieht Art. 229 § 21 EGBGB n.F. vor, dass eine Eintragung der Gesellschaft vor dem registerlichen Vollzug erfolgen soll. Im Ergebnis wird daher für den Verkehr mit Registerrechten ein faktischer Eintragungszwang geschaffen. Technisch handelt es sich um eine „Voreintragungsobliegenheit“. Diese wird man richtigerweise auch annehmen müssen, wenn über die Beteiligung an einer Grundstücks-GbR verfügt wird, also lediglich ein Gesellschafterwechsel erfolgt.4 Dies folgt systematisch aus § 82 GBO n.F. bzw. den Materialien, die im Ergebnis darauf abstellen, dass auch jeder Wechsel im Gesellschafterbestand eintragungspflichtig ist.5 4 Die mit der Registereintragung verknüpfte Publizität ist gesetzgeberisch beabsichtigt. Weiter
wird das Gesellschaftsregister sowohl in das Unternehmensregister als auch in das Transparenzregister eingebunden. Mit der Eintragung in das Gesellschaftsregister entsteht weitergehend der Zwang, sich in das Transparenzregister eintragen zu lassen (§ 20 GwG), um den wirtschaftlich Berechtigten einer eingetragenen Gesellschaft bürgerlichen Rechts festzustellen bzw. feststellen zu können. Die eGbR muss nach § 20 Abs. 1 GwG die in § 19 Abs. 1 GwG benannten Angaben zu den wirtschaftlich Berechtigten einholen und der registerführenden Stelle unverzüglich zur Eintragung in das Transparenzregister mitteilen.6 Im Ergebnis wird somit in einigen wesentlichen Wirtschaftsbereichen der Kampf gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung geführt.
1 Für eine zwingende Anknüpfung der Rechtsfähigkeit an die Registereintragung de lege ferenda AK Bilanzrecht Hochschullehrer Rechtswissenschaft, ZIP 2021, S3, S11 ff.; Habersack, ZGR 2020, 539, 553 ff.; Heckschen, NZG 2020, 761, 762 f.; Röder, AcP 215 (2015), 450, 466 ff. 2 Vgl. etwa Servatius, § 707 BGB Rz. 7, § 719 BGB Rz. 12 ff. 3 Dazu sowie zum Verständnis der Rechtsfähigkeit bereits grundlegend Szalai, Personengesellschaften, Rechtsfähigkeit und Leistungsstörungen, 2013, passim. 4 Zutr. John, NZG 2022, 243, 247. 5 Vgl. BT-Drucks. 19/27635, 217. 6 Vgl. weitergehend hierzu Wertenbruch, JZ 2023, 78, 81 f.
72 | Szalai
Anmeldung zum Gesellschaftsregister | Rz. 11 § 707 BGB
Aufgabe des Registers ist es, zuverlässig sowie vollständig und lückenlos Auskunft über die 5 Tatsachen und Rechtsverhältnisse der Gesellschaft zu geben, soweit sie für den Rechtsverkehr von besonderer Bedeutung sind.7. Das Register ermöglicht es dem Rechtsverkehr, die Existenz, Identität und ordnungsgemäße Vertretung der Gesellschaft mit Publizitätswirkung aus dem Gesellschaftsregister abzulesen.8 Die zentrale Funktion des Registers ist die durch Verweisung auf § 15 HGB begründete Publizitätsfunktion. Durch Verweisung auf § 15 HGB in § 707a Abs. 3 BGB wird dem Register ein spezifischer öffentlicher Glaube beigemessen. Im Übrigen sind eine Reihe von für das Handelsregister geltenden Vorschriften entsprechend 6 anzuwenden (vgl. § 707b BGB). Insbesondere werden in die Anmeldung zum Zweck der Prüfung der Identität der Anmeldenden und der Eintragungsfähigkeit in etablierter und erprobter Weise Notare eingebunden (§ 707b Nr. 2 BGB i.V.m. § 12 HGB). Jeder Eintragung in das Gesellschaftsregister geht eine Anmeldung voraus. Die Eintragung 7 in das Gesellschaftsregister ist grundsätzlich deklaratorisch, bewirkt also keine Rechtsänderung in Bezug auf die Gesellschaft; sie kann jedoch einen schützenswerten Rechtsschein begründen. So sieht § 707a Abs. 3 BGB die entsprechende Anwendung des § 15 HGB vor. Diese erstreckt sich jedenfalls auf einen positiven Gutglaubensschutz nach § 15 Abs. 3 HGB. Hinsichtlich der eintragungspflichtigen Tatsachen besteht auch ein negativer Gutglaubensschutz nach § 15 Abs. 1 HGB. Das Fehlen der Kaufmannseigenschaft nimmt jedoch nicht an der Publizität des Gesellschaftsregisters teil (§ 707a Abs. 3 BGB). Da die rechtsfähige Gesellschaft jedenfalls in der juristischen Sekunde der Anmeldung (nicht 8 erst der Eintragung) entsteht, findet § 707 BGB nur auf rechtsfähige Gesellschaften Anwendung. Dafür spricht u.a. die Gesetzessystematik: § 707 BGB ist ein Teil des Untertitels 2, der Regelungen für rechtsfähige Gesellschaften enthält. Die Begründung einer rechtsfähigen GbR steht freilich den Gesellschaftern offen.9 Richtigerweise ist bereits die Anmeldung ein die Rechtsfähigkeit begründendes Auftreten im Rechtsverkehr. Der Weg in das Register ist in Bezug auf den Erhalt der Rechtsfähigkeit eine Einbahnstraße. Eine rechtswahrende Austragung aus dem Gesellschaftsregister ist nur noch als Statuswechsel hin zu einem anderen Register bzw. aufgrund Umwandlungsmaßnahme möglich. § 707 BGB definiert lediglich die Anforderungen an die Anmeldung. Ob und unter welchen 9 Voraussetzungen die Gesellschafter einander verpflichtet sind, an der Anmeldung mitzuwirken, beschreibt die Norm nicht. Maßgebend ist insoweit der Gesellschaftsvertrag. Aus der Zweckförderpflicht können im Einzelfall auch konkreten Pflichten der Gesellschafter erwachsen, an der Eintragung der Gesellschaft in das Register mitzuwirken. Unzweifelhaft ist das bei auf den Erwerb und das Halten von Registerrechten gerichteten Gesellschaften der Fall. Dies gilt auch für „Altgesellschaften“, die vor dem MoPeG gegründet wurden. Weniger klar liegen die Dinge bei Neugesellschaften – insbesondere dann, wenn legitime Interessen einzelner Gesellschafter an der Geheimhaltung ihrer Gesellschafterstellung existieren. Sieht der Gesellschaftsvertrag eine Mehrheitsklausel vor, greift diese auch bei Abstimmun- 10 gen über die Anmeldung zum Gesellschaftsregister. Während die Einhaltung des Mehrheitserfordernis auf einer ersten Stufe zu prüfen ist, ist erst auf der zweiten Stufe zu fragen, ob die legitimen Interessen und Belange der Minderheit, die ggf. an Geheimhaltung interessiert ist, bei der Beschlussfassung hinreichend beachtet wurden. Den konkreten Modus der Eintragung bzw. Anmeldung normiert § 707 BGB. Während Abs. 1 11 lediglich die Zuständigkeit definiert, regelt Abs. 2 zwingenden Angaben der (Erst-)Anmel-
7 BT-Drucks. 19/27635, 108. 8 BT-Drucks. 19/27635, 108 f. 9 Missverständlich Servatius, § 707 BGB Rz. 6. Szalai | 73
§ 707 BGB Rz. 11 | Rechtsfähige Gesellschaft dung. Abs. 3 befasst sich mit Folgeanmeldungen und Abs. 4 definiert die weitergehende (Anmeldungs-)Befugnis der Gesellschafter. 12 Während die Ersteintragung fakultativ für die Gesellschaft und Gesellschafter ist, besteht bei
späteren Änderungen der Personendaten nach der erfolgten Ersteintragung gem. § 707 Abs. 4 BGB mitunter ein Anmeldungszwang. Soweit ein Anmelde- bzw. Berichtigungszwang besteht, wird man auch einen Gutglaubensschutz nach § 707a Abs. 3 BGB, § 15 HGB bejahen müssen.
II. Tatbestände und Rechtsfolgen 1. Anmeldung zum Gesellschaftsregister (Abs. 1) 13 Der Entschluss über die Eintragung in das Gesellschaftsregister obliegt den Gesellschaftern.
Nur rechtsfähige Gesellschaften können in das Register eingetragen werden und die Eintragung anmelden (s. Rz. 2). Die Anmeldung zum Gesellschaftsregister hat grundsätzlich durch alle Gesellschafter zur erfolgen. Ausnahmen finden sich in § 707 Abs. 4 BGB. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Eintragung. 14 Die Anmeldung erfolgt entsprechend § 12 HGB und verfahrensrechtlich nach den Regelun-
gen des FamFG. Die Unterschriften der Gesellschafter sind öffentlich zu beglaubigen, eine umfangreiche Verweisung in das Recht der Personenhandelsgesellschaft wird im Übrigen durch § 707b BGB bewirkt. 15 Spätere bzw. nachträgliche Änderungen des Registerinhalts erfolgen nach § 707 Abs. 4 BGB
(dazu noch Rz. 31 ff.). 16 Die Anmeldung erfolgt bei dem für den Sitz der Gesellschaft zuständigen Registergericht.
Nach § 706 Satz 1 BGB ist der Sitz der Gesellschaft der Ort, an dem deren Geschäfte tatsächlich geführt werden (Verwaltungssitz). Da die Gesellschaft jedenfalls mit Eintragung einen gem. § 706 BGB im Inland gelegenen Vertragssitz haben muss, ist unter der Angabe des Sitzes i.S.d. § 707 Abs. 1 BGB jedoch der Vertragssitz zu verstehen (a.A. § 706 BGB Rz. 16).10 Der Sitz der werbenden Gesellschaft hat erhebliche Auswirkungen auf diverse Rechtsbeziehungen der Gesellschaft und der Gesellschafter, wie bspw. die Zuständigkeit des Finanzamtes, die Frage des Erfüllungsortes bei Leistungspflichten etc., so dass ein Abstellen auf den bloßen Verwaltungssitz (der im Einzelfall auch schwer festzustellen sein kann) den Gesellschaftern und dem Rechtsverkehr „Steine statt Brot“ gäbe. Als Sitz maßgeblich ist die politische Gemeinde. Funktional zuständig ist der Rechtspfleger (§§ 17, 3 Nr. 1 RPflG).
2. Inhalt der Anmeldung (Abs. 2) 17 Die Mindestangaben des § 707 Abs. 2 BGB entsprechen weitgehend den Angaben in § 106
HGB. Das Gesetz unterscheidet insbesondere zwischen Angaben zur Gesellschaft und den weiteren Angaben zu den Gesellschaftern. a) Angaben zur Gesellschaft 18 Zur Gesellschaft sind der Name der Gesellschaft, der Sitz der Gesellschaft und die Anschrift
in einem Mitgliedstaat der EU anzugeben. Der erfasste Sitz ist auch hier ein Vertragssitz im
10 A.A. Böhringer/Melchior, NotBZ 2022, 361, 363; wie hier aber etwa Krafka in BeckOGK/BGB, § 707 BGB Rz. 39; Roßkopf/Hoffmann, ZPG 2023, 14, 17; Holzer, ZNotP 2020, 239.
74 | Szalai
Anmeldung zum Gesellschaftsregister | Rz. 24 § 707 BGB
Inland.11 Die hiervon zu unterscheidende Anschrift soll allein eine postalische Erreichbarkeit sicherstellen.12 Das Vorhandensein dieser Anschrift und die Erreichbarkeit hierunter darf das Gericht richtigerweise prüfen. Entscheidend hierbei ist nach § 26 FamFG, dass die angegebene Anschrift eine verlässliche Grundlage bietet, eine zum Empfang einer Zustellung berechtigte Person vorzufinden. Da es insbesondere um die Möglichkeit wirksamer Zustellungen geht, ist auch die Benen- 19 nung von Zustellungsbevollmächtigten o.Ä. möglich.13 Die Eintragung nimmt an der Publizitätswirkung des § 15 HGB teil. Dennoch dürfen Zustellungen an die Gesellschaft nur an deren gesetzliche Vertreter erfolgen (§ 170 ZPO) und nicht an die Gesellschaft als solche. Oft wird aus Rechtsunkenntnis heraus die Geschäftsanschrift im Gesellschaftsvertrag bzw. in 20 den diesen enthaltenen Dokumenten festgehalten. Richtigerweise ist die spätere bloße Änderung derselben regelmäßig keine echte Änderung des Gesellschaftsvertrages, sondern in der Regel bloße Geschäftsführungsmaßnahme: Sie zeichnet eine stattgefundene Änderung nur nach, ist aber nicht Ausgangspunkt einer solchen.14 Auf den Namen der Gesellschaft finden nach § 707b BGB handelsrechtliche Vorschriften ent- 21 sprechende Anwendung. Damit sind Personen-, Sach- und Phantasienamen denkbar. In praxi problematischer dürften Fragen der konkreten Kennzeichnungskraft und Unterscheidbarkeit von vergleichbaren Gesellschaften am Ort sein. Ob firmenrechtliche Regelungen auch auf Bestandsgesellschaften, die bereits im Rechtsverkehr tätig sind, uneingeschränkt Anwendung finden können, muss indes bezweifelt werden. Dies gilt jedenfalls, soweit die betreffende Gesellschaft unter ihrem Namen bereits im Rechtsverkehr in Erscheinung getreten ist und eine ggf. zwangsweise Änderung des Namens mit Nachteilen verbunden wäre. Stets zu ergänzen ist nach § 707a Abs. 2 BGB der Rechtsformzusatz „eGbR“ o.Ä. b) Angaben zu jedem Gesellschafter Zu den Gesellschaftern sind – sämtliche – Vornamen, Namen sowie Geburtsdatum und 22 Wohnort anzugeben. In Bezug auf den Wohnort genügt auch hier die politische Gemeinde. Wird ein Gesellschaftsanteil von mehreren Personen gehalten (etwa aufgrund eines Erbfalls oder einer Erbteilsübertragung), sind die Angaben zu einem jeden aktuellen Gesellschafter aufzunehmen. Erfasst werden nur aktuelle Gesellschafter, keine vergangenen und keine zukünftigen. Das 23 Gesellschaftsregister ist kein chronologisches Register. Soweit ein Gesellschafter seinerseits eine rechtsfähige Entität ist, sind deren Registerdaten so- 24 wie Name und Rechtsform anzugeben. Die Registerdaten sind auch dann anzugeben, wenn es sich um eine ausländische Gesellschaft oder Gesellschaftsform handelt. Die Angabe der benannten Daten dient letztlich insbesondere der Identifizierung bzw. eindeutigen Bezeichnung. – Die Gesellschafter einer etwa im Inland eingetragenen Personengesellschaft sind nicht in das Register einzutragen. Nach § 707a Abs. 1 BGB soll eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts als Gesellschafter nur eingetragen werden, wenn diese selbst im Gesellschaftsregister eingetragen ist. Wenig überzeugend ist die mitunter angestellte Überlegung, dass nicht eingetragene Gesellschaften als Gesellschafter lediglich mit ihrem Namen und ihrer Rechtsform 11 Missverständlich BT-Drucks. 19/27635, 129. 12 Vgl. in diesem Zusammenhang zur Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen im Rahmen einer GmbH-Gründung die Nicht-Zustellbarkeit gerichtlicher Schreiben zur Zurückweisung des Antrages führen kann, KG v. 6.10.2021 – 22 W 67/21, 22 W 73/21, GmbHR 2022, 153 = DNotI-Report 2022, 22. 13 Vgl. BT-Drucks. 19/27635, 129. 14 Zutr. Servatius, § 707 BGB Rz. 14. Szalai | 75
§ 707 BGB Rz. 24 | Rechtsfähige Gesellschaft einzutragen wären;15 fehlt es an einer Eintragung (unabhängig davon, ob diese vorliegen müsste, oder nicht), sind die Gesellschafter jener nicht registrierten Entität aufzunehmen. c) Angabe der Vertretungsbefugnis der Gesellschafter 25 Die Angabe zur Vertretungsbefugnis der Gesellschafter meint zunächst die konkrete organ-
schaftliche Vertretung der Gesellschaft. Zu unterscheiden sind damit die allgemeine Vertretungsregelung (etwa Einzelvertretungsbefugnis mit oder ohne Befreiung von § 181 BGB) sowie die konkrete Vertretungsbefugnis der betreffenden Gesellschafter, wenn diese abweicht. Die Anmeldung ähnelt insofern der Anmeldung zum Handelsregister. Es empfiehlt sich freilich grundsätzlich, beide anzumelden, auch wenn diese einander entsprechen. 26 In keinem Fall eintragungsfähig ist eine (nur für das Innenverhältnis relevante) Geschäfts-
führungsbefugnis der Gesellschafter (vgl. § 713 BGB). 27 Zwingend ist die Versicherung, dass die Gesellschaft nicht bereits im Handels- oder im Part-
nerschaftsregister eingetragen ist. Die Versicherung dient einzig dazu, sog. Doppeleintragungen in beiden Registern zu vermeiden. Die Norm sichert praktisch ferner die ausschließliche Zuständigkeit des Registergerichts; auch beim Statuswechsel wird die Zuständigkeit des Zielgerichts erst durch Abgabe begründet (vgl. § 707c BGB). Die Versicherung ist durch alle Anmeldenden abzugeben, nicht aber durch alle Gesellschafter höchstpersönlich. Die Versicherung ist zwar ein Mittel der Glaubhaftmachung (§ 31 FamFG); die falsche Versicherung ist aber nicht nach § 156 StGB strafbar. Nach zutreffender Auffassung ist jedenfalls eine Bevollmächtigung möglich.16
3. Änderungen zum Gesellschaftsregister (Abs. 3) 28 § 707 Abs. 3 BGB begründet einen Anmeldezwang. Dieser gilt nur für bereits eingetragene
Gesellschaften. Anzumelden sind Änderungen in Bezug auf die dort benannten Tatsachen. Da Änderungen anzumelden sind, ist das Register insoweit auch Rechtsscheinträger (§ 15 HGB), sog. negative Publizität. Der Anmeldezwang kann nach § 14 HGB auch mit Zwangsgeld durchgesetzt werden. 29 Anmeldepflichtig sind Änderungen des Namens der Gesellschaft, des Vertragssitzes, der Ge-
schäftsanschrift sowie Änderungen in der Person der Gesellschafter oder deren persönlichen Daten (etwa infolge Eheschließung) sowie deren organschaftlicher Vertretungsbefugnis. 30 Andernorts finden sich weitere Anmeldepflichten im Gesetz, namentlich etwa die Anmel-
depflicht bei Auflösung und Liquidation, der Fortsetzung sowie bei Erlöschen (vgl. § 733 Abs. 1, § 734 Abs. 3, § 736c BGB).
4. Anmeldungen zum Register – Mitwirkungsobliegenheiten (Abs. 4) 31 Anmeldungen müssen durch alle Gesellschafter bewirkt werden. Höchstpersönlichkeit ver-
langt das Gesetz nicht. Irrig wird stets davon ausgegangen, die Anmeldung zum Register sei eine Grundlagenentscheidung17, was in dieser Pauschalität unzutreffend ist.
15 So aber wohl Servatius, § 707b BGB Rz. 18. 16 Zutr. Servatius, § 707 BGB Rz. 23; für die OHG BayObLG v. 5.7.1974, DB 1974, 1520. 17 Servatius, § 707 BGB Rz. 23.
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Anmeldung zum Gesellschaftsregister | Rz. 38 § 707 BGB
Eine Stellvertretung ist möglich. Servatius18 geht davon aus, dass § 707 Abs. 4 BGB generell 32 dispositiv sei, und hat hierbei insbesondere Gesellschaften mit Mehrheitsklauseln vor Augen. Nach hier vertretener Auffassung kommt es darauf tatsächlich nicht an. Denn: Der Mehrheitsbeschluss begründet die Vertretungsmacht der übrigen Gesellschafter. Sinnvollerweise sollte eine solche Ermächtigung zur Anmeldung freilich in den betreffenden Beschluss mit aufgenommen werden. Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung im Registerverfahren sind hier nicht zu überspannen. Weitergehend ergeben sich Mitwirkungspflichten insbesondere aus der Treuepflicht.19 Jeden- 33 falls soweit die Gesellschaft voreingetragen ist, verdichten sich diese hin zu einer aktiven Leistungspflicht. In einem solchen Fall wäre die Mitwirkung des „gezwungenen“ Gesellschafters bloße Förmelei, so dass zu überlegen ist, ob er hieran formell mitwirken muss oder ob es ggf. genügt, die Anmeldung durch die übrigen Gesellschafter zu dulden. Da mit dem Tod eines Gesellschafters zunächst dessen Erben in die Position des Erblassers 34 einrücken (vgl. § 711 Abs. 2 BGB), sieht § 707 Abs. 4 Satz 2 BGB eine Erleichterung vor und gestattet die Anmeldung ohne Mitwirkung der Erben, sofern einer solchen Mitwirkung besondere Hindernisse entgegenstehen. Andernfalls müssten grundsätzlich die Erben des Verstorbenen an der Anmeldung mitwirken. Bloße Änderungen der Anschrift sind nach § 707 Abs. 4 Satz 3 BGB von der Gesellschaft zu 35 bewirken. Zur Anmeldung genügen mithin zur Vertretung berechtigte Personen unabhängig von den weiteren gesellschaftsvertraglichen Vorgaben.
III. Prozessuales und Vertragsgestaltung § 707d BGB enthält eine Verordnungsermächtigung, die zum Erlass einer Verordnung über 36 die Ausgestaltung des Registers und des näheren Verfahrens ermächtigt. Die größtenteils auf die HRV verweisende und im Übrigen an diese angelehnte Verordnung ist letztlich der Grund, warum neben den vorbenannten Umständen auch der aktuelle Gegenstand der Gesellschaft (nicht aber der Zweck20) anzugeben ist, soweit sich dieser nicht aus dem Namen ergibt (vgl. § 24 Abs. 4, § 37 Abs. 1 Satz 1 HRV). Hierbei genügt eine schlagwortartige Bezeichnung. Der Rechtsverkehr soll sich ein Bild davon machen können, welcher Art die von der Gesellschaft betriebene Unternehmung ist. Die Prüfungskompetenz des Registergerichts ist beschränkt. Prüfungsmaßstab ist zwar § 26 37 FamFG, gleichwohl beschränkt sich die Prüfung auf eine Plausibilitätskontrolle der hergereichten Dokumente sowie auf deren Vollständigkeit bzw. Glaubwürdigkeit. Diese Plausibilitätskontrolle ist gerade bei der Eintragung von Bestandsgesellschaften oder 38 bei dem Vollzug von Mehrheitsentscheidungen vergleichsweise weit. Sie darf nicht zu engherzig wahrgenommen werden. Das gerichtliche Verfahren erlaubt hier letztlich jedes Mittel zur Glaubhaftmachung. Bei der Eintragung von Bestandsgesellschaften gilt es auch, die Identität mit der voreingetragenen Gesellschaft zu begründen. Damit ist zu versichern, – dass die Gesellschaft XYZ mit der im Grundbuch von ABC zur Blatt-Nr. 123 übereinstimmt – und dass die anmeldenden Gesellschafter sämtliche Gesellschafter jener Gesellschaft sind.
18 Servatius, § 707 BGB Rz. 24. 19 Vgl. dazu John, NZG 2022, 243, 344 f. 20 Vgl. Krafka in BeckOGK/BGB, § 707 BGB Rz. 27. Szalai | 77
§ 707 BGB Rz. 39 | Rechtsfähige Gesellschaft 39 Eine Musteranmeldung für eine Bestandsgesellschaft könnte etwa wie folgt aussehen: a) Wir, die Gesellschafter X, Y, Z, sind sämtliche Gesellschafter der im Grundbuch von ABC Blatt Nr. 123 eingetragenen Gesellschaft. Die Gesellschaft ist ferner identisch mit der Gesellschaft, bestehend aus …, eingetragen im Grundbuch von ABC Blatt Nr. 0815. b) Die Gesellschaft trägt den Namen … Sitz der Gesellschaft ist … Die Anschrift der Gesellschaft lautet: …, dies ist auch die inländische Geschäftsanschrift/Lage der Geschäftsräume. Gegenstand der Gesellschaft ist: … Gesellschafter sind: – Name, Vorname, Geburtsdatum, Wohnort; – Firma oder Namen, Rechtsform, Sitz und Art und Ort des zuständigen Registers & Registernummer. Zur Vertretungsbefugnis melden wir an, was folgt: Abstrakt: Alle Gesellschafter vertreten die Gesellschaft gemeinsam. Konkret: Die Gesellschafter X und Y sind einzelvertretungsberechtigt. Die vorgenannten Gesellschafter sind befugt, die Gesellschaft bei der Vornahme von Rechtsgeschäften mit sich selbst oder als Vertreter eines Dritten uneingeschränkt zu vertreten. c) Wir, die Unterzeichner, versichern die Richtigkeit der Angaben nach lit. a) sowie – dass die Gesellschaft nicht bereits im Handels- oder im Partnerschaftsregister eingetragen ist. ggf. d) Die Gesellschaft ist Inhaberin bzw. Eigentümerin des Grundbesitzes, eingetragen bei dem AG …, Grundbuch von … Blätter … Die Berichtigung der vorbenannten Grundbücher wird bereits jetzt bewilligt und beantragt. Der beglaubigende Notar und dessen Mitarbeiter, die dieser zu bezeichnen ermächtigt wird, insbesondere …, werden von der Gesellschaft sowie sämtlichen Gesellschaftern unter Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB ermächtigt und beauftragt, – die Berichtigung der vorgenannten Grundbücher zu veranlassen, – Anträge und Bewilligungen zu v.g. Grundbüchern zu wiederholen, zurückzunehmen und erneut zu stellen sowie – die vorbenannte Gesellschaft nach Eintragung in das Gesellschaftsregister grundbuchlich zu identifizieren, insbesondere die Identität der dann in das Register eingetragenen Gesellschaft mit der in den Grundbüchern eingetragenen Gesellschaft festzustellen, – überhaupt alles zu tun und zu erklären, was zum Vollzug der Eintragung der Gesellschaft in das Gesellschaftsregister sowie zur Berichtigung der vorbenannten Grundbücher zweckmäßig oder erforderlich erscheint.
40 Kautelarjuristisch ist es empfehlenswert, bei Neugründungen entsprechende Anmeldevoll-
machten und ggf. Mitwirkungspflichten in den Gesellschaftsvertrag mit aufzunehmen sowie bei Altgesellschaften derartige Vollmachten ggf. als „Stapelvollmachten“ vorzubereiten. Anlässlich des MoPeG generell sinnvoll sind sicher Anpassungen des Vertrages nicht nur mit Blick auf etwaige Nachfolgeregelungen, sondern auch mit Blick auf Mehrheitsentscheidungen und weitere (notwendige oder zweckmäßige) Anpassungen des Gesellschaftsvertrages. 41 Auch bei Bestandsgesellschaften ergeben sich Probleme insbesondere dann, wenn die nicht
eingetragene Gesellschaft über ein Registerrecht verfügt. Materiellrechtlich ist eine solche Verfügung auch ohne Registereintragung möglich, so dass die Anmeldung in das Register und das eigentliche Geschäft am selben Tag beurkundet bzw. beglaubigt werden können. Die registerlich erforderliche Zuordnung dahingehend, dass die Gesellschaft mit der Registernummer XYZ der Gesellschaft im Grundbuch ABC übereinstimmt, kann der beglaubigende Notar in (gesiegelter) Eigenurkunde vornehmen. Hierfür bedarf es technisch keiner gesonderten Vollmacht oder Ermächtigung, da das Gesetz (etwa in § 378 FamFG oder § 15 GBO) eine solche Ermächtigung bereithält. Zur Vermeidung von Abgrenzungsschwierigkeiten im Einzelfall ist eine explizite Ermächtigung wie in vorstehendem Muster dennoch sinnvoll.
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Inhalt und Wirkungen der Eintragung im Gesellschaftsregister | Rz. 2 § 707a BGB
§ 707a BGB Inhalt und Wirkungen der Eintragung im Gesellschaftsregister (1) 1Die Eintragung im Gesellschaftsregister hat die in § 707 Absatz 2 Nummer 1 bis 3 genannten Angaben zu enthalten. 2Eine Gesellschaft soll als Gesellschafter nur eingetragen werden, wenn sie im Gesellschaftsregister eingetragen ist. (2) 1Mit der Eintragung ist die Gesellschaft verpflichtet, als Namenszusatz die Bezeichnungen „eingetragene Gesellschaft bürgerlichen Rechts“ oder „eGbR“ zu führen. 2Wenn in einer eingetragenen Gesellschaft keine natürliche Person als Gesellschafter haftet, muss der Name eine Bezeichnung enthalten, welche die Haftungsbeschränkung kennzeichnet. (3) 1Die Eintragung bewirkt, dass § 15 des Handelsgesetzbuchs mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden ist, dass das Fehlen der Kaufmannseigenschaft nicht an der Publizität des Gesellschaftsregisters teilnimmt. 2Die Eintragung lässt die Pflicht, die Gesellschaft zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden (§ 106 Absatz 1 des Handelsgesetzbuchs), unberührt. (4) Nach Eintragung der Gesellschaft findet die Löschung der Gesellschaft nur nach den allgemeinen Vorschriften statt. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. 1. 2. 3.
Tatbestände und Rechtsfolgen . . . . . . . . 1 Inhalt der Eintragung (Abs. 1) . . . . . . . . . 4 Rechtsformzusatz (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . 7 Entsprechende Anwendung des § 15 HGB (Abs. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
4. Löschung nach allgemeinen Vorschriften (Abs. 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 II. Prozessuales und Praktisches . . . . . . . . . 18
Schrifttum: Noack, Die Gesellschaftsregisterverordnung, ZPG 2023, 95.
I. Tatbestände und Rechtsfolgen § 707a BGB begründet die von dem Gesellschaftsregister ausgehende Publizitätswirkung. 1 Während § 707 BGB die Anforderungen an die Anmeldung definiert, regelt § 707a BGB, welche der Angaben in dem Register einsehbar sind. Die Norm findet nur auf eingetragene Gesellschaften Anwendung und setzt die Eintragung in das Gesellschaftsregister voraus. Die Registereintragung ist grundsätzlich fakultativ; allerdings ist diese Voraussetzung für den Erwerb von Registerrechten (sog. Voreintragungsobliegenheit); vgl. § 707 BGB Rz. 3. Diese Voreintragungsobliegenheit soll Anreize zur Eintragung bieten. Selbst Gesellschaften, die bereits Registerrechte halten, sollen sich nach Art. 229 § 21 EGBGB eintragen lassen. So heißt es dort wörtlich „Eintragungen in das Grundbuch, die ein Recht einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts betreffen, sollen nicht erfolgen, solange die Gesellschaft nicht im Gesellschaftsregister eingetragen …“ ist. Der Weg in das Register ist eine Einbahnstraße. Eine isolierte und rechtsformwahrende Lö- 2 schung aus dem Gesellschaftsregister ist nicht möglich (§ 707a Abs. 4 BGB); möglich ist hingegen eine identitätswahrende Rechts-formänderung hin zu einer anderen Form der Personengesellschaft (sog. Statuswechsel; vgl. dazu § 707c BGB). Szalai | 79
§ 707a BGB Rz. 3 | Rechtsfähige Gesellschaft 3 Das Register ist öffentlich einsehbar. Zwecke des Registers ist die Information des Rechts-
verkehrs über die dort verlautbarten Rechtsverhältnisse (§ 9 Abs. 1 HGB i.V.m. § 707b Nr. 2 BGB). Der Glaube an die Richtigkeit der im Register verlautbarten Daten wird besonders geschützt (vgl. § 707a Abs. 3 BGB). Änderungen in den verlautbarten Daten sind gem. § 707 Abs. 4 BGB anmeldepflichtig. Die weitere Führung und Ausgestaltung des Gesellschaftsregisters ist in der aufgrund von § 707d BGB erlassenen Gesellschaftsregisterverordnung geregelt. Diese läuft auf eine weitestgehend entsprechende Anwendung der HRV hinaus.
1. Inhalt der Eintragung (Abs. 1) 4 Das Register verlautbart die in § 707 Abs. 1 Nr. 1–3 BGB benannten Informationen. In Bezug
auf die Angaben in Nr. 1 (Angaben zur Gesellschaft), Nr. 2 (Angaben zum Gesellschafter) und Nr. 3 (Angaben zur organschaftlichen Vertretungsbefugnis) gilt einheitlich: Die Eintragung dieser Angaben ist rein deklaratorisch und zeitigt keine unmittelbaren Rechtswirkungen in Bezug auf die Gesellschaft. Die Eintragung ist jedoch Anknüpfungspunkt für einen durch die entsprechende Anwendung von § 15 HGB bewirkten Gutglaubensschutz. Dieser besteht jedoch nur in Bezug auf die vorbenannten Daten. 5 Weitergehende Eintragungen sind nicht nur unzulässig. Sie nehmen insbesondere auch an
keiner Publizitätswirkung oder einem damit verknüpften Gutglaubensschutz teil. Nicht an der Publizitätswirkung nehmen die Angaben zum Unternehmensgegenstand teil (zur Unterscheidung zwischen Gesellschaftszweck und Unternehmensgegenstand s. § 705 BGB Rz. 35). Von vornherein unzulässig sind weitere nicht eintragungsfähige Angaben, etwa zum Innenverhältnis der Gesellschafter (bspw. Haftungsverteilungen, Regelungen zur Geschäftsführungsbefugnis, konkretere Regelungen zu einzelnen Gesellschafterpflichten etc.).1 6 Die GbR als Gesellschafter soll nur eingetragen werden, wenn diese ihrerseits bereits im Re-
gister eingetragen ist. Soll ist in diesem Zusammenhang als „muss“ zu verstehen. Generell gilt aus Perspektive der registerführenden Stelle als Faustformel: „Soll heißt, ich muss, wenn ich kann.“ Die Abfassung als Sollvorschrift ist auch hier so zu verstehen, dass eine Eintragung unter Verstoß gegen die Norm die Eintragung nicht unwirksam macht.2
2. Rechtsformzusatz (Abs. 2) 7 Mit der Eintragung muss die Gesellschaft zum Schutz des Rechtsverkehrs als Namenszusatz
die Bezeichnung „eingetragene Gesellschaft“ oder abgekürzt „eGbR“ zu führen. Da die Eintragung keine konstitutive Wirkung hat, ist ein Verstoß hiergegen zunächst folgenlos. Allerdings kann sich nur die eingetragene Gesellschaft aufgrund der von § 707a Abs. 3 BGB i.V.m. § 15 HGB begründeten Publizitätswirkung darauf berufen, mit Wirkung gegenüber Dritten über die Vertretungsbefugnis der Gesellschafter zu disponieren. Ohne Eintragung einer von dem Grundsatz abweichenden Vertretungsbefugnis wird der Rechtsverkehr im Zweifel von dem gesetzlichen Regelfall der Gesamtvertretungsbefugnis ausgehen müssen.3
8 Unzulässig sind andere Rechtsformzusätze (bspw. „GbR mbH“) oder Ergänzungen hierzu
(bspw. „und Partner“). Verstöße hiergegen sind einer Kontrolle nach § 37 HGB (i.V.m. § 707b Nr. 1 BGB) zugänglich und als Marktverhaltensregelung auch nach den Vorschriften über das UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb) kontrollierbar.
1 Vgl. BT-Drucks. 19/27635, 132. 2 Vgl. BT-Drucks. 19/27635, 132. 3 Vgl. BT-Drucks. 19/27635, 132.
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Inhalt und Wirkungen der Eintragung im Gesellschaftsregister | Rz. 15 § 707a BGB
Der Name selbst ist im Übrigen nach §§ 12, 1004 BGB geschützt. Weitergehend kann im Einzelfall der (kennzeichenrechtliche) Schutz des MarkenG treten. Findet sich keine natürliche Person als Gesellschafter der Gesellschaft, ist dies gem. § 707a 9 Abs. 2 Satz 2 BGB durch einen geeigneten Namenszusatz kenntlich zu machen, der auf die Haftungsbeschränkung auf Ebene der Gesellschaftergesellschaft hinweist. Die Regelung orientiert sich an § 19 Abs. 2 HGB. So könnte ein Namenszusatz etwa lauten „GmbH & Co eGbR“; die Firmierung als „GbRmbH“ wird weiterhin als unzulässig betrachtet.4 Verstöße hiergegen können nach vorbenanntem § 37 HGB, aber auch nach Wettbewerbsrecht geahndet werden. Die Verwendung des falschen oder das gänzliche Weglassen des Firmenzusatzes kann – ins- 10 besondere in den Fällen des § 707a Abs. 2 Satz 2 BGB – auch eine Eigenhaftung des Vertreters bzw. des Handelnden begründen.5
3. Entsprechende Anwendung des § 15 HGB (Abs. 3) Abs. 3 ist er zentrale Absatz der Norm und regelt mit seinem Verweis auf § 15 HGB die 11 Registerpublizität. § 15 HGB findet grundsätzlich umfassend Anwendung. Hiervon besteht im Kern eine Ausnahme: Das Fehlen der Kaufmannseigenschaft nimmt nicht an der Publizität des Gesellschaftsregisters teil. In anderen Worten: Aus der Eintragung der Gesellschaft im Register kann und darf der Rechtsverkehr nicht schließen, dass die Gesellschaft in dieser Rechtsform auch (fort-)besteht. Vielmehr wandelt sich auch die eGbR kraft Rechtsformzwangs unabhängig von dem Willen ihrer Gesellschafter identitätswahrend in eine offene Handelsgesellschaft um und ist fortan als Kaufmann zu behandeln, sobald ihr Zweck darauf gerichtet ist, ein Handelsgewerbe i.S.v. § 1 Abs. 2 HGB zu betreiben (vgl. dazu § 105 HGB Rz. 12).6 § 707a Abs. 3 Satz 1 BGB ist insofern als Klarstellung zu verstehen. § 707a Abs. 3 Satz 2 BGB legt weiter klar, dass eine etwa bestehende Pflicht, sich wegen der 12 bereits bestehenden Kaufmannseigensaft in das Handelsregister eintragen zu lassen, in jedem Fall (fort-)besteht. Die Eintragung vom Gesellschaftsregister in das Handelsregister (sog. Statuswechsel) ist in § 707c BGB geregelt. Im Übrigen ist § 15 HGB grundsätzlich uneingeschränkt anwendbar, was insbesondere Ein- 13 fluss auf Fragen der Haftung und Nachhaftung im Zusammenhang mit dem Ausscheiden aus der Gesellschaft hat.
4. Löschung nach allgemeinen Vorschriften (Abs. 4) Die Löschung der eingetragenen Gesellschaft bürgerlichen Rechts erfolgt nach den allgemei- 14 nen Vorschriften. Die Norm legt letztlich nur klar, dass für die „eGbR“ keine Sonderregelungen gelten, sondern es sich um eine gewöhnliche GbR handelt. § 707a Abs. 4 BGB dient (wie auch § 3 Abs. 2 HGB) in erster Linie dem Verkehrsschutz.7 Die Gesellschaft erlischt im Regelfall nach Auflösung und Beendigung der Liquidation (§ 738 15 BGB); im Einzelfall können Auflösung und Vollbeendigung zusammenfallen.
4 5 6 7
Vgl. Servatius, § 707a BGB Rz. 8. Vgl. dazu Servatius, § 707a BGB Rz. 8; BGH v. 8.5.1978 – II ZR 97/77, NJW 1978, 2030. Vgl. BT-Drucks. 19/27635, 133. BT-Drucks. 19/27635, 133 f. mit Verweis auf BT-Drucks. 13/8444, 91. Szalai | 81
§ 707a BGB Rz. 16 | Rechtsfähige Gesellschaft 16 Mit der Eintragung in das Gesellschaftsregister sind die Gesellschafter insoweit gebunden,
als sie die Gesellschaft nicht mehr willkürlich löschen lassen können; das unterscheidet die Regelungen zum Gesellschaftsregister von der freiwilligen Eintragung des Kleingewerbetreibenden in das Handelsregister. 17 Der Gesetzgeber hat im Verfahren andere Regelungen bzw. Lösungen erwogen – etwa mit
der Überlegung, nur Registerrechte haltenden Gesellschaften den „Rückweg aus dem Register“ zu versperren. Diese Überlegungen wurden jedoch mit Recht aus Gründen des Verkehrsschutzes, wegen der damit verbundenen Missbrauchsrisiken und aus Gründen der Rechtsdurchsetzbarkeit verworfen.8
II. Prozessuales und Praktisches 18 Praktisch hat der Umstand, dass die Eintragung in das GbR-Register eine Einbahnstraße ist,
erhebliche Auswirkungen: Insbesondere die früher beliebte Praxis, eine Kapitalgesellschaft oder andere Unternehmung letztlich (formwechselnd) in eine GbR zu verwandeln und diese später zu beenden, ist nun versperrt. § 191 UmwG wurde entsprechend dahingehend geändert, dass nur die eGbR als Zielrechtsform in Betracht kommt. Da diese sich nicht identitätswahrend „abmelden“ kann, dürfte dieses Gestaltungsmodell künftig in wesentlichen Teilen erledigt sein und seinen Charme verloren haben. § 707a Abs. 4 BGB erhöht die Verlässlichkeit und Beständigkeit der einmal durch Eintragung geschaffenen Subjektpublizität, da eine „Austragung“ nicht ohne weiteres möglich ist. 19 Viele auch im Grundbuch eingetragene Gesellschaften sind weniger unternehmerisch tätig,
sondern etwa entstanden, weil zu Beginn eines Objekterwerbs Finanzierungsanteile etc. noch nicht klar waren. So wurde in der Vergangenheit vielmals der Erwerb in einer GbR erwogen und weiterhin vereinbart, dass sich die Beteiligung(en) an der Gesellschaft an den Finanzierungsbeiträgen zum Objekterwerb orientieren sollten. In diesen und anderen Fällen wird künftig genau zu überlegen sein, ob die Eintragung in das Register gewollt ist oder ob für die Zukunft nicht eine andere Form des Miteinander gefunden wird. Das Register offenbart zwar keine Beteiligungsquoten, die hiermit verbundene Publizität ist dennoch mit Vorund mit Nachteilen verbunden.
§ 707b BGB Entsprechend anwendbare Vorschriften des Handelsgesetzbuchs Folgende Vorschriften des Handelsgesetzbuchs sind auf eingetragene Gesellschaften entsprechend anzuwenden: 1. auf die Auswahl und den Schutz des Namens der Gesellschaft: die §§ 18, 21 bis 24, 30 und 37, 2. auf die registerrechtliche Behandlung der Gesellschaft und die Führung des Gesellschaftsregisters: die §§ 8, 8a Absatz 1, § 9 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 bis 6, die §§ 10 bis 12, 13h, 14, 16 und 32 und
8 Vgl. BT-Drucks. 19/27635, 133 f.
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§ 707a BGB Rz. 16 | Rechtsfähige Gesellschaft 16 Mit der Eintragung in das Gesellschaftsregister sind die Gesellschafter insoweit gebunden,
als sie die Gesellschaft nicht mehr willkürlich löschen lassen können; das unterscheidet die Regelungen zum Gesellschaftsregister von der freiwilligen Eintragung des Kleingewerbetreibenden in das Handelsregister. 17 Der Gesetzgeber hat im Verfahren andere Regelungen bzw. Lösungen erwogen – etwa mit
der Überlegung, nur Registerrechte haltenden Gesellschaften den „Rückweg aus dem Register“ zu versperren. Diese Überlegungen wurden jedoch mit Recht aus Gründen des Verkehrsschutzes, wegen der damit verbundenen Missbrauchsrisiken und aus Gründen der Rechtsdurchsetzbarkeit verworfen.8
II. Prozessuales und Praktisches 18 Praktisch hat der Umstand, dass die Eintragung in das GbR-Register eine Einbahnstraße ist,
erhebliche Auswirkungen: Insbesondere die früher beliebte Praxis, eine Kapitalgesellschaft oder andere Unternehmung letztlich (formwechselnd) in eine GbR zu verwandeln und diese später zu beenden, ist nun versperrt. § 191 UmwG wurde entsprechend dahingehend geändert, dass nur die eGbR als Zielrechtsform in Betracht kommt. Da diese sich nicht identitätswahrend „abmelden“ kann, dürfte dieses Gestaltungsmodell künftig in wesentlichen Teilen erledigt sein und seinen Charme verloren haben. § 707a Abs. 4 BGB erhöht die Verlässlichkeit und Beständigkeit der einmal durch Eintragung geschaffenen Subjektpublizität, da eine „Austragung“ nicht ohne weiteres möglich ist. 19 Viele auch im Grundbuch eingetragene Gesellschaften sind weniger unternehmerisch tätig,
sondern etwa entstanden, weil zu Beginn eines Objekterwerbs Finanzierungsanteile etc. noch nicht klar waren. So wurde in der Vergangenheit vielmals der Erwerb in einer GbR erwogen und weiterhin vereinbart, dass sich die Beteiligung(en) an der Gesellschaft an den Finanzierungsbeiträgen zum Objekterwerb orientieren sollten. In diesen und anderen Fällen wird künftig genau zu überlegen sein, ob die Eintragung in das Register gewollt ist oder ob für die Zukunft nicht eine andere Form des Miteinander gefunden wird. Das Register offenbart zwar keine Beteiligungsquoten, die hiermit verbundene Publizität ist dennoch mit Vorund mit Nachteilen verbunden.
§ 707b BGB Entsprechend anwendbare Vorschriften des Handelsgesetzbuchs Folgende Vorschriften des Handelsgesetzbuchs sind auf eingetragene Gesellschaften entsprechend anzuwenden: 1. auf die Auswahl und den Schutz des Namens der Gesellschaft: die §§ 18, 21 bis 24, 30 und 37, 2. auf die registerrechtliche Behandlung der Gesellschaft und die Führung des Gesellschaftsregisters: die §§ 8, 8a Absatz 1, § 9 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 bis 6, die §§ 10 bis 12, 13h, 14, 16 und 32 und
8 Vgl. BT-Drucks. 19/27635, 133 f.
82 | Szalai
Entsprechend anwendbare Vorschriften des Handelsgesetzbuchs | Rz. 4 § 707b BGB
3. auf die registerrechtliche Behandlung der Zweigniederlassung einer Gesellschaft: die §§ 13 und 13d mit der Maßgabe, dass eine Verpflichtung zur Anmeldung der Zweigniederlassung nicht besteht. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Tatbestände und Rechtsfolgen . . . . . . . . 1. Entsprechende Anwendung der handelsrechtlichen Vorschriften über den Schutz des Namens (Nr. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Registerrechtliche Behandlung der Gesellschaft (Nr. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 3. Registerrechtliche Behandlung von Zweigniederlassungen (Nr. 3) . . . . . . . . . 25 II. Prozessuales und Praktisches . . . . . . . . . 27
I. Tatbestände und Rechtsfolgen § 707b BGB stattet das Register mit seinen zentralen Funktionen aus, indem weitreichend 1 auf die benannten Normen des Handelsgesetzbuches (HGB) verwiesen wird. Die Funktionen, die das Gesellschaftsregister zu erfüllen hat, entsprechen im Kern denen des Handelsregisters. Aufgabe des Registers ist es, zuverlässig sowie vollständig und lückenlos Auskunft über die Tatsachen und Rechtsverhältnisse der Gesellschaft zu geben, soweit sie für den Rechtsverkehr von besonderer Bedeutung sind.1 Die zentrale Funktion des Registers ist die durch Verweisung auf § 15 HGB begründete Pu- 2 blizitätsfunktion. Durch Verweisung auf § 15 HGB in § 707a Abs. 3 BGB wird dem Register ein spezifischer öffentlicher Glaube beigemessen. Die Regelung ermöglicht dem Teilnehmer im Rechtsverkehr, die Existenz, Identität und ordnungsgemäße Vertretung der Gesellschaft mit Publizitätswirkung aus dem Gesellschaftsregister abzulesen.2 Die verwirklichte Registerpublizität reicht freilich nur so weit, als grundsätzlich die Mög- 3 lichkeit der Eintragung in das Register besteht. Welche Registertatsachen eingetragen werden können und müssen, normieren die § 707a Abs. 1, § 707 Abs. 2 Nr. 1–3 BGB. Da die Entscheidung über die Eintragung in das Gesellschaftsregister den Gesellschaftern grundsätzlich freisteht (vgl. § 707 Abs. 1 BGB), disponieren diese mittelbar über die Registerpublizität. Die Eintragung und Begründung der Registerpublizität erfolgt freiwillig. Ist die Gesellschaft einmal eingetragen, besteht ein Register- und Aktualisierungszwang; eine bloße identitätswahrende Löschung aus dem Register ist nicht möglich (§ 707a Abs. 4 BGB). Die Norm findet – wie aus der vorausgesetzten Eintragung in das Register folgt – nur auf rechtsfähige Gesellschaften Anwendung. Zur Verwirklichung der Registerzwecke und Angleichung werden verschiedene Vorschriften 4 des HGB für entsprechend anwendbar erklärt, namentlich: – Nr. 1, betreffend die Auswahl und den Schutz des Namens der Gesellschaft, – Nr. 2, betreffend die Führung des Gesellschaftsregisters, das Recht zur Einsichtnahme, die Bekanntmachung der Eintragungen, die Form der Anmeldungen, die Verlegung des Sitzes der Gesellschaft im Inland und ihre registerrechtlichen Folgen, die Festsetzung von Zwangsgeld, die Bindung des Registergerichts an rechtskräftige oder vollstreckbare Entscheidungen des Prozessgerichts und die Eintragungen von Amts wegen, – Nr. 3, betreffend die registerrechtliche Behandlung der Zweigniederlassungen. 1 BT-Drucks. 19/27635, 108. 2 BT-Drucks. 19/27635, 108 f. Szalai | 83
§ 707b BGB Rz. 4 | Rechtsfähige Gesellschaft Da breitflächig in das HGB verwiesen wird, kann zum Inhalt der in Bezug genommenen Normen weitgehend auf die Literatur zu diesen verwiesen werden (s. insb. die Kommentierung der §§ 8 ff. HGB). 5 § 707b BGB tritt ebenso wie die das Register betreffenden Vorschriften mit dem 1.1.2024 in
Kraft. Eine Eintragung vor diesem Zeitpunkt ist nicht möglich. Eine Registerpublizität entsteht vor diesem Zeitpunkt nicht. 6 Die §§ 707, 707a, 707b BGB bewirken eine weitgehende registerliche Gleichbehandlung von
Personenhandelsgesellschaften und der eingetragenen GbR (vgl. § 707a BGB Rz. 3, 11 ff.). Eine Ausnahme hiervon bildet § 707a Abs. 3 BGB; auf das Fehlen der Kaufmannseigenschaft kann sich die GbR nicht berufen.
1. Entsprechende Anwendung der handelsrechtlichen Vorschriften über den Schutz des Namens (Nr. 1) 7 Nr. 1 erklärt hinsichtlich der Auswahl und des Schutzes des Namens der eingetragenen Ge-
sellschaft bürgerlichen Rechts die firmenrechtlichen Vorschriften der §§ 18, 21, 22, 23, 24, 30 und 37 HGB für entsprechend anwendbar. 8 Die Verweisung erklärt die zentralen Normen zur Firma von Kaufleuten bzw. Personenhan-
delsgesellschaften für anwendbar. Namentlich gelten die Grundsätze der Firmenwahrheit und -klarheit (§§ 18, 23 HGB), der Firmenbeständigkeit und der Firmenausschließlichkeit (§§ 21, 22, 24 HGB) auch für den Namen der GbR. § 2 Abs. 2 PartGG hält eine vergleichbare Regelung zum Schutz des Namens der Partnerschaftsgesellschaft bereit. Mit dieser Regelungstechnik soll ein weitgehender Gleichklang des Namensrechts der nicht kaufmännischen mit dem Firmenrecht der kaufmännischen Personengesellschaften erreicht werden.3 Wie auch im Handelsrecht ist es insbesondere möglich, den Namen auch bei später abweichendem Gesellschafterbestand fortzuführen. 9 Bewusst abweichend von § 2 Abs. 2 PartGG wird die Regelung des § 22 Abs. 2 HGB über die
Firmenfortführung im Falle der vorübergehenden Überlassung des Geschäfts im Wege des Nießbrauchs oder eines Pachtvertrages aus berufsrechtlich motivierten Gründen nicht von der Verweisung ausgenommen.4 Die Gesetzgebungsmaterialien gehen weiter davon aus, dass der Name der Gesellschaft wegen der Verweisung auf § 30 HGB auch mit hinreichender Unterscheidungskraft ausgestattet sein muss.5 Rechtsbehelfe gegen den unbefugten Gebrauch des Namens einer GbR ergeben sich auch aus der Verweisung auf § 37 HGB. 10 In Bezug auf den die konkrete Unterscheidungskraft (§ 18 Abs. 1 HGB) und die konkrete
Unterscheidbarkeit von ähnlichen Namen (oder Firmen) am selben Ort (§ 30 HGB) wird man hier gewichtige Einschränkungen vornehmen müssen. 11 Bereits im Firmenrecht ergeben sich erhebliche regionale Unterschiede in Bezug auf die Be-
urteilung der Unterscheidungskraft. Der interessierte Leser wird beispielsweise im Handelsregister Firmen mit den Bestandteilen „Facility Management“ suchen wollen. So finden sich beispielsweise mit gebräuchlichen Firmenbestandteilen wie „Facility Management“ eine Mehrzahl von Gesellschaften, deren Gegenstand das Anbieten, Organisieren und Erbringen von Gebäudedienstleistungen ist, ohne dass dem vorbenannten beschreibenden Element tatsächlich kennzeichnungskräftige weitere Bestandteile hinzugefügt wären. Vergleichbare – bei übelwollender Betrachtung rein beschreibende – Firmen finden sich auch bei anderen Fir3 BT-Drucks. 19/27635, 134. 4 BT-Drucks. 19/27635, 134. 5 BT-Drucks. 19/27635, 134.
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Entsprechend anwendbare Vorschriften des Handelsgesetzbuchs | Rz. 17 § 707b BGB
menbestandteilen wie „Quick“ o.Ä. Hierbei geht es um die bloße abstrakte Unterscheidungskraft im kaufmännischen Verkehr. Es ist aber weit verbreitet, dass Objektgesellschaften wie das benannte und in Gemeinschaft gehaltene Objekt heißen; derartige Bezeichnungen werden häufig so in das Grundbuch eingetragen, bspw. die „Adenauerallee Bonn GbR“. Nur der Vollständigkeit halber bemerkt sei, dass gleich mehrere Gesellschaften gleichen Namens durchaus auch am selben Ort bestehen können; in jedem Fall dürfte die Firma rein beschreibend sein. Vergleichbare Fälle ließen sich in Miet-Pool-GbRs und einer Vielzahl weiterer Fälle konstruieren – und wohl auch zeitnah finden. Nicht zuletzt verfassungsrechtlich stellt sich hier zum einen die Frage der Durchsetzung bzw. 12 Priorität des älteren (Namens-)Rechts. Zum anderen stellt sich die Frage, ob ein etablierter Name, unter dem möglicherweise über Jahrzehnte Geschäfte getätigt wurden, zwangsweise in jedem Fall abgelegt oder abgeändert werden muss, um den Anforderungen der § 18 HGB oder § 30 HGB zu genügen. Letzteres ist zu verneinen. Jedenfalls bei Anwendung des § 30 HGB werden auch ältere Namensrechte zu beachten sein. Wann ein Name „neu“ in diesem Sinne ist, lässt sich jedenfalls nicht am bloßen Eingang des Antrages beantworten. Bei dem Vergleich zweier Namen werden im Zweifel auch kleine Unterschiede für eine Unterscheidbarkeit ausreichen müssen; zur Abgrenzung wird weiter auf etablierte kennzeichenrechtliche (namentlich aus dem Markenrecht bekannte) Grundsätze zurückgegriffen werden müssen. Soweit es § 18 Abs. 1 HGB anbelangt, wird man die Norm verfassungskonform großzügig 13 dahingehen auslegen müssen, dass etablierte und im Verkehr durchgesetzte Namen (einstweilen) beibehalten werden dürfen. Diese Auslegung ist mit dem Wortlaut auch vereinbar, da die Norm lediglich die entsprechende Anwendung der namensrechtlichen Vorschriften gebietet und insoweit Raum für die Berücksichtigung der Besonderheiten der Genese des Gesellschaftsregisters lässt. Weiterhin lässt sich den §§ 21–24 HGB ein Grundsatz der Firmenbzw. Namensbeständigkeit entnehmen, der auch hier ins Feld geführt werden kann.6 Referenz im Hinblick auf § 30 HGB und die Unterscheidbarkeit von Namen bzw. Firmen in 14 anderen Registern bleiben aber auch die Eintragungen in das Handels-, Genossenschaftsund Partnerschaftsregister. Weiterhin stellen sich auch Fragen der Konkurrenz der Namen bzw. Firmen in den verschie- 15 denen Registern. Denkbar sind insbesondere identische oder sehr ähnliche Namen von Gesellschaften im Gesellschafts- und im Handelsregister. Die teleologische Auslegung – namentlich der beabsichtigte Verkehrsschutz – gebietet es hier, auch Firmen bzw. Namen in verschiedenen Registern als Referenz heranzuziehen, so dass der Eintragung einer OHG in das Handelsregister auch die bereits bestehende Eintragung einer GbR mit ähnlichem oder identischem Namen (den Rechtsformzusatz außer Acht gelassen) entgegengehalten werden kann und muss. Die Pflicht, den Firmenzusatz „eGbR“ oder „eingetragene Gesellschaft bürgerlichen Rechts“ 16 zu führen, folgt aus § 707a Abs. 2 BGB.
2. Registerrechtliche Behandlung der Gesellschaft (Nr. 2) Nr. 2 erklärt für die registerrechtliche Behandlung der eingetragenen Gesellschaft bürger- 17 lichen Rechts in Bezug auf die Führung des Gesellschaftsregisters, das Recht zur Einsichtnahme, die Bekanntmachung der Eintragungen, die Form der Anmeldungen, die Verlegung des Sitzes der Gesellschaft und deren registerrechtliche Folgen, die Festsetzung von Zwangsgeld, die Bindung des Registergerichts an rechtskräftige oder vollstreckbare Entscheidungen des
6 Ähnl. Servatius, § 707b BGB Rz. 16 a.E. Szalai | 85
§ 707b BGB Rz. 17 | Rechtsfähige Gesellschaft Prozessgerichts und die Eintragungen von Amts wegen die §§ 8, 8a Abs. 1, § 9 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3–6 sowie die §§ 10, 10a, 11, 12, 14, 16 und 32 HGB für entsprechend anwendbar.7 18 Die Führung des Gesellschaftsregisters obliegt dem Gericht (§ 8 HGB). Die Eintragung wird
mit der Herstellung der Abrufbarkeit für den Rechtsverkehr (nicht bereits mit Aufnahme in den Datenspeicher) bewirkt (vgl. § 8a Abs. 1 HGB).8 Die Rechtsgrundlage zum Erlass einer Gesellschaftsregisterverordnung und der elektronischen Führung im Registerverkehr findet sich in § 707d BGB (und folgt nicht aus dem weitergehenden Verweis auf § 8a HGB bzw. § 9 HGB). 19 Das Register ist für jedermann und ohne Nachweis eines rechtlichen oder sonstigen legiti-
men Interesses einsehbar (§ 9 Abs. 1 HGB). Für die Bekanntmachung der Eintragung und die Auswahl der Eintragungsblätter gelten die §§ 10, 11 HGB entsprechend; Eintragungen in das Gesellschaftsregister sind in vollem Umfang bekanntzumachen. 20 Die Verweisung auf § 12 HGB gewährleistet die Mitwirkung des Notars bei der Anmeldung
zum Gesellschaftsregister, insofern als diese in öffentlich beglaubigter Form erfolgen muss. Das dient nicht nur der Prüfung der Identität der Anmeldenden, sondern auch der Eintragungsfähigkeit der Anmeldung (§ 378 Abs. 3 FamFG) und damit der Entlastung der Registergerichte. Die Beurkundung einer Onlinegründung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist materiell-rechtlich nicht möglich. Dies ist kein Versehen; vielmehr wollte der Gesetzgeber der Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie nicht vorgreifen.9 Die Onlinebeglaubigung entsprechender Anmeldungen wird gegenwärtig vom Gesetz vorgesehen, wie aus den durch das DiRUG10 bzw. DiREG11 geschaffenen §§ 16a ff., § 40a BeurkG folgt.12 Diese Möglichkeit ist mit Blick auf die weitreichenden Folgen der Registereintragungen politisch kritisch zu betrachten, da es hier auch Aufgabe des Notars sein wird, den Beteiligten die Funktion des Registers und die Konsequenzen der Eintragung zu verdeutlichen; die Eintragung in das Register ist – wie in § 707a Abs. 4 BGB vorgesehen – eine Einbahnstraße. 21 Der Verweis auf § 13h HGB gilt für die registerrechtlichen Folgen der Verlegung des Sitzes
der GbR entsprechend (zu den materiell-rechtlichen Anforderungen an die Sitzverlegung s. § 706 BGB Rz. 19 ff.). 22 Mit der einmal erfolgten Eintragung besteht auch der Zwang, die in § 707 Abs. 2 Nr. 1 bis 3
benannten Angaben und einige weitere Angaben stets aktuell zu halten und Änderungen entsprechend anzumelden und ggf. erforderliche Unterlagen (elektronisch) einzureichen. Die Einhaltung dieser Pflicht wird durch die Möglichkeit der Festsetzung eines Zwangsgeldes sichergestellt; zu diesem Zweck wird auf § 14 HGB verwiesen. Diese Pflichten bestehen im öffentlichen Interesse und zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Registers, weshalb diese Verweisung in praxi besonders wichtig ist, gerade weil die betreffenden Gesellschaften bürgerlichen Rechts oft einen (im Vergleich zu Personenhandelsgesellschaften) geringen Professionalisierungsgrad aufweisen dürften.13 7 Vgl. BT-Drucks. 19/27635, 135. 8 So explizit BT-Drucks. 19/27635, 135. 9 Vgl. Richtlinie (EU) 2019/1151 vom 20.6.2019 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 im Hinblick auf den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht (Digitalisierungsrichtlinie). 10 Vgl. zur Genese und den Motiven des Gesetzes zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie (DiRUG) BT-Drucks. 524/21; BT-Drucks. 19/28177 sowie BT-Drucks. 19/30523; verkündet in BGBl. I 2021, 3338. 11 Gesetz zur Ergänzung der Regelungen zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie und zur Änderung weiterer Vorschriften, verkündet in BGBl. I 2022, 1146. 12 Vgl. hierzu Böhringer/Melchior, NotBZ 2022, 361, 364; grundlegender Lieder, ZRP 2022, 102. 13 Zwar wird auch in BT-Drucks. 19/27635, 135 auf den geringen Professionalisierungsgrad hingewiesen; die benannte Folgerung jedoch leider nicht gezogen.
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Entsprechend anwendbare Vorschriften des Handelsgesetzbuchs | Rz. 28 § 707b BGB
Bei der Vornahme von Eintragungen und Prüfung von Anmeldungen kommt dem Gericht 23 zwar grundsätzlich eine Prüfungs- und Ermittlungspflicht zu. Die Verweisung auf § 16 HGB bewirkt jedoch – wie im Handelsrecht – Einschränkungen dieses Grundsatzes. Bei wirksamen und vollstreckbaren Entscheidungen des Prozessgerichts, die eine Verpflichtung des Beklagten zur Mitwirkung bei einer Registeranmeldung feststellen, wird eine Mitwirkung bei der Anmeldung ersetzt; das Registergericht ist hieran gebunden und hat insoweit kein eigenes Prüfungsrecht. Von der Verweisung in Nr. 2 erfasst ist auch § 32 HGB. Die entsprechende Anwendung des 24 § 32 HGB begründet die Pflicht des Registergerichts zum Tätigwerden bei allen wesentlichen, zu eintragungspflichtigen Tatsachen führenden Etappen des Insolvenzverfahrens – namentlich Verfahrenseröffnung, Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses sowie bei Einstellung oder Aufhebung des Verfahrens.
3. Registerrechtliche Behandlung von Zweigniederlassungen (Nr. 3) § 707b Nr. 3 BGB erklärt die §§ 13 und 13d HGB (betreffend die Zweigniederlassungen) für 25 entsprechend anwendbar (zum Begriff der Zweigniederlassung s. § 706 BGB Rz. 18). Der Gesetzgeber sah ein praktisches Bedürfnis für die gesellschaftsrechtliche und registerrechtliche Anerkennung einer Zweigniederlassung, wenn es um Rechtsverhältnisse dieser Niederlassung geht. Der Anwendungsbereich der Norm dürfte vergleichsweise gering bleiben, soweit es sich nicht um Freiberuflergesellschaften handelt. Das Berufsrecht lässt Zweigniederlassungen (etwa in § 27 Abs. 2 BRAO) zu. Da an den Be- 26 trieb der Zweigniederlassung keine höheren Anforderungen als an den Betrieb der Hauptniederlassung gestellt werden sollen, stellt der Gesetzgeber in den Materialien klar, dass abweichend von § 13 Abs. 1 HGB für die Gesellschafter keine Verpflichtung besteht, eine Zweigniederlassung zur Eintragung in das Gesellschaftsregister anzumelden. Machen die Gesellschafter insoweit von ihrem Eintragungswahlrecht Gebrauch, müssen Änderungen in Bezug auf diese zur Eintragung angemeldet werden.14 Anders als die Gesellschaft selbst kann die Zweigniederlassung nach richtiger Auffassung isoliert getilgt werden.
II. Prozessuales und Praktisches Registerrechtlich und auch registerverfahrensrechtlich wird die GbR im Kern wie jede Per- 27 sonenhandelsgesellschaft behandelt. Das bedeutet nicht nur die weitgehende Publizität. Insbesondere auch auf die Notwendigkeit der Glaubhaftmachung bzw. Beibringung von Unterlagen gegenüber dem Gericht sollte in der Kautelarpraxis hingewiesen werden. Die Eintragung in das Register wird insbesondere die Notwendigkeit begründen, verschiedene Gegenstände (wie etwa das Recht zur Namensfortführung bei Ausscheiden eines Gesellschafters) zu perpetuieren. Nicht zuletzt eine konsequente Nutzung des Zwangsverfahrens bei säumigen Gesellschaftern und die Notwendigkeit etwaiger Folgeeintragungen dürften auf viele Gesellschafter abschreckend wirken, da hiermit ein nicht unerheblicher Aufwand verbunden ist. Gerade in den neuen Bundesländern existieren aus historischen Gründen (namentlich bei 28 früheren Nutzungsgemeinschaften, Garagen- oder Gartengemeinschaften) mitunter noch Gesellschaften bürgerlichen Rechts in den Grundbüchern, deren eingetragene Gesellschafter schon lange verstorben sind, die mangels Gesellschaftsvertrag im eigentlichen Sinne nie Gesellschaft waren und/oder in denen die Rechtsnachfolge gegenüber dem Grundbuchamt bis14 BT-Drucks. 19/27635, 135. Szalai | 87
§ 707b BGB Rz. 28 | Rechtsfähige Gesellschaft lang durch Berichtigungsantrag und Bewilligung derselben durch bloße Beglaubigung belegt bzw. bewirkt wurde. § 47 Abs. 2 GBO lautet zum 1.1.2024: „Für eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts soll ein Recht nur eingetragen werden, wenn sie im Gesellschaftsregister eingetragen ist.“ 29 Soweit hier eine (Vor-)Eintragung in das Gesellschaftsregister erforderlich wäre, um etwa be-
legen zu können, dass tatsächlich alle Gesellschafter der Anteilsübertragung zugestimmt haben, droht – namentlich im Grundbuchverkehr – partiell der Stillstand der Rechtspflege. Naheliegend ist hier eine einschränkende Auslegung des § 47 Abs. 2 GBO dahingehend, dass die bloße Berichtigung des Grundbuchs wegen des geänderten Gesellschafterbestands keine Eintragung in das Gesellschaftsregister voraussetzt bzw. jedenfalls dann verzichtbar ist, wenn die Eintragung nur mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten möglich ist. 30 Mit der Eintragung tritt neben den Schutz des Namens gem. § 12 BGB auch ein Namens-
schutz nach § 707b Abs. 2 BGB i.V.m. § 8b Nr. 1, § 37 Abs. 2 HGB. Hiermit mag im Detail eine Erweiterung des Schutzes einhergehen. Besondere praktische Relevanz hat dieser weitere Namensschutz nicht.
§ 707c BGB Statuswechsel (1) Die Anmeldung zur Eintragung einer bereits in einem Register eingetragenen Gesellschaft unter einer anderen Rechtsform einer rechtsfähigen Personengesellschaft in ein anderes Register (Statuswechsel) kann nur bei dem Gericht erfolgen, das das Register führt, in dem die Gesellschaft eingetragen ist. (2) 1Wird ein Statuswechsel angemeldet, trägt das Gericht die Rechtsform ein, in der die Gesellschaft in dem anderen Register fortgesetzt wird (Statuswechselvermerk). 2Diese Eintragung ist mit dem Vermerk zu versehen, dass die Eintragung erst mit der Eintragung der Gesellschaft in dem anderen Register wirksam wird, sofern die Eintragungen in den beteiligten Registern nicht am selben Tag erfolgen. 3Sodann gibt das Gericht das Verfahren von Amts wegen an das für die Führung des anderen Registers zuständige Gericht ab. 4Nach Vollzug des Statuswechsels trägt das Gericht den Tag ein, an dem die Gesellschaft in dem anderen Register eingetragen worden ist. 5Ist die Eintragung der Gesellschaft in dem anderen Register rechtskräftig abgelehnt worden oder wird die Anmeldung zurückgenommen, wird der Statuswechselvermerk von Amts wegen gelöscht. (3) 1Das Gericht soll eine Gesellschaft, die bereits im Handels- oder im Partnerschaftsregister eingetragen ist, in das Gesellschaftsregister nur eintragen, wenn 1. der Statuswechsel zu dem anderen Register angemeldet wurde, 2. der Statuswechselvermerk in das andere Register eingetragen wurde und 3. das für die Führung des anderen Registers zuständige Gericht das Verfahren an das für die Führung des Gesellschaftsregisters zuständige Gericht abgegeben hat. 2 § 707 Absatz 2 bleibt unberührt. (4) 1Die Eintragung der Gesellschaft hat die Angabe des für die Führung des Handelsoder des Partnerschaftsregisters zuständigen Gerichts, die Firma oder den Namen und die Registernummer, unter der die Gesellschaft bislang eingetragen ist, zu enthalten. 2Das Gericht teilt dem Gericht, das das Verfahren abgegeben hat, von Amts wegen den Tag der Eintragung der Gesellschaft in das Gesellschaftsregister und die neue Registernummer mit. 3Die Ablehnung der Eintragung teilt das Gericht ebenfalls von Amts wegen 88 | Szalai und Koch/Harnos
§ 707b BGB Rz. 28 | Rechtsfähige Gesellschaft lang durch Berichtigungsantrag und Bewilligung derselben durch bloße Beglaubigung belegt bzw. bewirkt wurde. § 47 Abs. 2 GBO lautet zum 1.1.2024: „Für eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts soll ein Recht nur eingetragen werden, wenn sie im Gesellschaftsregister eingetragen ist.“ 29 Soweit hier eine (Vor-)Eintragung in das Gesellschaftsregister erforderlich wäre, um etwa be-
legen zu können, dass tatsächlich alle Gesellschafter der Anteilsübertragung zugestimmt haben, droht – namentlich im Grundbuchverkehr – partiell der Stillstand der Rechtspflege. Naheliegend ist hier eine einschränkende Auslegung des § 47 Abs. 2 GBO dahingehend, dass die bloße Berichtigung des Grundbuchs wegen des geänderten Gesellschafterbestands keine Eintragung in das Gesellschaftsregister voraussetzt bzw. jedenfalls dann verzichtbar ist, wenn die Eintragung nur mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten möglich ist. 30 Mit der Eintragung tritt neben den Schutz des Namens gem. § 12 BGB auch ein Namens-
schutz nach § 707b Abs. 2 BGB i.V.m. § 8b Nr. 1, § 37 Abs. 2 HGB. Hiermit mag im Detail eine Erweiterung des Schutzes einhergehen. Besondere praktische Relevanz hat dieser weitere Namensschutz nicht.
§ 707c BGB Statuswechsel (1) Die Anmeldung zur Eintragung einer bereits in einem Register eingetragenen Gesellschaft unter einer anderen Rechtsform einer rechtsfähigen Personengesellschaft in ein anderes Register (Statuswechsel) kann nur bei dem Gericht erfolgen, das das Register führt, in dem die Gesellschaft eingetragen ist. (2) 1Wird ein Statuswechsel angemeldet, trägt das Gericht die Rechtsform ein, in der die Gesellschaft in dem anderen Register fortgesetzt wird (Statuswechselvermerk). 2Diese Eintragung ist mit dem Vermerk zu versehen, dass die Eintragung erst mit der Eintragung der Gesellschaft in dem anderen Register wirksam wird, sofern die Eintragungen in den beteiligten Registern nicht am selben Tag erfolgen. 3Sodann gibt das Gericht das Verfahren von Amts wegen an das für die Führung des anderen Registers zuständige Gericht ab. 4Nach Vollzug des Statuswechsels trägt das Gericht den Tag ein, an dem die Gesellschaft in dem anderen Register eingetragen worden ist. 5Ist die Eintragung der Gesellschaft in dem anderen Register rechtskräftig abgelehnt worden oder wird die Anmeldung zurückgenommen, wird der Statuswechselvermerk von Amts wegen gelöscht. (3) 1Das Gericht soll eine Gesellschaft, die bereits im Handels- oder im Partnerschaftsregister eingetragen ist, in das Gesellschaftsregister nur eintragen, wenn 1. der Statuswechsel zu dem anderen Register angemeldet wurde, 2. der Statuswechselvermerk in das andere Register eingetragen wurde und 3. das für die Führung des anderen Registers zuständige Gericht das Verfahren an das für die Führung des Gesellschaftsregisters zuständige Gericht abgegeben hat. 2 § 707 Absatz 2 bleibt unberührt. (4) 1Die Eintragung der Gesellschaft hat die Angabe des für die Führung des Handelsoder des Partnerschaftsregisters zuständigen Gerichts, die Firma oder den Namen und die Registernummer, unter der die Gesellschaft bislang eingetragen ist, zu enthalten. 2Das Gericht teilt dem Gericht, das das Verfahren abgegeben hat, von Amts wegen den Tag der Eintragung der Gesellschaft in das Gesellschaftsregister und die neue Registernummer mit. 3Die Ablehnung der Eintragung teilt das Gericht ebenfalls von Amts wegen 88 | Szalai und Koch/Harnos
Statuswechsel | Rz. 1 § 707c BGB
dem Gericht, das das Verfahren abgegeben hat, mit, sobald die Entscheidung rechtskräftig geworden ist. (5) 1Wird ein Gesellschafter Kommanditist, ist für die Begrenzung seiner Haftung für die zum Zeitpunkt seiner Eintragung im Handelsregister begründeten Verbindlichkeiten § 728b entsprechend anzuwenden. 2Dies gilt auch, wenn er in der Gesellschaft oder einem ihr als Gesellschafter angehörenden Unternehmen geschäftsführend tätig wird. 3Seine Haftung als Kommanditist bleibt unberührt. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Regelungsgegenstand und -zweck . . . . . II. Statuswechsel aus dem Gesellschaftsregister (Abs. 1 und 2) 1. Anmeldung des Statuswechsels . . . . . . . . 2. Registergerichtliches Verfahren . . . . . . . . III. Statuswechsel in das Gesellschaftsregister (Abs. 3 und 4)
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1. Anmeldung des Statuswechsels; Verfahren beim Ausgangsregister . . . . . . 2. Eintragungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . 3. Eintragungsinhalt und Registerkommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Kommanditistenhaftung beim Statuswechsel (Abs. 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Schrifttum: Böhringer/Melchior, Ausgewählte Anmeldungen einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts zum neuen Gesellschaftsregister, NotBZ 2022, 361; Holzer, Die registerrechtlichen Regelungen des „Mauracher Entwurfs für ein Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts“, ZNotP 2020, 239; M. Noack/Göbel, Die eingetragene Personengesellschaft zwischen Rechtsformwahl und Rechtsformzwang, GmbHR 2021, 569; Spät-Weinreich, Zur Reform des Personengesellschaftsrechts durch das MoPeG – Im Blickpunkt: Die geplanten Änderungen im Registerrecht, BWNotZ 2021, 90; Wertenbruch/ Alm, Der Statuswechsel zwischen Personengesellschaften nach dem MoPeG, ZPG 2023, 201. Vgl. ferner das Schrifttum zu § 707 BGB.
I. Regelungsgegenstand und -zweck § 707c BGB regelt den sog. Statuswechsel, also den Fall, in dem eine in einem Register ein- 1 getragene1 (und damit zugleich rechtsfähige, s. § 705 BGB Rz. 79 ff.) Personengesellschaft identitätswahrend ihre Rechtsform wechselt (dazu noch Rz. 3) und die Zielrechtsform ebenfalls eine rechtsfähige Personengesellschaft ist, die aber in einem anderen Register eingetragen wird (zur Legaldefinition des Statuswechsels in § 707c Abs. 1 BGB und zu sonstigen Begrifflichkeiten s. noch Rz. 4).2 Als betroffene Register kommen das Gesellschaftsregister (§§ 707 ff. BGB), das Handelsregister (§§ 8 ff., § 106 HGB) und das Partnerschaftsregister (§ 4 PartGG) in Betracht.3 In dieser Gemengelage legt § 707c BGB zum einen die Zuständigkeiten der registerführenden Gerichte fest. Zum anderen formt die Regelung das registerge-
1 Auf nicht eingetragene Gesellschaften findet § 707c BGB keine Anwendung, s. Servatius, 2023, § 707c BGB Rz. 4; Wertenbruch/Alm, ZPG 2023, 201, 203. 2 Plastisch auch Hermanns in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 2 Rz. 21: Registermigration einer eingetragenen Personengesellschaft unter Wahrung ihrer Rechtsidentität in ein anderes Register. 3 Vgl. Krafka in BeckOGK/BGB, Stand: 1.2.2023, § 707c BGB Rz. 2, der die Vielfalt der Register für unnötig hält. Dabei scheint er zu übersehen, dass das Nebeneinander der unterschiedlichen Register eine konsequente Folge der (rechtspolitisch fragwürdigen, s. § 705 BGB Rz. 102) gesetzgeberischen Entscheidung ist, an der Differenzierung zwischen nicht kaufmännischen und kaufmännischen Unternehmen festzuhalten, s. M. Noack/Göbel, GmbHR 2021, 569 Rz. 5; vgl. ferner Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 37. Koch/Harnos | 89
§ 707c BGB Rz. 1 | Rechtsfähige Gesellschaft richtliche Verfahren, damit der identitätswahrende Formwechsel in den betroffenen Registern zutreffend abgebildet ist und zugleich Doppeleintragungen vermieden werden.4 Sie ist im Zusammenhang mit § 106 Abs. 3–5 HGB, § 107 Abs. 3 HGB und § 4 Abs. 4 PartGG zu lesen, die den Statuswechsel für die OHG (und damit über § 161 Abs. 2 HGB auch für die KG, s. § 161 HGB Rz. 30 ff.) sowie für die Partnerschaft regeln.5 Auch wenn die verstreuten Regelungen kompliziert anmuten,6 folgen sie doch einem geschlossenem Konzept7 und sind zu begrüßen, weil sie die Tätigkeit der am Statuswechsel beteiligten Registergerichte koordinieren und zur Registerklarheit und Rechtssicherheit beitragen.8 Die Grundkonzeption der Vorschriften über den Statuswechsel ist an § 198 Abs. 2 UmwG angelehnt, die personengesellschaftsrechtlichen Vorgaben weichen aber vom umwandlungsrechtlichen Vorbild ab, indem sie das Verfahren aus der Perspektive der Gesellschafter vereinfachen: Die Gesellschafter müssen den Statuswechsel nur beim Ausgangsregister und nicht auch beim Zielregister anmelden (s. dazu Rz. 5 und Rz. 9).9 2 In § 707c Abs. 1 BGB wird der Statuswechsel legaldefiniert und die gerichtliche Zuständig-
keit festgelegt (Rz. 4 ff.). § 707c Abs. 2 BGB regelt das registergerichtliche Verfahren für den Fall, dass eine im Gesellschaftsregister eingetragene10 GbR sich identitätswahrend in eine andere rechtsfähige Personengesellschaft umwandelt11 und in ihrer neuen Rechtsform in ein anderes Register eingetragen werden soll (Rz. 7 ff.). Die Vorschriften in § 707c Abs. 3 und 4 BGB betreffen die identitätswahrende Umwandlung einer rechtsfähigen Personengesellschaft in eine eingetragene GbR: Abs. 3 hat die Voraussetzungen der Eintragung in das Gesellschaftsregister (Rz. 12 ff.), Abs. 4 den Eintragungsinhalt und das registergerichtliche Verfahren zum Gegenstand (Rz. 16 ff.). Schließlich regelt § 707c Abs. 5 BGB die Kommanditistenhaftung für den Fall, dass sich eine eingetragene GbR identitätswahrend in eine KG umwandelt (Rz. 19 ff.).
4 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 137; Heckschen/Knaier in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 229g, 229m; Hermanns in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 2 Rz. 22; M. Noack/Göbel, GmbHR 2021, 569 Rz. 4, 13; Spät-Weinreich, BWNotZ 2021, 90, 94. 5 Zum Zusammenspiel der Regelungen an unterschiedlichen Gesetzesstandorten s. M. Noack/Göbel, GmbHR 2021, 569 Rz. 7. Zum Statuswechsel unter Beteiligung einer EWIV s. Heckschen/Knaier in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 229i. 6 Siehe etwa Hermanns in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 2 Rz. 21: regelungs- und verfahrenstechnisch anspruchsvoll. Aufschlussreiches Schaubild bei Heckschen/Knaier in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 229j; vgl. ferner die Übersicht zum Ablauf bei M. Noack/Göbel, GmbHR 2021, 569 Rz. 40. 7 Hierzu M. Noack/Göbel, GmbHR 2021, 569 Rz. 8 ff. Zur Entscheidung der Gesetzesverfasser, die Vorschriften über den Statuswechsel nicht im Umwandlungsgesetz zu verorten, s. Bergmann, DB 2020, 994, 997. 8 Positive rechtspolitische Würdigung bei Heckschen, NZG 2020, 761, 767; Heckschen/Knaier in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 229j; Servatius, 2023, § 707c BGB Rz. 1, 3; Spät-Weinreich, BWNotZ 2021, 90, 94. 9 Zu den Parallelen Heckschen/Nolting, BB 2021, 2946, 2953; Krafka in BeckOGK/BGB, Stand: 1.2.2023, § 707c BGB Rz. 3; zu den Vereinfachungen Heckschen/Knaier in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 229m; Hermanns in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 2 Rz. 22; M. Noack/Göbel, GmbHR 2021, 569 Rz. 13; Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 44. 10 Auf nicht eingetragene GbR findet § 707c BGB keine Anwendung, s. Krafka in BeckOGK/BGB, Stand: 1.2.2023, § 707c BGB Rz. 3. 11 Zur Identitätswahrung Wertenbruch/Alm, ZPG 2023, 201, 202 mit weiterführenden Erläuterungen zu materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Folgen.
90 | Koch/Harnos
Statuswechsel | Rz. 3 § 707c BGB
§ 707c BGB stellt keine materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Rechtsformwechsels12 3 zwischen rechtsfähigen Personengesellschaften auf.13 Ein solcher Formwechsel kann sich neben dem Register14 vollziehen.15 So wird eine kleingewerbliche eingetragene GbR ipso iure zur OHG, wenn sie die Kriterien des § 1 Abs. 2 HGB erfüllt (s. § 105 HGB Rz. 12 a.E.).16 Umgekehrt wird eine OHG zu einer GbR, wenn die Gesellschafter im Wege eines Vertragsänderungsbeschlusses17 den gemeinsamen Zweck derart modifizieren, dass die Gesellschaft kein Gewerbe mehr betreibt (dazu, insb. zur Unanwendbarkeit des § 5 HGB, s. § 105 HGB Rz. 13).18 Der Wechsel zwischen OHG und KG hängt davon ab, ob neben den persönlich haftenden Gesellschaftern auch mindestens ein Kommanditist an der Gesellschaft beteiligt ist (dazu § 105 HGB Rz. 16). In einem solchen Fall ist allerdings kein Statuswechsel veranlasst, weil die OHG wie die KG im Handelsregister eingetragen bleibt (dazu § 105 HGB Rz. 16 a.E. und § 161 HGB Rz. 8).19 Aus einer materiell-rechtlichen Perspektive ist ein Statuswechsel unzulässig, wenn die Gesellschaft aufgelöst ist: Im Schrifttum wird zutreffend darauf hingewiesen, dass der Liquidationszweck einer Fortsetzung der Gesellschaft zu werben-
12 Zum Formwechsel nach dem UmwG s. § 214 UmwG Rz. 1 ff. 13 Vgl. nur M. Noack/Göbel, GmbHR 2021, 569 Rz. 1, die begrifflich zwischen (verfahrensrechtlichem) Statuswechsel und (materiell-rechtlichem) Rechtsformwechsel unterscheiden; s. ferner Heckschen/ Nolting, BB 2021, 2946, 2953. Die Erfüllung der materiell-rechtlichen Voraussetzungen ist eine zwingende Voraussetzung des registerrechtlichen Statuswechsels, s. Wertenbruch/Alm, ZPG 2023, 201. 14 Freilich kann der Formwechsel an eine (konstitutive) Registereintragung geknüpft sein. So müssen kleingewerbliche GbR, Vermögensverwaltungsgesellschaften und Zusammenschlüsse von Angehörigen freier Berufe, die das Rechtskleid einer Personenhandelsgesellschaft annehmen wollen, nach § 107 Abs. 1 HGB in das Handelsregister eingetragen werden (dazu § 107 HGB Rz. 18 ff.; Wertenbruch/Alm, ZPG 2023, 201, 203 f.). Der Rückzug solcher Gesellschaften aus dem Handelsregister erfolgt im Wege des Statuswechsels, s. § 107 HGB Rz. 39 ff.; Bergmann, DB 2020, 994, 997; Roßkopf/Hoffmann, ZPG 2023, 14, 17; Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 111a a.E., 115 ff.; Wertenbruch/Alm, ZPG 2023, 201, 204. Bei Partnerschaften entfaltet die Registereintragung nach § 7 Abs. 1 PartGG eine konstitutive Wirkung im Außenverhältnis, s. C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 7 PartGG Rz. 3; im Kontext des Statuswechsels auch Servatius, 2023, § 707c BGB Rz. 14. 15 Zum Folgenden Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 136; vgl. ferner Bergmann, DB 2020, 994, 997; Heckschen/Knaier in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 229h; Hermanns in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 2 Rz. 21; Krafka in BeckOGK/BGB, Stand: 1.2.2023, § 707c BGB Rz. 4 f.; M. Noack/Göbel, GmbHR 2021, 569 Rz. 2, 9 ff.; Servatius, 2023, § 707c BGB Rz. 1, 3. 16 In einem solchen Fall ist die Gesellschaft – ob im Gesellschaftsregister eingetragen oder nicht – nach §§ 29, 106 Abs. 1 HGB zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden; die Pflicht kann mit Instrumenten des § 14 HGB durchgesetzt werden (s. § 106 HGB Rz. 3); s. dazu auch C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 707c BGB Rz. 5. War die GbR im Gesellschaftsregister eingetragen, hat die Handelsregisteranmeldung – die eine deklaratorische Wirkung entfaltet (s. § 106 HGB Rz. 3) – im Rahmen des Statuswechselverfahrens zu erfolgen; vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 137; Böhringer/Melchior, NotBZ 2022, 361, 370; Heckschen/Knaier in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 229h; Holzer, ZNotP 2020, 239, 244; Krafka in BeckOGK/BGB, Stand: 1.2.2023, § 707c BGB Rz. 7; Servatius, 2023, § 707c BGB Rz. 7; Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 120a. 17 Siehe Servatius, 2023, § 707c BGB Rz. 6, der zutr. hervorhebt, dass es sich nicht um eine Geschäftsführungsmaßnahme handelt; ähnlich C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 707c BGB Rz. 3 („Grundlagenänderung“). 18 Schrumpft ein Handelsgewerbe zu einem Kleingewerbebetrieb, bleibt die Gesellschaft so lange eine OHG, wie sie im Handelsregister eingetragen ist, s. § 105 HGB Rz. 13 und Wertenbruch/Alm, ZPG 2023, 201, 210, die insoweit auf § 107 Abs. 2 Satz 2 HGB abstellen (dazu auch § 107 HGB Rz. 40 ff.). 19 So auch Wertenbruch/Alm, ZPG 2023, 201, 205. Koch/Harnos | 91
§ 707c BGB Rz. 3 | Rechtsfähige Gesellschaft den Zwecken – und damit auch einem Statuswechsel – entgegensteht.20 Gleichwohl kommt es in Betracht, dass die Gesellschafter mit der Entscheidung über den Rechtsformwechsel und die Einleitung des Statuswechselverfahrens zugleich nach Maßgabe des § 734 BGB (konkludent) einen Fortsetzungsbeschluss fassen (generell zum Fortsetzungsbeschluss § 729 BGB Rz. 2; § 734 BGB Rz. 8 ff.). Da der Statuswechsels gem. § 707 Abs. 4 BGB von sämtlichen Gesellschaftern anzumelden ist (s. Rz. 6), dürfte in der Regel eine ausreichende Anzahl der Gesellschafter den Fortsetzungsbeschluss tragen (zu den Anforderungen an die Beschlussfassung, insb. bei einer Mehrheitsklausel s. § 734 BGB Rz. 10 ff.).
II. Statuswechsel aus dem Gesellschaftsregister (Abs. 1 und 2) 1. Anmeldung des Statuswechsels 4 § 707c Abs. 1 BGB enthält zunächst eine Legaldefinition des Statuswechsels. Es handelt sich
um die Eintragung einer bereits in einem Register (Ausgangsregister) eingetragenen Gesellschaft unter einer anderen Rechtsform einer rechtsfähigen Personengesellschaft (Zielrechtsform) in ein anderes Register (Zielregister).21 Diese Legaldefinition ist auch für § 106 Abs. 3, § 107 Abs. 3 HGB und § 4 Abs. 4 PartGG maßgeblich.22 5 Überdies legt § 707c Abs. 1 BGB die registergerichtliche Zuständigkeit für den Statuswechsel
einer eingetragenen GbR in eine Personenhandelsgesellschaft oder eine eingetragene Partnerschaft fest und entfaltet dabei eine Konzentrationswirkung: Die Anmeldung des Statuswechsels hat bei dem (Amts-)Gericht23 zu erfolgen, das das Ausgansregister führt. Gemäß § 707 Abs. 1 BGB handelt es sich um das Gericht, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat (örtliche Zuständigkeit).24 Eine Anmeldung beim Zielregister ist entbehrlich.25 Mit der Zuständigkeitskonzentration auf das Ausgangsregister bezweckt der Gesetzgeber ein geordnetes Statuswechselverfahren. Er stellt sicher, dass der Inhalt des Ausgangs- und Zielregisters aufeinander abgestimmt ist und Doppeleintragungen vermieden werden.26 Innerhalb des zuständigen Gerichts ist gem. § 3 Nr. 1 Buchst. n RPflG der Rechtspfleger funktional zuständig.27 Wird die Anmeldung bei einem unzuständigen Gericht eingereicht, hat dieses nach § 3 Abs. 1 Satz 1 FamFG sich durch Beschluss für unzuständig zu erklären und das Verfahren an das zuständige Ausgangsregister zu verweisen.28 Eine Zwischenverfügung nach § 382 Abs. 4 FamFG kommt nicht in Betracht, weil es sich nicht um einen Fall einer bloß unvollständigen Anmeldung handelt.29
20 Siehe etwa im Kontext der registergerichtlichen Prüfung M. Noack/Göbel, GmbHR 2021, 569 Rz. 21; Heckschen/Knaier in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 229o; Wertenbruch/Alm, ZPG 2023, 201, 206. 21 Zu den Begriffen „Ausgangsrechtsform“, „Ausgangsregister“, „Zielrechtsform“ und „Zielregister“ s. auch M. Noack/Göbel, GmbHR 2021, 569 Rz. 3. 22 Vgl. Wertenbruch/Alm, ZPG 2023, 201: rechtsformneutrale Ausgestaltung des § 707c Abs. 1 BGB. 23 Die sachliche Zuständigkeit der AG folgt aus § 23a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GVG; s. dazu auch Wertenbruch/Alm, ZPG 2023, 201, 202. 24 Zur Möglichkeit der Zuständigkeitskonzentration s. Wertenbruch/Alm, ZPG 2023, 201, 203. 25 Siehe Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 137; Bergmann, DB 2020, 994, 997; Heckschen/ Knaier in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 229l a.E.; Hermanns in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 2 Rz. 22; Holzer, ZNotP 2020, 239, 244. 26 Wertenbruch/Alm, ZPG 2023, 201, 206; a.A. Servatius, 2023, § 707c BGB Rz. 8: Zurückweisung. 27 Auf § 3 Nr. 2 Buchst. d RPflG abstellend Servatius, 2023, § 707c BGB Rz. 8. 28 Servatius, 2023, § 707c BGB Rz. 8. 29 Zum Anwendungsbereich des § 382 Abs. 4 FamFG im Kontext des Handelsregisters s. Koch/Harnos in Staub, 6. Aufl. 2023, § 8 HGB Rz. 129.
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Statuswechsel | Rz. 7 § 707c BGB
Die Anmeldung30 nach § 707c Abs. 1 BGB ist gem. § 707 Abs. 4 Satz 1 BGB von sämtlichen 6 Gesellschaftern zu bewirken (s. § 707 BGB Rz. 31 ff.).31 Sie ist nach § 707b Nr. 2 BGB i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 1 BGB elektronisch in öffentlich beglaubigter Form einzureichen, wobei die Beglaubigung nach § 707b Nr. 2 BGB i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 2 HGB im Wege der Videokommunikation zulässig ist (hierzu § 12 HGB Rz. 7 ff.).32 Ausweislich des § 707b Nr. 2 BGB i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 3 HGB können auch Stellvertreter den Statuswechsel anmelden, wobei die Vollmacht ebenfalls der öffentlich beglaubigten Form bedarf (s. § 12 HGB Rz. 11 ff.; zur notariellen Bescheinigung nach § 21 Abs. 3 BNotO, die nach § 707b Nr. 2 BGB i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 4 HGB die Vollmacht ersetzt, vgl. § 12 HGB Rz. 15).33 Damit das Ausgangsregister den Statuswechselvermerk nach § 707c Abs. 2 Satz 1 BGB eintragen und das Verfahren gem. § 707c Abs. 2 Satz 3 BGB an das richtige Zielregister abgeben kann (s. noch Rz. 7 ff.), muss die Anmeldung die Zielrechtsform benennen (zu den Folgen fehlerhafter Wahl des Zielregisters s. noch Rz. 10).34 Außerdem muss die Anmeldung alle Angaben enthalten, die für die Eintragung im Zielregister notwendig sind.35
2. Registergerichtliches Verfahren Das registergerichtliche Verfahren nach der Anmeldung eines Statuswechsels i.S.d. § 707c 7 Abs. 1 BGB ist in § 707c Abs. 2 BGB geregelt. Bevor das für die Führung des Ausgangsregisters zuständige Gericht die in § 707c Abs. 2 BGB vorgesehenen Verfahrensschritte einleitet, hat es zum einen in formeller Hinsicht zu prüfen, ob die Anmeldung den Anforderungen der § 707 Abs. 4 BGB, § 707b Nr. 2 BGB i.V.m. § 12 HGB entspricht (s. Rz. 6). Zum anderen ist es zu einer materiell-rechtlichen Plausibilitätskontrolle dahingehend angehalten, ob die Voraussetzungen für den Rechtsformwechsel vorliegen (dazu Rz. 3).36 Fällt die Prüfung positiv aus, hat das Registergericht gem. § 707c Abs. 2 Satz 1 BGB die Zielrechtsform einzutra-
30 Formulierungsvorschläge bei Böhringer/Melchior, NotBZ 2022, 361, 370; Heckschen/Knaier in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 229n; Hermanns in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 2 Rz. 25 f.; s. ferner M. Noack/Göbel, GmbHR 2021, 569 Rz. 18. 31 C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 707c BGB Rz. 6; Servatius, 2023, § 707c BGB Rz. 9 mit weiterführenden Ausführungen zur Mitwirkungspflicht der Gesellschafter in Fällen des mehrheitlich beschlossenen Statuswechsels in Rz. 10 (zur Erzwingung der Mitwirkung an der Anmeldung mit Hilfe der mitgliedschaftlichen Treupflicht s. § 705 BGB Rz. 62, § 707 BGB Rz. 33 und § 106 HGB Rz. 26). Vgl. ferner Heckschen/Knaier in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 229l; M. Noack/Göbel, GmbHR 2021, 569 Rz. 17; Wertenbruch/Alm, ZPG 2023, 201, 206. 32 C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 707c BGB Rz. 6; Servatius, 2023, § 707c BGB Rz. 11. Zur Erstreckung der Videobeglaubigung auf Personengesellschaften im Zuge des DiREG v. 15.7.2022 (BGBl. I 1146) vgl. Koch/Harnos in Staub, 6. Aufl. 2023, § 12 HGB Rz. 29. 33 Heckschen/Knaier in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 229l; Servatius, 2023, § 707c BGB Rz. 9. 34 Hermanns in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 2 Rz. 22; M. Noack/Göbel, GmbHR 2021, 569 Rz. 17. 35 Wertenbruch/Alm, ZPG 2023, 201, 206. 36 Zur registergerichtlichen Prüfung (insb. im Hinblick auf eine etwaige Liquidation, die einem Statuswechsel entgegensteht; vgl. dazu auch Rz. 3) s. Heckschen/Knaier in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 229o; M. Noack/Göbel, GmbHR 2021, 569 Rz. 20 ff.; Servatius, 2023, § 707c BGB Rz. 12. Einschränkend aber Hermanns in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 2 Rz. 23, der die materiell-rechtliche Plausibilitätsprüfung durch das Ausgangsregister augenscheinlich für entbehrlich hält und diese Aufgabe allein dem Zielregister zuweist; ebenso C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 707c BGB Rz. 7; in diese Richtung wohl auch Wertenbruch/Alm, ZPG 2023, 201, 206. Koch/Harnos | 93
§ 707c BGB Rz. 7 | Rechtsfähige Gesellschaft gen, in der die Gesellschaft im Zielregister fortgesetzt wird (OHG, KG oder Partnerschaft).37 Diese Eintragung wird in § 707c Abs. 2 Satz 1 BGB als Statuswechselvermerk legaldefiniert.38 8 Sofern die Eintragungen im Ausgangs- und Zielregister nicht am selben Tag erfolgen, ist der
Statuswechselvermerk gem. § 707c Abs. 2 Satz 2 BGB mit dem weiteren Vermerk zu versehen,39 dass die Eintragung im Ausgangsregister erst mit der Eintragung der Gesellschaft im Zielregister wirksam wird;40 die Gesetzesmaterialien sprechen plastisch von einem Vorläufigkeitsvermerk.41 Ein solcher Vermerk dürfte in der Praxis erforderlich sein, wenn die eingetragene GbR nicht nur ihre Rechtsform gewechselt hat, sondern die Gesellschafter darüber hinaus den Gesellschaftssitz im Inland verlegt haben (hierzu § 706 BGB Rz. 9 ff. [Verwaltungssitzverlegung] und § 706 BGB Rz. 19 ff. [Vertragssitzverlegung]). In einem solchen Fall ist ein anderes Gericht für die Führung des Zielregisters örtlich zuständig. Dies erfordert eine Kommunikation zwischen unterschiedlichen Gerichten und dürfte in der Praxis das Statuswechselverfahren verzögern.42 Behält die Gesellschaft hingegen ihren ursprünglichen Sitz, verbleibt die örtliche Zuständigkeit für die Führung des Ausgangs- und Zielregisters bei demselben AG.43 In einem solchen Fall erscheint es denkbar, dass der Statuswechsel innerhalb eines Tages registergerichtlich vollzogen wird und ein Vorläufigkeitsvermerk nach § 707c Abs. 2 Satz 2 BGB entbehrlich ist. Ein solches Szenario liegt namentlich dann nahe, wenn innerhalb des Registergerichts derselbe Rechtspfleger für das Ausgangs- und Zielregister zuständig ist.44 9 Nach der Eintragung des Statuswechselvermerks und ggf. eines Vorläufigkeitsvermerks gibt
das Ausgangsregister gem. § 707c Abs. 2 Satz 3 BGB das Verfahren von Amts wegen an das für die Führung des Zielregisters zuständige Gericht ab; eine Anmeldung beim Zielregister ist – anders als nach § 198 UmwG – entbehrlich.45 Dieses Gericht prüft zunächst die Eintragungsfähigkeit der statuswechselnden Gesellschaft nach allgemeinen Regeln.46 Ist das Ergebnis der Prüfung positiv, trägt das Gericht die Gesellschaft in ihrer Zielrechtsform nach Maßgabe der § 106 Abs. 4 und 5 HGB, § 107 Abs. 3, HGB, § 4 Abs. 4 PartGG in das Zielregister
37 38 39 40 41 42 43 44
45 46
Formulierungsvorschlag bei M. Noack/Göbel, GmbHR 2021, 569 Rz. 27. Von einem „Fortsetzungsvermerk“ spricht Holzer, ZNotP 2020, 239, 244. Formulierungsvorschlag bei M. Noack/Göbel, GmbHR 2021, 569 Rz. 26. In den Gesetzesmaterialien wird die Parallele zu § 198 Abs. 2 Satz 4 UmwG hervorgehoben, s. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 137. Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 137; s. ferner Heckschen/Knaier in Westermann/ Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 229p; Hermanns in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 2 Rz. 23; Servatius, 2023, § 707c BGB Rz. 12. So auch M. Noack/Göbel, GmbHR 2021, 569 Rz. 25 m. Fn. 44. Vgl. ferner zu einem solchen Fall Wertenbruch/Alm, ZPG 2023, 201, 207. Zu einem solchen Szenario Servatius, 2023, § 707c BGB Rz. 12 a.E. So auch die Hoffnung des Gesetzgebers, vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 137: Es könne angenommen werden, dass die betroffenen Register von den zuständigen Registergerichten in technisch-organisatorischer Nähe zueinander geführt werden. Vgl. ferner M. Noack/Göbel, GmbHR 2021, 569 Rz. 25 mit Formulierungsvorschlag eines „isolierten“ Statuswechselvermerks in Rz. 27. Vgl. Bergmann, DB 2020, 994, 997; Heckschen/Knaier in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 229q; Krafka in BeckOGK/BGB, Stand: 1.2.2023, § 707c BGB Rz. 9; Servatius, 2023, § 707c BGB Rz. 13. Die Gesetzesmaterialien weisen etwa auf die Prüfung der berufsrechtlichen Vorbehalte nach § 107 Abs. 1 Satz 2 HGB hin, s. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 138; s. ferner Heckschen/Knaier in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 229r; Hermanns in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 2 Rz. 23; Krafka in BeckOGK/BGB, Stand: 1.2.2023, § 707c BGB Rz. 13; M. Noack/Göbel, GmbHR 2021, 569 Rz. 30 ff. (mit aufschlussreichen Erläuterungen zur firmenrechtlichen Prüfung in Rz. 31); C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 707c BGB Rz. 10; Wertenbruch/Alm, ZPG 2023, 201, 207.
94 | Koch/Harnos
Statuswechsel | Rz. 12 § 707c BGB
ein (dazu § 106 HGB Rz. 21).47 Mit dieser Eintragung ist der Statuswechsel vollzogen48 und das Gericht, das für die Führung des Ausgangsregisters zuständig ist, trägt gem. § 707c Abs. 2 Satz 4 BGB den Tag ein, an dem die Gesellschaft im Zielregister eingetragen worden ist.49 Um die letztgenannte Eintragung zu ermöglichen, hat das Zielregister die Eintragung dem Ausgangsregister von Amts wegen mitzuteilen (s. § 707c Abs. 4 Satz 2 BGB und Rz. 17 sowie § 106 Abs. 5 Satz 2 HGB und § 106 HGB Rz. 22).50 Haben die Gesellschafter in der Anmeldung nach Auffassung des Ausgangsregisters aus ma- 10 teriell-rechtlichen Gründen das falsche Zielregister angesteuert (zur Benennung des Zielregisters in der Anmeldung s. Rz. 6), spricht viel dafür, dass das Ausgangsregister das Verfahren analog § 707c Abs. 2 Satz 3 BGB an das zuständige Registergericht abgibt. Dieses Gericht hat die Gesellschafter nach Übernahme des Verfahrens im Rahmen einer Zwischenverfügung nach § 382 Abs. 4 FamFG51 zur Berichtigung der Anmeldung aufzufordern.52 Lehnt das für die Führung des Zielregisters zuständige Gericht die Eintragung der Gesell- 11 schaft im Zielregister ab oder nehmen die Gesellschafter die Anmeldung zurück, hat das für die Führung des Ausgangsregisters zuständige Gericht den Statuswechselvermerk gem. § 707c Abs. 2 Satz 5 BGB von Amts wegen zu löschen. Der Löschungsgrund des § 707c Abs. 2 Satz 5 BGB geht der Amtslöschung nach § 395 FamFG vor.53 Damit das Ausgangsregister seiner Löschungspflicht aus § 707c Abs. 2 Satz 5 BGB nachkommen kann, hat das Zielregister dem Ausgangsregister die rechtskräftige Ablehnung der Eintragung von Amts wegen mitzuteilen (§ 707c Abs. 4 Satz 3 BGB und Rz. 18 sowie § 106 Abs. 5 Satz 3 HGB und § 106 HGB Rz. 23).54
III. Statuswechsel in das Gesellschaftsregister (Abs. 3 und 4) 1. Anmeldung des Statuswechsels; Verfahren beim Ausgangsregister § 707c Abs. 3 und 4 BGB regelt das Statuswechselverfahren für den Fall, dass eine Personen- 12 handelsgesellschaft oder eine Partnerschaft sich identitätswahrend in eine eingetragene GbR umwandelt.55 Materiell-rechtlich geht es etwa um Fälle, in denen das Unternehmen einer OHG zu einem Kleingewerbe geschrumpft ist oder in denen der Gesellschaftszweck in die Verwaltung eigenen Vermögens geändert wurde und die Gesellschafter das Rechtskleid einer Personenhandelsgesellschaft abstreifen möchten. Denkbar ist auch ein Rechtsformwechsel ei47 Formulierungsvorschlag bei M. Noack/Göbel, GmbHR 2021, 569 Rz. 34. Zum Eintragungsinhalt, insb. beim Gesellschafterwechsel, s. Heckschen/Knaier in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 229m, 229s; zur Möglichkeit des Gesellschafterwechsels anlässlich des Statuswechsels vgl. ferner Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 138 f.; M. Noack/Göbel, GmbHR 2021, 569 Rz. 19; Spät-Weinreich, BWNotZ 2021, 90, 94. 48 Wertenbruch/Alm, ZPG 2023, 201, 207. Die Eintragung bleibt auch dann wirksam, wenn das Zielregister die verfahrensrechtlichen Soll-Vorgaben für den Statuswechsel nicht eingehalten hat, vgl. M. Noack/Göbel, GmbHR 2021, 569 Rz. 29. Zu fehlerhaften Eintragungen s. noch Rz. 14. 49 Hierzu mit Formulierungsvorschlag M. Noack/Göbel, GmbHR 2021, 569 Rz. 37 f. 50 M. Noack/Göbel, GmbHR 2021, 569 Rz. 35; Servatius, 2023, § 707c BGB Rz. 13. 51 Zur Zwischenverfügung im Kontext des Handelsregisters s. etwa Koch/Harnos in Staub, 6. Aufl. 2023, § 8 HGB Rz. 129. 52 M. Noack/Göbel, GmbHR 2021, 569 Rz. 23 für den Fall eines Statuswechsels zwischen Gesellschaftsund Partnerschaftsregister, wenn die Gesellschaft ein Handelsgewerbe betreibt und daher nach § 106 Abs. 1 HGB in das Handelsregister eingetragen werden muss; dem folgend Heckschen/Knaier in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 229o. 53 Holzer, ZNotP 2020, 239, 244. 54 M. Noack/Göbel, GmbHR 2021, 569 Rz. 36. 55 Dazu Wertenbruch/Alm, ZPG 2023, 201, 210. Koch/Harnos | 95
§ 707c BGB Rz. 12 | Rechtsfähige Gesellschaft ner Partnerschaft in eine eingetragene GbR. Die verfahrensrechtlich notwendigen Schritte ergeben sich zunächst aus § 707c Abs. 2 BGB, auf den § 107 Abs. 3 Satz 2 HGB, § 4 Abs. 4 PartGG56 verweisen. So müssen die Gesellschafter einer OHG oder einer Partnerschaft nach § 707c Abs. 1 BGB den Statuswechsel zum Ausgangsregister anmelden (Handels- oder Partnerschaftsregister; s. dazu Rz. 6). Das Gericht, das für die Führung des Ausgangsregisters zuständig ist, trägt gem. § 707c Abs. 2 Satz 1 BGB den Statuswechselvermerk (Rz. 7) und ggf. nach § 707c Abs. 2 Satz 2 BGB den Vorläufigkeitsvermerk (Rz. 8) ein. Sodann gibt es das Verfahren gem. § 707c Abs. 2 Satz 3 BGB vom Amts wegen an das für die Führung des Gesellschaftsregisters zuständige Gericht ab (Rz. 9).57 Die Eintragung der Vermerke und die Abgabe des Verfahrens an das Zielregister ist allerdings nur dann statthaft, wenn die Anmeldung den formellen Anforderungen genügt (zu Personenhandelsgesellschaften s. § 106 HGB Rz. 26 ff.) und das Ausgangsregister nach einer Plausibilitätsprüfung festgestellt hat, dass die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Formwechsels vorliegen (zur Kontrolle durch das Ausgangsregister s. bereits Rz. 7).58
2. Eintragungsvoraussetzungen 13 Die registergerichtliche Behandlung des Statuswechsels im Gesellschaftsregister (Zielregis-
ter) richtet sich nach § 707c Abs. 3 BGB. Dabei adressiert § 707c Abs. 3 Satz 1 BGB das Gericht, das für die Führung des Gesellschaftsregisters zuständig ist. Die Vorschrift ordnet in verfahrensrechtlicher Hinsicht an, dass dieses Gericht die Gesellschaft nur dann in das Gesellschaftsregister eintragen soll, wenn der Statuswechsel zu dem Ausgangsregister angemeldet wurde (§ 707c Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB),59 der Statuswechselvermerk in das Ausgangsregister eingetragen wurde (§ 707c Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BGB) und das für die Führung des Ausgangsregisters zuständige Gericht das Verfahren an das für die Führung des Gesellschaftsregisters zuständige Gericht abgegeben hat (§ 707c Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BGB). Die in § 707c Abs. 3 Satz 1 Nr. 1–3 BGB aufgezählten Voraussetzungen korrespondieren mit den in Rz. 12 skizzierten Schritten. Überdies hat das Zielregister zu prüfen, ob der Rechtsformwechsel materiell-rechtlich wirksam ist.60 Ist dies nicht der Fall oder sind die prozeduralen Vorgaben des § 707c Abs. 3 Satz 1 Nr. 1–3 BGB nicht erfüllt, hat das Zielregister die Eintragung abzulehnen und seine Entscheidung gem. § 707c Abs. 4 Satz 3 BGB dem Ausgangsregister mitzuteilen, damit dieses die Löschung des Statuswechselvermerks veranlassen kann.61 14 Trägt das für die Führung des Gesellschaftsregisters zuständige Gericht den Statuswechsel
ein, obwohl die Vorgaben des § 707c Abs. 3 Satz 1 Nr. 1–3 BGB nicht erfüllt sind oder die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Statuswechsels nicht vorliegen, bleibt die Eintragung wirksam. Die Verletzung der zwingenden Soll-Ordnungsvorschrift kann aber Amtshaftungsansprüche gegen den Entscheidungsträger des Registergerichts gem. § 839 BGB, Art. 34 GG nach sich ziehen.62
56 Zum Statuswechsel unter Beteiligung einer Partnerschaft s. Krafka in BeckOGK/BGB, Stand: 1.2.2023, § 707c BGB Rz. 20 f., 24; Nolting, BB 2021, 1795, 1798 ff.; Wertenbruch/Alm, ZPG 2023, 201, 210 ff. 57 Hierzu Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 138; Krafka in BeckOGK/BGB, Stand: 1.2.2023, § 707c BGB Rz. 15 f.; Servatius, 2023, § 707c BGB Rz. 16. 58 Krafka in BeckOGK/BGB, Stand: 1.2.2023, § 707c BGB Rz. 16. 59 Der Statuswechsel von einer Personenhandelsgesellschaft oder einer Partnerschaft in eine eGbR ist also konsequent nicht beim Zielregister anzumelden, s. nur Holzer, ZNotP 2020, 239, 244. 60 In Fällen eines gewillkürten Formwechsels gehört dazu auch die Prüfung, ob ein wirksamer Gesellschafterbeschluss vorliegt, s. C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 707c BGB Rz. 3, 10. 61 Zu einem solchen Szenario Krafka in BeckOGK/BGB, Stand: 1.2.2023, § 707c BGB Rz. 18. 62 Holzer, ZNotP 2020, 239, 244.
96 | Koch/Harnos
Statuswechsel | Rz. 19 § 707c BGB
§ 707c Abs. 3 Satz 2 BGB ordnet an, dass § 707 Abs. 2 BGB unberührt bleibt. Daraus folgt, 15 dass die Eintragung der GbR im Zielregister die allgemeinen Angaben für GbR, die in § 707 Abs. 2 BGB aufgelistet sind (dazu § 707 BGB Rz. 17 ff.), enthalten muss.63 Haben sich die Verhältnisse der Gesellschaft (etwa der Name der eingetragenen GbR oder die Vertretungsmacht der Gesellschafter) im Zuge des Statuswechsels geändert, müssen die Gesellschafter diese Änderungen nach § 707 Abs. 3 BGB zur Eintragung im Gesellschaftsregister anmelden.64
3. Eintragungsinhalt und Registerkommunikation Mit welchem Inhalt die Eintragung der Gesellschaft im Gesellschaftsregister erfolgt, ergibt 16 sich aus § 707c Abs. 4 Satz 1 BGB. Danach hat die Eintragung der GbR zu enthalten: (1) die Angabe des für die Führung des Handels- oder des Partnerschaftsregisters zuständigen Gerichts, (2) die Firma oder den Namen und (3) die Registernummer, unter der die Gesellschaft bislang eingetragen ist. Diese Informationen sind für den Rechtsverkehr insoweit relevant, als sie kenntlich machen, dass im Gesellschaftsregister ein identitätswahrender Rechtsformwechsel verlautbart wird.65 § 707c Abs. 4 Satz 2 und 3 BGB regelt den Informationsfluss zwischen den beteiligten Re- 17 gistern.66 Nach § 707c Abs. 4 Satz 2 BGB teilt das Gericht, das für die Führung des Gesellschaftsregisters zuständig ist und den Statuswechsel eingetragen hat, dem Ausgangsregister von Amts wegen den Tag der Eintragung der Gesellschaft in das Gesellschaftsregister und die neue Registernummer mit; das Ausgangsregister kann das Registerblatt schließen.67 Ist für das Ausgangs- und Zielregister dasselbe Gericht örtlich und derselbe Rechtspfleger funktional zuständig, erscheint die Mitteilung nach § 707c Abs. 4 Satz 2 BGB entbehrlich.68 Hat das Gericht, das für die Führung des Gesellschaftsregisters zuständig ist, die Eintragung 18 des Statuswechsels abgelehnt, richtet sich die Registerkommunikation nach § 707c Abs. 4 Satz 3 BGB. Danach hat das Gesellschaftsregister von Amts wegen dem Ausgangsregister die Ablehnung mitzuteilen, sobald die Ablehnungsentscheidung rechtskräftig geworden ist. Damit kann das Ausgangsregister den Statuswechselvermerk gem. § 707c Abs. 2 Satz 5 BGB löschen.69 Ein solches Szenario kann insbesondere dann eintreten, wenn die Gesellschaft nach wie vor ein Handelsgewerbe betreibt oder wenn das Berufsrecht einer GbR-Gründung entgegensteht.70
IV. Kommanditistenhaftung beim Statuswechsel (Abs. 5) § 707c Abs. 5 BGB regelt den Fall eines Statuswechsels einer eingetragenen GbR in eine 19 KG.71 Dabei handelt es sich – anders als bei sonstigen Absätzen des § 707c BGB – nicht um 63 Servatius, 2023, § 707c BGB Rz. 16 a.E. 64 Vgl. Krafka in BeckOGK/BGB, Stand: 1.2.2023, § 707c BGB Rz. 10. 65 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 138; Holzer, ZNotP 2020, 239, 244; Servatius, 2023, § 707c BGB Rz. 17. 66 Im Schrifttum ist auch plastisch vom Registerrücklauf die Rede, s. Wertenbruch/Alm, ZPG 2023, 201, 207. 67 Wertenbruch/Alm, ZPG 2023, 201, 207. Vgl. ferner C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 707c BGB Rz. 12. 68 Vgl. Heckschen/Knaier in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 229t. 69 Vgl. Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 48. 70 Siehe Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 138; Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 46. 71 Zur Anwendung auf Umwandlung einer GbR in eine Partnerschaft R. Koch in BeckOGK/BGB, Stand: 1.2.2023, § 728b BGB Rz. 5; Krafka in BeckOGK/BGB, Stand: 1.2.2023, § 707c BGB Rz. 24; Nolting, BB 2021, 1795, 1801. Koch/Harnos | 97
§ 707c BGB Rz. 19 | Rechtsfähige Gesellschaft eine registerrechtliche Vorschrift.72 Vielmehr zeitigt die Regelung materiell-rechtliche Wirkungen.73 Sie dient der Enthaftung von Kommanditisten nach einer Umwandlung der Mitgliedschaft und ist im Kontext der §§ 28, 171 ff. HGB zu lesen.74 § 707c Abs. 5 BGB greift in Fällen ein, in denen Gesellschafter einer eingetragenen GbR für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft nach Maßgabe der §§ 721 ff. BGB unbeschränkt persönlich hafteten und nunmehr durch Umwandlung der Mitgliedschaft in den Genuss der beschränkten Kommanditistenhaftung gelangen möchten. 20 Nach § 707c Abs. 5 Satz 1 BGB ist für die Begrenzung der Haftung eines GbR-Gesellschaf-
ters, der im Zuge des Rechtsformwechsels Kommanditist wird (Umwandlung der Mitgliedschaft), für die zum Zeitpunkt der Eintragung des Kommanditisten im Handelsregister begründeten Verbindlichkeiten § 728b BGB entsprechend anzuwenden. Der Kommanditist wird also einem ausgeschiedenen GbR-Gesellschafter gleichgestellt.75 Das bedeutet, dass der Kommanditist für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft, für die er in seiner Eigenschaft als GbR-Gesellschafter nach §§ 721 ff. BGB einzustehen hatte, im Ausgangspunkt weiterhin wie ein GbR-Gesellschafter haftet.76 Dies gilt auch für Verbindlichkeiten, die zwischen der Umwandlung der Mitgliedschaft und ihrer Eintragung begründet wurden.77 Die unbeschränkte und persönliche Außenhaftung ist aber nach Maßgabe des § 728b BGB zeitlich begrenzt. Sie entfällt gem. § 728b Abs. 1 Satz 1 BGB, wenn die Verbindlichkeiten vor Ablauf von fünf Jahren nach der Eintragung in das Handelsregister fällig geworden sind und weder die Ansprüche gegen ihn in einer in § 197 Abs. 1 Nr. 3–5 BGB bezeichneten Art festgestellt worden sind noch eine gerichtliche oder behördliche Vollstreckungshandlung vorgenommen oder beantragt worden ist (zur Funktionsweise des § 728b Abs. 1 BGB s. § 728b BGB Rz. 6 ff.). Für Schadensersatzansprüche ist die Sonderregelung des § 728b Abs. 1 Satz 2 BGB zu beachten (dazu § 728b BGB Rz. 11 ff.): Die Pflichtverletzung muss vor der Umwandlung der Mitgliedschaft eingetreten sein. Der Beginn der Enthaftungsfrist richtet sich nach § 728b Abs. 1 Satz 3 BGB (dazu § 728b BGB Rz. 14 ff.): Maßgeblich ist, wann der Gläubiger von der Umwandlung der Mitgliedschaft Kenntnis erlangt hat oder die Umwandlung der Mitgliedschaft im Handelsregister eingetragen worden ist; abzustellen ist auf den früheren Zeitpunkt.78 21 Die Enthaftungsregelung des § 728b BGB ist gem. § 707c Abs. 5 Satz 2 BGB auch dann an-
zuwenden, wenn der Kommanditist in der Gesellschaft oder einem ihr als Gesellschafter angehörenden Unternehmen geschäftsführend tätig wird. Die Vorschrift ist im Lichte der Möglichkeit zu lesen, dem Kommanditisten – trotz des Ausschlusses von der Geschäftsführungsbefugnis nach § 164 Halbs. 1 HGB, der den gesetzlichen Regelfall bildet – Geschäftsführungsaufgaben zu übertragen. Ein geschäftsführender Kommanditist soll also nach § 707c
72 Zu registerrechtlichen Vorgaben, insb. zur Pflicht zur Angabe der Kommanditisten und der Haftsumme gem. § 162 Abs. 1 HGB (dazu auch § 162 HGB Rz. 5 ff.), vgl. Wertenbruch/Alm, ZPG 2023, 201, 208. 73 Krit. deshalb Holzer, ZNotP 2020, 239, 245. Die Verortung in § 106 HGB erwägend C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 707c BGB Rz. 13. 74 Zur enthaftenden Wirkung des § 707c Abs. 5 Satz 1 BGB s. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/ 27635, 139. Die Regelung begrüßend C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 707c BGB Rz. 14 a.E. Krit. wegen der Möglichkeit der Firmenbestattung Servatius, 2023, § 707c BGB Rz. 15. 75 Treffend Krafka in BeckOGK/BGB, Stand: 1.2.2023, § 707c BGB Rz. 23; C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 707c BGB Rz. 14. 76 So auch C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 707c BGB Rz. 14; Servatius, 2023, § 707c BGB Rz. 15; Wertenbruch/Alm, ZPG 2023, 201, 208. Diesen Fall erwähnt aber nicht Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 139. 77 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 139. 78 Wertenbruch/Alm, ZPG 2023, 201, 208.
98 | Koch/Harnos
Verordnungsermächtigung | § 707d BGB
Abs. 5 Satz 2 BGB nicht wie ein persönlich haftender Gesellschafter für die Altverbindlichkeiten der Gesellschaft grds. zeitlich unbegrenzt haften. § 707c Abs. 5 Satz 3 BGB legt fest, dass die Haftung als Kommanditist unberührt bleibt. 22 Auch wenn die Enthaftung nach § 707c Abs. 5 Satz 1 BGB i.V.m. § 728b BGB eingetreten ist, sind also die Vorgaben in §§ 171 ff. HGB weiterhin zu beachten.
§ 707d BGB Verordnungsermächtigung (1) 1Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung nähere Bestimmungen über die elektronische Führung des Gesellschaftsregisters, die elektronische Anmeldung, die elektronische Einreichung von Dokumenten sowie deren Aufbewahrung zu treffen, soweit nicht durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz nach § 387 Absatz 2 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechende Vorschriften erlassen werden. 2Dabei können sie auch Einzelheiten der Datenübermittlung regeln sowie die Form zu übermittelnder elektronischer Dokumente festlegen, um die Eignung für die Bearbeitung durch das Gericht sicherzustellen. 3Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen. (2) 1Die Landesjustizverwaltungen bestimmen das elektronische Informations- und Kommunikationssystem, über das die Daten aus den Gesellschaftsregistern abrufbar sind, und sind für die Abwicklung des elektronischen Abrufverfahrens zuständig. 2Die Landesregierung kann die Zuständigkeit durch Rechtsverordnung abweichend regeln; sie kann diese Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltung übertragen. 3Die Länder können ein länderübergreifendes, zentrales elektronisches Informations- und Kommunikationssystem bestimmen. 4Sie können auch eine Übertragung der Abwicklungsaufgaben auf die zuständige Stelle eines anderen Landes sowie mit dem Betreiber des Unternehmensregisters eine Übertragung der Abwicklungsaufgaben auf das Unternehmensregister vereinbaren. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). Verordnung über die Einrichtung und Führung des Gesellschaftsregisters und zur Änderung der Handelsregisterverordnung § 1 Anwendung der Handelsregisterverordnung (1) Für die Einrichtung und Führung des Gesellschaftsregisters ist die Handelsregisterverordnung entsprechend anwendbar, soweit in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist. (2) Für die entsprechende Anwendung der Handelsregisterverordnung nach Absatz 1 steht die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (Gesellschaft) einer offenen Handelsgesellschaft mit den Maßgaben gleich, dass 1. an die Stelle der Firma der offenen Handelsgesellschaft der Name der Gesellschaft tritt und 2. an die Stelle der persönlich haftenden Gesellschafter der offenen Handelsgesellschaft die Gesellschafter der Gesellschaft treten. § 2 Einteilung und Gestaltung des Gesellschaftsregisters (1) Jede Gesellschaft ist unter einer fortlaufenden Nummer (Registerblatt) in das Gesellschaftsregistereinzutragen. (2) Bei der Führung des Registers sind die Muster der Anlagen 1 bis 4 zu verwenden. Koch/Harnos und Szalai | 99
Verordnungsermächtigung | § 707d BGB
Abs. 5 Satz 2 BGB nicht wie ein persönlich haftender Gesellschafter für die Altverbindlichkeiten der Gesellschaft grds. zeitlich unbegrenzt haften. § 707c Abs. 5 Satz 3 BGB legt fest, dass die Haftung als Kommanditist unberührt bleibt. 22 Auch wenn die Enthaftung nach § 707c Abs. 5 Satz 1 BGB i.V.m. § 728b BGB eingetreten ist, sind also die Vorgaben in §§ 171 ff. HGB weiterhin zu beachten.
§ 707d BGB Verordnungsermächtigung (1) 1Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung nähere Bestimmungen über die elektronische Führung des Gesellschaftsregisters, die elektronische Anmeldung, die elektronische Einreichung von Dokumenten sowie deren Aufbewahrung zu treffen, soweit nicht durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz nach § 387 Absatz 2 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechende Vorschriften erlassen werden. 2Dabei können sie auch Einzelheiten der Datenübermittlung regeln sowie die Form zu übermittelnder elektronischer Dokumente festlegen, um die Eignung für die Bearbeitung durch das Gericht sicherzustellen. 3Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen. (2) 1Die Landesjustizverwaltungen bestimmen das elektronische Informations- und Kommunikationssystem, über das die Daten aus den Gesellschaftsregistern abrufbar sind, und sind für die Abwicklung des elektronischen Abrufverfahrens zuständig. 2Die Landesregierung kann die Zuständigkeit durch Rechtsverordnung abweichend regeln; sie kann diese Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltung übertragen. 3Die Länder können ein länderübergreifendes, zentrales elektronisches Informations- und Kommunikationssystem bestimmen. 4Sie können auch eine Übertragung der Abwicklungsaufgaben auf die zuständige Stelle eines anderen Landes sowie mit dem Betreiber des Unternehmensregisters eine Übertragung der Abwicklungsaufgaben auf das Unternehmensregister vereinbaren. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). Verordnung über die Einrichtung und Führung des Gesellschaftsregisters und zur Änderung der Handelsregisterverordnung § 1 Anwendung der Handelsregisterverordnung (1) Für die Einrichtung und Führung des Gesellschaftsregisters ist die Handelsregisterverordnung entsprechend anwendbar, soweit in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist. (2) Für die entsprechende Anwendung der Handelsregisterverordnung nach Absatz 1 steht die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (Gesellschaft) einer offenen Handelsgesellschaft mit den Maßgaben gleich, dass 1. an die Stelle der Firma der offenen Handelsgesellschaft der Name der Gesellschaft tritt und 2. an die Stelle der persönlich haftenden Gesellschafter der offenen Handelsgesellschaft die Gesellschafter der Gesellschaft treten. § 2 Einteilung und Gestaltung des Gesellschaftsregisters (1) Jede Gesellschaft ist unter einer fortlaufenden Nummer (Registerblatt) in das Gesellschaftsregistereinzutragen. (2) Bei der Führung des Registers sind die Muster der Anlagen 1 bis 4 zu verwenden. Koch/Harnos und Szalai | 99
§ 707d BGB | Rechtsfähige Gesellschaft § 3 Anmeldung und Eintragung (1) In der Anmeldung der Gesellschaft zur Eintragung in das Gesellschaftsregister soll auch der Gegenstand der Gesellschaft angegeben werden, soweit er sich nicht aus deren Namen ergibt. Dies gilt auch für die Anmeldung der Umwandlung oder des Statuswechsels in eine Gesellschaft. (2) Als Gesellschafter ist eine Gesellschaft nur in das Gesellschaftsregister einzutragen, wenn sie ihrerseits im Gesellschaftsregister eingetragen ist. Dies gilt auch, wenn der Eintritt eines Gesellschafters in eine bestehende Gesellschaft angemeldet wird. § 4 Inhalt der Eintragungen in das Gesellschaftsregister (1) In Spalte 1 des Gesellschaftsregisters ist die laufende Nummer der die Gesellschaft betreffenden Eintragungen einzutragen. (2) 1In Spalte 2 des Gesellschaftsregisters sind die folgenden Angaben und die sich jeweils darauf beziehenden Änderungen einzutragen: 1. unter Buchstabe a: der Name der Gesellschaft, 2. unter Buchstabe b: a) der Sitz der Gesellschaft, b) die Anschrift der Gesellschaft in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union und c) die Errichtung oder die Aufhebung von Zweigniederlassungen der Gesellschaft unter jeweiliger Angabe des Ortes einschließlich der Postleitzahl, die inländische Geschäftsanschrift der Zweigniederlassung und, falls dem Namen der Gesellschaft für eine Zweigniederlassung ein Zusatz beigefügt ist, die Angabe dieses Zusatzes. 2 Mit der Eintragung nach Satz 1 Nummer 1 erhält der Name der Gesellschaft den Zusatz „eingetragene Gesellschaft bürgerlichen Rechts“ oder „eGbR“. (3) 1In Spalte 3 des Gesellschaftsregisters sind die folgenden Angaben und die sich jeweils darauf beziehenden Änderungen einzutragen: 1. unter Buchstabe a: die allgemeine Regelung zur Vertretung der Gesellschaft durch die Gesellschafter und die Liquidatoren, 2. unter Buchstabe b: a) die Gesellschafter, b) die als solche bezeichneten Liquidatoren. 2 Gesellschafter und Liquidatoren nach Satz 1 Nummer 2 sind jeweils mit Namen, Vornamen, Geburtsdatum und Wohnort einzutragen. Handelt es sich bei einem solchen Gesellschafter oder Liquidator um eine juristische Person oder rechtsfähige Personengesellschaft, so sind deren Firma oder Name, Rechtsform, Sitz und, soweit gesetzlich vorgesehen, Art und Ort des zuständigen Registers und Registernummer einzutragen. 3Weicht die Vertretungsbefugnis der in Spalte 3 unter Buchstabe b einzutragenden Personen von den in Spalte 3 unter Buchstabe a eingetragenen Angaben ab, so ist die besondere Vertretungsbefugnis bei den jeweiligen Personen zu vermerken. (4) In Spalte 4 des Gesellschaftsregisters sind die folgenden Angaben und die sich jeweils darauf beziehenden Änderungen einzutragen: 1. unter Buchstabe a: die Rechtsform der Gesellschaft, 2. unter Buchstabe b: a) die Auflösung, Fortsetzung und Nichtigkeit der Gesellschaft; das Erlöschen der Gesellschaft sowie Löschungen von Amts wegen; b) Statuswechsel; c) Eintragungen nach dem Umwandlungsgesetz; d) die Eröffnung, Einstellung und Aufhebung des Insolvenzverfahrens sowie die Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses; die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters unter den Voraussetzungen des § 707b Nummer 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in Verbindung mit § 32 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 des Handelsgesetzbuchs sowie die Aufhebung einer derartigen Sicherungsmaßnahme; die Anordnung der Eigenverwaltung durch den Schuldner und deren Aufhebung sowie die Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit bestimmter Rechtsgeschäfte nach § 277 der Insolvenzordnung; die Überwachung der Erfüllung eines Insolvenzplans und die Aufhebung der Überwachung.
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Verordnungsermächtigung | Rz. 2 § 707d BGB (5) In Spalte 5 des Gesellschaftsregisters sind die folgenden Angaben einzutragen: 1. unter Buchstabe a: der Tag der Eintragung, 2. unter Buchstabe b: sonstige Bemerkungen. (6) Enthält eine Eintragung im Gesellschaftsregister einen in ein öffentliches Register eingetragenen Rechtsträger, so sind im Gesellschaftsregister auch Art und Ort des Registers und die Registernummer dieses Rechtsträgers zu vermerken. § 5 Bekanntmachungen Die Bekanntmachungen erfolgen in dem für das Handelsregister bestimmten Veröffentlichungssystem (§ 10 des Handelsgesetzbuchs). Registerbekanntmachungen im Sinne des § 10 Absatz 3 des Handelsgesetzbuchs sind möglichst nach dem Muster in Anlage 5 abzufassen. [Anlagen 1–5 hier nicht wiedergegeben.] In der Fassung vom 22.12.2022 (BGBl. I 2022, 2421). I. Verordnungsermächtigung und Delegationsbefugnis (Abs. 1) . . . . . . . . . 1 II. Abrufverfahren und Kommunikationssystem (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 III. Gesellschaftsregisterverordnung . . . . . . 3 1. Entsprechende Anwendung der HRV (§ 1 GesRV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 2. Inhalt der Eintragungen in das Gesellschaftsregister (§ 2 GesRV) . . . . . . . . . . . . 7 3. Anmeldung und Eintragung (§ 3 GesRV) 8 4. Inhalt der Eintragungen in das Gesellschaftsregister (§ 4 GesRV) . . . . . . . . . . . . 12
a) § 4 Abs. 1 GesRV – lfd. Nr. der Eintragungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 4 Abs. 2 GesRV – Name, Sitz und Anschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) § 4 Abs. 3 GesRV – Vertreter und Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) § 4 Abs. 4 GesRV – Status der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) § 4 Abs. 5 GesRV – Eintragung/ Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) § 4 Abs. 6 GesRV – Verweis auf weitere Registerangaben . . . . . . . . . . . 5. Bekanntmachungen (§ 5 GesRV) . . . . . .
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Schrifttum: Noack, Die Gesellschaftsregisterverordnung, ZPG 2023, 95.
I. Verordnungsermächtigung und Delegationsbefugnis (Abs. 1) Das durch das MoPeG eingeführte Gesellschaftsregister lehnt sich in seiner Struktur an das 1 Handelsregister an, ist aber nicht mit diesem identisch. Wie das Handelsregister wird das Gesellschaftsregister durch eine Rechtsverordnung näher ausgestaltet. Vergleichbar dem § 8a Abs. 2 HGB begründet § 707d Abs. 1 BGB die Kompetenz der Landesregierungen, durch Verordnung die elektronische Führung des Registers und den Modus der Einreichung von Dokumenten und deren Aufbewahrung näher zu regeln. Die Norm steht in Konkurrenz zu § 387 Abs. 2 FamFG, der den Grundsatz des Vorrangs bundesrechtlicher Regelungen statuiert. Die Landesregierungen sind ermächtigt, nähere Bestimmungen über die elektronische Führung des Registers zu treffen, soweit der Bund keine einheitliche Regelung erlassen hat. Dabei können die Landesregierungen die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen.
II. Abrufverfahren und Kommunikationssystem (Abs. 2) Der von dem Abs. 1 zu unterscheidende § 707d Abs. 2 BGB beschäftigt sich nicht mit der 2 Führung des Registers, sondern mit dem Abrufsystem. Abs. 2 begründet die Kompetenz der Landesjustizverwaltungen (vergleichbar dem § 9 Abs. 1 HGB) zur Schaffung eines elektronischen Informations- und Kommunikationssystems zur automatisierten Abrufbarkeit der Szalai | 101
§ 707d BGB Rz. 2 | Rechtsfähige Gesellschaft Daten aus dem Gesellschaftsregister. Auch hier kann die Landesregierung die Zuständigkeit durch Rechtsverordnung abweichend regeln und auch auf die Landesjustizverwaltung übertragen. Die Norm gestattet es explizit, auch ein länderübergreifendes zentrales Abrufportal einzurichten und die Abwicklungsaufgaben auf die zuständige Stelle eines anderen Landes zu übertragen.
III. Gesellschaftsregisterverordnung 3 Von der vorgesehenen Verordnungsermächtigung hat der Gesetzgeber Gebrauch gemacht
und zum Ende des Jahres 2022 die „Verordnung über die Einrichtung und Führung des Gesellschaftsregisters und zur Änderung der Handelsregisterverordnung“ (Gesellschaftsregisterverordnung) verkündet.1
1. Entsprechende Anwendung der HRV (§ 1 GesRV) 4 Die Gesellschaftsregisterverordnung verweist weitgehend auf die Handelsregisterverordnung
und ordnet deren entsprechende Anwendung an. Hierbei ist anstelle der offenen Handelsgesellschaft die Gesellschaft bürgerlichen Rechts zu lesen, Anstelle der Firma ist der Name zu lesen und anstelle der persönlich haftenden Gesellschafter sind die Gesellschafter der Gesellschaft bürgerlichen Rechts zu lesen. 5 Die Verweisung ist als dynamische Verweisung zu verstehen, so dass Änderungen in der
HRV zu automatischen Änderungen des Gesellschaftsregisters führen können.2 Der Modus der Verweisung ist bereits für das Partnerschaftsregister etabliert und hat sich bewährt. Das gilt insbesondere, als die in Bezug genommen Normen dem betreffenden Rechtspfleger bereits bekannt sind. 6 Im Detail besteht freilich schon heute Uneinigkeit. Unstreitig sind die Normen zur Einrich-
tung des elektronisch geführten Registers (§§ 47 ff. HRV) entsprechend anwendbar, wie schon aus § 707b Nr. 2 BGB i.V.m. § 8 HGB folgt. Das bedeutet aber keinesfalls, dass jede HRV-Norm sklavisch auf die GbR Anwendung finden kann und muss. Mit Recht wird daher entgegen anderer Ansicht angenommen, dass etwa § 24 Abs. 2 HRV (Angabe zur Lage der Geschäftsräume) keine zwingende Anwendung erfährt, da die GbR nicht zwingend Geschäftsräume unterhält.3 Von der Norm bezweckt ist eine Zustellungserleichterung. Da diese Geschäftsräume nicht eingetragen und publiziert werden, kann eine Zustellungserleichterung durch die Angabe von vornherein nicht bewirkt werden.
2. Inhalt der Eintragungen in das Gesellschaftsregister (§ 2 GesRV) 7 Das Register ist ähnlich dem Handelsregister aufgebaut. Die Gesellschaften werden in Regis-
terblättern geführt. Die GesRV sieht Musterblätter vor. Der Inhalt des Registers und dessen Eintragungen sind in § 4 der GesRV geregelt.
1 Vgl. BGBl. I 2022, 2422 ff. 2 Noack, ZPG 2023, 95, 96. 3 Vgl. wie hier Noack, ZPG 2023, 95, 96; a.A. Böhringer/Melchior, NotBZ 2023, 361, 365.
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Verordnungsermächtigung | Rz. 16 § 707d BGB
3. Anmeldung und Eintragung (§ 3 GesRV) Der Inhalt der Erstanmeldung ist in § 707 BGB definiert, der an § 106 HGB angelehnt ist. 8 Die nach § 707 Abs. 2 BGB anzumeldenden Tatsachen sind gem. § 707 Abs. 1 BGB einzutragen. Nicht eingetragen und publiziert wird damit insbesondere der Gegenstand der Gesellschaft. Das ist auch nicht erforderlich. § 3 Abs. 1 GesRV ist an § 24 Abs. 4 HRV angelehnt. Er ordnet an, dass bei jeder Anmeldung 9 auch der Gesellschaftsgegenstand angegeben werden soll, sofern sich dieser nicht bereits aus dem Namen der Gesellschaft ergibt. Die Norm soll dem Registergericht u.a. die Namensprüfung der Gesellschaft mit Blick auf die firmenrechtlichen Bestimmungen der §§ 18 und 30 HGB n.F. (i.V.m. § 707b Nr. 1 BGB) erleichtern. Hierbei reicht auch nach des GesRV die Angabe des Geschäftszweigs nicht; es ist das konkrete Tätigkeitsfeld der Gesellschaft anzugeben.4 Nach § 707a Abs. 1 Satz 2 BGB sollen Gesellschaften als Gesellschafter nur eingetragen wer- 10 den, wenn diese ihrerseits im Gesellschaftsregister eingetragen sind. § 3 Abs. 2 GesRV legt klar, dass „soll“ in diesem Zusammenhang als zwingende Vorschrift zu verstehen ist. Ein Verstoß hiergegen macht die Eintragung jedoch nicht unwirksam. Sie kann insbesondere auch nicht im Nachhinein getilgt werden, weil es an der betreffenden Voreintragung fehlt. Sonderfall: Soweit zwei Gesellschaften auch „wechselseitig“ aneinander beteiligt sind, ist die 11 Voreintragung nicht möglich. In diesem Fall wird man die Norm jedenfalls dahingehend auslegen müssen, dass die gleichzeitige Eintragung genügt. In der Anmeldung ist hierauf hinzuweisen.
4. Inhalt der Eintragungen in das Gesellschaftsregister (§ 4 GesRV) Der konkrete Inhalt der Eintragungen wird von § 4 GesRV definiert. Das Registerblatt ist 12 vergleichbar dem Handelsregister gestaltet. a) § 4 Abs. 1 GesRV – lfd. Nr. der Eintragungen Die Eintragungen, die Gesellschaft betreffend, werden in aufsteigender Reihenfolge num- 13 meriert, was u.a. die Nachvollziehbarkeit der Chronologie der Eintragungen bewirkt. Die Regelung entspricht § 40 Nr. 1 HRV. b) § 4 Abs. 2 GesRV – Name, Sitz und Anschrift In Spalte 2 einzutragen sind Name, Sitz und Anschrift der Gesellschaft sowie etwa vorhande- 14 ne Zweigniederlassungen der Gesellschaft. Für letzte besteht jedoch kein Anmeldezwang (§ 707b Nr. 3 BGB). Wenn diese angemeldet werden, sind sie auch einzutragen. Mit der Eintragung führt die Gesellschaft des Rechtsformzusatz „eGbR“. Die Bestimmung 15 orientiert sich an § 40 Nr. 2 HRV. Technisch muss in der Erstanmeldung der Rechtsformzusatz noch nicht enthalten sein; dieser wird vielmehr erst mit der Eintragung angefügt (§ 4 Abs. 2 Satz 2 GesRV). In Bezug auf den Namen ist mit Blick auf § 707b Nr. 1 BGB i.V.m. § 30 HGB zu bemerken, 16 dass hier der Abgleich mit den in anderen Registern veröffentlichen Daten bzw. Firmen zu erfolgen hat. Die Vorschrift ist jedenfalls für Bestandsgesellschaften auch aus verfassungsrechtlichen Gründen liberal auszulegen (§ 707b Rz. 10 ff.). 4 BR-Drucks. 560/22, 15. Szalai | 103
§ 707d BGB Rz. 17 | Rechtsfähige Gesellschaft c) § 4 Abs. 3 GesRV – Vertreter und Gesellschafter 17 In Spalte 3 sind die allgemeine Vertretungsregelung der Gesellschafter und ggf. der Liquida-
toren einzutragen sowie die Gesellschafter und Liquidatoren selbst. Hier sind auch besondere Vertretungsbefugnisse der Gesellschafter bzw. Liquidatoren zu vermerken, soweit diese von der allgemeinen Vertretungsbefugnis abweichen. Die Norm macht hierbei nicht nur Vorgaben, welche Angaben aufzunehmen sind (wie bspw. Name, Vorname, Geburtsdatum und Wohnort des Gesellschafters), sondern auch weitergehende Vorgaben, soweit Entitäten Gesellschafter sind (s. dazu Rz. 19). 18 Nachträgliche Änderungen der Daten (bspw. Familienname infolge Eheschließung) sind
ebenfalls anmeldepflichtig, was trotz des missverständlichen Wortlauts aus dem Telos der Norm folgt.5 Die Materialien geben weitere Hinweise zum Verständnis der Norm.6 Bei der GmbH & Co KG sind nur die Firma der KG, deren Sitz und zuständiges Registergericht nebst Registernummer, nicht aber die GmbH selbst oder der Name des Geschäftsführers anzugeben. 19 Bei Entitäten, die nicht in das Handelsregister o.Ä. eingetragen sind (bspw. priv. Stiftungen,
öffentlich-rechtliche Anstalten, Körperschaften des öffentlichen Rechts, sofern sie nicht in das Handelsregister eingetragen sind), entfallen die Angaben zum zuständigen Register und zur Registernummer. Die Vor-GmbH oder Vor-AG ist noch nicht in das Handelsregister eingetragen und muss daher ohne Angabe der noch nicht vorliegenden Registerdaten in mit dem Zusatz „i.G.“ o.Ä. geführt werden. Die Registerdaten sind alsbald nach der Eintragung in das benannte Register aufgrund Anmeldung nachzutragen. d) § 4 Abs. 4 GesRV – Status der Gesellschaft 20 Der die Spalte vier regelnde § 4 Abs. 4 GesRV normiert die Eintragung von Abweichungen
in Bezug auf die dort benannten Daten. Unter Buchstabe a) findet sich wegen der besseren Erkennbarkeit nur die Rechtsform der Gesellschaft. Unter Buchstabe b) werden Änderungen der sonstigen Rechtsverhältnisse geführt. Hier ist auch der Statuswechsel (vgl. § 707c BGB) zu vermerken.7 Die Eintragungstatbestände des § 4 Abs. 4 Nr. 2 lit. a), c) und d) entsprechen denen in § 40 Nr. 5 b) (bb, dd, ee) der HRV. e) § 4 Abs. 5 GesRV – Eintragung/Bemerkungen 21 Die Norm entspricht § 40 Nr. 6 HRV. Anzugeben sind der Tag der jeweiligen Eintragung
und sonstige Bemerkungen. Erfasst sind bspw. auch die liquidationslose Beendigung der GbR nach Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters (vgl. § 712a BGB). f) § 4 Abs. 6 GesRV – Verweis auf weitere Registerangaben 22 § 4 Abs. 6 GesRV entspricht § 40 Nr. 7 HRV. Die Norm ordnet an, dass bei der Nennung
eines in ein öffentliches Register eingetragenen Rechtsträgers gleich an der jeweiligen Stelle im Gesellschaftsregister der Verweis auf die Registerstelle bei dem anderen öffentlichen Register vorzunehmen ist. Für das Partnerschaftsregister findet sich eine Parallelvorschrift in § 5 Abs. 6 PRV. 23 Durch diese Verweisung wird die Nutzerfreundlichkeit des Gesellschaftsregisters erhöht. Als
öffentliches Register sind neben dem Handelsregister, dem Genossenschaftsregister, dem 5 Vgl. auch BR-Drucks. 560/22, 18. 6 Vgl. BR-Drucks. 560/22, 18. 7 Zum registerlichen Ablauf des Statuswechsels vergleiche ausführlich BR-Drucks. 560/22, 20 ff.
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Gestaltungsfreiheit | § 708 BGB
Partnerschaftsregister und dem Vereinsregister auch entsprechende ausländische Register zu verstehen. Hierbei sind richtigerweise nicht nur solche Register eintragungsfähig bzw. verweisungsfähig, die mit einem öffentlichen Glauben versehen sind, sondern grundsätzlich auch solche, die keinen Gutglaubens- bzw. Publizitätsschutz im weiteren Sinne bewirken. Ob rein deklaratorisch geführte ausländische Register (bspw. das Company Register) in Be- 24 zug genommen werden müssen, bleibt offen. Zwar mag ein solches Register keinen Gutglaubensschutz begründen; die Norm soll aber die Zugänglichkeit zu auch solchen Registern ermöglichen. Die Regelung ist weiter bei den Eintragungen betreffend den registerrechtlichen Vollzug eines Statuswechsels zu beachten. Auch auf das neue Register wird im Ergebnis verwiesen.
5. Bekanntmachungen (§ 5 GesRV) Durch den Verweis auf das Bekanntmachungssystem des Handels-, Genossenschafts- und 25 Partnerschaftsregisters wird unnötiger Verwaltungsaufwand vermieden; die Norm nimmt Bezug auf § 707b BGB i.V.m. § 10 HGB. Diese Zusammenführung gewährleistet einen einheitlichen Zugang zu den Unternehmensdaten unabhängig von der jeweiligen Rechtsform. Das Bekanntmachungswesen für die Handels-, Genossenschafts-, Partnerschafts- und Vereinsregister gilt auch für die Eintragungen im Gesellschaftsregister. Eine separate Bekanntmachung von Eintragungen erfolgt nicht. Die Informationen werden dadurch bekannt gemacht, dass sie erstmalig zum Abruf über das Gemeinsame Registerportal der Länder bereitgestellt werden (§ 10 Abs. 1 Satz 1, § 9 Abs. 1 HGB). Registerbekanntmachungen sind Bekanntmachungen in den Fällen, in denen eine Bekannt- 26 machung zusätzlich zu einer Eintragung oder davon unabhängig erfolgen soll. Die Bekanntmachung der Eintragung und der Registerbekanntmachung erfolgt durch deren erstmalige Abrufbarkeit über das nach § 9 Abs. 1 HGB vorgesehene elektronische Informations- und Kommunikationssystem, das Gemeinsame Registerportal der Länder. Die formellen Anforderungen der Bekanntmachungen und Registerbekanntmachungen er- 27 geben sich aus der entsprechenden Anwendung der §§ 32 und 33 HRV. Das Registergericht kann – nicht muss – nach § 10 Abs. 3 HGB durch Registerbekannt- 28 machungen sonstige und zusätzliche Tatsachen bekannt machen. Das können bspw. Gläubigerinformationen in Bezug auf Umwandlungsvorgänge nach dem UmwG sein.
Rechtsverhältnis der Gesellschafter untereinander und der Gesellschafter zur Gesellschaft (§§ 708–718)
§ 708 BGB Gestaltungsfreiheit Von den Vorschriften dieses Kapitels kann durch den Gesellschaftsvertrag abgewichen werden, soweit im Gesetz nichts anderes bestimmt ist. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436).
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§ 708 BGB | Rechtsfähige Gesellschaft I. 1. 2. 3. 4.
Allgemeines Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Systematik des zweiten Kapitels . . . . . . Normzweck des § 708 BGB . . . . . . . . . . . Rechtsfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts als Personenverband . . . . 5. Rechtsbeziehungen im Personenverband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Innenverhältnis im Personenverband auf der Grundlage von Mitgliedschaft und Sozietät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsformunabhängiges Institut der Mitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Konstituierender Verbandszweck und Rechtsnatur der Personenaußengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Konstituierung des Personenverbandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verbandsrechtliche Rechtssubjektivität und Vermögensträgerschaft der Personenaußengesellschaft . . . b) Gleichartige Struktur der Mitgliedschaft; personengesellschaftsrechtlicher Grundsatz der Einheitlichkeit der Mitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Durch den Verbandszweck bestimmtes Treueverhältnis; Abhängigkeit von der Verbandsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Gestaltungsfreiheit und sachliche Rechtfertigung (Gleichbehandlungsgrundsatz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Höchstpersönlicher Charakter der Mitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Mitgliedschaftliche (Dauer-)Rechtsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) (Delikts-)Schutz der Mitgliedschaft . . h) Mitgliedsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Personengesellschaftsrechtliches Sozietätsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Normative Verankerung des Sozietätsmodells im Prinzip der Anwachsung . b) Sozietätsfundament . . . . . . . . . . . . . . . c) Sonderzuordnung von Mitgliedschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Fortwirkung des Sozietätsmodells im Prinzip der Selbstorganschaft . . . . . . . 3. Mitgliedsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gestaltbarkeit von Mitgliedsrechten . . aa) Verbandsgewalt und Gestaltbarkeit von Mitgliedsrechten . . . . . . . . . . . bb) Gleichbehandlungsgrundsatz . . . . cc) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz . . dd) Dem korporativen Prinzip zu entnehmende Minderheitenrechte . .
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b) c) d) e) f)
Gesellschafterklage (actio pro socio) . Informationsrechte . . . . . . . . . . . . . . . Notgeschäftsführung . . . . . . . . . . . . . . Gewinnbezugsrechte . . . . . . . . . . . . . . Organschaftsrechte; Geschäftsführung und Selbstorganschaft . . . . . . . . . . . . . g) Verletzung von Mitgliedsrechten . . . . h) Aufwendungsersatz . . . . . . . . . . . . . . . 4. Mitgliedspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beitragspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Art der Beitragsleistung . . . . . . . . bb) Beitrag und Beteiligungsverhältnis cc) Mehrbelastungsverbot . . . . . . . . . . b) Folgen von Pflichtverletzungen . . . . . c) Wettbewerbsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Übertragung der Mitgliedschaft . . . . . . a) Rechtsgeschäftliche Übertragung . . . . b) Gesetzliche Rechtsnachfolge . . . . . . . . c) Grenzen des Sozietätsmodells . . . . . . . d) Umwandlung eines Gesellschafters . . 6. Isolierte Übertragbarkeit und Delegation von Rechten und Pflichten . a) Verwaltungsrechte und -pflichten . . . b) Vermögensrechte und -pflichten . . . . 7. Beginn und Ende der Mitgliedschaft a) Originärer Erwerb . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abgeleiteter Erwerb . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausscheiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Gesellschaftsliquidation . . . . . . . . . . . . 8. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gestaltungsfreiheit im Innenverhältnis 1. Vorrang gesellschaftsvertraglicher Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorrang ergänzender Vertragsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Schranken der Gestaltungsfreiheit . . . . 1. Gesellschaftsrechtliche Schranken . . . . a) Zwingende Bestimmungen . . . . . . . . . b) Absolute Schranken der Gestaltungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bewegliche Schranken der Gestaltungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Privatrechtliche Schranken . . . . . . . . . . 3. Inhaltskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unmittelbare Anwendbarkeit des AGB-Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wirksamkeits- und Ausübungskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Publikumsgesellschaften . . . . . . . . . . .
55 56 59 60 65 67 69 70 71 72 73 75 76 78 80 82 83 89 90 92 93 95 97 100 101 102 103
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Gestaltungsfreiheit | Rz. 1 § 708 BGB Schrifttum: Altmeppen, Kernbereichslehre, Bestimmtheitsgrundsatz und Vertragsfreiheit in der Personengesellschaft, NJW 2015, 2065; Bachmann, Das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, NJW 2021, 3073; Bachmann, Zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG), NZG 2020, 612; Bayer, Schranken der Vertragsfreiheit, 2007; Fleischer, Zur Rechtsnatur der OHG und ihres Gesellschaftsvertrags, NZG 2021, 949; Foerster, Die Zuordnung der Mitgliedschaft, 2018; Habersack, Die Mitgliedschaft – subjektives und „sonstiges“ Recht, 1996; Habersack/Lüdeking, Die Haftung des Gesellschafters nach Aufhebung des § 708 BGB durch das MoPeG, RFamU 2022, 3; G. Roth, Verbandszweck und Gläubigerschutz, 2021; Heckschen/Bachmann, Mehrheitsklauseln bei Personengesellschaften, NZG 2015, 531; U. Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil an Personengesellschaften des Handelsrechts, 1970; Kießling, Das Gesamthandsprinzip bei Personalgesellschaften, FS Hadding, 2004, S. 477; Kindler, Die „rechtsfähige Gesellschaft“ als juristische Person – erste Befunde und Überlegungen zum Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG), ZfPW 2022, 409; Kleindiek, Mehrheitsentscheidungen in der Personengesellschaft: Formelle und materielle Legitimation, GmbHR 2017, 674; Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021; Könen, Das Zusammenspiel von Regeln und Markt im Gesellschaftsrecht – Verbandsspezifische Grenzen der Privatautonomie, in Bordiga/Wais, Inhalt und Grenzen der Privatautonomie in Deutschland und Italien, 2021; Kruse, Das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrecht (MoPeG) und seine Auswirkungen aus Praktikersicht, DStR 2021, 2412; Lutter, Theorie der Mitgliedschaft, AcP 180 (1980), 84; Priester, Grundsatzfragen des Rechts der Personengesellschaften im Spiegel der Otto-Entscheidung des BGH, DStR 2008, 1386; Risse/Höfling, Leitplankentheorie statt Bestimmtheitsgrundsatz und Kernbereichslehre, NZG 2017, 1131; Schäfer, Gibt es noch einen Schutz des Kernbereichs der Mitgliedschaft?, ZIP 2015, 1313; Wertenbruch, Gesellschaftsvertrag und Entstehung der rechtsfähigen GbR iSd § 705 Abs. 2 Var. 1 BGB nF, ZPG 2023, 1; Wertenbruch, Quorumsabänderung und zweistufige Beschlusskontrolle ohne Bestimmtheitsgrundsatz, NZG 2013, 641; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963.
I. Allgemeines 1. Überblick Ausgehend vom dogmatisch weiterentwickelten Verständnis über die Rechtsnatur der Per- 1 sonenaußengesellschaft, wonach diese in Anbetracht ihres konstituierenden Verbandszwecks als vermögenstragendes Rechtssubjekt am Rechtsverkehr teilnimmt, versteht das modernisierte Recht der Personengesellschaften die Außengesellschaft bürgerlichen Rechts als Grundform aller rechtsfähigen Personengesellschaften.1 Nur zum Zwecke des Normverständnisses wird im Rahmen der handelsrechtlichen Rechtsformen auf partielle Verweisungen verzichtet, sondern es werden zusammenhängende Normkomplexe weitestgehend im „Gleichlauf zu den §§ 705 ff. BGB“ gestaltet, ohne dass damit über weite Strecken ein abweichendes Verständnis verbunden ist.2 Im Zuge dieser regelungstechnischen Umsetzung folgt die Gesetzesbegründung den fünf Leitzielen (1.) der Konsolidierung des Rechts der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, (2.) der Modernisierung des Personengesellschaftsrechts an die Bedürfnisse von Dauergesellschaften mit der Möglichkeiten bei Vertragslücken nach dem Vorbild des § 306 Abs. 2 BGB auf das dispositive Gesetzesrecht als primäre Regelersatzordnung zurückgreifen zu können,3 (3.) der Behebung des Publizitätsdefizits der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, (4.) der Flexibilisierung der Haftungsverhältnisse von Angehörigen Freier Berufe sowie (5.) der Herstellung von Rechtssicherheit bei Beschlussmängelstreitigkeiten von Per-
1 Vgl. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 100, 105 ff.; BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 = ZIP 2001, 134. 2 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 106. 3 Vgl. dazu Könen in Leuschner, AGB-Recht, § 306 BGB Rz. 10, 43 ff.; Mäsch in Staudinger, 2019, § 306 BGB Rz. 34. Könen | 107
§ 708 BGB Rz. 1 | Rechtsfähige Gesellschaft sonenhandelsgesellschaften.4 Als wesentliche Inhalte zur Verwirklichung dieser Ziele führt die Gesetzesbegründung zuvorderst die gesetzliche Anerkennung der Rechtsfähigkeit der vermögenstragenden Personenaußengesellschaft an und stellt diese in unmittelbaren Zusammenhang mit der persönlichen Haftung ihrer Gesellschafter, bevor hervorgehoben wird, dass neben dem Parallellauf rechtsfähiger und nichtrechtsfähiger Gesellschaften bürgerlichen Rechts auf eine weitere typologische Differenzierung zu verzichten sei und an der Trennung zwischen kaufmännischer und nichtkaufmännischer Personengesellschaft festgehalten werde.5 Anlässlich des damit zugrunde gelegten Regelungsanliegens der „Vielgestaltigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts“ Rechnung tragen zu wollen, wird die „zentrale Bedeutung [der Anerkennung der Gestaltungs- und Formfreiheit des Gesellschaftsvertrages] an prominenter Stelle eigens hervorgehoben [, wodurch] sich der Entwurf in die bewährte Tradition des BGB ein[reiht], die Rechtsbeziehung auf der Grundlage der Gleichordnung zu anderen in Selbstbestimmung und Selbstverantwortung zu gestalten.“6 2 Das in Schrifttum und Rechtsprechung zuvor vollzogene und jedenfalls anhand der Regelun-
gen der § 14 Abs. 2 BGB, § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO zum Ausdruck kommende dogmatische Verständnis über die Rechtsnatur der Personenaußengesellschaft wird in der Gesetzesbegründung als „Leitbildwandel“ gekennzeichnet und anhand folgender Aspekte festgemacht: „vom vertraglichen Schuldverhältnis zum Rechtssubjekt“, „vom Sondervermögen der Gesellschafter zum Vermögen der Gesellschaft“, „von der Gelegenheits- zur Dauergesellschaft“, „von der Personen- zur Verbandskontinuität“, „vom Vertrag zur Organisation“ sowie „von der archaischen Hauserbengemeinschaft zur professionellen Erwerbsgesellschaft“.7 Im Fokus all dessen steht die Erkenntnis, dass mit der Vereinbarung eines auf die Teilnahme am Rechtsverkehr zielenden Verbandszwecks durch mindestens zwei Rechtssubjekte (Sozietätskonstruktion;8 teilweise auch Zwei-Gesellschafter-Prinzip9) die Personenaußengesellschaft als Rechtssubjekt konstituiert wird,10 dem in Anbetracht der gegen die Gesellschafter gerichteten Sozialansprüche zwingend ein eigenes Vermögen zukommt.11 Mit der Konstituierung als Verbandssubjekt geht einher, dass sich die Rechtsbeziehungen der Gesellschafter zueinander sowie zur Gesellschaft in dem in § 38 BGB rechtsformunabhängig geregelten Rechtsinstitut der Mitgliedschaft vereinigen,12 gleichzeitig wird der schuldrechtliche Gesellschaftsvertrag kraft des konstituierenden Gründungsaktes zur normativen Handlungsverfassung des Personenverbandes, mit der sich die Gesellschafter privatautonom der Kollektivherrschaft des Verbandes unterwerfen.
4 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 102 ff. 5 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 103 f.; vgl. eingehend zur Legitimationsreichweite der Einstandspflicht der Gesellschafter für Verbindlichkeiten der Personenaußengesellschaft, Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021. 6 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 104 f. (Hervorhebung durch den Verfasser); zum Bedingungszusammenhang von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung, Neuner, BGB AT, 2023, § 1 Rz. 4, § 10 Rz. 11 ff., 27 ff., § 30 Rz. 8 ff., § 32 Rz. 2 ff., 26, § 41 Rz. 8; Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 331 ff. 7 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 105 ff. 8 Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 48 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 8 I IV 2 a. 9 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 234c (Stand: 9/2021). 10 Vgl. BGH v. 11.9.2018 – II ZR 161/17, ZIP 2018, 2267, Rz. 11 = GmbHR 2019, 22. 11 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 148 f.; Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 78 ff.; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 105 HGB Rz. 266, 270; a.A. Servatius in Henssler/Strohn, 5. Aufl. 2021, § 705 BGB Rz. 8. 12 Könen in BeckOGK/BGB, § 38 BGB Rz. 4 ff. (Stand: 1.6.2022); Lutter, AcP 180 (1980), 84, 97 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2002, § 19 I 3 b.
108 | Könen
Gestaltungsfreiheit | Rz. 6 § 708 BGB
Funktion des zweiten Kapitels (§§ 708–718 BGB) zur rechtsfähigen Gesellschaft bürgerlichen 3 Rechts (Untertitel 2) ist es, diese mitgliedschaftlichen Rechtsverhältnisse unter dem Primat der Gestaltungs- und Formfreiheit des Gesellschaftsvertrages auf der Grundlage der Gleichordnung zu anderen in Selbstbestimmung und Selbstverantwortung zu konkretisieren und für den Fall von Vertragslücken als Regelersatzordnung bereit zu stehen. Gemäß § 1 Abs. 4 PartGG finden die Bestimmungen des zweiten Kapitels – vorbehaltlich abweichender Regelungen des PartGG – entsprechende Anwendung. Für die Beschlussfassung, das Wettbewerbsverbot sowie die Verzinsungspflicht verweist § 6 Abs. 3 PartGG auf § 116 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 bis Abs. 6, § 117, § 118, § 119 HGB.
2. Systematik des zweiten Kapitels Das zweite Kapitel regelt unter dem Primat der Gestaltungs- und Formfreiheit die mitglied- 4 schaftlichen Rechtsbeziehungen in der Personenaußengesellschaft. In Anbetracht der Tatsache, dass die Mitgliedschaft den Gesellschaftern gegenüber der verbandsrechtlichen Kollektivherrschaft der Gesellschaft auch unentziehbare Rechte verleiht, wie den Gleichbehandlungsgrundsatz, die Treuepflicht, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sowie die den Kernbereich der Mitgliedschaft betreffenden (Minderheiten-)Rechte, ist die Gestaltungsfreiheit durch einzelne zwingende Vorschriften beschränkt, wie die Notgeschäftsführungsbefugnis (§ 715a Satz 2 BGB), die Gesellschafterklage (§ 715b Abs. 2 BGB) und die Informationsrechte und -pflichten (§ 717 Abs. 1 Satz 3 BGB). Im Übrigen ist die zwingende Natur der Bestimmungen durch Auslegung zu ermitteln. Dies betrifft insbesondere die in der persönlichen Haftung der Gesellschafter zum Ausdruck kommende – am Merkmal des Eigennutzes zu konkretisierende Wechselwirkung von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung („Herrschaft und Haftung“). Beispielhaft führt die Gesetzesbegründung die eingeschränkte Übertragbarkeit von Gesellschafterrechten (sog. Abspaltungsverbot; § 711a BGB) sowie die Pflicht zur Anmeldung des Eintritts und Ausscheidens eines Gesellschafters bei einer eingetragenen Gesellschaft bürgerlichen Rechts (§ 707 Abs. 3 BGB) als zwingende Bestimmungen an. Die Normfolge orientiert sich an den Lebenszyklen des Verbandes sowie der damit verbun- 5 denen mitgliedschaftlichen Teilhabe. Ausgehend von dem originären Erwerb der Mitgliedschaft durch Vereinbarung des Gesellschaftsvertrages (Gestaltungsfreiheit nach § 708 BGB), den Mitgliedspflichten sowie Organschafts- und Wertrechten (Beitragspflichten, Stimmrechte und Gewinn- bzw. Verlustbeteiligung nach §§ 709 f. BGB) werden die Übertragbarkeit der Mitgliedschaft und damit verbundener Mitgliedsrechte sowie die Folgen für das Sozietätsfundament und die Vermögenszuordnung (§§ 711–713 BGB) geregelt, bevor sich Bestimmungen zur inneren Willensbildung des Personenverbandes finden (§§ 714–715b BGB). Den systematischen Abschluss des zweiten Kapitels bilden weitere Vorschriften über die mitgliedschaftlich vermittelten Rechte zum Aufwendungsersatz, zu Informationsrechten sowie zum Rechnungsabschluss und zur Gewinnverteilung (§§ 716–718 BGB).
3. Normzweck des § 708 BGB Die mit § 708 BGB geregelte Gestaltungsfreiheit – sofern nicht zwingende Bestimmungen 6 des zweiten Kapitels vorgehen – ist Ausdruck des einem verbandsrechtlichen Zusammenschluss zugrunde liegenden und privatautonom vereinbarten, den zivilrechtlichen Personenverband als solchen konstituierenden Verbandszwecks.13 Diesem liegt die Entscheidung von Rechtssubjekten zugrunde, im Rahmen eines gemeinsam geförderten Zwecks nicht individuell am Rechtsverkehr teilnehmen zu wollen, sondern kollektiv als vermögenstragende Ver13 Vgl. Lutter, AcP 180 (1980), 84, 90. Könen | 109
§ 708 BGB Rz. 6 | Rechtsfähige Gesellschaft einigung, die selbst Schuldner von Verbindlichkeiten werden soll. Aus dem Grundsatz der Privatautonomie folgt neben der Abschlussfreiheit die inhaltliche Gestaltungsfreiheit.14 Die Privatautonomie verdichtet sich insoweit zur sog. Verbandsautonomie.15 Darunter versteht man die Freiheit der Mitglieder, sich über die Vereinbarung eines gemeinsamen Verbandszwecks als am Rechtsverkehr selbständig teilnehmender Verband zusammenzuschließen und dessen Struktur sowie die inneren Verhältnisse selbst zu gestalten.16 Die privatautonome Gestaltbarkeit der Organisationsverfassung einer am Rechtsverkehr teilnehmenden Vereinigung ist prägend für die Privatrechtsordnung.17 Dabei ist der Gesellschaftsvertrag ein typisch unvollständiger Vertrag, er muss aber angesichts seiner langen Laufzeit in vielen Situationen tragfähig sein.18 Darüber hinaus handelt es sich zum Zeitpunkt der Gründung häufig um emotional geprägte Entscheidungen, so dass z.B. keine Regelungen für Gesellschafterkonflikte getroffen werden; insoweit vertrauen die Gesellschafter regelmäßig auf ergänzende gesetzliche Regelungen. Vor diesem Hintergrund sind gesetzliche Vorgaben an die Verbandsverfassung grundsätzlich dispositiv,19 weil sie für rechtsformtypische Situationen gesellschaftsvertragsergänzende Regelungen treffen, um auf diese Weise Transaktionskosten zu sparen. Aus § 45 Abs. 2 GmbHG ergibt sich, dass dies keine personengesellschaftsrechtliche Besonderheit darstellt. 7 Die Gestaltbarkeit findet ihre Grenze im Rahmen des numerus clausus der Verbandsformen,
sofern die Rechtsordnung ein Regelungsbedürfnis zum Schutz von Interessen anderer Stakeholder, wie z.B. Gläubigern oder Minderheiten, zu bewältigen hat.20 Im Rahmen des zweiten Kapitels folgen zwingende Bestimmungen etwa aus dem Umstand, dass bestimmte Mitgliedsrechte nicht der Mehrheitsherrschaft überantwortet werden können (absolut unentziehbare Mitgliedsrechte; § 708 BGB Rz. 45 f.) sowie aus der Tatsache, dass mit der Mitgliedschaft ein sich am Verbandszweck orientierendes Treueverhältnis entsteht, welches u.a. zunächst zur Gleichbehandlung verpflichtet und vor Willkür schützt (§ 708 BGB Rz. 28).21 8 Der Gesellschaftsvertrag ist in seiner Ausprägung als Organisationsverfassung nichts anderes
ist als die privatautonome Unterwerfung der Gesellschafter unter die verbandsrechtliche Mehrheitsherrschaft, indem deren Rechtsverhältnisse zueinander sowie zur Gesellschaft mit der Vereinbarung eines konstituierenden Verbandszwecks zum Rechtsinstitut der Mitgliedschaft abstrahiert und in die Verbandsorganisation eingegliedert werden.22 Daher stehen außervertraglich getroffene, den Gesellschaftsvertrag ändernde oder diesen (einmalig) durchbrechende Beschlüsse dem Gesellschaftsvertrag gleich.23
14 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 140; Kruse, DStR 2021, 2412, 2414. 15 Vgl. Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 109 HGB Rz. 1; Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 108 HGB Rz. 3. 16 Könen in Bordiga/Wais, Inhalt und Grenzen der Privatautonomie in Deutschland und Italien, 2021, S. 253, 258 ff. 17 Vgl. Tröger in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 102 ff. (Stand: 9/2022). 18 Teichmann, RNotZ 2013, 346, 350. 19 Vgl. Altmeppen, NJW 2015, 2065 ff.; Kruse, DStR 2021, 2412, 2414. 20 Vgl. Tröger in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 105 ff. (Stand: 9/2022). 21 Vgl. Lutter, AcP 180 (1980), 84, 102 ff., 110. 22 Habersack, Die Mitgliedschaft – subjektives und „sonstiges“ Recht, 1996, S. 62 ff., 98 ff.; Lutter, AcP 180 (1980), 84, 86; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 19 I 1 b; K. Schmidt, ZGR 2011, 108, 113 ff.; vgl. Altmeppen, 11. Aufl. 2023, § 14 GmbHG Rz. 13; Tröger in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 102 ff. (Stand: 9/2022); Weller/Reichert in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 14 GmbHG Rz. 61 ff. 23 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 140 f.; Roth in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 109 HGB Rz. 2.
110 | Könen
Gestaltungsfreiheit | Rz. 10 § 708 BGB
Regelungstechnisches Vorbild der gesellschaftsvertraglichen Gestaltungsfreiheit ist § 109 9 HGB a.F.24 Hintergrund der privatautonomen Gestaltbarkeit ist der Umstand, dass die Verbandsverfassung in der Personengesellschaft im Ausgangspunkt vertraglicher Natur ist (sog. Vertragsprinzip).25 Maßgebliches Charakteristikum der Personenaußengesellschaft ist das in den § 705 BGB, §§ 105, 161 HGB zum Ausdruck kommende sog. Sozietätsmodell, wonach eine Personengesellschaft für ihren (Fort-)Bestand gesellschaftsvertraglich verbundene Mitglieder benötigt.26 Kapitel zwei regelt die Rechtsverhältnisse der Gesellschafter untereinander sowie die Rechtsverhältnisse der Gesellschafter zur Gesellschaft. Damit ist das mitgliedschaftliche Innenverhältnis in Abgrenzung zu Kapitel drei (§§ 719–722 BGB) – das Außenverhältnis der Gesellschaft zu Dritten – adressiert. Innen- und Außenverhältnis sind in Anbetracht der von der Rechtsordnung zu beachtenden Interessen streng voneinander zu trennen.27 Während im Rechtsverhältnis zu Dritten insbesondere Gläubigerinteressen in den Regelungsfokus drängen, sind es im Innenverhältnis in erster Linie die Individualinteressen der Gesellschafter gegenüber dem verbandsrechtlichen Kollektivinteresse der Gesellschaft. Gemeinsam ist den beiden Verhältnissen, dass die Gesellschaft – als Folge des vollzogenen Paradigmenwechsels über die Rechtsnatur der Personenaußengesellschaft – sowohl den Dritten als auch den Gesellschaftern gegenüber als von der Rechtsordnung anerkanntes (vgl. § 14 Abs. 2, § 705 BGB) rechtsfähiges Subjekt gegenübertritt. Im Innenverhältnis besteht hingegen die Besonderheit, dass die Personenaußengesellschaft aus der gesellschaftsvertraglich vermittelten mitgliedschaftlichen Verbundenheit mindestens zweier gesellschaftsfremder Rechtssubjekte ihre verbandsrechtliche Identität erfährt. Vergegenwärtigt man sich, dass der Vereinbarung, einen gemeinsamen Gesellschaftszweck zu fördern, ein privatautonomer Entschluss zugrunde liegt, im Rahmen des Verbandszwecks die Individualinteressen der Kollektivherrschaft der Personengesellschaft zu unterwerfen, wird deutlich, dass die Gestaltungsfreiheit, soweit diese sich auf das Innenverhältnis bezieht, grundsätzlich unbeschränkt ist – ganz anders als dies gegenüber unbeteiligten Dritten der Fall ist.28 Eine Grenze findet die Gestaltbarkeit in unentziehbaren Minderheitenrechten. Ausdrücklich als zwingend benannt sind insoweit § 715a Satz 2 BGB (Notgeschäftsführungsbefugnis), § 715b Abs. 2 BGB (Gesellschafterklage) und § 717 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 2 BGB (Informationsrechte und -pflichten).29 Im Übrigen ist im Wege der Auslegung zu ermitteln, welche Bestimmungen nicht dispositiv sind. Die Regierungsbegründung verweist auf die Unübertragbarkeit einzelner Gesellschafterrechte (§ 711a BGB), dieses Abspaltungsverbot stellt einen allgemeinen verbandsrechtlichen Grundsatz dar,30 sowie die Pflicht zur Anmeldung des Eintritts und Ausscheidens eines Gesellschafters bei einer eingetragenen Gesellschaft bürgerlichen Rechts (§ 707 Abs. 3 BGB). Sieht der, auch konkludent abschließbare, Gesellschaftsvertrag über die zwingenden Erfor- 10 dernisse des gemeinsamen Zwecks – als Verband am Rechtsverkehr teilnehmen zu wollen – sowie der Beitragsleistung hinaus keine Bestimmungen vor, finden die §§ 709 ff. BGB als Regelersatzordnung subsidiäre Anwendung, sofern dem nach den §§ 133, 157 BGB zu ermittelndem Willen nicht im Wege ergänzender Vertragsauslegung zur Geltung verholfen
24 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 140 f. 25 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002 § 8 I IV 2 a; s. Habersack in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2018, § 124 HGB Rz. 2; Schäfer, Gutachten E zum 71. DJt, S. 47. 26 Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 49 ff. 27 Vgl. Roth in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 109 HGB Rz. 1. 28 Schäfer in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2018, § 109 HGB Rz. 6. 29 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 140 f. 30 A.A. Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 235a (Stand: 9/2021). Könen | 111
§ 708 BGB Rz. 10 | Rechtsfähige Gesellschaft werden kann.31 Dieses „Primat des Gesellschaftsvertrages vor dem Gesetzesrecht“ steht in Einklang mit der Regelungssystematik der §§ 305 ff. BGB.32
4. Rechtsfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts als Personenverband 11 Die Gestaltbarkeit der Rechtsverhältnisse der Gesellschafter zur Gesellschaft setzt deren
Rechtsfähigkeit als Verbandssubjekt zwingend voraus. Das in § 705 Abs. 2 Var. 1 BGB zum Ausdruck kommende Verständnis von der Personenaußengesellschaft als rechtsfähige Gesellschaft beruht auf einem in Rechtsprechung und Literatur vollzogenen Leitbildwandel über deren Rechtsnatur als rechtsfähiges Subjekt. In Anbetracht der Tatsache, dass die Personengesellschaft mit der Vereinbarung eines durch die Leistung von Beiträgen geförderten und auf die Teilnahme am Rechtsverkehr gerichteten Verbandszwecks bereits zwingend über ein von den Privatvermögen der Gesellschafter zu unterscheidendes und von der Gesellschaft getragenes insolvenzrechtsfähiges Vermögen verfügt, kann der auf der Grundlage eines Sozietätsfundaments konstituierte Personenverband unmittelbar Schuldner von Verbindlichkeiten sein. Bereits mit Einführung der Regelungen § 14 Abs. 2 BGB und § 11 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist der durch die Wissenschaft im Rahmen der sog. modernen Gruppenlehre33 vorbereitete und durch den II. Senat des BGH in der Entscheidung „ARGE Weißes Roß“34 begleitete Paradigmenwechsel auch durch den Gesetzgeber vollzogen worden.35 Mit der Rechtsfähigkeit verbunden ist die strikte Trennung der Vermögensverbindungen von Gesellschaft und Gesellschaftern, wie § 713 BGB klarstellt. In Anbetracht der Rechtsubjektivität der Personenaußengesellschaft reicht die strikte Vermögenstrennung von der Konstituierung als Personenverband bis zur Vollbeendigung der Gesellschaft im Wege der gesellschaftsrechtlichen (ggf. masselosen) oder insolvenzrechtlichen (vgl. § 199 Satz 2 InsO) Liquidation, weil die Gesellschaft erst dann aufhört, als Schuldner von Verbindlichkeiten zu existieren. Auch die persönliche Gesellschafterhaftung nach § 721 BGB vermag an diesem Umstand nichts zu ändern, weil durch diese lediglich eine zusätzliche Vermögensverbindung funktional – die Zuständigkeit der Rechte noch nicht betreffend – dem Haftungszugriff der Gesellschaftsgläubiger zugewiesen wird. 12 § 705 Abs. 2 Var. 1 BGB stellt das damit verbundene gewandelte Leitbild der Gesellschaft
bürgerlichen Rechts als eine auf eine gewisse Dauer, mit eigenen Rechten und Pflichten ausgestattete und vermögenstragende Gesellschaft normativ klar.36 Von den juristischen Personen unterscheidet sich die Personenaußengesellschaft durch ihre organisationsrechtliche Grundlage – das Sozietätsfundament, wonach sie ihre Rechtsfähigkeit aus der gesellschaftsvertraglich vermittelten Verbindung mindestens zweier – gesellschaftsfremder – Mitgliedschaften erfährt.37 Normativ kommt das Sozietätsfundament in den § 705 Abs. 1 BGB, §§ 105, 161 HGB, dem Prinzip der An- bzw. Abwachsung (§ 712 BGB), der Tatsache, dass
31 Schäfer in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2018, § 109 HGB Rz. 7. 32 Enzinger in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 109 HGB Rz. 1. 33 Grundlegend, Flume, ZHR 136 (1972), 177, 177 ff.; Flume, Die Personengesellschaft, 1977, S. 54 ff.; Schäfer in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2018, § 105 HGB Rz. 40 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002 § 8 III. 34 BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 = ZIP 2001, 330 = juris Rz. 5 ff. 35 Vgl. Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 33 ff.; Wertenbruch, ZPG 2023, 1. 36 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 105 ff., 125. 37 Vgl. zur Ausnahmekonstellation der Sonderzuordnung von Mitgliedschaften in der Hand eines Gesellschafters, sofern das Prinzip der Anwachsung aufgrund zwingender gesetzlicher Vorgaben versagt, Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 55 f.; eine juristische Person annehmend, Kindler, ZfPW 2022, 409.
112 | Könen
Gestaltungsfreiheit | Rz. 15 § 708 BGB
die Gesellschaft grundsätzlich keine eigenen Anteile an dem sie konstituierenden Fundament halten kann (§ 711 Abs. 1 Satz 2 BGB) sowie dem Umstand zum Ausdruck, dass die Gesellschaft im Falle des Austritts des vorletzten Gesellschafters aufgrund der Anwachsung des Gesellschaftsanteils des Ausscheidenden durch Konfusion des schuldrechtlichen Verhältnisses im Wege der Gesamtrechtsnachfolge erlischt (§ 712a BGB Rz. 5 f., 12; sog. „anwachsende Verschmelzung“).38
5. Rechtsbeziehungen im Personenverband Mit der Konstituierung als Verband sowie der damit verbundenen vermögenstragenden 13 Rechtssubjektivität der Personenaußengesellschaft geht einher, dass sich die ausgangs vertraglich begründeten Rechtsbeziehungen der Gesellschafter zueinander sowie die Rechtsverhältnisse der Gesellschafter zur Gesellschaft aufgrund der Doppelnatur des Gesellschaftsvertrages als Organisationsvertrag im rechtsformunabhängigen, gleichartigen Rechtsinstitut der Mitgliedschaft konzentrieren. Aus der vereinbarten Beitragsleistung sowie den Sozialansprüchen der Gesellschaft gegen die Gesellschafter folgt, dass der Personenverband unmittelbar mit seiner Konstituierung über ein eigenes, von den Privatvermögen der Gesellschafter zu unterscheidendes Vermögen verfügt,39 die Teilhabe der Gesellschafter an dem Gesellschaftsvermögen ist fortan nur noch eine mitgliedschaftlich vermittelte Wertbeteiligung; in dinglicher Hinsicht vollzieht sich eine vollständige Trennung. „Die Personengesellschaft wird nicht mehr von der gesamthänderischen Vermögenspartizipation aller Gesellschafter, sondern von dem Sozietätsverhältnis und von den Mitgliedern her gedacht“.40
II. Innenverhältnis im Personenverband auf der Grundlage von Mitgliedschaft und Sozietät Notwendige Annahmen für die Rechtsfähigkeit der Personenaußengesellschaft sind zum ei- 14 nen, dass sich die Rechte und Pflichten im gesellschaftlichen Innenverhältnis auf die Mitgliedschaft im Personenverband konzentrieren, und zum anderen, dass mit der Verbindung mehrerer Mitgliedschaften ein Sozietätsfundament gebildet wird. Dabei ist die Mitgliedschaft rechtsformunabhängig zu betrachten, das Sozietätsfundament hingegen eine Besonderheit der Personenverbände.
1. Rechtsformunabhängiges Institut der Mitgliedschaft Die Mitgliedschaft bezeichnet die Rechtsstellung einer Person aufgrund ihrer konstitutiven 15 Zugehörigkeit zu einem Verband.41 Aus der mitgliedschaftlichen Teilhabe am Verband re38 Henssler, § 1 HGB Rz. 41; Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 48 ff.; Schäfer in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2018, § 105 HGB Rz. 57, Vor § 105 HGB Rz. 21; s. bereits BGH v. 10.5.1978 – VIII ZR 32/77, BGHZ 71, 296. Die Rechtsfigur der Konfusion ergibt sich aus § 241 Abs. 1 Satz 1 BGB, indem dieser zwei Personen für das Bestehen eines Schuldverhältnisses im engeren Sinne erfordert. Vgl. Bary, AcP 220 (2020), 343, 355 f.; Schäfer in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2018, § 105 HGB Rz. 57; Kruth, NZI 2011, 844, 845 ff.; anders noch zum Zusammenfallen von Leistensollen und Bekommensollen, Gierke in FS v. Martitz, 1911, S. 41. 39 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 148 f.; Bachmann, NJW 2021, 3073, 3075; Wertenbruch, ZPG 2023, 1, 2 ff. 40 K. Schmidt, ZIP 2014, 493, 495. 41 Ellenberger in Grüneberg, 81. Aufl. 2022, § 38 BGB Rz. 1; Habersack, Die Mitgliedschaft – subjektives und „sonstiges“ Recht, 1996, S. 62 ff., 98 ff.; Lutter, AcP 180 (1980), 84, 86. Könen | 113
§ 708 BGB Rz. 15 | Rechtsfähige Gesellschaft sultieren sowohl das mitgliedschaftliche Rechtsverhältnis als Dauerrechtsbeziehung zum Verband sowie dessen Mitgliedern als auch subjektivrechtliche Positionen des einzelnen Mitglieds.42 Dabei stehen die Rechte und Pflichten nicht in einem Synallagma, so dass die §§ 320 ff. BGB keine Anwendung finden.43 Vor dem Hintergrund dieser Rechtsgesamtheit ist die Mitgliedschaft als solche ein in sich geschlossenes verbandsrechtliches Rechtsinstitut.44 Sie ist sowohl Grundlage mitgliedschaftlicher Rechtsverhältnisse als auch daraus erwachsender, dem Mitglied zustehender subjektiver Rechte sowie mitunter Objekt von Rechtsgeschäften (vgl. § 15 GmbHG, § 68 AktG). Darüber hinaus ist die Mitgliedschaft ein sonstiges Recht i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB.45 a) Konstituierender Verbandszweck und Rechtsnatur der Personenaußengesellschaft 16 Die Mitgliedschaft entsteht originär in dem Moment, in dem das Verbandssubjekt als sol-
ches durch die Vereinbarung eines Verbandszwecks konstituiert wird. Dies beruht auf dem Umstand, dass die Mitglieder mit der Vereinbarung, als Kollektiv – in einer von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellten Rechtsform – am Rechtsverkehr teilnehmen zu wollen, zum Ausdruck bringen, dass nicht sie als Individuum mit ihrem Privatvermögen verpflichtet werden wollen, sondern sie in ihrer Gesamtheit als Vereinigung. Der als Schuldvertrag zustande gekommene Gesellschaftsvertrag – entsprechendes gilt für die Satzung – wird dabei kraft des konstituierenden Gründungsaktes zur normativen Handlungsverfassung des Verbandes, mit der sich die Gründer privatautonom der Kollektivherrschaft des Verbandes unterwerfen.46 aa) Konstituierung des Personenverbandes 17 Die Konstituierung des Personenverbandes setzt die Vereinbarung eines gemeinsamen Ver-
bandszwecks – gerichtet auf die Teilnahme am Rechtsverkehr (vgl. § 705 Abs. 2, § 719 BGB) – sowie entsprechender Förderpflichten voraus (§ 705 Abs. 1 BGB).47 Die Regelung des § 719 BGB zeigt (vgl. auch § 123 HGB a.F.), dass es für die Entstehung der Gesellschaft nicht auf einen tatsächlichen Auftritt im Rechtsverkehr ankommt, mit diesem ist die Gesellschaft lediglich spätestens als vermögenstragendes Rechtssubjekt in Erscheinung getreten.48 Dieser Zeitpunkt wird notwendig vorverlagert, wenn die Gesellschafter mit der Eintragung in das Gesellschaftsregister ihren entsprechenden Willen nach außen getragen haben.49 Umgekehrt bedeutet dies, dass die Entstehung der Gesellschaft als Rechtssubjekt bis zu ihrem Auftritt im
42 Könen in BeckOGK/BGB, Stand: 1.6.2022, § 38 BGB Rz. 4 ff., 30 ff.; vgl. Tröger in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 151 ff. (Stand: 6/2019). 43 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 125; RG v. 29.4.1920, RGZ 100, 1, 3; Schwennicke in Staudinger, 2019, § 38 BGB Rz. 9; Wertenbruch, ZPG 2023, 1, 3 f.; abweichend zu § 326 Abs. 1 BGB bei einer pandemiebedingten Schließung eines Fitnessstudios, AG Hamburg v. 11.6.2021, BeckRS 2021, 29491. 44 Könen in BeckOGK/BGB, Stand: 1.6.2022, § 38 BGB Rz. 5 f.; vgl. Tröger in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 151 ff. (Stand: 6/2019). 45 BGH v. 12.3.1990 – II ZR 179/89, BGHZ 110, 323 = NJW 1990, 2877, 2878; Lutter, AcP 180 (1980), 84, 130; Könen in BeckOGK/BGB, Stand: 1.6.2022, § 38 BGB Rz. 33 ff., 38; K. Schmidt, JZ 1991, 157, 159 f = ZIP 1990, 1067; Tröger in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 156 (Stand: 6/2019). 46 Vgl. Lutter, AcP 180 (1980), 84, 102 ff., 110; Fleischer, NZG 2021, 949, 950 ff. 47 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 100 f., 125 f., 186; Bergmann in jurisPK/BGB, Stand: 1.2.2020, § 705 BGB Rz. 1, 30. 48 Vgl. BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 (ARGE Weißes Roß) = NJW 2001, 1056 = ZIP 2001, 330; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 123 HGB Rz. 6. 49 Vgl. RG v. 25.5.1938 – II 165/37, RGZ 157, 369, 372; Bachmann, NJW 2021, 3073, 3075; K. Schmidt/ Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 123 HGB Rz. 6.
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Gestaltungsfreiheit | Rz. 21 § 708 BGB
Rechtsverkehr von dem übereinstimmenden Willen der Gründungsgesellschafter abhängig ist (vgl. § 705 Abs. 2 BGB: „nach dem gemeinsamen Willen der Gesellschafter am Rechtsverkehr teilnehmen soll“). In diesem Vorstadium ist es dementsprechend maßgeblich, ob die vereinbarte Zweckförderung bereits auf die Teilnahme am Rechtsverkehr gerichtet ist oder ob diese sich zunächst nur auf den Gründungsvorgang beschränkt.50 bb) Verbandsrechtliche Rechtssubjektivität und Vermögensträgerschaft der Personenaußengesellschaft Notwendige Voraussetzung der Rechtsfähigkeit einer Personenmehrheit ist der Umstand, 18 dass diese über ein eigenes Vermögen verfügt, weil Schuldner eines Schuldverhältnisses im engeren Sinne lediglich ein einziges Rechtssubjekt mit dem ihm zugewiesenen Schuldnervermögen sein kann.51 Ohne ein Vermögen, welches im Rahmen von Verbindlichkeiten einem Haftungszugriff unterworfen werden kann, ist eine Vereinigung nicht verkehrsfähig.52 Umgekehrt ist die reine Innen-GbR nicht vermögensfähig. Mit der Vereinbarung eines gemeinsamen Gesellschaftszwecks, der über eine bloße Innenge- 19 sellschaft hinausgeht, findet eine Verselbstständigung des Verbandsvermögens in der Hand des durch den Verbandszweck konstituierten Rechtssubjekts statt.53 Das Gesellschaftsvermögen kommt jedenfalls in Gestalt der mit dem Gesellschaftsvertrag zwischen den Gesellschaftern vereinbarten Beitragsleistungen mit der Konstituierung des Verbandes zur Entstehung, indem diese der Gesellschaft als Sozialansprüche zugeordnet werden, ohne dass es eines besonderen Einbringungsaktes der Gesellschafter bedürfte.54 b) Gleichartige Struktur der Mitgliedschaft; personengesellschaftsrechtlicher Grundsatz der Einheitlichkeit der Mitgliedschaft Mit der Teilhabe an dem originären Gründungsvorgang wird zugleich die Mitgliedschaft kon- 20 stituiert. Dadurch, dass alle privatrechtlichen Verbände die Vereinbarung eines gemeinsamen Verbandszwecks zum konstituierenden Verbandselement haben, weist auch die Mitgliedschaft unabhängig von der vereinbarten Verfassung eine gleichartige Struktur auf. Es ist diese mitgliedschaftliche Verfassung, die privatrechtliche Verbände von kooperativen Schuldverhältnissen unterscheidet. Dieses Verständnis der Mitgliedschaft steht in engem Verhältnis zu den Fragen des abgeleiteten Erwerbs sowie des späteren Beitritts zur Gesellschaft. Die Mitgliedschaft ist im Ausgangspunkt bei allen verbandsrechtlich verfassten Vereinigun- 21 gen gleichartig.55 Bei personenidentischer Umwandlung des Verbandes bleibt die Mitgliedschaft im Grunde unverändert. Dies beruht nach heutigem monistischem Verständnis auf der zutreffenden Annahme, dass der Verband als solcher rechtsformunabhängig durch die Vereinbarung eines gemeinsamen Zwecks der Mitglieder konstituiert wird.56 Deutlich wird 50 Vgl. Tröger in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 163c (Stand: 6/ 2019); Bachmann, NJW 2021, 3073, 3075. 51 Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 78 ff., 148 ff. 52 Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 80, 186 ff. 53 Vgl. Schäfer in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2018, § 105 HGB Rz. 20, 266; s. aber bereits, Affolter, ArchBürgR (1891), 1, 7, 9. 54 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 148 f.; Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 42; Schäfer in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2018, § 105 HGB Rz. 266, 270. 55 Könen in BeckOGK/BGB, Stand: 1.6.2022, § 38 BGB Rz. 7 ff.; Schäfer in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2018, § 105 HGB Rz. 41, 204 ff.; vgl. Foerster, Die Zuordnung der Mitgliedschaft, 2018, S. 43 ff. 56 Lutter, AcP 180 (1980), 84, 90; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 19 I 2; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Band 1, 1980, S. 431 ff.; abweichend Flume, BGB AT I 2, 1983, Die Juristische Person, § 8 I. Könen | 115
§ 708 BGB Rz. 21 | Rechtsfähige Gesellschaft dies bereits daran, dass die Mitgliedschaft in § 38 BGB für alle Verbandsformen ihre gesetzliche Grundlage hat. Auch die grundlegenden Rechte und Pflichten unterscheiden sich nicht. Es ist mithin unbeachtlich, ob der Verband auf vertraglicher, personalistischer Grundlage gegliedert ist oder eine satzungsmäßige, körperschaftliche Struktur aufweist.57 Nach dem in der Vergangenheit verbreitet vertretenen dualistischen Mitgliedschaftsbegriff58 entfaltete die Mitgliedschaft lediglich gegenüber dem Verband als solchen Rücksichtnahmepflichten, nicht indes gegenüber den anderen Verbandsmitgliedern.59 Der dualistische Mitgliedschaftsbegriff leuchtet vor dem Hintergrund ein, dass sich die Rechtssubjektivität der Gesamthand erst im Laufe des 20. Jahrhunderts durchgesetzt hat (vgl. § 14 Abs. 2 BGB). Wenn man mit der traditionellen Gesamthandslehre davon ausgeht, dass Träger des Gesellschaftsvermögens nicht die Gruppe als Rechtssubjekt ist (so aber die Auffassung der modernen Gruppenlehre), sondern Sondervermögen der Gesamthänder, so ist es nachvollziehbar, die Beziehungen der Verbandsmitglieder bei Personengesellschaften und Körperschaften auf eine unterschiedliche Grundlage zu stellen.60 22 Rechtsformspezifisch sieht die Rechtsordnung unterschiedliche Anforderungen an Rechte
und Pflichten der Mitglieder vor. Am deutlichsten wird dies anhand des den §§ 21, 22, 54 BGB zugrunde liegenden Systems von Normativbestimmungen. In der Unterscheidung zwischen wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Vereinen sowie der damit verbundenen Rechtsformkontrolle durch die Registergerichte kommt etwa zum Ausdruck, dass Gewinnbezugs- und Entnahmerechte nur bei bestimmten Rechtsformen vereinbart werden können. Der Umstand, dass ein Idealverein rechtsformwahrend nur dann von einer institutionalisierten Haftungsbeschränkung profitiert, wenn der Vereinszweck nicht strukturell auf eine Gewinnausschüttung gerichtet ist,61 ist aber nicht auf eine besondere Ausgestaltung der Mitgliedschaft gerichtet, sondern betrifft die berechtigten Gläubigerinteressen im Außenverhältnis. Auch wenn sich die Gewinnausschüttung ausschließlich nach den mitgliedschaftlichen Rechten aus dem Innenverhältnis beurteilt, ist deren rechtsformspezifische (Un-)Zulässigkeit eine Frage der verbandsrechtlichen Haftungsverfassung, mithin eine außenrechtliche. So bestimmt sich etwa die Reichweite des § 721 BGB danach, inwiefern die berechtigten Gläubigerinteressen für ein eigennütziges selbstbestimmtes Gesellschafterverhalten – wie es etwa in der gewinnorientierten Einflussnahme auf die Gesellschaft zum Ausdruck kommt – eine selbstverantwortliche Einstandspflicht im Wege persönlicher Gesellschafterhaftung gebieten (Herrschaft und Haftung). Umgekehrt kann die Rechtsordnung auf eine persönliche Mitgliedshaftung verzichten, wenn mangels Gewinnausschüttung opportunistisches Mitgliederverhalten nicht zu befürchten ist. Soweit es aber um organschaftliche Mitgliedsrechte geht, lassen sich diese rechtsformunabhängig grundsätzlich auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Gleichwohl variiert die Ausgestaltung der wesensgleichen Rechte nach der konkreten Rechtsform.62
57 Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 42. 58 Vgl. U. Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil an Personengesellschaften des Handelsrechts, 1970, S. 28. 59 Zur Treuepflicht von Aktionären untereinander, BGH v. 1.2.1988 – II ZR 75/87, BGHZ 103, 184 (Linotype) = NJW 1988, 1579 m. Anm. Timm = ZIP 1988, 301; BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136 (Girmes) = NJW 1995, 1739 m. Anm. Altmeppen = ZIP 1995, 819. 60 Zur „Abschaffung“ der rechtsfähigen Gesamthand, Bachmann, NZG 2020, 612; einschränkend, Wertenbruch, ZPG 2023, 1, 7 ff. 61 BGH v. 16.5.2017 – II ZB 7/16, BGHZ 215, 69 = NJW 2017, 1943 Rz. 19 = ZIP 2017, 1021; BGH v. 11.9.2018 – II ZB 11/17, NZG 2018, 1392, 1393 = ZIP 2018, 2165; OLG Stuttgart v. 11.1.2022 – 8 W 233/21, NZG 2022, 1017; dies verkennend, OLG Celle v. 6.10.2021 – 9 W 99/21, ZIP 2021, 2485 (Rechtsmittel nicht zugelassen, Verfassungsbeschwerde anhängig), Könen in BeckOGK/BGB, Stand: 1.9.2022, § 43 BGB Rz. 10 ff. 62 Lutter, AcP 180 (1980), 84, 102 ff.
116 | Könen
Gestaltungsfreiheit | Rz. 25 § 708 BGB
Der personengesellschaftsrechtliche Grundsatz der „Einheitlichkeit der Mitgliedschaft“63 23 (negativ formuliert: „Unzulässigkeit von Mehrmitgliedschaftsrechten“) trifft keine Aussage über die Struktur der Mitgliedschaft, er ist vielmehr dahingehend zu verstehen, dass im Personengesellschaftsrecht bei Personenidentität nach überwiegender Auffassung grundsätzlich keine formale Trennung der mitgliedschaftlichen Rechte in verschiedene Anteile fortgeführt werden könne. Dies beruht aber weniger auf einem strukturellen Unterschied der personengesellschaftsrechtlichen Mitgliedschaft, als auf der gegenüber § 5 Abs. 2 Satz 2 GmbHG, § 15 Abs. 2 GmbHG, §§ 8, 23 Abs. 2 Nr. 2 AktG abweichenden gesetzlichen Regelung des § 712 Abs. 1 BGB, der eine Anwachsung der Anteile anordnet (§ 712 Rz. 5 ff.).64 c) Durch den Verbandszweck bestimmtes Treueverhältnis; Abhängigkeit von der Verbandsstruktur Nach der Lehre von der einheitlichen, rechtsformunabhängigen Struktur der Mitgliedschaft 24 ist von der grundsätzlichen Gleichartigkeit des Rechtsinstituts der Mitgliedschaft auszugehen. Daher ist der Bestand der Mitgliedschaft unabhängig davon, ob neue mitgliedschaftliche Rechte bzw. Pflichten dazu erworben oder ob seitens des Verbandes Rechtsbeziehungen zu neuen Mitgliedern begründet werden. Insbesondere hat die Verbandsorganisation keine Auswirkungen auf das Bestehen bzw. Nichtbestehen von Rechtsverhältnissen zwischen dem Mitglied und der Gesellschaft bzw. den anderen Mitgliedern. Diese Rechtsverhältnisse bestehen konstruktiv vielmehr in allen privatrechtlichen Vereinigungsformen bereits kraft privatautonomen Handelns der Gründer. Auch bei personenidentischer Umwandlung des Verbandes bleibt die Mitgliedschaft im Grundsatz unverändert. Lediglich das Maß der Binnenloyalität in Form der Treuepflicht hängt von der realen Verbandsstruktur ab.65 Der monistische Mitgliedschaftsbegriff hat insbesondere Auswirkungen auf die Stoßrichtung 25 der mitgliedschaftlichen Treuepflicht.66 Die sich aus der Mitgliedschaft ergebende Treuepflicht des Mitglieds gilt sowohl gegenüber dem Verband als auch gegenüber den übrigen Mitgliedern.67 Die Existenz von derartigen horizontalen Rücksichtnahmepflichten wurde ursprünglich für das Personengesellschaftsrecht entwickelt und später auf das allgemeine Verbandsrecht ausgedehnt. Die Annahme von Treuepflichten zwischen den einzelnen Mitgliedern – auch für die Verfassung von Körperschaften – liegt in der Konsequenz des monistischen Mitgliedschaftsverständnisses. In der verbandsrechtlich einheitlich zu behandelnden Mitgliedschaft verdichtet sich der Grundsatz von Treu und Glauben zur gesellschaftsvertraglich – bzw. satzungsmäßig – angeknüpften Binnenpflicht im Sinne einer gesteigerten Treuepflicht.68 In dieser kommt das Nebeneinander von Privatautonomie und Pflichtenbindung zum Ausdruck. Die gesteigerten Treuepflichten dienen der gemeinsamen Förderung des konkreten Verbandszwecks. Insoweit beruht die verbandsrechtliche Treuepflicht in der Personengesellschaft auf einem doppelten Ansatz, bestehend aus der gemeinsamen Zweckför63 Vgl. Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 287; vgl. Tröger in Westermann/ Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 152 (Stand: 6/2019). 64 Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 44 ff. 65 Vgl. Tröger in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 157 ff. (Stand: 6/2019); zur oHG, A. Hueck in FS Hübner, 1935, S. 78 ff. 66 Vgl. Merkt, ZfPW 2018, 300, 310 ff.; Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 108 HGB Rz. 20 ff.; K. Schmidt, ZGR 2011, 108, 117; Schwennicke in Staudinger, 2019, § 38 BGB Rz. 54 ff.; Tröger in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 157 ff. (Stand: 6/2019); Weller in Liber amicorum Winter, 2011, S. 755. 67 BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136 = NJW 1995, 1739 = GmbHR 1995, 665; BGH v. 1.2.1988 – II ZR 75/87, BGHZ 103, 184 = NJW 1988, 1579 = ZIP 1988, 301; vgl. Tröger in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 151 ff. (Stand: 6/2019). 68 Lutter, AcP 180 (1980), 84, 103 f.; Tröger in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 157 ff. (Stand: 6/2019); Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Band 1, 1980, § 2 I 1, § 8 II 3. Könen | 117
§ 708 BGB Rz. 25 | Rechtsfähige Gesellschaft derungspflicht nach § 705 BGB sowie dem aus § 242 BGB resultierenden Rücksichtnahmegebot bzw. Schädigungsverbot.69 d) Gestaltungsfreiheit und sachliche Rechtfertigung (Gleichbehandlungsgrundsatz) 26 Die in § 708 BGB zum Ausdruck kommende Gestaltungsfreiheit kollidiert regelmäßig mit
dem zentralen Mitgliedsrecht des Gleichbehandlungsgrundsatzes und muss mit diesem in praktische Konkordanz gebracht werden. Der Gleichbehandlungsgrundsatz vermittelt dem einzelnen Mitglied einen Anspruch gegenüber der Verbandsherrschaft, nicht gegen seinen privatautonomen Willen willkürlich, ohne sachlichen Grund benachteiligt zu werden.70 Der Gleichbehandlungsgrundsatz stellt einen allgemeinen Grundsatz des Verbandsrechts dar und kommt für die AG klarstellend in § 53a AktG zum Ausdruck. Hintergrund dieser ausdrücklichen Regelung ist die diesbezügliche Harmonisierungsvorgabe in Art. 85 GesRRL (EU) 2017/1132. Die Gleichbehandlungserwartung der Gesellschafter hat nach vorzugswürdigem Verständnis ihre Grundlage in der Mitgliedschaft selbst sowie der daraus erwachsenen Treuepflicht.71 So ist es das auf der Mitgliedschaft beruhende Vertrauen auf gegenseitige Rücksichtnahme, welches es im Ausgangspunkt rechtfertigt, auch darauf vertrauen zu dürfen, nicht unsachgemäß gegenüber anderen Mitgliedern benachteiligt zu werden. 27 Zwar ist der Gleichbehandlungsgrundsatz immanenter Bestandteil der mitgliedschaftlichen
Rechte, so dass die Gesellschafter im Ausgangspunkt die gleichen Rechte haben, aufgrund der Verbandsautonomie steht es den Gesellschaftern aber frei, im Gesellschaftsvertrag Differenzierungen der Mitgliedsrechte vorzusehen. Hintergrund ist der Umstand, dass sich die benachteiligten Gesellschafter mit der Unterwerfung unter den Gesellschaftsvertrag eigenverantwortlich der Schlechterstellung unterwerfen. Insofern ist der Gleichbehandlungsgrundsatz dispositiv. 28 In Anbetracht der Tatsache, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz – jedenfalls in seiner Aus-
prägung als Willkürverbot72 – einen unentziehbaren Kern der Mitgliedschaft darstellt, ist fraglich, inwiefern Differenzierungen der Gesellschafterrechte sachlich zu rechtfertigen sind. Jedenfalls gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz als rechtsformunabhängiger Auslegungsgrundsatz des Verbandsrechts dergestalt, dass man innerhalb von Gemeinschaften unter Anknüpfung an § 242 BGB im Zweifel – vorbehaltlich abweichender Bestimmungen im Gesellschaftsvertrag – von einem Willen zur Vermeidung unsachlicher Differenzierungen ausgehen darf. Eine derartige Zweifelsregelung ist sachgerecht, weil sie die der Mitgliedschaft entspringenden Rücksichtnahmepflichten zutreffend abbildet und der Dispositivität des Gleichbehandlungsgrundsatzes Rechnung trägt.
29 Die vollständige Abdingbarkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes wird indes nicht dem
Charakter der Mitgliedschaft als Schutzrecht gerecht.73 Daher ist es unerlässlich, dem Gleichheitsgrundsatz für jede Verbandsart jedenfalls ein an die Mitgliedschaft anknüpfendes, unentziehbares Willkürverbot zu entnehmen. Dieses Willkürverbot ist an „objektiv-sachlichen Maßstäben nach Maßgabe des zu beurteilenden Rechtsverhältnisses zu […] messen“.74 Als 69 Vgl. Schwennicke in Staudinger, 2019, § 38 BGB Rz. 54 ff. 70 BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 = GmbHR 1992, 257; BGH v. 10.1.2017 – II ZR 10/15, ZIP 2017, 566; vgl. Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 108 HGB Rz. 18. 71 Könen in BeckOGK/BGB, Stand: 1.6.2022, § 38 BGB Rz. 116 ff. 72 Vgl. Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 108 HGB Rz. 18. 73 Vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 16 II b ee; Tröger in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 151a (Stand: 6/2019). 74 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 16 II b ee mit Verweis auf BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 373 = NJW 1992, 892, 895 f. = ZIP 1992, 237.
118 | Könen
Gestaltungsfreiheit | Rz. 32 § 708 BGB
objektiv-sachlicher Maßstab in diesem Sinne ist der Verbandszweck heranzuziehen, den die Mitglieder entweder originär vereinbart haben oder dem sie sich durch den späteren Beitritt privatautonom unterworfen haben. Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist vor diesem Hintergrund einerseits als Auslegungsmaßstab heranzuziehen, andererseits dient er insoweit als Schranke der Kollektivherrschaft über die Verbandsverfassung, als dass er ein Gebot anordnet, Ungleichbehandlungen unter Rückbezug auf den Verbandszweck einer sachlichen Rechtfertigung zu unterziehen. e) Höchstpersönlicher Charakter der Mitgliedschaft Klarstellend regelt § 711 Abs. 1 BGB den in den §§ 38, 40 BGB verankerten Grundsatz der 30 Höchstpersönlichkeit der Mitgliedschaft.75 Der personenrechtliche Einschlag führt zwar dazu, dass die Mitgliedschaft grundsätzlich nicht übertragbar ist. Etwas anders kann aber sodann im Rahmen des Gesellschaftsvertrages oder im Rahmen eines Beschlusses vereinbart werden. Die Mitgliedschaft kann sowohl veräußerlich als auch vererblich gestellt werden. Ganz unabhängig vom Grundsatz der Selbstorganschaft76 kommt daher auch eine Ausübung 31 von Mitgliedsrechten durch Dritte grundsätzlich nicht in Betracht. Aus dem höchstpersönlichen Charakter der Mitgliedschaft folgt, dass die Ausübung von Mitgliedsrechten dem Gesellschafter grundsätzlich selbst vorbehalten ist. Sofern Minderjährige in der Stellung eines Gesellschafters sind, ist grundsätzlich eine Vertretung durch den gesetzlichen Vertreter erforderlich und nach den Umständen auch zulässig. Abweichungen von der Höchstpersönlichkeit können sich sowohl aus dem Gesellschaftszweck als auch aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben. Aus dem sog. Abspaltungsverbot des § 711a BGB folgt aber, dass eine Übertragung von Organschafts- und Schutzrechten ausgeschlossen ist, wie diese – anders als vermögenswerte Aufwendungsersatzansprüche, entstandene Gewinn- sowie Auseinandersetzungsansprüche – untrennbar mit der Mitgliedschaft verbunden sind.77 Fraglich ist, inwiefern diese Wertung auf die schlichte Ausübung übertragen werden kann. Eine Übertragung von einzelnen Mitgliedschaftsrechten kommt insbesondere deswegen nicht in Betracht, weil bestimmte Mitgliedsrechte nur deswegen gewährt werden, weil sie als Ausgleichsfaktor für durch das Mitglied hinzunehmende Rechtsnachteile fungieren, etwa die persönliche Gesellschafterhaftung aus § 721 BGB. Soweit eine Fremdausübung dazu führt, dass die Folgen nicht mehr das verbandsunterworfene Mitglied treffen, ist eine Delegation der Wahrnehmung abzulehnen. Gegebenenfalls ist dies durch die Einräumung eines Widerrufs- bzw. Rückholrechts zu gewährleisten, weil auf diese Weise die mitgliedschaftliche Bindung wiederhergestellt werden kann.78 f) Mitgliedschaftliche (Dauer-)Rechtsverhältnisse Aus der mitgliedschaftlichen Teilhabe am Verband resultieren sowohl das mitgliedschaftliche 32 Rechtsverhältnis als Dauerrechtsbeziehung zum Verband sowie dessen Mitgliedern als auch
75 Vgl. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 163; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 719 Rz. 27. 76 Vgl. Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 108 HGB Rz. 11; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 234 ff. (Stand: 9/2021). 77 Vgl. Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 235a f. (Stand: 9/2021). 78 Vgl. BGH v. 15.12.1969 – II ZR 69/67, NJW 1970, 468; BGH v. 10.11.1951 – II ZR 111/50, BGHZ 3, 354. Könen | 119
§ 708 BGB Rz. 32 | Rechtsfähige Gesellschaft subjektivrechtliche Positionen des einzelnen Mitglieds.79 Dabei stehen die Rechte und Pflichten nicht in einem Synallagma, so dass die §§ 320 ff. BGB keine Anwendung finden.80 Im Übrigen finden schuldrechtliche Bestimmungen Anwendung (z.B. § 273 BGB), sofern nicht – wie in § 310 Abs. 4 BGB – gesellschaftsrechtliche Verträge ausgenommen sind. Von einem Deliktsschutz der Mitgliedschaft als solche zu unterscheiden ist der schuldrechtliche Schutz einzelner Mitgliedsrechte. Da zwischen dem Mitglied und der Gesellschaft mit der Mitgliedschaft eine gesellschaftsrechtliche Sonderrechtsbeziehung besteht, sind die Vorschriften über Dauerrechtsverhältnisse entsprechend anzuwenden. Dementsprechend begründet die Verletzung von Mitgliedsrechten durch die Gesellschaft – vermittelt durch seine Organe bzw. Repräsentanten – gem. § 31 i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB eine schuldrechtliche Schadensersatzpflicht der Gesellschaft. Nur sofern der handelnde Repräsentant selbst Gesellschafter ist, kann diesem gegenüber ein eigener schuldrechtlicher Ersatzanspruch begründet werden. Handelt es sich bei dem handelnden Repräsentanten nicht um ein Mitglied der Gesellschaft (z.B. ein Generalbevollmächtigter oder der Fremd-Geschäftsleiter einer Gesellschafter-Gesellschaft), besteht die Gefahr einer Haftungslücke, so dass ein Ersatzanspruch wegen der Verletzung der Mitgliedschaft als absolutem Recht i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB in Betracht gezogen werden kann. g) (Delikts-)Schutz der Mitgliedschaft 33 Vor dem Hintergrund, dass der Mitgliedschaft gegenüber dem Verband, den Mitgesellschaf-
tern sowie gegenüber Dritten ein Zuweisungsgehalt sowie eine Ausschließungsfunktion zukommt, handelt es sich bei der Mitgliedschaft um ein sonstiges absolutes Recht i.S.v. § 823 Abs. 1, § 1004 BGB.81 Rechtswidrige Angriffe auf spezifisch mitgliedschaftliche Rechte können daher Schadensersatz-, Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche auslösen; ebenso kommt ein Feststellungsinteresse hinsichtlich einzelner Berechtigungen und Verpflichtungen in Betracht.82 Problematisch erscheint der deliktische Schutz der Mitgliedschaft nur dann, wenn dieser sich gegen gesellschaftsfremde Repräsentanten der Gesellschaft richtet. Dann drohte der deliktische Schutz der Mitgliedschaft sich zu einem Ersatz-Aufsichtsrecht der Gesellschaftsrepräsentanten zu verselbständigen, obwohl diese nach der rechtsgeschäftlichen Konstruktion eigentlich nur dem Verband gegenüber verpflichtet sind.83 h) Mitgliedsfähigkeit 34 Mitgliedsfähig ist, wer rechtsfähig ist. Damit sind all diejenigen Rechtssubjekte erfasst, de-
nen die Rechtsordnung die Fähigkeit zuerkennt Träger von Rechten und Pflichten sein zu können und insbesondere über ein im Rahmen von Verbindlichkeiten der Haftung zu unterwerfendes Vermögen verfügen, über welches im Falle wirtschaftlichen Versagens des Rechtssubjekts ein Insolvenzverfahren eröffnet werden kann.
79 Könen in BeckOGK/BGB, Stand: 1.6.2022, § 38 BGB Rz. 4 ff., 30 ff.; vgl. Tröger in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 151 ff. (Stand: 6/2019). 80 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 125; RGZ 100, 1, 3; Schwennicke in Staudinger, 2019, § 38 BGB Rz. 9; Tröger in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 102 ff. (Stand: 9/2022); abweichend zu § 326 Abs. 1 BGB bei einer pandemiebedingten Schließung eines Fitnessstudios, AG Hamburg v. 11.6.2021 – 9 C 95/21, BeckRS 2021, 29491. 81 Vgl. Tröger in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 151a (Stand: 6/ 2019). 82 Enzinger in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 109 HGB Rz. 30. 83 Vgl. Könen in BeckOGK/BGB, Stand: 1.6.2022, § 38 BGB Rz. 33 ff.
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Gestaltungsfreiheit | Rz. 36 § 708 BGB
2. Personengesellschaftsrechtliches Sozietätsmodell Während juristische Personen im Rahmen des numerus clausus der Rechtsformen ihre 35 Rechtssubjektivität aus einem staatlichen Mitwirkungsakt herleiten – sei es durch die Eintragung in Handels-, Vereins- oder Genossenschaftsregister oder im Wege verwaltungsrechtlicher Verleihung oder Erlaubnis,84 erfahren Personenaußengesellschaften ihre Rechtsfähigkeit aus dem durch die Rechtsordnung für alle zivilrechtlichen Personenvereinigungen anerkannten Konstituierungsakt der Vereinbarung eines gemeinsamen Verbandszwecks,85 verbunden mit bestimmten tatbestandlichen Voraussetzungen, anhand derer die verschiedenen Personengesellschaften, wie GbR, oHG, KG und PartG, unterschieden werden. Notwendiges Fundament der Rechtssubjektivität von Personenaußengesellschaften ist die in dem Prinzip der Anwachsung sowie der schuldrechtlichen Natur des Gesellschaftsvertrages zum Ausdruck kommende sog. Sozietätskonstruktion.86 Gleichwohl bestehen strukturelle Eigenheiten gegenüber den juristischen Personen nur vor dem Hintergrund dieser Sozietätskonstruktion, wie sie in der schuld- und organisationsrechtlichen Verbindung mindestens zweier Mitglieder sowie der gesetzlichen Regelung der Anwachsung für die Personenaußengesellschaften zum Ausdruck kommt. Sonstige Organisationsunterschiede sind lediglich Ausdruck eines rechtsformspezifisch-normativen Regel-Ausnahme-Verhältnisses.87 Klammert man das Sozietätserfordernis aus, so entpuppen sich vermeintliche „strukturelle“ Unterschiede im Übrigen als bloße Frage nach dem gesetzlich zugrunde gelegten Regel-Verhältnis, jedoch ist dieses weitestgehend dispositiv, so dass im Gesellschaftsvertrag bzw. der Satzung entgegengesetzt abgewichen werden kann.88 a) Normative Verankerung des Sozietätsmodells im Prinzip der Anwachsung Die notwendige Sozietätskonstruktion von Personenaußengesellschaften wird veranlasst 36 durch das in § 712 Abs. 1, § 712a BGB zum Ausdruck kommende Prinzip der Anwachsung, wobei § 712a BGB gegenüber § 712 BGB lediglich klarstellende Bedeutung zukommt. Die gesetzliche Regelung der Anwachsung in der Personengesellschaft stellt eine gegenüber den § 5 Abs. 2 Satz 2, § 15 Abs. 2 GmbHG, § 8, § 23 Abs. 2 Nr. 2 AktG abweichende Bestimmung über das Schicksal hinzuerworbener Gesellschaftsanteile dar. Anders als noch die Vorgängernorm des § 738 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. bestimmt § 712 Abs. 1 BGB ausdrücklich die Anwachsung der Gesellschaftsanteile. Aus § 712 Abs. 1 BGB folgt, dass der Zuerwerb von Gesellschaftsanteilen Dritter dazu führt, dass sich die Anteile in einer Mitgliedschaft vereinigen. Dies bedeutet, dass die Vereinigung aller Anteile an einer Personengesellschaft in der Hand eines Gesellschafters – sofern diese nicht mit Rechten Dritter belastet sind – dazu führt, dass die Existenzgrundlage der Personenaußengesellschaft entfällt und dem dauerhaften Fortbestand als Einmitglieds-Personengesellschaft entgegensteht.89 Das Prinzip der Anwachsung greift unabhängig davon, ob Gesellschaftsanteile rechtsgeschäftlich erworben werden oder ob ein Gesellschafter aus der Gesellschaft austritt. Zwar handelt es sich bei dem rechtsgeschäftlichen Erwerb eines Gesellschaftsanteils anders als bei dem Ein- bzw. Austritt eines Gesellschafters im Ausgangspunkt nicht um ein Problem von An- bzw. Abwachsung, sondern um 84 Vgl. Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 30 ff., 67 ff.; Leuschner in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2021, Vor § 21 BGB Rz. 1 ff., 12 f.; Schöpflin in BeckOK/BGB, Stand: 1.8.2022, § 21 BGB Rz. 7. 85 Kießling in FS Hadding, S. 480 f.; Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 41 ff.; G. Roth, Verbandszweck und Gläubigerschutz, 2021, § 10 A.II.; Tröger in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 104 ff. (Stand: 9/2022). 86 Vgl. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 143 f. 87 Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 67 ff. 88 Vgl. Schäfer in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2018, Vor § 105 HGB Rz. 7, 15 ff. 89 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2002, § 8 IV 2 b; a.A. Priester, ZIP 2014, 245. Könen | 121
§ 708 BGB Rz. 36 | Rechtsfähige Gesellschaft eine Frage der Rechtsnachfolge. Jedoch führt das Prinzip der Anwachsung dazu, dass auch der Hinzuerwerb eines nicht mit Rechten Dritter belasteten Gesellschaftsanteils zur Folge hat, dass sich diese mit den bestehenden Anteilen in einer Mitgliedschaft vereinigen. Diese personengesellschaftsrechtliche Wirkungsweise führt dazu, dass ein Personenverband, der notwendig auf einem Fundament schuldrechtlich verbundener Mitgliedschaften beruht, grundsätzlich nur von mehreren Gesellschaftern getragen werden kann, weil es anderenfalls zu einer verbandsschädlichen Vereinigung in einer einzigen Mitgliedschaft käme. Die gesetzliche Anordnung der Anwachsung stellt daher eine normative Anerkennung der Sozietätskonstruktion der Personengesellschaften als Ausprägung der personengesellschaftsrechtlichen Organisationsverfassung dar (§ 712 BGB Rz. 5 ff.). b) Sozietätsfundament 37 Die aus dem Prinzip der Anwachsung folgende und gesellschaftsvertraglich vermittelte Ver-
bindung mindestens zweier Mitgliedschaften – das sog. Sozietätsfundament, teilweise auch Zwei-Gesellschafter-Prinzip90 – bedingt, dass die Personenaußengesellschaft auch keine Anteile an sich selbst halten kann, weil die Gesellschaft in diesem Fall Teil ihres eigenen, die Rechtsfähigkeit konstituierenden rechtlichen Fundaments sein müsste (§ 712a BGB Rz. 9).
38 Maßgeblich für die Unzulässigkeit des Erwerbs eigener Anteile der Personengesellschaft ist
der Umstand, dass das sozietätsmäßige Fundament mit dem Erwerb eigener Anteile durch die Gesellschaft mit Blick auf den Verkehrs- und Mitgliederschutz bereits in nicht hinzunehmender Weise „hinken“ würde (§ 712a BGB Rz. 10). 39 Eine Personenaußengesellschaft kann mithin – auch ohne eine ausdrückliche gesetzliche An-
ordnung – nicht Vertragspartner des ihre Grundlage bildenden Gesellschaftsvertrages sein. Sie hat entweder angesichts unzureichenden Sozietätsfundaments mangels Rechtsfähigkeit schon nicht die Fähigkeit, als Rechtsträger in die Mitgliedschaft einzurücken, oder die fehlende Mitgliedsfähigkeit folgt aus dem Umstand, dass bei einer Eigenbeteiligung einer Personengesellschaft eine strikte Trennung der Vermögensverbindungen nicht gewährleistet ist und die Rechtsfähigkeit des Verbandes lediglich eine „hinkende“ wäre. Dies stünde einer widerspruchsfreien Behandlung der Personenaußengesellschaft als Rechtssubjekt entgegen. Das Sozietätsmodell bestimmt daher als gegebene Normativbestimmung im Rahmen des numerus clausus der Rechtsformen die Zulässigkeitsvoraussetzungen rechtsfähiger Personengesellschaften (§ 712a BGB Rz. 11).91 c) Sonderzuordnung von Mitgliedschaften
40 Das aus der Sozietätskonstruktion resultierende Erfordernis mindestens zweier Gesellschaf-
ter erfährt nur dann Einschränkungen, „wenn die Gesellschaftsanteile trotz ihres Zusammentreffens in einer Hand einer unterschiedlichen (quasi) dinglichen oder erbrechtlichen Zuordnung unterliegen; sie erhält die Trennung der Anteile aufrecht und führt zum Fortbestand der Gesellschaft.“92 Sofern Rechte Dritter an einem Gesellschaftsanteil bestehen, kann dies zur Folge haben, dass diese Gesellschaftsanteile nicht durch eine einzige Mitgliedschaft abgebildet werden können, weil etwa eine einheitliche Stimmabgabe unmöglich erscheint. Die Rechte Dritter rechtfertigen daher eine „Sonderzuordnung“ der Anteile, etwa bei Bestehen eines Nießbrauchs oder eines Pfandrechts, weil der Inhaber der Gesellschaftsanteile verschiedene Interessen wahrzunehmen hat, indem die Mitgliedschaften getrennt unter
90 Wertenbruch, ZPG 2023, 1, 2 f.; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 234c (Stand: 9/2021). 91 Siehe K. Schmidt, ZIP 2014, 493, 494 f., 499. 92 Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 63.
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Gestaltungsfreiheit | Rz. 41 § 708 BGB
Wahrung der Interessen des Dritten zu verwalten sind.93 Er steht sich in diesen Konstellationen wie ein anderer Gesellschafter gegenüber, so dass die getrennt bleibenden Anteile und Mitgliedschaften in einer dem Sozietätsprinzip entsprechenden Weise zueinander in Beziehung treten und voneinander getrennt bleiben können. Entsprechendes gilt für den Fall einer qualifizierten offenen Treuhand.94 Soweit Gesellschaftsanteile mit Rechten Dritter belastet sind, die eine Sonderzuordnung der Anteile erforderlich machen, kommen weder eine Anwachsung der Gesellschaftsbeteiligungen noch eine Konfusion der mitgliedschaftlichen Rechtsbeziehungen mit der Folge einer Gesamtrechtsnachfolge des einzigen Gesellschafters in Betracht. Mit Blick auf die Sozietätskonstruktion ist es insoweit unschädlich, dass mehrere Mitgliedschaften nur einem Rechtssubjekt zugeordnet sind. Die Drittbefangenheit der hinzukommenden Mitgliedschaft führt dazu, dass der verbleibende Gesellschafter aus Sicht seiner bestehenden Mitgliedschaft im Horizontalverhältnis nicht zugleich Gläubiger und Schuldner der mitgliedschaftlichen Rechtsverhältnisse wird, weil er im Rahmen der hinzugewonnenen Mitgliedschaft die Rechte des Dritten wahrzunehmen hat und sich daher wie ein Dritter gegenübertritt. Soweit mehrere Mitgliedschaften bestehen – sei es auch in der Hand nur eines Gesellschafters –, sind diese geeignet, ein der Sozietätskonstruktion der Personenaußengesellschaft entsprechendes Fundament zu bilden, wie es zur Anerkennung ihrer Rechtssubjektivität erforderlich ist. Dies hat daher auch den personenidentischen Fortbestand des Verbandes im Außenverhältnis zur Folge und nicht nur im Wege einer relativen Fiktion gegenüber den jeweiligen Dritten. Fällt der die Sonderzuordnung tragende Grund weg, erlischt die Gesellschaft liquidationslos und der verbleibende Gesellschafter wird Gesamtrechtsnachfolger der Gesellschaft.95 d) Fortwirkung des Sozietätsmodells im Prinzip der Selbstorganschaft Anders als die Sozietätskonstruktion ist das Prinzip der Selbstorganschaft nicht struktur- 41 unterscheidend gegenüber juristischen Personen. Dem steht nicht entgegen, dass das Prinzip der Selbstorganschaft teilweise als „systembildender Grundsatz“ verstanden wird.96 Vielmehr folgt das Prinzip der Selbstorganschaft in seinem Ausgangspunkt unmittelbar aus der Sozietätskonstruktion. Normativer Anknüpfungspunkt des Prinzips der Selbstorganschaft sind zwar die §§ 714, 715, 715a BGB, §§ 116, 124, 164, 170 HGB, wonach die persönlich haftenden Gesellschafter einer Personenaußengesellschaft allein durch diese Eigenschaft zugleich Geschäftsführer und organschaftliche Vertreter sind.97 Im Unterschied zur juristischen Person sind die Organe von Personenaußengesellschaften daher von Gesetzes wegen originär als geborene Organe vorhanden und müssen nicht erst noch besetzt werden.98 Diese Unterscheidung von den Körperschaften ergibt sich aber darüber hinaus unmittelbar aus der Sozietätskonstruktion der Personenaußengesellschaft, weil der Personenverband als in der Verbundenheit seiner Mitglieder „lebendes“ Rechtssubjekt seine Handlungsvertreter bereits mit
93 Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 63, 95 ff., § 719 BGB Rz. 51 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 45 I 2 b bb; Tröger in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 152 ff. (Stand: 6/2019); vgl. v. Bary, AcP 220 (2020), 343, 358 ff.; F. Baur/Grunsky, ZHR 133 (1970), 209, 224 ff. 94 Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 63, 93 f. 95 Vgl. zum unzulässigen Erwerb drittbelasteter Mitgliedschaften durch die Gesellschaft Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 58 f. 96 Vgl. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 143 f.; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 234c (Stand: 9/2021). 97 BGH v. 11.7.1960 – II ZR 260/59, BGHZ 33, 105 = juris Rz. 15; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Band 1, 1980, § 6 IV 1; vgl. Begr. zu §§ 715, 720 BGB-E RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 150 f., 162 ff. 98 Vgl. Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 234c (Stand: 9/2021). Könen | 123
§ 708 BGB Rz. 41 | Rechtsfähige Gesellschaft seiner Konstituierung haben muss und nicht, wie bei einer von dem Mitgliederbestand unabhängigen juristischen Person, erst zugewiesen bekommt.99 Darüber hinausgehend ist das Prinzip der Selbstorganschaft indes nicht zwingend, sondern folgt lediglich aus dem personengesellschaftsrechtlichen Normgefüge. So erschöpft sich in dieser Folge der originären Organfunktion der persönlich haftenden Gesellschafter die Ausprägung des Selbstorganschaftsprinzips als zwingender Grundsatz des Personengesellschaftsrechts. Zwar wird überwiegend darüber hinaus angenommen, dass die sozietätsmäßige Bindung der Mitglieder einer Personengesellschaft dazu führe, dass die Gesellschafter in mitgliedschaftlicher Verbundenheit als das den Personenverband bildende Fundament – wie auch eine natürliche Person – weder in Gänze privatautonom entmachtet noch Dritten Organfunktionen eingeräumt werden könnten.100 Diese Annahme lässt sich indes nicht aus der Rechtsnatur der Personenaußengesellschaft ableiten, sondern lediglich aus dem personengesellschaftsrechtlichen Normgefüge. Aus diesem folgt, dass nicht alle Gesellschafter in ihrer Gesamtheit entmachtet werden dürfen, während einzelne Mitglieder demgegenüber von der organschaftlichen Vertretung ausgeschlossen werden können. Nicht beantwortet ist damit die Frage, inwieweit Dritten organschaftliche Befugnisse übertragen werden können.101 Allerdings ergibt sich aus dem sog. Abspaltungsverbot nach § 711a Satz 1 BGB, dass einzelne mitgliedschaftliche Rechte lediglich zur Ausübung überlassen werden dürfen, dies wiederum nur, wenn sie ohne das Zutun des Dritten diesem wieder entzogen werden können.102 Eine Übertragung der originären Mitglieds-Organrechte kommt vor diesem Hintergrund nicht in Betracht. Mit Blick auf die gesellschaftsvertragliche Gestaltungsfreiheit103 stellt sich daher die Frage, inwieweit Organschaftsrechte Dritten eingeräumt werden können. Die gesetzlichen Vorschriften über das Prinzip der Selbstorganschaft der eigenbeteiligten, persönlich haftenden Gesellschafter erhalten ihre rechtspolitische Rechtfertigung in dem Umstand, dass sie unter Anknüpfung an die persönliche Haftung durch die davon ausgehende Anreizwirkung eine ordnungsgemäße und sorgfältige Geschäftsführung gewährleisten und gleichzeitig die persönlich haftenden Gesellschafter schützen wollen.104 Aus dem Prinzip der Selbstorganschaft ergebe sich ein „Organmonopol der unbeschränkt haftenden Gesellschafter als Vertretungsorgane“.105 Aus dem Umstand, dass sogar Kommanditisten, die ihrerseits Mitglieder der Personengesellschaft sind, von der organschaftlichen Vertretung ausgeschlossen sind, ergibt sich, dass Dritte, die noch nicht einmal Gesellschafter sind, erst recht keine Organstellung in dem Personenverband einnehmen können (vgl. §§ 164, 170 HGB). Aus der Sozietätskonstruktion der Personenaußengesellschaften folgt also, dass die Mitglieder grundsätzlich geborene Organe des Personenverbandes sind. In dieser Ausprägung als Fortwirkung der Sozietätskonstruktion kommt dem Prinzip der Selbstorganschaft die Eigenschaft als ein der Rechtsnatur des Verbandes geschuldeter struktureller Unterschied gegenüber den Körperschaften zu. Vor dem Hintergrund der §§ 164, 170 HGB erfährt dieser Grundsatz sodann dahingehend eine normative Einschränkung, dass Gesellschafter, die in ihrer Haftung be-
99 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 8 IV 2 a. 100 BGH v. 20.5.2016 – V ZB 142/15, ZIP 2016, 1965 Rz. 13; BGH v. 5.10.1981 – II ZR 203/80, NJW 1982, 1817; Flume, Die Personengesellschaft, 1977, § 14 VIII; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 14 II 2 a; kritisch m.w.N., Fleischer, NZG 2020, 601, 604; Osterloh-Konrad, ZGR 2019, 271, 276 ff.; Scholz, NZG 2020, 1044. Zur umfassenden Vollmachtserteilung, BGH v. 8.2.2011 – II ZR 263/09, BGHZ 188, 233 = ZIP 2011, 909 Rz. 21. 101 Zur Schaffung von Drittgremien, Reuter in FS Steindorff, 1990, S. 231 ff. 102 Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 717 BGB Rz. 9; vgl. Begr. zu § 711a BGB-E RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 145 f., 227. 103 Vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 5 III. 104 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 14 II 2 d; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Band 1, 1980, § 6 IV 1. 105 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 14 II 2 b; vgl. aber BGH v. 5.10.1982 – II ZR 203/ 80, NJW 1982, 1817, 1818 = ZIP 1982, 578.
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Gestaltungsfreiheit | Rz. 43 § 708 BGB
schränkt sind, davon ausgenommen werden. Daran anknüpfend ergibt sich aus der Systematik der personengesellschaftsrechtlichen Vorschriften (§§ 714, 715, 715a BGB, §§ 116, 124, 164, 170 HGB), dass Organrechte privatautonom weder an Gesellschafter, deren Haftung für Verbindlichkeiten der Gesellschaft beschränkt ist, noch an Dritte übertragen werden können, und auch keine Einräumung entsprechender Rechte in Betracht kommt. Demgegenüber zeigen §§ 736 f. BGB, §§ 144 f. HGB, dass das Selbstorganschaftsprinzip, soweit es über die Fortwirkung der Sozietätskonstruktion hinaus geht und als Gegenstück zur körperschaftlichen Fremdorganschaft thematisiert wird, nicht ausnahmslos gilt, sondern jedenfalls in gesetzlich angeordneten Fällen durchbrochen werden kann, indem auch Dritte als Liquidatoren eingesetzt werden können.106 So ist etwa die GbR in Liquidation weiterhin Personenaußengesellschaft, für die jedoch das Prinzip der Selbstorganschaft nicht mehr gilt. Folglich kann das Prinzip der Selbstorganschaft in seiner Ausprägung als Gegenstück zur Fremdorganschaft auch keine notwendige Struktureigenschaft von Personengesellschaften darstellen, die sie von den Körperschaften wesentlich abgrenzen würde. Das Prinzip der Selbstorganschaft lässt sich daher zwar aus den gesetzlichen Vorschriften über die Personengesellschaften ableiten, es gestaltet sich aber lediglich als gesetzlicher Regelfall, der wiederum gesetzlichen Ausnahmen zugänglich ist.
3. Mitgliedsrechte In Anbetracht der einheitlichen Struktur der Mitgliedschaft unterscheiden sich personenge- 42 sellschaftsrechtliche Mitgliedsrechte im Ausgangspunkt nicht von denjenigen anderer zivilrechtlicher Vereinigungen. Aus der Mitgliedschaft als Gesamtheit von Rechten und Pflichten des Mitglieds erwachsen diesem insbesondere gegenüber dem Verband – aber auch gegenüber den anderen Mitgliedern – Rechte und Pflichten verschiedener Art. Diese entstehen teilweise originär aufgrund der Stellung als Mitglied, teilweise müssen diese positiv durch den Gesellschaftsvertrag festgelegt werden. Bei der Personengesellschaft wird terminologisch zwischen der Sozialsphäre im Rechtsverhältnis zur Gesellschaft sowie der Individualsphäre in den Rechtsverhältnissen zu den Mitgesellschaftern differenziert.107 Das zweite Kapitel nimmt ausweislich der Überschrift beide Rechtsbeziehungen in den Blick, ohne normsystematisch zu differenzieren. Hinsichtlich der gesellschaftsvertraglichen Gestaltbarkeit der mitgliedschaftlichen Rechte ist eine Differenzierung aber auch nicht angezeigt. Unterschiede bestehen lediglich im Gegenstand der Rechte und Pflichten. Während mit der Konstituierung des Personenverbandes im Rechtsverhältnis zur Gesellschaft eine Vielzahl sog. Verwaltungs- und Vermögensrechte entstehen, beschränken sich die Mitgliedsrechte gegenüber den Mitgesellschaftern im Wesentlichen auf diejenigen, wie sie aus der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht resultieren. Keine mitgliedschaftliche Verankerung erfahren hingegen sog. Drittgeschäfte, die mit Jedermann vorgenommen werden können. Der Fokus mitgliedschaftlicher Rechte liegt mithin auf der Rechtsbeziehung zur Gesellschaft. 43 Vorbehaltlich der im Folgenden dargestellten Grundlagen lassen sich Mitgliedsrechte rechtsformunabhängig in Organschafts-, Wert- und Schutzrechte unterteilen. Diese terminologische Differenzierung bringt die verschiedenen Konsequenzen der Mitgliedschaft auf die Stellung des einzelnen Mitglieds gegenüber der Gesellschaft zum Ausdruck. Im Personengesellschaftsrecht hat sich die Differenzierung zwischen Verwaltungs- und Vermögensrechten etabliert, wobei diese wiederum in Stamm- und Einzelrechte unterschieden werden.108 Allerdings greift diese zweigleisige Differenzierung etwas zu kurz, da nur Organschafts- und Wert- bzw. Verwaltungs- und Vermögensrechte überhaupt der Verbandsgewalt und damit 106 Vgl. Dellinger, Rechtsfähige Personengesellschaften in der Liquidation, 2001, S. 146. 107 Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 192. 108 Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 191, 194 ff. Könen | 125
§ 708 BGB Rz. 43 | Rechtsfähige Gesellschaft der gesellschaftsvertraglichen Gestaltbarkeit unterliegen, während Schutzrechte nicht zur Disposition des Verbandes stehen. So berechtigt die Mitgliedschaft einerseits sowohl zur Teilhabe an dem Verband als auch an dessen Vorteilen. Andererseits vermittelt sie einen Schutz gegen Maßnahmen des Verbandes. Soweit daher eine Unterscheidung auf Verwaltungs- und Vermögensrechten beschränkt wird, bedeutet dies lediglich, dass überhaupt nur diese der gesellschaftsvertraglichen Gestaltbarkeit unterliegen, anhand der Schutzrechte, wie sie durch den Kern der Mitgliedschaft vermittelt werden, ist aber zu beurteilen, wie weit die Gestaltbarkeit reicht. 44 Von der Frage der gesellschaftsvertraglichen Gestaltbarkeit zu unterscheiden ist die Frage,
inwiefern einzelne Mitgliedsrechte übertragen werden können – dies richtet sich nach § 711a BGB. Demgegenüber richtet sich die Übertragbarkeit der Mitgliedschaft als verfügungsfähiges Rechtsobjekt rechtsformspezifisch nach § 711 BGB. Dadurch, dass § 711a BGB regelt, dass die Rechte der Gesellschafter aus dem Gesellschaftsverhältnis nicht übertragbar sind, werden die unmittelbar aus der Mitgliedschaft stammenden Rechte sowie deren Modifikationen durch den Gesellschaftsvertrag adressiert. Diese sog. Stammrechte gegenüber der Gesellschaft können nicht übertragen werden. Stammrechte können sowohl als Organschafts- bzw. Verwaltungsrechte bestehen, als auch als Wert- bzw. Vermögensrechte. Untrennbar mit der Mitgliedschaft als Rechtsinstitut verbunden ist die durch den Gesellschaftsvertrag konkretisierte mitgliedschaftliche Quelle der Berechtigung (vgl. § 711a Satz 1 BGB).109 Bezogen auf Organschafts- bzw. Verwaltungsrechte bedeutet dies, dass diese lediglich zur Ausübung delegiert werden können und rückholbar sein müssen.110 Vollständig übertragbar sind nach § 711a Satz 2 BGB hingegen mit Entstehung eines konkreten Anspruchs verselbständigte vermögensrechtliche Ansprüche, weil diese keinen mitgliedschaftlichen Bezug mehr aufweisen. a) Gestaltbarkeit von Mitgliedsrechten
45 § 708 BGB bestimmt, dass Rechte und Pflichten der Gesellschafter grundsätzlich der privat-
autonomen Gestaltbarkeit unterliegen. Dies ist einerseits darauf zurückzuführen, dass der Verband gerade auf der Grundlage eines privatautonomen Entschlusses gegründet wird, wobei indes zu berücksichtigen ist, dass die Rechtssubjektivität der Personenverbände von der Rechtsordnung nur im Rahmen eines gesetzlichen Regelungsrahmens anerkannt werden kann. Andererseits folgt dies aus der Tatsache, dass die Rechtsordnung an die Gesellschafterstellung in einem Personenverband die persönliche Haftung nach den § 721 BGB, § 126 HGB knüpft. Eine derartige Anordnung selbstverantwortlicher Haftung setzt voraus, dass die Gesellschafter – jedenfalls sofern sie einverständlich einen Konsens erzielen können – selbstbestimmt über das gesellschaftsrechtliche Innenverhältnis disponieren können. Sofern die Gesetzesbegründung daher akzentuiert, dass das gesellschaftsrechtliche Innenverhältnis von dem Leitbild geprägt ist, „die Rechtsbeziehung auf der Grundlage der Gleichordnung zu anderen in Selbstbestimmung und Selbstverantwortung zu gestalten“,111 ist dies der personengesellschaftsrechtlichen Verbandsverfassung immanent, sowohl mit Blick auf den Grundsatz der Privatautonomie – wie sie in der Gesellschaftsvertragsabschluss- und -gestaltungsfreiheit zum Ausdruck kommt – als auch vor dem Hintergrund der Wechselwirkung
109 Vgl. Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 194. 110 Vgl. BGH v. 15.12.1969 – II ZR 69/67, NJW 1970, 468; BGH v. 10.11.1951 – II ZR 111/50, BGHZ 3, 354. 111 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 104 f. (Hervorhebung durch den Verfasser); zum Bedingungszusammenhang von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung, Neuner, BGB AT, 2023, § 1 Rz. 4, § 10 Rz. 11 ff., 27 ff., § 30 Rz. 8 ff., § 32 Rz. 2 ff., 26, § 41 Rz. 8; Könen, GesellschafterExithaftung im Personenverband, 2021, S. 331 ff.
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Gestaltungsfreiheit | Rz. 47 § 708 BGB
von eigennütziger Selbstbestimmung und Selbstverantwortung.112 Einschränkungen können sodann allgemein zivilrechtlicher Art sein sowie spezifisch gesellschaftsrechtlich. Grenzen können der Gestaltungsfreiheit insbesondere dann gezogen sein, wenn durch den Auftritt eines Personenverbandes im Rechtsverkehr verbandsspezifisch Interessen von Dritten betroffen sind oder, wenn unentziehbare Bestandteile der Mitgliedschaft berührt werden, hinsichtlich derer sich ein einzelner oder eine Minderheit nicht gegenüber der Verbandsgewalt verlustig begeben kann.113 Die insoweit betroffenen Schutzreche eines Mitglieds haben ihre Wurzel in erster Linie im mitgliedschaftlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, wie er jedenfalls in einem Willkürverbot zum Ausdruck kommt. aa) Verbandsgewalt und Gestaltbarkeit von Mitgliedsrechten In untrennbarem Zusammenhang mit der persönlichen Einstandspflicht der Gesellschafter 46 für Verbindlichkeiten der Gesellschaft (§ 721 BGB, § 126 HGB) bestimmen die § 714 BGB, § 109 Abs. 3 HGB, dass Beschlüsse der Gesellschaftergesamtheit, die in der Willensbildung des Verbandes münden, der Zustimmung aller stimmberechtigten Gesellschafter bedürfen, weil selbstverantwortliche Haftung mit eigennützigem selbstbestimmtem Verhalten korrespondieren muss. In der Konsequenz der selbstbestimmten, privatautonomen Vereinigung als Personenverband liegt es, dass die Gesellschafter sich privatautonom der Mehrheitsherrschaft des Verbandes unterwerfen können. Diese kann entweder antizipiert im Rahmen des Gesellschaftsvertrages erfolgen, wie sich aus § 708 BGB ergibt, oder im Rahmen nachgelagerter einstimmiger Beschlussfassung. In Anbetracht der Anknüpfung an eine privatautonome Gesellschafterentscheidung ist es den Gesellschaftern unbenommen, im Rahmen des Gesellschaftsvertrages zu regeln, dass Beschlüsse mit einer Mehrheit gefasst werden können.114 Die mit den § 714 BGB, § 109 HGB adressierte Beschlusskompetenz der Gesellschaftergesamtheit im Organ der Gesellschafterversammlung, mit der diese – wie im Rahmen des Gesellschaftsvertrages – die Grundlagen der Gesellschaft zur Gestaltung des Gesellschaftsverhältnisses bestimmt, ist zu unterscheiden von den in den §§ 715, 715a BGB, § 116 HGB geregelten Geschäftsführungsmaßnahmen als jede zur Förderung des Gesellschaftszwecks bestimmte, für die Gesellschaft wahrgenommene Tätigkeit.115 Mit den § 714 BGB, § 109 HGB einerseits und den §§ 715, 715a BGB, § 116 HGB andererseits wird die innergesellschaftliche Kompetenzordnung der Personengesellschaft zwischen Gesellschafterversammlung und Geschäftsführung normativ abgebildet (§ 715 BGB Rz. 6 ff.; § 709 BGB Rz. 36 ff.). Maßnahmen, die der Gestaltung des Gesellschaftsverhältnisses dienen, sind der gesellschafts- 47 vertraglichen Ausformung sowie der Bestimmung durch eine mehrheitliche Verbandsherrschaft zugänglich, sofern dies auf einen privatautonomen Entschluss jedes einzelnen Gesellschafters rückführbar ist. Diesem Erfordernis ist Genüge getan, wenn der Gesellschaftsvertrag eine Mehrheitsklausel vorsieht, ohne, dass die von dem Einstimmigkeitsprinzip des § 714 BGB abweichenden Beschlussgegenstände im Einzelnen bezeichnet werden müssen; eine abstrakte Legitimation genügt insoweit.116 Einschränkungen des Mehrheitsprinzips können hingegen gleichfalls im Gesellschaftsvertrag vorgesehen werden und sind der Auslegung zugäng-
112 Vgl. BGH v. 29.9.1999 – II ZR 371/98, BGHZ 142, 315, 319 = ZIP 1999, 1755, 1776 f.; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 234c (Stand: 9/2021). 113 Zur Abkehr vom sog. Bestimmtheitsgrundsatz sowie der Kernbereichslehre im Rahmen von Mehrheitsbeschlüssen, BGH v. 13.10.2020 – II ZR 359/18, ZIP 2020, 2281; BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 = ZIP 2014, 2231 Rz. 9 ff.; Altmeppen, NJW 2015, 2065; Heckschen/Bachmann, NZG 2015, 531; Kleindiek, GmbHR 2017, 674; Priester, DStR 2008, 1386; Schäfer, ZIP 2015, 1313; Wertenbruch, NZG 2013, 641. 114 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 107, 149 ff. 115 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 149 f. 116 BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 = ZIP 2014, 2231 Rz. 9 ff. Könen | 127
§ 708 BGB Rz. 47 | Rechtsfähige Gesellschaft lich.117 Wie weit die Verbandsherrschaft hinsichtlich der Gestaltbarkeit der Gesellschafterrechte reicht, hängt in erster Linie von den folgenden allgemeinen Mitgliedsrechte ab: dem Gleichbehandlungsgrundsatz, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sowie den dem korporativen Prinzip zu entnehmenden Minderheitenrechten. Sie unterscheiden sich von den Organschafts- und Wert- bzw. Verwaltungs- und Vermögensrechten dadurch, dass sie sich nicht zu einem bestimmten Verhaltensrecht oder -gebot konkretisieren lassen, sondern vielmehr eine Schrankenfunktion erfüllen. Sie bedürfen keiner ausdrücklichen Normierung in der Verbandsverfassung und sind in ihrem Kerngehalt nicht abdingbar. Vor diesem Hintergrund sind Organschafts- und Wert- bzw. Verwaltungs- und Vermögensrechte grundsätzlich der gesellschaftsvertragsvermittelten Selbstbestimmung des Verbandes unterworfen, während Schutzrechte nicht zur Verfügung der Gesellschaft stehen. Anknüpfend an diese Unterscheidung wird hinsichtlich der materiellen Beurteilung von Mehrheitsentscheidungen zwischen sog. relativ unentziehbaren sowie absolut unentziehbaren Rechten des Gesellschafters differenziert.118 Hingegen stellt der II. Senat des BGH in seiner jüngeren personengesellschaftsrechtlichen Rechtsprechung nicht mehr auf den sog. Kernbereich der Mitgliedschaft ab.119 Ungeachtet der terminologischen Zuordnung als absolut unentziehbare Rechte oder als Kernbereich der Mitgliedschaft bedingen die allgemeinen Mitgliedsrechte einen unantastbaren Mitgliedsbereich. Nach zwischenzeitlichem Ansatz der Rechtsprechung könne dieser indes nicht abstrakt bestimmt werden, sondern hänge im Einzelfall von der konkreten Struktur der Personengesellschaft sowie einer etwaigen besonderen Stellung des betroffenen Gesellschafters ab.120 Es komme „bei Eingriffen in die individuelle Rechtsstellung des Gesellschafters, d.h. in seine rechtliche und vermögensmäßige Position in der Gesellschaft, letztlich maßgeblich immer darauf an, ob der Eingriff im Interesse der Gesellschaft geboten und dem betroffenen Gesellschafter unter Berücksichtigung seiner eigenen schutzwerten Belange zumutbar ist“.121 In seiner jüngeren Rechtsprechung hat der II. Senat aber wieder nur den Eingriff in relativ unentziehbare Rechte an den Kriterien der der Gebotenheit im Interesse der Gesellschaft sowie der Zumutbarkeit für den betroffenen Gesellschafter anhand eigener schutzwürdiger Belange gemessen, sofern nicht eine privatautonome Zustimmung feststellt ist.122 48 Sowohl relativ als auch absolut unentziehbare Rechte haben ihre Wurzel in den im Folgenden
dargestellten allgemeinen Mitgliedsrechten der Gleichbehandlung sowie der Verhältnismäßigkeit. Die absolute Unentziehbarkeit kommt dadurch zum Ausdruck, dass der Mitgliedschaft gegenüber der Verbandsherrschaft eine nicht in konkreten Rechten und Pflichten zum Ausdruck kommende Schrankenfunktion zukommt, welche auf die relative Unentziehbarkeit konkreter Rechte und Pflichten des Innenverhältnisses, wie sie im 2. Kapitel als Regelersatzordnung bestimmt sind, ausstrahlt. Im Rahmen der Beurteilung von Mehrheitsentscheidungen können ferner dem korporativen Prinzip zu entnehmende Minderheitenrechte – wie sie etwa in den §§ 37, 39 BGB zum Ausdruck kommen – zu absolut unentziehbaren Schutzrechten erstarken. bb) Gleichbehandlungsgrundsatz 49 Der Mitgliedschaft wohnt insoweit ein absolut unentziehbarer Gehalt inne, als dass es dem
Verband untersagt ist, Differenzierungen vorzunehmen, für die es keine sachliche Rechtfer-
117 BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 = ZIP 2014, 2231 Rz. 9 ff., 14 ff. 118 BGH v. 13.10.2020 – II ZR 359/18, ZIP 2020, 2281 Rz. 15 ff. 119 Insoweit distanzierend BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 = ZIP 2014, 2231 Rz. 19; gar nicht mehr erwähnend, BGH v. 13.10.2020 – II ZR 359/18, ZIP 2020, 2281 Rz. 16 ff. 120 BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 = ZIP 2014, 2231 Rz. 19. 121 BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 = ZIP 2014, 2231 Rz. 19. 122 BGH v. 13.10.2020 – II ZR 359/18, ZIP 2020, 2281 Rz. 21 ff.
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Gestaltungsfreiheit | Rz. 51 § 708 BGB
tigung gibt, es sei denn, die Mitglieder hätten sich damit einverstanden erklärt.123 Flankiert wird dieser allgemeine Gerechtigkeitsgedanke durch einen aus der Treuepflicht erwachsenden Vertrauensschutz der Mitglieder. Gewissermaßen als Rechtsreflex des die Mitgliedschaft konstituierenden Verbandsbeitritts entsteht ein durch den Verbandszweck bestimmtes Treueverhältnis zwischen Mitglied und Gesellschaft sowie unter den einzelnen Mitgliedern. Es ist gerade dieses aufgrund der Mitgliedschaft berechtigte Vertrauen auf gegenseitige Rücksichtnahme, welches es im Ausgangspunkt rechtfertigt, auch darauf vertrauen zu dürfen, nicht unsachgemäß gegenüber anderen Mitgliedern benachteiligt zu werden. Wurzel des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist dementsprechend die in der Mitgliedschaft zum Ausdruck kommende und durch die Vereinbarung des Verbandszwecks vermittelte konstitutive Partizipation an dem Verein, wie sie letztlich in der Treuepflicht zum Ausdruck kommt. Der auf diese Weise begründete verbandsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz steht in 50 Konflikt zur gesellschaftsvertraglichen Regelungsautonomie sowie einer dort ggf. vereinbarten Mehrheitsklausel, die sich sogar auf Änderungen des Gesellschaftsvertrages erstrecken kann.124 Die aufkommende Gemengelage führt dazu, dass auch der Gleichbehandlungsgrundsatz als solcher teilweise dispositiv ist; so können etwa Mitwirkungsrechte einzelner Gesellschafter gegenüber anderen privilegiert oder subordiniert werden. Entsprechend dieser Legitimationsgrundlage wird eine weitere Differenzierung dahingehend vorgeschlagen, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz zwei Funktionen erfülle und deshalb jeweils eine unterschiedliche Ausprägung erfahre.125 So gelte der Gleichbehandlungsgrundsatz einerseits als rechtsformunabhängiger Auslegungsgrundsatz des Verbandsrechts dergestalt, dass man innerhalb von Gemeinschaften unter Anknüpfung an § 242 BGB im Zweifel – vorbehaltlich abweichender Gesellschaftsvertrags- bzw. Satzungsbestimmung – von einem Willen zur Vermeidung unsachlicher Differenzierungen ausgehen dürfe.126 Eine derartige Zweifelsregelung ist sachgerecht, weil sie die der Mitgliedschaft entspringenden Rücksichtnahmepflichten zutreffend abbildet und der Gestaltbarkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes Rechnung trägt. Andererseits komme der Gleichbehandlungsgrundsatz als Schranke der Mehrheitsherrschaft über die Verbandsverfassung lediglich in den Fällen in Betracht, in denen ein Versagen der disziplinierenden Wettbewerbskräfte eines Marktes für Vereinigungen zu beobachten sei: Soweit sich ein Verbandsmitglied jederzeit durch Ein- bzw. Austritt der Mehrheitsherrschaft entziehen kann, erfährt die Mehrheitsherrschaft ihre Legitimation durch die privatautonome Entscheidung der Mitglieder, sich der Mehrheitsherrschaft zu unterwerfen. Eine Gleichbehandlungspflicht sei nur gerechtfertigt, wenn sich der Einzelne der Mehrheitsherrschaft nicht mehr entziehen könne. Der Gleichbehandlungsgrundsatz könne daher lediglich im Falle eines Verbandes ohne Aufnahmefreiheit der Verbandsverfassung zwingende Beschränkungen auferlegen; im Übrigen bilde § 138 BGB die maßgebliche Beurteilungshürde.127 Eine derart strikte Trennung zwischen Vereinigungen mit bzw. ohne Aufnahmefreiheit wird 51 indes nicht der konstitutiven Partizipation der Mitglieder am Verband gerecht sowie dem Charakter der Mitgliedschaft als Schutzrecht.128 An diese beiden Grundsätze anknüpfend ist es unerlässlich, dem Gleichheitsgrundsatz für jede Verbandsart jedenfalls ein an die Mitgliedschaft anknüpfendes, unentziehbares Willkürverbot zu entnehmen. Dieses Willkürver123 BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 = NJW 1992, 892, 895 f. = GmbHR 1992, 257; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 16 II b aa; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Band 1, 1980, § 8 II 2 a. 124 BGH v. 13.10.2020 – II ZR 359/18, ZIP 2020, 2281 Rz. 20 = GmbHR 2021, 23 m. Anm. Werner. 125 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 16 II b. 126 In dieser Ausprägung teilweise als Gleichbehandlungsgebot bezeichnet Grunewald/Müller, Gesellschaftsrecht, 12. Aufl. 2023, § 1 Rz. 26 f. 127 Zum Verein, Arnold in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2015, § 34 BGB Rz. 20. 128 Vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 16 II b ee, der insoweit die Wirkungen des Gleichbehandlungsgrundsatz als „status positivus“ und „status negativus“ bezeichnet. Könen | 129
§ 708 BGB Rz. 51 | Rechtsfähige Gesellschaft bot ist an „objektiv-sachlichen Maßstäben nach Maßgabe des zu beurteilenden Rechtsverhältnisses zu […] messen“.129 Als objektiv-sachlicher Maßstab in diesem Sinne ist der Verbandszweck heranzuziehen, den die Mitglieder entweder originär vereinbart haben oder dem sie sich durch den späteren Verbandsbeitritt privatautonom unterworfen haben. 52 Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist vor diesem Hintergrund einerseits als Auslegungs-
maßstab heranzuziehen, andererseits dient er insoweit als Schranke der Verbandsherrschaft, als dass er ein Gebot anordnet, Ungleichbehandlungen unter Rückbezug auf den Verbandszweck einer sachlichen Rechtfertigung zu unterziehen.130 cc) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 53 Mit der in der mitgliedschaftlichen Treuepflicht wurzelnden Grundlage des Gleichbehand-
lungsgrundsatzes verbunden sind die Gebote wechselseitiger Rücksichtnahme, Förderung und Loyalität. Aus der Wechselseitigkeit der Treuepflichten folgt, dass diese im Einzelfall unter Berücksichtigung der jeweils betroffenen Belange zu würdigen sind. Bei der Würdigung betroffener Belange kommen sowohl rechtsformtypische Besonderheiten als auch realstrukturelle Eigenheiten zum Tragen. Die Einzelfallwürdigung des Eingriffs in relativ unentziehbare Rechte folgt aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.131 Dieser als solcher stellt ein absolut unentziehbares Schutzrecht dar, gewährleistet aber die notwenige Flexibilität im Rahmen der Beurteilung von Maßnahmen durch eine Verbandsmehrheit. dd) Dem korporativen Prinzip zu entnehmende Minderheitenrechte 54 Haben sich die Mitglieder eines Personenverbandes privatautonom der Mehrheitsherrschaft
des Verbandes unterworfen, stellt sich die Frage, inwiefern neben dem in einem Willkürverbot zum Ausdruck kommenden Gleichbehandlungsgrundsatz sowie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit weitere absolut unentziehbare Rechtspositionen anzuerkennen sind. Ein rechtlich schützenswertes Interesse auf ein Mindestmaß an Teilhabe an dem Personenverband kommt in den §§ 37 und 39 BGB zum Ausdruck. Diesen ist ein allgemein verbandsrechtliches Prinzip darüber zu entnehmen, dass eine Minderheit jedenfalls die Möglichkeit haben muss, die verbandsrechtliche Kollektivwillensbildung anzustoßen sowie ein Mindestmaß mitgliedschaftlicher Rechte, sich gegenüber einer verbandsrechtlichen Sanktionsherrschaft zur Wehr zu setzen sowie der Verbandsherrschaft zu entkommen (vgl. § 715 Abs. 2 BGB). Sofern sich Personengesellschafter demzufolge gegen das Einstimmigkeitsprinzip entscheiden, bedarf es des Rückgriffs auf minderheitenschützende Rechte des Rechts körperschaftlich verfasster Verbände. Mit der ausdrücklichen Regelung der Gesellschafterklage (actio pro socio) in § 715b BGB sowie der ausdrücklich als unabdingbar erklärten Rechte auf Notgeschäftsführung in § 715a BGB sowie auf Zugang zu Informationen in § 717 BGB wird dies im Rahmen der Neuregelung des Personengesellschaftsrechts berücksichtigt. Indes hebt die Rechtsprechung hervor, dass qualifizierten Entscheidungsquoren im Rahmen des Personengesellschaftsrechts – bei vereinbarter Mehrheitsklausel – grundsätzlich keine Bedeutung zukomme, weil den schützenswerten Belangen der Gesellschaft – entgegen den § 33 Abs. 1 BGB, § 53 Abs. 2 Satz 1 GmbHG sowie § 179 Abs. 2 AktG – im Rahmen der materiel-
129 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 16 II b dd mit Verweis auf BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 = NJW 1992, 892, 895 f. = GmbHR 1992, 257. 130 Auf den Kernbereich der Mitgliedschaft abstellend, Schwennicke in Staudinger, 2019, § 38 BGB Rz. 34, 288 f. 131 Vgl. Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 108 HGB Rz. 34; Schäfer, ZGR 2013, 237, 267.
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Gestaltungsfreiheit | Rz. 56 § 708 BGB
len Einzelfallwürdigung gesellschaftsvertragsändernder Beschlüsse Rechnung getragen werden könne.132 b) Gesellschafterklage (actio pro socio) Die in § 715b BGB nun ausdrücklich für alle Personenverbände geregelte Gesellschafterklage 55 ist vor dem Hintergrund ihrer systematischen Stellung sowie in Abgrenzung zur Beschlussfassung nach § 714 BGB (bloßes) Organschafts- bzw. Verwaltungsrecht. Gleichzeitig ist die actio pro socio als Institut aber Ausdruck mitgliedschaftlicher Schutzrechte des Einzelnen gegenüber der untätig bleibenden Kollektivherrschaft, mithin Element des verbandsrechtlichen Minderheitenschutzes. Insoweit kommt in § 715b Abs. 2 BGB die absolute Unentziehbarkeit des Schutzrechts zum Ausdruck,133 wobei die konkrete Reichweite je nach konkreter Gestalt der Gesellschaft variieren kann.134 Maßstab ist das im konkreten Verbandszweck zum Ausdruck kommende Kollektivinteresse des Personenverbandes. Ausdrücklich ausgestaltet wurde die Gesellschafterklage als Fall gesetzlicher Prozessstandschaft, mit der Folge, dass die damit verbundene Einziehungs- und Prozessführungsbefugnis des Gesellschafters sich sowohl auf Sozial- als auch auf Drittansprüche der Gesellschaft erstreckt, sofern der Dritte an dem pflichtwidrigen Verhalten mitgewirkt hat bzw. von diesem Kenntnis hatte (§ 715b BGB Rz. 15 f.).135 c) Informationsrechte § 717 BGB regelt sowohl das individuelle als auch das „kollektive“ Informationsrecht in Ge- 56 sellschaftsangelegenheiten. „Beiden Rechten ist gemein, dass sie ein notwendiges Korrelat der unbeschränkten persönlichen Gesellschafterhaftung bilden, der effektiven Überwachung der geschäftsführungsbefugten Gesellschafter dienen und jedem Gesellschafter die sachgemäße Ausübung seiner mitgliedschaftlichen Mitwirkungsrechte ermöglichen sollen.“136 Ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Mitgliedschaft besteht nur hinsichtlich des individuellen Informationsrechts nach § 717 Abs. 1 BGB, während das „kollektive“ Informationsrecht nach § 717 Abs. 2 BGB in erster Linie als „Ausprägung organschaftlicher Verantwortung“ zu verstehen sei.137 Der untrennbare Zusammenhang des individuellen Informationsrechts nach § 717 Abs. 1 BGB mit der persönlichen Haftung nach § 721 BGB, § 126 BGB resultiert daraus, dass eine rechtliche Legitimation für die Einstandspflicht für Verbindlichkeiten eines anderen Rechtssubjekts aus Gesichtspunkten des Gläubigerschutzes nur in Betracht kommt, wenn die in der Haftung zum Ausdruck kommende Selbstverantwortung in einer Wechselbeziehung zu eigennütziger Selbstbestimmung steht. Gleichwohl ist auch den Kommanditisten aufgrund ihrer mitgliedschaftlichen Stellung ein individuelles Informationsrecht zuzuerkennen (§ 166 HGB Rz. 3 ff.). Ein selbstbestimmtes Gesellschafterverhalten in Wahrnehmung der mitgliedschaftlichen Befugnisse setzt daher eine hinreichende Information in Gesellschaftsangelegenheiten voraus. Gemäß § 717 Abs. 1 BGB kommt dem einzelnen Gesellschafter kraft seiner mitgliedschaftlichen Stellung das Recht zu, die Unterlagen der Gesellschaft einzusehen, sich von ihnen Auszüge anzufertigen sowie ergänzend Auskunft über die Geschäftsangelegenheiten zu verlangen. Auf diese Weise begrenzt § 717 Abs. 1 Satz 1 BGB das Recht auf Information zunächst auf solche, die sich aus den Geschäftsunterlagen er-
132 BGH v. 13.10.2020 – II ZR 359/18, ZIP 2020, 2281 Rz. 11; a.A. Schäfer in FS Bergmann, 2018, S. 617, 619 f. 133 Vgl. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 154 f. 134 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 156. 135 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 154 f. 136 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 159 mit Verweis auf Fleischer, DB 2020, 827, 831. 137 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 159. Könen | 131
§ 708 BGB Rz. 56 | Rechtsfähige Gesellschaft geben, weitergehende Informationen kann der Gesellschafter aber nach Satz 2 erhalten, „wenn der Zweck des individuellen Informationsrechts, dem Gesellschafter die Möglichkeit der persönlichen Unterrichtung über die Angelegenheiten der Gesellschaft zu verschaffen, durch die Einsicht nicht erreicht werden kann.“138 Ziel dieses Vorrangs der Einsicht vor einer Auskunft ist die Gewährleistung eines „größtmögliche[n] Maß[es] an Authentizität der Information“.139 Nach § 717 Abs. 1 Satz 3 BGB sind Beschränkungen des Informationsrechts im Gesellschaftsvertrag zwar zulässig, indes nicht, „soweit dies zur Wahrnehmung eigener Mitgliedschaftsrechte erforderlich ist“. Sowohl anhand der Tatsache, dass das individuelle Informationsrecht unabhängig von einer Geschäftsführungsbefugnis des Gesellschafters ist, als auch vor dem Hintergrund, dass die Gesellschafter in ihrer Gesamtheit das Informationsrecht privatautonom nicht vollständig ausschließen können, wird der Charakter des Informationsrechts als Element des Minderheitenschutzes deutlich. Insoweit ist das Informationsrecht als absolut unentziehbares Schutzrecht gegenüber der Verbandsherrschaft zu qualifizieren. Gleichzeitig verdeutlicht § 717 Abs. 1 Satz 3 BGB, dass die konkrete Reichweite des Informationsrechts einer Verhältnismäßigkeitsprüfung unterliegt, wie sie die Rechtsprechung im Rahmen relativ unentziehbarer Organschafts- bzw. Verwaltungsrechte annimmt. 57 Anders als das aus der Mitgliedschaft resultierende individuelle Informationsrecht des Ge-
sellschafters steht das „kollektive“ Informationsrecht dem Personenverband selbst gegenüber den geschäftsführenden Gesellschaftern zu (s. zur doppelten dogmatischen Rechtfertigung, § 717 BGB Rz. 19 ff.). Als „Ausprägung organschaftlicher Verantwortung“140 gewährleistet das „kollektive Informationsrecht“ das innergesellschaftliche Kompetenzgefüge, indem die geschäftsführungsbefugten Gesellschafter der Gesellschaft die erforderlichen Nachrichten zu geben, auf Verlangen Auskunft zu geben sowie nach Beendigung der Geschäftsführertätigkeit Rechenschaft abzulegen haben. § 717 Abs. 2 BGB kommt sowohl eine Gewährleistungsfunktion in der Form zu, dass die Gesellschaft stets Informationen über die Hintergründe der internen Willensbildung der sie im Rechtsverkehr repräsentierenden Organwalter erhält, als auch eine Beschränkungsfunktion dergestalt, dass sich einzelne Gesellschafter – im Namen der Gesellschaft – im Rahmen einer Gesellschafterklage nicht über die Schranken des § 717 Abs. 1 BGB hinwegsetzen.141 Nach § 717 Abs. 2 Satz 2 BGB kann das „kollektive“ Informationsrecht schlechthin nicht durch Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen werden. Dies ist – genauso wie das individuelle Informationsrecht – auf die Tatsache zurückzuführen, dass nur eine hinreichende Informationsgrundlage eine selbstbestimmte Teilhabe an der Verbandstätigkeit voraussetzt, welche notwendige Voraussetzung für die gesetzliche Anordnung selbstverantwortlicher Einstandspflicht für Verbindlichkeiten des Personenverbandes ist. Der gesellschaftsvertraglichen Gestaltbarkeit zugänglich ist hingegen die konkrete Ausgestaltung der Informationsgewährung, sofern diese nicht die Rechtswahrnehmung als solche erschwert.
58 Informationsrechte und -pflichten der Gesellschafter untereinander ergeben sich nicht aus
§ 717 BGB. Solche ergeben sich aber unmittelbar aus der mitgliedschaftlichen Treuepflicht der Gesellschafter. Darüber verweist die Gesetzesbegründung darauf, dass sich Informationsrechte und -pflichten aus einer entsprechenden Anwendung des § 715 Abs. 1 BGB ergeben können, die Berechtigung sowie Verpflichtung zur Geschäftsführung anordnet.142
138 139 140 141 142
RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 159. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 159. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 159. Vgl. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 159 f. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 159.
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Gestaltungsfreiheit | Rz. 61 § 708 BGB
d) Notgeschäftsführung Wie die Möglichkeit der Gesellschaftsklage kommt der in § 715a BGB geregelten Notge- 59 schäftsführung eine Doppelrolle zu. Einerseits ermöglicht diese Organschafts- bzw. Verwaltungsrechte an dem Personenverband, andererseits ist die Notgeschäftsführung als Institut Element des Minderheitenschutzes. Auch derjenige, der von der Geschäftsführung ausgeschlossen ist, muss – vor dem Hintergrund seiner persönlichen Haftung sowie seiner mitgliedschaftsvermittelten Wertbeteiligung am Gesellschaftsvermögen – die Möglichkeit haben, eine interne Willensbildung des Personenverbandes herbeizuführen, wenn die originären geschäftsführungsbefugten Gesellschafter nicht erreichbar sind, aber eine Gefahr für die Gesellschaft oder das Gesellschaftsvermögen zu befürchten ist. Zwar betrifft § 715a BGB ausschließlich das Innenverhältnis, weil es dem Rechtsverkehr nicht zumutbar ist, sich über die gesellschaftsinternen Voraussetzungen zulässiger Geschäftsführung zu informieren, sind diese aber erfüllt hat die Gesellschaft die Geschäfte des Notgeschäftsführers zu genehmigen und Aufwendungsersatz zu leisten. Um die gesellschaftsinterne Kompetenzordnung nicht leerlaufen zu lassen, ist das Notgeschäftsführungsrecht des § 715a BGB subsidiär gegenüber demjenigen nach § 715 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2, Satz 2 BGB, so dass im Rahmen einer gemeinschaftlichen Geschäftsführung vorrangig mitgeschäftsführungsbefugte Gesellschafter notgeschäftsführungsbefugt sind (§ 715a BGB Rz. 5 ff.).143 e) Gewinnbezugsrechte Neben den Organschafts- und Schutzrechten vermittelt die Mitgliedschaft Rechte auf Teilha- 60 be an den Vorteilen, die aus der gemeinsamen Verfolgung des Verbandszwecks resultieren. Rechtsformunabhängig werden diese als Wertrechte bezeichnet, wobei sich Wertrecht in Vorteils- und Gewinnrechte aufteilen lassen. Diese Aufteilung in Vorteils- und Gewinnrechte ist aber letztlich nur für eine Abgrenzung in negativer Hinsicht bei Rechtsformen wie dem eingetragenen bzw. nicht eingetragenen Verein relevant, weil die Mitgliedschaft in einem die Rechtsform nicht verfehlenden Verein nach dem Prinzip der Normativbestimmungen der §§ 21, 22 BGB grundsätzlich nur Vorteils- aber keine Gewinnrechte vermittelt. Für die Personengesellschaften hat sich die Bezeichnung der Wertrechte als Vermögensrechte etabliert. Dies ist zumindest missverständlich, weil die Gesellschafter gerade keine unmittelbaren Rechte an dem Gesellschaftsvermögen haben (vgl. § 713 BGB). Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Personenaußengesellschaft mit der Vereinba- 61 rung eines auf die Teilnahme am Rechtsverkehr gerichteten Verbandszwecks als Rechtssubjekt konstituiert wird, wodurch der Gesellschaft – in Anbetracht der notwendig zu vereinbarenden Förderpflichten (§ 705 Abs. 1, § 709 BGB) – gegenüber den Gesellschaftern jedenfalls dem Grunde nach Sozialansprüche erwachsen, verfügt diese notwendig über ein eigenes Vermögen (vgl. § 713 BGB). Ohne ein solches könnte die Gesellschaft nicht Schuldner von Verbindlichkeiten werden und niemand würde mit der Gesellschaft in rechtsgeschäftliche Beziehungen eintreten (§ 713 BGB Rz. 7 f.). Gleichzeitig führt die Konstituierung des Personenverbandes dazu, dass sämtliche Rechtsverhältnisse der Gesellschafter zur Gesellschaft sowie untereinander im Rechtsinstitut der Mitgliedschaft abstrahiert werden. Angesichts der Rechtssubjektivität des Personenverbandes sowie dessen Vermögensträgerschaft verfügen die Gesellschafter über keinerlei dingliche Beziehung zum Vermögen der Gesellschaft; die wirtschaftliche Teilhabe an der Gesellschaftstätigkeit ist ausschließlich eine mitgliedschaftlich vermittelte Wertbeteiligung. Grundlage der mitgliedschaftlichen Wertbeteiligung am Vermögen der Gesellschaft ist der sog. Kapitalanteil (§ 709 BGB Rz. 20 ff.). Nach dem novellierten Personengesellschaftsrecht ist dieser aufgespalten in einen festen Kapitalanteil I, anhand dessen die relative Wertbeteiligung nach dem kapitalistischen Verteilungsschlüssel des § 709 143 Vgl. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 153 f. Könen | 133
§ 708 BGB Rz. 61 | Rechtsfähige Gesellschaft Abs. 3 BGB zu bestimmen ist, sowie einem variablen Kapitalanteil II, wie er § 120 Abs. 2 HGB zugrunde liegt. Anhand des festen Kapitalanteils I beurteilt sich, in welchem relativen Umfang der einzelne Gesellschafter an den Gewinnen und Verlusten der Gesellschaft partizipiert. Aus dem Kapitalanteil II ergibt sich, in welchem Umfang der Gesellschafter Ansprüche gegen die Gesellschaft auf Auszahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen geltend machen kann. Bilanziell ausgedrückt wird dies durch das den Gesellschaftsanteil ausweisende Kapitalkonto I sowie das den Stand der Einlage sowie Gewinn und Verlust ausweisende Kapitalkonto II der Gesellschafter. Wird für die Gesellschafter nur ein Kapitalkonto geführt ist dieses das variable Kapitalkonto II. Aus der mitgliedschaftlichen Wertbeteiligung folgt, dass der vollständige Wert der Mitgliedschaft sich erst mit Ausscheiden des Gesellschafters oder mit Vollbeendigung der Gesellschaft amortisiert. 62 Nach dem gesetzlichen Leitbild der § 709 Abs. 3, § 718 BGB ist die Verbandstätigkeit auf
eine Vollausschüttung erwirtschafteter Gewinne zum Schluss eines Kalenderjahres an die Gesellschafter gerichtet. Eine Verlustbeteiligung erfolgt hingegen grundsätzlich nur mittelbar über die Wertbeteiligung am Gesellschaftsvermögen, wie sie über die Kapitalkonten abgebildet wird. Nach dem gesetzlichen Leitbild des § 710 BGB sind Nachschusspflichten eines Gesellschafters hingegen grundsätzlich ausgeschlossen.144 Wenn der Wert des Gesellschaftsvermögens nicht ausreicht, Verbindlichkeiten der Gesellschaft zu decken, kann der Ausgleich eines Fehlbetrages durch die Gesellschaft gem. § 728a BGB nur im Falle des Ausscheidens eines Gesellschafters verlangt werden sowie im Falle der Gesellschaftsliquidation gem. § 737 BGB. Reicht daher die Liquidität einer Gesellschaft nicht mehr aus, offene Verbindlichkeiten zu tilgen, ist in der Gesellschaft als Insolvenzschuldnerin der Insolvenzeröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO gegeben, mit der Folge, dass Gläubiger oder die Gesellschaft selbst einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens stellen können. Erst im eröffneten Insolvenzverfahren – als ein besonderes Liquidationsverfahren – können sodann gem. § 737 BGB Ansprüche gegen die Gesellschafter, gerichtet auf den anteiligen Ausgleich von Fehlbeträgen, geltend gemacht werden. Gemäß § 709 Abs. 3 BGB richtet sich der Anspruch auf Gewinnausschüttung vorrangig nach den vereinbarten Beteiligungsverhältnissen, welche sich wiederum grundsätzlich an dem vereinbarten Wert der Beitragsleistungen orientieren, subsidiär sodann nach Köpfen. Aus der Rechtssubjektivität der Gesellschaft folgt, dass der Anspruch nach Feststellung des Jahresabschlusses gegen die Gesellschaft geltend zu machen ist. 63 Die auf diese Weise rechtsformspezifisch geregelte Gewinnbeteiligung ist Ausdruck der mit-
gliedschaftlichen Wert- bzw. Vermögensrechte. Bereits die Regelung des § 709 Abs. 3 BGB bringt zum Ausdruck, dass die Anteile an Gewinn und Verlust in weitem Umfang der gesellschaftsvertraglichen Gestaltbarkeit unterliegen (s. aber zum Gleichbehandlungsgrundsatz, § 709 BGB Rz. 3, 9). So kommen etwa auch der gänzliche Ausschluss von Gewinnbezugsrechten sowie von der Verlustbeteiligung in Betracht. Ein allgemeiner verbandsrechtlicher Grundsatz dergestalt, dass die Mitgliedschaft unabdingbare Rechte auf Gewinnbeteiligung hat, existiert nicht. Anhand der vereinsrechtlichen Rechtsformkontrolle, wonach ein Verband rechtsformwahrend nur dann als haftungsbeschränkter Verein konstituiert sein kann, wenn dessen Tätigkeit strukturell nicht auf Gewinnausschüttung gerichtet ist,145 wird deutlich, dass jedenfalls der Gewinnbezug kein mitgliedschaftliches Charakteristikum als sol-
144 Vgl. Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 397 ff. (Stand: 6/2019). 145 BGH v. 16.5.2017 – II ZB 7/16, BGHZ 215, 69 = NJW 2017, 1943 Rz. 19 = ZIP 2017, 1021; BGH v. 11.9.2018 – II ZB 11/17, NZG 2018, 1392, 1393 = ZIP 2018, 2165; OLG Stuttgart v. 11.1.2022 – 8 W 233/21, NZG 2022, 1017; dies verkennend, OLG Celle 6.10.2021 – 9 W 99/21, ZIP 2021, 2485 (Rechtsmittel nicht zugelassen, Verfassungsbeschwerde anhängig), Könen in BeckOGK/ BGB, Stand: 1.9.2022, § 43 BGB Rz. 10 ff.
134 | Könen
Gestaltungsfreiheit | Rz. 64 § 708 BGB
ches ist. Umgekehrt verlangt auch nicht die gesetzliche Anordnung persönlicher Haftung, dass ein Personengesellschafter am wirtschaftlichen Erfolg der Gesellschaft beteiligt sein muss, solange seine diesbezügliche Entscheidung privatautonom erfolgt und er selbstbestimmt an der Gesellschaft teilhaben kann. Dennoch zeigt die Abgrenzung gegenüber dem nicht-rechtsfähigen Verein, dass die Personengesellschaft als vermögenstragendes Rechtssubjekt ihre Rechtsfähigkeit nach dem gesetzlichen Modell zunächst nur um den Preis der Kapitaldividende der Gesellschafter erhält, wenn die Gesellschafter nicht privatautonom etwas anderes vereinbart haben. In der privatautonomen Vereinbarung eines Verbandszwecks, gerichtet auf die Teilnahme als Personengesellschaft am Rechtsverkehr, kommt ein solcher Wille regelmäßig noch nicht zum Ausdruck. Daraus folgt, dass es sich bei Gewinnfeststellung und -verwendung – sofern Rückstellungen vereinbart werden sollen – jedenfalls nicht um Maßnahmen handelt, die in die Kompetenz der Geschäftsführung fallen.146 Das Gewinnbezugsrecht des Personengesellschafters stellt daher ein ihn als Minderheit schützendes Mitgliedsrecht dar. Dies bedeutet, dass Umgestaltungen der normierten Kapitaldividende im Ausgangspunkt einstimmig in der Gesellschafterversammlung beschlossen oder rückführbar auf den privatautonomen Willen aller Gesellschafter zugunsten von Mehrheitsbefugnissen des Verbandes bzw. anderer Entscheidungsträger delegiert werden müssen. Schranken werden ferner durch den Gleichbehandlungsgrundsatz gezogen, indem dieser vor Willkür schützt und ein Gebot sachlicher Rechtfertigung begründet. In Anbetracht der Tatsache, dass das Gewinnbezugsrecht ein den einzelnen Gesellschafter als 64 Minderheit schützendes Mitgliedschaftsrecht darstellt, stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen Gewinnthesaurierungen, die zu einer Minderung des Gewinnbezugsrechts führen, durch Mehrheitsbeschluss der Gesellschafter vereinbart werden können. Soweit eine Maßnahme den unentziehbaren Bereich der Mitgliedschaft betrifft, sind Mehrheitsentscheidungen in dem Maße zulässig, wie sich das jeweilige Mitglied der Mehrheitsherrschaft durch die anderen Gesellschafter privatautonom unterwirft, sei es durch individualvertragliche Vereinbarung oder durch den Gesellschaftsvertrag. Grenzen der privatautonomen Gestaltbarkeit sind im Recht der Personenaußengesellschaften lediglich durch die Sozietätskonstruktion gezogen, so dass etwa keine Thesaurierung der Mitgliedschaft als solche in Betracht kommt. Hinsichtlich der Thesaurierung von Gewinnen bedient sich die Praxis demgegenüber gesellschaftsvertraglicher Mehrheitsklauseln. Im Sinne der praktischen Gestaltbarkeit können diese nur mehr oder weniger konkret formuliert sein, weil eben nicht jeder nur denkbare Sachverhalt erfasst sein kann. Die Reichweite der Mehrheitsherrschaft ist sodann durch Auslegung des privatautonomen Willens zu ermitteln. Maßgeblich ist, ob die Auslegung des objektiven Sinns der jeweiligen Bestimmung im Gesellschaftsvertrag zu dem Ergebnis führt, dass der betreffende Beschlussgegenstand von der Mehrheitsklausel erfasst sein soll. Ungeachtet der Aufgabe des sog. Bestimmtheitsgrundsatzes147 durch die Rechtsprechung ist der Kernbereich der Mitgliedschaft in Bezug auf absolut bzw. relativ unentziehbare Rechte bei der Auslegung nach allgemeinen Grundsätzen zu berücksichtigen, so dass die Möglichkeit mehrheitlicher Gewinnthesaurierung hinreichend konkret im Gesellschaftsvertrag geregelt sein muss, weil es insoweit einer privatautonomen Unterwerfung der Gesellschafter bedarf. Lässt sich der Wille des Gesellschafters, eine Thesaurierung von Gewinnen durch eine Gesellschaftermehrheit zuzulassen, hinreichend konkret ermitteln, bestehen keine Bedenken gegen eine mehrheitliche Regelung der Gewinnverwendung.
146 Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 109 ff. 147 BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 = ZIP 2014, 2231 Rz. 9 ff.; vgl. Risse/Höfling, NZG 2017, 1131. Könen | 135
§ 708 BGB Rz. 65 | Rechtsfähige Gesellschaft f) Organschaftsrechte; Geschäftsführung und Selbstorganschaft 65 Bei den Organschafts- bzw. Verwaltungsrechten eines Mitglieds handelt es sich um die Rech-
te auf Teilnahme an der Verwaltung der Geschäftstätigkeiten sowie der Grundlagen des Verbandes (interne Willensbildung). Organschafts- bzw. Verwaltungsrecht sind konstitutiv für die Willensbildung und Handlungsfähigkeit des Verbandes. Dementsprechend bedürfen Organschaftsrechte zu ihrer Entstehung grundsätzlich keiner gesellschaftsvertraglichen Grundlage. Sie können aber gesellschaftsvertraglich ausgestaltet, ergänzt und beschränkt werden. In Anbetracht des Sozietätsfundaments der Personenaußengesellschaften sowie der Möglichkeit, kraft schlichter privatautonomer Vereinbarung eines gemeinsam geförderten Zwecks – als Kollektiv am Rechtsverkehr teilnehmen zu wollen – den Verband ohne staatliche Mitwirkung als Rechtssubjekt zur Entstehung bringen zu können, sind die persönlich haftenden Gesellschafter kraft ihrer Gesellschafterstellung geborene Organe der Gesellschaft. Anderenfalls wäre der Personenverband weder willens- noch handlungsfähig. Ferner folgt das Teilhaberecht der persönlich haftenden Gesellschafter an der Verwaltung aus der Wechselwirkung von Selbstverantwortung und eigennütziger Selbstbestimmung. Gegen seinen Willen kann dem Einzelnen seine in § 715 Abs. 1 BGB angeordnete Mitwirkungsmöglichkeit an der Geschäftsführung sowie seine in § 714 BGB angelegte Beteiligung an der Gesellschafterversammlung daher nicht entzogen werden, wobei die Vereinbarung von Mehrheitsklauseln möglich ist. Im Rahmen von Gesellschaftsbeschlüssen richtet sich die Stimmkraft des Gesellschafters grundsätzlich nach dem Gesellschaftsanteil, wie er in dem Wert der vereinbarten Beiträge zum Ausdruck kommt, sofern nicht etwas anderes privatautonom vereinbart wurde (vgl. § 709 Abs. 3 BGB). Die Teilnahme an dem Personenverband wird durch bestimmte Mindestrechte gewährleistet. Insoweit erstarken die Organschaftsrechte zu Schutzrechten des Einzelnen als Minderheit gegenüber der Verbandsherrschaft. 66 Bereits aus dem höchstpersönlichen Charakter der Mitgliedschaft ergibt sich, dass die Aus-
übung von Mitgliedsrechten grundsätzlich dem Verbandsmitglied selbst vorbehalten ist.148 Vor dem Hintergrund des Abspaltungsverbots nach § 711a BGB können die Mitgliedsrechte als solche nicht übertragen werden, sondern nur zur Entstehung gelangte vermögensrechtliche Ansprüche. Eine Übertragung kommt im Übrigen insbesondere deswegen nicht in Betracht, weil bestimmte Mitgliedsrechte nur deshalb gewährt werden, weil sie als Ausgleichsfaktor für durch das Mitglied hinzunehmende Nachteile fungieren. Vor dem Hintergrund der persönlichen Gesellschafterhaftung wird dies in besonderem Maße deutlich. Teilweise wird daraus gefolgert, dass das Abspaltungsverbot eine gesetzliche Ausprägung der Selbstorganschaft darstelle.149 g) Verletzung von Mitgliedsrechten 67 Von dem Deliktsschutz der Mitgliedschaft als solche ist der schuldrechtliche Schutz der ein-
zelnen Mitgliedsrechte abzugrenzen. In Anbetracht der Tatsache, dass zwischen dem Mitglied und dem Personenverband – auch wenn dieser nicht Partei des Gesellschaftsvertrages sein kann, weil dieser lediglich seine organisationsrechtliche Grundlage bildet – eine gesellschaftsrechtliche Sonderbeziehung besteht, sind die Vorschriften über Dauerrechtsverhältnisse entsprechend anzuwenden. Dementsprechend begründet die Verletzung von Mitgliedsrechten durch die Gesellschaft – vermittelt durch ihre Organe bzw. Repräsentanten – analog § 31 BGB i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB eine schuldrechtliche Schadensersatzpflicht der Gesellschaft. Gegenüber den Organen der Gesellschaft kann auf die durch die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht konkretisierte Sonderrechtsbeziehung aus dem Gesellschaftsvertrag
148 Schwennicke in Staudinger, 2019, § 38 BGB Rz. 279. 149 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 235a (Stand: 9/2021).
136 | Könen
Gestaltungsfreiheit | Rz. 69 § 708 BGB
zurückgegriffen werden, weil die Organwalter in der Personengesellschaft stets Mitgesellschafter desjenigen Gesellschafters sind, dessen Mitgliedsrechte verletzt werden. Eine Rechtfertigung der Verletzung von Mitgliedsrechten kommt dann in Betracht, wenn 68 anderenfalls der ordnungsgemäße Fortbestand des Verbandes ernsthaft gefährdet würde. Es handelt sich dabei letztlich um eine Ausprägung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht. Mit Blick auf das Gesellschaftsvermögen kann die mitgliedschaftliche Treuepflicht zu einer Begrenzung des Schadensersatzanspruchs gegen die Gesellschaft führen, wenn der Bestand des Verbandsvermögens als solches gefährdet ist. Dies gilt indes nur dann, wenn der Verband seinerseits keine Regressansprüche geltend machen kann. Vermögensmäßige Rücksichtnahmepflichten gegenüber den verantwortlichen Repräsentanten bzw. Organwaltern bestehen demgegenüber ungeachtet der auch in diesem Verhältnis bestehenden Treuepflicht nicht, weil insoweit nur deren Privatvermögen betroffen ist und dieses in keiner, den verbandsrechtlichen Schutz erfordernden, Beziehung zu dem Anspruchsinhaber steht. h) Aufwendungsersatz Ausgehend von der Rechtssubjektivität des Personenverbandes überträgt § 716 BGB die be- 69 stehende Regelung des § 110 Abs. 1 HGB a.F. für alle Personenaußengesellschaften in das BGB. Danach steht dem Gesellschafter für seine Tätigkeit im Gesellschaftsinteresse ein spezieller Aufwendungsersatzanspruch zu. Dies gilt sowohl für freiwillige als auch für unfreiwillige Inanspruchnahmen des Gesellschafters,150 insbesondere auch für eine Inanspruchnahme als persönlich haftender Gesellschafter nach den § 721 BGB, § 126 HGB. § 716 BGB geht über einen Aufwendungsersatz nach den Bestimmungen der Geschäftsführung ohne Auftrag hinaus, weil es nach § 716 BGB nicht auf eine Geschäftsführungsbefugnis des Gesellschafters ankommt,151 sondern darauf, dass der Gesellschafter objektiv im Geschäftskreis der Gesellschaft tätig wird, subjektiv für sie gehandelt hat und die Aufwendungen „den Umständen nach für erforderlich halten darf“; ersatzfähige Verluste müssen „unmittelbar infolge der Geschäftsbesorgung“ erlitten sein (sog. „tätigkeits- oder geschäftstypischer Schaden“)152. Der Vorschussanspruch des § 716 Abs. 2 BGB ist Ausdruck der Tatsache, dass die Gesellschaft bereits angesichts der Treuepflicht verpflichtet ist, in Vorleistung zu gehen, wenn in Anbetracht der Vermögenstrennung klar ist, dass im Innenverhältnis zuletzt die Gesellschaft die Verbindlichkeiten zu tragen hat. Gleichwohl kommt § 716 BGB – wie zuvor § 110 HGB a.F. – insoweit ein Modellcharakter zu, dass er einem Totalregress des akzessorisch haftenden Gesellschafters entgegensteht (§ 716 BGB Rz. 10).153 Zentrale Wertung des § 716 BGB ist es, dass die Begleichung einer Haftungsforderung nach § 721 BGB, § 126 HGB dazu führt, dass die Aufwendungsersatzansprüche der Gesellschafter gegenüber verbleibenden Gesellschaftsgläubigern nachrangig Befriedigung erhalten. Dies dient den Interessen der Gesamtheit der Gesellschaftsgläubiger. Der Regress gegenüber der Gesellschaft richtet sich demzufolge nach § 716 BGB, der gegenüber den mithaftenden Gesellschaftern nach § 426 Abs. 1 BGB. Spiegelbildlich zu § 119 Abs. 2 HGB regeln § 119 Abs. 1 HGB, § 716 Abs. 4 Satz 2 BGB eine Verzinsungspflicht der Gesellschaft gegenüber dem Gesellschafter. § 716 Abs. 4 Satz 2 BGB bringt gegenüber § 256 BGB zum Ausdruck, dass sich die Verzinsungspflicht auch auf den Ersatzanspruch für Verluste erstreckt. Dabei beschränkt sich die Regelung des § 119 HGB insgesamt nicht auf Personengesellschaften des Handelsrechts. § 716 BGB ist im Rah150 151 152 153
RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 157 f. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 157 f.; Fleischer, DB 2020, 2114, 2116. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 157 f. Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 219; Preuß, ZHR 160 (1996), 163, 173; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 403 (Stand: 6/2019); so auch BGH v. 19.7.2011 – II ZR 300/08, juris Rz. 60; vgl. Wertenbruch, EWiR 2011, 749 ff. Könen | 137
§ 708 BGB Rz. 69 | Rechtsfähige Gesellschaft men der Insolvenz des Personenverbandes teleologisch zu reduzieren, weil anderenfalls ein der Gläubigergesamtheit dienender Haftungszugriff auf die Privatvermögen der Gesellschafter nicht in Betracht käme. Die Inanspruchnahme der Gesellschafter-Privatvermögen auf der Grundlage der personengesellschaftsrechtlichen Haftungsvoraussetzungen durch den Insolvenzverwalter nach § 93 InsO hat in dem Sinne zu erfolgen, dass neben dem Gesellschaftsvermögen als Haftungsmasse weitere Vermögenssonderungen zu bilden sind.
4. Mitgliedspflichten 70 Spiegelbildlich zu den Mitgliedsrechten unterwirft sich das Mitglied verschiedenen Mit-
gliedspflichten. Unabhängig von der Art des Verbandsbeitritts sowie der vereinbarten Ausgestaltung der Mitgliedsrechte unterliegen die Verbandsmitglieder der verbandsrechtlichen Treuepflicht. Das Maß der daraus resultierenden, auf den Verbandszweck bezogenen Mitglieds- und Förderpflichten kann indes je nach Ausgestaltung der Mitgliedschaft sowie der Realstruktur des konkreten Verbandes auf Grundlage der Verbandsverfassung variieren. Mitgliedspflichten lassen sich in zwei Kategorien einteilen: primäre und sekundäre Mitgliedspflichten. Bei den primären Mitgliedspflichten handelt es sich um solche, die für die werbende Tätigkeit eines Verbandes erforderlich sind; insbesondere Beitrags- und Mitverwaltungspflichten.154 Sekundäre Mitgliedspflichten sind demgegenüber solche Pflichten, denen nicht aktiv nachgekommen werden muss, es handelt sich vielmehr um Verhaltenspflichten, deren Verstoß zu einer Störung der verbandsrechtlichen Tätigkeit führen kann. Eine primäre Mitgliedspflicht unterscheidet sich von einer sekundären Pflicht dadurch, dass sich ihr Gehalt stets auf ein konkretes Tun oder Unterlassen spezifizieren lässt. a) Beitragspflichten 71 Die wichtigste Mitgliedspflicht in der Personengesellschaft ergibt sich unmittelbar aus § 705
Abs. 1 BGB. Die insoweit adressierte Beitragspflicht ist notwendige Voraussetzung dafür, dass der Personenverband überhaupt als vermögenstragendes Rechtssubjekt konstituiert werden kann. Für die Entstehung des Gesellschaftsvermögens ist es unerheblich, ob Beiträge tatsächlich geleistet werden, da bereits mit dem Entstehen von Sozialansprüchen der Gesellschaft gegen die Gesellschafter der Gesellschaft als Rechtssubjekt ein Vermögenswert funktional zugewiesen ist. Die Beitragspflicht stellt eine durch den Gesellschaftsvertrag konkretisierte und auf ein konkretes Tun oder Unterlassen gerichtete Förderpflicht dar. Die Beitragspflicht als primäre Mitgliedspflicht wird dabei flankiert durch die allgemeine Förderpflicht als sekundäre Mitgliedspflicht. § 709 Abs. 1 BGB konkretisiert den Begriff des Beitrags sowie dessen materiell-rechtliche Bedeutung für die rechtlichen Beziehungen der Gesellschafter zur Gesellschaft sowie der Gesellschafter untereinander. § 709 Abs. 1 BGB legaldefiniert den Begriff des Beitrags, indem dieser in „jeder Förderung des gemeinsamen Zwecks, auch in der Leistung von Diensten, bestehen [kann]“. Auf diese Weise wird die herkömmliche terminologische Differenzierung zwischen Beitrag und Einlage aufgegeben.155 aa) Art der Beitragsleistung 72 Nach § 709 Abs. 1 BGB können die vereinbarten Förderpflichten sowie die damit verbunde-
nen Beitragsleistungen in der jedweder Leistung von Sachen, Rechten oder Leistungen liegen. Aus § 709 Abs. 3 Satz 2, Satz 3 BGB ergibt sich, dass den vereinbarten Beiträgen grundsätzlich ein Vermögenswert zukommt, weil die Vorschrift im Falle fehlender Vereinbarung der 154 Schwennicke in Staudinger, 2019, § 38 BGB Rz. 38 ff., 49 ff. 155 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 141 f.
138 | Könen
Gestaltungsfreiheit | Rz. 74 § 708 BGB
Beteiligungsverhältnisse bzw. eines ermittelbaren Wertes der Beitragsleistungen auch für die subsidiäre Zuordnung der Verwaltungs- und Wertrechte nach Köpfen einen Beitragswert voraussetzt. In Anbetracht der Tatsache, dass die Rechtssubjektivität der Personengesellschaft aber nicht von einem bestimmten Haftkapital abhängt, ist es nicht erforderlich, dass vereinbarten Beitragspflichten tatsächlich ein Vermögenswert zukommt, sofern sich die Mitgesellschafter auf solch eine Gestaltung einlassen sollten, hätte dies ggf. die Kapitalanteilslosigkeit des betroffenen Gesellschafters zur Folge.156 Für die gesellschaftsrechtliche Beurteilung der Beteiligungsverhältnisse an der Gesellschaft ist es unerheblich, in welcher Art die Beiträge zu leisten sind. So knüpft der Umfang Gesellschaftsbeteiligung kraft Mitgliedschaft unmittelbar an die gesellschaftsvertragliche Vereinbarung an, so dass die dinglichen Voraussetzungen und Wirkungen der konkreten Leistung eines vereinbarten Beitrags unerheblich bleiben. Die Art der Einbringung zu Eigentum oder zur Forderungsinhaberschaft der Gesellschaft (Eigenkapital im Wege sog. Einbringung quoad dominum), im Wege der schuldrechtlichen Gebrauchsüberlassung bei dinglich unveränderter Rechtslage (Fremdkapital im Wege sog. Einbringung quoad usum) oder im Wege der, gleichfalls die dingliche Rechtezuordnung nicht betreffenden, Einbringung dem Werte nach (sog. Einbringung quoad sortem)157 hat maßgebliche Auswirkungen für das Außenverhältnis der Gesellschaft gegenüber Dritten sowie die Frage, welche Vermögenswerte dem Haftungszugriff der Gesellschaftsgläubiger unterworfen werden können; deutlich wird dies in der dinglichen Güterzuordnung, der Gefahrtragung sowie der Berücksichtigung im Liquidationsfall. Demgegenüber kommt im Innenverhältnis eine Vereinbarung dahingehend in Betracht, dass die schuldrechtliche Zurverfügungstellung auf den Gesellschafterkonten als Leistung von Eigenkapital verbucht werden soll. Ebenso wird anhand von § 709 Abs. 3 BGB deutlich, dass die Gesellschafter grundsätzlich Beitragspflichten, denen objektiv kein Vermögenswert zukommt, einen Beteiligungswert zuschreiben können. Umgekehrt können die Gesellschafter vereinbaren, dass ein Gesellschafter nicht an Gewinnen und Verlusten teilhaben soll, es handelt sich dann um einen kapitalanteilslosen Gesellschafter – Auswirkungen auf das Außenverhältnis sind damit nicht verbunden. bb) Beitrag und Beteiligungsverhältnis Aus § 709 Abs. 2 BGB folgt ein – über die bloße Vermutung der Verpflichtung zur Leistung 73 gleichwertiger Beiträge hinaus – gesetzliches Leitbild, dass die Gesellschafter grundsätzlich zu quantitativ gleichwertigen und qualitativ gleichartigen Beiträgen verpflichtet sind.158 Hintergrund ist der Umstand, dass § 709 Abs. 2 BGB gesetzlicher Ausdruck des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist.159 Dies bedingt, dass eine abweichende Berechtigung oder Verpflichtung hinsichtlich Gewinn- und Verlustbeteiligung sachlich zu rechtfertigen ist, etwa durch über- bzw. unterrepräsentative Beitragsverpflichtungen, was wiederum deren Vergleichbarkeit voraussetzt (§ 709 BGB Rz. 3, 9).160 Ebenfalls Ausdruck des mitgliedschaftlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes ist die Anknüp- 74 fung der Verwaltungs- und Wertrechte an die vereinbarten Anteils- und Beitragsquoten durch § 709 Abs. 3 BGB (§ 709 BGB Rz. 20 ff.).161 Dabei muss die im Kapitalanteil I zum
156 Vgl. Wertenbruch in E/B/J/S, 4. Aufl. 2020, § 105 HGB Rz. 24. 157 U. Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil, 1970, S. 195 ff.; Wiedemann in FS Odersky, 1996, S. 928; vgl. zur freien Verfügbarkeit der Gesellschaft sowie zur Behandlung als Eigentum im Rahmen der Liquidation quoad sortem eingebrachter Werte („Quasi-Einlagen“) Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 90 f. 158 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 142. 159 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 142. 160 Vgl. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 142. 161 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 142. Könen | 139
§ 708 BGB Rz. 74 | Rechtsfähige Gesellschaft Ausdruck kommende Anteilsquote nach der gesetzlichen Systematik nicht den vereinbarten Beiträgen entsprechen. Gleichwohl erfordert das aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz resultierende Willkürverbot eine sachliche Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen. Der Vorrang vereinbarter Anteilsquoten dient vor diesem Hintergrund lediglich dem Schutz vor Bewertungsschwierigkeiten, wie sie regelmäßig zu befürchten wären, wenn sich die Beteiligungsverhältnisse nach dem tatsächlichen Wert der Beitragsleistungen richten würden. Demgegenüber dient die gesetzliche Auffangbestimmung des § 709 Abs. 3 Satz 3 BGB einer Bestimmung der Beteiligungsverhältnisse nach Köpfen lediglich der Rechtssicherheit für den Fall fehlender gesellschaftsvertraglicher Bestimmung. Nach der Gesetzesbegründung liegt dem das – systemwidrige – Anliegen zugrunde, einen Anreiz dafür zu schaffen, dass sich die Gesellschafter möglichst frühzeitig über die Beteiligungsverhältnisse aktiv Gedanken machen sollen, um ungünstige Verteilungen der Verbandspartizipation zu vermeiden. In Anbetracht der Tatsache, dass die Gesetzesbegründung selbst auf die Möglichkeit verweist, vereinbarte Anteilsquoten bzw. Betragswerte auch konkludent vornehmen zu können,162 ist ein signifikanter Anwendungsbereich des § 709 Abs. 3 Satz 3 BGB kaum zu erwarten. cc) Mehrbelastungsverbot 75 Während sich aus den § 705 Abs. 1, § 709 BGB das Erfordernis ergibt, die gemeinsame Ver-
folgung des Gesellschaftszwecks durch die Vereinbarung von Beitragspflichten zu fördern, folgt aus § 710 BGB – gewissermaßen spiegelbildlich – das sog. Mehrbelastungsverbot. Dies beinhaltet, dass die Gesellschaft von den Gesellschaftern keine über die vereinbarten Beträge hinausgehenden Beitragszahlungen verlangen kann. Hintergrund ist der Umstand, dass sich die Gesellschafter insofern gerade nicht privatautonom der Verbandsherrschaft unterworfen haben. Die Trennung von Gesellschafts- und Privatvermögen bleibt in Einklang mit der Rechtssubjektivität der Gesellschaft konsequent, bis die Gesellschaft liquidiert wird oder ein Gesellschafter ausscheidet. Eine „Durchbrechung“ der mit der Rechtssubjektivität der Gesellschaft sowie deren Vermögensträgerschaft verbundenen Vermögenstrennung kommt nur kraft gesetzlicher Anordnung (vgl. § 721 BGB, § 126 HGB) oder kraft privatautonomer Entscheidung in Betracht. Eine Entscheidung durch Gesellschaftermehrheit ist nur möglich, wenn ein diesbezüglicher Wille hinreichend im Gesellschaftsvertrag zum Ausdruck kommt; das Mehrbelastungsverbot stellt ein absolut unentziehbares Recht dar. In Verbindung mit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht kann indes der Verbleib in der Gesellschaft von einer Erhöhung der Beiträge abhängig gemacht werden; aus der Treuepflicht folgt aber insoweit nicht eine das Mitglied bindende Entscheidung durch Dritte, sondern ein aktives Zustimmungserfordernis des Gesellschafters („Sanieren oder Ausscheiden“).163 b) Folgen von Pflichtverletzungen 76 Kommt der Gesellschafter seiner Beitragsverpflichtung nicht nach, stellt dies eines Pflichtver-
letzung im Rahmen der mitgliedschaftlichen Sonderbeziehung zur Gesellschaft dar, die im Rahmen von § 280 Abs. 1 BGB schadensersatzbewährt ist. Der Verhaltensmaßstab richtet sich nach § 276 BGB; eine Haftungsprivilegierung nach § 708 BGB a.F. kommt nicht mehr in Betracht,164 weil der Gesellschafter der Gesellschaft als Rechtssubjekt wie ein Dritter gegenübertritt; lediglich aus der gegenseitigen Treuepflicht können sich im Einzelfall abwei-
162 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 143. 163 Vgl. BGH v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, BGHZ 183, 1 = GmbHR 2010, 32; Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 108 HGB Rz. 27 ff.; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 398 ff. (Stand: 6/2019). 164 Dazu ausf. Habersack/Lüdeking, RFamU 2022, 3.
140 | Könen
Gestaltungsfreiheit | Rz. 78 § 708 BGB
chende Verhaltenspflichten ergeben.165 Ebenso steht der Gesellschaft nach den allgemeinen Vorschriften der § 280 Abs. 2, § 286 BGB ein Anspruch auf Ausgleich des Verzögerungsschadens zu. Spezielle Bestimmungen zur Verzinsungspflicht des Gesellschafters ergeben sich aus § 716 Abs. 4 Satz 1 BGB, § 119 Abs. 2 HGB. Die Verzinsungspflicht bezieht sich auf den Zeitpunkt der Verwendung. Auf diese Weise wird die zweckfremde Verwendung von Gesellschaftsvermögen durch den Gesellschafter sanktioniert.166 § 716 Abs. 4 Satz 1 BGB statuiert eine unwiderlegliche Vermutung: Die Gesellschaft muss „nicht darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass sie im Fall eines Schadensersatzanspruchs einen Zinsschaden erlitten beziehungsweise, dass der Gesellschafter im Fall eines Herausgabeanspruchs tatsächlich Zinsen gezogen hat“.167 Daneben kommt eine Verzinsung des Geldherausgabeanspruchs vom Zeitpunkt der Herausgabepflicht nach allgemeinen Vorschriften in Betracht (§ 288 BGB). Ferner nimmt das Gesetz eine rechtsformspezifische Unterscheidung zwischen Zinsansprü- 77 chen der Gesellschaft hinsichtlich des Vermögens, welches der Gesellschafter aus der Geschäftsbesorgung für die Gesellschaft erlangt hat (§ 716 Abs. 3, Abs. 4 Satz 1 BGB) und der Verzinsungspflicht für Entnahmen und Beiträge vor (§ 119 Abs. 2 HGB). Die Regelung der Verzinsungspflicht für Entnahmen und Beiträgen in § 119 Abs. 2 HGB bedeutet indes nicht, dass für die GbR etwas anderes gelten soll. Hintergrund der Regelung im HGB ist der Umstand, dass die Beiträge in der oHG ganz regelmäßig in Geldleistungen bestehen, so dass der Standort auf die besondere Sachnähe zurückzuführen ist. Demgegenüber ist das gesetzliche Leitbild der GbR weitreichender auf die Förderung des Gesellschaftszwecks durch jegliche Beitragsleistung gerichtet, bei der nicht notwendig eine Zinsleistung in Betracht kommt. Daraus folgt aber, dass die Regelung des § 119 Abs. 2 HGB uneingeschränkt auch auf die GbR Anwendung findet, wenn die ausstehenden Beiträge sowie Entnahmen auf die Zahlung von Geld gerichtet sind. c) Wettbewerbsverbot Das Wettbewerbsverbot stellt neben dem Gleichbehandlungsgrundsatz und der Treuepflicht 78 einen allgemeinen verbandsrechtlichen Grundsatz dar.168 Im Rahmen des MoPeG ist weitreichend auf eine Kodifizierung dieser abstrakt-generellen Regelungen verzichtet worden.169 Gesetzlich geregelt ist lediglich das spezielle Wettbewerbsverbot der Personenverbände des Handelsrechts in den §§ 117, 118 HGB. Eine abschließende Regelung ist mit den §§ 117, 118 HGB aber gerade nicht bezweckt, so dass die Bestimmungen auch auf die unternehmenstragende GbR entsprechend anzuwenden sind. Erwägungen zum Vorliegen der Analogievoraussetzungen lassen sich aus der Anwendung der sog. Geschäftschancenlehre auf die GbR durch die Rechtsprechung des II. Senats entnehmen.170 So beruht die Nichtregelung im BGB vornehmlich auf gesetzesästhetischen Erwägungen, um das der rechtsfähigen Personenaußengesellschaft zugrunde liegende Leitbild nicht dadurch zu zersplittern, dass einzelne Bestimmungen nur auf unternehmenstragende Gesellschaften anzuwenden sind.171 Für solche soll daher auf Bestimmungen aus dem HGB zurückgegriffen werden. Mit der Regelung der §§ 117, 118 HGB wird lediglich der alte Normenbestand aus dem HGB übernommen.
165 166 167 168
Schirrmacher, ZHR 186 (2022), 250 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 157 f. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 157 f. Vgl. Tröger in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 159g f. (Stand: 6/2019). 169 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 139 f. 170 BGH v. 4.12.2012 – II ZR 159/10, Rz. 20 = ZIP 2013, 361; Fleischer, NZG 2013, 361 ff.; Tröger in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 159h (Stand: 6/2019). 171 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 139 f. Könen | 141
§ 708 BGB Rz. 79 | Rechtsfähige Gesellschaft 79 Bei dem Wettbewerbsverbot handelt es sich um eine Ausprägung der gesellschaftsrecht-
lichen Treuepflicht, aufgrund derer die Gesellschafter gehalten sind, die Verbandstätigkeit auf der einen Seite zu fördern, es ihnen aber auf der anderen Seite untersagt ist, Handlungen zum Schaden der Gesellschaft vorzunehmen (§ 117 HGB Rz. 4). Die Schadensgeneigtheit, dass ein Gesellschafter gerade aufgrund seiner Gesellschafterstellung in die Lage versetzt wird, zu Lasten der Gesellschaftergesamtheit illoyal einen eigennützigen Vorteil zu erlangen, ist besonders groß, wenn der Gesellschafter aufgrund seiner Gesellschaftsstellung besondere Informationen aus der Geschäftstätigkeit erlangt und darüber hinaus Einfluss auf die Gesellschaft ausüben kann. Bezogen auf die Markttätigkeit eines Gesellschafters verdichtet sich die Treuepflicht als sekundäre Mitgliedspflicht hin zu einer primären Mitgliedspflicht, indem es den Gesellschaftern einer unternehmenstragenden Personenaußengesellschaft grundsätzlich untersagt ist, im selben Geschäftszweig Geschäfte zu machen. Das Wettbewerbsverbot ist aber als Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ausgestaltet. Dies beruht darauf, dass die Gesellschaft sowie die anderen Gesellschafter ihrerseits der Treuepflicht unterliegen.
5. Übertragung der Mitgliedschaft 80 Die Übertragung der Mitgliedschaft in der Personenaußengesellschaft ist spezialgesetzlich in
§ 711 BGB geregelt und bestätigt in der Sache den allgemeinen verbandsrechtlichen Grundsatz der § 38 Satz 1, § 40 BGB. Danach kann die Mitgliedschaft als Rechtsgegenstand Verfügungsobjekt sein und damit derivativ erworben werden.172 Dies betrifft sowohl die in § 711 Abs. 1 BGB adressierte rechtsgeschäftliche Übertragung im Wege der Einzelrechtsnachfolge sowie die erbrechtliche Übertragung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge gem. §§ 1922, 711 Abs. 2 BGB. Beide Übertragungsformen bedürfen der Zustimmung durch die übrigen Gesellschafter (zu den Einzelheiten s. § 711 BGB Rz. 8 ff.). 81 Mit der Frage der Übertragbarkeit der Mitgliedschaft korrespondiert die Anwendbarkeit der
Vorschriften über die (Ver-)Pfändbarkeit (§ 1273 Abs. 1, § 1274 Abs. 2 BGB bzw. §§ 851, 857 ZPO) sowie die Bestellung eines Nießbrauchs (§ 1068 Abs. 1, § 1069 Abs. 2 BGB).173 a) Rechtsgeschäftliche Übertragung 82 Die Mitgliedschaft ist im Ausgangspunkt höchstpersönlicher Natur, sie kann aber im Wege
des Gesellschaftsvertrages sowie auf der Grundlage einer einverständlichen Zustimmung vererblich bzw. rechtsgeschäftlich übertragbar gestellt werden. Bei eröffneter Zulässigkeit der rechtsgeschäftlichen Übertragung bedarf es wie bei einer Vertragsübernahme als dreiseitigem Rechtsgeschäft174 einer Einigung sowohl des ausscheidenden Mitglieds mit dem Erwerber der Mitgliedschaft (§§ 398, 413 BGB), als auch eines Einverständnisses des Verbandes, den Dritten aufzunehmen sowie einer damit korrespondierenden Ausübung des Eintrittsrechts des Dritten.175 Zu den Einzelheiten § 711 BGB Rz. 19. b) Gesetzliche Rechtsnachfolge 83 In Anbetracht des vollzogenen Leitbildwandels über die Rechtsnatur der Personenaußen-
gesellschaft als vermögenstragendes Subjekt sieht § 711 Abs. 2 BGB in Einklang mit den anderen zivilrechtlichen Verbandsformen im Falle des Todes eines Gesellschafters – sofern dieser nicht der vorletzte Gesellschafter gewesen ist – als Grundsatz den identitätswahrenden 172 173 174 175
Vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 19 IV 1. Vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 19 IV 2. Vgl. dazu Hadding in Soergel, 2000, § 38 BGB Rz. 28; Hadding in FS Steindorff, 1990, S. 31, 39. Vgl. BGH v. 30.6.1980 – II ZR 186/79, juris Rz. 23 f.
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Gestaltungsfreiheit | Rz. 89 § 708 BGB
Fortbestand des Personenverbandes vor. Einer gesellschaftsvertraglichen Klausel über die Fortführung der Gesellschaft bedarf es daher nicht mehr (sog. Fortsetzungsklausel zu § 727 BGB a.F.). Vor dem Hintergrund der Höchstpersönlichkeit der Mitgliedschaft bedarf der Eintritt des 84 erbrechtlichen Gesamtrechtsnachfolgers in die mitgliedschaftliche Rechtsstellung des verstorbenen Gesellschafters aber der gesellschaftsvertraglichen Regelung der Vererblichkeit des Gesellschaftsanteils (sog. einfache bzw. qualifizierte Nachfolgeklausel). Darüber hinaus kommt die Regelung eines rechtsgeschäftlichen Eintrittsrechts eines Erben in Betracht (sog. Eintrittsklausel); diese ist aber kein Fall der Übertragung der Mitgliedschaft im Wege rechtsgeschäftlicher oder gesetzlicher Rechtsnachfolge, sondern die schlichte Bestimmung eines Aufnahmeanspruchs, im Rahmen dessen eine neue Mitgliedschaft zu begründen ist (§ 711 BGB Rz. 12 ff.). Anders als im Falle rechtsgeschäftlicher Übertragung bedarf es für die erbrechtliche Rechts- 85 nachfolge nicht der Ausübung eines Eintrittsrechts (§ 711 BGB Rz. 22 f.). Sieht der Gesellschaftsvertrag im Rahmen einer qualifizierten Nachfolgeklausel persönliche 86 Voraussetzungen in der „Person“ des Erben vor und werden diese nicht erfüllt, erlischt die Mitgliedschaft mit dem Tod des Erblassers.176 Existieren mehrere Erben, so wird weder die Erbengemeinschaft als solche Mitglied, noch 87 werden die Erben in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit Inhaber der ererbten Mitgliedschaft. Die Erbengemeinschaft besitzt einerseits keine Rechtsfähigkeit, die Träger von Rechten und Pflichten sein könnte. Andererseits müsste auch die Teilhabe an den Organschaftsrechten gemeinschaftlich erfolgen, was etwa für eine Stimmabgabe eine Mehrheitsentscheidung innerhalb der Erbengemeinschaft voraussetzen würde. Ebenso müssten Treuepflichten gemeinschaftlich ausgeübt werden. Zum Schutz gegenseitiger gesellschaftsrechtlicher Belange ist es sachgerecht, nach § 711 Abs. 2 Satz 2 BGB ausnahmsweise eine Sondernachfolge in die Mitgliedschaft anzunehmen; die Mitgliedschaft ist entsprechend der Erbquote aufzuspalten. Da die Mitgliedschaft als Rechtsgegenstand einheitlich taugliches Objekt von Verfügungen 88 sein kann, kann sie auch Gegenstand eines Vermächtnisses (§ 2147 BGB) sein. Insoweit vollziehen sich zwei Rechtsnachfolgen. Während sich die Gesamtrechtsnachfolge automatisch kraft Gesetzes vollzieht, bedarf die spätere Einzelrechtsnachfolge einer Ausübung des Eintrittsrechts des Vermächtnisnehmers. c) Grenzen des Sozietätsmodells Während der Tod eines Gesellschafters nach dem novellierten Personengesellschaftsrecht 89 grundsätzlich keinen Einfluss auf den identitätswahrenden Fortbestand des Personenverbandes hat, hat dessen Sozietätskonstruktion zur Folge, dass der Verband – in Anbetracht der Notwendigkeit eines organisationsrechtlichen Fundaments mindestens zweier gesellschaftsvertraglich verbundener Mitgliedschaften – mit dem Versterben des vorletzten Gesellschafters – sofern keine erbrechtliche Nachfolge ermöglicht wurde – durch Konfusion sämtlicher Rechtsbeziehungen liquidationslos erlischt und im Wege anwachsender Verschmelzung auf den verbleibenden Gesellschafter als Rechtsnachfolger übergeht. Entsprechend erlischt der Personenverband, wenn die vorletzte Mitgliedschaft auf den verbleibenden Gesellschafter übertragen wird.
176 Eingehend zur Inhaltskontrolle von Nachfolgeregelungen in Verbandsverfassungen, Foerster, AcP 213 (2013), 173, 181 ff. Könen | 143
§ 708 BGB Rz. 90 | Rechtsfähige Gesellschaft d) Umwandlung eines Gesellschafters 90 Fraglich ist, welche Auswirkungen eine Umwandlung eines Gesellschaftsmitglieds aufgrund
des Umwandlungsgesetzes hat. Das Umwandlungsgesetz regelt vor dem Hintergrund des sachenrechtlichen Spezialitätsgrundsatzes unter bestimmten, abschließenden Voraussetzungen die Möglichkeit einer Gesamtrechtsnachfolge in die Gesamtheit der Rechte und Pflichten eines übertragenden Rechtsträgers. Besteht das bisherige Mitglied trotz des Umwandlungsvorgangs teilidentisch als Rechtsträger fort, so ist grundsätzlich auch ein Fortbestand seiner Mitgliedschaft möglich. Ein Erlöschen des Rechtsträgers führt demgegenüber in jedem Fall zu einem Erlöschen der Mitgliedschaft. So hat eine bloße Funktionsnachfolge ohne Wahrung der Identität des Rechtsträgers keinen Übergang der Mitgliedschaft zur Folge.177 Es bedarf vielmehr eines erneuten Aufnahmevertrages, welcher in Fällen der Funktionsnachfolge regelmäßig auch konkludent in Betracht kommt. Mit Blick auf die Belange des Verbandes sowie den Grundsatz der Höchstpersönlichkeit der Mitgliedschaft bedarf ein Umwandlungsvorgang, der lediglich eine Teilidentität des bisherigen Mitglieds in dem aufnehmenden Rechtssubjekt zur Folge hat, in jedem Fall eines Einverständnisses des Verbandes sowie seiner Gesellschafter. Ist in rechtlicher Hinsicht zwar lediglich eine Teilidentität gegeben, die sich aber im Rahmen einer Gesamtbetrachtung als wirtschaftliche Identität darstellt, kann sich das Erfordernis eines Einverständnisses des Verbandes zu einem Aufnahmeanspruch des neuen Rechtsträgers verdichten. Angesichts der vielschichtigen Möglichkeiten von Umstrukturierungen sind insoweit die gesellschaftsvertraglichen Gestaltungsoptionen (d.h. durch antizipiert abgegebene Erklärungen) mangels Vorhersehbarkeit begrenzt, so dass ein ausdrückliches Einverständnis erforderlich sein dürfte. Fraglich ist, welche Anforderungen an einen bloßen Rechtsformwechsel zu stellen sind, bei dem das Mitglied als Rechtsträger identisch fortbesteht. Insofern ist problematisch, ob der Rechtsformwechsel in den Interessenkreis des Verbandes hineinwirkt oder ob es sich ausschließlich um eine Entscheidung des Mitglieds handelt, die keine Auswirkungen auf die Rechtssphäre des Verbandes hat. 91 Ohne eine Regelung im Gesellschaftsvertrag, die für die Mitgliedschaft in der Gesellschaft
eine bestimmte Rechtsform vorschreibt, sind schützenswerte Belange des Verbandes nicht ersichtlich, wenn sich die Gesellschafter grundsätzlich für eine Übertragbarkeit entschieden haben. Es würde vielmehr einen nicht hinzunehmenden Eingriff in die privatautonomen Belange des Mitglieds darstellen, wenn man ihm nachträglich eine bestimmte Rechtsform vorschreiben wollte. Sieht der Gesellschaftsvertrag demgegenüber bereits anfänglich vor, dass z.B. lediglich solchen Verbänden die Mitgliedschaft offensteht, die aus persönlich haftenden Gesellschaftern bestehen, so würde eine Umwandlung in eine KG oder eine Kapitalgesellschaft dazu führen, dass das Mitglied nicht mehr die vertragsgemäßen Voraussetzungen erfüllt und dementsprechend auszuscheiden hätte.
6. Isolierte Übertragbarkeit und Delegation von Rechten und Pflichten 92 Während die Mitgliedschaft als solche übertragen werden kann, sofern die Gesellschafter in
ihrer Gesamtheit ihre diesbezügliche Zustimmung erteilt haben, können einzelne Rechte und Pflichten nicht von der Mitgliedschaft abgespalten werden. Dies ergibt sich klarstellend aus der Regelung des § 711a BGB, folgt aber bereits unmittelbar aus der Höchstpersönlichkeit der Mitgliedschaft sowie dem untrennbaren Zusammenhang der zwischen Mitgliedern und Verband wechselseitig bestehenden Rechte und Pflichten.
177 OLG Hamm v. 6.9.2010 – I-8 U 8/10, NZG 2011, 35, 36.
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Gestaltungsfreiheit | Rz. 96 § 708 BGB
a) Verwaltungsrechte und -pflichten Aus der Untrennbarkeit der voneinander abhängigen Rechte und Pflichten, wie sie im Rechts- 93 institut der Mitgliedschaft gebündelt werden – ohne synallagmatisch verbunden zu sein –, folgt, dass Organschafts- bzw. Verwaltungsrechte grundsätzlich nicht individuell übertragen werden können; lediglich die zeitweilige Ausübung eines Rechts durch einen Dritten kommt in Betracht. Dieses allgemeine verbandsrechtliche Leitbild bringt § 711a Satz 1 BGB mit dem sog. Abspaltungsverbot zum Ausdruck. Anders als die Übertragung eines Rechts ist dessen Ausübung etwas, das in erster Linie die Interessen des berechtigten Mitglieds berührt, nicht aber diejenigen des Verbandes oder der anderen Mitglieder. Aus der Nichtausübung eines Rechts sind grundsätzlich lediglich Rechtsnachteile zu Lasten des Rechteinhabers betroffen. Die Delegation der Ausübung von Mitgliedsrechten kommt daher jedenfalls insoweit in Betracht, wie diese Berechtigungen nicht mit einer unmittelbar korrespondierenden Verpflichtung zusammengehören. Besteht kein über die gemeinsame Anknüpfung an die Mitgliedschaft hinausgehender Zusammenhang werden der Delegation der Rechteausübung nur durch den untrennbaren Zusammenhang von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung Grenzen gesetzt. Aus diesem ergibt sich, dass sich ein Subjekt jedenfalls nicht so weit der Fremdbestimmung unterwerfen kann, als dass es dauerhaft im Rechtsverkehr der Fremdbestimmung durch einen Dritten ausgesetzt ist, weil dies dem allgemeinen Grundsatz zuwiderliefe, keine Verträge zu Lasten Dritter begründen zu können. Maßgeblich ist die Rückholbarkeit der Berechtigung.178 Die Wahrnehmung von Pflichten durch Dritte ist hingegen vor dem Hintergrund proble- 94 matisch, dass die Auswahl eines Gesellschafters häufig mit Blick auf dessen individuelle Fähigkeiten erfolgt. Zwar bietet sich grundsätzlich eine Differenzierung zwischen vertretbaren und unvertretbaren Handlungen zur Erfüllung einer mitgliedschaftlichen Pflicht an. Unter Berücksichtigung des konkreten Gesellschaftszwecks ist aber – insbesondere bei einem überschaubaren Gesellschafterbestand – grundsätzlich davon auszugehen, dass die Mitgesellschafter ein schützenswertes Interesse an der Erfüllung mitgliedschaftlicher Pflichten gerade durch den Gesellschafter persönlich haben. Anders als bei einer Berechtigung betrifft die Nicht- oder Schlechtausübung einer vereinbarten Verpflichtung unmittelbar die Interessen der Mitgesellschafter sowie des Verbandes. Im Regelfall handelt es sich bei der Wahrnehmung von Verwaltungspflichten daher um solche, die nach der gesellschaftsvertraglichen Vereinbarung höchstpersönlich ausgeübt werden sollen. b) Vermögensrechte und -pflichten Vor dem Hintergrund der Höchstpersönlichkeit der Mitgliedschaft sind mitgliedschaftliche 95 Vermögensrechte und -pflichten grundsätzlich ebenfalls nicht übertragbar. § 711a Satz 2 BGB differenziert aber hinsichtlich des Vermögensrechts, wie es untrennbar mit der Mitgliedschaft verbunden ist, sowie den aus dem Stammrecht erwachsenen und in einen allgemeinen Zahlungsanspruch übergeleiteten konkreten Zahlungsansprüchen gegen die Gesellschaft. Eine Höchstpersönlichkeit dieser Berechtigung besteht kraft Gesetzes nicht. Schützenswerte Belange der Gesellschaft bzw. der Mitgesellschafter bestehen diesbezüglich nicht. Anders als bei der Delegation von Verwaltungspflichten sind durch die Vermögenspflichten 96 eines Mitglieds die Interessen der anderen Gesellschafter an einer höchstpersönlichen Erfüllung durch das Mitglied jedenfalls dann nicht betroffen, wenn diese auf die Leistung eines Entgelts gerichtet sind. Diese Ausnahme vom Grundsatz der Höchstpersönlichkeit mitglied-
178 Vgl. BGH v. 15.12.1969 – II ZR 69/67, NJW 1970, 468; BGH v. 10.11.1951 – II ZR 111/50, BGHZ 3, 354. Könen | 145
§ 708 BGB Rz. 96 | Rechtsfähige Gesellschaft schaftlicher Verpflichtungen ergibt sich aus der § 711a Satz 2 BGB zugrunde liegenden Wertung, dass im Rahmen von schlicht auf die Zahlung von Geld gerichteten Forderungen – unabhängig von der Inhaberschaft – gesellschaftsrechtliche Interessen nicht beeinträchtigt werden. Auch mit Blick auf die Delegation von Verwaltungspflichten bedeutet dies daher nicht, dass sich dadurch der normative Standard verschiebt. Dies ergibt sich für alle Personenaußengesellschaften – entgegen dem Regelfall bei Personengesellschaften des Handelsrechts – aus der Regelung des § 709 Abs. 1 BGB, der die Beitragsleistung durch Dienste den sonstigen Förderbeiträgen gleichstellt. Nur auf Geld gerichtete Beitragszahlungen können daher durch einen Dritten beglichen werden, sofern die Verpflichtung dem Grunde nach auf das Mitglied bezogen bleibt. Es ist schließlich die Solvenz des konkreten Mitglieds, welche die Mitgesellschafter im Rahmen der Vereinbarung des Verbandszwecks in den privatautonomen Abwägungsprozess einbezogen in Einklang mit ihren eigenen Präferenzen und Verpflichtungen eingepreist haben.
7. Beginn und Ende der Mitgliedschaft a) Originärer Erwerb 97 Die Mitgliedschaft in einem Personenverband entsteht originär mit der Vereinbarung des
konstituierenden Verbandszwecks, gerichtet auf die Teilnahme am Rechtsverkehr, sowie der Zusicherung der eigenen Beitragsleistungen, weil der Verband in diesem Zeitpunkt zum vermögenstragenden Rechtssubjekt wird. Haben die Gesellschafter einen Zeitpunkt für die Aufnahme der werbenden Verbandstätigkeit vereinbart, entstehen Verband und Mitgliedschaft zu diesem Termin, wenn nicht die Gesellschaft bereits vorher – vermittelt durch das Verhalten ihrer Organwalter – durch die Eingehung von Verbindlichkeiten am Rechtsverkehr teilnimmt. 98 Ferner entsteht die Mitgliedschaft im Personenverband durch den Eintritt eines Gesellschaf-
ters in eine bestehende Personenaußengesellschaft, indem dieser mit dem Verband einen Aufnahmevertrag vereinbart. Die Aufnahme in die Gesellschaft muss in Anbetracht des personengesellschaftsrechtlichen Vertragskonstrukts rückführbar auf den Willen aller Gesellschafter sein, wie er entweder in der individuellen Zustimmung aller Gesellschafter oder in einer an deren Stelle tretenden kollektiven Zustimmung im Gesellschaftsvertrag zum Ausdruck kommt, wobei eine Vermittlung des Gesellschaftswillens durch eine Mehrheitsentscheidung auf der Grundlage einer wirksamen Mehrheitsklausel in Betracht kommt. 99 Mit dem Eintritt in die Gesellschaft entsteht eine neue Mitgliedschaft in der Weise, dass
den bestehenden Gesellschaftern gleichmäßig Gesellschaftsanteile abwachsen und gleichzeitig in der Mitgliedschaft des Beitretenden anwachsen (vgl. § 712 Abs. 2 BGB). b) Abgeleiteter Erwerb 100 Im Rahmen eines abgeleiteten Erwerbs der Mitgliedschaft verändern sich die Gesellschafts-
anteile nicht. Es wird lediglich der Rechtsinhaber im Wege der Einzel oder Gesamtrechtsnachfolge ausgetauscht (Rz. 80 ff.). c) Ausscheiden 101 Auf der Grundlage der Sozietätskonstruktion führt das Ausscheiden eines Gesellschafters im
Wege der Kündigung des Gesellschaftsvertrages dazu, dass dessen Gesellschaftsanteile den verbleibenden Gesellschaftern anwachsen (vgl. § 712 Abs. 1 BGB), sofern nicht mit dem Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters das Sozietätsfundamt der Personengesellschaft vernichtet wird (vgl. § 712a BGB). 146 | Könen
Gestaltungsfreiheit | Rz. 105 § 708 BGB
d) Gesellschaftsliquidation Schließlich endet die Mitgliedschaft im Personenverband mit der liquidationsrechtlichen 102 Schlussverteilung, wenn also mit dem Erlöschen sämtlicher Verbindlichkeiten des Verbandes kein Bedürfnis des Rechtsverkehrs für den Fortbestand eines vermögenstragenden Rechtssubjekts mehr gegeben ist. Im Falle der bloß vermeintlichen Vollbeendigung der Liquidationsgesellschaft lebt die Mitgliedschaft im Nachtragsliquidationsverband gegebenenfalls wieder auf.
8. Rechtsschutz Rechtsstreitigkeiten, welche die Mitgliedschaft betreffen, sind in dem Rechtsverhältnis aus- 103 zutragen, in dem die jeweilige Berechtigung bzw. Verpflichtung zum Tragen kommt bzw. in welchem es zu einer Beeinträchtigung von Zuweisungs- oder Ausschließungsfunktion gekommen ist.179
III. Gestaltungsfreiheit im Innenverhältnis 1. Vorrang gesellschaftsvertraglicher Vereinbarung Der Vorrang vertraglicher Gestaltung des Innenverhältnisses von Personengesellschaften be- 104 ruht einerseits auf dem Grundsatz der Privatautonomie, wie er dem Entschluss der Gesellschafter, sich zu einer zivilrechtlichen Vereinigung zusammenzuschließen, immanent ist. Andererseits ist die selbstbestimmte Gestaltbarkeit der mitgliedschaftlichen Rechtsbeziehungen im Personenverband notwendiges Gegenstück der gesetzlich angeordneten selbstverantwortlichen persönlichen Gesellschafterhaftung. Schließlich ergibt sich die innenrechtliche Gestaltungsfreiheit der Verbandsverfassung von Personenverbänden aus der Eigenschaft des Gesellschaftsvertrages als Schuldvertrag. Diese sind nach den §§ 241, 311, 305, 306 BGB allgemein dispositiv.180 In Einklang mit dem AGB-rechtlichen Rechtsfolgenregime des § 306 BGB folgen die §§ 708 ff. BGB dem „Primat des Gesellschaftsvertrages vor dem Gesetzesrecht“.181 Aus der schuldvertraglichen Grundlage der personengesellschaftsrechtlichen Sozietätskonstruktion ergibt die rechtsgeschäftliche Grundlage der mitgliedschaftlichen Rechtsbeziehungen. Die Anwendbarkeit der Regelersatzordnung der §§ 705 ff. BGB setzt dementsprechend eine – auch konkludente oder fehlerhafte – rechtsgeschäftliche Übereinkunft voraus, durch die beitragsgestützte Förderung eines gemeinsamen Zwecks als Kollektiv am Rechtsverkehr teilnehmen zu wollen. Auch Änderungen des Gesellschaftsvertrages müssen auf den privatautonomen Willen der Gesellschafter rückführbar sein; insoweit haben die Gesellschafter die Möglichkeit, sich antizipiert der verbandsrechtlichen Mehrheitsherrschaft zu unterwerfen.
2. Vorrang ergänzender Vertragsauslegung In Anbetracht der rechtsgeschäftlichen Natur des Gesellschaftsvertrages ist dieser der Aus- 105 legung nach den §§ 133, 157, 242 BGB zugänglich. Anders als im Rahmen des auch präventionsorientierten Rechtsfolgenregimes des § 306 BGB bedeutet der Vorrang gesellschaftsver179 Enzinger in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 109 HGB Rz. 31. 180 Enzinger in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 109 HGB Rz. 1 ff.; Schäfer in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2018, § 109 HGB Rz. 3. 181 Enzinger in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 109 HGB Rz. 1. Könen | 147
§ 708 BGB Rz. 105 | Rechtsfähige Gesellschaft traglicher Vereinbarung vor Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen zugleich einen Vorrang der ergänzenden Vertragsauslegung.182 Die Interessenlage bei Vereinbarung eines Gesellschaftsvertrages ist grundsätzlich eine völlig andere als diejenige, der die §§ 305 ff. BGB zu begegnen haben. Es gilt gerade nicht einem etwaigen Verhandlungsungleichgewicht vorweggenommener Vertragsgestaltung zu begegnen; vielmehr wird der Gesellschaftsvertrag im Rahmen eines privatautonomen Aushandlungsprozesses auf Augenhöhe unter individueller Einpreisung persönlicher Präferenzen ausgehandelt. Vor diesem Hintergrund bestimmt § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB, dass die §§ 305 ff. BGB auf Verträge auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts keine Anwendung finden. Eine Einschränkung von diesem Grundsatz kann sich indes bei Publikumsgesellschaften ergeben, bei denen der Anlagecharakter der Beteiligung im Vordergrund steht und bei denen es in Anbetracht vorformulierter Vertragsbedingungen ein Verhandlungsungleichgewicht zu kompensieren gilt. 106 Ungeachtet dessen ist der Gesellschaftsvertrag ein typisch unvollständiger Vertrag; er muss
aber in Anbetracht seiner langen Laufzeit in vielen Situationen tragfähig sein.183 Darüber hinaus handelt es sich zum Zeitpunkt der Gründung häufig um emotional geprägte Entscheidungen, so dass häufig z.B. keine Regelungen für Gesellschafterkonflikte getroffen werden; dabei vertrauen die Gesellschafter regelmäßig auf ergänzende gesetzliche Regelungen. Auch vor diesem Hintergrund sind aber gesetzliche Vorgaben an die Verbandsverfassung grundsätzlich dispositiv, weil sie für rechtsformtypische Situationen gesellschaftsvertragsergänzende Regelungen treffen, um auf diese Weise Transaktionskosten zu sparen. Lässt sich aber ein hypothetischer Wille der Gesellschaftsvertragsparteien feststellen, ist vorrangig diesem im Wege ergänzender Vertragsauslegung zur Geltung zu verhelfen. Erst, wenn dies zu keinem Ergebnis führt, ist auf die gesetzlichen Bestimmungen und Leitbilder zurückzugreifen.
IV. Schranken der Gestaltungsfreiheit 107 Einschränkungen vom Grundsatz der Gesellschaftsvertragsfreiheit erfolgen rechtsformunab-
hängig zunächst im Interesse der durch das Gesellschaftsrecht geschützten Stakeholder. Insoweit hat das Gesellschaftsrecht drei Aufgaben: 1. öffentliche Interessen einzubinden (z.B. hinsichtlich der Arbeitnehmermitbestimmung), 2. den Rechtsverkehr zu schützen sowie 3. innergesellschaftsrechtliche Konflikte zu entscheiden (etwa zwischen der Mehrheit und einer Minderheit oder zwischen verschiedenen Organen).184 Normiert werden z.B. als Grenzen der Vertragsfreiheit im Binnenverhältnis der Gesellschafter zueinander Mindestinformationsrechte, Abspaltungsverbote, qualifizierte Mehr- bzw. Minderheitenerfordernisse185 oder Stimmverbote.186 Ferner wird in Bezug auf Satzungen und Gesellschaftsverträge in Anbetracht des § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB anstatt einer AGB-Inhaltskontrolle – mit Ausnahme von Publikumsgesellschaften bei denen anstatt der Ausübung von Mitgliedsrechten der Anlagecharakter im Vordergrund steht187 sowie bestimmten vereinsrechtlichen Gestaltungen – 182 Tröger in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 143 ff. (Stand: 9/ 2022). 183 Teichmann, RNotZ 2013, 346, 350. 184 Bayer in Schranken der Vertragsfreiheit, 2007, S. 91 f. 185 Etwa § 33 Abs. 1, § 37 BGB, § 53 Abs. 2 Satz 1, § 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG, § 179 Abs. 2 Satz 1 AktG, §§ 233, 240 UmwG. 186 Etwa § 47 Abs. 4 GmbHG, § 136 Abs. 1 AktG. 187 Dabei kommt es im Rahmen von § 242 BGB zur Berücksichtigung AGB-rechtlicher Wertungen, vgl. BGH v. 12.3.2013 – II ZR 73/11, DStR 2013, 1295; BGH v. 14.4.1975 – II ZR 147/73, NJW 1975, 1318; BGH v. 21.3.1988 – II ZR 135/87, NJW 1988, 1903; Basedow in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2019, § 310 BGB Rz. 121 ff.; Jaletzke in MünchHdbGesR II, 5. Aufl. 2019, § 65 Rz. 8 ff.; Könen, ZIP 2016, 2002, 2006; a.A. Grunewald in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 161 HGB Rz. 130 f.; Kähler in BeckOGK/BGB, Stand: 15.9.2022, § 242 BGB Rz. 1016 ff.
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Gestaltungsfreiheit | Rz. 108 § 708 BGB
eine spezifisch gesellschaftsrechtliche Inhalts- und Ausübungskontrolle von Beschlüssen anhand mitgliedschaftlicher sowie minderheitenschützender Rechte vorgenommen.188 Berücksichtigt werden dabei insbesondere der Kernbereichsschutz, der Gleichbehandlungsgrundsatz sowie die Treuepflicht. Die Einschränkung der Gesellschaftsvertragsfreiheit erfolgt insoweit – nachgelagert – im Wege einer materiellen Beschlusskontrolle unter Beachtung gesetzlicher Verbote (§ 134 BGB) sowie der guten Sitten auf der Grundlage von § 138 BGB189 bzw. im Rahmen eines Ausübungskontrolle nach Treu und Glauben (§ 242 BGB).190 Soweit etwa eine satzungsmäßige Ausschließungs- und Abfindungsvereinbarung noch nicht gegen § 138 BGB verstößt, kann gleichwohl der Missbrauchseinwand nach § 242 BGB in Betracht kommen; dies gilt insbesondere im Falle schleichender Fehlerhaftigkeit.191 Ferner kommen ergänzende Vertragsauslegungen (gem. §§ 133, 157, 242 BGB) unter Berücksichtigung der Treuepflicht oder Vertragsanpassungen nach § 313 BGB in Betracht.192 Vor dem Hintergrund des Charakters des Gesellschaftsvertrages als Verbandsverfassung ist insoweit zwar tendenziell eine objektive Auslegung angezeigt, weil die Verfassung auch für hinzutretende Gesellschafter verbindlich ist.193 Im Rahmen von personengesellschaftsrechtlichen Verträgen wird die bei juristischen Personen anerkannte objektive – auf den normativen Sinngehalt schriftlicher Regelungen beschränkte – Auslegung im rechtsformtypischen Regelfall durch die den Vertragsschluss prägenden subjektiven Elemente zumindest überlagert.194 Bedeutung kommt insoweit der Realstruktur des konkreten Personenverbandes zu. Ist etwa die Mitgliedschaft übertragbar gestellt, erfahren nicht konkret vereinbarte Vertragsbedingungen immer weniger Bedeutung. Um gesellschaftsrechtlichen Beschränkungen der Vertragsfreiheit bei der Satzungs- bzw. Gesellschaftsvertragsgestaltung auszuweichen, können ergänzende Nebenabreden vereinbart werden.195 Dies ist sogar mit Blick auf den aktiengesetzlichen Regelungszweck sowie die Vorschrift des § 23 Abs. 5 AktG unbedenklich, weil Aktienerwerber nicht ohne ihre Mitwirkung an die schuldrechtlichen Nebenabreden ihrer Rechtsvorgänger gebunden werden.196 Das auf der Basis von Mitgliedschaft und Sozietät gründende Innenverhältnis der Personen- 108 außengesellschaft ist geprägt von der privatautonomen Gestaltbarkeit der mitgliedschaftlichen Rechtsbeziehungen. Schranken erfährt die Gestaltbarkeit einerseits durch absolut und relativ unentziehbare gesellschaftsrechtliche Rechtspositionen, wie sie gesellschaftsrechtlich 188 Vgl. BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 = ZIP 2014, 2231; Schäfer in MünchKomm/ BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 143 ff. 189 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 131 HGB Rz. 170. 190 Vgl. BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 = ZIP 2014, 2231; Altmeppen, 11. Aufl. 2023, Anh. § 47 GmbHG Rz. 50 ff.; Enzinger in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 119 HGB Rz. 86 ff.; Grunewald in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 161 HGB Rz. 130 ff.; Koch, ZHR 182 (2018), 378 ff.; K. Schmidt, ZHR 158 (1994), 205; Wertenbruch, NZG 2013, 641. 191 Vgl. Bayer in Schranken der Vertragsfreiheit, 2007, S. 91, 98 ff.; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 131 HGB Rz. 170. 192 BGH v. 13.6.1994 – II ZR 38/93, NJW 1994, 2536, 2539 f. = GmbHR 1994, 871; Martens in BeckOGK/BGB, Stand: 1.10.2022, § 313 BGB Rz. 92 ff.; Wertenbruch in E/B/J/S, 4. Aufl. 2020, § 105 HGB Rz. 103. 193 Vgl. bei körperschaftlicher Organisationsstruktur BGH v. 27.9.2011 – II ZR 279/09, NZG 2011, 1420 = GmbHR 2012, 92; zu Publikumsgesellschaften BGH v. 11.9.2018 – II ZR 307/16, NZG 2018, 1226, 1227 = ZIP 2018, 2024; hingegen tendenziell subjektive Auslegung bei personalistisch strukturierten Personengesellschaften BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, NZG 2014, 1296, 1299 = ZIP 2014, 2231; Henssler in Henssler/Strohn, 5. Aufl. 2021, § 105 HGB Rz. 98; Wertenbruch in E/B/J/ S, 4. Aufl. 2020, § 105 HGB Rz. 100. 194 Vgl. BGH v. 29.3.1996 – II ZR 263/94, BGHZ 132, 263 = ZIP 1996, 750; Tröger in Westermann/ Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 141 ff., 142b ff. (Stand: 9/2022). 195 BGH v. 15.3.2010 – II ZR 4/09, NJW 2010, 3718, 3719 = ZIP 2010, 1541; Koch, 16. Aufl. 2022, § 23 AktG Rz. 47. 196 BGH v. 22.1.2013 – II ZR 80/10, NZG 2013, 220, 221 = ZIP 2013, 263. Könen | 149
§ 708 BGB Rz. 108 | Rechtsfähige Gesellschaft im Rechtsinstitut der Mitgliedschaft zum Ausdruck kommen. Andererseits unterliegt der Gesellschaftsvertrag in seiner Eigenschaft als Schuldvertrag allgemeinen zivilrechtlichen Schranken. Demgegenüber haben die im Außenverhältnis betroffenen Interessen Dritter nur dergestalt Auswirkungen auf die Gestaltbarkeit des Innenverhältnisses, dass sie das personengesellschaftsrechtliche Primat weitreichender Gestaltbarkeit besonders akzentuieren. 109 Die grundsätzliche Gestaltungsfreiheit des Innenverhältnisses der Personenaußengesellschaft
ist prägend für diese Rechtsformen. Dass es sich dabei aber – anders als die Sozietätskonstruktion – nicht um ein personengesellschaftsrechtliches Charakteristikum handelt, zeigt insbesondere § 45 GmbHG, wonach auch für diese juristische Person ein Vorrang der privatautonomen Ausgestaltung vor zwingenden Gläubigerschutzvorschriften anzunehmen ist. Die aktienrechtliche Satzungsstrenge des § 23 Abs. 5 AktG ist demgegenüber nicht Ausdruck rechtsformspezifischer Eigenheiten des gesellschaftsrechtlichen Innenverhältnisses. Sie ist vielmehr das Ergebnis – teilweise überschießender – mitgliedstaatlicher Umsetzung zwingender Harmonisierungsbestimmungen des Unionsrechts, wie sie auf der Grundlage der Art. 54, 55 Abs. 2 Buchst. g AEUV für die typischerweise grenzüberschreitend tätig werdende „große Kapitalgesellschaft“ – zur binnenmarktweiten Schaffung standardisierter und umlauffähiger Anlageprodukte – Einfluss auf das Gesellschaftsrecht genommen haben. In aller erster Linie ist die Gestaltbarkeit gesellschaftsrechtlicher Innenverhältnisse daher auf den Grundsatz der Privatautonomie zurückzuführen sowie auf die Tatsache, dass Vereinbarungen der Gesellschafter untereinander bzw. mit dem Verband grundsätzlich keine Auswirkungen auf die Rechtsverhältnisse der Gesellschaft zu Dritten haben.
110 Werden durch innenrechtliche Gestaltung berechtigte Interessen Dritter berührt, kann ihr
derart eine Außenwirkung zukommen, dass eine Notwendigkeit zwingender Bestimmungen aufkommen kann. Im Rahmen der personengesellschaftsrechtlichen Normgebung kommt dies etwa dadurch zum Ausdruck, dass die Gesellschafter in ihrer Gesamtheit Vereinbarungen treffen können, aufgrund derer der Personenverband droht, zu Lasten der bestehenden Gläubiger der Gesellschaft als Rechtssubjekt verbandsspezifisch von innen ausgehöhlt zu werden. Auf der Basis dieser Legitimationsgrundlage sieht das Personengesellschaftsrecht die Einstandspflicht von an einem Rechtsverhältnis unbeteiligten Individuen vor, indem die Gesellschafter für Verbindlichkeiten der Gesellschaft haften (§ 721 BGB, § 126 HGB).197 Dieser sehr weitreichende Gläubigerschutz führt dazu, dass der Gestaltungsfreiheit im Innenverhältnis eine umso größere Bedeutung zukommen, weil der in einer Haftung zum Ausdruck kommenden Selbstverantwortung eine hinreichende Selbstbestimmung gegenüberstehen muss.
1. Gesellschaftsrechtliche Schranken 111 Gesellschaftsrechtliche Schranken innenrechtlicher Gestaltbarkeit resultieren aus den Rechts-
positionen, wie sie sich mit der Konstituierung als Personenverband im Rechtsinstitut der Mitgliedschaft vereinen. In Anbetracht der Tatsache, dass die Gestaltungsfreiheit des Innenverhältnisses auf den Grundsatz der Privatautonomie zurückzuführen ist, ist diese zwar sehr weitreichend, gilt aber nicht unbeschränkt, sondern steht unter dem Vorbehalt missbräuchlicher Verwendung. Eine ausdrückliche Regelung von Minderheitenrechten findet im Recht der Personengesellschaften grundsätzlich nicht statt, so dass in erster Linie auf ungeschriebene gesellschaftsrechtliche Schranken zurückzugreifen ist, wie sie sich insbesondere durch den Gleichbehandlungsgrundsatz, die Treuepflicht sowie die Wechselwirkung aus eigennütziger Selbstbestimmung und Selbstverantwortung ergeben. Zur Gewährleistung des Schutzes mit-
197 Ablehnend zu den von der Regierungsbegründung (BT-Drucks. 19/27635, S. 165) erwähnten haftungsbeschränkten Fallgruppen, Röß, NZG 2023, 727.
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Gestaltungsfreiheit | Rz. 113 § 708 BGB
gliedschaftlicher Rechte hat sich im Personengesellschaftsrecht die sog. „Lehre von den beweglichen Schranken der Vertragsgestaltungsfreiheit und der vertraglich begründeten Mehrheitskompetenzen“ etabliert.198 Ergänzt werden diese durch unbewegliche Schranken, wie sie aus den unentziehbaren mitgliedschaftlichen Rechtspositionen resultieren. a) Zwingende Bestimmungen Zwingende Bestimmungen, die die gesellschaftsvertragliche Gestaltungsfreiheit einschränken, 112 existieren hinsichtlich der Notgeschäftsführungsbefugnis (§ 715a Satz 2 BGB), der Gesellschafterklage (§ 715b Abs. 2 BGB) und den Informationsrechten und -pflichten (§ 717 Abs. 1 Satz 3 BGB); im Übrigen ist die zwingende Natur der Bestimmungen durch Auslegung zu ermitteln. Dies betrifft insbesondere die in der persönlichen Haftung der Gesellschafter zum Ausdruck kommende – am Merkmal des Eigennutzes zu konkretisierende – Wechselwirkung von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung („Herrschaft und Haftung“). Beispielhaft führt die Gesetzesbegründung die eingeschränkte Übertragbarkeit von Gesellschafterrechten (sog. Abspaltungsverbot; § 711a BGB) sowie die Pflicht zur Anmeldung des Eintritts und Ausscheidens eines Gesellschafters bei einer eingetragenen Gesellschaft bürgerlichen Rechts (§ 707 Abs. 3 BGB) als zwingende Bestimmungen an. Von der zwingenden Geltung des Abspaltungsverbots nach § 711a BGB zu unterscheiden, ist die Möglichkeit der Delegation von Mitgliedsrechten.199 Einen allgemeinen zwingenden Grundsatz des Zivilrechts stellt es schließlich dar, dass Dauerschuldverhältnisse stets im Rahmen einer zumutbaren Frist aus wichtigem Grund aufgelöst werden können. Die Vertragsbeendigungsfreiheit ist gleichfalls auf den Grundsatz der Privatautonomie zurückzuführen und als solche unabdingbar. b) Absolute Schranken der Gestaltungsfreiheit Der gesellschaftsvertraglichen Gestaltbarkeit entzogen sind die allgemeinen Mitgliedsrechte 113 des Gleichbehandlungsgrundsatzes, wie er gesellschaftsrechtlich in einem Willkürverbot zum Ausdruck kommt, die Treuepflicht sowie die aus der Mitgliedschaft entwachsenen Minderheitenrechte. Gleichfalls unentziehbar sind die mitgliedschaftlichen Schutzrechte sowie der Bestand mitgliedschaftlicher Rechte, z.B. die mitgliedschaftliche Wertbeteiligung. Auch aus Sicht des Mitglieds als Rechtsinhaber handelt es sich insoweit um nicht verfügungsfähige Rechte. Ein privatautonomer Verzicht ist insoweit nicht möglich. Teilweise wird zwischen unentziehbaren und unverzichtbaren Rechten unterschieden. Unverzichtbar sind danach nur das Recht zur Teilnahme an der Gesellschafterversammlung einschließlich Rede- und Antragsrecht,200 das Recht zu Beanstandung rechtswidriger Beschlüsse,201 das Austrittsrecht aus wichtigem Grund202 sowie das Recht auf Erhebung einer actio pro socio.203 Hintergrund ist insoweit jeweils der Umstand, dass dem Gesellschafter anderenfalls die selbstbestimmte Teilhabe an dem Verband gänzlich versagt wäre, für die er selbstverantwortlich einstehen muss. Von den unverzichtbaren Rechten werden teilweise die unentziehbaren Rechte unterschieden, auf die der Gesellschafter zwar privatautonom verzichten kann, die ihm aber nicht durch die Verbandsgewalt entzogen werden können; eine antizipierte Zustimmung im Rahmen allge198 Terminologie beweglicher Schranken zurückgehend auf Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963, S. 97 f., 287 ff.; vgl. Schäfer in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2018, § 109 HGB Rz. 2. 199 Vgl. BGH v. 15.12.1969 – II ZR 69/67, NJW 1970, 468; BGH v. 10.11.1951 – II ZR 111/50, BGHZ 3, 354. 200 Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, 1970, S. 210; Schäfer in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2018, § 119 HGB Rz. 40; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 16 III 3 a. 201 Vgl. BGH v. 21.2.1988 – II ZR 308/87, NJW 1988, 1844 = GmbHR 1988, 304. 202 BGH v. 7.12.1972 – II ZR 131/68, NJW 1973, 1602. 203 Vgl. Enzinger in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 119 HGB Rz. 68. Könen | 151
§ 708 BGB Rz. 113 | Rechtsfähige Gesellschaft mein formulierter Mehrheitsklauseln komme nicht in Betracht.204 Als unentziehbar qualifiziert werden das Stimmrecht, das Gewinnbeteiligungsrecht, das Recht auf eine Liquidationsquote, das Informationsrecht sowie das Recht zur Mitwirkung an der Geschäftsführung;205 umstritten sind die Qualifikation des Belastungsverbots sowie des Stimmrechts.206 Indes zeigt die Möglichkeit, dass die Gesellschafter hinsichtlich dieser Rechtspositionen überhaupt eine Konkretisierungsmöglichkeit haben, dass die gegenüber der Verbandsgewalt wirkenden Schranken diesbezüglich jedenfalls nicht absolut sind. Berücksichtigt man ferner die Interessenlage, die vorliegt, wenn im Gesellschaftsvertrag eine Mehrheitsklausel vereinbart ist, wird deutlich, dass sich pauschale Aussagen über den Entzug verbieten. Anderenfalls ließe man das Erklärungszeichen des Gesellschafters, sich der Mehrheitsherrschaft unterwerfen zu wollen, außer Acht. Vorzugswürdig scheint daher der jüngste Ansatz der Rechtsprechung des II. Senats,207 hinsichtlich der ganz überwiegenden Anzahl mitgliedschaftlicher Rechtspositionen, den Gesellschafterinteressen die Gesellschaftsinteressen gegenüberzustellen. Für einen absoluten Schutz mitgliedschaftlicher Rechte fehlt dann in den meisten Konstellationen die rechtliche Legitimation, weil deren Annahme mit Blick auf die zu schützenden privatautonomen Interessen überschießend wäre. Konkretisierte Mitgliedsrechte sind daher nach vorzugswürdiger Auffassung den beweglichen Schranken zuzuordnen. Neben den Schutzrechten und allgemeinen Mitgliedsrechten sind Mitgliedsrechte daher nur in ihrem Bestand vollständig der Gestaltungsfreiheit entzogen, auch wenn diese der Mehrheitsherrschaft unterworfen ist. Es komme „bei Eingriffen in die individuelle Rechtsstellung des Gesellschafters, d. h. in seine rechtliche und vermögensmäßige Position in der Gesellschaft, letztlich maßgeblich immer darauf an, ob der Eingriff im Interesse der Gesellschaft geboten und dem betroffenen Gesellschafter unter Berücksichtigung seiner eigenen schutzwerten Belange zumutbar ist“.208 114 Unabdingbar ist der Grundsatz der Verbandssouveränität bzw. Verbandsautonomie. Da-
nach kommt jedem Verband die unentziehbare Befugnis zu, über seine Verfassung selbstbestimmt zu entscheiden. Dem Verband allein obliegt es, seine Organisations- und Handlungsverfassung selbst festzulegen.209 Hintergrund ist der Umstand, dass sich ein Rechtssubjekt nicht der Fremdbestimmung durch einen Dritten unterwerfen kann. Änderungen des Gesellschaftsvertrages als Bestandsgrundlage der rechtsfähigen Vereinigung können daher nicht von der Teilhabe Dritter abhängig gemacht werden.210 115 Nicht dispositiv ist schließlich das personengesellschaftsrechtliche Prinzip der Selbstorgan-
schaft.211 Dies beruht zum einen darauf, dass ein Personenverband seine Rechtsfähigkeit allein durch den konstituierenden Akt der privatautonomen Vereinbarung eines Verbandszwecks erfährt, ohne dass es eines staatlichen Mitwirkungsaktes bedarf, und dass er notwendig geborene Organe benötigt. Zum anderen ist die letztverantwortliche Organstellung der persönlich haftenden Gesellschafter vor dem Hintergrund des untrennbaren Zusammenspiels von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung unentziehbar. Insoweit kommt dem Prinzip der Selbstorganschaft ein notwendiger Schutz vor der Schaffung fremdbestimmter Risiken zu. Daneben gewährleistet das Prinzip der Selbstorganschaft, dass die strategische Verbandstätigkeit stets in dem Bewusstsein der persönlichen Haftung wahrgenommen wird, wodurch op204 Enzinger in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 119 HGB Rz. 66, 70. 205 Enzinger in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 119 HGB Rz. 72. 206 Vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 16 III 3 b cc; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Band 1, 1980, S. 37. 207 BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 = ZIP 2014, 2231 Rz. 19. 208 BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 = ZIP 2014, 2231 Rz. 19. 209 Vgl. Tröger in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 102 ff. (Stand: 9/2022). 210 Schäfer in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2018, § 109 HGB Rz. 30 ff. 211 Vgl. Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 108 HGB Rz. 11.
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Gestaltungsfreiheit | Rz. 118 § 708 BGB
portunistischem, die Gläubigerinteressen gefährdendem Verhalten der Geschäftsleiter entgegengewirkt wird. In beiderlei Hinsicht genügt die letztverantwortliche Rückführbarkeit des Verbandshandelns auf die selbstbestimmte Teilhabe der persönlich haftenden Gesellschafter, um einen Anreiz für selbstbestimmte und verantwortungsvolle Gesellschaftstätigkeit zu schaffen. Gesellschaftsinterne Delegationen der Geschäftsführung sowie die Übertragung von Geschäftsführungsaufgaben im Rahmen der Anstellung Dritter laufen dem Prinzip der Selbstorganschaft daher so lange nicht entgegen, wie die Gesellschaftergesamtheit sich die Entscheidungshoheit jederzeit zurückholen kann.212 c) Bewegliche Schranken der Gestaltungsfreiheit Bewegliche Schranken der gesellschaftsvertraglichen Gestaltungsfreiheit ergeben sich zu- 116 nächst daraus, dass dem einzelnen Gesellschafter kraft seiner mitgliedschaftlichen Stellung gegenüber dem Verband eine Vielzahl von Rechten zukommt. Anders als über die aus den allgemeinen Mitgliedsrechten resultierenden absoluten Schranken kann das Mitglied in Ausübung seiner eigenen Vertragsfreiheit in weitem Umfang Einschränkungen seiner mitgliedschaftlichen Rechte mit den Mitgesellschaftern vereinbaren. Voraussetzung ist grundsätzlich seine Zustimmung zu einem Gesellschafterbeschluss oder eine Vertragsänderung. Darüber hinaus entspricht es dem Grundsatz der Privatautonomie, dass sich das Mitglied im Rahmen von Mehrheitsklauseln einer Herrschaft durch die Gesellschaftermehrheit auch im Hinblick auf künftige Änderungen des Gesellschaftsvertrages unterwerfen kann. Dies ist insbesondere bei Gesellschaften mit größerem Mitgliederbestand deswegen unerlässlich, weil der Verband anderenfalls unfähig wäre, sich an ändernde Umstände oder Konfliktsituation anzupassen, welche die Gesellschafter zum Zeitpunkt der Gesellschaftsgründung nicht berücksichtigt haben oder auch noch nicht berücksichtigen konnten. So entspräche es selten der Interessenlage der Gesellschafter, wenn aufkommende Lücken im typischerweise lückenhaften Gesellschaftsvertrag nur deswegen unter Rückgriff auf die gesetzlichen Bestimmungen zu füllen ist, weil eine einstimmige Entscheidung nicht erzielt werden kann. Aus den unentziehbaren allgemeinen Mitgliedsrechten der Gleichbehandlung, der Treue- 117 pflicht sowie des Minderheitenschutzes bei Unterwerfung unter eine Mehrheitsherrschaft folgen die beweglichen Schranken der Mitgliedschaft. Es handelt sich dabei um die sog. relativ unentziehbaren Mitgliedsrechte.213 Die Beweglichkeit der Schranke ergibt sich im Ausgangspunkt dadurch, dass der Gesellschafter sich privatautonom mit einer Einschränkung seiner Rechte einverstanden erklärt. Allerdings kann sich aus der mitgliedschaftlichen Treuepflicht oder einer anderen gewichtigen Mitgliedspflicht ergeben, dass das einzelne Mitglied zur Erklärung eines Einverständnisses verpflichtet ist. Die Reichweite der auf diese Weise konkretisierten Förderpflicht ist abhängig von der konkreten gesellschaftsvertraglichen Gestaltung sowie der konkreten Realstruktur des Personenverbandes. Liegt ein Einverständnis nur hinsichtlich der Unterwerfung unter eine Mehrheitsherrschaft vor, bedarf es eines flexiblen Instruments, um zu bewerten, Eingriffe welcher Intensität eine erhebliche, nicht mehr zumutbare Beeinträchtigung mitgliedschaftlicher Rechte darstellen. Dadurch, dass sich die Gesellschafter hinsichtlich ihrer mitgliedschaftlichen Beteiligung dem Kollektivinteresse unterwerfen, sind Verbandsmaßnahmen anhand unterschiedlich schützenswerter mitgliedschaftlicher Rechte zu messen. Relativ unentziehbar sind die Organschafts- und Wertrechte in ihrer konkreten Ausgestal- 118 tung, soweit nicht deren Bestand als solcher gesellschaftsvertraglich abbedungen werden soll.
212 Vgl. Schäfer in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2018, § 109 HGB Rz. 34. 213 BGH v. 13.10.2020 – II ZR 359/18, ZIP 2020, 2281 Rz. 15 ff. Könen | 153
§ 708 BGB Rz. 119 | Rechtsfähige Gesellschaft
2. Privatrechtliche Schranken 119 Neben den durch die Mitgliedschaft entstehenden Schranken erfährt die gesellschaftsvertrag-
liche Gestaltungsfreiheit Einschränkungen durch die in den §§ 134, 138 BGB zum Ausdruck kommenden privatrechtlichen Schranken. Verstößt eine gesellschaftsvertragliche Bestimmung oder der Gesellschaftsvertrag insgesamt gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten, hat dies die Nichtigkeit zur Folge. Die Unwirksamkeit des gesamten Vertrages kann sich insbesondere aus Art. 101 Abs. 2 AEUV bzw. § 134 BGB i.V.m. § 1 GWB ergeben, wenn die Vereinigung insgesamt einen wettbewerbswidrigen Zweck verfolgt oder einzelne Bestimmungen darauf gerichtet sind, den Wettbewerb zu verfälschen. Ebenfalls kann der Gesellschaftsvertrag als solcher nach § 138 BGB nichtig sein, wenn sich der Zweck gegen die guten Sitten richtet. Grundsätzlich unproblematisch sind sog. Shoot-Out-Klauseln.214 120 Unabhängig von der Grundlage der Unwirksamkeit des gesamten Gesellschaftsvertrages hat
dies nach vorzugswürdiger Auffassung lediglich die Abwicklung der fehlerhaften Gesellschaft zur Folge, nicht aber die rückwirkende Behandlung als nichtbestehend.215 Höherrangige Interessen, die in diesem Fall die Nichtanwendung der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft zur Folge haben könnten, sind anders als hinsichtlich der Rechtsposition eines Minderjährigen gerade nicht ersichtlich. So führt die Behandlung als fehlerhafte Gesellschaft gerade dazu, dass Betroffene einen zusätzlichen Schuldner für die Kompensation von Schäden erhalten. Insbesondere bedarf es aufgrund wettbewerbsrechtlicher Wertungen keiner anfänglichen Unwirksamkeit, weil die Kartellverbote ihrerseits eine funktionale – am Schutzgut Wettbewerb ausgerichtete – Beurteilung von wirtschaftlichen Einheiten vornehmen. 121 Die einschneidende Rechtsfolge der Nichtigkeit rechtsgeschäftlicher Vereinbarungen ist
auf Extremfälle zu beschränken, weil die durch die Mitgliedschaft gezogenen gesellschaftsrechtlichen Schranken der innergesellschaftsrechtlichen Interessenlage in aller Regel besser gerecht werden. Die Anwendung des § 138 BGB ist daher auf Konstellationen zu beschränken, in denen außergesellschaftsrechtliche Umstände hinzutreten, so dass eine schlichte Verletzung mitgliedschaftlicher Rechte nicht genügt.216 Gleichwohl fließen gesellschaftsrechtliche Wertungen in das Sittenwidrigkeitsurteil mit ein.
3. Inhaltskontrolle 122 Die einschneidende Nichtigkeitsfolge der allgemeinen privatrechtlichen Schranken der
§§ 134, 138 BGB verdeutlicht, dass eine Wirksamkeitskontrolle gesellschaftsvertraglicher Regelungen nur im Einzelfall zum Tragen kommen darf, weil die Gesellschafter – solange nicht Belange Dritter betroffen sind – ein schützenswertes Interesse an einem flexibleren Bewertungsinstrument haben. Insbesondere kann sich in Anbetracht der langen Laufzeit eines Gesellschaftsvertrages erst später die Unzumutbarkeit einer gesellschaftsvertraglichen Regelung herausstellen oder auch nur im Einzelfall zu unzumutbaren Rechtsfolgen für das Mitglied führen. Vor diesem Hintergrund stellt sich auch das AGB-rechtliche Rechtsfolgenregime, welches die vollständige und dauerhafte Unwirksamkeit einer Klausel bereits dann anordnet, wenn die Bestimmung nur in einer bestimmten Konstellation zu nicht mehr zumutbaren Ergebnissen führen würde, als ungeeignet dar. Ferner ist für den Gesellschaftsvertrag prägend, dass sich die Gesellschafter im Zeitpunkt der Vereinbarung auf Augenhöhe be-
214 OLG Nürnberg v. 20.12.2013 – 12 U 49/13, NZG 2014, 222; Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 108 HGB Rz. 7. 215 Schäfer in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2018, § 105 HGB Rz. 337, 345, § 109 HGB Rz. 20. 216 Enzinger in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 109 HGB Rz. 8; Schäfer in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2018, § 109 HGB Rz. 21.
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Gestaltungsfreiheit | Rz. 126 § 708 BGB
gegnen und eine Vertragsgestaltung wünschen, die einen angemessenen Interessenausgleich der Vertragsbeteiligten für die Dauer des Bestands der Gesellschaft bis zu deren Vollbeendigung gewährleistet. Zur Verwirklichung dieses Interessenausgleichs bewegen die Parteien sich im Rahmen privatautonomer Aushandlung aufeinander zu und sind wechselseitig bereit, mitgliedschaftlichen Berechtigungen wertäquivalente Verpflichtungen gegenüberzustellen. Ein Verhandlungsungleichgewicht besteht in diesem Regelfall gerade nicht. Dementsprechend ordnet § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB die Unanwendbarkeit des AGB-Rechts an, weil die Anwendung der §§ 305 ff. BGB als nicht sachgerecht erachtet wird.217 Soweit keine organisations- und gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen des Gesellschaftsver- 123 trages betroffen sind, ist bereits die Bereichsausnahme des § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB einschränkend auszulegen, so dass die §§ 305 ff. BGB außerhalb mitgliedschaftlicher Rechtsbeziehungen unmittelbare Anwendung finden.218 Teilweise wird dieses methodische Vorgehen auch auf Satzungen und Gesellschaftsverträge ausgedehnt, welche die Abnahme von Waren und Dienstleistungen missbräuchlich als Mitgliedspflichten ausgestalten und daher als schuldrechtliche Austauschbeziehungen mit verbandsverfassungsrechtlicher Verankerung zu qualifizieren seien.219 Lediglich dann, wenn die Vertragsgestaltung durch ein Verhandlungsungleichgewicht vor- 124 formulierter Bedingungen geprägt ist, kann die Anwendung AGB-rechtlicher Wertungen angezeigt sein, weil dann der Vorrang gesellschaftsvertraglicher Gestaltung sowie ergänzender Vertragsauslegung vor der Anwendung gesetzlicher Bestimmungen in Anbetracht einer Störung des privatautonomen Aushandlungsprozesses versagt. Situationstypisch ist dies bei Publikumsgesellschaften a) Unmittelbare Anwendbarkeit des AGB-Rechts Von der schlichten Berücksichtigung AGB-rechtlicher Wertungen zu unterscheiden ist die 125 unmittelbare Anwendung der §§ 305 ff. BGB nach § 306a BGB im Rahmen von Umgehungsgestaltungen. Wird für rechtsgeschäftliche Beziehungen nur deswegen eine gesellschaftsvertragliche Regelung gewählt, um sich der Regelungswirkung des § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB – die Nichtanwendung der §§ 305 ff. BGB – zu entziehen, bestimmt § 306a BGB die unmittelbare Anwendbarkeit der AGB-rechtlichen Bestimmungen, einschließlich des AGB-rechtlichen Rechtsfolgenregimes, sofern es sich nicht bereits um ein unwirksames Scheingeschäft i.S.v. § 117 BGB handelt. Das in § 306a BGB ausdrücklich geregelte Umgehungsverbot dient dem Schutz wirtschaftlich Schwacher vor dem Anreiz wirtschaftlich starker Vertragspartner, die Anwendung der zwingenden AGB-rechtlichen Vorschriften durch „anderweitige Gestaltung“ zu vermeiden.220 Vereins- und gesellschaftsrechtliche Gestaltungen bilden den Hauptanwendungsfall des § 306a BGB.221 Ob in derartigen verbandsrechtlichen Konstellationen eine Umgehung i.S.v. § 306a BGB ge- 126 geben ist, wird anhand einer wirtschaftlichen Betrachtung ermittelt, im Rahmen derer die Interessen der Betroffenen an der Wahl der gesellschaftsrechtlichen Gestaltung dem Schutzzweck der AGB-rechtlichen Regelungen gegenüber zu stellen sind.222 Teilweise wird im Interesse der Rechtssicherheit gefordert, strenge Anforderungen an das Vorliegen einer Umge-
217 Vgl. Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 108 HGB Rz. 8; siehe aber Temming, ZIP 2020, 1373, 1379 ff. 218 BGH v. 11.11.1991 – II ZR 44/91, NJW-RR 1992, 379 = ZIP 1992, 326. 219 Becker in BeckOK/BGB, Stand: 1.11.2022, § 310 BGB Rz. 31 f. 220 Könen in Leuschner, § 306a BGB Rz. 2. 221 OLG Frankfurt v. 1.11.1983 – 11 U 4/83, NJW 1984, 180; AG Hamburg v. 26.9.1994 – 6 C 821/94, VuR 1994, 346, 349 = juris (LS); LG Bonn v. 20.11.1995 – 10 O 390/95, VuR 1996, 317, 320. 222 Basedow in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2019, § 306a BGB Rz. 5. Könen | 155
§ 708 BGB Rz. 126 | Rechtsfähige Gesellschaft hungsgestaltung zu legen.223 Insoweit bliebe aber die Leitbildfunktion des § 306a BGB unberücksichtigt.224 Vielmehr ist bei bloßen Wertungskonflikten im Zweifel von der Anwendbarkeit der AGB-rechtlichen Bestimmungen auszugehen, wobei die Darlegungs- und Beweislast für diejenigen Umstände, die dazu beitragen, dass ein Wertungskonflikt besteht, bei demjenigen verbleibt, der sich auf § 306a BGB beruft. Eine Umgehungsgestaltung ist etwa dann anzunehmen, wenn in verbandsrechtlichem Gewand unbillig langfristige Abnahmeverpflichtungen erzeugt werden sollen (z.B. bei gesellschaftsrechtlich verfassten Buchclubs oder vereinsrechtlich organisiertem Time-Sharing), obwohl es sich bei wirtschaftlicher Betrachtung um Kauf- bzw. Mietverträge handelt.225 b) Wirksamkeits- und Ausübungskontrolle 127 Während sich die Wirksamkeitskontrolle gesellschaftsvertraglicher Bestimmungen auf der
Grundlage der §§ 134, 138 BGB auf wenige Ausnahmekonstellationen beschränkt, in denen die Wirksamkeit einer Abrede zu schlicht untragbaren Rechtsfolgen führte, verlagert sich die Inhaltskontrolle gesellschaftsvertraglicher Bestimmungen in aller Regel hin zu einer materiellen Ausübungskontrolle bezüglich konkreter Gesellschaftsbeschlüsse.226 Geht es um die Beurteilung der Wirksamkeit eines auf der Grundlage einer Mehrheitsklausel gefassten Beschlusses, findet daher eine Zwei-Stufen-Prüfung in der Weise statt, dass auf der ersten Stufe die Wirksamkeit der Kompetenzgrundlage am Maßstab der §§ 134, 138 BGB zu beurteilen ist, während bei bejahter Kompetenzgrundlage erst auf der zweiten Stufe die materielle Beschlusskontrolle vorgenommen wird.227 Die Wahrung mitgliedschaftlicher Rechte findet insoweit (erst) durch die Inhaltskontrolle des Beschlusses im Rahmen der Überprüfung der Rechtsmäßigkeit der Stimmrechtsausübung statt.228 128 Liegt ein Beschluss auf der Basis einer wirksamen Kompetenzgrundlage vor, findet im Rah-
men der Inhaltskontrolle des Beschlusses die Prüfung einer Verletzung mitgliedschaftlicher Rechte statt. In Anbetracht der Tatsache, dass die vorzunehmende Prüfung jedenfalls auch durch die mitgliedschaftliche Treuepflicht geprägt wird, handelt es sich um ein flexibles Bewertungsinstrument. Alle gegenüberstehenden mitgliedschaftlichen Rechte sind insoweit im Rahmen der Abwägung gegeneinander auszuloten. Mit Ausnahme der absolut unentziehbaren Stamm- und Schutzrechte sind die mitgliedschaftlichen Rechte im Übrigen lediglich relativ unentziehbar und der vorzunehmenden Interessenabwägung – über die Frage, inwiefern ein Eingriff zumutbar ist – zugänglich. Ferner sind externe Faktoren der konkreten Verbandsorganisation sowie nach Vertragsschluss eingetretene Umstände zu berücksichtigen. 223 Harry Schmidt in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 13. Aufl. 2022, § 306a BGB Rz. 11. 224 Vgl. Könen in Leuschner, § 306a BGB Rz. 5, 9. 225 OLG Frankfurt v. 1.11.1983 – 11 U 4/83, NJW 1984, 180; AG Hamburg Urt. v. 26.9.1994 – 6 C 821/ 94, VuR 1994, 346, 349 = juris (LS); LG Bonn Urt. v. 20.11.1995 – 10 O 390/95, BeckRS 1995, 10145 = VuR 1996, 317, 320; Harry Schmidt in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 13. Aufl. 2022, § 306a BGB Rz. 11; s. aber zur formularmäßigen Verpflichtung im Rahmen eines Gewerbemietvertrages, einer Werbegemeinschaft beizutreten sowie zur Auswirkung auf spätere Beitrittserklärungen in Abhängigkeit vom unangemessenen Haftungsrisiko BGH v. 13.4.2016 – XII ZR 146/14 2016, 2489 = ZIP 2016, 1434 (Verein); BGH v. 12.7.2006 – XII ZR 39/04, NJW 2006, 3057, 3058 (GbR); LG Halle/ Saale v. 9.1.2012 – 3 O 1482/11, BeckRS 2012, 21458; vgl. Drasdo, NJW-Spezial 2017, 97; Bonin in BeckOGK/BGB, Stand: 1.6.2023, § 306a BGB Rz. 14.1; Harry Schmidt in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 13. Aufl. 2022, § 306a BGB Rz. 6a; Hubert Schmidt, NWM 2018, 543. 226 Vgl. BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 = ZIP 2014, 2231 = GmbHR 2014, 1303 m. Anm. Ulrich/Schlichting; kritisch gegenüber einer Ausübungskontrolle, Armbrüster, ZGR 2014, 333. 227 Zurückgehend auf K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 16b dd; K. Schmidt, ZHR 158 (1994), 205. 228 BGH v. 24.11.2008 – II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 = ZIP 2009, 216; Enzinger in MünchKomm/ HGB, 5. Aufl. 2022, § 119 HGB Rz. 86 ff.
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Gestaltungsfreiheit | Rz. 132 § 708 BGB
Eine Prüfung im Einzelfall zum Zeitpunkt der Beeinträchtigung ist auf diese Weise einerseits möglich, andererseits unerlässlich, was den für das Gesellschaftsrecht maßgeblichen Vorteil gegenüber der Inhaltskontrolle nach den §§ 305 ff. BGB mit den sehr starren Rechtsfolgen des § 306 BGB besonders deutlich macht. Folge der Einzelfallüberprüfung von Gesellschaftsbeschlüssen ist, dass einheitliche Maß- 129 stäbe nur durch die Formulierung unbestimmter Rechtsbegriffe sowie allgemein gehaltener Rechtssätze und Leitbilder erreicht werden können, wobei Fallgruppen zur Ausschärfung minderheitsschützender Mitgliedspositionen beitragen können.229 c) Publikumsgesellschaften Ungeachtet der Bereichsausnahme des § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB wird bei Publikumsgesell- 130 schaften die Anwendung der AGB-rechtlichen Regelungen thematisiert, weil die Mehrheit der Gesellschafter insoweit lediglich als Anleger zu qualifizieren sei anstatt als gleichberechtigter Mitgesellschafter und damit gegenüber vorformulierten Organisationsregelungen in Anbetracht des Massencharakters der Beteiligungsverhältnisse dem AGB-rechtlichen Schutz zu unterwerfen seien.230 Überwiegend wird die Anwendung AGB-rechtlicher Wertungen indes in die dem Maßstab der Treuepflicht unterliegende Prüfung des § 242 BGB verlagert.231 Teilweise wird eine unmittelbare Anwendung der §§ 305 ff. BGB unter richtlinienkonformer Auslegung des § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB vorgeschlagen, wenn die Publikumsgesellschafter als Verbraucher zu qualifizieren sind.232 Legt man zunächst den Betrachtungsfokus auf die Gründung einer Gesellschaft, spricht ge- 131 gen eine Anwendung der §§ 305 ff. BGB insbesondere, dass es sich bei der Organisationsverfassung von Verbänden im Regelfall um ein gemeinschaftlich vereinbartes Regelwerk handelt, welches mit der Vereinbarung eines auf die Teilnahme am Rechtsverkehr gerichteten gemeinsamen Verbandszwecks in der Konstituierung des Verbandes als Rechtssubjekt mündet. Der Gesellschaftsvertrag bzw. die Satzung sind sodann das organisationsrechtliche Fundament, aufgrund dessen der Verband seine mehrheitsbestimmten Rechte gegenüber dem Einzelnen ausübt. Diesbezüglich kommt es nicht in Betracht, dass einzelne Gesellschafter als „Verwender“ der Satzungsbestimmungen zu qualifizieren sind mit der Folge, dass diesen ein Schutz gegen die unbillige Anwendung der Satzungsgewalt verwehrt wäre. Lediglich im Rahmen von Sonderrechten i.S.v. § 35 BGB kommen unentziehbare Vorzugsrechte Einzelner in Betracht. Eine abweichende Beurteilung ist auch nicht angezeigt, soweit es um den späteren Beitritt 132 von Mitgliedern zu dem Verband geht, auch nicht, wenn dieser sich in Anbetracht sozialer, kultureller oder wirtschaftlicher Stärke als faktischer Monopolverband gestaltet, weil sich zwar das einzelne Mitglied mit der Unterwerfung unter die Mehrheitsherrschaft des Verbandes gleichzeitig dessen bereits bestehenden Satzungsbestandteilen unterwirft. Diese sind in-
229 Zu einzelnen Fallgruppen, Enzinger in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 119 HGB Rz. 88. 230 Becker in BeckOK/BGB, Stand: 1.11.2022, § 310 BGB Rz. 31; Mock in Graf v. Westphalen/Thüsing, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, 48. Aufl. 2022, Gesellschaftsrecht Rz. 32. 231 BGH v. 12.3.2013 – II ZR 73/11, DStR 2013, 1295; BGH v.14.4.1975 – II ZR 147/73, NJW 1975, 1318; BGH v. 21.3.1988 – II ZR 135/87, NJW 1988, 1903; Basedow in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2019, § 310 BGB Rz. 121 ff.; Jaletzke in MünchHdbGesR II, 5. Aufl. 2019, § 65 Rz. 8 ff.; Könen, ZIP 2016, 2002, 2006; Mock in Graf v. Westphalen/Thüsing, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, 48. Aufl. 2022, Gesellschaftsrecht Rz. 32 f.; a.A. Grunewald in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 161 HGB Rz. 130 f.; Kähler in BeckOGK/BGB, Stand: 15.1.2023, § 242 BGB Rz. 1016 ff. 232 OLG Oldenburg v. 20.5.1999 – 1 U 24/99, NZG 1999, 896, 897; vgl. Erwägungsgrund Nr. 10 der Klauselrichtlinie 93/13/EWG; offenlassend BGH v. 22.9.2015 – II ZR 341/14, BeckRS 2015, 19758 Rz. 28. Könen | 157
§ 708 BGB Rz. 132 | Rechtsfähige Gesellschaft des grundsätzlich nicht als einseitig durch den Verband gestellte Bestimmungen zu qualifizieren, sondern als dessen rechtssubjektive Existenzgrundlage. Auch wenn der Beitritt eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung mit den bestehenden Mitgliedern erfordert und man annähme, die Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages würden einseitig durch die bestehenden Gesellschafter gestellt, tun sie dies grundsätzlich nur – gegebenenfalls der mehrheitlichen Willensbildung unterliegend – in ihrer Gesamtheit, so dass der entgegenstehende Wille einzelner Mitglieder unerheblich sein kann; diese auch – entgegen ihrem Willen – als Verwender zu qualifizieren mit der Folge, dass die AGB-rechtliche Risikozuweisung auch diese treffen würde, reflektiert nicht hinreichend die Interessen der Betroffenen. Gleichzeitig ist der Gesellschaftsvertrag stets auch Existenzgrundlage des Verbandes, so dass die – die Schutzbedürftigkeit des „Kunden“ akzentuierende – kassatorische Anwendung der §§ 305 ff. BGB mit dem Rechtsfolgenkonzept des § 306 BGB regelmäßig nicht zu geeigneten Rechtsfolgen führt. 133 Eine gleichmäßig den Interessen aller Mitglieder verpflichtete materielle Beschluss- und
Ausübungskontrolle erscheint mit Blick auf den dauerhaften Bestand des Verbandes als ein geeigneteres Instrument zum Schutz der Interessen einzelner bestehender sowie potentieller Mitglieder. Das Umgehungsverbot des § 306a BGB ist in Anbetracht dieser Gemengelage das geeignete Instrument, die zwischen den existenten Regelungsregimen der §§ 305 ff. BGB sowie dem gesellschaftsrechtlichen Mitgliederschutz aufkommenden Wertungskonflikte zu lösen. Stellt sich eine Satzung oder ein Gesellschaftsvertrag im Einzelfall als ein einseitig gestelltes Klauselwerk dar, können die §§ 305 ff. BGB gem. § 306a BGB punktuell dort zur Anwendung gelangen, wo dies in Anbetracht der konkret betroffenen Interessen der Beteiligten angezeigt ist. Eine AGB-rechtliche Umgehungsgestaltung ist vor diesem Hintergrund nach vorzugswürdigem Verständnis gegeben, wenn Austauschbeziehungen zu beurteilen sind, welche die Gewährung von Waren oder Dienstleistungen zum Gegenstand haben und, anstatt auf schuldrechtlicher Vereinbarung, im Rahmen mitgliedschaftlicher Rechtsbeziehungen vollzogen werden.233 Ohne dass insoweit ein Synallagma der mitgliedschaftlichen Wertrechte mit den vereinbarten Beiträgen gegeben ist, werden wertungsmäßig lediglich Leistungen gegen Entgelt ausgetauscht. Umgekehrt können Abnahmepflichten als Mitgliedspflichten geregelt werden.234 Dies ist insbesondere problematisch, wenn man berücksichtigt, dass die Rechtsprechung. auch Tagesmitgliedschaften in nichteingetragenen Vereinen für zulässig erachtet.235 Einschränkend wird eine Anwendung des § 306a BGB nur angenommen, wenn die gesellschaftsrechtliche Gestaltung keinerlei Vorteile für den Vertragspartner bringt.236 134 Eine entsprechende Interessenlage ist bei Publikumsgesellschaften gegeben, wenn den Gesell-
schaftern letztlich nur ein Anlageprodukt verkauft wird, sowie bei kulturell, sozial oder wirtschaftlich wichtigen Vereinen (sog. faktische Monopolvereine).237 Uneinheitlich wird beurteilt, ob es dadurch zu einer unmittelbaren Anwendung der AGB-rechtlichen Vorschriften kommt oder ob analog anwendbare Wertungen in den sachlichen Ausnahmebereich des
233 Vgl. Basedow in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2019, § 310 BGB Rz. 124 ff.; Becker in BeckOK/BGB, Stand: 1.11.2022, § 310 BGB Rz. 31 f.; Kollmann in NK/BGB, 4. Aufl. 2021, § 310 BGB Rz. 54, 56; Friesen in BeckOGK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 310 BGB Rz. 190. 234 Basedow in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2019, § 306a BGB Rz. 5. 235 Vgl. OLG Stuttgart Beschl. v. 16.7.2018 – 8 W 428/15, NZG 2018, 1264; Schwennicke in Staudinger, 2019, § 38 BGB Rz. 95. 236 Bonin in BeckOGK/BGB, Stand: 1.6.2023, § 306a BGB Rz. 14; Hubert Schmidt in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 306a BGB Rz. 4. 237 Vgl. BGH v. 24.10.1988 – II ZR 311/87, BGHZ 105, 306 = NJW 1989, 1724 = ZIP 1989, 14; Schäfer in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 13. Aufl. 2022, § 310 BGB Rz. 134 ff., 136; Basedow in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2019, § 310 BGB Rz. 121 f.; Becker in BeckOK/BGB, Stand: 1.11.2022, § 310 BGB Rz. 32; Friesen in BeckOGK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 310 BGB Rz. 187 ff.
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Beiträge; Stimmkraft; Anteil an Gewinn und Verlust | § 709 BGB
§ 310 Abs. 4 Satz 1 BGB transportiert werden.238 Die Rechtsprechung nimmt anhand der Wertungen des § 242 BGB eine Inhaltskontrolle von Satzungsbestimmungen vor, die letztlich einer unmittelbaren Anwendung der §§ 305 ff. BGB entspricht.239 Während bei Publikumsgesellschaften die Anwendung des § 306a BGB und damit eine unmittelbare Geltung der §§ 305 ff. BGB nahe liegt (§ 161 HGB Rz. 187 ff.), weil derartige Gesellschaftsformen originär zum Vertrieb des Anlageprodukts gegründet werden, sind Vereine häufig historisch in eine „verbandsmarktstarke“ Stellung hineingewachsen. Zwar knüpft das Umgehungsverbot nicht an einen irgendwie gelagerten subjektiven Umgehungsvorwurf an; eine Umgehung im eigentlichen Sinne kann darin aber nicht gesehen werden, weil es an einer „Gestaltung“ mangelt. Die Wertung des § 306a BGB führt aber dazu, dass auch derartige Konstellationen die Anwendung der §§ 305 ff. BGB erforderlich machen können. Zur Gewährleistung des teleologischen Geltungsanspruchs des AGB-rechtlichen Vorschriften ist es insoweit angezeigt, diesen in analoger Anwendung des § 306a BGB dadurch Wirkung zu verschaffen, indem die mitgliedschaftlichen Pflichten am Maßstab der §§ 305 ff. BGB zu messen sind.
§ 709 BGB Beiträge; Stimmkraft; Anteil an Gewinn und Verlust (1) Der Beitrag eines Gesellschafters kann in jeder Förderung des gemeinsamen Zwecks, auch in der Leistung von Diensten, bestehen. (2) Im Zweifel sind die Gesellschafter zu gleichen Beiträgen verpflichtet. (3) ¹Die Stimmkraft und der Anteil an Gewinn und Verlust richten sich vorrangig nach den vereinbarten Beteiligungsverhältnissen. ²Sind keine Beteiligungsverhältnisse vereinbart worden, richten sie sich nach dem Verhältnis der vereinbarten Werte der Beiträge. ³Sind auch Werte der Beiträge nicht vereinbart worden, hat jeder Gesellschafter ohne Rücksicht auf den Wert seines Beitrags die gleiche Stimmkraft und einen gleichen Anteil am Gewinn und Verlust. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. 1. 2. 3. 4. II. 1. 2. 3.
Allgemeines Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Normsystematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Beitragspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Beitrag und Einlage . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Förderpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Art und Höhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 a) Rechtsübertragung (Übereignung oder Abtretung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
b) Gebrauchsüberlassung und Einbringung dem Werte nach . . . . . . . . . . . . . c) Dienstleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Leistung und Leistungsstörungen . . . . . a) Unmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schlechterfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Mitgliedschaftliche Beteiligung an der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesellschaftsanteil . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12 14 15 16 17 18 20 21
238 Vgl. Lindacher/Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, 6. Aufl. 2013, § 306a BGB Rz. 7; kritisch zu § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB, Becker in BeckOK/BGB, Stand: 1.11.2022, § 310 BGB Rz. 32. 239 BGH v. 1.7.2014 – II ZR 72/12 BeckRS 2014, 16416 Rz. 17; BGH v. 12.3.2013 – II ZR 73/11, DStR 2013, 1295 = ZIP 2013, 1222; BGH v. 14.4.1975 – II ZR 147/73, NJW 1975, 1318; BGH v. 21.3.1988 – II ZR 135/87, NJW 1988, 1903 = ZIP 1988, 906. Könen | 159
Beiträge; Stimmkraft; Anteil an Gewinn und Verlust | § 709 BGB
§ 310 Abs. 4 Satz 1 BGB transportiert werden.238 Die Rechtsprechung nimmt anhand der Wertungen des § 242 BGB eine Inhaltskontrolle von Satzungsbestimmungen vor, die letztlich einer unmittelbaren Anwendung der §§ 305 ff. BGB entspricht.239 Während bei Publikumsgesellschaften die Anwendung des § 306a BGB und damit eine unmittelbare Geltung der §§ 305 ff. BGB nahe liegt (§ 161 HGB Rz. 187 ff.), weil derartige Gesellschaftsformen originär zum Vertrieb des Anlageprodukts gegründet werden, sind Vereine häufig historisch in eine „verbandsmarktstarke“ Stellung hineingewachsen. Zwar knüpft das Umgehungsverbot nicht an einen irgendwie gelagerten subjektiven Umgehungsvorwurf an; eine Umgehung im eigentlichen Sinne kann darin aber nicht gesehen werden, weil es an einer „Gestaltung“ mangelt. Die Wertung des § 306a BGB führt aber dazu, dass auch derartige Konstellationen die Anwendung der §§ 305 ff. BGB erforderlich machen können. Zur Gewährleistung des teleologischen Geltungsanspruchs des AGB-rechtlichen Vorschriften ist es insoweit angezeigt, diesen in analoger Anwendung des § 306a BGB dadurch Wirkung zu verschaffen, indem die mitgliedschaftlichen Pflichten am Maßstab der §§ 305 ff. BGB zu messen sind.
§ 709 BGB Beiträge; Stimmkraft; Anteil an Gewinn und Verlust (1) Der Beitrag eines Gesellschafters kann in jeder Förderung des gemeinsamen Zwecks, auch in der Leistung von Diensten, bestehen. (2) Im Zweifel sind die Gesellschafter zu gleichen Beiträgen verpflichtet. (3) ¹Die Stimmkraft und der Anteil an Gewinn und Verlust richten sich vorrangig nach den vereinbarten Beteiligungsverhältnissen. ²Sind keine Beteiligungsverhältnisse vereinbart worden, richten sie sich nach dem Verhältnis der vereinbarten Werte der Beiträge. ³Sind auch Werte der Beiträge nicht vereinbart worden, hat jeder Gesellschafter ohne Rücksicht auf den Wert seines Beitrags die gleiche Stimmkraft und einen gleichen Anteil am Gewinn und Verlust. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. 1. 2. 3. 4. II. 1. 2. 3.
Allgemeines Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Normsystematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Beitragspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Beitrag und Einlage . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Förderpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Art und Höhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 a) Rechtsübertragung (Übereignung oder Abtretung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
b) Gebrauchsüberlassung und Einbringung dem Werte nach . . . . . . . . . . . . . c) Dienstleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Leistung und Leistungsstörungen . . . . . a) Unmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schlechterfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Mitgliedschaftliche Beteiligung an der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesellschaftsanteil . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12 14 15 16 17 18 20 21
238 Vgl. Lindacher/Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, 6. Aufl. 2013, § 306a BGB Rz. 7; kritisch zu § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB, Becker in BeckOK/BGB, Stand: 1.11.2022, § 310 BGB Rz. 32. 239 BGH v. 1.7.2014 – II ZR 72/12 BeckRS 2014, 16416 Rz. 17; BGH v. 12.3.2013 – II ZR 73/11, DStR 2013, 1295 = ZIP 2013, 1222; BGH v. 14.4.1975 – II ZR 147/73, NJW 1975, 1318; BGH v. 21.3.1988 – II ZR 135/87, NJW 1988, 1903 = ZIP 1988, 906. Könen | 159
§ 709 BGB Rz. 1 | Rechtsfähige Gesellschaft a) Neuheit durch das MoPeG: fester Kapitalanteil I und variabler Kapitalanteil II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bedeutung des variablen Kapitalanteils II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Weitere Gesellschafterkapitalkonten . . d) Abweichende Beitragsquote . . . . . . . . 2. Gewinn- und Verlustverteilung . . . . . . . 3. Stimmkraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rechtsnatur des Beschlusses . . . . . bb) Gesellschafterversammlung als originäres Willensorgan des Personenverbandes . . . . . . . . . . . . .
23 26 30 31 32 34 36 37
b) Beschlussgegenstände; „Kernbereichslehre“ . . . . . . . . . . . . . . . c) Mehrheitsbeschlüsse . . . . . . . . . . . . . . aa) Gesellschaftsvertragliche Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Materielle Beschlusskontrolle . . . . cc) Ermittlung des Mehrheitsquorums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Beschlussverfahren . . . . . . . . . . . . ee) Stimmrecht, Stimmverbote und Stimmbindung . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Fehlerhafte Beschlüsse . . . . . . . . . . gg) „Verfassungsdurchbrechende“ Beschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39 41 42 43 44 45 49 50 51
38
Schrifttum: Altmeppen, Dogmatische Grundfragen des Beschlusstatbestands in GmbH und Personengesellschaft und ihre Bedeutung für Online-Beschlussfassungen, NZG 2022, 1563; Bacher/Blumenthal, Die Stimmenthaltung bei Beschlüssen in Personen- und Kapitalgesellschaften, GmbHR 2019, 261; U. Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil, 1970; Meier, Verfügungen über das gesamte Vermögen bei Personengesellschaften, DNotZ 2020, 246; Meyer/Schwiete, Totgesagte leben länger – ein Plädoyer für das „Feststellungsmodell“ als Gestaltungsoption im Beschlussmängelrecht, NZG 2022, 1035; Schollmeyer, Neuerungen und Kontinuitäten bei der Gesellschafterhaftung nach dem MoPeG, DNotZ 2021, 889; Sieker, Eigenkapital und Fremdkapital der Personengesellschaft, 1991; Skauradszun, Der Beschluss als Rechtsgeschäft, 2020, S. 57 ff.; Wertenbruch, Zum Stimmrecht der Komplementärin in GmbH & Co. KG und Einheits-GmbH & Co. KG nach MoPeG, NZG 2022, 939.
I. Allgemeines 1. Überblick 1 § 709 Abs. 1 und Abs. 2 BGB konkretisieren die zentrale Mitgliedspflicht zur Beitragsleis-
tung nach § 705 Abs. 1 BGB. Insoweit stellt § 709 Abs. 1 BGB klar, dass die Beitragsleistung auch in der Leistung von Diensten erbracht werden kann. § 709 Abs. 2 BGB bestimmt, dass die Gesellschafter „im Zweifel […] zu gleichen Beiträgen verpflichtet“ sind. Demgegenüber sieht § 709 Abs. 3 BGB ein gestuftes Verfahren für die Bestimmung des Anteils mitgliedschaftlicher Beteiligung an der Gesellschaft sowie der darauf bezogenen Mitgliedsrechte vor. Bei dem „[Beteiligungsverhältnis] handelt es sich um eine Rechnungsziffer, die den (Buch-) Wert der wirtschaftlichen Beteiligung des Gesellschafters am Gesellschaftsvermögen zum Ausdruck bringen soll“.1 § 709 Abs. 3 Satz 1 BGB stellt daher mittelbar klar, dass die mitgliedschaftliche Beteiligung bilanziell über den sog. Kapitalanteil I auf dem festen Kapitalkonto I abzubilden ist.2 Die Vorschrift verkörpert auf diese Weise den materiellen Kern des gesellschaftsrechtlichen Bilanzrechts, wie es für unternehmenstragende Personenaußengesellschaften mit den an die oHG-Gesellschafter adressierten §§ 120–122 HGB konkretisiert wird. Der Regelung des § 718 BGB kommt insoweit eine Auffangfunktion dergestalt zu, dass im Zweifel Rechnungsabschluss und Gewinnverteilung am Ende eines Kalenderjahres zu erfolgen haben, wenn nicht ein Jahresabschluss i.S.v. § 242 Abs. 3 HGB aufgestellt wird. Als Regelung des Innenrechts ist die Bestimmung des § 709 BGB – vorbehaltlich allgemeiner Mitgliedsrechte – grundsätzlich dispositiv.3 1 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 142 f. 2 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 142 f. 3 Vgl. Wertenbruch, NZG 2022, 939, 942.
160 | Könen
Beiträge; Stimmkraft; Anteil an Gewinn und Verlust | Rz. 3 § 709 BGB
2. Normsystematik § 709 BGB regelt die Grundlagen sowie das normative Leitbild personengesellschaftsrecht- 2 licher Wertrechte; rechtsformspezifisch werden diese als Vermögensrechte bezeichnet. Die Vorschrift liest sich so, als seien die Gesellschafter frei in der Vereinbarung von Vermögensrechten und Vermögenspflichten. Während Beitragspflichten jedweder Art vereinbart werden können und die Gesellschafter nur im Zweifel zu gleichen Beiträgen verpflichtet sind, richten sich die Stimmkraft sowie der Anteil an Gewinn und Verlust nach den vereinbarten Beteiligungsverhältnissen, ohne dass tatbestandlich eine Verknüpfung mit den Beitragspflichten hergestellt wird. Bereits die normsystematische, gemeinsame Verankerung in § 709 BGB zeigt aber, dass die gesamte Vorschrift einer einheitlich-wertenden Betrachtung zu unterziehen ist. Im marktwirtschaftlichen System werden sich Individuen im Rechtskehr nur dann zu einer Leistung verpflichten, wenn sie im Gegenzug einen anhand ihrer eigenen Präferenzen zu messenden subjektiv-äquivalenten Gegenwert erhalten. § 709 Abs. 2 BGB macht diese Annahme zum normativen Standard für das Personengesellschaftsrecht, indem dieser im Zweifelsfall die Vereinbarung gleicher – besser: gleichwertiger – Beiträge der Gesellschafter anordnet. Hintergrund ist der rechtsgeschäftliche Ursprung der Personenaußengesellschaft in der Vereinbarung eines Verbandszwecks. Dabei begegnen sich die Gesellschafter auf Augenhöhe und versprechen sich von der gemeinsamen Zweckverfolgung einen Effizienzgewinn des arbeitsteiligen Auftritts im Rechtsverkehr als Kollektiv. Aus der gemeinsamen Regelung der Beitragspflichten sowie der daraus resultierenden mitgliedschaftlichen Rechte folgt deren innerer Zusammenhang. Die Vereinbarung von Beitragspflichten lässt daher Rückschlüsse auf den vereinbarten Umgang der Gesellschaftsbeteiligung zu und umgekehrt lässt die Vereinbarung der Gesellschaftsanteile auf den Wert der Beitragsleistungen schließen.
3. Normzweck § 709 BGB kommt neben dieser Leitbildfunktion in erster Linie die Aufgabe zu, für die Fälle 3 eine Auffangregelung zu schaffen, in denen sich der Wert der Beitragsleistung nicht ermitteln lässt oder Streit über den Umfang der Gesellschaftsbeteiligung aufkommt; vorrangig bleibt die individualvertragliche Regelung im Gesellschaftsvertrag. Lässt sich die vereinbarte Beitragsleistung eines Gesellschafters nicht relativ in Bezug zu den anderen Beitragsleistungen setzen, weil sich etwa der Wert der Beitragsleistung nicht objektiv ermitteln lässt, folgt zunächst aus Abs. 2, dass die Beiträge im Zweifel wertäquivalent sein sollen. Haben die Gesellschafter einen Beteiligungsschlüssel nicht ausdrücklich festgelegt, kann sodann eine regelmäßig konkludente Vereinbarung gleichwertiger Gesellschaftsbeteiligungen angenommen werden. Fehlen hinreichende Anhaltspunkte für eine konkludente Vereinbarung, ist die Vertragslücke sodann vorrangig im Wege ergänzender Vertragsauslegung zu schließen; erst subsidiär kommt die Auffangbestimmung des § 709 Abs. 3 Satz 2 BGB zur Anwendung. Bereits der Regelung des § 709 Abs. 3 Satz 2 BGB kommt vor dem Hintergrund dieser vorrangigen privatautonomen Anknüpfung kaum ein Anwendungsbereich zu. Nur für den Fall, dass noch nicht mal Beitragsleistungen vereinbart wurden, ergeben sich die Beteiligungsverhältnisse gemäß § 709 Abs. 3 Satz 3 BGB nach Köpfen der Gesellschafter. Vor dem Hintergrund, dass die Vereinbarung von wechselseitigen Förderpflichten notwendiger Bestandteil der gesellschaftsvertraglichen Vereinbarung ist – anderenfalls kommt der Personenverband schon gar nicht als vermögenstragendes Subjekt zur Entstehung –, ist ein Anwendungsbereich des § 709 Abs. 3 Satz 3 BGB kaum zu erkennen. Denkbar erscheinen Konstellationen, in denen sich ein Wert der Beitragsleistungen nicht ermitteln lässt, die Zweifelsregelung des § 709 Abs. 2 BGB aber in Anbetracht offenkundiger Diskrepanz der Beitragsleistungen leerläuft. In diesem Falle aber eine gleichwerte Gesellschaftsbeteiligung nach Köpfen anzunehmen, gerät in kaum auflösbaren Konflikt mit dem gesellschaftsrechtlichen GleichbehandlungsgrundKönen | 161
§ 709 BGB Rz. 3 | Rechtsfähige Gesellschaft satz, wie er sich jedenfalls in einem Willkürverbot verdichtet und normativ in § 709 Abs. 2 und Abs. 3 BGB verankert ist.4 Nach der Gesetzesbegründung versage die Zweifelsregelung des § 709 Abs. 2 BGB, wenn die vereinbarten Beiträge nicht mal vergleichbar seien, weil die rechnerische Gleichbehandlung unterschiedlicher Beiträge sich nicht mehr auf den Gleichbehandlungsgrundsatz zurückführen lasse,5 ohne aber Beispiele aufzuführen, in denen eine Beitragsleistung nicht mehr objektiv bewertbar sein soll. Den Gesellschaftern soll es obliegen, das Beteiligungsverhältnis abweichend von den vereinbarten Beitragsleistungen auszugestalten. Gleichwohl verweist die Gesetzesbegründung hinsichtlich des Bedürfnisses für diese Möglichkeit auf Bewertungsschwierigkeiten für die Praxis. Mit Blick auf das Verbot willkürlicher Gestaltung von Mitgliedsrechten dürfte sich die Bedeutung der Rangfolge allerdings darin erschöpfen; jedenfalls hat eine Pflichtenmehrung mit einer Rechtemehrung zu korrespondieren. Als nahezu sachfremd erweist sich das gesetzliche Motiv, die Gesellschaftsbeteiligung subsidiär nach Köpfen zu bestimmen, um einen Anreiz für die Gesellschafter zu schaffen, die Beteiligungsverhältnisse ausdrücklich zu vereinbaren.6 Vor diesem Hintergrund dient die Bestimmung des § 709 BGB in erster Linie der materiell-rechtlichen Verzahnung von Beitragsleistungen und mitgliedschaftlicher Organschafts- und Wertbeteiligung an der Gesellschaft. Mit § 709 BGB solle „dem Gleichbehandlungsgrundsatz als zentralem Ordnungsprinzip für die Ausgestaltung der Mitgliedschaftsrechte und -pflichten Rechnung getragen werden.“7
4. Anwendungsbereich 4 Als Ausprägung des gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes kommt § 709 BGB
die Funktion eines personengesellschaftsrechtlichen Leitbildes zu. Systematisch wird die Anwendbarkeit der Bestimmung auf oHG, KG und PartG durch die Regelungen der § 105 Abs. 3, § 161 Abs. 2 HGB sowie § 1 Abs. 4 PartGG gewährleistet.
II. Beitragspflicht 5 Die Pflicht zur Leistung von Beiträgen wird durch § 709 BGB nicht begründet, sondern vo-
rausgesetzt. Zwar regelt § 705 Abs. 1 BGB – anders als § 705 Abs. 1 BGB a.F. – nicht mehr ausdrücklich die Zusicherung von Beiträgen, allerdings macht die Vorschrift die Verpflichtung der Gesellschafter, „die Erreichung eines gemeinsamen Zwecks in der durch den Vertrag bestimmten Weise zu fördern“, zum notwendigen Bestandteil einer Gesellschaft. Die Regelung gilt aber sowohl für die rechtsfähige als auch für die nicht rechtsfähige Gesellschaft, die sich danach unterscheiden, inwiefern der Gesellschaftszweck auf eine Teilnahme am Rechtsverkehr gerichtet ist. Richtet sich der Zweck auf eine Teilnahme als Personenverband am Rechtsverkehr, ist dies notwendig mit der Vereinbarung von Beiträgen an die Gesellschaft verbunden, weil die diesbezügliche Vereinbarung von Sozialansprüchen der Gesellschaft zur Bildung des notwendigen Gesellschaftsvermögens führt. Nur ein vermögenstragendes Subjekt kann Schuldner von Verbindlichkeiten sein, die das Vermögen funktional dem Gläubigerzugriff unterwerfen. Auf der Grundlage dieser Annahme bestimmt § 713 BGB, dass Beiträge, Rechte und Verbindlichkeiten Vermögen der Gesellschaft sind. Demgegenüber bestehen die Förderpflichten in einer Innengesellschaft gegenüber den Mitgesellschaftern.
4 5 6 7
Vgl. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 142 f. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 142 f. Vgl. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 142 f. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 142 f.
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Beiträge; Stimmkraft; Anteil an Gewinn und Verlust | Rz. 6 § 709 BGB
1. Beitrag und Einlage Unter dem Regime der §§ 705 ff. BGB a.F. wurden die Rechtsbegriffe „Beitrag“ und „Einlage“ 6 mit unterschiedlichster Bedeutung verwendet; es wurde danach unterschieden, ob eine Leistung an die Gesellschaft lediglich vereinbart oder bereits geleistet wurde, sowie mit Blick auf die Geldwertigkeit der zu erbringenden Förderleistung.8 Mit dem MoPeG ist die Differenzierung zwischen Beitrag und Einlage grundsätzlich aufgegeben worden (s. § 708 BGB Rz. 70, § 108 HGB Rz. 19 f.), lediglich für den Kommanditisten ist noch von einer Einlage die Rede.9 Nach dem novellierten Personengesellschaftsrecht soll jede vereinbarte Förderung des gemeinsamen Zwecks unter den Beitragsbegriff zu subsumieren sein.10 Mit Blick auf die Regelung des § 709 Abs. 3 BGB, nach der die mitgliedschaftliche Wertbeteiligung durch die Gesellschaftsbeteiligung als feste Rechnungsgröße Kapitalanteil I auf dem festen Kapitalkonto I der Gesellschafter abgebildet werden kann, ist es vorzugswürdig, die terminologische Differenzierung jedenfalls dann aufrecht zu erhalten, wenn die Gesellschafter die Leistung geldwerter Beiträge vereinbaren. Insoweit handelt es sich um die Vereinbarung einer Einlage. Während die Beitragspflicht sich auf jegliches (nicht-)vermögenswerte Tun, Dulden oder Unterlassen beziehen kann, welches geeignet ist, den Verbandszweck zu fördern, kennzeichnet sich eine Einlage dadurch, dass sie auf die Bildung von Eigenkapital durch Leistung in das Gesellschaftsvermögen zielt und damit zu einer Mehrung des Verbandsvermögens führt.11 Insbesondere in den Konstellationen, in denen der Beitragspflicht eine gewisse Außenwirkung zukommt, weil entweder die Einstandspflicht eines Gesellschafters gegenüber Dritten betroffen ist oder weil der Einleger mit seinem Ausscheiden bzw. mit Auflösung des Verbandes der Gesellschaft wie ein Dritter gegenübertritt, erweist sich eine auf das zu erbringende Haftungsvolumen bezogene Konkretisierung des Beitragsbegriffs als Einlage als weiterführend. Mit Blick auf das Erfordernis, das Gesellschaftsvermögen mehren zu können, erfordert eine Einlage, dass es sich um einen Gegenstand handelt, „der einen fa[ss]baren Vermögenswert darstellt und unter Aussonderung aus dem Einlegervermögen der Gesellschaft zur freien Verfügung übertragen werden kann“ sowie dass dieser Gegenstand im Rahmen einer gesellschaftsvertraglichen Einlagenverpflichtung auf die Einlagenschuld geleistet wird.12 Eine auf diese Weise in das Gesellschaftsvermögen überführte Einlage gewährleistet, dass das Wirtschaftsgut in dem Gesellschaftsvermögen tatsächlich verwertbar ist, insbesondere im Falle der Liquidation bzw. Insolvenz, und nicht der Disposition des Einlegers oder dessen Gläubiger unterliegt.13 Das gesellschaftsvermögensbezogene Verständnis der Einlage trägt dem Umstand Rechnung, dass sich der Verband mit seiner Konstituierung gegenüber seinen Mitgliedern in vermögensrechtlicher Hinsicht verselbstständigt und flankiert damit zugleich die Anerkennung der Rechtsfähigkeit von Personenaußengesellschaften. Der Begriff der Einlage orientiert sich mithin am Gegenwert, den der Gesellschafter für seine vermögenswerte Leistung erhält und somit anhand der Rechte, die dem Gesellschafter durch die vereinbarte Kapitalüberlassung erwachsen.14 So führt die vereinbarte Einlage zu einem wertmäßigen Anteil
8 Vgl. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 141 f.; Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 88 f. 9 Vgl. Schollmeyer, DNotZ 2021, 889, 894 f. 10 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 141 f. 11 Habermeier in Staudinger, 2003, § 706 BGB Rz. 4; Hennrichs in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 11 Rz. 3; U. Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil, 1970, S. 192 f.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 20 II 3; Sieker, Eigenkapital und Fremdkapital der Personengesellschaft, 1991, S. 7 f., 76. 12 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 20 II 3 a dd, b. 13 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 20 II 3 a; Sieker, Eigenkapital und Fremdkapital der Personengesellschaft, 1991, S. 25. 14 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 20 I a. Könen | 163
§ 709 BGB Rz. 6 | Rechtsfähige Gesellschaft am Gesellschaftsvermögen.15 Dies ist etwa der Unterschied zum Darlehen, bei dem der Gesellschafter lediglich einen schuldrechtlichen Anspruch gegen die Gesellschaft erhält; mit diesem Verständnis der Einlage geht die Unterscheidung von Eigen- und Fremdkapital einher, wie sie im Rahmen der Mittelherkunft auf der Passivseite abzubilden ist.16 Mit der Vereinbarung einer gemeinsamen Zweckverfolgung verpflichten sich die Gesellschafter zur arbeitsteiligen Zweckförderung. Diese kommt in der Vereinbarung von Beitragsleistungen zum Ausdruck.17 Wird die Gesellschaft als Verband konstituiert, ergibt sich diese Beitragspflicht als Spiegelbild der verbandsrechtlich vermittelten Vermögensberechtigung aus der Mitgliedschaft selbst. So kommt die Beitragspflicht in vermögensrechtlicher Hinsicht regelmäßig durch die wechselseitige Verpflichtung von Einlagenleistungen zum Ausdruck. Die Zuordnung der auf die Leistung von Einlagen durch die Gesellschafter gerichteten Sozialansprüche zum Verband führt zur Bildung eines quantitativ bezifferbaren Verbandsvermögens. In qualitativer Hinsicht wird das Vermögen indes bereits mit der Zuweisung jedweder Beitragsleistung konstituiert.
2. Förderpflicht 7 Die Pflicht zu Beitragsleistung ist unmittelbarer Bestandteil und Ausdruck der gemeinsamen
Verfolgung des Verbandszwecks sowie der mitgliedschaftlichen Treuepflicht. Die Förderpflicht ist notwendiger Bestandteil gesellschaftsvertraglicher Konstituierung eines Personenverbandes. Eine gesellschaftsvertragliche Befreiung von der mitgliedschaftlichen Förderpflicht ist ausgeschlossen, weil diese in untrennbarem Zusammenhang mit den mitgliedschaftlichen Berechtigungen steht, und sei es auch nur, dass diese sich auf den Mindestgehalt mitgliedschaftlicher Rechte beschränkt. Demgegenüber ist eine Übertragung auf Dritte insoweit möglich, als sich diese auf die Erfüllung konkreter Verbindlichkeiten beschränkt – etwa die Leistung der vereinbarten geldwerten Einlage. 8 Ohne die Übernahme von Förderpflichten kommt die Gesellschaft nicht zur Entstehung. In
Anbetracht des Charakters des Gesellschaftsvertrages als Dauerschuldverhältnis handelt es sich auch bei der Förderpflicht um eine dauernde, die so lange fortbesteht, wie der Verband existiert.18 Anhand dessen wird deutlich, dass sich die Förderpflicht auch nicht in der Leistung einer einmaligen Einlage erschöpft, sondern diese nur ein Element der mitgliedschaftlichen Förderpflicht darstellt. § 709 Abs. 1 BGB macht deutlich, dass sich die Förderpflicht auf jegliches erlaubte Tun, Dulden oder Unterlassen beziehen kann. In Anbetracht der Tatsache, dass den Mitgliedsrechten – vereint im Rechtsinstitut der Mitgliedschaft – untrennbare Mitgliedspflichten gegenüberstehen, wird deutlich, dass Teil der Förderpflicht auch die aktive Teilhabe am Verbandsgeschehen durch die Wahrnehmung mitgliedschaftlicher Verwaltungsrechte ist. Eine pflichtenlose Gesellschaftsbeteiligung ist angesichts der der Disposition entzogenen Grundlage allgemeiner Mitgliedsrechte und -pflichten nicht denkbar.
3. Art und Höhe 9 Die Beitragsleistung kann nach § 709 Abs. 1 BGB auf jeglichen Förderbeitrag an die Gesell-
schaft gerichtet sein. Ebenso ergibt sich aus dem in § 709 Abs. 2 und 3 BGB zum Ausdruck kommenden Gleichbehandlungsgrundsatz, dass die Beitragshöhe als solche – in gesellschaftsrechtlicher Hinsicht unbeschränkt – der gesellschaftsvertraglichen Gestaltbarkeit zu15 Sieker, Eigenkapital und Fremdkapital der Personengesellschaft, 1991, S. 13. 16 Vgl. zur abweichenden Buchung bei negativen Kapitalkonten U. Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil, 1970, S. 263 ff., 269 ff. 17 Vgl. Schäfer in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2018, § 105 HGB Rz. 17 ff. 18 Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 157.
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Beiträge; Stimmkraft; Anteil an Gewinn und Verlust | Rz. 12 § 709 BGB
gänglich ist. Aus dem Charakter als Zweifelsregelung des § 709 Abs. 2 BGB folgt, dass der Grundsatz gleichwertiger Beitragsleistung dispositiv ist. Vor dem Hintergrund, dass sich die vereinbarte Beitragsleistung aber am Grundsatz der Gleichbehandlung messen muss, stehen Dispositionen der Gesellschafterpflichten in einem untrennbaren Zusammenhang mit korrespondierenden Mitgliedsrechten. Die Vereinbarung von Art und Höhe der Beitragsverpflichtung kann sowohl durch Vermögens- als auch durch Verwaltungsrechte kompensiert werden. Dies ergibt sich aus dem Wechselspiel von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung. Insoweit ist es unerheblich, dass sich der Vermögenswert von Verwaltungsrechten schwierig ermitteln lässt, weil sich das Wertäquivalent grundsätzlich aus dem privatautonomen Aushandlungsprozess der Gesellschafter ergibt, wobei die Gesellschafter eine gesteigerte Verlustbeteiligung nur um den Preis einer gesteigerten Renditeerwartung übernehmen werden. Vor dem Hintergrund, dass die freiwillige Teilhabe an einem Personenverband stets auf einen 10 selbstbestimmten Entschluss sowie einen privatautonomen Aushandlungsprozess zurückzuführen ist, stehen vermögenswerte Rechte und Pflichten daher regelmäßig in einem wertäquivalenten Verhältnis zueinander. Daher unterliegt die Beitragshöhe – wie die Beitragsart – zwar der gesellschaftsvertraglichen Gestaltung, dies aber immer nur im untrennbaren Zusammenhang mit korrespondierenden mitgliedschaftlichen Berechtigungen. Vereinbarte Beitragsleistungen können aber nur in ein wertäquivalentes Verhältnis zu den mitgliedschaftlichen Berechtigungen gesetzt werden, wenn ihnen ein Geldwert zukommt, weil sie überhaupt nur dann mit den Beitragsleistungen anderer Gesellschafter in ein Verhältnis gesetzt werden können, welches sich in einer relativen Verschiebung der Gesellschaftsbeteiligung niederschlagen kann. Anhand dessen zeigt sich, dass Vermögensrechte regelmäßig in einer Wechselwirkung mit Vermögenspflichten stehen oder mit Verwaltungspflichten, denen ein bezifferbarer Vermögenswert zukommt. a) Rechtsübertragung (Übereignung oder Abtretung) Die den Verband als solchen konstituierenden Sozialansprüche der Gesellschaft gegen die 11 Mitglieder sind in Anbetracht der rechtsgeschäftlichen Grundlage regelmäßig bezifferbar. Sofern die Beitragspflicht sich auf die Übereignung von Vermögensgegenständen aus dem Vermögen der Gesellschafter bezieht (quoad dominum),19 kommt diesen ein Vermögenswert zu, der mit dinglicher Wirkung in das Gesellschaftsvermögen übertragen werden kann. Zwar kann es insoweit zu Bewertungsschwierigkeiten kommen, der Gegenstand der Förderpflicht ist aber bewertbar und somit bezifferbar, so dass die Übereignung zu einer Veränderung der dinglichen Zuordnung und zur Bildung von echtem Eigenkapital führt. Die Übereignung von Gegenständen ist daher zu behandeln wie die Leistung auf Geld gerichteter Einlagen. Entsprechendes gilt hinsichtlich der Abtretung von Forderungen. b) Gebrauchsüberlassung und Einbringung dem Werte nach Demgegenüber kommt der Gebrauchsüberlassung von Gegenständen aus dem Gesellschaf- 12 tervermögen zwar ein wirtschaftlicher Wert zu. Diese führt aber nicht zu einer Veränderung der dinglichen Rechtezuordnung. So beruht die Einbringung zur Nutzung (quoad usum)20 auf einer lediglich schuldrechtlichen Berechtigung, der zwar ein Vermögenswert zukommen kann, die aber anstatt der Erzeugung von Haftungsvermögen zur Bildung von Fremdkapital führt. Haftungsrechtlich erlangt die Gesellschaft dadurch nicht ein Mehr. Gleichwohl kann der Gesellschafter im Innenverhältnis verlangen, im Rahmen der Gesellschaftergesamtheit so
19 Vgl. U. Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil, 1970, S. 195 ff. 20 Vgl. U. Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil, 1970, S. 195 ff. Könen | 165
§ 709 BGB Rz. 12 | Rechtsfähige Gesellschaft behandelt zu werden, als hätte er eine Einlage geleistet. Der Umfang der Gebrauchsüberlassung kann durch den Gesellschaftszweck beschränkt sein.21 13 Hinsichtlich der Qualifikation einer Einbringung dem Werte nach (quoad sortem)22 ist eine
vergleichbare Bewertung angezeigt. Stellt ein Gesellschafter der Gesellschaft etwa einen Vermögensgegenstand dergestalt zur Verfügung, dass er auf jegliche Disposition während seiner Mitgliedschaft in dem Verband verzichtet, handelt es sich dinglich zwar um einen Vermögensgegenstand aus dem Privatvermögen des Gesellschafters. Gegenüber dem Gesellschafter kann die Gesellschaft mit dem Vermögensgegenstand aber wie mit einem Gesellschaftsgegenstand verfahren. Hinsichtlich eines Abfindungs- oder Auseinandersetzungsanspruchs kann sich der Gesellschafter so stellen lassen, als hätte er die Sache zu Eigentum eingebracht. Dadurch, dass der Gegenstand zwar gesellschaftsrechtlich veranlasst, aber nur schuldrechtlich vermittelt – und damit nicht mit dinglicher Wirkung –, in das Gesellschaftsvermögen übertragen wird,23 kommt eine rechtliche Qualifikation als Einlage mit Wirkung im Außenverhältnis nicht in Betracht. Der Gesellschafter verpflichtet sich aber auf schuldrechtlicher Basis – bei gewahrter dinglicher Zuständigkeit – dergestalt, dass der Vermögensgegenstand wie Eigenkapital der Gesellschaft zu behandeln ist. Spiegelbildlich ist die Gesellschaft im Innenverhältnis verpflichtet, den Gesellschafter so zu stellen, als ob er eine Einlage geleistet hätte. Wird eine derartige Quasi-Einlage auf dem Gesellschafterkonto verbucht, kommt auch eine Aktivierung in der Gesellschaftsbilanz in Betracht.24 Hinsichtlich der Wertberechnung ist – vorbehaltlich abweichender Vereinbarung – der Wert zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgeblich.25 c) Dienstleistung 14 Schließlich stellt § 709 Abs. 1 BGB klar, dass die Beitragsleistung in einer Dienstleistung be-
stehen kann. Ungeachtet der Tatsache, dass alle Mitglieder zur Mitwirkung bei der Geschäftsführung verpflichtet sind, können die Gesellschafter vereinbaren, dass ein Gesellschafter die Verbandstätigkeit geschäftsführend übernehmen soll, insbesondere hinsichtlich der gewöhnlichen Zweckverfolgung, wenn also noch keine Grundlagen der Gesellschaft betroffen sind. Wird die Leistung von Diensten unmittelbar im Rahmen der Förderpflicht vereinbart, bedarf es keines darüberhinausgehenden Anstellungsvertrages. Problematisch ist die Feststellung des wirtschaftlichen Wertes der Dienstleistung. So handelt es sich nach § 27 Abs. 2 Halbs. 2 AktG bei der Verpflichtung zu Dienstleistungen nicht um einen Vermögensgegenstand, deren wirtschaftlicher Wert feststellbar ist, so dass Dienstleistungen nicht als Sacheinlage erbracht werden können. Gleichwohl können die Personengesellschafter der Dienstleistung einen Vermögenswert zuweisen und im Innenverhältnis entsprechend als Einlage verbuchen.26 Etwaige gewährte Zahlungen sind dann Kehrseite der mitgliedschaftlichen Verpflichtung in der Form einer vorweggenommenen Kapitalentnahme; diese ist entsprechend auf dem Kapitalkonto II zu verbuchen.
4. Leistung und Leistungsstörungen 15 Der Leistungsgegenstand der Beitragsverpflichtung bestimmt sich nach der konkreten Verein-
barung im Gesellschaftsvertrag. Die – grundsätzlich sofort fällige (vgl. § 271 Abs. 1 BGB) –
21 22 23 24 25 26
Heidel in NK/BGB, 4. Aufl. 2021, § 706 BGB Rz. 7. Vgl. U. Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil, 1970, S. 195 ff. BGH v. 15.6.2009 – II ZR 242, juris Rz. 4. U. Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil, 1970, S. 197. Heidel in NK/BGB, 4. Aufl. 2021, § 706 BGB Rz. 7. A.A., Heidel in NK/BGB, 4. Aufl. 2021, § 706 BGB Rz. 9.
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Beiträge; Stimmkraft; Anteil an Gewinn und Verlust | Rz. 17 § 709 BGB
Beitragsverbindlichkeit ist nach den gesetzlichen Vorschriften zu tilgen, die hinsichtlich des Verfügungsgeschäfts der übernommenen Verpflichtung einschlägig sind. Bei einer Einbringung dem Werte nach oder zur Gebrauchsüberlassung kann bereits die tatsächliche Einräumung der Sachherrschaft genügen, wenn die schuldrechtlichen Vereinbarungen bereits im Gesellschaftsvertrag vorgenommen wurden. Ein Synallagma zwischen der Beitragspflicht und Mitgliedsrechten besteht nicht (§ 705 BGB Rz. 48).27 Leistungsstörungen beurteilen sich anknüpfend an die Vereinbarung des Beitragsgegenstandes im Gesellschaftsvertrag grundsätzlich nach den schuldrechtlichen Bestimmungen, wobei der Besonderheit des Gesellschaftsvertrages als Dauerschuldverhältnis sowie der mitgliedschaftlichen Treuepflicht in besonderer Weise Rechnung zu tragen ist (§ 705 BGB Rz. 46 ff.). Nach vorzugswürdiger Auffassung finden auf die Unmöglichkeit sowie den Verzug der Beitragsleistung die §§ 275–285, 311a BGB unmittelbare Anwendung.28 Dies ergibt sich bereits aufgrund der systematischen Stellung des Gesellschaftsvertrages als Schuldvertrag. Hinsichtlich der Beurteilung von Sach- und Rechtsmängeln bieten die §§ 434 ff. BGB das sachnächste Regelungsregime.29 Bezüglich der Rechtsfolgen ist nach den §§ 313, 314, 242 BGB sowie den gesellschaftsrechtlichen Loslösungsrechten dem gesetzlichen Leitbild der Personenaußengesellschaft als Dauergesellschaft Rechnung zu tragen. a) Unmöglichkeit Die Unmöglichkeit einer Beitragsleistung bestimmt sich nach § 275 BGB (§ 705 BGB Rz. 51 f.).30 16 Im Falle der Unmöglichkeit der Erfüllung der Beitragsverpflichtung ist hinsichtlich der Schadensersatzpflichtigkeit zwischen anfänglicher und nachträglich gewordener Unmöglichkeit zu differenzieren. Im Falle nachträglicher Unmöglichkeit hat der Gesellschafter nach § 280 Abs. 1, Abs. 2, § 283 BGB Ersatz zu leisten, sofern er die Unmöglichkeit zu vertreten hat. Die Ersatzpflichtigkeit im Falle anfänglicher Unmöglichkeit richtet sich nach § 311a Abs. 2 BGB; insofern ist der Bezugspunkt des Verschuldens nach § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB zu bestimmen. Entgegen § 708 BGB a.F. bestimmt sich der Verschuldensmaßstab nach § 276 Abs. 1 BGB (Vorsatz und Fahrlässigkeit). Die Unmöglichkeit der Beitragsleistung führt mit Blick auf die Besonderheiten des Gesellschaftsvertrages als mehrseitiges Dauerschuldverhältnis nicht zu dem Rechtsfolgenregime der §§ 323–326 BGB.31 Gemessen an der Relevanz der unmöglichen Beitragsleistung für die gemeinschaftliche Zweckverfolgung ist zunächst zu ermitteln, ob sich die entstandene Lücke im Wege ergänzender Vertragsauslegung schließen lässt. Sodann können der Gesellschafter oder die Mitgesellschafter auf der Grundlage der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht einen wechselseitigen Anspruch auf die Mitwirkung an der Änderung des Gesellschaftsvertrages haben, bevor schließlich eine Kündigung des Gesellschaftsverhältnisses aus wichtigem Grund oder die Auflösung der Gesellschaft in Betracht kommen (vgl. §§ 723, 727, 729, 731 BGB). b) Verzug Die Rechtsfolgen des Verzugs mit der Leistung einer Beitragspflicht bestimmen sich nach 17 den § 280 Abs. 2, §§ 286–290 BGB. Der Verschuldensmaßstab richtet sich nach § 276 BGB.
27 BGH v. 16.2.1967 – II ZR 171/65, WM 1967, 419, 420; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 392 (Stand: 6/2019). 28 M.w.N. Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 393 (Stand: 6/2019). 29 Vgl. Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 706 BGB Rz. 26 f. 30 Vgl. Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 394 (Stand: 6/2019). 31 BGH v. 16.2.1967 – II ZR 171/65, WM 1967, 419, 420; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 391 ff. (Stand: 6/2019). Könen | 167
§ 709 BGB Rz. 17 | Rechtsfähige Gesellschaft Je nach Konstellation im Einzelfall kommen der Ausschluss sowie die Auflösung der Gesellschaft aus wichtigem Grund in Betracht.32 c) Schlechterfüllung 18 Problematisch sind die Rechtsfolgen der Schlechterfüllung vereinbarter Beitragspflichten,
weil es im Rahmen der §§ 705 ff. BGB an einschlägigen Bestimmungen mangelt (§ 705 BGB Rz. 54 f.). In Anbetracht besonderer Sachnähe werden daher die §§ 434 ff., 634 ff. BGB entsprechend herangezogen, an einem ausdifferenzierten Gewährleistungsrecht für Dienstleistungen fehlt es hingegen.33 Für die Anwendbarkeit der Gewährleistungsvorschriften ist es unerheblich, ob der Beitrag im Wege der Übereignung bzw. Abtretung oder der Einbringung zur Gebrauchsüberlassung oder dem Werte nach vorgenommen wird.34 Ein Rückgriff auf die §§ 327 ff. BGB kommt grundsätzlich nicht in Betracht, weil im Rahmen der Beitragspflicht keine Leistung durch die Gesellschaft bereitgestellt wird. Sofern der Gesellschafter aber eine digitale Dienstleistung zu erbringen hat, können die §§ 327d ff. BGB indiziell zur Ausschärfung eines dienstrechtlichen Gewährleistungsrechts herangezogen werden. Ebenso kann § 434 BGB im Lichte des § 327d BGB ausgelegt werden. 19 Ist die Einlagenlagenleistung des Gesellschafters fehlerhaft, kommen in entsprechender An-
wendung des Sach- und Rechtsmängelrechts Schadensersatz- und Gewährleistungsansprüche nach § 437 Nr. 1 und Nr. 3 BGB in Betracht; ein Rückgriff auf § 437 Nr. 2 BGB scheidet in Anbetracht des Charakters der Gesellschaft als Dauerschuldverhältnis aus; insoweit bilden die §§ 723, 727, 729, 731 BGB speziellere Regelungen.35 Entsprechendes gilt für mangelhafte Werkleistungen.
III. Mitgliedschaftliche Beteiligung an der Gesellschaft 20 § 709 Abs. 3 BGB zeigt i.V.m. § 705 Abs. 2, § 713 BGB, dass nur die rechtsfähige Personen-
außengesellschaft Träger des Gesellschaftsvermögens ist. Mit der Konstituierung zum Personenverband werden die Rechtsbeziehungen der Gesellschafter hinsichtlich des Gesellschaftsvermögens nur noch durch die mitgliedschaftliche Beteiligung vermittelt. Unmittelbare Zugriffe einzelner Gesellschafter auf das Gesellschaftsvermögen kommen nicht mehr in Betracht; vielmehr muss der Einzelne für eine Entnahme stets in einen privatautonomen Aushandlungsprozess mit der Gesellschaft treten, wie diese ihren Willen durch die Gesamtheit der Gesellschafter bildet und damit ein von den Einzelinteressen zu unterscheidendes Kollektivinteresse verfolgt.
1. Gesellschaftsanteil 21 § 709 Abs. 3 BGB knüpft die mitgliedschaftliche Wertbeteiligung an Gewinn und Verlust der
Gesellschaft an die vereinbarten „Beteiligungsverhältnisse“ an. Demgegenüber sieht § 120 Abs. 2 HGB ausdrücklich vor, dass „[d]er einem Gesellschafter zukommende Gewinn […] dem Kapitalanteil des Gesellschafters zugeschrieben [wird]; der auf einen Gesellschafter entfallende Verlust davon abgeschrieben.“ Dementsprechend verwundert es etwas, dass die Gesetzesbegründung zu § 709 BGB das vereinbarte Beteiligungsverhältnis dahingehend be32 Vgl. Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 706 BGB Rz. 25. 33 Vgl. Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 395 (Stand: 6/2019). 34 Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 706 BGB Rz. 28. 35 Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 706 BGB Rz. 26 f.
168 | Könen
Beiträge; Stimmkraft; Anteil an Gewinn und Verlust | Rz. 22 § 709 BGB
schreibt, dass es sich dabei „um eine Rechnungsziffer [handelt], die den (Buch-)Wert der wirtschaftlichen Beteiligung des Gesellschafters am Gesellschaftsvermögen zum Ausdruck bringen soll und die von den Gesellschaftern landläufig als Kapitalanteil vereinbart wird (Anteilsquote).“36 Sodann nimmt § 120 Abs. 1 HGB für den Jahresabschluss auf § 709 Abs. 3 HGB Bezug, indem nach dessen Maßgabe der Anteil an Gewinn und Verlust zu ermitteln sei. „[A]n der bislang vorgesehenen automatischen Zuweisung der Gewinn und Verlustanteile [ändert sich] nichts“.37 Der Regelung von Teilen des gesellschaftsrechtlichen Bilanzrechts in den §§ 120 f. HGB kommt nur insoweit ein spezialgesetzlicher Charakter zu, dass die Anknüpfung der mitgliedschaftlichen Wertbeteiligung der Gesellschafter im Einzelfall an die vereinbarte Gesellschaftsbeteiligung vorgenommen werden muss, weil die vereinbarten Beitragsleistungen nicht der objektiven Bewertung zugänglich sind. Sofern sich die Gesellschafter aber zur Leistung geldwerter Einlagen verpflichten, werden diese automatisch dem sog. variablen Kapitalanteil (II) zugeschrieben und Entnahmen werden diesem abgeschrieben. Insoweit sind auch die §§ 120 f. HGB unmittelbar anwendbar. Zwar handelt es sich bei den §§ 120 f. HGB um bilanzrechtliche Regelungen, diese sind aber in Einklang mit ihrer systematischen Stellung unmittelbar relevant für das Verhältnis der Gesellschafter untereinander sowie für die mitgliedschaftlich vermittelten Rechte gegenüber der Gesellschaft (vgl. § 122 HGB). Das sich aus den Beiträgen der Gesellschafter zusammensetzende Gesellschaftsvermögen 22 steht während des Bestehens des Verbandes dinglich ausschließlich der Gesellschaft zu. Führt aber etwa die Auflösung des Verbandes zu dessen Liquidation oder scheidet ein Gesellschafter aus dem Verband aus, steht den Gesellschaftern bei positivem Saldo des Gesellschaftsvermögens ein relativer, auf das Gesellschaftsvermögen bezogener (vorzeitiger) Auseinandersetzungsanspruch gegen den (Liquidations-)Verband zu. Diese vermögensmäßige Berechtigung an dem Gesellschaftsvermögen wird bei Unterwerfung des Mitglieds unter den gemeinsamen Verbandszweck im werbenden Zustand des Verbandes durch die Mitgliedschaft vermittelt.38 In Anbetracht der mitgliedschaftlich vermittelten Verbindung der Gesellschafter mit dem Personenverband ist die mit der Einlagenleistung korrespondierende Beteiligung an dem Gesellschaftsvermögen lediglich eine mittelbare. Dinglich ist das Gesellschaftsvermögen mit der Leistung einer Einlage der Gesellschaft zugeordnet, gesellschaftsrechtlich gesehen ist der Wert des Gesellschaftsvermögens aber den Mitgliedern zugewiesen.39 Vollständig realisieren lässt sich die wertmäßige Beteiligung an dem Gesellschaftsvermögen erst mit dem Ausscheiden aus der Gesellschaft bzw. deren Liquidation; die wertmäßige Beteiligung an dem Gesellschaftsvermögen hat allerdings zur Konsequenz, dass die Gesellschafter an den Erträgen sowie dem Liquidationsüberschuss teilhaben können.40 Anders als eine dingliche Berechtigung bezieht sich der Wertanteil auf das Reinvermögen der Gesellschaft, also den Inbegriff der Vermögensrechte und Verbindlichkeiten des Verbandes.41 Es ist die Mitgliedschaft, welche die Zweckbindung des Verbandsvermögens sichert und gewährleistet, dass die Gesellschafter an der Substanz und den Erträgen der Gesellschaft teilhaben.42
36 37 38 39 40
RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 142. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 239. Vgl. Wiedemann, WM 1992, 3, 37 f. U. Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil, 1970, S. 162. U. Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil, 1970 S. 163; vgl. Schäfer in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2018, § 120 HGB Rz. 50, § 105 HGB Rz. 275 ff. 41 U. Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil, 1970, S. 145; Wiedemann in FS Odersky, 1996, S. 929. 42 U. Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil, 1970, S. 152. Könen | 169
§ 709 BGB Rz. 23 | Rechtsfähige Gesellschaft a) Neuheit durch das MoPeG: fester Kapitalanteil I und variabler Kapitalanteil II 23 § 709 Abs. 3 BGB regelt, dass sich der Anteil an Gewinn und Verlust vorrangig nach den
Beteiligungsverhältnissen bestimmt. § 120 Abs. 1 HGB nimmt darauf Bezug, indem auch für die oHG nach dieser Maßgabe der Anteil an Gewinn und Verlust zu ermitteln ist. Weiterhin soll der einem Gesellschafter zukommende Gewinn aber dem Kapitalanteil des Gesellschafters zugeschrieben werden; der auf einen Gesellschafter entfallende Verlust soll davon abgeschrieben werden. In der Gesetzesbegründung zu § 709 Abs. 3 BGB heißt es wiederum, dass es sich bei dem vereinbarten Beteiligungsverhältnis „um eine Rechnungsziffer [handelt], die den (Buch-)Wert der wirtschaftlichen Beteiligung des Gesellschafters am Gesellschaftsvermögen zum Ausdruck bringen soll und die von den Gesellschaftern landläufig als Kapitalanteil vereinbart wird (Anteilsquote).“43 Bei dieser Definition der vereinbarten Beteiligungsverhältnisse handelt es sich aber um nichts anderes als die bisherige Definition des Kapitelanteils. Wirft man wieder einen Blick in § 120 HGB, führt dies zu dem seltsamen Zirkelschluss, dass sich die Gewinn- und Verlustanteile einerseits nach den „vereinbarten Beteiligungsverhältnissen“ (als feste Größe) bestimmen, welche aber der Sache nach einen Kapitalanteil darstellen soll. Andererseits sind Gewinne und Verluste „dem Kapitalanteil des Gesellschafters zuzuschreiben“. Hinter der Neuregelung verbirgt sich eine gesetzliche Aufspaltung des Kapitalanteils in einen festen Kapitalanteil I und einen variablen Kapitalanteil II. 24 Zweck der Neuregelung des § 709 Abs. 3 BGB sowie der Bezugnahme des § 120 Abs. 1 HGB
war es, die mitgliedschaftlichen Verwaltungs- und Vermögensrechte anhand einer festen Bezugsgröße zu bestimmen.44 Um diese – nun zum normativen Standard erklärte – Wirkung zu erzielen, war es unter dem Regime der §§ 120–122 HGB a.F. erforderlich, eine gesellschaftsvertragliche Regelung zu treffen, welche die mitgliedschaftlichen Verwaltungs- und Wertrechte auf eine feste, zu bestimmende Anteilsquote zu beziehen. So war der den §§ 120– 122 HGB a.F. zugrunde zu legende Kapitalanteil als solcher variabel. Bilanziell darzustellen war diese gesellschaftsvertragliche Bestimmung durch ein Mehr-Konten-Modell, welches den variablen Kapitalanteil auf eine festen Kapitalkonto I sowie einem variablen Kapitalkonto II führte. 25 Auch wenn die § 709 Abs. 3 BGB, § 120 HGB terminologisch zwischen den festen Betei-
ligungsverhältnissen und dem variablen Kapitalanteil differenzieren, handelt es sich bei beiden Rechnungsgrößen um einen Kapitalanteil, der nun aber kraft Gesetzes in einen festen Kapitalanteil I und einen variablen Kapitalanteil II aufgespalten ist, wie es die Praxis im Rahmen der Mehr-Konten-Modelle bereits forciert hatte.45 Insbesondere handelt es sich bei dem festen Kapitalanteil I des § 709 Abs. 3 Satz 1 BGB nicht um die mitgliedschaftsvermittelte Beteiligung an der Gesellschaft also solche, sondern lediglich um eine Rechnungsziffer, die die mitgliedschaftliche Wertbeteiligung abbildet.46 Normativer Anknüpfungspunkt für die mitgliedschaftlichen Verwaltungs- und Wertrechte ist demnach die Anteilsquote, wie sie im festen Kapitalanteil I zum Ausdruck kommt. Gewinne und Verluste werden demgegenüber kraft Gesetzes dem variablen Kapitalanteil II gut- bzw. abgeschrieben, wie sie sodann durch die Geschäftsführung auf dem variablen Kapitalkonto II abzubilden sind. Die vereinbarten Beteiligungsverhältnisse sind daher nicht mit der mitgliedschaftlichen Gesellschaftsbeteiligung gleichzusetzen. Die nun in einen festen Kapitalanteil I und einen variablen Kapitalanteil II kraft Gesetzes aufgespaltenen Rechnungsziffern bilden zusammen den herkömmlichen Kapitalanteil, wie er Aufschluss über die mitgliedschaftliche Wertbeteiligung gibt.
43 44 45 46
RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 142 f. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 142 f., 239 f.; vgl. S. 169, 84 f. des Mauracher Entwurfs. Vgl. Hennrichs in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 11 Rz. 7. Vgl. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 142 f.
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Beiträge; Stimmkraft; Anteil an Gewinn und Verlust | Rz. 27 § 709 BGB
b) Bedeutung des variablen Kapitalanteils II Für die Ermittlung des einem Gesellschafter zukommenden Gewinns der Gesellschaft stellt 26 § 120 Abs. 1 HGB auf die Regelung des § 709 Abs. 3 BGB ab, den sog. festen Kapitalanteil I (auch Anteilsquote oder Beteiligungsverhältnis).47 Gewinne und Verluste werden aber – kraft Gesetzes – gem. § 120 Abs. 2 HGB dem variablen Kapitalanteil II zugeschrieben bzw. von diesem abgeschrieben. Die systematisch auseinandergerissenen Bestimmungen stehen in unmittelbarem Zusammenhang, so dass die Bestimmung des § 120 Abs. 2 HGB auch auf die Außen-GbR anzuwenden ist, weil es anderenfalls keine Grundlage für eine Schlussabrechnung gäbe. Der Kapitalanteil II ist maßgeblich für die Auseinandersetzungsansprüche im Falle der Gesellschaftsliquidation sowie die Abfindungsansprüche im Falle des Ausscheidens eines Gesellschafters. Hingegen dient der Kapitalanteil nicht mehr Maßstab für die Kapitaldividende des § 121 HGB a.F. sowie des Kapitalentnahmerechts nach § 122 HGB a.F. – diese Vorschriften wurden aufgehoben. Die Neukonzeption des gesellschaftsrechtlichen Bilanzrechts gewährleistet – nach Feststellung des Jahresabschlusses – eine gesetzliche Ergebnisverwendung in Einklang mit der bisherigen Praxis48 nach den vereinbarten Beteiligungsverhältnissen, vgl. § 120 Abs. 1 Satz 2 HGB. Auch wenn sich die mitgliedschaftlichen Verwaltungs- und Wertrechte nun gem. § 709 Abs. 3 27 BGB an der festen Bezugsgröße des Kapitalanteils I bestimmen, wird die Rechtsnatur des Kapitalanteils durch den variablen Kapitalanteil II geprägt.49 Eine gesetzliche Definition des Kapitalanteils, wie er nun aufgeteilt in eine feste und eine variable Rechnungsziffer den § 709 Abs. 3 BGB und § 120 Abs. 2 HGB zugrunde liegt, sehen weder BGB noch HGB vor. Er ist daher aus dem Regelungszusammenhang zu ermitteln und von dem Gesellschaftsanteil abzugrenzen. Während die Gesellschaftsbeteiligung unmittelbaren Aufschluss über die dingliche Zuordnung der getrennten Vermögensverbindungen im Außenverhältnis sowie die wertmäßige Beteiligung des Gesellschafters am Gesellschaftsvermögen geben, kommt dem Kapitalanteil lediglich eine dispositive, innenrechtliche Bedeutung zu, weil dessen Feststellung bloß an die Methoden der Buchführung und Bilanzierung gebunden ist, wie es sich aus der Bezugnahme des § 120 Abs. 1 HGB auf den Jahresabschluss ergibt.50 Gemäß § 238 Abs. 1 Satz 1, § 242 Abs. 1, Abs. 3, § 120 Abs. 1 HGB ist die oHG verpflichtet, eine Bilanz (Eröffnungsbilanz und Jahresbilanz) über die Lage ihres Vermögens nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung zu führen sowie eine Gewinn- und Verlustrechnung aufzustellen. In ihrer Gesamtheit bilden diese den sog. Jahresabschluss (§ 242 Abs. 3 HGB). Die Bilanz dient gem. § 238 Abs. 1 Satz 2 HGB dazu, der oHG, ihren Gesellschaftern oder einem sachverständigen Dritten stichtagsbezogen innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Lage des von der oHG betriebenen Unternehmens, das heißt den Vermögensstatus der Gesellschaft, zu verschaffen. Dabei kommt die Trennung des Gesellschaftsvermögens von dem Privatvermögen der Gesellschafter bilanziell dadurch zum Ausdruck, dass die Mittelherkunft des Gesellschaftsvermögens in der Gesellschaftsbilanz getrennt in Eigen- und Fremdkapital dargestellt wird.51 Einlagen der Gesellschafter, die aufgrund gesellschaftsrechtlicher Verpflichtung erbracht werden, sind dementsprechend als Teil des Eigenkapitals auszuweisen, Gesellschafterdarlehen sind demgegenüber grundsätzlich als Fremdkapital zu verbuchen. 47 48 49 50
Abweichend noch die §§ 112–114 HGB-E des Mauracher Entwurfs, vgl. dort S. 168 ff. Kruse, DStR 2021, 2412, 2414; Fleischer, DStR 2021, 430, 435. Vgl. Hennrichs in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 11 Rz. 7. Ehricke in E/B/J/S, 4. Aufl. 2020, § 120 HGB Rz. 58; Priester in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 120 HGB Rz. 86; U. Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil, 1970, S. 228; Schäfer in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2018, § 120 HGB Rz. 50; vgl. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/ 27635, S. 239. 51 Vgl. Sieker, Eigenkapital und Fremdkapital der Personengesellschaft; Wiedemann in FS Odersky, 1996, S. 928 f. Könen | 171
§ 709 BGB Rz. 28 | Rechtsfähige Gesellschaft 28 Der Kapitalanteil ist „die Bilanzziffer, die den gegenwärtigen Stand der Einlage des Gesell-
schafters angibt, so wie er sich nach den Methoden der kaufmännischen Buchführung und Bilanzierung errechnet. Der Stand der Einlage, der auf diese Weise ausgewiesen ist, gibt zugleich die Höhe der Wertbeteiligung des Gesellschafters am Gesellschaftsvermögen […] an“,52 wie er im Falle des Ausscheidens oder der Auseinandersetzung zugrunde zu legen ist. In Anbetracht ihrer vermögensbildenden Eigenschaft ist es im Ausgangspunkt die Einlage, das heißt der auf den einzelnen Gesellschafter entfallene Anteil am Eigenkapital der Gesellschaft, die den Wert der mitgliedschaftlich vermittelten Beteiligung am Gesellschaftsvermögen ausmacht. Lediglich als feste Bezugsgröße für einzelne mitgliedschaftliche Rechte und Pflichten dienen insoweit nach § 709 Abs. 3 BGB die vereinbarten Beteiligungsverhältnisse, während sich die mitgliedschaftliche Wertbeteiligung nach dem konkreten variablen Kapitalanteil II bestimmt. Mit Blick auf Gewinnanteile, Verlustanteile und Entnahmen ist der gegenwärtige Stand der Einlage veränderlich. Aus dem Zusammenspiel von § 247 Abs. 1 HGB mit § 120 Abs. 1, Abs. 2 HGB ergibt sich, dass der Kapitalanteil bilanzrechtlich diesen auf die einzelnen Gesellschafter entfallenen variablen Anteil am Eigenkapital der Gesellschaft abbildet.53 Der Kapitalanteil repräsentiert demnach den bilanzrechtlichen Gegenwert der Einlage, weil diese während des Bestehens des Verbandes als Teil des Gesellschaftsvermögens der Disposition der Gesellschafter entzogen ist, im Falle der Gesellschafterinsolvenz nicht geltend gemacht werden kann und erst im Zusammenhang mit einer Auseinandersetzung als Rechnungsposten in die Schlussrechnung eingeht.54 Aufgrund dieser Beziehung zur Einlage knüpft der Kapitalanteil an die Mitgliedschaft an, geht jedoch nicht mit dieser einher.55 Darüber hinaus entspricht es dem Charakter des Kapitalanteils als bloße Bilanzziffer, dass die Beteiligung am Gesellschaftsvermögen mit einer Einlage nicht mit der größten Genauigkeit abgebildet wird, sondern unter Bindung an die Methoden der Buchführung und Bilanzierung erfolgt.56 Dadurch, dass sich die Bilanzziffer „Kapitalanteil“ aus den Einlagen, Gewinnanteilen, Verlustanteilen und Entnahmen bildet, stellt sie eine veränderliche Rechnungsziffer dar, die für bestimmte Zwecke Aufschluss über vermögensrechtliche Rechte und Pflichten der Gesellschafter geben soll. Als Bilanzziffer kommt dem Kapitalanteil weder eine schuldrechtliche noch eine dingliche Wirkung zu. Ausweislich der gesetzlichen Systematik hat der Kapitalanteil seinen Ursprung im materiell-gesellschaftsrechtlichen Bilanzrecht.57 Der Kapitalanteil stellt daher kein der Verfügung unterliegendes subjektives Recht dar, sondern ist als Bilanz- und Rechnungsziffer lediglich Berechnungsgrundlage für bestimmte Rechte.58 Der Verfügung zugänglich ist lediglich die Mitgliedschaft als Grundlage des Kapitalanteils. Der Kapitalanteil gestaltet sich gegenüber der Mitgliedschaft nur als ein unselbstständiges Element.59 29 Gleichwohl stellt der Kapitalanteil nicht nur eine wirtschaftliche Beteiligung dar, sondern
auch eine rechtliche, weil das Gesetz einerseits materiell-rechtliche Folgen – wie die Verlustausgleichspflicht – an den Ausweis des Kapitalanteils anknüpft und mit ihm, mitgliedschaftlich vermittelt, Ansprüche gegen die Gesellschaft verbunden sind.60 Andererseits verkörpert der Kapitalanteil über seine materiellen Funktionen hinaus eine „Bilanzziffer, die den gegen-
52 U. Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil, 1970, S. 215 ff., 228; vgl. A. Hueck, Das Recht der oHG, § 16 IV 1, S. 229; Schäfer in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2018, § 120 HGB Rz. 51. 53 M.w.N. Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 95. 54 Sieker, Eigenkapital und Fremdkapital der Personengesellschaft, S. 25 ff., 77. 55 Vgl. Wertenbruch, NZG 2022, 939. 56 Vgl. U. Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil, 1970, S. 222 ff., 228. 57 Vgl. U. Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil, 1970, S. 218. 58 Vgl. U. Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil, 1970, S. 216, 228. 59 Vgl. U. Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil, 1970, S. 230, 232. 60 Vgl. U. Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil, 1970, S. 228.
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Beiträge; Stimmkraft; Anteil an Gewinn und Verlust | Rz. 30 § 709 BGB
wärtigen Stand der Einlage des Gesellschafters angibt, so wie er sich nach den Methoden der kaufmännischen Buchführung und Bilanzierung errechnet“.61 Insoweit wird eine Aussage über ein bestimmtes Rechtsverhältnis getroffen.62 Ferner ist der Gesellschafter nur deswegen wirtschaftlich an der Gesellschaft beteiligt, weil er mit Vereinbarung bzw. Leistung der Einlage über den Gesellschaftsanteil rechtlich an ihr teilhat.63 Die gesetzliche Funktion des Kapitalanteils besteht im Falle seiner Feststellung in der Gewinnverteilung, etwaiger vereinbarter Entnahmerechte sowie in der Auszahlung des Liquidationsüberschusses.64 Ferner knüpfen die §§ 120–122 HGB, § 709 Abs. 3 BGB vermögensrechtliche Ansprüche an den Kapitalanteil. Der Kapitalanteil steht dabei in keiner notwendigen Beziehung zum Maß mitgliedschaftlicher Berechtigungen der Gesellschafter untereinander; so kann der Gesellschaftsvertrag weitere Mitgliedsrechte an den Kapitalanteil anknüpfen. Ebenso können die Kapitalanteile unter den Gesellschaftern kraft Gesellschaftsvertrages unterschiedlich verteilt werden, wobei der Gleichbehandlungsgrundsatz in seiner Ausprägung als Willkürverbot zu beachten ist. Der Kapitalanteil kann als eine Rechnungsgröße grundsätzlich zu allen Aktiva und Passiva in Bezug gesetzt werden. Insoweit existiert für die Gesellschafter einer Personengesellschaft in der Sache ein einziger variabler Kapitalanteil.65 Dieser setzt sich zusammen aus den Einlagen, den Gewinnanteilen, den Verlustanteilen sowie den Entnahmen der Gesellschafter, wobei die vereinbarte Einlage als Ausgangsgröße der mitgliedschaftlichen Rechte und Pflichten fungiert. Mit der Neuregelung des § 709 Abs. 3 HGB wird dieser variable Kapitalanteil aufgespalten in einen festen Kapitalanteil I („Beteiligungsverhältnisse“) sowie einen variablen Kapitalanteil II („Kapitalanteil“). Das Kapitalkonto II stellt ein Sachkonto dar, also bei positiven Kapitalanteilen ein Unterkonto der Passivseite der Gesellschaftsbilanz.66 Konkreter ist das Kapitalkonto II ein passives Bestandskonto, das die Mittelherkunft des Gesellschaftskapitals abbildet.67 c) Weitere Gesellschafterkapitalkonten Ungeachtet der Tatsache, dass der mitgliedschaftlich vermittelte Kapitalanteil im Ausgangs- 30 punkt variabel ist, wird dieser durch die § 709 Abs. 3 BGB, §§ 120 f. HGB aufgespalten in einen festen Kapitalanteil I und einen variablen Kapitalanteil II. Während sich im festen Kapitalanteil I die vereinbarte Gesellschaftsbeteiligung wiederspiegelt, finden sich in der Rechnungsziffer Kapitalanteil II die geleisteten Einlagen, die Entnahmen, Gewinne und Verluste. Diese gesetzliche Differenzierung ist darauf zurückzuführen, dass zur Abbildung der materiellen Rechtslage eine Kontenführung auf der Grundlage eines einzigen variablen Kapitalanteils kaum geeignet ist. In der Praxis hatte sich daher eine Kontenführung mit zwei oder mehr Gesellschafterkonten etabliert.68 Insoweit wurden für den Kapitalanteil jedenfalls zwei Konten gebildet, wobei das Kapitalkonto I als festes Kapitalkonto die vereinbarte Einlagenleistung bzw. die vereinbarte Gesellschaftsbeteiligung abbildete und das Kapitalkonto II als variables Konto die auf den einzelnen Gesellschafter entfallenen Gewinne, Verluste und Entnahmen darstellte. Diese Gestaltungsform der Praxis ist mit § 709 Abs. 3 BGB und § 120 HGB zum normativen Standard geworden. Die Aktionslast verschiebt sich allerdings dahin, dass sich das Kapitalkonto I auch nach dem Beteiligungsmechanismus des § 709 Abs. 3 BGB 61 Vgl. U. Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil, 1970, S. 228; U. Huber, ZGR 1988, 1, 4. 62 Vgl. U. Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil, 1970, S. 224. 63 U. Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil, 1970, S. 224. 64 U. Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil, 1970, S. 179 ff. 65 Schäfer in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2018, § 120 HGB Rz. 53, 58 f. 66 Vgl. zur Buchung bei negativen Kapitalanteilen, U. Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil, 1970, S. 263 ff. 67 Priester, DStR 2013, 1786, 1788. 68 Vgl. Priester in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 120 HGB Rz. 86 ff., 102 ff. Könen | 173
§ 709 BGB Rz. 30 | Rechtsfähige Gesellschaft bestimmt, der letztlich die Sanktion vorsehen kann, die Beteiligungsverhältnisse nach Köpfen vorzunehmen. Eine ausdrückliche Vereinbarung der Beteiligungsverhältnisse im Gesellschaftsvertrag ist daher zweckmäßig. Präziser lässt sich die mitgliedschaftliche Wertbeteiligung unter Berücksichtigung der dinglichen Rechtsverhältnisse im Wege des sog. DreiKonten-Modells nachvollziehen.69 Dafür sind die Kapitalkonten I und II um ein weiteres variables Darlehens-, Forderungs- oder Gesellschafterkonto zu ergänzen. Auf diesem werden diejenigen Beträge verbucht, die ein Gesellschafter der Gesellschaft im Wege von Fremdkapital, in der Regel als Darlehen, zur Verfügung stellt. Entsprechend werden auf diesem Konto entnommene Gewinnanteile verbucht, die der Gesellschafter der Gesellschaft weiterhin zur Verfügung stellt. Auch die Führung weiter Konten wird praktiziert. d) Abweichende Beitragsquote 31 Ist ein Gesellschafter von der Einlagenverpflichtung befreit, hat dies zur Konsequenz, dass
dieser über keinen Kapitalanteil verfügt.70 Soweit ein Gesellschafter gleichwohl an den Gewinnen der Gesellschaft teilhaben soll, bedarf dies einer schuldrechtlichen Vereinbarung. Ist ein Gesellschafter demgegenüber zur Einlagenleistung verpflichtet, soll aber nicht an den Gewinnen der Gesellschaft teilhaben, können die Gesellschafter diesen ohne weiteres gesellschaftsvertraglich von der Gewinnbeteiligung ausschließen (zu den Grenzen der Verbandsherrschaft s. § 708 BGB Rz. 63). Dann ist für diesen zwar ein Kapitalkonto zu führen. Die grundsätzlich auf ihn entfallenen Gewinne werden aber entweder bei der Gesellschaft stehen gelassen oder können von den anderen Gesellschaftern nach den § 709 Abs. 3 BGB, §§ 120– 122 HGB beansprucht werden. Spiegelbildlich zum Ausschluss von der Gewinnverteilung kommt im Innenverhältnis ein Ausschluss von der Verlustbeteiligung in Betracht.
2. Gewinn- und Verlustverteilung 32 Mit der Neuregelung des § 709 Abs. 3 BGB tritt „anstelle einer Gewinn- und Verlustvertei-
lung nach Kopfteilen […] ein kapitalistischer Verteilungsschlüssel“.71 Dieser ist bereits vor dem Hintergrund des gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes in der Mitgliedschaft angelegt. Die Gewinn- und Verlustverteilung erfolgt nur noch subsidiär nach Kopfteilen, wenn eine Anteilsquote der Gesellschafter weder vereinbart wurde noch sich aus dem Wert der Beitragsverpflichtungen ergibt. Gemäß § 718 BGB haben Rechnungsabschluss und Gewinnverteilung im Zweifel zum Schluss jedes Kalenderjahres zu erfolgen, sofern nicht ein Jahresabschluss i.S.v. § 242 Abs. 3 HGB aufgestellt wird. Sofern sich die Gesellschafter nicht darüber geeinigt haben, dass Verluste der Gesellschaft während deren werbenden Stadiums auszugleichen sind, kommen gem. §§ 737, 728a BGB Nachschüsse der Gesellschafter an die Gesellschaft erst im Falle deren Liquidation oder des Ausscheidens in Betracht. Im Übrigen ist eine Verlustbeteiligung der Gesellschafter nicht vorgesehen, weil Beitragserhöhungen nach § 710 BGB nur unter Beteiligung aller Gesellschafter möglich sind. Im Einzelfall kann sich eine Zustimmungspflicht der Gesellschafter aus der Treuepflicht ergeben.72 Eine solche ist aber stets mit einem Austrittsrecht aus wichtigem Grund verbunden. Reicht das Gesellschaftsvermögen nicht aus, die Verbindlichkeiten der Gesellschaft zu begleichen, ist regelmäßig ein Insolvenzeröffnungsgrund i.S.d. § 17 InsO gegeben.
69 Vgl. Priester in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 120 HGB Rz. 86 ff., 102 ff., 108. 70 Vgl. U. Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil, 1970, S. 289 ff.; Priester in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 120 HGB Rz. 65; Wertenbruch, NZG 2022, 939. 71 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 108. 72 Vgl. Jahnke, Gesellschaftsrechtliche Treuepflicht, 2003, S. 82.
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Beiträge; Stimmkraft; Anteil an Gewinn und Verlust | Rz. 36 § 709 BGB
Der Anspruch auf Erstellung eines Rechnungsabschlusses richtet sich gegen die Geschäfts- 33 führung und erstreckt sich auf die Bilanzaufstellung als solche, im Rahmen derer die bilanzielle Gewinnverteilung vorzunehmen ist. Demgegenüber erfolgen Gut- bzw. Abschrift zum Kapitalanteil II – in Anbetracht des Prinzips der Vollausschüttung (sog. „Vollausschüttungshypothese“73) – kraft Gesetzes nach dem festen Verteilungsschlüssel des § 709 Abs. 3 BGB. Davon zu unterscheiden sind die Ansprüche der Gesellschafter auf die anteilige Auszahlung des Gewinns. Der Anspruch auf Auszahlung des Gewinns ist gegen die Gesellschaft selbst geltend zu machen, weil es sich dabei um einen Sozialanspruch handelt. Die Entstehung des Anspruchs auf Auszahlung des Gewinns setzt die Feststellung des Rechnungsabschlusses durch die Gesellschafterversammlung nach § 714 BGB voraus.74 Der Rechnungsabschluss hat grundsätzlich (nur) den Anforderungen des § 259 BGB zu entsprechen und beinhaltet neben der Bilanzaufstellung eine den Verhältnissen der konkreten Gesellschaft entsprechende Gewinn- und Verlustrechnung. Ist bei unternehmenstragenden Gesellschaften die Zweckverfolgung auf eine wirtschaftliche gerichtet, vereinbaren die Gesellschafter regelmäßig – jedenfalls konkludent – die Bilanzaufstellung nach kaufmännischen Maßstäben (vgl. § 242 Abs. 3 HGB). Dann tritt der Jahresabschluss an die Stelle des Rechnungsabschlusses. Im Falle der Gesellschaftsliquidation bzw. im Rahmen eines Ausscheidens können die Gesellschafter vollständig den Wert ihrer Gesellschaftsbeteiligung realisieren, wie sie sich aus dem variablen Kapitalanteil II ergibt. Die Entstehung der Auseinandersetzungsansprüche setzt gem. §§ 735, 737 BGB bzw. §§ 728, 728a BGB die Aufstellung einer Schlussabrechnung bzw. Auseinandersetzungsbilanz sowie deren Feststellung voraus.
3. Stimmkraft Die Stimmkraft richtet sich gem. § 709 Abs. 3 BGB – wie die Gewinn- und Verlustbetei- 34 ligung – vorrangig nach den vereinbarten Beteiligungsverhältnissen. Auf diese Art und Weise werden Stimmkraft und Gewinn- bzw. Verlustbeteiligung an den gleichen Verteilungsschlüssel geknüpft. Damit wird im Ausgangspunkt sichergestellt, dass die mitgliedschaftliche Gewinn- und Verlustbeteiligung auch durch damit korrespondierende Möglichkeiten, auf die Gesellschaftstätigkeit Einfluss nehmen zu können, abgebildet wird. Genauso wie das in persönlicher Gesellschafterhaftung mündende Verbandsverhalten untrennbar mit mitgliedschaftlichen Mitwirkungsmöglichkeiten verbunden ist, weil selbstverantwortliche Haftung auf eigennützige Selbstbestimmung rückführbar sein muss, werden die anteilige Gewinnund Verlustbeteiligung an eine proportionale Stimmkraft geknüpft. Zwar ist die innenrechtliche Gewinn- und Verlustverteilung grundsätzlich dispositiv, aus dem § 709 Abs. 2 und Abs. 3 BGB zugrundeliegenden Gleichbehandlungsgrundsatz folgt aber, dass eine willkürliche Umverteilung nicht in Betracht kommt, weil anderenfalls unverzichtbare bzw. unentziehbare Mitgliedspositionen vereitelt würden. Während § 714 BGB weiterhin von der Einstimmigkeit zu fassender Beschlüsse ausgeht, er- 35 gibt aus der Regelung des Instruments der Beschlussfassung, dass die innergesellschaftsrechtliche Willensbildung auf der Grundlage einer Regelung im Gesellschaftsvertrag der Mehrheitsherrschaft überantwortet werden kann.75 a) Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung Die Beschlussfassung nach § 714 BGB ist zu unterscheiden von der Geschäftsführung nach 36 den §§ 715, 715a und 715b BGB. Während sich die Geschäftsführungskompetenz der Ge73 Hennrichs in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 11 Rz. 16. 74 Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 721 BGB Rz. 4. 75 Vgl. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 149 f. Könen | 175
§ 709 BGB Rz. 36 | Rechtsfähige Gesellschaft schäftsführer auf „jede zur Förderung des Gesellschaftszwecks bestimmte, für die Gesellschaft wahrgenommene [gewöhnliche] Tätigkeit [bezieht], mit Ausnahme solcher Maßnahmen, die die Grundlagen der Gesellschaft betreffen“, „dient der Gesellschafterbeschluss im Rahmen von Grundlagengeschäften sowie außergewöhnlichen Geschäftsführungsmaßnahmen der Gestaltung des Gesellschaftsverhältnisses“.76 aa) Rechtsnatur des Beschlusses 37 Der Beschluss als mehrseitiges Rechtsgeschäft77 ist das Instrument der Willensbildung von
kollektiv besetzten Gremien (s. zur Rechtsnatur § 714 BGB Rz. 12 ff.). Mit ihrer Stimme geben die stimmberechtigten Gesellschafter ihre Willenserklärung zu einem Beschlussantrag gerichtet auf die Herbeiführung der innerverbandlichen Willensbildung ab.78 Dabei ist es unerheblich, ob dieser einstimmig zu fassen ist oder ob auch eine Willensbildung durch Mehrheitsbeschluss in Betracht kommt. Die § 714 BGB zugrundeliegende Einstimmigkeit führt nur zu gesteigerten Wirksamkeitsanforderungen. Im Rahmen der Gesellschafterversammlung dient der Beschluss der Willensbildung der Gesellschaft selbst. Umstritten ist, auf welche Art und Weise der Beschluss in letzter Konsequenz seine Wirkung als verbandsrechtlicher Wille entfaltet (§ 714 BGB Rz. 21 ff.). Während teilweise angenommen wird, ein Beschluss setze den Zugang der Willenserklärungen gegenüber der Gesellschaft voraus,79 soll nach anderer Auffassung die Feststellung des Beschlussergebnisses – auch durch konkludente Kundgabe des Abstimmungsergebnisses durch das Organ – notwendige Wirksamkeitsvoraussetzung sein.80 Teilweise wird die Feststellung durch einen Versammlungsleiter gefordert.81 bb) Gesellschafterversammlung als originäres Willensorgan des Personenverbandes 38 Vor dem Hintergrund, dass der Personenverband seine verbandsrechtliche Rechtssubjektivi-
tät auf die gesellschaftsvertragliche Verbindung mehrerer Mitgliedschaften zurückführt, sind es auch diese in ihrer Zusammenkunft, die dem Personenverband Willens- und Handlungsfähigkeit originär vermitteln. Bei der sog. Gesellschafterversammlung handelt es sich um das originäre Willensbildungsorgan des Personenverbandes. In ihrer Gesamtheit obliegt es den Gesellschaftern, die Verfassung des Personenverbandes zu gestalten, weil die Gesellschaft auf diesem Fundament als Rechtssubjekt im Rechtsverkehr agiert. Mit dem Begriff der Gesellschafterversammlung ist nicht verbunden, dass alle Gesellschafter in irgendeiner Form physisch an einem Ort zusammenkommen müssen, maßgeblich ist zunächst nur die tatsächliche Willensübereinkunft über eine Gesellschaftsangelegenheit.82 Eine hinreichende Willensbildung ist insoweit gegeben, wenn sich die Gesellschaftergesamtheit einig ist, dass eine entsprechende Übereinkunft für die Gesellschaft erzielt wurde, ohne dass sie dies – vorbehaltlich eines mutmaßlichen Beweisinteresses der Gesellschafter – ausdrücklich kundtun muss. Eines formalen Feststellungsaktes bedarf es dafür grundsätzlich nicht; dieser kann sich aber aus einem formalisierten Beschlussverfahren sowie dem Bedürfnis nach Rechtssicher76 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 149 f. 77 Vgl. Einzinger in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 119 HGB Rz. 9 f.; Noack in Noack/Servatius/ Haas, 23. Aufl. 2022, § 47 GmbHG Rz. 4 ff.; Skauradszun, Der Beschluss als Rechtsgeschäft, 2020, S. 57 ff. 78 Vgl. BGH v. 29.5.1967 – II ZR 105/66, BGHZ 48, 163; Noack in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 47 GmbHG Rz. 7. 79 Vgl. Noack in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 47 GmbHG Rz. 7. 80 Vgl. Altmeppen, NZG 2022, 1563, 1565 ff.; Altmeppen, 11. Aufl. 2023, § 47 GmbHG Rz. 3, 19 ff.; ablehnend, Bayer, NZG 2018, 801, 807; Noack, GmbHR 2017, 792, 793. 81 Vgl. Zöllner in FS Lutter, 2000, S. 821, 828. 82 Zum funktionalen Verständnis der Mitgliederversammlung des Vereins, Könen in BeckOGK/BGB, § 36 BGB Rz. 17 f. (Stand: 1.4.2023).
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Beiträge; Stimmkraft; Anteil an Gewinn und Verlust | Rz. 40 § 709 BGB
heit angesichts des personenhandelsgesellschaftsrechtlichen Beschlussmängelrechts ergeben. In Anbetracht der Realstruktur eines Personenverbandes kann sich ein Feststellungserfordernis – auch durch eine dafür berufene Person – im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung des Gesellschaftsvertrages ergeben. b) Beschlussgegenstände; „Kernbereichslehre“ Der Beschlussfassung durch die Gesellschafterversammlung obliegen sämtliche Gegenstände, 39 die das Fundament des Personenverbandes betreffen. Kompetenziell davon zu trennen sind grundsätzlich Maßnahmen der Geschäftsführung. Diese beziehen sich im Ausgangspunkt auf sämtliche Geschäfte zur Förderung des Gesellschaftszwecks. Während sich diese personengesellschaftsrechtliche Kompetenzordnung normativ aus § 714 BGB auf der einen Seite ergibt sowie aus den §§ 715, 715a, und 715b BGB auf der anderen Seite, folgt sie mit Blick auf die mitgliedschaftlichen Rechtsbeziehungen daraus, dass auch die Unterwerfung unter die – aus Sicht des Gesellschafters bezogen auf seine mitgliedschaftlichen Pflichten – fremdbestimmte Geschäftsführung nur so weit reichen kann, wie dieser sich privatautonom unter eine solche unterworfen hat. Hinsichtlich solcher Maßnahmen, die objektiv der Förderung des Gesellschaftszwecks dienen, ergibt sich die privatautonome Unterwerfung unter die Verbandsherrschaft aus der Vereinbarung des Gesellschaftszwecks selbst. Wie § 715 Abs. 2 Satz 2 BGB aber zutreffend zum Ausdruck bringt, unterwerfen sich die Gesellschafter aber nur hinsichtlich gewöhnlicher Geschäfte zur Verfolgung des Verbandszwecks der Verbandsherrschaft. Daraus folgt – ungeachtet der normativen Zuweisung zur Geschäftsführungskompetenz im Rahmen von § 715 BGB –, dass außergewöhnliche Geschäfte der Zustimmung der Gesellschaftergesamtheit bedürften. Hinsichtlich der innergesellschaftlichen Kompetenzordnung bedeutet dies, dass es sich dabei um eine der Gesellschafterversammlung zukommende Kompetenz handelt.83 So werden im Rahmen von sog. Grundlagengeschäften bzw. von außergewöhnlichen Ge- 40 schäftsführungsmaßnahmen Mitgliedspflichten betroffen, hinsichtlich derer sich der Gesellschafter gerade noch keiner Fremdbestimmung unterworfen hat. Grundlagengeschäfte betreffen das Verhältnis der Gesellschafter untereinander und erfordern eine Modifikation des Verbandszwecks. Außergewöhnliche Geschäfte sind indes grundsätzlich noch vom Gesellschaftszweck erfasst, wobei davon auszugehen ist, dass sich die Gesellschafter diesbezüglich nicht privatautonom der Verbandsherrschaft unterworfen haben.84 Damit ergibt sich die personengesellschaftliche Kompetenzordnung gar nicht auf der Grundlage personengesellschaftsrechtlicher Besonderheiten, sondern aus schlicht mitgliedschaftlichen Erwägungen. Maßgeblichen Einfluss hat die personengesellschaftsrechtliche Organisationsverfassung indes auf die Abgrenzung derjenigen Bereiche, die der Geschäftsführung obliegen bzw. die dieser entzogen sind. So lässt sich anhand der Sozietätskonstruktion bzw. unter Berücksichtigung der persönlichen Gesellschafterhaftung rechtsformspezifisch konkretisieren, welche Bereiche im Ausgangspunkt der Zustimmung der Gesellschafter bedürfen. So wird überwiegend ein personengesellschaftsrechtlicher „Kernbereich“ der Mitgliedschaft identifiziert, hinsichtlich dessen Eingriffe von der Zustimmung der Gesellschafter abhängig gemacht werden (§ 714 BGB Rz. 88 ff.). Hinsichtlich der Abgrenzung von außergewöhnlichen Geschäftsführungsmaßnahmen und solchen Maßnahmen, welche die Grundlagen der Gesellschaft betreffen, bedeutet dies, dass sich die Gesellschafter hinsichtlich außergewöhnlicher Geschäftsführungstätigkeit ohne weiteres im Gesellschaftsvertrag der Verbandsherrschaft unterwerfen können, indem sie die Zustimmungspflicht des § 715 Abs. 2 Satz 1 BGB abbedingen. Hinsichtlich solcher Maßnahmen, die die Grundlagen der Gesellschaft betreffen, sind die Anfor83 Vgl. zur innergesellschaftlichen Kompetenzordnung, BGH v. 15.2.2022 – II ZR 235/20, BGHZ 232, 375, Rz. 27 ff. = GmbHR 2022, 686. 84 Vgl. zur genaueren Abgrenzung, Jickeli in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 116 HGB Rz. 7 ff. Könen | 177
§ 709 BGB Rz. 40 | Rechtsfähige Gesellschaft derungen an die zulässige Durchführung indes höher, weil die Gesellschafter diesbezüglich nicht der privatrechtlichen Bindung als Geschäftsführer unterliegen, sondern lediglich der Treuepflicht.85 Mehrheitsbeschlüsse werden insoweit einer gesteigerten Rechtsfertigungslast unterworfen. c) Mehrheitsbeschlüsse 41 Aus dem Charakter als zivilrechtlicher Zusammenschluss ergibt sich, dass die Gesellschafter
sich privatautonom der Verbandsherrschaft unterwerfen. Mit der Leistung ihrer Beiträge sind diese dem individuellen Zugriff des Gesellschafters entzogen; erst mit einem Austritt aus dem Personenverband oder dessen Vollbeendigung erlangt der Gesellschafter wieder den vollständigen Zugriff auf seine überantworteten Vermögenswerte. Demgegenüber verfügen die Gesellschafter während der werbenden Tätigkeiten der Personenaußengesellschaft – vorbehaltlich abweichender gesellschaftsvertraglicher Vereinbarung – nur im Rahmen gemeinschaftlicher Beschlussfassung über die Möglichkeit der Einflussnahme. Gerade unter Geltung des Einstimmigkeitsprinzips ist die verbandsrechtliche Interessenverfolgung eine kollektive und die Individualinteressen müssen dieser im Rahmen des Verbandszwecks untergeordnet werden (§ 714 BGB Rz. 86 ff.). So führt das Einstimmigkeitsprinzip in der Regel dazu, dass die Gesellschafter in der Weise einem Einigungszwang unterliegen, dass sie sich im Rahmen der Gesellschafterversammlung – unter Zurückstellung ihrer individuellen Präferenzen – aufeinander zubewegen müssen, um kollektiv handlungsfähig zu bleiben. Ganz regelmäßig führt die gesellschaftsvertragliche Vereinbarung des Mehrheitsprinzips für die Beschlussfassung daher dazu, dass die Entscheidungsfindung erleichtert und beschleunigt wird und die flexible Willensbildung die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft erhöht.86 aa) Gesellschaftsvertragliche Grundlage 42 Die Gesellschafter haben daher das schützenswerte Interesse, im Gesellschaftsvertrag eine
Mehrheitsklausel zu vereinbaren, deren Reichweite auch nicht durch zu strenge Anforderungen an die Bestimmtheit der erfassten Beschlussgegenstände beschränkt werden darf (§ 714 BGB Rz. 86 ff.). In Anbetracht der Formfreiheit des Gesellschaftsvertrages können Mehrheitsklauseln auch konkludent vereinbart werden, etwa auch dadurch, dass Mehrheitsbeschlüsse stetig geduldet werden.87 In Anbetracht der Gewährleistung der Gesellschaftsvertragsabschluss- und -gestaltungsfreiheit durch den Grundsatz der Privatautonomie können die Gesellschafter die Verbandsgrundlage in der Weise gestalten, dass sie sich hinsichtlich ihrer mitgliedschaftlichen Rechte und Pflichten der Verbandsherrschaft unterwerfen. In Anbetracht der Tatsache, dass ein Verband mit der Vereinbarung eines Verbandszwecks als Rechtssubjekt konstituiert wird, ist die Fremdbestimmung über die mitgliedschaftlichen Pflichten durch die Organe des Verbandes eine notwendige. Der Vorbehalt der Gesellschafterzustimmung in § 714 BGB – ebenso § 715 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 BGB – regelt demgegenüber unter dem Aspekt der niedrigen Gründungsvoraussetzungen einer Außen-GbR nur einen normativen Standard, der der gesellschaftsvertraglichen Gestaltbarkeit zugänglich ist. Weil es sich bei der Regelung einer Mehrheitsklausel über die Grundlagen der Gesellschaft um eine solche handelt, die deren verbandsrechtliches Fundament betrifft, bedarf es grundsätzlich einer Verankerung in dem Gesellschaftsvertrag selbst. Für die Frage, in welchem Umfang sich die Gesellschafter einer Mehrheitsentscheidung unterwerfen wollen, kommt es auf deren privatautonom geäußerten Willen an, der der (ergänzenden) Vertragsauslegung zugänglich ist. Inwiefern die Gesellschafter sich der mitgliedschaftlichen Fremdbestimmung durch die Mehrheitsherrschaft
85 Jickeli in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 116 HGB Rz. 6. 86 Vgl. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 149 f. 87 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 149 f.
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Beiträge; Stimmkraft; Anteil an Gewinn und Verlust | Rz. 44 § 709 BGB
unterwerfen können, ist indes eine Frage der Disponibilität mitgliedschaftlicher Rechte bzw. Pflichten. Die jüngere Rechtsprechung vollzieht diese Systematik dadurch nach, dass sie eine Zwei-Stufen-Prüfung von Gesellschafterbeschlüssen vornimmt und auf der ersten Ebene eine Wirksamkeitsprüfung des Beschlusses hinsichtlich seiner Kompetenzgrundlage im Gesellschaftsvertrag am Maßstab der §§ 133, 157, 134, 138 BGB durchführt.88 Pauschal zur Fassung von Mehrheitsbeschlüssen ermächtigende Klauseln halten dieser Wirksamkeitskontrolle stand (§ 708 BGB Rz. 46 ff., § 714 BGB Rz. 94 ff.).89 Hintergrund ist das berechtigte Interesse der Gesellschafter an einer flexiblen Willensbildung im Verband. bb) Materielle Beschlusskontrolle Erst nach Feststellung einer wirksamen Kompetenzgrundlage für die Fassung eines Mehr- 43 heitsbeschlusses ist im Rahmen einer konkreten Ausübungskontrolle zu prüfen, inwiefern der Mehrheitsbeschluss in nicht mehr hinzunehmender Weise in mitgliedschaftliche Positionen einzelner Mitglieder eingreift (§ 714 BGB Rz. 97 ff.).90 Die Reichweite zulässiger Mehrheitsherrschaft durch den Verband über die mitgliedschaftlichen Rechte hängt maßgeblich von den allgemeinen Mitgliedsrechten ab, gleichzeitig ist das einzelne Mitglied aber auch der mitgliedschaftlichen Treuepflicht unterworfen; als Folge dieser kann es dem Gesellschafter – in Abhängigkeit vom konkreten Beschlussgegenstand – zuzumuten sein, Beeinträchtigungen seiner mitgliedschaftlichen Rechte hinzunehmen. Nach jüngerer Rechtsprechung ist vor dem Hintergrund dieser Interessenlage hinsichtlich eines Beschlussgegenstandes daher im Einzelfall zu prüfen, inwiefern ein Eingriff unter Berücksichtigung der betroffenen Mitgliedsrechte hinnehmbar ist (§ 708 BGB Rz. 46 ff.).91 cc) Ermittlung des Mehrheitsquorums „Sollen kraft gesellschaftsvertraglicher Vereinbarung Beschlüsse mit Stimmenmehrheit ge- 44 fasst werden und ist im Gesellschaftsvertrag darüber hinaus nichts anderes vereinbart, kommt der Beschluss mit einfacher Stimmenmehrheit zustande, wobei sich die Stimmkraft nach § 709 Absatz 3 BGB-E beurteilt.“92 Es steht den Gesellschaftern damit frei, höhere Quoren ausdrücklich festzulegen. In Anbetracht der privatautonomen Gestaltbarkeit des Gesellschaftsvertrages sowie von Mehrheitsklauseln kommt hingegen eine entsprechende Anwendung minderheitenschützender Quoren, wie etwa in § 33 BGB, § 53 GmbHG, § 179 Abs. 2 AktG vorsehen, nach der Tendenz der Rechtsprechung wohl nicht in Betracht.93 Für diesen Ansatz spricht, dass für derartige minderheitenschützenden Bestimmungen nur dann ein Regelungsbedürfnis besteht, wenn anderenfalls eine hinreichende Teilhabe der Minderheit an dem Verband nicht gewährleistet wäre. Die Teilhabe der Gesellschafter an dem Personenverband wird aber einerseits durch § 714 BGB sichergestellt, andererseits gewährleistet die Ausübungskontrolle von Beschlüssen in der Personengesellschaft hinreichende Einzelfallgerech88 BGH v. 13.10.2020 – II ZR 359/18, ZIP 2020, 2281 Rz. 21 ff.; vgl. Enzinger in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 119 HGB Rz. 82 ff.; zurückgehend auf K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 16b dd; K. Schmidt, ZHR 158 (1994), 205. 89 BGH v. 13.10.2020 – II ZR 359/18, ZIP 2020, 2281 Rz. 21 ff.; vgl. Enzinger in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 119 HGB Rz. 62 ff. 90 BGH v. 13.10.2020 – II ZR 359/18, ZIP 2020, 2281 Rz. 21 ff.; vgl. Altmeppen, 11. Aufl. 2023, Anh. § 47 GmbHG Rz. 50 ff.; Enzinger in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 119 HGB Rz. 63 ff., 86 ff.; Grunewald in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 161 HGB Rz. 130 ff.; Koch, ZHR 182 (2018), 378 ff.; K. Schmidt, ZHR 158 (1994), 205; Wertenbruch, NZG 2013, 641. 91 BGH v. 13.10.2020 – II ZR 359/18, ZIP 2020, 2281 Rz. 21 ff. 92 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 149 f. 93 Vgl. zur entsprechenden Anwendung des § 179a AktG auf die KG, BGH v. 15.2.2022 – II ZR 235/ 20, BGHZ 232, 375, Rz. 18 ff. = GmbHR 2022, 686; Meier, DNotZ 2020, 246. Könen | 179
§ 709 BGB Rz. 44 | Rechtsfähige Gesellschaft tigkeit. Ferner gewährleistet das auf einen geringen Gesellschafterbestand ausgerichtete Personengesellschaftsrecht dem einzelnen Gesellschafter eine starke Rechtsposition. Allerdings ist das personengesellschaftsrechtliche Regelungsregime normativ nicht hinreichend auf Situationen ausgerichtet, in denen es um den Schutz von Gesellschaftergruppen als Minderheiten geht, deren Rechtewahrnehmung aber zu einer Beeinträchtigung von berechtigten Interessen der Gesellschaftermehrheit führen kann. Daher sind minderheitenschützende Institute jedenfalls dort zu berücksichtigen, wo das personengesellschaftsrechtliche Regelungsregime der Realstruktur des Personenverbandes nicht gerecht werden kann. Dies betrifft etwa die entsprechende Anwendung der § 37 BGB, § 50 GmbHG. dd) Beschlussverfahren 45 § 714 BGB stellt die einzige Regelung zur Beschlussfassung in der GbR dar. Bestimmungen
zum Beschlussverfahren existieren nicht. Die Beschlussfassung wird mit § 714 BGB indes vorausgesetzt; sie ist das Meinungsbildungsinstrument im originären Willensbildungsorgan der Gesellschaft. Insbesondere sofern die Gesellschafter Mehrheitsklauseln vereinbaren, ist es daher ratsam, zusätzlich Vereinbarungen zur Einberufung und zum Ablauf der Gesellschafterversammlung sowie zur Beschlussfähigkeit vorzusehen. Sieht der Gesellschaftsvertrag keine ausdrücklichen Bestimmungen zum Beschlussverfahren vor, ist hinsichtlich dieser Vertragslücke eine ergänzende Vertragsauslegung vorzunehmen. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Gesellschafterversammlung in der GbR grundsätzlich keine physische Anwesenheit der Gesellschafter erfordert, so dass eine kollektive Willensübereinkunft der Gesellschafter auch außerhalb eines formalisierten Beschlussverfahrens erzielt werden kann. Als subsidiäre Regelersatzordnung ist sodann auf die Regelungen der §§ 109 ff. HGB zurückzugreifen. Diese bieten das sachnächste Regelungsregime, wenn die Auslegung des Parteiwillens der Gesellschafter den Schluss zulässt, dass Beschlüsse nur in einem formalisierten Verfahren gefasst werden sollen. Für eine dahingehende Auslegung sind die Umstände des Einzelfalls erforderlich, insbesondere der vereinbarte Gesellschaftszweck, dessen wirtschaftliche Relevanz sowie die Nähe der Gesellschafter zueinander. Anders als § 714 BGB erschöpft sich § 109 HGB nicht in der Zulassung des Willensbildungsinstruments Beschluss, sondern regelt Einzelheiten des Beschlussverfahrens, wobei das Zustandekommen eines Beschlusses ebenfalls ungeregelt bleibt, so dass die Gesellschafter frei sind, eine vereinfachte Form der Beschlussfassung zu vereinbaren – etwa im Umlaufverfahren.94 Die höhere Detailtiefe des Beschlussrechts im HGB ist darauf zurückzuführen, dass die Neuregelung des Beschlussmängelrechts zur Herstellung größerer Rechtssicherheit über die Bestandskraft eines Beschlusses es erfordert, „den Beschluss in einer Weise festzuhalten, dass Unsicherheiten über dessen Zustandekommen und Ergebnis möglichst vermieden werden“.95 46 Indem § 109 Abs. 1 HGB vorsieht, dass Beschlüsse in Versammlungen gefasst werden, wird
nicht vorausgesetzt, dass die Gesellschafter an einem bestimmten Ort zusammenkommen müssen. Vielmehr obliegt es ihnen, die Möglichkeit von Rede und direkter Gegenrede – zur „optimalen Willensbildung und Entscheidungsfindung bei gleichmäßiger Informationsversorgung“ – auf andere Weise zu eröffnen (§ 109 HGB Rz. 5 ff.).96 Nach allgemein verbandsrechtlichem Vorbild obliegt die Einberufung der Gesellschafterversammlung grundsätzlich dem Geschäftsführungsorgan, weil es dessen Aufgabe ist, die interne Willensbildung des Verbandes zu initiieren, sofern dies durch die Verbandsverfassung vorgesehen ist oder das Verbandsinteresse eine solche gebietet (vgl. § 36 BGB). § 109 Abs. 2 HGB weitet diese Möglichkeit in Anbetracht der personellen Struktur der Personenaußengesellschaft auf jeden geschäftsführungsbefugten Gesellschafter aus. Sofern die Gesetzesbegründung auf eine Anknüpfung 94 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 225 f. 95 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 225 f.; vgl. K. Schmidt, ZHR 187 (2023), 107 ff. 96 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 225 f.
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Beiträge; Stimmkraft; Anteil an Gewinn und Verlust | Rz. 49 § 709 BGB
der Einberufungszuständigkeit an die Mitgliedschaft abstellt,97 überzeugt diese Annahme nur insoweit, als die Stellung als Organwalter in der Personengesellschaft die Mitgliedschaft voraussetzt. In Anbetracht der Tatsache, dass aber die Teilhabe an der verbandsrechtlichen Willensbildung ein unentziehbares Mitgliedschaftsrecht darstellt, gebietet es der Minderheitenschutz, dass das Initiativrecht, die verbandsrechtliche Willensbildung anzustoßen, subsidiär auch von den nichtgeschäftsführungsbefugten Gesellschaftern ausgeübt werden kann, wenn die geschäftsführungsbefugten Gesellschafter von ihrer Befugnis keinen Gebrauch machen. Insoweit finden die § 37 BGB, § 50 Abs. 3 GmbHG entsprechende Anwendung. Dies gebietet das untrennbare Zusammenspiel von Selbstverantwortung und Selbstbestimmung. Im Falle persönlicher Gesellschafterhaftung muss dieses – auch im Falle einer Mehrheitsklausel – jedenfalls in einem Initiativrecht zum Ausdruck kommen, die Gesellschafterversammlung einzuberufen, um so eine kollektive Willensbildung anzustoßen. Inwiefern es dabei aber auf die dort geregelten Minderheitsquoren ankommen kann, ist eine Frage der konkreten Realstruktur des Personenverbandes. Auf die Möglichkeit der Notgeschäftsführungsbefugnis nach § 715a BGB kann die Einberufungszuständigkeit hingegen nicht gestützt werden, weil der Gesellschafter auf dieser Grundlage das Geschäft selbst vornehmen und die Gesellschafterversammlung ihre Aufgaben ohnehin nicht ausüben kann, wenn die anderen Gesellschafter nicht erreichbar sind. Um eine Teilnahme der entscheidungsbefugten Mitglieder zu ermöglichen, sieht § 109 Abs. 2 47 HGB vor, dass die anderen Gesellschafter in angemessener Frist eingeladen werden und ihnen der Zweck der Versammlung mitzuteilen ist, damit diese sich angemessen vorbereiten können (§ 109 HGB Rz. 9 ff.). Auch dies ist vor dem Hintergrund des Minderheitenschutzes unerlässlich, weil nur eine informierte Teilnahme an der Gesellschafterversammlung dem Gebot der Selbstbestimmung entsprechen kann. Eine wirksame Einberufung setzt daher auch voraus, dass die Tagesordnung angegeben wird, wobei der Detailgrad von den forcierten Beschlussgegenständen abhängt.98 Im Übrigen hat die Einladung den in der konkreten Personengesellschaft üblichen Kommunikationsformen zu entsprechen. Ort und Zeit der Versammlung müssen so ausgestaltet sein, dass jedem Gesellschafter die Teilnahme objektiv möglich und subjektiv zumutbar ist, um Überrumplungen zu vermeiden.99 § 109 Abs. 3 HGB ist identisch mit § 714 BGB. Schließlich regelt § 109 Abs. 4 HGB die Be- 48 schlussfähigkeit für den geregelten Fall einer Mehrheitsklausel. Beschlussfähigkeit ist danach gegeben, wenn die anwesenden Gesellschafter oder ihre Vertreter ohne Rücksicht auf ihre Stimmberechtigung die für die Beschlussfassung erforderlichen Stimmen haben. Insoweit sind die nicht stimmberechtigten Gesellschafter zu berücksichtigen, weil nur mit deren Anwesenheit eine ausgewogene, streitige Auseinandersetzung in der Gesellschafterversammlung gewährleistet ist (§ 109 HGB Rz. 17 ff.).100 ee) Stimmrecht, Stimmverbote und Stimmbindung Das anhand der vereinbarten Anteilsquote nach § 709 Abs. 3 BGB zu ermittelnde Stimm- 49 recht steht grundsätzlich jedem Gesellschafter zu, es kann aber aus gesetzlichen Gründen im Einzelfall oder auf der Grundlage gesellschaftsvertraglicher Vereinbarung ausgeschlossen sein (§ 714 BGB Rz. 36 ff.). Gesetzliche Gründe, bei denen die Stimme eines stimmberechtigten Gesellschafters außer Acht bleibt, sind etwa in den § 715 Abs. 5 Satz 1, § 720 Abs. 4, § 727 Satz 1 BGB geregelt („Beschluss der anderen Gesellschafter“). Nach der Gesetzesbegründung kann diesen Bestimmungen ein allgemeiner Grundsatz dahingehend entnom-
97 98 99 100
RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 226. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 226 f. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 226 f. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 226 f. Könen | 181
§ 709 BGB Rz. 49 | Rechtsfähige Gesellschaft men werden, dass ein Gesellschafter mit seinem Stimmrecht in Situationen ausgeschlossen ist, in denen eine „vergleichbar schwerwiegende […] Interessenkollision“ gegeben ist, „zum Beispiel bei der Befreiung von einer Verbindlichkeit oder bei der Einleitung eines Rechtsstreits gegen den betroffenen Gesellschafter“.101 So solle „niemand aufgrund persönlicher Befangenheit ‚Richter in eigener Sache‘ sein“. Die Ausübung des Stimmrechts kann auf Dritte delegiert werden, sofern die Gesellschafter das Stimmrecht wieder an sich reißen können. Insoweit liegt kein Verstoß gegen das Abspaltungsverbot vor, weil der Bestand des Stimmrechts in der Person des Gesellschafters gewährleistet bleibt.102 Ferner ist die Ausübung des Stimmrechts zu unterscheiden von der Pflicht jedes Gesellschafters, sich an dem Gesellschaftsgeschehen aktiv zu beteiligen. Gleichwohl folgt aus dieser nicht delegierbaren Pflicht, dass die vertretenen Gesellschafter auf eine Mitwirkung ihrer Vertreter hinzuwirken haben. Problematisch ist, inwiefern sich ein Gesellschafter zu einer Stimmbindung verpflichten kann. Dies wird von der h.M. grundsätzlich bejaht; eine Unwirksamkeit komme im Einzelfall auf der Grundlage der Treuepflicht in Betracht (§ 714 BGB Rz. 63 ff.).103 Dagegen spricht, dass die individuelle Wahrnehmung des Stimmrechts essenzieller Bestandteil der verbandsrechtlichen Willensbildung ist. Zwar können sich im Vorfeld einer Gesellschaftsversammlung Vorpositionierungen herausbilden. Dem Zweck der Gesellschafterversammlung als zentralem Willensbildungsorgan eines Verbandes liefe es aber zuwider, wenn eine Stimme ungeachtet des informierten Austauschs von Rede und Gegenrede unverrückbar vorgezeichnet ist.104 Auch wenn der Gesellschafter nicht selbst an der Gesellschafterversammlung teilnimmt, sondern sich in dieser vertreten lässt, kann der nicht vorfestgelegte Mitwirkungswille auf den jeweiligen Gesellschafter zurückgeführt werden. Einer Stimmbindung stehen die gesellschaftsrechtliche Förderpflicht sowie die mitgliedschaftliche Verpflichtung zur Teilhabe an der verbandsrechtlichen Willensbildung entgegen. Dieser Verpflichtungen kann sich ein Mitglied nicht privatautonom verlustig begeben. Ferner steht einer Verpflichtung zur Stimmbindung das notwendige Zusammenspiel aus Selbstbestimmung und Selbstverantwortung entgegen, wie es am Merkmal des Eigennutzes zu konkretisieren ist. So kann eine antizipierte Stimmbindung des Gesellschafters auf unvollständiger Informationsgrundlage – weil der Meinungsbildungsprozess der Gesellschafterversammlung abgeschnitten wird – darauf hinauslaufen, dass das die Zustimmung oder Ablehnung dem eigentlichen Nutzen zuwiderläuft, so dass es letztlich kein eigennütziges, selbstbestimmtes Verhalten des Gesellschaftes gibt. Ein solches ist aber erforderlich, um die eigenverantwortliche Haftung der Gesellschafter einer Personengesellschaft zu legitimieren. ff) Fehlerhafte Beschlüsse 50 Anders als in den §§ 110–115 HGB geregelt, sieht das BGB kein kodifiziertes Beschluss-
mängelrecht vor. Insoweit ist der Regierungsentwurf nicht der Empfehlung des Mauracher Entwurfs gefolgt. Die ausdrückliche Regelung eines Beschlussmängelrechts nach dem Vorbild des aktienrechtlichen Anfechtungsmodells, beschränkt auf die Personengesellschaften des Handelsrechts (§ 110 HGB Rz. 1 ff.), lässt in Anbetracht dieser Entwicklung im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens eine entsprechende Anwendung auf die GbR nicht zu; anders als hinsichtlich vieler, in Anbetracht der bloßen Sachnähe rechtsformtypischer unternehmenstragender Personengesellschaften, im HGB geregelten Vorschriften. Dies gilt ungeachtet
101 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 149. 102 Vgl. Heidel in NK/BGB, 4. Aufl. 2021, § 709 BGB Rz. 61. 103 Vgl. BGH v. 24.11.2008 – II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 = NJW 2009, 669; BGH v. 29.5.1967 – II ZR 105/66, BGHZ 48, 163 = GmbHR 2009, 306 m. Anm. Gottschalk; Heidel in NK/BGB, 4. Aufl. 2021, § 709 BGB Rz. 62 m.w.N.; a.A. Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 717 BGB Rz. 25 f. 104 A.A. BGH v. 29.5.1967 – II ZR 105/66, BGHZ 48, 163.
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Beiträge; Stimmkraft; Anteil an Gewinn und Verlust | Rz. 51 § 709 BGB
der Tatsache, dass sich in Anbetracht des in § 709 Abs. 3 BGB verwirklichten kapitalistischen Verteilungsschlüssels auch in der GbR das Mehrheitsprinzip in der Praxis noch stärker durchsetzen wird, wodurch sich die Gewährleistung minderheitenschützender Rechtspositionen in die materielle Beschlusskontrolle verlagert.105 Hintergrund der Beschränkung des Beschlussmängelrechts auf die Gesellschaften des Handelsrechts soll – ungeachtet der vergleichbaren institutionellen Voraussetzungen, wie sie sich aus der Rechtsfähigkeit des Personenverbandes ergeben – folgender Umstand sein: Ein wirksames Beschlussmängelrecht auf der Grundlage des Anfechtungsmodells erfordert „Mindestanforderungen an die Formalisierung des Beschlussverfahrens und damit einen Professionalisierungsgrad, der bei der gebotenen typisierenden Betrachtung eher bei den kaufmännischen Rechtsformen der offenen Handelsgesellschaft und der Kommanditgesellschaft als bei den nicht kaufmännischen Rechtsformen der Gesellschaft bürgerlichen Rechts und der Partnerschaftsgesellschaft zu erwarten ist.“106 Folge dessen ist die Fortgeltung des sog. Feststellungsmodells für das Recht der GbR, sofern die Gesellschafter nicht ausdrücklich nach §§ 708, 714 BGB i.V.m. §§ 110 ff. HGB für das neue personengesellschaftsrechtliche Beschlussmängelrecht optieren (§ 714 BGB Rz. 118 ff., 130, § 110 HGB Rz. 5).107 Nach diesem führen rechtswidrige Beschlüsse grundsätzlich zu deren Nichtigkeit, welche von den in ihren Rechten betroffenen Gesellschaftern gegenüber denjenigen Gesellschaftern, die der Feststellung der Nichtigkeit oder Unrichtigkeit widersprechen – nicht gegenüber der Gesellschaft –, im Wege der Feststellungsklage nach § 256 ZPO geltend zu machen ist.108 Da es sich bei dem Beschluss aber um das Meinungsbildungsinstrument des rechtsfähigen Personenverbandes handelt, ist die Feststellungklage nach vorzugswürdiger Auffassung gegen die Gesellschaft geltend zu machen.109 Lediglich im Einzelfall kann ein Gesellschafter aufgrund seiner Treuepflicht gehindert sein, die Nichtigkeit eines Beschlusses geltend zu machen. Sofern die Gesellschafter daher Rechtssicherheit durch eine Befristung der Rechtsschutzmöglichkeiten oder eine Differenzierung nach Art der Verletzung mitgliedschaftlicher Rechte wünschen, bedarf es grundsätzlich einer ausdrücklichen Regelung im Gesellschaftsvertrag, sofern sich ein Opt-In nicht im Wege ergänzender Vertragsauslegung ermitteln lässt. Anhaltspunkte dafür bieten insbesondere gesellschaftsvertragliche Regelungen über das Beschlussverfahren, weil dadurch der Wille eines professionalisierten, formalisierten Beschlussverständnisses hinreichend zum Ausdruck kommt. Ein bloß unternehmenstragender Gesellschaftszweck genügt in Anbetracht der Genese des Beschlussmängelrechts indes nicht. gg) „Verfassungsdurchbrechende“ Beschlüsse Unter dem Gesellschaftsregime einer Mehrheitsklausel stellt sich das Problem von Beschlüs- 51 sen, mit denen der Gesellschaftsvertrag abgeändert werden soll oder die punktuell dem Gesellschaftsvertrag widersprechen. Unbedenklich sind derartige Beschlüsse, wenn diese einstimmig gefasst werden, weil die Verbandsverfassung in diesem Fall einverständlich durch die das Fundament des Personenverbandes bildenden Mitglieder geändert bzw. durchbrochen wird. Beruht eine Änderung bzw. Durchbrechung hingegen auf einem Mehrheitsbeschluss, kann der Beschluss keine Wirkung gegenüber dem überstimmten Mitglied haben, sofern eine entsprechende Befugnis der Verbandsmehrheit nicht ausdrücklich geregelt ist. In 105 Vgl. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 228. 106 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 228. 107 Vgl. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 107, 110 f.; Meyer/Schwiete, NZG 2022, 1035; K. Schmidt, ZHR 187 (2023), 107, 116; Wertenbruch, JZ 2023, 78, 86; s. auch Kaulbach, ZHR 186 (2022), 729. 108 BGH v. 27.4.2009 – II ZR 167/07, Rz. 25, GmbHR 2009, 770 m. Anm. Podewils; BGH v. 1.11.2011 – II ZR 83/09, Rz. 19, GmbHR 2011, 539 m. Anm. Münnich; RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 268. 109 Heidel in NK/BGB, 4. Aufl. 2021, § 709 BGB Rz. 66, § 705 BGB Rz. 6. Könen | 183
§ 709 BGB Rz. 51 | Rechtsfähige Gesellschaft allen anderen Fällen ist die Mehrheitsklausel zwar auslegungsfähig, die Gesellschafter haben aber durch die Vereinbarung ausdrücklicher Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages zum Ausdruck gebracht, dass sie sich insoweit gerade nicht der Mehrheitsherrschaft unterwerfen und ihren privatautonomen Herrschaftsbereich nicht zurücknehmen wollen. Dem Mehrheitsbeschluss fehlt insoweit schlicht die Kompetenzgrundlage.
§ 710 BGB Mehrbelastungsverbot ¹Zur Erhöhung seines Beitrags kann ein Gesellschafter nicht ohne seine Zustimmung verpflichtet werden. ²Die §§ 728a und § 737 bleiben unberührt. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. 1. 2. 3. II. 1. 2.
Allgemeines Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Beitragserhöhung Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Vereinbarung von Beitragserhöhungen 7 a) Geschäftsführungskompetenz . . . . . . . 8 b) Mehrheitsbeschlüsse der Gesellschafterversammlung . . . . . . . . . 9 aa) Gesellschaftsvertragliche Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 bb) Privatautonomie ./. „Bestimmtheitsgrundsatz“ . . . . . . . . . . . . . . . . 11 cc) Materielle Anforderungen an eine Betragserhöhung . . . . . . . . . . . . . . 12
c) Fehlende Vertragsgrundlage („Sanieren oder Ausscheiden“) . . . . . . d) Alternative Sanierungsmöglichkeiten 3. Verlustdeckung im Falle der Liquidation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verlustdeckung im Falle des Ausscheidens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Nicht geschuldete Beitragserhöhungen III. Leistungen für die Gesellschaft; Inanspruchnahme nach § 721 BGB . . . 1. Aufwendungsersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Regressansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schicksal der Gesellschaftsverbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13 15 16 18 19 20 21 23 24
Schrifttum: Armbrüster, Grenzen der Gestaltungsfreiheit im Personengesellschaftsrecht, ZGR 2014, 333; Bacina/Redeker, „Sanieren oder Ausscheiden“ – Die Treuepflicht des Gesellschafters in Sanierungsfällen, DB 2010, 996; Brand, „Sanieren oder Ausscheiden“ in der Aktiengesellschaft, KTS 2011, 481; Nentwig, Grenzen der Gestaltungsfreiheit im Hinblick auf Beitragserhöhungen im Personengesellschaftsrecht – § 707 BGB als dogmatische Herausforderung für die Kautelarpraxis, WM 2011, 2168; Schäfer, Sanieren oder Ausscheiden?, in FS Ganter 2010, S. 33; Wertenbruch, Begründung von Nachschusspflichten in der Personengesellschaft, DStR 2007, 1680; Westermann, Vertraglich geregeltes oder treupflichtgemäßes Ausscheiden aus einer sanierungsbedürftigen Personengesellschaft, NZG 2016, 9.
I. Allgemeines 1. Überblick 1 Die Vorschrift regelt das sog. Mehrbelastungsverbot bzw. die Unzulässigkeit von Nachschuss-
forderungen der Gesellschaft. Vor dem Hintergrund, dass die Gesellschafter sich im Rahmen ihres zivilrechtlichen Zusammenschlusses privatautonom nur zur Zahlung bestimmter Beiträge an die Gesellschaft verpflichtet haben und diese ihnen auf der Grundlage mitglied184 | Könen
Mehrbelastungsverbot | Rz. 4 § 710 BGB
schaftlicher Beziehungen als eigenständiges Rechtssubjekt gegenübertritt, können zusätzliche Beitragsleistungen nur auf der Basis gesellschaftsvertraglicher Grundlage vereinbart werden. Die Verpflichtung eines Rechtssubjekts zur Begründung einer Verbindlichkeit kommt nur auf der privatautonomen Grundlage rechtsgeschäftlicher Vereinbarung oder durch eine hinreichend rechtlich legitimierte gesetzliche Bestimmung in Betracht. Eine Fremdbestimmung – etwa auf der Grundlage einer Mehrheitsklausel – hinsichtlich individueller Beitragsleistungen einzelner Gesellschafter kommt bereits deswegen nicht in Betracht, weil eine solche vor dem Hintergrund des § 709 Abs. 3 BGB zugleich mit einer Erhöhung der Verlustbeteiligung verbunden sein kann. Entsprechen die Beitragserhöhungen hingegen dem Gleichbehandlungsgrundsatz, reicht es aus, wenn die privatautonome Entscheidung des Gesellschafters auf eine entsprechende Mehrheitsklausel rückführbar ist.1 Ferner stehen einer Beitragserhöhung die Grundsätze des Verbots von Verträgen zu Lasten Dritter entgegen. Schließlich steht die Abstraktion der vermögensrechtlichen Beziehungen im Rechtsinstitut der Mitgliedschaft einer Verlustbeteiligung, die durch Nachschussansprüche der Gesellschaft zum Ausdruck kommen würde, entgegen. So verlieren die Gesellschafter mit der Konstituierung des Personenverbandes jegliche dingliche Beteiligung sowie individuelle Zugriffsmöglichkeit auf das Verbandsvermögen. Lediglich in ihrer Gesamtheit können die Gesellschafter Dispositionen über das Verbandsvermögen vereinbaren. Erst mit Austritt aus der Gesellschaft oder mit der Vollbeendigung des Verbandes lässt sich der Vermögenswert der Mitgliedschaft vollständig amortisieren. § 710 Satz 2 BGB regelt, dass die §§ 728a, 737 BGB unberührt bleiben. Diese beiden Bestim- 2 mungen regeln die innenrechtlichen Ausgleichsansprüche der Gesellschaft gegen den ausscheidenden Gesellschafter bzw. gegen die Gesellschafter am Schluss der Liquidation am Maßstab deren Verlustbeteiligung, wie sie dem variablen Kapitalanteil II abgeschrieben wurden (§ 709 BGB Rz. 20 ff.). So sind negative Kapitalkonten II der Gesellschafter erst dann auszugleichen, wenn die mitgliedschaftliche Wertbeteiligung im Falle des Austritts bzw. der Liquidation aufgelöst werden muss. Anders als die gläubigerschützenden Bestimmungen der § 721 BGB, § 126 HGB sind diese liquidationsrechtlichen Nachschussansprüche als Maßnahme des gesellschaftsinternen Interessenausgleichs – ebenso wie § 710 BGB – dispositiv.2 Sie sind lediglich Ausdruck des personengesellschaftsrechtlichen Leitbildes des rechtsfähigen Personenverbandes, über den die Auseinandersetzungsansprüche der Gesellschafter im Falle des Ausgleichs der Gesellschafterkonten abzuwickeln sind, weil es sich um die Sozialansprüche der Gesellschaft handelt.
2. Normzweck § 710 BGB stellt klar, dass über die privatautonome Vereinbarung von Beitragsleistungen hi- 3 naus keine Nachschüsse verlangt werden können. Die Bestimmung stellt den Schutz der Gesellschafter vor unfreiwilligen Beitragsleistungen deutlich heraus. Aus dem Verweis auf die §§ 728a, 737 BGB bringt § 710 BGB aber zum Ausdruck, dass dieser allgemeine Grundsatz der Privatautonomie nur für die Gesellschaft während ihres werbenden Stadiums gilt. Wird der Verband in das Stadium der Liquidation überführt, kann der Verband den Ausgleich der Verluste durch die Gesellschafter verlangen, um offene Verbindlichkeiten gegenüber seinen Gläubigern begleichen zu können. Seit dem, mit § 14 Abs. 2 BGB bzw. § 11 Abs. 2 InsO vollzogenen, Paradigmenwandel über 4 die Rechtsnatur der Personenaußengesellschaft als vermögenstragendes Subjekt kommt dem 1 Vgl. BGH v. 13.10.2020 – II ZR 359/18, ZIP 2020, 2281; BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 = ZIP 2014, 2231 Rz. 9 ff. 2 Vgl. Armbrüster, ZGR 2014, 333, 346 f. Könen | 185
§ 710 BGB Rz. 4 | Rechtsfähige Gesellschaft Mehrbelastungsverbot nur noch eine deklaratorische Bedeutung zu. Verträge können nicht zu Lasten Dritter begründet werden. Die Begründung einer Verbindlichkeit, aufgrund derer das Vermögen eines Subjekts haftungsrechtlich bzw. funktional – die Zuständigkeit der Rechte noch nicht betreffend – einem anderen Subjekt zugewiesen wird, kommt lediglich auf rechtsgeschäftlicher Grundlage oder durch eine hinreichend rechtlich legitimierte gesetzliche Anordnung in Betracht. Gesetzliche Beitragspflichten vermögensrechtlicher bzw. wiederkehrender Art sind grundsätzlich nicht ersichtlich; so ist jeder Verband im Ausgangspunkt beitragsfrei, sofern in der Verbandsverfassung nicht ob und wie der fortdauernden Beitragsleistung geregelt sind (vgl. auch die registerrechtliche „Soll“-Bestimmung des § 58 BGB für den Verein). Auch § 709 Abs. 1 BGB erkennt an, dass die Förderleistung eines Gesellschafters weder geldwert noch wiederkehrend sein muss. Rechtsgeschäftliche Grundlage für die Verpflichtung zur Leistung weiterer Beiträge kann nur der Gesellschaftsvertrag sein. In diesem haben sich die Gesellschafter aber gerade nur auf bestimmte Beitragsleistungen geeinigt. Allenfalls die mitgliedschaftliche Treuepflicht kann Anknüpfungspunkt für Nachschüsse sein. Gegen den Willen des Gesellschafters können solche indes nie verlangt werden, weil das wechselseitige Verlangen von Nachschüssen für den Gesellschafter einen wichtigen Grund darstellt, aus der Gesellschaft auszutreten. Eine Sanierungspflicht des Gesellschafters kann sich folglich nur dergestalt ergeben, dass er – sofern er weiterhin an der Zweckförderung teilnehmen möchte – auf der Grundlage der Treuepflicht verpflichtet ist, einem entsprechenden Beschlussantrag zuzustimmen. Eine Anspruchsbegründung gegen seinen Willen kommt nicht in Betracht, sofern nicht eine Mehrheitsklausel gegeben ist und sich im Rahmen der insoweit strengen Ausübungskontrolle im Einzelfall die Wirksamkeit des Beschlusses ergibt.3 Gegebenenfalls ist er auf Zustimmung zu verklagen. Aus der untrennbaren Verbindung der Beitragsleistung mit der privatautonomen Entscheidung des Gesellschafters folgt aber zugleich, dass es den Gesellschaftern unbenommen ist, im Gesellschaftsvertrag laufende Beiträge zur Kompensation von Verlusten zu vereinbaren oder ad hoc Nachschüsse zu vereinbaren.
3. Anwendungsbereich 5 In Anbetracht seiner systematischen Stellung gilt § 710 BGB für alle Personenaußengesell-
schaften (gem. § 105 Abs. 3, § 161 Abs. 2 HGB für oHG, KG und nach § 1 Abs. 4 PartGG auch die PartG). Das Mehrbelastungsverbot gilt nur während des werbenden Stadiums der Gesellschaft, wie die §§ 728a, 737 BGB zum Ausdruck bringen. Es bezieht sich auf die vereinbarten Beiträge i.S.d. §§ 705, 709 BGB und erfasst neben dem Verlustausgleich sowohl die Erhöhung von Beiträgen einzelner Gesellschafter als auch diejenige für die Gesellschaftergesamtheit. Unberührt bleibt die Möglichkeit der Gesellschafter, unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ungleichmäßige Beitragspflichten zu regeln, sofern diese mit entsprechenden Rechten korrespondieren. In Anbetracht der Tatsache, dass die §§ 721 BGB, 126 HGB in vermögensrechtlicher Hinsicht den Gläubigerschutz für das Außenverhältnis insoweit abschließend regeln, als Gesellschaftsverbindlichkeiten gegenüber jedem persönlich haftenden Gesellschafter in voller Höhe geltend gemacht werden können, kommt der durch §§ 728a, 737 BGB angeordneten „Haftung“ keine zwingende gläubigerschützende Bedeutung zu. So ist den Interessen der Gesellschaftsgläubiger ausreichend Rechnung getragen, wenn Sie die Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft – nach h.M. jederzeit – akzessorisch in Anspruch nehmen können.4 Die Verlustausgleichspflicht ausscheidender Gesellschafter bzw. aller Gesellschafter, wenn die Gesellschaft im Falle der Liquidation noch of-
3 Vgl. BGH v. 13.10.2020 – II ZR 359/18, ZIP 2020, 2281; BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 = ZIP 2014, 2231 Rz. 9 ff. 4 Siehe aber eingehend zur zweifelhaften Legitimationsgrundlage primärer Gesellschafterhaftung Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021.
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Mehrbelastungsverbot | Rz. 7 § 710 BGB
fene Verbindlichkeiten hat, sowie derjenigen Gesellschafter, deren variables Kapitalkonto II im Rahmen der Schlussabrechnung negativ ist, dient ausschließlich dem innergesellschaftlichen Interessenausgleich. Daran hat sich auch nichts durch die Rechtsfähigkeit des Personenverbandes geändert. Zwar weisen die §§ 728a, 737 BGB der Gesellschaft die Verlustausgleichsansprüche zu, die Gesellschafter in ihrer Gesamtheit können über diese Ansprüche aber disponieren. Dies zeigt, dass die Rechtsfähigkeit gegenüber dem Gesellschafter zwar eine vollwertige ist, gegenüber der Gesellschaftergesamtheit jedoch eine hinkende: Die Gesellschaftergesamtheit schafft die Grundlagen des Personenverbandes mit dem Sozietätsfundament, kann dieses aber auch jederzeit modifizieren, aushöhlen oder zum Ende bringen. Es steht den Gesellschaftern daher frei, einzelne Gesellschafter – auch vollständig – von der Verlusttragungspflicht auszunehmen.
II. Beitragserhöhung 1. Grundsatz Die Vereinbarung von Beiträgen zur Förderung des Gesellschaftszwecks ist ausweislich des § 705 6 BGB notwendige Voraussetzung für die Konstituierung des Personenverbandes als Rechtssubjekt. Gleichzeitig ist die Begründung einer Verbindlichkeit der Gesellschafter gegenüber dem Personenverband ureigenste Befugnis der Gesellschafter. Dies folgt unmittelbar aus dem Grundsatz der Privatautonomie, der ein Rechtssubjekt grundsätzlich von der Fremdbestimmung durch Dritte bewahrt. So kann das eigene Privatvermögen haftungsrechtlich einem Dritten nur auf der Grundlage rechtsgeschäftlicher Verpflichtung oder kraft hinreichend rechtlich legitimierter gesetzlicher Anordnung erfolgen. In Anbetracht der rechtsgeschäftlichen Grundlage des Gesellschaftsvertrages sind auch mitgliedschaftliche Verpflichtungen grundsätzlich auf den privatautonomen Willen der Gesellschafter zurückzuführen, sich als Personenverband zusammenzuschließen. Die im Gesellschaftszweck zum Ausdruck kommende Unterwerfung unter die Verbandsherrschaft wird daher unmittelbar durch diesen in ihrer Reichweite konkretisiert und zugleich beschränkt. Entsprechendes gilt für die Pflichtenmehrung im werbenden Stadium des Verbandes. Nur sofern die Gesellschafter die Möglichkeit einer Pflichtenmehrung im Gesellschaftsvertrag privatautonom angelegt haben oder eine solche später einvernehmlich beschließen, kommt eine solche in Betracht.
2. Vereinbarung von Beitragserhöhungen § 710 BGB macht Beitragserhöhungen von der Zustimmung aller Gesellschafter abhängig. 7 Die Zustimmung kann ad hoc erteilt werden oder bereits im Gesellschaftsvertrag ausdrücklich nach Art und Höhe konkret vereinbart sein. In Anbetracht des Charakters eines Personenverbandes als Dauergesellschaft ist der Gesellschaftsvertrag hinsichtlich dauernder Beitragspflichten typischerweise unvollständig, da sich externe Faktoren wie wirtschaftliche Rahmenbedingungen nur unvollständig antizipieren lassen. § 710 BGB beinhaltet daher als normativen Standard für Beitragserhöhungen einen Beschlussvorbehalt der Gesellschaftergesamtheit, wie sie innergesellschaftlich im Rahmen der Gesellschafterversammlung zusammentritt. Inwiefern Beitragserhöhungen auch ohne ausdrückliche Zustimmung der Gesellschafter durch die Geschäftsführer festgelegt werden können, ist davon abhängig, inwiefern die Gesellschafter eine solche Möglichkeit privatautonom im Gesellschaftsvertrag angelegt haben.
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§ 710 BGB Rz. 8 | Rechtsfähige Gesellschaft a) Geschäftsführungskompetenz 8 Inwiefern eine hinreichende Geschäftsführungskompetenz für Beitragserhöhungen im Ge-
sellschaftsvertrag angelegt ist, ist eine Frage des Einzelfalls. Maßgeblich ist insoweit die Rückführbarkeit auf eine privatautonome Entscheidung der Gesellschafter. Nach umstrittener Auffassung könne sich eine Erhöhungspflicht schlüssig aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben, wenn sich die Gesellschafter „ausdrücklich oder stillschweigend verpflichtet haben, entsprechend ihrer Beteiligung an der Gesellschaft das zur Erreichung des Gesellschaftszwecks Erforderliche beizutragen“.5 Diese Möglichkeit wird teilweise unter Verweis auf die mangelnde Bestimmtheit abgelehnt, weil die Gesellschafter so nicht wissen könnten, welche Gefahren auf sie zukommen könnten.6 Allerdings ist diese Argumentation von Wertungen über ein Verhandlungsungleichgewicht getragen, wie sie den §§ 305 ff. BGB zugrunde liegen. Begegnen sich Gesellschafter indes auf Augenhöhe, kann es genau ihrem privatautonomen Willen entsprechen, auf der Grundlage des Gesellschaftszwecks die Beitragspflichten flexibel zu gestalten. Voraussetzung ist aber, dass sich die Flexibilität der Beitragspflicht unmittelbar aus dem Gesellschaftszweck ergibt. Denkbar erscheint dies, „wenn die Höhe der Beiträge im Gesellschaftsvertrag nicht ziffernmäßig fixiert ist, sondern in objektiv bestimmbarer, künftigen Entwicklungsmöglichkeiten Rechnung tragender Weise ausgestaltet ist“.7 Von diesen Sonderkonstellationen abgesehen, ist ein Veranlagung für Beitragserhöhungen im Gesellschaftsvertrag anzunehmen, wenn diese „eindeutig ist und Ausmaß und Umfang der möglichen zusätzlichen Belastung erkennen lässt […]“. Das erfordert bei Beitragserhöhungen die Angabe einer Obergrenze oder sonstiger Kriterien, die das Erhöhungsrisiko eingrenzen“.8 b) Mehrheitsbeschlüsse der Gesellschafterversammlung 9 Eine hinreichende privatautonome Verankerung im Gesellschaftsvertrag kann sich ferner er-
geben, wenn sich die Gesellschafter hinsichtlich der Möglichkeit von Beitragserhöhungen der Mehrheitsherrschaft durch Gesellschafterbeschlüsse der Gesellschafterversammlung unterworfen haben. In Anbetracht der Tatsache, dass das Leitbild des Mehrbelastungsverbots unmittelbar aus dem Grundsatz der Privatautonomie folgt, ist für die Beschlusskontrolle insoweit ein strenger Maßstab geboten. Es handelt sich dabei aber nicht um einen eigenständigen Maßstab der Ausübungskontrolle,9 vielmehr ist das Gewicht der betroffenen Mitgliedsrecht im Rahmen der Zumutbarkeit zu würdigen. aa) Gesellschaftsvertragliche Grundlage 10 Die Wirksamkeit beitragserhöhender Beschlüsse ist einer gewöhnlichen Zwei-Stufen-Prü-
fung zu unterziehen.10 Inwiefern eine hinreichende Kompetenz der Gesellschafterversammlung im Gesellschaftsvertrag privatautonom durch die Gesellschafter angelegt wurde, ist anhand der §§ 134, 138 BGB zu bestimmen. Ob sich eine Mehrheitsklausel auf Beitragserhöhungen beziehen soll, ist durch Auslegung nach den §§ 133, 157 BGB – auch im Wege ergänzender Vertragsauslegung – zu ermitteln.
5 BGH v. 4.7.2005 – II ZR 354/03, NJW-RR 2005, 1347, 1348 = ZIP 2005, 1455. 6 Heidel in NK/BGB, 4. Aufl. 2021, § 707 BGB Rz. 4; Wiedemann in FS Hommelhoff, 2012, S. 1337, 1340 f. 7 BGH v. 4.7.2005 – II ZR 354/03, NJW-RR 2005, 1347, 1348 = ZIP 2005, 1455. 8 BGH v. 4.7.2005 – II ZR 354/03, NJW-RR 2005, 1347, 1348 = ZIP 2005, 1455. 9 BGH v. 13.10.2020 – II ZR 359/18, ZIP 2020, 2281 Rz. 21 ff. 10 Vgl. BGH v. 13.10.2020 – II ZR 359/18, ZIP 2020, 2281 Rz. 21 ff.; Enzinger in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 119 HGB Rz. 82 ff.; zurückgehend auf K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 16b dd; K. Schmidt, ZHR 158 (1994), 205.
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Mehrbelastungsverbot | Rz. 12 § 710 BGB
bb) Privatautonomie ./. „Bestimmtheitsgrundsatz“ Vor dem Hintergrund, dass gerade die Gesellschaftsverträge von Gesellschaften bürgerlichen 11 Rechts typischerweise unvollständig sind und eine geringe Regelungsdichte aufweisen können, dürfen an die Bestimmtheit der Mehrheitsklausel keine zu hohen Anforderungen gestellt werden,11 weil anderenfalls die Gefahr droht, dass der Wille der Gesellschafter durch gesellschaftsfremde Wertungen überlagert wird, die typischerweise im Verbraucherschutz angestellt werden. Der Abschluss eines Gesellschaftsvertrages ist aber geprägt durch die Ebene der Gleichordnung und nicht durch ein typisiertes Verhandlungsungleichgewicht. Die wohl nicht mehr vertretene Lehre vom sog. Bestimmtheitsgrundsatz führte aus Sicht der Gesellschafter immer dann bereits zu der überschießenden Rechtsfolge der Unwirksamkeit des Mehrheitsbeschlusses, wenn die Beschlussgegenstände nicht hinreichend durch die Gesellschafter antizipiert wurden, auch wenn es zum Zeitpunkt des Gesellschaftsvertrages dafür keinen Anlass gab, sich aber im Nachhinein unvorhersehbare Änderungen ergeben haben.12 Vor diesem Hintergrund ist die jüngere Rechtsprechung zu begrüßen, nach der sich die Wirksamkeit eines Beschlusses stärker auf die Abwägung der betroffenen Mitgliedsinteressen fokussiert, indem einfache Mehrheitsklauseln grundsätzlich geeignet sind, den Willen der Gesellschafter zum Ausdruck zu bringen, sich der Verbandsherrschaft zu unterwerfen, so pauschal dieser auch zum Ausdruck gekommen sein mag.13 Gerade in der GbR erscheinen übermäßige Anforderungen an die Bestimmtheit verfehlt, auch wenn es um die zentrale Mitgliedspflicht zur Beitragszahlung geht, weil eine hinreichende Professionalisierung häufig nicht gegeben ist. Stellte man nun übermäßige Anforderungen an den Professionalisierungsgrad, würden die Gesellschafter in ein Regelungskorsett gedrängt werden, welches durch die BGBBestimmungen des MoPeG gerade vermieden werden sollte. cc) Materielle Anforderungen an eine Betragserhöhung Ist eine hinreichende Kompetenzgrundlage für Mehrheitsentscheidungen gegeben, gelangen 12 im Rahmen der anzustellenden materiellen Beschlusskontrolle die wechselseitigen mitgliedschaftlichen Rechtspositionen zur freien Entfaltung. Bei der Beurteilung der widerstreitenden Verbands- und Minderheitsinteressen ist auf der einen Seite maßgeblich die relative Unentziehbarkeit des Mehrbelastungsverbots zu beachten, andererseits ist zu berücksichtigen, dass die Befugnis des Verbandes, eine Mehrheitsentscheidung treffen zu können, auf einen privatautonomen Entschluss zurückzuführen ist. Gerade weil sich der Gesellschafter der Mehrheitsherrschaft unterworfen hat, sind aber dessen allgemeine Mitgliedsrechte des Gleichbehandlungsgrundsatzes sowie des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Demgegenüber ist die Gesellschafterminderheit ihrerseits der Treuepflicht unterworfen. Für die Erhöhung von Beitragspflichten folgt aus dieser Gemengelage, dass die Beitragserhöhung dadurch sachlich gerechtfertigt ist, dass diese dergestalt im Gesellschaftsinteresse liegt, dass eine Erhöhung des Kapitals der dringenden Verfolgung des Gesellschaftszwecks dient.14 Im Rahmen der Beurteilung, inwiefern eine Beitragserhöhung erforderlich und angemessen ist, ist zu berücksichtigen, inwiefern abweichende Sanierungsmöglichkeiten in Betracht kom-
11 Zur Abkehr vom sog. Bestimmtheitsgrundsatz sowie der Kernbereichslehre im Rahmen von Mehrheitsbeschlüssen, BGH v. 13.10.2020 – II ZR 359/18, ZIP 2020, 2281; BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 = ZIP 2014, 2231 Rz. 9 ff. 12 M.w.N. zum sog. Bestimmtheitsgrundsatz, Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Band 2, 2004, § 4 I 3a; für Gesellschaftsvertragsänderungen weiterhin wohl Altmeppen, NJW 2015, 2065, 2069; Schäfer, NZG 2014, 1401, 1403; Schäfer in FS Bergmann, 2018, S. 618, 619 f.; weitergehend, Servatius in Henssler/Strohn, 5. Aufl. 2021, § 709 BGB Rz. 8. 13 BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 = ZIP 2014, 2231; vgl. zuvor Schäfer, ZGR 2013, 237, 243 ff., 248 ff., 263 ff. 14 Vgl. BGH v. 28.9.1978 – II ZR 218/77, NJW 1979, 419, 420. Könen | 189
§ 710 BGB Rz. 12 | Rechtsfähige Gesellschaft men. Missbräuchlich ist eine Beitragserhöhung, wenn diese darauf zielt, finanzschwache Gesellschafter aus dem Verband heraus zu drängen.15 c) Fehlende Vertragsgrundlage („Sanieren oder Ausscheiden“) 13 Fehlt es an einer Veranlagung des privatautonomen Gesellschafterwillens im Gesellschaftsver-
trag, Beiträge nachträglich zu erhöhen, kommt eine Erhöhung grundsätzlich nicht in Betracht. Eine Fremdbestimmung des Verbandes über die Privatvermögen der Gesellschafter ist in Anbetracht der Rechtssubjektivität der Gesellschaft sowie der damit verbundenen Vermögens- und Haftungstrennung ausgeschlossen. So gilt mit der Anerkennung der Rechtsfähigkeit des Personenverbandes das Haftungstrennungsprinzip im Ausgangspunkt auch für diese. Die Haftungsregelungen der § 721 BGB, § 126 HGB bedeuten insoweit keine Durchbrechung, sie weisen aus Gründen des Gläubigerschutzes lediglich eine zusätzliche schuldnerfremde Vermögensverbindung dem Haftungszugriff der Gläubiger zu. Im Übrigen ist die Vermögenstrennung konsequent, was sich insbesondere im Rahmen der Gesellschaftsinsolvenz zeigt. Nur über das Vermögen der Gesellschaft wird ein Insolvenzverfahren eröffnet, sofern nicht hinsichtlich jedes einzelnen Gesellschafters ein Eröffnungsgrund gegeben ist und über diese Vermögen eigenständige Insolvenzverfahren zu eröffnen sind. Auch § 93 InsO führt insoweit nicht zu einer abweichenden Beurteilung, weil Sperr- und Ermächtigungswirkung insoweit nicht zu einer Änderung der materiellen Rechtezuordnung führen. Dies wird daran deutlich, dass der Insolvenzverwalter die Haftungsansprüche nicht zur Masse geltend machen darf, sondern bezogen auf die materiell forderungsberechtigten Gläubiger Vermögenssonderungen vornehmen muss. So haftet etwa ein ausgeschiedener Gesellschafter nur einer beschränkten Gläubigergruppe. Sofern die Gesellschafter in ihrer Gesamtheit Ausschüttungen aus dem Gesellschaftsvermögen beschließen und den Verband von innen aushöhlen, ist dies gleichfalls keine Frage der Vermögenstrennung, sondern eine des Liquidations- und Umwandlungsrechts, weil die Rechtssubjektivität des Verbandes als solche umgestaltet wird. 14 Ist eine Nachschusspflicht nicht im Gesellschaftsvertrag veranlagt, bedarf es einer Zustim-
mung der Gesellschafter. Eine Pflicht zur Zustimmung kann sich auf der Grundlage der Treuepflicht ergeben. Nach dem Grundsatz „Sanieren oder Ausscheiden“ steht dem Gesellschafter aber, wenn sich die Treuepflicht zu einer Zustimmungspflicht verdichtet, ein Austrittsrecht zu, weil die Notwendigkeit einer Beitragserhöhung für den Gesellschafter einen wichtigen Grund zur Lösung von dem Dauerschuldverhältnis bedeutet.16 d) Alternative Sanierungsmöglichkeiten 15 Steht die Notwendigkeit von Nachschussansprüchen im Raum, weil sich anderenfalls die
Überlebensfähigkeit des Verbandes nicht gewährleisten ließe, haben die Geschäftsleiter neben dem Erfordernis einer Kapitalerhöhung gleichwertige Sanierungsmöglichkeiten in die Betrachtung mit einzubeziehen. Gleichzeitig können abweichende Sanierungsmöglichkeiten für die Frage relevant sein, inwiefern sich die Treuepflicht zu einer Zustimmungspflicht verdichtet. Neben den herkömmlichen Vergleichs-, Stundungs- und Verzichtsverhandlungen mit Gläubigern ist auch ein Sanierungsverfahren nach dem StaRUG in Betracht zu ziehen. Nach § 30 StaRUG sind sämtliche insolvenzrechtsfähigen Rechtsträger i.S.v. § 11 InsO auch restrukturierungsfähig.
15 Heidel in NK/BGB, 4. Aufl. 2021, § 707 BGB Rz. 12. 16 Vgl. Bacina/Redeker, DB 2010, 996; Brand, KTS 2011, 481; Schäfer in FS Ganter, 2010, S. 33; Wertenbruch, DStR 2007, 1680; Westermann, NZG 2016, 9.
190 | Könen
Mehrbelastungsverbot | Rz. 20 § 710 BGB
3. Verlustdeckung im Falle der Liquidation Sofern § 737 BGB nicht durch den Gesellschaftsvertrag abbedungen ist, wird im Falle der 16 Liquidation die Vermögenstrennung insoweit aufgeweicht, dass die Gesellschafter verpflichtet sind, die Verluste der Gesellschaft auszugleichen. Gleichwohl bleibt auch im Falle der Auflösung der Personenverband als Rechtssubjekt Träger des Gesellschaftsvermögens, mit dem Unterschied, dass der Gesellschaftszweck durch den Liquidationszweck überlagert wird. Die an den bilanziellen Ausweis der variablen Kapitalanteile II auf den Kapitalkonten II anknüpfenden Auseinandersetzungsansprüche stehen in Anbetracht dieser fortgeltenden personenidentischen Rechtssubjektivität des Personenverbandes daher auch nicht den Gesellschaftern untereinander zu, sondern die Gesellschafter sind jeweils gegenüber der Gesellschaft ausgleichspflichtig oder die Gesellschaft ist es ihnen gegenüber. Die Geltendmachung erfolgt insoweit durch die Liquidatoren. Ist über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet worden, ist nach dem 17 Leitbild des § 199 Satz 1 InsO die Gesellschaft durch den Insolvenzverwalter als besonderen Liquidator grundsätzlich der Vollbeendigung zuzuführen, sofern nicht eine Sanierung des Rechtsträgers eine gleichwerte Befriedigung der Gläubigergesamtheit gewährleistet. Im Falle der Gesellschaftsinsolvenz ist es daher Aufgabe der Insolvenzverwalter, die Verlustausgleichsansprüche nach § 737 BGB gegen die Gesellschafter geltend zu machen und diese Forderungen zur Masse zu ziehen. Davon zu unterscheiden ist die Geltendmachung der Gesellschafterhaftung, weil diese in Anbetracht der materiellen Forderungszuständigkeit der Gläubiger – anstatt der Gesellschafter – nicht vom Insolvenzbeschlag erfasst sind, sondern lediglich der Gesamtschadensliquidation der §§ 92, 93 InsO durch den Insolvenzverwalter dient. Konsequenz ist das Erfordernis, gegebenenfalls weitere Vermögenssonderungen neben der Masse zu bilden.
4. Verlustdeckung im Falle des Ausscheidens Bei dem Anspruch des § 728a BGB handelt es sich ebenfalls um einen Eigenanspruch der 18 Gesellschaft. Hintergrund der Verlusttragungspflicht im Falle des Ausscheidens eines Gesellschafters ist der Umstand, dass dieser mit dem Austritt den vollständigen Vermögenswert seiner mitgliedschaftlichen Wertbeteiligung realisieren möchte und die verbandsrechtliche Vermögenstrennung aus seiner Sicht dem Ende zugeführt werden soll.
5. Nicht geschuldete Beitragserhöhungen Wurden nicht geschuldete Beitragserhöhungen geleistet, können diese auf der Grundlage des 19 § 812 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 BGB herausverlangt werden.
III. Leistungen für die Gesellschaft; Inanspruchnahme nach § 721 BGB Sofern ein Gesellschafter von Gesellschaftsgläubigern für Verbindlichkeiten der Gesellschaft 20 nach § 721 BGB in Anspruch genommen wird, handelt es sich nicht um eine Erhöhung seiner Beitragspflicht. Vielmehr realisiert sich gegenüber dem Gesellschaftsgläubiger das Risiko als Gesellschafter einer Personenaußengesellschaft, ungeachtet der mit der Rechtssubjektivität verbundenen Vermögenstrennung, aufgrund der Haftungsüberleitungsnorm des § 721 BGB für die Verbindlichkeit der Gesellschaft in Anspruch genommen zu werden. Anders als nicht geschuldete Beitragserhöhungen richtet sich die Rückforderung nicht nach § 812 Abs. 1
Könen | 191
§ 710 BGB Rz. 20 | Rechtsfähige Gesellschaft Satz 1 Var. 1 BGB, sondern nach § 716 BGB. § 716 BGB regelt spezialgesetzlich den gesellschaftsrechtlichen Aufwendungsersatzanspruch.
1. Aufwendungsersatz 21 Während der Gesellschafter mit einer Leistung von Beiträgen eine eigene mitgliedschaftliche
Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft erfüllt, handelt der Gesellschafter, wenn er nach § 721 BGB für eine Gesellschaftsverbindlichkeit in Anspruch genommen wird, nicht im unmittelbaren Eigeninteresse, sondern im Gesellschaftsinteresse. Er tilgt die Verbindlichkeit eines Dritten. Die Gesellschaftsverbindlichkeit ist für den Gesellschafter stets sowohl formal als auch wirtschaftlich eine fremde Schuld. Dem steht nicht entgegen, dass der Gesellschafter im Außenverhältnis gegenüber den Gesellschaftsgläubigern zur Zahlung verpflichtet ist. Die Gesellschaft hat für ihre Verbindlichkeiten grundsätzlich selbst aufzukommen, weil es ihr Gesellschaftsvermögen ist, welches im Rahmen von Verbindlichkeiten haftungsrechtlich den Gläubigern zugewiesen wurde. 22 Mit der Zahlung auf eine Gesellschaftsverbindlichkeit führt der Gesellschafter ein Geschäft
der Gesellschaft. § 716 BGB weist dem Gesellschafter vor diesem Hintergrund einen Aufwendungsersatzanspruch gegen das Gesellschaftsvermögen zu.
2. Regressansprüche 23 Mit der Zahlung auf eine Gesellschaftsverbindlichkeit wird grundsätzlich nur ein Anspruch
auf Aufwendungsersatz gegen die Gesellschaft begründet. Nach vorzugswürdigem Verständnis kommt es in Anbetracht des Modellcharakters des § 716 BGB nicht zu einem gesetzlichen Forderungsübergang der Gesellschaftsverbindlichkeit entsprechend § 774 Abs. 1 Satz 1 BGB; der Ausgleich der mithaftenden Gesellschafter untereinander richtet sich nach § 426 Abs. 1 BGB. Die Interessenlage bei der Gesellschafterhaftung unterscheidet sich aber deswegen von der der Bürgenhaftung, weil der Bürge sich unmittelbar privatautonom verpflichtet, der Gesellschafter aber kraft Gesetzes einer gesellschaftsrechtlichen Einstandspflicht unterworfen wird und § 716 BGB für diese eine abweichende und abschließende Regressabwicklung vorsieht. Lediglich die Gesellschafterhaftung ist materielle Außenhaftung, deren gesellschaftsrechtlicher Ausgleich aber in das gesellschaftsrechtliche Innenverhältnis verlagert wird. Auf diese Weise wird verhindert, dass der Gesellschafter, gegebenenfalls entgegen gesellschaftsvertraglichen Bindungen, unmittelbaren Zugriff auf übergehende Sicherheiten erhält. So bedarf es lediglich im Außenverhältnis zwingender gesetzlicher Gewährleistungen; das gesellschaftsrechtliche Innenverhältnis unterliegt demgegenüber vorrangig den antizipiert durch den Gesellschaftsvertrag getroffenen privatautonomen Vereinbarungen. Die Gesellschafterhaftung ist zwar eine gesetzliche, jedoch eine auf die gesellschaftsvertragliche Verbindung der Gesellschafter rückführbare, für die es nicht auf die einzelne Gesellschaftsverbindlichkeit ankommt, sondern auf die allgemeine verbandsrechtliche Unterwerfung. So zeigt § 716 BGB, dass eine Gesellschaftsforderung, die ein Gesellschafter gegenüber einem Gesellschaftsgläubiger begleicht, dazu führt, dass der Gesellschafter gerade keinen gesetzlich übergegangenen Drittanspruch im Außenverhältnis erhält, sondern einen innenrechtlichen Ausgleichsanspruch. Das gesetzliche Leitbild geht damit gerade nicht davon aus, dass wie bei § 774 BGB eine Privilegierung des Schuldners verhindert werden soll. Vielmehr führt die Verlagerung vom Außen- ins Innenverhältnis dazu, dass Titulierungen oder Sicherungsrechte gerade nicht unmittelbar aufrechterhalten bleiben (vgl. § 426 Abs. 2, §§ 412, 401 BGB), sondern allenfalls auf gesellschaftsrechtlicher Ebene Berücksichtigung finden können. Zentrale Wertung des § 716 BGB ist mithin, dass die Begleichung einer Haftungsforderung nach § 721 BGB dazu führt, dass die Aufwendungsersatzansprüche der Gesellschafter gegenüber verblei192 | Könen
Übertragung und Übergang von Gesellschaftsanteilen | § 711 BGB
benden Gesellschaftergläubigern nachrangig befriedigt werden. Dies dient den Interessen der Gesamtheit der Gesellschaftsgläubiger. Der Regress gegenüber der Gesellschaft richtet sich demzufolge nach § 716 BGB, der gegenüber den mithaftenden Gesellschaftern nach § 426 Abs. 1 BGB.
3. Schicksal der Gesellschaftsverbindlichkeit Die Regressregelungen der §§ 716, 426 Abs. 1 BGB gegenüber der Gesellschaft sowie den Mit- 24 gesellschaftern legen nahe, dass die Gesellschaftsverbindlichkeit, wenn die Haftungsforderung von dem Gesellschaftsgläubiger gegenüber dem Gesellschafter geltend gemacht wird, im Außenverhältnis gem. § 362 BGB erlischt, obwohl der Gesellschafter nicht gem. § 267 Abs. 1 BGB auf eine Schuld aus einem fremden Schuldverhältnis leistet, sondern seiner eigenen gesetzlichen Leistungspflicht aus § 721 BGB nachkommt, die zu der Begründung eines eigenen Schuldverhältnisses im engeren Sinne geführt hat.17 So folgt aus § 721 BGB, dass bei bestehender Gesellschaftsverbindlichkeit ein weiteres Schuldverhältnis im engeren Sinne zum Gesellschafter begründet wird, allerdings nimmt dieses atypische gesetzliche Schuldverhältnis kraft der gesetzlichen Regelung ausdrücklich auf ein fremdes Schuldverhältnis Bezug. Insoweit lässt sich die Erfüllung der Gesellschaftsschuld auf eine entsprechende Anwendung der §§ 363, 267 BGB stützen, die eine Verlagerung des Ausgleiches in das gesellschaftsrechtliche Innenverhältnis zur Folge hat. Dies steht in Einklang mit der Regelung des § 716 BGB. Allerdings führt die Erfüllung der Gesellschaftsverbindlichkeit dazu, dass § 721 BGB nicht mehr als Grundlage für die Inanspruchnahme der übrigen Gesellschafter herhalten kann, weil es am notwendigen Tatbestandsmerkmal der Gesellschaftsverbindlichkeit fehlt. Aufgefangen wird dies durch die Anwendung des § 426 Abs. 1 BGB im Verhältnis der Gesellschafter untereinander als Gesamtschuldner, der aber nur einen anteiligen Ausgleich gewährt. Nimmt man eine Verlagerung der schuldrechtlichen Ausgleichspflichten in das gesellschaftsrechtliche Innenverhältnis an, hat dies zur Folge, dass die Vorschrift des § 721b BGB als Regelung des Außenrechts keine Anwendung mehr findet. Dies ist indes unproblematisch, weil der innenrechtliche Ausgleich auf diese Weise unter Durchbrechung der Akzessorietät gesellschaftsvertraglichen Regelungen sowie mitgliedschaftlichen Rechten und Pflichten zugänglich wird.
§ 711 BGB Übertragung und Übergang von Gesellschaftsanteilen (1) ¹Die Übertragung eines Gesellschaftsanteils bedarf der Zustimmung der anderen Gesellschafter. ²Die Gesellschaft kann eigene Anteile nicht erwerben. (2) ¹Ist im Gesellschaftsvertrag vereinbart, dass im Fall des Todes eines Gesellschafters die Gesellschaft mit seinem Erben fortgesetzt werden soll, geht der Anteil auf den Erben über. ²Sind mehrere Erben vorhanden, fällt der Gesellschaftsanteil kraft Gesetzes jedem Erben entsprechend der Erbquote zu. ³Die Vorschriften über die Erbengemeinschaft finden insoweit keine Anwendung. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436).
17 A.A., da § 422 Abs. 1 BGB keine Anwendung finde, Habersack in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2018, § 128 HGB Rz. 23. Könen | 193
Übertragung und Übergang von Gesellschaftsanteilen | § 711 BGB
benden Gesellschaftergläubigern nachrangig befriedigt werden. Dies dient den Interessen der Gesamtheit der Gesellschaftsgläubiger. Der Regress gegenüber der Gesellschaft richtet sich demzufolge nach § 716 BGB, der gegenüber den mithaftenden Gesellschaftern nach § 426 Abs. 1 BGB.
3. Schicksal der Gesellschaftsverbindlichkeit Die Regressregelungen der §§ 716, 426 Abs. 1 BGB gegenüber der Gesellschaft sowie den Mit- 24 gesellschaftern legen nahe, dass die Gesellschaftsverbindlichkeit, wenn die Haftungsforderung von dem Gesellschaftsgläubiger gegenüber dem Gesellschafter geltend gemacht wird, im Außenverhältnis gem. § 362 BGB erlischt, obwohl der Gesellschafter nicht gem. § 267 Abs. 1 BGB auf eine Schuld aus einem fremden Schuldverhältnis leistet, sondern seiner eigenen gesetzlichen Leistungspflicht aus § 721 BGB nachkommt, die zu der Begründung eines eigenen Schuldverhältnisses im engeren Sinne geführt hat.17 So folgt aus § 721 BGB, dass bei bestehender Gesellschaftsverbindlichkeit ein weiteres Schuldverhältnis im engeren Sinne zum Gesellschafter begründet wird, allerdings nimmt dieses atypische gesetzliche Schuldverhältnis kraft der gesetzlichen Regelung ausdrücklich auf ein fremdes Schuldverhältnis Bezug. Insoweit lässt sich die Erfüllung der Gesellschaftsschuld auf eine entsprechende Anwendung der §§ 363, 267 BGB stützen, die eine Verlagerung des Ausgleiches in das gesellschaftsrechtliche Innenverhältnis zur Folge hat. Dies steht in Einklang mit der Regelung des § 716 BGB. Allerdings führt die Erfüllung der Gesellschaftsverbindlichkeit dazu, dass § 721 BGB nicht mehr als Grundlage für die Inanspruchnahme der übrigen Gesellschafter herhalten kann, weil es am notwendigen Tatbestandsmerkmal der Gesellschaftsverbindlichkeit fehlt. Aufgefangen wird dies durch die Anwendung des § 426 Abs. 1 BGB im Verhältnis der Gesellschafter untereinander als Gesamtschuldner, der aber nur einen anteiligen Ausgleich gewährt. Nimmt man eine Verlagerung der schuldrechtlichen Ausgleichspflichten in das gesellschaftsrechtliche Innenverhältnis an, hat dies zur Folge, dass die Vorschrift des § 721b BGB als Regelung des Außenrechts keine Anwendung mehr findet. Dies ist indes unproblematisch, weil der innenrechtliche Ausgleich auf diese Weise unter Durchbrechung der Akzessorietät gesellschaftsvertraglichen Regelungen sowie mitgliedschaftlichen Rechten und Pflichten zugänglich wird.
§ 711 BGB Übertragung und Übergang von Gesellschaftsanteilen (1) ¹Die Übertragung eines Gesellschaftsanteils bedarf der Zustimmung der anderen Gesellschafter. ²Die Gesellschaft kann eigene Anteile nicht erwerben. (2) ¹Ist im Gesellschaftsvertrag vereinbart, dass im Fall des Todes eines Gesellschafters die Gesellschaft mit seinem Erben fortgesetzt werden soll, geht der Anteil auf den Erben über. ²Sind mehrere Erben vorhanden, fällt der Gesellschaftsanteil kraft Gesetzes jedem Erben entsprechend der Erbquote zu. ³Die Vorschriften über die Erbengemeinschaft finden insoweit keine Anwendung. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436).
17 A.A., da § 422 Abs. 1 BGB keine Anwendung finde, Habersack in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2018, § 128 HGB Rz. 23. Könen | 193
§ 711 BGB Rz. 1 | Rechtsfähige Gesellschaft I. 1. 2. 3. II. 1.
Allgemeines Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . Übertragung von Gesellschaftsanteilen Übertragbarkeit der verbandsrechtlichen Mitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . . a) Höchstpersönlichkeit der Mitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mitgliedschaft als Verfügungsobjekt . . 2. Erwerb der Mitgliedschaft . . . . . . . . . . . a) Gesellschaftsgründung . . . . . . . . . . . . . b) Eintritt in bestehende Gesellschaft . . . aa) Beitrittserklärung . . . . . . . . . . . . . . bb) Aufnahme beschränkt Geschäftsfähiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Abgeleiteter Erwerb der Mitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 5 7 8 9 10 11 12 13 15 16 17
3. Rechtsgeschäftliche Übertragung . . . . . 4. Erbrechtliche Übertragung . . . . . . . . . . a) Grundlage im Gesellschaftsvertrag; Entbehrlichkeit einer Fortsetzungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erbrechtliche Nachfolgeklausel (Abs. 2); unmittelbarer Rechtserwerb aa) Einfache Nachfolgeklausel . . . . . . (1) Alleinerbe . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Mehrheit von Erben; Sonderrechtsnachfolge . . . . . . . . . . . . bb) Qualifizierte Nachfolgeklausel . . . cc) Bedingtes Austrittsrecht nach § 724 Abs. 1, Abs. 2 BGB . . . . . . . dd) Sonderfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel 5. Umwandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19 21 22 23 25 26 27 28 30 31 35 36
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Schrifttum: Bialluch-von Allwörden, Übertragung von Kommanditanteilen – aufschiebend bedingte Abtretung durch MoPeG passé?, NZG 2022, 791; Freitag, Rechtliche Fallstricke des Todes des Personengesellschafters de lege lata und de lege ferenda, ZGR 2021, 534; Hermanns, Übertragung von Mitgliedschaftsrechten an Dritte – Gestaltungsmöglichkeiten und -grenzen, ZIP 2005, 2284; Lange, Ausgewählte Fragen zur erbrechtlichen Nachfolge in Personengesellschaften, ErbR 2020, 378; Lange/Kretschmann, Die Nachfolge von Todes wegen in einen Personengesellschaftsanteil nach dem MoPeG – ein erster Überblick, ZEV 2021, 545; Segna, Vorstandskontrolle in Großvereinen, 2002, S. 146 f.; Steinbeck, Vereinsfluß und Drittautonomie, 1999.
I. Allgemeines 1. Überblick 1 Die Regelung des § 711 BGB stellt eine spezialgesetzliche Ausprägung der in § 38 BGB ge-
regelten Verbandsmitgliedschaft dar. Ungeachtet der Höchstpersönlichkeit der Mitgliedschaft ist sie als taugliches Verfügungsobjekt übertragbar (§ 708 BGB Rz. 15 ff.). Unmittelbare Beschränkungen der Übertragbarkeit folgen aus der Sozietätskonstruktion, wie sie in den §§ 712, 712a BGB zum Ausdruck kommt. Danach führt die Vereinigung aller – nicht mit Rechten Dritter belasteter – Mitgliedschaften in einer Person in Anbetracht der aus der Anwachsung und dem Vertragsprinzip folgenden Sozietätskonstruktion zum liquidationslosen Erlöschen der Gesellschaft bei gleichzeitiger Gesamtrechtsnachfolge des verbleibenden Gesellschafters. 2 Indem § 711 Abs. 1 BGB für die Übertragung der Mitgliedschaft die Zustimmung aller Ge-
sellschafter verlangt, wird die Mitgliedschaft im Wege der rechtsgeschäftlichen Einzelrechtsnachfolge übertragbar gestellt. Die Zustimmung der verbleibenden Gesellschafter zur rechtsgeschäftlichen Übertragung kann ad hoc erteilt werden oder bereits im Gesellschaftsvertrag angelegt sein. Dafür genügt es, dass die Übertragung der Gesellschaftsanteile zugelassen wird. Durch eine Gesellschaftermehrheit kann die Mitgliedschaft übertragbar gestellt werden, wenn dieser auf der Grundlage einer Mehrheitsklausel eine Kompetenz zur Änderung des Gesellschaftsvertrages zukommt. Demgegenüber bedarf der Übertragungsakt der Mitgliedschaft eines Gesellschafters stets dessen originärer Ausführung des Verfügungsgeschäfts im Wege der Abtretung.
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Übertragung und Übergang von Gesellschaftsanteilen | Rz. 7 § 711 BGB
§ 711 Abs. 2 BGB konkretisiert die Übertragung der Mitgliedschaft im Wege der erbrecht- 3 lichen Gesamtrechtsnachfolge, indem er offenlegt, dass die Zustimmung der Gesellschafter zur Übertragung der Mitgliedschaft differenzieren kann zwischen der Zulässigkeit der rechtsgeschäftlichen Einzelrechtsübertragung bzw. der erbrechtlichen Gesamtrechtsnachfolge. Ferner macht § 711 Abs. 2 BGB deutlich, dass die Mitgliedschaft nur vererbt werden kann, wenn dies im Gesellschaftsvertrag bestimmt ist. Hingegen kommt eine Genehmigung der Übertragung deswegen nicht in Betracht, weil sich die Rechtsnachfolge unmittelbar mit dem Erbfall vollzieht und entweder der Erbe auf der Grundlage gesellschaftsvertraglicher Ermächtigung in diesem Moment Gesellschafter wird oder in den Auseinandersetzungsanspruch einrückt, was aber voraussetzt, dass die Mitgliedschaft schon den übrigen Gesellschaftern angewachsen ist. Ein abgeleiteter Erwerb kommt dann nicht mehr in Betracht, es besteht lediglich die Möglichkeit, eine neue Mitgliedschaft zu begründen. § 711 Abs. 2 Satz 2 BGB regelt den Fall der Sonderrechtsnachfolge mehrerer zur Nachfolge 4 zugelassener Erben einer Erbengemeinschaft.1 Hintergrund dieser Bestimmung ist der Umstand, dass die Erbengemeinschaft nach ganz überwiegender Auffassung nicht rechtsfähig ist und daher auch nicht Träger der Mitgliedschaft sein kann.2
2. Normzweck Ungeachtet der Tatsache, dass die Mitgliedschaft höchstpersönlich ist (vgl. § 38 BGB) und 5 im Ausgangspunkt nicht übertragen werden kann, weil den Mitgesellschaftern nicht gegen ihren Willen eine gesellschaftsvertragliche Bindung aufgezwungen werden kann, ergibt sich die Möglichkeit, die Mitgliedschaft übertragbar zu stellen, bereits aus ihrer Grundlage im Grundsatz der Privatautonomie. Genauso wie ein Gesellschafter sich privatautonom in einem Verband zusammenschließen kann, kann er privatautonom die Reichweite dieses Zusammenschlusses, insbesondere die Zugänglichkeit für Dritte festlegen. Bezogen auf die Grundregel der Verbandsmitgliedschaft des § 38 BGB kommt dies in § 40 BGB zum Ausdruck, indem die Mitgliedschaft dort nicht aufgeführt ist. § 711 BGB dient der Konkretisierung der auf diese Weise verstandenen Verbandsmitgliedschaft für das Personengesellschaftsrecht und stellt diese Rahmenbedingungen für den Personenverband klar. Die dispositive Übertragbarkeit der Mitgliedschaft insgesamt ist abzugrenzen von der in 6 § 711a BGB geregelten unzulässigen Abspaltung einzelner Mitgliedschaftsrechte von der Mitgliedschaft.
3. Anwendungsbereich In Anbetracht der Tatsache, dass § 711 BGB eine personengesellschaftsrechtliche Konkreti- 7 sierung des in §§ 38, 40 BGB geregelten allgemeinen verbandsrechtlichen Grundsatzes der Verfügungsfähigkeit des Rechtsinstituts der Mitgliedschaft darstellt, findet die Vorschrift auf alle Personenaußengesellschaften Anwendung, namentlich auf oHG, KG und PartG (vgl. § 105 Abs. 3, § 161 Abs. 2 HGB, § 1 Abs. 4 PartGG).
1 Vgl. BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, BGHZ 108, 187 = GmbHR 1990, 28. 2 Vgl. BGH v. 10.1.1996 – IV ZB 21/94, NJW 1996, 1284, 1285 = ZIP 1996, 327; BGH v. 11.9.2002 – XII ZR 187/00, Rz.11 ff. (juris); BGH v. 17.10.2006 – VIII ZB 94/05, Rz. 7 (juris); RegE MoPeG, BTDrucks. 19/27635, S. 145; Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 1998, S. 330 ff., 396; abweichend, Eberl-Borges, Die Erbauseinandersetzung, 2001, S. 394 ff.; Grunewald, AcP 197 (1997), 305 ff. Könen | 195
§ 711 BGB Rz. 8 | Rechtsfähige Gesellschaft
II. Übertragung von Gesellschaftsanteilen 8 § 711 BGB bestimmt, dass die Mitgliedschaft in der Personengesellschaft mit der Zustim-
mung aller Gesellschafter übertragbar ist. Aus der Zusammenschau der beiden Absätze wird deutlich, dass dies sowohl hinsichtlich der rechtsgeschäftlichen Übertagung gilt als auch hinsichtlich des erbrechtlichen Übergangs. Bei § 711 BGB handelt es sich aber nicht um eine personengesellschaftsrechtliche Besonderheit, ungeachtet der Höchstpersönlichkeit der Mitgliedschaft stellt deren Übertragbarkeit vielmehr einen allgemeinen verbandsrechtlichen Grundsatz dar, wie er in den §§ 38, 40 BGB verankert ist und nun im Zusammenspiel mit § 711 BGB zum Ausdruck kommt.
1. Übertragbarkeit der verbandsrechtlichen Mitgliedschaft 9 Die Übertragung der Mitgliedschaft in der Personenaußengesellschaft ist spezialgesetzlich in
§ 711 BGB geregelt und bestätigt in der Sache den allgemeinen verbandsrechtlichen Grundsatz der § 38 Satz 1, § 40 BGB. Danach kann die Mitgliedschaft als Rechtsgegenstand Verfügungsobjekt sein und damit derivativ erworben werden.3 Dies betrifft sowohl die in § 711 Abs. 1 BGB adressierte rechtsgeschäftliche Übertragung im Wege der Einzelrechtsnachfolge sowie die erbrechtliche Übertragung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge gem. §§ 1922, 711 Abs. 2 BGB. Beide Übertragungsformen bedürfen der Zustimmung durch die übrigen Gesellschafter. In Anbetracht der Tatsache, dass sich die Rechtsnachfolge im Rahmen der erbrechtlichen Gesamtrechtsnachfolge mit dem Eintritt des Erbfalls unmittelbar vollzieht, bedarf es insoweit einer Verankerung der Zustimmung im Gesellschaftsvertrag. Das Zustimmungserfordernis ist Ausdruck der Höchstpersönlichkeit der Mitgliedschaft. Nach diesem gesetzlichen Leitbild entsteht und endet die Mitgliedschaft grundsätzlich in der Person des Mitglieds.4 Eine Übertragung hat zur Folge, dass die Mitgliedschaft auf einen anderen Inhaber übergehen kann, das bisherige Mitglied also seine mitgliedschaftlichen Rechte und Pflichten verliert und der Rechtsnachfolger an dessen Stelle tritt. Ungeachtet der fehlenden Rechtssubjektivität der Erbengemeinschaft hat dies zwingend ein einzelnes Rechtssubjekt zu sein; bei einer Gesamtheit von Rechtssubjekten in gesamthänderischer Bindung vollzieht sich daher ausnahmsweise eine Sonderrechtsnachfolge nach § 711 Abs. 2 Satz 2, § 724 BGB.5 Der Gesellschaftsvertrag kann den Kreis der zulässigen Erwerber bestimmen. Beschränkt der Gesellschaftsvertrag den Kreis zulässiger Erwerber auf bereits bestehende Mitglieder, erhält der Erwerber aber nicht eine zusätzliche Mitgliedschaft. Die Mitgliedschaften „verschmelzen“ vielmehr, so dass das bisherige Mitglied im Ergebnis bloß die überschießenden Rechte und Pflichten – wie Gewinnbezugsrechte und Beitragspflichten erhält. Der Gesellschaftsvertrag kann die Übertragung pauschal gestatten oder von einem Einverständnis im Einzelfall abhängig machen.6 Mit der Übertragung der Mitgliedschaft gehen sämtliche mit ihr verbundenen Rechte und Pflichten sowie Vorzugsstellungen – auch die Sonderrechte i.S.v. § 35 BGB – auf den Erwerber über. Ebenso können einzelne Rechte und Pflichten von der Übertragbarkeit ausgenommen werden. Im Rahmen der gesellschaftsvertraglichen Regelung der abstrakten Übertragbarkeit der Mitgliedschaft kann zwischen der Übertragbarkeit im Wege des rechtsgeschäftlichen Erwerbs sowie des Erwerbs von Todes wegen – insoweit wiederum im Wege der Gesamt- bzw. der durch ein Vermächtnis vermittelten zusätzlichen Einzelrechtsnachfolge – differenziert werden. Darüber hinaus kann der Gesellschaftsvertrag 3 Vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 19 IV 1; zur Haftung des Kommanditisten, Bialluch-von Allwörden, NZG 2022, 791. 4 Vgl. Hadding in Soergel, 2000, § 38 BGB Rz. 27, 32; Schwennicke in Staudinger, 2019, § 38 BGB Rz. 294 ff. 5 Vgl. BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, BGHZ 108, 187 = GmbHR 1990, 28 = ZIP 1989, 1186. 6 Hadding in Soergel, 2000, § 38 BGB Rz. 28.
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Übertragung und Übergang von Gesellschaftsanteilen | Rz. 13 § 711 BGB
Regelungen dazu treffen, ob die Mitgliedschaft im Rahmen einer gesetzlichen Gesamtrechtsnachfolge zulässig sein soll. Hinsichtlich der gesetzlichen Gesamtrechtsnachfolge eines Mitglieds, etwa im Rahmen des Umwandlungsgesetzes oder aufgrund vereinsrechtlicher Umwandlung, kann wiederum danach zu differenzieren sein, ob diese die (Teil-)Identität des Rechtsträgers zur Folge hat oder ob dieser als solcher erlischt. Auch im Rahmen eines Betriebsüberganges i.S.v. § 613a BGB bedarf es einer satzungsmäßigen Regelung über die Zulässigkeit der Übertragung.7 Insoweit kann die Mitgliedschaft an die Unternehmensträgerschaft geknüpft werden, so dass die Mitgliedschaft bei Veräußerung eines Unternehmens, vorbehaltlich eines Einverständnisses des Erwerbers, mit übergehen kann. a) Höchstpersönlichkeit der Mitgliedschaft Genauso wie § 38 BGB geht § 711 BGB im Ausgangspunkt davon aus, dass die Mitgliedschaft 10 nicht übertragbar ist, sofern die Mitglieder nicht einen entgegenstehenden Willen positiv zum Ausdruck bringen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Mitgliedschaft im Ausgangspunkt höchstpersönlicher Natur ist, weil sich die Gesellschafter im Rahmen des zivilrechtlichen Zusammenschlusses zunächst bewusst den mitgliedschaftlichen Rechten des Verbandes sowie der anderen Mitglieder unterwerfen. Soll demgegenüber eine mitgliedschaftliche Verpflichtung auch gegenüber ausgewechselten Mitgliedern in Betracht kommen, bedarf dies der hinreichenden Artikulation eines entsprechend privatautonom geäußerten Willens. b) Mitgliedschaft als Verfügungsobjekt Als Bündel von Rechten und Pflichten der Mitglieder untereinander sowie im Verhältnis 11 zum Verband ist das Rechtsinstitut der Mitgliedschaft sowohl sonstiges Recht i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB als auch potentieller Gegenstand von Verfügungsgeschäften (§ 708 BGB Rz. 15 ff.).
2. Erwerb der Mitgliedschaft Die Mitgliedschaft kann sowohl originär als auch abgeleitet (derivativ) erworben werden. 12 Während die Mitgliedschaft mit der Gründung einer Gesellschaft oder dem Eintritt in eine bestehende Gesellschaft erstmalig begründet wird, wird im Falle des abgeleiteten Erwerbs eine bestehende Mitgliedschaft übertragen. a) Gesellschaftsgründung Die Mitgliedschaft entsteht originär in dem Moment, in dem das Verbandssubjekt als solches 13 durch die Vereinbarung eines Verbandszwecks konstituiert wird. Dies beruht auf dem Umstand, dass die Mitglieder mit der Vereinbarung, als Kollektiv – in einer von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellten Rechtsform – am Rechtsverkehr teilzunehmen, zum Ausdruck bringen, nicht mehr als Individuen mit ihren Privatvermögen berechtigt und verpflichtet werden zu wollen, sondern in ihrer Gesamtheit als Vereinigung. Der als Schuldvertrag zustande gekommene Gesellschaftsvertrag – entsprechendes gilt für die Satzung – wird dabei kraft des konstituierenden Gründungsaktes zur normativen Handlungsverfassung des Verbandes, mit der sich die Gründer im Rahmen des Gesellschaftszwecks privatautonom der Verbandsherrschaft unterwerfen.8 7 Vgl. ArbG Hagen v. 22.2.2007 – 3 BV 68/06, juris Rz. 38 ff. 8 Vgl. Lutter, AcP 180 (1980), 84, 102 ff., 110. Könen | 197
§ 711 BGB Rz. 14 | Rechtsfähige Gesellschaft 14 Die Konstituierung des Personenverbandes setzt die Vereinbarung eines gemeinsamen Ver-
bandszwecks – gerichtet auf die Teilnahme am Rechtsverkehr (vgl. § 705 Abs. 2, § 719 BGB) – sowie entsprechender Förderungspflichten voraus (§ 705 Abs. 1 BGB).9 Die Regelung des § 719 BGB zeigt (vgl. auch § 123 HGB a.F.), dass es für die Entstehung der Gesellschaft nicht auf einen tatsächlichen Auftritt im Rechtsverkehr ankommt, mit diesem ist Gesellschaft lediglich spätestens als vermögenstragendes Rechtssubjekt in Erscheinung getreten.10 Dieser Zeitpunkt wird notwendig vorverlagert, wenn die Gesellschafter mit der Eintragung in das Gesellschaftsregister ihren entsprechenden Willen nach außen getragen haben.11 Umgekehrt bedeutet dies, dass die Entstehung der Gesellschaft als Rechtssubjekt bis zu ihrem Auftritt im Rechtsverkehr von dem übereinstimmenden Willen des Gründungsgesellschafter abhängig ist (vgl. § 705 Abs. 2 BGB: „nach dem gemeinsamen Willen der Gesellschafter am Rechtsverkehr teilnehmen soll“). In diesem Vorstadium ist es dementsprechend maßgeblich, ob die vereinbarte Zweckförderung bereits auf die Teilnahme am Rechtsverkehr gerichtet ist oder ob diese sich zunächst nur auf den Gründungsvorgang beschränkt.12 b) Eintritt in bestehende Gesellschaft
15 Mit dem Eintritt in eine bestehende Gesellschaft wird gleichfalls eine neue Mitgliedschaft be-
gründet. Aus § 712 BGB ergibt sich, wie sich dies vollzieht. Unter Abwachsung der Gesellschaftsanteile der bestehenden Gesellschafter wachsen dem hinzutretenden Gesellschafter Gesellschaftsanteile an. In Anbetracht der Schuldnatur des Gesellschaftsvertrages bedarf der Eintritt in eine bestehende Gesellschaft grundsätzlich der Zustimmung aller bestehenden Gesellschafter sowie einer Beitrittserklärung des neuen Gesellschafters. Der Zustimmung der Gesellschafter kommt daher eine Doppelnatur zu, einerseits als Teil der Gesellschafterversammlung, in der der Verbandswille gebildet wird, andererseits als Privatperson, hinsichtlich der Fortsetzung des Schuldvertrages mit einem weiteren Gesellschafter. Vor dem Hintergrund, dass der Gesellschaftsvertrag zur Verbandsverfassung des Personenverbandes geworden ist, vollzieht sich der Beitritt im Verhältnis des Personenverbandes zum neuen Gesellschafter. aa) Beitrittserklärung 16 Die Beitrittserklärung ist gegenüber dem Personenverband abzugeben, nicht hingegen ge-
genüber jedem einzelnen Gesellschafter. Die Zustimmung der Gesellschafter wird durch den Personenverband abgegeben. bb) Aufnahme beschränkt Geschäftsfähiger 17 In Anbetracht der Tatsache, dass der Erwerb der Mitgliedschaft sowohl mit Rechten als auch
mit Pflichten verbunden ist, bedarf der Gesellschaftsbeitritt eines Minderjährigen ungeachtet der Höchstpersönlichkeit der Mitgliedschaft der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters. Ist der Gesellschaftszweck auf ein Erwerbsgeschäft gerichtet, bedarf es nach § 1643 Abs. 1, § 1852 Nr. 1 Buchst. b, Nr. 2 BGB einer familiengerichtlichen Genehmigung.13 9 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 100 f., 125 f., 186; Bergmann in jurisPK/BGB, Stand: 1.2.2020, § 705 BGB Rz. 1, 30. 10 Vgl. BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 (ARGE Weißes Roß) = NJW 2001, 1056 = ZIP 2001, 330; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 123 HGB Rz. 6. 11 Vgl. RG v. 25.5.1938, RGZ 157, 369; 372; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 123 HGB Rz. 6. 12 Vgl. Tröger in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 163c (Stand: 6/ 2019). 13 Vgl. OLG Dresden v. 25.4.2018 – 17 W 160/18, NJW-RR 2019, 29.
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Übertragung und Übergang von Gesellschaftsanteilen | Rz. 20 § 711 BGB
c) Abgeleiteter Erwerb der Mitgliedschaft Von dem originären Erwerb der Mitgliedschaft ist der abgeleitete Erwerb einer bestehenden 18 Mitgliedschaft zu unterscheiden. Die beiden Möglichkeiten abgeleiteten Erwerbs werden durch § 711 BGB aufgenommen. Zu unterscheiden ist zwischen der rechtsgeschäftlichen Übertragung nach § 711 Abs. 1 BGB sowie dem Erwerb im Rahmen einer erbrechtlichen Gesamtrechtsnachfolge nach § 711 Abs. 2 BGB. Insofern besteht die Möglichkeit, die Mitgliedschaft pauschal vererblich zu stellen oder eine qualifizierte Rechtsnachfolge hinsichtlich bestimmter Erben vorzusehen.
3. Rechtsgeschäftliche Übertragung Die Mitgliedschaft ist im Ausgangspunkt höchstpersönlicher Natur, sie kann aber im Wege 19 des Gesellschaftsvertrages sowie auf der Grundlage einer einverständlichen Zustimmung vererblich bzw. rechtsgeschäftlich übertragbar gestellt werden. Bei eröffneter Zulässigkeit der rechtsgeschäftlichen Übertragung bedarf es wie bei einer Vertragsübernahme als dreiseitigem Rechtsgeschäft14 einer Einigung sowohl des ausscheidenden Mitglieds mit dem Erwerber der Mitgliedschaft (§§ 398, 413 BGB), als auch eines Einverständnisses des Verbandes, den Dritten aufzunehmen sowie einer damit korrespondierenden Ausübung des Eintrittsrechts des Dritten.15 In Anbetracht der Doppelnatur des personengesellschaftsrechtlichen Gesellschaftsvertrages kommt auch der Zustimmung der Gesellschafter eine doppelte Funktion zu. Einerseits liegt darin der antizipierte Wille der Gesellschaft, die Mitgliedschaft mit einem Dritten fortzusetzen. Andererseits artikulieren die Gesellschafter im Rahmen der Zustimmung ihr privatautonomes Einverständnis dafür, das neue Mitglied in ihre schuldvertragliche Verbindung aufzunehmen. Die Einbindung des Verbandes ist gem. §§ 414, 415 BGB erforderlich, weil mit der Übertragung der Mitgliedschaft auch bestehende Verbindlichkeiten auf einen neuen Schuldner übergehen sollen, so dass die Bewertung von dessen Solvenz dem Verband als Gläubiger obliegt. Der Gesellschaftsvertrag kann im Rahmen der verbandsrechtlichen Organisation zusätzliche (Zustimmungs-)Erfordernisse für die Übertragung vorsehen. Fraglich ist, inwiefern das rechtsgeschäftliche Einverständnis der Gesellschaft zu einem 20 konkreten rechtsgeschäftlichen Übertragungsvorgang bereits antizipiert im Gesellschaftsvertrag schlüssig mit Außenwirkung vorgenommen werden kann, etwa in der Form, dass die Vertragsbestimmung zur Übertragbarkeit vorsieht, dass die Mitgliedschaft im Wege der einseitigen „Abtretung“16 erfolgen kann, so dass der Verband an dem konkreten Übertragungsvorgang nicht mehr mitwirken müsste.17 In Anbetracht der Gestaltungshoheit der Mitglieder in ihrer Gesamtheit über die Verbandsverfassung kann sich ein Verband wirksam verpflichten, „dritte Personen, die gewisse Bedingungen erfüllen, auf ihr Verlangen aufzunehmen, und […] auf diesem Wege ein erzwingbares Recht auf Aufnahme in den [Verband] für außenstehende Personen unter dem Gesichtspunkte des § 328 BGB [analog] wirksam [zu] begründe[n]“.18 In Personenverbänden kann eine solche Vereinbarung jedenfalls nicht so weit gehen, dass ein Aufnahmeanspruch als unentziehbar gestaltet wird.19 Sieht also bereits der Gesellschaftsvertrag originär vor, dass für den Eintritt von Mitgliedern (entsprechend § 328 14 15 16 17
Vgl. dazu Hadding in Soergel, 2000, § 38 BGB Rz. 28; Hadding in FS Steindorff, 1990, S. 31, 39. Vgl. BGH v. 30.6.1980 – II ZR 186/79, juris Rz. 23 f. Vgl. zur Terminologie der „Abtretung“, Hadding in Soergel, 2000, § 38 BGB Rz. 28. So Hadding in Soergel, 2000, § 38 BGB Rz. 28; nach dem Rechtsgedanken von § 409 BGB, § 67 AktG eine Anzeigepflicht annehmend Schwennicke in Staudinger, 2019, § 38 BGB Rz. 128 f. 18 Zur Aufnahme in einen Verein, RG v. 23.11.1922 – IV 167/22, RGZ 106, 120, 126. 19 Vgl. allg. Segna, Vorstandskontrolle in Großvereinen, 2002, S. 146 f.; Steinbeck, Vereinsfluss und Drittautonomie, 1999, S. 71 f. Könen | 199
§ 711 BGB Rz. 20 | Rechtsfähige Gesellschaft BGB) keine Aufnahmeerklärung (der Vertreter) des Verbandes erforderlich ist, sondern eine Ausübung des Eintrittsrechts gegenüber dem Verband ausreicht, hat dies zur Konsequenz, dass dem Gesellschaftsvertrag selbst eine nach §§ 414, 415 BGB erforderliche, rechtsgeschäftliche Erklärung des Verbandes zu entnehmen ist. Diese Erklärung des Verbandes wird für den jeweils konkreten Gesellschaftsbeitritt bzw. die jeweilige Mitgliedschaftsübertragung durch den Gesellschaftsvertrag antizipiert abgegeben, ohne dass es der Einschaltung eines weiteren Vertreters oder Erklärungsboten bedürfte, weil der Zugang der Erklärung gem. § 151 BGB entbehrlich ist. Ob eine schlüssige Erklärung in diesem Sinne anzunehmen ist, ist durch Auslegung des Gesellschaftsvertrages zu ermitteln. Eine isoliert gesellschaftsvertragliche Übertragung (d.h. ohne Ausübung des Eintrittsrechts) kommt demgegenüber im Rahmen der rechtsgeschäftlich vereinbarten Einzelrechtsnachfolge mit Blick auf die Interessen des Dritten nicht in Betracht. Ohne entsprechende, rechtsgeschäftliche Ausübung des gesellschaftsvertraglich gewährten Eintrittsrechts wäre die Vertragsbestimmung nach den Grundsätzen der Unzulässigkeit des Vertrages zu Lasten Dritter unwirksam.
4. Erbrechtliche Übertragung 21 In Anbetracht des vollzogenen Leitbildwandels über die Rechtsnatur der Personenaußen-
gesellschaft als vermögenstragendes Subjekt sieht § 711 Abs. 2 BGB in Einklang mit den anderen zivilrechtlichen Verbandsformen den Grundsatz vor, dass der Tod eines Gesellschafters – sofern dieser nicht der vorletzte Gesellschafter gewesen ist – den identitätswahrenden Fortbestand des Personenverbandes nicht beeinflusst.20 Einer gesellschaftsvertraglichen Klausel über die Fortführung der Gesellschaft bedarf es daher nicht mehr (sog. Fortsetzungsklausel zu § 727 BGB a.F.). a) Grundlage im Gesellschaftsvertrag; Entbehrlichkeit einer Fortsetzungsklausel 22 Vor dem Hintergrund der Höchstpersönlichkeit der Mitgliedschaft bedarf der Eintritt des erb-
rechtlichen Gesamtrechtsnachfolgers in die mitgliedschaftliche Rechtsstellung des verstorbenen Gesellschafters aber der gesellschaftsvertraglichen Regelung der Vererblichkeit des Gesellschaftsanteils (sog. einfache bzw. qualifizierte Nachfolgeklausel).21 Darüber hinaus kommt die gesellschaftsvertragliche Regelung eines Eintrittsrechts eines Erben in Betracht (sog. Eintrittsklausel).22 Diese ist aber kein Fall der Übertragung der Mitgliedschaft im Wege rechtsgeschäftlichen oder gesetzlicher Rechtsnachfolge, sondern die schlichte Bestimmung eines Aufnahmeanspruchs, im Rahmen dessen eine neue Mitgliedschaft zu begründen ist. Insofern finden die Grundsätze über den originären Erwerb der Mitgliedschaft Anwendung. b) Erbrechtliche Nachfolgeklausel (Abs. 2); unmittelbarer Rechtserwerb 23 Im Unterschied zu einer rechtsgeschäftlichen Übertragung findet im Rahmen einer erbrecht-
lichen Übertragung eine Gesamtrechtsnachfolge kraft Gesetzes statt (§ 1922 BGB). Sollen der Erbe oder die Erben auch hinsichtlich der Mitgliedschaft Rechtsnachfolger des Erblassers werden, bedarf dies einer gesellschaftsvertraglichen Grundlage in Form einer sog. Nachfolgeklausel.23 Fraglich ist, ob mit Blick auf eine gesellschaftsvertraglich gestattete Erbfolge eine
20 Vgl. Freitag, ZGR 2021, 534. 21 Vgl. Lange/Kretschmann, ZEV 2021, 545, 548. 22 Vgl. auch zur Zulässigkeit sog. rechtsgeschäftlicher Nachfolgeklauseln, wenn der Nachfolger als Mitgesellschafter am Vertrag beteiligt ist, BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, BGHZ 68, 225; K. Schmidt/ Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 139 HGB Rz. 25. 23 Vgl. BGH v. 17.12.2001 – II ZR 31/00, ZIP 2002, 710.
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Übertragung und Übergang von Gesellschaftsanteilen | Rz. 25 § 711 BGB
gegenüber der rechtsgeschäftlichen Übertragung abweichende Bewertung angezeigt ist. Schützenswerte Belange des Rechtsnachfolgers sind zunächst nicht ersichtlich, weil dieser zwar kraft gesetzlicher Anordnung in alle Rechte und Pflichten des Erblassers eintritt, jedoch gem. §§ 1942 ff. BGB die Erbschaft ausschlagen kann. Entgegenstehende Interessen des Verbandes sind nicht gegeben, weil dieser die Mitgliedschaft nach § 711 Abs. 2 BGB positiv vererblich stellen muss. Dementsprechend bedarf es trotz der Höchstpersönlichkeit der Mitgliedschaft im Rahmen 24 der erbrechtlichen Rechtsnachfolge neben der gesellschaftsvertraglich eröffneten Zulässigkeit dieser Rechtsnachfolge grundsätzlich keiner rechtsgeschäftlichen Ausübung des Eintrittsrechts auf Seiten des Gesamtrechtsnachfolgers.24 Teilweise wird vor dem Hintergrund der negativen Vereinigungsfreiheit angenommen, dass es auch im Falle der Gesamtrechtsnachfolge der Ausübung eines Eintrittsrechts durch den Rechtsnachfolger bedürfte.25 Es ist indes nicht einleuchtend, wie ein Eintrittsrecht ausgeübt werden sollte, wenn der Erbe mit der Gesamtrechtsnachfolge bereits in die Rechtsstellung des Erblassers eingerückt und Mitglied des Verbandes geworden ist. Anders ist dies lediglich, wenn der Gesellschaftsvertrag an den Tod des Erblassers, das „befristete“ Ende der Mitgliedschaft knüpft – d.h. auch der des Gesamtrechtsnachfolgers – und den Erben lediglich die Berechtigung einräumt, „die Mitgliedschaft fortzusetzen“, weil es dabei in Anbetracht der personengesellschaftsrechtlichen Sozietätskonstruktion zwischenzeitlich zu einer Ab- bzw. Anwachsung der personengesellschaftsrechtlichen Mitgliedschaft kommt, so dass eine neue Mitgliedschaft begründet werden muss und keine Übertragung einer bestehenden Mitgliedschaft vorgenommen werden kann. Selbst für den Fall, dass man wie bei juristischen Personen die Möglichkeit einer Thesaurierung der Mitgliedschaft annehmen wollte, müsste diese sodann im Wege der Einzelrechtsnachfolge an den Erblasser übertragen werden, was wiederum auch zumindest eine konkludente Willenserklärung des Erben erforderte. Die Rechtsfolge der Universalsukzession unterscheidet die gesetzliche Gesamtrechtsnachfolge gerade von der der rechtsgeschäftlichen Einzelrechtsnachfolge. Die Erklärung eines Eintrittswillens ginge ins Leere. Zum Schutz des Erben gewährt § 724 Abs. 1, Abs. 2 BGB dem Erben die Möglichkeit, die Umwandlung der Gesellschafterstellung in eine Kommanditistenstellung zu verlangen, sofern dies nach § 161 Abs. 2, § 107 Abs. 1 Satz 2 HGB möglich ist, bzw. ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist aus der Gesellschaft auszuscheiden.26 Darüber hinaus hat der Erbe die allgemeine Möglichkeit, die Erbschaft insgesamt auszuschlagen. Es ist zudem nicht sachgerecht, von der Wertung der §§ 1942 ff. BGB abzuweichen, die Erbschaft nicht auf bloß nichtnachteilige Rechte beschränken zu können. Der Erbe rückt also zunächst auch gegen seinen Willen in die Rechtsstellung des verstorbenen Mitglieds ein und kann sich dieser nur durch einen nachgelagerten Austritt – mit der Folge der Verlusttragungspflicht – oder die Ausschlagung der Erbschaft insgesamt entledigen (§ 1922 Abs. 1, §§ 1942 ff. BGB). aa) Einfache Nachfolgeklausel Sieht die Nachfolgeklausel keinerlei Qualifizierungen in der Person des Erben vor, ist eine 25 sog. einfache Nachfolgeklausel gegeben.27 Auf der Grundlage des privatautonomen Einverständnisses der Gesellschafter, die Zweckförderung auch durch den Erben des verstorbenen Gesellschafters zuzulassen, bewirkt eine einfache Nachfolgeklausel, dass sich die Rechtsnachfolge in die mitgliedschaftlichen Rechte und Pflichten unmittelbar mit dem Erbfall vollzieht. 24 Vgl. Foerster, AcP 213 (2013), 173, 179 ff. 25 Weick in Staudinger, 2005, § 38 BGB Rz. 3; a.A. Schwennicke in Staudinger, 2019, § 38 BGB Rz. 125 f. 26 Vgl. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 171; Lange/Kretschmann, ZEV 2021, 545, 547. 27 Vgl. BGH v. 17.12.2001 – II ZR 31/00, ZIP 2002, 710. Könen | 201
§ 711 BGB Rz. 26 | Rechtsfähige Gesellschaft (1) Alleinerbe 26 Ist lediglich ein Erbe vorhanden, existieren keine erb- bzw. gesellschaftsrechtlichen Beson-
derheiten; der Erbe wird unmittelbar mit dem Erbfall Gesamtrechtsnachfolger des verstorbenen Gesellschafters. Er rückt vollständig in die mitgliedschaftlichen Rechte und Pflichten des Erblassers ein. (2) Mehrheit von Erben; Sonderrechtsnachfolge 27 Existieren mehrere Erben, so wird weder die Erbengemeinschaft als solche Mitglied der Ge-
sellschaft, noch die Erben in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit Inhaber der ererbten Mitgliedschaft. Die Erbengemeinschaft besitzt einerseits keine Rechtsfähigkeit, aufgrund derer sie Träger von Rechten und Pflichten sein könnte, weil sie anders als die Personenaußengesellschaft nicht auf Dauer angelegt ist, sondern auf Auseinandersetzung.28 Andererseits müsste auch die Teilhabe an den Organschaftsrechten gemeinschaftlich erfolgen, was etwa für eine Stimmabgabe eine Kollektiventscheidung innerhalb der Erbengemeinschaft voraussetzen würde. Ebenso müssten Treuepflichten gemeinschaftlich ausgeübt werden. Zum Schutz gegenseitiger gesellschaftsrechtlicher Belange ist es sachgerecht, nach § 711 Abs. 2 Satz 2 BGB ausnahmsweise eine Sondernachfolge in die Mitgliedschaft anzunehmen; die Mitgliedschaft ist entsprechend der Erbquote aufzuspalten.29 bb) Qualifizierte Nachfolgeklausel 28 In Anbetracht der Tatsache, dass die Gesellschafter ein berechtigtes Interesse haben können,
die Gesellschaft nicht mit einem beliebigen Erben fortzusetzen, sondern die mitgliedschaftliche Teilhabe an der Gesellschaft von qualifizierten Voraussetzungen – z.B. von einer bestimmten beruflichen Ausbildung – abhängig zu machen, können die Gesellschafter eine sog. qualifizierte Nachfolgeklausel gesellschaftsvertraglich vereinbaren.30 29 Sieht der Gesellschaftsvertrag im Rahmen einer qualifizierten Nachfolgeklausel persönliche
Voraussetzungen in der „Person“ des Erben vor und werden diese nicht erfüllt, erlischt die Mitgliedschaft mit dem Tod des Erblassers.31 cc) Bedingtes Austrittsrecht nach § 724 Abs. 1, Abs. 2 BGB
30 Nach § 724 Abs. 1, Abs. 2 BGB kann der Erbe den Verbleib in der Gesellschaft davon abhän-
gig machen, dass ihm die Stellung als ein bloß beschränkt haftender Kommanditist eingeräumt wird.32 dd) Sonderfälle 31 In Anbetracht der Tatsache, dass sich die erbrechtliche Rechtsnachfolge in die Mitgliedschaft
kraft Gesetzes mit dem Erbfall vollzieht, wird die Mitgliedschaft stets mit dem wahren Erben fortgesetzt. Wird die Gesellschaft mit einem bloß vermeintlichen Erben faktisch in Vollzug gesetzt, kann dies in Anbetracht der damit verbundenen Rückabwicklungsschwierigkeiten die Anwendung der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft zu Folge haben.
Vgl. BGH v. 10.1.1996 – IV ZB 21/94, NJW 1996, 1284, 1285 = ZIP 1996, 327. Vgl. BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, BGHZ 108, 187 = GmbHR 1990, 28. BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, BGHZ 68, 225; Lange/Kretschmann, ZEV 2021, 545, 548 f. Eingehend zur Inhaltskontrolle von Nachfolgeregelungen in Verbandsverfassungen, Foerster, AcP 213 (2013), 173, 181 ff. 32 Lange/Kretschmann, ZEV 2021, 545, 548 ff. 28 29 30 31
202 | Könen
Übertragung und Übergang von Gesellschaftsanteilen | Rz. 36 § 711 BGB
Beim Erwerb der Mitgliedschaft im Wege der Vor- bzw. Nacherbschaft ist hinsichtlich jeder 32 Erbfolge zu prüfen, ob die Voraussetzungen der Nachfolgeklausel erfüllt sind. Problematisch ist die beschränkte Verfügungsmacht des Vorerben. So ist die beschränkte Rechtsstellung des Vorerben schwer mit der freiverantwortlichen Ausübung der mitgliedschaftlichen Rechte und Pflichten zu vereinbaren. Lassen die Gesellschafter aber eine Vorerbfolge zu, akzeptieren sie privatautonom die beschränkten Möglichkeiten eines Vorerben, insbesondere hinsichtlich der Änderung des Gesellschaftsvertrages. Führt die beschränkte Vorerbenstellung dazu, dass die gesellschaftliche Willensbildung der Gesellschafterversammlung gestört ist, kann darin ein wichtiger Grund zum Ausschluss des Gesellschafters liegen. Ist der Vorerbe bereits Gesellschafter, kommt es nicht zu einer Anwachsung der Mitgliedschaft, weil diese mit Rechten Dritter belastet ist. Ebenso kommt eine Wahrnehmung der mitgliedschaftlichen Rechte und Pflichten im Rah- 33 men der Testamentsvollstreckung nicht in Betracht.33 Lediglich für den nicht persönlich haftenden Kommanditisten wird eine solche Möglichkeit anerkannt, weil nur die beschränkte Haftung mit der auf den Nachlass beschränkten Verpflichtungsbefugnis des Testamentsvollstreckers vereinbar ist.34 Da die Mitgliedschaft als Rechtsgegenstand einheitlich taugliches Objekt von Verfügungen 34 sein kann, kann sie auch Gegenstand eines Vermächtnisses (§ 2147 BGB) sein. Insoweit vollziehen sich zwei Rechtsnachfolgen. Während sich die Gesamtrechtsnachfolge automatisch kraft Gesetzes vollzieht, bedarf die spätere Einzelrechtsnachfolge einer Ausübung des Eintrittsrechts des Vermächtnisnehmers. c) Rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel Von der erbrechtlichen Rechtsnachfolge in die Mitgliedschaft zu unterscheiden ist die Nach- 35 folge auf der Grundlage einer rechtsgeschäftlichen Nachfolgeklausel. In diesem Fall wird den Erben eines Gesellschafters die Möglichkeit eröffnet, von einem gewährten Eintrittsrecht Gebrauch zu machen und im Wege des originären Erwerbs einer Mitgliedschaft in die Gesellschaft einzutreten (Rz. 12 ff.).
5. Umwandlung Die Umwandlung eines Mitglieds nach dem Umwandlungsgesetz führt grundsätzlich nicht 36 zu einer Übertragung der Mitgliedschaft, sofern diese identitätswahrend erfolgt, vielmehr bleibt der Rechtsträger unmittelbares Mitglied. Problematisch kann dies aus Sicht der Mitgesellschafter sein, wenn sich dadurch die Haftungsverfassung des Mitglieds ändert. Da sich in der Folge einer Strukturänderung aber grundsätzlich nichts an der Rechtssubjektivität und damit an der Mitgliedsfähigkeit ändert, sind die Belange der Gesellschaft oder der Mitgesellschafter grundsätzlich nicht betroffen. Insbesondere richtet sich der zu gewährleistende Gläubigerschutz im Falle einer Strukturänderung nach den Gläubigerschutzbestimmungen des Umwandlungsgesetzes. Sofern die Gesellschafter daher die Mitgliedschaft von einer bestimmten Rechtsform abhängig machen wollen, muss ein entsprechender Wille im Gesellschaftsvertrag zum Ausdruck gekommen sein (§ 708 BGB Rz. 90 f.). Besteht die Gesellschaft hingegen nur aus natürlichen Personen oder Gesellschaften, deren Gesellschafter persönlich haften, kann dies unter Berücksichtigung des konkreten Gesellschaftszwecks ein starkes Zeichen für das Vorliegen eines entsprechenden Gesellschafterwillens sein.
33 M.w.N. BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, BGHZ 108, 187 = GmbHR 1990, 28. 34 BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, BGHZ 108, 187 = GmbHR 1990, 28. Könen | 203
§ 711a BGB Rz. 1 | Rechtsfähige Gesellschaft
§ 711a BGB Eingeschränkte Übertragbarkeit von Gesellschafterrechten ¹Die Rechte der Gesellschafter aus dem Gesellschaftsverhältnis sind nicht übertragbar. ²Hiervon ausgenommen sind Ansprüche, die einem Gesellschafter aus seiner Geschäftsbesorgung für die Gesellschaft zustehen, soweit deren Befriedigung außerhalb der Liquidation verlangt werden kann, sowie Ansprüche eines Gesellschafters auf einen Gewinnanteil oder auf dasjenige, was ihm im Fall der Liquidation zukommt. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. 1. 2. 3. II.
Allgemeines Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Eingeschränkte Übertragbarkeit von Gesellschafterrechten (Satz 1) . . . . . . . . 5 1. Verbandsrechtliches Abspaltungsverbot 6 a) Ansprüche der Gesellschafter aus dem Gesellschaftsverhältnis . . . . . . . . . . . . . 7 b) Überlassung zur Ausübung . . . . . . . . . 8 c) Treuhand, Nießbrauch, Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 2. Verwaltungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
III. 1. 2. 3. 4. 5.
b) Stimmbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kompetenzschutz der Gesellschafterversammlung . . . . . bb) Stimmbindungsverträge (gegenüber Dritten und Gesellschaftern) c) Minderjährige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übertragbarkeit von Vermögensrechten (Satz 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufwendungsersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . Gewinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auseinandersetzungsansprüche . . . . . . Gestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13 14 15 17 18 19 22 23 24 25
Schrifttum: Arlt, Verbot der Fremdorganschaft bei der GbR, NZG 2002, 407; Faust, Die Testamentsvollstreckung am Anteil eines persönlich haftenden Gesellschafters, DB 2002, 189; Goette, BGB-Gesellschaft: Stimmrecht bei Nießbrauchsbestellung, Anmerkung zu BGH, Urteil vom 9.11.1998, DStR 1999, 246; Goette, BGB-Gesellschaft: Testamentsvollstreckung am ererbten Anteil, Anmerkung zu BGH, Beschluss vom 10.1.1996, DStR 1996, 929; Hermanns, Übertragung von Mitgliedschaftsrechten an Dritte – Gestaltungsmöglichkeiten und -grenzen, ZIP 2005, 2284; Osterloh-Konrad, Die Selbstorganschaft in der Personengesellschaft – Wesenszug oder Anachronismus?, ZGR 2019, 271; Schön, Der Nießbrauch am Gesellschaftsanteil, ZHR 158 (1994), 229; Wachter, Stimmrechtsvollmachten bei der Übertragung von KG-Anteilen unter Vorbehaltsnießbrauch, DStR 2016, 2065; Wedemann, Das Stimmrecht beim Anteilsnießbrauch im Spiegel von Rechtsvergleichung und Rechtssetzungslehre, NZG 2013, 1281; Wedemann, Ist der Nießbraucher eines Gesellschaftsanteils wie ein Gesellschafter zu behandeln?, ZGR 2016, 798; Wertenbruch, Status und Haftung des Treugebers bei der Personengesellschafts-Treuhand, NZG 2013, 285.
I. Allgemeines 1. Überblick 1 Die Vorschrift regelt das rechtsformunabhängige sog. Abspaltungsverbot.1 Nach diesem
können einzelne mitgliedschaftliche Rechte und Pflichten nicht dauerhaft, von der Mitglied1 BGH v. 22.1.1962 – II ZR 11/61, BGHZ 36, 292; BGH v. 30.1.1995 – II ZR 105/94, DStR 1995, 1276; Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 44; Schön, ZHR 158 (1994), 229 251.
204 | Könen
Eingeschränkte Übertragbarkeit von Gesellschafterrechten | Rz. 5 § 711a BGB
schaft als solche abgetrennt, übertragen werden.2 Dies folgt aus der Höchstpersönlichkeit der Mitgliedschaft. Von der Übertragung zu unterscheiden, ist die Ausübung durch Dritte. Dabei entspricht es regelmäßig dem Willen der Gesellschafter, dass Pflichten nicht durch Dritte wahrgenommen werden dürfen, Rechte demgegenüber einer Delegation grundsätzlich zugänglich sind. Gegenüber der Vorgängerregelung des § 717 BGB a.F. stellt sich § 711a BGB als redaktionelle Überarbeitung dar, die dem gewandelten, von der Mitgliedschaft her gedachten, Verständnis der Gesellschafterstellung sprachlich entspricht.3 Während einzelne mitgliedschaftliche Rechte bzw. Pflichten nicht von der Mitgliedschaft ab- 2 gespalten werden können, sieht § 711a Abs. 2 BGB vor, dass Ansprüche aus einer Geschäftsbesorgung i.S.v. § 716 BGB, Ansprüche „auf einen Gewinnanteil“ sowie „dasjenige, was ihm im Fall der Liquidation zukommt“ vom Abspaltungsverbot ausgenommen sind und damit der Verfügung fähig sind. Auf diese Weise differenziert § 711a BGB zwischen dem Bestand eines mitgliedschaftlichen Wert- bzw. Vermögensrechts und dem daraus resultierenden konkreten Zahlungsanspruch gegen die Gesellschaft.
2. Normzweck Während die Mitgliedschaft als solche übertragen werden kann, sofern die Gesellschafter in 3 ihrer Gesamtheit ihre diesbezügliche Zustimmung erteilt haben, können einzelne Rechte und Pflichten nicht von der Mitgliedschaft abgespalten werden. Dieses verbandsrechtliche Abspaltungsverbot ergibt sich klarstellend aus der Regelung des § 711a BGB, folgt aber bereits unmittelbar aus der Höchstpersönlichkeit der Mitgliedschaft sowie dem in der Treuepflicht wurzelnden untrennbaren Zusammenhang der zwischen Mitgliedern und Verband wechselseitig bestehenden Rechte und Pflichten (Rz. 6).
3. Anwendungsbereich Ebenso wie die Vorgängerbestimmung des § 717 BGB a. F. verkörpert § 711a BGB einen all- 4 gemeinen verbandsrechtlichen Grundsatz, der auf alle Verbände Anwendung findet, mithin auch auf die oHG, KG und PartG (vgl. § 105 Abs. 3, § 161 Abs. 2 HGB, § 1 Abs. 4 PartGG).
II. Eingeschränkte Übertragbarkeit von Gesellschafterrechten (Satz 1) § 711a Satz 1 BGB hebt den Grundsatz der Höchstpersönlichkeit der Mitgliedschaft normativ 5 hervor. So kann die Mitgliedschaft als Ganzes zwar Verfügungsobjekt sein, wenn die Gesellschafter ihren diesbezüglichen Willen einverständlich zum Ausdruck bringen, einzelne mitgliedschaftliche Rechte und Pflichten sind demgegenüber in der Weise unselbstständig, dass sie nicht getrennt voneinander bestehen können. Hintergrund ist der Umstand, dass die zwischen den Mitgliedern und dem Verband wechselseitig bestehenden Rechte und Pflichten in einem untrennbaren Zusammenhang stehen.
2 Vgl. Drescher in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 47 GmbHG Rz. 75; Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 109 HGB Rz. 18; Weller/Reichert in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 14 GmbHG Rz. 119; Schäfer in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2018, § 109 HGB Rz. 25 ff., § 119 HGB Rz. 68 ff.; Schwennicke in Staudinger, 2019, § 38 BGB Rz. 281 ff.; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 8 AktG Rz. 27 ff. 3 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 145 f. Könen | 205
§ 711a BGB Rz. 6 | Rechtsfähige Gesellschaft
1. Verbandsrechtliches Abspaltungsverbot 6 Unmittelbar aus der Höchstpersönlichkeit der Mitgliedschaft folgt, dass einzelne Rechte und
Pflichten nicht isoliert übertragen werden können. Zwar befinden sich Rechte und Pflichten nicht in einem Synallagma (§ 708 BGB Rz. 15 ff.), gleichwohl werden mitgliedschaftliche Rechte grundsätzlich nur um den Preis korrespondierender Mitgliedspflichten zuerkannt. Dies betrifft einerseits das Verhältnis der Gesellschafter untereinander sowie dasjenige zur Gesellschaft, wie sie untrennbar durch die mitgliedschaftliche Treuepflicht verbunden sind, andererseits verlangt das dem gesellschaftsrechtlichen Normenbestand zugrunde liegende Wechselspiel von Herrschaft und Haftung, dass der selbstverantwortlichen Einstandspflicht eine hinreichend eigennützige, selbstbestimmte Gesellschafterteilhabe gegenüberstehen muss. a) Ansprüche der Gesellschafter aus dem Gesellschaftsverhältnis 7 Das Abspaltungsverbot bezieht sich grundsätzlich auf sämtliche Mitgliedsrechte – Verwal-
tungs- und Vermögensrechte (vgl. § 708 BGB Rz. 42 ff.).4 b) Überlassung zur Ausübung
8 Von der Abspaltung im Wege vollständiger Übertragung zu unterscheiden ist die zeitweilige
Delegation der Ausübung von Mitgliedsrechten. Anders als die Übertragung eines Rechts ist dessen Ausübung etwas, das in erster Linie die Interessen des berechtigten Mitglieds berührt, nicht aber diejenigen des Verbandes oder der anderen Mitglieder. Aus der Nichtausübung eines Rechts sind grundsätzlich lediglich Rechtsnachteile zu Lasten des Rechteinhabers betroffen. Die Delegation der Ausübung von Mitgliedsrechten kommt daher jedenfalls so weit in Betracht, wie diese Berechtigungen nicht mit einer unmittelbar korrespondierenden Verpflichtung zusammengehören. Besteht kein über die gemeinsame Anknüpfung an die Mitgliedschaft hinausgehender Zusammenhang werden der Delegation der Rechteausübung nur durch den untrennbaren Zusammenhang von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung Grenzen gesetzt. Aus diesem ergibt sich, dass sich ein Subjekt jedenfalls nicht so weit der Fremdbestimmung unterwerfen kann, als dass es dauerhaft im Rechtsverkehr der Fremdbestimmung durch einen Dritten ausgesetzt ist, weil dies dem allgemeinen Grundsatz zuwiderliefe, keine Verträge zu Lasten Dritter begründen zu können. Maßgeblich ist die Rückholbarkeit der Berechtigung.5 9 Die Wahrnehmung von Pflichten durch Dritte ist hingegen vor dem Hintergrund proble-
matisch, dass die Auswahl eines Gesellschafters häufig mit Blick auf dessen individuelle Fähigkeiten erfolgt. Zwar bietet sich grundsätzlich eine Differenzierung zwischen vertretbaren und unvertretbaren Handlungen zur Erfüllung einer mitgliedschaftlichen Pflicht an. Unter Berücksichtigung des konkreten Gesellschaftszwecks ist aber – insbesondere bei einem überschaubaren Gesellschafterbestand – grundsätzlich davon auszugehen, dass die Mitgesellschafter ein schützenswertes Interesse an der Erfüllung mitgliedschaftlicher Pflichten gerade durch den Gesellschafter persönlich gewollt haben. Anders als bei einer Berechtigung betrifft die Nicht- oder Schlechtausübung einer vereinbarten Verpflichtung unmittelbar die Interessen der Mitgesellschafter sowie des Verbandes. Im Regelfall handelt es sich bei der Wahrnehmung von Verwaltungspflichten daher um solche, die nach der gesellschaftsvertraglichen Vereinbarung höchstpersönlich ausgeübt werden sollen.
4 Vgl. zur Selbstorganschaft in der Personengesellschaft, Arlt, NZG 2002, 407; Osterloh-Konrad, ZGR 2019, 271. 5 BGH v. 15.12.1969 – II ZR 69/67, NJW 1970, 468; BGH v. 10.11.1951 – II ZR 111/50, BGHZ 3, 354.
206 | Könen
Eingeschränkte Übertragbarkeit von Gesellschafterrechten | Rz. 13 § 711a BGB
c) Treuhand, Nießbrauch, Testamentsvollstreckung Problematisch mit Blick auf die Höchstpersönlichkeit sind Treuhand,6 Nießbrauch7 und Tes- 10 tamentsvollstreckung,8 weil ein Dritter mit quasi dinglicher Wirkung an der Gesellschaft beteiligt wird; das Abspaltungsverbot steht ihnen aber nicht entgegen, wenn sie sich auf die gesamte Mitgliedschaft beziehen.9
2. Verwaltungsrechte Der Ausübung durch Dritte zugänglich sind grundsätzlich sämtliche Verwaltungsrechte 11 (§ 708 BGB Rz. 92 ff.). a) Grundlagen Ungeachtet der Unübertragbarkeit des Stammrechts können Verwaltungsrechte grundsätz- 12 lich Dritten zur Ausübung überlassen werden. Demgegenüber sind Verwaltungspflichten grundsätzlich durch das Mitglied selbst auszuüben (§ 708 BGB Rz. 92 ff.). b) Stimmbindung Die Ausübung des Stimmrechts kann auf Dritte delegiert werden, sofern die Gesellschafter 13 das Stimmrecht wieder an sich reißen können.10 Insoweit liegt kein Verstoß gegen das Abspaltungsverbot vor, weil der Bestand des Stimmrechts in der Person des Gesellschafters gewährleistet bleibt.11 Ferner ist die Ausübung des Stimmrechts zu unterscheiden von der Pflicht jedes Gesellschafters, sich an dem Gesellschaftsgeschehen aktiv zu beteiligen. Aus dieser nicht delegierbaren Pflicht folgt, dass die vertretenen Gesellschafter auf eine Mitwirkung ihrer Vertreter hinzuwirken haben. Problematisch ist, inwiefern sich ein Gesellschafter zu einer Stimmbindung verpflichten kann. Dies wird von der h.M. grundsätzlich bejaht; eine Unwirksamkeit komme im Einzelfall auf der Grundlage der Treuepflicht in Betracht.12 Dagegen spricht, dass die individuelle Wahrnehmung des Stimmrechts essenzieller Bestandteil der verbandsrechtlichen Willensbildung ist. Zwar können sich im Vorfeld einer Gesellschafterversammlung Vorpositionierungen herausbilden, dem Zweck der Gesellschafterversammlung als zentralem Willensbildungsorgan eines Verbandes liefe es aber zuwider, wenn eine Stimme ungeachtet des informierten Austauschs von Rede und Gegenrede unverrückbar vorgezeichnet ist. Auch wenn der Gesellschafter nicht selbst an der Gesellschafterversammlung teilnimmt, sondern sich in dieser vertreten lässt, kann der nicht vorfestgelegte Mitwirkungswille auf den jeweiligen Gesellschafter zurückgeführt werden. Einer Stimmbindung stehen 6 BGH v. 23.6.2003 – II ZR 46/02, NJW-RR 2003, 1392, 1393 = ZIP 2003, 1702; BGH v. 11.10.2011 – II ZR 242/09, NZG 2011, 1432 Rz. 16; Wertenbruch, NZG 2013, 285. 7 Vgl. BGH v. 20.4.1972 – II ZR 143/69, NJW 1972, 1755, 1756; BGH v. 9.11.1998 – II ZR 213/97, NJW 1999, 571, 572; Goette, DStR 1999, 246; Schön, ZHR 158 (1994), 229; Wachter, DStR 2016, 2065; Wedemann, NZG 2013, 1281; Wedemann, ZGR 2016, 798. 8 Zur Unvereinbarkeit persönlicher Gesellschafterhaftung, BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, NJW 1989, 3152 = GmbHR 1990, 28; BGH v. 12.1.1998 – II ZR 23/97, NJW 1998, 1313, 1314; vgl. Faust, DB 2002, 189; Goette, DStR 1996, 929. 9 Vgl. Enzinger in MünchKomm/BGB, 5. Aufl. 2022, § 109 BGB Rz. 13; Schön, ZHR 158 (1994), 229, 251 ff. 10 BGH v. 15.12.1969 – II ZR 69/67, NJW 1970, 468; BGH v. 10.11.1951 – II ZR 111/50, BGHZ 3, 354. 11 Vgl. Heidel in NK/BGB, 4. Aufl. 2021, § 709 BGB Rz. 61. 12 Vgl. BGH v. 24.11.2008 – II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 = NJW 2009, 669 = ZIP 2009, 216; Heidel in NK/BGB, 4. Aufl. 2021, § 709 BGB Rz. 62 m.w.N.; a.A. Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 717 BGB Rz. 25 f. Könen | 207
§ 711a BGB Rz. 13 | Rechtsfähige Gesellschaft die gesellschaftsrechtliche Förderpflicht sowie die mitgliedschaftliche Verpflichtung zur Teilhabe an der verbandsrechtlichen Willensbildung entgegen. Dieser Verpflichtungen kann sich ein Mitglied nicht privatautonom verlustig begeben. Ferner steht einer Verpflichtung zur Stimmbindung das notwendige Zusammenspiel aus Selbstbestimmung und Selbstverantwortung entgegen, wie es am Merkmal des Eigennutzes zu konkretisieren ist. So kann eine antizipierte Stimmbindung des Gesellschafters auf unvollständiger Informationsgrundlage – weil der Meinungsbildungsprozess der Gesellschafterversammlung abgeschnitten wird – darauf hinauslaufen, dass die Zustimmung oder Ablehnung dem eigentlichen Nutzen zuwiderläuft, so dass es letztlich kein eigennütziges, selbstbestimmtes Verhalten des Gesellschaftes gibt, welches aber erforderlich ist, um die eigenverantwortliche Haftung der Gesellschafter einer Personengesellschaft zu legitimieren. aa) Kompetenzschutz der Gesellschafterversammlung 14 Von einer derartigen unzulässigen Stimmbindung zu unterscheiden ist die kollektive Rech-
tewahrnehmung durch einen Stimmrechtsvertreter, der aber seinerseits vollumfänglich an der Gesellschafterversammlung teilnimmt. Sofern sich Gesellschafter in einem vorgelagerten Schritt dessen Stimmrechtsausübung unterwerfen, ist die Funktion der Gesellschafterversammlung gewahrt. Maßgeblich ist die Möglichkeit mit der Stimmrechtsabgabe noch auf die ausgetauschten Argumente reagieren zu können. Unproblematisch ist es dann auch, wenn Gesellschafter sich im Vorfeld – auch im Wege von Mehrheitsentscheidungen – der Stimmrechtsausübung des Stimmrechtsvertreter unterwerfen oder sich über dessen strategisches Stimmrechtsverhalten abstimmen. bb) Stimmbindungsverträge (gegenüber Dritten und Gesellschaftern) 15 Ist die Funktionsfähigkeit der Gesellschafterversammlung in diesem Sinne gewahrt, stehen
darüberhinausgehende Stimmbindungsverträge der Wirksamkeit einer Stimmrechtsabgabe nicht entgegen. Dabei ist es unerheblich, ob sich Gesellschafter Dritten oder anderen Gesellschaftern gegenüber verpflichten, weil derartige schuldrechtliche Vereinbarungen zunächst ohne jegliche Auswirkung auf die Stimmrechtsabgabe im Außenverhältnis bleiben. Gleichwohl werden Stimmrechtsbindungen gegenüber Dritten bzw. Mitgesellschaftern unter Verweis auf die von der Rechtsprechung angenommene Vollstreckbarkeit von Stimmbindungsverträgen uneinheitlich behandelt.13 16 Nach der Rechtsprechung soll die Vollstreckbarkeit von Stimmbindungsverträgen nach
§ 894 ZPO möglich sein,14 wenngleich diese in der Praxis ganz regelmäßig nicht rechtzeitig erwirkt werden kann. Stimmbindungsvereinbarungen können hingegen nur vollstreckbar sein, sofern die eingegangene Verpflichtung auf der Grundlage zutreffender Annahmen getroffen wurde. Verändern sich im Rahmen der Gesellschafterversammlung auf der Grundlage von Rede und Gegenrede die der Stimmrechtsbindung zugrunde liegenden Annahmen, kann der Gesellschafter nach dem Rechtsgedanken des § 313 BGB nicht an seine Zusage gebunden sein. Zu einer Funktionsstörung der Gesellschafterversammlung kommt es vor diesem Hintergrund regelmäßig nicht. c) Minderjährige 17 Sofern Minderjährige auf der Grundlage des Einverständnisses ihrer gesetzlichen Vertreter
bzw. einer gerichtlichen Genehmigung nach § 1643 Abs. 1, § 1852 Nr. 1 Buchst. b, Nr. 2 BGB
13 Vgl. Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 717 BGB Rz. 23 ff. 14 BGH v. 29.5.1967 – II ZR 105/66, BGHZ 48, 163 = NJW 1967, 1963.
208 | Könen
Eingeschränkte Übertragbarkeit von Gesellschafterrechten | Rz. 20 § 711a BGB
wirksam Gesellschafter einer Personengesellschafter geworden sind, erfolgt die Stimmabgabe grundsätzlich durch ihren gesetzlichen Vertreter, weil er nur durch diesen rechtsgeschäftlich handlungsfähig ist. Problematisch ist, inwiefern Erklärungen zur Änderung des Gesellschaftsvertrages zusätzlich einer gerichtlichen Genehmigung bedürfen. Nach Auffassung der Rechtsprechung ist dies – weil mit der ursprünglichen gerichtlichen Genehmigung einer rechtsformbezogene Eingangskontrolle stattgefunden hat – nur erforderlich, wenn sich die mitgliedschaftlichen Verpflichtungen in einer Weise ändern, die einer wesentlichen Strukturänderung der gesellschaftsrechtlichen Haftungsverfassung gleichkommen.15
III. Übertragbarkeit von Vermögensrechten (Satz 2) Systematisch und terminologisch bestimmt § 711a Satz 2 BGB eine Ausnahme von dem in 18 Satz 1 geregelten Abspaltungsverbot. Danach können Ansprüche „auf einen Gewinnanteil“ sowie „dasjenige, was ihm im Fall der Liquidation zukommt“, übertragen werden. Dahinter verbirgt sich die gesetzliche Wertung, dass hinsichtlich solcher Mitgliedsrechte bzw. -pflichten, die schlicht auf Zahlung von Geld gerichtet sind, keine mitgliedschaftlichen Rechtspositionen betroffen sind, die einer Übertragung oder Delegation entgegenstehen könnten. Vor dem Hintergrund, dass es sich bei einem selbstbestimmten Gesellschafterverhalten stets auch um ein eigennütziges handeln muss, um dieses einer selbstverantwortlichen Einstandspflicht gegenüberstellen zu können, kommt eine Übertragung des Stammrechts nicht in Betracht. Vermögensrechte bzw. -pflichten müssen sich bereits hinreichend zu einem konkreten Zahlungsanspruch konkretisiert haben, um der Verfügung zugänglich sein zu können.
1. Grundsatz Vor dem Hintergrund der Höchstpersönlichkeit der Mitgliedschaft sind mitgliedschaftliche 19 Vermögensrechte und -pflichten grundsätzlich ebenfalls nicht übertragbar. § 711a Satz 2 BGB differenziert aber hinsichtlich des Vermögensrechts, wie es untrennbar mit der Mitgliedschaft verbunden ist sowie den aus dem Stammrecht erwachsenen und in einen allgemeinen Zahlungsanspruch übergeleiteten konkreten Zahlungsansprüchen gegen die Gesellschaft. Eine Höchstpersönlichkeit dieser Berechtigung besteht kraft Gesetzes nicht. Schützenswerte Belange der Gesellschaft bzw. der Mitgesellschafter existieren diesbezüglich nicht. Anders als bei der Delegation von Verwaltungspflichten, sind durch die Vermögenspflichten 20 eines Mitglieds die Interessen der anderen Gesellschafter an einer höchstpersönlichen Erfüllung durch das Mitglied jedenfalls dann nicht betroffen, wenn diese auf die Leistung eines Entgelts gerichtet sind. Diese Ausnahme vom Grundsatz der Höchstpersönlichkeit mitgliedschaftlicher Verpflichtungen ergibt sich aus der § 711a Satz 2 BGB zugrunde liegenden Wertung, dass im Rahmen von schlicht auf die Zahlung von Geld gerichteten Forderungen – unabhängig von der Inhaberschaft – gesellschaftsrechtliche Interessen nicht beeinträchtigt werden. Auch mit Blick auf die Delegation von Verwaltungspflichten bedeutet dies daher nicht, dass sich dadurch der normative Standard verschiebt. Dies ergibt sich für alle Personenaußengesellschaften – entgegen dem Regelfall bei Personengesellschaften des Handelsrechts – aus der Regelung des § 709 Abs. 1 BGB der die Beitragsleistung durch Dienste den sonstigen Förderbeiträgen gleichstellt. Nur auf Geld gerichtete Beitragszahlungen können daher durch einen Dritten beglichen werden, sofern die Verpflichtung dem Grunde nach auf das Mitglied bezogen bleibt. Es ist schließlich die Solvenz des konkreten Mitglieds, welche die Mitgesellschafter im Rahmen der Vereinbarung des Verbandszwecks in den privatautonomen Abwä-
15 Vgl. BGH v. 7.10.1991 – II ZR 194/90, NJW 1992, 300, 301 = GmbHR 1991, 569. Könen | 209
§ 711a BGB Rz. 20 | Rechtsfähige Gesellschaft gungsprozess einbezogen und in Einklang mit ihren eigenen Präferenzen und Verpflichtungen eingepreist haben. 21 Aus dem Abspaltungsverbot folgt, dass künftige Forderungen erst mit dem Entstehen der
Forderung erworben werden können, eine aufschiebend bedingte Entstehung kommt nicht in Betracht, weil es auf diese Weise zu einem Auseinanderfallen von Mitgliedschaft und Vermögensrechten kommen würde.16 Vor diesem Hintergrund können sich Pfändung und Verpfändung auch nur auf entstandene Forderungen erstrecken. Dem steht nicht entgegen, dass Aufwendungsersatzansprüche, Gewinnansprüche oder Ansprüche auf das Auseinandersetzungsguthaben nicht vorweg übertragen werden können.
2. Aufwendungsersatz 22 Der übertragbare Aufwendungsersatzanspruch ist spezialgesetzlich in § 716 Abs. 1 BGB ge-
regelt. Dem Aufwendungsersatzanspruch gegenüber der Gesellschaft wertungsmäßig gleichzustellen ist der Ausgleichsanspruch gegenüber den Mitgesellschaftern nach § 426 Abs. 1 BGB im Falle der Inanspruchnahme auf der Grundlage des § 721 BGB. Nicht abtretbar sind die in § 716 Abs. 2 BGB geregelten Vorschussansprüche, weil diese unmittelbar an die Mitgliedschaft anknüpfen und zweckgebunden eingesetzt werden sollen. Eine Übertragbarkeit würde vereiteln, dass der Gesellschafter aufgrund seiner Treuepflicht gehalten ist, die Gesellschaftsverbindlichkeit daraus zu begleichen. Ebenfalls nicht übertragbar sind etwaige Freistellungsansprüche, weil auch diese der mitgliedschaftlichen Bindung unterliegen und nicht von dieser abgespalten werden können.17
3. Gewinn 23 Übertragbar ist lediglich der konkret entstandene Anspruch auf Gewinnauszahlung, wie
er durch den Gesellschafter auf ein Gesellschafter-Darlehenskonto – als Ausweis des Fremdkapitals – umgebucht werden kann. Dies setzt einerseits die Feststellung des Jahresabschlusses voraus, andererseits kann der Anspruch nur zur Entstehung gelangen, wenn der Gesellschafter auch noch zum Zeitpunkt der Entstehung Mitglied der Gesellschaft ist. In Anbetracht der Tatsache, dass die Gewinnfeststellung mitgliedschaftliches Recht ist und in die Kompetenz der Gesellschafterversammlung fällt, kann der potentielle Zessionar eine solche nicht von der Geschäftsführung verlangen. Gesellschaftsrechtliche Beschränkungen des Gewinnrechts sind untrennbar mit diesem verbunden. Ist der Gesellschafter zum Zeitpunkt der Entstehung ausgeschieden, verfügt er gegenüber demjenigen, dem die Mitgliedschaft angewachsen ist, bzw. demjenigen, der die Rechtsnachfolge in die Mitgliedschaft angetreten hat, als Nichtberechtigter.
4. Auseinandersetzungsansprüche 24 Die Auseinandersetzungsansprüche gegenüber der Gesellschaft gelangen im Falle einer Ab-
tretung in dem Umfang zur Entstehung, wie sie dem Gesellschafter auf der Grundlage der Schlussabrechnung unter Verrechnung der Gesellschafterkonten zukommen.
16 Vgl. BGH v. 11.7.1988 – II ZR 1988, NJW 1989, 453; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 717 BGB Rz. 31. 17 Vgl. Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 717 BGB Rz. 34.
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Ausscheiden eines Gesellschafters; Eintritt eines neuen Gesellschafters | § 712 BGB
5. Gestaltung Gesellschaftsvertragliche Veränderungen der Vermögensrechte sind – ungeachtet einer Vo- 25 rausabtretung der künftig zur Entstehung gelangenden Forderungen – unbeschränkt in dem Maße möglich, wie sie der gesellschaftsvertraglichen Gestaltbarkeit unter Beachtung der allgemeinen Mitgliedsrechte zugänglich sind. Vor dem Hintergrund, dass sie das mitgliedschaftliche Stammrecht modifizieren, haben sie zwar unmittelbare Auswirkungen auf die entstehenden Zahlungsansprüche, eine Disposition über die Stammrechte zugunsten Dritter ist in Anbetracht des Abspaltungsverbots indes nicht möglich und somit ungeachtet einer Abtretung unerheblich. Ebenso führt die Übertragung der Mitgliedschaft dazu, dass die Zahlungsansprüche in der Person eines anderen Mitglieds zur Entstehung gelangen und damit nicht von dem ausgeschiedenen Zedenten übertragen werden können; mangels Entstehung in seiner Person fehlt ihm insoweit die Verfügungsbefugnis. Der Zessionar kann seine vermögensrechtlichen Interessen nur dadurch stärken, dass er die Mitgliedschaft als solche – und damit auch die aus dieser resultierenden Vermögensrechte – pfändet.
§ 712 BGB Ausscheiden eines Gesellschafters; Eintritt eines neuen Gesellschafters (1) Scheidet ein Gesellschafter aus der Gesellschaft aus, so wächst sein Anteil an der Gesellschaft den übrigen Gesellschaftern im Zweifel im Verhältnis ihrer Anteile zu. (2) Tritt ein neuer Gesellschafter in die Gesellschaft ein, so mindern sich die Anteile der anderen Gesellschafter an der Gesellschaft im Zweifel im Umfang des dem neuen Gesellschafter zuwachsenden Anteils und in dem Verhältnis ihrer bisherigen Anteile. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. 1. 2. 3. II.
Allgemeines Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . Personengesellschaftsrechtliches Prinzip der Anwachsung . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzliches Leitbild sozietätsbedingter Anwachsung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sozietätskonstruktion als einzige strukturprägende Rechtsformvoraussetzung b) Legitimierungsbedürfnis jeglicher Haftungsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bedeutung persönlicher Gesellschafterhaftung . . . . . . . . . .
1 2 3 4 5 7 8
bb) Kompensation desjenigen Gläubigerschutzdefizits, wie es aus der Aushöhlung eines Verbandes durch die Gesellschaftergesamtheit resultiert . . . . . . . . . . . cc) Weicher Kapitalschutz im Recht der Personengesellschaften . . . . . . 2. Ausscheiden eines Gesellschafters . . . . . a) Rechtsstellung des Ausgeschiedenen . b) Auseinandersetzungsansprüche zwischen Gesellschafter und Gesellschaft III. Eintritt eines neuen Gesellschafters; Abwachsung (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . .
10 11 13 15 16 18
9
Schrifttum: Dißars, Das Informationsrecht des ausgeschiedenen Gesellschafters gegen die Gesellschaft, DStR 2020, 1514; Früchtl, Die Anwachsung gem. § 738 I 1 BGB – Unbeachteter Eckpfeiler und gestaltbares Instrument des Personengesellschaftsrechts, NZG 2007, 368; K. Schmidt, „Anwachsung“: Was ist das, und … gibt es das noch? Gedanken zu § 738 Abs. 1 Satz 1 BGB vor dem Hintergrund der „Gesamthandsdiskussion“, in FS Huber, 2006, S. 969. Könen | 211
Ausscheiden eines Gesellschafters; Eintritt eines neuen Gesellschafters | § 712 BGB
5. Gestaltung Gesellschaftsvertragliche Veränderungen der Vermögensrechte sind – ungeachtet einer Vo- 25 rausabtretung der künftig zur Entstehung gelangenden Forderungen – unbeschränkt in dem Maße möglich, wie sie der gesellschaftsvertraglichen Gestaltbarkeit unter Beachtung der allgemeinen Mitgliedsrechte zugänglich sind. Vor dem Hintergrund, dass sie das mitgliedschaftliche Stammrecht modifizieren, haben sie zwar unmittelbare Auswirkungen auf die entstehenden Zahlungsansprüche, eine Disposition über die Stammrechte zugunsten Dritter ist in Anbetracht des Abspaltungsverbots indes nicht möglich und somit ungeachtet einer Abtretung unerheblich. Ebenso führt die Übertragung der Mitgliedschaft dazu, dass die Zahlungsansprüche in der Person eines anderen Mitglieds zur Entstehung gelangen und damit nicht von dem ausgeschiedenen Zedenten übertragen werden können; mangels Entstehung in seiner Person fehlt ihm insoweit die Verfügungsbefugnis. Der Zessionar kann seine vermögensrechtlichen Interessen nur dadurch stärken, dass er die Mitgliedschaft als solche – und damit auch die aus dieser resultierenden Vermögensrechte – pfändet.
§ 712 BGB Ausscheiden eines Gesellschafters; Eintritt eines neuen Gesellschafters (1) Scheidet ein Gesellschafter aus der Gesellschaft aus, so wächst sein Anteil an der Gesellschaft den übrigen Gesellschaftern im Zweifel im Verhältnis ihrer Anteile zu. (2) Tritt ein neuer Gesellschafter in die Gesellschaft ein, so mindern sich die Anteile der anderen Gesellschafter an der Gesellschaft im Zweifel im Umfang des dem neuen Gesellschafter zuwachsenden Anteils und in dem Verhältnis ihrer bisherigen Anteile. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. 1. 2. 3. II.
Allgemeines Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . Personengesellschaftsrechtliches Prinzip der Anwachsung . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzliches Leitbild sozietätsbedingter Anwachsung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sozietätskonstruktion als einzige strukturprägende Rechtsformvoraussetzung b) Legitimierungsbedürfnis jeglicher Haftungsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bedeutung persönlicher Gesellschafterhaftung . . . . . . . . . .
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bb) Kompensation desjenigen Gläubigerschutzdefizits, wie es aus der Aushöhlung eines Verbandes durch die Gesellschaftergesamtheit resultiert . . . . . . . . . . . cc) Weicher Kapitalschutz im Recht der Personengesellschaften . . . . . . 2. Ausscheiden eines Gesellschafters . . . . . a) Rechtsstellung des Ausgeschiedenen . b) Auseinandersetzungsansprüche zwischen Gesellschafter und Gesellschaft III. Eintritt eines neuen Gesellschafters; Abwachsung (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . .
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Schrifttum: Dißars, Das Informationsrecht des ausgeschiedenen Gesellschafters gegen die Gesellschaft, DStR 2020, 1514; Früchtl, Die Anwachsung gem. § 738 I 1 BGB – Unbeachteter Eckpfeiler und gestaltbares Instrument des Personengesellschaftsrechts, NZG 2007, 368; K. Schmidt, „Anwachsung“: Was ist das, und … gibt es das noch? Gedanken zu § 738 Abs. 1 Satz 1 BGB vor dem Hintergrund der „Gesamthandsdiskussion“, in FS Huber, 2006, S. 969. Könen | 211
§ 712 BGB Rz. 1 | Rechtsfähige Gesellschaft
I. Allgemeines 1. Überblick 1 § 712 BGB regelt das spezifisch personengesellschaftsrechtliche Prinzip der An- (Abs. 1) bzw.
Abwachsung (Abs. 2). Verbunden mit dem personengesellschaftsrechtlichen Vertragsgrundsatz folgt daraus die strukturprägende Sozietätskonstruktion des Personenverbandes, der seine Rechtsfähigkeit auf dem Fundament mindestens zweier gesellschaftsvertraglich verbundener Mitgliedschaften gründet (§ 708 BGB Rz. 35 ff.).
2. Normzweck 2 Die Regelung der An- bzw. Abwachsung ist konstitutive Rahmenbedingung für die Wahl
der Personenaußengesellschaft als verbandsrechtliche Rechtsform (§ 708 BGB Rz. 35 ff.). Ohne diese haben Rechtssubjekte im Rahmen des numerus clausus keinen Zugang zur Vereinigungsform des Personenverbandes.
3. Anwendungsbereich 3 Die Vorschrift findet unmittelbar Anwendung auf alle Personenverbände (vgl. § 105 Abs. 3,
§ 161 Abs. 2 HGB, § 1 Abs. 4 PartGG).
II. Personengesellschaftsrechtliches Prinzip der Anwachsung 4 Die Vorschrift regelt – anders als § 5 Abs. 2 Satz 2 GmbHG, § 15 Abs. 2 GmbHG, §§ 8, 23
Abs. 2 Nr. 2 AktG, die eine formale Trennung von Gesellschaftsanteilen – wie sie in Gesellschafterlisten bzw. Aktienregistern geführt werden – vorsehen, auch wenn diese von einem Mitglied gehalten werden – die Anwachsung von Gesellschaftsanteilen, die sich in den Händen eines Gesellschafters befinden. Im Prinzip der Anwachsung kommt der personengesellschaftsrechtliche Grundsatz der „Einheitlichkeit der Mitgliedschaft“ zum Ausdruck. Das Prinzip der Anwachsung greift unabhängig davon, ob Gesellschaftsanteile rechtsgeschäftlich erworben werden oder ob ein Gesellschafter aus der Gesellschaft austritt.1 Zwar handelt es sich bei dem rechtsgeschäftlichen Erwerb eines Gesellschaftsanteils anders als bei dem Einbzw. Austritt eines Gesellschafters im Ausgangspunkt nicht um ein Problem von An- bzw. Abwachsung, sondern um eine Frage der Rechtsnachfolge, wie dies in § 712a BGB zum Ausdruck kommt.2 Jedoch führt das Prinzip der Anwachsung dazu, dass auch der Hinzuerwerb eines nicht mit Rechten Dritter belasteten Gesellschaftsanteils (§ 708 BGB Rz. 40) zur Folge hat, dass sich diese mit den bestehenden Anteilen in einer Mitgliedschaft vereinigen. Diese personengesellschaftsrechtliche Folge führt dazu, dass ein Personenverband, der notwendig auf einem Fundament schuldrechtlich verbundener Mitgliedschaften beruht, grundsätzlich nur von mehreren Gesellschaftern getragen werden kann, weil es anderenfalls zu einer verbandsschädlichen Vereinigung in einer einzigen Mitgliedschaft käme.3 Die gesetzliche Anordnung der Anwachsung stellt eine normative Anerkennung der Sozietätskonstruktion der Personengesellschaften als Ausprägung der personengesellschaftsrechtlichen Organisationsverfassung dar. Wenn alle Anteile in einer Person zusammenfallen, bedeutet dies, dass
1 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 105 HGB Rz. 41; abweichend Kießling in FS Hadding, 2004, S. 497. 2 Bippus, AcP 195 (1995), 13, 26. 3 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, 4. Aufl., § 8 IV 2 a.
212 | Könen
Ausscheiden eines Gesellschafters; Eintritt eines neuen Gesellschafters | Rz. 7 § 712 BGB
die sozietätsmäßige Existenzgrundlage der Personenaußengesellschaft entfällt und dem dauerhaften Fortbestand als Einmitglieds-Personengesellschaft entgegensteht.4
1. Gesetzliches Leitbild sozietätsbedingter Anwachsung Die notwendige Sozietätskonstruktion von Personenaußengesellschaften wird veranlasst 5 durch das in § 712 Abs. 1, § 712a BGB zum Ausdruck kommende Prinzip der Anwachsung, wobei § 712a BGB gegenüber § 712 BGB lediglich klarstellende Bedeutung zukommt. Während juristische Personen im Rahmen des numerus clausus der Rechtsformen ihre 6 Rechtssubjektivität aus einem staatlichen Mitwirkungsakt herleiten – sei es durch die Eintragung in Handels-, Vereins- oder Genossenschaftsregister oder im Wege verwaltungsrechtlicher Verleihung oder Erlaubnis5 – erfahren Personenaußengesellschaften ihre Rechtsfähigkeit aus dem durch die Rechtsordnung für alle zivilrechtlichen Personenvereinigungen anerkannten Konstituierungsakt der Vereinbarung eines gemeinsamen Verbandszwecks,6 verbunden mit bestimmten tatbestandlichen Voraussetzungen, anhand derer die verschiedenen Personengesellschaften, wie GbR, oHG und KG, unterschieden werden. Notwendiges Fundament der Rechtssubjektivität von Personenaußengesellschaft ist die in dem Prinzip der Anwachsung sowie der schuldrechtlichen Natur des Gesellschaftsvertrages zum Ausdruck kommende sog. Sozietätskonstruktion (§ 708 BGB Rz. 35 ff.).7 Gleichwohl bestehen strukturelle Eigenheiten gegenüber den juristischen Personen nur vor dem Hintergrund dieser Sozietätskonstruktion, wie sie in der schuld- und organisationsrechtlichen Verbindung mindestens zweier Mitglieder sowie der gesetzlichen Regelung der Anwachsung für die Personenaußengesellschaften zum Ausdruck kommt.8 a) Sozietätskonstruktion als einzige strukturprägende Rechtsformvoraussetzung Die aus dem Prinzip der Anwachsung folgende und gesellschaftsvertraglich vermittelte 7 Verbindung mindestens zweier Mitgliedschaften – das sog. Sozietätsfundament – bedingt, dass die Personenaußengesellschaft auch keine Anteile an sich selbst halten kann, weil die Gesellschaft in diesem Fall Teil ihres eigenen, die Rechtsfähigkeit konstituierenden, rechtlichen Fundaments sein müsste. So müsste die Gesellschaft an einem Organisationsvertrag mitwirken, der sie selbst erst – als Fundament – konstituiert und am Leben hält. Dadurch, dass die Mitgliedschaft in einem Verband ihrerseits aber die Rechtsfähigkeit der Organisationseinheit voraussetzt, kann die Teilhabe eines ohne das Sozietätsfundament nicht existenten Verbandes diesen auch nicht konstituieren. Angesichts dessen kann die Personengesellschaft jedenfalls nicht in Verbindung mit nur einem anderen Mitglied Gesellschafter von sich selbst sein. Zutreffend bestimmt aber § 711 Abs. 1 BGB, dass jeglicher Erwerb eigener Anteile durch die Personengesellschaft ausgeschlossen ist, auch wenn zwei weitere Mitgliedschaften bestehen (§ 708 BGB Rz. 38 ff.).
4 Vgl. Früchtl, NZG 2007, 368; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 105 HGB Rz. 72 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 8 IV 2 b; Wertenbruch in E/B/J/S, § 105 HGB Rz. 149; a.A. Priester, ZIP 2014, 245. 5 Vgl. Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 30 ff., 67 ff.; Leuschner in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2021, Vor § 21 BGB Rz. 1 ff., 12 f.; Schöpflin in BeckOK/BGB, Stand: 1.8.2022, § 21 BGB Rz. 7. 6 Kießling in FS Hadding, 2004, S. 480 f.; Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 41 ff.; G. Roth, Verbandszweck und Gläubigerschutz, 2021, § 10 A.II. 7 Vgl. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 144 f. 8 Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 67 ff. Könen | 213
§ 712 BGB Rz. 8 | Rechtsfähige Gesellschaft b) Legitimierungsbedürfnis jeglicher Haftungsverfassung 8 Strukturelle Eigenheiten gegenüber den juristischen Personen ergeben sich nur vor dem
Hintergrund dieser Sozietätskonstruktion, wie sie in der schuld- und organisationsrechtlichen Verbindung mindestens zweier Mitglieder sowie der gesetzlichen Regelung der Anwachsung für die Personenaußengesellschaften zum Ausdruck kommt. Sonstige Organisationsunterschiede sind lediglich Ausdruck eines rechtsformspezifisch-normativen Regel-Ausnahme-Verhältnisses.9 Klammert man das Sozietätserfordernis aus, so entpuppen sich vermeintliche „strukturelle“ Unterschiede im Übrigen als bloße Frage nach dem gesetzlich zugrunde gelegten Regel-Verhältnis, jedoch ist dieses weitestgehend dispositiv, so dass im Gesellschaftsvertrag bzw. der Satzung entgegengesetzt abgewichen werden kann.10 aa) Bedeutung persönlicher Gesellschafterhaftung 9 Insbesondere handelt es sich bei dem Grundsatz persönlicher Gesellschafterhaftung nicht um
einen die Struktur des Verbandes in besonderem Maße prägenden Aspekt, der geeignet ist, Personengesellschaften von juristischen Personen abzugrenzen. Mit der Verlagerung des rechtssubjektiven Anknüpfungspunktes einer Gesellschaftsverbindlichkeit von den Gesellschaftern auf die Gesellschaft wird der normative Standard umgekehrt, so dass nicht die Beschränkung der Einstandspflicht auf ein Sondervermögen legitimierungsbedürftig ist, sondern die Ausweitung der Haftung auf die Gesellschafter als schuldnerfremde Rechtssubjekte. Vor diesem Hintergrund ist die Anordnung persönlicher Gesellschafterhaftung in gleichem Maße legitimierungsbedürftig, wie es die Kapitalaufbringungs- und Kapitalschutzverschriften des Rechts der Kapitalgesellschaften sind. Es ist fortan der Personenverband, der „dem allgemeinen Grundsatz des bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts“ nach unbeschränkter Vermögenshaftung unterliegt, wonach „derjenige, der als Einzelperson oder in Gemeinschaft mit anderen Geschäfte betreibt, für die daraus entstehenden Verpflichtungen mit seinem gesamten Vermögen haftet, solange sich aus dem Gesetz nichts anderes ergibt oder mit dem Vertragspartner keine Haftungsbeschränkung vereinbart wird.“11 In konsequenter Anwendung dieses Grundsatzes der geltenden Rechtsordnung sind es nicht die Gesellschafter, die in „Gemeinschaft mit anderen“ Geschäfte betreiben, sondern es ist die Personenaußengesellschaft, die „als Einzelperson“ agiert. Daher kann aus dem Umstand, dass es im Recht der Kapitalgesellschaften regelmäßig Vorschriften über die Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung gibt, nicht logisch zwingend darauf geschlossen werden, dass es im Recht der Personengesellschaften deswegen einer persönlichen Gesellschafterhaftung bedarf, weil es dort solche Regelungen nicht gibt; maßgeblicher Vergleichssachverhalt ist vielmehr ein Rechtsverhältnis mit einer natürlichen Person anstatt mit einem Verband. Dies zeigt sich insbesondere daran, dass ein Zusammenschluss in der Rechtsform des Vereins – ungeachtet etwaiger wirtschaftlicher Betätigung – möglich ist, ohne dass die Mitglieder für Verbindlichkeiten des Verbandes einzustehen haben. Der Gläubigerschutz wird bei diesen Rechtsformen durch die Unzulässigkeit von Liquiditätsausschüttungen an die Mitglieder gewährleistet.12
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Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 67 ff. Vgl. Schäfer in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2018, Vor § 105 HGB Rz. 7, 15 ff. BGH v. 27.9.1999 – II ZR 371/98, BGHZ 142, 315–323 = juris Rz. 12 = GmbHR 1999, 1134. BGH v. 16.5.2017 – II ZB 7/16, BGHZ 215, 69 = NJW 2017, 1943 Rz. 19 = ZIP 2017, 1021; BGH v. 11.9.2018 – II ZB 11/17, NZG 2018, 1392, 1393 = ZIP 2018, 2165; OLG Stuttgart v. 11.1.2022 – 8 W 233/21, NZG 2022, 1017; dies verkennend, OLG Celle v. 6.10.2021 – 9 W 99/21, ZIP 2021, 2485 (Rechtsmittel nicht zugelassen, Verfassungsbeschwerde anhängig), Könen in BeckOGK/BGB, Stand: 1.4.2023, § 43 BGB Rz. 10 ff.
214 | Könen
Ausscheiden eines Gesellschafters; Eintritt eines neuen Gesellschafters | Rz. 11 § 712 BGB
bb) Kompensation desjenigen Gläubigerschutzdefizits, wie es aus der Aushöhlung eines Verbandes durch die Gesellschaftergesamtheit resultiert So kommt § 721 BGB keine unmittelbar in Zusammenhang mit der Sozietätskonstruktion 10 stehende Funktion zu, sondern eine allgemein verbandsrechtliche Auffangfunktion für solche Verbandsformen, bei denen ein hinreichender Schutz der Gläubiger vor verbandsspezifischen Risiken anderenfalls nicht gewährleistet wäre. Das rechtliche Bedürfnis einer Haftung der Gesellschafter für Verbindlichkeiten der Gesellschaft resultiert daraus, dass die Gläubiger eines Verbandes vor solchen Gefahren zu schützen sind, die daraus resultieren, dass sie – anstatt mit einer natürlichen Person – mit einem Verband in Rechtsbeziehungen stehen. Erkennt man die Rechtsfähigkeit von Verbänden an, beschränkt sich ein verbandsspezifisches Risiko darauf, dass die Mitglieder in ihrer Gesamtheit den Verband auf der Grundlage gesellschaftsvertraglicher oder satzungsändernder Vereinbarung den Verband von innen aushöhlen und als bloße Rechtshülse in den Rechtsverkehr entlassen können. Im Übrigen sind Gläubigerinteressen nicht betroffen, sofern der Verband über hinreichendes Vermögen verfügt, welches im Rahmen von Verbindlichkeiten den Gläubigern funktional – die Zuständigkeit der Rechte noch nicht betreffend – zugewiesen werden kann. § 721 BGB kommt vor diesem Hintergrund dergestalt eine Auffangfunktion zu, dass die Gläubiger des Verbandes auf die Vermögensverbindungen der Mitglieder zugreifen können, wenn sich anderenfalls diese verbandsspezifischen Risiken nicht kompensieren ließen. Während im Recht der Kapitalgesellschaften diesem verbandsspezifischen Risiko im Wege eines auf den Ausgleich zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern zielenden Kapitalschutzregimes abschließend begegnet werden soll, wird der Gläubigerschutz im Vereinsrecht auf der Grundlage eines Systems von Normativbestimmungen dadurch begegnet, dass die Verbandstätigkeit strukturell nicht auf eine Gewinnausschüttung gerichtet sein darf, was in der tatsächlichen Art der Verfolgung des Verbandszwecks zum Ausdruck kommt.13 Insbesondere für den Fall rechtsformverfehlender Verbandsgestaltungen kommt ein Rückgriff auf § 721 BGB in Betracht, ohne dass zugleich die Anforderungen an die Sozietätskonstruktion erfüllt sein müssen. cc) Weicher Kapitalschutz im Recht der Personengesellschaften Dadurch, dass die Gesetzesbegründung zum MoPeG die persönliche Gesellschafterhaftung in 11 der Weise zu legitimieren versucht, dass es im Recht der Personengesellschaften an einer Kapitalsicherung fehle,14 wird sie der vermögenstragenden Rechtssubjektivität der Personenverbände nicht gerecht. So bleibt unberücksichtigt, dass die verbandsrechtliche Willensbildung in Anbetracht der Sozietätskonstruktion stets eine kollektive ist. Daraus folgt, dass der einzelne Gesellschafter dem Personenverband stets als Rechtssubjekt gegenübertritt, dessen Kollektivinteresse sich von dem Individualinteresse des Gesellschafters unterscheidet. Im marktwirtschaftlichen System wird sich die Gesellschaft zu einer Leistung an den einzelnen Gesellschafter nur dann verpflichten, wenn sie dafür ein vermögensausgleichendes Äquivalent erhält.15 So liegt dem bürgerlich-handelsrechtlichen Gesamtsystem ein vermögensrechtliches
13 BGH v. 16.5.2017 – II ZB 7/16, BGHZ 215, 69 = NJW 2017, 1943 Rz. 19 = ZIP 2017, 1021; BGH v. 11.9.2018 – II ZB 11/17, NZG 2018, 1392, 1393 = ZIP 2018, 2165; OLG Stuttgart v. 11.1.2022 – 8 W 233/21, NZG 2022, 1017; dies verkennend, OLG Celle v. 6.10.2021 – 9 W 99/21, ZIP 2021, 2485 (Rechtsmittel nicht zugelassen, Verfassungsbeschwerde anhängig), Könen in BeckOGK/BGB, Stand: 1.4.2023, § 43 BGB Rz. 10 ff. 14 Vgl. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 104, 165 f., 242. 15 Sog. vertragliches „Äquivalenzprinzip“, wobei sich das ausgleichende Äquivalenz für eine Vermögenseinbuße anhand subjektiver, objektiver sowie funktionaler Kriterien zu bestimmen hat, Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 172 ff.; vgl. Olzen in Staudinger, 2015, Einleitung zum Schuldrecht Rz. 66 ff.; Brinkmann, Kreditsicherheiten an beweglichen Sachen und Könen | 215
§ 712 BGB Rz. 11 | Rechtsfähige Gesellschaft „Äquivalenzprinzip“ zugrunde,16 wonach privatautonom begründete Verbindlichkeiten regelmäßig nur im Austausch für ein kompensatorisches Äquivalent vereinbart werden,17 was sich im Falle der Störung des privatautonomen Aushandlungsprozesses auch auf Seiten gesetzlicher Kompensationsmechanismen widerzuspiegeln hat, weil nur insoweit eine rechtliche Legitimation gegeben ist.18 Insoweit ist während des werbenden Zustandes eines Verbandes eine hinreichende Vermögensabschirmung gegeben. Insbesondere werden die Gesellschafter, wenn sie den Verband lebensfähig halten wollen, diesen mit Nachschüssen versorgen. Die spezifische Verbandsgefahr realisiert sich für die Gläubiger nur dann, wenn die Gesellschafter in ihrer Gesamtheit den Verband als Rechtssubjekt von innen aushöhlen und diesen auf diese Weise in den Zustand materieller Insolvenzreife oder in ein Liquidationsstadium versetzen. Das auf diese Weise realisierte Risiko ist aber eines der Gläubigergesamtheit, welchem effizienter durch eine zentralisierte Geltendmachung unter dem Regime des § 93 InsO i.V.m. § 721 BGB begegnet werden kann, weil die Verwertung des Gesamtvermögens – in Anbetracht der Informations- und Koordinierungsmöglichkeiten des Insolvenz- bzw. Liquidationsverfahrens – eine höhere Befriedigungswahrscheinlichkeit gewährleistet als diejenige in Einzelgegenstände. 12 Vor diesem Hintergrund gewährleistet die Sozietätskonstruktion im werbenden Zustand ei-
nes Personenverbandes einen grundsätzlich hinreichenden Kapitalschutz; erst im Falle der Liquidation ist ein Rückgriff auf die Gesellschafter angezeigt.19
2. Ausscheiden eines Gesellschafters 13 Scheidet ein Gesellschafter aus der Gesellschaft aus, führt dies dazu, dass dessen Gesell-
schaftsbeteiligung den übrigen Gesellschaftern anwächst; handelt es sich bei dem Austretenden um den vorletzten Gesellschafter, bedeutet die Anwachsung beim einzig verbleibenden Gesellschafter dessen Gesamtrechtsnachfolge in die Rechtsstellung der Gesellschaft (vgl. § 712a BGB). 14 Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Ausscheidens bestimmen sich nach den §§ 723–728b
BGB. a) Rechtsstellung des Ausgeschiedenen 15 Der Ausgeschiedene steht der Gesellschaft zwar grundsätzlich wie ein Dritter gegenüber.
Gleichwohl bedingen die Interessen der Gesellschaft, der ehemaligen Mitgesellschafter sowie der Gesellschaftsgläubiger, dass mitgliedschaftliche Pflichten fortwirken.20 So kann die mitgliedschaftliche Treuepflicht über die mitgliedschaftliche Bindung hinaus fortbestehen. Insoweit kommen insbesondere ausdrückliche Vereinbarungen im Gesellschaftsvertrag in Betracht. Zum Schutz der Gläubiger vor den Gefahren eines verbandsmäßigen Auftritts im Rechtsverkehr soll sich ein persönlich haftender Gesellschafter nach der gesetzlichen Wertung nicht durch einen Austritt aus der Gesellschaft der Einstandspflicht entziehen können. Insoweit regelt § 728b BGB eine im Außenverhältnis unabdingbare Nachhaftung des ausgeschiedenen Gesellschafters.
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Forderungen, 2011, S. 259 ff.; Medicus/Petersen, BGB AT, 11. Aufl. 2016, § 17 Rz. 177, 478 f., 866 („vertraglich gewollte Äquivalenz“); Neuner, BGB AT, 13. Aufl. 2023, § 10 Rz. 33 ff. Vgl. Henssler, AnwBl. 1996, 3, 11. Vgl. Eidenmüller, JZ 2005, 216, 217 f. Vgl. S. Huber, Erfüllungshaftung Vertragsfremder, 2017, S. 248 ff., 269 ff., 291 ff., 316 ff. Eingehend, Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 228 ff. Vgl. Dißars, DStR 2020, 1514.
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Ausscheiden eines Gesellschafters; Eintritt eines neuen Gesellschafters | Rz. 18 § 712 BGB
b) Auseinandersetzungsansprüche zwischen Gesellschafter und Gesellschaft Während § 728b BGB die Außenhaftung im Falle eines Austritts absichert, kommt den 16 §§ 728, 728a BGB eine schlicht innenrechtliche – und damit der Gestaltungsfreiheit zugängliche – Bedeutung zu. Insoweit ist der Gesetzeswortlaut in höchstem Maße missverständlich, indem die Ansprüche des Gesellschafters unter den Vorbehalt gestellt werden, „sofern im Gesellschaftsvertrag nichts anderes vereinbart ist“, der Gesellschaftsanspruch hingegen als „Haftung“ etikettiert wird. Nach dem gesetzlichen Leitbild sind im Falle des Austritts eines Gesellschafters dessen Gesellschafterkonten auf der Grundlage einer Abfindungsbilanz zu verrechnen. § 728 BGB ermöglicht hilfsweise eine Schätzung. Daraus folgt, dass die Aufstellung einer Abfindungsbilanz durch die Geschäftsführung keine Entstehungsvoraussetzung sein kann, gleichwohl ist der ehemalige Gesellschafter berechtigt, deren Aufstellung zu verlangen. Auch die Tatsache, dass die §§ 728, 728a BGB als Bezugsgröße des Auseinandersetzungsanspruchs des Gesellschafters einerseits den „Wert seines Anteils“ nennen und seine Haftung nach dem Verhältnis seines „Anteils am Gewinn und Verlust“ bestimmen, lässt sich noch nicht durch einen bloßen Blick in den § 709 Abs. 3 BGB nachvollziehen. Der mitgliedschaftlich vermittelten Wertbeteiligung an dem Gesellschaftsvermögen lässt sich nur dadurch Rechnung tragen, dass man auf der Grundlage der § 709 Abs. 3 BGB, §§ 120 ff. HGB auch bei der GbR die Vermögenrechte anhand eines festen Kapitalanteils I sowie eines variablen Kapitalanteils II bestimmt. Auf diese Weise kann der Abfindungsanspruch zwar an den festen Kapitalanteil I geknüpft werden, der konkrete Ausgleichsanspruch im Übrigen muss sich an dem variablen Kapitalanteil II orientieren. Die Auseinandersetzungsansprüche entstehen im Zeitpunkt des Ausscheidens.21 Der Aus- 17 gleich der Gesellschafterkonten vollzieht sich ausschließlich zwischen dem Gesellschafter und der Gesellschaft, weil diese Berechtigte und Verpflichtete der Sozialansprüche ist. In Anbetracht der Tatsache, dass der Gesellschafter der Gesellschaft mit seinem Austritt fortan, als ein Dritter gegenübertritt, haften die übrigen Gesellschafter dem Austretenden für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft nach § 721 BGB.
III. Eintritt eines neuen Gesellschafters; Abwachsung (Abs. 2) § 712 Abs. 2 BGB regelt ausdrücklich die sog. Abwachsung für den Fall, dass ein neuer Ge- 18 sellschafter in die Gesellschaft eintritt. Anders als die Übertragung der Mitgliedschaft findet insoweit kein abgeleiteter Rechtserwerb statt, vielmehr ist eine neue Mitgliedschaft im Wege des Beitritts zu begründen mit der Folge, dass die mitgliedschaftlichen Rechte und Pflichten der bestehenden Gesellschafter – relativ betrachtet – weniger wert werden. Dem Beitretenden stehen mit dem Beitritt alle – durch den Gesellschaftsvertrag konkretisierten – Mitgliedsrechte und -pflichten zu. Zwar ordnet § 721a BGB ausdrücklich eine Einstandspflicht des Beitretenden für Altverbindlichkeiten an, bereits aus der Wirkungsweise des § 721 BGB folgt aber, dass die Gesellschafterhaftung ein sich ständig aktualisierender Haftungs-Istzustand ist, der sich auf sämtliche Gesellschaftsverbindlichkeiten bezieht, so dass § 721a BGB lediglich klarstellende Bedeutung zukommt.22
21 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 175 ff. 22 Vgl. Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 205. Könen | 217
§ 712a BGB Rz. 1 | Rechtsfähige Gesellschaft
§ 712a BGB Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters (1) ¹Verbleibt nur noch ein Gesellschafter, so erlischt die Gesellschaft ohne Liquidation. ²Das Gesellschaftsvermögen geht zum Zeitpunkt des Ausscheidens des vorletzten Gesellschafters im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den verbleibenden Gesellschafter über. (2) In Bezug auf die Rechte und Pflichten des vorletzten Gesellschafters sind anlässlich seines Ausscheidens die §§ 728 bis § 728b entsprechend anzuwenden. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). Schrifttum: Bachmann, Zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG), NZG 2020, 612; Menkel, Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters gem. § 712a BGB nF, NZG 2023, 683; Schunke, Gesellschafterwechsel im Recht der Personengesellschaften nach Inkrafttreten des MoPeG, Jura 2022, 1287. I. 1. 2. 3. II.
Allgemeines Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kein Erwerb eigener Anteile durch die Personengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sozietätsfundament der Personenaußengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Gesamtrechtsnachfolge des Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Instrument für Umwandlungen außerhalb des Umwandlungsgesetzes . . . . . . . . 5. Zeitpunkt des Ausscheidens . . . . . . . . . . . III. Kein Erfordernis der Ausübung eines Übernahmerechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Entsprechende Anwendung der §§ 728–728b BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Allgemeines 1. Überblick 1 § 712a Abs. 1 BGB regelt die Rechtsfolgen eines Austritts des vorletzten Gesellschafters. Dies
hat einerseits zur Folge, dass der Personenverband liquidationslos erlischt, weil es fortan an der rechtsformspezifischen Voraussetzung eines sozietätsmäßigen Fundaments aus der gesellschaftsrechtlichen Verbundenheit mindestens zweier Mitgliedschaften fehlt (§ 708 BGB Rz. 35 ff.). Anderseits folgt in Anbetracht der An- bzw. Abwachsung der Mitgliedschaft des ausscheidenden Gesellschafters die Gesamtrechtsnachfolge des verbleibenden Gesellschafters in die Rechte und Pflichten der Gesellschaft (§ 712 BGB Rz. 5 ff.), weil sämtliche Rechtsbeziehungen im Wege der Konfusion erlöschen (§ 708 BGB Rz. 12). 2 § 712a Abs. 2 BGB normiert die entsprechende Anwendung der §§ 728–728b BGB, weil so-
wohl die wechselseitigen Ausgleichsansprüche als auch die Nachhaftung des ausscheidenden Gesellschafters das Vorliegen einer rechtsfähigen Gesellschaft erfordern.
2. Normzweck 3 Die Vorschrift hebt die in den §§ 705, 712 BGB verankerte personengesellschaftsrechtliche
Sozietätskonstruktion deutlich hervor und sichert das § 712 BGB zugrunde liegende Prinzip der An- bzw. Abwachsung normativ ab. § 712a Abs. 1 BGB beschreibt die rechtlichen Folgen 218 | Könen
Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters | Rz. 5 § 712a BGB
des Ausscheidens des vorletzten Gesellschafters zutreffend dahingehend, dass dem Personenverband – in Anbetracht der Abwachsung der Mitgliedschaft beim Ausscheidenden sowie der Anwachsung dessen Mitgliedschaft beim verbleibenden Gesellschafter – die sozietätsmäßige Grundlage für dessen Rechtsfähigkeit entzogen wird und sämtliche mitgliedschaftlichen sowie gesellschaftsvertraglichen Rechtsbeziehungen im Wege der Konfusion erlöschen, wodurch der verbleibende Gesellschafter im Wege der Gesamtrechtsnachfolge in die Rechten und Pflichten der Gesellschaft eintritt. § 712a Abs. 2 BGB verweist darauf, dass die Abfindungsansprüche des ausscheidenden Gesellschafters entsprechend den §§ 728, 728a BGB zu bestimmen sind und die Nachhaftung entsprechend § 728b BGB erfolgt. Die entsprechende Anwendung resultiert daraus, dass die Abfindungsansprüche grundsätzlich erst mit dem Ausscheiden aus der Gesellschaft begründet werden, zu diesem Zeitpunkt aber keine Gesellschaft mehr existiert, sondern nur noch der rechtsnachfolgende Gesellschafter. Ebenso kommt eine unmittelbare Anwendung der §§ 721, 728b BGB mit dem liquidationslosen Erlöschen des Personenverbandes nicht mehr in Betracht, weil diese das Vorliegen einer Gesellschaftsverbindlichkeit zur tatbestandlichen Voraussetzung haben.
3. Anwendungsbereich Die Vorschrift findet nach § 105 Abs. 3 HGB sowie § 1 Abs. 4 PartGG grundsätzlich auch 4 auf oHG und PartG Anwendung. Nach der Gesetzesbegründung soll die Anwendung auf die KG, wenn der einzige Komplementär ausscheidet, hingegen der Rechtsprechung überlassen bleiben.1 Dies beruht auf der Erwägung, dass eine gesetzliche Regelung kaum der „Vielgestaltigkeit an denkbaren Fallkonstellationen“ gerecht werden könne (§ 163 HGB Rz. 8 ff.).2
II. Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters § 712a regelt den personengesellschaftsrechtlichen Grundsatz, dass die Gesellschaft ohne Li- 5 quidation erlischt, wenn der vorletzte Gesellschafter aus der Gesellschaft ausscheidet. Hintergrund dieser klarstellenden Regelung ist die Sozietätskonstruktion der Personengesellschaften (§ 708 BGB Rz. 35 ff.), die ihre Rechtsfähigkeit auf dem mehrgliedrigen Fundament mehrerer gesellschaftsvertraglich verbundener Mitgliedschaften begründet (sog. Vertragsprinzip).3 In Anbetracht der schuldrechtlichen Anknüpfung an § 705 BGB erlischt einerseits bei Fortfall des zweitletzten Gesellschafters das Gesellschaftsverhältnis durch Konfusion und der letzte Gesellschafter wird Gesamtrechtsnachfolger der Personengesellschaft,4 andererseits folgt aus dem Sozietätsmodell, dass die Gesellschaft nicht Vertragspartner des sie bildenden
1 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 146 f. 2 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 146 f. 3 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 146 f.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 8 I IV 2 a; s. Habersack in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2018, § 124 HGB Rz. 2; Henssler in Henssler/Strohn, § 105 HGB Rz. 5, 38; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 80; Schäfer, Gutachten E zum 71. DJT, S. 47; Schäfer in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2018, § 105 HGB Rz. 16, 70, 74, 136 ff.; K. Schmidt, Zur Stellung der OHG im System der Handelsgesellschaften, S. 194; A. Hueck, Das Recht der oHG, 1951, 4. Aufl., S. 25; Proff, DStR 2016, 2227, 2227; kritisch, Weimar, ZIP 1997, 1769, 1771 f., der dies lediglich für die Gründung der Gesellschaft verlangt. 4 Die Rechtsfigur der Konfusion ergibt sich aus § 241 Abs. 1 Satz 1 BGB, indem dieser zwei Personen für das Bestehen eines Schuldverhältnisses im engeren Sinne erfordert. Vgl. Bary, AcP 220 (2020), 343, 355 f.; Schäfer in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2018, § 105 HGB Rz. 57; Kruth, NZI 2011, 844, 845 ff.; anders noch zum Zusammenfallen von Leistensollen und Bekommensollen, Gierke in FS v. Martitz, 1911, S. 41. Könen | 219
§ 712a BGB Rz. 5 | Rechtsfähige Gesellschaft Gesellschaftsvertrages sein kann.5 In organisationsrechtlicher Hinsicht ist der Konfusion des schuldrechtlichen Verhältnisses sowie der daraus folgenden Gesamtrechtsnachfolge eine Anwachsung des Gesellschaftsanteils des Ausscheidenden nach § 712 BGB vorgeschaltet (sog. anwachsende Verschmelzung).6 Demgegenüber geht die Gesetzesbegründung davon aus, dass eine Anwachsung nicht in Betracht komme, weil die Gesellschaft als solche nicht mehr bestehe und Träger das Gesellschaftsvermögens der verbleibende Gesellschafter werde.7 Bei einer solchen Gedankenführung ließe sich indes nicht erklären, was mit dem Gesellschaftsanteil des ausscheidenden Gesellschafters im Moment des Ausscheidens passiert. 6 Es ist diese Sozietätskonstruktion, die die Personengesellschaften von den körperschaftlich
verfassten juristischen Personen unterscheidet.8 Vor diesem Hintergrund hat die in § 14 Abs. 2 BGB angelegte Unterscheidung zwischen diesen Rechtsformklassen weiterhin Bestand. Unterschiede bestehen aber nicht „bei der Rechtsfähigkeit nach außen, sondern in dem Grad der rechtlichen Verselbständigung nach innen“.9 Während die h.M. darüber hinaus weitere „verbleibende Strukturunterschiede“ festmachen möchte,10 erweisen sich alle sonstigen Organisationsunterschiede entweder als Ausprägung der durch die Sozietätskonstruktion geschaffenen Beschränkungen oder schlicht als spezialgesetzlich unterschiedlich angelegte normative Standards.11 Diese sind aber lediglich für die Frage des Regel-Ausnahme-Verhältnisses relevant.
1. Kein Erwerb eigener Anteile durch die Personengesellschaft 7 Gegen das auf diese Weise verstandene personengesellschaftsrechtliche Sozietätsmodell wird
vorgebracht, mit der Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Personenaußengesellschaft gehe einher, dass sich die Rechte der Gesellschafter auf die Mitgliedschaft beschränkten und die Gesellschafter dadurch nur noch durch eine anteilige Berechtigung an der Gesellschaft verbunden seien.12 Daher kämen wie bei körperschaftlich verfassten juristischen Personen eigene Anteile von Personengesellschaften etwa als flexibles Finanzierungsinstrument oder zur Thesaurierung der Mitgliedschaft in Betracht (vgl. § 71 AktG, § 33 GmbHG).13 Das Sozietätsmodell stehe dem nicht entgegen; zwar sei der Gesellschaftsvertrag insoweit Schuldvertrag als er die Rechte und Pflichten der daran Beteiligten festlege, zugleich sei er aber auch Organi-
5 M. Roth in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 105 HGB Rz. 30; Schäfer in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2018, § 105 HGB Rz. 39, 74, 97; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 8 IV 2 b.; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, 4. Aufl. 2016, § 105 HGB Rz. 92; a.A. Priester, ZIP 2014, 245, 246 ff.; vgl. Kruth, NZI 2011, 844, 845 f.; Schäfer, Gutachten E zum 71. DJT, C. III. 2; Tröger, JZ 2016, 834, 839 f.; eine Umwandlung unter Anwachsung des Gesellschaftsvermögens annehmend, Henssler, § 1 PartGG Rz. 42; vgl. Bary, AcP 220 (2020), 343, 355 ff. 6 Vgl. Henssler, § 1 PartGG Rz. 42; Schäfer in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2018, § 105 HGB Rz. 57, Vor § 105 HGB Rz. 21. 7 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 147. 8 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 144 mit Verweis auf K. Schmidt in MünchKomm/HGB, 4. Aufl. 2016, § 105 HGB Rz. 92. 9 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 106 mit Verweis auf Bachmann in 2. FS K. Schmidt, Band 1, 2019, S. 49, 58 ff. 10 Vgl. Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 80. 11 Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 48 ff. 12 Vgl. Priester, ZIP 2014, 245, 246 f.; so auch Weimar, ZIP 1997, 1769, 1772 in Bezug auf den Fortbestand wirksam gegründeter Personengesellschaften; a.A. Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 62 ff., 80, m.w.N. zu beiden Auffassungen in Rz. 61. 13 Priester, ZIP 2014, 245, 248; vgl. zu § 71 AktG Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 71 AktG Rz. 2.
220 | Könen
Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters | Rz. 10 § 712a BGB
sationsvertrag,14 weil er einen privatrechtlichen Verband konstituiere.15 Insoweit komme dem Gesellschaftsvertrag wie einer Satzung dergestalt normative Bedeutung zu, dass er für und gegen derzeitige sowie zukünftige Gesellschafter Wirkung entfalte, weil Personengesellschaftsanteile und mithin die Mitgliedschaft als solche als Rechtsobjekt übertragen werden können und damit jeglicher Rechtsnachfolge zugänglich seien.16
2. Sozietätsfundament der Personenaußengesellschaft Die gesetzliche Anordnung der An- bzw. Abwachsung in § 712 BGB stellt eine normative 8 Anerkennung der Sozietätskonstruktion der Personengesellschaften als Ausprägung der personengesellschaftsrechtlichen Organisationsverfassung dar. Wenn alle Anteile in einer Person zusammenfallen, bedeutet dies, dass die sozietätsmäßige Existenzgrundlage der Personenaußengesellschaft entfällt und dem dauerhaften Fortbestand als Einmitglieds-Personengesellschaft entgegensteht.17 Die aus dem Prinzip der An- bzw. Abwachsung folgende und gesellschaftsvertraglich vermit- 9 telte Verbindung mindestens zweier Mitgliedschaften – das sog. Sozietätsfundament – bedingt, dass die Personenaußengesellschaft auch keine Anteile an sich selbst halten kann, weil die Gesellschaft in diesem Fall Teil ihres eigenen die Rechtsfähigkeit konstituierenden rechtlichen Fundaments sein müsste. So müsste die Gesellschaft an einem Organisationsvertrag mitwirken, der sie selbst erst – als Fundament – konstituiert und am Leben hält. Dadurch, dass die Mitgliedschaft in einem Verband ihrerseits aber die Rechtsfähigkeit der Organisationseinheit voraussetzt, kann die Teilhabe eines ohne das Sozietätsfundament nicht existenten Verbandes diesen auch nicht konstituieren. Angesichts dessen kann die Personengesellschaft jedenfalls nicht in Verbindung mit nur einem anderen Mitglied Gesellschafter von sich selbst sein. Zutreffend bestimmt aber § 711 Abs. 1 BGB, dass jeglicher Erwerb eigener Anteile durch die Personengesellschaft ausgeschlossen ist, auch wenn zwei weitere Mitgliedschaften bestehen. Maßgeblich für die Unzulässigkeit des Erwerbs eigener Anteile der Personengesellschaft ist 10 allerdings der Umstand, dass das sozietätsmäßige Fundament mit dem Erwerb eigener Anteile durch die Gesellschaft mit Blick auf den Verkehrs- und Mitgliederschutz bereits in nicht hinzunehmender Weise „hinken“ würde.18 So haftete einem Verband, der einerseits eigene Anteile innehält und andererseits durch das Vorhandensein mehrerer Anteile korporiert würde, die sich nicht in den Händen der Personengesellschaft selbst befänden, die latente Gefahr an, dass der vorletzte Drittgesellschafter aufgrund eines privatautonomen Entschlusses oder eines anderen Grundes aus der Gesellschaft ausschiede und bei bestehendem Eigenanteil der Gesellschaft einen Wegfall des Fundaments mit der Folge des Erlöschens des Verbandes herbeiführen würde. Mit der Beseitigung der Sozietätsbasis fiele dieser Austritt unmittelbar mit dem Erlöschen des Verbandes zusammen. Sowohl zwischen dem austretenden Gesellschafter und der Gesellschaft, zwischen dem verbleibenden Gesellschafter und der Gesellschaft sowie gegenüber Dritten könnten aber noch Ausgleichsansprüche bestehen. Es entstünde auf diese Weise ein Liquidationsbedarf, ohne dass es einen liquidationsfähigen Liquidationsverband gäbe. Anders als im Fall einer unmittelbaren Einmitglieds-Personengesellschaft käme insoweit kein liquidationsloses Erlöschen in Betracht, weil kein Fall der Ge-
14 Vgl. Schäfer in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2018, § 105 HGB Rz. 139; Kießling in FS Hadding, 2004, S. 492. 15 Priester, ZIP 2014, 245, 247. 16 Priester, ZIP 2014, 245, 247; vgl. zur PartG, Henssler, § 9 PartGG Rz. 120 ff. 17 Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 47. 18 Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 54. Könen | 221
§ 712a BGB Rz. 10 | Rechtsfähige Gesellschaft samtrechtsnachfolge bei gleichzeitiger Konfusion der Rechtsverhältnisse des einzig verbleibenden Gesellschafters gegeben wäre. Allenfalls denkbar wäre eine Konstruktion, wonach die beiden verbleibenden Gesellschafter wiederum als gesellschaftsrechtliche Außengesellschaft in die Liquidations- bzw. Drittverbindlichkeiten der erloschenen Gesellschaft einrückten und auf diese Weise gezwungenermaßen eine „neue“ Liquidationsgesellschaft bildeten bis der Liquidationsbedarf getilgt ist. Ein solches Vorgehen hätte mithin zur Folge, dass die Eigenbeteiligung der Personengesellschaft zumindest faktisch ein vorübergehendes Austrittsverbot der beiden vorletzten Gesellschafter zur Folge hätte. Veranschaulicht man sich nun, auf welche Weise es zu einer Eigenbeteiligung von Personengesellschaften kommen könnte (etwa durch privatautonomen Erwerb der Anteile des drittletzten Gesellschafters durch die Gesellschaft), so hätte es letztlich der Verband in der Hand, seine Gesellschafter zu einer weitergehenden gesamthänderischen Bindung zu zwingen. Dies erscheint mit Blick auf die negative Vereinigungsfreiheit sowie den Grundsatz der Privatautonomie bedenklich. Die Problematik der personengesellschaftsrechtlichen Eigenbeteiligung zeigt, dass eine vollwertige verbandsrechtliche Rechtssubjektivität nur gewährleistet werden kann, wenn man den Erwerb eigener Anteile unter Rückgriff auf die Sozietätskonstruktion von Personengesellschaften per se ablehnt. So ist es ferner gerade Sinn und Zweck der Sozietätskonstruktion, entsprechende Vermengungen von Gesellschafter- und Gesellschaftsvermögen, wie sie beim Wegfall des Verbandes bei bestehendem Liquidationsbedarf aufträten, zu verhindern, so dass auch vor diesem Hintergrund ein derartiger „hinkender“ Verband unter Eigenbeteiligung der Personengesellschaft nicht hinzunehmen ist. 11 Eine Personenaußengesellschaft kann mithin – auch ohne eine gesetzliche Anordnung –
nicht Vertragspartner des ihre Grundlage bildenden Gesellschaftsvertrages sein, weil sie entweder angesichts unzureichenden Sozietätsfundaments mangels Rechtsfähigkeit schon nicht die Fähigkeit hat, als Rechtsträger in die Mitgliedschaft einzurücken oder aber vor dem Hintergrund, dass bei einer Eigenbeteiligung einer Personengesellschaft eine strikte Trennung der Vermögensverbindungen nicht gewährleistet ist und die Rechtsfähigkeit des Verbandes lediglich eine „hinkende“ wäre, was einer widerspruchsfreien Behandlung der Personenaußengesellschaft als Rechtssubjekt entgegenstünde. Das Sozietätsverhältnis beschreibt mithin das personengesellschaftsrechtliche Fundament, auf dem der Verband seine Existenz als Rechtssubjekt begründet,19 nämlich in der schuldrechtlichen Verbindung mehrerer Drittgesellschafter, die ihrerseits über die Mitgliedschaft mit der Personenaußengesellschaft in Beziehung stehen. Vor diesem Hintergrund erscheint es präziser, auch nicht – wie in der Vergangenheit – von der „Gruppe“ als Rechtssubjekt zu sprechen, sondern von der gruppenmäßigen Verbindung mehrerer Mitglieder als verbandsrechtliche Bestandsgrundlage des rechtsfähigen Personenverbandes. Es sind diese sozietätsbedingten Besonderheiten, die die Grundlage für bestimmte Mindestanforderungen an die Rechtsform „Personenaußengesellschaft“ bilden.20 Das Sozietätsmodell bestimmt daher als gegebene Normativbestimmung im Rahmen des numerus clausus der Rechtsformen die Zulässigkeitsvoraussetzungen rechtsfähiger Personengesellschaften.21
3. Gesamtrechtsnachfolge des Gesellschafters 12 § 712a Abs. 1 Satz 2 BGB bestimmt, dass der verbleibende Gesellschafter Gesamtrechtsnach-
folger der Gesellschaft wird. Hintergrund ist, dass das Gesellschaftsverhältnis in Anbetracht seiner schuldrechtlichen Anknüpfung an § 705 Abs. 1 BGB bei Fortfall des vorletzten Gesell-
19 So auch noch Weimar, ZIP 1997, 1769, 1771 ff. 20 Vgl. K. Schmidt, ZIP 2014, 493, 499. 21 Siehe K. Schmidt, ZIP 2014, 493, 494 f., 499.
222 | Könen
Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters | Rz. 15 § 712a BGB
schafters im Wege der Konfusion erlischt, was die Gesamtrechtsnachfolge zur unmittelbaren Konsequenz hat. Die Rechtsfigur der Konfusion ergibt sich aus § 241 Abs. 1 Satz 1 BGB, indem dieser zwei Personen für das Bestehen eines Schuldverhältnisses im engeren Sinne erfordert. In organisationsrechtlicher Hinsicht ist bei dem Fortfall des zweitletzten Gesellschafters der Konfusion des schuldrechtlichen Verhältnisses sowie der daraus folgenden Gesamtrechtsnachfolge eine Anwachsung des Gesellschaftsanteils des Ausscheidenden vorgeschaltet (sog. anwachsende Verschmelzung).22 Angesichts der Gesamtrechtsnachfolge rückt der verbleibende Gesellschafter vollständig in die Rechtsstellung der Gesellschaft ein, so dass innergesellschaftsrechtliche Ausgleichspflichten gleichfalls nicht mehr existieren und die Durchführung eines Liquidationsverfahrens entbehrlich machen. Eine abweichende Beurteilung ist auch nicht vor dem Hintergrund der Regelung des § 132 Abs. 1 Satz 3 HGB angezeigt, wonach einer „Ausschließungsklage […] nicht entgegen[steht], da[ss] nach der Ausschließung nur ein Gesellschafter verbleibt.“ So geht bei einer zweigliedrigen Gesellschaft mit der rechtsgestaltenden Wirkung des Ausschließungsurteils der Austritt des vorletzten Gesellschafters einher, was vor dem Hintergrund der Sozietätskonstruktion die Vollbeendigung der Gesellschaft verbunden mit der Gesamtrechtsnachfolge des verbleibenden Gesellschafters zur Folge hat.23
4. Instrument für Umwandlungen außerhalb des Umwandlungsgesetzes In Anbetracht dieser Wirkungen, die das Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters aus ei- 13 nem Personenverband hat, ist dessen Sozietätskonstruktion geeignet, einen Rechtsformwechsel außerhalb des Umwandlungsgesetzes herbeizuführen. Mit Blick auf den zu gewährleistenden Gläubigerschutz ist dies unbedenklich, weil auf diese Weise zwar der Rechtsformwechsel aus einer Personengesellschaft heraus – mit der Haftungsverfassung persönlicher Gesellschafterhaftung – möglich wird, dies aber nur auf deren Gesellschafter. Bei diesen handelte es sich entweder ihrerseits um eine Personengesellschaft, deren Gesellschafter für die Verbindlichkeiten haften oder der Gesamtrechtsnachfolger ist eine haftungsbeschränkte Rechtsform, dessen Gesellschafter waren aber auch schon vor dem Umwandlungsvorgang aufgrund der Haftungstrennung von einer Haftung freigestellt.
5. Zeitpunkt des Ausscheidens Die Vorschrift bestimmt, dass das Gesellschaftsvermögens im Zeitpunkt des Ausscheidens 14 auf den verbleibenden Gesellschafter übergeht. Während die Gesetzesbegründung hervorhebt, dass es sich nicht um einen Fall der Anwachsung i.S.d. § 712 Abs. 1 BGB handle, weil die Gesellschaft als solche nicht mehr bestehe,24 ist unklar, wie sich die Vereinigung der Mitgliedschaften auf andere Weise vollziehen sollte. So kann die mit § 712a Abs. 1 Satz 2 BGB vorgesehene Rechtsfolge nicht unabhängig von der An- bzw. Abwachsung betrachtet werden, weil diese unmittelbarer Ausdruck und normative Anerkennung der Sozietätskonstruktion ist. Der Zeitpunkt des Ausscheidens richtet sich nach § 723 Abs. 3 BGB.25
22 23 24 25
15
Henssler, § 1 PartGG Rz. 42. Schäfer in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2018, § 140 HGB Rz. 51, 26. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 147. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 147. Könen | 223
§ 712a BGB Rz. 16 | Rechtsfähige Gesellschaft
III. Kein Erfordernis der Ausübung eines Übernahmerechts 16 § 712a Abs. 1 Satz 2 BGB-E26 des Regierungsentwurfs sowie die diesbezügliche Begründung
machten die Rechtsnachfolge sowohl von dem Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters abhängig, als auch von der „Ausübung eines Übernahmerechts durch den verbleibenden Gesellschafter“27. Der Umstand, dass diese Regelung nicht umgesetzt wurde, lässt allerdings die Frage, ob der Vermögensübergang eine Übernahmeerklärung des Rechtsnachfolgers vor dem Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters erfordert, unberührt. Zum alten Recht wurde teilweise im Gesellschaftsvertrag eine Grundlage für ein entsprechendes Übernahmerecht gesehen und angenommen, dass eine Ausübung in dem Gesellschaftsvertrag antizipiert abgegeben werden könne. Hintergrund dieser Annahme war, dass mit dem Ausscheiden die Auflösung einherging. Daran anknüpfend sei es folgerichtig mit der Umwandlung der Auflösungsgründe in Ausscheidensgründe die gesonderte Ausübung eines Übernahmerechts zu verlangen. Dagegen spricht allerdings, dass aus der Sozietätskonstruktion folgt, dass Auflösung und Vollbeendigung der Gesellschaft im Fall des Ausscheidens des vorletzten Gesellschafters unmittelbar zusammenfallen.28 So würde die identitätswahrende Liquidation des Personenverbandes dessen Rechtsfähigkeit voraussetzen, diese ist aber nur auf der Grundlage zweier gesellschaftsvertraglicher Mitgliedschaften möglich. Vor diesem Hintergrund geht liquidationslos das gesamte in der Gesellschaft gebundene Gesellschaftsvermögen i.S.v. § 713 BGB kontinuierlich auf den Rechtsnachfolger über. Das Gesellschaftsvermögen in diesem Sinne erfasst sämtliche Aktiva und Passiva, so dass es auch aus Sicht der Gesellschaftsgläubiger keinen Liquidationsbedarf gibt. 17 Vor dem Hintergrund des Sozietätsfundaments als organisationsrechtlicher Grundlage eines
Personenverbandes kann die Tatsache, dass die Gesellschafter die Ausübung eines Übernahmerechts geregelt haben oder diesbezüglich keinen ausdrücklichen privatautonomen Willen antizipiert geäußert haben, keine Auswirkungen auf die Rechtsnachfolge im Falle des Ausscheidens haben. Die Äußerung eines gesonderten privatautonomen Erklärungszeichens kann nur hinsichtlich der Zulässigkeit eines privatautonomen Austritts Bedeutung erlangen, nicht hingegen bezüglich der Rechtsnachfolge; anderenfalls würde eine innenrechtliche Vereinbarung auf das Außenverhältnis zu Lasten der Gläubiger durchschlagen, deren Interessen auch durch die Sozietätskonstruktion geschützt werden, weil dadurch der einzelne Gesellschafter seine Interessen stets im Rahmen eines privatautonomen Aushandlungsprozesses gegenüber der Gesellschaftergesamtheit durchsetzen muss. Die nicht hinnehmbaren Konsequenzen der Annahme, ein Übernahmerecht müsse im Wege einer Gestaltungserklärung ausgeübt werden, werden insbesondere in dem Fall deutlich, dass der vorletzte Gesellschafter ohne Rechtsnachfolge durch den Tod ausscheidet, weil eine Nachfolgeklausel nicht vereinbart ist oder die Erben einer qualifizierten Nachfolge nicht entsprechen. Unterbleibt die Gestaltungserklärung, verbliebe eine – vor dem Hintergrund der Sozietätskonstruktion nicht denkbare – Einmitglieds-Personengesellschaft. 18 Zwar kann die Rechtsnachfolge in Rechte und Pflichten der Gesellschaft nicht ohne ein pri-
vatautonomes Erklärungszeichen oder eine rechtlich legitimierte gesetzliche Bestimmung angenommen werden. In Anbetracht der ausdrücklichen Regelungsanordnung des § 712a Abs. 1 Satz 2 BGB kann es aber letztlich dahinstehen, ob in der Vereinbarung einer gemeinsamen Zweckverfolgung als Personenaußengesellschaft eine hinreichende privatautonome Erklärung gesehen werden kann, bei Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters auch die
26 „[…], wenn dieser sich bis dahin gegenüber dem vorletzten Gesellschafter zur Übernahme bereit erklärt hat.“ 27 RegE MoPeG, S. 168; vgl. Menkel, NZG 2023, 683; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 730 BGB Rz. 78, § 736 BGB Rz. 9. 28 Menkel, NZG 2023, 683, 687.
224 | Könen
Gesellschaftsvermögen | Rz. 1 § 713 BGB
Rechtsnachfolge der Gesellschaft antreten zu wollen – was nach vorzugswürdiger Betrachtung bereits zu bejahen ist, weil die Sozietätskonstruktion zwingende gesetzliche Rahmenbedingung für die Zweckverfolgung in der Rechtsform der Personenaußengesellschaft ist – oder ob die Gesamtrechtsnachfolge auch gegen den Willen Gesellschafter unabdingbar angeordnet wird, weil die Sozietätskonstruktion immanenter Bestandteil der personengesellschaftsrechtlichen Haftungsverfassung zum Schutz der Gläubigerinteressen ist.
IV. Entsprechende Anwendung der §§ 728–728b BGB § 712a Abs. 2 BGB regelt die entsprechende Anwendung der §§ 728–728b BGB, die die In- 19 nen- und Außenansprüche für den Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters aus einer fortbestehenden Gesellschaft regeln. Die entsprechende Anwendung resultiert daraus, dass die Abfindungsansprüche grundsätzlich erst mit dem Ausscheiden aus der Gesellschaft begründet werden, zu diesem Zeitpunkt aber keine Gesellschaft mehr existiert, sondern nur noch der rechtsnachfolgende Gesellschafter. Ebenso kommt eine unmittelbare Anwendung der §§ 721, 728b BGB mit dem liquidationslosen Erlöschen des Personenverbandes nicht mehr in Betracht, weil diese das Vorliegen einer Gesellschaftsverbindlichkeit zur tatbestandlichen Voraussetzung haben.
§ 713 BGB Gesellschaftsvermögen Die Beiträge der Gesellschafter sowie die für oder durch die Gesellschaft erworbenen Rechte und die gegen sie begründeten Verbindlichkeiten sind Vermögen der Gesellschaft. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. 1. 2. II.
Allgemeines Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vermögensträgerschaft der Personenaußengesellschaft 1. Numerus clausus der Verbandsformen . . 2. Zwingender Zusammenhang von Rechtsfähigkeit und Gesellschaftsvermögen . . .
1 2
4
3. Weicher Kapitalschutz durch Vermögenstrennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 III. Folgen der Vermögensträgerschaft des Personenverbandes . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1. Beziehung der Gesellschafter zum Gesellschaftsvermögen . . . . . . . . . . . . . . . 13 2. Wirkungen der Gesellschaftsauflösung . 15
7
I. Allgemeines 1. Überblick In Einklang mit der Tatsache, dass nur ein vermögenstragendes Rechtssubjekt Schuldner von 1 Verbindlichkeiten sein kann, weil es anderenfalls keine Vermögensverbindung gäbe, die dem Haftungszugriff der Gläubiger funktional – die Zuständigkeit der Rechte noch nicht betreffend – unterworfen werden könnte, regelt § 713 BGB, dass die Beiträge der Gesellschafter sowie die für oder durch die Gesellschafter erworbenen Rechte und die gegen sie begründeten Verbindlichkeiten Vermögen der Gesellschaft sind. Mit Anerkennung der Rechtsfähigkeit Könen | 225
Gesellschaftsvermögen | Rz. 1 § 713 BGB
Rechtsnachfolge der Gesellschaft antreten zu wollen – was nach vorzugswürdiger Betrachtung bereits zu bejahen ist, weil die Sozietätskonstruktion zwingende gesetzliche Rahmenbedingung für die Zweckverfolgung in der Rechtsform der Personenaußengesellschaft ist – oder ob die Gesamtrechtsnachfolge auch gegen den Willen Gesellschafter unabdingbar angeordnet wird, weil die Sozietätskonstruktion immanenter Bestandteil der personengesellschaftsrechtlichen Haftungsverfassung zum Schutz der Gläubigerinteressen ist.
IV. Entsprechende Anwendung der §§ 728–728b BGB § 712a Abs. 2 BGB regelt die entsprechende Anwendung der §§ 728–728b BGB, die die In- 19 nen- und Außenansprüche für den Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters aus einer fortbestehenden Gesellschaft regeln. Die entsprechende Anwendung resultiert daraus, dass die Abfindungsansprüche grundsätzlich erst mit dem Ausscheiden aus der Gesellschaft begründet werden, zu diesem Zeitpunkt aber keine Gesellschaft mehr existiert, sondern nur noch der rechtsnachfolgende Gesellschafter. Ebenso kommt eine unmittelbare Anwendung der §§ 721, 728b BGB mit dem liquidationslosen Erlöschen des Personenverbandes nicht mehr in Betracht, weil diese das Vorliegen einer Gesellschaftsverbindlichkeit zur tatbestandlichen Voraussetzung haben.
§ 713 BGB Gesellschaftsvermögen Die Beiträge der Gesellschafter sowie die für oder durch die Gesellschaft erworbenen Rechte und die gegen sie begründeten Verbindlichkeiten sind Vermögen der Gesellschaft. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. 1. 2. II.
Allgemeines Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vermögensträgerschaft der Personenaußengesellschaft 1. Numerus clausus der Verbandsformen . . 2. Zwingender Zusammenhang von Rechtsfähigkeit und Gesellschaftsvermögen . . .
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3. Weicher Kapitalschutz durch Vermögenstrennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 III. Folgen der Vermögensträgerschaft des Personenverbandes . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1. Beziehung der Gesellschafter zum Gesellschaftsvermögen . . . . . . . . . . . . . . . 13 2. Wirkungen der Gesellschaftsauflösung . 15
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I. Allgemeines 1. Überblick In Einklang mit der Tatsache, dass nur ein vermögenstragendes Rechtssubjekt Schuldner von 1 Verbindlichkeiten sein kann, weil es anderenfalls keine Vermögensverbindung gäbe, die dem Haftungszugriff der Gläubiger funktional – die Zuständigkeit der Rechte noch nicht betreffend – unterworfen werden könnte, regelt § 713 BGB, dass die Beiträge der Gesellschafter sowie die für oder durch die Gesellschafter erworbenen Rechte und die gegen sie begründeten Verbindlichkeiten Vermögen der Gesellschaft sind. Mit Anerkennung der Rechtsfähigkeit Könen | 225
§ 713 BGB Rz. 1 | Rechtsfähige Gesellschaft des Personenverbandes sowie der Abstraktion der Rechtsbeziehungen von Gesellschaft und Gesellschaftern im Rechtsinstitut der Mitgliedschaft ist die Annahme der Vermögensträgerschaft der Gesellschaft notwendig. § 713 BGB bringt deutlich zum Ausdruck, dass bereits die Vereinbarung der Beitragsleistungen dazu führt, dass der Gesellschaft in qualitativer Hinsicht ein eigenes Vermögen zugewiesen wird, welches im Rahmen von Verbindlichkeiten haftungsunterworfen werden kann.1
2. Normzweck 2 § 713 BGB stellt die mit der Rechtssubjektivität des Personenverbandes verbundene strikte
Vermögenstrennung deutlich heraus. So verlieren die Gesellschafter mit der Konstituierung des Personenverbandes jegliche dingliche Berechtigung an dem Vermögen der Gesellschaft; ihre Beziehung zum Gesellschaftsvermögen ist fortan eine mitgliedschaftlich vermittelte Wertbeteiligung, wie sie in den Kapitalanteilen I und II zum Ausdruck kommt. 3 Der Vermögenbegriff des § 713 BGB ist bewusst in dem Sinne weit gewählt, dass er sämtli-
che Aktiva und Passiva der Gesellschaft erfasst. Auf diese Weise soll der Bedeutung der Rechtsfähigkeit des Personenverbandes als Träger von Rechten und Pflichten angemessen Ausdruck verliehen werden.2 Daraus folgt sogleich, dass die mit der Rechtsfähigkeit verbundene Vermögenstrennung zwischen Gesellschaftsvermögen und den Privatvermögen der Gesellschafter bis zur Vollbeendigung der Gesellschaft aufrecht zu erhalten ist. Dies bedeutet auch, dass es – solange die Gesellschaft noch offene Verbindlichkeiten hat – auch ein Gesellschaftsvermögen gibt, welches einem Rechtssubjekt zugewiesen sein muss. Offene Verbindlichkeiten als Ausdruck des Passivvermögens eines Rechtsträgers führen daher – mit Blick auf die betroffenen Gläubigerinteressen – solange zu einem Liquidationsbedarf, bis diese getilgt sind, sei es im Rahmen eines gesellschaftsrechtlichen oder insolvenzrechtlichen Liquidationsverfahrens (vgl. § 199 Satz 2 InsO). Vor dem Hintergrund dieses Vermögensverständnisses im haftungsrechtlichen Sinne, nach dem auch die Liquidation nicht zu einer Durchbrechung der Vermögenstrennung führen kann, wird die Vermögenstrennung im Falle der Gesellschaftsliquidation lediglich dahingehend aufgeweicht, dass die Gesellschafter mit der Auflösung der Gesellschaft – anders als im werbenden Stadium der Gesellschaft – zum Ausgleich der Gesellschaftsverluste verpflichtet werden, dies aber gegenüber der Gesellschaft als vollwertigem vermögenstragenden Rechtssubjekt.
II. Vermögensträgerschaft der Personenaußengesellschaft 1. Numerus clausus der Verbandsformen 4 Die Vermögensträgerschaft des Personenverbandes ist notwendige Folge von deren Anerken-
nung als rechtsfähiges Subjekt. Auf der Grundlage des numerus clausus der Verbandsformen ist Individuen ein Vermögenspooling in einem vermögenstragenden Verbandssubjekt – mit der damit einhergehenden Haftungstrennung – möglich, wenn sie die von der Rechtsordnung aufgestellten normativen Voraussetzungen für die gemeinsame Zweckverfolgung in der gewählten Verbandsform erfüllen. Wird unter Beachtung der normativen Voraussetzungen ein Verband als Rechtssubjekt konstituiert, werden die Gesellschafter im Ausgangspunkt, wenn eine Verbindlichkeit des Verbandes begründet wird, nicht mehr mit ihrem Privatvermögen verpflichtet. Eine Mitverpflichtung schuldnerfremder Vermögensverbindungen kommt ohne eine diesbezügliche privatautonome Erklärung oder eine rechtlich legitimier1 Vgl. Wertenbruch, ZPG 2023, 1, 6 f. 2 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 148.
226 | Könen
Gesellschaftsvermögen | Rz. 8 § 713 BGB
te gesetzliche Anordnung nach den Grundsätzen des Verbots von Verträgen zu Lasten Dritter nicht in Betracht. Die Anordnung persönlicher Haftung der Gesellschafter einer Personengesellschaft ist vor diesem Hintergrund eine rechtsfertigungsbedürftige – aber mit Blick auf den zu gewährleistenden Gläubigerschutz vor verbandsspezifischen Gefährdungen auch eine rechtfertigungsfähige – Ausnahme von diesem Grundsatz. Die gesetzlichen Anforderungen an die gemeinsame Zweckverfolgung in der Rechtsform 5 eines Personenverbandes sind äußerst gering. Die Konstituierung als Personenverband setzt neben der Vereinbarung eines auf die Teilnahme am Rechtsverkehr gerichteten Verbandszwecks lediglich voraus, dass die Gesellschafter sich zur Leistung von Beiträgen an die Gesellschaft verpflichten. Im Übrigen ergeben sich rechtsformspezifische Restriktionen aus der Sozietätskonstruktion selbst sowie aus gläubigerschützenden Bestimmungen, die den Rechtsverkehr vor denjenigen Nachteilen schützen sollen, dass sie – anstatt mit einer natürlichen Person – in ein Rechtsverhältnis mit einem Personenverband treten. Im Übrigen ergeben sich Einschränkungen der gesellschaftsvertraglichen Gestaltungsfreiheit unmittelbar aus der Mitgliedschaft, ohne dass es sich dabei aber um rechtsformspezifische Vorgaben an die Verbandsverfassung handelt. Neben dem Erfordernis, den Verbandszweck auf der Grundlage der gesellschaftsvertragli- 6 chen Verbindung mindestens zweier Mitgliedschaften zu erfüllen, ist es maßgebliche gesetzliche Voraussetzung, dass sich die Gesellschafter zur Beitragsleistung an die Gesellschaft verpflichten. Auf diese Weise kommt es notwendig zur Bildung eines Verbandsvermögens, wodurch die Voraussetzungen dafür geschaffen sind, dass der Personenverband als Schuldner im Rahmen von Verbindlichkeiten im Rechtsverkehr verpflichtet werden kann, weil er über ein Vermögen verfügt, welches den Gesellschaftsgläubigern funktional zugewiesen werden kann.
2. Zwingender Zusammenhang von Rechtsfähigkeit und Gesellschaftsvermögen Notwendige Voraussetzung der Rechtsfähigkeit einer Personenmehrheit ist der Umstand, 7 dass diese über ein eigenes Vermögen verfügt. Ohne ein Vermögen, welches im Rahmen von Verbindlichkeiten einem Haftungszugriff unterworfen werden kann, ist eine Vereinigung nicht verkehrsfähig. Umgekehrt ist die reine Innen-GbR nicht vermögensfähig. § 705 Abs. 2, § 713 BGB bringen dies zum Ausdruck. Mit der Vereinbarung eines gemeinsamen Gesellschaftszwecks, der über eine bloße Innenge- 8 sellschaft hinausgeht, findet eine Verselbstständigung des Verbandsvermögens in der Hand des durch den Verbandszweck konstituierten Rechtssubjekts statt.3 Das Gesellschaftsvermögen kommt jedenfalls in Gestalt der mit dem Gesellschaftsvertrag zwischen den Gesellschaftern vereinbarten Beitragsleistungen mit der Konstituierung des Verbandes zur Entstehung, indem diese der Gesellschaft als Sozialansprüche zugeordnet werden, ohne dass es eines besonderen Einbringungsaktes der Gesellschafter bedürfte.4
3 Vgl. Schäfer in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2018, § 105 HGB Rz. 20, 266; s. aber bereits, Affolter, ArchBürgR (1891), 1, 7, 9. 4 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 148; Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 42; Schäfer in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2018, § 105 HGB Rz. 266, 270. Könen | 227
§ 713 BGB Rz. 9 | Rechtsfähige Gesellschaft
3. Weicher Kapitalschutz durch Vermögenstrennung 9 Dadurch, dass die §§ 705, 712, 712a BGB die Rechtssubjektivität des Personenverbandes da-
von abhängig machen, dass dieser auf einem Sozietätsfundament mindestens zweier gesellschaftsvertraglich verbundener Mitgliedschaften fußt, wird auch in der Personenaußengesellschaft ein gewisser Vermögensschutz gewährleistet. So ist das Gesellschaftsvermögen einerseits vor dem Hintergrund des Gesellschaftszwecks zweckgebunden dem Personenverband nach § 713 BGB zugewiesen. Andererseits bedeutet die Rechtsfähigkeit des Personenverbandes, dass die einzelnen Gesellschafter grundsätzlich nur dann einen Zugriff auf Vermögensbestandteile der Gesellschaft erhalten, sofern diese dem zustimmt. In Anbetracht der Sozietätskonstruktion ist einer entsprechenden Verfügung durch die Gesellschaft ein privatautonomer Aushandlungsprozess des Gesellschafters mit der Gesellschaft vorausgeschaltet. Im Rahmen dessen wird sich die Gesellschaft im marktwirtschaftlichen System gegenüber einem einzelnen Gesellschafter nur zu etwas verpflichten, wofür sie einen äquivalenten Vermögenswert erhält (§ 712 BGB Rz. 12).5 Aus der Sozietätskonstruktion folgt, dass der einzelne Gesellschafter im Rahmen dieses Aushandlungsprozesses grundsätzlich einer Gesellschaftermehrheit gegenübertritt, die kollektiv den Gesellschaftswillen zu bilden hat. Handeln einzelne Gesellschaftergeschäftsführer oder Mehrheitsgesellschafter auf der Grundlage delegierter Geschäftsführungskompetenzen bzw. einer Mehrheitsklausel, sind diese sowohl dem Verbandszweck als auch dem mitgliedschaftlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet, der zur sachlichen Rechtfertigung von Entscheidungen verpflichtet. 10 Nur auf der Grundlage gesellschaftsvertraglicher Vereinbarung oder einheitlicher Willens-
bildung kann dem Personenverband Vermögen entzogen werden. Diese Möglichkeit ist aber keine Frage des Kapitalschutzes, sondern eine über die Grundlagen der verbandsrechtlichen Rechtssubjektivität. Nur in dieser Hinsicht – mit Blick auf die Möglichkeit, den Verband auf der Grundlage gemeinschaftlicher Entscheidung von innen auszuhöhlen und die Gesellschaft in einen Zustand materieller Insolvenz oder Liquidationsreife zu versetzen – ist ein kompensationswürdiges Gläubigerschutzdefizit gegeben. Zehren die Gesellschafter den Verband aber auf diese Weise von innen aus, bestimmt auch das Gesetz in der Weise eine Aufweichung der Vermögenstrennung, dass die Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft verpflichtet sind, Verluste auszugleichen (§§ 728a, 737 BGB). Zu einer vollständigen Aufhebung der Vermögenstrennung in dinglicher Hinsicht kommt es indes erst, wenn der Liquidationsverband vollbeendigt werden kann, weil alle Verbindlichkeiten getilgt wurden. Erst zu diesem Zeitpunkt – wenn der Verband nicht mehr Schuldner von Verbindlichkeiten sein muss, weil Gläubigerinteressen den funktionalen Zugriff auf ein Schuldnervermögen gebieten – endet die Vermögenstrennung zwischen dem vermögenstragenden Personenverband sowie den Privatvermögen der Gesellschafter. Ein vorzeitiges Erlöschen des Personenverbandes kommt deswegen nicht in Betracht, weil die funktionale Haftungszuweisung des Gesellschaftsvermögens an die Gesellschaftsgläubiger erst dann das Erlöschen des Gesellschaftsvermögens und des dieses tragenden Personenverbandes ermöglicht, wenn die Verbindlichkeiten getilgt sind. Indem § 713 BGB Aktiv- und Passivvermögen als Gesellschaftsvermögen definiert, wird die Vermögenstrennung in diesem weiten Sinne angeordnet. Genauso, wie ein Subjekt ein Vermögen haben muss, um Schuldner von Verbindlichkeiten sein zu können, muss ein Rechtssubjekt so lange existieren, wie noch haftungsunterworfenes Vermögen existiert. 5 Sog. vertragliches „Äquivalenzprinzip“, wobei sich das ausgleichende Äquivalenz für eine Vermögenseinbuße anhand subjektiver, objektiver sowie funktionaler Kriterien zu bestimmen hat, Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 172 ff.; vgl. Olzen in Staudinger, 2015, Einleitung zum Schuldrecht Rz. 66 ff.; Brinkmann, Kreditsicherheiten an beweglichen Sachen und Forderungen, 2011, S. 259 ff.; Medicus/Petersen, BGB AT, 11. Aufl. 2016, § 17 Rz. 177, 478 f., 866 („vertraglich gewollte Äquivalenz“); Neuner, BGB AT, 13. Aufl. 2023, § 10 Rz. 33 ff.
228 | Könen
Gesellschaftsvermögen | Rz. 14 § 713 BGB
III. Folgen der Vermögensträgerschaft des Personenverbandes Dadurch, dass § 713 BGB zum Ausdruck bringt, dass sich das Gesellschaftsvermögen – wie 11 dasjenige des Erblassers – auf sämtliche Aktiva und Passiva bezieht, wird klar hervorgehoben, dass ein Gesellschaftsvermögen nicht in quantitativer Hinsicht angesammelt werden muss. Das Gesellschaftsvermögen entsteht daher in qualitativer Hinsicht als unmittelbare Folge der Vereinbarungen von Beitragspflichten der Gesellschafter an die Gesellschaft.6 Auf die Leistung der Beiträge kann es nicht ankommen, um die Verkehrsfähigkeit des Personenverbandes zu gewährleisten. So sind es nicht irgendwelche Kapitalaufbringungsregeln, die ein Rechtssubjekt verkehrsfähig machen, sondern die Solvenzerwartungen der Gläubiger, der Verband werde seine Verbindlichkeiten erfüllen. Diese Erwartung kann sich aus einer gewährleisteten Mindestausstattung einer Rechtsform ergeben, daraus, dass die Gesellschaft hinreichende Kreditsicherheiten zur Verfügung stellt oder daraus, dass tatsächliche Liquidität vorhanden ist. Der persönlichen Gesellschafterhaftung kommt rechtsformspezifisch die Funktion einer solchen Kreditsicherheit zu, indem für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft den Gläubigern der Zugriff auf weitere – schuldnerfremde – Vermögensverbindungen eröffnet wird. Von einem hinreichenden Monitoring, inwiefern überhaupt verwertbares Vermögen des Schuldners oder auch dessen Gesellschaftern vorhanden ist, werden Gläubiger auch unter Geltung der persönlichen Gesellschafterhaftung nicht absehen. In quantitativer Hinsicht wird das Gesellschaftsvermögen durch die Leistung von Einlagen 12 erbracht (§ 709 BGB Rz. 5 ff.).
1. Beziehung der Gesellschafter zum Gesellschaftsvermögen Die Vermögensträgerschaft des Personenverbandes bedeutet, dass die Gesellschafter in keiner 13 Weise mehr an dem Gesellschaftsvermögen dinglich teilhaben. Ihre Teilhabe an der Verbandstätigkeit ist nur noch eine mitgliedschaftlich vermittelte. Im Innenverhältnis wird die mitgliedschaftliche Wertbeteiligung durch die Bilanzziffer Kapitalanteil abgebildet (§ 709 BGB Rz. 20 ff.). In wirtschaftlicher Hinsicht kommt dies dadurch zum Ausdruck, dass sie an Gewinnen und Verlusten während des werbenden Stadiums der Gesellschaft zunächst nur dadurch partizipieren, dass der Wert ihrer Gesellschaftsbeteiligung sich verändert. Ungeachtet der Tatsache, dass die Personenaußengesellschaft nach der Neukonzeption der §§ 705 ff. BGB gem. § 709 Abs. 3, § 718 BGB auf eine Vollausschüttung der Gesellschaftsgewinne ausgerichtet ist, wohingegen Verluste zunächst nur die Gesellschaft treffen, weil die Gesellschafter – ohne Äußerung eines entgegenstehenden Willens – nicht zu Nachschüssen verpflichtet sind, erfordert die werbende Tätigkeit einer Gesellschaft, dass diese auch in quantitativer Hinsicht über Vermögen verfügt, um der Gesellschaftstätigkeit nach dem Gesellschaftszweck nachgehen zu können. Die mitgliedschaftliche Beteiligung der Gesellschafter an der Gesellschaft richtet sich 14 gem. § 709 Abs. 3 Satz 1 BGB im Ausgangspunkt nach den vereinbarten „Beteiligungsverhältnissen“ – der sog. Anteilsquote. In Anbetracht des Gleichbehandlungsgrundsatzes sowie des daraus folgenden Gebots sachlicher Rechtfertigung mitgliedschaftlicher Rechte und Pflichten hat sich diese an dem von § 709 Abs. 3 Satz 2 BGB subsidiär heranzuziehenden vereinbarten Wert der Beitragsleistungen zu orientieren. Die auf diese Weise zu ermittelnde Anteilsquote entspricht einem festen Kapitalanteil I, wie er bilanziell auf einem Kapitalkonto I im Rahmen des etablierten Drei-Konten-Modell geführt werden kann (§ 709 BGB Rz. 20 ff., 30). Diese feste Rechnungsziffer ist auch Bezugspunkt für den Anteil an erzielten
6 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 148, 147; Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 85, 88 ff., 259, 275 f., 279 f., 319, 354. Könen | 229
§ 713 BGB Rz. 14 | Rechtsfähige Gesellschaft Gesellschaftsgewinnen, die nach Feststellung des Jahresabschlusses anteilig herausverlangt werden können. Indem § 709 Abs. 3 Satz 1 BGB bestimmt, dass sich auch die Verlustbeteiligung anhand des festen Kapitalanteils zu bestimmen ist, ist nicht gemeint, dass die Gesellschafter zu vergleichbaren Teilen an den Verlusten teilhaben sollen, wenn die Gesellschaft liquidiert wird, unabhängig davon, wieviel sie zuvor entnommen haben. Vielmehr setzt die Regelung eines kapitalistischen Verteilungsschlüssels durch § 709 Abs. 3 Satz 1 BGB voraus, dass sich Einlagen (§ 709 BGB Rz. 6), stehen gelassene Gewinne und Gewinnauszahlungen in einem zusätzlichen variablen Kapitalanteil II niederschlagen (vgl. § 120 Abs. 2 HGB), wie sie im Rahmen eines Mehr-Konten-Models auf dem variablen Kapitalkonto II zu verbuchen sind. Nur auf der Grundlage der Annahme eines variablen Kapitalanteils II neben einem festen Kapitalanteil I – auch für die GbR – lässt sich eine dem Gleichbehandlungsgrundsatz entsprechende willkürfreie Gewinn- und Verlustbeteiligung für den Fall des Ausscheides bzw. der Liquidation ermitteln. Die Beschränkung auf einen festen Kapitalanteil würde demgegenüber willkürliche Ergebnisse provozieren, was auch der Rechtsnatur des Personenverbandes als rechtsfähiges Subjekt widerspräche – schließlich sind die Abfindungsund Auseinandersetzungsansprüche gegen die Gesellschaft zu richten.
2. Wirkungen der Gesellschaftsauflösung 15 Mit der Anerkennung der Personenaußengesellschaft als vermögenstragendes Rechtssubjekt
geht einher, dass dieses auch im Falle der Auflösung identitätswahrend als sog. Liquidationsverband fortbesteht. Der Gesellschaftszweck wird insoweit lediglich durch den Liquidationszweck überlagert. Während der identitätswahrende Fortbestand als Personenaußengesellschaft bedingt, dass die Sozietätskonstruktion fort gilt, kommt es mit dem Eintritt in das Liquidationsstadium zu einer Aufweichung des Grundsatzes der Selbstorganschaft, indem § 736a Abs. 3 BGB Liquidatoren auch zulässt, obwohl diese keine Gesellschafter sind. Mit dem identitätswahrenden Fortbestand geht einher, dass dem Personenverband das Gesellschaftsvermögen weiterhin allein zugewiesen ist. In dinglicher Hinsicht bleibt die rechtssubjektive Vermögenstrennung konsequent aufrechterhalten, bis der Verband durch Vollbeendigung aufhört, als Rechtssubjekt zu existieren. Eine Vollbeendigung kommt erst in Betracht, wenn sämtliche Verbindlichkeiten der Gesellschaft getilgt sind, weil anderenfalls mit dem Gesellschaftsvermögen noch ein Liquidationsbedarf existiert. Die Regelung des § 735 Abs. 1 BGB trägt der in diesem Sinne verstandenen Rechtsfähigkeit der Personenaußengesellschaft nur in missverständlicher Weise Rechnung und ist in dem Sinne anzuwenden, dass eine Liquidation immer dann noch erforderlich ist, sofern „Vermögen“ i.S.d. § 713 BGB vorhanden ist. Da sich der Vermögensbegriff des § 713 BGB auf sämtliche Aktiva und Passiva bezieht, führen auch offene Gesellschaftsverbindlichkeiten dazu, dass eine liquidationslose Vollbeendigung nicht in Betracht kommt. Im Innenverhältnis zwischen der Gesellschaft und den Gesellschaftern hat die Auflösung indes einschneidende Folgen, weil nach § 737 BGB (vgl. auch § 728a BGB) Verluste der Gesellschaft durch die Gesellschafter auszugleichen sind. Genau wie der Auseinandersetzungsanspruch des Gesellschafters nach § 736d Abs. 5, Abs. 6 BGB (vgl. auch § 728 BGB) gegen die Gesellschaft, gerichtet auf Zahlung aus dem Gesellschaftsvermögen, geltend zu machen ist, richtet sich der Ausgleichsanspruch der Gesellschaft gegen die Gesellschafter auch auf Zahlung in das Gesellschaftsvermögen. 16 Ist über das Vermögen der Gesellschaft ein Insolvenzverfahren eröffnet worden und ist die
Gesellschaft unter dem besonderen Liquidationsregime der Insolvenzordnung durch den Insolvenzverwalter vollzubeendigen (vgl. § 199 Satz 2 InsO, § 735 Abs. 1 BGB), bedeutet die funktionale Zuweisung der Nachschussansprüche nach § 737 BGB in das Gesellschaftsvermögen, dass diese von dem Insolvenzbeschlag erfasst und Bestandteil der Masse nach § 35 InsO sind. Die Geltendmachung durch den Insolvenzverwalter erfolgt dementsprechend nach § 80 InsO. Gleichwohl ist die liquidationsrechtliche Verlustausgleichspflicht der Gesell230 | Könen
Beschlussfassung | § 714 BGB
schafter nach § 737 BGB eine rein innenrechtliche und – in den Grenzen der allgemeinen Mitgliedsrechte – vollständig der gesellschaftsvertraglichen Gestaltung zugänglich. Haben die Gesellschafter die Verlustausgleichspflicht ausgeschlossen, bedeutet die Auflösung der Gesellschaft, dass die Vermögenstrennung zwischen Gesellschaftsvermögen und Privatvermögen der Gesellschafter bis zur Vollbeendigung der Gesellschaft aufrechterhalten bleibt. Die Gläubiger sind in diesem Fall darauf verwiesen, ihre Gesellschaftsforderungen auf der Grundlage der persönlichen Gesellschafterhaftung nach § 721 BGB geltend zu machen, wodurch die Gesellschaftsverbindlichkeiten analog §§ 363, 267 BGB erlöschen (§ 710 BGB Rz. 24). Im Falle der Insolvenz erfolgt die Geltendmachung der Gesellschafterhaftung – bei gewahrter Forderungszuständigkeit der Gläubiger – nach § 93 InsO durch den Insolvenzverwalter. In Anbetracht der Tatsache, dass eine Leistung der Gesellschafter im Rahmen der Gesellschafterhaftung eine Zahlung für die Gesellschaft darstellt, entsteht für den leistenden Gesellschafter einerseits ein Aufwendungsersatzanspruch gegen die Gesellschaft nach § 716 BGB, andererseits kann er nach § 426 Abs. 1 BGB Regress bei den Mitgesellschaftern nehmen. Im Falle der Gesellschaftsinsolvenz ist der Aufwendungsersatzanspruch gegen die Gesellschaft nach § 716 BGB teleologisch zu reduzieren, weil es anderenfalls – in Anbetracht der Geltendmachung durch den Insolvenzverwalter – zu der Begründung einer Masseverbindlichkeit zu Lasten der Gläubigergesamtheit käme.
§ 714 BGB Beschlussfassung Gesellschafterbeschlüsse bedürfen der Zustimmung aller stimmberechtigten Gesellschafter. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. 1. 2. II. 1.
Grundlagen Regelungsgegenstand und Normzweck Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . Beschluss als etabliertes Rechtsinstitut Einheitliche Mechanik a) Erfordernis eines Beschlussantrags und Kundgabe der Einzelstellungnahmen hierzu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine weitergehenden tatsächlichen Erfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beschlusstatbestand und Rechtsnatur a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fehlende Stringenz herkömmlicher Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beschlussfeststellung als Tatbestandsmerkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Kein überbordender Formalismus . . . 3. Erfordernis einer Beschlussfassungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beschlussfassungen im Recht der Personengesellschaften
1 4
8 10 12 17 21 24 26
1. Beschlussfassungskompetenzen a) Automatik organschaftlicher Beschlussfassung bei laufender Verwaltungstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . b) Organschaftliche und nichtorganschaftliche Beschlussfassung in Grundlagenangelegenheiten kraft vertraglicher Vereinbarung . . . . . . . . . c) Bilanzfeststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beschlussantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abstimmung a) Stimmfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stimmpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stimmvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Stimmrechtsschranken aa) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Stimmverbot bei einem Richten in eigener Sache . . . . . . . . . . . . . . . cc) Treuepflicht als bewegliche Stimmrechtsschranke . . . . . . . . . . dd) Vertragliche Modifikationen . . . . e) Modalitäten der Stimmabgabe
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29 33 34 36 40 42 46 47 48 50
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Beschlussfassung | § 714 BGB
schafter nach § 737 BGB eine rein innenrechtliche und – in den Grenzen der allgemeinen Mitgliedsrechte – vollständig der gesellschaftsvertraglichen Gestaltung zugänglich. Haben die Gesellschafter die Verlustausgleichspflicht ausgeschlossen, bedeutet die Auflösung der Gesellschaft, dass die Vermögenstrennung zwischen Gesellschaftsvermögen und Privatvermögen der Gesellschafter bis zur Vollbeendigung der Gesellschaft aufrechterhalten bleibt. Die Gläubiger sind in diesem Fall darauf verwiesen, ihre Gesellschaftsforderungen auf der Grundlage der persönlichen Gesellschafterhaftung nach § 721 BGB geltend zu machen, wodurch die Gesellschaftsverbindlichkeiten analog §§ 363, 267 BGB erlöschen (§ 710 BGB Rz. 24). Im Falle der Insolvenz erfolgt die Geltendmachung der Gesellschafterhaftung – bei gewahrter Forderungszuständigkeit der Gläubiger – nach § 93 InsO durch den Insolvenzverwalter. In Anbetracht der Tatsache, dass eine Leistung der Gesellschafter im Rahmen der Gesellschafterhaftung eine Zahlung für die Gesellschaft darstellt, entsteht für den leistenden Gesellschafter einerseits ein Aufwendungsersatzanspruch gegen die Gesellschaft nach § 716 BGB, andererseits kann er nach § 426 Abs. 1 BGB Regress bei den Mitgesellschaftern nehmen. Im Falle der Gesellschaftsinsolvenz ist der Aufwendungsersatzanspruch gegen die Gesellschaft nach § 716 BGB teleologisch zu reduzieren, weil es anderenfalls – in Anbetracht der Geltendmachung durch den Insolvenzverwalter – zu der Begründung einer Masseverbindlichkeit zu Lasten der Gläubigergesamtheit käme.
§ 714 BGB Beschlussfassung Gesellschafterbeschlüsse bedürfen der Zustimmung aller stimmberechtigten Gesellschafter. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. 1. 2. II. 1.
Grundlagen Regelungsgegenstand und Normzweck Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . Beschluss als etabliertes Rechtsinstitut Einheitliche Mechanik a) Erfordernis eines Beschlussantrags und Kundgabe der Einzelstellungnahmen hierzu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine weitergehenden tatsächlichen Erfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beschlusstatbestand und Rechtsnatur a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fehlende Stringenz herkömmlicher Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beschlussfeststellung als Tatbestandsmerkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Kein überbordender Formalismus . . . 3. Erfordernis einer Beschlussfassungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beschlussfassungen im Recht der Personengesellschaften
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1. Beschlussfassungskompetenzen a) Automatik organschaftlicher Beschlussfassung bei laufender Verwaltungstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . b) Organschaftliche und nichtorganschaftliche Beschlussfassung in Grundlagenangelegenheiten kraft vertraglicher Vereinbarung . . . . . . . . . c) Bilanzfeststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beschlussantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abstimmung a) Stimmfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stimmpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stimmvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Stimmrechtsschranken aa) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Stimmverbot bei einem Richten in eigener Sache . . . . . . . . . . . . . . . cc) Treuepflicht als bewegliche Stimmrechtsschranke . . . . . . . . . . dd) Vertragliche Modifikationen . . . . e) Modalitäten der Stimmabgabe
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§ 714 BGB | Rechtsfähige Gesellschaft
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5. 6.
7.
IV. 1. 2.
aa) Geltung allgemeiner Anforderungen an die Abgabe einer Willenserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bedingte Stimmabgabe nur bei Gestattung oder fehlendem Schwebezustand . . . . . . . . . . . . . . . cc) Formale Vorgaben . . . . . . . . . . . . . dd) Bindung an die abgegebene Stimme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Anfechtung der Stimmabgabe . . . . . . . g) Stimmbindungen aa) Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wirkung und Durchsetzung . . . . . Beschlussfeststellung a) Ermittlung des Beschlussergebnisses . b) Feststellung der Annahme oder Ablehnung des Beschlussantrags . . . . Auslegung von Beschlüssen . . . . . . . . . . Besondere Beschlussformen a) Bedingte und befristete Beschlüsse . . . b) Beschlüsse mit Zustimmungsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Protokollierung, Beurkundung, Beschlusseintragung und Beschlussausführung als bloße beschlussanknüpfende Akte . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erfordernis und Entwicklungslinien des Minderheitenschutzes (Meinungsstand)
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a) Entwicklung der Rechtsprechung . . . . b) Resonanz in der Lehre . . . . . . . . . . . . . 3. System eines Minderheitenschutzes bei Personengesellschaften a) Formelle Ebene: Keine erhöhten Anforderungen an die Bestimmtheit der Mehrheitsklausel . . . . . . . . . . . . . . b) Materielle Ebene: Dreistufiges Schutzkonzept aa) Unverzichtbare Rechte . . . . . . . . . . bb) Unentziehbare Rechte . . . . . . . . . . cc) Allgemeine Treuepflichtkontrolle V. Beschlussmängel 1. Stimmmängel und Beschlussmängel . . 2. Nichtbeschluss bei Fehlen von Antrag, Abstimmung oder Feststellung . . . . . . . 3. Wirkungslosigkeit bei fehlender Regelungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Formelle und materielle Beschlussmängel a) Fortgeltung des „Nichtigkeitsmodells“ b) Verfahrensfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Inhaltsfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Einschränkungen der Nichtigkeit . . . . 5. Gerichtliche Geltendmachung durch allgemeine Feststellungsklage . . . . . . . . 6. Abweichende Vereinbarungen . . . . . . . . 7. Schiedsfähigkeit von Beschlussmängelstreitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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94 97 100 109 110 112 115
118 121 123 124 127 130 132
Schrifttum: Altmeppen, Beschlussfeststellung, Stimmrecht und Klageobliegenheit in der GmbH, GmbHR 2018, 225 ff.; Altmeppen, Dogmatische Grundfragen des Beschlusstatbestands in GmbH und Personengesellschaft und ihre Bedeutung für Online-Beschlussfassungen, NZG 2022, 1563 ff.; Altmeppen, Kernbereichslehre, Bestimmtheitsgrundsatz und Vertragsfreiheit in der Personengesellschaft, NJW 2015, 2065 ff.; Bachmann, Zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG), NZG 2020, 612 ff.; Baltzer, Der Beschluß als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion im Privatrecht, 1965; Baltzer, Zur Anfechtung von Gesellschafterbeschlüssen bei Antragsablehnung, GmbHR 1972, 57 ff.; Bartholomeyczik, Der Körperschaftsbeschluß als Rechtsgeschäft, ZHR 105 (1938), 293 ff.; Bartholomeyczik, Die Anfechtung der Stimmabgabe zum Körperschaftsbeschluß, AcP 144 (1938), 287 ff.; Bartholomeyczik, Die Stimmabgabe im System unserer Rechtshandlungen, 1937; Bauerfeind/Müller, Die Rechtsnatur des Gesellschafterbeschlusses, GmbHR 2020, 1215 ff.; Baumann/Wagner, Schiedsfähigkeit I, II oder III – Ob Ihr Recht habt oder nicht, sagt Euch der BGH – Zur Schiedsfähigkeit von Beschlussmängelstreitigkeiten in Personengesellschaften BB 2017, 1993 ff.; Bayer/Möller, Beschlussmängelklagen de lege lata und de lege ferenda, NZG 2018, 801 ff.; Bayer/Möller, Stellvertretung bei der verbandsrechtlichen Beschlussfassung, Festschrift für Christine Windbichler, 2020, S. 535 ff.; Bayer/Rauch, Beschlussmängel im neuen Recht der Personengesellschaften nach dem MoPeG, DB 2021, 2609 ff.; Bohn, Wesen und Rechtsnatur des Gesellschaftsbeschlusses, 1950; Borris, Die „Schiedsfähigkeit“ von Beschlussmängelstreitigkeiten in der Personengesellschaft – Zum Beschluss des BGH vom BGH 6.4.2017 („Schiedsfähigkeit III“), NZG 2017, 761 ff.; Böttcher, Gesellschaftsvertragliche Mehrheitsklauseln und Stimmverbote bei Personengesellschaften in der aktuellen BGH-Rechtsprechung, NZG 2019, 61 ff.; Bruns, Lücken in der rechtlichen Wertung des körperschaftlichen Rechtsgeschäfts?, Festschrift für Felix Senn, 1954, S. 137 ff.; Busche, Zur Rechtsnatur und Auslegung von Beschlüssen, Festschrift für Franz Jürgen Säcker zum 70. Geburtstag, 2011, S. 45 ff.; Claußen/Pieronczyk, Das Beschlussmängelrecht in der eingetragenen Gesellschaft bürgerlichen Rechts – Ein Plädoyer für die Erstreckung des Anfechtungsmodells auf die „eGbR“, NZG
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Beschlussfassung | § 714 BGB 2021, 620 ff.; David, Die Anfechtung der Stimmabgabe bei den Verbandsbeschlüssen, insbesondere den Aufsichtsratsbeschlüssen, gemäß §§ 119 ff. BGB, 1930; Deutscher Anwaltverein (DAV), Stellungnahme durch den Ausschuss Handelsrecht unter Mitwirkung der Ausschüsse Anwaltsnotariat und Berufsrecht zum Mauracher Entwurf für ein Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG), NZG 2020, 1133 ff.; Drescher, Beschlussmängelrecht, ZGR-Sonderheft 23, 2020, 115 ff.; Enzinger, Mehrheitsbeschlüsse bei Personengesellschaften, 1995; Ernst, Beschluss als Organakt, Liber Amicorum für Detlef Leenen, 2012, S. 1 ff.; Ernst, Mehrheitsabstimmung bei schriftlicher Beschlussfassung, ZIP 2020, 889 ff.; Fehrenbach, Das Beschlussmängelrecht der Personengesellschaft nach dem Mauracher Entwurf, WM 2020, 2049 ff.; Feltl, Der Beschluss als Instrument organschaftlicher Willensbildung im Privatrecht, Festschrift für Josef Aicher, 2012, S. 79 ff.; J. W. Flume, Der minderjährige Gesellschafter – Ein Beitrag zur Zusammenführung von Beschlussdogmatik und Minderjährigenrecht, NZG 2014, 17 ff.; Gerauer, Die Dogmatik des Gesellschafterbeschlusses, 2019; Goette/M. Goette, Mehrheitsklauseln im Personengesellschaftsrecht, DStR 2016, 74 ff.; Grunewald, Die Vollmacht bei der Beschlussfassung – ein Beispiel für einen allgemeinen Teil des Rechts der Beschlüsse, Festschrift für Eberhard Vetter, 2019, S. 173 ff.; Habersack, Modernisierung des Personengesellschaftsrechts – aber wie?, ZGR 2020, 539 ff.; Happ, Der fehlerhafte Beschluss in der Personengesellschaft, 2021; Heck, Gesellschafterbeschlüsse und Willensmängel bei der Gesellschaft des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Festschrift für Otto von Gierke, 1911, S. 319 ff.; Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, 2023 (im Erscheinen); A. Hueck, Das Recht der offenen Handelsgesellschaft, 4. Auflage, 1971; A. 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Noack, Fehlerhafte Beschlüsse in Gesellschaften und Vereinen, 1989; Nolting, Neue Anforderungen an Schiedsklauseln zwischen Personengesellschaftern – „Schiedsfähigkeit III“; ZIP 2017, 1641 ff.; Nolting, Anfechtungsklage gegen Beschlüsse im Personengesellschaftsrecht und deren Fixierung, NJW 2022, 113 ff.; Otte, Beschlussmängelstreitigkeiten in Personengesellschaften nach dem Mauracher Entwurf für ein Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, ZIP 2020, 1743 ff.; Otte-Gräbener, Umfassende Modernisierung des Personengesellschaftsrechts – Entwurf der Expertenkommission, BB 2020, 1295 ff.; Otto, Anforderungen an die Schiedsvereinbarung für gesellschaftsrechtliche Beschlussmängelstreitigkeiten, ZGR 2019, 1082 ff.; Pieronczyk, Folgen des Rechtsformwechsels zwischen GbR und oHG für Beschlussmängelklagen nach dem MoPeG, ZIP 2022, 1033 ff.; Renkl, Der Gesellschafterbeschluss, 1982; Schäfer, Der Bestimmtheitsgrundsatz ist (wirklich) Rechtsgeschichte, NZG 2014, 1401 ff.; Schäfer, Grundzüge eines Beschussmängelrechts für die Personengesellschaft, Festschrift für Karsten Schmidt zum 80. Geburtstag, Band II, 2019, S. 323 ff.; Schäfer, Interessenkonflikte und Unabhängigkeit im Recht der GmbH und der Personengesellschaften, ZGR 2014, 731 ff.; Schäfer, Neue Impulse für den Minderheitenschutz gegen Mehrheitsbeschlüsse, Festschrift für Alfred Bergmann, 2018, S. 617 ff.; Schäfer, Beschlussfassung und Beschlussanfechtung in der Personenhandelsgesellschaft nach dem MoPeG-RegE, ZIP 2021, 1527 ff.; Schall, Eine dogmatische Kritik am „Mauracher Entwurf“ zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, ZIP 2020, 1443 ff.; K. Schmidt, Ein neues Zuhause für das Recht der Personengesellschaften – Zum Regierungsentwurf eines MoPeG, ZHR 185 (2021), 16 ff.; K. Schmidt, Beschlussmängel und Beschlussmängelstreitigkeiten nach der Modernisierung des PersonenHolle | 233
§ 714 BGB Rz. 1 | Rechtsfähige Gesellschaft gesellschaftsrechts – Reformgesetzgebung und Rechtsfortbildung im Dialog, ZHR 187 (2023), 107 ff.; Uwe H. Schneider, Die Änderung des Gesellschaftsvertrages einer Personengesellschaft durch Mehrheitsbeschluß, ZGR 1972, 357 ff.; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007; Skauradszun, Der Beschluss als Rechtsgeschäft, 2020; Tröger/Happ, Unzulängliche Institutionenbildung im Beschlussmängelrecht der Personengesellschaft, NZG 2021, 133 ff.; Tröger/Happ, Beschlussmängelrecht nach dem MoPeG: Bestandsaufnahme, Kritik und Fortentwicklung, ZIP 2021, 2059 ff.; Ulmer, Mehrheitsbeschlüsse in Personengesellschaften: definitiver Abschied vom Bestimmtheitsgrundsatz, ZIP 2015, 657 ff.; Vormbaum, Die Anwendung der Begriffe Willenserklärung und Rechtsgeschäft auf den Beschluß der Generalversammlung und das Abstimmen in ihr, 1929; Winnefeld, Stimmrecht, Stimmabgabe und Beschluß, ihre Rechtsnatur und Behandlung, DB 1972, 1053 ff.; Zöllner, Beschluß, Beschlußergebnis und Beschlußergebnisfeststellung – Ein Beitrag zu Theorie und Dogmatik des Beschlußrechts, Festschrift für Marcus Lutter, 2000, S. 821 ff.; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963.
I. Grundlagen 1. Regelungsgegenstand und Normzweck 1 Der Gesetzgeber hat § 714 BGB durch MoPeG umfassend neu gefasst. Die in § 714 BGB a.F.
enthaltenen Vorgaben zur Vertretung der Gesellschaft finden sich mit inhaltlichen Änderungen nunmehr in § 720 BGB. Die Wertungen des § 714 BGB waren bislang überwiegend § 709 BGB a.F. zu entnehmen. § 709 BGB a.F. war zwar primär die Grundnorm für Geschäftsführung. Indem in § 709 Abs. 1 Halbs. 2 BGB a.F. das Zustimmungsprinzip vorgegeben war und in § 709 Abs. 2 BGB a.F. darüber hinaus Mehrheitsbeschlüsse zugelassen und Zweifelsregelung für Berechnung der Mehrheit aufgestellt waren, war § 709 BGB aber zugleich als Grundlage für das Beschlussrecht in der GbR zu verstehen.1 2 In seiner aktuellen Fassung gibt § 714 BGB vor, dass Beschlüsse der Gesellschafter der Zu-
stimmung aller stimmberechtigten Gesellschafter bedürfen. Explizit regelt die Vorschrift damit das Abstimmungsprinzip und somit lediglich eine Modalität der Beschlussfassung der Gesellschafter.2 Implizit bringt die Vorschrift allerdings die Einsicht zum Ausdruck, dass die Willensbildung unter den Gesellschaftern im Beschlusswege erfolgt. Mangels anderweitiger Vorgaben, die sich den Beschlussfassungen der BGB-Gesellschafter annehmen, bildet § 714 BGB insofern die normative Grundlage für das gesamte Beschlussrecht in der GbR.3 Die Festschreibung allein des Abstimmungsprinzips hält den Rechtsanwendender allerdings dazu an, sonstige Regelungen zur Beschlussfassung und insbesondere die Beschlussdogmatik aus allgemeinen Lehren und analoger Anwendung einzelner Vorschriften aus anderen Beschusskonstellationen abzuleiten. 3 § 714 BGB ist dispositiv. Die Gesellschafter können vom Zustimmungsprinzip abweichen
und die Fassung von Mehrheitsbeschlüssen vorsehen.4 Erst recht können die Gesellschafter die in § 714 BGB als solche überhaupt nur vorausgesetzten Beschlussfassungen nach ihren Vorstellungen ausgestalten. Insofern steht es den Gesellschaftern insbesondere frei, ihre Beschlussfassungen an die Vorgaben anzugleichen, die der Gesetzgeber für die offene Handelsgesellschaften nunmehr in §§ 109 ff. HGB bereitstellt.
1 Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 709 BGB Rz. 50. 2 Vgl. auch Drescher, ZGR-Sonderheft 23, 2020, 115, 116. 3 Siehe auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 149: Vorschrift regelt Grundlagen gesellschaftsinterner Willensbildung und Entscheidungsfindung durch Beschlussfassung. 4 RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 149.
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Beschlussfassung | Rz. 6 § 714 BGB
2. Entstehungsgeschichte Die gegenüber dem bisherigen Recht vollzogene Herausnahme der Regelungen zur Be- 4 schlussfassung aus den Regelungen zur Geschäftsführung war weitestgehend entwicklungsgeschichtlich vorgezeichnet: Sie vollzieht die Verselbständigung der Gesellschaft bürgerlichen Rechts gegenüber ihren Gesellschaftern nach und beseitigt daher einen Missstand, der sich mit der fortschreitenden Weiterentwicklung des GbR-Rechts herausgebildet hat. Geschäftsführung und Beschlussfassung miteinander zu verweben, war auf der Grundlage eines rein schuldrechtlichen Verständnisses der Gesellschaft bürgerlichen Rechts vertretbar, da es sich insoweit sowohl bei der Geschäftsführung als auch bei der Beschlussfassung um autonome Entscheidungsprozesse unter den Gesellschaftern handelte. Je stärker dann allerdings die Geschäftsführung einer Gesellschaft gegenüber der Willensbildung und Entscheidungsfindung der Gesellschafter verselbständigt wurde, umso mehr drängte dies dazu, auch die Beschlusskompetenz der Gesellschafter von der Geschäftsführungskompetenz der Geschäftsführer zu trennen.5 Während Geschäftsführung jede zur Förderung des Gesellschaftszwecks bestimmte, für die Gesellschaft wahrgenommene Tätigkeit mit Ausnahme solcher Maßnahmen ist, die die Grundlagen der Gesellschaft betreffen, dient der nunmehr in § 714 BGB eigenständig geregelt Gesellschafterbeschluss im Ausgangspunkt „nur“ mehr dazu, im Rahmen von Grundlagengeschäften sowie außergewöhnlichen Geschäftsführungsmaßnahmen das Gesellschaftsverhältnis zu gestalten (vgl. auch § 715 Abs. 2 Satz 2 BGB). Als Instrument zur Entscheidungsfindung im Kollektiv begegnen Beschlüsse allerdings auch auf Ebene der Geschäftsführung.6 Die zurückhaltende Normierung der Beschlussfassungen erweist sich ansonsten als das Er- 5 gebnis einer wissenschaftlich eskortierten rechtspolitischen Abwägung,7 die dahingehend ausgefallen ist, die Privatautonomie, die bürgerlich-rechtliche Natur sowie den geringen Professionalisierungsgrad des Zusammenschusses zu betonen. So war im Mauracher-Entwurf noch vorgesehen, dass eine gesellschaftsvertragliche Mehrheitsklausel im Zweifel auch für Beschlüsse gilt, die auf eine Änderung des Gesellschaftsvertrags gerichtet sind (§ 714 Satz 2 BGB-Mauracher-Entwurf). Ausgehend vom dem Umstand, dass es sich bei einer GbR im Regelfall um einen weniger professionellen Zusammenschluss handelt, ist es allerdings zu Recht kritisch gesehen worden, einem einzelnen Gesellschafter die Darlegungs- und Beweislast dafür aufzuerlegen, dass er sich nicht umfänglich der Mehrheitsherrschaft unterworfen hat.8 Der Gesetzgeber hat daher von einer solchen Regelung Abstand gehalten und es insoweit bei den herkömmlichen Grundsätzen der Vertragsauslegung belassen (s. dazu noch unter Rz. 90, 96). Ebenso war im Mauracher-Entwurf noch anvisiert worden, das Beschlussmängelrecht der 6 Gesellschaft bürgerlichen Rechts so umfassend zu regeln wie das Beschlussmängelrecht der offenen Handelsgesellschaft (vgl. §§ 714a–714e BGB-Mauracher-Entwurf). Das bei Handelsgesellschaften nunmehr zur Anwendung gebrachte Anfechtungsmodell hätte zur Folge gehabt, dass bestimmte Mängel lediglich zur Anfechtbarkeit des Beschlusses führen und der Beschluss bei Nichterhebung einer Anfechtungsklage in Bestandskraft erwächst. Dies hätte
5 Vgl. K. Schmidt in Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Band 3, 1983, S. 413, 528. 6 Siehe auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 149; Servatius, GbR, 2023, § 714 BGB Rz. 8. 7 Allgemein zur umfassenden wissenschaftlichen Begleitung des MoPeG s. auch M. Noack, DB 2020, 2618. 8 DAV, NZG 2020, 1133 Rz. 39; Bayer/Rauch, DB 2021, 2609, 2611 f.; Drescher, ZGR-Sonderheft 23, 2020, 115, 119; M. Noack, DB 2020, 2618, 2621; vgl. auch Schäfer, ZIP 2021, 1527; K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 35; anders Habersack, ZGR 2020, 539, 559; M. Noack, NZG 2020, 581, 583. Holle | 235
§ 714 BGB Rz. 6 | Rechtsfähige Gesellschaft auch für die GbR einen Gewinn an Rechtssicherheit versprochen.9 Allerdings ist zuzugeben, dass dem Aspekt der Rechtssicherheit bei einem bei der GbR typischerweise überschaubaren Gesellschafterkreis kein so großes Gewicht beizumessen ist.10 Auch sind mit dem Anfechtungsmodell gewisse Förmlichkeiten verbunden, die bei weniger professionellen Zusammenschlüssen nicht passgenau erscheinen und auch der bürgerlich-rechtlichen Struktur des Zusammenschlusses zuwiderlaufen mögen.11 Dass der Gesetzeber das Anfechtungsmodell nunmehr lediglich im Recht der OHG kodifiziert hat,12 ist als rechtliches Datum hinzunehmen und kann nicht durch eine analoge Anwendung der §§ 109 ff. HGB auf sämtliche oder bestimmte Arten von Gesellschaften bürgerlichen Rechts (unternehmenstragende, eingetragene etc.) überspielt werden (s. auch noch Rz. 120).13 Den Gesellschaftern bleibt es jedoch unbenommen, im Gesellschaftsvertrag die Anwendung der handelsrechtlichen Regelungen vorzusehen (s. noch Rz. 131 f.).14 7 Die sonstige gesetzgeberische Zurückhaltung wie namentlich der Verzicht darauf, die Gesell-
schafterversammlung als Gesellschaftsorgan vorzusehen und Vorschriften für deren Zuständigkeit und Verfahren zu bereitzuhalten, erweist sich als heikles Unterfangen.15 Eine solche Regelungsleere ist unproblematisch, solange Beschlüsse nur mit der Zustimmung jedes einzelnen Gesellschafters zustande kommen.16 Für den Fall, dass es nicht der Zustimmung jedes Gesellschafters bedarf, sei es weil die Gesellschafter die Geltung des Mehrheitsprinzips vereinbart haben oder Stimmverbote eingreifen, besteht hingegen ein Normmangel. Dann nämlich bedarf es gewisser Vorkehrungen, um jedem Gesellschafter die Teilhabe an der Willensbildung17 sowie eine fundierte Entscheidungsfindung18 zu gewährleisten. Der Gesetzgeber setzt offensichtlich darauf, dass die Gesellschafter in solchen Fällen im Gesellschaftsvertrag selbst Vorsorge treffen. Bei wenig professionellen Zusammenschlüssen, die rechtlich nicht
9 Befürwortend daher etwa Lieder, ZRP 2021, 34, 35; Otte-Gräbener, BB 2020, 1295, 1297; K. Schmidt, ZHR 187 (2023), 107, 114 f.; Tröger/Happ, NZG 2021, 133, 137 ff.; Tröger/Happ, ZIP 2021, 2059, 2065 ff.; tendenziell auch Bayer/Rauch, DB 2021, 2609, 2610 f. 10 Drescher, ZGR-Sonderheft 23, 2020, 115, 124; anders etwa Otte, ZIP 2020, 1743, 1745. 11 Drescher, ZGR-Sonderheft 23, 2020, 115, 124 f.; vgl. auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 113, 228: Annahme, wonach bestimmte Mängel nur zur Anfechtbarkeit des Beschlusses führen und der Beschluss bei Nichterhebung einer Anfechtungsklage in Bestandskraft erwächst, erfordert gewisse „Mindestanforderungen an die Formalisierung der Beschlussfassung und damit einen Professionalisierungsgrad“, „der bei der gebotenen typisierenden Betrachtung eher bei den kaufmännischen Rechtsformen der offenen Handelsgesellschaft und der Kommanditgesellschaft als bei den nicht kaufmännischen Rechtsformen der Gesellschaft bürgerlichen Rechts und der Partnerschaftsgesellschaft zu erwarten“ ist; als nachvollziehbar einstufend Schäfer, ZIP 2021, 1527, 1530. 12 Letztlich begrüßend etwa DAV, NZG 2020, 1133 Rz. 37; Drescher, ZGR-Sonderheft 23, 2020, 115, 126; Fehrenbach, WM 2020, 2049, 2051 ff.; Habersack, ZGR 2020, 539, 559 ff.; Schall, ZIP 2020, 1443, 1450; tendenziell wohl auch Bachmann, NZG 2020, 612, 613. 13 In diese Richtung aber wohl Tröger/Happ, ZIP 2021, 2059, 2069 f.; in Bezug auf Mehrheitsbeschlüsse in BGB-Außengesellschaften K. Schmidt, ZHR 187 (2023), 107, 117; für die eingetragene GbR Claußen/Pieronczyk, NZG 2021, 620, 628; wie hier Grunewald in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 40; Liebscher in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 69; Pieronczyk, ZIP 2022, 1033, 1034 f. 14 RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 228. 15 Kritisch etwa auch Drescher, ZGR-Sonderheft 23, 2020, 115, 118. 16 Siehe auch Drescher, ZGR-Sonderheft 23, 2020, 115, 118. 17 Hierzu zuletzt ausdrücklich BGH v. 17.1.2023 – II ZR 76/21, NZG 2023, 564 Rz. 30. 18 Vgl. dann auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 226: Versammlung gewährleistet im Regelfall durch Möglichkeit zur Rede und direkten Widerrede im Kreis der Versammlungsteilnehmer optimale Willensbildung und Entscheidungsfindung bei gleichmäßiger Informationsversorgung.
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Beschlussfassung | Rz. 9 § 714 BGB
beraten sind, dürfte dies aber nicht ohne weiteres gewährleistet sein. Dann laufen die Gesellschafter Gefahr, rechtswidrige Beschlüsse zu fassen. Die vom Gesetz gewährte Flexibilität schlägt sich dann in fehlender Rechtssicherheit nieder.
II. Beschluss als etabliertes Rechtsinstitut 1. Einheitliche Mechanik a) Erfordernis eines Beschlussantrags und Kundgabe der Einzelstellungnahmen hierzu Der Beschluss wird von § 714 BGB als Verfahren zur Bildung eines einheitlichen Willens 8 aus den Einzelwillen mehrerer, die mit der Willensbildung betraut sind,19 vorausgesetzt. Auch ansonsten gibt die Rechtsordnung keinen Aufschluss darüber, wie sich diese gemeinschaftliche Willensbildung vollziehen soll. Anders als etwa die einzelne Willenserklärung oder der Vertrag hat der Beschluss bislang keine allgemeine Regelung erfahren. In sämtlichen Gesetzen wird er allenfalls mit Blick auf die verfahrenstechnischen Details oder das Vorliegen von Mängeln näher geregelt.20 Eine einheitliche rechtliche Erschließung des Beschlusses ist dadurch vorgezeichnet, dass 9 die Mechanik des Verfahrens zur Bildung eines einheitlichen Willens aus den Einzelwillen mehrerer weitestgehend „naturgesetzlich“ vorgegeben ist und das Beschlussverfahren hierdurch in sämtlichen Beschlusskonstellationen in gewissem Umfang konsolidiert wird.21 Der Grund für die naturgegebene Vorprägung des Beschlussverfahrens liegt darin, dass sich die eingeforderte einheitliche Entscheidung der zur Willensbildung berufenen Personen überhaupt nur erzielen lässt, wenn der Kundgabe der Einzelwillen eine Vorauswahl in Form eines Beschlussantrags vorangestellt wird, so dass die Kundgabe der Einzelwillen lediglich noch in einem „Ja“ oder „Nein“ zu dieser im Antrag vorformulierten Entscheidung beziehungsweise in einer Enthaltung bestehen kann.22 Erst solche, auf diese drei Inhalte verengten Einzelwillen, können gezählt und daraus rechnerisch ein Ergebnis als einheitlicher Wille abgeleitet werden. Würde man demgegenüber zulassen, dass die zur Willensbildung berufenen Personen nach Belieben ihren Einzelwillen kundtun, wäre nicht gewährleistet, dass hieraus rational ein einheitlicher Wille ermittelt werden kann. Die Bildung eines einheitlichen Willens aus den Einzelwillen mehrerer setzt also immer voraus, dass im Vorfeld der Einzelstel-
19 Zum Beschluss als Verfahren zur Willensbildung durch mehrere vgl. etwa Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion, 1965, S. 8 ff., 41; Busche in FS Säcker, 2011, S. 45; Grunewald in FS Vetter, 2019, S. 173; Zöllner in FS Lutter, 2000, S. 821; aus dem österreichischen Recht zuletzt Feltl in FS Aicher, 2012, S. 79, 82 f. 20 Eingehend Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 1 I (im Erscheinen). 21 Vgl. auch Grunewald in FS E. Vetter, 2019, S. 173: „Jedermann kennt jedenfalls in groben Zügen das Prozedere“; eingehender zum Folgenden Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 4 (im Erscheinen). 22 Vgl. auch Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion, 1965, S. 100 f., 104 f., 106; Baltzer, GmbHR 1972, 57, 59 f.; Bruns in FS Senn, 1954, S. 137, 139 f.; Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 4 I (im Erscheinen); Lohrmann, Anwendbarkeit der §§ 104–185 BGB auf die Stimmabgabe und den Gesellschafterbeschluss, 2019, S. 6; Zöllner, Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, 1963, S. 12 f., 358; Zöllner in FS Lutter, 2000, S. 821, 822. Holle | 237
§ 714 BGB Rz. 9 | Rechtsfähige Gesellschaft lungnahmen in einem Beschlussantrag23 eine ganz bestimmte, in sich einheitliche Entscheidung24 festgelegt wird. b) Keine weitergehenden tatsächlichen Erfordernisse 10 Für die Gewinnung eines einheitlichen Willens aus den Einzelwillen mehrerer spielt keine
Rolle, nach welchen konkreten Modalitäten die Kundgabe der Einzelwillen erfolgt. Dies kann im Rahmen einer präsenten oder audio-visuellen Versammlung, durch offene oder geheime und namentliche oder nicht namentliche Abstimmung geschehen.25 Die einzelne Stimme kann schriftlich, in elektronischer oder textlicher Form, mündlich oder durch Gesten wie Handheben oder Aufstehen abgegeben werden.26 Ebenso kann dies aber auch außerhalb einer Versammlung durch Einzelverständigung zwischen den zur Beschlussfassung berufenen Personen oder in einem sog. Umlaufverfahren erfolgen.27 Die Einzelstimmen müssen weder in einem zeitlich einheitlichen Vorgang noch in einer bestimmten inhaltlichen Reihenfolge abgegeben werden, etwa dergestalt, dass zuerst die „Ja“- Stimmen und erst dann die „Nein“- Stimmen sowie hierauf wiederum folgend die Enthaltungen kundzutun sind.28 Der Maßstab für das Beschlussverfahren ist am Ende allein, dass erkennbar sein muss, ob und wie die zur Beschlussfassung berufenen Personen jeweils zu einem konkreten Beschlussantrag Stellung beziehen.29 11 Sowohl der Formulierung des konkreten Antrags als auch der Kundgabe der Einzelstimmen
kann zudem eine Beratung vorausgehen, das heißt ein Meinungsaustausch unter den zur Willensbildung berufenen Personen.30 Nach welchem konkreten „Schlüssel“ die auf Abgabe der Einzelstimmen basierende rechnerische Ableitung des Beschlussergebnisses zu erfolgen hat, hängt alsdann vom jeweils geltenden Abstimmungsprinzip ab. Der Bezugspunkt, an dem das Vorliegen der für eine Annahme des Beschlussantrags erforderlichen Mehrheit zu ermitteln ist, kann dabei beliebig gesetzt werden. So kann es etwa auf die Mehrheit der zur Beschlussfassung berufenen Personen, die Mehrheit derselben, die bei der Beschlussfassung tatsächlich anwesend sind, oder die Mehrheit der abgegebenen „Ja“- und „Nein“-Stimmen
23 Der Beschlussantrag ist von der zumeist vorgesehener Ankündigung des Verhandlungs- und Beschlussgegenstandes bei Einberufung des zur Beschlussfassung berufenen Kollektivs (vgl. etwa § 32 Abs. 1 Satz 2 BGB, § 23 Abs. 2 WEG, § 13 Abs. 2 SchVG, § 74 Abs. 2 Satz 1 InsO, § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG) zu trennen. Auch hierbei wird zwar der Kreis möglicher Beschlussgegenstände eingeschränkt, da über nicht angekündigte Gegenstände kein Beschluss gefasst werden darf. Dies dient aber allein dem Zweck, die zur Beschlussfassung berufenen Personen die Ratsamkeit einer Teilnahme beurteilen zu lassen, ihnen die Möglichkeit der Vorbereitung zu geben und sie vor Überraschungen zu schützen. Folglich ist die Festlegung des Sachgehalts hier noch deutlich breiter und nicht wie beim Beschlussantrag derart verengt und gegenüber anderen Lösungsmöglichkeiten abgegrenzt, als dass sie die eine Lösung formulieren würde, zu der zur Beschlussfassung Berufene ihre Einzelstellungnahmen kundtun können; vgl. zum Ganzen auch Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion, 1965, S. 105. 24 Als Grundlage eines Beschlusses kommt also immer nur eine vorformulierte Antwort auf die sich stellende Frage in Betracht. Anders liegt es auch nicht im Fall von Wahlbeschlüssen. Aus Gründen der Vereinfachung werden hier häufig lediglich mehrere Lösungsmöglichkeiten nebeneinander zur Abstimmung gestellt, vertiefend Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion, 1965, S. 106 f. 25 Vgl. auch Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion, 1965, S. 134. 26 Gleichsinnig Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion, 1965, S. 147. 27 So schon Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion, 1965, S. 134. 28 Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion, 1965, S. 134, 135. 29 Ebenso Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion, 1965, S. 134, 147. 30 Ausführlicher Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion, 1965, S. 118 ff.
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ankommen (s. dazu noch Rz. 68 f.). In den beiden zuerst genannten Fällen handelt es sich um sog. Quorumsvorgaben.
2. Beschlusstatbestand und Rechtsnatur a) Meinungsstand Angesichts der „naturgesetzlichen“ Gegebenheiten ist unstreitig, dass zum rechtlichen Tat- 12 bestand des Beschlusses ein Antrag sowie die Abgabe von Einzelstellungnahmen hierzu gehören.31 Streit setzt bei Frage ein, ob und gegebenenfalls wie die Bildung eines einheitlichen Willens tatbestandlich alleine durch Elemente Antrag und Abstimmung dargestellt werden kann oder ob es hierfür noch der Feststellung des Abstimmungsergebnisses bedarf, die den Beschluss als Rechtsakt erst konstituiert.32 Für das tatbestandliches Verständnis vom Beschluss als nicht weiterführend erweist sich die 13 in der älteren gesellschaftsrechtlichen Literatur geprägte Formel, wonach der Beschluss ein sog. Gesamtakt ist.33 Im Recht der Wohnungseigentümer wird sie zwar noch immer gebraucht, um die rechtliche Natur von Beschlüssen schlagwortartig zu umschreiben. In dieser Eigenschaft hat sie Eingang in die Judikate des für das Wohnungseigentumsrecht zuständigen V. Zivilsenats gefunden.34 Der Begriff des Gesamtakts ist aber kein feststehender Rechtsbegriff,35 so dass er aus sich heraus nicht beantwortet, aus welchen Elementen der Beschluss rechtlich wie zu konstruieren ist.36 In der älteren gesellschaftsrechtlichen Literatur ist mit Blick auf die Personengesellschaft ver- 14 treten worden, dass sich die Elemente Antrag und Abstimmung jedenfalls bei Geltung des Zustimmungsprinzips zu einem Vertrag zusammenfügen ließen, derartige Beschlüsse also als durch die in Bezug auf den Antrag abgegebenen Einzelstimmen konstituierte Verträge zu
31 Deutlich auch Casper, Die Heilung nichtiger Beschlüsse im Kapitalgesellschaftsrecht, 1998, S. 31; Casper in FS Hüffer, 2010, S. 111, 114; Casper in Bork/C. Schäfer, GmbHG, 4. Aufl. 2019, § 47 Rz. 5; Eberspächer, Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen nach § 241 Nr. 3 AktG, 2009, S. 25; C. Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002, S. 13 f., 368; Skauradszun, Beschluss als Rechtsgeschäft, 2020, S. 70 mit Fn. 28 und S. 76 mit Fn. 55. 32 Ausführlich zum Meinungsstand Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 6 (im Erscheinen). 33 Siehe etwa Eltzbacher, Die Handlungsfähigkeit nach deutschem bürgerlichem Recht, Erster Band, Das rechtswirksame Verhalten, 1903, S. 165 ff.; O. von Gierke, Deutsches Privatrecht III, 1917, S. 840; Kisch, JurLitBl. 1909, 197, 200; Manigk, Das rechtswirksame Verhalten, Systematischer Aufbau und Behandlung der Rechtsakte des Bürgerlichen und Handelsrechts, 1939, S. 340; Manigk, Die Privatautonomie im Aufbau der Rechtsquellen, 1935, S. 58; vgl. ferner Gleitsmann, Vereinbarung und Gesamtakt, 1900, S. 11 f., 32 ff., 38; Gleitsmann, VerwArch 10 (1902), 395, 404 f., 419 f., 425. 34 Siehe etwa BGH v. 10.9.1998 – V ZB 11/98, BGHZ 139, 288, 297 = NJW 1998, 3713; aus dem Schrifttum vgl. etwa H. Müller, ZWE 2000, 237, 238; aus der Rechtsprechung zum Gesellschaftsrecht vgl. noch etwa BGH v. 22.9.1969 – II ZR 144/68, BGHZ 52, 316, 318 = NJW 1970, 33 (GmbH). 35 Vgl. nur Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts, 1967, S. 180. 36 Sich im Beschlusskontext ebenfalls ablehnend mit Begriff des Gesamtakts auseinandersetzend etwa Bohn, Wesen und Rechtsnatur des Gesellschaftsbeschlusses, 1950, S. 111 ff.; W. Flume, BGB AT II, 3. Aufl. 1979, S. 602 f.; Heck in FS O. von Gierke, 1911, S. 319, 354 ff.; Jung, Gesellschaftsbeschlüsse und Willensmängel, 1934, S. 20 f.; Lehmann, GesR, 2. Aufl. 1959, S. 49; Vormbaum, Die Anwendung der Begriffe Willenserklärung und Rechtsgeschäft auf den Beschluss der Generalversammlung und das Abstimmen in ihr, 1929, S. 23 f.; Wiedemann, JZ 1970, 291, 292; wegen fehlender Konturenschärfe zurückhaltend Bartholomeyczik, ZHR 105 (1938), 293, 333; Müller-Erzbach, Das private Recht der Mitgliedschaft als Prüfstein eines kausalen Rechtsdenkens, 1948, S. 155. Holle | 239
§ 714 BGB Rz. 14 | Rechtsfähige Gesellschaft deuten seien.37 Auch Peter Ulmer hat im Jahr 1991 noch einmal eingehend versucht darzulegen, dass die formale Art und Weise, wie man beim Beschluss zu einer einheitlichen Entscheidung gelangt, es nicht ausschließe, Beschlüsse als Verträge zu qualifizieren.38 Dies schränkte er allerdings in zweifacher Hinsicht ein, indem er sich (1) nur auf vertragsändernde Beschlüsse von Personengesellschaftern bezog, die (2) mit Zustimmung sämtlicher Gesellschafter zustande gekommen sind. Vertragsändernde Mehrheitsbeschlüsse bezog er nur insoweit ein, als er hier die Stimmabgaben einzelnen vertraglichen Reglungen unterstellen wollte.39 15 Die ganz vorherrschende Sichtweise geht den vertraglichen Ansatz insoweit mit, als sie die
Stimmabgaben als (empfangsbedürftige) Willenserklärungen einstuft.40 Den Beschluss selbst begreift sie aber nicht als Vertrag, sondern als mehrseitiges Rechtsgeschäft eigener Art, das sich aus den einzelnen Stimmabgaben zusammensetzt.41 Ein Gleichlauf zum Vertrag besteht
37 Esser, Schuldrecht, Band II: Besonderer Teil, 4. Aufl. 1971, S. 281; Würdinger, Gesellschaften, 1. Teil: Recht der Personalgesellschaften, 1937, S. 56 f.; vgl. ferner schon Affolter, ArchBürgR 35 (1910), 225, 242; Heck in FS O. von Gierke, 1911, S. 319, 331, 351; nicht auf die Personengesellschaft beschränkt von Tuhr, BGB AT II/1, 1957, S. 236 Fn. 204: „Ist die Zustimmung aller vorhandenen Beteiligten erforderlich (…), so liegt unter dem Namen und in den Formen eines Beschlusses ein Rechtsgeschäft vor, welches dem Vertragstypus angehört“; sämtliche Beschlüsse einbeziehend, aber sprachlich nicht eindeutig Matthiaß, BGB, S. 89: „Die zweiseitigen Rechtsgeschäfte sind die Verträge (S. § 50). Zu ihnen gehören auch die Beschlüsse in Gemeinschaftsverhältnissen (z.B. Vereinen)“; pauschal zumindest eine Ähnlichkeit von Beschluss und Vertrag festhaltend auch Enneccerus, BGB AT, 1928, S. 359. 38 Ulmer in FS Niederländer, 1991, S. 415, 424 ff. 39 Ulmer in FS Niederländer, 1991, S. 415, 424 ff.; weitgehend spurgenau folgend C. Schäfer in Staub, 5. Aufl. 2009, § 119 HGB Rz. 8; etwas pauschaler C. Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 709 BGB Rz. 51; ferner wohl Mülbert/Gramse, WM 2002, 2085, 2086 ff.; auch nicht den Gesellschaftsvertrag betreffende Beschlüsse tendenziell einbeziehend H.P. Westermann in H.P. Westermann/Wertenbruch, Hdb Personengesellschaften (72. EGL, Oktober 2018), Rz. I 482, 484 f.; in Bezug auf einen einstimmigen Beschluss von Personengesellschaftern davon handelnd, dass es insoweit nicht anders als beim Abschluss eines Gesellschaftsvertrages liege BGH v. 26.1.1961 – II ZR 240/59, NJW 1961, 724. 40 Zur Einordnung der Einzelstimme als Willenserklärung s. etwa Bachmann, AcP 222 (2022), 651, 653; Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion, S. 142 ff.; Bartholomeyczik, Die Stimmabgabe im System unserer Rechtshandlungen, 1937, S. 2 ff.; Bayer/Möller in FS Windbichler, 2020, S. 535; Busche in FS Säcker, 2011, S. 45, 47; A. Hueck, Das Recht der offenen Handelsgesellschaft, 4. Aufl. 1971, S. 179 f.; Lohrmann, Anwendbarkeit der §§ 104–185 BGB auf die Stimmabgabe und den Gesellschafterbeschluss, 2019, S. 8; Möller, Die Beschlussfassung im Recht der Personen- und Kapitalgesellschaften, 2021, S. 38 f.; Muscheler, ZEV 1997, 169, 172; K. Schmidt, GesR 2002, S. 437; von Tuhr, BGB AT I, 1957, S. 514; von Tuhr, BGB AT II/1, 1957, S. 233 f.; Wiedemann, GesR I, 1980, S. 179 (die Kategorie der Empfangsbedürftigkeit als unpassend erachtend); Wiedemann, GesR II, 2004, S. 308; Zöllner in FS Lutter, 2000, S. 821 f.; aus der österreichischen Literatur Feltl in FS Aicher, 2012, S. 79, 92 ff.; einschränkend Winnefeld, DB 1972, 1053 f., der ablehnende Stimmen sowie eine Stimmabgabe zu Verfahrensanträgen nicht als Willenserklärungen betrachtet; wohl mit dieser Einschränkung auch David, Die Anfechtung der Stimmabgabe bei den Verbandsbeschlüssen, insbesondere den Aufsichtsratsbeschlüssen, gem. §§ 119 ff. BGB, 1930, S. 3 f., 10 f.; in Bezug auf die Stimmabgabe zu Verfahrensanträgen ebenso Jung, Gesellschaftsbeschlüsse und Willensmängel, 1934, S. 34; Renkl, Gesellschafterbeschluss, 1982, S. 34; Vormbaum, Die Anwendung der Begriffe Willenserklärung und Rechtsgeschäft auf den Beschluss der Generalversammlung und das Abstimmen in ihr, 1929, S. 11 ff. 41 Vgl. etwa Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion, 1965, S. 177 f.; Mansel in Jauernig, BGB, 18. Aufl. 2021, Vorbem. §§ 104 ff. Rz. 7; von Tuhr, BGB AT I, 1957, S. 514; von Tuhr, BGB AT II/1, 1957, S. 232, 234 f.; explizit einschränkend auf positive Beschlüsse Winnefeld, DB 1972, 1053, 1056; wohl mit dieser Einschränkung in der Sache auch David, Die Anfechtung der Stimmabgabe bei den Verbandsbeschlüssen, insbesondere den Aufsichtsratsbeschlüssen, gem.
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dabei insofern, als sich der Beschluss unmittelbar aus den abgegebenen Einzelstimmen konstituieren soll.42 Dieser Sichtweise folgt auch die Rechtsprechung, obgleich die frühere Rechtsprechung vermehrt die Wendung gebrauchte, wonach der körperschaftliche „Beschluss als solcher kein Rechtsgeschäft“ sei,43 sondern ein „Sozialakt der körperschaftlichen Willensbildung“.44 Dabei stand aber lediglich die Normanwendung von § 125 Satz 2 BGB und § 181 BGB auf den Beschluss in Rede, so dass die Rechtsprechung nicht etwa die tatbestandliche Konstitution des Beschlusses durch Willenserklärungen in Form der in Bezug auf den Beschlussantrag abgegebenen Stimmen in Frage stellte.45 Vom Verständnis des Beschlusses als ein durch Willenserklärungen konstituierter Rechtsakt 16 und damit ein Rechtsgeschäft entfernt sich ein von Wolfgang Ernst im Jahr 2012 vorgestelltes Beschlussmodell,46 das nachdrückliche Fürsprecher gewonnen hat.47 Es versteht den Be-
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§§ 119 ff. BGB, 1930, S. 2 ff.; im Ergebnis nicht abweichend Bartholomeyczik, ZHR 105 (1938), 293, 333, 334, der Beschluss zwar als „einseitiges Rechtsgeschäft mehrerer“ oder „gemeinsames einseitiges Rechtsgeschäft“ klassifiziert, dies aber nur deshalb, weil er Unterschied zwischen einseitigen und mehrseitigen Rechtsgeschäften nicht in Anzahl der für ihr Zustandekommen erforderlichen Willenserklärungen sieht, sondern darin, ob Erklärungen gegeneinander oder – sei es von einem oder von mehreren – gegenüber anderen abgegeben werden (vgl. S. 330); zurückhaltend gegenüber Titulierung als mehrseitig angesichts Möglichkeit von Einmann-Beschlüssen Busche in FS Säcker, 2011, S. 45, 52. Vgl. vor allem Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion, 1965, S. 126, 127; Bohn, Wesen und Rechtsnatur des Gesellschaftsbeschlusses, 1950, S. 52 ff., 85, 129; A. Hueck, Das Recht der offenen Handelsgesellschaft, 4. Aufl. 1971, S. 167; Möller, Beschlussfassung im Recht der Personen- und Kapitalgesellschaften, S. 2021, 64 ff.; U. Noack, GmbHR 2017, 792, 793; Nolting, NJW 2022, 113 Rz. 17 ff.; Zöllner in FS Lutter, 2000, S. 821, 826 f.; aus der österreichischen Literatur Koppensteiner, JBl 2017, 273, 276 ff.; ferner Feltl in FS Aicher, 2012, S. 79, 109, der auf S. 107 allerdings eine „Stimmauswertung“ für den Abschluss der Beschlussfassung fordert. RGZ 122, 367, 369 (GmbH); vgl. auch RGZ 137, 305, 316 (GmbH): Abstimmung ist, wenn überhaupt Rechtsgeschäft, so jedenfalls einseitige, nicht empfangsbedürftige Willenserklärung. Vgl. BGH v. 6.10.1960 – II ZR 215/58, BGHZ 33, 189, 191 = NJW 1960, 2285 (GmbH); BGH v. 9.12.1968 – II ZR 57/67, BGHZ 51, 209, 215 = NJW 1969, 841 (GmbH); BGH v. 22.9.1969 – II ZR 144/68, BGHZ 52, 316, 318 = NJW 1970, 33 (GmbH); vgl. ferner KG v. 16.3.1959 – 1 W 137/59, NJW 1959, 1446, 1447 (GmbH); aufweichend BGH v. 18.9.1975 – II ZB 6/74, BGHZ 65, 93, 96 ff. = NJW 1976, 49 (KG); BGH v. 6.6.1988 – II ZR 318/87, NJW 1989, 168, 169 = ZIP 1988, 1046 (GmbH); vgl. auch BGH v. 15.11.1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 111, 122 = NJW 1994, 520 = ZIP 1993, 1862 (AG). Dazu, dass Stimmabgabe bereits in seinerzeitiger Rechtsprechung als Willenserklärung eingestuft wurde, vgl. etwa RG v. 16.9.1927 – II 21/27, RGZ 118, 67, 69 (AG); BGH v. 14.7.1954 – II ZR 342/ 53, BGHZ 14, 264, 267 = NJW 1954, 1563 (GmbH); BGH v. 29.5.1967 – II ZR 105/66, BGHZ 48, 163, 173 = NJW 1967, 1963 (GmbH). Ernst in LA Leenen, 2012, S. 1, 4 ff.; s. auch Ernst in FS K. Schmidt zum 80. Geburtstag, Bd. I, 2019, S. 261, 287 f.; Ernst in FS Portmann, 2020, S. 147, 155; unabhängig von Frage, wie man sich zu Erfordernis einer Beschlussfeststellung positioniert, jedenfalls schriftliches Beschlussverfahren ohne abschließende Beschlussfeststellung als „nicht denkbar“ erachtend Ernst, ZIP 2020, 889, 892. Siehe vor allem Altmeppen, NJW 2016, 2833, 2837; Altmeppen, ZIP 2017, 1185, 1187; Altmeppen, GmbHR 2018, 225, 228; Altmeppen, NZG 2022, 1563, 1564; Altmeppen, 11. Aufl. 2023, § 47 GmbHG Rz. 2 ff.; ferner J. W. Flume, NZG 2014, 17, 20; J. W. Flume, ZGR 2018, 928, 940; Maier-Reimer/ J. W. Flume, KSzW 2013, 30, 34 f.; ebenso, allerdings unter Verkennung der Unterscheidung von Tatbestands- und Wirksamkeitsmerkmalen Gerauer, Dogmatik des Gesellschafterbeschlusses, 2019, S. 165 ff.; nicht eindeutig sind die Ausführungen des V. Zivilsenats, der im Zusammenhang mit der Feststellung des Beschlussergebnisses einerseits vom „Entstehungstatbestand“ (BGH v. 23.8.2001 – V ZB 10/01, BGHZ 148, 335, 346 = NJW 2001, 3339) und von Komplettierung des Tatbestands (BGH v. 23.8.2001 – V ZB 10/01, NJW 2001, 3339, 3342 f. [in BGHZ 148, 335 nicht abgedruckt]; entsprechende Formulierungen etwa bei H. Müller, NZM 2003, 222, 223, 224 ff. mit Fn. 11 und Wenzel, ZWE 2002, 1, 5) handelt, andererseits aber von einer im Regelfall „notwendigen Wirksamkeitsvoraussetzung eines Beschlusses“ spricht (BGH v. 7.2.2014 – V ZR 25/13, NJW 2014, 1090 Rz. 8). Holle | 241
§ 714 BGB Rz. 16 | Rechtsfähige Gesellschaft schluss als Rechtsakt, der das Abstimmungsverhalten aller in der Versammlung Agierenden in sich aufnimmt, und sieht die Feststellung des Beschlussergebnisses als dessen Konstitutivakt an.48 Die in Bezug auf den Beschlussantrag abgegebenen Stimmen bleiben in diesem Modell bloße „Verfahrenshandlungen auf dem Gebiet des materiellen Rechts“49, die erst über den zusätzlichen tatbestandlichen Akt50 einer formellen Feststellung des Beschlussergebnisses Wirkung erlangen.51 b) Fehlende Stringenz herkömmlicher Ansätze 17 Die Art und Weise, wie man beim Beschluss zu einer einheitlichen Entscheidung gelangt,
steht einem vertragsrechtlichen Ansatz nicht entgegen.52 Das vertragsrechtliche Erfordernis, sich über die Herbeiführung einer Rechtsfolge zu einigen, macht es allerdings unmöglich, mithilfe des Rechtsinstituts Vertrag sämtliche Beschlussfassungen zu erklären. An der für einen Vertrag typischen Einigung fehlt es jedenfalls bei Mehrheitsbeschlüssen.53 Selbst wenn der Beschlussmechanismus insoweit an den Vertragsmechanismus angeglichen ist, als es für eine positive Beschlussfassung der Zustimmung sämtlicher Personen bedarf, die zur Beschlussfassung berufen sind, lassen sich allenfalls diejenigen Beschlussfassungen als Verträge deuten, die unmittelbar unter den Beschlussunterworfenen selbst erfolgen.54 Mit den vertragsändernden Gesellschafterbeschlüssen hat Peter Ulmer jene Konstellation vor Augen und meint nun, es könne dann, wenn zwei oder mehr Gesellschafter über Annahme einer Vertragsänderung abstimmten, doch nichts anderes gelten, als wenn besagte Personen sich auf herkömmlichem Vertragswege hierüber verständigten.55 Erst der Wechsel hin zum Mehrheitsprinzip führe dazu, dass die Entscheidungsfindung im Beschlusswege nicht mehr als Vertrag qualifiziert werden könne.56 18 Diese Sichtweise wäre indes nur zutreffend, wenn vertragsändernde Beschlussfassungen, die
der Zustimmung sämtlicher Gesellschafter bedürfen, nichts anderes wären als ein Mechanismus vertraglichen Kontrahierens. Dies anzunehmen ist nicht überzeugend, weil hierdurch unberücksichtigt bliebe, dass der Beschluss sich vom Vertrag insofern abgrenzt, als er zuvorderst ein Instrument zur Ausbildung eines einheitlichen Willens ist und die Regelungsfunktion, die er mit Vertrag gemeinsam hat, sich dem nur anschließt.57 Es ist ein Unter-
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Ernst in LA Leenen, 2012, S. 1, 7 f., 9, 15 f., 39, 40. Ernst in LA Leenen, 2012, S. 1, 17. Ernst in LA Leenen, 2012, S. 1, 11. Ernst in LA Leenen, 2012, S. 1, 9, 15 f., 17. Eingehend Ulmer in FS Niederländer, 1991, S. 415, 425 f.; Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 8 I (im Erscheinen). Das anerkennend dann auch Ulmer in FS Niederländer, 1991, S. 415, 428 ff.: Mehrheitsbeschlüsse sind nicht ohne weiteres als Verträge zu qualifizieren; vgl. auch schon Jüdel, Gesellschafterbeschlüsse bei Personalgesellschaften, 1933, S. 17; von Tuhr, BGB AT I, 1957, S. 514 f.; s. ferner etwa Bauerfeind/Müller, GmbHR 2020, 1215 Rz. 47; Enzinger, Mehrheitsbeschlüsse bei Personengesellschaften, 1995, S. 45; Lohrmann, Anwendbarkeit der §§ 104–185 BGB auf die Stimmabgabe und den Gesellschafterbeschluss, 2019, S. 203; Möller, Beschlussfassung im Recht der Personen- und Kapitalgesellschaften, 2021, S. 59; Möslein, Jura 2020, 1001, 1006. Vgl. insoweit auch Bohn, Wesen und Rechtsnatur des Gesellschaftsbeschlusses, 1950, S. 121 f.; Bohn in FS Haff, 1950, S. 232, 234; Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 8 I (im Erscheinen); Möller, Beschlussfassung im Recht der Personen- und Kapitalgesellschaften, 2021, S. 58. Ulmer in FS Niederländer, 1991, S. 415, 426 f. Nach Ulmer sollen aber selbst dann die für Vertragsangebote geltenden Vorschriften auf abgegebene Stimmen Anwendung finden, vgl. Ulmer in FS Niederländer, 1991, S. 415, 430. Eingehender hierzu Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 8 II 1 (im Erscheinen).
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Beschlussfassung | Rz. 20 § 714 BGB
schied, ob die Vertragsparteien zuvorderst einen einheitlichen Willen ausbilden wollen, der als solcher in jedem Fall gebildet wird und erst nachgelagert die Vertragsänderung bewirkt, oder ob sie den Vertrag in herkömmlicher Weise ändern wollen, indem sie bezogen auf einen Antrag übereinstimmende Willenserklärungen abgeben, die dann unmittelbar vertragsändernd wirken.58 Hervor tritt dieser Unterschied, wenn ein Beschlussantrag nicht die erforderliche Zahl von Stimmen erreicht.59 Wäre der Beschluss ein Vertrag, würde es in diesen Fällen stets an einem Vertragsschluss fehlen und es würde daher überhaupt kein Beschluss zustande kommen. Wenn man sich den umgekehrten Fall vor Augen hält, dass ein positiver Beschluss zu einem negativen Beschlussantrag gefasst wird, wird deutlich, dass in diesen Fällen von einer Willensbildung dergestalt ausgegangen werden muss, dass die im Beschlussantrag anvisierte Regelung nicht gewollt ist und daher kein Nichtbeschluss, sondern ein sog. Negativbeschluss vorliegen muss.60 Das vorherrschende Verständnis vom Beschluss als mehrseitiges Rechtsgeschäft eigener 19 Art beruht ähnlich wie das vertragsrechtliche Beschlussverständnis auf den zwei Prämissen, dass es sich bei den in Bezug auf den Beschlussantrag abgegebenen Einzelstimmen um Willenserklärungen handelt und diese den Beschluss als Rechtsgeschäft unmittelbar konstituieren. Der Unterschied zum vertragsrechtlichen Beschlussverständnis liegt darin, dass das vorherrschende Beschlussverständnis auf das vertragsrechtliche Konsensprinzip verzichtet und sich klarer zu der Zwecksetzung bekennt, einen einheitlichen Willen zu bilden. Der mit der Stimmabgabe angestrebte Rechtserfolg wäre daher darin zu sehen, sich an der Willensbildung als solcher zu beteiligen.61 Dabei sind Enthaltungen keineswegs mit einem Fernbleiben von der Abstimmung gleichzusetzen, sondern bezwecken als Bekundung der eigenen Unentschiedenheit ebenfalls, inhaltlich auf die Willensbildung Einfluss zu nehmen.62 Bei diesem Ansatz bleibt dann aber Frage, aus welchen Stimmen sich der Beschluss als 20 Rechtsgeschäft unmittelbar konstituieren soll. Wer auf sämtliche der abgegebenen Stim-
58 Ebenso wohl Bork in Staudinger (2020), Vorbem. § 145 ff. BGB Rz. 6; Busche in FS Säcker, 2011, S. 45, 51; vgl. ferner Bangert, Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Beschlüssen der Mitgliederversammlung des rechtsfähigen Vereins, 1927, S. 8; David, Die Anfechtung der Stimmabgabe bei den Verbandsbeschlüssen, insbesondere den Aufsichtsratsbeschlüssen, gem. §§ 119 ff. BGB, 1930, S. 7; Happ, Der fehlerhafte Beschluss in der Personengesellschaft, 2021, S. 78. 59 Ausführlich Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 8 II 2 (im Erscheinen). 60 Eingehender insbesondere Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion, 1965, S. 157 f.; Baltzer, GmbHR 1972, 57, 59 ff.; vgl. ferner etwa BGH v. 23.8.2001 – V ZB 10/ 01, BGHZ 148, 335, 348 f. = NJW 2001, 3339 (WEG); Enzinger, Mehrheitsbeschlüsse bei Personengesellschaften, 1995, S. 44; Zöllner in FS Lutter, 2000, S. 821, 823. 61 Vgl. vor allem Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion, 1965, S. 143 ff.: Erstrebter Rechtserfolg darin zu sehen, dass der Abstimmende in erster Linie seinen Teil zur Entstehung des Beschlusses beitragen, sich also an kollektiver Aktion gemäß seiner Stellung beteiligen und hierdurch Entscheidung des Kollektivs über Antrag herbeiführen will; Bartholomeyczik, Die Stimmabgabe im System unserer Rechtshandlungen, 1937, S. 2 ff., 24: Erzeugung der mit dem Beschlusstatbestand verbundenen Rechtswirkung ist Inhalt des Geschäftswillens; Renkl, Der Gesellschafterbeschluss, 1982, S. 33: Beabsichtigte Rechtsfolge ist, „einen Antrag zum Beschluß zu erheben“, die „Herbeiführung eines Gesellschafterbeschlusses“; konsequent anders nur Winnefeld, DB 1972, 1053 f. 62 Insoweit treffend Feltl in FS Aicher, 2012, S. 79, 95 f.; eingehender ferner Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion, 1965, S. 137 ff., 145 f.; Messer in FS Fleck, 1988, S. 221, 226; Ulmer in FS Niederländer, 1991, S. 415, 419; abweichender Begründungsansatz bei Lohrmann, Anwendbarkeit der §§ 104–185 BGB auf die Stimmabgabe und den Gesellschafterbeschluss, 2019, S. 30 ff.; anders aber etwa Möller, Beschlussfassung im Recht der Personen- und Kapitalgesellschaften, 2021, S. 39 ff. m.w.N.; die Einstufung als Willenserklärung unter Verweis auf eine fehlender „Abgabe“ verneinend Feltl in FS Aicher, 2012, S. 79, 95 f. Holle | 243
§ 714 BGB Rz. 20 | Rechtsfähige Gesellschaft men abstellen möchte,63 ist gezwungen, die einzelne Stimmabgabe als Willenserklärung inhaltlich so weitgehend zu entkleiden, dass sie als Grundlage sowohl für eine Annahme als auch eine Ablehnung des Beschlussantrags taugt. Das verträgt sich schwerlich mit dem Umstand, dass der einzelne Abstimmende mit seiner Stimmabgabe immer „auch“ bezweckt, die Willensbildung in eine bestimmte Richtung zu lenken und damit die Annahme oder Ablehnung der zur Abstimmung gestellten Regelung zu beeinflussen.64 Wer den Beschluss als durch sämtliche der abgegebenen Stimmen konstituiert wissen will, bedient sich daher schlussendlich inhaltlich inkomparabler Willenserklärungen zur Bewirkung ein und desselben Rechtsgeschäfts.65 Stellt man demgegenüber allein auf die sich jeweils durchsetzende Stimmabgaben ab, geht also davon aus, dass der Beschluss als Rechtsgeschäft immer nur durch die inhaltlich jeweils übereinstimmenden Stimmgruppen bewirkt wird,66 steht man vor dem Problem, dass sich Beschlüsse nicht in voller Bandbreite darstellen lassen.67 Wird ein Beschlussantrag abgelehnt, weil zwar niemand mit „Nein“ gestimmt hat, aber nicht genügend Personen anwesend waren, die (wirksam) mit „Ja“ gestimmt haben, kann nicht von einer Vereinigung inhaltlich gleichlautender Stimmen zum Beschluss gesprochen werden.68 c) Beschlussfeststellung als Tatbestandsmerkmal 21 Fallen die in Bezug auf den Beschlussantrag abgegebenen Einzelstimmen als den Beschluss
unmittelbar bewirkende Rechtshandlungen weg, muss man nach einem weiteren Tatbestandsmerkmal Ausschau halten, das aus den für sich genommen und auch im Zusammenwirken nicht hinreichend wirkmächtigen Stimmabgaben den Beschluss als Rechtsakt seinem Inhalt nach konstituiert. Dieses weitere, den Beschluss final konstituierende Tatbestands63 In dieser Richtung etwa Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion,1965, S. 177: Entstehung des Beschlusses aus einer Mehrzahl von Willenserklärungen, die in ihrer Rückführung auf das Stimmenverhältnis die bleibende Grundlage des Beschlusses bilden; U. Noack, Fehlerhafte Beschlüsse in Gesellschaften und Vereinen, 1989, S. 16 f.: Beschluss setzt „sich aus Willenserklärungen, den abgegebenen Stimmen zum Beschlußantrag, zusammen“ und „in der Verbindung dieser Stimmen“ wird „aufgrund besonderer Regeln eine neue, selbständige Einheit geschaffen“; Koppensteiner, JBl 2017, 273: Beschluss setzt sich „aus den Stimmabgaben der Beteiligten“ zusammen; K. Schmidt, GesR 2002, S. 436: Beschluss „beruht“ auf Stimmabgaben der Beteiligten; ferner noch Leenen, BGB AT, 1. Aufl. 2011, S. 32: Beschluss kommt „durch gleichgerichtete Willenserklärungen der an der Beschlussfassung beteiligten Personen“ zustande. 64 Dazu, dass Wille, Beschluss hervorzubringen, immer auch mit Wille korrespondiert, Annahme oder Ablehnung zur Abstimmung gestellter Regelung zu beeinflussen, vgl. auch Bohn, Wesen und Rechtsnatur des Gesellschaftsbeschlusses, 1950, S. 85 f. 65 Eingehender Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 9 II 2 (im Erscheinen). 66 In diese Richtung etwa Bartholomeyczik, ZHR 105 (1938), 293, 306: Beschluss kann nur Rechtsgeschäft derjenigen sein, „die dem Beschluß zustimmen, wenngleich sich auch alle Stimmenden an der Beschlußfassung beteiligen“; Leenen/Häublein, BGB AT, 3. Aufl. 2021, § 4 Rz. 16: „gleichgerichtete Willenserklärungen der an der Beschlussfassung beteiligten Personenmehrheit“ erzeugen Beschluss; Mansel in Jauernig, 18. Aufl. 2021, Vorbem. §§ 104 ff. BGB Rz. 7: Beim Beschluss liegen „mehrere gleich lautende (…) Willenserklärungen vor, sei es der Mehrheit der Beschlussfassenden bei Mehrheitsprinzip, sei es aller Beschließenden bei Einstimmigkeitsprinzip“; Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, 11. Aufl. 2016, Rz. 205: „gleichlautende“ Willenserklärungen erzeugen Beschluss; von Tuhr, BGB AT I, 1957, S. 514: Beschluss wird durch „Zusammenwirken mehrerer inhaltlich übereinstimmender Willenserklärungen“ konstituiert; aufgreifend Flume, BGB AT I/2, 1983, S. 249; Lehmann, GesR, 2. Aufl. 1959, S. 49. 67 Eingehend Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 9 II 3 (im Erscheinen). 68 Ernst in LA Leenen, 2012, S. 1, 7; Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 9 II 3 b (im Erscheinen); eingestehend Häublein in Staudinger (2018), § 23 WEG Rz. 12; Koppensteiner, JBl 2017, 273, 275 f.
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Beschlussfassung | Rz. 23 § 714 BGB
merkmal kann nur die Feststellung dessen sein, was durch die in Bezug auf den Beschlussantrag abgegebenen Einzelstimmen dem Dafürhalten nach entschieden worden ist. Die Beschlussfeststellung bleibt dabei im Ausgangspunkt zuvorderst Aufgabe der Abstimmenden, es kann aber vorgesehen sein, dass andere Personen dieses Tatbestandsmerkmal als eine Art Beschlussgehilfe für sie ausführen. Wenn nicht die Abstimmenden das Beschlussergebnis feststellen sollen, sondern eine andere Person, muss diese Feststellungskompetenz aber hinreichend klar zum Ausdruck kommen.69 Geht man davon aus, dass der Beschluss als Rechtsakt erst durch eine Beschlussfeststellung 22 final bewirkt wird, kann die Stimmabgabe nicht mehr als Willenserklärung eingestuft werden. Sie ist keine finale Bewirkungshandlung, sondern bloße mittelbare Erwirkungshandlung.70 Sie wirkt überhaupt erst über das finale Tatbestandsmerkmal einer Beschlussfeststellung auf den Beschluss ein und dieser braucht nicht mit der Stimmabgabe inhaltlich deckungsgleich zu sein. Als erklärte Erwirkungshandlung liegt die Stimmabgabe allerdings in gewisser Nähe zu rechtsgeschäftsähnlichen Handlungen, so dass die Regelungen über Willenserklärungen im Ausgangspunkt entsprechend herangezogen werden können. Weiter wird man von einer Empfangsbedürftigkeit auf Seiten der für die Beschlussfeststellung verantwortlichen Personen ausgehen müssen, da die Stimmabgabe gerade darauf abzielt, von diesen Personen ausgewertet zu werden, um auf diese Weise den Beschluss hervorzubringen.71 Die Stimmabgabe muss also den übrigen Abstimmenden beziehungsweise dem mit der Beschlussfeststellung betrauten Abstimmungsleiter als Empfänger zugehen.72 Die Beschlussfeststellung wiederum zielt als finale Festlegung dessen, was durch die in Be- 23 zug auf den Beschlussantrag abgegebenen Einzelstimmen dem Dafürhalten nach entschieden worden ist, auf eine Kundgabe gegenüber dem Träger des zu bildenden Willens ab. Regelmäßig wird der Zugang hier schon dadurch erreicht werden, dass der Träger des zu bildenden Willens bei der Beschlussfassung entweder durch einzelne oder sämtliche Abstimmende vertreten oder gar mit diesen identisch ist beziehungsweise zumindest der Abstimmungsleiter zugleich als Empfangsbevollmächtigter des Trägers des zu bildenden Willens fungiert.73 Da es bei der Beschlussfeststellung nicht darum geht, auf die Willensbildung inhaltlich in bestimmender Weise Einfluss zu nehmen und einen rechtlichen oder tatsächlichen Erfolg zu erzielen, der als eigener so gewollt ist,74 kann die Beschlussfeststellung allerdings ebenfalls nicht als Willenserklärung verstanden werden. Schlussendlich geht es bei der Beschlussfest69 Siehe auch Altmeppen, GmbHR 2018, 225, 229, 230. 70 Vgl. insofern auch Ernst in LA Leenen, 2012, S. 1, 17. 71 Vgl. unter anderen Vorzeichen auch Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion, 1965, S. 147; Busche in FS Säcker, 2011, S. 45, 47; Lohrmann, Anwendbarkeit der §§ 104– 185 BGB auf die Stimmabgabe und den Gesellschafterbeschluss, 2019, S. 10; plastisch ferner Jüdel, Gesellschafterbeschlüsse bei Personalgesellschaften, 1933, S. 13: Empfangsbedürftigkeit ergibt sich daraus, dass „Rechtsfolgen an das Zusammentreffen mehrerer Willenserklärungen“ geknüpft sind, „eine Feststellung, ob die Mehrheit vorhanden ist, aber praktisch nur möglich ist, wenn die Erklärung einer bestimmten Person zugehen muß.“ 72 So dann auch für Fall des Hauptversammlungsbeschlusses, bei dem Beschlussfeststellung erforderlich ist, Möller, Beschlussfassung im Recht der Personen- und Kapitalgesellschaften, 2021, S. 43. 73 Vgl. zu entsprechenden Annahmen bei der GmbH Koppensteiner, JBl 2017, 273, 274; für die Personengesellschaften vgl. BGH WM 1957, 1128, 1130; Hueck, Das Recht der offenen Handelsgesellschaft, 4. Aufl. 1971, S. 164; Freitag in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 119 HGB Rz. 51; allgemein für den Verband Bohn, Wesen und Rechtsnatur des Gesellschaftsbeschlusses, 1950, S. 99. 74 Insoweit ähnlich Skauradszun, Beschluss als Rechtsgeschäft, 2020, S. 89: „Versammlungsleiter will für sich selbst (…) keine Rechtsfolge erzielen“; vor dem Hintergrund, dass die Beschlussfeststellung kein Teil des Beschlusstatbestands ist vgl. ferner David, Die Anfechtung der Stimmabgabe bei den Verbandsbeschlüssen, insbesondere den Aufsichtsratsbeschlüssen, gem. §§ 119 ff. BGB, 1930, S. 16: „Die Verkündungserklärung ist keine Willenserklärung. Sie ist rechtserheblich, aber nicht, weil das Holle | 245
§ 714 BGB Rz. 23 | Rechtsfähige Gesellschaft stellung rechtstechnisch nur darum, den abgegebenen Stimmen dadurch zum Durchbruch zu verhelfen,75 dass aus ihnen heraus das Beschlussergebnis ermittelt wird und mit diesem eine nach objektivem Dafürhalten vorzufindende Tatsache bekannt gegeben wird.76 Die damit verbundene verbindliche Fixierung des Beschlussergebnisses und tatbestandliche Vollendung des Beschlusses ist dann die von Rechts wegen eintretende Folge dieser Erklärung. Der Sache nach handelt es sich bei der Beschlussfeststellung daher um bloße Wissenserklärung.77 d) Kein überbordender Formalismus 24 Die Annahme, dass es zur tatbestandlichen Hervorbringung eines Beschlusse neben dem Be-
schlussantrag sowie der Abstimmung über diesen der Feststellung des Beschlussergebnisses durch die Abstimmenden oder eine hierzu berufene Person bedarf, ruft insofern Bedenken hervor, als das Beschlussverfahren hierdurch stark formalisiert zu werden scheint.78 Tatsächlich schafft das Erfordernis einer Beschlussfeststellung auf dem Weg zu tatbestandlich vollendetem Beschluss aber keine größeren Hürden. Wer davon ausgeht, dass es einer Beschlussfeststellung bedarf, um den Beschluss überhaupt tatbestandlich zu vollenden, muss zunächst ausreichen lassen, dass die zur Beschlussfassung Berufenen eine Person mehrheitlich mit der der Beschlussfeststellung betrauen beziehungsweise den Beschluss gegebenenfalls mehrheitlich selbst feststellen können. Würde man hier Einstimmigkeit fordern, wäre das für Beschlüsse verbreitete Mehrheitserfordernis aufgegeben.79 25 Vor allem aber spricht nichts dagegen, dass die erforderliche Feststellung auch durch schlüs-
siges Verhalten getroffen werden kann, wenn sich aus diesem nur hinreichend eindeutig ergibt,80 welches Beschlussergebnis festgestellt wird (ausführlich unter Rz. 74).81
3. Erfordernis einer Beschlussfassungskompetenz 26 Die Erkenntnis, dass es sich beim Beschluss nicht um einen herkömmlichen Vertrag unter
den zur Beschlussfassung berufenen Personen handelt, führt weiter zu der Einsicht, dass Be-
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dem Willen der Verkündenden entspricht, sondern weil ihr als einer förmlichen Erklärung Bedeutung beigelegt wird.“ Vgl. insoweit abermals Skauradszun, Beschluss als Rechtsgeschäft, 2020, S. 89: Versammlungsleiter will „Willenserklärungen der Organwalter zum Durchbruch verhelfen“. Vgl. insoweit auch Bohn, Wesen und Rechtsnatur des Gesellschaftsbeschlusses, 1950, S. 52 f.: Wird der zu bildende Wille für alle deutlich gemacht, „so liegt damit die Übertragung des zunächst unübersichtlichen Ergebnisses der Abstimmung in eine für alle verständliche Form, also die Feststellung einer Tatsache vor“; Ernst in FS K. Schmidt zum 80. Geburtstag, Bd. I, 2019, S. 261, 288 und Ernst in FS Portmann, 2020, S. 147, 155: Stimmabgaben bilden „Tatsachenbasis“ für Beschlussfeststellung. Zur Wissenserklärung als Erklärung, bei der Rechtsfolgen allein daran knüpfen, dass bestimmte Tatsachen bekannt gegeben werden s. Armbrüster in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2021, Vor §§ 116 ff. Rz. 16; Bork, BGB AT, 4. Aufl. 2016, Rz. 415; Flume, BGB AT II, 3. Aufl. 1979, S. 112; Medicus/Petersen, BGB AT, 11. Aufl. 2016, Rz. 197. Siehe etwa U. Noack, GmbHR 2017, 792, 793: „überkonstruiert“. So zutreffend schon Ernst in LA Leenen, 2012, S. 1, 14. Durch Erfordernis hinreichender Eindeutigkeit wird Einwand von Bachmann, AcP 222 (2022), 651, 654 entgegengewirkt, wonach konkludente Beschlussfeststellung in meisten Fällen auf bloße Fiktion hinauslaufe. Siehe etwa BGH v. 23.8.2001 – V ZB 10/01, BGHZ 148, 335, 345 = NJW 2001, 3339 (WEG); Rohleder, GmbHR 1989, 236, 239; Skauradszun, Beschluss als Rechtsgeschäft, 2020, S. 110; jedenfalls implizit Zöllner in FS Lutter, 2000, S. 821, 827 f.; zu pauschal allein darauf abstellend, dass „das Ziel, Unsicherheit über die Fassung eines Beschlusses zu beseitigen, erreicht wird“ indes BGH v. 11.2.2008 – II ZR 187/06, NZG 2008, 317 Rz. 24 = ZIP 2008, 757 (GmbH) und BGH v. 24.3.2016 – IX ZB 32/ 15, NZG 2016, 552 Rz. 33 = ZIP 2016, 817 (GmbH).
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Beschlussfassung | Rz. 28 § 714 BGB
schlüsse nicht aus sich heraus Geltung beanspruchen können, sondern hierfür stets einer „Ermächtigungsgrundlage“ in Form einer Beschlussfassungskompetenz bedürfen, damit der durch sie hervorgebrachte Wille die ihm zugedachten Rechtswirkungen entfalten kann. Der Beschluss bleibt als Rechtsakt insofern unselbständig, als er im Gegensatz zum Vertrag immer nur in Relation zu einer vorgelagerten Zuständigkeitsverfassung bestehen kann, die seine Wirkungen legitimiert.82 Insofern muss die Rechtsordnung für jede Beschlusskonstellation legitimieren, dass und für wen der von bestimmten mehreren Personen gebildete Wille als rechtliches Datum wirken soll. Die skizzierte Einsicht liegt auf der Hand, wenn durch einen Beschluss auch Personen ge- 27 bunden werden sollen, die das Beschlussergebnis nicht konsentiert haben. Wenn man den Beschluss nicht als Vertrag, sondern als ein von diesem zu unterscheidendes Verfahren zur Bildung eines einheitlichen Willens versteht, kann aber auch dann nichts anderes gelten, wenn ein Beschluss die Zustimmung sämtlicher zur Beschlussfassung berufenen Personen voraussetzt und zugleich wie ein Vertrag ausschließlich unter den unmittelbar zur Beschlussfassung berufenen Personen wirkt.
III. Beschlussfassungen im Recht der Personengesellschaften 1. Beschlussfassungskompetenzen a) Automatik organschaftlicher Beschlussfassung bei laufender Verwaltungstätigkeit Eine Kompetenz zur Beschlussfassung besteht im Recht der Personengesellschaften zunächst 28 überall dort, wo Angelegenheiten der laufenden Verwaltung zu besorgen sind. Insoweit handelt es sich um Beschlussfassungen im und für das Organ Gesellschafterversammlung, die die Personengesellschaft in Lage versetzen, einen Willen zu bilden und dementsprechend als Rechtssubjekt am Rechtsleben teilzunehmen.83 Geht man davon aus, dass Personengesellschaften durch Organe handelnd selbst im Rechtsverkehr auftreten, muss allgemein gelten, dass Angelegenheiten der laufenden Verwaltung von der Gesellschaft selbst in der Weise erledigt werden, dass die geschäftsführenden Gesellschafter im Beschlusswege einen organschaftlichen Willen bilden, der der Gesellschaft als eigener Wille zugerechnet wird. Gilt das Prinzip der Einzelgeschäftsführung, kann auf eine Beschlussfassung freilich verzichtet und die Mitsprache der anderen geschäftsführenden Gesellschafter auf ein Widerspruchsrecht beschränkt werden.84
82 Grundlegend zur Abhängigkeit des Beschlusses von einer Zuständigkeitsverfassung Heck in FS O. von Gierke, 1911, S. 319, 321, 348 f.; vgl. ferner etwa Bohn, Wesen und Rechtsnatur des Gesellschaftsbeschlusses, 1950, S. 59; David, Die Anfechtung der Stimmabgabe bei den Verbandsbeschlüssen, insbesondere den Aufsichtsratsbeschlüssen, gem. §§ 119 ff. BGB, 1930, S. 4 f., 6; Jung, Gesellschaftsbeschlüsse und Willensmängel, 1934, S. 13, 25 f.; Lehmann, GesR, 2. Aufl. 1959, S. 51; Vormbaum, Die Anwendung der Begriffe Willenserklärung und Rechtsgeschäft auf den Beschluss der Generalversammlung und das Abstimmen in ihr, 1929, S. 25 ff.; Weidler, Die Generalversammlungsbeschlüsse bei Aktiengesellschaften und ihre Anfechtbarkeit und Nichtigkeit nach dem BGB, 1911, S. 9 f.; Wiedemann, GesR II, 2004, S. 297 umschreibt das Gleiche, wenn er in Bezug auf die Beschlussfassungen in Personengesellschaften davon spricht, dass der Beschluss „ein Phänomen der organisierten Gruppe“ sei. 83 Anschaulich Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 11 ff. m.w.N. 84 Vgl. auch Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 709 BGB Rz. 83. Holle | 247
§ 714 BGB Rz. 29 | Rechtsfähige Gesellschaft b) Organschaftliche und nichtorganschaftliche Beschlussfassung in Grundlagenangelegenheiten kraft vertraglicher Vereinbarung 29 Die Sachlage ändert sich, wenn keine Angelegenheiten der laufenden Verwaltung in Rede
stehen, sondern die Grundlagen des gesellschaftlichen Zusammenlebens geändert werden sollen. Insoweit unterscheiden sich Personengesellschaften von Körperschaften nach wie vor dadurch, dass sie nach innen gegenüber ihren Gesellschaftern nicht rechtlich verselbständigt sind, sondern nur als Gruppe ihrer Gesellschafter existieren, die durch den Gesellschaftsvertrag miteinander verbunden sind.85 Soweit daher die Grundlagen des gesellschaftlichen Zusammenlebens betroffen sind, ist die Gesellschaft nicht befugt, darüber mittels ihrer Organe zu disponieren. Eine Änderung der Grundlagen der Gesellschaft ist vielmehr stets eine Änderung des unter den Gesellschaftern geschlossenen Gesellschaftsvertrags. Die Gesellschafter werden insoweit im Ausgangspunkt nicht als Organwalter im dafür zuständigen Organ Gesellschafterversammlung tätig, sondern „in eigener Sache“ als die das Schuldverhältnis konstituierenden Parteien des Gesellschaftsvertrags.86 Eine Änderung der Verfassung ist bei Personengesellschaften daher zunächst einmal immer vertraglicher Natur.87 30 Aus dem Gesagten zu folgern, dass die Gesellschafter von Personengesellschaften nur Be-
schlüsse fassen, soweit es um die alltägliche Führung der Geschäfte geht, wäre freilich verfehlt. Es wird ganz allgemein für zulässig gehalten, dass die Gesellschafter das sperrige und insbesondere auf Zustimmung aller Gesellschafter aufbauende Vertragsmodell dahingehend modifizieren, dass die Grundlagen der Gesellschaft auch im Beschlusswege, namentlich durch Mehrheitsbeschluss, geändert werden können.88 Eine Modifikation des Vertragsmodells ist dabei in zweierlei Hinsicht möglich: Zum einen können die Gesellschafter die Kompetenz für Verfassungsänderungen der Gesellschaft übertragen und diese gleichsam ermächtigen, über das Organ Gesellschafterversammlung einen Willen zu bilden und ihre Verfassung selbst zu ändern. Zum anderen können die Gesellschafter das auf allseitigen Konsens ausgerichtete Vertragsmodell aber auch in der Weise modifizieren, dass sie untereinander Beschlussfassungen etablieren, das heißt, nicht der Gesellschaft die Kompetenz für Verfassungsänderungen im Wege organschaftlicher Beschlussfassung übertragen, sondern selbst unmittelbar im Beschlusswege hierüber für alle Gesellschafter verbindlich entscheiden.89 31 Beide Modifikationsmöglichkeiten werden häufig unreflektiert miteinander vermengt. Teil-
weise wird ihr theoretisches Nebeneinander auch verleugnet. Namentlich Karsten Schmidt sieht in der Verständigung auf Mehrheitsentscheidungen eine automatische Hinwendung zur zuerst genannten Modifikationsmöglichkeit, wenn er davon ausgeht, Mehrheitsentscheidungen träfen die Gesellschafter stets als Organ der Personengesellschaft.90 Auch Jan Schürnbrand sieht in einer vertraglichen Vereinbarung, über die Grundlagen der Gesellschaft durch Mehrheitsbeschluss zu entscheiden, zumindest ein „wesentliches Indiz“ dafür, dass die Gesellschafter in diesen Fällen als Organ der Personengesellschaft fungieren wollen.91 Tatsächlich besteht zwischen der Möglichkeit, die Kompetenz für Verfassungsänderungen der Gesell85 Eingehend Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 76 ff. m.w.N. auch zu den Stimmen, die Personengesellschaften und juristische Personen weitgehend gleichstellen wollen. 86 Ausführlich Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 79 ff. 87 Eingehend auch zu den Gegenstimmen Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 81 f. 88 Vgl. statt aller Uwe H. Schneider, ZGR 1972, 357, 361 ff. 89 Theoretisch ist sogar noch dritter Weg denkbar. So könnten sich Gesellschafter nämlich neben Gesellschafterversammlung als Organ der Gesellschaft noch weitere Funktionseinheit kreieren, die über Änderungen der Grundlagen der Gesellschaft im Beschlusswege entscheidet. 90 K. Schmidt, ZHR 158 (1994), 205, 214 f.; letztlich ebenso Weipert in MünchHdbGesR I, 5. Aufl. 2019, § 57 Rz. 24. 91 Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 88.
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Beschlussfassung | Rz. 35 § 714 BGB
schaft zu übertragen, und der Möglichkeit, es für Verfassungsänderungen ausreichen zu lassen, wenn eine Mehrheit der Gesellschafter hierfür votiert, aber kein denknotwendiger Zusammenhang.92 Beizupflichten ist Karsten Schmidt und Jan Schürnbrand nur für Recht der Personenhandels- 32 gesellschaften und auch nur wegen des Umstands, dass § 113 Abs. 2 HGB dort nunmehr vorgibt, dass Beschlussmängelklagen nicht gegen die Gesellschafter, sondern gegen die Gesellschaft zu richten sind. Zielt ein entsprechender Beschluss auf eine Änderung der vertraglichen Grundlagen der Gesellschaft ab, ist das nur stimmig erklärbar, wenn man davon ausgeht, dass die Gesellschafter auch in diesen Fällen als Organ der Personengesellschaft fungieren. Andernfalls wäre die Gesellschaft nur Objekt, nicht aber Subjekt des Beschlusses und könnte daher für eine Beschlussmängelklage nicht grundsätzlich passivlegitimiert sein.93 c) Bilanzfeststellung Die Feststellung der Bilanz ist eine Entscheidung, die sich weder der laufenden Verwaltungs- 33 tätigkeit noch unmittelbar den vertraglichen Grundlagen des gesellschaftlichen Zusammenlebens zuordnen lässt.94 Sofern diese Entscheidung nicht im Vertragswege erfolgen, sondern durch Beschluss getroffen werden soll, muss auch sie gegenüber allen Gesellschaftern durch eine entsprechende Regelung im Gesellschaftsvertrag oder durch eine ad-hoc getroffene Vereinbarung unter sämtlichen Gesellschaftern legitimiert sein.95 Für die OHG sieht § 121 HGB eine Beschlussfassung insoweit nunmehr ausdrücklich vor.
2. Beschlussantrag Ausgangspunkt jeder Willensbildung im Beschlusswege ist der Beschlussantrag. Als Mittel 34 zum Zweck der Willensbildung kann ein Beschlussantrag grundsätzlich von sämtlichen Personen eingebracht werden, die mit der Willensbildung betraut sind. Bei Maßnahmen der laufenden Geschäftsführung i.S.d. § 715 BGB sind dies die amtierenden geschäftsführenden Gesellschafter. Bei Grundlagengeschäften sowie Maßnahmen, die sich weder der laufenden Verwaltungstätigkeit noch unmittelbar den vertraglichen Grundlagen des gesellschaftlichen Zusammenlebens zuordnen lassen, sind dies im Ausgangspunkt sämtliche Gesellschafter. Sofern die Gesellschafter nichts Abweichendes vereinbart haben, ist der Beschlussantrag an 35 keine besonderen Formerfordernisse gebunden und kann mündlich oder sogar konkludent eingebracht werden. Als tatbestandlicher Bezugspunkt der Stimmabgaben kann sich allerdings stets nur ein solcher Beschlussantrag eignen, der hinreichend bestimmt ist. Der Beschlussantrag muss als solcher erkennen lassen, welcher Wille mit seiner Annahme als gebildet gelten soll.96
92 Vgl. auch Mülbert/Gramse, WM 2002, 2085, 2091 f. 93 Entsprechende Gedankenführung bei Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 83 f. 94 Zur Diskussion um die Rechtsnatur dieser Maßnahmen siehe etwa Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 120 HGB Rz. 24. 95 Vgl. auch Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 709 BGB Rz. 18a. 96 Siehe auch Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion, 1965, S. 108; Skauradszun, Beschluss als Rechtsgeschäft, 2020, S. 72, 73 f. Holle | 249
§ 714 BGB Rz. 36 | Rechtsfähige Gesellschaft
3. Abstimmung a) Stimmfähigkeit 36 Die Abstimmung besteht in der Stimmabgabe aller Abstimmungsteilnehmer zu einem be-
stimmten Beschlussantrag. Die Befähigung, mittels Stimmabgabe inhaltlich auf die Bildung eines rechtlich relevanten Willens Einfluss nehmen zu können, kommt jeder stimmberechtigen Person zu (zu Stimmverboten s. Rz. 46 ff.), die geschäftsfähig ist. Stimmt eine geschäftsunfähige Person ab, ist die jeweilige Stimmabgabe unwirksam (§ 105 BGB)97 und hat bei Ermittlung des Beschlussergebnisses außer Betracht zu bleiben. 37 Die Stimmabgabe ist nicht lediglich rechtlich vorteilhaft, weil ein Minderjähriger mit seiner
Stimmabgabe stets die Berechtigung einbüßt, an der konkreten Beschlussfassung durch Stimmabgabe mitzuwirken.98 Ein minderjähriger Gesellschafter bedarf daher für die Stimmabgabe der Zustimmung seiner Eltern als gesetzlicher Vertreter, wenn kein Fall familiengerichtlicher Genehmigung nach § 112 BGB gegeben ist. Wertungsmäßig handelt es sich bei der Stimmabgabe um einen Fall des § 111 BGB, so dass die Stimmabgabe eines Minderjährigen grundsätzlich nur wirksam ist, wenn der gesetzliche Vertreter in diese eingewilligt hat.99 Käme bei Stimmabgabe hingegen § 108 BGB zur Anwendung, könnte ein Minderjähriger dem Kollektiv einen Schwebezustand aufzwingen. Eine nachträgliche Genehmigung der Stimmabgabe durch den gesetzlichen Vertreter ist nur ausnahmsweise dann beachtlich, wenn entweder in den jeweiligen Beschlussfassungskompetenzen ausdrücklich vorgesehen ist, dass Stimmabgaben eines Minderjährigen genehmigt werden können oder sich sämtliche zur Beschlussfassung berufene Gesellschafter damit einverstanden erklären, dass der Minderjährige trotz Fehlens einer Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters mitstimmen darf (Rechtsgedanke des § 180 Satz 2 Var. 2 BGB).100 38 Auch bei Vorliegen einer Einwilligung kann die Stimmabgabe eines Minderjährigen unwirk-
sam und daher nicht mitzuzählen sein. Sofern keine anderslautenden Regelungen in den einschlägigen Beschlussfassungskompetenzen enthalten sind, ist dies dann der Fall, wenn der Minderjährige die Einwilligung nicht in schriftlicher Form vorlegt und der Erklärungsempfänger die Stimmabgabe aus diesem Grund unverzüglich zurückweist (vgl. § 111 Satz 2 BGB).101 Anderes gilt wiederum, wenn der gesetzliche Vertreter den Erklärungsempfänger von der Einwilligung in Kenntnis gesetzt hat (§ 111 Satz 3 BGB).102 Fehlt es an einer
97 Vgl. auch Bartholomeyczik, ZHR 105 (1938), 293, 294 f.; Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 15 III 1 (im Erscheinen); von Tuhr, BGB AT I, 1957, S. 516. 98 Vgl. etwa Bartholomeyczik, ZHR 105 (1938), 293, 295; J. W. Flume, NZG 2014, 17 f.; Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 15 III 2 a bb (im Erscheinen); Nagel, Familiengesellschaft und Elterliche Gewalt, 1968, S. 114 f. 99 Vgl. etwa Bachmann, AcP 222 (2022), 651, 656; Bartholomeyczik, ZHR 105 (1938), 293, 331 f.; Ernst in LA Leenen, 2012, S. 1, 21; J. W. Flume, NZG 2014, 17, 20; Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 15 III 2 b bb (im Erscheinen); Lohrmann, Anwendbarkeit der §§ 104–185 BGB auf die Stimmabgabe und den Gesellschafterbeschluss, 2019, S. 61; Skauradszun, Beschluss als Rechtsgeschäft, 2020, S. 226 ff. 100 Eingehender Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 15 III 2 b bb (im Erscheinen). 101 Vgl. auch Bartholomeyczik, ZHR 105 (1938), 293, 331 f.; J. W. Flume, NZG 2014, 17, 20; Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 15 III 2 c (im Erscheinen); Lohrmann, Anwendbarkeit der §§ 104–185 BGB auf die Stimmabgabe und den Gesellschafterbeschluss, 2019, S. 61. 102 Siehe insofern auch J. W. Flume, NZG 2014, 17, 20; Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 15 III 2 c (im Erscheinen); Lohrmann, Anwendbarkeit der §§ 104–185 BGB auf die Stimmabgabe und den Gesellschafterbeschluss, 2019, S. 61.
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Beschlussfassung | Rz. 40 § 714 BGB
Vorlage der Einwilligung oder einem entsprechenden In-Kenntnis-Setzen, ist es ebenso zulässig, den Minderjährigen von vornherein erst gar nicht zur Abstimmung zuzulassen.103 Zu einer „Zurückweisung“ im klassischen Sinne braucht es in diesen Fällen also gar nicht zu kommen. Im Falle einer offenen Abstimmung, also einer Abstimmung, im Rahmen derer das Stimmverhalten einzelner Abstimmender für die anderen zur Beschlussfassung berufenen Personen erkennbar ist, ist eine Nichtzulassung aus funktionalen Gründen gar geboten.104 Andernfalls bestünde das Risiko, dass sich einzelne Abstimmende von dem Abstimmungsverhalten des Minderjährigen beeinflussen lassen, obgleich bereits feststeht, dass dieser mit seiner Stimme keinen Einfluss auf die Willensbildung nehmen darf. Willigt der gesetzliche Vertreter nicht im Vorfeld der Beschlussfassung in die Stimmabgabe 39 ein, kann der Minderjährige nicht eigenständig an der Beschlussfassung mitwirken und es ist daher geboten, dass der gesetzliche Vertreter an dieser teilnehmen und für den Minderjährigen abstimmen darf.105 Soweit der gesetzliche Vertreter in die Stimmabgabe eingewilligt hat, hat er demgegenüber kein entsprechendes Teilnahmerecht,106 sondern „unter dem Gesichtspunkt einer good governance“ allenfalls ein bloßes Anwesenheitsrecht.107 b) Stimmpflicht Die Ausübung des Stimmrechts liegt grundsätzlich im Ermessen der Gesellschafter, so dass 40 ein bestimmtes inhaltliches Abstimmungsverhalten vom einzelnen Gesellschafter nicht verlangt werden kann. Allerdings ist das Stimmrecht als solches kein rein eigennütziges Recht, sondern durch die Pflicht zur Förderung des gemeinsamen Zwecks sowie die Treuepflicht gebunden. Die Gesellschafter sind daher grundsätzlich verpflichtet, sich über geplante Maßnahmen zu informieren, an deren Erörterung teilzunehmen, ihre Ansicht darzulegen und mittels einer „Ja-“ oder „Nein-“ Stimme beziehungsweise einer Enthaltung auf die Willensbildung Einfluss zu nehmen.108 In Ausnahmefällen kann die Treuepflicht auch ein bestimmtes inhaltliches Abstimmungsverhalten gebieten (ausführlich § 705 BGB Rz. 57 ff.). Bei Maßnahmen der Geschäftsführung und Vertretung kommt dies eher in Betracht, da insoweit allein die Durchsetzung der gemeinsamen Gesellschaftsinteressen in Rede steht. Bei Grundlagengeschäften und insbesondere bei Vertragsänderungen sind die Gesellschafter im Ausgangspunkt hingegen berechtigt, ihre eigenen Interessen zu verfolgen. Treuepflichtgestützte Stimmpflichten lassen sich hier nur unter der engen Voraussetzung konstruieren, dass die geplante Maßnahme dem Gesellschafter zuzumuten ist und mit Rücksicht auf das
103 Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 15 III 2 c (im Erscheinen); dafür plädierend, den Minderjährigen bei Eingreifen des § 111 Satz 2 BGB generell schon nicht zur Abstimmung zuzulassen wohl Ernst in LA Leenen, 2012, S. 1, 21. 104 Insofern zutreffend daher Ernst in LA Leenen, 2012, S. 1, 21; vgl. auch Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 15 III 2 c (im Erscheinen). 105 Vgl. etwa J. W. Flume, NZG 2014, 17, 21; Hueck, Das Recht der offenen Handelsgesellschaft, 4. Aufl. 1971, S. 166. 106 Für die GmbH vgl. etwa Noack in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 48 GmbHG Rz. 9. 107 So J. W. Flume, NZG 2014, 17, 21. 108 Statt aller A. Hueck, ZGR 1972, 237, 241, 243 f.; Stimmenthaltungen werden teilweise für unzulässig gehalten (vgl. etwa A. Hueck, ZGR 1972, 237, 241; Flume, BGB AT I/1, 1977, S. 263) oder lediglich ausnahmsweise und nur bei Geschäftsführungsmaßnahmen zugelassen (Uwe H. Schneider, AG 1979, 57, 63 ff.). Das kann jedoch vor dem Hintergrund nicht überzeugen, dass Stimmenthaltungen nicht mit einem Fernbleiben von Abstimmung gleichzusetzen sind, sondern als Bekundung eigener Unentschiedenheit ebenfalls bezwecken, inhaltlich auf die Willensbildung Einfluss zu nehmen. Hier zeitigen sie Rechtsfolgen, indem sie – in Abhängigkeit von dem jeweils geltenden Abstimmungsprinzip – den Erfolgswert der „Ja“- und „Nein“-Stimmen beeinflussen. Wie hier etwa Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 119 HGB Rz. 31; Freitag in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 119 HGB Rz. 35; Roth in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 119 HGB Rz. 6. Holle | 251
§ 714 BGB Rz. 40 | Rechtsfähige Gesellschaft bestehende Gesellschaftsverhältnis oder bestehende Rechtsverhältnisse der Gesellschafter untereinander dringend erforderlich ist.109 41 Mit Blick auf die Rechtsfolgen von Treueverstößen bei der Beschlussfassung nimmt die herr-
schende Meinung eine Differenzierung vor. Bei Grundlagengeschäften soll der treuwidrig handelnde Gesellschafter grundsätzlich im Wege der Leistungsklage auf Zustimmung verklagt werden müssen.110 Sofern eine besondere Dringlichkeit und insbesondere Existenzgefährdung bestehen111 sowie bei Publikumsgesellschaften112 und allgemein bei Geschäftsführungsangelegenheiten113 soll die fehlende Zustimmung indes fingiert werden können und der Beschluss als wirksam zustande gekommen gelten. Dogmatisch lässt sich eine unterschiedliche Vorgehensweise freilich nicht erklären. Sie ist schlussendlich nur dem Umstand geschuldet, dass eine klageweise erstrittene Zustimmung erst mit Rechtskraft des stattgebenden Urteils gem. § 894 ZPO als erteilt gilt und damit regelmäßig zu spät kommen wird.114 Sachgerecht ist es, den zur Beschlussfeststellung Berufenen bei offensichtlich treuwidrigem Handeln eines Gesellschafters generell zu gestatten, eine treuwidrig verweigerte Zustimmung bei der Beschlussfeststellung zu fingieren.115 Fehlt es an Offensichtlichkeit, ist der Gesellschafter auf Zustimmung zu verklagen, wobei dem Gericht die Befähigung zuzusprechen ist, den Beschluss rechtsgestaltend und rückwirkend zu korrigieren, so dass demjenigen von Anfang an zur Geltung verholfen wird, was treuepflichtkonform hätte beschlossen werden müssen. Hierfür lässt sich § 115 HGB heranziehen, der nach hier vertretenem Standpunkt eine entsprechende Rechtsgestaltung ermöglicht (s. § 115 HGB Rz. 7). c) Stimmvertretung 42 Ein Gesellschafter kann sich bei der Ausübung seines Stimmrechts durch andere Gesell-
schafter vertreten lassen.116 Einem Dritten rechtsgeschäftlich Stimmrechtsvollmacht zu erteilen, ist hingegen nur zulässig, wenn der Gesellschaftsvertrag dies vorsieht, die übrigen Gesellschafter dem im Einzelfall ad-hoc zustimmen oder diese aufgrund besonderer Umstände – etwa einer Erkrankung oder dauernder Verhinderung des Gesellschafters – ausnahmsweise verpflichtet wären, einer Vertretung zuzustimmen.117 43 Soweit eine Stimmrechtsvertretung zulässig ist, ist zu beachten, dass die Stimmabgabe im Rah-
men eines Beschlussverfahrens wertungstechnisch der Vornahme eines einseitigen Rechts109 Exemplarisch BGH v. 10.6.1965 – II ZR 6/63, BGHZ 44, 40, 41 = NJW 1965, 1960 (Zustimmung zur Erhöhung der Tätigkeitsvergütung des geschäftsführenden Gesellschafters); BGH v. 28.4.1975 – II ZR 16/73, BGHZ 64, 253, 257 = NJW 1975, 1410 (Zustimmung zur Ausschließungsklage); BGH v. 25.9.1986 – II ZR 262/85, BGHZ 98, 276, 279 = GmbHR 1986, 426 = ZIP 1986, 1383 = NJW 1987, 189 (Verpflichtung zur Zustimmung bei Satzungsänderung einer GmbH); BGH v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, BGHZ 183, 1 Rz. 23 = NJW 2010, 65 (Sanieren oder Ausscheiden) = ZIP 2009, 2289. 110 RG v. 1.11.1939 – II 91/39, RGZ 162, 78, 82 f.; BGH v. 12.10.1959 – II ZR 237/57, NJW 1960, 91; BGH v. 29.9.1986 – II ZR 285/85, NJW-RR 1987, 285, 286. 111 BGH v. 28.5.1979 – II ZR 172/78, WM 1979, 1058, 1059 f. 112 BGH v. 5.11.1984 – II ZR 111/84, NJW 1985, 974 = ZIP 2009, 2289. 113 Enzinger in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 119 HGB Rz. 29; Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 119 HGB Rz. 31; anders BGH v. 12.10.1959 – II ZR 237/57¸ NJW 1960, 91. 114 Vgl. dann auch Freitag in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 119 HGB Rz. 40. 115 Ähnlich Freitag in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 119 HGB Rz. 40. 116 Enzinger in MünchKomm/HGB, 5. Aufl., § 119 HGB Rz. 19. 117 Vgl. etwa RG v. 12.2.1929 – II 295/28, RGZ 123, 289, 299 (KG); BGH v. 1.12.1969 – II ZR 14/68, NJW 1970, 706; BGH v. 4.10.2004 – II ZR 356/03, NZG 2005, 33 f.; Bayer/Möller in FS Windbichler, 2020, S. 535, 536 f.; abweichende Einschätzung bei Grunewald in FS E. Vetter, 2019, S. 173, 177: Mittlerweile kann man wohl davon ausgehen, dass Stimmrechtsvollmachten in Personengesellschaften „eher zulässig als unzulässig sind.“
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Beschlussfassung | Rz. 44 § 714 BGB
geschäfts zuzuordnen ist (s. Rz. 37). Es greift daher § 180 Satz 1 BGB, wonach eine Vertretung ohne Vertretungsmacht grundsätzlich unzulässig ist. § 180 Satz 2 BGB, der eine Vertretung ohne Vertretungsmacht gestattet, wenn der Erklärungsempfänger die vom Vertreter behauptete Vertretungsmacht bei Vornahme des Rechtsgeschäfts nicht beanstandet oder sich damit einverstanden erklärt hat, dass der Vertreter ohne Vertretungsmacht handelt, ist nicht anzuwenden.118 Grund hierfür ist weniger Umstand, dass der Vertretene andernfalls in der Lage wäre, das Abstimmungsergebnis nachträglich zu beeinflussen.119 Immerhin muss diese Rechtsfolge hingenommen oder sogar explizit zugelassen worden sein.120 Durchgreifend ist letztlich der Einwand, dass allein schon die Präsenz des vollmachtlosen Vertreters die Beschlussfassung beeinträchtigen kann, indem dieser das Wort ergreift121 oder in bestimmter Weise abstimmt.122 Diese Einflussnahme ließe sich nicht mehr ungeschehen machen, wenn der eigentlich zur Beschlussfassung Berufene die Genehmigung verweigert.123 Sofern die Ausübung des Stimmrechts im Einzelfall nicht ohnehin höchstpersönlich zu erfolgen hat, muss daher jedenfalls zu Beginn des Beschlussverfahrens feststehen, ob eine Person zur Vertretung bevollmächtigt ist oder nicht. Andernfalls droht die Willensbildung von Personen mitbestimmt zu werden, die hierzu letzten Endes keine Berechtigung haben. Aus vorstehenden Überlegungen folgt weiter, dass § 174 BGB, wonach die Stimmabgabe un- 44 wirksam wäre, wenn ein Bevollmächtigter die Vollmachtsurkunde nicht vorlegt, es an einer In-Kenntnis-Setzung durch den Vertretenen fehlt und der Erklärungsempfänger die Stimmabgabe aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist, nicht zur Anwendung gelangen kann, sofern in den einschlägigen Beschlussfassungskompetenzen keine anderslautenden Regelungen getroffen sind.124 Falls eine entsprechende Zurückweisung zulässig ist, darf der Bevollmächtigte schon gar nicht zur Teilnahme an dem Beschlussverfahren zugelassen werden.125 Insoweit unterscheidet sich die Sachlage von der Konstellation, in der Minderjähriger zur Beschlussfassung berufen ist und die Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters nicht nachweisen kann (Rz. 38). Der Minderjährige ist vom Beschlussverfahren nämlich nicht insgesamt auszuschließen, sondern nur von der eigentlichen Abstimmung – und dies auch nur dann zwingend, wenn offen abgestimmt wird (s. Rz. 38). Diese Unterscheidung ist gerechtfertigt, weil der Minderjährige im Ausgangspunkt zur Willensbildung berufen ist und man ihm die Teilhabe an dieser daher erst ab dem Zeitpunkt versagen sollte, zu dem er mit der Stimmabgabe zu der Handlung ansetzt, die sich zurückweisen lässt. Beim Vertreter, der seine Vollmachtsurkunde nicht nachweisen kann, bleibt die Berechtigung zur Teilhabe an der Willensbildung hingegen insgesamt unklar, so dass es auch tunlich ist, den Vorgang der Willensbildung entsprechend vollumfänglich gegen eine nicht mehr umkehrbare Einwirkung durch diesen abzuschirmen.
118 Generell gegen die Anwendung des § 180 Satz 2 BGB bei Beschlüssen auch Ernst in LA Leenen, 2012, S. 1, 22. 119 In diese Richtung zum WEG-Recht aber BayObLG, ZWE 2003, 193, 195; aufgreifend Skauradszun, Beschluss als Rechtsgeschäft, 2020, S. 246; zurückhaltender Bachmann, AcP 222 (2022), 651, 657. 120 Vgl. auch M. Müller, ZWE 2017, 395, 397. 121 Dazu, dass die Bedeutung von im Rahmen einer Beratung getätigten Stellungnahmen für das Beschlussergebnis durchaus erheblich sein kann, s. Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion, 1965, S. 124. 122 Ähnlich schon Ernst in LA Leenen, 2012, S. 1, 22. 123 Vgl. abermals schon Ernst in LA Leenen, 2012, S. 1, 22. 124 So aber Skauradszun, Beschluss als Rechtsgeschäft, 2020, S. 239 ff.; beipflichtend Bachmann, AcP 222 (2022), 651, 657. 125 Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 16 III (im Erscheinen); wohl nur gegen Teilnahme an Abstimmung Ernst in LA Leenen, 2012, S. 1, 22. Holle | 253
§ 714 BGB Rz. 45 | Rechtsfähige Gesellschaft 45 Ein Stimmvertreter hat § 181 BGB zu beachten.126 Bei einer Stimmrechtsvertretung durch
Gesellschafter wird die Anwendung des § 181 BGB von der herrschenden Meinung vom jeweiligen Beschlussgegenstand abhängig gemacht:127 Bei Beschlussfassungen über Geschäftsführungsmaßnahmen soll § 181 BGB unanwendbar sein,128 bei Beschlussfassungen über sonstige außerhalb von Geschäftsführungsentscheidungen liegenden Angelegenheiten wie insbesondere Änderungen der Statuten,129 sonstigen Grundlagenbeschlüssen sowie der Bestellung des Stimmvertreters zum geschäftsführenden Gesellschafter130 hingegen zum Zuge kommen. Hinter dieser Sichtweise steht der Gedanke, dass die Interessen der Gesellschafter bei Geschäftsführungsmaßnahmen gleichgerichtet sind und es daher typischerweise an einem von § 181 BGB erfassten Interessenkonflikt fehlt.131 Der Haken an einer solchen Betrachtung ist, dass trotz grundsätzlich parallel laufender Interessen unterschiedliche Vorstellungen unter den zur Abstimmung berufenen Personen darüber bestehen können, wie das anvisierte Interesse am besten zu verwirklichen ist.132 Von der gesetzlichen Vorstellung eines sich allein an den Vorstellungen des Vertretenen orientierenden Vertreters bleibt man somit entscheidende Schritte entfernt.133 Das spricht dafür, § 181 BGB durchweg heranzuziehen, wenn eine zur Abstimmung berufene Person eine oder mehrere andere Personen bei der Abstimmung vertritt. Der Vertretene kann aber eine generelle oder auf den Einzelfall bezogene Befreiung vom Verbot des § 181 BGB erteilen.134 Eine Befreiung wird man bereits dann annehmen können, wenn der Vertretene zum Zeitpunkt der Bevollmächtigung den Beschlussgegenstand und die daraus abstrakt resultierende Interessenkollision seines Vertreters kannte.135 Ist der Vertretene minderjährig, bedarf es im Fall einer Vertretung durch die nach § 181 BGB konfliktbefangenen Eltern (§ 1626 Abs. 1, § 1629 Abs. 1 BGB) der Bestellung eines Ergänzungspflegers (§ 1909 BGB).136 Einer Befreiung bedarf es allerdings ausnahmsweise dann nicht, wenn die Verpflichtung bestand, in entsprechender Weise abzustimmen. Dann nämlich erfüllt der Vertreter mit der Stimmabgabe nur mehr eine den Vertretenen treffende Stimmpflicht und damit eine ihm auferlegte Verbindlichkeit.137 Eine Vertretung
126 Pauschal Wiedemann, 2004, GesR II, S. 319; wohl auch Mansel in Jauernig, BGB, 18. Aufl. 2021, § 181 BGB Rz. 7. 127 Anschaulich etwa Bayer/Möller in FS Windbichler, 2020, S. 535, 547 f.; Lohrmann, Anwendbarkeit der §§ 104–185 BGB auf die Stimmabgabe und den Gesellschafterbeschluss, 2019, S. 179 ff. 128 BGH v. 18.9.1975 – II ZB 6/74, BGHZ 65, 93, 95 ff. = NJW 1976, 49. 129 BGH v. 26.1.1961 – II ZR 240/59, NJW 1961, 724. 130 BGH v. 24.9.1990 – II ZR 167/89, BGHZ 112, 339, 341 ff., NJW 1991, 691 = ZIP 1991, 25 (Personengesellschaft); vgl. auch BGH v. 9.12.1968 – II ZR 57/67, BGHZ 51, 209, 215 f. = NJW 1969, 841: Wahl des Testamentsvollstreckers zum Geschäftsführer (GmbH). 131 BGH v. 18.9.1975 – II ZB 6/74, BGHZ 65, 93, 97 f. = NJW 1976, 49. 132 So auch Wiedemann, GesR II, 2004, S. 319. 133 Anders indes BGH v. 18.9.1975 – II ZB 6/74, BGHZ 65, 93, 98 = NJW 1976, 49: „Darüber, wie das vom Gesellschaftszweck geprägte gleichgerichtete Interesse am Gedeihen der Gesellschaft am besten zu verwirklichen ist, mögen unterschiedliche Meinungen bestehen. Das beruht aber nicht typischerweise auf einem Widerstreit zwischen dem persönlichen Interesse des einzelnen und dem der anderen oder aller Gesellschafter, der mit einem Interessenkonflikt von der Art des in § 181 BGB vorausgesetzten vergleichbar wäre. Im Vordergrund steht vielmehr auch bei Uneinigkeit über den einzuschlagenden Weg das Zusammenwirken aller Gesellschafter zum gemeinschaftlichen Nutzen, zu dem sie sich im Gesellschaftsvertrag verbunden haben.“ 134 BGH v. 24.11.1975 – II ZR 89/74, BGHZ 66, 82, 86 = NJW 1976, 958; BGH v. 24.9.1990 – II ZR 167/89, BGHZ 112, 339, 343 = NJW 1991, 691 = ZIP 1991, 25. 135 So auch BGH v. 24.11.1975 – II ZR 89/74, BGHZ 66, 82, 86 = NJW 1976, 958; BGH v. 24.9.1990 – II ZR 167/89, BGHZ 112, 339, 343 = NJW 1991, 691 = ZIP 1991, 25. 136 Siehe § 1629 Abs. 2 Satz 1 BGB i.V.m. § 1795 Abs. 2 BGB; vgl. ferner BGH v. 18.9.1975 – II ZB 6/ 74, BGHZ 65, 93, 101 = NJW 1976, 49; Bayer/Möller in FS Windbichler, 2020, S. 535, 545. 137 Vgl. auch BGH v. 26.1.1961 – II ZR 240/59, NJW 1961, 724 f.; Bayer/Möller in FS Windbichler, 2020, S. 535, 546; Lohrmann, Anwendbarkeit der §§ 104–185 BGB auf die Stimmabgabe und den
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Beschlussfassung | Rz. 47 § 714 BGB
ohne erforderliche vorherige Befreiung vom Verbot des § 181 BGB ist unzulässig und führt gem. § 180 Satz 1 BGB zur Nichtigkeit der Stimmabgabe.138 § 180 Satz 2 BGB ist nicht anzuwenden, weil andernfalls die latente Gefahr bestünde, dass allein schon die Präsenz des Vertreters das Beschlussverfahren beeinträchtigen kann, indem dieser das Wort ergreift oder in bestimmter Weise abstimmt.139 Diese Einflussnahme ließe sich nicht mehr ungeschehen machen, wenn der eigentlich zur Beschlussfassung Berufene die Genehmigung verweigert. d) Stimmrechtsschranken aa) Grundlagen Interessenkollisionen können nicht nur auftreten, wenn ein Gesellschafter einen Vertreter 46 mit der Stimmabgabe betraut (Rz. 45). Denkbar ist, dass bereits in der Person des Gesellschafters ein so schwerwiegender Interessenkonflikt besteht, dass es gerechtfertigt erscheint, den Gesellschafter von der Willensbildung auszuschließen. Gewährleistet wird dies durch starre und bewegliche Stimmrechtsschranken.140 Starre Stimmrechtsschranken bilden die Stimmverbote. Ein bewegliche Schranke ist anzunehmen, wenn die Stimmrechtsausübung lediglich durch die Treuepflicht reglementiert wird. Rechtsfolge von Stimmverboten ist, dass der Gesellschafter nicht an Abstimmung teilnehmen darf. Eine gleichwohl abgegebene Stimme ist nichtig und darf nicht mitgezählt werden.141 Wird die Stimmrechtsausübung durch die Treuepflicht reglementiert, ist eine Stimmabgabe zwar zulässig, die abgegebene Stimme ist aber als unbeachtlich zu behandeln,142 so dass sie aus dem Kreis der abgegebenen Stimmen ausscheidet und für die Ermittlung des Abstimmungsergebnisses damit wie eine Enthaltung zählt.143 Beide Arten von Schranken lassen das Recht jedes Gesellschafters unberührt, eine Beschlussfassung zu initiieren, an dieser teilzunehmen, Redebeiträge zu leisten sowie Beschlussanträge zu stellen.144 Das gilt auch bei konkludenter Beschlussfassung (Rz. 25).145 Zudem erstreckt sich eine Stimmrechtsschranke nicht ohne weiteres auf den Ehegatten des Gesellschafters oder andere nahestehende Personen.146 bb) Stimmverbot bei einem Richten in eigener Sache Im GmbH-, Aktien-, Genossenschafts- und Vereinsrecht finden sich explizite, inhaltlich aber 47 nicht umfänglich deckungsgleiche Stimmverbotsvorschriften. Im Recht der GbR regelt das
138 139 140 141 142 143
144 145 146
Gesellschafterbeschluss, 2019, S. 182; Schilling in FS Ballerstedt, 1975, S. 257, 270; Wiedemann, JZ 1970, 291, 293. Zur Anwendbarkeit des § 180 Satz 1 BGB vgl. etwa Schilken in Staudinger (2019), § 181 BGB Rz. 45; Schubert in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2021, § 181 BGB Rz. 63. Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 17 IV 2 (im Erscheinen); ähnlich Ernst in LA Leenen, 2012, S. 1, 22. Grundlegend Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963. Siehe in Bezug auf § 34 BGB Leuschner in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2021, § 34 BGB Rz. 9. Eingehender Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 19 II 2, III (im Erscheinen). Siehe etwa Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion, 1965, S. 152; Leuschner in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2021, § 32 BGB Rz. 44; Lohrmann, Anwendbarkeit der §§ 104–185 BGB auf die Stimmabgabe und den Gesellschafterbeschluss, 2019, S. 126; Zöllner, Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, 1963, S. 359, 364 f. Vgl. etwa BGH v. 13.5.2014 – II ZR 250/12, NZG 2014, 945 Rz. 24 = ZIP 2014, 1422. BGH v. 17.1.2023 – II ZR 76/21, NZG 2023, 564 Rz. 30 f. BGH v. 16.2.1981 – II ZR 168/79, BGHZ 80, 69, 71 = NJW 1981, 1512 = ZIP 1981, 399; BGH v. 13.1.2003 – II ZR 227/00, BGHZ 153, 285, 291 f. = NZG 2003, 286 = ZIP 2003, 395; BGH v. 11.9.2018 – II ZR 307/16, NZG 2018, 1226 Rz. 27 = ZIP 2018, 2024; Böttcher, NZG 2019, 61, 63. Holle | 255
§ 714 BGB Rz. 47 | Rechtsfähige Gesellschaft Gesetz den Ausschluss des Stimmrechts demgegenüber nur fragmentarisch und implizit, indem es vom Mitwirkungserfordernis des betroffenen Gesellschafters bei der Entziehung seiner Geschäftsführungs- oder Vertretungsbefugnis (§ 715 Abs. 5 Satz 1 BGB, § 720 Abs. 4 BGB) oder bei seiner Ausschließung (§ 727 Satz 1 BGB) absieht. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen diese Regelungen allerdings nur ein punktueller Ausdruck eines allgemeinen rechtsformübergreifenden Prinzips des Verbandsrechts147 sein, wonach ein in eigenen Angelegenheiten betroffener Gesellschafter nicht zum Richter in eigener Sache werden soll.148 Auch ohne spezielle gesetzliche Regelung soll in vergleichbar schwerwiegenden Fällen wie bei der Befreiung von Verbindlichkeit149 oder bei der Einleitung eines Rechtsstreits150 gegen den betroffenen Gesellschafter daher ein Stimmverbot anzunehmen sein.151 In diese Kategorie vergleichbar schwerwiegender Fällen wird man ferner auch die Erledigung eines Rechtsstreits gegen Gesellschafter, die Erteilung der Entlastung152, die Verfolgung von Ersatzansprüchen gegen den Gesellschafter153 sowie die Abberufung aus wichtigem Grund154 miteinzubeziehen haben. Ebenfalls von einem Richten in eigener Sache ist auszugehen, wenn Verfehlungen anderer Person (z.B. Geschäftsführer) Gegenstand des Beschlusses sind, die ein Gesellschafter gemeinsam mit dieser anderen Person begangen haben soll.155 Insgesamt soll ein Stimmverbot bei allen Gesellschafterbeschlüssen greifen, die darauf abzielen, ein Verhalten eines Gesellschafters zu billigen oder zu missbilligen,156 so dass ein Stimmverbot schon bei der Einholung eines Rechtsgutachtens zur Prüfung von Ansprüchen gegen Gesellschafter157 sowie bei einer Vertragskündigung einschlägig sein kann, wenn diese auf einer Missbilligung des Verhaltens des Gesellschafters aufbaut.158 Steht eine Verfolgung von Ansprüchen gegen einen Gesellschafter in Rede, der Gesellschafter der Muttergesellschaft ist, so ist die Muttergesellschaft nur dann von der Beschlussfassung ausgeschlossen, wenn der betroffene Gesellschafter die Muttergesellschaft beherrscht.159
147 Vgl. hierzu Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963, 146 ff. 148 Vgl. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 149; vgl. auch BGH v. 17.1.2023 – II ZR 76/21, NZG 2023, 564 Rz. 25; BGH v. 11.9.2018 – II ZR 307/16, NZG 2018, 1226 Rz. 26 = ZIP 2018, 2024. 149 Vgl. BGH v. 13.5.2014 – II ZR 250/12, NZG 2014, 945 Rz. 16 = ZIP 2014, 1422; BGH v. 11.9.2018 – II ZR 307/16, NZG 2018, 1226 Rz. 26 = ZIP 2018, 2024; BGH v. 17.1.2023 – II ZR 76/21, NZG 2023, 564 Rz. 25 = ZIP 2018, 2024. 150 Vgl. BGH v. 13.5.2014 – II ZR 250/12, NZG 2014, 945 Rz. 16 = ZIP 2014, 1422; BGH v. 11.9.2018 – II ZR 307/16, NZG 2018, 1226 Rz. 26 = ZIP 2018, 2024; BGH v. 17.1.2023 – II ZR 76/21, NZG 2023, 564 Rz. 25. 151 RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 149. 152 BGH v. 20.1.1986 – II ZR 73/85, BGHZ 97, 28, 33 = NJW 1986, 2051 = ZIP 1986, 429; BGH v. 13.5.2014 – II ZR 250/12, NZG 2014, 945 Rz. 16 = ZIP 2014, 1422; BGH v. 11.9.2018 – II ZR 307/ 16, NZG 2018, 1226 Rz. 26 = ZIP 2018, 2024; BGH v. 17.1.2023 – II ZR 76/21, NZG 2023, 564 Rz. 25, 26. 153 BGH v. 20.1.1986 – II ZR 73/85, BGHZ 97, 28, 33 f. = NJW 1986, 2051 = ZIP 1986, 429; BGH v. 13.5.2014 – II ZR 250/12, NZG 2014, 945 Rz. 23 = ZIP 2014, 1422; BGH v. 11.9.2018 – II ZR 307/ 16, NZG 2018, 1226 Rz. 26 = ZIP 2018, 2024; BGH v. 17.1.2023 – II ZR 76/21, NZG 2023, 564 Rz. 25. 154 BGH v. 27.4.2009 – II ZR 167/07, NJW 2009, 2300 Rz. 29 f. = ZIP 2009, 1158. 155 BGH v. 20.1.1986 – II ZR 73/85, BGHZ 97, 28, 34, NJW 1986, 2051 = ZIP 1986, 429; BGH v. 27.4.2009 – II ZR 167/07, NJW 2009, 2300 Rz. 30 = ZIP 2009, 1158; BGH v. 4.5.2009 – II ZR 169/ 07, NZG 2009, 1307 Rz. 11 = ZIP 2009, 2195; BGH v. 7.2.2012 – II ZR 230/09, NZG 2012, 625 Rz. 19 = ZIP 2012, 917; BGH v. 17.1.2023 – II ZR 76/21, NZG 2023, 564 Rz. 24, 27. 156 Zuletzt BGH v. 17.1.2023 – II ZR 76/21, NZG 2023, 564 Rz. 24, 26. 157 BGH v. 13.5.2014 – II ZR 250/12, NZG 2014, 945 Rz. 16 = ZIP 2014, 1422. 158 BGH v. 17.1.2023 – II ZR 76/21, NZG 2023, 564 Rz. 24. 159 BGH v. 4.5.2009 – II ZR 168/07, NZG 2009, 1310 Rz. 5 = ZIP 2009, 2194; BGH v. 7.2.2012 – II ZR 230/09, NZG 2012, 625 Rz. 17 = ZIP 2012, 917.
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Beschlussfassung | Rz. 50 § 714 BGB
cc) Treuepflicht als bewegliche Stimmrechtsschranke Abgesehen von den Fällen des Richtens in eigener Sache hat der Gesetzgeber des MoPeG 48 sich einer Stellungnahme zu Stimmverboten ausdrücklich enthalten und bewusst von einer allgemeinen gesetzlichen Regelung abgesehen. Speziell die Frage, ob für den Beschluss über den Abschluss eines Rechtsgeschäfts mit dem betroffenen Gesellschafter ein Stimmverbot nach § 34 BGB, § 47 Abs. 4 GmbHG entsprechend gilt, hat der Gesetzgeber ausdrücklich der Rechtsprechung überlassen.160 Die herrschende Meinung hat ein Stimmverbot in diesen Konstellationen bislang bejaht.161 Hiergegen spricht allerdings, dass bei der Vornahme von Rechtsgeschäften nicht per se ein so erheblicher abstrakter Interessenkonflikt besteht, der ein generelles Stimmverbot gerechtfertigt erscheinen lässt.162 Erst recht zu weit gehend wäre es, ein Stimmverbot generell bei allen Beschlüssen anzuneh- 49 men, bei denen es um die Rechtsstellung und die Interessen betroffener Gesellschafter geht.163 Beispiele hierfür sind Änderungen des Gesellschaftsvertrags, die Einsetzung als geschäftsführender Gesellschafter oder die Beendigung der Gesellschafterstellung ohne wichtigen Grund sowie die Einforderung von Beiträgen oder Wahlen.164 Bei derartigen Beschlüssen eigene Interessen wahrzunehmen, ist vom gesellschaftsrechtlichen Mitwirkungsrecht grundsätzlich mitumfasst, so dass ein Stimmverbot hier über das Ziel, die Meinungsbildung um Interessenkonflikte zu bereinigen, hinausschösse.165 Bei den skizzierten Beschlussgegenständen kann eine Stimmabgabe eines Gesellschafters daher allenfalls dann unbeachtlich sein, wenn im konkreten Einzelfall anzunehmen ist, dass der Gesellschafter sein Stimmrecht missbraucht hat, indem er seine eigenen Belange in unvertretbarer Weise über die Belange der Gesellschaft sowie der übrigen Mitgesellschafter gestellt und daher seine insoweit bestehenden Treuepflichten verletzt hat. Das wurde etwa angenommen, wenn ein Gesellschafter Sondervorteile verfolgt, wenn er nach seiner Kündigung eine sachlich vertretbare, seine Vermögensinteressen nicht tangierende Maßnahme blockiert166 oder wenn er den Abschlussprüfer ohne sachlich gerechtfertigten Grund gegen den Willen der Mitgesellschafter abberuft.167 dd) Vertragliche Modifikationen Ein im Gesetz angelegtes Stimmverbot wegen Richtens in eigener Sache kann von den Ge- 50 sellschaftern nicht abbedungen werden.168 Umstritten ist hingegen die umgekehrte Kon-
160 RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 150. 161 RG v. 3.5.1932 – II 438/31, RGZ 136, 236, 245; KG v. 18.12.2008 – 23 U 95/08, NZG 2009, 1269; OLG München v. 18.7.2018 – 7 U 4225/17, ZIP 2018, 1630, 1631; Schäfer, ZGR 2014, 731, 736; offenlassend BGH v. 7.2.2012 – II ZR 230/09, ZIP 2012, 917 Rz. 30. 162 Ebenso Enzinger in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 119 HGB Rz. 33; Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 119 HGB Rz. 25. 163 Vgl. auch BGH v. 10.2.1977 – II ZR 81/76, BGHZ 68, 107, 109 = NJW 1977, 850. 164 Freitag in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 119 HGB Rz. 16; Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 119 HGB Rz. 26. 165 Vgl. BGH v. 29.9.1955 – II ZR 225/54, BGHZ 18, 205, 210 = NJW 1955, 1716; BGH 29.5.1967 – II ZR 105/66, BGHZ 48, 163, 166 f. = NJW 1967, 1963; BGH v. 9.12.1968 – II ZR 57/67, BGHZ 51, 209, 215 f. = NJW 1969, 841; BGH v. 22.9.1969 – II ZR 144/68, BGHZ 52, 316, 320 = NJW 1970, 33; BGH v. 9.7.1990 – II ZR 9/90, NJW 1991, 172, 173 = ZIP 1990, 1194; allg. BGH v. 11.9.2018 – II ZR 307/16, NZG 2018, 1226 Rz. 26 a.E. = ZIP 2018, 2024. 166 BGH v. 26.10.1983 – II ZR 87/83, BGHZ 88, 320, 328 = NJW 1984, 489 = ZIP 1983, 1444. 167 BGH v. 23.9.1991 – II ZR 189/90, ZIP 1991, 1427, 1428 = GmbHR 1991, 568. 168 BGH v. 12.6.1989 – II ZR 246/88, BGHZ 108, 21, 26 f. = NJW 1989, 2694 = ZIP 1989, 913; BGH v. 28.2.1994 – II ZR 121/93, DStR 1994, 869, 870. Holle | 257
§ 714 BGB Rz. 50 | Rechtsfähige Gesellschaft stellation, also die Frage, ob das Stimmrecht über die gesetzlich bestimmten Fälle hinaus vertraglich ausgeschlossen werden kann. Die Rechtsprechung hat dies für Kommanditisten und für die Gesellschafter einer GmbH gestattet,169 für die Gesellschafter einer GbR bislang aber offen gelassen.170 Sachgerecht ist es, die Möglichkeit, das Stimmrecht vertraglich auszuschließen, anhand der Grenzen zuzulassen, die für Mehrheitsbeschlüsse gelten (s. noch Rz. 97 ff.). Ein Stimmrechtsausschluss ist danach nur mit Blick auf solche Beschlussgegenstände zulässig, die von den Gesellschaftern mehrheitlich und ohne Zustimmung eines betroffenen Gesellschafters entschieden werden können.171 e) Modalitäten der Stimmabgabe aa) Geltung allgemeiner Anforderungen an die Abgabe einer Willenserklärung 51 Mit der Stimmabgabe bezweckt der einzelne Abstimmende, auf das Beschlussergebnis und da-
mit den mit dem Beschluss hervorzubringenden einheitlichen Willen einzuwirken. Wenn der Gesellschaftervertrag einer GbR keine formale Beschlussfassung vorsieht, kann die Stimmabgabe grundsätzlich jederzeit und auf beliebige Weise erfolgen, sei es schriftlich oder mündlich, gleichzeitig oder nacheinander.172 Entscheidend ist allein, dass für den Abstimmungsleiter beziehungsweise die übrigen Abstimmenden als Empfänger der Stimmabgabe (Rz. 22) erkennbar wird, ob und mit welchem der drei möglichen Inhalte der einzelne Abstimmende zu einem konkreten Beschlussantrag Stellung bezieht, ob er diesen also annimmt („Ja“), ihn ablehnt („Nein“) oder unentschieden ist und die Entscheidung bewusst den übrigen Beschlussfassenden überlässt.173 Dabei genügt prinzipiell auch jedes schlüssige Verhalten:174 Hand heben, mündliche Kundgabe (Zuruf), Aufstehen von den Plätzen, Stimmkarten etc. Ebenso kann es ausreichen, wenn im Rahmen der Beratung bei sämtlichen teilnehmenden zur Beschlussfassung berufenen Personen schon deutlich der Wille zutage tritt, einen Beschlussantrag anzunehmen oder abzulehnen.175 In gleicher Weise muss eine zur Abstimmung berufene Person nicht zwangsläufig anzeigen, dass sie sich der Stimme enthält, sondern hierfür reicht an sich jedes Verhalten aus, das zum Ausdruck bringt, sich nicht an der Abstimmung beteiligen zu wollen.176 52 Kaum praktische Relevanz hat die Frage, inwieweit die §§ 116–118 BGB auf die Stimmabga-
be Anwendung finden und daher ein vom objektiven Erklärungsgehalt der Stimmabgabe abweichender Wille Berücksichtigung finden kann.177
169 BGH v. 14.7.1954 – II ZR 342/53, BGHZ 14, 264, 268 ff. = NJW 1954, 1563; BGH v. 14.5.1956 – II ZR 229/54, BGHZ 20, 363, 367 ff. = NJW 1956, 1198; BGH v. 24.5.1993 – II ZR 73/92, NJW 1993, 2100 f. = GmbHR 1993, 591. 170 BGH v. 24.5.1993 – II ZR 73/92, NJW 1993, 2100 = ZIP 1993, 1076. 171 Ebenso etwa Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 119 HGB Rz. 27; Roth in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 119 HGB Rz. 13. 172 Vgl. auch BGH v. 17.1.2023 – II ZR 76/21, NZG 2023, 564 Rz. 21. 173 Vgl. auch Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion, 1965, S. 134. 174 BGH v. 17.1.2023 – II ZR 76/21, NZG 2023, 564 Rz. 21. 175 Ebenso Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion, 1965, S. 148 f. mit Fn. 58; anders Ernst in LA Leenen, 2012, S. 1, 20; Ernst, Kleine Abstimmungsfibel – Leitfaden für die Versammlung, 2011, Rz. 137. 176 Vgl. auch Notz in BeckOGK/BGB, Stand: 15.9.2018, § 32 BGB Rz. 177. 177 Vertiefend Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 18 I 2 (im Erscheinen).
258 | Holle
Beschlussfassung | Rz. 54 § 714 BGB
bb) Bedingte Stimmabgabe nur bei Gestattung oder fehlendem Schwebezustand Die Möglichkeit, die Stimmabgabe zu bedingen wird entweder ganz abgelehnt178 oder nur 53 ausnahmsweise für zulässig gehalten, wenn die übrigen zur Beschlussfassung berufene Personen sich hiermit einverstanden zeigen oder durch die Bedingung keine unzumutbare Schwebephase entsteht.179 Das Problem liegt darin, dass die Möglichkeit bedingter Stimmabgabe einer zur Beschlussfassung berufenen Person mehr Gestaltungsmacht einräumt, als ihr ursprünglich zugestanden wurde: Sie kann mit der bedingten Stimmabgabe gegebenenfalls die gesamte Beschlussfassung hinauszögern.180 Im Ergebnis ist in drei Fällen gegen eine bedingte Stimmabgabe nichts einzuwenden, nämlich wenn entweder (1) die einschlägigen Beschlussfassungskompetenzen die Möglichkeit einer bedingten Stimmabgabe ausdrücklich vorsehen, (2) die zur Beschlussfassung Berufenen mit einer solchen ausdrücklich einverstanden sind oder aber (3) unmittelbar bei Beschlussfassung ohne weiteres festgestellt werden kann, ob die Bedingung eingetreten ist oder nicht.181 cc) Formale Vorgaben Bei der Stimmabgabe bleibt es nicht stets bei der Ausgangslage, wonach die einzelnen Ab- 54 stimmenden lediglich in einer dem Abstimmungsleiter beziehungsweise den übrigen Abstimmenden die Möglichkeit der Kenntnisnahme gebenden Weise kundtun müssen, ob sie den Beschlussantrag annehmen, ablehnen oder sich Stimme enthalten. In den einschlägigen Beschlussfassungskompetenzen können sich Vorgaben zur Form, zur Reihenfolge sowie zu dem Zeitraum finden, innerhalb dessen die Einzelstimmen wirksam abgegeben werden können. Soweit ihnen in den einschlägigen Beschlussfassungskompetenzen hierzu Raum gelassen wird, können die zur Beschlussfassung berufenen Personen auch selbst entsprechende verfahrensregulierende Vorgaben in der Geschäftsordnung oder durch einzelne Verfahrensbeschlüsse aufstellen. Die Kompetenz zur Willensbildung schließt vorbehaltlich anderslautender Vorgaben die Kompetenz mit ein, das Verfahren der Willensbildung formal zweckmäßig auszugestalten.182 Entsprechend diesem Muster kann die Festsetzung formaler Vorgaben an den Leiter der Abstimmung weitergereicht sein, so dass dieser die Form, die Reihenfolge der Stimmabgabe sowie den Zeitraum festsetzen kann, innerhalb dessen die Stim-
178 OLG Düsseldorf v. 6.5.2002 – 3 Wx 244/01, NJW-RR 2002, 1383, 1384 (WEG); Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion, 1965, S. 150 f.; Ernst in LA Leenen, 2012, S. 1, 21; Leuschner in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2021, § 32 BGB Rz. 41; Möller, Beschlussfassung im Recht der Personen- und Kapitalgesellschaften, 2021, S. 38. 179 Vgl. etwa Enzinger in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 119 HGB Rz. 14; Hueck, Das Recht der offenen Handelsgesellschaft, 4. Aufl. 1971, S. 165; Jüdel, Gesellschafterbeschlüsse bei Personalgesellschaften, 1933, S. 36; Lohrmann, Anwendbarkeit der §§ 104–185 BGB auf die Stimmabgabe und den Gesellschafterbeschluss, 2019, S. 153 f. 180 Vgl. auch Lohrmann, Anwendbarkeit der §§ 104–185 BGB auf die Stimmabgabe und den Gesellschafterbeschluss, 2019, S. 154. 181 Eingehender Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 18 I 3 b (im Erscheinen). 182 Im vorliegenden Kontext zumindest implizit Ernst in LA Leenen, 2012, S. 1, 19; Ernst in FS Portmann, 2020, S. 147, 152; Weidler, Generalversammlungsbeschlüsse bei Aktiengesellschaften, 1911, S. 22, 31; dezidiert für das Recht der Wohnungseigentümergemeinschaft Greiner, ZWE 2016, 297 ff.; s. ansonsten vor allem § 77 Abs. 2 Satz 1 AktG, wonach sich Vorstand einer Aktiengesellschaft Geschäftsordnung geben kann, wenn nicht Satzung den Erlass der Geschäftsordnung Aufsichtsrat übertragen hat oder Aufsichtsrat eine Geschäftsordnung für Vorstand erlässt; dazu, dass Geschäftsordnung u.a. Abstimmungsmodalitäten regeln kann, statt aller Spindler in MünchKomm/AktG, 6. Aufl. 2023, § 77 AktG Rz. 39. Holle | 259
§ 714 BGB Rz. 54 | Rechtsfähige Gesellschaft men abgegeben werden können.183 Dabei können entsprechende Vorgaben auch lediglich implizit erfolgen. Wenn etwa vorgesehen ist, dass im Rahmen einer Versammlung Beschluss zu fassen ist, wird schon durch den Abstimmungsvorgang selbst beziehungsweise die Abstimmung zu einem bestimmten Tagesordnungspunkt ein zeitlicher Rahmen gesetzt, innerhalb dessen die Stimmabgabe nur erfolgen kann. 55 Stimmabgaben, die aufgestellten Formerfordernissen nicht gerecht werden, sind gem.
§ 125 Satz 2 BGB als nichtig zu behandeln.184 Für Regelungen zur Reihenfolge der Stimmabgabe sowie zu dem Zeitraum, innerhalb dessen Einzelstimmen abgegeben werden können, findet sich zwar keine unmittelbar einschlägige Vorschrift im allgemeinen Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, aus der sich gewünschte Rechtsfolge ergibt, wonach die Missachtung besagter Vorgaben dazu führt, dass die jeweilige Stimmabgabe nicht zu beachten ist. Soweit die Befugnis zu rechtlicher Gestaltung reicht, kann ein jeder aber auch losgelöst hiervon regeln, unter welchen Voraussetzungen er eine Erklärung als beachtlich ansieht. Dass Stimmabgaben, die einem gesetzten Ordnungsrahmen nicht entsprechen, für die Beschlussfeststellung nicht beachtlich sind, ergibt sich also schon aus dem für die Abgabe entsprechender Erklärungen gesetzten Ordnungsrahmen.185 dd) Bindung an die abgegebene Stimme 56 Kontrovers diskutiert wird, ob und unter welchen Voraussetzungen eine abgegebene Stim-
me widerrufen werden kann. Dabei werden im Kern vier Ansichten vertreten. Ein kleiner Teil von Autoren lehnt den Widerruf einer Stimmabgabe generell ab.186 Eine beachtliche Anzahl von Stimmen befürwortet demgegenüber die konsequente Anwendung des § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB. Sie erachten Widerruf der Stimmabgabe also als zulässig, er müsse aber bis zum Zeitpunkt des Zugangs erfolgen.187 Bei mehreren Erklärungsempfängern – nach hiesigem Verständnis also bei Fehlen einer mit der Beschlussfeststellung betrauten Person – soll der Zugang schon bei einem von ihnen ausreichend sein, um den Widerruf auszuschließen.188 Etwas großzügiger sind diejenigen Stimmen, die die Stimmabgabe zumindest bis zur Feststellbarkeit des Beschlussergebnisses als widerruflich ansehen.189 In diesem Sinne werden gemeinhin auch zwei Urteile des Reichsgerichts zum Recht der Kommanditgesellschaft verstanden, in denen für die nachträgliche Zustimmung eines Gesellschafters zur Änderung des Ge-
183 Implizit abermals schon Ernst in LA Leenen, 2019, S. 1, 19; für den Betriebsrat vgl. auch Ernst in FS Portmann, 2020, S. 147, 152. 184 Vgl. schon Weidler, Generalversammlungsbeschlüsse bei Aktiengesellschaften, 1911, S. 31; zuletzt Lohrmann, Anwendbarkeit der §§ 104–185 BGB auf die Stimmabgabe und den Gesellschafterbeschluss, 2019, S. 125. 185 Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 18 II 2 b (im Erscheinen). 186 So etwa Ernst in LA Leenen, 2019, S. 1, 20 f. und Wiedemann, GesR II, 2004, S. 310, die die Stimmabgabe allerdings auch als nicht empfangsbedürftig einstufen. 187 So im Ergebnis etwa BGH v. 13.7.2012 – V ZR 254/11, NJW 2012, 3372 Rz. 8 (WEG); Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion, 1965, S. 151 f.; Bartholomeyczik, ZHR 105 (1938), 293, 327 f.; Lohrmann, Anwendbarkeit der §§ 104–185 BGB auf die Stimmabgabe und den Gesellschafterbeschluss, 2019, S. 142 ff.; Messer in FS Fleck, 1988, S. 221, 224 ff., 228; Möller, Beschlussfassung im Recht der Personen- und Kapitalgesellschaften, 2021, S. 48 ff.; § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB nur teilweise als einschlägig erachtend, dessen Wertungen im Ergebnis aber folgend Skauradszun, Beschluss als Rechtsgeschäft, 2020, S. 179 f. 188 Vgl. hierzu anschaulich Ulmer in FS Niederländer, 1991, S. 415, 421; ferner Lohrmann, Anwendbarkeit der §§ 104–185 BGB auf die Stimmabgabe und den Gesellschafterbeschluss, 2019, S. 137 f., 146 f. 189 Elzer, ZWE 2012, 485, 486; auf Grundlage des hiesigen Beschlussverständnisses auch Altmeppen, 11. Aufl. 2023, § 47 GmbHG Rz. 53 (Widerruflichkeit bis zur Beschlussfeststellung).
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Beschlussfassung | Rz. 58 § 714 BGB
sellschaftsvertrags jeweils darauf abgestellt wurde, ob die früher zustimmenden Gesellschafter in diesem Zeitpunkt noch an der unter ihnen getroffenen Einigung festhielten.190 Am freigiebigsten ist schließlich die Auffassung, die bei ausführungsbedürftigen Beschlüssen die Widerruflichkeit bis zur tatsächlichen Ausführung des Beschlusses für möglich hält, sofern sich die Verhältnisse geändert haben oder ein sonstiger wichtiger Grund für den Widerruf gegeben ist.191 Die Logik des § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB erweist sich für das Beschlussverfahren als passgenau, 57 so dass der Widerruf der Stimmabgabe nur bis zu dem Zeitpunkt zu gestatten ist, in dem die abgegebene Stimme zugeht.192 Einer zusätzlichen Einschränkung in dem Sinne, dass ein Widerruf generell und damit auch im Vorfeld einer möglichen Kenntnisnahme von der Einzelstimme ausgeschlossen sein muss, bedarf es nicht. Aus funktionaler Sicht mag ein solcher Ausschluss zwar zweckmäßig sein, weil sich das Abstimmungsverfahren dann einfacher und zielgerichteter gestaltet.193 Dieses geringfügige Mehr an Verfahrensvereinfachung rechtfertigt aber nicht das Weniger an Richtigkeitsgewähr und individueller Einflussnahme, das mit dem vollständigen Ausschluss einer „Stimmkorrektur“ einhergeht. Umgekehrt würde eine Ausweitung des Widerrufsrechts auf den Zeitpunkt der Beschlussfeststellbarkeit oder gar erst auf den der tatsächlichen Feststellung das Beschlussverfahren spürbar verkomplizieren, weil bereits zugegangene Stimmen von den jeweiligen Abstimmenden nachträglich widerrufen werden könnten. Des Widerrufs einer Stimmabgabe aus wichtigem Grund bedarf es nicht, weil eine gegebenenfalls erforderliche Kurskorrektur durch Stellung eines entsprechenden Beschlussantrags eingeleitet werden kann.194 Widerruft ein Abstimmender seine Stimmabgabe bis zum Zeitpunkt ihres Zugangs, spricht nichts dagegen, ihm zu gestatten, seine Stimme erneut abzugeben, sofern die Abstimmung noch nicht abgeschlossen ist.195 § 714 BGB begnügt sich mit Anordnung der Beschlussfassung als solcher ohne weitere Aus- 58 kunft darüber zu geben, in welchem zeitlichen Rahmen die Beschlussfassung zu erfolgen hat. Treffen die Gesellschafter oder ein etwaiger Abstimmungsleiter hier keine anderweitige verfahrensleitende Feststellung, kann es daher dazu kommen, dass Gesellschafterbeschlüsse nicht in einzigem Akt gefasst werden, so dass man vor Frage steht, ob die einzelne Stimmabgabe dauerhaft fortwirkt und den Beschluss zusammen mit den übrigen, (teilweise) noch ausstehenden Stimmen noch zu einem Zeitpunkt bewirken kann, der für den einzelnen Abstimmenden unter Umständen überhaupt nicht absehbar ist.196 Zweckmäßig ist es, sich insoweit an der Rechtslage beim Vertrag zu orientieren, wo der Antragende mit seinem Angebot ein ähnlich gelagerte Bindung eingeht wie der einzelne Abstimmende.197 Dort findet sich 190 RG v. 4.3.1930 – II 207/29, RGZ 128, 172, 177; RG v. 13.4.1940 – II 143/39, RGZ 163, 385, 392 f.; vgl. zur entsprechenden Interpretation Messer in FS Fleck, 1988, S. 221, 222 f.; Ulmer in FS Niederländer, 1991, S. 415, 417; wegen einer konkludent vereinbarten Bindung an die Stimmabgabe offenlassend BGH v. 19.2.1990 – II ZR 42/89, NJW-RR 1990, 798, 799 f. = ZIP 1990, 505. 191 Vgl. etwa Hueck, Das Recht der offenen Handelsgesellschaft, 4. Aufl. 1971, S. 164 f.; Jüdel, Gesellschafterbeschlüsse bei Personalgesellschaften, 1933, S. 35; Lehmann, GesR, 2. Aufl. 1959, S. 50; Muscheler, ZEV 1997, 169, 172; Ulmer in FS Niederländer, 1991, S. 415, 422 f. 192 Ausführlich zum Folgenden Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 18 III 1 b (im Erscheinen). 193 So die gedankliche Herangehensweise bei Wiedemann, GesR II, 2004, S. 310. 194 Vgl. auch Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion, 1965, S. 152. 195 Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 18 III 1 c (im Erscheinen). 196 Zu einer entsprechenden Konstellation vgl. BGH v. 19.2.1990 – II ZR 42/89, NJW-RR 1990, 798, 799 f. = ZIP 1990, 505. 197 So für die Stimmabgabe der Personengesellschafter auch Ulmer in FS Niederländer, 1991, S. 415, 423 ff., allerdings unter anderen Vorzeichen, da er allseitige Zustimmung erfordernde Beschlüsse generell als Verträge qualifiziert und Mehrheitsbeschlüsse diesen weitestgehend annähert; in diese Richtung wohl auch Hueck, Das Recht der offenen Handelsgesellschaft, 4. Aufl. 1971, S. 163, woHolle | 261
§ 714 BGB Rz. 58 | Rechtsfähige Gesellschaft dann auch die für die angesprochenen Beschlusskonstellationen sachgerechte Lösung, wonach der einem Anwesenden gemachte Antrag erlischt, wenn er – vorbehaltlich einer anderslautenden Annahmefrist – nicht sofort angenommen wird (§§ 146, 147 Abs. 1 BGB). Der einem Abwesenden gemachte Antrag erlischt, wenn er nicht bis zu dem Zeitpunkt angenommen wird, in welchem der Antragende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten darf (vgl. §§ 146, 147 Abs. 2 BGB). Gemünzt auf die Stimmabgabe bedeutet dies, dass diese im Fall einer Präsenzabstimmung mit der Beendigung der Versammlung erlischt, falls bis dahin von der feststellungsverantwortlichen Person beziehungsweise den zur Beschlussfassung berufenen Personen kein Beschluss festgestellt worden ist und nicht der Fall gegeben ist, dass einzelne Stimmabgaben schwebend unwirksam sind (zu möglichen Konstellationen Rz. 37). Erfolgt die Abstimmung nicht in – gegebenenfalls auch audio-visueller – Präsenz, erlischt die Stimmabgabe, wenn der Beschluss nicht bis zu dem Zeitpunkt festgestellt wird, in welchem dies unter regelmäßigen Umständen erwartet werden darf. f) Anfechtung der Stimmabgabe 59 Von Widerruf und Erlöschen der Stimmabgabe infolge des Nichtzustandekommens eines
Beschlusses zu unterscheiden, ist die Anfechtung der Stimmabgabe. Durch sie kann die Bindung an die Stimmabgabe auch dann noch rückwirkend beseitigt werden (vgl. § 142 Abs. 1 BGB), wenn die einzelne Stimmabgabe bereits zugegangen und auch der Beschluss durch die Beschlussfeststellung schon bewirkt worden ist.198 Dem Aspekt der Rechtssicherheit kann hinreichend dadurch Rechnung getragen werden, dass der zeitliche Rahmen, innerhalb dessen die Anfechtung der Stimmabgabe zu erklären ist, mit Blick auf die Geltung des Beschlusses dem Diktat einer gegebenenfalls erforderlichen Beschlussanfechtung (s. hierzu noch Rz. 131) unterworfen wird.199 60 Als relevante Erklärungsirrtümer (§ 119 Abs. 1 Var. 2 BGB) in Betracht kommen etwa ein
versehentlich zu frühes beziehungsweise zu spätes Handheben, das Setzen des Kreuzes auf dem Stimmzettel an die falsche Stelle, das Einwerfen des Stimmzettels in die falsche Urne oder im Fall elektronischer Stimmabgabe ein „Verklicken“.200 Ein Inhaltsirrtum i.S.d. § 119
nach eine letzte, noch fehlende Stimme den Beschluss herbeiführt, sofern sich nicht „das Unwirksamwerden der früheren Abstimmung aus den Umständen, insbesondere der Länge der verflossenen Zeit ergibt“; für einstimmig zu fassende Beschlüsse Lohrmann, Anwendbarkeit der §§ 104–185 BGB auf die Stimmabgabe und den Gesellschafterbeschluss, 2019, S. 149 f. 198 Zur Möglichkeit der Stimmanfechtung s. etwa RG v. 11.01.1927 – II 178/26, RGZ 115, 378, 385 (AG); BGH v. 14.7.1954 – II ZR 342/53, BGHZ 14, 264, 267 = NJW 1954, 1563 (GmbH); BGH v. 19.9.2002 – V ZB 37/02, BGHZ 152, 63, 67 = ZIP 2003, 437 = NJW 2002, 3629 (WEG); Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion, 1965, S. 152 f.; Enzinger, Mehrheitsbeschlüsse bei Personengesellschaften, 1995, S. 52; Ernst in LA Leenen, 2012, S. 1, 23 f., 37; Heck in FS O. von Gierke, 1911, S. 319 ff.; Hueck, Das Recht der offenen Handelsgesellschaft, 4. Aufl. 1971, S. 180; Lohrmann, Anwendbarkeit der §§ 104–185 BGB auf die Stimmabgabe und den Gesellschafterbeschluss, 2019, S. 72; Möller, Beschlussfassung im Recht der Personen- und Kapitalgesellschaften, 2021, S. 51; K. Schmidt, GesR, 4. Aufl. 2002, S. 437; Skauradszun, Beschluss als Rechtsgeschäft, 2020, S. 212; Wiedemann, WM 1992, Sonderbeilage Nr. 7, S. 26. 199 Eingehend Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 34 IV 4 (im Erscheinen); implizit Fehrenbach, WM 2020, 2049, 2053; Lohrmann, Anwendbarkeit der §§ 104–185 BGB auf die Stimmabgabe und den Gesellschafterbeschluss, 2019, S. 89; Noack in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 47 GmbHG Rz. 8 a.E.: Geltendmachung von Mängeln der Stimmabgabe nur mittels Anfechtungsklage innerhalb der Anfechtungsfrist möglich; anders im WEG-Recht, vgl. etwa Abramenko, ZWE 2013, 395, 398; Bub, ZWE 2000, 337, 340 f. 200 Vgl. auch David, Die Anfechtung der Stimmabgabe bei den Verbandsbeschlüssen, insbesondere den Aufsichtsratsbeschlüssen, gem. §§ 119 ff. BGB, 1930, S. 29; Lohrmann, Anwendbarkeit der §§ 104–185 BGB auf die Stimmabgabe und den Gesellschafterbeschluss, 2019, S. 75 f.
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Beschlussfassung | Rz. 60 § 714 BGB
Abs. 1 Var. 1 BGB liegt vor, wenn ein Abstimmender über den Gegenstand der Abstimmung irrt, der Abstimmende also etwa den Wortlaut des Antrags falsch verstanden hat oder davon ausgeht, über einen anderen Punkt der Tagesordnung abzustimmen.201 Ein Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft ist wiederum anzunehmen, wenn bei einem Abstimmenden eine Fehlvorstellung in Bezug auf eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Beschlussgegenstandes gegeben ist.202 Abstimmungsbezogene Anfechtungsszenarien i.S.d. § 120 BGB sind denkbar, wenn eine stimmberechtigte Person sich zulässigerweise eines Stimmboten bedient, um die eigene Stimme zugehen zu lassen oder die Stimme durch Postdienste, Telefondienste, Internet-Provider oder Netzanbieter etc. vermittelt wird. Ein Anfechtungsgrund gem. § 123 Abs. 1 Var. 2 BGB besteht immer schon dann, wenn einem einzelnen Abstimmenden von irgendwem ein Übel in Aussicht gestellt wurde. Beim Anfechtungsgrund arglistiger Täuschung gem. § 123 Abs. 2 Satz 1 BGB ist für die Täuschung respektive die Kenntnis oder das Kennenmüssen von dieser auf die übrigen Gesellschafter abzustellen. Würde man auf die Täuschung respektive die Kenntnis beziehungsweise das Kennenmüssen der übrigen Abstimmenden und eines diese gegebenenfalls vertretenden Abstimmungsleiters als Erklärungsempfänger abstellen, gelangte man zu dem widersinnigem Befund, dass aus der Sphäre dessen, den der Beschluss angeht, getäuscht werden könnte, ohne dass die den Beschluss erwirkenden Erklärungen anfechtbar wären. Jedenfalls bei Mehrheitsbeschlüssen ist eine Anfechtung dabei entgegen der herrschenden Meinung zum mehrseitigen Vertrag203 nicht schon dann auszuschließen, wenn zumindest ein Teil der von der täuschungsbedingten Stimmabgabe betroffenen Gesellschafter gutgläubig ist.204 Dieser Ansatz mag für den mehrseitigen Vertrag überzeugen, nicht jedoch für die Anfechtung der Stimmabgabe beim Beschluss. Denn anders als im Individualrechtsverkehr, wo das Interesse des Gutgläubigen an der Nichtanfechtbarkeit des Vertrags aus dessen Zustimmung zu diesem gefolgert werden kann, besteht jedenfalls beim Mehrheitsbeschluss keine Gewähr für ein entsprechendes Bestandsinteresse.205 Hier existiert vielmehr ein grundsätzliches und gemeinsames Interesse an einer täuschungsfreien Abstimmung.206 Mangels schützenswerter Interessen wird man darüber hinaus dann eine Anfechtbarkeit zulassen müssen, wenn ein Dritter sämtliche Gesellschafter getäuscht hat.207 Besteht eine beschlussbezogene Auskunftsverpflichtung gegenüber
201 Vgl. auch Heck in FS O. von Gierke, 1911, S. 319, 338; Lohrmann, Anwendbarkeit der §§ 104–185 BGB auf die Stimmabgabe und den Gesellschafterbeschluss, 2019, S. 73. 202 Vgl. auch Lohrmann, Anwendbarkeit der §§ 104–185 BGB auf die Stimmabgabe und den Gesellschafterbeschluss, 2019, S. 77. 203 Statt aller Bork, BGB AT, 4. Aufl. 2016, Rz. 908 a.E.; Flume, BGB AT II, 3. Aufl. 1979, S. 564 ff.; eingehender zum Meinungsstand und mit abweichender Stellungnahme Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 2013, S. 199 ff. 204 Ausführlich hierzu vor allem schon Heck in FS O. von Gierke, 1911, S. 319, 339 ff.; im Ergebnis wie hier Hueck, Das Recht der offenen Handelsgesellschaft, 4. Aufl. 1971, S. 180 mit Fn. 56; Jüdel, Gesellschafterbeschlüsse bei Personalgesellschaften, 1933, S. 77. 205 Insoweit besteht ein Unterschied zu der Konstellation, in der ein Gesellschafter eine Person durch Täuschung zum Beitritt bewegt und die übrigen Gesellschafter hiervon keine Kenntnis haben oder haben müssen. In diesen Fällen wird im Einklang mit der herrschenden Meinung bei mehrseitigen Verträgen davon ausgegangen, dass die Täuschungshandlung des einen Gesellschafters es nicht ermöglicht, den Gesellschaftsbeitritt anzufechten, vgl. etwa Armbrüster in MünchKomm/ BGB, 9. Aufl. 2021, § 123 BGB Rz. 79; Flume, BGB AT I/1, 1977, S. 24 f. 206 Ähnlich Bangert, Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Beschlüssen der Mitgliederversammlung des rechtsfähigen Vereins, 1927, S. 39: Bei teilweiser Gutgläubigkeit „wird man aus Rücksicht auf das Vereinsinteresse eine Anfechtung zulassen müssen“; vgl. in anderem Kontext auch Heck in FS O. von Gierke, 1911, S. 319, 335: Bei den Gesellschaftsbeschlüssen haben „alle Gesellschafter ein Interesse daran, daß die Einzelstimme mängelfrei abgegeben werde, soweit dadurch die Einwirkung auf die gemeinschaftlichen Interessen beeinträchtigt wird.“ 207 Heck in FS O. von Gierke, 1911, S. 319, 342 f.; dagegen aber Jüdel, Gesellschafterbeschlüsse bei Personalgesellschaften, 1933, S. 77 f.; noch weitergehend indes Bangert, Nichtigkeit und AnfechtbarHolle | 263
§ 714 BGB Rz. 60 | Rechtsfähige Gesellschaft den zur Beschlussfassung berufenen Personen und liegt die Täuschungshandlung darin begründet, dass diese nicht ordnungsgemäß erfüllt wird, kann neben der Stimmanfechtung unmittelbar gegen Beschluss als solchen vorgegangen werden. 61 Der anfechtende Gesellschafter hat die Anfechtung seiner Stimmabgabe nicht gegenüber den
Abstimmenden oder dem Abstimmungsleiter, sondern gegenüber der Gesellschaft beziehungswese den übrigen Gesellschaftern zu erklären, je nachdem, ob der Beschluss der Gesellschaft zuzurechnen ist oder auf dem Rücken der übrigen Gesellschafter ruht.208 Wer das rechtspositiv zu verankern sucht, sollte § 143 Abs. 4 Satz 1 BGB analog heranziehen. Von den zur Wahl stehenden Vorschriften vermag diese dem Umstand am ehesten gerecht zu werden, dass die Stimmabgaben nach hiesigem Beschlussverständnis zwar gegenüber den übrigen Abstimmenden beziehungsweise gegenüber einem diese vertretenden Abstimmungsleiter abgegeben werden müssen, ihre Wirkungen über den Umweg der Beschlussfeststellung aber bestimmungsgemäß beim Träger des Beschlusses eintreten. Eine Ausnahme wird man für Fall machen müssen, dass die Anfechtung zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem die Einzelstimmen noch nicht Eingang in die Beschlussfeststellung gefunden haben. In diesem Stadium geht die Anfechtung, da noch kein einheitlicher Wille für den Träger des Beschlusses festgestellt wurde, nur mehr den Abstimmungsleiter beziehungsweise die übrigen Abstimmenden an.209 Sofern die Anfechtung der Stimmabgabe unmittelbar nach der Beschlussfeststellung gegenüber dem Abstimmungsleiter oder den übrigen Abstimmenden erklärt wird, wäre für jede Beschlusskonstellation gegebenenfalls zu prüfen, inwieweit der Abstimmungsleiter oder die übrigen Abstimmenden die Anfechtungserklärung stellvertretend für die Gesellschaft beziehungsweise die übrigen Gesellschafter in Empfang nehmen können.210 Eine Anfechtung nur gegenüber einem Teil der Gesellschafter ist wegen der zu wahrenden Einheitlichkeit der Wirkungen des Beschlusses unwirksam.211 62 Eine wirksam angefochtene Stimme ist nichtig (§ 142 Abs. 1 BGB). Sie scheidet aus dem
Kreis der abgegebenen Stimmen aus und zählt für die Ermittlung des Abstimmungsergebnisses damit wie eine Enthaltung.212 Sofern die Abstimmung noch nicht abgeschlossen ist, kann der Anfechtende seine Stimme erneut abgeben.213 Auf den Beschluss kann eine Stimmanfechtung insofern einwirken, als sich durch sie das Beschlussergebnis verändern oder
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keit von Beschlüssen der Mitgliederversammlung des rechtsfähigen Vereins, 1927, S. 39 f. und Fittschen, Die rechtliche Natur der Vereinsbeschlüsse und der Einfluss fehlerhafter Willensbildung bei einzelnen Mitgliedern auf die Beschlüsse, 1932, S. 35 f., die eine Anfechtung – entgegen den Wertungen des § 123 Abs. 2 BGB – auch dann zulassen wollen, wenn ein Dritter lediglich einen Teil der Abstimmenden täuscht. So im Ausgangspunkt auch Heck in FS O. von Gierke, 1911, S. 319, 332 ff.; A. Hueck, Das Recht der offenen Handelsgesellschaft, 4. Aufl. 1971, S. 180; Jüdel, Gesellschafterbeschlüsse bei Personalgesellschaften, 1933, S. 78; Lohrmann, Anwendbarkeit der §§ 104–185 BGB auf die Stimmabgabe und den Gesellschafterbeschluss, 2019, S. 95 ff. So im Ergebnis auch Bartholomeyczik, AcP 144 (1938), 287, 325; Ernst in LA Leenen, 2012, S. 1, 24, 37; Flume, BGB AT I/2, 1983, S. 250. Vgl. auch A. Hueck, Das Recht der offenen Handelsgesellschaft, 4. Aufl. 1971, S. 180. So im Ergebnis auch Heck in FS O. von Gierke, 1911, S. 319, 332 ff.; Jüdel, Gesellschafterbeschlüsse bei Personalgesellschaften, 1933, S. 79 ff.; aufgreifend A. Hueck, Das Recht der offenen Handelsgesellschaft, 4. Aufl. 1971, S. 180 mit Fn. 54. Siehe etwa BGH v. 14.7.1954 – II ZR 342/53, BGHZ 14, 264, 267 = NJW 1954, 1563 (GmbH); Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion, 1965, S. 153; Hueck, Das Recht der offenen Handelsgesellschaft, 4. Aufl. 1971, S. 181; Jüdel, Gesellschafterbeschlüsse bei Personalgesellschaften, 1933, S. 81; Möller, Beschlussfassung im Recht der Personen- und Kapitalgesellschaften, 2021, S. 54; K. Schmidt, GesR, 4. Aufl. 2002, S. 437; Zöllner, Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, 1963, S. 359. Siehe etwa Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion, 1965, S. 153 f.; Hueck, Das Recht der offenen Handelsgesellschaft, 4. Aufl. 1971, S. 181; Lohrmann, Anwendbarkeit
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Beschlussfassung | Rz. 63 § 714 BGB
ein gegebenenfalls bestehendes Mindestteilnahmeerfordernis an der Abstimmung nicht mehr gewahrt sein kann.214 Ist die Beschlussfeststellung bereits erfolgt, bedarf es dann jedoch stets auch eines zusätzlichen Vorgehens gegen den Beschluss selbst, um die durch die Beschlussfeststellung geschaffene Rechtslage entsprechend anzupassen. Die Anfechtung der Stimmabgabe muss also mit einem Vorgehen gegen den Beschluss verbunden werden, um eine Korrektur des Beschlusses zu erreichen.215 Eine Stimmanfechtung ist auch dann möglich, wenn die Stimme nicht kausal für das Beschlussergebnis war und der Beschluss durch die Anfechtung der Stimmabgabe daher nicht zu Fall gebracht werden kann.216 § 122 BGB ist anwendbar, wobei die Ersatzpflicht dem Träger des Beschlusses gegenüber besteht.217 g) Stimmbindungen aa) Zulässigkeit Ein Gesellschafter kann sich gegenüber anderen Gesellschaftern schuldrechtlich verpflich- 63 ten, in einem bestimmten Sinne abzustimmen,218 etwa nach festen inhaltlichen Vorgaben oder nach Weisung eines anderen Gesellschafters.219 Mitunter schließt sich eine Gruppe von Gesellschaftern oder ein Familienstamm auch zu einem Stimmrechtskonsortium zusammen.220 Bei einem solchen handelt es sich in der Regel um eine Innengesellschaft des bürger-
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der §§ 104–185 BGB auf die Stimmabgabe und den Gesellschafterbeschluss, 2019, S. 107; aus der Rechtsprechung BayObLG v. 16.3.2000 – 2Z BR 168/99, NJW-RR 2000, 1036, 1037 (WEG). Vgl. im Ergebnis bereits Heck in FS O. von Gierke, 1911, S. 319, 329 f., Jacusiel, Gültige und fehlerhafte Generalversammlungsbeschlüsse der Aktiengesellschaften, 1928, S. 55, Vormbaum, Die Anwendung der Begriffe Willenserklärung und Rechtsgeschäft auf den Beschluss der Generalversammlung und das Abstimmen in ihr, 1929, S. 50 f. und Weidler, Generalversammlungsbeschlüsse bei Aktiengesellschaften, 1911, S. 14 f., 16 f., alle vier – E. Weidler freilich unter ausdrücklicher Beschränkung auf „Ja-“Stimmen – jedoch mit der nicht überzeugenden Erweiterung der Stellung des Anfechtenden dergestalt, dass die Stimmanfechtung nicht erst dann auf den Beschluss einwirkt, wenn die Subtraktion einer angefochtenen Stimme die Mehrheit zu Fall bringt, sondern schon dann, wenn ihre Zurechnung zur Gegenseite dies besorgt, weil es denkbar sei, dass die angefochtene Stimme im anderen Sinne hätte abgegeben werden können; wie hier Bartholomeyczik, AcP 144 (1938), 287, 325; A. Hueck, Das Recht der offenen Handelsgesellschaft, 4. Aufl. 1971, S. 181; Jung, Gesellschaftsbeschlüsse und Willensmängel, 1934, S. 62; Prior, Fehlerhafte Vereinsbeschlüsse, 1972, S. 110; Zöllner, Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, 1963, S. 359. Vgl. allgemein Ernst in LA Leenen, 2012, S. 1, 37 f.; s. auch schon RGZ 115, 378, 385 (AG); BGHZ 14, 264, 267 f. = NJW 1954, 1563 (GmbH); Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion, 1965, S. 154 Fn. 74; Bartholomeyczik, AcP 144 (1938), 287, 327; A. Hueck, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit von Generalversammlungsbeschlüssen bei Aktiengesellschaften, 1924, S. 120 f.; K. Schmidt, GesR, 4. Aufl. 2002, S. 437; Zöllner, Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, 1963, S. 363. So im Ergebnis auch Enzinger, Mehrheitsbeschlüsse bei Personengesellschaften, 1995, S. 53; Ernst in LA Leenen, 2012, S. 1, 24; Skauradszun, Beschluss als Rechtsgeschäft, 2020, S. 214; anders Heck in FS O. von Gierke, 1911, S. 319, 329 f.; Rummel in FS Strasser zum 60. Geburtstag, 1983, S. 813, 824. Siehe auch Ernst in LA Leenen, 2012, S. 1, 38; Heck in FS O. von Gierke, 1911, S. 319, 339: Resultat ist angemessen; Jüdel, Gesellschafterbeschlüsse bei Personalgesellschaften, 1933, S. 82; Lohrmann, Anwendbarkeit der §§ 104–185 BGB auf die Stimmabgabe und den Gesellschafterbeschluss, 2019, S. 119 ff. BGH v. 10.1.1951 – II ZR 18/50, NJW 1951, 268 f.; BGH v. 29.5.1967 – II ZR 105/66, BGHZ 48, 163, 166 ff. = NJW 1967, 1963; BGH v. 24.11.2008 – II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 Rz. 11 f. = NJW 2009, 669 = ZIP 2009, 216 (Schutzgemeinschaftsvertrag II). BGH v. 10.1.1951 – II ZR 18/50, NJW 1951, 268 f. BGH v. 13.6.1994 – II ZR 38/93, BGHZ 126, 226, 234 = NJW 1994, 2536 = ZIP 1994, 1173 (Schutzgemeinschaftsvertrag I); BGH v. 24.11.2008 – II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 Rz. 11 f. = ZIP 2009, 216 = NJW 2009, 669 (Schutzgemeinschaftsvertrag II). Holle | 265
§ 714 BGB Rz. 63 | Rechtsfähige Gesellschaft lichen Rechts,221 wobei die Konsorten ihr einheitliches Stimmverhalten mittels eines (Mehrheits-)Beschlusses ermitteln.222 Mit Blick auf die betroffene Gesellschaft handelt es sich bei Stimmbindungsabreden unabhängig von der konkreten Ausgestaltung um schuldrechtliche Nebenabreden, die bürgerlichrechtlichen Regeln und Prinzipien unterliegen.223 Grenzen folgen aus den allgemeinen bürgerlich-rechtlichen und gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen (siehe namentlich zur eingeschränkten Übertragbarkeit von Gesellschafterrechten § 711a BGB Rz. 5 ff.), aus § 138 BGB, aus dem Schutz des Kernbereichs, aus der Treuepflicht sowie aus Stimmverboten und Stimmpflichten gegenüber Mitgesellschaftern.224 64 Umstritten ist, ob Stimmbindungen auch gegenüber Nichtgesellschaftern eingegangen wer-
den können. Die Rechtsprechung erachtet eine Stimmbindung gegenüber Dritten als zulässig und als nach § 894 ZPO vollstreckbar.225 Die Lehre stellt sich dem überwiegend und zu Recht entgegen.226 Stimmbindungen gegenüber Nichtgesellschaftern kollidieren mit dem Abspaltungsverbot (§ 711a BGB) und sind wegen der Fremdbestimmung mit dem Charakter einer Personengesellschaft grundsätzlich nicht zu vereinbaren. Eine Rückausnahme gilt allerdings im Falle einer Treuhand, einer Unterbeteiligung sowie eines Nießbrauchs, weil diese Rechtsverhältnisse an die Mitgliedschaft gebunden sind.227 Keine Rückausnahme wird man demgegenüber annehmen können, wenn die Stimmbindung lediglich eine Nebenpflicht eines Austauschvertrags ist, also etwa im Rahmen einer Anteilsübertragung vereinbart wird, einem hierfür erforderlichen Gesellschafterbeschluss zuzustimmen. Allein dieser Umstand räumt die Bedenken gegen eine Stimmbindung gegenüber Dritten nicht aus.228 bb) Wirkung und Durchsetzung 65 Stimmbindungsverträge sind rein schuldrechtlicher Natur und nicht Bestandteil des gesell-
schaftsrechtlichen Rechtsverhältnisses.229 Folge hiervon ist, dass ein Stimmbindungsvertrag nur inter partes wirkt230 und ein unter Verstoß gegen einen Stimmbindungsvertrag abgegebene Stimme den Gesellschafter zwar schadensersatzpflichtig machen kann,231 im Gesellschaftsverhältnis aber gleichwohl wirksam ist.232 Ebenso ist ein daraufhin zustande gekommener Beschluss nicht fehlerhaft.233 Weil die korporative Ebene des Gesellschaftsvertrags
221 BGH v. 13.6.1994 – II ZR 38/93, BGHZ 126, 226, 234 = ZIP 1994, 1173 = NJW 1994, 2536 (Schutzgemeinschaftsvertrag I); BGH v. 24.11.2008 – II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 Rz. 14 = ZIP 2009, 216 = NJW 2009, 669 (Schutzgemeinschaftsvertrag II). 222 BGH v. 24.11.2008 – II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 Rz. 14 = ZIP 2009, 216 = NJW 2009, 669 (Schutzgemeinschaftsvertrag II). 223 Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 119 HGB Rz. 28. 224 Roth in Hopt, 42. Aufl. 2013, § 119 HGB Rz. 17. 225 BGH v. 29.5.1967 – II ZR 105/66, BGHZ 48, 163, 168 = NJW 1967, 1963. 226 Vgl. etwa Enzinger in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 119 HGB Rz. 37; Freitag in Ebenroth/ Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 119 HGB Rz. 43; Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 119 HGB Rz. 28; Roth in Hopt, 42. Aufl. 2013, § 119 HGB Rz. 18. 227 Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 119 HGB Rz. 28; Roth in Hopt, 42. Aufl. 2013, § 119 HGB Rz. 18. 228 So auch Enzinger in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 119 HGB Rz. 37; anders etwa Roth in Hopt, 42. Aufl. 2013, § 119 HGB Rz. 18. 229 Siehe auch Enzinger in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 119 HGB Rz. 36. 230 Vgl. etwa BGH v. 15.3.2010 – II ZR 4/09, NJW 2010, 3718 Rn. 8. 231 Vgl. auch RG v. 7.6.1929 – II 592/28, RGZ 124, 371, 378; Enzinger in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 119 HGB Rz. 38. 232 Vgl. etwa RG v. 19.06.1923 – II 53/23, RGZ 107, 67, 70; BGH v. 20.1.1983 – II ZR 243/81, NJW 1983, 1910, 1911 = ZIP 1983, 297. 233 BGH v. 20.1.1983 – II ZR 243/81, NJW 1983, 1910, 1911 = ZIP 1983, 297.
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Beschlussfassung | Rz. 68 § 714 BGB
und die schuldrechtliche Ebene der Stimmbindungsabrede voneinander zu unterscheiden sind, gilt dies selbst dann, wenn es sich um eine zwischen allen Gesellschaftern geschlossene Vereinbarung handelt.234 Um Stimmbindungsverträge gerichtlich durchzusetzen, bleibt nur die Möglichkeit, inter par- 66 tes eine allgemeine Leistungsklage zu erheben, die nach § 894 ZPO vollstreckt werden kann.235 Das Urteil auf Stimmabgabe in einem bestimmten Sinne soll dann die Stimmabgabe ersetzen, wenn es dem Abstimmungsleiter mitgeteilt wird.236 Ein rechtskräftiges Leistungsurteil wird in der Regel allerdings nicht rechtzeitig zu erreichen sein.237 Einstweiliger Rechtsschutz wird von der ganz herrschenden Meinung nicht zugestanden, weil die Rechtsdurchsetzung typischerweise die Hauptsache vorwegnehmen würde.238 Die Praxis behilft sich daher zumeist mit Vertragsstrafen.239
4. Beschlussfeststellung a) Ermittlung des Beschlussergebnisses Im Rahmen der Beschlussfeststellung ist das Ergebnis der Abstimmung zu ermitteln und 67 hierauf aufbauend gegenüber dem Träger des zu bildenden Willens auszusprechen, ob der im Beschlussantrag vorformulierte Wille angenommen oder abgelehnt wird. Gemäß § 714 BGB bedarf der Beschluss dabei grundsätzlich der Zustimmung sämtlicher Gesellschafter. Der Gesellschaftsvertrag kann das Zustandekommen eines Beschlusses sowie die zur Annahme eines Beschlussantrags erforderlichen Mehrheiten aber abweichend hiervon regeln. Regelungen zur Beschlussfähigkeit haben nicht die Frage zum Gegenstand, unter welchen Voraussetzungen ein Beschlussantrag als angenommen oder abgelehnt anzusehen ist, sondern bestimmen, wie viele Gesellschafter an einem Beschluss beteiligt sein müssen, damit diese überhaupt imstande sind, einen bindenden Willen hervorzubringen.240 Für die Ermittlung der Beschlussfähigkeit spielt keine Rolle, ob ein Gesellschafter für die konkrete Beschlussfassung vom Stimmrecht ausgeschlossen ist.241 Mit Blick auf das Abstimmungsprinzip sind im Ausgangspunkt mit dem Zustimmungs-, 68 dem Einstimmigkeits- und dem Mehrheitsprinzip drei Gestaltungen denkbar. Sowohl das
234 Wie hier OLG Stuttgart v. 7.2.2001 – 20 U 52/97, BB 2001, 794, 797; Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 119 HGB Rz. 29; anders aber OLG Hamm v. 12.4.2000 – 8 U 165/99, GmbHR 2000, 673, 674; vgl. weiter BGH v. 20.1.1983 – II ZR 243/81, NJW 1983, 1910, 1911 = ZIP 1983, 297; BGH v. 27.10.1986 – II ZR 240/85, NJW 1987, 1890, 1892 = ZIP 1987, 293; OLG Karlsruhe v. 30.12.1998 – 14 U 31/98, OLGR Karlsruhe 1999, 358, 359; OLG Saarbrücken v. 24.11.2004 – 1 U 202/04-35, GmbHR 2005, 546, 548. 235 BGH v. 29.5.1967 – II ZR 105/66, BGHZ 48, 163, 169 ff. = NJW 1967, 1963. 236 BGH v. 29.5.1967 – II ZR 105/66, BGHZ 48, 163, 174 = NJW 1967, 1963. 237 Treffend Freitag in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 119 HGB Rz. 41: „kaum praktische Relevanz“. 238 Enzinger in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 119 HGB Rz. Rz. 39; Freitag in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 119 HGB Rz. 41; Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 119 HGB Rz. 29; großzügiger OLG Koblenz v. 27.2.1986 – 6 U 261/86, NJW 1986, 1692, 1693 = ZIP 1986, 503; Roth in Hopt, 42. Aufl. 2013, § 119 HGB Rz. 17. 239 Vgl. auch Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 119 HGB Rz. 29; dazu Zutt, ZHR 155 (1991), 213 ff. und Baumann/Reiß, ZGR 1989, 157, 185. 240 Vgl. BGH v. 19.7.2011 – II ZR 153/09, NZG 2011, 1142 = ZIP 2011, 1906: 10 % der Gesellschafter einer Publikumsgesellschaft. Eingehender etwa Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion, 1965, S. 79 ff.; Skauradszun, Beschluss als Rechtsgeschäft, 2020, S. 68 f. 241 OLG Hamm v. 30.1.2008 – 8 U 94/07, OLGR Hamm 2008, 453 LS 2; Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 119 HGB Rz. 65. Holle | 267
§ 714 BGB Rz. 68 | Rechtsfähige Gesellschaft Zustimmungs- als auch das Einstimmigkeitsprinzip zeichnen sich dadurch aus, dass unter ihrer Geltung gegen den Willen eines Gesellschafters kein einheitlicher Wille gebildet werden kann, der auf die Annahme eines Beschlussantrags abzielt.242 Zustimmungs- und Einstimmigkeitsprinzip unterscheiden sich lediglich insofern, als im Fall des Zustimmungsprinzips eine bloße Enthaltung zur Ablehnung des Beschlussantrags führt, während es hierzu im Fall des Einstimmigkeitsprinzips der Abgabe einer „Nein“-Stimme bedarf.243 Da sich die Ablehnung eines Beschlussantrags inhaltlich auf die Verwerfung des konkreten Antrags beschränkt und nicht auf diejenige Regelung erstrecken kann, die dem Beschlussantrag inhaltlich entgegengesetzt ist, führen beide Abstimmungsprinzipien im Ergebnis dazu, dass gegen den Willen eines Gesellschafters kein auf eine Veränderung des gegenwärtigen Zustands abzielender Wille gebildet werden kann.244 69 Weiter ist zwischen einfachen und qualifizierten sowie zwischen absoluten und relativen
Mehrheitserfordernissen zu unterscheiden. Bei einfachen Mehrheitserfordernissen bedarf es einer schlichten Mehrheit der jeweils maßgeblichen Stimmen, bei qualifizierten Mehrheitserfordernissen kann die jeweils erforderliche Mehrheit beliebig nach oben hin konkretisiert sein (2/3, 3/4 etc.). Absolute und relative Mehrheitserfordernisse unterscheiden sich wiederum nach dem Bezugspunkt des Mehrheitserfordernisses. Bei absoluten Mehrheitserfordernissen ist auf die Mehrheit aller stimmberechtigten Mitglieder abzustellen. Nicht erschienene oder an der Abstimmung nicht teilnehmende Gesellschafter sind hier also als Gegenstimmen zu werten. Auch Enthaltungen wirken dann im Ergebnis wie Ablehnungen, da sie nicht zu den für die Mehrheit erforderlichen Ja-Stimmen rechnen.245 „Relative“ Mehrheitsklauseln verlangen demgegenüber „nur“ eine Mehrheit der „anwesenden“, „teilnehmenden“ oder „vertretenen“ Stimmen oder Kapitalanteile, so dass nicht erschienene oder an der Abstimmung nicht teilnehmende Gesellschafter bei der Mehrheitsermittlung außen vor bleiben. Obendrein soll es in derartigen Fällen grundsätzlich der Intention der Parteien entsprechen, Enthaltungen bei der Ermittlung von Mehrheiten nicht zu berücksichtigen, da es letztlich keinen Unterschied macht, ob der betreffende Gesellschafter der Versammlung fern bleibt und seine Stimme aus diesem Grund unberücksichtigt bleibt oder ob er sich in der Versammlung der Stimme enthält.246 Stets zwingend ist eine solche Annahme allerdings nicht. Ist im Gesellschaftsvertrag einer Publikumsgesellschaft geregelt, dass über bestimmte Beschlussgegenstände nicht die Mehrheit der abgegebenen, sondern die Mehrheit der anwesenden Stimmen entscheidet, und ergibt eine Auslegung des Gesellschaftsvertrags, dass die Mehrheit der anwesenden Stimmen als Mehrheit aller teilnehmenden und nicht als Mehrheit der mit Ja oder Nein stimmenden Gesellschafter zu verstehen ist, so sind bei einer schriftlichen Beschlussfassung mit den „anwesenden“ Gesellschaftern im Regelfall freilich nicht alle, 242 Soweit Zustimmung sämtlicher zur Beschlussfassung berufene Gesellschafter erforderlich ist, wirkt Zustimmungsprinzip zugleich wie Vorgabe zur Beschlussfähigkeit, da Beschlussfassung dann überhaupt nur erfolgen kann, wenn sämtliche der zur Beschlussfassung berufenen Gesellschafter an Beschlussfassung auch tatsächlich teilnehmen, vgl. auch Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion, 1965, S. 159: „Voraussetzung der Beschlußfähigkeit und der Annahme des Antrags decken sich hier.“ 243 Teilweise abweichend Bacher/von Blumenthal, GmbHR 2019, 261, 264, die annehmen, dass Begriff der „Einstimmigkeit“ in Gesellschaftsverträgen von Personengesellschaften Zustimmung aller Gesellschafter bedeute. Das begründen sie damit, dass Zustimmungsprinzip dort Regelfall sei und Abweichungen hiervon unmissverständlich zum Ausdruck gebracht werden müssten. Formulierung „einstimmig“ soll insoweit also zu unbestimmt sein, um vom gesetzlichen Leitbild abweichen zu können. 244 Vgl. auch Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion, 1965, S. 158 f. 245 Vgl. insoweit BGH NJW 1998, 1946, 1948; Freitag in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 119 HGB Rz. 75; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 709 BGB Rz. 101. 246 BGH v. 30.3.1998 – II ZR 20/97, NJW 1998, 1946, 1948; Freitag in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 119 HGB Rz. 75.
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Beschlussfassung | Rz. 73 § 714 BGB
sondern nur die Gesellschafter gemeint, die sich an der schriftlichen Abstimmung beteiligen.247 Ob eine Mehrheitsklausel ein absolutes oder ein relatives Mehrheitserfordernis statuiert, ist 70 durch Auslegung zu ermitteln. Nach der Rechtsprechung soll wegen der personalistischen Struktur von Personengesellschaften im Zweifel von einem absoluten Mehrheitserfordernis auszugehen sein.248 Sofern der Gesellschaftsvertrag lediglich vorgibt, dass die Gesellschafter mehrheitlich Beschlüsse fassen, wird man dies also dahin interpretieren müssen, dass die Mehrheit der stimmberechtigten Mitglieder erforderlich ist. Bei Publikumsgesellschaften ist eine solche Annahme indes weniger naheliegend, so dass die Rechtsprechung hier im Ausgangspunkt davon ausgeht, dass sich die Mehrheitsberechnung bei ihnen nach der Zahl der an der Abstimmung teilnehmenden Gesellschafter richtet.249 Die für die Ermittlung des Beschlussergebnisses maßgebliche Stimmkraft des einzelnen Ge- 71 sellschafters richtet sich grundsätzlich nach den vereinbarten Beteiligungsverhältnissen (§ 709 Abs. 3 Satz 1 BGB). Sind keine Beteiligungsverhältnisse vereinbart worden, richtet sie sich nach dem Verhältnis der vereinbarten Werte der Beiträge (§ 709 Abs. 3 Satz 2 BGB). Sind auch die Werte der Beiträge nicht vereinbart worden, hat jeder Gesellschafter ohne Rücksicht auf den Wert seines Beitrags die gleiche Stimmkraft (§ 709 Abs. 3 Satz 3 BGB). Der Gesellschaftsvertrag kann in den Grenzen des § 138 BGB auch abweichende Vorgaben zur Stimmkraft der einzelnen Gesellschafter treffen.250 So kann einem Gesellschafter etwa eine höhere Stimmenzahl oder ein mehrfaches Stimmrecht für alle oder bestimmte Beschlussgegenstände zugeordnet werden. Zulässig sind auch Kombinationen von Stimmen jeweils pro Kopf und zusätzlich entsprechend der Höhe des Kapitalanteils.251 b) Feststellung der Annahme oder Ablehnung des Beschlussantrags Auf die Ergebnisermittlung hin ist festzustellen, ob der im Beschlussantrag vorformulierte 72 Wille angenommen oder abgelehnt wird. Rechtstechnisch handelt es sich um eine geschäftsähnliche Handlung in Form der Wissenserklärung, so dass im Ausgangspunkt die Regelungen zu Willenserklärungen entsprechend herangezogen werden können. Hierbei gilt weitestgehend das Gleiche wie im Rahmen der Stimmabgabe. Sofern mit Blick auf die Beschlussfeststellung besondere Verfahrens- oder Formvorgaben 73 bestehen, führt ein Verstoß gegen diese allerdings nicht zwangsläufig zur Unwirksamkeit der Feststellung. Da mit der Feststellung nur mehr dasjenige auszusprechen ist, was zuvor durch die Abstimmung zu ermitteln war, taugen feststellungsbezogene Verfahrens- und Formerfordernisse nämlich weder dazu, die handelnden Personen zu warnen oder zu belehren noch dazu, zumindest das Verfahren der Abstimmung zu ordnen. Sofern sie „immerhin“ bezwecken, die Beschlussfeststellung klar und beweisbar zu gestalten, greift die mit Blick auf beschlussbezogene Formerfordernisse herausgebildete Einsicht, dass diese Zwecke leerlaufen,252 247 BGH v. 19.7.2011 – II ZR 153/09, NZG 2011, 1142 Rz. 11 f. = ZIP 2011, 1906. 248 BGH v. 30.3.1998 – II ZR 20/97, NJW 1998, 1946, 1948. 249 Vgl. BGH v. 30.3.1998 – II ZR 20/97, NJW 1998, 1946, 1948; BGH v. 19.7.2011 – II ZR 153/09, NZG 2011, 1142 Rz. 11, 14 ff. = ZIP 2011, 1906. 250 Implizit RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 143. 251 Vgl. Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 119 HGB Rz. 66. 252 Mit Blick auf gewillkürte beschlussbezogene Formerfordernisse vgl. etwa RG v. 13.6.1922 – II 771/21, RGZ 104, 413, 415 (GmbH); RGZ 122, 367, 369 (GmbH); BGHZ 49, 364, 365 ff. = NJW 1968, 1378 (Personengesellschaft); BGH v. 28.9.1961 – II ZR 91/60, WM 1961, 1275 (Personengesellschaft); BGHZ 66, 82, 86 f. = NJW 1976, 958 (Personengesellschaft); Möller, Beschlussfassung im Recht der Personen- und Kapitalgesellschaften, 2019, S. 60 f., 63 f.; Noack, Fehlerhafte Beschlüsse in Gesellschaften und Vereinen, 1989, S. 30 f.; C. Schäfer in Staub, 5. Aufl. 2009, § 119 HGB Rz. 83; s. auch schon Weidler, Generalversammlungsbeschlüsse bei Aktiengesellschaften, 1911, Holle | 269
§ 714 BGB Rz. 73 | Rechtsfähige Gesellschaft sofern sich gleichwohl ermitteln lässt, dass die Verantwortlichen die erforderliche Feststellung in die eine oder die andere Richtung getroffen haben. Der Sinn und Zweck der Beschlussfeststellung, das Ergebnis der Abstimmung für den Beschluss in abschließender Weise festzuschreiben, verbieten es allerdings generell, die Feststellung zu bedingen (zur hiervon zu unterscheidenden Feststellung eines bedingten Beschlussergebnisses s. Rz. 80).253 Sofern die mit der Beschlussfeststellung betraute Person die Feststellung gleichwohl bedingt – etwa indem sie die Feststellung unter die auflösende Bedingung stellt, dass kein Gesellschafter der Feststellung innerhalb einer bestimmten Frist widerspricht254 – kommt der Beschluss daher mangels wirksamer Beschlussfeststellung schon tatbestandlich nicht zustande. 74 Sofern die Beschlussfeststellung keinen weiteren Vorgaben unterworfen ist, kann die Feststel-
lung auch durch schlüssiges Verhalten getroffen werden, wenn sich aus diesem nur hinreichend eindeutig ergibt, welches Beschlussergebnis festgestellt wird (s. bereits oben unter Rz. 25).255 Die ganz herrschende Meinung lässt es etwa ausreichen, dass die Abstimmenden allesamt ein Protokoll unterschreiben, in dem ein bestimmtes Beschlussergebnis festgehalten wurde.256 Gleiches soll für die Konstellation gelten, dass eine Person – etwa ein Notar oder ein Protokollführer – ohne selbst zur Beschlussfeststellung berufen zu sein, ein bestimmtes Beschlussergebnis bekanntgibt und diesem von den Abstimmenden nicht widersprochen wird.257 Da das jeweilige Schweigen nicht im individualrechtlichen (Erst-)Verkehr erfolgte, wäre insofern anzunehmen, dass die beschlussspezifischen Begleitumstände es zu einem beredten machen.258 Geht man mit der hier vertretenen Ansicht davon aus, dass die Beschlussfeststellung durch die (rechnerische) Mehrheit der Abstimmenden erfolgen kann, bedarf es hierfür konsequenterweise nicht einmal eines Konsenses aller Abstimmenden über das Be-
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S. 26 f.; kritisch etwa Hueck, DB 1968, 1207 ff.; Jüdel, Gesellschafterbeschlüsse bei Personalgesellschaften, 1933, S. 100 f.; mit Blick auf gesetzliche beschlussbezogene Formerfordernisse s. im Kontext des § 241 Nr. 2 AktG BGH v. 10.10.2017 – II ZR 375/15, BGHZ 216, 110 Rz. 61 f. = ZIP 2017, 2245 = NJW 2018, 52 (AG). Unter Verweis auf die Rechtssicherheit, auf die Wohnungseigentümer wegen nur einmonatiger Anfechtungsfrist angewiesen seien, so jetzt jedenfalls für Beschlussfassung im schriftlichen Verfahren auch BGH v. 6.7.2018 – V ZR 221/17, NJW-RR 2019, 73 Rz. 16; explizit auch für den Fall eines auf einer Versammlung gefassten Beschlusses Häublein in Staudinger (2018), § 23 WEG Rz. 40.1. Vgl. BGH v. 6.7.2018 – V ZR 221/17, NJW-RR 2019, 73 Rz. 16. Siehe etwa BGH v. 23.8.2001 – V ZB 10/01, BGHZ 148, 335, 345 = NJW 2001, 3339 (WEG); Rohleder, GmbHR 1989, 236, 239; Skauradszun, Beschluss als Rechtsgeschäft, 2020, S. 110; jedenfalls implizit Zöllner in FS Lutter, 2000, S. 821, 827 f.; zu pauschal allein darauf abstellend, dass „das Ziel, Unsicherheit über die Fassung eines Beschlusses zu beseitigen, erreicht wird“ indes BGH v. 11.2.2008 – II ZR 187/06, NZG 2008, 317 Rz. 24 = ZIP 2008, 757 (GmbH) und BGH v. 24.3.2016 – IX ZB 32/15, NZG 2016, 552 Rz. 33 = ZIP 2016, 817 (GmbH). Statt aller OLG Dresden v. 5.2.2001 – 2 U 2422/00, NZG 2001, 809; Bayer/Rauch, DB 2021, 2609, 2615; Noack, GmbHR 2017, 792, 797; noch abstrakter OLG Celle v. 15.5.1996 – 9 U 185/95, GmbHR 1997, 172, 174: Beschlussfeststellung, wenn „alle beteiligten Gesellschafter am Ende der Gesellschafterversammlung davon ausgegangen (sind), daß ein Beschluß des beantragten Inhalts zustandegekommen ist“; Rohleder, GmbHR 1989, 236, 239: Beschlussfeststellung, „wenn die Beteiligten übereinstimmend die Erreichung der erforderlichen Mehrheit angenommen haben“; Zöllner in FS Lutter, 2000, S. 821, 828: Beschlussfeststellung, wenn Gesellschafter „über ein aus dem Abstimmungsergebnis gefolgertes Beschlußergebnis einig waren“. Von vornherein kein Raum für solche Annahmen ist dort, wo Beschlussfeststellung wie etwa im Aktienrecht streng formalisiert und einer Person zwingend zugewiesen ist; großzügiger auf Grundlage der seinerzeitigen Rechtslage noch RGZ 142, 123, 127 (AG). Vgl. etwa Fluck, Fehlerhafte Vereinsbeschlüsse, 2017, S. 118 f.; Zöllner in FS Lutter, 2000, S. 821, 827 f. Allgemein zur Problematik Armbrüster in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2021, Vorbem. § 116 BGB Rz. 6, 8; Bork, BGB AT, 4. Aufl. 2016, Rz. 575; Flume, BGB AT II, 3. Aufl. 1979, S. 64.
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Beschlussfassung | Rz. 76 § 714 BGB
schlussergebnis. Vielmehr genügt es, wenn die Mehrheit der Abstimmenden ein bestimmtes Beschlussergebnis konsentiert, also diese das Beschlussprotokoll unterschreibt oder die Feststellungen eines Notars mitträgt.259 Bei einem für sich genommen eindeutigen Abstimmungsergebnis wird man gar generell von einer konkludenten Beschlussfeststellung ausgehen können.260 Da im Recht der Personengesellschaften auch der Beschlussantrag sowie die Stimmabgabe grundsätzlich keinen formalen Kriterien unterworfen sind, kann für das Zustandekommen eines Beschlusses insgesamt eine durch übereinstimmendes schlüssiges Verhalten dokumentierte konkludente Willensübereinstimmung der Gesellschafter genügen.261 Weil die Beschlussfeststellung eine bloße Erklärung dessen ist, was nach objektivem Dafür- 75 halten der Erklärenden das Ergebnis der Abstimmung ist, kann auch nicht diese selbst, sondern erst der durch sie vollendete Beschluss zum Gegenstand einer inhaltlichen Kontrolle gemacht werden. §§ 138, 242 BGB sind lediglich heranziehbar, soweit nicht der Inhalt der Feststellung, sondern deren äußere Umstände als solche willkürlich oder treuwidrig sind.262 Dabei kann man eine derart gelagerte Sitten- oder Treuwidrigkeit aber nur in extrem gelagerten Fällen annehmen und nicht etwa schon dann, wenn bei der Stimmauszählung Fehler unterlaufen oder eine nur schwer vertretbare Entscheidung über die Gültigkeit einzelner Stimmabgaben getroffen wird. Zu denken ist etwa an eine ohne ansatzweise Stimmauszählung erfolgende Feststellung trotz offenkundig unklarer oder entgegengesetzter Mehrheiten oder eine in keiner Weise auch nur im Ansatz zu rechtfertigende Entscheidung über das Eingreifen von Stimmverboten oder die Gesetzes- oder Treuwidrigkeit einzelner Stimmen. Eine Anfechtbarkeit der Beschlussfeststellung nach §§ 119 ff. BGB widerspräche dem Sinn und Zweck der Beschlussfeststellung, das Ergebnis der Abstimmung für den Beschluss in abschließender Weise festzuschreiben, und bleibt ohne zwingendes Bedürfnis, da die Beschlussfeststellung als solche den Beschlussinhalt festlegt und bei ihr vorhandene Fehler auf Ebene eines Vorgehens gegen den Beschluss korrigiert werden können. Die herrschende Lehre sowie die Rechtsprechung gehen zu Recht davon aus, dass ein in Bezug 76 auf die Sachentscheidung bestehendes Stimmverbot weder bei der Beschlussfeststellung durch die Abstimmenden selbst263 noch bei der Wahl oder Abwahl eines mit der Beschlussfeststellung betrauten Abstimmungsleiters264 zu berücksichtigen ist. Ebenso wenig soll ein Stimmverbot den Abstimmungsleiter daran hindern, den Beschluss wirksam feststellen zu
259 So jetzt auch Knorr, GmbHR 2022, 563 Rz. 51 ff.; K. Schmidt/Bochmann in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 45 GmbHG Rz. 49d. 260 In diese Richtung jetzt auch Knorr, GmbHR 2022, 563 Rz. 56 f.; K. Schmidt/Bochmann in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 45 GmbHG Rz. 49d. 261 Vgl. zuletzt BGH v. 17.1.2023 – II ZR 76/21, NZG 2023, 564 Rz. 21. 262 In diese Richtung für das GmbH-Recht etwa Böttcher/Grewe, NZG 2002, 1086, 1088; Hoffmann, NZG 1999, 1174; Hoffmann/J. Köster, GmbHR 2003, 1327, 1332; K. Schmidt/Bochmann in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 45 GmbHG Rz. 49d; Seibt in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 48 GmbHG Rz. 53; Werner, GmbHR 2006, 127, 129; dagegen Bayer in Lutter/Hommelhoff, 21. Aufl. 2023, § 48 GmbHG Rz. 17a; Kleemann, Leiter der GmbH-Gesellschafterversammlung, 2013, S. 121 ff.; Knorr, GmbHR 2022, 563 Rz. 23 ff.; Lange, NJW 2015, 3190, 3193; für das WEG-Recht bejahend AG Hamburg, ZMR 2010, 560, Leitsatz 1; Skauradszun, Beschluss als Rechtsgeschäft, 2020, S. 357; Skauradszun, ZWE 2022, 106, 114. 263 Vgl. insbesondere Altmeppen, NJW 2016, 2833, 2837; Altmeppen, ZIP 2017, 1185, 1188; Altmeppen, GmbHR 2018, 225, 230. 264 Vgl. etwa BGH v. 21.6.2010 – II ZR 230/08, ZIP 2010, 1640 = NJW 2010, 3027 Rz. 16 ff.; Hüffer/ C. Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2020, § 47 GmbHG Rz. 181, Anh. § 47 Rz. 94; Lange, NJW 2015, 3190, 3194; Wertenbruch, GmbHR 2020, 875 Rz. 18; Wicke, GmbHR 2017, 777, 782. Holle | 271
§ 714 BGB Rz. 76 | Rechtsfähige Gesellschaft können.265 Sind an einer GbR der Gesellschafter A mit 51 Prozent und der Gesellschafter B mit 49 Prozent beteiligt und soll ein Beschluss über einen Forderungsverzicht gegenüber dem Gesellschafter A gefasst werden, soll dieser den Beschluss also selbst feststellen können oder sich selbst zum Abstimmungsleiter mit Beschlussfeststellungskompetenz wählen beziehungsweise einen unter Verweis auf seine Befangenheit gestellten Abwahlantrag verhindern und den Beschluss alsdann auch wirksam feststellen können. Da sich die Beschlussfeststellung nicht auf eine rein rechnerische Ermittlung des Beschlussergebnisses aus den abgegebenen Stimmen beschränkt, sondern die Freiheit miteinschließt, im Rahmen des Vertretbaren über die Unwirksamkeit einzelner Stimmen etwa wegen vermeintlichen Eingreifens von Stimmverboten oder einer Gesetzes- oder Treuwidrigkeit zu entscheiden, lässt sich dies zwar nicht allein damit begründen, dass es sich bei Beschlussfeststellung um eine gebundene Entscheidung handelt.266 Ausschlaggebend ist aber, dass man Streitigkeiten über das richtige Beschlussergebnis in die Beschlussfeststellung trüge, wenn man diese mit der Frage des Bestehens von Stimmverboten in Bezug auf die zu treffende Sachentscheidung belastet – sei es unmittelbar bei der Beschlussfeststellung durch die Abstimmenden, sei es durch ihre Berücksichtigung bei der Wahl und Abwahl des Abstimmungsleiters oder sei es bei dessen Feststellungsentscheidung.267 Schlussendlich drohte nicht nur offen zu bleiben, ob das Beschlussergebnis wirksam festgestellt und der Beschluss damit zustande gebracht wurde, sondern auch welches. Es könnte zu der Situation kommen, dass von den streitenden Parteien verschiedene Ergebnisse festgestellt beziehungsweise Abstimmungsleiter „präsentiert“ werden und diese Abstimmungsleiter alsdann voneinander abweichende Beschlussergebnisse feststellen.268
5. Auslegung von Beschlüssen 77 Beschlüsse sind nach herrschender Meinung „aus sich heraus“ objektiv und normativ aus-
zulegen.269 Denn sie heben sich von den individuellen Willensbekundungen der Abstimmenden ab und binden sämtliche Gesellschafter.270 Neben dem Wortlaut des Beschluss-
265 Vgl. etwa OLG München v. 12.1.2017 – 23 U 1994/16, ZIP 2017, 1467, 1469; Bayer in Lutter/Hommelhoff, 21. Aufl. 2023, § 48 GmbHG Rz. 17a; Hüffer/C. Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2020, § 47 GmbHG Rz. 181, Anh. § 47 GmbHG Rz. 94, § 48 GmbHG Rz. 32; Seibt in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 48 GmbHG Rz. 53; Werner, GmbHR 2006, 127, 129; Wicke, GmbHR 2017, 777, 782; a.A. Hoffmann/J. Köster, GmbHR 2003, 1327, 1332 f.; Noack in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 48 GmbHG Rz. 19a; insoweit auch Altmeppen, 11. Aufl. 2023, § 48 GmbHG Rz. 20: Beschlussfeststellungskompetenz fällt in diesem Fall automatisch an das originär zuständige Organ Gesellschafterversammlung zurück. 266 Hierauf u.a. verweisend aber BGH v. 21.6.2010 – II ZR 230/08, NJW 2010, 3027 Rz. 16 = ZIP 2010, 1640; OLG München v. 12.1.2017 – 23 U 1994/16, ZIP 2017, 1467, 1469; Hüffer/C. Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2020, § 47 GmbHG Rz. 181, Anh. § 47 GmbHG Rz. 94; Wertenbruch, GmbHR 2020, 875 Rz. 18. 267 Vgl. auch BGH v. 21.6.2010 – II ZR 230/08, NJW 2010, 3027 Rz. 17 = ZIP 2010, 1640; OLG München v. 12.1.2017 – 23 U 1994/16, ZIP 2017, 1467, 1469; Hüffer/C. Schäfer in Habersack/Casper/ Löbbe, 3. Aufl. 2020, § 47 GmbHG Rz. 181, Anh. § 47 GmbHG Rz. 94; Werner, GmbHR 2006, 127, 129; Wertenbruch, GmbHR 2020, 875 Rz. 18. 268 So erkannt schon von BGH v. 21.6.2010 – II ZR 230/08, NJW 2010, 3027 Rz. 17 = ZIP 2010, 1640; Hüffer/C. Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2020, § 47 GmbHG Rz. 181, Anh. § 47 GmbHG Rz. 94; Wertenbruch, GmbHR 2020, 875 Rz. 18. 269 In diese Richtung etwa BGH v. 6.3.2018 – II ZR 1/17, NZG 2018, 658 Rz. 16 f. = ZIP 2018, 929 (Publikumspersonengesellschaft); Busche in FS Säcker, 2011, S. 45, 55; Enzinger in MünchKomm/ HGB, 5. Aufl. 2022, § 119 HGB Rz. 11. 270 Vgl. auch Busche in FS Säcker, 2011, S. 45, 55: „Der Beschluss hat eine eigene kollektive Prägung, die ihn von der individuellen Willensbekundung der Stimmberechtigten abhebt.“
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Beschlussfassung | Rz. 78 § 714 BGB
antrags271 können hierfür alle Umstände herangezogen werden, die für die Gesellschafter erkennbar sind, so dass etwa eine Beschlussvorlage, ein sonstiger, den Beschluss im Vorfeld näher erläuternder Bericht sowie ein Beschlussprotokoll Berücksichtigung finden können, rein subjektive Vorstellungen der Beschließenden regelmäßig aber außen vor bleiben.272 Folge dieser Objektivierung ist, dass es eine unbeachtliche Falschbezeichnung beim Beschluss grundsätzlich nicht geben kann.273 Weitere Folge ist, dass die Auslegung im Streitfall nicht dem Tatrichter vorbehalten bleibt, sondern vom Rechtsbeschwerde- oder Revisionsgericht selbst vorgenommen werden kann.274 Einzelne Stimmen wollen Beschlüsse der Personengesellschafter gemäß den „allgemeinen für 78 Rechtsgeschäfte geltenden Auslegungsgrundsätzen“275 interpretieren, so dass wie bei Verträgen auch subjektive Vorstellungen der Beteiligten zu berücksichtigen sind.276 Auch finden sich Gerichtsentscheidungen, in denen das Bestreben sichtbar wird, in möglichst weitgehender Weise den wahren Willen der handelnden Gesellschafter zu erforschen und daher auch besagte subjektive Vorstellungen der beschließenden Gesellschafter in die Auslegung einfließen zu lassen.277 Eine solche Sichtweise kann für sich in Anspruch nehmen, dass sich Beschlüsse für die Zwecke der Auslegung in denjenigen Fällen wieder dem Vertrag annähern, in denen die an dem Beschluss beteiligten Gesellschafter mit den beschlussunterworfenen Gesellschaftern identisch sind. Verkehrsschutzgründe, die es gebieten, die subjektiven Vorstellungen der Gesellschafter auch dann noch auszublenden, wenn sämtliche Gesellschafter diese Vorstellungen teilen, sind hier an sich ebenso wenig ersichtlich wie im Fall einer herkömmlichen Vertragsänderung. Auch eine etwaige Geltung des Mehrheitsprinzips hat auf die Auslegung keinen Einfluss, da es bei dieser allein um den Inhalt des Beschlusses geht und nicht darum, wie ein einzelner Abstimmender hierzu steht.278 Parallel zur herkömmlichen vertraglichen Änderung des Gesellschaftsvertrags lässt sich erst wieder für eine objektive Auslegung argumentieren, wenn ein spezifisches Verkehrsinteresse darin zu finden ist, zukünftige Gesellschafter in ihrem Vertrauen auf das für sie erkennbar Beschlossene zu schützen. Das ist bei kleineren Gesellschaften mit beständigem Gesellschafterkreis nicht der Fall, da diese schlussendlich nicht wesentlich anders als herkömmliche Verträge für neue Vertragspartner offen sind. Die Sachlage ändert sich aber bei Publikumsgesellschaften, die
271 Vgl. auch Busche in FS Säcker, 2011, S. 45, 56; Enzinger, Mehrheitsbeschlüsse bei Personengesellschaften, 1995, S. 50; Zöllner in FS Lutter, S. 821, 823. 272 Busche in FS Säcker, 2011, S. 45, 56; zur Berücksichtigungsfähigkeit des Vorstandsberichts bei der Auslegung eines Hauptversammlungsbeschlusses vgl. BGH v. 30.1.1995 – II ZR 132/93, ZIP 1995, 372 f. 273 Deutlich auch Lohrmann, Anwendbarkeit der §§ 104–185 BGB auf die Stimmabgabe und den Gesellschafterbeschluss, 2019, S. 232. 274 Treffend etwa BGH v. 10.9.1998 – V ZB 11/98, BGHZ 139, 288, 291 ff. = NJW 1998, 3713 (WEG); BGH v. 8.5.2015 – V ZR 163/14, NJW-RR 2015, 1037 Rz. 16 (WEG); BGH v. 18.3.2016 – V ZR 75/15, NJW 2016, 2177 Rz. 20 (WEG); BGH v. 6.3.2018 – II ZR 1/17, ZIP 2018, 929 = NZG 2018, 658 Rz. 16 (Publikumspersonengesellschaft); OLG Stuttgart v. 11.4.1991 – 8 W 422/90, NJW-RR 1991, 913 (WEG); Busche in FS Säcker, 2011, S. 45, 57; a.A. indes OLG Düsseldorf v. 12.7.1995 – 3 Wx 181/95, NJW-RR 1996, 210 (WEG); BayObLG v. 27.10.1989 – BReg 2 Z 75/89, NJW-RR 1990, 210, 211 (WEG); OLG Hamm v. 22.6.1989 – 15 W 209/89, NJW-RR 1989, 1161 (WEG). 275 Hadding/Kießling in Soergel, BGB, 13. Aufl. 2012, § 709 BGB Rz. 24; differenzierend und für Beschlüsse in Personengesellschaften grundsätzlich beipflichtend Möller, Beschlussfassung im Recht der Personen- und Kapitalgesellschaften, 2021, S. 96 ff. 276 Dahingehend interpretierend auch Busche in FS Säcker, 2011, S. 45, 54. 277 In diese Richtung etwa OLG Nürnberg v. 30.12.1964 – 2 U 73/64, NJW 1965, 1382, 1383 (Personengesellschaft). 278 Insofern nicht überzeugend OLG Stuttgart v. 11.4.1991 – 8 W 422/90, NJW-RR 1991, 913, das die Nichtberücksichtigung subjektiver Vorstellungen der Abstimmenden u.a. damit begründet, dass die überstimmten Wohnungseigentümer an den Beschluss gebunden sind. Holle | 273
§ 714 BGB Rz. 78 | Rechtsfähige Gesellschaft bestimmungsgemäß auf einen großen Gesellschafterkreis und dementsprechend auf einen wechselnden und gegebenenfalls auch wachsenden Gesellschafterbestand ausgelegt sind.279 79 Sofern die einfache Auslegung eines Beschlusses zu dem Befund führt, dass der Beschluss
einen regelungsbedürftigen Punkt nicht regelt, das heißt, eine Regelungslücke aufweist, können die verbleibenden Lücken prinzipiell im Wege ergänzender Auslegung geschlossen werden.280 Allerdings ist eine ergänzende Auslegung insofern mit der einfachen Auslegung zu harmonisieren, als es auch für sie grundsätzlich nicht auf die subjektiven Vorstellungen der an dem Beschluss beteiligten Gesellschafter ankommen kann.281 Eine ergänzende Beschlussauslegung kann daher grundsätzlich nur anhand des Regelungsplans erfolgen, der für sämtliche Gesellschafter objektiv erkennbar ist.282 Dabei ist diese Begrenzung des Auslegungsstoffes nicht erst bei der Lückenfüllung zu beachten, sondern bereits bei der vorgelagerten Prüfung, ob überhaupt eine planwidrige Unvollständigkeit vorliegt.283 Sofern nicht sämtliche Gesellschafter an der Beschlussfassung teilgenommen haben, wird eine ergänzende Auslegung auch dadurch begrenzt, dass sie sich im Rahmen des angekündigten Beschlussgegenstandes bewegen muss. Für die Frage, was die Gesellschafter beschlossen hätten, wenn ihnen das Regelungserfordernis zur Erreichung ihres mit dem Beschluss (erkennbar) verfolgten Ziels bekannt gewesen wäre, ist darauf abzustellen, was redlich abstimmende Gesellschafter bei angemessener Interessenabwägung beschlossen hätten, wenn sie den nicht geregelten Fall bedacht hätten.284 Als äußere Leitplanken fungieren hierbei die beschlussimmanenten Treuebindungen, da eine ergänzende Auslegung andernfalls dazu führen würde, den Abstimmenden die Fassung eines rechtswidrigen Beschlusses zu unterstellen.285
6. Besondere Beschlussformen a) Bedingte und befristete Beschlüsse 80 Ein Beschluss kann grundsätzlich bedingt und befristet werden, sofern nicht der Beschluss-
gegenstand ausnahmsweise bedingungs- oder befristungsfeindlich ist.286 Wie bei Rechtsgeschäften auch geht es dabei nicht darum, die Entstehung des Beschlusses als solche zu bedingen oder zu befristen, sondern es werden lediglich die durch den Beschluss intendierten 279 Zutreffend daher BGH v. 6.3.2018 – II ZR 1/17, NZG 2018, 658 Rz. 16 f. (Personengesellschaft) unter Verweis auf die für die Gesellschaftsverträge von Publikumsgesellschaften geltenden Grundsätze. Zur objektiven Auslegung der Gesellschaftsverträge von Publikumsgesellschaften vgl. etwa BGH v. 18.9.2012 – II ZR 201/10, ZIP 2012, 2291 Rz. 18 (Personengesellschaft); BGH v. 12.3.2013 – II ZR 73/11, NJW 2013, 2278 Rz. 13 (Personengesellschaft); BGH v. 16.2.2016 – II ZR 348/14, NZG 2016, 424 Rz. 13 (Personengesellschaft). 280 Vgl. auch Busche in FS Säcker, 2011, S. 45, 56; Lohrmann, Anwendbarkeit der §§ 104–185 BGB auf die Stimmabgabe und den Gesellschafterbeschluss, 2019, S. 233 f. 281 Deutlich auch Busche in FS Säcker, 2011, S. 45, 56; folgend Lohrmann, Anwendbarkeit der §§ 104–185 BGB auf die Stimmabgabe und den Gesellschafterbeschluss, 2019, S. 233 f. 282 Vor diesem Hintergrund weitgehend resignierend Busche in FS Säcker, 2011, S. 45, 56; Lohrmann, Anwendbarkeit der §§ 104–185 BGB auf die Stimmabgabe und den Gesellschafterbeschluss, 2019, S. 233 f. 283 Zutreffend Häublein in Staudinger (2018), § 23 WEG Rz. 82. 284 Siehe auch BayObLG v. 26.3.1993 – 2Z BR 122/92, WuM 1993, 482, 483 (WEG). 285 Vgl. auch BGH v. 17.4.2015 – V ZR 12/14, NJW-RR 2015, 847 Rz. 28 (WEG); ferner BayObLG v. 26.3.1993 – 2Z BR 122/92, WuM 1993, 482, 483 f. (WEG). 286 BGH v. 24.10.2005 – II ZR 55/04, NJW-RR 2006, 182 Rz. 14 ff. = ZIP 2005, 2255 (GmbH); BGH v. 25.5.2009 – II ZR 259/07, NJW-RR 2009, 1264 Rz. 15 (Personengesellschaft); Lohrmann, Anwendbarkeit der §§ 104–185 BGB auf die Stimmabgabe und den Gesellschafterbeschluss, 2019, S. 236 f.; Möller, Beschlussfassung im Recht der Personen- und Kapitalgesellschaften, 2021, S. 99 f.; eingehend Göppel, Bedingte GmbH-Gesellschafterbeschlüsse, 2008, S. 33 ff.
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Beschlussfassung | Rz. 82 § 714 BGB
Rechtsfolgen hinausgeschoben beziehungsweise durch den Eintritt einer auflösenden Bedingung oder durch Zeitablauf begrenzt.287 Einen Beschluss zu bedingen oder zu befristen kann sinnvoll sein, wenn bereits zum Zeitpunkt der Beschlussfassung das Eintreten bestimmter, zukünftiger Umstände denkbar ist und der Umgang mit diesen abschließend gewürdigt werden kann. Dann nämlich entfällt die Notwendigkeit, abermals Beschluss fassen zu müssen, wenn die Umstände tatsächlich eintreten.288 Zu dieser Fallgruppe zählt auch die Konstellation, dass die Wirksamkeit des Beschlusses von der Zustimmung bestimmter Personen oder Personengruppen abhängen soll. Ferner kann eine Bedingung genutzt werden, um mehrere Beschlüsse dergestalt miteinander zu verknüpfen, dass sie die mit ihnen intendierten Rechtsfolgen nur gemeinsam zeitigen können. Eine Bedingung oder Befristung ist dann unzulässig, wenn der Beschlussgegenstand aus- 81 nahmsweise bedingungs- oder befristungsfeindlich ist. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn die durch den Beschluss herbeigeführte Rechtsfolge nicht mehr oder nur unter Einhaltung zwingend vorgesehener Verfahrens- oder Kompetenzvorschriften rückgängig gemacht werden kann, wenn durch die auflösende Bedingung oder Befristung also Verfahrens- oder Kompetenzvorschriften umgangen würden.289 Faktische Einschränkungen ergeben sich bei Beschlüssen, die in ein Register eingetragen werden.290 Noch nicht wirksame Rechtshandlungen sind schlicht nicht eintragungsfähig.291 Aufschiebend bedingte oder befristete Beschlüsse, bei denen die Eintragung konstitutive Wirkung entfaltet, sind daher nur insoweit zweckmäßig, als der Eintritt der Bedingung der Eintragung zeitlich vorgehen soll. Auflösend bedingte oder befristete Beschlüsse sind wegen ihrer anfänglichen Wirksamkeit hingegen selbst dann grundsätzlich eintragungsfähig, wenn der Bedingungseintritt noch ungewiss ist, wobei die Eintragung in diesem Fall aber erfolgt, ohne dass die auflösende Bedingung aus dem Handelsregister hervorgeht.292 Eine Ausnahme ist hier nur dann zu machen, wenn das Unwirksamwerden des eingetragenen Beschlusses grundsätzlich erneut der konstitutiv wirkenden Eintragung bedürfte. Ansonsten könnte der Beschluss unwirksam werden, ohne dass eine erneute Eintragung erforderlich wäre, weil diese ja bereits bei der Eintragung des einheitlichen Ursprungsbeschlusses erfolgt wäre.293 Wirkt die Eintragung hingegen nur deklaratorisch, vermittelt § 15 Abs. 1 HGB einen ausreichenden Schutz des Rechtsverkehrs und die Eintragungspflicht steht einer auflösenden Bedingung nicht im Weg.294 b) Beschlüsse mit Zustimmungsvorbehalt Wenn ein Beschluss qualifizierte Rechte bestimmter Personen berührt, in die nur mit de- 82 ren Zustimmung eingegriffen werden darf und diese Personen entweder nicht zur Beschlussfassung berufen sind oder ob der Geltung des Mehrheits- oder Einstimmigkeitsprinzips nicht gewährleistet ist, dass diese Personen schon im Rahmen der Beschlussfassung dem Eingriff 287 Vgl. allgemein in Bezug auf Rechtsgeschäfte Bork, BGB AT, 4. Aufl. 2016, Rz. 1249: Bedingt ist nicht der Wille, sondern die Wirkung des Rechtsgeschäfts; eingehend Flume, BGB, AT II, 3. Aufl. 1979, S. 689 ff. 288 Siehe auch Göppel, Bedingte GmbH-Gesellschafterbeschlüsse, 2008, S. 1. 289 Ausführlich in Bezug auf die Beschlüsse einer GmbH-Gesellschafterversammlung Göppel, Bedingte GmbH-Gesellschafterbeschlüsse, 2008, S. 76 ff.; vgl. ferner Lohrmann, Anwendbarkeit der §§ 104–185 BGB auf die Stimmabgabe und den Gesellschafterbeschluss, 2019, S. 241 f. 290 Eingehend erneut Göppel, Bedingte GmbH-Gesellschafterbeschlüsse, 2008, S. 83 ff.; ausführlicher auch Lohrmann, Anwendbarkeit der §§ 104–185 BGB auf die Stimmabgabe und den Gesellschafterbeschluss, 2019, S. 242 f. 291 Vgl. nur BGH v. 24.10.2005 – II ZR 55/04, NJW-RR 2006, 182 Rz. 17 = ZIP 2005, 2255 (GmbH). 292 Siehe auch Göppel, Bedingte GmbH-Gesellschafterbeschlüsse, 2008, S. 107 f.; vgl. ferner BGH v. 24.10.2005 – II ZR 55/04, NJW-RR 2006, 182 Rz. 17 = ZIP 2005, 2255 (GmbH). 293 Göppel, Bedingte GmbH-Gesellschafterbeschlüsse, 2008, S. 112 ff. 294 Vgl. auch Göppel, Bedingte GmbH-Gesellschafterbeschlüsse, 2008, S. 109 f. Holle | 275
§ 714 BGB Rz. 82 | Rechtsfähige Gesellschaft im Wege positiver Stimmabgabe zugestimmt haben, besteht ein rechtliches Bedürfnis dafür, die Wirksamkeit besagter Beschlüsse von der Zustimmung dieser Personen abhängig zu machen. Derartige Zustimmungserfordernisse sind von einer positiven Stimmabgabe zu dem betreffenden Beschluss zu unterscheiden. Denn sie beziehen sich nicht etwa auf den Beschlussantrag, sondern auf den bereits gefassten Beschluss.295 Das Fehlen einer beschlussbezogenen Zustimmung hat dementsprechend auch keinen Einfluss auf das Zustandekommen des Beschlusses, sondern hindert lediglich den Eintritt der mit ihm intendierten Rechtsfolgen.296 83 In rechtsgeschäftlichen Kategorien gedacht ist ein zustimmungsbedürftiger Beschluss bis zur
Erteilung der erforderlichen Zustimmung schwebend unwirksam.297 Er entfaltet als solcher noch keine Rechtswirkungen, ist aber doch insoweit bindend, als ohne erneute Abstimmung nicht mehr von ihm Abstand genommen werden kann und die verantwortlichen Personen gehalten sind, die notwendigen Zustimmungserklärungen einzuholen.298 Wird die Zustimmung verweigert, gilt der Beschluss als von Anfang an unwirksam.299 Von Beschlüssen, deren Rechtswirkungen von einer aufschiebenden Bedingung in Gestalt der Zustimmung bestimmter Personen oder Personengruppen abhängig gemacht werden, unterscheiden sich zustimmungsbedürftige Beschlüsse dadurch, dass ihr Wirksamwerden erst mit Zustimmung besagter Personen oder Personengruppen nicht Gegenstand des Beschlussantrags ist, sondern dem jeweiligen Recht zu entnehmen ist, in das die Kompetenz zur Beschlussfassung eingebettet ist.300 Insoweit ähneln zustimmungsbedürftige Beschlüsse den zustimmungsbedürftigen Rechtsgeschäften gem. §§ 182 ff. BGB, so dass diese Vorschriften zur weiteren Ausdeutung herangezogen werden können.301 84 Da ein Beschluss mit seiner Entstehung der Gesellschaft beziehungsweise sämtlichen Gesell-
schaftern zugerechnet wird und damit die Sphäre der zur Beschlussfassung berufenen Personen verlässt, kann die Zustimmung entgegen § 182 Abs. 1 BGB allerdings immer nur gegenüber der Gesellschaft beziehungsweise gegenüber sämtlichen Gesellschaftern erfolgen. Vorbehaltlich anderslautender Regelungen in den einschlägigen Beschlussfassungskompetenzen wird man dabei in der Regel davon ausgehen können, dass eine positive Stimmabgabe zugleich die konkludente Zustimmung in Form der Einwilligung nach § 183 BGB zu dem
295 Deutlich auch Hüffer/C. Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2020, § 47 GmbHG Rz. 20. 296 Eingehend Berg, Schwebend unwirksame Beschlüsse privatrechtlicher Verbände, 1994, S. 58 ff., 72 ff., 159. 297 Siehe auch RG v. 21.6.1935 – II B 5/35, RGZ 148, 175, 186 f. (AG); Raiser/C. Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2020, Anh. § 47 GmbHG Rz. 23; treffend ferner schon Vormbaum, Die Anwendung der Begriffe Willenserklärung und Rechtsgeschäft auf den Beschluss der Generalversammlung und das Abstimmen in ihr, 1929, S. 23. 298 So auch Raiser/C. Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2020, Anh. § 47 GmbHG Rz. 23; Lohrmann, Anwendbarkeit der §§ 104–185 BGB auf die Stimmabgabe und den Gesellschafterbeschluss, 2019, S. 249; vgl. auch Bachmann, AcP 222 (2022), 651, 657; eingehender Berg, Schwebend unwirksame Beschlüsse privatrechtlicher Verbände, 1994, S. 166 ff. 299 Vgl. auch RGZ 148, 175, 187; ausführlich Berg, Schwebend unwirksame Beschlüsse privatrechtlicher Verbände, 1994, S. 223 ff. 300 Nicht überzeugend daher Skauradszun, der die Existenzberechtigung schwebend unwirksamer Beschlüsse mit dem Argument bestreitet, dem zugrunde liegenden konstruktiven Anliegen könne durch § 158 Abs. 1 BGB vollauf Rechnung getragen werden, vgl. Skauradszun, Beschluss als Rechtsgeschäft, 2020, S. 221 ff., 230 ff.; kritisch auch Bachmann, AcP 222 (2022), 651, 656 f.; Hoffmann-Becking, ZHR 186 (2022), 770, 775. 301 Anders wohl Grundmann in Großkomm/AktG, 5. Aufl. 2020, § 133 AktG Rz. 44 a.E.; treffend indes Lohrmann, Anwendbarkeit der §§ 104–185 BGB auf die Stimmabgabe und den Gesellschafterbeschluss, 2019, S. 247: §§ 182 ff. BGB zumindest in Teilen passendes Regelungskonzept.
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Beschlussfassung | Rz. 85 § 714 BGB
Beschluss beinhaltet.302 Unter engen Voraussetzungen kann einem mehrheitlich beschlossenen Eingriff in ein Sonderrecht i.S.d. § 35 BGB auch schon im Rahmen der Einigung auf eine entsprechende Mehrheitsklausel antizipiert zugestimmt worden sein. Bedingung hierfür ist allerdings, dass der spätere Eingriff in der Mehrheitsklausel bereits hinreichend klar zum Ausdruck kommt, so dass die alsdann erfolgende Beschlussfassung nur noch einem Inkraftsetzen der bereits antizipiert vereinbarten Regelung gleichkommt (s. auch noch Rz. 107).303 Sofern die einschlägigen Beschlussfassungskompetenzen keine anderweitigen Form- oder Verfahrensvorgaben bereithalten, bietet es sich an, sich an § 108 Abs. 2 Satz 2, § 177 Abs. 2 Satz 2 BGB anzulehnen, so dass die Gesellschafter demjenigen Gesellschafter, auf den sich das Zustimmungserfordernis bezieht, eine Erklärungsfrist setzen können304 und eine nicht innerhalb der Frist erteilte Zustimmung als Verweigerung gilt.305 Die Genehmigung wirkt auf den Zeitpunkt der „Vornahme“ des Beschlusses zurück, so dass der Beschluss als von Anfang an wirksam zu behandeln ist.306
7. Protokollierung, Beurkundung, Beschlusseintragung und Beschlussausführung als bloße beschlussanknüpfende Akte Nichts mehr mit dem eigentlichen Vorgang der Willensbildung und damit dem Beschluss- 85 verfahren zu tun hat es, wenn das Zustandekommen und der Inhalt eines Beschlusses protokolliert oder beurkundet werden oder der Beschluss in ein Register eingetragen wird. Bei derartigen Vorgängen handelt es sich vielmehr um an einen bereits fertigen Beschluss anknüpfende Formalakte.307 Vom Vorgang der Willensbildung im Beschlusswege abzugrenzen ist auch die Ausführung eines Beschlusses.308 Willensbildung ist nicht Willensbekundung. Die Willensbekundung folgt der Willensbildung vielmehr zeitlich nach, kann unterschiedlicher Natur sein und ist keinesfalls immer zwingende Folge einer Willensbildung im Beschlusswege.309 Denkbar ist eine entsprechende Ausführungshandlung vielmehr überhaupt nur dort, wo due Willensbildung im Beschlusswege noch einer praktischen Umsetzung – etwa in Form einer Erklärung – bedarf und nicht schon aus sich heraus wirkt.
302 Zurückhaltender BGH v. 25.5.2009 – II ZR 259/07, NJW-RR 2009, 1264 Rz. 19, wonach in Stimmabgabe erforderliche Zustimmung liegen könne. 303 Vgl. hierzu im Hinblick auf § 707 BGB etwa BGH v. 25.5.2009 – II ZR 259/07, NJW-RR 2009, 1264 Rz. 18 m.w.N.; ferner Wiedemann, WM 1992, Sonderbeilage Nr. 7, S. 28. 304 Siehe auch RGZ 136, 185, 192 (GmbH); Lohrmann, Anwendbarkeit der §§ 104–185 BGB auf die Stimmabgabe und den Gesellschafterbeschluss, 2019, S. 249; Raiser/C. Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2020, Anh. § 47 GmbHG Rz. 23. 305 So auch Lohrmann, Anwendbarkeit der §§ 104–185 BGB auf die Stimmabgabe und den Gesellschafterbeschluss, 2019, S. 249. 306 Vgl. auch Raiser/C. Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2020, Anh. § 47 GmbHG Rz. 23; a.A. ohne nähere Begründung Lohrmann, Anwendbarkeit der §§ 104–185 BGB auf die Stimmabgabe und den Gesellschafterbeschluss, 2019, S. 249. 307 Treffend Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion, 1965, S. 126; in Bezug auf vorgeschriebene Beurkundung zumindest missverständlich Jüdel, Gesellschafterbeschlüsse bei Personalgesellschaften, 1933, S. 53: Ist eine Beurkundung vorgeschrieben, so ist der Beschluss „erst mit ihr vorhanden.“ 308 Vgl. etwa Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion, 1933, S. 128 f.; O. von Gierke, Die Genossenschaftstheorie und die deutsche Rechtsprechung, 1887, S. 693 ff.; Manigk, Die Privatautonomie im Aufbau der Rechtsquellen, 1935, S. 58; K. Schmidt, GesR, 4. Aufl. 2002, S. 439 f.; implizit etwa RGZ 68, 381, 385 (GmbH). 309 Ebenso Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion, 1965, S. 128. Holle | 277
§ 714 BGB Rz. 86 | Rechtsfähige Gesellschaft
IV. Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz 1. Problemstellung 86 § 714 BGB geht für die Beschlussfassung bei der GbR – wie auch bei den sonstigen Personen-
gesellschaften (§ 109 Abs. 3 HGB, § 161 Abs. 2 HGB) – vom Einstimmigkeitsprinzip aus. Den Gesellschaftern steht es im Ausgangspunkt frei, zu vereinbaren, dass Beschlüsse abweichend von der gesetzlichen Regel des § 714 BGB mit Stimmenmehrheit gefasst werden. Sich auf das Mehrheitsprinzip zu verständigen, kann insbesondere bei größeren Zusammenschlüssen sinnvoll sein, um eine erleichterte und flexiblere Entscheidungsfindung und damit eine erhöhte Handlungsfähigkeit der Gesellschaft zu erreichen: Die im Rahmen des Zustimmungsprinzips gegebene Möglichkeit jedes Gesellschafters, durch ein bloßes Fernbleiben von der Abstimmung die Beschlussfassung zu verhindern oder durch eine ablehnende Stimmabgabe anderen Gesellschaftern seinen Willen aufzuzwingen, wird durch eine mehrheitliche Beschlussfassung eingeschränkt. Sie macht es möglich, dass ein Beschlussantrag auch gegen den ausdrücklichen Willen einzelner Gesellschafter angenommen und hierdurch eine Änderung des gegenwärtigen Zustands erzielt werden kann. Das generelle Interesse, eine Entscheidungsregel zu haben, die die Aktionsfähigkeit gewährleistet, überwiegt insoweit das individuelle Interesse Einzelner, nicht übergangen zu werden. Das Optieren gerade zugunsten der Mehrheit sorgt dafür, dass der Kreis der übergangenen Personen am kleinsten bleibt.310
87 Mehrheitsbeschlüsse zeichnen sich dadurch aus, dass sie auch überstimmte sowie solche Ge-
sellschafter binden, die der Abstimmung fern geblieben sind. Sie rücken damit von dem Ideal ab, wonach der Einzelne grundsätzlich nur insoweit an privatautonom ausgehandelte Verpflichtungen gebunden ist, wie er diese konsentiert hat. Das ist vor allem dann problematisch, wenn Entscheidungen im Mehrheitswege getroffen werden können, die die vertraglichen Grundlagen der Gesellschaft betreffen oder in Mitgliedschaftsrechte eingreifen. Aber auch bei Entscheidungen, die die laufende Verwaltung zum Gegenstand haben, kann sich die Frage stellen, ob die Herrschaft der Mehrheit grenzenlos ist.
2. Erfordernis und Entwicklungslinien des Minderheitenschutzes (Meinungsstand) a) Entwicklung der Rechtsprechung 88 Die Rechtsprechung war lange Zeit bestrebt, die Minderheit bereits auf einer formalen Ebene
zu schützen. Instrument hierfür war der sog. Bestimmtheitsgrundsatz. Nach diesem genügte eine einfache Klausel, wonach die Gesellschafter ihre Entscheidungen durch Mehrheitsbeschluss treffen, zunächst nur, um solche Mehrheitsbeschlüsse zu legitimieren, die ausschließlich die Geschäftsführung betrafen. Vertragsänderungen waren von einer „einfachen Mehrheitsklausel“ nur getragen, wenn sie den einzelnen Gesellschafter nicht in seiner persönlichen Rechtsstellung berührten. War hingegen eine Regelung Beschlussgegenstand, die sich wie etwa eine Betragserhöhung nachteilig auf die Vermögensposition oder die rechtliche Situation des einzelnen Gesellschafters auswirkte, waren die Anforderungen an die formale Legitimation höher. Insoweit war erforderlich, dass sich aus dem Gesellschaftsvertrag ein-
310 Ausführlich zur Rechtfertigung des Mehrheitsprinzips etwa Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion, 1965, S. 212 ff., 215 f.; Fastrich, Funktionales Rechtsdenken am Beispiel des Gesellschaftsrechts, 2001, S. 19 ff.
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Beschlussfassung | Rz. 91 § 714 BGB
deutig ergab, dass der in Frage stehende Beschlussgegenstand einer Mehrheitsentscheidung unterworfen sein sollte (sog. qualifizierte Mehrheitsklausel).311 Der auf formaler Ebene geschaffene Schutz durch den Bestimmtheitsgrundsatz wurde auf 89 materieller durch die sog. Kernbereichslehre flankiert. Nach dieser verbleibt jedem Gesellschafter ein Kernbereich von Rechten, der die individuelle rechtliche und vermögensmäßige Position des Gesellschafters bestimmt und nicht zur beliebigen Disposition der Mehrheit steht.312 Als berührt angesehen wurde der Kernbereich jedenfalls bei Eingriffen in das Stimm-, Gewinn-, Geschäftsführungs- und Liquidationsbeteiligungsrecht,313 in das Recht, an der Bilanzfeststellung mitzuwirken,314 bei einem völligem Entzug des Informationsrechts bei erlaubter Konkurrenztätigkeit,315 bei einem Entzug und der Begründung von Sonderrechten, bei Eingriffen in die vermögensmäßige Rechtsstellung der Gesellschafter sowie bei Eingriffen in die actio pro socio.316 Griff ein Beschluss in den Kernbereich ein, war er nur wirksam, wenn er von sämtlichen der betroffenen Gesellschafter konsentiert war. Mit dieser Konsentierung war allerdings nicht die zustimmende Stimmabgabe zu dem Beschlussantrag gemeint, sondern eine davon losgelöste Zustimmung zu dem Mehrheitsbeschluss i.S.d. §§ 182 ff. BGB, die nur auch in einer Zustimmung zum Beschlussantrag zum Ausdruck kommen konnte.317 Mittlerweile hat sich die Rechtsprechung sowohl vom Bestimmtheitsgrundsatz als auch von 90 der Kernbereichslehre distanziert. Um formal zu ermitteln, ob der konkrete Beschlussgegenstand dem Mehrheitsprinzip unterstellt ist, rekurriert die Rechtsprechung nunmehr ausschließlich auf die allgemeinen Auslegungsgrundsätze.318 Danach genügt es auch im Hinblick auf Vertragsänderungen, wenn die Auslegung des Gesellschaftsvertrags ergibt, dass der betreffende Beschlussgegenstand einer Mehrheitsentscheidung unterworfen sein solle.319 In materieller Hinsicht hat BGH seine Herangehensweise zunächst dahingehend präzisiert, 91 dass zu prüfen sei, „ob trotz Zulassung der betreffenden Mehrheitsentscheidung im Gesellschaftsvertrag ein unzulässiger Eingriff in schlechthin unverzichtbare oder in ‚relativ unentziehbare‘, das heißt in nur mit (gegebenenfalls antizipierter) Zustimmung des einzelnen Gesellschafters oder aus wichtigem Grund entziehbare Mitgliedschaftsrechte vorliegt.“320 Im zweiten Fall komme „es darauf an, ob die Gesellschaftermehrheit die inhaltlichen Grenzen der ihr erteilten Ermächtigung eingehalten und sie sich nicht etwa treupflichtwidrig über beachtenswerte Belange der Minderheit hinweggesetzt hat.“321 Dies bedeute nicht, „dass einer – durch den Gesellschaftsvertrag eindeutig legitimierten – Mehrheit im Rechtsstreit der Nachweis einer 311 Vgl. etwa RG v. 23.11.1917 – II 242/17, RGZ 91, 166, 168 f.; RG v. 15.5.1936 – II 291/35, RGZ 151, 321, 327; RG v. 13.4.1940 – II 143/39, RGZ 163, 385, 391; BGH v. 12.11.1952 – II ZR 260/51, BGHZ 8, 35, 41 f. = NJW 1953, 102; BGH v. 15.11.1982 – II ZR 62/82, BGHZ 85, 350, 355 f. = NJW 1983, 1056 = ZIP 1983, 303; weitere Nachweise bei BGH v. 15.1.2007 – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 Rz. 9 = NJW 2007, 1685 = ZIP 2007, 475 (Otto); Marburger, NJW 1984, 2252, 2255 ff.; anschaulicher Überblick über den Bestimmtheitsgrundsatz noch bei C. Schäfer, ZGR 2013, 237, 239 ff. 312 Vgl. etwa BGH v. 14.5.1956 – II ZR 229/54, BGHZ 20, 363, 369 f. = NJW 1956, 1198; BGH v. 10.10.1994 – II ZR 18/94, NJW 1995, 194, 195 = ZIP 1994, 1942. 313 BGH v. 10.10.1994 – II ZR 18/94, NJW 1995, 194, 195 = ZIP 1994, 1942. 314 BGH v. 29.3.1996 – II ZR 263/94, BGHZ 132, 263, 268 = NJW 1996, 1678 = ZIP 1996, 750. 315 BGH v. 10.10.1994 – II ZR 18/94, NJW 1995, 194, 195 = ZIP 1994, 1942. 316 Zu den zuletzt genannten Eingriffen anschaulich Löffler, NJW 1989, 2656, 2658 ff. 317 Vgl. Löffler, NJW 1989, 2656, 2661. 318 Deutlich BGH v. 17.9.2013 – II ZR 68/11, NZG 2014, 302 Rz. 23; BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/ 13, BGHZ 203, 77 Rz. 9 f., 14 ff. = NJW 2015, 859 = ZIP 2014, 2231. 319 BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rz. 14 ff. = NJW 2015, 859 = ZIP 2014, 2231; BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, NJW 2015, 859 = ZIP 2014, 2231. 320 BGH v. 15.1.2007 – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 Rz. 10 = NJW 2007, 1685 (Otto) = ZIP 2007, 475. 321 BGH v. 15.1.2007 – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 Rz. 10 = NJW 2007, 1685 (Otto) = ZIP 2007, 475. Holle | 279
§ 714 BGB Rz. 91 | Rechtsfähige Gesellschaft sachlichen Rechtfertigung des Beschlusses obliegt (…);“ vielmehr habe „umgekehrt die Minderheit den Nachweis einer treupflichtwidrigen Mehrheitsentscheidung zu führen“.322 In späteren Entscheidungen hält der BGH fest, dass er bei der Prüfung der materiellen Unwirksamkeit nicht (mehr) darauf abstelle, ob ein Eingriff in den „Kernbereich“ gegeben sei.323 Der Kreis der nicht ohne weiteres durch Mehrheitsbeschluss entziehbaren Rechte lasse sich nicht abstrakt und ohne Berücksichtigung der konkreten Struktur der jeweiligen Personengesellschaft und einer etwaigen besonderen Stellung des betroffenen Gesellschafters umschreiben.324 Abgesehen von unverzichtbaren und schon deshalb unentziehbaren Rechten – unabhängig davon, ob und in welchem Umfang man solche überhaupt anerkennen wolle – komme es bei Eingriffen in die individuelle Rechtsstellung des Gesellschafters, das heißt in seine rechtliche und vermögensmäßige Position in der Gesellschaft, letztlich maßgeblich immer darauf an, ob der Eingriff im Interesse der Gesellschaft geboten und dem betroffenen Gesellschafter unter Berücksichtigung seiner eigenen schutzwerten Belange zumutbar sei.325 b) Resonanz in der Lehre 92 Die Lehre stand Bestimmtheitsgrundsatz schon seit längerer Zeit kritisch gegenüber. Dement-
sprechend wurde die Abkehr vom Bestimmtheitsgrundsatz nahezu durchweg begrüßt.326 93 Differenzierter beurteilt die Lehre die Abwendung von der Kernbereichslehre. Diejenigen
Literaturstimmen, die sich für eine Fortgeltung der Kernbereichslehre aussprechen, argumentieren, dass sich eine rechtssichere Voraussage über die Wirksamkeit von Mehrheitsbeschlüssen erschwere, wenn fortan nur mehr auf eine kaum prognostizierbare Interessenabwägung im Einzelfall abzustellen sei.327 Befürworter der Rechtsprechungsänderung halten entgegen, dass es seit jeher an gesetzlichen Anhaltspunkten für die Bestimmung eines pauschal festgelegten Kreises kernbereichsrelevanter Beschlussgegenstände gefehlt habe. Angesichts der Vielfalt unterschiedlicher Erscheinungsformen sowohl der Personengesellschaften als auch der in ihnen bestehenden Mitgliedschaften müsse es schlussendlich immer vom Einzelfall abhängig gemacht werden, ob die Unterwerfung unter die Mehrheitsmacht zumutbar oder unzumutbar ist.328 Demzufolge bedürfe es ohnehin der Kontrolle der Mehrheitsentscheidung anhand des Grundsatzes von Treu und Glauben und die Treuepflicht könne durchaus gebieten, bestimmte Eingriffe in „Kernbereiche“ der Mitgliedschaft zuzulassen.329 Abgesehen hiervon gehe mit der Kernbereichslehre ein zwangsweiser Schutz der Minderheit vor einer unbedachten Unterwerfung unter Mehrheitsentscheidungen einher, der aus ökonomischer Sicht problematisch sei:330 Eine gesellschaftsvertragliche Auflistung derjenigen kernbereichsrelevanten Beschlussgegenstände, denen die Gesellschafter bei der Gründung bzw. beim Beitritt bereits antizipiert ihre Zustimmung erteilen wollen, sei sowohl wegen der Vagheit des Begriffs „Kernbereich“ als auch wegen der hohen Anforderungen an die Bestimmtheit antizipierter Zustimmungen in der Praxis kaum denkbar. Damit bewirke die Kernbereichslehre den Schutz selbst solcher Gesellschafter, die ex ante durchaus ihre Zustim322 BGH v. 15.1.2007 – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 Rz. 10 = NJW 2007, 1685 (Otto) = ZIP 2007, 475. 323 BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rz. 19; BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, ZIP 2014, 2231 = NJW 2015, 859. 324 BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rz. 19; BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, ZIP 2014, 2231 = NJW 2015, 859. 325 BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rz. 19; BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, ZIP 2014, 2231 = NJW 2015, 859. 326 Vgl. etwa Armbrüster, NZG 2016, 121, 123; Risse/Höfling, NZG 2017, 1131, 1133; Schäfer NZG 2014, 1401; Ulmer, ZIP 2015, 657; Weber, ZfPW 2015, 123. 327 Siehe etwa Priester, NZG 2015, 529, 530; Schäfer, ZIP 2015, 1313, 1315; Ulmer, ZIP 2015, 657, 659. 328 Kleindiek, GmbHR 2017, 674, 676 f.; letztlich auch Weber, ZfPW 2015, 123, 127. 329 Kleindiek, GmbHR 2017, 674, 676; Weber, ZfPW 2015, 123, 127. 330 Siehe zum Folgenden Klöhn, AcP 216 (2016), 281, 305 ff.
280 | Holle
Beschlussfassung | Rz. 96 § 714 BGB
mung zu einer später gegen ihre Stimme mehrheitlich beschlossenen Maßnahme erteilt hätten. Dies setze Anreize zu opportunistischem Verhalten, die auch deswegen nicht überzeugen könnten, weil sich jeder Gesellschafter unvorhergesehen auf Seite der Mehr- oder Minderheit befinden könne.
3. System eines Minderheitenschutzes bei Personengesellschaften a) Formelle Ebene: Keine erhöhten Anforderungen an die Bestimmtheit der Mehrheitsklausel Der skizzierte Meinungsstand sowie die darin zum Ausdruck kommenden Entwicklungslini- 94 en namentlich in der Rechtsprechung veranschaulichen, dass sich prinzipiell mehrere Wege anbieten, um überstimmte Gesellschafter zu schützen. Denkbar ist zunächst ein formaler Schutz dadurch, dass die Beschlussgegenstände, die dem Mehrheitsprinzip unterworfen sein sollen, explizit in der Mehrheitsklausel aufgelistet werden müssen, so dass jeder Gesellschafter „gewarnt“ ist. Des Weiteren können gewisse Rechte eines Gesellschafters von vornherein für unverzichtbar erklärt werden, so dass die Gesellschafter weder mehrheitlich noch einstimmig durch Beschluss oder sonstwie über diese disponieren können. Ebenso können gewisse Rechte der Gesellschafter aber auch als lediglich unentziehbar eingestuft werden. Anders als unverzichtbare Rechte können unentziehbare Rechte unter der Voraussetzung entzogen werden, dass der betroffene Gesellschafter dem Entzug zustimmt. Noch flexibler wird die Rechtsanwendung, wenn man die Minderheit lediglich dadurch zu schützen sucht, dass man Beschlüsse einer gerichtlichen Ausübungskontrolle im Einzelfall unterwirft (materielle Beschlusskontrolle). Anders als bei unentziehbaren Rechten kann hierbei auch ohne individuelle Zustimmung in Rechte eines betroffenen Gesellschafters eingegriffen werden, solange dieser Eingriff im Einzelfall angemessen erscheint. Den Ansatz, die Minderheit mithilfe des Bestimmtheitsgrundsatzes bereits auf formaler 95 Ebene zu schützen, haben Rechtsprechung und Literatur schlussendlich zu Recht umfänglich verworfen. Dies war schon deswegen überzeugend, weil der Ansatz im Laufe der Zeit seine Schutzwirkung mehr und mehr einbüßte. Denn das Erfordernis, dass die Beschlussfassungskompetenz die Entscheidungen, die durch Mehrheitsbeschluss getroffen werden konnten, eindeutig zum Ausdruck bringen musste, wurde von der Kautelarjurisprudenz pflichtbewusst in umfassende und standardisierte Beschlusskataloge übersetzt. Hierdurch konnte der Bestimmtheitsgrundsatz die mit ihm intendierte Warnfunktion nur noch eingeschränkt erfüllen. Hinzu kommt, dass sich der Bestimmtheitsgrundsatz als zu sperrig erweist. Als formal gehaltenes Instrument kann er von einzelnen Gesellschaftern nämlich auch instrumentalisiert werden, um eine im Interesse der Gesellschaft gebotene Vertragsänderungen zu blockieren. Lässt man den Bestimmtheitsgrundsatz fallen, gilt für Mehrheitsbeschlüsse auf formaler Ebe- 96 ne dasselbe wie für sonstige Beschlussfassungen auch. Es bedarf einer Beschlussfassungskompetenz, aus der sich im Auslegungswege ermitteln lassen muss, über welche Gegenstände und nach welchen Modalitäten Beschluss gefasst werden kann. Mehrheitsbeschlüsse unterscheiden sich von sonstigen Beschlussfassungen danach nur noch durch das Abstimmungsprinzip. Bei ihnen muss sich aus der Beschlussfassungskompetenz ergeben, dass mehrheitlich Beschluss gefasst werden kann. Entgegen vereinzelter Stimmen kann das grundsätzlich schon dann der Fall sein, wenn „für sämtliche Beschlussangelegenheiten“ eine Mehrheitsentscheidung zugelassen wird.331 331 BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rz. 14 = NJW 2015, 859 = GmbHR 2014, 1303; a.A. Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 709 BGB Rz. 90; vorsichtiger Schäfer, ZIP 2021, 1527 f. Holle | 281
§ 714 BGB Rz. 97 | Rechtsfähige Gesellschaft b) Materielle Ebene: Dreistufiges Schutzkonzept aa) Unverzichtbare Rechte 97 Verwirft man den Bestimmtheitsgrundsatz, gilt es, das legitime Interesse, Mehrheitsentschei-
dungen fassen zu können, und den Schutz der Minderheit vor Fremdbestimmung auf materieller Ebene auszutarieren. Hier ist dem BGH zunächst insofern zu folgen, als er die Existenz unverzichtbarer Rechte andeutet, über die sich die Gesellschafter auch nicht mit Zustimmung des betroffenen Gesellschafters hinwegsetzen können.332 Bei solchen Rechten handelt es sich letztlich um indisponible Rechtspositionen. Über solche Rechtspositionen könnten sich die Gesellschafter also auch im Vertragswege nicht hinwegsetzen. 98 Charakteristisches Merkmal der unverzichtbaren Rechte ist, dass es sich um elementare Mit-
gliedschaftsrechte handelt, ohne die der Gesellschafter keine Kontrolle und keinen Einfluss in der Gesellschaft zur Steuerung seiner Haftungslage hätte.333 Zu den indisponiblen Beschlussgegenständen gehören demnach insbesondere der Ausschluss des Kündigungsrechts aus wichtigem Grund (§ 727 BGB, § 134 HGB), bestimmte Informationsrechte (§ 717 BGB, § 166 HGB), der dauerhafte und vollständige Ausschluss des Teilnahmerechts in der Gesellschafterversammlung sowie des Rechts, gegen rechtswidrige Beschlüsse vorgehen oder eine actio pro socio (§ 715b BGB) erheben zu können.334 99 Beschlüsse, die derartige Rechtspositionen zum Gegenstand haben, entfalten von vornherein
keinerlei Rechtswirkungen. Aus praktischer Sicht macht es keinen Unterschied, ob man diese Rechtsfolge der Wertung des § 134 BGB entnimmt oder sie auf gesetzliche Beschränkungen der Gestaltungsmacht stützt. Aus dogmatischer Sicht ist es freilich präziser, Beschlüsse, die derartige Rechtspositionen zum Gegenstand haben, nicht „erst“ wegen eines Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nach § 134 BGB als nichtig anzusehen.335 Sie sind bereits deswegen wirkungslos, weil die Gestaltungsmacht der Beteiligten insofern von vornherein beschränkt ist.336 Eingeschränkt ist nicht das rechtliche „Dürfen“, sondern schon das rechtliche „Können“.337 bb) Unentziehbare Rechte 100 Schwieriger zu beantworten ist, inwieweit über die unverzichtbaren Rechte hinaus ein fixer
Kernbereich von Rechten anzuerkennen ist, in die „nur mit (gegebenenfalls antizipierter) Zustimmung des einzelnen Gesellschafters oder aus wichtigem Grund“ eingegriffen werden
332 BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rz. 19 = GmbHR 2014, 1303= NJW 2015, 859. 333 Enzinger in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 119 HGB Rz. 68; Neumann, ZIP 2017, 1141, 1143. 334 Vgl. auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 229; Enzinger in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 119 HGB Rz. 68; Koch, ZHR 182 (2018), 378, 404; Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 119 HGB Rz. 56; Neumann, ZIP 2017, 1141, 1143; ferner Blath, RNotZ 2017, 218, 220 (bezogen auf die GmbH). 335 So aber etwa Neumann, ZIP 2017, 1141, 1143. 336 Vgl. etwa Armbrüster in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2021, § 134 BGB Rz. 9; Bork, BGB AT, 4. Aufl. 2016, Rz. 1097; Deinert, Zwingendes Recht, 2002, S. 3 ff.; Dorn in Historisch-kritischer Kommentar BGB, 2003, §§ 134–137 BGB Rz. 1, 12; W. Flume, BGB AT II, 3. Aufl. 1979, S. 342 f.; Hey, Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, 2004, S. 110; Fischinger/Hengstberger in Staudinger (2021), § 134 BGB Rz. 10; Ulrici, JuS 2005, 1073 ff.; bezogen auf Beschlüsse vor allem Eberspächer, Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen nach § 241 Nr. 3 AktG, 2009, S. 37 ff.; Fluck, Fehlerhafte Vereinsbeschlüsse, 2017, S. 24 ff. 337 Bork, BGB AT, 4. Aufl. 2016, Rz. 1097.
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Beschlussfassung | Rz. 101 § 714 BGB
kann.338 Hier ist der Rechtsprechung zunächst insofern beizupflichten, als es bei Eingriffen in individuelle Rechtsstellung jenseits der unverzichtbaren Rechte des Gesellschafters am Ende immer darauf ankommt, ob der Eingriff im Interesse der Gesellschaft geboten und dem betroffenen Gesellschafter unter Berücksichtigung seiner eigenen schutzwerten Belange zumutbar ist.339 Die abstrakte Anerkennung von Rechten, in die ausschließlich mit Zustimmung des einzelnen Gesellschafters eingegriffen werden kann, macht allerdings einen Unterschied mit Blick darauf, wo diese Abwägung dogmatisch zu verorten ist. Lehnt man einen von vornherein anzuerkennenden Kernbereich ab, ist die Abwägung allgemein bei der Inhaltskontrolle des Beschlusses, konkret also bei der Frage vorzunehmen, ob die Mehrheit sich treupflichtwidrig über beachtenswerte Belange der Minderheit hinweggesetzt hat. Geht man von einem feststehenden Kernbereich aus, greift die gebotene Abwägung demgegenüber im Rahmen der Frage Platz, ob der dissentierende Gesellschafter ausnahmsweise kraft der Treuepflicht gehalten war, seine Zustimmung zu dem Beschluss zu erteilen. Diese Zustimmung muss auch nicht etwa im Wege der Leistungsklage nach § 894 ZPO gesondert erstritten werden, sondern kann inzident im Rahmen der Wirksamkeitsprüfung des Beschlusses geklärt werden (s. schon Rz. 41 a.E.). Die unterschiedliche dogmatische Verortung der Treuepflichtkontrolle hat dann Einfluss auf den gebotenen Begründungsaufwand sowie darauf, wem die Darlegungs- und Beweislast obliegt:340 Verortet man sie allgemein bei der Inhaltskontrolle des Beschlusses, ist Ausgangspunkt, dass die Mehrheit durch den Gesellschaftsvertrag zu dem Eingriff legitimiert ist und es daher der Minderheit obliegt, den Nachweis einer treupflichtwidrigen Mehrheitsentscheidung zu führen.341 Ist der Eingriff in den Kernbereich demgegenüber gesetzt, wäre die Mehrheit darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass der dissentierende Gesellschafter ausnahmsweise kraft der Treuepflicht zur Zustimmung verpflichtet ist.342 Die soeben skizzierten Folgen, die aus der unterschiedlichen dogmatischen Verortung der 101 Treuepflichtkontrolle resultieren, ließen sich noch einigermaßen harmonisieren, so dass anhand dieser für eine Streitentscheidung nicht zwangsläufig viel gewonnen werden kann.343 Nachdem der Gesetzgeber mit dem MoPeG zumindest für die Personenhandelsgesellschaften als gesetzlichen Regelfall in §§ 110 ff. HGB vorsieht, dass Beschlüsse innerhalb von drei Monaten angefochten werden müssen, wenn sie ihrem Inhalt nach nicht gegen indisponible Rechtsvorschriften verstoßen, muss ein anderer Gesichtspunkt als ausschlaggebend angesehen werden. Wer fortan nämlich auf einen fixen Katalog an zustimmungspflichtigen „Kernbereichsrechten“ verzichtet, schafft Abgrenzungsprobleme und Rechtsunsicherheiten, die der Gesetzgeber ausweislich der Regierungsbegründung bewusst ausschließen wollte. Dort verwirft der Gesetzgeber eine bloße Anfechtbarkeit bei Eingriffen in unentziehbare Rechte als unbilliges Ergebnis, weil hierdurch die Zustimmung mit einem bloßen Verstreichenlassen einer Klagefrist gleichgesetzt würde.344 Ein betroffener Gesellschafter soll also 338 BGH v. 15.1.2007 – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 Rz. 10 = ZIP 2007, 475 = NJW 2007, 1685 (Otto). 339 BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rz. 19 = GmbHR 2014, 1303 = NJW 2015, 859. 340 Deutlich auch Ulmer, ZIP 2015, 657, 660. 341 In diese Richtung BGH v. 15.1.2007 – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 Rz. 10 = ZIP 2007, 475 = NJW 2007, 1685 (Otto); anders aber augenscheinlich BGH v. 24.11.2008 – II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 Rz. 17 = ZIP 2009, 216 = NJW 2009, 669 (Schutzgemeinschaft II); BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rz. 12 = ZIP 2014, 2231 = NJW 2015, 859. 342 So wohl BGH v. 24.11.2008 – II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 Rz. 17 = ZIP 2009, 216 = NJW 2009, 669 (Schutzgemeinschaft II); BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rz. 12 = ZIP 2014, 2231 = NJW 2015, 859. 343 Vgl. dann auch Ulmer, ZIP 2015, 657, 660. 344 RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 230; dagegen auch schon etwa BGH v. 5.3.2007 – II ZR 282/05, NZG 2007, 381 Rz. 15 = ZIP 2007, 766; BGH v. 26.3.2007 – II ZR 22/06, NZG 2007, 582 Rz. 10 = ZIP 2007, 1368; BGH v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, BGHZ 183, 1 Rz. 12, 16 = NJW 2010, Holle | 283
§ 714 BGB Rz. 101 | Rechtsfähige Gesellschaft nicht faktisch gezwungen werden, sich einem Eingriff in ein unentziehbares Recht binnen dreimonatiger Klagefrist erwehren zu müssen. Eben ein solcher faktischer Zwang würde aber begründet, wenn man einem betroffenen Gesellschafter nicht einen feststehenden Katalog an Kernbereichsrechten an die Hand gibt, mittels dessen er beurteilen kann, ob ein Beschluss bis zu seiner – von der Mehrheit gegebenenfalls im Klagewege zu erstreitenden – Zustimmung unwirksam ist oder ob er im Wege der Anfechtungsklage klären muss, ob der Beschluss wirksam ist. Auch den übrigen Gesellschaftern ist durch einen feststehenden Katalog an Kernbereichsrechten besser gedient, weil sie anhand dessen rechtssicher beurteilen können, ob ein Beschluss nach drei Monaten in Bestandskraft erwächst und von ihnen umgesetzt werden kann. 102 Zu den mitwirkungspflichtigen Beschlussgegenständen zählt alsdann zuvorderst die Meh-
rung der Beiträge (§ 710 BGB). Die von den Gesellschaftern geschuldeten Beiträge können also nur mit ihrem Einverständnis erhöht werden.345 Das gilt allerdings nicht außerhalb des Bereichs des § 707 BGB bei Auflösung der Gesellschaft.346 Von der Mehrung der Beiträge ist ferner das Recht abzugrenzen, weitere Beiträge zu übernehmen. Wie einer Kapitalerhöhung wohnt einer solchen Maßnahme zwar die Gefahr inne, dass die Beteiligungsquote verwässert. Allein das rechtfertigt aber kein Zustimmungserfordernis.347 Anderes muss erst dann gelten, wenn das Beteiligungsrecht einzelner Gesellschafter ausgeschlossen oder einzelne Gesellschafter zum Ausschluss anderer Gesellschafter besonders ermächtigt werden.348 Die Zustimmung ist auch dann entbehrlich, wenn nur Zahlungsmodalitäten oder die Fälligkeitsregelung für eine bestehende Pflichteinlage geändert werden.349 103 Die Zustimmung des Gesellschafters ist weiter dann erforderlich, wenn ein Vetorecht des
Gesellschafters bei der Anteilsübertragung aufgehoben werden soll. Denn der Verlust des Vetorechts führt dazu, dass dem Gesellschafter künftig auch gegen seinen Willen eine andere Person als Gesellschafter aufgezwungen werden kann.350 Ebenso bedarf es der Zustimmung des Gesellschafters, wenn die Übertragbarkeit der Mitgliedschaft aufgehoben werden soll (Vinkulierung).351 104 Ebenfalls den unentziehbaren Rechten zugeschrieben werden die Rechte, in die bei fehlender
Zustimmung des betroffenen Gesellschafters nur aus wichtigem Grund eingegriffen werden kann. Bei diesen kann der betroffene Gesellschafter zwar nicht pauschal darauf vertrauen, dass der Beschluss ohne seine – gegebenenfalls antizipierte – Zustimmung nicht wirksam werden kann. Weil es für das Wirksamwerden eines wichtigen Grundes bedarf, der von der Mehrheit darzulegen und zu beweisen ist, besteht auch bei dieser Kategorie von Rechten aber eine gewisse Abkantung hin zu sonstigen Rechten, in die die Mehrheit grundsätzlich ohne weiteres eingreifen kann. Zu den Rechten, in die bei fehlender Zustimmung des betroffenen Gesellschafters nur aus wichtigem Grund eingegriffen werden kann, zählen zunächst einige gesetzlich geregelte Fälle, nämlich die dauerhafte Entziehung der Geschäftsführungs-
345 346 347 348 349 350 351
65 (Sanieren oder Ausscheiden) = ZIP 2009, 2289; BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rz. 17 = NJW 2015, 859 = ZIP 2014, 2231; Schäfer in FS Bergmann, 2018, S. 617, 627. BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rz. 10, 17 = NJW 2015, 859 = GmbHR 2014, 1303. BGH v. 11.10.2011 – II ZR 242/09, NZG 2011, 1432 Rz. 40 = ZIP 2011, 2299; BGH v. 15.11.2011 – II ZR 266/09, BGHZ 191, 293 Rz. 20 = NJW 2012, 1439 = ZIP 2012, 515. Enzinger in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 119 HGB Rz. 74; Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 119 HGB Rz. 57. Enzinger in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 119 HGB Rz. 74; Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 119 HGB Rz. 57; Löffler, NJW 1989, 2656, 2659. OLG München v. 12.10.2016 – 7 U 2180/16, ZIP 2017, 679. Lieder, ZfPW 2016, 205, 216 f. Lieder, ZfPW 2016, 205, 219 f.
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Beschlussfassung | Rz. 106 § 714 BGB
(§ 715 Abs. 5 BGB, § 116 Abs. 5 HGB)352 oder der Vertretungsbefugnis (§ 720 Abs. 4 BGB, § 124 Abs. 5 HGB)353 sowie der Ausschluss aus der Gesellschaft (§ 727 BGB, § 134 HGB).354 Abgesehen von diesen im Gesetz geregelten Fällen bedarf es eines wichtigen Grundes oder der Zustimmung des betroffenen Gesellschafters, wenn ein Sonderrecht (§ 35 BGB),355 das Stimmrecht in Bezug auf Kernbereichsangelegenheiten,356 das Informationsrecht (außerhalb § 717 Abs. 1 BGB),357 das Gewinnbezugsrecht358 oder das Recht auf einen Liquidationserlös359 entzogen werden soll. Gleiches gilt für eine Änderung des Gesellschaftszwecks.360 Für eine nur graduelle Einschränkung dieser Rechte kann anderes gelten. Nicht zustimmungspflichtig oder durch einen wichtigen Grund besonders zu rechtfertigen 105 sind Eingriffe in die Befugnis zur Feststellung des Jahresabschlusses361 und in die Auseinandersetzungsbilanz.362 Gleiches muss für die Bildung von Rücklagen gelten.363. Ebenso kann durch bloßen Mehrheitsbeschluss die Gesellschaft verlängert364 oder ein neues Mitglied aufgenommen werden365. Ein Mehrheitsbeschluss genügt zutreffender Auffassung nach ferner dann, wenn wesentliche Unternehmensteile veräußert werden sollen. Entsprechend der Wertung des § 179a AktG müssen selbst dann, wenn (nahezu) das gesamte Vermögen veräußert oder die Auflösung beschlossen wird, nicht sämtliche Gesellschafter, sondern nur eine qualifizierte Mehrheit zustimmen.366 Liegt ein Eingriff in ein unentziehbares Recht vor, der gegebenenfalls auch nicht durch einen 106 wichtigen Grund getragen wird, kann der auf der Grundlage einer entsprechenden Mehrheitsklausel gefasste Beschluss diesen für sich genommen nicht legitimieren. Erst die Zustimmung des betroffenen Gesellschafters kann zur Folge haben, dass der im Beschlusswege gebildete Wille die mit ihm intendierten Rechtswirkungen zeitigt. In rechtsdogmatischer Hin-
352 Karrer, NZG 2009, 932, 933; Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 119 HGB Rz. 59; Neumann, ZIP 2017, 1141, 1143; Schäfer in FS Bergmann, 2018, S. 617, 624. 353 Karrer, NZG 2009, 932, 933; Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 119 HGB Rz. 59. 354 BGH v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, BGHZ 183, 1 Rz. 16 = NJW 2010, 65 = GmbHR 2010, 32 (Sanieren oder Ausscheiden); W. Goette/M. Goette, DStR 2016, 74, 81. 355 Blath, RNotZ 2017, 218, 221; Neumann, ZIP 2017, 1141, 1143; für die Möglichkeit der Einräumung entziehbarer Sonderrechte Beuthien, ZGR 2014, 24 ff. 356 BGH v. 14.5.1956 – II ZR 229/54, BGHZ 20, 363, 367 ff. = NJW 1956, 1198; Blath, RNotZ 2017, 218, 220; Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 119 HGB Rz. 59; Schäfer in FS Bergmann, 2018, S. 617, 624. 357 BGH v. 10.10.1994 – II ZR 18/94, NJW 1995, 194, 195 = ZIP 1994, 1942; Enzinger in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 119 HGB Rz. 72; Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 119 HGB Rz. 59. 358 Blath, RNotZ 2017, 218, 220; Neumann, ZIP 2017, 1141, 1143; Schäfer in FS Bergmann, 2018, S. 617, 624; vgl. auch BGH v. 15.1.2007 – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 Rz. 14 = GmbHR 2007, 437 = NJW 2007, 1685 (Otto). 359 Blath, RNotZ 2017, 218, 220; Neumann, ZIP 2017, 1141, 1143. 360 Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 119 HGB Rz. 59; Löffler, NJW 1989, 2656, 2659. 361 BGH v. 15.1.2007 – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 Rz. 14 = NJW 2007, 1685 (Otto) = ZIP 2007, 475; anders noch BGH v. 29.3.1996 – II ZR 263/94, BGHZ 132, 263, 266 = GmbHR 1996, 456 = NJW 1996, 1678. 362 BGH v. 15.11.2011 – II ZR 266/09, BGHZ 191, 293 Rz. 20 = ZIP 2012, 515 = NJW 2012, 1439. 363 Ebenso Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 119 HGB Rz. 59a; anders Schäfer in FS Bergmann, 2018, S. 617, 624; offenlassend BGH v. 15.1.2007 – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 Rz. 14 = ZIP 2007, 475 = NJW 2007, 1685 (Otto). 364 Ebenso Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 119 HGB Rz. 59a. 365 Ebenso Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 119 HGB Rz. 59a; anders für personalistische Gesellschaften Schäfer in FS Bergmann, 2018, S. 617, 624 f. 366 Überzeugend Weber, DNotZ 2018, 96, 126 f.; ebenso Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 119 HGB Rz. 61. Holle | 285
§ 714 BGB Rz. 106 | Rechtsfähige Gesellschaft sicht kann es sich bei dieser Zustimmung folglich nicht schon um die Zustimmung bei der Beschlussfassung handeln. Erforderlich ist vielmehr die Zustimmung zu dem Beschluss selbst. Die Zustimmung des Betroffenen kann grundsätzlich formfrei367 vor, während oder nach der eigentlichen Beschlussfassung ad hoc oder zu einem früheren Zeitpunkt antizipiert gegenüber der Gesellschaft erklärt werden. 107 Sofern der betroffene Gesellschafter im Rahmen der Beschlussfassung mit „Ja“ gestimmt
hat, wird man dies regelmäßig als gleichzeitige Zustimmung zum Beschluss als solchen zu werten haben.368 Bei einer antizipierten Zustimmung ist zu beachten, dass eine solche nicht schon in einer einfachen Mehrheitsklausel erblickt werden kann.369 Vielmehr muss sich die Zustimmung auf den konkreten Beschlussgegenstand beziehen und das konkrete Ausmaß sowie ihre Reichweite eindeutig erkennen lassen (siehe auch schon Rz. 84).370 So muss die antizipierte Zustimmung zu einer Beitragsvermehrung etwa ausweisen, bis zu welchem konkreten Betrag die Beitragspflicht erweitert werden darf.371 Fehlt die Zustimmung, geht der BGH davon aus, dass der Beschluss gegenüber dem nicht zustimmenden Gesellschafter (relativ) unwirksam ist.372 Eine dogmatische Begründung hierfür lässt sich allerdings nicht finden.373 Überzeugender ist es, danach zu fragen, ob der Inhalt des Beschlusses im Wege der Umdeutung dahin modifiziert werden kann, dass die anvisierte Beitragserhöhung gegebenenfalls nur unter den zustimmenden Gesellschaftern wirken soll.374 Der hypothetische Wille (aller)375 Gesellschafter muss dahin gehen, die Beitragserhöhung trotz des Umstands eintreten zu lassen, dass nicht sämtliche Gesellschafter verpflichtet sind, sie mitzugehen. Der Beschluss wirkt dann unter allen Gesellschaftern, nimmt aber nur die zustimmenden in die Pflicht. Lässt sich ein dahingehender hypothetischer Wille der Gesellschafter nicht annehmen, ist die Beitragserhöhung hingegen insgesamt gescheitert.376 108 Wie bereits angedeutet (Rz. 100) ist die Zustimmung ausnahmsweise entbehrlich, wenn die
Mehrheit darlegen und nachweisen kann, dass der betroffene Gesellschafter aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht zur Mitwirkung verpflichtet ist. Das ist anzunehmen, wenn die zu beschließende Maßnahme zur Erhaltung wesentlicher Werte, die die Gesellschafter geschaffen haben, oder zur Vermeidung erheblicher Verluste, die die Gesellschaft beziehungsweise die Gesellschafter erleiden könnten, objektiv unabweisbar erforderlich ist und den Gesellschaftern unter Berücksichtigung ihrer eigenen schutzwürdigen Belange zumutbar ist, also wenn der Gesellschaftszweck und das Interesse der Gesellschaft gerade diese Maßnahme zwingend gebieten und der Gesellschafter seine Zustimmung ohne vertretbaren Grund verweigert.377 Aus Praktikabilitätsgründen braucht ein bestehender Zustimmungs-
367 Blath, RNotZ 2017, 218, 220. 368 Blath, RNotZ 2017, 218, 220 f. 369 Deutlich Schäfer in FS Bergmann, 2018, S. 617, 627 f.; vgl. auch BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rz. 17 = NJW 2015, 859 = ZIP 2014, 2231. 370 Mit Formulierungsbeispiel Schäfer in FS Bergmann, 2018, S. 617, 628. 371 Vgl. etwa BGH v. 15.1.2007 – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 Rz. 9 = ZIP 2007, 475 = NJW 2007, 1685 (Otto); BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rz. 10, 17 = NJW 2015, 859 = ZIP 2014, 2231. 372 BGH v. 5.3.2007 – II ZR 282/05, NZG 2007, 381 Rz. 11, 15 = ZIP 2007, 766; BGH v. 26.3.2007 – II ZR 22/06, NZG 2007, 582 Rz. 10 = ZIP 2007, 1368; BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rz. 16 f. = NJW 2015, 859 = ZIP 2014, 2231. 373 Zu Recht dagegen auch Altmeppen, NJW 2015, 2065, 2070; Bayer/Rauch, DB 2021, 2609, 2615; Ulmer, ZIP 2015, 657, 661 f. 374 Ulmer, ZIP 2015, 657, 661 f. 375 Treffend Altmeppen, NJW 2015, 2065, 2070. 376 Vgl. auch Ulmer, ZIP 2015, 657, 662. 377 BGH v. 12.4.2016 – II ZR 275/14, NJW 2016, 2739 Rz. 13 m.w.N. = ZIP 2016, 1220.
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Beschlussfassung | Rz. 111 § 714 BGB
anspruch nicht mittels Leistungsklage durchgesetzt zu werden (Rz. 41 a.E., 100). Vielmehr findet er im Rahmen der materiellen Beschlusskontrolle entsprechende Berücksichtigung.378 cc) Allgemeine Treuepflichtkontrolle Ist weder ein indisponibler noch ein zustimmungspflichtiger Beschlussgegenstand gegeben, 109 kann die Mehrheit der Gesellschafter im Ausgangspunkt allein unter Verweis auf eine entsprechende Mehrheitsklausel einen wirksamen Beschluss fassen, der überstimmte und fernbleibende Gesellschafter bindet. Überstimmte und fernbleibende Gesellschafter können sich der Mehrheitsmacht hier allenfalls noch durch den von ihnen zu führenden Nachweis (Rz. 100)379 erwehren, dass die Mehrheit mit dem Beschluss die weitgezogenen Leitplanken überschritten hat, die ihr durch die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht sowie durch den Gleichbehandlungsgrundsatz380 bei der Entscheidungsfindung gesetzt werden. Ein entsprechender Treupflichtverstoß kommt namentlich in Betracht, wenn die Mehrheit ihre Stimmrechtsmacht zur Erlangung eines nicht gerechtfertigten Sondervorteils ausnutzt.381 Freilich steht es den Gesellschaftern mit Blick auf ihren Gestaltungsspielraum frei, abweichende Regelungen zu treffen und auch für solche Entscheidungen insbesondere Einstimmigkeit zu fordern.
V. Beschlussmängel 1. Stimmmängel und Beschlussmängel Beschlüsse können wie andere Rechtsakte auch an rechtlichen Mängeln leiden. Mängel des 110 Beschlusses sind von Mängeln der einzelnen Stimmabgabe zu unterscheiden. Mängel der einzelnen Stimmabgabe beschränken sich von vornherein auf die jeweiligen Erklärungen von Gesellschaftern im Rahmen der Abstimmung. Auf die Wirksamkeit des Beschlusses haben sie nur Einfluss, wenn die fehlerhafte Stimme für Zustandekommen des Beschlusses erforderlich war. Das ist nur gegeben, wenn ohne die fehlerhafte Stimme ein für den Beschluss erforderliches Quorum nicht erreicht wird. Ansonsten hindert die Unwirksamkeit einer einzelnen Stimmabgabe nicht, den Beschluss aufrechtzuhalten. Eine fehlerhaft abgegebene Stimme kann insoweit allenfalls ein anderes Beschlussergebnis zur Folge haben.382 Ein Beschluss als solcher kann an drei verschiedenen Arten von Mängeln leiden:383 Erstens 111 ist ein Mangel dergestalt denkbar, dass schon der Tatbestand eines Beschlusses von den beteiligten Akteuren nicht verwirklicht wird. Zweitens kann ein Beschluss deshalb mangelhaft 378 BGH v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, BGHZ 183, 1 Rz. 22 ff. = NJW 2010, 65 = ZIP 2009, 2289 (Sanieren oder Ausscheiden); BGH v. 12.4.2016 – II ZR 275/14, NJW 2016, 2739 Rz. 13 ff. = ZIP 2016, 1220; differenziert Schäfer in FS Bergmann, 2018, S. 617, 633 f. 379 Vgl. BGH v. 15.1.2007 – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 Rz. 10 = ZIP 2007, 475 = NJW 2007, 1685 (Otto); BGH v. 24.11.2008 – II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 Rz. 17 = NJW 2009, 669 = ZIP 2009, 216 (Schutzgemeinschaft II); BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rz. 12 = NJW 2015, 859 = ZIP 2014, 2231. 380 Für die Berücksichtigung auch des Gleichbehandlungsgebots s. etwa Blath, RNotZ 2017, 218, 222 f.; Kleindiek, GmbHR 2017, 674, 675; lehrreich auch Verse, Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Kapitalgesellschaften, 2006. 381 BGH v. 12.4.2016 – II ZR 275/14, NJW 2016, 2739 Rz. 23 = ZIP 2016, 1220; BGH v. 11.9.2018 – II ZR 307/16, NJW 2019, 157 Rz. 37 = ZIP 2018, 2024; Böttcher, NZG 2019, 61, 62. 382 Grundlegend Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmenrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963, S. 359 ff., 373 f.; vgl. auch BGH v. 19.11.1990 – II ZR 88/ 89, ZIP 1991, 23, 24 = GmbHR 1991, 62. 383 Vgl. Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 30 I (im Erscheinen). Holle | 287
§ 714 BGB Rz. 111 | Rechtsfähige Gesellschaft sein, weil dem beschließenden Kollektiv die Regelungskompetenz fehlt. Als drittes können der Beschlussprozedur als solcher Mängel anhaften oder das Beschlussergebnis kann seinem Inhalt nach mit bestimmten Kriterien nicht zu vereinbaren sein. Schlagwortartig kann man insoweit vom tatbestandlich unvollendeten Beschluss, vom Fehlen der Regelungskompetenz sowie von formellen und materiellen Beschlussmängeln handeln.384
2. Nichtbeschluss bei Fehlen von Antrag, Abstimmung oder Feststellung 112 Bleibt schon der Tatbestand eines Beschlusses unvollständig, ist der Beschluss als solcher
nicht bewirkt.385 Es liegt kein mangelhafter, sondern überhaupt kein Beschluss vor.386 Wie beim Vertrag wäre der vorzufindende Rechtszustand mit den Begriffen unwirksamer oder nichtiger Beschluss nicht präzise umschrieben. In Abgrenzung zu denjenigen Konstellationen, in denen ein Beschluss zwar zustande gekommen, als solcher aber mangelbehaftet ist, muss vielmehr von einem sog. Nichtbeschluss gehandelt werden.387 113 Unter welchen Voraussetzungen von einem tatbestandlich unvollendeten Beschluss auszuge-
hen ist, hängt davon ab, wie man den Beschluss als Rechtsakt konstruiert wissen will. Geht man mit der tradierten Auffassung davon aus, dass sich der Beschluss unmittelbar aus den mit Blick auf den Beschlussantrag hin abgegebenen Stimmen als Willenserklärungen zusammensetzt, ist ein unvollendeter Beschluss anzunehmen, wenn mit dem Beschlussantrag sowie zumindest dem äußeren Tatbestand einer hierauf bezogenen Stimmabgabe und damit einer Abstimmung zumindest eines der beiden vorausgesetzten Tatbestandsmerkmale unvollständig ist.388 Geht man wie hier indes davon aus, dass der Beschluss zu seiner tatbe-
384 Differenzierung wird nicht immer nachvollzogen. Mitunter wird verkürzt davon gehandelt, dass Beschlüsse mangelhaft seien, wenn sie auf Verfahrensfehlern beruhen oder wenn die beschlossene Regelung ihrem Inhalt nach rechtswidrig ist, so explizit etwa Hüffer, ZGR 2001, 833, 834; gleichsinnig und gebräuchlich ist Aufteilung in formelle und materielle Beschlussfehler, s. zuletzt Rehkemper, Der fehlerhafte Beschluss des Aufsichtsrats, 2022, S. 26 f. 385 Grundlegend zur Unterscheidung zwischen Tatbestand und Wirksamkeit in Bezug auf den Vertrag Leenen, AcP 188 (1988), 381, 385 ff.; im Ausgangspunkt auch schon vgl. ferner etwa Neuner, BGB AT, 12. Aufl. 2020, § 28 Rz. 1; im Beschlusskontext betonend Häublein in Staudinger (2018), § 23 WEG Rz. 20; Skauradszun, Beschluss als Rechtsgeschäft, 2020, S. 65. 386 Treffend und explizit mit Blick auf Beschluss Buchs, Flexibilisierung der Beschlussmängelfolgen, 2020, S. 43; Casper, Die Heilung nichtiger Beschlüsse im Kapitalgesellschaftsrecht, 1998, S. 47 f.; Casper in Bork/C. Schäfer, 4. Aufl. 2019, § 47 GmbHG Rz. 4; Eberspächer, Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen nach § 241 Nr. 3 AktG, 2009, S. 26; allgemein Gernhuber, Bürgerliches Recht, 3. Aufl. 1991, S. 48. 387 Weitgehend entsprechendes Begriffsverständnis etwa bei Buchs, Flexibilisierung der Beschlussmängelfolgen, 2020, S. 43; Casper, Die Heilung nichtiger Beschlüsse im Kapitalgesellschaftsrecht, 1998, S. 46 ff.; Casper in Bork/C. Schäfer, 4. Aufl. 2019, § 47 GmbHG Rz. 4; Eberspächer, Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen nach § 241 Nr. 3 AktG, 2009, S. 133; C. Schäfer in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2021, § 241 AktG Rz. 11. 388 So konsequent Casper, Die Heilung nichtiger Beschlüsse im Kapitalgesellschaftsrecht, 1998, S. 47 f.; Casper in Bork/C. Schäfer, 4. Aufl. 2019, § 47 GmbHG Rz. 5; Eberspächer, Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen nach § 241 Nr. 3 AktG, 2009, S. 25 f.; C. Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002, S. 13 f., 368 ff.; C. Schäfer in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2021, § 241 AktG Rz. 11. Abweichend Drescher in BeckOGK/AktG, Stand: 1.4.2023, § 241 AktG Rz. 98, der in Bezug auf die Beschlüsse der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft „das Vorliegen des äußeren Tatbestands eines Beschlusses, also eine Beschlussfassung überhaupt“ sowie eine Beschlussfeststellung einfordert, das Fehlen eines Beschlussantrags oder einer Abstimmung für das tatbestandliche Zustandekommen des Beschlusses indes als nicht hinderlich ansieht. Offen hierbei bleibt, was dann noch unter dem „Vorliegen des äußeren Tatbestands eines Beschlusses“ und einer „Beschlussfassung überhaupt“ zu verstehen sein soll.
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Beschlussfassung | Rz. 115 § 714 BGB
standlichen Bewirkung zusätzlich einer Beschlussfeststellung bedarf, so gelangt man zu dem Ergebnis, dass ein Nichtbeschluss dann anzunehmen ist, wenn es am Beschlussantrag, der Abstimmung oder der Beschlussfeststellung mangelt. Im ersten Fall fehlt der Abstimmung der Bezugspunkt und der eigentlichen Willensbildung damit der Inhalt, im zweiten die eigentliche Willensbildung und im dritten die rechtstechnisch erforderliche Ermittlung und Feststellung, welcher Wille nach dem Dafürhalten gebildet wurde. Wenig wahrscheinlich ist der Fall, dass ein Beschlussantrag nicht gegeben ist. Insoweit kann 114 es allenfalls an der erforderlichen und an diesem Punkt aus Sicht der Abstimmenden zu ermittelnden hinreichenden Bestimmtheit (Rz. 35) des Antrags mangeln. Ein Fehlen der Abstimmung ist etwa denkbar, wenn es nach der Stellung des Beschlussantrags zum Streit kommt und der mit der Beschlussfeststellung betraute Abstimmungsleiter ohne Abstimmung die Annahme des Beschlussantrags feststellt.389 Ein Fehlen einer zumindest konkludenten Beschlussfeststellung wäre etwa gegeben, wenn man im Streit auseinandergeht und die hierzu berufene Person beziehungsweise die rechnerische Mehrheit der Abstimmenden es versäumt, das Beschlussergebnis festzustellen.390 Das extremste Beispiel für einen Nichtbeschluss ist gegeben, wenn ein (geschäftsführender) Gesellschafter einen Beschluss der Gesellschafter „erfindet“, so dass letztlich keines der Tatbestandsmerkmale eines Beschlusses gegeben ist.391
3. Wirkungslosigkeit bei fehlender Regelungskompetenz Kein Nichtbeschluss, sondern ein tatbestandlich vollendeter Beschluss ist anzunehmen, wenn 115 dem beschließenden Kollektiv die Regelungskompetenz fehlt. Denn die Regelungskompetenz als solche ist nicht Bestandteil des Beschlusstatbestands.392 Die Frage nach den Rechtsfolgen beantwortet sich hier folglich nicht schon aus Logik heraus, dass nur ein tatbestandlich bewirkter Rechtsakt rechtlich wirken kann. Gleichwohl kann ein Rechtsakt aber nur dort rechtliche Anerkennung finden, wo eine entsprechende Regelungskompetenz besteht, das heißt, den handelnden Akteuren die Befähigung gegeben ist, in der gewählten Art und Weise rechtlich erhebliche Wirkungen zu erzeugen. Fehlt diese Befähigung, können die mit dem jeweiligen Akt angestrebten rechtlichen Wirkungen weder gegenüber den Beteiligten noch gegenüber Dritten eintreten. Beim Beschluss gewinnt diese Erkenntnis deshalb besondere Bedeutung, weil es sich bei diesem nicht wie beim Vertrag um einen selbständigen Rechtsakt handelt, bei dem die Regelungskompetenz gleichsam aus sich heraus gegeben ist. Vielmehr setzt ein Beschluss immer eine entsprechende Beschlussfassungskompetenz voraus, die die Befugnis verleiht, im Beschlusswege für den Träger des Beschlusses einen rechtlich verbindlichen Willen zu bilden (Rz. 26 f.). Fehlt eine solche, ist der Beschluss schon deshalb wirkungslos,393 weil es an der Macht zu rechtlich relevanter Gestaltung fehlt.394 389 Casper, Die Heilung nichtiger Beschlüsse im Kapitalgesellschaftsrecht, 1998, S. 47. Abweichend Skauradszun, Beschluss als Rechtsgeschäft, 2020, S. 311 f., der – ausgehend von seinem Verständnis des Beschlusses als Rechtsgeschäft, das des zusätzlichen Merkmals einer Beschlussfeststellung bedarf – nicht auf das (formale) Erfordernis einer Abstimmung abstellt, sondern zumindest eine wirksame Stimmabgabe einfordert. 390 Zu einem solchen Szenario vgl. etwa Noack, GmbHR 2017, 792, 793; als in der Praxis „vom Ausnahmefall gewollter Verzögerung abgesehen“ nicht vorkommend erachtend allerdings Altmeppen, GmbHR 2018, 225, 228; etwas freigiebiger noch Altmeppen, ZIP 2017, 1185, 1188. 391 Beispiel nach Casper, Die Heilung nichtiger Beschlüsse im Kapitalgesellschaftsrecht, 1998, S. 46 f. 392 Ebenso Eberspächer, Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen nach § 241 Nr. 3 AktG, 2009, S. 197; unzutreffend indes etwa Henn, Hdb. Aktienrecht, 7. Aufl. 2002, Rz. 691 Fn. 853: „Nicht-Beschluß“. 393 Zu dieser Terminologie s. auch Bork, BGB AT, Rz. 1097. 394 Vgl. auch Armbrüster in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2021, § 134 BGB Rz. 9 f. Holle | 289
§ 714 BGB Rz. 116 | Rechtsfähige Gesellschaft 116 Ausgehend von dem Skizzierten muss ein Beschluss jedenfalls immer dann wirkungslos sein,
wenn es entweder vollkommen einer Beschlussfassungskompetenz ermangelt oder eine solche zwar vorhanden ist, das beschließende Kollektiv aber nicht beschlussfähig war. In beiden Konstellationen sind die abstimmenden Gesellschafter von vornherein außerstande, für die Gesellschaft beziehungsweise die übrigen Gesellschafter einen rechtlich relevanten Willen hervorzubringen. Gleiches muss darüber hinaus gelten, wenn ein Beschluss „lediglich“ seinem Gegenstand nach nicht mehr von einer Beschlussfassungskompetenz gedeckt ist.395 Auch dann bewegt sich das Kollektiv außerhalb einer ihm eingeräumten Befugnis. Insoweit fehlt ihm also ebenfalls die Macht zu rechtlich relevanter Gestaltung. Ausdruck findet diese Erkenntnis vor allem darin, dass die Wirksamkeit eines Mehrheitsbeschlusses davon abhängig ist, dass dieser sich seinem Gegenstand nach unter eine einschlägige Beschlussfassungskompetenz subsumieren lässt.396 Fehlt etwa eine Regelung im Gesellschaftsvertrag, die sich dahin auslegen lässt, dass auch Vertragsänderungen im Wege eines (Mehrheits-)Beschlusses zulässig sind, so führt das dazu, dass ein (Mehrheits-)Beschluss, dessen Gegenstand es ist, die gesellschaftsvertraglichen Grundlagen zu ändern, von vornherein keine Wirkung entfaltet.397 117 Wirkungslosigkeit ist als Rechtsfolge dort nicht veranlasst, wo die Gesellschafter nachgela-
gerte Zuständigkeiten nach den ansonsten für ihre Entscheidungen geltenden Vorgaben innerhalb der Gesellschaft missachten, wenn die Gesellschafter also etwa vereinbaren, dass über sämtliche Gesellschaftsangelegenheiten einschließlich der gesellschaftlichen Grundlagen im Wege des Mehrheitsbeschlusses zu entscheiden ist und bei einer Beschlussfassung alsdann die Zuständigkeit eines für bestimmte Angelegenheiten eingerichteten Beirats übergehen. Eine solche Missachtung nachgelagerter Zuständigkeiten macht den Beschluss zwar fehlerhaft, weil nicht diejenigen entscheiden, die innergesellschaftlich hierfür zuständig sind. Solange aber die Gesellschafter als diejenigen, deren Interessen mit den innerhalb der Gesellschaft zu treffenden Entscheidungen originär wahrzunehmen sind, nach den für ihre Entscheidungen ansonsten geltenden Vorgaben eine Festlegung treffen, trägt das wertungsmäßig nicht die weitergehende Annahme, es fehle die Kompetenz zur Regelung.398
4. Formelle und materielle Beschlussmängel a) Fortgeltung des „Nichtigkeitsmodells“ 118 Tatbestandlich unvollendete sowie tatbestandlich vollendete, aber nicht auf eine entsprechen-
de Beschlussfassungskompetenz zurückführbare Beschlüsse bleiben eher Ausnahme. Weitaus häufiger begegnen Beschlüsse, die lediglich an formellen und materiellen Beschlussfehlern leiden. Der Mangel liegt bei ihnen darin begründet, dass der Beschlussprozedur Fehler anhaften (formelle Beschlussfehler) oder der Beschluss seinem Inhalt nach mit bestimmten Anforderungen nicht zu vereinbaren ist (materielle Beschlussfehler). Begrifflich bietet es sich
395 Pauschal Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion, 1965, S. 47 f., 73, 97. 396 Vgl. BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rz. 14 = NJW 2015, 859 = ZIP 2014, 2231; C. Schäfer, ZGR 2013, 237, 244 f. 397 II. Zivilsenat etikettiert Einsicht, dass Beschluss nur Rechtswirkungen zeitigen kann, wenn er sich innerhalb des durch eine Beschlussfassungskompetenz gesteckten Rahmens hält, als Erfordernis einer „formellen Legitimation“, bei deren Fehlen der Beschluss „formell“ nicht wirksam gefasst ist; vgl. implizit BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rz. 16 = NJW 2015, 859 = ZIP 2014, 2231. 398 Eingehender zum Ganzen Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 31 III (im Erscheinen).
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dabei an, vereinheitlichend von einem rechtswidrigen Beschluss zu handeln.399 Denn ein solcher Beschluss ist zwar tatbestandlich existent und seinem Gegenstand nach auch auf eine entsprechende Beschlussfassungskompetenz zurückführbar. Er steht in Anbetracht der formellen Fehler oder der Missachtung inhaltlicher Anforderungen aber nicht im Einklang mit den rechtlichen Vorgaben, die das Gesetz und die einschlägigen Beschlussfassungskompetenzen an ihn richten. Was die Behandlung rechtswidriger Beschlüsse betrifft, so ist zwischen dem Nichtigkeits- 119 und dem Anfechtungsmodell zu unterscheiden.400 Das Nichtigkeitsmodell kommt gemeinhin zur Anwendung, soweit es an einem geschriebenen Beschlussmängelrecht fehlt und beruht auf der Prämisse, dass sämtliche Fehler eines Beschlusses grundsätzlich dazu führen, dass die mit ihm anvisierten Rechtsfolgen von Anfang an, endgültig und von einer Geltendmachung unabhängig nicht eintreten. Auch Mängel, die allein das formale Zustandekommen eines Beschlusses betreffen, sowie die Missachtung disponibler inhaltlicher Vorgaben führen danach grundsätzlich zur Nichtigkeit des Beschlusses, die von jedermann zeitlich unbegrenzt im Wege herkömmlicher Feststellungsklage (§ 256 Abs. 1 ZPO) geltend gemacht werden kann.401 Das Nichtigkeitsmodell ist schon deswegen problematisch, weil sich eine Nichtigkeit als Rechtsfolge formeller und materieller Beschlussfehler zumeist nicht unmittelbar begründen lässt.402 Vor allem aber wird es der Interessenlage nicht immer gerecht, weil die realen Gegebenheiten und das Bedürfnis nach Rechtssicherheit bei ihm weit auseinanderzulaufen drohen. Was die realen Gegebenheiten betrifft, so sind Beschlüsse weitaus fehler- und streitanfälliger als sonstige Privatrechtsakte:403 Sie sind in ein Verfahren eingebettet, an ihnen sind zumeist eine Vielzahl von Personen beteiligt und die Bindung kann bei Mehrheitsbeschlüssen von vornherein auch gegenüber Personen eintreten, die das Beschlussergebnis nicht konsentiert haben. Umgekehrt besteht dann aber gerade bei Beschlüssen ein gesteigertes Bedürfnis nach Rechtssicherheit, weil sie als Instrument zur Willensbildung gerade dazu bestimmt sind, in eine Handlungsorganisation und damit in ein regelmäßig dynamisches Gebilde hineinzuwirken und hierbei zumeist eine Vielzahl eingegliederter Personen zu binden. Bei Beschlüssen besteht im Vergleich zu bilateralen Austauschkontrakten daher ein tendenziell erhöhtes Interesse an Bestandskraft.404 Die grundsätzliche und gemeinsame Interessenlage geht hier dahin, dass Fehler bei der Entscheidungsfindung nicht zeitlich unbeschränkt und vor allem nicht von jedermann geltend gemacht werden können. Das Anfechtungsmodell trägt dieser Interessenlage Rechnung: Es basiert auf der Differenzierung zwischen Anfechtungs- und Nichtigkeitsgründen, wobei die zuerst genannten im Wesentlichen sämtliche Verstöße gegen disponible Vorgaben umfassen (vgl. § 110 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HGB arg. e contr.) und binnen einer Anfechtungsfrist im Klagewege geltend gemacht werden müssen (vgl. §§ 112, 113 HGB). Die Verfasser des Mauracher-Entwurfs haben die skizzierte Interessenlage zum Anlass ge- 120 nommen, ein am Aktienrecht orientiertes Anfechtungsmodell für sämtliche Personengesellschaften vorzuschlagen (vgl. §§ 714a ff. BGB-Mauracher-Entwurf). Der Gesetzgeber des Mo399 Siehe Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 32 I 1 (im Erscheinen). 400 Vgl. zuletzt etwa auch Tröger/Happ, ZIP 2021, 2059, 2060 f. 401 Vgl. etwa Grunewald in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 9 f. 402 Eingehend zuletzt wieder Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 32 I (im Erscheinen). 403 Vertiefend Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 32 II 2 b (im Erscheinen). 404 Mit Blick auf das Gesellschaftsrecht letztlich ebenso J. Koch, Gutachten F zum 72. Deutschen Juristentag, S. 15; Tröger/Happ, ZIP 2021, 2059, 2065; legitimes Interesse am Bestand festgestellter Beschlüsse für den Fall anerkennend, dass Mehrheitsprinzip gilt, C. Schäfer in FS K. Schmidt zum 80. Geburtstag, Bd. II, 2019, S. 323, 335. Holle | 291
§ 714 BGB Rz. 120 | Rechtsfähige Gesellschaft PeG ist dem jedoch nur für die Personenhandelsgesellschaften gefolgt (vgl. §§ 110 ff. HGB) 405. Eine Übertragung auf die GbR sah er wegen der mit dem Anfechtungsklagemodell einhergehenden Mindestanforderungen an die Formalisierung des Beschlussverfahrens und dem damit verbundenen Professionalisierungsgrad als problematisch an.406 Mit Verweis auf einen erhöhten Grad an Formalisierung zielt der Gesetzgeber freilich primär auf das Erfordernis ab, ein bestimmtes Beschlussergebnis festzustellen, das dann überhaupt erst Gegenstand eine Anfechtungsklage sein kann. Geht man entgegen dem herkömmlichen Beschlussverständnis davon aus, dass der Beschlusstatbestand ohnehin zumindest eine konkludente Feststellung des Beschlussergebnisses erfordert, vermag dieser Verweis von vornherein nicht zu verfangen. Wegen der im Gesetz sowie in der Regierungsbegründung unmissverständlich zum Ausdruck gebrachter Zweiteilung bleibt der Weg zu einer analogen Anwendung der §§ 110 ff. HGB für das Recht der GbR gleichwohl versperrt.407 Vorbehaltlich einer Regelung durch die Gesellschafter (s. noch unter Rz. 130 f.) muss der Rechtsanwender weiterhin vom Nichtigkeitsmodell und damit davon ausgehen, dass sämtliche Fehler eines Beschlusses grundsätzlich dazu führen, dass die mit ihm anvisierten Rechtsfolgen von Anfang an, endgültig und von einer Geltendmachung unabhängig nicht eintreten. b) Verfahrensfehler 121 Formale Beschlussfehler wie Ladungsmängel, Fehler bei der Feststellung des Beschlussergeb-
nisses oder die Nichtbeachtung von Stimmverboten, führen im Nichtigkeitsmodell im Ausgangspunkt genauso zur Nichtigkeit des Beschlusses wie inhaltliche Verstöße gegen das Gesetz oder den Gesellschaftsvertrag.408 Obgleich Kausalitäts- oder Relevanzerwägungen bei Nichtigkeitsgründen grundsätzlich keine Rolle spielen, wird aber anderes angenommen, wenn ausgeschlossen werden kann, dass das Zustandekommen des Beschlusses durch den Fehler beeinflusst ist, wenn sich der Verfahrensfehler also etwa nur auf eine Stimme auswirkt, die für das Ergebnis der Abstimmung nicht erheblich ist oder ein Zählfehler bei der Beschlussfeststellung auf die Annahme oder die Ablehnung des Beschlussantrags ohne Einfluss ist.409 Bei Verstößen gegen gesellschaftsvertragliche Regelungen über Form, Frist und Inhalt der Einberufung einer Gesellschafterversammlung soll die Nichtigkeit nur entfallen, wenn der Verstoß ungeeignet ist, die Teilnahme eines Gesellschafters oder die Vorbereitung auf die Tagesordnungspunkte zu vereiteln oder zu erschweren410 beziehungsweise diese tatsächlich nicht vereitelt oder erschwert hat.411 405 Zu Recht kritisch Lieder, ZRP 2021, 34, 35; K. Schmidt, ZHR 187 (2023), 107, 114 f. 406 RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 111, 228; zu Recht kritisch etwa Lieder, ZRP 2021, 34, 35; K. Schmidt, ZHR 187 (2023), 107, 114 f.; Tröger/Happ, NZG 2021, 133, 137 ff.; Tröger/Happ, ZIP 2021, 2059, 2065 ff. 407 Ebenso Grunewald in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 40; Liebscher in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 69; Pieronczyk, ZIP 2022, 1033, 1034 f.; für eine analoge Anwendung aber Tröger/Happ, ZIP 2021, 2059, 2069 f.; in Bezug auf Mehrheitsbeschlüsse in BGB-Außengesellschaften K. Schmidt, ZHR 187 (2023), 107, 117; für die eingetragene GbR Claußen/Pieronczyk, NZG 2021, 620, 628. 408 Grunewald in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 9. 409 BGH v. 16.10.2012 – II ZR 251/10, NZG 2013, 57 Rz. 47 = ZIP 2013, 68; BGH v. 11.3.2014 – II ZR 24/13, NZG 2014, 621 Rz. 13 = ZIP 2014, 1019. 410 BGH v. 10.10.1983 – II ZR 213/82, ZIP 1984, 59, 61; BGH v. 14.11.1994 – II ZR 160/93, NJW 1995, 1353, 1355 f. = GmbHR 1995, 589; BGH v. 11.3.2014 – II ZR 24/13, NZG 2014, 621 Rz. 13 = GmbHR 2014, 705; vgl. zu den Anforderungen an die Ladung zur Gesellschafterversammlung weiter BGH v. 13.2.2006 – II ZR 200/04, NZG 2006, 349 Rz. 13 = GmbHR 2006, 538; BGH v. 20.6.1994 – II ZR 103/93, ZIP 1994, 1523, 1525. 411 BGH v. 10.10.1983 – II ZR 213/82, ZIP 1984, 59, 61; BGH v. 16.10.2012 – II ZR 251/10, NZG 2013, 57 Rz. 47 = GmbHR 2013, 197; BGH v. 11.3.2014 – II ZR 24/13, NZG 2014, 621 Rz. 13 = GmbHR 2014, 705; BGH v. 10.10.1983 – II ZR 213/82, ZIP 1984, 59, 61.
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Beschlussfassung | Rz. 126 § 714 BGB
Die Wirksamkeit des Beschlusses soll nach verbreiteter Ansicht auch dann zu bejahen sein, 122 wenn der Mangel auf einer Nichtbeachtung bloßer Ordnungsvorschriften beruht.412 Wann eine formale Vorgabe nur der Ordnung halber statuiert ist, ist durch Auslegung des Gesellschaftsvertrags zu ermitteln. Gängiges Beispiel für eine bloße Ordnungsvorschrift ist das Erfordernis einer Beschlussprotokollierung.413 Ansonsten wird man freilich davon ausgehen müssen, dass die Gesellschafter formale Erfordernisse dort, wo sie sie statuieren, auch zur Wirksamkeitsvoraussetzung des Beschlusses erheben wollen.414 c) Inhaltsfehler Wegen inhaltlicher Mängel ist ein Beschluss immer nichtig, wenn der Beschlussinhalt gegen 123 gesetzliche Vorschriften sowie gegen allgemeine Grundsätze des Gesellschaftsrechts wie das Gleichbehandlungsgebot, die Treuepflicht oder unverzichtbare Gesellschafterrechte verstößt (Rz. 98 f., 109). Verstöße gegen gesellschaftsvertragliche Bestimmungen, die nicht auch zugleich zwingendes Recht wiederholen, führen nur zur Nichtigkeit des Beschlusses, wenn sich hieraus nicht die wenigstens konkludente Änderung des Vertrags im Einzelfall herleiten lässt (Vertragsdurchbrechung).415 § 139 BGB ist anwendbar, sofern sich der Inhalt des Beschlusses in unabhängige Teile zerlegen lässt.416 d) Einschränkungen der Nichtigkeit Die Nichtigkeit fehlerhafter Gesellschafterbeschlüsse kann dadurch eingeschränkt sein, dass 124 die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft Anwendung finden. Diese gelten nicht nur für den Abschluss des Gesellschaftsvertrags, sondern auch für dessen Änderungen einschließlich des Gesellschafterwechsels im Beschlusswege. Voraussetzung für ein Eingreifen der Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft ist, dass Änderungen des Gesellschaftsvertrags in Frage stehen, die sich nicht auf die schuldrechtlichen Beziehungen der Gesellschafter untereinander beschränken, sondern auch Bedeutung für die Gesellschaftsorganisation haben, und dass die Änderungen in Vollzug gesetzt sind.417 Die Rechtsfolge der Nichtigkeit ist weiter dadurch eingeschränkt, dass Beschlussfehler als 125 „heilbar“ angesehen werden, sofern die Gesellschafter den Beschluss unwidersprochen in Kenntnis des Mangels vollziehen.418 In der Sache läuft dies auf eine ausdrückliche oder konkludente Bestätigung hinaus.419 Eine solche zuzulassen ist sachgerecht, weil und solange die Gesellschafter ebenso einen neuen, mangelfreien Beschluss fassen könnten. Eine Heilung ist allerdings ausgeschlossen bei Verstößen gegen zwingende Vorschriften (§§ 134, 138 BGB).420 In gleicher Weise kann die Berufung auf die Nichtigkeit nach § 242 BGB auch allein durch 126 längeres Nichtgeltendmachen eines allen Beteiligten bekannten Mangels verwirkt sein.421 In412 RG v. 13.6.1922 – II 771/21, RGZ 104, 413, 415; RG v. 4.12.1928 - II 360/28, RGZ 122, 367, 369. 413 Vgl. RG v. 13.6.1922 – II 771/21, RGZ 104, 413, 415; RG v. 4.12.1928 - II 360/28, RGZ 122, 367, 369. 414 Zurückhaltend auch Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 709 BGB Rz. 112. 415 Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 119 HGB Rz. 70; Freitag in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 119 HGB Rz. 78. 416 Eingehend Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 37 (im Erscheinen). 417 Vgl. Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 709 BGB Rz. 114. 418 Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 709 BGB Rz. 115. 419 Vgl. auch Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 709 BGB Rz. 115. 420 Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 709 BGB Rz. 115. 421 BGH v. 24.9.1990 – II ZR 167/89, BGHZ 112, 339, 344 = NJW 1991, 691 = ZIP 1991, 25; BGH v. 7.6.1999 – II ZR 278/98, NJW 1999, 3113, 3114 f. Holle | 293
§ 714 BGB Rz. 126 | Rechtsfähige Gesellschaft soweit wird davon ausgegangen, dass die Gesellschafter kraft ihrer Treupflicht gehalten seien, sich zeitnah auf einen Mangel zu berufen.422 Eine Geltendmachung nach vier Jahren wurde jedenfalls als verspätet zurückgewiesen.423 Andererseits soll ein „Fristablauf“ nicht bereits nach sechs Monaten eintreten.424 Mit Blick auf die in § 112 Abs. 1 Satz 1 HGB nunmehr vorgesehene dreimonatige Anfechtungsfrist wird man eine Verwirkung grundsätzlich jedenfalls nicht vor Ablauf von drei Monaten annehmen können.
5. Gerichtliche Geltendmachung durch allgemeine Feststellungsklage 127 Im Nichtigkeitsmodell ist kein besonderes Verfahren zur Geltendmachung von Beschluss-
mängeln vorgesehen. Wer sich auf die Nichtigkeit des Beschlusses beruft, muss auf die allgemeine Feststellungsklage gem. § 256 Abs. 1 ZPO zurückgreifen,425 sofern über die zu klärende Frage nicht inzident im Rahmen einer Leistungsklage entschieden werden kann.426 Geht man entgegen der tradierten Auffassung davon aus, dass der Beschluss erst durch eine Feststellung konstituiert wird (Rz. 21 ff.), kann bei Fehlern bei der Ergebnisfeststellung nicht unmittelbar von dem „richtigen“ Beschluss ausgegangen werden, da dieser als solcher tatbestandlich nicht existent ist. Ein Lösungsansatz bestünde darin, analog § 115 HGB eine gerichtliche Gestaltung (zur Gestaltungswirkung der Klage nach § 115 HGB s. § 115 HGB Rz. 7) zuzulassen. Näher an den schlichten Modellen zur Geltendmachung von Beschlussmängeln bei der GbR liegt es allerdings entweder eine Leistungsklage auf Feststellung des zutreffenden Ergebnisses durch die Gesellschafter als statthaft zu erachten427 oder die am Verfahren Beteiligten kraft der Treuepflicht an die Feststellung des Gerichts gebunden zu sehen, wie sie an einen Beschluss gebunden wären. 128 Das für eine allgemeine Feststellungsklage erforderliches Feststellungsinteresse ist unabhän-
gig vom Inhalt des Beschlusses grundsätzlich bei jedem Gesellschafter gegeben.428 Dies gilt grundsätzlich auch über das Bestehen der Gesellschaft oder die Zugehörigkeit des Gesellschafters zu der Gesellschaft hinaus.429 Nichtgesellschafter müssen ein besonderes Feststellungsinteresse darlegen können, wenn sie gegen Beschluss der Gesellschafter vorgehen möchten. 129 Obwohl die Gesellschaft Träger des Beschlusses sein kann (Rz. 28 ff.),430 gehen die Recht-
sprechung und die herrschende Lehre davon aus, dass die Klage stets zwischen Gesellschaftern auszutragen ist, sofern nichts anderes vereinbart worden ist.431 Konkret soll die Klage 422 BGH v. 7.6.1999 – II ZR 278/98, NJW 1999, 3113, 3114; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 709 BGB Rz. 115. 423 BGH v. 23.10.1972 – II ZR 35/70, WM 1973, 100, 101. 424 BGH v. 28.1.1991 – II ZR 20/90, WM 1991, 509, 510 = ZIP 1991, 442; offener BGH v. 7.6.1999 – II ZR 278/98, NJW 1999, 3113, 3114. 425 BGH v. 21.10.1991 – II ZR 211/90, NJW-RR 1992, 227; BGH v. 7.2.2012 – II ZR 230/09, NZG 2012, 625 Rz. 24 = ZIP 2012, 917; BGH v. 9.4.2013 – II ZR 3/12, NZG 2013, 664 Rz. 8 = ZIP 2013, 1021; Hüffer, ZGR 2001, 833, 839; Westermann, NZG 2012, 1121, 1122. 426 Vgl. insofern etwa OLG München v. 16.6.2004 – 7 U 5669/03, NZG 2004, 807. 427 In diese Richtung Ernst in FS Leenen, 2012, S. 1, 35. 428 BGH v. 21.10.1991 – II ZR 211/90, NJW-RR 1992, 227; BGH v. 7.2.2012 – II ZR 230/09, NZG 2012, 625 Rz. 24 = ZIP 2012, 917; BGH v. 9.4.2013 – II ZR 3/12, NZG 2013, 664 Rz. 10 = ZIP 2013, 1021. 429 BGH v. 9.4.2013 – II ZR 3/12, NZG 2013, 664 Rz. 10 = ZIP 2013, 1021. 430 Vgl. insofern auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 233, 236. 431 Vgl. etwa BGH v. 15.11.1982 – II ZR 62/82, BGHZ 85, 350, 353 = NJW 1983, 1056 = GmbHR 1983, 297; BGH v. 13.2.1995 – II ZR 15/94, NJW 1995, 1218 = GmbHR 1995, 303; BGH v. 7.6.1999 – II ZR 278/98, NJW 1999, 3113, 3115; BGH v. 1.3.2011 – II ZR 83/09, NJW 2011, 2578 Rz. 19 = GmbHR 2011, 539; BGH v. 9.4.2013 – II ZR 3/12, NZG 2013, 664 Rz. 14; Bayer/Möller, NZG 2018, 801, 807; Hüffer, ZGR 2001, 833, 839; zu Recht kritisch und für Analogie zu § 113 Abs. 2 HGB etwa Bayer/Rauch, DB 2021, 2609, 2617; Pieronczyk, ZIP 2022, 1033, 1043 f.
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Beschlussfassung | Rz. 130 § 714 BGB
gegen diejenigen Gesellschafter zu richten sein, die der beantragten Feststellung widersprechen. Die Gesellschaft ist ggf. verpflichtet, dem Klagewilligen Namen und Anschriften der Mitgesellschafter bekannt zu geben.432 Der BGH hat aber auch ein Feststellungsinteresse des dissentierenden Gesellschafters nach § 256 ZPO bei einer Klage gegen die Gesellschaft bejaht, wenn sich aus dem Beschluss ein (Zahlungs-)Anspruch der Gesellschaft selbst gegen ihn ergeben würde.433 Ein Urteil soll nur unter Prozessparteien wirken434 und unter den Gesellschaftern daher auch weder auf der Aktiv- noch auf der Passivseite eine notwendige Streitgenossenschaft bestehen.435
6. Abweichende Vereinbarungen Den Gesellschaftern war es stets freigestellt, im Gesellschaftsvertrag – gegebenenfalls auch 130 konkludent – das Beschlussmängelrecht für ihre Gesellschaft abweichend zu regeln. Insbesondere bei Publikumsgesellschaften war die Rechtsprechung hierbei großzügig und hat auch bei nur geringen Anhaltspunkten im Gesellschaftsvertrag eine konkludente Vereinbarung angenommen. Geregelt werden konnte etwa, dass Beschlussmängel gegenüber der Gesellschaft geltend zu machen sind.436 Gegen nicht am Rechtsstreit beteiligte Gesellschafter erwuchs die Entscheidung zwar nicht in Rechtskraft; sie wurden aber schuldrechtlich für verpflichtet gehalten, das Urteil gegen sich gelten zu lassen.437 Bei fehlender Parteifähigkeit der (Innen-) GbR war eine solche Klausel dahin auszulegen, dass die Klage gegen die übrigen Gesellschafter als notwendige Streitgenossen zu richten ist.438 Ebenso konnten bestimmte Anfechtungsfristen aufgestellt werden.439 Anders als die bloße Verwendung des Worts „Anfechtung“440 sollte eine solche Fristbestimmung in der Regel zugleich bedeuten, dass die Klage gegen die Gesellschaft zu richten ist.441 Die Frist durfte die für die Aktiengesellschaft nach § 246 Abs. 1 AktG geltende Dauer von einem Monat nicht unterschreiten.442 Als unzulässig angesehen wurde es, einen (fehlerhaften) Gesellschafterbeschluss qua gesellschaftsvertraglicher Bestimmung solange als wirksam zu behandeln, bis er im Wege eines gerichtlichen Verfahrens erfolgreich beseitigt worden ist.443 Werden die Möglichkeiten zur Geltendmachung von Beschlussmängeln vertraglich eingeschränkt, so gelten die Einschränkungen nicht mit Blick auf die Unwirksamkeit des Beschlusses wegen Fehlens einer erforderlichen Zustimmung des ein432 BGH v. 15.6.1987 – II ZR 261/86, NJW 1988, 411, 413 = ZIP 1987, 1178. 433 BGH v. 5.3.2007 – II ZR 282/05, NZG 2007, 381 Rz. 17 = ZIP 2007, 766. 434 BGH v. 16.4.2015 – I ZB 3/14, NZG 2015, 1242 Rz. 19 f. = ZIP 2015, 2019; Bayer/Möller, NZG 2018, 801, 808. 435 Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 709 BGB Rz. 118; vgl. auch K. Schmidt, NZG 2018, 121, 125. 436 BGH v. 15.11.1982 – II ZR 62/82, BGHZ 85, 350, 353 = ZIP 1983, 303 = NJW 1983, 1056; BGH v. 13.2.1995 – II ZR 15/94, NJW 1995, 1218 = ZIP 1995, 460; BGH v. 7.6.1999 – II ZR 278/98, NJW 1999, 3113, 3115; BGH v. 19.7.2011 – II ZR 153/09, NZG 2011, 1142 Rz. 8 = ZIP 2011, 1906; BGH v. 1.3.2011 – II ZR 83/09, NJW 2011, 2578 Rz. 19 = ZIP 2011, 806; näher zur Auslegung etwa Sackmann, NZG 2016, 1041, 1043 f. 437 BGH v. 30.6.1966 – II ZR 149/64, WM 1966, 1036; BGH v. 23.9.2021 – I ZB 13/21, NZG 2022, 264 Rz. 19 = ZIP 2022, 125; Bayer/Möller, NZG 2018, 801, 808. 438 Treffend Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 709 BGB Rz. 119 a.E. 439 BGH v. 20.1.1977 – II ZR 217/75, BGHZ 68, 212, 216 = NJW 1977, 1292; Bayer/Möller, NZG 2018, 801, 808. 440 Vgl. insoweit zuletzt BGH v. 1.3.2011 – II ZR 83/09, NJW 2011, 2578 Rz. 21 = ZIP 2011, 806; BGH v. 23.9.2021 – I ZB 13/21, NZG 2022, 264 Rz. 23 = ZIP 2022, 125. 441 BGH v. 24.3.2003 – II ZR 4/01, NJW 2003, 1729 f.; BGH v. 23.9.2021 – I ZB 13/21, NZG 2022, 264 Rz. 23 = ZIP 2022, 125. 442 BGH v. 13.2.1995 – II ZR 15/94, NJW 1995, 1218, 1219 = ZIP 1995, 460. 443 Tendenziell und m.w.N. BGH v. 11.12.1989 – II ZR 61/89, NJW-RR 1990, 474, 475. Holle | 295
§ 714 BGB Rz. 130 | Rechtsfähige Gesellschaft zelnen Gesellschafters.444 Dadurch, dass ein Gesellschafter mit dem Vorbringen von Beschlussmängeln aufgrund von Vertragsklauseln präkludiert ist, kann seine fehlende Zustimmung demnach nicht ersetzt werden (s. schon Rz. 101). 131 Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers des MoPeG sollen die Gesellschafter einer GbR
nunmehr die Möglichkeit haben, die Anwendung des für Personenhandelsgesellschaften geltenden Anfechtungsmodells in vollem Umfang vorzusehen.445 Auch könnten die Regelungen zur Beschlussanfechtung bei den Personenhandelsgesellschaften als Vorbild für die Kautelarpraxis der Personengesellschaften dienen.446 Bei alldem wird vom Gesetzgeber allerdings nicht eindeutig beantwortet, ob die Gesellschafter auch zugunsten der Gestaltungswirkung der im HGB vorgesehen Klagen optieren können.447 Tradierter Auffassung nach sind Gestaltungsklagen im Gesetz abschließend geregelt und können nicht vertraglich vereinbart werden, da Privatpersonen die Gerichte andernfalls mit Klagen belasten könnten.448 Belässt man es hierbei, bleibt nur die – altbewährte449 – Möglichkeit, der Vereinbarung der Gesellschafter zu entnehmen, dass diese verpflichtet sind, sich an die Urteilaussagen zu halten, auch wenn die Entscheidung gegen Gesellschaft ergangen ist.450 Fehlt eine Regelung zum anwendbaren Beschlussmängelrecht im Gesellschaftsvertrag, können Probleme auftreten, wenn die Gesellschaft unerkannt die Rechtsform gewechselt hat und dies erst im Zuge der Beschlussmängelklage offenbar wird.451
7. Schiedsfähigkeit von Beschlussmängelstreitigkeiten 132 Die Gesellschafter können vereinbaren, dass Beschlussmängelstreitigkeiten vor Schiedsgerich-
ten auszutragen sind.452 Der I. Zivilsenat ging in der Entscheidung „Schiedsfähigkeit III“ noch davon aus, dass hierbei die zum GmbH-Recht entwickelten Grundsätze (Schiedsfähigkeit II)453 Anwendung finden müssen.454 Danach mussten alle Gesellschafter der Schiedsklausel zugestimmt haben und an der Auswahl und Bestellung der Schiedsrichter mitwirken können oder die Auswahl musste durch eine neutrale Stelle erfolgen. Weiter mussten alle Gesellschafter durch die Geschäftsführung von der Einleitung und dem Verlauf des Schiedsverfahrens informiert werden und sich als Nebenintervenient daran beteiligen können. Außerdem
444 Vgl. etwa BGH v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, BGHZ 183, 1 Rz. 16 = NJW 2010, 65 = ZIP 2009, 2289 (Sanieren oder Ausscheiden). 445 RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 111; eingehender Liebscher in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 144 ff. 446 RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 228. 447 Dagegen etwa Grunewald in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 41; dafür Servatius, GbR, 2023, § 714 BGB Rz. 44; wohl auch Bayer/Rauch, DB 2021, 2609, 2617; für Mehrheitsbeschlüsse K. Schmidt, ZHR 187 (2023), 107, 115 f.; offen lassend Liebscher in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 143; Schäfer, ZIP 2021, 1527, 1530. 448 Tendenziell und m.w.N. BGH v. 11.12.1989 – II ZR 61/89, NJW-RR 1990, 474, 475; vgl. auch Grunewald in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 41 mit Fn. 64; K. Schmidt, ZHR 187 (2023), 107, 115; allgemein K. Schmidt, JuS 1986, 35, 39. 449 Vgl. abermals BGH v. 30.6.1966 – II ZR 149/64, WM 1966, 1036; Bayer/Möller, NZG 2018, 801, 808. 450 Grunewald in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 41. 451 S. hierzu eingehend Pieronczyk, ZIP 2022, 1033, 1036 ff.; vgl. auch Tröger/Happ, ZIP 2021, 2059, 2066 f. 452 Monografisch Zimmermann, Schiedsfähigkeit von Beschlussmängelstreitigkeiten in Personengesellschaften, 2020. 453 BGH v. 6.4.2009 – II ZR 255/08, BGHZ 180, 221 = NJW 2009, 1962 = ZIP 2009, 1003 (Schiedsfähigkeit II). 454 BGH v. 6.4.2017 – I ZB 23/16, NZG 2017, 657 Rz. 26 = ZIP 2017, 1024 (Schiedsfähigkeit III).
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Geschäftsführungsbefugnis | § 715 BGB
waren sämtliche Beschlussmängelklagen, die denselben Klagegegenstand betreffen, bei demselben Schiedsgericht zu konzentrieren.455 Der I. Zivilsenat hatte hierbei übersehen, dass es der Übernahme der im Kapitalgesellschafts- 133 recht bestehenden Anforderungen an eine Schiedsklausel bei der Personengesellschaft nur bedarf, wenn die Klage gegen die Gesellschaft gerichtet wird.456 Nur dann gilt es zu gewährleisten, dass die (zumindest faktische Rz. 130, 131) Wirkung eines Urteils unter allen Gesellschaftern auch im Schiedsverfahren auf legitimer Grundlage fußt. In der Entscheidung Schiedsfähigkeit IV hat der I. Zivilsenat seine zu pauschale Betrachtungsweise korrigiert. Er hat klargestellt, dass die Mindestanforderungen an Schiedsklauseln aus der Schiedsfähigkeit II-Entscheidung nur auf Personengesellschaften zu übertragen sind, wenn sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergibt, dass die Gesellschaft für Beschlussmängelstreitigkeiten passiv legitimiert sein soll und infolge der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht sämtliche Gesellschafter an die Entscheidung gebunden seien.457 Sofern der Streit hingegen im Rahmen einer herkömmlichen Feststellungsklage unter den beteiligten Gesellschaftern ausgetragen wird, stellt sich das von den Mindestanforderungen an eine Schiedsvereinbarung adressierte Problem, die (faktische) Urteilswirkung erga omnes legitimieren zu müssen, nicht.458
§ 715 BGB Geschäftsführungsbefugnis (1) Zur Führung der Geschäfte der Gesellschaft sind alle Gesellschafter berechtigt und verpflichtet. (2) ¹Die Befugnis zur Geschäftsführung erstreckt sich auf alle Geschäfte, die die Teilnahme der Gesellschaft am Rechtsverkehr gewöhnlich mit sich bringt. ²Zur Vornahme von Geschäften, die darüber hinausgehen, ist ein Beschluss aller Gesellschafter erforderlich. (3) ¹Die Geschäftsführung steht allen Gesellschaftern in der Art zu, dass sie nur gemeinsam zu handeln berechtigt sind, es sei denn, dass mit dem Aufschub eines Geschäfts Gefahr für die Gesellschaft oder das Gesellschaftsvermögen verbunden ist. ²Dies gilt im Zweifel entsprechend, wenn nach dem Gesellschaftsvertrag die Geschäftsführung mehreren Gesellschaftern zusteht. (4) ¹Steht nach dem Gesellschaftsvertrag die Geschäftsführung allen oder mehreren Gesellschaftern in der Art zu, dass jeder allein zu handeln berechtigt ist, kann jeder andere geschäftsführungsbefugte Gesellschafter der Vornahme des Geschäfts widersprechen. ²Im Fall des Widerspruchs muss das Geschäft unterbleiben. (5) ¹Die Befugnis zur Geschäftsführung kann einem Gesellschafter durch Beschluss der anderen Gesellschafter ganz oder teilweise entzogen werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. ²Ein wichtiger Grund ist insbesondere eine grobe Pflichtverletzung des Gesellschafters oder die Unfähigkeit des Gesellschafters zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung.
455 BGH v. 6.4.2009 – II ZR 255/08, BGHZ 180, 221 Rz. 20 = NJW 2009, 1962 = ZIP 2009, 1003 (Schiedsfähigkeit II); BGH v. 6.4.2017 – I ZB 23/16, NZG 2017, 657 Rz. 25 = GmbHR 2017, 759 (Schiedsfähigkeit III). 456 Zu Recht kritisch daher etwa auch Baumann/Wagner, BB 2017, 1993, 1995 ff.; Borris, NZG 2017, 761, 763 f.; Nolting, ZIP 2017, 1641, 1642 ff.; Otto, ZGR 2019, 1082, 1108 f. 457 BGH v. 23.9.2021 – I ZB 13/21, NZG 2022, 264 Rz. 18 ff. = ZIP 2022, 125 (Schiedsfähigkeit IV). 458 BGH v. 23.9.2021 – I ZB 13/21, NZG 2022, 264 Rz. 17 = ZIP 2022, 125 (Schiedsfähigkeit IV). Holle und Könen | 297
Geschäftsführungsbefugnis | § 715 BGB
waren sämtliche Beschlussmängelklagen, die denselben Klagegegenstand betreffen, bei demselben Schiedsgericht zu konzentrieren.455 Der I. Zivilsenat hatte hierbei übersehen, dass es der Übernahme der im Kapitalgesellschafts- 133 recht bestehenden Anforderungen an eine Schiedsklausel bei der Personengesellschaft nur bedarf, wenn die Klage gegen die Gesellschaft gerichtet wird.456 Nur dann gilt es zu gewährleisten, dass die (zumindest faktische Rz. 130, 131) Wirkung eines Urteils unter allen Gesellschaftern auch im Schiedsverfahren auf legitimer Grundlage fußt. In der Entscheidung Schiedsfähigkeit IV hat der I. Zivilsenat seine zu pauschale Betrachtungsweise korrigiert. Er hat klargestellt, dass die Mindestanforderungen an Schiedsklauseln aus der Schiedsfähigkeit II-Entscheidung nur auf Personengesellschaften zu übertragen sind, wenn sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergibt, dass die Gesellschaft für Beschlussmängelstreitigkeiten passiv legitimiert sein soll und infolge der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht sämtliche Gesellschafter an die Entscheidung gebunden seien.457 Sofern der Streit hingegen im Rahmen einer herkömmlichen Feststellungsklage unter den beteiligten Gesellschaftern ausgetragen wird, stellt sich das von den Mindestanforderungen an eine Schiedsvereinbarung adressierte Problem, die (faktische) Urteilswirkung erga omnes legitimieren zu müssen, nicht.458
§ 715 BGB Geschäftsführungsbefugnis (1) Zur Führung der Geschäfte der Gesellschaft sind alle Gesellschafter berechtigt und verpflichtet. (2) ¹Die Befugnis zur Geschäftsführung erstreckt sich auf alle Geschäfte, die die Teilnahme der Gesellschaft am Rechtsverkehr gewöhnlich mit sich bringt. ²Zur Vornahme von Geschäften, die darüber hinausgehen, ist ein Beschluss aller Gesellschafter erforderlich. (3) ¹Die Geschäftsführung steht allen Gesellschaftern in der Art zu, dass sie nur gemeinsam zu handeln berechtigt sind, es sei denn, dass mit dem Aufschub eines Geschäfts Gefahr für die Gesellschaft oder das Gesellschaftsvermögen verbunden ist. ²Dies gilt im Zweifel entsprechend, wenn nach dem Gesellschaftsvertrag die Geschäftsführung mehreren Gesellschaftern zusteht. (4) ¹Steht nach dem Gesellschaftsvertrag die Geschäftsführung allen oder mehreren Gesellschaftern in der Art zu, dass jeder allein zu handeln berechtigt ist, kann jeder andere geschäftsführungsbefugte Gesellschafter der Vornahme des Geschäfts widersprechen. ²Im Fall des Widerspruchs muss das Geschäft unterbleiben. (5) ¹Die Befugnis zur Geschäftsführung kann einem Gesellschafter durch Beschluss der anderen Gesellschafter ganz oder teilweise entzogen werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. ²Ein wichtiger Grund ist insbesondere eine grobe Pflichtverletzung des Gesellschafters oder die Unfähigkeit des Gesellschafters zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung.
455 BGH v. 6.4.2009 – II ZR 255/08, BGHZ 180, 221 Rz. 20 = NJW 2009, 1962 = ZIP 2009, 1003 (Schiedsfähigkeit II); BGH v. 6.4.2017 – I ZB 23/16, NZG 2017, 657 Rz. 25 = GmbHR 2017, 759 (Schiedsfähigkeit III). 456 Zu Recht kritisch daher etwa auch Baumann/Wagner, BB 2017, 1993, 1995 ff.; Borris, NZG 2017, 761, 763 f.; Nolting, ZIP 2017, 1641, 1642 ff.; Otto, ZGR 2019, 1082, 1108 f. 457 BGH v. 23.9.2021 – I ZB 13/21, NZG 2022, 264 Rz. 18 ff. = ZIP 2022, 125 (Schiedsfähigkeit IV). 458 BGH v. 23.9.2021 – I ZB 13/21, NZG 2022, 264 Rz. 17 = ZIP 2022, 125 (Schiedsfähigkeit IV). Holle und Könen | 297
§ 715 BGB | Rechtsfähige Gesellschaft (6) ¹Der Gesellschafter kann seinerseits die Geschäftsführung ganz oder teilweise kündigen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. ²§ 671 Absatz 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. 1. 2. 3. 4. II.
Allgemeines Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dispositionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . Geschäftsführungsrecht und -pflicht (Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff und Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . 2. Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Geschäftsführung und Vertretung . . . b) Grundlagenbereich . . . . . . . . . . . . . . . 3. Berechtigung und Verpflichtung . . . . . 4. Ausgestaltung der Geschäftsführung . a) Gesellschafterversammlung als originäres Willensbildungsorgan . . . b) Selbst- und Fremdorganschaft . . . . . . c) Beschlüsse der Geschäftsführung . . . d) Vereinbarungen über die Geschäftsführungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . e) Gegenständliche Beschränkungen . . . 5. Rechtsstellung der geschäftsführenden Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsinhaberschaft und Recht zur Geschäftsführung . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Persönliche Rechtsausübung . . . . bb) Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausübung der Geschäftsführung . . . . aa) Geschäftsführungspflichten . . . . . bb) Haftung für Pflichtverletzungen . 6. Rechtsstellung der nichtgeschäftsführenden Gesellschafter . . . . . . . . . . . . III. Gegenstände der Geschäftsführung (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gewöhnliche Teilnahme am Rechtsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Außergewöhnliche Geschäfte . . . . . . . . IV. Arten der Geschäftsführungsbefugnis (Abs. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gemeinschaftliche Geschäftsführung . 2. Einzelgeschäftsführung auf der Grundlage ergänzender Vertragsauslegung . . 3. Notgeschäftsführungsbefugnis bei fehlender Erreichbarkeit mitgeschäftsführungsbefugter Gesellschafter . . . . .
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a) Gefahr für die Gesellschaft oder das Gesellschaftsvermögen . . . . . . . . . . . . b) Ersetzung der Zustimmung des nichterreichbaren Gesellschafters . . . aa) Vorrang der gesellschaftsvertraglichen Geschäftsführungsordnung bb) Keine Ersetzungsbefugnis bei Widerspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Widerspruchsrecht (Abs. 4) . . . . . . . . . 1. Unterrichtungs- und Widerspruchspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Widerspruchsbefugnis . . . . . . . . . . . . b) Ausübung des Widerspruchs . . . . . . . c) Erheblichkeit des Widerspruchs . . . . d) Unerheblichkeit des Widerspruchs . . e) Rechtzeitigkeit des Widerspruchs . . . 3. Wirkungen des Widerspruchs . . . . . . . 4. Abdingbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Entzug der Geschäftsführungsbefugnis (Abs. 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendbarkeit und Gegenstand . . . . . a) Unerheblichkeit des Rechtsgrundes der Geschäftsführungsbefugnis . . . . . b) Gegenstand der Einziehung bzw. Beschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gemeinschaftliche Geschäftsführung d) Abdingbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verhaltensbezogene und personelle wichtige Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verfahren zur Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis . . . . . . . . . a) Gesellschafterbeschluss und rechtliches Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bekanntgabe und Wirkungen . . . . . . VII. Kündigung aus wichtigem Grund (Abs. 6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kündigungsvoraussetzungen . . . . . . . . a) Gegenstand der Kündigung . . . . . . . . b) Wichtiger Grund . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kündigungserklärung . . . . . . . . . . . . d) Kündigungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entsprechende Anwendung von § 671 Abs. 2 und 3 BGB . . . . . . . . . . . . .
38 39 40 41 42 43 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 57 59 60 61 64 65 66 68 69 70 71 72 73 74
Geschäftsführungsbefugnis | Rz. 3 § 715 BGB Schrifttum: Arnold/Schansker, Die Zweiwochenfrist des § 626 II BGB bei der außerordentlichen Kündigung vertretungsberechtigter Organmitglieder, NZG 2013, 1172; Meier, Verfügungen über das gesamte Vermögen bei Personengesellschaften, DNotZ 2020, 246.
I. Allgemeines 1. Überblick § 715 BGB fasst den Normenbestand der §§ 709–712 BGB a.F. unter einem einheitlichen 1 Regelungsregime über die Geschäftsführung zusammen.1 Die Regelung trägt der Rechtssubjektivität des Personenverbandes dadurch Rechnung, dass die interne Willensbildung normativ von der Vertretung im Außenverhältnis nach § 720 BGB entkoppelt wird. Gleichwohl folgt die interne Willensbildung der Außengesellschaft bürgerlichen Rechts vorbehaltlich einer abweichenden Vereinbarung im Gesellschaftsrecht weiterhin dem Grundsatz, dass die Gesellschafter gemeinschaftlich zur Geschäftsführung ermächtigt sind. § 715 BGB steht in inhaltlichem Zusammenhang mit der Notgeschäftsführung des § 715a BGB.
2. Systematik Die Vorschrift regelt neben der Geschäftsführungsbefugnis aller Gesellschafter (Abs. 1) den 2 Gegenstand der Geschäftsführung (Abs. 2) und differenziert insoweit zwischen gewöhnlichen Maßnahmen im Rechtsverkehr sowie solchen, die darüber hinausgehen. Zusammen mit § 714 BGB bildet § 715 Abs. 1, Abs. 2 BGB die innergesellschaftliche Kompetenzordnung der Personengesellschaft hinsichtlich der Organe der Geschäftsführung sowie der Gesellschafterversammlung. Mit Abs. 3 legt die Bestimmung den Grundsatz der Gesamtgeschäftsführungsbefugnis fest, der hinsichtlich solcher Maßnahmen durchbrochen wird, die keinen Aufschub dulden. Abs. 4 statuiert für den Fall der Einzelgeschäftsführung ein Widerspruchsrecht der von der Geschäftsführung betroffenen geschäftsführungsbefugten Gesellschafter. Abs. 5 regelt die Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis aus wichtigem Grund, während Abs. 6 ein paralleles Kündigungsrecht der Geschäftsführer regelt.
3. Normzweck Aus dem Regelungszusammenhang des § 715 BGB mit der Bestimmung über die Beschluss- 3 fassung nach § 714 BGB wird deutlich, dass die kollektive Willensbildung der Personenaußengesellschaft durch die Willensbildungsorgane der Geschäftsführung sowie der Gesellschafterversammlung erfolgt. Diese bilden hinsichtlich unterschiedlicher Kompetenzbereiche den unmittelbaren Willen der Gesellschaft. Mit der rechtssubjektiven Verselbständigung der Gesellschaft von den Gesellschaftern geht aber die normative Akzentuierung der Unterscheidung zwischen Beschlussfassung und Geschäftsführung einher. Während die Geschäftsführung die Willensbildung der Gesellschaft selbst als deren eigenen Willen vermittelt, handelt es sich bei der Beschlussfassung um eine ständige Aktualisierung des Gesellschafterwillens, vermittelt über einen gemeinsamen Zweck, kollektiv als Verbandssubjekt am Rechtsverkehr teilzunehmen.2 Mit den §§ 714, 715 BGB soll dieser Unterschied herausgestellt werden.3
1 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 150. 2 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 150. 3 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 150. Könen | 299
§ 715 BGB Rz. 4 | Rechtsfähige Gesellschaft
4. Dispositionsfreiheit 4 Insbesondere das Zusammenspiel von § 715 BGB und § 715a BGB zeigt, dass der in § 715
BGB für die Geschäftsführung festgelegte normative Standard vorrangig der gesellschaftsvertraglichen Gestaltbarkeit unterliegt. So obliegt es den Gesellschaftern, die Art und Weise der Geschäftsführung in personeller sowie gegenständlicher Hinsicht festzulegen und einzelne Gesellschafter von der Geschäftsführung auszuschließen. Nur wenn alle geschäftsführungsbefugten Gesellschafter nicht erreichbar sind, gewährleistet § 715a BGB eine unentziehbare Notgeschäftsführungsbefugnis. Noch deutlicher zeigt § 714 BGB, dass es kein Bedürfnis gibt, die von der Geschäftsführung ausgeschlossenen Gesellschafter zu einer darüber hinausgehenden Mitwirkung zu ermächtigen. Vielmehr ist der durch § 715b BGB gewährleistete Minderheitenschutz ausreichend. So erstreckt sich die Geschäftsführungskompetenz ohnehin nur auf solche Maßnahmen, die der Förderung des Gesellschaftszwecks dienen. Insoweit haben sich die Gesellschafter aber ohnehin der verbandsrechtlichen Fremdbestimmung unterworfen. Die insoweit gezogene Grenze privatautonomer Unterwerfung ist überschritten, sobald der Gesellschaftszweck selbst betroffen ist. Insoweit wird die Mitwirkung zum Schutz unentziehbarer mitgliedschaftlicher Rechtspositionen durch §§ 714, 715 Abs. 2 Satz 2 BGB gewährleistet. Von § 715 BGB kann nur auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage oder im Rahmen eines Gesellschafterbeschlusses abgewichen werden.4
II. Geschäftsführungsrecht und -pflicht (Abs. 1) 5 Um verkehrsfähig als Rechtssubjekt im Rechtsverkehr agieren zu können, ist der Personenver-
band als Verbandssubjekt – mangels natürlicher Willens- und Handlungsfähigkeit – darauf angewiesen, dass ihm seine Organwalter den Gesellschaftswillen mitteln und organschaftliche Vertreter diesen Gesellschaftswillen umsetzen.5 § 715 Abs. 1 BGB bestimmt denjenigen Bereich, in dem die Geschäftsführer abstrakt berechtigt sind, denjenigen Gesellschaftswillen zu bilden, der der Förderung des Gesellschaftszwecks dient. In Abgrenzung dazu führen Grundlagengeschäfte, wenngleich es auch dadurch zu einer Willensbildung des Verbandes kommt, zu einer Umbildung des Gesellschaftszwecks. § 715 Abs. 1 BGB knüpft an das Recht zur Mitwirkung an der verbandsrechtlichen Willensbildung spiegelbildlich die Pflicht zur Mitwirkung an der Geschäftsführung. Hintergrund ist der Umstand, dass der Verband anderenfalls nicht willensfähig wäre. Die Pflicht zur Mitwirkung resultiert unmittelbar aus der mitgliedschaftlichen Förderpflicht. Anders als das Mitwirkungsrecht ist die Mitwirkungspflicht zwar nicht verzichtbar. Sie kann aber gesellschaftsvertraglich eingeschränkt werden, wie die dispositive Bestimmung des § 164 HGB über den Kommanditisten zeigt.
1. Begriff und Rechtsnatur 6 „Geschäftsführung ist jede zur Förderung des Gesellschaftszwecks ausgeübte Tätigkeit, mit
Ausnahme solcher Maßnahmen, die die Grundlagen der Gesellschaft betreffen.“6 Der Geschäftsführungsebene zugewiesen sind damit sämtliche Maßnahmen, mit denen die Zusammensetzung und die Organisation der Gesellschaft im Grundsätzlichen nicht beeinflusst werden soll, die mit anderen Worten nicht den Verbandszweck als solchen modifizieren, son4 Zur Gestaltung der Geschäftsführung siehe Otte, ZIP 2021, 2162, 2163 f. 5 Vgl. Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 116 HGB Rz. 7; Schäfer in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 6 Rz. 34. 6 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 150; vgl. BGH v. 10.10.1994 – II ZR 32/94, NJW 1995, 192 = GmbHR 1995, 224; Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 252 (Stand: 7/2020).
300 | Könen
Geschäftsführungsbefugnis | Rz. 11 § 715 BGB
dern dessen Verwirklichung dienen. Von der Geschäftsführung nach Abs. 1 – in Abgrenzung zu § 714 BGB – zu unterschieden ist die von § 715 Abs. 2 BGB adressierte Reichweite der Geschäftsführungsbefugnis. Insoweit geht es darum, inwiefern die zu beurteilende Geschäftsführungsmaßnahme vom Umfang der durch die Gesellschafter erteilten Ermächtigung erfasst ist.
2. Abgrenzung In den §§ 714, 715, 720 BGB ist der gesetzgeberische Wille angelegt, dass die Geschäftsfüh- 7 rung von der Vertretung sowie den Grundlagengeschäften abgegrenzt werden soll.7 a) Geschäftsführung und Vertretung Die §§ 715, 720 BGB machen die Unterscheidung zwischen der im Innenverhältnis relevan- 8 ten Geschäftsführungsbefugnis sowie der für das Außenverhältnis maßgeblichen Vertretungsbefugnis deutlich.8 Dabei geht es einerseits um die wirksame Willensbildung der Gesellschaft durch ihre Organe sowie andererseits um die organschaftliche Vertretungsmacht, aufgrund derer die Organwalter im Außenverhältnis das Eigenverhalten der Gesellschaft vermitteln. b) Grundlagenbereich In Abgrenzung zur Geschäftsführung sind Maßnahmen, die die Grundlagen der Gesellschaft 9 betreffen, wegen ihrer weitreichenden Bedeutung der Gestaltung durch die Gesamtheit der Gesellschaft vorbehalten (§§ 714, 715 Abs. 2 Satz 2 BGB).9 Sie stehen daher nicht zur Disposition der Geschäftsführer, sofern ihnen nicht durch den Gesellschaftsvertrag entsprechende Kompetenzen zuerkannt wurden. Derartige Grundlagengeschäfte betreffen die Zusammensetzung und Organisation der Gesellschaft im Grundsätzlichen.10
3. Berechtigung und Verpflichtung Im Rahmen der Personenaußengesellschaft folgt das Recht der Gesellschafter zur Ge- 10 schäftsführung bereits daraus, dass die selbstverantwortliche Gesellschafterhaftung für Verbindlichkeiten der Gesellschaft eine eigennützige selbstbestimmte Verbandsteilhabe erfordert. Insbesondere wenn die Haftung eine unmittelbare sein soll, muss diese mit einer unmittelbaren Teilhabe an der verbandsrechtlichen Willensbildung korrespondieren. Demgegenüber folgt die Mitwirkungspflicht einerseits aus der gesellschaftsrechtlichen För- 11 derpflicht sowie andererseits aus der Tatsache, dass die Rechtssubjektivität des Verbandes eine unvollständige wäre, wenn die Organwalter der geborenen Organe nicht auch einen Gesellschaftswillen aktiv bilden würden. Als „Pflichtrecht“ bringt § 715 Abs. 1 BGB dies zum
7 Vgl. Schäfer in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 6 Rz. 34 ff. Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 252 ff. (Stand: 7/2020). 8 Vgl. Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 252a (Stand: 7/2020). 9 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 150; vgl. BGH v. 14.11.1977 – II ZR 95/76, NJW 1978, 1000; Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 116 HGB Rz. 8 ff. 10 Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 254 f. (Stand: 7/2020). Könen | 301
§ 715 BGB Rz. 11 | Rechtsfähige Gesellschaft Ausdruck.11 Danach sei es den Gesellschaftern verboten, „Geschäfte durch Passivität oder nicht am Gesellschaftsinteresse orientierten Widerstand zu blockieren.“12 Ferner bedeute die Geschäftsführungspflicht, dass den geschäftsführungsbefugten Gesellschaftern grundsätzlich keine Vergütung zusteht, sondern ein Ausgleich der mitgliedschaftlichen Mitwirkungspflichten durch mitgliedschaftliche Wertrechte erfolgt.13 Zahlungen an die geschäftsführungsbefugten Gesellschafter sind dementsprechend grundsätzlich als vorweggenommene Gewinnbeteiligung zu qualifizieren, sofern nicht eine gesellschaftsvertragliche Regelung oder ein Gesellschafterbeschluss eine – über die variable Gewinnbeteiligung hinausgehende – feste Vergütung vorsehen oder ein gesonderter Dienstvertrag vereinbart ist.14 Vor dem Hintergrund, dass eine zusätzliche Gesellschaftervergütung eine Disposition über das Gesellschaftsvermögen darstellt, bedarf es in Anbetracht des gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes einer entsprechenden Artikulation des Gesellschafterwillens,15 wenn nicht die diesbezügliche Entscheidungsbefugnis auf eine Mehrheitsklausel gestützt werden kann. Aus der Geschäftsführungspflicht folgt ferner i.V.m. der Loyalitätspflicht, dass die Gesellschafter Geschäftschancen der Gesellschaft für die Gesellschaft nutzen.16
4. Ausgestaltung der Geschäftsführung 12 § 715 Abs. 3 BGB regelt den Grundsatz, dass die Geschäftsführung in der Personenaußen-
gesellschaft im Ausgangspunkt durch alle Gesellschafter gemeinschaftlich auszuüben ist. Dies ist Ausdruck der Tatsache, dass sich die Gesellschafter mit dem zivilrechtlichen Zusammenschluss wechselseitig verpflichtet haben, den Gesellschaftszweck zu fördern. Je nach Gesellschafterbestand kann dies zu schwerfälligen Entscheidungsprozessen führen. Ferner können einzelne Gesellschafter nicht zur Geschäftsführung geeignet sein. Mit Blick auf diese Interessenlage sind die Gesellschafter grundsätzlich frei, die Geschäftsführung abweichend von dem gesetzlichen Leitbild zu gestalten.17 Dafür sprechen insbesondere der Wunsch nach flexiblerer Entscheidungsfindung sowie das Prinzip der Aufgabenteilung. So kann die Geschäftsführung auch in gegenständlicher Hinsicht diversifiziert ausgestaltet werden. a) Gesellschafterversammlung als originäres Willensbildungsorgan 13 Während in einem zivilrechtlichen Zusammenschluss kraft gemeinschaftlicher Förderung ei-
nes gemeinsamen Zwecks grundsätzlich die Mitgliederversammlung das oberste Willensbildungsorgan darstellt, führen die §§ 714, 715 BGB zu einer Konkretisierung der innergesellschaftlichen Kompetenzordnung. Bei im Ausgangspunkt gleicher personeller Besetzung wird die Gesellschaftergesamtheit als Gesellschafterversammlung nur noch im Rahmen von § 714 BGB tätig, wenn es um Vereinbarungen geht, die die Grundlagen der Gesellschaft in Bezug auf Gesellschaftszweck und Gesellschaftsvertrag betreffen. Bei Maßnahmen, die der Verwirklichung des Gesellschaftszwecks dienen, agiert die Gesellschaftergesamtheit hingegen als Geschäftsführung und fasst – anstelle des Willens der Gesellschaftergesamtheit – den 11 Vgl. Schäfer in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 6 Rz. 34 ff. 12 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 150. 13 Vgl. Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 252 (Stand: 7/2020). 14 Vgl. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 150; RG v. 10.10.1933 – II 148/33, RGZ 142, 13, 18; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 1748. 15 Vgl. BGH v. 6.7.1967 – II ZR 218/65, BB 1967, 1307. 16 BGH v. 23.9.1985 – II ZR 257/84, NJW 1986, 584 585 = ZIP 1985, 1482; BGH v. 8.5.1989 – II ZR 229/88, NJW 1989, 2687 f. = GmbHR 1989, 460. 17 Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 116 HGB Rz. 22 ff.
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Geschäftsführungsbefugnis | Rz. 14 § 715 BGB
Willen der Gesellschaft. Mit dieser Kompetenztrennung bringt das Gesetz zum Ausdruck, dass die Willensbildung der Gesellschaft – im Rahmen der Ausübung des Gesellschaftszwecks – nicht durch das Organ der Gesellschafterversammlung erfolgt, sondern im Organ der Geschäftsführung. Die Besetzung des Organs der Geschäftsführung erfolgt durch die Gesellschafterversammlung, die im Wesentlichen frei in der Gestaltung ist. Die Aufspaltung in Gesellschafterversammlung und Geschäftsführung ist indes bloß eine künstliche, weil auch in der Gesellschafterversammlung der Gesellschaftswille gebildet werden kann. Die Kompetenztrennung bildet lediglich diejenigen Bereiche ab, in denen sich ein Gesellschafter der verbandsrechtlichen Fremdbestimmung unterwerfen kann (= Geschäftsführung), und die, die einer Fremdbestimmung entzogen sind (= Gesellschafterversammlung). b) Selbst- und Fremdorganschaft Der Gestaltbarkeit des Organs der Geschäftsführung durch die Gesellschafterversammlung 14 werden durch die gesetzlichen Voraussetzungen Restriktionen auferlegt, die der Personenverband aufgrund des numerus clausus der Rechtsformen erfüllen muss, um als Rechtssubjekt im Rechtsverkehr agieren zu können. So geht die h.M. davon aus, dass die Geschäftsführung in einer Personengesellschaft nur durch persönlich haftende Gesellschafter als Organwalter ausgeübt werden kann.18 Ausgangspunkt dieser Annahme ist die Tatsache, dass die Gesellschafter des Personenverbandes persönlich für Verbindlichkeiten der Gesellschaft haften. Diese normativ angeordnete Selbstverantwortung für die Verbindlichkeiten eines anderen Rechtssubjekts kommt grundsätzlich nur in Betracht, wenn diese auf ein selbstbestimmtes, eigennütziges Verhalten zurückgeführt werden kann. Unmittelbar kommt dies dadurch zum Ausdruck, dass die Grundlagen der Gesellschaft – für deren Verbindlichkeiten die Gesellschafter haften sollen – nur durch die Gesamtheit der Gesellschafter geregelt und modifiziert werden können. Daraus resultiert auch die Tatsache, dass grundsätzlich alle persönlich haftenden Gesellschafter geborene Organwalter der Geschäftsführung sind. Wird aber zutreffend angenommen, dass die Gesellschafter hinsichtlich der Geschäftsführung weitreichende Dispositionen treffen können, weil sie sich insoweit bereits über den Verbandszweck in zulässiger Weise der Fremdbestimmung unterworfen haben, bedarf es eines gesonderten Begründungsaufwandes für die Annahme, die Geschäftsführung könne nur auf persönlich haftende Gesellschafter übertragen werden, nicht hingegen auf einen Fremdorganwalter, wenn doch insoweit die Grundlagen der Gesellschaft gar nicht betroffen sind. Eine rechtsgeschäftliche Vertretung der Gesellschaft durch Gesellschaftsfremde, die mit Geschäftsführungsaufgaben betraut sind – mit der Folge der persönlichen Gesellschafterhaftung für die im Rahmen dieser Vertretungsmacht begründeten Verbindlichkeiten –, wird demgegenüber allgemein für zulässig erachtet.19 Zulässig sein sollen sogar Regelungen, aufgrund derer die Gesellschafter dem mit Geschäftsführungsaufgaben betrauten Dritten dessen Stellung nicht jederzeit ohne wichtigen Grund entziehen können.20 In Anbetracht der innergesellschaftsrechtlichen Kompetenzordnung ist es aber stets erforderlich und zulässig, dass die Gesellschaftergesamt in der Gläubigerversammlung dem mit Geschäftsführungsaufgaben betrau-
18 Vgl. BGH v. 11.7.1960 – II ZR 260/59, BGHZ 33, 105 = juris Rz. 15; vgl. Begr. zu §§ 715, 720 BGB-E RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 150 f., 162 ff.; Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 116 HGB Rz. 17; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 14 II 2 b; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 234 ff. (Stand: 9/2021); Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Band 1, 1980, § 6 IV 1; s. aber BGH v. 5.10.1981 – II ZR 203/80, NJW 1982, 1817, 1818 = ZIP 1982, 578. 19 BGH v. 22.1.1962 – II ZR 11/61, BGHZ 36, 292, 293 = NJW 1962, 738; BGH v. 5.10.1981 – II ZR 203/80, NJW 1982, 1817 = ZIP 1982, 578; BGH v. 8.2.2011 – II ZR 263/09, BGHZ 188, 233 = NJW 2011, 2040 Rz. 19 = ZIP 2011, 909. 20 BGH v. 5.10.1981 – II ZR 203/80, NJW 1982, 1817 = ZIP 1982, 578. Könen | 303
§ 715 BGB Rz. 14 | Rechtsfähige Gesellschaft ten Dritten Weisungen erteilen kann.21 Der argumentative Ansatzpunkt muss dementsprechend ein anderer sein. Wie diese weitreichende Möglichkeit der Fremdverpflichtung zeigt, können es nicht die Vermögensinteressen der Gesellschafter allein sein, die eine Fremdorganschaft ausschließen. Positive Wirkungen kommen einem ausschließlich durch persönlich haftende Gesellschafter besetzten Willensbildungsorgan der Gesellschaft in zweierlei Hinsicht zu – einerseits aus gesellschafterschützenden Aspekten, andererseits aber auch aus Gesichtspunkten des Gläubigerschutzes. So gewährleistet die Willensbildung des Personenverbandes (nur) durch persönlich haftende Gesellschafter, dass die Gesellschaft im Stadium der Krise weniger opportunistische Verhaltensweisen zu Lasten der Gesellschaftsgläubiger wagt, weil die Gesellschafter eine persönliche Inanspruchnahme zu befürchten haben. Mit Blick auf diesen gläubigerschützenden Aspekt wäre eine ausdrückliche Regelung des Prinzips der Selbstorganschaft angezeigt gewesen. So steht das Prinzip der Selbstorganschaft im unmittelbaren Zusammenhang mit der persönlichen Gesellschafterhaftung. Ferner ist die innere Willensbildung der Vertretung notwendig vorgeschaltet, so dass die Willensbildung insgesamt in einem hinreichenden inneren Zusammenhang mit der Einstandspflicht steht. Solange die Gesellschafter in der Gesellschafterversammlung die Möglichkeit haben, die Geschäftsführung wieder auf die Gesellschafter zu verteilen, ist dieser Zusammenhang zu bejahen. Die gesteigerte Gestaltungsmöglichkeit im Rahmen der Geschäftsführung – gegenüber den Mitwirkungsbefugnissen in der Gesellschafterversammlung – ist darauf zurückzuführen, dass sich diese nur auf solche Maßnahmen bezieht, die der Verfolgung des Gesellschaftszwecks dienen. Anders als Fremdorganwalter sind die Gesellschaftergeschäftsführer durch ihre gesellschaftsvertragliche Bindung in stärkerem Maße an die Verfolgung dieses Zwecks gebunden, zumal sie dies auch im Eigeninteresse tun werden, weil sie im Gegenzug zu der Gefahr der Inanspruchnahme auf der Grundlage der Gesellschafterhaftung über ihre mitgliedschaftliche Wertbeteiligung von der Geschäftsführung profitieren. c) Beschlüsse der Geschäftsführung 15 Sofern die Gesellschafter an dem gesetzlichen Leitbild des § 715 BGB über die Gesamt-
geschäftsführung festhalten, erfolgt die Willensbildung im Geschäftsführungsorgan im Wege der einstimmigen Beschlussfassung unter dem Austausch von Rede und Gegenrede. Das Beschlussverfahren richtet sich insoweit nach dem Gesellschaftsvertag sowie ergänzend nach den Bestimmungen des HGB, sofern die Gesellschaft einen hinreichenden Professionalisierungsgrad aufweist (§ 709 BGB Rz. 45 ff.). d) Vereinbarungen über die Geschäftsführungsbefugnis 16 Sofern die Gesellschafter Abweichungen von dem gesetzlichen Leitbild vereinbaren, steht ih-
nen die Wahl zwischen einer Einzelgeschäftsführungsbefugnis sowie einer Gesamtgeschäftsführungsbefugnis zu, hinsichtlich derer einzelne Gesellschafter von der Geschäftsführung ausgeschlossen sind. Die Regelung kann sowohl durch die Artikulation des Ausschlusses von Gesellschaftern zum Ausdruck kommen als auch durch eine positive Zuweisung der Geschäftsführungsbefugnis. e) Gegenständliche Beschränkungen 17 Neben der personellen Konkretisierung haben die Gesellschafter die Möglichkeit, die Ge-
schäftsführungsbefugnis i.S.v. § 715 Abs. 2 BGB in gegenständlicher Hinsicht zu konkretisie-
21 Vgl. BGH v. 20.9.1993 – II ZR 204/92, NJW-RR 1994, 98; BGH v. 11.2.1980 – II ZR 41/79, BGHZ 76, 160, 164 f. = NJW 1980, 1463, 1464 = GmbHR 1981, 186.
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Geschäftsführungsbefugnis | Rz. 21 § 715 BGB
ren. Insofern kommen etwa gesellschaftsinterne Zuweisungen hinsichtlich Einkauf, Verkauf und Produktion in Betracht.
5. Rechtsstellung der geschäftsführenden Gesellschafter Die geschäftsführenden Gesellschafter sind Organwalter des Gesellschaftsorgans der Ge- 18 schäftsführung. Insofern bilden sie unmittelbar den Willen der Gesellschaft, ohne dass es eines weiteren Übertragungs- oder Zurechnungsaktes bedarf. a) Rechtsinhaberschaft und Recht zur Geschäftsführung Mit der originären Inhaberschaft der Stellung als Organwalter oder einer diesbezüglichen ge- 19 sellschaftsvertraglichen Zuweisung kommt den Gesellschaftern eine Doppelfunktion zu, je nachdem, ob sie den Willen der Gesellschaft bilden oder ihren privaten Willen als Individuum. aa) Persönliche Rechtsausübung Da die Stellung als Organwalter im Personenverband eine mitgliedschaftliche Verbindung in 20 der Gesellschaft erfordert, die ihrerseits höchstpersönlicher Natur ist, ist die Ausübung der Aufgaben als Geschäftsführer persönliche Angelegenheit.22 Eine Übertragung scheidet damit aus. Es stellt sich gleichwohl – wie hinsichtlich der Ausübung mitgliedschaftlicher Rechte – die Frage nach der Zulässigkeit der Delegation der Geschäftsführungstätigkeit. Wie § 715 Abs. 1 BGB aber mit der Formulierung als „Pflichtrecht“ zum Ausdruck bringt, handelt es sich bei der Tätigkeit als Geschäftsführer um eine solche, bei der Rechte und Pflichten untrennbar miteinander verbunden sind. Vor dem Hintergrund, dass eine Delegation mitgliedschaftlicher Pflichten – mit Blick auf die Interessen der übrigen Gesellschafter – nicht in Betracht kommt, ist auch die Delegation der Geschäftsführungstätigkeit ausgeschlossen. Noch deutlicher wird dies im Falle der Zuweisung der Geschäftsführertätigkeit an wenige Gesellschafter, weil die Gesellschaftergesamtheit die besondere Bedeutung der Geschäftsführung gerade durch diese Gesellschafter im Rahmen des Gesellschaftsvertrages hervorgehoben haben, dies aber regelmäßig um den Preis einer gesteigerten Pflichtenlast der anderen Gesellschafter. Eine Vertretung kommt daher grundsätzlich nicht in Betracht.23 Dies schließt aber nicht aus, dass sich der geschäftsführende Gesellschafter der Hilfe von weisungsgebundenen Mitarbeitern bedient, solange die organschaftliche Leitungsbefugnis beim Geschäftsführer verbleibt.24 Derartige Mitarbeiter stehen als Erfüllungsgehilfen mit der Gesellschaft in rechtsgeschäftlichen Beziehungen.25 bb) Vergütung Die Geschäftsführungspflicht bedeutet, dass den geschäftsführungsbefugten Gesellschaftern 21 grundsätzlich keine Vergütung zusteht. Vielmehr erfolgt ein Ausgleich der mitgliedschaftlichen Mitwirkungspflichten durch mitgliedschaftliche Wertrechte, so dass Zahlungen an die geschäftsführungsbefugten Gesellschafter als vorweggenommene Gewinnbeteiligung zu qualifizieren sind, sofern nicht eine gesellschaftsvertragliche Regelung oder ein Gesellschaf-
22 Vgl. Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 116 HGB Rz. 31. 23 Vgl. RG v. 12.2.1929 – II 295/28, RGZ 123, 289, 299. 24 Vgl. zur diesbezüglichen Bestellung einer Generalvollmacht, BGH v. 20.10.2008 – II ZR 107/07, NJW 2009, 293 Rz. 8 = ZIP 2008, 2260. 25 BGH v. 31.3.1954 – II ZR 57/53, BGHZ 13, 61, 64 = NJW 1954, 1158. Könen | 305
§ 715 BGB Rz. 21 | Rechtsfähige Gesellschaft terbeschluss eine – über die variable Gewinnbeteiligung hinausgehende – feste Vergütung vorsehen oder ein gesonderter Dienstvertrag vereinbart ist (Rz. 11).26 b) Ausübung der Geschäftsführung 22 Mit der Geschäftsführung verbunden ist neben dem Recht der Geschäftsführung eine diesbe-
zügliche Pflicht.27 Die Ausübung der Geschäftsführung ist am Gesellschaftsinteresse auszurichten, wie es durch den Gesellschaftszweck vereinbart ist.28 Die Geschäftsführer haben ihre Tätigkeit in eigener Verantwortung ausüben. In entsprechender Anwendung der Business Judgment Rule aus § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG kann ihnen ein unternehmerischer Ermessensspielraum zukommen, sofern der Gesellschaftszweck ein unternehmerischer ist.29 Konkretisierungen des Spielraums der Geschäftsführung oder Eingriffe in die Geschäftsführung bedürfen in Anbetracht der innergesellschaftsrechtlichen Kompetenzordnung grundsätzlich der gesellschaftsvertraglichen Regelung.30 Ein Beschluss der Gesellschafterversammlung entfaltet die gleichen Wirkungen, so dass die Gesellschafterversammlung der Geschäftsführung Weisungen erteilen kann. Im Falle einer Mehrheitsklausel kann dies auch durch Mehrheitsbeschluss erfolgen. aa) Geschäftsführungspflichten 23 Der Pflichtenumfang beurteilt sich nach dem konkret zugewiesenen Aufgabenbereich. So-
fern die Gesellschafter keinen Aufgabenbereich konkretisiert haben, erstreckt sich die Geschäftsführung auf sämtliche gewöhnliche Maßnahmen, die die Tätigkeit der konkreten Gesellschaft – in Verwirklichung des Gesellschaftszwecks – mit sich bringt. Den Geschäftsführern obliegt die Verfolgung des Gesellschaftszwecks sowie die Wahrnehmung der Geschäftsführungspflicht. Daneben werden die allgemeinen Mitgliedspflichten wie die Loyalitäts- und Förderpflicht durch die Geschäftsführungstätigkeit konkretisiert. Sie sind verpflichtet, Geschäftschancen für die Gesellschaft wahrzunehmen.31 Die Ausübung der Geschäftsführung erfolgt nach eigenem Ermessen, sofern im Gesellschaftsvertrag keine Leitlinien aufgestellt sind. Dabei unterliegt die Geschäftsführung vollständig der Weisungsbefugnis durch die Gesellschafterversammlung.32 bb) Haftung für Pflichtverletzungen 24 Jegliche Verletzung der Geschäftsführungspflichten stellt eine Pflichtverletzung im Rahmen
des § 280 Abs. 1 BGB. Die Geschäftsführer dürfen nicht entgegen den Vorgaben des Gesell-
26 Vgl. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 151; vgl. Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 116 HGB Rz. 57 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 1748. 27 Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 116 HGB Rz. 35. 28 Vgl. auch zur Berücksichtigung des corporate-purpose-Konzepts sowie ESG-Belangen m.w.N. Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 116 HGB Rz. 36. 29 Drescher in E/B/J/S, 4. Aufl. 2020, § 114 HGB Rz. 32; Fleischer/Danninger, NZG 2016, 481, 490; Harnos, RFamU 2022, 355, 356; Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 116 HGB Rz. 48; Podewils, BB 2014, 2632; 2633; a.A. Jungmann in 1. FS K Schmidt, 2009, S. 831 ff., 846; differenzierend, Schirrmacher, ZHR 186 (2022), 250, 266 ff., 272 ff. 30 BGH v. 11.2.1980 – II ZR 41/79, BGHZ 76, 160, 164 = NJW 1980, 1463, 1464 = GmbHR 1981, 186. 31 BGH v. 23.9.1985 – II ZR 257/84, NJW 1986, 584, 585 = ZIP 1985, 1482; BGH v. 8.5.1989 – II ZR 229/88, NJW 1989, 2687 f. = GmbHR 1989, 460. 32 Vgl. BGH v. 11.2.1980 – II ZR 41/79, BGHZ 76, 160, 164 = NJW 1980, 1463, 1464 = GmbHR 1981, 186.
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Geschäftsführungsbefugnis | Rz. 26 § 715 BGB
schaftsvertrages handeln.33 Sofern die Pflichtverletzung vorsätzlich oder fahrlässig begangen wird, folgt dementsprechend eine Schadensersatzpflicht des Gesellschaftergeschäftsführers gegenüber der Gesellschaft. Eine Haftungsprivilegierung kommt nur in Betracht, sofern die Gesellschafter diese im Gesellschaftsvertrag vereinbart haben.34
6. Rechtsstellung der nichtgeschäftsführenden Gesellschafter Solche Gesellschafter, die von der Geschäftsführung ausgeschlossen sind, haben als einzelne 25 Gesellschafter grundsätzlich keine Möglichkeit, an der gewöhnlichen Geschäftsführung mitzuwirken. Ihre Mitwirkungsbefugnis ergibt sich nur bei Maßnahmen, die über die gewöhnliche Geschäftsführung hinausgehen, und im Rahmen der Gesellschafterversammlung, in der Beschlüsse gefasst werden können, die Weisungen an die Geschäftsführung enthalten.35 Während Minderheitsgesellschafter hinsichtlich der Gesellschafterversammlung die Möglichkeit haben, die verbandsrechtliche Willensbildung jedenfalls in der Weise anzustoßen, dass sie eine Ersetzungsbefugnis zur Einberufung der Gesellschafterversammlung ausüben können (s. § 709 BGB Rz. 44, 46), kommt hinsichtlich der Geschäftsführung eine solche Befugnis grundsätzlich nicht in Betracht. Hintergrund ist, dass die Gesellschafter, sofern sie im Rahmen des Gesellschaftsvertrages eine Kompetenzordnung für den Personenverband in der Weise aufstellen, dass die Geschäftsführung nur einzelnen Gesellschaftern zugewiesen wird, sie sich auch an dieser festhalten lassen müssen. Ein Minderheitenschutz wird insoweit durch die Notgeschäftsführungsbefugnis nach § 715a BGB gewährleistet. Dies bedeutet, dass nichtgeschäftsführungsbefugte Gesellschafter auf die Geschäftsführung nur dadurch einwirken können, dass entweder im Rahmen einer einberufenen Gesellschafterversammlung ein Beschluss gefasst wird, der Geschäftsführung Weisungen zu erteilen, oder dass die Gesellschafter als Gesamtheit durch eine Änderung des Gesellschaftsvertrages das Gesellschaftsorgan der Geschäftsführung umgestalten. Eine actio pro socio auf Unterlassung einzelner Geschäftsführungsmaßnahmen kommt vor dem Hintergrund der innergesellschaftlichen Kompetenzordnung nicht in Betracht (s. § 715b BGB Rz. 9).
III. Gegenstände der Geschäftsführung (Abs. 2) Während § 715 Abs. 1 BGB die abstrakte Fähigkeit der Organwalter bestimmt, den Gesell- 26 schaftswillen für solche Maßnahmen der Gesellschaft zu bilden, die in der Förderung des Gesellschaftszwecks liegen, trifft § 715 Abs. 2 BGB eine Regelung zur maßgeblichen Reichweite der konkret zulässigen Willensbildung für die Gesellschaft. § 715 Abs. 2 BGB bestimmt auf diese Weise den Umfang der Geschäftsführung.36 § 715 Abs. 2 BGB unterscheidet wiederum zwischen solchen Maßnahmen, die im Wege delegierter Geschäftsführungsbefugnis wahrgenommen werden können, und solchen, die der Entscheidungskompetenz der Gesellschafterversammlung unterliegen, dies aber in den Grenzen des Bereichs der Geschäftsführung nach § 715 Abs. 1 BGB. Beide Varianten des § 715 Abs. 2 BGB beziehen sich auf Geschäfte, die sich grundsätzlich noch im Rahmen der privatautonomen Unterwerfung der Gesellschafter unter die Verbandsherrschaft am Maßstab des Gesellschaftszwecks bewegen. Gleichwohl sieht § 715 Abs. 2 BGB vor, dass zur Vornahme von Geschäften, die über die 33 BGH v. 4.11.1996 – II ZR 48/95, NJW 1997, 314 = ZIP 1996, 2164; Haas/Mohamed in Röhricht/ Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 116 HGB Rz. 43. 34 Zum Entfallen des § 708 BGB a.F., Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/ Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 116 HGB Rz. 45 ff. 35 Vgl. BGH v. 11.2.1980 – II ZR 41/79, BGHZ 76, 160, 164 = NJW 1980, 1463, 1464 = GmbHR 1981, 186. 36 Vgl. Schäfer in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 6 Rz. 36. Könen | 307
§ 715 BGB Rz. 26 | Rechtsfähige Gesellschaft gewöhnliche Teilnahme am Rechtsverkehr hinausgehen, ein Beschluss aller Gesellschafter erforderlich ist. Anders als im Rahmen von Maßnahmen, die die Grundlagen der Gesellschaft und damit den Verbandszweck als solchen betreffen, beruht diese Einschränkung der Einzelgeschäftsführung aber weniger auf unentziehbaren Mitgliedsrechten. Vielmehr wird ein normatives Leitbild dahingehend aufgestellt, dass sich die Gesellschafter nicht vorschnell in die Fremddisposition über die Gesellschaftsgeschicke begeben. Dieses Leitbild beruht auf dem berechtigten rationalen Desinteresse solcher Gesellschaftsgestaltungen, die die Geschäftsführung auf solche Gesellschafter übertragen, die dafür die am geeignetsten erscheinen, während die übrigen Gesellschafter ihre Förderbeiträge auf andere Art und Weise erbringen. Die Geschäftsführung durch Wenige führt zu einer flexibleren Willensbildung des Verbandes. Bei gewöhnlichen Geschäften überwiegt dieses Interesse, schnelle Entscheidungen herbeiführen zu können, ohne einen aufwendigen Willensbildungsprozess initiieren zu müssen. Bei Geschäften, die über derartige Alltagssituationen hinausgehen, ordnet § 715 Abs. 2 BGB als normativen Standard an, dass die Willensbildung kollektiv – gegebenenfalls in Rede und Gegenrede – stattfinden soll, weil in derartigen Konstellationen, in denen der „Zuschnitt [der Geschäftsführung] wesentlich verändert wird“, grundsätzlich ein Mitwirkungsinteresse der Gesellschafter anzunehmen ist. Auf diese Weise bringt § 715 Abs. 2 BGB zum Ausdruck, dass sich die Gesellschafter hinsichtlich außergewöhnlicher Geschäftsführung in der Regel nicht privatautonom der Verbandsherrschaft unterwerfen wollen. 27 Anders als § 714 BGB dient die Differenzierung des § 715 Abs. 2 BGB zwischen gewöhnli-
chen und außergewöhnlichen Geschäftsführungsmaßnahmen aber lediglich in den Fällen der Schaffung einer am mutmaßlichen Gesellschafterwillen ausgerichteten Regelersatzordnung, in denen die Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag keine abweichende Differenzierung vorgenommen haben. Die mitgliedschaftlich veranlagte Grenze zu § 714 BGB ist hingegen überschritten, wenn Maßnahmen betroffen sind, die das mitgliedschaftliche Verhältnis der Gesellschafter untereinander betreffen, weil durch diese das organisationsrechtliche Fundament modifiziert bzw. durchbrochen würde, weshalb es diesbezüglich einer privatautonomen Entscheidung aller Gesellschafter bedarf.
1. Gewöhnliche Teilnahme am Rechtsverkehr 28 Die Unterscheidung des § 715 Abs. 2 BGB zwischen Geschäften, die die gewöhnliche Teil-
nahme der konkreten Gesellschaft mit sich bringt, sowie solchen Geschäften, die darüber hinausgehen, betrifft lediglich Maßnahmen der Geschäftsführung i.S.v. § 715 Abs. 1 BGB. Die Konkretisierung derjenigen Geschäfte, die die gewöhnliche Teilnahme am Rechtsverkehr mit sich bringt, hat ausgehend von dem konkreten Gesellschaftszweck zu erfolgen, weil dieser die äußerste Grenze zulässiger Geschäftsführungsmaßnahmen bestimmt.37 In Anbetracht der Tatsache, dass sich der Gesellschaftszweck der Außen-GbR auf jeden erlaubten Zweck beziehen kann, der nicht in dem Betrieb eines Handelsgewerbes liegt, ist die Abgrenzung gewöhnlicher Geschäftsführung von außergewöhnlichen Maßnahmen schwierig, weil die Bildung von Referenzregelungen vor dem Hintergrund fließender Grenzen verfolgter Gesellschaftszwecke kaum möglich ist. Maßgeblich für die Beurteilung der Gewöhnlichkeit sind daher die konkrete gesellschaftsvertraglich vereinbarte Zweckverfolgung sowie der tatsächliche oder hypothetische Wille der Gesellschafter, wie die Zweckverfolgung gewöhnlicherweise zu erfolgen hat, weil sich hierauf das rationale Desinteresse der nichtgeschäftsführungsbefugten Gesellschafter erstreckt. Zum Schutz nichtgeschäftsführungsbefugter Gesellschafter
37 Vgl. zu Beispielen der Geschäftsführungstätigkeit, Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 116 HGB Rz. 71; Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 253 ff. (Stand: 7/2020).
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Geschäftsführungsbefugnis | Rz. 32 § 715 BGB
ist bei objektiv berechtigten Zweifeln über die Gewöhnlichkeit eines Geschäfts ein außergewöhnliches Geschäft anzunehmen.
2. Außergewöhnliche Geschäfte Von den gewöhnlichen Geschäften zu unterscheiden sind die außergewöhnlichen Geschäf- 29 te.38 Die Bezeichnung als Grundlagengeschäft sollte im Kontext des Abs. 2 vermieden werden, weil damit die Grenze mitgliedschaftlicher Gestaltungshoheit i.S.v. § 714 BGB verwischt würde. Außergewöhnliche Geschäfte sind solche, bei denen das rationale Desinteresse nichtgeschäftsführungsbefugter Gesellschafter hinsichtlich der verbandsrechtlichen Willensbildung – weil sie ihren Förderbeitrag nicht im Rahmen des operativen Geschäfts, sondern auf andere Weise zu erbringen – zu einem Mitwirkungsinteresse erstarkt. Als Beispiele nennt die Gesetzesbegründung die Neuausrichtung der Geschäftspolitik durch den Wechsel des Hauptvertragspartners sowie die Bestellung einer Generalvollmacht.39
IV. Arten der Geschäftsführungsbefugnis (Abs. 3) § 715 Abs. 3 BGB bestimmt für die Außen-GbR den hypothetischen Gesellschafterwillen 30 dahingehend, dass die Geschäftsführung allen Gesellschaftern als Gesamtgeschäftsführungsbefugnis zukommen soll. In Anbetracht der niedrigen Gründungsschwelle für die Konstituierung eines Personenverbandes wird damit insbesondere denjenigen Gestaltungsformen Rechnung getragen, bei denen aufgrund eines geringen Professionalisierungsgrades nur rudimentäre Regelungen im Gesellschaftsvertrag getroffen worden sind. Insbesondere solche Gesellschaftsverträge werden keine Regelungen für Gesellschafterkonflikte enthalten, so dass von einem Interesse auszugehen ist, Konflikte möglichst kollektiv auf der Grundlage kollektiver Willensbildung aufzulösen. Vor dem Hintergrund, dass die kollektive Willensbildung mitunter nur behäbig erfolgt, sieht 31 § 715 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 BGB eine Durchbrechung der Gesamtgeschäftsführungsbefugnis vor, wenn eine schnelle Bildung des Gesellschaftswillens angezeigt ist, weil anderenfalls Gefahren für Gesellschaft oder Gesellschaftsvermögen zu befürchten sind. Satz 2 erstreckt diese Einzelgeschäftsführungsbefugnis der geschäftsführungsbefugten Gesellschafter auf Konstellationen, in denen eine gemeinschaftliche Geschäftsführung gesellschaftsvertraglich vorgesehen ist. Der Regelung des § 715 Abs. 3 Satz 2 BGB kommt eine darüber hinausgehende Regelungs- 32 wirkung zu, da sich dieser auf beide Halbsätze des § 715 Abs. 3 Satz 1 BGB bezieht. Danach ist im Zweifel von einer Gesamtgeschäftsführungsbefugnis innerhalb einer Gruppe von zur Geschäftsführung berufenen Gesellschaftern auszugehen. Ist mit der Bestimmung, dass die Geschäftsführung mehreren Gesellschaftern zukommen soll, hingegen beabsichtigt, im Rahmen einer Gruppe von Gesellschaftern jedem eine Einzelgeschäftsführungsbefugnis zukommen zu lassen, bedarf dies nach der Formulierung des § 715 BGB der abweichenden gesellschaftsvertraglichen Bestimmung. Da der hypothetische Gesellschafterwille einer hinreichend professionalisierten Außen-GbR regelmäßig auf eine Einzelgeschäftsführung hinausläuft – Hintergrund ist das rationale Desinteresse an gewöhnlichen Geschäftsführungsmaßnahmen des operativen Geschäfts – findet die Zweifelregelung in diesen Konstellationen regelmäßig keine Anwendung, weil eine entsprechende Vertragslücke entgegen diesem formulierten Leitbild vorrangig im Wege ergänzender Vertragsauslegung zu schließen ist.
38 Vgl. Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 116 HGB Rz. 72. 39 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 151. Könen | 309
§ 715 BGB Rz. 33 | Rechtsfähige Gesellschaft
1. Gemeinschaftliche Geschäftsführung 33 Anders als § 116 Abs. 3 HGB sieht das BGB als Regelersatzordnung – unter Berücksichtigung
des hypothetischen Gesellschafterwillens – anstelle einer Einzelgeschäftsführungsbefugnis eine Gesamtgeschäftsführungsbefugnis vor. Als Korrektiv mangelnder Professionalisierung gesellschaftsvertraglicher Bestimmungen handelt es sich dabei allerdings bloß um eine Auffangbestimmung für den Fall, dass die diesbezügliche Lückenfüllung des Gesellschaftervertrages im Wege ergänzender Vertragsauslegung nicht einen abweichenden Gesellschafterwillen erkennen lässt (Rz. 32). Mit diesem Grundgedanken kollidiert der Umstand, dass eine eingetragene GbR gerade einen hinreichenden Professionalisierungsgrad aufweist, gleichwohl aber im gesetzlichen Regelfall auch hinsichtlich der internen Willensbildung der gemeinschaftlichen Wahrnehmung unterliegt.
34 Im Rahmen gesellschaftsvertraglicher Gestaltungsfreiheit kann die Gesamtgeschäftsfüh-
rungsbefugnis dem Mehrheitsprinzip unterworfen werden.40 Im Übrigen gilt aber das Einstimmigkeitserfordernis, sofern nicht eine Maßnahme betroffen ist, die keinen Aufschub duldet. 35 Die gemeinschaftliche Geschäftsführung bedingt bereits für gewöhnliche Geschäfts einen Ei-
nigungszwang und kann die interne Willensbildung stark verlangsamen, mitunter effektiv sogar unmöglich machen. Vor dem Hintergrund der mitgliedschaftlichen Grundlage der Geschäftsführungsbefugnis im Personenverband haben die mitgliedschaftlichen Rechte und Pflichten Einfluss auf die interne Willensbildung, so dass die geschäftsführungsbefugten Gesellschafter am Maßstab des vereinbarten Gesellschaftszwecks zu einer Zustimmung verpflichtet sein können.
2. Einzelgeschäftsführung auf der Grundlage ergänzender Vertragsauslegung 36 Die Gesetzesbegründung verweist darauf, dass die interne Willensbildung grundsätzlich
Abbild der Vertretungsmacht im Außenverhältnis sein müsse, es insoweit aber die persönliche Gesellschafterhaftung gebiete, dass die haftenden Gesellschafter auch gemeinschaftlich an der Gesellschaftshandlung – und damit auch an der vorgelagerten Willensbildung – mitwirken müssten.41 Für diese Argumentation spricht das notwendige Zusammenspiel von eigennütziger Selbstbestimmung und Selbstverantwortung, wie es in der Gesellschafterhaftung zum Ausdruck kommt. Ferner verweist die Gesetzesbegründung auf die abweichende Interessenlage des Rechtsverkehrs im Rahmen von Handelsgeschäften, die aufgrund der für ihn typischen Schnelllebigkeit im Regelfall eine Einzelvertretung und damit auch eine Einzelgeschäftsführung verlange. Insoweit handele es sich um eine den Bedürfnissen des Handelsverkehrs geschuldete und nur für diesen gerechtfertigte Ausnahme, die sich nicht auf die Außen-GbR – auch nicht auf die professionalisierte – übertragen lasse.42 Indes vermag der Verweis auf die persönliche Gesellschafterhaftung nicht vollständig zu überzeugen. Zum einen betrifft das Zusammenspiel von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung auch die Haftung der Gesellschafter einer oHG. Hier wird den Gesellschafterinteressen dadurch Rechnung getragen, dass die Gesellschafter über den Gesellschaftsvertrag sowie hinsichtlich solcher Maßnahmen, die die Grundlagen der Gesellschaft betreffen, eine hinreichend privatautonome Selbstbestimmungsmacht erhalten. So haben sich die Gesellschafter mit der Ver-
40 Zu weiteren Gestaltungsmöglichkeiten, Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 277a ff. (Stand: 7/2020). 41 Vgl. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 151. 42 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 151.
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Geschäftsführungsbefugnis | Rz. 38 § 715 BGB
einbarung des Verbandszwecks der Fremdbestimmung durch die Gesellschaft unterworfen. Diese Unterwerfung erstreckt sich gerade auf die gewöhnliche, operative Geschäftsführung. Zum anderen steht die persönliche Gesellschafterhaftung in einem unmittelbaren Zusammenhang nur mit der Gesellschaftsvertretung, hinsichtlich derer aber auch ein Interesse an einer flexiblen verbandsinternen Willensbildung vorangehen kann. Ungeachtet der Ausführungen in der Gesetzesbegründung sowie der Bestimmung des § 715 Abs. 3 BGB dürfte im Falle professionalisierter Gesellschaftsgestaltung ein hypothetischer Gesellschafterwille gegeben sein, die Einzelgeschäftsführung zuzulassen, weil insoweit weder eine persönliche Einstandspflicht noch die Beeinträchtigung mitgliedschaftlicher Interessen zu befürchten ist. Dieser hypothetische Gesellschafterwille ist gegenüber dem Leitbild des § 715 Abs. 3 BGB vorrangig zur Lückenfüllung heranzuziehen. § 715 Abs. 3 BGB findet vor dem Hintergrund dieses grundsätzlich vorrangigen Gesellschafterwillens daher in erster Linie Anwendung auf Ad-Hoc-Personenaußengesellschaften.
3. Notgeschäftsführungsbefugnis bei fehlender Erreichbarkeit mitgeschäftsführungsbefugter Gesellschafter Die Notgeschäftsführungsbefugnis des § 715 Abs. 3 BGB ist nicht mit derjenigen nach § 715a 37 BGB zu verwechseln. So bildet die speziellere Bestimmung des § 715 Abs. 3 BGB die innergesellschaftsrechtliche Kompetenzordnung verbandsrechtlicher Willensbildung ab, während § 715a BGB ein echtes und nicht dispositives Schutzrecht zugunsten der von der Geschäftsführung ausgeschlossenen Gesellschafter darstellt. Insbesondere setzt § 715 Abs. 3 BGB die innergesellschaftliche Kompetenzordnung nicht vollständig außer Kraft, so dass lediglich die Zustimmung der nicht erreichbaren geschäftsführungsbefugten Gesellschafter entbehrlich wird. a) Gefahr für die Gesellschaft oder das Gesellschaftsvermögen Die Geschäftsführung nach § 715 Abs. 3 BGB kommt dann in Betracht, wenn nicht alle ge- 38 schäftsführungsbefugten Gesellschafter erreichbar sind, gleichwohl aber eine Willensbildung des Verbandes herbeizuführen ist, weil anderenfalls ein Schaden für die Gesellschaft oder das Gesellschaftsvermögen zu befürchten ist. Regelmäßig wird sich eine Gefahr für die Gesellschaft im Gesellschaftsvermögen niederschlagen. Problematisch erscheint, dass ein Schaden für das Gesellschaftsvermögen bereits in jeder rechtsgeschäftlichen Situation droht, in der ein vorteilhaftes Geschäft nicht wahrgenommen werden kann oder in der ein unverzügliches Handeln erforderlich ist, weil anderenfalls eine Ersatzpflichtigkeit der Gesellschaft in Betracht kommt. Demgegenüber kommt ein Schaden der Gesellschaft nur in Ausnahmesituationen in Betracht, in denen etwa die Zahlungsunfähigkeit und damit das Vorliegen eines Insolvenzeröffnungsgrundes wahrscheinlich ist mit der Folge, dass die Gesellschaft in einem Insolvenzverfahren liquidiert werden müsste. Von den Ausnahmesituationen, in denen eine Gefahr für die Gesellschaft zu befürchten ist, kann aber nicht auf eine vergleichbare Erheblichkeitsschwelle für Schäden des Gesellschaftsvermögens geschlossen werden. Während aber die vereinbarte Kompetenzordnung auf der einen Seite nicht durch ein regelmäßiges Vorpreschen einzelner Geschäftsführer unterlaufen werden kann, haben die Gesellschafter auf der anderen Seite ein Interesse daran, dass die Gesellschaft handlungsfähig bleibt, auch wenn einzelne Gesellschafter nicht erreichbar sind. Vor diesem Hintergrund ist eine Gefährdung des Gesellschaftsvermögens bereits anzunehmen, wenn ein vernünftig denkender, durchschnittlicher Wirtschaftsteilnehmer in der betreffenden branchenüblichen Situation unverzüglich handeln würde und ein Rechtsgeschäft zu den konkreten Konditionen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit abgeschlossen hätte.
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§ 715 BGB Rz. 39 | Rechtsfähige Gesellschaft b) Ersetzung der Zustimmung des nichterreichbaren Gesellschafters 39 Sind einzelne oder mehrere Gesellschafter nicht erreichbar, um rechtzeitig die verbandsintere
Willensbildung herbeizuführen, bestimmt § 715 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 BGB, dass in diesem Fall nicht die Zustimmung aller Gesellschafter erforderlich ist. Gewissermaßen wird die grundsätzlich einstimmige Willensbildung durch die Willensbildung der erreichbaren Gesellschafter substituiert. Die eigentlich erforderliche Zustimmung des nichterreichbaren Gesellschafters wird durch diejenige der übrigen geschäftsführungsbefugten Gesellschafter ersetzt. aa) Vorrang der gesellschaftsvertraglichen Geschäftsführungsordnung 40 Die Regelung des § 715 Abs. 3 BGB stellt gegenüber § 715a BGB eine speziellere Vorschrift
dar, die der Wahrung der innergesellschaftlichen Kompetenzordnung dient. Dies bedeutet, dass ein Rückgriff auf § 715a BGB nur in Betracht kommt, wenn gar keine geschäftsführungsbefugten Gesellschafter erreichbar sind. Nichtgeschäftsführungsbefugte Gesellschafter haben lediglich die Möglichkeit, über die Gesellschafterversammlung Weisungen an die Geschäftsführung zu erteilen. bb) Keine Ersetzungsbefugnis bei Widerspruch 41 Das Ersetzungsrecht der § 715 Abs. 3 BGB greift bei einem mehrköpfigen Geschäftsfüh-
rungsgremium nicht, wenn ein mitentscheidungsbefugter Gesellschafter widerspricht. Insofern ist die Entscheidung der Gesellschafter zu wahren, eine Kompetenzordnung zu errichten, im Rahmen derer die Entscheidungsfindung kollektiv erfolgen soll. Mit dem Widerspruch kommt gerade zum Ausdruck, dass kein Konsens erzielt werden kann.43
V. Widerspruchsrecht (Abs. 4) 42 § 715 Abs. 4 BGB regelt ein Widerspruchsrecht jedes geschäftsführungsbefugten Gesellschaf-
ters für den Fall, dass die Gesellschaft allen oder mehreren Gesellschaftern eine Einzelgeschäftsführungsbefugnis zuerkannt hat (§ 116 HGB Rz. 17 ff.). Mit der auf diese Weise eröffneten Kontrollmöglichkeit der übrigen geschäftsführungsbefugten Gesellschafter wird ein ständiges Funktionsversagen bei der internen Willensbildung im Personenverband vermieden. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass für die Außen-GbR kein Willensbildungsverfahren geregelt ist, bedeutet der entgegenstehende, geäußerte organschaftliche Wille eines geschäftsführungsbefugten Gesellschafters, dass sich dieser mit dem Willen des anderen geschäftsführungsbefugten Gesellschafters gegenseitig immer wieder aufheben und zugleich entgegenstehend bilden würde. Im Außenverhältnis drohte eine Maßnahme in unmittelbarem Anschluss durch eine entgegenstehende Maßnahme wieder aufgehoben zu werden. Ein Gesellschaftswille kann sich daher weder in die eine noch in die andere Richtung bilden. Mit der Widerspruchsmöglichkeit wird diese Patt-Situation dahingehend aufgelöst, dass ein Gesellschaftswille nicht erst gebildet werden darf und das Geschäft unterbleiben muss. In Einklang mit der Wertung der §§ 139, 154 BGB führt ein widersprechender Wille der Organwalter daher dazu, dass die Gesellschaft gar keinen Willen bildet. Das Willensbildungsversagen des Gesellschaftsorgans der Geschäftsführung setzt voraus, dass der – einer Einzelgeschäftsführung entgegenstehende – Wille eines anderen Organwalters von diesem im Wege des Widerspruchs geltend gemacht wird. Die Wahrnehmung der Widerspruchsbefugnis erfordert es wiederum, dass die übrigen Organwalter von jeder ausgeübten Willensbildung für die Gesellschaft in Kenntnis gesetzt werden.
43 Vgl. BGH v. 8.7.1985 – II ZR 4/85, NJW 1986, 844 = ZIP 1985, 1134.
312 | Könen
Geschäftsführungsbefugnis | Rz. 47 § 715 BGB
1. Unterrichtungs- und Widerspruchspflicht Die Widerspruchsmöglichkeit setzt eine Unterrichtungspflicht des zur Einzelgeschäftsfüh- 43 rung befugten Gesellschafters voraus.44 Grundlage findet diese in der mitgliedschaftlichen Treuepflicht. Das Widerspruchsrecht kann dadurch zu einer Widerspruchspflicht erstarken, dass der ge- 44 schäftsführungsbefugte Gesellschafter Unstimmigkeiten bei der Willensbildung des anderen Organwalters bemerkt. Aus der Geschäftsführungspflicht des § 715 Abs. 1 BGB folgt in diesem Fall eine Pflicht zum Einschreiten.
2. Voraussetzungen Liegen hinreichende entsprechende Informationen beim Organwalter vor, setzt ein wirk- 45 samer Widerspruch – mit der Folge, dass das Geschäft zu unterbleiben hat45 – voraus, dass der zur Einzelgeschäftsführung befugte Gesellschafter auf der Grundlage einer Widerspruchsbefugnis den Widerspruch ausübt und dieser pflichtgemäß und rechtzeitig erfolgt. Unerheblich ist ein Widerspruch nur, wenn es sich nicht am Gesellschaftsinteresse orientiert. a) Widerspruchsbefugnis Die Widerspruchsbefugnis ergibt sich auch der Stellung als einzelgeschäftsführungsbefug- 46 ter Gesellschafter im Rahmen eines mehrköpfigen Geschäftsführungsorgans (§ 116 HGB Rz. 17 ff.). b) Ausübung des Widerspruchs Bei dem Widerspruch handelt es sich um eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die 47 gegenüber dem agierenden Geschäftsführer zu erklären und hinreichend – in der gesellschaftsüblichen Art und Weise – zu dokumentieren ist. Eine Begründungspflicht kommt nach der Rechtsprechung in Betracht, wenn der andere Geschäftsführer dies verlangt.46 Ein Begründungsinteresse kann sich aber nur hinsichtlich der Frage ergeben, inwiefern der Widerspruch im Interesse der Gesellschaft erfolgt, ohne dass es auf die Zweckmäßigkeit des Widerspruchs ankommt. Ebenso wie die Geschäftsführung unterliegt die Ausübung dem pflichtgemäßen Ermessen.47 Der diesbezügliche weite Beurteilungsspielraum ist in Anbetracht der Gleichwertigkeit des Widerspruchs mit sonstigen Geschäftsführungsmaßnahmen nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar.48 Ein Widerspruch ist in Konstellationen ausgeschlossen, in denen die Gesellschaft bzw. die Gesellschafter ihrerseits kein Ermessen haben.49
44 BGH v. 19.4.1971 – II ZR 159/68, NJW 1971, 1613. 45 BGH v. 8.7.1985 – II ZR 4/85, NJW 1986, 844 = ZIP 1985, 1134. 46 BGH v. 24.1.1972 – II ZR 3/69, NJW 1972, 862, 863; regelmäßig eine Begründungspflicht annehmend, Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 116 HGB Rz. 109. 47 Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 116 HGB Rz. 107 f. 48 BGH v. 24.1.1972 – II ZR 3/69, NJW 1972, 862, 863; BGH v. 8.7.1985 – II ZR 4/85, NJW 1986, 844 = ZIP 1985, 1134; BGH v. 11.1.1988 – II ZR 192/87, NJW-RR 1988, 995, 996 = ZIP 1988, 843. 49 BGH v. 28.11.1955 – II ZR 16/54, WM 1956, 29, 30; BGH v. 9.5.1974 – II ZR 84/72, NJW 1974, 1555, 1556. Könen | 313
§ 715 BGB Rz. 48 | Rechtsfähige Gesellschaft c) Erheblichkeit des Widerspruchs 48 Mit Blick auf den Zweck des Widerspruchs, im Rahmen mehrköpfiger Gesellschaftsorgane
das Verhalten der Organwalter einer kollektiven Kontrolle zu unterwerfen, führt grundsätzlich jeglicher Widerspruch im Gesellschaftsinteresse dazu, dass die adressierte Maßnahme zunächst zu unterbleiben hat. Auf die Zweckmäßigkeit des Widerspruchs kommt es nicht an. Steht indes die Pflichtwidrigkeit fest, weil sich der Widerspruch etwa nicht an den Interessen der Gesellschaft, sondern an Einzelinteressen ausrichtet, entfaltet der Widerspruch keine Sperrwirkung für künftige Geschäftsführungsmaßnahmen auf unveränderter Tatsachengrundlage. d) Unerheblichkeit des Widerspruchs 49 Lediglich ein pflichtwidriger Widerspruch erzeugt keinerlei rechtliche Wirkungen, so dass
die Maßnahme durchgeführt werden kann. Pflichtwidrig ist ein Widerspruch, der willkürlich erfolgt oder ausschließlich im Eigeninteresse erhoben wird (§ 116 HGB Rz. 25).50 Grund dafür ist, dass die Erhebung eines Widerspruchs, der sich nicht am Gesellschaftsinteresse orientiert, seinerseits einen Verstoß gegen die Treuepflicht des Gesellschafters darstellt. e) Rechtzeitigkeit des Widerspruchs 50 Mangels spezieller Bestimmungen hat der Widerspruch unverzüglich i.S.v. § 121 Abs. 1
Satz 1 BGB zu erfolgen. Der Widerspruch kann nur vor der Durchführung einer Geschäftsführungsmaßnahme erklärt werden.51
3. Wirkungen des Widerspruchs 51 Ist ein Widerruf wirksam erhoben worden, führt dies dazu, dass das Geschäft zu unterblei-
ben hat (§ 116 HGB Rz. 27).52 Das Unterlassungsgebot erstreckt sich auf das Charakteristische der Geschäftsführungsmaßnahme und erfasst Umgehungsgestaltungen ebenso wie sämtliche wesensgleichen Umsetzungsformen. Solange sich die tatsächlichen Grundlagen der Entscheidungsfindung nicht geändert haben, ist der Gesellschafter nicht befugt, diesbezüglich einen erneuten Gesellschaftswillen zu bilden.
4. Abdingbarkeit 52 Vor dem Hintergrund, dass die Gesellschafter ein berechtigtes Interesse daran haben können,
schnelle Gesellschaftsentscheidungen herbeizuführen, können sie – ebenso wie sie auch bloß einem Gesellschafter ohne das Korrektiv eines mehrköpfigen Gesellschaftsorgans die Geschäftsführung übertragen können – das Widerspruchsrecht vollständig abbedingen (§ 116 HGB Rz. 28). Minderheitenschützende Rechte sind nicht ersichtlich. So können die Gesellschafter die Verfolgung des Verbandszwecks durch die Gesellschaftsorgane nicht unter den Vorbehalt einer Zweckmäßigkeitskontrolle im Einzelfall stellen, sofern sie sich im Gesellschaftsvertrag über eine Kompetenzordnung geeinigt haben. Die Interessen des einzelnen Gesellschafters werden durch die Notgeschäftsführungsbefugnis, die actio pro socio sowie das Beschlussmängelrecht gewahrt, die Interessen der Gesellschaftergesamtheit durch die
50 Vgl. Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 264a, 266b (Stand: 7/2020). 51 BGH v. 11.1.1988 – II ZR 192/87, NJW-RR 1988, 995, 996 = ZIP 1988, 843. 52 BGH v. 8.7.1985 – II ZR 4/85, NJW 1986, 844 = ZIP 1985, 1134.
314 | Könen
Geschäftsführungsbefugnis | Rz. 55 § 715 BGB
Möglichkeit, die Geschäftsführungsbefugnis zu konkretisieren, sowie durch die ihnen zustehenden Rechte der Abberufung bzw. Kündigung.
VI. Entzug der Geschäftsführungsbefugnis (Abs. 5) Nach § 715 Abs. 5 BGB kann einem Gesellschafter die Geschäftsführungsbefugnis durch Be- 53 schluss der anderen Gesellschafter beschränkt oder entzogen werden, sofern ein wichtiger Grund vorliegt. Eine entsprechende Anwendung auf andere mitgliedschaftliche Rechte kommt nicht in Betracht. Abs. 5 ist Ausdruck des „Grundsatzes, dass niemand Richter in eigener Sache sein darf“.53 Die Regelung geht aber darüber hinaus, indem sie die Beschlusskompetenz den anderen Gesellschaftern zuweist (Rz. 65).
1. Anwendbarkeit und Gegenstand Die Möglichkeit, die Geschäftsführungsbefugnis aus wichtigem Grund zu beschränken oder 54 zu entziehen, ist Ausdruck des allgemeinen Grundsatzes, dass Dauerrechtsverhältnisse aus wichtigem Grund beendet werden können. Bei der Beschlussfassung ist der betroffene Gesellschafter von seiner Stimmberechtigung ausgeschlossen. Dies ergibt sich aus der Tatsache, dass § 715 Abs. 5 BGB die Beschlusskompetenz den „anderen Gesellschafter[n]“ zuweist. So soll der betroffene Gesellschafter aufgrund seines Interessenkonflikts an der Mitwirkung gehindert werden. Die Entziehung kann sich auf die Geschäftsführungsbefugnis insgesamt oder nur auf einzelne Geschäftsführungsgegenstände beziehen, wobei unerheblich ist, auf welcher Grundlage die Geschäftsführungsbefugnis zuerkannt wurde. Gegenüber dem vollständigen Ausschluss aus der Gesellschaft handelt es sich bei dem Entzug der Geschäftsführungsbefugnis um ein nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz – als allgemeinem Mitgliedsrecht – milderes Mittel. Gegenüber dem vollständigen Entzug stellt wiederum die Beschränkung ein milderes Mittel dar, so dass auch auf diese Möglichkeit vorrangig zurückzugreifen ist, wenn damit die Gefahrensituation entschärft werden kann, die durch den wichtigen Grund geschaffen wird. a) Unerheblichkeit des Rechtsgrundes der Geschäftsführungsbefugnis Die Möglichkeit der Entziehung oder Beschränkung der Geschäftsführungsbefugnis findet 55 ihre Grundlage in § 314 BGB. Die Entziehungsmöglichkeit kann daher nicht als die Kehrseite einer lediglich gesellschaftsvertraglich gewährten Geschäftsführungsbefugnis qualifiziert werden. Die Grundlage der Geschäftsführungsbefugnis ist vielmehr unerheblich, so dass § 715 Abs. 2 BGB auch auf die originäre mitgliedschaftliche und nicht nur auf eine übertragene Geschäftsführungsbefugnis Anwendung findet.54 Aus Sicht des geschäftsführenden Gesellschafters, dem die Geschäftsführungsbefugnis entzogen werden soll, stellt die Entziehung auch nicht per se einen Eingriff in eine unentziehbare mitgliedschaftliche Rechtsposition dar. Ebenfalls ist es hinzunehmen, dass die übrigen Gesellschafter – ohne Mitwirkung des betroffenen Gesellschafters – letztlich eine Änderung des Gesellschaftsvertrages vornehmen. Die Beschränkung knüpft an das Vorliegen eines wichtigen Grundes an. Auf der einen Seite haben die übrigen Gesellschafter ein berechtigtes Interesse, die Geschäftsführung durch den Betroffenen ganz oder teilweise auszuschließen, auf der anderen Seite stellen diese Möglichkeiten gegenüber dem Ausschluss aus der Gesellschaft ein milderes Mittel dar. Die Einschränkung seiner Teilhabemöglichkeit wird auf diese Weise durch ein allgemeines Mit53 Vgl. insoweit zu § 709 BGB a.F., BGH v. 17.1.2023 – II ZR 76/21, NJW 2023, 1513 Rz. 24 ff. 54 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 152. Könen | 315
§ 715 BGB Rz. 55 | Rechtsfähige Gesellschaft gliedsrecht konkretisiert. Stellt die Entziehung bzw. Beschränkung wiederum für den Gesellschafter einen unzumutbaren wichtigen Grund dar, hat dieser die Möglichkeit, aus der Gesellschaft auszutreten und in diesem Zusammenhang durch die Geltendmachung seines Abfindungsanspruchs den Wert seiner Gesellschaftsbeteiligung vollständig zu realisieren. Schließlich kann der Gesellschafter den Beschluss über seine Ausschließung bzw. die Beschränkung seiner Geschäftsführungsbefugnis im Wege des personengesellschaftsrechtlichen Beschlussmängelrechts geltend machen.55 Zwar ist ein rechtswidriger Beschluss der übrigen Gesellschafter – weil etwa kein wichtiger Grund gegeben ist oder ein milderes Mittel zur Verfügung gestanden hätte – im Rahmen des normativen Standards des Feststellungsmodells nichtig, es obliegt dem Gesellschafter aber, dies im Rahmen einer Feststellungsklage gegenüber den Mitgesellschaftern bzw. nach vorzugswürdigem Verständnis gegenüber der Gesellschaft geltend zu machen. Hat sich die Gesellschaft hingegen für das neue Beschlussmängelrecht nach dem Anfechtungsmodell entschieden, obliegt es ihm, den Beschluss rechtzeitig anzufechten. 56 Im Rahmen der Beschlussmängelfeststellung bzw. Beschlussmängelanfechtung findet sodann
eine zweistufige Prüfung dergestalt statt, dass zunächst über das Vorliegen einer hinreichenden Kompetenzgrundlage zu befinden ist. Diese ist gesetzlich in § 715 Abs. 5 BGB mit der Beschlussbefugnis der anderen Gesellschafter angelegt, so dass sich die Prüfung darauf beschränkt, wer die anderen Gesellschafter sind. Da die Änderung der Geschäftsführungsbefugnis eine Angelegenheit darstellt, die die Organisationsverfassung der Gesellschaft selbst betrifft, handelt es sich um eine Maßnahme über die Grundlagen der Gesellschaft i.S.v. § 714 BGB, mit der eine Änderung des Gesellschaftsvertrages vollzogen wird. Deshalb müssen alle Gesellschafter an dem Beschluss mitwirken, einschließlich der anderen Gesellschafter, die von der Geschäftsführung bereits ausgeschlossen sind. Auf der zweiten Ebene der Beschlusskontrolle findet sodann eine Ausübungskontrolle in der Weise statt, dass die betroffenen Interessen des Gesellschafters sowie der Gesellschaft unter Berücksichtigung des maßgeblichen wichtigen Grundes, der der Entziehung bzw. Beschränkung zugrunde liegt, gegeneinander abgewogen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Entzug der Geschäftsführungsbefugnis lediglich um ein relativ unentziehbares Mitgliedsrecht handelt, das in den Grenzen der Zumutbarkeit und Angemessenheit der Mehrheitsherrschaft unterworfen ist. Diese Unterwerfung unter die Mehrheitsherrschaft findet mit § 715 Abs. 5 BGB kraft Gesetzes statt, sofern ein wichtiger Grund gegeben ist. b) Gegenstand der Einziehung bzw. Beschränkung 57 Gegenstand der Entziehung oder Beschränkung ist die originäre oder übertragene Geschäfts-
führungsbefugnis i.S.v. § 715 Abs. 1 BGB im Umfang des § 715 Abs. 2 BGB. Während sich die Entziehung auf die Geschäftsführungsbefugnis als ganze bezieht, bedeutet die Beschränkung eine Abänderung der Befugnis zur Geschäftsführung i.S.v. § 715 Abs. 2 BGB. Die Beschränkung ist in Anbetracht des mitgliedschaftlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als milderes Mittel vorrangig in Betracht zu ziehen. 58 Die teilweise Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis kommt entweder in der Form einer
gegenständlichen Beschränkung auf bestimmte Geschäftsführungsangelegenheiten in Betracht oder in der Form, dass ein Gesellschafter entgegen der vormaligen Vereinbarung des Gesellschaftsvertrages nicht mehr einzelgeschäftsführungsbefugt sein soll, sondern nur noch im Rahmen einer Gesamtgeschäftsführung. Eine gegenständliche Beschränkung kommt etwa in der Weise in Betracht, dass sich die Geschäftsführung nur noch auf bestimmte Angelegenheiten beziehen soll, wie z.B. Einkauf, Vertrieb, Produktion.56 55 Vgl. K. Schmidt, ZHR 187 (2023), 107 ff. 56 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 152.
316 | Könen
Geschäftsführungsbefugnis | Rz. 63 § 715 BGB
c) Gemeinschaftliche Geschäftsführung Haben die Gesellschafter eine gemeinschaftliche Geschäftsführung beschlossen, im Rahmen 59 derer nur mehrere Gesellschafter gemeinschaftlich zur Geschäftsführung befugt sein sollen, stellt sich die Frage, welche Wirkungen der Ausschluss eines dieser Mitberechtigten hat. Problematisch ist, dass die Geschäftsführer im Rahmen gemeinschaftlicher Geschäftsführung untereinander eine Kontrollfunktion ausüben sollen. Ferner haben die Gesellschafter mit der Vereinbarung gemeinschaftlicher Geschäftsführung ihr Interesse zum Ausdruck gebracht, die verbandsrechtliche Willensbildung durch einen kollektiven Willensbildungsprozess zustande bringen zu wollen, um so der Gefahr zu entgehen, dass einzelne Gesellschafter ihrem Individualinteresse Vorzug gegenüber dem Kollektivinteresse des Verbandes geben. Droht die Entscheidung der Gesellschaftergesamtheit nun durch den Ausschluss eines Gesellschafters unterlaufen zu werden, hängt die Wirksamkeit des Ausschließungsbeschlusses von der Bestellung eines anderen Geschäftsführers ab. Da der ausgeschlossene Gesellschafter insoweit keinem Interessenkonflikt unterliegt, ist er diesbezüglich nicht mit seinem Stimmrecht ausgeschlossen. d) Abdingbarkeit Die Möglichkeit der Beschränkung oder Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis ist nicht 60 disponibel, weil auch der Grundsatz des § 314 BGB – auf dem die Regelung des § 715 Abs. 5 BGB beruht – nicht zur Disposition der Parteien steht.
2. Verhaltensbezogene und personelle wichtige Gründe Ein wichtiger Grund ist gegeben, wenn eine Mitwirkung des Gesellschafters an der Ge- 61 schäftsführung in der bislang vereinbarten Weise unter Berücksichtigung der betroffenen Interessen nicht mehr zumutbar ist.57 § 715 Abs. 5 Satz 5 BGB sieht Regelbeispiele vor, wann ein wichtiger Grund insbesondere vorliegen soll. So führt eine grobe verhaltensbezogene Pflichtverletzung des Geschäftsführers regelmäßig zum Vorliegen eines wichtigen Grundes, wobei ein begründeter Verdacht genügen kann.58 Ebenso können Gründe, die in der Person des Geschäftsführers entstehen, einen wichtigen 62 Grund darstellen. Dies ergibt sich daraus, dass § 715 Abs. 5 Satz 2 BGB die Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung zum Regelbeispiel macht.59 Auf ein Verschulden des Geschäftsführers kommt es daher nicht an. Das Vorliegen eines wichtigen Grundes ist jeweils im Einzelfall anhand der konkreten Ge- 63 sellschaftsgestaltung, der betroffenen Geschäftsführungsmaßnahmen und Geschäftsführungskompetenzen zu beurteilen.60 Allgemeingültige Aussagen können schon deswegen nicht getroffen werden, weil sich die Wichtigkeit eines Grundes immer nur aus der konkret zu beurteilenden Rechtsbeziehung ergeben kann und die Unzumutbarkeit, an einer Dauerrechtsbeziehung festzuhalten, nur unter Berücksichtigung der an dieser Rechtsbeziehung beteiligten Subjekte zu ermitteln ist. Bezogen auf die Geschäftsführungsbefugnis sind dies sämtliche mitgliedschaftlichen Rechte und Pflichten der Gesellschaft und der Gesellschafter.61 57 Vgl. BGH v. 25.4.1983 – II ZR 170/82, NJW 1984, 173, 174 = GmbHR 1983, 301. 58 Vgl. BGH v. 11.2.2008 – II ZR 67/06, NJW-RR 2008, 704 Rz. 16 = ZIP 2008, 597; BGH v. 25.4.1983 – II ZR 170/82, NJW 1984, 173 = GmbHR 1983, 301. 59 Vgl. BGH v. 19.12.1951 – II ZR 42/51, JZ 1952, 276. 60 BGH v. 25.4.1983 – II ZR 170/82, NJW 1984, 173, 174 = GmbHR 1983, 301; BGH v. 31.3.2003 – II ZR 8/01, WM 2003, 1084, 1085 = ZIP 2003, 1037. 61 Vgl. BGH v. 25.4.1983 – II ZR 170/82, NJW 1984, 173, 174 = GmbHR 1983, 301. Könen | 317
§ 715 BGB Rz. 64 | Rechtsfähige Gesellschaft
3. Verfahren zur Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis 64 Ein Verfahren zur Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis ist gesetzlich nicht geregelt.
Vielmehr gelten die allgemeinen Ausführungen zu § 714 BGB sowie zur Ausübung des Stimmrechts i.S.v. § 709 Abs. 3 Satz 1 BGB. Da der auszuschließende Gesellschafter im Rahmen des Beschlusses kraft Gesetzes nicht stimmberechtigt ist, stellt sich allerdings die Frage, inwiefern dieser an der Beschlussfassung beteiligt werden muss, inwiefern ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme zu gewähren ist und ab welchem Zeitpunkt der Beschluss gegenüber ihm Geltung entfalten kann. a) Gesellschafterbeschluss und rechtliches Gehör 65 Zwar bestimmt § 715 Abs. 5 Satz 1 BGB, dass die Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis
durch Beschluss der anderen Gesellschafter zu erfolgen hat, so dass es im Ausgangspunkt naheliegt, dass der betroffene Gesellschafter von der Gesellschafterversammlung, in der der Beschluss gefasst wird, vollständig ausgeschlossen werden kann. Dafür spricht, dass die übrigen Gesellschafter die Entziehung regelmäßig nicht leichtfertig beschließen wollen, sondern in Rede und Gegenrede einen kollektiven Gesellschaftswillen bilden möchten. Insofern haben die Gesellschafter ein berechtigtes Interesse daran, dass der Gesellschafter auch sowohl in räumlicher als auch in inhaltlicher Hinsicht an der Gesellschafterversammlung nicht teilnehmen darf. Ferner besteht die Gefahr, dass der Gesellschafter störend auf die Gesellschafterversammlung Einfluss nimmt. Gegen einen umfassenden Ausschluss spricht das Interesse des betroffenen Gesellschafters, zu den Vorwürfen Stellung zu beziehen, und dies nicht nur allgemein, sondern auch zu den konkret ausgetauschten Argumenten. Dieses Recht auf rechtliches Gehör ist einerseits absolut unentziehbarer Teil der Mitgliedschaft, andererseits sind die Mitgesellschafter auf der Grundlage der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht angehalten, trotz des Vorliegens eines wichtigen Grundes auf die Belange des Gesellschafters Rücksicht zu nehmen. Darüber hinaus spricht für eine Teilnahme des Gesellschafters, dass dieser an der Beschlussfassung wieder zu beteiligen ist, soweit ein neuer Einzel- oder Gesamtgeschäftsführer bestellt werden soll. Eine diesbezügliche Ausschließung hätte die Nichtigkeit des Beschlusses zur Folge.62 Auf der Grundlage der gesetzlichen Anordnung, dass die Entziehung durch Beschluss der anderen Gesellschafter zu erfolgen hat, ergibt sich aber, dass dieser Gesellschafterteil als Gesellschafterversammlung entscheidet. Anders als § 34 BGB oder § 47 Abs. 4 GmbHG regelt § 715 Abs. 5 BGB gerade nicht nur ein Stimmverbot.63 Der Interessenkonflikt ist dahingehend aufzulösen, dass der betroffene Gesellschafter von der Gesellschafterversammlung entfernt werden kann, soweit über die Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis Beschluss zu fassen ist.64 Davon erfasst ist indes nicht nur die Stimmabgabe, sondern auch die kollektive Meinungsbildung bis zu diesem Punkt, weil der betroffene Gesellschafter insofern nicht Teil der Gesellschafterversammlung ist.65 Gleichwohl ist dem Gesellschafter die Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben, und zwar nicht nur abstrakt zum wichtigen Grund, sondern auch hinsichtlich der wesentlichen Erwägungen, die der Beschlussfassung zugrunde liegen. Dies bedeutet, dass dem Gesellschafter sowohl vor als auch nach der Gesellschafterversammlung rechtliches Gehör zu gewähren ist, indem die an-
62 Vgl. BGH v. 13.2.2006 – II ZR 200/04, ZIP 2006, 707. 63 In diese Richtung wohl aber, BGH v. 17.1.2023 – II ZR 76/21, NJW 2023, 1513 Rz. 24 ff. m. Anm. K. Schmidt. 64 Abweichend zu § 34 BGB, ArbG Kiel v. 17.4.2014 – 1 Ca 1872 c/13, ZStV 2014, 228. 65 Abweichend zu § 47 Abs. 4 GmbHG, BGH v. 13.5.2014 – II ZR 250/12, BGHZ 201, 216 = GmbHR 2014, 863 Rz. 23 ff.; ebenso zum Personenverband, BGH v. 7.2.2012 – II ZR 230/09, ZIP 2012, 917, Rz. 29 ff.
318 | Könen
Geschäftsführungsbefugnis | Rz. 68 § 715 BGB
deren Gesellschafter die Stellungnahme des Gesellschafters zum wichtigen Grund vor Beschlussfassung einholen müssen und nachträglich die wesentlichen Argumente, die für und gegen die Entziehung ausgetauscht wurden, dem Gesellschafter zur Verfügung gestellt werden müssen. b) Bekanntgabe und Wirkungen Mit Blick auf die Funktion der Beschlussfassung in der Gesellschafterversammlung, einen 66 möglichst unmittelbaren Gesellschaftswillen zu bilden, erscheint eine weitere Stellungnahme zwischen Meinungsaustausch und Beschlussfassung entbehrlich. Dies gilt insbesondere im Rahmen des sog. personengesellschaftsrechtlichen Feststellungsmodells für die Beschlusskontrolle, weil die nachträglich festgestellte unwirksame Beschlussfassung die Nichtigkeit des Beschlusses zur Folge hat. Wenn der betroffene Gesellschafter selbst nicht an dem Beschlussgegenstand der Entziehung mitwirken darf, ist ihm der Beschluss unverzüglich – ohne schuldhaftes Zögern – bekannt zu geben. Gleichwohl entfaltet der Beschluss seine gesellschaftsvertragsgestaltende Wirkung unmittelbar mit Beschlussfassung. Die Bekanntgabe ist daher keine Wirksamkeitsvoraussetzung, sondern dient lediglich der Gewährung rechtlichen Gehörs. Der betroffene Gesellschafter wird mit der Beschlussfassung über die Entziehung der Ge- 67 schäftsführungsbefugnis von der Geschäftsführung ausgeschlossen bzw. die Beschränkungen der Geschäftsführung treten mit diesem Zeitpunkt ein, weil der Beschluss die Änderung des Gesellschaftsvertrages zur Folge hat und damit die Organisationsverfassung der Gesellschaft umgestaltet. Der Gesellschafter ist unmittelbar nicht mehr Organwalter der Geschäftsführung und kann daher der Gesellschaft auch nichtmehr den Gesellschaftswillen mitteln.
VII. Kündigung aus wichtigem Grund (Abs. 6) Genauso wie die Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis ihre Grundlage in dem all- 68 gemeinen Grundsatz des Zivilrechts hat, Dauerrechtsbeziehungen aus wichtigem Grund beenden zu können, beruht auch die Kündigungsmöglichkeit der Geschäftsführung durch einen Gesellschafter nach § 715 Abs. 6 BGB auf dem Umstand, dass es niemandem zumutbar ist, Berechtigungen wahrzunehmen oder Verpflichtungen nachzukommen, wenn ein wichtiger Grund dem entgegensteht. Dadurch, dass die Kündigungsmöglichkeit des § 715 Abs. 6 BGB den Gesellschafter davor bewahrt, seine Mitgliedschaft insgesamt zu kündigen, eröffnet sie ihm gegenüber dem Austritt ein milderes Mittel. Die gesetzliche Regelung des Kündigungsrechts trägt einerseits dem Interesse des Geschäftsführers Rechnung, bei Vorliegen eines wichtigen Grundes nicht so lange abwarten zu müssen, bis die anderen Gesellschafter ihm die Geschäftsführungsbefugnis entziehen. Andererseits bringt das Kündigungsrecht zum Ausdruck, dass der Gesellschafter die Geschäftsführung auch dann kündigen kann, wenn der wichtige Grund nicht durch seine Tätigkeit oder seine Person hervorgerufen wurde, sondern etwa durch andere geschäftsführungsbefugte Gesellschafter. Die Regelung zeigt ferner, dass eine schlichte Niederlegung des Geschäftsführeramtes grundsätzlich nicht in Betracht kommt, sondern entweder das Vorliegen eines wichtigen Grundes zur Voraussetzung hat oder der Gesellschaftsvertrag privatautonom geändert wird. Hintergrund ist die Tatsache, dass die Geschäftsführung Ausprägung der mitgliedschaftlichen Förderpflicht ist, derer sich ein Gesellschafter nicht einseitig entledigen kann.66
66 Vgl. Schäfer in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 6 Rz. 39. Könen | 319
§ 715 BGB Rz. 69 | Rechtsfähige Gesellschaft
1. Kündigungsvoraussetzungen 69 Voraussetzung für die Kündigung der Geschäftsführung ist lediglich das Vorliegen eines
wichtigen Grundes sowie die Ausübung des Gestaltungsrechts durch Erklärung der Kündigung gegenüber der Gesellschaft. Die Kündigungserklärung hat rechtzeitig und zur rechten Zeit zu erfolgen. Um den Umfang der Kündigungswirkung bestimmen zu können, obliegt es dem Gesellschafter darüber hinaus, den Gegenstand seiner Kündigung zu bezeichnen, dies aber vorwiegend in eigenem Interesse, um überschießende Kündigungswirkungen zu vermeiden. a) Gegenstand der Kündigung 70 Die Kündigung der Geschäftsführung ist strikt zu trennen von der Kündigung der Mit-
gliedschaft (§ 725 BGB) sowie der Kündigung der Gesellschaft (§ 731 BGB), auch wenn alle drei Rechtsverhältnisse aus demselben wichtigen Grund gekündigt werden könnten. Sind die Voraussetzungen aller drei Kündigungsmöglichkeiten gegeben, obliegt es der privatautonomen Entscheidung des Gesellschafters, von welchem Dauerrechtsverhältnis er sich lösen möchte. Ebenso wie die Gesellschafter die Geschäftsführung teilweise entziehen können, kann der Geschäftsführer die Kündigung auch nur wegen einzelner gegenständlicher Teilbereiche erklären. b) Wichtiger Grund 71 Ein wichtiger Grund kann sowohl durch ein Verhalten des betroffenen Gesellschafters selbst
begründet worden sein, in seiner Person liegen oder aber auch durch die Gesellschaft oder Mitgesellschafter verursacht worden sein.67 Inwiefern einen der Beteiligten ein Verschulden an dem wichtigen Grund trifft, ist ohne Relevanz für die Möglichkeit, die Geschäftsführung beenden zu können. Von wem der wichtige Grund verursacht wurde – schuldhaft oder nicht schuldhaft –, ist lediglich für die Frage eines Schadensersatzanspruchs maßgeblich. Bei der Frage, ob ein wichtiger Grund gegeben ist, sind die Interessen der mitgeschäftsführungsbefugten Gesellschafter zu berücksichtigen, weil die Kündigung für sie eine Mehrbelastung bewirken kann und der Gesellschafter grundsätzlich auch zu Ausübung seiner Verwaltungsrechte verpflichtet ist. c) Kündigungserklärung 72 Die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund ist gegenüber der Gesellschaft zu
erklären.68 d) Kündigungsfrist 73 Das Kündigungsrecht des Geschäftsführers stellt ein außerordentliches Kündigungsrecht
dar, so dass dieses – vorbehaltlich einer Kündigung zur Unzeit – nur innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB ausgeübt werden kann.69 Ein zu langes Abwarten kann den Kündigungsgrund entfallen lassen.
67 Die bisherige Kasuistik zum „wichtigen Grund“ gilt hier fort, vgl. Haas/Mohamed in Röhricht/ Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 116 HGB Rz. 130 ff.; Schäfer in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 6 Rz. 39. 68 A.A. Richter, § 731 BGB Rz. 6. 69 Vgl. Arnold/Schansker, NZG 2013, 1172.
320 | Könen
Notgeschäftsführungsbefugnis | § 715a BGB
2. Entsprechende Anwendung von § 671 Abs. 2 und 3 BGB Der allgemeine Grundsatz, Dauerrechtsbeziehungen aus wichtigem Grund auflösen zu kön- 74 nen, steht unter dem Vorbehalt, dass eine Kündigung nicht zu Unzeit erfolgen darf (vgl. auch § 725 Abs. 5 BGB). Hintergrund ist die Abwägung der Interessen desjenigen, der von einem wichtigen Grund betroffen ist, mit den Interessen des Gegenübers, noch notwendige Dispositionen treffen zu können. Hingegen kann ein besonders wichtiger Grund diese Interessen auch wiederum im Einzelfall zurücktreten lassen. Für das Kündigungsrecht nach § 715 Abs. 6 BGB ist es unerheblich, auf wessen Seite der 75 wichtige Grund gegeben ist. Insbesondere, wenn der wichtige Grund durch den Geschäftsführer selbst veranlasst wurde, treffen ihn gesteigerte Rücksichtnahmepflichten hinsichtlich des Zeitpunkts der Kündigung. Macht der Geschäftsführer von seinem Kündigungsrecht aus wichtigem Grund Gebrauch, 76 obwohl die berechtigten Interessen der Gesellschaft ein längeres Abwarten gebieten, begeht der Gesellschafter eine schadensersatzbewährte Pflichtverletzung (vgl. § 671 Abs. 2 Satz 2 BGB). Sofern das Kündigungsrecht aus wichtigem Grund in entsprechender Anwendung des § 671 77 Abs. 3 BGB für unabdingbar erklärt wird, kommt dem bloß klarstellende Funktion zu, weil der § 314 BGB zu entnehmende Grundsatz ohnehin unabdingbar ist.
§ 715a BGB Notgeschäftsführungsbefugnis ¹Sind alle geschäftsführungsbefugten Gesellschafter verhindert, nach Maßgabe von § 715 Absatz 3 Satz 3 bei einem Geschäft mitzuwirken, kann jeder Gesellschafter das Geschäft vornehmen, wenn mit dem Aufschub Gefahr für die Gesellschaft oder das Gesellschaftsvermögen verbunden ist. ²Eine Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag, welche dieses Recht ausschließt, ist unwirksam. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. 1. 2. 3. II. 1.
Allgemeines Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwingende Geltung (Satz 2) . . . . . . . . . . . Notgeschäftsführungsbefugnis . . . . . . . Subsidiarität zur gesellschaftsvertraglichen Kompetenzordnung . . . . . . 2. Voraussetzungen a) Verhinderung aller geschäftsführungsbefugten Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . b) Entbehrlichkeit der Mitwirkung nach § 715 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 BGB . . . . . .
1 2 3 4 5
6
c) Gefahr für die Gesellschaft oder das Gesellschaftsvermögen . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsfolgen a) Zuweisung der Geschäftsführungsbefugnis (Innenverhältnis) . . . . . . . . . b) Reichweite der Geschäftsführungsbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kein Widerspruchsrecht der Mitgesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtsverhältnis nach außen . . . . . . . . .
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Notgeschäftsführungsbefugnis | § 715a BGB
2. Entsprechende Anwendung von § 671 Abs. 2 und 3 BGB Der allgemeine Grundsatz, Dauerrechtsbeziehungen aus wichtigem Grund auflösen zu kön- 74 nen, steht unter dem Vorbehalt, dass eine Kündigung nicht zu Unzeit erfolgen darf (vgl. auch § 725 Abs. 5 BGB). Hintergrund ist die Abwägung der Interessen desjenigen, der von einem wichtigen Grund betroffen ist, mit den Interessen des Gegenübers, noch notwendige Dispositionen treffen zu können. Hingegen kann ein besonders wichtiger Grund diese Interessen auch wiederum im Einzelfall zurücktreten lassen. Für das Kündigungsrecht nach § 715 Abs. 6 BGB ist es unerheblich, auf wessen Seite der 75 wichtige Grund gegeben ist. Insbesondere, wenn der wichtige Grund durch den Geschäftsführer selbst veranlasst wurde, treffen ihn gesteigerte Rücksichtnahmepflichten hinsichtlich des Zeitpunkts der Kündigung. Macht der Geschäftsführer von seinem Kündigungsrecht aus wichtigem Grund Gebrauch, 76 obwohl die berechtigten Interessen der Gesellschaft ein längeres Abwarten gebieten, begeht der Gesellschafter eine schadensersatzbewährte Pflichtverletzung (vgl. § 671 Abs. 2 Satz 2 BGB). Sofern das Kündigungsrecht aus wichtigem Grund in entsprechender Anwendung des § 671 77 Abs. 3 BGB für unabdingbar erklärt wird, kommt dem bloß klarstellende Funktion zu, weil der § 314 BGB zu entnehmende Grundsatz ohnehin unabdingbar ist.
§ 715a BGB Notgeschäftsführungsbefugnis ¹Sind alle geschäftsführungsbefugten Gesellschafter verhindert, nach Maßgabe von § 715 Absatz 3 Satz 3 bei einem Geschäft mitzuwirken, kann jeder Gesellschafter das Geschäft vornehmen, wenn mit dem Aufschub Gefahr für die Gesellschaft oder das Gesellschaftsvermögen verbunden ist. ²Eine Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag, welche dieses Recht ausschließt, ist unwirksam. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. 1. 2. 3. II. 1.
Allgemeines Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwingende Geltung (Satz 2) . . . . . . . . . . . Notgeschäftsführungsbefugnis . . . . . . . Subsidiarität zur gesellschaftsvertraglichen Kompetenzordnung . . . . . . 2. Voraussetzungen a) Verhinderung aller geschäftsführungsbefugten Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . b) Entbehrlichkeit der Mitwirkung nach § 715 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 BGB . . . . . .
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c) Gefahr für die Gesellschaft oder das Gesellschaftsvermögen . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsfolgen a) Zuweisung der Geschäftsführungsbefugnis (Innenverhältnis) . . . . . . . . . b) Reichweite der Geschäftsführungsbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kein Widerspruchsrecht der Mitgesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtsverhältnis nach außen . . . . . . . . .
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§ 715a BGB Rz. 1 | Rechtsfähige Gesellschaft
I. Allgemeines 1. Überblick 1 Die Vorschrift konkretisiert die allgemein anerkannte Notgeschäftsführungsbefugnis, die in
der Vergangenheit auf die Grundlage einer Analogie zu § 744 Abs. 2 BGB a.F.1 gestützt wurde, und ergänzt die Bestimmung des § 715 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 BGB für nichtgeschäftsführungsbefugte Gesellschafter. Über die Verweise der § 105 Abs. 3, § 161 Abs. 2 HGB und § 1 Abs. 4 PartGG findet die Bestimmung auf oHG, KG und PartG Anwendung. § 715a Satz 1 BGB verweist noch auf § 715 Abs. 3 BGB in der Fassung des Regierungsentwurfs, dessen Satz 3 nun inhaltlich in Satz 1 aufgegangen ist. In Anbetracht dieses offenkundigen Redaktionsversehens ist die Verweisung als eine in § 715 Abs. 3 Satz 1 BGB zu lesen.
2. Normzweck 2 Die Notgeschäftsführungsbefugnis steht in einem engen Regelungszusammenhang zu § 715
Abs. 3 Satz 1 BGB, der die außerordentliche Geschäftsführungsbefugnis einzelner Gesellschafter bestimmt, die zur Geschäftsführung berufen sind, wenn die Zustimmung der übrigen geschäftsführungsbefugten Gesellschafter nicht rechtzeitig zu erreichen ist. Mit § 715a BGB wird diese Befugnis auf nichtgeschäftsführungsbefugte Gesellschafter ausgeweitet. Zentrales Charakteristikum ist die Eilbedürftigkeit einer Erhaltungsmaßnahme.2 In Anbetracht der Tatsache, dass dem von der Geschäftsführung ausgeschlossenen Gesellschafter die Rechte des § 715 BGB nicht zustehen, ist bei der Anwendung des § 715a BGB zu beachten, dass die gesellschaftsvertragliche Kompetenzordnung nicht unterlaufen wird, die die Gesellschafter dadurch geschaffen haben, dass sie die verbandsrechtliche Willensbildung hinsichtlich gewöhnlicher Geschäfte auf einzelne Gesellschafter übertragen haben.
3. Zwingende Geltung (Satz 2) 3 Die Bestimmung des § 715a BGB ist nach Satz 2 zwingend und kann nicht durch gesell-
schaftsvertragliche Vereinbarung ausgeschlossen oder beschränkt werden. Hintergrund ist der Umstand, dass es den persönlich haftenden Gesellschaftern möglich sein muss, die verbandsrechtliche Willensbildung der Gesellschaft zu verwirklichen, wenn anderenfalls ein Schaden für die Gesellschaft oder das Gesellschaftsvermögen nicht abgewendet werden kann. Diese Notwendigkeit erstreckt sich, wie die Geschäftsführungsbefugnis, auf gewöhnliche Geschäfte, die der Verwirklichung des Verbandszwecks dienen.
II. Notgeschäftsführungsbefugnis 4 Wie der Möglichkeit der Gesellschafterklage kommt der in § 715a BGB geregelten Not-
geschäftsführung eine Doppelrolle zu. Einerseits eröffnet diese Organschafts- bzw. Verwaltungsrechte an dem Personenverband, andererseits ist die Notgeschäftsführung als Institut Element des Minderheitenschutzes, um die Interessen des Verbandes wahrnehmen zu können. Auch derjenige, der von der Geschäftsführung ausgeschlossen ist, muss – vor dem Hintergrund seiner persönlichen Haftung sowie seiner mitgliedschaftsvermittelten Wertbetei1 Vgl. BGH v. 26.6.2018 – II ZR 205/16, NJW 2018, 3014 = ZIP 2018, 1492; Bergmann, WM 2019, 189; kritisch gegen diese Analogie, Schirrmacher, NJW 2018, 3348; auf die Mitgliedschaft abstellend, Grunewald in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 164 HGB Rz. 21. 2 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 153.
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Notgeschäftsführungsbefugnis | Rz. 6 § 715a BGB
ligung am Gesellschaftsvermögen – die Möglichkeit haben, eine interne Willensbildung des Personenverbandes herbeizuführen, wenn die originären geschäftsführungsbefugten Gesellschafter nicht erreichbar sind, aber eine Gefahr für die Gesellschaft oder das Gesellschaftsvermögen zu befürchten ist. Zwar betrifft § 715a BGB ausschließlich das Innenverhältnis,3 weil es dem Rechtsverkehr nicht zumutbar ist, sich über die gesellschaftsinternen Voraussetzungen zulässiger Geschäftsführung zu informieren. Sind diese aber erfüllt, hat die Gesellschaft die Geschäfte des Notgeschäftsführers zu genehmigen und Aufwendungsersatz zu leisten. Um die gesellschaftsinterne Kompetenzordnung nicht leerlaufen zu lassen, ist das Notgeschäftsführungsrecht des § 715a BGB subsidiär gegenüber den Geschäftsführungsrechten nach § 715 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2, Satz 2 BGB, so dass im Rahmen einer gemeinschaftlichen Geschäftsführung vorrangig mitgeschäftsführungsbefugte Gesellschafter notgeschäftsführungsbefugt sind.4
1. Subsidiarität zur gesellschaftsvertraglichen Kompetenzordnung Dadurch, dass § 715a BGB die Notgeschäftsführungsbefugnis daran anknüpft, dass alle ge- 5 schäftsführungsbefugten Gesellschafter daran gehindert sind, nach Maßgabe des § 715 Abs. 3 Satz 1 BGB die verbandsrechtliche Willensbildung herbeizuführen, wird deutlich, dass die Notgeschäftsführungsbefugnis nichtgeschäftsführungsbefugter Gesellschafter nur subsidiär in Betracht kommt.5 Auf diese Weise wird dem ausdrücklich im Gesellschaftsvertrag verankerten Interesse der Gesellschaftergesamtheit Rechnung getragen, dass das Geschäftsführungsorgan nur durch bestimmte Gesellschafter als Organwalter besetzt ist. In dieser Subsidiarität kommt die mitgliedschaftliche Bindung der Gesellschafter untereinander sowie die von diesen bestimmte innergesellschaftliche Kompetenzordnung zum Ausdruck. Danach kommt die verbandsrechtliche Willensbildung zwar grundsätzlich der Gesellschaftergesamtheit zu. Hinsichtlich solcher Geschäfte, die die Verfolgung des Gesellschaftszwecks gewöhnlich mit sich bringt, ist die Geschäftsführung aber im Interesse schneller, flexibler und sachkompetenter Entscheidungsfindung nur durch bestimmte Gesellschafter allein oder in Gemeinschaft auszuüben.6
2. Voraussetzungen a) Verhinderung aller geschäftsführungsbefugten Gesellschafter Voraussetzung für die Notgeschäftsführungsbefugnis der nichtgeschäftsführungsbefugten 6 Gesellschafter ist die Nichterreichbarkeit sämtlicher Geschäftsführer, so dass vorrangig die Kompetenzordnung des § 715 Abs. 1 bis Abs. 3 BGB zu beachten ist. Verhinderung i.S.d. § 715a BGB ist die tatsächliche Nichterreichbarkeit, so dass eine Notgeschäftsführung nicht in Betracht kommt, wenn die geschäftsführungsbefugten Gesellschafter schlicht nicht gewillt sind, die Willensbildung auszuüben. Den von der Geschäftsführung ausgeschlossenen Gesellschaftern bleibt dann nur die Möglichkeit, im Rahmen der Gesellschafterversammlung einen Beschluss herbeizuführen, auf dessen Grundlage die Geschäftsführung zu einem Verhalten angewiesen werden soll. Die damit verbundene Verzögerung als solche vermag eine Unaufschiebbarkeit i.S.v. § 715a BGB nicht zu begründen. 3 Vgl. BGH v. 25.5.1964 – II ZR 42/62, BGHZ 41, 367, 369 = WM 1964, 767. 4 Vgl. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 153 f. 5 Siehe bereits zu § 744 Abs. 2 BGB analog, BGH v. 26.6.2018 – II ZR 205/16, NJW 2018, 3014 = ZIP 2018, 1492; Bergmann, WM 2019, 189, 192 ff. 6 Vgl. BGH v. 26.6.2018 – II ZR 205/16, NJW 2018, 3014 = ZIP 2018, 1492; Bergmann, WM 2019, 189, 192 ff. Könen | 323
§ 715a BGB Rz. 7 | Rechtsfähige Gesellschaft b) Entbehrlichkeit der Mitwirkung nach § 715 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 BGB 7 Ist im Gesellschaftsvertrag eine Gesamtgeschäftsführung nach § 715 Abs. 3 Satz 1, Satz 2
BGB bestimmt, nach der die ausgewählten Geschäftsführer nur gemeinsam zu handeln berechtigt sein sollen, hat dies keine Auswirkung auf die Art der Notgeschäftsführung i.S.v. § 715a BGB. Auch wenn die Gesellschafter mit einer solchen teilweisen Gesamtgeschäftsführung zum Ausdruck gebracht haben, dass die Geschäftsführung grundsätzlich nicht im Wege der Einzelgeschäftsführung erfolgen, sondern stets eine kollektive sein soll, um der Gefahr vorzubeugen, dass ein Einzelner seine Interessen über die Belange des Verbandes stellen soll, ermächtigt die Notgeschäftsführung zur Einzelgeschäftsführung. Der Notgeschäftsführer ist daher nicht gehalten, eine kollektive Geschäftsführung mit anderen von der Geschäftsführung ausgeschlossenen Gesellschaftern herbeizuführen.7 Insoweit bringt § 715a BGB zum Ausdruck, dass die Interessen des Verbandes an einer zügigen Entscheidungsfindung überwiegen. Daran wird deutlich, dass es sich bei dem Notgeschäftsführungsrecht zwar um ein Recht des Verbandes handelt, es gleichzeitig aber dem Schutz einer Minderheit dient vor den sich in der mitgliedschaftlichen Wertbeteiligung niederschlagenden Gefahren für die Gesellschaft und das Gesellschaftsvermögen. c) Gefahr für die Gesellschaft oder das Gesellschaftsvermögen 8 Die Notgeschäftsführung kommt in Betracht, wenn mit dem Aufschub einer Geschäftsfüh-
rungsmaßnahme eine Gefahr für die Gesellschaft oder das Gesellschaftsvermögen zu befürchten ist.8 9 Eine Gefahr für die Gesellschaft ist insbesondere gegeben, wenn mit dem Aufschub des Ge-
schäfts zu befürchten ist, dass ein Auflösungsgrund der Gesellschaft begründet wird. Schäden für das Gesellschaftsvermögen sind bereits zu befürchten, wenn ohne die Notgeschäftsführung aussichtsreiche Gewinne nicht realisiert werden können.9 Die Gesetzesbegründung verweist darauf, dass zur Handhabung der Vorschrift auf die Erkenntnisse zu § 115 Abs. 2 HGB a.F. zurückzugreifen ist.10 10 Die Gefahrensituation ist ex post objektiv zu beurteilen,11 so dass Fehleinschätzungen grund-
sätzlich zu Lasten des geschäftsführenden Gesellschafters gehen (s. aber zum Aufwendungsersatz, § 715a BGB Rz. 20). 11 Im Unterschied zu § 744 Abs. 2 BGB erfasst die Notgeschäftsführung nach § 715a BGB auch
nicht-gegenstandsbezogene Maßnahmen.12 Dies wird dadurch deutlich, dass sämtliche Schäden für das Gesellschaftsvermögen geeignet sind, die Notgeschäftsführung zu begründen.
3. Rechtsfolgen a) Zuweisung der Geschäftsführungsbefugnis (Innenverhältnis) 12 Liegen die Voraussetzungen des § 715a BGB vor, wird dem handelnden Gesellschafter kraft
Gesetzes – entgegen der Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag – die Befugnis zur Geschäfts-
7 Vgl. Jickeli in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 115 HGB Rz. 60. 8 Vgl. BGH v. 26.6.2018 – II ZR 205/16, NJW 2018, 3014 = ZIP 2018, 1492; dazu Schirrmacher, NJW 2018, 3348. 9 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 153 f. 10 Vgl. BGH v. 4.5.1955 – IV ZR 185/54, BGHZ 17, 181, 185 f. = NJW 1955, 1027. 11 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 153 f. 12 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 153 f.
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Notgeschäftsführungsbefugnis | Rz. 17 § 715a BGB
führung zugewiesen. Folge ist, dass mit der Bildung des Willens durch den Gesellschafter der Gesellschaftswille unmittelbar gemittelt wird. Darüber hinausgehender Umsetzungsakte und Übertragungsakte bedarf es nicht. Allerdings bezieht sich diese gesetzliche Zuweisung ausschließlich auf das Innenverhältnis, so dass eine Vertretungsbefugnis im Außenverhältnis daraus nicht folgt.13 b) Reichweite der Geschäftsführungsbefugnisse Die durch § 715a BGB zugewiesene Geschäftsführungsbefugnis bezieht sich auf solche Maß- 13 nahmen, die der Geschäftsführung i.S.v. § 715 Abs. 1 BGB – in Abgrenzung zu § 714 BGB – entsprechen. Zu Maßnahmen, die die Grundlagen der Gesellschaft betreffen, ist der Notgeschäftsführer daher nicht berechtigt. Maßgeblich ist, dass es sich um ein Geschäft handelt, das gewöhnlich zur Verfolgung des Gesellschaftszwecks vorgenommen wird. Innerhalb dieser Bereichsabgrenzung wird die Reichweite der Geschäftsführungsbefugnis – i.S.v. § 715 Abs. 2 BGB – durch § 715a BGB selbst vorgegeben, indem der Notgeschäftsführer nur zu solchen Maßnahmen einen Gesellschaftswillen bilden kann, die keinen Aufschub dulden, weil anderenfalls eine Schädigung der Gesellschaft oder des Gesellschaftsvermögens droht. c) Kein Widerspruchsrecht der Mitgesellschafter In Anbetracht der Tatsache, dass es sich um ein Geschäft handeln muss, welches keinen Auf- 14 schub duldet, kommt den übrigen nichtgeschäftsführungsbefugten Gesellschaftern kein Widerspruchsrecht in der Weise des § 715 Abs. 4 BGB zu. Grund dafür ist einerseits der Umstand, dass die Notgeschäftsführungsbefugnis als Einzelgeschäftsführungsbefugnis auszuüben ist. Andererseits würde ein Widerspruchsrecht dazu führen, dass eine schnelle Entscheidungsfindung verzögert oder verhindert würde, was durch § 715a BGB gerade ausgeschlossen werden soll. In Anbetracht der anzustellenden ex-post-Beurteilung der Gefahrlage führt dies auch nicht zu unzumutbaren Ergebnissen für die übrigen Gesellschafter.
III. Rechtsverhältnis nach außen Die Notgeschäftsführung sieht keine Entsprechung in den Bestimmungen über die Vertre- 15 tung vor. Deshalb kann der Notgeschäftsführer – sofern ihm keine Vertretungsmacht zukommt – die Gesellschaft nicht verpflichten. Hintergrund ist die Tatsache, dass der Rechtsverkehr schnell Klarheit darüber haben muss, 16 mit wem er ein Geschäft abschließt.14 Er hat regelmäßig keinen Einblick in die innergesellschaftliche Kompetenzordnung sowie die Umstände, die eine innergesellschaftliche Gefahrenlage begründen können. Ein eigeninitiatives Tätigwerden in der Frist des § 177 Abs. 2 BGB ist ihm nicht zuzumuten, so dass ein Durchschlagen der Notgeschäftsführungsbefugnis auf die Vertretungsordnung nicht in Betracht kommt und eine Unsicherheit des Geschäftspartners gar nicht erst entstehen kann.15 Der Notgeschäftsführer hat daher nur die Möglichkeiten, rechtsgeschäftliche oder organ- 17 schaftliche Vertreter im Namen der Gesellschaft anzuweisen, gegenüber dem Dritten im Namen der Gesellschaft zu handeln, selbst als Vertreter ohne Vertretungsmacht – mit der Möglichkeit späterer Genehmigung nach § 177 BGB – aufzutreten oder schlicht in eigenem Namen gegenüber einem Dritten zu agieren. 13 Vgl. BGH v. 25.5.1964 – II ZR 42/62, BGHZ 41, 367, 369 = WM 1964, 767. 14 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 154. 15 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 154. Könen | 325
§ 715a BGB Rz. 18 | Rechtsfähige Gesellschaft 18 Bildet der Notgeschäftsführer auf der Grundlage des § 715a BGB den Willen der Gesellschaft,
hat dies zur Folge, dass der Gesellschafter – auch wenn er in eigenem Namen gegenüber einem Dritten handelt – ein Geschäft führt, dass im Interesse der Gesellschaft liegt. Für die mit einem solchen Rechtsgeschäft zusammenhängenden Dispositionen kann der Notgeschäftsführer daher nach § 716 BGB Ersatz seiner Aufwendungen verlangen und insoweit einen Vorschuss beanspruchen. In Anbetracht der Notwendigkeit schnellen Handelns ist die praktische Durchsetzbarkeit eines Vorschusses aber regelmäßig ausgeschlossen.
19 Führt der Notgeschäftsführer ein Notgeschäft im Namen der Gesellschaft, hat dies zwar zur
Folge, dass er – wenn ihm eine Vertretungsmacht nicht zukommt – ein Geschäft als Vertreter ohne Vertretungsmacht schließt. Insoweit kann er aber von den Vertretern verlangen, dass diese das Geschäft genehmigen, weil er aufgrund der wirksamen verbandsrechtlichen Willensbildung im Innenverhältnis Berechtigter war.16 Wird die Genehmigung verweigert oder im Rahmen von § 177 Abs. 2 BGB nicht rechtzeitig erteilt und sieht sich der Gesellschafter daher Schadensersatzansprüchen eines Dritten ausgesetzt, kann der Notgeschäftsführer von der Gesellschaft Freistellung von diesen Verbindlichkeiten verlangen.
20 In Anbetracht der Tatsache, dass sich die für eine Notgeschäftsführungsbefugnis erforderli-
che Gefahrenlage objektiv ex post bestimmt, läuft der Gesellschafter Gefahr, ein Geschäft vorzunehmen, dass er zwar subjektiv als unaufschiebbar eingeordnet hat, für das aber objektiv eine Gefahrenlage nicht bestanden hat. Gleichzeitig besteht für ihn die Gefahr, sich seinerseits gegenüber der Gesellschaft schadensersatzpflichtig zu machen, wenn eine Gefahrenlage nach § 715a BGB gegeben ist und er die Geschäftsführung unterlässt, weil sich seine mitgliedschaftlichen Verwaltungsrechte auf der Grundlage der Treuepflicht zu einer Handlungspflicht verdichten können, auch wenn er von der Geschäftsführung ausgeschlossen ist. Auch wenn objektiv ex post eine Notgeschäftsführungslage nicht gegeben ist, erscheint es unbillig, diese Gemengelage zu Lasten des Gesellschafters zu entscheiden, weil es sich, wenn der Gesellschafter ein Geschäft tätigt, das im Interessenkreis der Gesellschaft liegt, um einen Bereich handelt, der der Risikosphäre der Gesellschaft zuzuordnen ist. Die Unsicherheit bei der Einschätzung der Gefährdungslage muss daher dann zu Lasten der Gesellschaft gehen, wenn es sich um ein Geschäft der Gesellschaft handelt und sich der Gesellschafter bei der Durchführung nicht sorgfaltswidrig über die gesellschaftliche Kompetenzordnung hinweggesetzt hat. Sofern die Aufwendungen des Gesellschafters dem Interesse und dem mutmaßlichen Willen der Gesellschaft entsprechen und der Gesellschafter die Geschäftsführung im Einzelfall nach den Umständen für erforderlich halten durfte, wobei hinsichtlich des Willens die Wertung des § 679 BGB zu berücksichtigen ist, kommt auch bei einer ex post nicht gegebenen Gefahrenlage ein Aufwendungsersatzanspruch nach § 716 BGB in Betracht, auch wenn er einen tatsächlichen Gesellschaftswillen nicht bilden durfte.
§ 715b BGB Gesellschafterklage (1) ¹Jeder Gesellschafter ist befugt, einen auf dem Gesellschaftsverhältnis beruhenden Anspruch der Gesellschaft gegen einen anderen Gesellschafter im eigenen Namen gerichtlich geltend zu machen, wenn der dazu berufene geschäftsführungsbefugte Gesellschafter dies pflichtwidrig unterlässt. ²Die Befugnis nach Absatz 1 erstreckt sich auch auf einen Anspruch der Gesellschaft gegen einen Dritten, wenn dieser an dem pflichtwidrigen Unterlassen mitwirkte oder es kannte.
16 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 154.
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§ 715a BGB Rz. 18 | Rechtsfähige Gesellschaft 18 Bildet der Notgeschäftsführer auf der Grundlage des § 715a BGB den Willen der Gesellschaft,
hat dies zur Folge, dass der Gesellschafter – auch wenn er in eigenem Namen gegenüber einem Dritten handelt – ein Geschäft führt, dass im Interesse der Gesellschaft liegt. Für die mit einem solchen Rechtsgeschäft zusammenhängenden Dispositionen kann der Notgeschäftsführer daher nach § 716 BGB Ersatz seiner Aufwendungen verlangen und insoweit einen Vorschuss beanspruchen. In Anbetracht der Notwendigkeit schnellen Handelns ist die praktische Durchsetzbarkeit eines Vorschusses aber regelmäßig ausgeschlossen.
19 Führt der Notgeschäftsführer ein Notgeschäft im Namen der Gesellschaft, hat dies zwar zur
Folge, dass er – wenn ihm eine Vertretungsmacht nicht zukommt – ein Geschäft als Vertreter ohne Vertretungsmacht schließt. Insoweit kann er aber von den Vertretern verlangen, dass diese das Geschäft genehmigen, weil er aufgrund der wirksamen verbandsrechtlichen Willensbildung im Innenverhältnis Berechtigter war.16 Wird die Genehmigung verweigert oder im Rahmen von § 177 Abs. 2 BGB nicht rechtzeitig erteilt und sieht sich der Gesellschafter daher Schadensersatzansprüchen eines Dritten ausgesetzt, kann der Notgeschäftsführer von der Gesellschaft Freistellung von diesen Verbindlichkeiten verlangen.
20 In Anbetracht der Tatsache, dass sich die für eine Notgeschäftsführungsbefugnis erforderli-
che Gefahrenlage objektiv ex post bestimmt, läuft der Gesellschafter Gefahr, ein Geschäft vorzunehmen, dass er zwar subjektiv als unaufschiebbar eingeordnet hat, für das aber objektiv eine Gefahrenlage nicht bestanden hat. Gleichzeitig besteht für ihn die Gefahr, sich seinerseits gegenüber der Gesellschaft schadensersatzpflichtig zu machen, wenn eine Gefahrenlage nach § 715a BGB gegeben ist und er die Geschäftsführung unterlässt, weil sich seine mitgliedschaftlichen Verwaltungsrechte auf der Grundlage der Treuepflicht zu einer Handlungspflicht verdichten können, auch wenn er von der Geschäftsführung ausgeschlossen ist. Auch wenn objektiv ex post eine Notgeschäftsführungslage nicht gegeben ist, erscheint es unbillig, diese Gemengelage zu Lasten des Gesellschafters zu entscheiden, weil es sich, wenn der Gesellschafter ein Geschäft tätigt, das im Interessenkreis der Gesellschaft liegt, um einen Bereich handelt, der der Risikosphäre der Gesellschaft zuzuordnen ist. Die Unsicherheit bei der Einschätzung der Gefährdungslage muss daher dann zu Lasten der Gesellschaft gehen, wenn es sich um ein Geschäft der Gesellschaft handelt und sich der Gesellschafter bei der Durchführung nicht sorgfaltswidrig über die gesellschaftliche Kompetenzordnung hinweggesetzt hat. Sofern die Aufwendungen des Gesellschafters dem Interesse und dem mutmaßlichen Willen der Gesellschaft entsprechen und der Gesellschafter die Geschäftsführung im Einzelfall nach den Umständen für erforderlich halten durfte, wobei hinsichtlich des Willens die Wertung des § 679 BGB zu berücksichtigen ist, kommt auch bei einer ex post nicht gegebenen Gefahrenlage ein Aufwendungsersatzanspruch nach § 716 BGB in Betracht, auch wenn er einen tatsächlichen Gesellschaftswillen nicht bilden durfte.
§ 715b BGB Gesellschafterklage (1) ¹Jeder Gesellschafter ist befugt, einen auf dem Gesellschaftsverhältnis beruhenden Anspruch der Gesellschaft gegen einen anderen Gesellschafter im eigenen Namen gerichtlich geltend zu machen, wenn der dazu berufene geschäftsführungsbefugte Gesellschafter dies pflichtwidrig unterlässt. ²Die Befugnis nach Absatz 1 erstreckt sich auch auf einen Anspruch der Gesellschaft gegen einen Dritten, wenn dieser an dem pflichtwidrigen Unterlassen mitwirkte oder es kannte.
16 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 154.
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Gesellschafterklage | Rz. 1 § 715b BGB
(2) Eine Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag, welche das Klagerecht ausschließt oder dieser Vorschrift zuwider beschränkt, ist unwirksam. (3) ¹Der klagende Gesellschafter hat die Gesellschaft unverzüglich über die Erhebung der Klage und die Lage des Rechtsstreits zu unterrichten. ²Ferner hat er das Gericht über die erfolgte Unterrichtung in Kenntnis zu setzen. ³Das Gericht hat auf eine unverzügliche Unterrichtung der Gesellschaft hinzuwirken. (4) Soweit über den Anspruch durch rechtskräftiges Urteil entschieden worden ist, wirkt die Entscheidung für und gegen die Gesellschaft. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. 1. 2. 3. 4. II. 1.
Allgemeines Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Zwingender Charakter (Abs. 2) . . . . . . . . 3 Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Gesellschafterklage (Abs. 1) . . . . . . . . . . 5 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 a) Entwicklung und Rechtsnatur . . . . . . . 7 b) Subsidiarität innenrechtlicher Berechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 c) Gesetzliche Prozessstandschaft . . . . . . 10 d) Verhältnis zum aktiengesetzlichen Klagerecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
2. Auf dem Gesellschaftsverhältnis beruhende Ansprüche der Gesellschaft (Sozialansprüche) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichtwidriges Unterlassen geschäftsführungsbefugter Gesellschafter . . . . . . . 4. Drittansprüche der Gesellschaft; pflichtwidrige Mitwirkung des Dritten; Kenntnis des Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Gesetzliche Prozessstandschaft kraft Gesellschafterstellung . . . . . . . . . . . . . . . . III. Unterrichtungspflicht (Abs. 3) . . . . . . . IV. Rechtskrafterstreckung; Bindungswirkung (Abs. 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Schrifttum: Berger, Prozessuale Fragen zur actio pro socio bei der BGB-Gesellschaft (§ 715b BGB), ZZP 135 (2022), 407; Bork/Oepen, Einzelklagebefugnisse des Personengesellschafters, ZGR 2001, 515; Fleischer/Harzmeier, Die actio pro socio im Personengesellschaftsrecht, ZGR 2017, 242; Keller, Die Zulässigkeit der Gesellschafterklage bei der Personengesellschaft, ZJS 2022, 469; Kort, Actio pro socio auch bei Klagen gegen den Nicht Gesellschafter, DStR 2001, 2162; Kumkar, Actio pro socio im GmbH Recht, Zur Entwicklung und Anwendung der Gesellschafterklage in der Gesellschaft mit beschränkter Haftung, NZG 2020, 1012; Kumkar, Zum Theorienstreit im Recht der actio pro socio, ZGR 2021, 123; Müller, Die Gesellschafterklage als rechtsformübergreifendes Institut, Diss., Frankfurt am Main, 2002; Neumayer/Zeyher, MoPeG und gesellschaftsrechtliche Prozessführung, NZG 2022, 1707; Osterloh-Konrad, Die actio pro socio – zur Institutionenbildung im Verbandsrecht, in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2021, 2022, S. 63; Schäfer, Actio pro socio – neue Impulse durch das MoPeG und aktuelle Rechtsprechung, ZHR 187 (2023), 78.
I. Allgemeines 1. Überblick § 715b BGB verankert das allgemeine verbandsrechtliche Institut der Gesellschafterklage 1 (auch: actio pro socio) im Gesetz. Abs. 1 Satz 1 weist jedem Gesellschafter ein Einzelklagerecht zu, Ansprüche gegen einen Mitgesellschafter im eigenen Namen als Prozessstandschafter geltend zu machen, die auf einer mitgliedschaftlichen Berechtigung der Gesellschaft beruhen, wenn die Organwalter der Geschäftsführung eine entsprechende verbandsrechtliche Willensbildung unterlassen. Abs. 1 Satz 2 erstreckt diese Befugnis in engen Grenzen auf Ansprüche der Gesellschaft gegen Dritte, sofern diese an dem pflichtwidrigen Unterlassen mitwirkten oder es kannten. Abs. 2 bringt den minderheitenschützenden Charakter der Könen | 327
§ 715b BGB Rz. 1 | Rechtsfähige Gesellschaft Gesellschafterklage zum Ausdruck, indem diese ausdrücklich für unabdingbar erklärt wird. Abs. 3 gewährleistet, dass die Gesellschaft über die Gesellschafterklage schnellstmöglich in Kenntnis gesetzt wird. Abs. 4 stellt jetzt klar, dass sich die Rechtskraft des Urteilsausspruchs auf die Gesellschaft erstreckt.
2. Normzweck 2 Das Institut der Gesellschafterklage ermöglicht es jedem Gesellschafter, Sozialansprüche der
Gesellschaft gegen einen Gesellschafter gerichtlich geltend zu machen. Auf diese Weise wird dem Interessenkonflikt begegnet, dass geschäftsführungsbefugte Gesellschafter die verbandsrechtliche Willensbildung in solchen Fällen verweigern, in denen sie als Organwalter der Gesellschaft deren Ansprüche gegen das eigene Privatvermögen verfolgen müssen, wozu sie häufig nicht bereit sein werden. Auf diese Weise kommt es zu einem institutionellen Organversagen im Rahmen verbandsrechtlicher Mehrheitsherrschaft, das einen unentziehbaren Minderheitenschutz solcher Gesellschafter erforderlich macht, die sich der Verbandsherrschaft unterworfen haben. Die Zuerkennung der eigenen Klagebefugnis der Gesellschafter beruht auf dem Gedanken, dass bei einem solchen individuellen Interessenkonflikt der Organwalter die Durchsetzung der Gesellschaftsansprüche nicht gewährleistet ist sowie dass hinsichtlich der von der Geschäftsführung ausgeschlossenen Gesellschafter oder im Rahmen gemeinschaftlicher Geschäftsführung eine nicht hinzunehmende Verkürzung der mitgliedschaftlichen Wertbeteiligung zu befürchten ist. Entsprechend findet sich die Neuregelung der Gesellschafterklage im systematischen Fahrwasser der Geschäftsführungskompetenzen.1 Die Kodifikation der Gesellschafterklage im neuen § 715b BGB hat dabei hinsichtlich mehrerer Streitstände über die konkrete Ausgestaltung der Gesellschafterklage Klarheit geschaffen.2 So wird klargestellt, dass sich die actio pro socio grundsätzlich nur auf Ansprüche aus dem Gesellschaftsverhältnis erstreckt und Ansprüche gegen Dritte nur unter dem Gedanken der Kollusion in Betracht kommen (Abs. 1 Satz 2),3 dass die Klagebefugnis zwar aus einer eigenen Rechtsposition des Gesellschafters resultiert, im Wege gesetzlicher Prozessstandschaft aber ein Recht der Gesellschaft geltend zu machen ist (Abs. 1 Satz 1),4 dass die Gesellschafterklage ein unabdingbares Instrument des Minderheitenschutzes darstellt (Abs. 2)5 sowie dass sich die Rechtskraft auf die Gesellschaft erstreckt (Abs. 4).
3. Zwingender Charakter (Abs. 2) 3 Die in § 715b BGB nun ausdrücklich für alle Personenverbände geregelte Gesellschafterklage
ist vor dem Hintergrund ihrer systematischen Stellung sowie in Abgrenzung zur Beschlussfassung nach § 714 BGB (bloßes) Organschafts- bzw. Verwaltungsrecht. Gleichzeitig ist die actio pro socio als Institut aber Ausdruck mitgliedschaftlicher Schutzrechte des Einzelnen gegenüber der untätig bleibenden Kollektivherrschaft, also Element des verbandsrechtlichen Minderheitenschutzes, jedenfalls soweit es sich um eine aus wichtigem Grund erhobene Gesellschafterklage handelt.6 Insoweit kommt in § 715b Abs. 2 BGB die absolute Unentzieh1 Vgl. Berger, ZZP 135 (2022), 407, 409. 2 Vgl. Fleischer/Harzmeier, ZGR 2017, 239 ff.; Osterloh-Konrad in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2021, S. 63 ff. 3 Vgl. BGH v. 2.7.1973 – II ZR 94/71, NJW 1973, 2198; s. aber Bork/Oepen, ZGR 2001, 515, 553. 4 Vgl. BGH v. 27.6.1957 – II ZR 15/56, BGHZ 25, 47 = NJW 1957, 1358; BGH v. 26.4.2010 – II ZR 69/ 09, DStR 2010, 1346 = ZIP 2010, 1232. 5 Vgl. BGH v. 13.5.1985 – II ZR 170/84, NJW 1985, 2830, 2831 = ZIP 1985, 1137. 6 Vgl. Enzinger in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 119 HGB Rz. 68; Lieder in Oetker, 6. Aufl. 2019, § 109 HGB Rz. 38; Lieder, ZGR Sonderheft 23 (2020), 169, 200.
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Gesellschafterklage | Rz. 6 § 715b BGB
barkeit des Schutzrechts zum Ausdruck,7 wobei die konkrete Reichweite je nach tatsächlicher Gestalt der Gesellschaft variieren kann.8 Maßstab ist das im konkreten Verbandszweck zum Ausdruck kommende Kollektivinteresse des Personenverbandes. Ebenso kann eine Klagebefugnis ausgeschlossen werden, wenn die Geltendmachung von Forderungen durch die Gesellschaft auf andere Weise sichergestellt ist, etwa im Rahmen interner Rechtsbehelfe. Ausdrücklich ausgestaltet wurde die Gesellschafterklage als Fall gesetzlicher Prozessstandschaft, mit der Folge, dass sich die damit verbundene Einziehungs- und Prozessführungsbefugnis des Gesellschafters sowohl auf Sozial- als auch auf Drittansprüche der Gesellschaft erstreckt, sofern der Dritte an dem pflichtwidrigen Verhalten mitgewirkt hat bzw. von diesem Kenntnis hatte.9
4. Anwendungsbereich Über die Verweisungen der § 105 Abs. 3, § 161 Abs. 2 HGB und § 1 Abs. 4 PartGG findet die 4 Regelung unmittelbare Anwendung auf die oHG, die KG sowie die PartG. Weil in der actio pro socio als minderheitenschützendes Recht der Mitgliedschaft ein allgemein verbandsrechtlicher Grundsatz zum Ausdruck kommt, können die in § 715b BGB verankerten Kerngedanken auch auf die juristischen Personen des Vereins, der Genossenschaft, der GmbH sowie der AG übertragen werden.10 Dabei ist allerdings der jeweiligen spezialgesetzlichen Kompetenzordnung Rechnung zu tragen, so dass die gesellschaftsinternen Einflussnahmemöglichkeiten zunächst ausgeschöpft werden müssen. Eine entsprechende Anwendung auf die GmbH ist daher grundsätzlich möglich. Hinsichtlich der AG stehen einer entsprechenden Anwendung indes die spezialgesetzlichen Klagemöglichkeiten der Aktionäre nach § 309 Abs. 4, § 317 Abs. 4, § 318 Abs. 4 AktG und § 148 AktG entgegen, weil diese Ausdruck einer abschließenden Kompetenzordnung sind. Entsprechend der Regelungen der § 46 Nr. 8 GmbHG und § 147 Abs. 2 AktG kommt es weiterhin in Betracht, einen besonderen Vertreter zu bestellen.11
II. Gesellschafterklage (Abs. 1) Die von der Rechtsprechung für die Personengesellschaft entwickelte Gesellschafterklage ist 5 mittlerweile als allgemeines mitgliedschaftliches Institut anerkannt.12 Bis zur Regelung durch § 715b BGB waren viele Einzelheiten umstritten.13
1. Grundlagen Mit der ausdrücklichen Regelung erfährt die actio pro socio eine gesetzliche Anerkennung, 6 die in methodischer Hinsicht für viele Fragen terminologische, systematische und teleologische Klarheit verschafft.14 Der Streit über die dogmatischen Grundlagen der Gesellschafter7 8 9 10 11 12 13
Vgl. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 154. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 156. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 154; vgl. Bork/Oepen, ZGR 2001, 515, 552 f. Vgl. BGH v. 25.1.2022 – II ZR 50/20, NZG 2022, 516 Rz. 21; Waclawik, NZG 2022, 652. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 154. Vgl. Kumkar, NZG 2020, 1012. Vgl. Fleischer/Harzmeier, ZGR 2017, 239 ff.; Kumkar, NZG 2020, 1012; Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 105 HGB Rz. 70 ff.; Osterloh-Konrad in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2021, S. 63. 14 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 107; vgl. Osterloh-Konrad in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2021, S. 63, 72 ff. Könen | 329
§ 715b BGB Rz. 6 | Rechtsfähige Gesellschaft klage rührt vornehmlich daher, dass sie von der Rechtsprechung lange Zeit aus der vertraglichen Grundlage der Personengesellschaft abgeleitet wurde.15 Die actio pro socio ist aber ein allgemeines Institut des Verbandsrechts und lässt sich normativ neben § 715b BGB an die allgemeine Bestimmung über die Mitgliedschaft in § 38 BGB anbinden.16 So resultiert die Klagebefugnis, ein Recht in eigenem Namen geltend machen zu können, aus einem absolut unentziehbaren Schutzrecht aus der Mitgliedschaft.17 Geltend zu machen ist aber ein Recht der Gesellschaft. a) Entwicklung und Rechtsnatur 7 Ursprünglich hatte das RG die actio pro socio aus den §§ 432, 2039 BGB abgeleitet.18 In der
Folge fand der BGH aber die Grundlage für die Gesellschafterklage im Gesellschaftsvertrag der Personengesellschafter, weil dem Gesellschafter aus diesem eigene Rechte gegen den beklagten Gesellschafter zustünden.19 Insoweit wurde teilweise angenommen, es handle sich um die Geltendmachung eines eigenen (Parallel-)Anspruchs, der dem Gesellschafter gegenüber den anderen Gesellschaftern zustehe, mit der Folge, dass die Klage ihre Grundlage im Gesellschaftsvertrag habe.20 Demgegenüber wurde die Gesellschafterklage – wie nun in § 715b Abs. 1 BGB angelegt – teilweise als Prozessstandschaft eingeordnet.21 Seit Anerkennung der Rechtsfähigkeit des Personenverbandes erscheint die Anknüpfung an den Gesellschaftsvertrag – unter Annahme eines Parallelanspruchs – nicht mehr tragbar, weil es sich bei dem einzuklagenden Anspruch um einen der Gesellschaft handelt. Der klagende Gesellschafter profitiert lediglich mittelbar über seine mitgliedschaftliche Wertbeteiligung an einem Vermögenszuwachs des Gesellschaftervermögens. Die Rechtsprechung hat daher zuletzt deutlich gemacht, dass sich die Klagebefugnis zwar aus einer mitgliedschaftlichen Rechtsposition des Gesellschafters ergebe, die Klage aber auf Leistung an die Gesellschaft zu richten sei.22 8 Während die Gesellschafterklage ursprünglich als Einzelklagerecht des Gesellschafters zur
Geltendmachung von Sozialansprüchen gegen Mitgesellschafter entwickelt wurde, ist sie in der Folgezeit auch auf Ansprüche der Gesellschaft gegen Dritte erstreckt worden.23 Die Reichweite der Gesellschafterklage ist seit jeher umstritten, insbesondere in Anbetracht ihrer dogmatischen Fundierung.24 „Die Regelung räumt diesen Streitstand [über die dogmatische Fundierung] aus, indem sie als gemeinsame Rechtsfolge für die Geltendmachung von Sozial- und Drittansprüchen eine Einziehungs- und Prozessführungsbefugnis des Gesellschafters für die Gesellschaft begründet. Die Gesellschafterklage ist daher als ein Fall der gesetzlichen Prozessstandschaft zu verstehen.“25
15 Vgl. Fleischer/Harzmeier, ZGR 2017, 239 ff.; Osterloh-Konrad in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2021, S. 63, 64 ff.; zur historischen Entwicklung, Kumkar, ZGR 2021, 123, 125 ff. 16 Teilweise abweichend, Kumkar, ZGR 2021, 123, 147 ff. 17 Vgl. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 154; vgl. Kumkar, ZGR 2021, 123 ff. 18 RG v. 9.11.1908 – VI 661/07, RGZ 70, 32, 33 f. 19 BGH v. 17.6.1953 – II ZR 205/52, BGHZ 10, 91 = NJW 1953, 1217, 1219. 20 Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 210 ff.; vgl. Müller, Die Gesellschafterklage als rechtsformübergreifendes Institut, S. 90 ff. 21 Vgl. Bork/Oepen, ZGR 2001, 515, 521 f.; Fleischer/Harzmeier, ZGR 2017, 239, 266. 22 Vgl. BGH v. 22.1.2019 – II ZR 143/17, NZG 2019, 702 Rz. 10 = GmbHR 2019, 658. 23 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 154; vgl. Bork/Oepen, ZGR 2001, 515, 552; Kort, DStR 2001, 2162. 24 Vgl. Kumkar, ZGR 2021, 123. 25 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 154.
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Gesellschafterklage | Rz. 10 § 715b BGB
b) Subsidiarität innenrechtlicher Berechtigung Ebenso wie hinsichtlich der Notgeschäftsführungsbefugnis sind die Gesellschafter gehalten, sich 9 vorrangig an die innergesellschaftliche Kompetenzordnung zu halten, so dass das Rechtsinstitut der Gesellschafterklage nur subsidiär in Anspruch genommen werden kann.26 Genauso wie die Notgeschäftsführungsbefugnis vermittelt die actio pro socio – unter Durchbrechung der gesellschaftlichen Kompetenzordnung – eine innenrechtliche Berechtigung, gegen Gesellschafter und Dritte vorzugehen. Die Klagemöglichkeit beinhaltet die Befugnis zur außergerichtlichen Geltendmachung, ohne dass damit eine Vertretungsmacht im Außenverhältnis begründet würde. Aus der innenrechtlichen Berechtigung folgt aber ein Anspruch auf Genehmigung der Geschäfte sowie gegebenenfalls Aufwendungsersatz-, Freistellungs- und Vorschussansprüche nach § 716 BGB. Ebenso vermittelt § 715b BGB eine Weisungsmöglichkeit an Vertreter der Gesellschaft. Nicht durch § 715b BGB geregelt ist die Frage, welche Verhaltensanforderungen an den klagewilligen Gesellschafter im Rahmen seiner Pflicht zu stellen sind, die innergesellschaftliche Kompetenzordnung zu achten und innergesellschaftliche Einwirkungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Aus der Treuepflicht folgt jedenfalls, dass der Gesellschafter die Gesellschaft zur (klageweisen) Geltendmachung der betroffenen Forderung auffordern und diese ablehnend darauf reagieren muss, sofern die diesbezügliche Kompetenz nicht schon im Wege der Notgeschäftsführung auf den Gesellschafter übergegangen ist, etwa wegen drohender Verjährung.27 Ebenso bedingt die Kompetenzordnung der §§ 714, 715 BGB, dass der Gesellschafter erfolglos versucht haben muss, einen Gesellschafterbeschluss zu erwirken, der Geschäftsführung Weisungen zu erteilen, wenn dies mit Blick auf die Beteiligungsverhältnisse nicht offenkundig aussichtslos ist. Bestimmungen über die Geltendmachung von Beschlussmängeln sind vorrangig zu beachten und dürfen wie die §§ 714, 715 BGB nicht durch die Gesellschafterklage unterlaufen werden. Gleichzeitig wird mit einer vorrangigen Beachtung der Vereinbarung über ein Beschlussmängelverfahren vermieden, dass im Rahmen der Gesellschafterklage bezüglich eines Beschlussmangels aufwendige Inzidentprüfungen anzustellen sind.28 Ergeht ein rechtmäßiger Gesellschaftsbeschluss mit dem Inhalt, dass die Nichtgeltendmachung auf Belangen beruht, die im Interesse der Gesellschaft sind, ist eine actio pro socio mit dem gleichen Inhalt ausgeschlossen, weil diese nur zu dem gleichen Ergebnis kommen kann, dass eine Geltendmachung aufgrund mitgliedschaftlicher Interessen nicht in Betracht kommt.29 Eine Klagebefugnis ist in diesem Fall nicht gegeben, weil das Unterlassen der Geschäftsführung nicht „pflichtwidrig“ ist. Eine abgewiesene Beschlussmängelklage steht demnach einer nachträglichen Gesellschafterklage entgegen. Gleichwohl können Beschlussmängel und Gesellschafterklage zusammen erhoben werden.30 c) Gesetzliche Prozessstandschaft Mit Anerkennung der Rechtssubjektivität kommt nur ein Verständnis der actio pro socio in 10 Betracht, nach dem Klagegegenstand ein Recht der Gesellschaft ist, weil die Sozialansprüche nach § 713 BGB nur dem Gesellschaftsvermögen zugewiesen sind. Mit dieser dogmatischen Grundlage stehen strukturelle Eigenheiten der Personengesellschaft auch nicht einer Ausdehnung der Gesellschafterklage – so wie sie durch § 715b BGB gesetzlich konkretisiert werden – auf andere verbandsrechtliche Vereinigungen entgegen.31
26 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 154. 27 Vgl. Berger, ZZP 135 (2022), 407 ff. 28 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 156; für eine Verbindung von Beschlussmängel- und Gesellschafterklage aber Neumayer/Zeyher, NZG 2022, 1707, 1709. 29 Vgl. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 156. 30 RegE MoPeG, S. 178; Lieder, ZGR Sonderheft 23 (2020), 169, 198. 31 Vgl. Osterloh-Konrad in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2021, S. 63, 78 ff. Könen | 331
§ 715b BGB Rz. 11 | Rechtsfähige Gesellschaft d) Verhältnis zum aktiengesetzlichen Klagerecht 11 Mit der Regelung der actio pro socio kommt hinsichtlich anderer verbandsrechtlich verfasster
Rechtsformen die Frage nach dem Regel-Ausnahme-Verhältnis auf.32 So wendet die Rechtsprechung etwa bislang die Vorschriften zum Klagerecht aus dem AktG analog auf die GmbH an. Die Gemengelage über die Spezialität der Regelungsregime lässt sich in unterschiedlicher Weise auflösen. Einerseits ließe sich argumentieren, dass § 715b BGB eine allgemeine Regelung für die personengesellschaftsrechtlichen Rechtsformen darstellt und die Regelungen des AktG solche für die körperschaftlich verfassten Rechtsformen. Qualifiziert man die Regelung des § 715b BGB hingegen als einen allgemeinen verbandsrechtlichen Grundsatz, so käme den aktienrechtlichen Bestimmungen lediglich die Funktion einer spezialgesetzlichen Regelung für die Rechtsform der AG zu. Dieser Ansatz ist vorzugswürdig, weil die durch die Satzungsstrenge nach § 23 Abs. 5 AktG abgesicherten aktiengesetzlichen Klagemöglichkeiten Ausdruck der gesetzgeberischen Intention sind, dem Rechtsverkehr mit Gesellschaftsbeteiligungen an einer AG eine typisierte und umlauffähige Anlageform zur Verfügung zu stellen. Insbesondere die §§ 147, 148 AktG dienen der praktischen Durchsetzung der Ersatzansprüche der AG, die rechtsformtypisch einen großen Gesellschafterbestand aufweist.33 Damit dient das Klagerecht mittelbar den Aktionärsrechten, die auf der Grundlage der Art. 50, 114 AEUV schrittweise unionsrechtlich harmonisiert werden,34 sodass die aktienrechtlichen Klagemöglichkeiten auch als Beitrag des deutschen Gesetzgebers zur Befolgung der unionsrechtlichen Loyalitätspflicht und zur Beachtung des EU-Effektivitätsgrundsatzes verstanden werden können und auf diese Weise ein unionsrechtliches Gepräge erhalten. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass die aktienrechtliche actio pro socio ihren Ausgangspunkt im Konzernrecht hat. Auf die rechtsformtypische GmbH lassen sich diese Wertungen nicht übertragen. § 715b BGB ist daher Ausdruck des gesetzgeberischen Bekenntnisses, die aktienrechtlichen Rahmenbedingungen nicht auf die GmbH zu erstrecken.
2. Auf dem Gesellschaftsverhältnis beruhende Ansprüche der Gesellschaft (Sozialansprüche) 12 In Anbetracht der vorzugswürdigen dogmatischen Verankerung der Gesellschafterklage in
einem mitgliedschaftlichen Schutzrecht ist die Beschränkung der Gesellschafterklage auf Sozialansprüche der Gesellschaft keine, die sich zwingend aus der Reichweite des mitgliedschaftlichen Schutzrechts ergibt. Ein Mitglied ist in Anbetracht seiner mitgliedschaftlichen Wertbeteiligung stets betroffen, wenn die Geschäftsführung einen Anspruch der Gesellschaft nicht verfolgt. Allerdings hat sich ein Gesellschafter auch hinsichtlich unvernünftiger Entscheidungen einer verbandsrechtlichen Fremdherrschaft durch die Verbandsorgane unterworfen. Zu einer allgemeinen Zweckmäßigkeitskontrolle darf die Gesellschafterklage nicht instrumentalisiert werden, weil anderenfalls die Entscheidung der Gesellschaftergesamtheit unterlaufen werden könnte, die Geschäftsführungskompetenz nach § 715 Abs. 1, Abs. 2 BGB für gewöhnliche Maßnahmen – die der Verfolgung des Verbandszwecks dienen – abweichend von der Entscheidungskompetenz der Gesellschafterversammlung i.S.v. § 714 BGB zu gestalten. Im Rahmen von gewöhnlichen Geschäftsführungsmaßnahmen haben sich die Gesellschafter – auch die Minderheitsgesellschafter – über die Vereinbarung des Verbandszwecks privatautonom wirksam der Verbandsherrschaft unterworfen. Führt die Geschäftsführung diesbezüglich ein Geschäft nicht durch, realisiert sich genau dasjenige verbandsrechtliche Risiko, dem sich die an der Geschäftsführung nicht beteiligten Gesellschafter durch den Zusammen32 Vgl. Osterloh-Konrad in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2021, S. 63, 78 ff., 82 ff. 33 RegE Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG), BT-Drucks. 15/5092, S. 19. 34 Vgl. RL (EU) 2017/828.
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Gesellschafterklage | Rz. 15 § 715b BGB
schluss als Personenverband ausgesetzt haben. Ein hinreichender Schutz ist dadurch gegeben, dass die geschäftsführungsbefugten Gesellschafter sowohl dem Gesellschaftszweck verpflichtet sind als auch der Treuepflicht unterliegen. Der personengesellschaftsrechtlichen Kompetenzordnung entspricht es, im Falle von Pflichtverletzungen von der Befugnis Gebrauch zu machen, über die Gesellschafterversammlung Einfluss auf die Geschäftsführung auszuüben.35 Zu einem privatautonom nicht hinnehmbaren Risiko kommt es hingegen, wenn die geschäftsführungsbefugten Gesellschafter deswegen einem Interessenkonflikt unterliegen, weil es um die Geltendmachung eines Sozialanspruchs der Gesellschaft geht, der gegen das Privatvermögen eines Gesellschafters geltend zu machen ist. Nur insoweit besteht ein Bedürfnis minderheitenschützender Kontrolle der Geschäftsführungstätigkeit. Für die Gesellschafterklage ist vor diesem Hintergrund nur in Fallgestaltungen Raum, in denen die innergesellschaftliche Kompetenzordnung versagt. Der mit dem Versagen der innergesellschaftlichen Kompetenzordnung verbundene und 13 kompensationswürdige Interessenkonflikt resultiert daraus, dass die Rechtssubjektivität des Personenverbandes insoweit keine vollwertige ist, weil die Willensbildung der Gesellschaft dadurch gestört ist, dass an dieser ein potentiell verpflichteter Gesellschafter mitzuwirken hat. Insoweit verbirgt sich hinter der Klagemöglichkeit der Rechtsgedanke des § 181 BGB.
3. Pflichtwidriges Unterlassen geschäftsführungsbefugter Gesellschafter Voraussetzung für eine subsidiäre Berechtigung des klagenden Gesellschafters ist das als dop- 14 pelrelevante Tatsache erst in der Begründetheit durchschlagende pflichtwidrige Nichtverfolgen durch den geschäftsführenden Gesellschafter.36 Unter Berücksichtigung des zu kompensierenden Interessenkonflikts in der verbandsrechtlichen Willensbildung ist ein pflichtwidriges Unterlassen der geschäftsführungsbefugten Gesellschafter bereits dann anzunehmen, wenn ein Sozialanspruch nicht geltend gemacht wird. Dabei ist der Subsidiarität der Gesellschafterklage insofern Rechnung zu tragen ist, dass der Gesellschafter die innergesellschaftlichen Einwirkungsmöglichkeiten ausgeschöpft haben muss (§ 715b BGB Rz. 9). Schon das Bestehen eines Sozialanspruchs begründet die Einzelklagebefugnis der Gesellschafter, so dass etwaige Erwägungen darüber, inwiefern es etwa die Treuepflicht der Gesellschaft gebietet, einen Sozialanspruch nicht geltend zu machen, erst in dem Prozess der Gesellschafterklage zu beurteilen sind – und zwar nicht im Rahmen der Klagebefugnis, sondern im Rahmen der Begründetheit. Problematisch ist insofern, dass die Kostenlast für einen solchen Prozess letztlich die rechtskraftunterworfene Gesellschaft trifft und nicht den in Prozessstandschaft klagenden Gesellschafter, weil dieser die Kosten im Rahmen von § 716 BGB gegenüber der Gesellschaft als Aufwendungsersatz geltend machen kann. Auf diese Weise werden die übrigen Gesellschafter über ihre mitgliedschaftliche Wertbeteiligung an den die Gesellschaft – im Falle eines Unterliegens – treffenden Kosten beteiligt.
4. Drittansprüche der Gesellschaft; pflichtwidrige Mitwirkung des Dritten; Kenntnis des Dritten Drittansprüche der Gesellschaft können im Wege der Gesellschafterklage nur unter den ein- 15 schränkenden Voraussetzungen geltend gemacht werden, dass der Dritte an dem Interessenkonflikt des geschäftsführungsbefugten Gesellschafters mitgewirkt hat oder von diesem Kennt35 Vgl. zur Notwendigkeit einer vorherigen Verfassung der Gesellschafterversammlung Schäfer, ZHR 187 (2023), 78, 98 ff. 36 Vgl. Berger, ZZP 135 (2022), 407, 419 f.; für eine auch subjektive Betrachtungsweise Schäfer, ZHR 187 (2023), 78, 101 f. Könen | 333
§ 715b BGB Rz. 15 | Rechtsfähige Gesellschaft nis hatte (Abs. 1 Satz 2).37 Anderenfalls blieben zulässige Ermessenserwägungen der Geschäftsführung – unter Durchbrechung der Kompetenzordnung – unberücksichtigt, etwa in dem Fall, dass von der Durchsetzung einer Forderung der Gesellschaft aus unternehmerischen Erwägungen abgesehen wird, weil es sich um einen langjährigen und auch für die Zukunft wichtigen Geschäftspartner handelt. Die Erstreckung auf Drittansprüche im Falle der Kollusion ist darauf zurückzuführen, dass der Dritte in dieser Konstellation an dem Funktionsversagen mitgewirkt hat.38 So hatte die Rechtsprechung eine Einzelklagebefugnis für Drittansprüche bislang schon dann zugelassen, „wenn der klagende Gesellschafter hieran ein berechtigtes Interesse hat, die Klage im Namen der Gesellschaft aus gesellschaftswidrigen Gründen unterblieben ist und der Dritte an dem gesellschaftswidrigen Verhalten der die Gesellschafterklage ablehnenden Gesellschafter beteiligt ist“.39 16 Eine Erstreckung auf Dritte im Falle schlichter Kenntnis des Dritten von dem Pflichtverstoß
wird dadurch gerechtfertigt, dass es dem Dritten in diesen Konstellationen möglich ist, zu dem innergesellschaftlichen Funktionsversagen hinreichend Stellung zu beziehen. Im Umkehrschluss ist einem Dritten eine Gesellschafterklage nicht zuzumuten, wenn er von den die Klagebefugnis begründenden Umständen keine Kenntnis hat, weil er dann nicht in der Lage ist, das Versagen der primären Geschäftsführungs- und Vertretungsordnung zu widerlegen. Anders als im Falle der Mitwirkung an einem gesellschaftswidrigen Unterlassen trägt insoweit allerdings nicht der Begründungsansatz, mit der Gesellschafterklage werde ein innergesellschaftliches Funktionsversagen der Gesellschaft kompensiert. Vielmehr ist die Gesellschafterklage in diesen Fällen dadurch zu legitimieren, dass der Dritte nicht schutzwürdig ist.
5. Gesetzliche Prozessstandschaft kraft Gesellschafterstellung 17 § 715b BGB gestaltet die actio pro socio als gesetzliche Prozessstandschaft aus. Mit Blick auf
die dogmatische Veranlagung in einem absolut unentziehbaren Schutzrecht der Gesellschafter sowie auf die Rechtssubjektivität des Personenverbandes ist die Klarstellung dieser bislang umstrittenen Frage konsequent. Die Geltendmachung der Befugnisse nach § 715b Abs. 1 BGB setzt eine bestehende Gesellschafterstellung voraus, weil die Klagebefugnis der Mitgliedschaft als absolut unentziehbares Schutzrecht entspringt. Ein ausgeschiedener Gesellschafter hat auch kein schützenswertes Interesse an der Geltendmachung eines Gesellschaftsanspruchs im Wege der actio pro socio, weil er den Gesellschaftsanspruch im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Gesellschaft dieser gegenüber als eine Rechtsposition geltend machen kann, die dem Gesellschaftsvermögen funktional zugewiesen und daher im Rahmen der Berechnung seines Abfindungsanspruchs zu berücksichtigen ist. Trotzdem kann ihm die Prozessführungsbefugnis analog § 256 Abs. 2 Satz 1 ZPO weiterhin zustehen, wenn er im Laufe des Prozesses als Gesellschafter ausscheidet.40 18 Genauso wie die Notgeschäftsführungsbefugnis vermittelt die actio pro socio – unter Durch-
brechung der gesellschaftlichen Kompetenzordnung – eine innenrechtliche Berechtigung, gegen Gesellschafter und Dritte vorzugehen. Die Klagemöglichkeit beinhaltet die Befugnis zur außergerichtlichen Geltendmachung, ohne dass damit eine Vertretungsmacht im Außenverhältnis begründet wird (Rz. 9). 37 Vgl. Waclawik, NZG 2022, 652. 38 Vgl. Schäfer, ZHR 187 (2023), 78, 91. 39 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 155 mit Verweis auf BGH v. 10.1.1963 – II ZR 95/61, juris Rz. 13 = BGHZ 39, 14; BGH v. 30.10.1987 – V ZR 174/86, juris Rz. 10 = ZIP 1988, 12; BGH v. 19.6.2008 – III ZR 46/06, juris Rz. 37 = ZIP 2008, 1582. 40 Vgl. Berger, ZZP 135 (2022), 407, 413 ff.; s. auf S. 415 f. auch zur Parteistellung bei Insolvenz von Gesellschafter oder Gesellschaft.
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Gesellschafterklage | Rz. 20 § 715b BGB
Mit der Prozessführungsbefugnis verbunden ist eine Einziehungsbefugnis des Gesellschaf- 19 ters.41 Eine materiell-rechtliche Position, über den Gesellschaftsanspruch – z.B. im Wege eines Prozessvergleichs – verfügen zu können, soll damit aber nicht verbunden sein.42 Mit der gesetzlichen Einordnung als Prozessstandschaft gehe einher, dass es sich bei den tatbestandlichen Voraussetzungen um Sachurteilsvoraussetzungen handle, die das Gericht von Amts wegen zu prüfen habe.43
III. Unterrichtungspflicht (Abs. 3) § 715b Abs. 3 BGB stellt die schnellstmögliche Kenntnisnahme der Geschäftsführung si- 20 cher. Die an den klagenden Gesellschafter gerichtete Unterrichtungspflicht wird durch eine auch verfassungsrechtlich zu begründende Überwachungsfunktion des Gerichts ergänzt.44 Bei der Regelung handelt es sich um einen Ausgleich dafür, dass § 715b Abs. 4 BGB die Rechtskraft auf die Gesellschaft erstreckt. Mit der Kenntnisnahme soll die Gesellschaft in die Lage versetzt werden, geeignete prozessuale Konsequenzen aus der erhobenen Gesellschafterklage zu ziehen.45 So wird es der Gesellschaft etwa ermöglicht, dem Prozess als streitgenössische Nebenintervenientin beizutreten. Bewusst offengelassen wurde im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens, inwiefern die Geschäftsführung die ursprünglich vereinbarte Kompetenzordnung dadurch wiederherstellen kann, dass sie ihrerseits Klage erhebt, um den Prozess selbst führen zu können. In entsprechender Anwendung des § 148 Abs. 3 AktG könnte die Gesellschaft berechtigt sein, den Anspruch ihrerseits geltend zu machen.46 Dafür sprechen die im Innenverhältnis der Gesellschaft betroffenen Interessen, weil die Gesellschaft den Prozess nach ihrem eigenen Dafürhalten führen kann und der Gesellschafterkläger sein Ziel erreicht hat. Mit Klageerhebung der Gesellschaft könnte die Notwendigkeit der Klageerhebung durch den Gesellschafter als Prozessvoraussetzung entfallen, so dass diese Klage als unzulässig abzuweisen wäre.47 Ferner könnte eine Gesellschaftsklage dazu führen, dass die Gesellschafterklage übereinstimmend oder einseitig für erledigt zu erklären ist mit der Folge, dass nur noch nach § 91a ZPO über die Kosten zu entscheiden bzw. der Rechtsstreit als Feststellungsstreit zu führen ist. Problematisch ist daran, dass dem Beklagten durch Umstände, die aus der Sphäre des Verbandes stammen, eine zusätzliche Kostenlast auferlegt werden könnte. Der Rechtsverkehr ist aber gerade von verbandsspezifischen Gefahren freizuhalten. Auch mit Blick auf die Interessen der Mitgesellschafter erscheint eine doppelte Klagemöglichkeit problematisch, weil die Gesellschaft im Falle des Unterliegens in der Weise eine doppelte Kostenlast treffen würde, dass der Gesellschafterkläger die Kosten seines Prozesses als Aufwendungen nach § 716 BGB gegenüber der Gesellschaft geltend machen könnte. Vorzugswürdig ist daher die Auffassung, die eine parallele Klagemöglichkeit mit dem Argument verneint, dass einer erneuten Klage bereits die Rechtshängigkeit der Gesellschafterklage entgegensteht.48
41 42 43 44 45 46 47 48
RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 154 f. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 155; kritisch Berger, ZZP 135 (2022), 407, 423 f. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 155. Vgl. Berger, ZZP 135 (2022), 407, 421. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 156. Vgl. Fleischer/Harzmeier, ZGR 2017, 239, 266; Kumkar, NZG 2020 1012, 1020 f. m.w.N. Vgl. Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 221. Berger, ZZP 135 (2022), 407, 420. Könen | 335
§ 715b BGB Rz. 21 | Rechtsfähige Gesellschaft
IV. Rechtskrafterstreckung; Bindungswirkung (Abs. 4) 21 § 715b Abs. 4 BGB bestimmt in Anlehnung an § 148 Abs. 5 Satz 1 AktG die Rechtskraftwir-
kung eines Urteils durch eine erhobene Gesellschafterklage, sowohl hinsichtlich eines klagestattgebenden als auch eines klageabweisenden Urteils.49 Mit der Einordnung der Gesellschafterklage als gesetzliche Prozessstandschaft ist die ausdrückliche Regelung einer entsprechenden Rechtskrafterstreckung erforderlich.50 Der Rechtskrafterstreckung bedarf es hinsichtlich eines stattgebenden Urteils deswegen, weil der verurteilte Schuldner anderenfalls eine geleistete Zahlung von der Gesellschaft kondizieren könnte. 22 Bei einem klageabweisenden Urteil setzt die Rechtskrafterstreckung ein rechtskräftiges
Sachurteil voraus, weil die Abweisung im Wege eines Prozessurteils mit einer nicht hinnehmbaren Rechtsschutzverkürzung für die Gesellschaft verbunden wäre, obwohl nur solche Momente betroffen sind, die ausschließlich aus der Sphäre des Gesellschafters stammen. Gleichwohl ist mit der Rechtskrafterstreckung für die Gesellschaft die Gefahr einer nachlässigen Prozessführung durch den Gesellschafterkläger verbunden. Allerdings erscheint die Wahrscheinlichkeit, dass der Gesellschafterkläger den Rechtsstreit nachlässig führt in der typischen Personengesellschaft gering, weil dieser mit der Klage auch seine individuellen Vermögensinteressen verfolgt, indem sich ein Klageerfolg in seiner mitgliedschaftlichen Wertbeteiligung niederschlägt. Durch die Möglichkeit der Kenntnis nach § 715b Abs. 3 BGB wird die Gesellschaft indes in die Lage versetzt, von geeigneten prozessualen Instrumenten wie der streitgenössischen Nebenintervention Gebrauch zu machen. Von einer Rechtskrafterstreckung eines klageabweisenden Urteils auf die anderen Gesellschafter, damit diese keine erneute Gesellschafterklage erheben können, sieht die Regelung ab. Eine solche wird für entbehrlich gehalten, weil mit der Klageabweisung die Pflichtmäßigkeit des Geschäftsführerhandelns feststehe, so dass für eine erneute Gesellschafterklage die Sachurteilsvoraussetzungen nicht gegeben seien.51 Die Klageabweisung durch Sachurteil bindet dagegen auch die anderen Gesellschafter, denen nicht mehr Rechte zustehen können als der Gesellschaft.52 23 Bewusst nicht geregelt hat der Gesetzgeber die Folgen der Rechtshängigkeit einer Gesell-
schafterklage für die Klagemöglichkeit der Gesellschaft aus eigenem Recht.53 Problematisch erscheint die diesbezügliche Regelungslücke insbesondere mit Blick auf die Frage der Kostentragung (s. § 715b BGB Rz. 20). So trägt im Rahmen einer Gesellschafterklage zwar unmittelbar der Kläger die Kostenlast, er kann diese aber im Rahmen des § 716 BGB gegenüber der Gesellschaft geltend machen, so dass die Gesellschaftergesamtheit im Falle des Unterliegens eine doppelte Kostenlast träfe. Für den Fall, dass man eine zusätzliche Klage der Gesellschaft in einem Parallelprozess für zulässig erachtet, stellt sich umgekehrt im Falle eines Obsiegens die Frage, inwiefern den Beklagten eine doppelte Kostenlast treffen kann, einerseits hinsichtlich des Prozesses gegen die Gesellschaft und andererseits im Rahmen des Erledigungsrechtsstreits. Diese Probleme stellen sich indes nicht, wenn man eine zusätzliche Gesellschaftsklage in Anbetracht doppelter Rechtshängigkeit ablehnt.54
49 Vgl. zur analogen Anwendung des § 148 Abs. 5 AktG auf die GmbH (str.), Bayer, GmbHR 2016, 505, 510; Fleischer/Harzmeier, ZGR 2017, 239, 266; a.A. Kumkar, NZG 2020, 1012, 1021. 50 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 155 f.; Berger, ZZP 135 (2022), 407, 424 f.; Keller, ZJS 2022, 469, 474 f.; Leipold in Stein/Jonas, 21. Aufl. 1998, § 325 ZPO Rz. 59. 51 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 156. 52 Berger, ZZP 135 (2022), 407, 426; a.A. Keller, ZJS 2022, 469, 478; Neumayer/Zeyher, NZG 2022, 1707, 1710. 53 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 157. 54 Vgl. Berger, ZZP 135 (2022), 407 ff.
336 | Könen
Ersatz von Aufwendungen und Verlusten | § 716 BGB
§ 716 BGB Ersatz von Aufwendungen und Verlusten; Vorschusspflicht; Herausgabepflicht; Verzinsungspflicht (1) Macht ein Gesellschafter zum Zwecke der Geschäftsbesorgung für die Gesellschaft Aufwendungen, die er den Umständen nach für erforderlich halten darf, oder erleidet er unmittelbar infolge der Geschäftsbesorgung Verluste, ist ihm die Gesellschaft zum Ersatz verpflichtet. (2) Für die erforderlichen Aufwendungen hat die Gesellschaft dem Gesellschafter auf dessen Verlangen Vorschuss zu leisten. (3) Der Gesellschafter ist verpflichtet, der Gesellschaft dasjenige, was er selbst aus der Geschäftsbesorgung erlangt, herauszugeben. (4) ¹Verwendet der Gesellschafter Geld für sich, das er der Gesellschaft nach Absatz 3 herauszugeben hat, ist er verpflichtet, es von der Zeit der Verwendung an zu verzinsen. ²Satz 1 gilt entsprechend für die Verzinsung des Anspruchs des Gesellschafters auf ersatzfähige Aufwendungen oder Verluste. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normsystematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spezialität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ersatz von Aufwendungen und Verlusten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Modellfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anspruchsberechtige und Anspruchsverpflichtete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anspruchsberechtigte . . . . . . . . . . . . . . b) Anspruchsverpflichtete; Rechtsposition der Mitgesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aufwendungsersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aufwendungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . b) Zum Zwecke der Geschäftsbesorgung aa) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . (1) Objektiv im Geschäftskreis . . . (2) Subjektiv fremdnütziges Tätigwerden . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wahrnehmung von Gesellschafterrechten (Freiwilligkeit) . . . . . . . . . . cc) Inanspruchnahme von Gesellschafterpflichten (Unfreiwilligkeit) . . . . .
I. 1. 2. 3. 4. II.
1 2 3 4 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
c) Subjektive Erforderlichkeit . . . . . . . . . 4. Ersatz von Verlusten . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verluste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Infolge der Geschäftsbesorgung . . . . . c) Unmittelbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verschulden des Gesellschafters oder der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Geldstrafen, Bußgelder, Prozesskosten 5. Abweichende Vereinbarung . . . . . . . . . . 6. Teleologische Reduktion im Rahmen der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vorschusspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erforderliche Aufwendungen . . . . . . . . 2. Verlangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Leistungsverweigerung . . . . . . . . . . . . . . IV. Herausgabepflicht (Abs. 3) . . . . . . . . . . . 1. Gegenstand der Herausgabepflicht . . . . 2. Erlöschen der Herausgabepflicht . . . . . 3. Einwendungen des Gesellschafters . . . . V. Verzinsungspflicht (Abs. 4) . . . . . . . . . .
24 25 26 27 28 29 30 32 33 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44
23
Schrifttum: Faust, Der Regress gegen Mitgesellschafter bei Personenhandelsgesellschaften, 1. FS K. Schmidt, 2009, S. 357; Fleischer, Zum Aufwendungs- und Verlustersatz im geltenden und künftigen Personengesellschaftsrecht, BB 2020, 2114.
Könen | 337
§ 716 BGB Rz. 1 | Rechtsfähige Gesellschaft
I. Allgemeines 1 Ausgehend von der Rechtssubjektivität des Personenverbandes überträgt § 716 BGB die be-
stehende Regelung des § 110 Abs. 1 HGB a.F. für alle Personenaußengesellschaften in das BGB (§ 105 Abs. 3, § 161 Abs. 2 HGB, § 1 Abs. 4 PartGG).1 Danach steht dem Gesellschafter für seine Tätigkeit im Gesellschaftsinteresse ein spezieller, die innergesellschaftliche Risikoverteilung abschließend regelnder Aufwendungsersatzanspruch zu.2 Dies gilt sowohl für freiwillige als auch für unfreiwillige Inanspruchnahmen des Gesellschafters,3 insbesondere auch für eine Inanspruchnahme als persönlich haftender Gesellschafter nach den § 721 BGB, § 126 HGB.4 § 716 BGB geht über einen Aufwendungsersatz nach den Bestimmungen der Geschäftsführung ohne Auftrag hinaus, ohne dass es einer Abgrenzung am Merkmal einer Berechtigung in negativer Hinsicht bedarf.5 Ausreichend ist, dass der Gesellschafter objektiv im Geschäftskreis der Gesellschaft tätig wird, subjektiv für sie gehandelt hat und die Aufwendungen „den Umständen nach für erforderlich halten darf“, ohne dass es auf eine Geschäftsbesorgungsbefugnis ankommt. Ersatzfähige Verluste müssen „unmittelbar infolge der Geschäftsbesorgung“ erlitten sein (sog. „tätigkeits- oder geschäftstypischer Schaden“)6.
1. Überblick 2 Unter Berücksichtigung der mit der Rechtsubjektivität des Personenverbandes verbundenen
Vermögenstrennung regelt § 716 Abs. 1 BGB den personengesellschaftsrechtlichen Aufwendungsersatzanspruch, wenn ein Gesellschafter zum Zwecke der Geschäftsbesorgung für die Gesellschaft Aufwendungen tätigt, die er den Umständen nach für erforderlich halten darf. Halbs. 2 erstreckt den Anspruch auf erlittene Verluste. Flankiert wird der Aufwendungsersatzanspruch durch einen Vorschussanspruch (Abs. 2) sowie eine synallagmatische Herausgabepflicht des Geschäftsführers (Abs. 3), wobei die wechselseitigen Ansprüche zu verzinsen sind (Abs. 4).
2. Normzweck 3 § 716 BGB überführt die – nach vorzugswürdigem Verständnis ohnehin auch bislang ent-
sprechend anzuwendende – Regelung des § 110 HGB a.F. in das BGB.7 Hintergrund ist der Umstand, dass mit normativer Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Außen-GbR in den §§ 705 ff. BGB das Bedürfnis für eine spezialgesetzliche Regelung im HGB entfallen ist. Mit 1 Vgl. Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 119 HGB Rz. 2; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 406 ff. (Stand: 6/2019). 2 Vgl. Fleischer, DB 2020, 2114, 2116; Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/ Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 119 HGB Rz. 4 ff. 3 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 157 f. 4 Vgl. Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 412 (Stand: 6/2019). 5 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 157 f. 6 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 157 f.; Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/ Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 119 HGB Rz. 5. 7 Der spezielle Aufwendungsersatzanspruch steht in engem Zusammenhang mit der persönlichen Gesellschafterhaftung, so dass ein Rückgriff über § 713 BGB a.F. auf das Auftragsrecht bei analoger Anwendung des § 128 HGB a.F. abzulehnen war. Zu §§ 110, 128 HGB a.F., BGH v. 15.11.2011 – II ZR 266/09, BGHZ 191, 293, juris Rz. 35; BGH v. 19.7.2011 – II ZR 300/08, juris Rz. 59 f. = ZIP 2011, 1657; Wertenbruch in Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 401, I 980 (Stand: 7/2020); Wertenbruch, NZG 2003, 618, 619; vgl. Gramlich/Müssig, NZG 2019, 1333, 1334 ff.
338 | Könen
Ersatz von Aufwendungen und Verlusten | Rz. 9 § 716 BGB
dem besonderen Aufwendungsersatzanspruch des Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft wird deren vermögenstragende Rechtssubjektivität dadurch akzentuiert, dass ein Aufwendungsersatz – gegenüber den Vorschriften der Geschäftsführung ohne Auftrag – unter erleichterten Voraussetzungen gegeben ist, wodurch der mitgliedschaftlichen Treuepflicht Rechnung getragen wird. Die durch § 716 BGB zum Ausdruck kommende Risikoverteilung ist abschließend. Gleichwohl ist die Bestimmung des § 716 BGB dispositiv.8
3. Normsystematik Unter Berücksichtigung der mit der Rechtsubjektivität des Personenverbandes verbundenen 4 Vermögenstrennung regelt § 716 Abs. 1 BGB den personengesellschaftsrechtlichen Aufwendungsersatzanspruch, wenn ein Gesellschafter zum Zwecke der Geschäftsbesorgung für die Gesellschaft Aufwendungen macht, die er den Umständen nach für erforderlich halten darf. Halbs. 2 erstreckt den Anspruch auf erlittene Verluste. § 716 Abs. 2 BGB ergänzt den Aufwendungsersatzanspruch um einen Vorschussanspruch 5 des Gesellschafters. Ebenso kann der Gesellschafter Freistellung von der Inanspruchnahme durch einen Gesellschaftsgläubiger verlangen. Spiegelbildlich zum Aufwendungsersatz hat der Gesellschafter der Gesellschaft nach § 716 6 Abs. 3 BGB dasjenige herauszugeben, was er aus der Geschäftsbesorgung erlangt. § 716 Abs. 4 BGB bestimmt die Verzinsung der jeweiligen Ansprüche.
7
4. Spezialität Ein Aufwendungsersatz setzt voraus, dass der Gesellschafter objektiv im Geschäftskreis der 8 Gesellschaft tätig wird, subjektiv für sie handelt und die Aufwendungen „den Umständen nach für erforderlich halten darf“, ohne dass es auf eine Geschäftsbesorgungsbefugnis oder gesellschaftsrechtliche Befugnis ankommt. § 716 BGB nimmt insoweit eine die gesellschaftsrechtliche Risikoverteilung abschließende Bestimmung vor, welche die Regelungen über die Geschäftsführung ohne Auftrag zurücktreten lassen.9 Problematisch kann dieser weitreichende Aufwendungsersatz mit Blick auf die interne Kompetenzordnung werden. Nimmt etwa ein nichtgeschäftsführungsbefugter Gesellschafter ein Geschäft für die Gesellschaft vor, welches er ex ante für erforderlich erachtet, obwohl bei gebotener objektiver ex post-Betrachtung eine Gefahrenlage für die Gesellschaft oder das Gesellschaftsvermögen nicht gegeben war (s. § 715a BGB Rz. 10), handelt er im Innenverhältnis zwar nicht als Berechtigter. Gleichwohl führt der Maßstab des § 716 BGB dazu, dass er Ersatz seiner Aufwendungen verlangen kann, weil er sie den Umständen nach für erforderlich halten durfte (s. § 715a BGB Rz. 20). Ausreichend ist, dass nach einem subjektiv-objektiven Maßstab ein sorgfältig prüfender Gesellschafter der Überzeugung sein durfte, dass die Aufwendungen erforderlich sind.
II. Ersatz von Aufwendungen und Verlusten § 716 Abs. 1 BGB regelt, dass derjenige Gesellschafter, der zum Zwecke der Geschäftsbesor- 9 gung für die Gesellschaft Aufwendungen macht, die er den Umständen nach für erforderlich halten darf, von der Gesellschaft Ersatz verlangen kann. Entsprechendes gilt für – in unmittelbarer Folge erlittene – Verluste. § 716 Abs. 1 BGB erstreckt sich sowohl auf freiwillige als 8 Vgl. BGH v. 17.1.1966 – II ZR 8/64, NJW 1966, 826. 9 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 157 f. Könen | 339
§ 716 BGB Rz. 9 | Rechtsfähige Gesellschaft auch auf unfreiwillige Vermögensopfer. § 716 BGB ordnet für die Vornahme einer Geschäftsbesorgung aus dem Geschäftskreis der Gesellschaft einen Ersatzanspruch an. Der Ersatzanspruch ist ein Sozialanspruch und aus dem Gesellschaftsvermögen – bereits während des werbenden Stadiums der Gesellschaft – zu begleichen. Der Anspruch kann in voller Höhe geltend gemacht werden, ohne dass sich der Gesellschafter seinen Verlustanteil i.S.v. § 709 Abs. 3 BGB entgegenhalten lassen muss.10
1. Modellfunktion 10 Der Vorschussanspruch des § 716 Abs. 2 BGB ist Ausdruck der Tatsache, dass die Gesell-
schaft bereits angesichts der Treuepflicht verpflichtet ist, in Vorleistung zu gehen, wenn in Anbetracht der Vermögenstrennung klar ist, dass im Innenverhältnis zuletzt die Gesellschaft die Verbindlichkeiten zu tragen hat. Gleichwohl kommt § 716 BGB – wie zuvor § 110 HGB a.F. – insoweit ein Modellcharakter zu, dass er einem Totalregress des akzessorisch haftenden Gesellschafters entgegensteht.11 Demgegenüber wird teilweise angenommen, § 774 Abs. 1 Satz 1 BGB das „Modell des Totalregresses eines akzessorisch haftenden Schuldners gegen den Hauptschuldner“ entnehmen zu können, so dass in entsprechender Anwendung die Gesellschaftsverbindlichkeit auf den leistenden Gesellschafter übergehe.12 Die Interessenlage bei der Gesellschafterhaftung unterscheidet sich aber deswegen von der der Bürgenhaftung, weil der Bürge sich unmittelbar privatautonom verpflichtet, der Gesellschafter aber kraft Gesetzes einer gesellschaftsrechtlichen Einstandspflicht unterworfen wird und § 716 BGB für diese eine abweichende und abschließende Regressabwicklung vorsieht. Lediglich die Gesellschafterhaftung ist materielle Außenhaftung, deren gesellschaftsrechtlicher Ausgleich aber in das gesellschaftsrechtliche Innenverhältnis verlagert wird. Auf diese Weise wird verhindert, dass der Gesellschafter, gegebenenfalls entgegen gesellschaftsvertraglicher Bindungen, unmittelbaren Zugriff auf übergehende Sicherheiten erhält. So bedarf es lediglich im Außenverhältnis zwingender gesetzlicher Gewährleistungen; das gesellschaftsrechtliche Innenverhältnis unterliegt demgegenüber vorrangig den antizipiert durch den Gesellschaftsvertrag getroffenen privatautonomen Vereinbarungen.13 Die Gesellschafterhaftung ist zwar eine gesetzliche, jedoch eine auf die gesellschaftsvertragliche Verbindung der Gesellschafter rückführbare, für die es nicht auf die einzelne Gesellschaftsverbindlichkeit ankommt, sondern auf die allgemeine verbandsrechtliche Unterwerfung. So zeigt § 716 BGB, dass eine Gesellschaftsforderung, die ein Gesellschafter gegenüber einem Gesellschaftsgläubiger begleicht, dazu führt, dass der Gesellschafter gerade keinen gesetzlich übergegangenen Drittanspruch im Außenverhältnis erhält, sondern einen innenrechtlichen Ausgleichsanspruch. Das gesetzliche Leitbild geht damit gerade nicht davon aus, dass wie bei § 774 BGB eine Privilegierung des Schuldners verhindert werden soll. Vielmehr führt die Verlagerung vom Außen- ins Innenverhältnis dazu, dass Titulierungen oder Sicherungsrechte gerade nicht unmittelbar aufrechterhalten bleiben (vgl. § 426 Abs. 2, §§ 412, 401 BGB), sondern allenfalls auf gesellschaftsrechtlicher Ebene Berücksichtigung finden können.14 Zentrale Wertung des § 716 BGB ist mithin, dass die Begleichung einer Haftungsforderung nach § 721 BGB, § 126 HGB dazu führt, dass die Aufwendungsersatzansprüche der Gesellschafter gegenüber verbleiben10 Vgl. BGH v. 17.12.2001 – II ZR 382/99, NZG 2002, 232 = ZIP 2002, 394. 11 Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 219; Preuß, ZHR 160 (1996), 163, 173; so auch BGH v. 19.7.2011 – II ZR 300/08, juris Rz. 60 = ZIP 2011, 1657. 12 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 49 V 1; vgl. Habersack in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2018, § 128 HGB Rz. 23, 43 f., 46. 13 Vgl. zur gesellschaftsinternen Kompetenzverteilung, jedoch mit abweichenden Folgerungen, Faust in 1. FS K. Schmidt, 2009, S. 365 ff. 14 Abweichend unter Annahme einer Subsidiarität im Innenverhältnis, Habersack, AcP 198 (1998), 152, 163 f.
340 | Könen
Ersatz von Aufwendungen und Verlusten | Rz. 13 § 716 BGB
den Gesellschaftsgläubigern nachrangig Befriedigung erhalten. Dies dient den Interessen der Gesamtheit der Gesellschaftsgläubiger. Der Regress gegenüber der Gesellschaft richtet sich demzufolge nach § 716 BGB, der gegenüber den mithaftenden Gesellschaftern nach § 426 Abs. 1 BGB.15
2. Anspruchsberechtige und Anspruchsverpflichtete Der Aufwendungsersatzanspruch des § 716 BGB vollzieht die Rechtssubjektivität des Per- 11 sonenverbandes für das Verhältnis zwischen der Gesellschaft und den Gesellschaftern in der Weise, dass Vermögenseinbußen, die das Gesellschaftsinteresse betreffen, sich auch im Gesellschaftsvermögen niederschlagen. Wird ein Gesellschafter in eigenem Namen tätig und dadurch sein Privatvermögen betroffen, erhält er dafür einen Ersatzanspruch gegen die Gesellschaft, wenn er subjektiv im Interessenkreis der Gesellschaft tätig werden wollte. § 716 BGB stellt eine die Risikoverteilung zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern umfassend regelnde Norm dar. a) Anspruchsberechtigte Der gegenüber dem § 670 BGB teilweise privilegierte Ersatzanspruch des § 716 BGB beruht 12 auf einer abgeschlossenen Risikoverteilung zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern. Diese fußt darauf, dass die Gesellschaft als Konsequenz ihrer Rechtsfähigkeit wirtschaftlich Berechtigte des arbeitsteiligen Verhaltens der Gesellschafter wird, sofern diese zur gemeinsamen Zweckverfolgung im Interesse des Verbandes agieren; umgekehrt sollen sich auch Aufwendungen und Verluste, die sich aus dem Tätigwerden der Gesellschafter für die Gesellschaft ergeben, im Gesellschaftsvermögen niederschlagen. Vor dem Hintergrund, dass aber mit der Anerkennung der Rechtssubjektivität eine Verpflichtung des Gesellschaftsvermögens durch einzelne Gesellschafter ausscheidet, wenn diese in eigenem Namen tätig werden, bedarf es einer Bestimmung, durch welche die Folgen in letzter Konsequenz auf das Gesellschaftsvermögen übergeleitet werden können.16 Ungeachtet der getrennten Vermögensverbindungen werden die Gesellschafter unter Berücksichtigung der mitgliedschaftlichen Rechtsbeziehungen auf diese Weise im Verhältnis zur Gesellschaft privilegiert. Gleichzeitig führt die mitgliedschaftliche Verbindung der Gesellschafter untereinander aber dazu, dass § 716 BGB auch die Wertung zu entnehmen ist, dass die Bestimmung Wirkungen für den Innenausgleich der Gesellschafter untereinander entfaltet, wenn ein Gesellschafter aufgrund von § 721 BGB in Anspruch genommen wird. Aufgrund dieser gesellschaftsrechtlichen Besonderheiten setzt ein Aufwendungsersatzanspruch nach § 716 BGB eine Gesellschafterstellung im Zeitpunkt der Vermögensdisposition voraus.17 b) Anspruchsverpflichtete; Rechtsposition der Mitgesellschafter Anspruchsverpflichtete des § 716 BGB ist ausschließlich die Gesellschaft.18 Insbesondere 13 findet eine (anteilige) Haftung der Gesellschafter untereinander nach § 721 BGB insoweit nicht statt, weil die Gesellschafterhaftung als Instrument des Gläubigerschutzes auf das in15 Vgl. BGH v. 2.7.1962 – II ZR 204/60, BGHZ 37, 299, 301 f.; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 415 ff. (Stand: 6/2019); Wertenbruch, JZ 2023, 78, 84. 16 Vgl. Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 25. 17 Vgl. Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 110 HGB Rz. 14, 17; Könen, GesellschafterExithaftung im Personenverband, 2021, S. 205 f., 220. 18 Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 119 HGB Rz. 8. Könen | 341
§ 716 BGB Rz. 13 | Rechtsfähige Gesellschaft nergesellschaftliche Verhältnis und somit auf Sozialansprüche keine Anwendung findet.19 Ohne eine gesellschaftsvertragliche Regelung würden die Gesellschafter anderenfalls unzulässigerweise zu Nachschüssen verpflichtet. Lediglich dann, wenn ein Gesellschafter nach § 721 BGB in Anspruch genommen wird, kommt ein anteiliger Ausgleichsanspruch in Betracht, dies aber unmittelbar auf der Grundlage von § 426 Abs. 1 BGB, ohne dass es dabei aber zu einem Übergang von Sicherheiten kommt, und nicht auf der Grundlage des § 716 BGB. Sofern ein Gesellschafter überproportional viele Aufwendungen macht, diese aber nicht aus dem Gesellschaftsvermögen beglichen werden, sind die Ansprüche gegen die Gesellschaft auf dem Darlehenskonto des Gesellschafters zu verbuchen mit der Folge, dass diese Einzug in die Gesellschaftsverluste finden, wie sie im Rahmen der Schlussabrechnung durch die Gesellschaftergesamtheit zu tragen sind, jedoch über das Gesellschaftsvermögen abzuwickeln sind.
3. Aufwendungsersatz 14 Der Ersatzanspruch setzt voraus, dass ein Gesellschafter Aufwendungen im Interesse der
Gesellschaft getätigt hat, die er dem Umständen nach erforderlich halten durfte. a) Aufwendungsbegriff 15 Bereits der Aufwendungsbegriff des § 716 BGB erfasst freiwillige und unfreiwillige Ver-
mögensopfer.20 Dies ergibt sich einerseits aus der Tatsache, dass § 716 BGB die Regelung des § 110 HGB a.F. in das BGB überführt mit dem bereits – in Abgrenzung zum historischen Aufwendungsverständnis zu § 760 BGB – nicht nur freiwillige Vermögensopfer erfasst sein sollten.21 Ferner folgt aus dem sog. Prinzip der Risikozurechnung,22 dass bereits das Auftragsrecht eine Beschränkung auf freiwillige Vermögensopfer nicht mehr verlangt, sondern auch risikotypische Begleitschäden erfasst.23 b) Zum Zwecke der Geschäftsbesorgung 16 Der Aufwendungsersatzanspruch setzt voraus, dass der Gesellschafter zum Zwecke der Ge-
schäftsbesorgung für die Gesellschaft handelt. Ein Handeln für die Gesellschaft ist unabhängig davon gegeben, ob der Gesellschafter freiwillig oder unfreiwillig gehandelt hat. Ein Aufwendungsersatzanspruch ist daher auch begründet, wenn der Gesellschafter auf der Grundlage einer gläubigerschützenden Verpflichtung gehandelt hat, dies nach der gesetzlichen Risikozuweisung aber der Gesellschaftssphäre zuzuordnen ist. aa) Voraussetzungen 17 Ein Handeln zum Zwecke der Geschäftsbesorgung setzt nach der Regierungsbegründung vo-
raus, „dass der Gesellschafter objektiv im Geschäftskreis tätig geworden ist und subjektiv für sie gehandelt hat“.24 19 Vgl. BGH v. 2.7.1962 – II ZR 204/60, BGHZ 37, 299, 301 = NJW 1962, 1863. 20 Strenger Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 110 HGB Rz. 28 ff. 21 Vgl. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 157 f.; BGH v. 30.5.1960 – II ZR 113/58, NJW 1960, 1568 f.; BGH v. 20.6.2005 – II ZR 252/03, NZG 2005, 807 = ZIP 2005, 1552. 22 Vgl. Gramlich/Müssig, NZG 2019, 1333; Roth in Hopt, 43. Aufl. 2023, § 110 HGB Rz. 1. 23 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 157 f. 24 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 157 f.; vgl. Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 110 HGB Rz. 32, 36; Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 119 HGB Rz. 5.
342 | Könen
Ersatz von Aufwendungen und Verlusten | Rz. 20 § 716 BGB
(1) Objektiv im Geschäftskreis Als Ausdruck des Prinzips der innergesellschaftlichen Risikozurechnung gewährt § 716 BGB 18 den Gesellschaftern einen Aufwendungsersatzanspruch für sämtliche Tätigkeiten, die objektiv dem Geschäftskreis der Gesellschaft zuzuordnen sind. Ausreichend ist, wenn die Gesellschaft von einem Schaden bewahrt werden soll.25 Nicht erforderlich ist, dass der Gesellschafter zu der Geschäftsführung tatsächlich befugt gewesen ist.26 Dies kann zwar zu einem Konflikt mit der innergesellschaftlichen Kompetenzordnung führen, insbesondere wenn es dadurch zu einem Kostenersatz für Maßnahmen kommt, hinsichtlich derer der Gesellschafter – etwa im Rahmen von § 715 Abs. 3, § 715a BGB – im Verhältnis zur Gesellschaft nicht berechtigt gewesen ist (s. § 715a BGB Rz. 10, 20).27 Aus der Risikoverteilung des § 716 BGB ergibt sich aber, dass insoweit Bewertungsunsicherheiten nicht zu Lasten des Gesellschafters gehen sollen, sondern zu Lasten der Gesellschaft. § 716 BGB sieht als Maßstab insoweit lediglich vor, dass ein Ersatz ausscheidet, wenn der Gesellschafter die Aufwendungen nicht für erforderlich halten durfte. (2) Subjektiv fremdnütziges Tätigwerden Einschränkend setzt § 716 Abs. 1 BGB lediglich voraus, dass der Gesellschafter subjektiv für 19 die Gesellschaft gehandelt hat.28 Eine Risikozurechnung an die Gesellschaft scheidet daher aus, wenn sich der Gesellschafter im Eigeninteresse zum Geschäftsführer für die Gesellschaft aufschwingt.29 Damit ist nicht bereits eine solche Tätigkeit ausgeschlossen, die der Gesellschafter nur deshalb für die Gesellschaft ausübt, weil er durch diese Tätigkeit mitgliedschaftlich vermittelt über seine Wertbeteiligung an der Gesellschaft profitiert. Ausgeschlossen ist aber ein Aufwendungsersatz, wenn der Gesellschafter eine Tätigkeit vornimmt, die sich zugunsten seines Privatvermögens auswirkt. Zu einer doppelten wirtschaftlichen Partizipation in seiner Stellung als Gesellschafter sowie als Privatperson kann § 716 Abs. 1 BGB daher nicht führen. Der Eigennutz des Gesellschafters muss sich vielmehr in seiner mitgliedschaftlichen Wertbeteiligung erschöpfen. bb) Wahrnehmung von Gesellschafterrechten (Freiwilligkeit) Umstritten ist, inwiefern die Wahrnehmung von Gesellschafterrechten, insbesondere die 20 Teilnahme an der Gesellschafterversammlung, dem Rechtskreis der Gesellschaft bzw. dem Eigeninteresse zuzurechnen ist.30 So sollen insbesondere gesellschaftsvertragsändernde Beschlüsse dem Eigeninteresse der Gesellschaft zuzurechnen sein.31 Teilweise wird jegliche Teilnahme an der Gesellschafterversammlung als Eigeninteresse qualifiziert.32 Mit der Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Personenverbände wird der Gesellschafter bei der Ausübung seiner Gesellschafterrechte aber gerade nicht im Privatinteresse tätig, sondern gestaltet die 25 OLG Düsseldorf v. 21.1.2009 – I-3 U 16/08, BeckRS 2009, 25719; Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 119 HGB Rz. 15. 26 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 157 f. 27 Gramlich/Müssig, NZG 2019, 1333; 1339; Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/ Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 119 Rz. 17; Roth in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 110 HGB Rz. 2. 28 Vgl. Gramlich/Müssig, NZG 2019, 1333, 1339; Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/ Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 119 HGB Rz. 16. 29 Vgl. Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 119 HGB Rz. 16. 30 Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 119 HGB Rz. 16a. 31 Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 110 HGB Rz. 10. 32 Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 110 HGB Rz. 35; Gramlich/Müssig, NZG 2019, 1333, 1337; Roth in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 110 HGB Rz. 3. Könen | 343
§ 716 BGB Rz. 20 | Rechtsfähige Gesellschaft Geschicke der Gesellschaft. Bei gesellschaftsvertragsändernden Beschlüssen richtet sich das Interesse ausschließlich auf die Änderung der Verbandsverfassung und ist mit dem Bezug zur Verbandsverfassung eindeutig der Risikosphäre der Gesellschaft zuzurechnen. 21 Daher ist es nach vorzugswürdigem Verständnis für einen Aufwendungsersatzanspruch un-
erheblich, inwiefern der Gesellschafter eigene Gesellschafterrechte ausübt, solange es sich um eine Tätigkeit im Geschäftskreis der Gesellschaft handelt. So ist es gerade Ausdruck der gesetzlichen Risikoverteilung, dass die wirtschaftlichen Folgen insoweit die Gesellschaft treffen sollen. Unerheblich ist es daher auch, wenn der Gesellschafter von einer gesellschaftsvertraglichen Befugnis Gebrauch macht, etwa wenn der Gesellschafter Leistungen der Gesellschaft in Anspruch nimmt und er zu diesem Zweck Aufwendungen für die Gesellschaft tätigt. 22 Ein Geschäft der Gesellschaft stellt es auch dar, wenn die Grundlagen der Gesellschaft um-
gestaltet werden, auch wenn sich dies letzten Endes negativ für die Gesellschaft auswirkt.33 Auch wenn der Gesellschafter sich der Verbandsherrschaft unterworfen hat, stellt die Inanspruchnahme von Minderheitsrechten eine Angelegenheit dar, die dem Geschäftskreis der Gesellschaft zuzurechnen ist.34 Tätigt der Gesellschafter etwa Aufwendungen zur Initiierung der verbandsrechtlichen Willensbildung handelt es sich dabei um eine Willensbildung der Gesellschaft, auch wenn etwa die Einberufung einer Gesellschafterversammlung der Geltendmachung eines mitgliedschaftlichen Schutzrechts dient. cc) Inanspruchnahme von Gesellschafterpflichten (Unfreiwilligkeit) 23 Ebenfalls unschädlich für den Aufwendungsersatzanspruch ist es, wenn der Gesellschafter
auf der Grundlage einer mitgliedschaftlichen oder gesetzlichen Verpflichtung tätig wird, die der Gesellschafter im Geschäftskreis der Gesellschaft vornimmt. So stellt insbesondere die Begleichung einer Gesellschaftsverbindlichkeit auf der Grundlage der persönlichen Gesellschafterhaftung eine solche Tätigkeit im Interesse der Gesellschaft dar.35 c) Subjektive Erforderlichkeit 24 § 716 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass der Gesellschafter die Aufwendungen „den Umständen
nach für erforderlich halten darf“. Diesbezüglich soll ein subjektiv-objektiver Maßstab anzulegen sein, der sich danach beurteilt, ob ein „sorgfältig prüfender Gesellschafter der Überzeugung sein durfte, dass sie erforderlich seien“.36
4. Ersatz von Verlusten 25 Indem § 716 Abs. 1 BGB die Ersatzpflicht auch auf Verluste erstreckt, die ein Gesellschafter
unmittelbar aus der Geschäftsbesorgung erleidet, wir dem Prinzip der Risikozurechnung Rechnung getragen.37
33 A.A. Roth in Hopt, 43. Aufl. 2023, § 110 HGB Rz. 3; differenzierend, Klimke in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 110 HGB Rz. 11 ff. 34 A.A. Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 110 HGB Rz. 35; Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 110 HGB Rz. 10. 35 BGH v. 17.12.2001 – II ZR 382/99, ZIP 2002, 394. 36 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 157 f.; vgl. OLG Düsseldorf v. 21.1.2009 – 3 U 16/08, BeckRS 2009, 25719; Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 110 HGB Rz. 36; Gramlich/Müssig, NZG 2019, 1333, 1339. 37 Vgl. Fleischer in MünchKommHGB, 5. Aufl. 2022, § 110 HGB Rz. 43 ff.; Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 119 HGB Rz. 211 f.
344 | Könen
Ersatz von Aufwendungen und Verlusten | Rz. 30 § 716 BGB
a) Verluste Verluste sind sämtliche Vermögensnachteile, die sich im Privatvermögen des Gesellschaf- 26 ters niederschlagen.38 b) Infolge der Geschäftsbesorgung Die Verluste des Gesellschafters müssen sich unmittelbar infolge der Geschäftsbesorgung er- 27 geben.39 „Die Verluste müssen einen objektiv erkennbaren, engen Zusammenhang mit der Tätigkeit für die Gesellschaft aufweisen; es muss sich um einen tätigkeits- oder geschäftstypischen Schaden für den Gesellschafter handeln“.40 Der innere Zusammenhang ist wertendkausal zu bestimmen. c) Unmittelbarkeit Die Unmittelbarkeit ist wertend danach zu bestimmen, ob sich mit der Vermögenseinbuße 28 tätigkeitsspezifisch ein Risiko verwirklicht hat, welches sich in Anbetracht der Risikoverteilung des § 716 BGB für den Gesellschafter als Sonderopfer darstellt.41 Weitere Zwischenakte des Gesellschafters zwischen Vornahme der Geschäftsbesorgung und den Vermögensnachteilen des Gesellschafters stehen der Unmittelbarkeit daher nicht zwingend entgegen. d) Verschulden des Gesellschafters oder der Gesellschaft Ein Verschulden der Gesellschaft bzw. des Gesellschafters steht einem Aufwendungsersatz 29 grundsätzlich nicht entgegen, weil § 716 BGB eine gegenüber der Geschäftsführung ohne Auftrag abschließende Risikoverteilung vornimmt.42 Ein Übernahmeverschulden ist daher nur insofern maßgeblich, als der Gesellschafter eine Aufwendung dann gegebenenfalls nicht für erforderlich halten durfte. e) Geldstrafen, Bußgelder, Prozesskosten Der innergesellschaftliche Aufwendungsersatz kann zu Konflikten führen, wenn gesetzliche 30 Bestimmungen einen individuellen Sanktionscharakter haben. So besteht mit der Verlustübernahmepflicht der Gesellschaft die Gefahr, dass der Sanktionszweck einer Vorschrift leerläuft. Die privatautonome Entscheidung, sich am Zivilrechtsverkehr als Personenverband zu beteiligen kann aber nicht dazu führen, dass die individuelle Sanktion letztlich von dem Verband getragen wird und damit mittelbar – über die mitgliedschaftliche Wertbeteiligung – die Mitgesellschafter sanktioniert werden. Die Verfehlung des Sanktionszwecks ist hinsichtlich der konkreten Bestimmung zu ermitteln, weil die Übernahme einer Geldstrafe jedenfalls nicht per se eine Strafvollstreckungsvereitelung i.S.v. § 258 Abs. 2 StGB darstellt.43 Mit einem Gesetzesverstoß wird der Gesellschafter ferner regelmäßig seine mitgliedschaftlichen Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft verletzen, weil es nicht zu den Geschäfts-
38 Vgl. Bergmann in E/B/J/S, 4. Aufl. 2020, § 110 HGB Rz. 18 ff.; Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 119 HGB Rz. 22. 39 Gramlich/Müssig, NZG 2019, 1333, 1341. 40 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 157 f.; Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/ Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 119 HGB Rz. 23. 41 Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 119 HGB Rz. 23. 42 Gramlich/Müssig, NZG 2019, 1333; Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/ Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 119 HGB Rz. 23. 43 Vgl. Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 110 HGB Rz. 49. Könen | 345
§ 716 BGB Rz. 30 | Rechtsfähige Gesellschaft führungsaufgaben eines Gesellschafters gehört, Gesetzesverstöße zu begehen.44 Die Verlusttragung der Gesellschaft ist daher insoweit ausgeschlossen. 31 Bei Bußgeldern ist nach dem Zweck des Bußgeldes zu differenzieren, inwiefern diesem bei
einer Verlusttragung durch die Gesellschaft noch entsprochen werden kann, etwa inwiefern mit der Geldbuße repressive, präventive oder schlicht abschöpfende Zwecke verfolgt werden. Bei Prozesskosten, die einen Gesellschafter treffen, ist danach zu differenzieren, inwiefern der Gesellschafter diese für erforderlich halten durfte, so dass Kosten für ein sofortiges Anerkenntnis des Schuldners nicht erstattungsfähig sind. Das allgemeine Prozessrisiko ist hingegen nach der gesetzlichen Risikoverteilung des § 716 BGB eine Rechtsposition, die letztlich die Gesellschaft treffen soll.
5. Abweichende Vereinbarung 32 Die Aufwendungsersatz- und Verlustübernahmepflicht der Gesellschaft ist vollständig dis-
positiv.45 Dem steht auch nicht entgegen, dass die Gesellschafter, wenn sie auf der Grundlage von § 721 BGB in Anspruch genommen werden, eine Verbindlichkeit der Gesellschaft übernehmen. Aus § 710 BGB folgt, dass der entstandene Aufwendungs- und Ersatzanspruch übertragen werden kann.
6. Teleologische Reduktion im Rahmen der Insolvenz 33 § 716 BGB ist im Rahmen der Insolvenz des Personenverbandes teleologisch zu reduzieren,
weil anderenfalls ein der Gläubigergesamtheit dienender Haftungszugriff auf die Privatvermögen der Gesellschafter nicht in Betracht käme. Die Inanspruchnahme der Privatvermögen auf der Grundlage der personengesellschaftsrechtlichen Haftungsvoraussetzungen durch den Insolvenzverwalter nach § 93 InsO hat in dem Sinne zu erfolgen, dass neben dem Gesellschaftsvermögen als Haftungsmasse weitere Vermögenssonderungen zu bilden sind. 34 Ist über das Vermögen der Gesellschaft ein Insolvenzverfahren eröffnet worden und ist die
Gesellschaft unter dem besonderen Liquidationsregime der Insolvenzordnung durch den Insolvenzverwalter vollzubeendigen (vgl. § 199 Satz 2 InsO), bedeutet die funktionale Zuweisung der liquidationsbedingten Nachschussansprüche nach § 737 BGB zum Gesellschaftsvermögen, dass diese von dem Insolvenzbeschlag erfasst und Bestandteil der Masse sind (Vgl. § 35 InsO). Die Geltendmachung durch den Insolvenzverwalter erfolgt dementsprechend nach § 80 InsO. Gleichwohl ist die liquidationsrechtliche Verlustausgleichspflicht der Gesellschafter nach § 737 BGB eine rein innenrechtliche und – in den Grenzen der allgemeinen Mitgliedsrechte – vollständig der gesellschaftsvertraglichen Gestaltung zugänglich. Haben die Gesellschafter die Verlustausgleichspflicht ausgeschlossen, bedeutet die Auflösung der Gesellschaft, dass die Vermögenstrennung zwischen Gesellschaftsvermögen und Privatvermögen der Gesellschafter bis zur Vollbeendigung der Gesellschaft aufrechterhalten bleibt. Die Gläubiger sind in diesem Fall darauf verwiesen, ihre Gesellschaftsforderungen auf der Grundlage der persönlichen Gesellschafterhaftung nach § 721 BGB geltend zu machen. Im Falle der Insolvenz erfolgt die Geltendmachung – bei gewahrter Forderungszuständigkeit der Gläubiger – nach § 93 InsO durch den Insolvenzverwalter. In Anbetracht der Tatsache, dass eine Leistung der Gesellschafter im Rahmen der Gesellschafterhaftung eine Zahlung für die Gesellschaft darstellt, entsteht für den leistenden Gesellschafter grundsätzlich einerseits ein Aufwendungsersatzanspruch gegen die Gesellschaft nach § 716 BGB, andererseits kann er
44 Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 110 HGB Rz. 49. 45 Vgl. BGH v. 17.1.1966 – II ZR 8/64, NJW 1966, 826.
346 | Könen
Ersatz von Aufwendungen und Verlusten | Rz. 38 § 716 BGB
nach § 426 Abs. 1 BGB Regress bei den Mitgesellschaftern nehmen. Im Falle der Gesellschaftsinsolvenz ist der Aufwendungsersatzanspruch gegen die Gesellschaft nach § 716 BGB teleologisch zu reduzieren, weil es anderenfalls – in Anbetracht der Geltendmachung durch den Insolvenzverwalter – zu der Begründung einer Masseverbindlichkeit zu Lasten der Gläubigergesamtheit käme.46
III. Vorschusspflicht Die Vorschusspflicht erstreckt sich nur auf Aufwendungen, nicht hingegen auf die Übernah- 35 me von Verlusten. Ein Vorschuss kommt nur in Betracht, wenn Aufwendungen objektiv erforderlich sind, ohne dass es auf die subjektive Erwartung eines Gesellschafters ankommt.47 Im Fall bloß subjektiver Erwartungen kann die Gesellschaft den Vorschuss verweigern. Verweigert die Gesellschaft ein Vorschussverlangen berechtigterweise, muss dies sodann auch auf die Erstattungsfähigkeit nach Abs. 1 durchgreifen, so dass in diesem Fall jede objektiv nicht erforderliche Aufwendung einen Aufwendungsersatz ausschließt.
1. Erforderliche Aufwendungen Anders als im Rahmen eines Ersatzanspruchs für geleistete Aufwendungen reicht es für das 36 Verlangen eines Vorschusses nicht aus, dass der Gesellschafter eine Aufwendung subjektiv für erforderlich halten darf, vielmehr knüpft der Vorschussanspruch an die objektive Erforderlichkeit an. Mit der objektiven Erforderlichkeit wird auch die Berechtigung des Gesellschafters zur Geschäftsführung adressiert. Insofern kommt es – anders als im Rahmen des Aufwendungsersatzanspruchs – darauf an, dass der Gesellschafter die innere Kompetenzordnung der Gesellschaft objektiv beachtet.
2. Verlangen Das Verlangen eines Vorschusses setzt die Aufforderung voraus, diejenigen Mittel zur Ver- 37 fügung zu stellen, die geeignet sind, die beabsichtigte Angelegenheit der Gesellschaft zu erfüllen.
3. Rechtsfolge Als Rechtsfolge kann der Gesellschafter von der Gesellschaft Ersatz derjenigen Aufwendun- 38 gen verlangen, die objektiv erforderlich sind. Stellt sich im Laufe der Geschäftsbesorgung heraus, dass die bereitgestellten Mittel nicht ausreichen, die Gesellschaftsangelegenheit zu besorgen, geht dieses Risiko nach der Risikoverteilung des § 716 BGB zu Lasten der Gesellschaft, sofern der Gesellschafter die von ihm gewählte Art der Geschäftsbesorgung für erforderlich halten durfte. Diesbezüglich kommt es folglich auf die Voraussetzungen des § 716 Abs. 1 BGB an; auch Verluste sind dem Gesellschafter insoweit zu ersetzen. Insofern unterscheidet sich die Situation von derjenigen, dass die Gesellschaft den Vorschuss verweigert. Mit der Leistung eines Vorschusses unterwirft sich die Gesellschaft der Geschäftsfüh-
46 Für eine Anmeldung zur Tabelle, Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/ Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 119 HGB Rz. 8. 47 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 157 f.; Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/ Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 119 HGB Rz. 27. Könen | 347
§ 716 BGB Rz. 38 | Rechtsfähige Gesellschaft rungshoheit des Gesellschafters, so dass es diesbezüglich auch auf eine innere Berechtigung insoweit ankommt, wie der Gesellschafter subjektiv davon ausgehen durfte.
4. Leistungsverweigerung 39 Verweigert die Gesellschaft ein Vorschussverlangen berechtigterweise, muss dies sodann
auch auf die Erstattungsfähigkeit nach Abs. 1 durchgreifen, so dass in diesem Fall jede objektiv nicht erforderliche Aufwendung einen Aufwendungsersatz ausschließt.
IV. Herausgabepflicht (Abs. 3) 40 § 716 Abs. 3 BGB begründet – im Gegenzug zum Aufwendungsersatz – eine Herausgabe-
pflicht des Gesellschafters gerichtet auf dasjenige, was er aus der Geschäftsbesorgung erlangt. Die Regelung ist damit Teil der gesetzlichen Risikoverteilung, nach der die Gesellschaft sowohl die Chancen als auch die Risiken zu tragen hat, die mit einer Geschäftsbesorgung in ihrem Geschäftskreis verbunden sind. Ein Anwendungsbereich ist nur insoweit gegeben, als der Gesellschafter ein Geschäft im eigenen Namen besorgt, weil das Erlangte anderenfalls ohnehin dem Gesellschaftsvermögen zugewiesen würde. § 716 Abs. 3 BGB macht gleichzeitig deutlich, dass der Gesellschafter keinen Anspruch auf solche Gegenstände hat, die der Gesellschaft zugewiesen sind und von ihm zweckfremd eingesetzt werden.
1. Gegenstand der Herausgabepflicht 41 Die Herausgabepflicht erstreckt sich auf sämtliche aus der Geschäftsbesorgung erlangten
Vorteile, die in dinglicher Hinsicht dem Privatvermögen des Gesellschafters zugeflossen sind. Auf diese Weise wird eine doppelte Partizipation des Gesellschafters – über einen mitgliedschaftlichen Sozialanspruch sowie sein Privatvermögen – vermieden. Möchte der Gesellschafter den wirtschaftlichen Erfolg der Geschäftsbesorgung in seinem Privatvermögen belassen, schließt dies einen Aufwendungsersatzanspruch aus, weil es sich dann nicht um eine Geschäftsbesorgung im Geschäftskreis der Gesellschaft handelt.
2. Erlöschen der Herausgabepflicht 42 Die Herausgabepflicht erlischt entweder, wenn der Gesellschafter seiner Verpflichtung gegen-
über der Gesellschaft nachkommt, wenn der Personenverband auf den Herausgabeanspruch verzichtet oder wenn der Gesellschafter die Geschäftsbesorgung in ein Eigengeschäft umwidmet. Ein derartiges Heranziehen des Geschäftskreises kommt nur in Betracht, wenn der Gesellschafter die Geschäftsbesorgung in eigenem Namen geführt hat, wobei das Wettbewerbsverbot sowie die Verpflichtung, Geschäftschancen für die Gesellschaft wahrzunehmen, zu beachten sind. Voraussetzung für eine Umwidmung ist, dass der Gesellschafter seinen Fremdgeschäftsführungswillen nachträglich ändern kann und die Gesellschaft noch kein schützenswertes Vertrauen hinsichtlich der Geschäftsbesorgung gebildet hat, indem sie etwa Dispositionen getätigt hat. Die Änderung des Geschäftsführungswillens setzt daher entsprechend § 130 BGB voraus, dass der Geschäftsführungswille, im Interesse der Gesellschaft agieren zu wollen, noch nicht nach außen geäußert wurde oder dass der Gesellschafter im Rahmen der Bildung des Fremdgeschäftsführungswillens einem Irrtum unterlegen ist, wobei er entsprechend den §§ 142, 122 BGB ersatzpflichtig sein kann.
348 | Könen
Informationsrechte und -pflichten | § 717 BGB
3. Einwendungen des Gesellschafters Herausgabepflicht und Aufwendungsersatz stehen in einem Synallagma, so dass der Gesell- 43 schafter die Herausgabe nur Zug-um-Zug gegen Ausgleich der Aufwendungen und Verluste zu leisten hat.
V. Verzinsungspflicht (Abs. 4) § 716 Abs. 4 Satz 1 BGB regelt die Pflicht des Gesellschafters, Geld, welches er der Gesell- 44 schaft herauszugeben hat, von der Zeit der Verwendung an zu verzinsen. Mit dieser Regelung soll die zweckfremde Verwendung von Geld sanktioniert werden, welches der Gesellschaft zugewiesen ist.48 Die Sanktion für den Gesellschafter besteht in einer unwiderleglichen Vermutung, dass der Gesellschaft insoweit ein Schaden eingetreten ist und dies bereits mit dem Zeitpunkt der Verwendung, ohne dass zu diesem Zeitpunkt bereits ein Herausgabeanspruch bestanden haben muss. Neben § 716 Abs. 4 Satz 1 BGB kommt, für den Fall des Verzugs des Gesellschafters, eine Verzinsung nach § 288 Abs. 1 BGB in Betracht. Als Gegenpart zur Verzinsungspflicht des Gesellschafters nach § 119 Abs. 2 HGB regeln 45 § 119 Abs. 1 HGB, § 716 Abs. 4 Satz 2 BGB eine Verzinsungspflicht der Gesellschaft gegenüber dem Gesellschafter. § 716 Abs. 4 Satz 2 BGB bringt gegenüber § 256 BGB zum Ausdruck, dass sich die Verzinsungspflicht auch auf den Ersatzanspruch für Verluste erstreckt.
§ 717 BGB Informationsrechte und -pflichten (1) ¹Jeder Gesellschafter hat gegenüber der Gesellschaft das Recht, die Unterlagen der Gesellschaft einzusehen und sich aus ihnen Auszüge anzufertigen. ²Ergänzend kann er von der Gesellschaft Auskunft über die Gesellschaftsangelegenheiten verlangen. ³Eine Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag, welche diese Rechte ausschließt oder dieser Vorschrift zuwider beschränkt, steht ihrer Geltendmachung nicht entgegen, soweit dies zur Wahrnehmung eigener Mitgliedschaftsrechte erforderlich ist, insbesondere, wenn Grund zur Annahme unredlicher Geschäftsführung besteht. (2) ¹Die geschäftsführungsbefugten Gesellschafter haben der Gesellschaft von sich aus die erforderlichen Nachrichten zu geben, auf Verlangen über die Gesellschaftsangelegenheiten Auskunft zu erteilen und nach Beendigung der Geschäftsführertätigkeit Rechenschaft abzulegen. ²Eine Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag, welche diese Verpflichtungen ausschließt, ist unwirksam. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 2 5
3. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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48 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 158 f. Könen | 349
Informationsrechte und -pflichten | § 717 BGB
3. Einwendungen des Gesellschafters Herausgabepflicht und Aufwendungsersatz stehen in einem Synallagma, so dass der Gesell- 43 schafter die Herausgabe nur Zug-um-Zug gegen Ausgleich der Aufwendungen und Verluste zu leisten hat.
V. Verzinsungspflicht (Abs. 4) § 716 Abs. 4 Satz 1 BGB regelt die Pflicht des Gesellschafters, Geld, welches er der Gesell- 44 schaft herauszugeben hat, von der Zeit der Verwendung an zu verzinsen. Mit dieser Regelung soll die zweckfremde Verwendung von Geld sanktioniert werden, welches der Gesellschaft zugewiesen ist.48 Die Sanktion für den Gesellschafter besteht in einer unwiderleglichen Vermutung, dass der Gesellschaft insoweit ein Schaden eingetreten ist und dies bereits mit dem Zeitpunkt der Verwendung, ohne dass zu diesem Zeitpunkt bereits ein Herausgabeanspruch bestanden haben muss. Neben § 716 Abs. 4 Satz 1 BGB kommt, für den Fall des Verzugs des Gesellschafters, eine Verzinsung nach § 288 Abs. 1 BGB in Betracht. Als Gegenpart zur Verzinsungspflicht des Gesellschafters nach § 119 Abs. 2 HGB regeln 45 § 119 Abs. 1 HGB, § 716 Abs. 4 Satz 2 BGB eine Verzinsungspflicht der Gesellschaft gegenüber dem Gesellschafter. § 716 Abs. 4 Satz 2 BGB bringt gegenüber § 256 BGB zum Ausdruck, dass sich die Verzinsungspflicht auch auf den Ersatzanspruch für Verluste erstreckt.
§ 717 BGB Informationsrechte und -pflichten (1) ¹Jeder Gesellschafter hat gegenüber der Gesellschaft das Recht, die Unterlagen der Gesellschaft einzusehen und sich aus ihnen Auszüge anzufertigen. ²Ergänzend kann er von der Gesellschaft Auskunft über die Gesellschaftsangelegenheiten verlangen. ³Eine Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag, welche diese Rechte ausschließt oder dieser Vorschrift zuwider beschränkt, steht ihrer Geltendmachung nicht entgegen, soweit dies zur Wahrnehmung eigener Mitgliedschaftsrechte erforderlich ist, insbesondere, wenn Grund zur Annahme unredlicher Geschäftsführung besteht. (2) ¹Die geschäftsführungsbefugten Gesellschafter haben der Gesellschaft von sich aus die erforderlichen Nachrichten zu geben, auf Verlangen über die Gesellschaftsangelegenheiten Auskunft zu erteilen und nach Beendigung der Geschäftsführertätigkeit Rechenschaft abzulegen. ²Eine Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag, welche diese Verpflichtungen ausschließt, ist unwirksam. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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48 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 158 f. Könen | 349
§ 717 BGB Rz. 1 | Rechtsfähige Gesellschaft 2. Inhalt der Informationsrechte . . . . . . . . 3. Individuelles Informationsrecht des Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. „Kollektives“ Informationsrecht . . . . . . 5. Abweichende Vereinbarungen . . . . . . . . III. Individuelles Informationsrecht (Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gegenstand der Informationsrechte . . . 2. Einsichtsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auskunftsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. „Kollektives“ Informationsrecht (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Pflicht der Geschäftsführer zu eigener Informationstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . a) Inhalt und Umfang . . . . . . . . . . . . . . . aa) Objektives Informationsbedürfnis bb) Subjektives Informationsbedürfnis b) Geltendmachung im Wege der actio pro socio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechenschaft nach Aufgabe der Geschäftsführertätigkeit . . . . . . . . . . . . .
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Schrifttum: de Groot, Gestaltbarkeit des Informationsrechts aus § 118 HGB, NZG 2013, 529; Otte, Ausübung und Schranken der Informationsrechte in oHG, KG und GmbH, NZG 2014, 521.
I. Allgemeines 1 § 717 BGB regelt sowohl das individuelle als auch das „kollektive“ Informationsrecht in Ge-
sellschaftsangelegenheiten. „Beiden Rechten ist gemein, dass sie ein notwendiges Korrelat der unbeschränkten persönlichen Gesellschafterhaftung bilden, der effektiven Überwachung der geschäftsführungsbefugten Gesellschafter dienen und jedem Gesellschafter die sachgemäße Ausübung seiner mitgliedschaftlichen Mitwirkungsrechte ermöglichen sollen.“1
1. Überblick 2 Gemäß § 717 Abs. 1 BGB kommt dem einzelnen Gesellschafter kraft seiner mitgliedschaftli-
chen Stellung das Recht zu, die Unterlagen der Gesellschaft einzusehen und sich von ihnen Auszüge anzufertigen (Satz 1) sowie ergänzend Auskunft über die Geschäftsangelegenheiten zu verlangen (Satz 2). Die Vorschrift bestimmt auf diese Weise einen Vorrang der Einsicht vor einer Auskunft, um eine Unmittelbarkeit der Informationsbeschaffung zu gewährleisten.2 § 717 Abs. 1 Satz 3 BGB stellt gesellschaftsvertragliche Gestaltungen des Informationsrechts unter eine Ausübungssperre, sofern sie der Wahrnehmung von Mitgliedsrechten entgegenstehen. 3 Das „kollektive“ Informationsrecht des § 717 Abs. 2 Satz 1 BGB steht dem Personenverband
gegenüber den geschäftsführenden Gesellschaftern zu. Es gewährleistet das innergesellschaftliche Kompetenzgefüge, indem die geschäftsführungsbefugten Gesellschafter der Gesellschaft die erforderlichen Nachrichten zu geben, auf Verlangen Auskunft zu erteilen sowie nach Beendigung der Geschäftsführertätigkeit Rechenschaft abzulegen haben. Die Informationsverschaffungspflicht der Geschäftsführung ist nach § 717 Abs. 2 Satz 2 BGB zwingend. 4 Informationsrechte und -pflichten der Gesellschafter untereinander ergeben sich nicht
aus § 717 BGB. Solche folgen aber unmittelbar aus der mitgliedschaftlichen Treuepflicht der Gesellschafter. Darüber hinaus verweist die Gesetzesbegründung darauf, dass sich Informationsrechte und -pflichten aus einer entsprechenden Anwendung des § 715 Abs. 1 BGB ergeben, der die Berechtigung sowie Verpflichtung zur Geschäftsführung anordnet.3
1 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 159 mit Verweis auf Fleischer, DB 2020, 827, 831. 2 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 159. 3 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 159.
350 | Könen
Informationsrechte und -pflichten | Rz. 7 § 717 BGB
2. Normzweck Die Informationsrechte des § 717 BGB bilden „ein notwendiges Korrelat der unbeschränkten 5 persönlichen Gesellschafterhaftung [, dienen] der effektiven Überwachung der geschäftsführungsbefugten Gesellschafter [und sollen] jedem Gesellschafter die sachgemäße Ausübung seiner mitgliedschaftlichen Mitwirkungsrechte ermöglichen“.4 Während § 717 Abs. 1 BGB vornehmlich den Schutz einzelner Gesellschafter vor der Verbandsherrschaft gewährleistet, hinsichtlich derer er sich privatautonom unterworfen hat, gewährleistet § 717 Abs. 2 BGB in erster Linie die Kontrolle der Geschäftsführung durch die Gesellschafterversammlung. Unter „Abstufung legitimer Informationsbedürfnisse […] unterscheiden sich beide Rechte hinsichtlich ihres Umfangs und ihrer Voraussetzungen“.5
3. Anwendungsbereich Über die Verweisungen der § 105 Abs. 3, § 161 Abs. 2 HGB sowie § 1 Abs. 4 PartGG findet 6 die Bestimmung für oHG, KG und PartG Anwendung.
II. Grundlagen Individuelles und kollektives Informationsrecht sind Ausdruck mitgliedschaftlicher Mitwir- 7 kungsrechte an der Verbandstätigkeit, sowohl des einzelnen Gesellschafters als auch der Gesellschaft bzw. der Gesellschaftergesamtheit. Während das individuelle Informationsrecht ein Korrelat zur persönlichen Gesellschafterhaftung zur Kontrolle der geschäftsführungsbefugten Gesellschafter darstellt, gewährleistet das Informationsrecht des Verbandes in erster Linie, dass dieser – repräsentiert durch die Gesellschafterversammlung – einen hinreichenden Zugang zu den durch seine Organwalter erlangten Informationen erhält. Umgesetzt wird dies durch eine Informationspflicht der Organwalter gegenüber dem Verband. Wegen des Prinzips der Selbstorganschaft geht die Organwalterstellung notwendig auch mit einer mitgliedschaftlichen Verbindung der Gesellschafter-Organwalter mit dem Personenverband sowie den übrigen Gesellschaftern einher, sodass das als Organwalter-Pflicht verwirklichte kollektive Informationsrecht einer mitgliedschaftlichen Bindung unterliegt. Der Personenverband ist insoweit unmittelbar mitgliedschaftlich berechtigt. Die einzelnen Gesellschafter werden mittelbar über ihre Stellung in der Gesellschafterversammlung mitgliedschaftlich berechtigt. In Anbetracht dieser mitgliedschaftlichen Bindung handelt es sich bei beiden Informationsrechten um unentziehbare mitgliedschaftliche Schutzrechte: Eine selbstbestimmte Wahrnehmung mitgliedschaftlicher Verwaltungsrechte und -pflichten setzt eine hinreichende Informationsgrundlage voraus und stellt eine notwendige Voraussetzung für eine selbstverantwortliche Einstandspflicht der Gesellschaft für ihre Eigentätigkeit bzw. der Gesellschafter für Verbindlichkeiten der Gesellschaft gem. § 721 BGB dar. Die Informationsrechte sollen den einzelnen Gesellschaftern sowie der Gesellschaftergesamtheit eine effektive Kontrolle der Geschäftsführungstätigkeit ermöglichen und gewährleisten auf diese Weise die sachgemäße Wahrnehmung der mitgliedschaftlichen Mitwirkungsrechte und -pflichten.
4 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 159; vgl. Fleischer, DB 2020, 827, 831. 5 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 159. Könen | 351
§ 717 BGB Rz. 8 | Rechtsfähige Gesellschaft
1. Gegenstand 8 § 717 BGB regelt sowohl das individuelle als auch das „kollektive“ Informationsrecht in Ge-
sellschaftsangelegenheiten. Beide Informationsrechte beziehen sich in erster Linie auf die – ggf. delegierte – Geschäftsführungstätigkeit i.S.d. § 715 Abs. 1, Abs. 2 BGB, einschließlich der Notgeschäftsführungsmaßnahmen i.S.v. § 715 Abs. 3, § 715a BGB. Dadurch, dass sich § 717 BGB auf sämtliche Gesellschaftsangelegenheit bezieht, werden ebenfalls Maßnahmen nach § 714 BGB erfasst, ungeachtet der Tatsache, dass der Gesellschafter bei einer Beschlussfassung mitgewirkt hat. Als mitgliedschaftliches Schutzrecht können die Informationsrechte nicht verbraucht werden.
2. Inhalt der Informationsrechte 9 Während § 717 Abs. 1 BGB vornehmlich dem Schutz einzelner Gesellschafter vor der Ver-
bandsherrschaft dient, hinsichtlich derer er sich privatautonom unterworfen hat, dient § 717 Abs. 2 BGB in erster Linie der Kontrolle der Geschäftsführung durch die Gesellschafterversammlung. Vor dem Hintergrund der abweichenden Ausrichtung unterscheiden sich individuelles und kollektives Informationsrecht hinsichtlich ihres Umfangs sowie ihren Voraussetzungen. So ist Gegenstand des individuellen Informationsrechts vorrangig die Möglichkeit, Einsicht in die Geschäftsunterlagen zu erhalten sowie subsidiär Auskunft verlangen zu können. Demgegenüber geht mit der Rechtssubjektivität des Personenverbandes einher, dass ihm seine Organe Willen und Verhalten vermitteln. Dies setzt einen aktiven Informationsfluss in Form von Nachricht und Rechenschaft durch die geschäftsführungsbefugten Gesellschafter voraus. Auf diese Weise erhält die Gesellschaftergesamtheit regelmäßig Informationen darüber, wie die delegierte Geschäftsführungstätigkeit wahrgenommen wird, und kann diese ständig evaluieren. Ergänzt wird die Kontrolle der Geschäftsführungstätigkeit durch die Möglichkeit der Gesellschaftergesamtheit, Auskunft über die Gesellschaftsangelegenheiten verlangen zu können.
3. Individuelles Informationsrecht des Gesellschafters 10 Ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Mitgliedschaft besteht nur hinsichtlich des indivi-
duellen Informationsrechts nach § 717 Abs. 1 BGB als Korrelat persönlicher Gesellschafterhaftung, während das „kollektive“ Informationsrecht nach § 717 Abs. 2 BGB als „Ausprägung organschaftlicher Verantwortung“ zu verstehen ist.6 Der untrennbare Zusammenhang des individuellen Informationsrechts mit der persönlichen Haftung nach § 721 BGB, § 126 HGB resultiert daraus, dass eine rechtliche Legitimation für die Einstandspflicht für Verbindlichkeiten eines anderen Rechtssubjekts aus Gesichtspunkten des Gläubigerschutzes nur in Betracht kommt, wenn die in der Haftung zum Ausdruck kommende Selbstverantwortung in einer Wechselbeziehung zu eigennütziger Selbstbestimmung steht. Ein selbstbestimmtes Gesellschafterverhalten in Wahrnehmung der mitgliedschaftlichen Befugnisse setzt daher eine hinreichende Information in Gesellschaftsangelegenheiten voraus. Gemäß § 717 Abs. 1 BGB kommt dem einzelnen Gesellschafter kraft seiner mitgliedschaftlichen Stellung das Recht zu, die Unterlagen der Gesellschaft einzusehen, sich von ihnen Auszüge anzufertigen sowie ergänzend Auskunft über die Geschäftsangelegenheiten zu verlangen. Auf diese Weise begrenzt § 717 Abs. 1 Satz 1 BGB das Recht auf Information zunächst auf solche, die sich aus den Geschäftsunterlagen ergeben, weitergehende Informationen kann der Gesellschafter aber nach Satz 2 erhalten, „wenn der Zweck des individuellen Informationsrechts, dem Ge6 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 159.
352 | Könen
Informationsrechte und -pflichten | Rz. 13 § 717 BGB
sellschafter die Möglichkeit der persönlichen Unterrichtung über die Angelegenheiten der Gesellschaft zu verschaffen, durch die Einsicht nicht erreicht werden kann.“7 Ziel dieses Vorrangs der Einsicht vor einer Auskunft ist die Gewährleistung eines „größtmögliche[n] Maß [es] an Authentizität der Information“.8
4. „Kollektives“ Informationsrecht Anders als das aus der Mitgliedschaft resultierende individuelle Informationsrecht des Ge- 11 sellschafters steht das „kollektive“ Informationsrecht dem Personenverband selbst gegenüber den geschäftsführenden Gesellschaftern zu (s. zur doppelten dogmatischen Rechtfertigung § 717 BGB Rz. 19). Als „Ausprägung organschaftlicher Verantwortung“9 gewährleistet das „kollektive“ Informationsrecht in erster Linie das innergesellschaftliche Kompetenzgefüge, indem die geschäftsführungsbefugten Gesellschafter der Gesellschaft die erforderlichen Nachrichten zu geben, auf Verlangen Auskunft zu erteilen sowie nach Beendigung der Geschäftsführertätigkeit Rechenschaft abzulegen haben. § 717 Abs. 2 BGB kommt sowohl eine Gewährleistungsfunktion in der Form zu, dass die Gesellschaft stets Informationen über die Hintergründe der internen Willensbildung der sie im Rechtsverkehr repräsentierenden Organwalter erhält, als auch eine Beschränkungsfunktion dergestalt, dass sich einzelne Gesellschafter – im Namen der Gesellschaft – im Rahmen einer Gesellschafterklage nicht über die Schranken des § 717 Abs. 1 BGB hinwegsetzt.10
5. Abweichende Vereinbarungen In Anbetracht der Qualität der Informationsrechte als mitgliedschaftliche Schutzrechte sind 12 diese in ihrem Bestand unabdingbar. Nach § 717 Abs. 1 Satz 3 BGB sind Beschränkungen des Informationsrechts im Gesellschaftsvertrag zwar zulässig, indes nicht, „soweit dies zur Wahrnehmung eigener Mitgliedschaftsrechte erforderlich ist“. Sowohl anhand der Tatsache, dass das individuelle Informationsrecht unabhängig von einer Geschäftsführungsbefugnis des Gesellschafters besteht, als auch vor dem Hintergrund, dass die Gesellschafter in ihrer Gesamtheit das Informationsrecht privatautonom nicht vollständig ausschließen können, wird der Charakter des Informationsrechts als Element des Minderheitenschutzes deutlich. Insoweit ist das Informationsrecht als absolut unentziehbares Schutzrecht gegenüber der Verbandsherrschaft zu qualifizieren. Gleichzeitig verdeutlicht § 717 Abs. 1 Satz 3 BGB, dass die konkrete Reichweite des Informationsrechts einer Verhältnismäßigkeitsprüfung unterliegt, wie sie die Rechtsprechung im Rahmen relativ unentziehbarer Organschafts- bzw. Verwaltungsrechte annimmt. Nach § 717 Abs. 2 Satz 2 BGB kann das „kollektive“ Informationsrecht schlechthin nicht 13 durch Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen werden. Dies ist – genauso wie das individuelle Informationsrecht – darauf zurückzuführen, dass nur eine hinreichende Informationsgrundlage eine selbstbestimmte Teilhabe an der Verbandstätigkeit voraussetzt, welche notwendige Voraussetzung für die gesetzliche Anordnung der selbstverantwortlichen Einstandspflicht für Verbindlichkeiten des Personenverbandes ist. Der kollektive Informationsanspruch der die Gesellschaft insoweit repräsentierenden Gesellschafterversammlung gewährleistet der Gesellschaftergesamtheit eine ständige Evaluationsmöglichkeit der delegierten Geschäftsführungstätigkeit und damit eine Kontrolle der innergesellschaftlichen Kom7 8 9 10
RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 159. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 159. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 159. Vgl. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 160. Könen | 353
§ 717 BGB Rz. 13 | Rechtsfähige Gesellschaft petenzordnung nach den §§ 714, 715 f. BGB. Auf diese Weise wird die Gesellschaftergesamtheit zur eigennützigen Einflussnahme auf die Geschäftsführungstätigkeit nach § 714 BGB befähigt, wodurch ungeachtet der delegierten Geschäftsführungstätigkeit ein Gleichlauf von Herrschaft und Haftung gewährleistet wird. Der gesellschaftsvertraglichen Gestaltbarkeit zugänglich ist hingegen die konkrete Ausgestaltung der Informationsgewährung, sofern diese nicht die Rechtswahrnehmung als solche in der Weise erschwert, dass die gesellschaftsvertragliche Bestimmung auf der Grundlage von § 138 BGB als unzulässige Rechtsschutzverkürzung nicht zur Anwendung käme.
III. Individuelles Informationsrecht (Abs. 1) 14 § 717 Abs. 1 BGB regelt das untrennbar mit der Mitgliedschaft verbundene Informations-
recht jedes einzelnen Gesellschafters. Als Ausdruck eines mitgliedschaftlichen Schutzrechts steht das individuelle Informationsrecht gerade auch den von der Geschäftsführung ausgeschlossenen Gesellschaftern zu.
1. Gegenstand der Informationsrechte 15 Das mitgliedschaftliche Schutzrecht auf Information über Gesellschaftsangelegenheiten wird
durch § 717 Abs. 1 BGB dahingehend konkretisiert, dass jeder Gesellschafter Unterlagen der Gesellschaft einsehen kann und berechtigt ist, sich von diesen Abschriften anzufertigen (Satz 1). Lediglich ergänzend ist der Gesellschafter befugt, von der Gesellschaft Auskünfte über die Gesellschaftsangelegenheiten zu verlangen (Satz 2). Kennzeichnend für das Informationsrecht nach § 717 Abs. 1 BGB – in Abgrenzung zum „kollektiven“ Informationsrecht – ist der Umstand, dass die Aktionslast für die Wahrnehmung der Kontrollrechte dem Gesellschafter übertragen wurde.
2. Einsichtsrecht 16 § 717 Abs. 1 Satz 1 BGB eröffnet dem Gesellschafter die Möglichkeit, von sich aus, Einsicht
in die Geschäftsunterlagen zu nehmen und sich aus ihnen Auszüge anzufertigen. Diese (anfängliche) Beschränkung des Informationsrechts auf Informationen, die sich aus den Unterlagen ergeben, ist mit Blick auf die Qualität als mitgliedschaftliches Schutzrecht problematisch, weil es so in der Hand der Gesellschaft liegt, durch schlechte Dokumentation der Geschäftstätigkeit die Informationsgrundlage einzuschränken. Daher soll der Regelungsweise des § 717 Abs. 1 BGB auch nur ein arbeitsentlastender Effekt zukommen. Die Regelung trägt dem Gesellschaftsinteresse Rechnung, die laufende Geschäftsführungstätigkeit nicht durch Auskunftsanfragen zu stören. Die Geschäftsführung soll sich zunächst nicht mit Gesellschafteranfragen in der Weise auseinandersetzen müssen, dass diese jegliche individuelle Informationsanfrage beantworten muss. Daher obliegt es den Gesellschaftern, ihre Informationsinteressen zunächst anhand der Geschäftsunterlagen zu befriedigen, während sich der Aufwand der Geschäftsführung in der Bereitstellung der Geschäftsunterlagen erschöpft. Sofern sich das Informationsbedürfnis nicht befriedigen lässt, sind die Geschäftsführer gehalten, Auskünfte zu erteilen. Mit diesem abgestuften Informationssystem wird ein Anreiz für die Geschäftsführung zur ordentlichen und gewissenhaften Dokumentation der Geschäftsführungstätigkeit geschaffen. Gleichzeitig gewährleistet der Vorrang des Einsichts- vor dem Auskunftsrecht ein höheres Maß an Authentizität.11
11 Vgl. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 159.
354 | Könen
Informationsrechte und -pflichten | Rz. 19 § 717 BGB
3. Auskunftsrechte Nur, wenn sich das Informationsbedürfnis der Gesellschafter nicht auf der Grundlage der 17 Geschäftsunterlagen befriedigen lässt, können diese eine persönliche Unterrichtung durch die Geschäftsführung verlangen (§ 717 Abs. 1 Satz 2 BGB). In welchem Umfang die Gesellschafter über die Gesellschaftsangelegenheiten zu unterrichten sind, hängt von den auszuübenden Mitgliedsrechten und -pflichten der Gesellschafter ab. Maßgeblich ist, dass diese ihrer Kontrollfunktion gegenüber der Gesellschaft sowie deren Organen hinreichend gerecht werden können. Die Kontrolldichte bestimmt sich nach der konkreten Geschäftstätigkeit. Der Beurteilungsmaßstab ergibt sich aus § 717 Abs. 1 Satz 3 BGB, indem dieser Anforderungen an die Informationsgewährung – gemessen am konkreten Geschäftsgegenstand sowie den wahrzunehmenden Gesellschafterrechten – zulässt. Auf diese Weise werden die in der Treuepflicht angelegten gegenseitigen Rücksichtnahmepflichten mit Blick auf das Informationsrecht konkretisiert. Mit dem Vorbehalt einer besonderen Ausübungskontrolle – wie sie auch im Rahmen der 18 Wirksamkeitskontrolle von Mehrheitsbeschlüssen einschlägig ist – wird zum Ausdruck gebracht, dass der durch § 717 Abs. 1 BGB gewährte geringere Schutzumfang individueller Informationsrechte durch einen stärker ausgeprägten Schutz zu gewährleisten ist, als dies im Rahmen der Treuepflicht möglich wäre.12 Beschränkungen des Informationsrechts im Gesellschaftsvertrag werden auf diese Weise einer besonderen Verhältnismäßigkeitskontrolle unterstellt, sofern dies die Wahrnehmung der Gesellschafterrechte gebietet. Als Regelbeispiel eines gesteigerten, schützenswerten Gesellschafterinteresses sieht § 717 Abs. 1 Satz 3 BGB den Grund zur Annahme unredlicher Geschäftsführung vor: Es genüge „der begründete Verdacht zum Beispiel fehlerhafter Führung der Geschäftsunterlagen oder die grundlose Verweigerung von Informationen angesichts einer ungewöhnlichen Geschäftsentwicklung[, wobei d]ie Anforderungen an die Darlegungslast des Gesellschafters […] insoweit nicht überspannt werden dürfen.“13
IV. „Kollektives“ Informationsrecht (Abs. 2) Dem kollektiven Informationsrecht des § 717 Abs. 2 BGB kommt eine doppelte dogmati- 19 sche Rechtfertigung zu: Einerseits ist es Ausprägung organschaftlicher Verantwortung, andererseits ist es mitgliedschaftliches Schutzrecht der Gesellschaftergesamtheit. In Anbetracht dieser dogmatischen Fundierung ist die Terminologie des „kollektiven“ Informationsrechts auch nicht überholt,14 wenngleich mit einer solchen Bezeichnung auch nur ein Teil des Informationsrechts beschrieben wird. Dennoch bringt § 717 Abs. 2 BGB, indem dieser das Informationsrecht der Gesellschaft zuerkennt, die Rechtssubjektivität des Personenverbandes erneut zum Ausdruck. Mit der Anerkennung der Rechtssubjektivität der Personenaußengesellschaft ist die mitgliedschaftliche Anknüpfung eines Informationsrechts des Personenverbandes gegenüber seinen Organen keine notwenige, weil aus dem Organschaftsverhältnis bereits ein Informationsanspruch folgt. Aufgrund des Prinzips der Selbstorganschaft handelt es sich bei den Organwaltern eines Personenverbandes aber stets auch um Gesellschafter, so dass zwischen diesen und der Gesellschaft auch ein mitgliedschaftliches Rechtsverhältnis existiert. Insofern kommt dem „kollektiven“ Informationsrecht – ebenso wie dem individuellen Informationsrecht – die Qualität eines unentziehbaren mitgliedschaftlichen Schutzrechts der Gesellschaftergesamtheit zu.
12 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 159 f. 13 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 160. 14 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 160. Könen | 355
§ 717 BGB Rz. 20 | Rechtsfähige Gesellschaft
1. Pflicht der Geschäftsführer zu eigener Informationstätigkeit 20 Anders als das auf Einsichtnahme fokussierte individuelle Informationsrecht wird das kol-
lektive Informationsrecht im Wege einer Pflicht der Geschäftsführung zu eigener Informationstätigkeit geprägt. Die Pflicht zu eigener Informationstätigkeit trifft sämtliche Organwalter, unabhängig von einer internen Verteilung der Geschäftsführung, so dass sich die Geschäftsführer auch untereinander nach § 715 Abs. 1 BGB hinreichend mit Informationen versorgen müssen.15 a) Inhalt und Umfang 21 Die Pflicht zur Informationstätigkeit bezieht sich grundsätzlich auf die gesamte Geschäfts-
führungstätigkeit, weil sich darauf auch das Informationsbedürfnis der Gesellschaft erstreckt. Vor dem Hintergrund, dass die Informationspflicht gegenüber der Gesellschaft repräsentiert durch die Gesellschafterversammlung zu erfüllen ist, kann ein individuelles Informationsinteresse im Einzelfall auch das Gesamtinteresse des Kollektivorgans prägen. aa) Objektives Informationsbedürfnis 22 Informationspflicht sowie punktuelles Auskunftsverlangen setzen ein Informationsbedürfnis
voraus, weil anderenfalls ein Tätigwerden durch die Geschäftsführung willkürlich und unzumutbar erschiene. Mit Blick auf die Informationspflicht ist das Informationsbedürfnis grundsätzlich objektiv zu bestimmen, während das Auskunftsverlagen durch ein individuelles Informationsbedürfnis geprägt sein kann. Ein objektives Informationsbedürfnis ist regelmäßig mit Blick darauf gegeben, inwiefern ein Geschäftsführungsmaßnahme Auswirkungen auf den wirtschaftlichen Erfolg oder das Risiko der Gesellschaftstätigkeit – und damit auch für die Gesellschafterhaftung – hat.16 Ein subjektives Informationsbedürfnis kann sich etwa hinsichtlich solcher Maßnahmen ergeben, hinsichtlich derer einzelne Gesellschafter ein besonderes Interesse haben (Rz. 24). 23 Hinsichtlich laufender, regelmäßig wiederkehrender und gleichgelagerter Geschäftstätig-
keit ist das Informationsbedürfnis regelmäßig gering ausgeprägt, so dass sich die Erfüllung der Informationspflicht in allgemeinen Aussagen erschöpfen kann. Über außergewöhnliche Geschäftsvorfälle ist demgegenüber stets in gesteigerter Detailtiefe zu berichten, weil die Gesellschaftergesamtheit nur dann ihrer Kontrollbefugnis entsprechen kann, darüber ein Urteil fällen zu können, ob es sich überhaupt um eine Maßnahme handelt, die von der Geschäftsführungskompetenz des § 715 Abs. 1, Abs. 2 BGB gedeckt ist. Insoweit bezieht sich das objektive Informationsbedürfnis in erster Linie auf die Gegenstände der Geschäftsführung. bb) Subjektives Informationsbedürfnis 24 Während das objektive Informationsbedürfnis der Gesellschaftergesamtheit insbesondere
hinsichtlich solcher Maßnahmen gegeben ist, bei denen eine Überschreitung der Kompetenzordnung zu befürchten ist (Rz. 22), besteht ein subjektives Informationsbedürfnis der Gesellschaftergesamtheit (im Rahmen von § 717 Abs. 2 BGB) vornehmlich in Bereichen, in denen es um die Beurteilung der Reichweite selbstverantwortlicher Einstandspflicht der Gesellschaft geht, ohne dass es sich dabei notwendig um Gegenstände des individuellen Informationsrechts handelt. Insoweit besteht ein Kontrollinteresse in erster Linie hinsichtlich des Umfangs und nicht des Inhalts der Geschäftsführung, weil dieser Auswirkungen darauf hat, inwiefern mit den Gesellschaftsverbindlichkeiten auch das Privatvermögen funktional – die 15 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 160. 16 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 160.
356 | Könen
Informationsrechte und -pflichten | Rz. 26 § 717 BGB
Zuständigkeit der Rechte noch nicht betreffend – dem Zugriff der Gesellschaftsgläubiger zugewiesen wird. Diese Interessenlage bedeutet hingegen nicht, dass die Geschäftsführer insoweit nur auf Anfrage hin berichten müssen. Allgemeine Auskünfte über die Geschäftszahlen sind ebenfalls Teil der eigenständigen Informationspflicht. b) Geltendmachung im Wege der actio pro socio Grundsätzlich kommt auch eine Gesellschafterklage, gerichtet auf die Erteilung der Auskünfte 25 an die Gesellschaft, in Betracht, weil in dem Unterlassen selbständiger Informationstätigkeit gegenüber der Gesellschaft ein durch die actio pro socio zu begegnender Funktionsverlust der organschaftlichen Willensbildung zu beobachten ist. Würde man nun aber dem einzelnen Gesellschafter hinsichtlich eines solchen Informationsinteresses der Gesellschaft ein eigenes Klagerecht in Prozessstandschaft zuerkennen, liefe man Gefahr, die normative Binnendifferenzierung zwischen dem individuellen sowie dem kollektiven Informationsrecht zu unterlaufen. So ist das individuelle Informationsrecht nur unter eingeschränkteren Voraussetzungen zugänglich.17 Für die Zulässigkeit der Geltendmachung im Wege der actio pro socio spricht aber entscheidend, dass diese ein unentziehbares Schutzrecht darstellt, sofern die innergesellschaftlichen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Zur Beachtung der innergesellschaftlichen Kompetenzordnung sowie der systematischen Binnendifferenzierung ist es ausreichend, dass der einzelne Gesellschafter die Geschäftsführung zur Informationsgewährung an die Gesellschaft aufgefordert hat. Der Einberufung einer Gesellschafterversammlung, die einen Beschluss über die Aufforderung der Geschäftsführung zur Informationsgewährung fassen könnte, bedarf es indes nicht. So handelt es sich bei der Informationsgewährung nach § 717 Abs. 2 BGB um eine eigenständige Pflicht der Geschäftsführung gegenüber der Gesellschaft, die kraft Gesetzes eigeninitiativ ohne eine entsprechende Aufforderung zu erfüllen ist. Ein Beschlusserfordernis ergibt sich aus der innergesellschaftlichen Kompetenzordnung gerade nicht. Zu einer Umgehung der Voraussetzungen des Abs. 1 kommt es jedenfalls dann nicht, wenn der Antrag des Gesellschafters auf die auf Erteilung der Information an die Gesellschaft gerichtet ist.
2. Rechenschaft nach Aufgabe der Geschäftsführertätigkeit Gemäß § 717 Abs. 2 Satz 1 a.E. BGB sind die geschäftsführungsbefugten Gesellschafter nach 26 Beendigung der Geschäftsführertätigkeit verpflichtet, Rechenschaft abzulegen, deren Inhalt sich nach § 259 BGB bestimmt. Daneben machen die §§ 718, 736d BGB den Schluss eines Geschäftsjahres sowie die Auflösung der Gesellschaft zum Anknüpfungspunkt für eine Pflicht der Geschäftsführung zur Rechenschaft. Insoweit stellt das vorzeitige Ausscheiden eines Geschäftsführers einen Sonderanknüpfungspunkt für eine außerordentliche Rechenschaftspflicht dar. Die außerordentliche Rechenschaftspflicht ist darauf zurückzuführen, dass mit dem Ausscheiden eines Geschäftsführers eine inhaltliche Zäsur der Geschäftsführungsweise in der Weise verbunden ist, dass die kontrollbefugte Gesellschaftergesamtheit in die Lage versetzt wird, das unterschiedlich besetzte Geschäftsführungsgremium hinsichtlich seiner konkreten Zusammensetzung und Geschäftsführungstätigkeit evaluieren und gegebenenfalls modifizieren zu können.
17 Vgl. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 160. Könen | 357
§ 718 BGB Rz. 1 | Rechtsfähige Gesellschaft
§ 718 BGB Rechnungsabschluss und Gewinnverteilung Der Rechnungsabschluss und die Gewinnverteilung haben im Zweifel zum Schluss jedes Kalenderjahrs zu erfolgen. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. 1. 2. II. 1.
Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mitgliedschaftliche Wertbeteiligung . . . Anspruchsgegner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 2 3 5 6
2. 3. III. IV.
Auslegungsregel und Abdingbarkeit . . . . 8 Gesellschafterkonten . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Rechnungsabschluss . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Gewinnverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
I. Allgemeines 1 § 718 BGB regelt Rechnungsabschluss und Gewinnverteilung auf der Grundlage des kapita-
listischen Verteilungsschlüssels des § 709 Abs. 3 BGB. Gemeinsam mit den Regelungen der §§ 120–122 HGB verkörpern diese Normen das gesellschaftsrechtliche Bilanzrecht der Personenaußengesellschaft.1
1. Überblick 2 § 718 BGB stellt eine Auslegungsregelung dar, nach der – mangels abweichender Verein-
barung im Gesellschaftsvertrag – Rechnungsabschluss und Gewinnverteilung im Zweifel zum Schluss jedes Kalenderjahres zu erfolgen haben. Der Anspruch auf Rechnungsabschluss und Gewinnverteilung ist ein mitgliedschaftlicher Individualanspruch des Gesellschafters und Ausdruck seiner mitgliedschaftlichen Wertbeteiligung. Schuldner des Anspruchs ist die Gesellschaft selbst, weil diese dem Gesellschafter insoweit als mitgliedschaftlich verpflichtetes Subjekt gegenübertritt. Eine Verlustbeteiligung ist in Anbetracht der Unzulässigkeit von Nachschüssen während des werbenden Zustands der Gesellschaft nur in der. Weise vorgesehen, dass Verluste sich im Kapitalanteil II dadurch niederschlagen können, dass die Auszahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen nicht verlangt werden können, weil die Verluste die Gewinne übersteigen.
2. Normzweck 3 Der periodische Jahresabschluss trägt dem Leitbildwandel der Personenaußengesellschaft
als Dauergesellschaft Rechnung. Ein auf den Auflösungszeitpunkt der Gesellschaft hinausgeschobener Jahresabschluss würde den Interessen der Gesellschafter an transparenter Kontenführung sowie möglichst genau bezifferter mitgliedschaftlicher Wertbeteiligung nicht gerecht, insbesondere mit Blick auf das unterstellte Interesse der Gesellschafter an einer Vollausschüttung der Gesellschaftsgewinne.
1 Könen, RFamU 2023, 220.
358 | Könen
Rechnungsabschluss und Gewinnverteilung | Rz. 7 § 718 BGB
Demgegenüber würde eine Ergebnisverteilung nach Abschluss jedes Einzelgeschäfts mut- 4 maßlich ungewollte Transaktionskosten verursachen und die Geschäftsführungstätigkeit in einer Weise belasten, die mit der Treuepflicht nicht mehr vereinbar wäre. Ferner schließt die gemeinschaftliche Zweckverfolgung in einem Personenverband, in dem Gesellschafter grundsätzlich nicht verpflichtet sind, Nachschüsse zu leisten, es grundsätzlich aus, dass jeglicher Geschäftsgewinn nach einem Geschäftsvorfall ausgeschüttet wird, weil das Gesellschaftsvermögen auf diese Weise schnell ausgezehrt würde, wodurch die Gesellschaft handlungsunfähig würde. Gleichzeitig hätte ein punktueller, unterjähriger Geschäftsabschluss zur Folge, dass die mit Feststellung entstehenden Gewinnansprüche der Gesellschafter bereits dem Zugriff der Privatgläubiger unterlägen, wodurch eine konsequente Vermögenstrennung verhindert würde. Vielmehr hat der periodische Rechnungsabschluss zur Folge, dass das Gesellschaftsvermögen – jedenfalls bis zur Feststellung des Jahresabschlusses – zweckgebunden ausschließlich der Gesellschaft zugewiesen bleibt. Der periodische Rechnungsabschluss trägt daher sowohl der Rechtssubjektivität der Gesellschaft als auch der gläubigerschützenden Vermögenstrennung angemessen Rechnung. Deutlich wird daran, dass die Gesellschafter gerade keinen freien Zugriff auf das Gesellschaftsvermögen haben.2
II. Mitgliedschaftliche Wertbeteiligung § 718 BGB ist Ausdruck der Rechtssubjektivität des Personenverbands sowie der schlicht 5 mitgliedschaftlichen Wertbeteiligung der Gesellschafter an dem Gesellschaftsvermögen. So entsteht der vermögensrechtliche Anspruch der Gesellschafter auf Auszahlung eines Gewinns erst mit der Feststellung des Rechnungsabschlusses. Nach Maßgabe des § 709 Abs. 3 Satz 1 BGB ergibt sich der Gewinnanspruch eines Gesellschafters grundsätzlich nach dem kapitalistischen Verteilungsschlüssel der vereinbarten Gesellschaftsbeteiligung. Vor diesem Hintergrund steht dem Gesellschafter nach Feststellung des Rechnungsabschlusses ein Anteil an den Gesellschaftsgewinnen nach dem Wert des festen Kapitalanteils I zu, wie dieser auf dem festen Kapitalkonto I mit den vereinbarten Beteiligungsverhältnisses verbuchbar ist. Der tatsächliche Auszahlungsanspruch ergibt sich indes nach dem Kontostand auf dem variablen Kapitalkonto II, auf dem die geleisteten Einlagen, Gewinnentnahmen und Verlustbeteiligungen verbuchbar sind.3
1. Anspruchsgegner Anspruchsgegner für den Rechnungsabschluss und für die Gewinnauszahlung ist die Gesell- 6 schaft und nicht die geschäftsführungsbefugten Gesellschafter, weil die Gewinnansprüche einen mitgliedschaftlichen Vermögensanspruch nur gegen die Gesellschaft begründen. Diese ist es, die während eines Geschäftsjahres mit dem zweckgebundenen Vermögen vermittelt durch die Geschäftsführung und Vertreter im Rechtsverkehr agiert. Eine Verlustbeteiligung der Gesellschafter kommt im Rahmen des Jahresabschlusses nur ver- 7 mittelt über die mitgliedschaftliche Wertbeteiligung in Betracht, weil die Gesellschafter nach den §§ 710, 737 BGB zu Nachschüssen während des werbenden Stadiums der Gesellschaft nur verpflichtet werden können, wenn sie dies gesellschaftsvertraglich oder ad hoc privatautonom vereinbaren; erforderlichenfalls ist die Gesellschaft zu liquidieren oder hinsichtlich einer zahlungsunfähigen Gesellschaft die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu beantragen. Keine unzulässigen Nachschüsse sind hingegen gegeben, wenn Verluste der Gesellschafter auf dem variablen Kapitalkonto II verbucht werden. Dieses ist – in Verbindung mit dem festen 2 Vgl. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 160 f. 3 Vgl. Könen, RFamU 2023, 220, 221 ff. Könen | 359
§ 718 BGB Rz. 7 | Rechtsfähige Gesellschaft Kapitalkonto I – maßgeblich für den individuellen Verlustbeteiligungsschlüssel im Falle des Ausscheides bzw. der Liquidation. Unzulässig ist ein Ausweis der Gesellschaftsverluste auf einem das Fremdkapital der Gesellschaft ausweisenden Gesellschafter- bzw. Darlehenskonto.
2. Auslegungsregel und Abdingbarkeit 8 § 718 BGB stellt lediglich eine Auslegungsregelung dar, nach der es den mutmaßlichen Ge-
sellschafterinteressen entspricht, den Rechnungsabschluss zum Jahresende durchzuführen und durch die Gesellschafterversammlung feststellen zu lassen. Daher ist es den Gesellschaftern unbenommen, den Rechnungsabschluss und die sich anschließende Gewinnverteilung anstelle des Kalenderjahres an ein Geschäftsjahr anzuknüpfen. Problemtisch ist demgegenüber die Vereinbarung eines punktuellen Rechnungsabschlusses nach jedem Geschäftsvorgang, weil dadurch die eigentliche Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens unterwandert würde. Für den Rechtsverkehr ist damit die Gefahr verbunden, dass das Rechtssubjekt des Personenverbandes von innen ausgehöhlt wird und nicht mehr verlässlicher Schuldner im Rahmen von Verbindlichkeiten sein kann. Vor dem Hintergrund, dass es aber der Gesellschaftergesamtheit jederzeit obliegt, eine Vollausschüttung des Gesellschaftsvermögens zu vereinbaren, ist § 718 BGB nicht geeignet, einen darüberhinausgehenden Vermögens- und Gläubigerschutz zu gewährleisten. Zu berücksichtigen ist, dass mit einem auf diese Weise vereinbarten punktuellen Rechnungsabschluss die Vermögenstrennung aufgeweicht wird, so dass die Verkehrsfähigkeit einer solchen Gesellschaft bereits im Ausgangspunkt hinken würde. Mit der Gründung würde eine solche Gesellschaft bereits an den Rand der Liquidation gebracht. Vor genau solchen verbandsspezifischen Gefährdungslagen soll die Gesellschafterhaftung nach § 721 BGB gerade schützen. 9 Mit dem periodischen Rechnungsabschluss geht einher, dass die Gesellschaftsgewinne so
lange zweckgebunden in dem Gesellschaftsvermögen verbleiben, bis der Gewinnanspruch durch den Gesellschafter geltend gemacht wird – entweder indem er die Auszahlung begehrt oder indem er eine Umbuchung auf sein Darlehenskonto vornimmt.4 Ein periodischer Rechnungsabschluss hat vor diesem Hintergrund haftungsrechtliche Außenwirkung, weil die Privatgläubiger der Gesellschafter darauf verwiesen sind, entweder die zu der Mitgliedschaft gehörenden Rechte insgesamt zu pfänden und die Mitgliedschaft zu kündigen, um auf das Abfindungsguthaben zuzugreifen (vgl. § 726 BGB), oder die regelmäßige Feststellung der Gesellschaftsgewinne abzuwarten.5
3. Gesellschafterkonten 10 Indem der Rechnungsabschluss Voraussetzung für die Feststellung des Gewinns sowie des-
sen Verteilung ist und die Gewinnverteilung nach § 709 Abs. 3 Satz 1 BGB sich grundsätzlich nach den vereinbarten Beteiligungsverhältnissen richtet, setzt § 718 BGB die Rechnungsziffern eines festen sowie eines variablen Kapitalanteils voraus, mit denen die mitgliedschaftliche Wertbeteiligung bilanziell auf den Kapitalkonten I und II abgebildet werden kann.6 Soll darüber hinaus eine Trennung zwischen Eigen- und Fremdkapital abgebildet werden, ist daneben die Führung eines dritten Gesellschafterkontos angezeigt. Anders als im Rahmen der §§ 120–122 HGB sind die formellen Voraussetzungen über den Rechnungsabschluss im BGB nicht ausdrücklich geregt; gleichwohl sind diese deklaratorischen Bestimmungen entsprechend heranzuziehen, wenn Gesellschafterkonten geführt werden. 4 Könen, RFamU 2023, 220, 226. 5 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 161. 6 Könen, RFamU 2023, 220, 223 f.
360 | Könen
Rechnungsabschluss und Gewinnverteilung | Rz. 14 § 718 BGB
III. Rechnungsabschluss Der Rechnungsabschluss ist Geschäftsführungsaufgabe i.S.v. § 715 Abs. 1, Abs. 2 BGB und 11 notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für die Entstehung eines Gewinnanspruchs gegen die Gesellschaft. Erst die Feststellung der Gesellschaftsgewinne durch die Gesellschaftergesamtheit nach § 714 BGB führt dazu, dass sich das zweckgebundene Gesellschaftsvermögen in einen entnahmefähigen Gewinnanspruch der Gesellschafter umwandeln kann. Bis zu dieser Feststellung kommt ein individueller Zugriff der Gesellschafter auf das Gesellschaftsvermögen in Betracht. In Anbetracht dieser weitreichenden Folgen für Gesellschafts- und Gesellschaftervermögen handelt es sich bei Feststellung des Rechnungsabschlusses auch nicht um eine Maßnahme gewöhnlicher Geschäftsführung, sondern um eine solche, die die Grundlagen der Gesellschaft betreffen. Aus der Rechtssubjektivität des Personenverbandes folgt, dass derartige Liquiditätsentnahmen aus dem Gesellschaftsvermögen, für die dieser keinen wertäquivalenten Zufluss erfährt, nur durch die Gesellschaftergesamtheit auf der Grundlage eines Gesellschafterbeschlusses i.S.v. § 714 BGB in Betracht kommen. Davon zu unterscheiden ist die durch § 718 BGB vorgesehene periodische Aufstellung des Rechnungsabschlusses; diese ist Geschäftsführungsmaßnahme nach § 715 Abs. 1, Abs. 2 BGB. An dieser Bewertung ändert auch nicht die Tatsache etwas, dass das gesetzliche Leitbild der Personenaußengesellschaft auf Vollausschüttung der Gesellschaftsgewinne gerichtet ist. Erst die Feststellung des Rechnungsabschlusses führt dazu, dass sich die Gesellschaftsgewinne anteilig – weiterhin als Eigenkapital der Gesellschaft zu bilanzieren – im variablen Kapitalanteil II niederschlagen. Für den Rechnungsabschluss haben die Geschäftsführer jedenfalls eine die einzelnen Ge- 12 schäftsvorfälle erfassende Gewinn- und Verlust-Rechnung aufzustellen.7
IV. Gewinnverteilung Neben dem Rechnungsabschluss sieht § 718 BGB die Gewinnverteilung zum Jahresende vor. 13 Von der Gewinnverteilung i.S.v. § 718 BGB zu unterscheiden ist wiederum der Anspruch auf Gewinnauszahlung. Dieser gelangt unmittelbar mit der Feststellung des Rechnungsabschlusses zur Entstehung, ohne dass es einer Ergebnisermittlung bedarf, wie sie in § 120 HGB angelegt ist, aber auch dort keine notwendige Voraussetzung für die Entstehung eines Gewinnanspruchs ist. Die Gewinnverteilung ist daher lediglich gesellschaftsrechtliche Pflicht, ohne dass diese Auswirkung auf die Entstehung von Entnahmeansprüche hat. Ist der Rechnungsabschluss durch die Gesellschaftergesamtheit festgestellt, führt dies bereits kraft Gesetzes und verbandsrechtlicher Verfassung dazu, dass sich die Gesellschaftsgewinne und Verluste verbindlich auf den Kapitalanteil II des Gesellschafters auswirken. In Anbetracht des Prinzips der Vollausschüttung bedarf es jedenfalls keines gesonderten Beschlusses über die Gewinnverteilung. Mit der Gewinnverteilung nach § 718 BGB ist daher der bilanzielle Vorgang durch die Geschäftsführung adressiert, die Entstandenen Gewinnanspruche, den jeweiligen Kapitalkonten II der Gesellschafter gutzuschreiben, sofern diese geführt werden. Anders als im Rahmen der §§ 120–122 HGB, sind die formellen Voraussetzungen über den 14 Rechnungsabschluss und die Ergebnisermittlung nicht ausdrücklich geregelt; gleichwohl sind diese Bestimmungen entsprechend heranzuziehen, wenn Gesellschafterkonten geführt werden. So sind die HGB-Bestimmungen über Gewinnansprüche, Gewinnermittlung und Zuschreibung zum Kapitalanteil ohnehin bloß deklaratorisch; sie vollziehen nur denjenigen verbandsrechtlichen Vorgang nach, wie die Gesellschaftergesamtheit zu Lasten der Gesellschaft eine Gewinnausschüttung auf der Grundlage eines Rechnungsabschlusses durch die
7 Könen, RFamU 2023, 220, 225. Könen | 361
§ 718 BGB Rz. 14 | Rechtsfähige Gesellschaft Geschäftsführung veranlassen kann. So findet mit Feststellung des Rechnungsabschlusses durch die Gesellschafterversammlung kraft Gesetzes sowie verbandsrechtlicher Verfassung eine Gutschrift der Gewinnansprüche zum variablen Kapitalanteil II statt, sofern die Gesellschafter den Grundsatz der Vollausschüttung nicht gesellschaftsvertraglich abbedungen haben. 15 Ist die Verbandsverfassung auf die Vollausschüttung der Gesellschaftsgewinne ausgerichtet,
so folgt aus den mitgliedschaftlichen Vermögensrechten, dass die Beschlussfassung über die Feststellung des Rechnungsabschlusses unmittelbar zu einem Zahlungsanspruch der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft führen muss. 16 Die Fälligkeit des Anspruchs auf Auszahlung eines Gesellschaftsgewinns setzt dessen Gel-
tendmachung voraus. Wird der Auszahlungsanspruch nicht geltend gemacht, verbleibt die Gutschrift auf dem Kapitalkonto II, welches einen Ausweis des Eigenkapitals der Gesellschaft darstellt. Materiell-rechtlich bleiben diese Vermögensbestandteile der Gesellschaft als Eigenkapital zugewiesen, bis der Gesellschafter seinen Auszahlungsanspruch geltend macht. Möchte er die Vermögensbestandteile der Gesellschaft als Fremdkapital weiterhin zur Verfügung stellen, kann dies durch eine Umbuchung auf ein Darlehenskonto zum Ausdruck gebracht werden. Wird der Gewinnanteil nicht ausbezahlt oder auf ein Fremdkonto umgebucht, bleibt er auf dem Kapitalkonto II stehen; er wird jedenfalls mit der Feststellung des nächsten Jahresabschlusses zum zweckgebundenen Vermögen der Gesellschaft (§ 120 HGB Rz. 20). Es erhöht sich daher auch in der GbR der Kapitalanteil II, obwohl es an einer Regelung wie § 120 HGB mangelt. Inwiefern stehen gelassene Gewinne als Darlehen des Gesellschafters verbucht werden oder dauerhaft zweckgebunden in der Gesellschaft bis zur Liquidation verbleiben, ist privatautonome Entscheidung jedes einzelnen Gesellschafters, sofern nicht eine entsprechende Thesaurierungsentscheidung durch die Gesellschafterversammlung einstimmig beschlossen wird.
Rechtsverhältnis der Gesellschaft zu Dritten (§§ 719–722)
§ 719 BGB Entstehung der Gesellschaft im Verhältnis zu Dritten (1) Im Verhältnis zu Dritten entsteht die Gesellschaft, sobald sie mit Zustimmung sämtlicher Gesellschafter am Rechtsverkehr teilnimmt, spätestens aber mit ihrer Eintragung im Gesellschaftsregister. (2) Eine Vereinbarung, dass die Gesellschaft erst zu einem späteren Zeitpunkt entstehen soll, ist Dritten gegenüber unwirksam. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Entstehung im Verhältnis zu Dritten (Abs. 1) 1. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsfolgen
362 | Könen und Ceesay
1
6
a) Infolge der Entstehung „im Verhältnis zu Dritten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 b) Vor der Entstehung „im Verhältnis zu Dritten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 III. Zwingendes Recht (Abs. 2) . . . . . . . . . . . 14 IV. Prozessuales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
Entstehung der Gesellschaft im Verhältnis zu Dritten | Rz. 3 § 719 BGB
I. Grundlagen Die Vorschrift überträgt das Regelungsmodell des im Kern unveränderten § 123 HGB 1 (§ 123 HGB Rz. 1) in das Recht der rechtsfähigen GbR1 und ordnet an, dass die Gesellschaft „im Verhältnis zu Dritten“ nicht unmittelbar „entsteht“, sondern erst mit Eintragung im Gesellschaftsregister oder einvernehmlicher Teilnahme der Gesellschafter am Rechtsverkehr. Die Regelung steht zum einen in engem Zusammenhang mit § 705 Abs. 1 BGB, wonach eine 2 GbR bereits durch den Abschluss des Gesellschaftsvertrags errichtet wird (§ 705 BGB Rz. 74), zum anderen mit § 705 Abs. 2 Alt. 1 BGB, wonach eine solche GbR bereits rechtsfähig ist, wenn sie nach dem gemeinsamen Willen der Gesellschafter am Rechtsverkehr teilnehmen „soll“. Aus diesem systematischen Zusammenhang erschließt sich, dass mit der Entstehung „im Verhältnis zu Dritten“ ausschließlich die Anwendung der Vorschriften aus Kapitel 3 über das Rechtsverhältnis der rechtsfähigen GbR zu Dritten – und damit insbesondere die Haftungsanordnung des § 721 Satz 1 BGB – gemeint ist.2 So kommen insbesondere die Vorschriften aus Kapitel 2 über das Innenverhältnis der rechtsfähigen GbR unabhängig von § 719 BGB zur Anwendung.3 In der Sache dient § 719 Abs. 1 BGB daher dem Schutz der Gesellschafter vor den Kon- 3 sequenzen der mit dem MoPeG bekräftigten unbeschränkten Haftung der Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der rechtsfähigen GbR, nachdem zuvor zwar die analoge Anwendung von § 128 HGB a.F.,4 nicht jedoch eine entsprechende Anwendung von § 123 HGB a.F. anerkannt war.5 In der GbR verbleibt dem aus § 123 HGB übernommenen Regelungsmodell (Rz. 1) gleichwohl ein schmaler Anwendungsbereich. Denn das gesetzliche Normalstatut der GbR sieht mit § 720 Abs. 1 BGB eine Gesamtvertretung durch alle Gesellschafter vor und räumt diesen nicht wie in § 124 Abs. 1 HGB eine Einzelvertretungsmacht ein, auf die der Rechtsverkehr nach § 15 Abs. 1 HGB vorbehaltlich abweichender Eintragung und Bekanntmachung vertrauen darf. So entfaltet § 719 BGB nur dort eigenständige Relevanz, wo die Vertretungsmacht der Gesellschafter abweichend von § 720 Abs. 1 BGB gestaltet ist und die durch Abschluss des Gesellschaftsvertrags errichtete Gesellschaft (s. Rz. 2) auch ohne Mitwirkung sämtlicher Gesellschafter wirksam vertreten würde. Allerdings wird in der Einräumung einer von § 720 Abs. 1 BGB abweichenden Vertretungsmacht regelmäßig bereits die Einwilligung in die Aufnahme der Geschäfte durch jene Gesellschafter liegen.6 Angesichts des schmalen Anwendungsbereichs mag man die Notwendigkeit des durch § 719 Abs. 1 BGB vermittelten Gesellschafterschutzes in Frage stellen.7 De lege lata muss er jedoch ernst genommen werden (vgl. Rz. 12).
1 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 161; zuvor schon Expertenkommission für die Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, Mauracher Entwurf, S. 112 (abrufbar unter https://perma.cc/ EDK4-HLTK). 2 Vgl. auch Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 162: Zeitpunkt, ab dem die rechtsfähige GbR „mit allen Konsequenzen aus ihrer Rechtsfähigkeit auch den Vorschriften über die Vertretung und Haftung unterliegt“. 3 Vgl. auch Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 162 („Davon zu unterscheiden ist der rechtsgeschäftliche Verkehr innerhalb des Gesellschaftskreises“). 4 BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 = ZIP 2001, 330 LS 3. 5 Dafür aber Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 123 HGB Rz. 20; Schäfer in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1085, 1093 f.; dagegen zuletzt Bartlitz, NZG 2020, 1094, 1097. 6 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 123 HGB Rz. 20. 7 So etwa Bachmann, NZG 2020, 612, 614; DAV-Handelsrechtsausschuss, NZG 2020, 1133 Rz. 58 f.; für eine Erstreckung von § 123 HGB auf die GbR schon vor dem MoPeG jedoch Schäfer, Gutachten zum 71. DJT 2016, in Verhandlungen des 71. Deutschen Juristentages, 2017, Bd. I, S. E 96. Ceesay | 363
§ 719 BGB Rz. 4 | Rechtsfähige Gesellschaft 4 Umgekehrt dient § 719 Abs. 2 BGB dem Verkehrsschutz, wenn er die Entstehung der Gesell-
schaft „im Verhältnis zu Dritten“ nach Maßgabe des Abs. 1 der Disposition der Gesellschafter entzieht (Rz. 14).
5 Wenngleich § 719 BGB regelt, unter welchen Voraussetzungen die Vorschriften aus Kapitel 3
zur Anwendung gelangen, trifft er keine Regelung für die Zeit vor der Entstehung „im Verhältnis zu Dritten“. Hier sollen nach dem Willen des MoPeG-Gesetzgebers Rechtsscheingrundsätze den Schutz des Rechtsverkehrs gewährleisten, wenn sich mehrere, aber eben nicht sämtliche Gesellschafter über die Teilnahme am Rechtsverkehr einig sind.8 Die Anwendung jener Rechtsscheingrundsätze darf jedoch nicht dazu führen, dass das Einstimmigkeitsprinzip des § 719 BGB unterlaufen wird (Rz. 12).
II. Entstehung im Verhältnis zu Dritten (Abs. 1) 1. Voraussetzungen 6 Nach § 719 Abs. 1 BGB entsteht die Gesellschaft im Verhältnis zu Dritten (dazu Rz. 9) jeden-
falls mit ihrer Eintragung im Gesellschaftsregister gem. § 707a BGB. Hierbei handelt es sich nicht lediglich um eine Vermutung des einvernehmlichen Geschäftsbeginns; vielmehr soll sich der Rechtsverkehr nach dem Willen des Gesetzgebers „unabhängig von Vertrauensschutzerwägungen auf die im Gesellschaftsregister verlautbarte Existenz der Gesellschaft als Rechtssubjekt verlassen können“9. War etwa die Anmeldung durch einen Bevollmächtigten nach § 707 BGB noch nicht von allen Gesellschaftern gewollt, ändert auch die positive Kenntnis des Dritten vom fehlenden Einvernehmen nichts. Auf die Bekanntmachung kommt es – anders als bei § 15 Abs. 2 HGB i.V.m. § 707a Abs. 3 BGB – für die Anwendung des § 719 Abs. 1 BGB nicht an. 7 Vorbehaltlich einer solchen Eintragung entsteht die Gesellschaft im Verhältnis zu Dritten
(dazu Rz. 9) erst, wenn sie (i) am Rechtsverkehr teilnimmt, und zwar (ii) mit Zustimmung sämtlicher Gesellschafter. Für die Teilnahme am Rechtsverkehr genügt schon die erste dem Gesellschaftszweck dienende Rechtshandlung gegenüber einem Dritten (z.B. die Eröffnung eines Bankkontos), auch wenn es lediglich eine noch nicht bindende Vorbereitungshandlung ist (z.B. die Verhandlung über den Kauf eines Betriebsgrundstücks).10 Erforderlich ist jedoch – entsprechend § 164 Abs. 1 BGB – ein Handeln im Namen der Gesellschaft.11 Daher genügt es zwar nicht, wenn ein Gesellschafter nach außen im eigenen Namen und lediglich intern auf Rechnung der Gesellschaft handelt. Nach den Grundsätzen des unternehmensbezogenen Geschäfts muss bei erkennbarem Unternehmensbezug jedoch umgekehrt der Vertreter erkennbar zum Ausdruck bringen, wenn er nicht für den Unternehmensinhaber, sondern im eigenen Namen handeln will.12 Diese zu § 164 Abs. 1 BGB entwickelten Grundsätze können auch im Rahmen von § 719 BGB herangezogen werden, weil es sich hierbei nicht um eine Ausnahme vom Offenkundigkeitsprinzip, sondern eine Auslegungsregel handelt13 und die Gesellschafter durch das ausdrücklich in § 719 BGB verankerte Einstimmigkeitsprinzip (dazu Rz. 8) ausreichend geschützt werden. 8 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 162. 9 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 162. 10 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 162; vgl. auch BGH v. 26.4.2004 – II ZR 120/02, ZIP 2004, 1208, 1209 (zu § 123 Abs. 2 HGB a.F.). 11 Unstr. seit RG v. 11.11.1927 – II 127/27, RGZ 119, 64, 66; s. nur Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 123 HGB Rz. 10; Roth in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 123 HGB Rz. 9. 12 BGH v. 21.11.2019 – III ZR 244/18, ZIP 2020, 125 Rz. 21; BGH v. 10.6.2021 – III ZR 38/20, MDR 2021, 1113 Rz. 14. 13 Schubert in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2021, § 164 BGB Rz. 131.
364 | Ceesay
Entstehung der Gesellschaft im Verhältnis zu Dritten | Rz. 10 § 719 BGB
Damit die Gesellschaft im Verhältnis zu Dritten durch Teilnahme am Rechtsverkehr (Rz. 7) 8 entsteht, muss diese Teilnahme mit Zustimmung sämtlicher Gesellschafter erfolgen. Dieses Erfordernis war unter Geltung von § 123 HGB a.F. streitig14 und ist durch das MoPeG im Anschluss an eine Empfehlung des 71. DJT15 nunmehr ausdrücklich sowohl in § 123 Abs. 1 HGB als auch § 719 Abs. 1 BGB verankert worden.16 Dabei kommt es auf das tatsächliche – ausdrückliche, konkludente oder auch stillschweigende – Einverständnis der Gesellschafter zu der Teilnahme am Rechtsverkehr an. Liegt ein solches Einverständnis vor, spielt es auch keine Rolle, wenn im Gesellschaftsvertrag zuvor ein späterer Zeitpunkt für die Geschäftsaufnahme vereinbart wurde. Haben sich die Gesellschafter jedoch auf einen bestimmten Zeitpunkt für die Aufnahme der Geschäfte geeinigt, kann – anders als im Regelfall (s. Rz. 3) – in einer von § 720 BGB abweichenden Vertretungsregelung keine konkludente Einwilligung in die vorzeitige Geschäftsaufnahme durch die mit Vertretungsbefugnis ausgestatteten Gesellschafter erblickt werden.
2. Rechtsfolgen a) Infolge der Entstehung „im Verhältnis zu Dritten“ Liegen die Voraussetzungen des § 719 Abs. 1 BGB vor, ist die Gesellschaft „im Verhältnis zu 9 Dritten“ entstanden. Damit ist – wie sich aus der gesetzlichen Systematik ergibt (s. Rz. 2) – die Anwendung der Vorschriften aus Kapitel 3 über das Rechtsverhältnis der rechtsfähigen GbR zu Dritten gemeint.17 Namentlich richtet sich die Vertretung der Gesellschaft bereits im ersten einvernehmlichen Tätigwerden („sobald“) nach § 720 BGB und die Haftung der Gesellschafter nach § 721 Satz 1 BGB. b) Vor der Entstehung „im Verhältnis zu Dritten“ Weder § 719 BGB noch eine andere Vorschrift trifft eine Regelung für die Zeit vor der Ent- 10 stehung „im Verhältnis zu Dritten“. Wenn jedoch die Vorschriften des Kapitels 3 über das Rechtsverhältnis der rechtsfähigen GbR zu Dritten noch nicht zur Anwendung gelangen sollen (denn das ist die Rechtsfolge des § 719 Abs. 1 BGB), kann damit nicht nur gemeint sein, dass sich die Vertretung der – bereits nach § 705 BGB wirksam errichteten (s. Rz. 2) – Gesellschaft dann nach dem Gesellschaftsvertrag statt § 720 BGB richtet. Denn § 720 Abs. 1 BGB verweist für die Vertretungsmacht auf den Gesellschaftsvertrag. Näher liegt es, dass die Gesellschaft als Zurechnungsobjekt des Handelns ihrer Gesellschafter ausscheidet, solange die Voraussetzungen des § 719 Abs. 1 BGB noch nicht erfüllt sind. Das heißt, das Handeln der Gesellschafter oder anderer Vertreter kann die Gesellschaft weder gem. § 164 BGB unmittelbar berechtigen oder verpflichten noch ihr analog § 31 BGB zugerechnet werden. Dieses Verständnis indiziert auch die – gleichwohl nicht ganz glückliche – gesetzgeberische Formulierung des Entstehens „im Verhältnis zu Dritten“. Zudem scheint der Gesetzgeber selbst davon ausgegangen zu sein. Die Gesetzesmaterialien verweisen für den Fall, „dass sich mehrere, aber eben nicht sämtliche Gesellschafter über die Teilnahme am Rechtsverkehr einig sind“, nämlich ausschließlich auf die Grundsätze der Scheingesellschaft, „bei der sich die
14 Vgl. Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 123 HGB Rz. 11; eingehend zum Streitstand auch Bartlitz, NZG 2020, 1094, 1095 ff.; offen gelassen von BGH v. 26.4.2004 – II ZR 120/02, ZIP 2004, 1208, 1209. 15 Abteilung Wirtschaftsrecht des 71. DJT, Beschluss Nr. 18, abgedruckt in Verhandlungen des 71. Deutschen Juristentages, Band II/2, 2017, S. O 222. 16 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 161, 241. 17 Vgl. auch Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 162. Ceesay | 365
§ 719 BGB Rz. 10 | Rechtsfähige Gesellschaft Haftung ihrer vermeintlichen Gesellschafter nach allgemeinen Rechtsscheingrundsätzen beurteilt“.18 11 Nach ständiger Rechtsprechung haften Personen als Scheingesellschafter für vertragliche
wie außervertragliche Ansprüche (effektiv also analog § 721 Satz 1 BGB19), wenn sie in zurechenbarer Weise den Rechtsschein einer existierenden GbR und ihrer Zugehörigkeit zu dieser gesetzt haben oder gegen den durch einen anderen gesetzten Rechtsschein nicht pflichtgemäß vorgegangen sind und der Dritte sich bei seinem geschäftlichen Verhalten auf den Rechtsschein verlassen hat.20 Die analoge Anwendung des § 721 BGB überzeugt jedenfalls für die Gesellschafter, die im Namen der nach außen noch nicht „entstandenen“ GbR gehandelt haben, und auch für jene, die sich mit dem Außenhandeln vor dem Beginn im Einvernehmen aller einverstanden erklärt haben, ohne persönlich nach außen in Erscheinung getreten zu sein. 12 Unter Anwendung allgemeiner Rechtsscheingrundsätze könnte die Haftung jedoch auf den
ersten Blick auch diejenigen Gesellschafter treffen, die sich mit dem vorfristigen Beginn nicht einverstanden erklärt hatten. So könnte z.B. die vorfristige Verwendung eines intern gemeinsam vorbereiteten Briefkopfs oder die absprachewidrige Live-Schaltung einer intern gemeinsam erstellten Website durch einzelne Gesellschafter als hinreichender Rechtsschein zu Lasten derjenigen qualifiziert werden, die ihre Zustimmung nicht erteilt hatten. Brächte man die Rechtsscheingrundsätze so zur Anwendung, bliebe von dem durch § 719 Abs. 1 BGB intendierten Gesellschafterschutz indes nicht viel übrig. Da die Vorschrift „die Geltung des verkehrsschützenden Außenrechts“21 bewusst unter den subjektiven Vorbehalt der Zustimmung sämtlicher Gesellschafter stellt, spricht jedenfalls viel dafür, Maßnahmen, die der Vorbereitung des einvernehmlichen Geschäftsbeginns dienen, als taugliche Rechtsscheinträger auszuscheiden. Damit ist nicht gesagt, dass § 719 BGB generell verlangt, die nicht konsentierenden Gesellschafter von der Rechtsscheinhaftung auszunehmen. In den verbleibenden Fällen, in denen diese gegen den eigenmächtigen Geschäftsbeginn durch Mitgesellschafter nicht eingeschritten sind, wird jedoch vielfach bereits ein tatsächliches – konkludentes oder stillschweigendes – Einverständnis anzunehmen sein. 13 Personen, welche die im Verhältnis zu Dritten noch nicht entstandene Gesellschaft ohne den
Rechtsschein, selbst Gesellschafter zu sein, vertreten, haften dagegen nach allgemeinen vertretungsrechtlichen Grundsätzen analog § 179 BGB wegen Vertretung einer nicht existierenden Person auf Erfüllung oder Schadensersatz.22 Dieser Haftung unterliegen auch die vorfristig handelnden Gesellschafter.23 Der Geschäftsgegner kann nach allgemeinen Grundsätzen wählen, ob er sich auf die wahre Rechtslage (Haftung analog § 179 BGB) oder auf den gesetzten Rechtsschein (Haftung analog § 721 Satz 1 BGB) beruft.24 Die Möglichkeit, den Gesellschafter als Scheingesellschafter analog § 721 Satz 1 BGB in Anspruch zu nehmen, ändert nämlich nichts daran, dass die vertretene Gesellschaft nicht verpflichtet wurde. Die Rechtsprechung, nach welcher der Vertreter nicht nach § 179 BGB in Anspruch genommen werden kann, wenn sich der Vertretene den Vertrag nach den Grundsätzen einer Anscheinsvollmacht zurechnen lassen muss,25 ist daher nicht übertragbar.
18 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 162. 19 Vgl. Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 105 HGB Rz. 522. 20 Siehe jeweils m.w.N. BGH v. 17.1.2012 – II ZR 197/10, ZIP 2012, 369 Rz. 19; BGH v. 31.7.2012 – X ZR 154/11, ZIP 2012, 2159 Rz. 13. 21 So zu Abs. 2 die Formulierung in Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 162. 22 Zur analogen Anwendung des § 179 BGB bei Vertretung eines nicht existierenden Rechtsträgers s. nur BGH v. 12.11.2008 – VIII ZR 170/07, BGHZ 178, 307 = ZIP 2009, 220 Rz. 10 m.w.N. 23 Vgl. bereits Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 123 HGB Rz. 20. 24 Herchen in MünchHdb GesR I, 5. Aufl. 2019, § 68 Rz. 86. 25 BGH v. 20.1.1983 – VII ZR 32/82, BGHZ 86, 273 = ZIP 1983, 461 LS.
366 | Ceesay
Entstehung der Gesellschaft im Verhältnis zu Dritten | Rz. 18 § 719 BGB
III. Zwingendes Recht (Abs. 2) Nach § 719 Abs. 2 BGB ist eine Vereinbarung, dass die Gesellschaft erst zu einem späteren 14 Zeitpunkt entstehen soll, Dritten gegenüber unwirksam. Sowohl aus dem Regelungszusammenhang als auch den Gesetzesmaterialien26 erschließt sich, dass damit lediglich die Entstehung „im Verhältnis zu Dritten“ i.S.d. § 719 Abs. 1 BGB gemeint ist, d.h. die Anwendung der Vorschriften aus Kapitel 3 über das Rechtsverhältnis der rechtsfähigen GbR zu Dritten (vgl. Rz. 9). Eine aufschiebende Bedingung oder Befristung (§ 158 Abs. 1, § 163 BGB) des Gesellschaftsvertrags selbst bleibt also weiterhin möglich (s. § 705 BGB Rz. 84); durch einvernehmliche Teilnahme am Rechtsverkehr wird eine solche jedoch konkludent aufgehoben.27 Da § 719 Abs. 2 BGB nur die Unwirksamkeit gegenüber Dritten anordnet, bleibt es den Ge- 15 sellschaftern unbenommen, die Geschäftsführungsbefugnis dadurch zu beschränken, dass die vertretungsbefugten Gesellschafter gegenüber Kunden, Mandanten oder anderen Verkehrskreisen erst ab einem bestimmten Zeitpunkt auftreten sollen. War die Gesellschaft schon zuvor durch einvernehmliche Vorbereitungshandlungen – wie etwa die Eröffnung eines Bankkontos (Rz. 7) – i.S.d. § 719 Abs. 1 BGB gegenüber Dritten zur Entstehung gelangt, tangiert eine solche Beschränkung die organschaftliche Vertretungsmacht nach § 720 BGB nicht. Die Überschreitung stellt jedoch eine haftungsbewehrte Pflichtverletzung dar (dazu § 715 BGB Rz. 24).
IV. Prozessuales Das Entstehen der Gesellschaft „im Verhältnis zu Dritten“ i.S.d. § 719 Abs. 1 BGB ist all- 16 gemeine Voraussetzung für die Anwendung der §§ 720 ff. BGB; vorher scheidet die Gesellschaft als Zurechnungsobjekt des Handelns ihrer Gesellschafter und damit auch eine Haftung der Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft aus (s. Rz. 9 f.). Da die Vorschrift zugleich positiv formuliert ist („entsteht die Gesellschaft, sobald“), trifft die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen ihrer Voraussetzungen nach allgemeinen Grundsätzen28 denjenigen, der die Gesellschaft selbst oder ihre Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft in Anspruch nehmen will.29 Das gilt gleichermaßen für die Inanspruchnahme einzelner Gesellschafter als Scheingesell- 17 schafter (s. Rz. 11). Bei einer Inanspruchnahme nach § 179 Abs. 1 BGB (s. Rz. 13) muss hingegen der Gesell- 18 schafter – wie jeder andere Vertreter – darlegen und beweisen, dass er mit Vertretungsmacht für die von ihm vertretene Gesellschaft gehandelt hat („sofern er nicht seine Vertretungsmacht nachweist“). Das schließt die Voraussetzungen des § 719 Abs. 1 BGB ein (s. Rz. 10). Ebenso trifft den Gesellschafter die Darlegungs- und Beweislast für eine Beschränkung der Haftung nach § 179 Abs. 2 BGB und einen Ausschluss nach § 179 Abs. 3 BGB.30
26 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 162 („Geltung des verkehrsschützenden Außenrechts“). 27 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 123 HGB Rz. 18. 28 Zur Beweislastverteilung s. nur BGH v. 10.3.2010 – IV ZR 264/08, MDR 2010, 874 Rz. 12 m.w.N.; zur entsprechenden Verteilung der Darlegungslast s. nur BGH v. 26.6.2014 – VII ZR 289/12, MDR 2014, 1021 Rz. 19. 29 Vgl. Boesche in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 123 HGB Rz. 15; Roth in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 123 HGB Rz. 12. 30 Eingehend Schilken in Staudinger, Neubearb. 2019, § 179 BGB Rz. 26 f. Ceesay | 367
§ 720 BGB | Rechtsfähige Gesellschaft
§ 720 BGB Vertretung der Gesellschaft (1) Zur Vertretung der Gesellschaft sind alle Gesellschafter gemeinsam befugt, es sei denn, der Gesellschaftsvertrag bestimmt etwas anderes. (2) Die zur Gesamtvertretung nach Absatz 1 befugten Gesellschafter können einzelne von ihnen zur Vornahme bestimmter Geschäfte oder bestimmter Arten von Geschäften ermächtigen. (3) 1Die Vertretungsbefugnis der Gesellschafter erstreckt sich auf alle Geschäfte der Gesellschaft. 2Eine Beschränkung des Umfangs der Vertretungsbefugnis ist Dritten gegenüber unwirksam. 3Dies gilt insbesondere für die Beschränkung, dass sich die Vertretung nur auf bestimmte Geschäfte oder Arten von Geschäften erstreckt oder dass sie nur unter gewissen Umständen oder für eine gewisse Zeit oder an einzelnen Orten stattfinden soll. (4) Die Vertretungsbefugnis kann einem Gesellschafter in entsprechender Anwendung von § 715 Absatz 5 ganz oder teilweise entzogen werden. (5) Ist der Gesellschaft gegenüber eine Willenserklärung abzugeben, genügt die Abgabe gegenüber einem vertretungsbefugten Gesellschafter. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Grundlagen 1. Entstehungsgeschichte; Sinn und Zweck 2. Organschaftliche und rechtsgeschäftliche Vertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesetzlich vertretene Gesellschafter a) Juristische Personen und rechtsfähige Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . b) Minderjährige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Betreute Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . d) Gesellschafter mit erteilter Vorsorgevollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Wissenszurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Haftungszurechnung analog § 31 BGB . . II. Dispositive Gesamtvertretung (Abs. 1) 1. Gesamtvertretung (Normalstatut) . . . . . . 2. Gestaltungsalternativen . . . . . . . . . . . . . . .
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9 10 13 15 17 21 26 31
III. Gesamtvertreterermächtigung (Abs. 2) IV. Sachlicher Umfang der Vertretungsmacht (Abs. 3) 1. Unbeschränkte und unbeschränkbare Vertretungsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verbleibende Schranken a) Grundlagengeschäfte . . . . . . . . . . . . . . b) Selbstkontrahieren und Mehrfachvertretung (§ 181 BGB) . . . . . . . . . . . . c) Missbrauch der Vertretungsmacht . . . d) Minderjährige und betreute Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Entzug organschaftlicher Vertretungsmacht (Abs. 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Passivvertretung (Abs. 5) . . . . . . . . . . . .
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46 48 49 55 59 61 67
Schrifttum: Bayer, Der Missbrauch der Vertretungsmacht unter besonderer Berücksichtigung des Handels- und Gesellschaftsrechts, FS E. Vetter, 2019, S. 51; Grigoleit, Zivilrechtliche Grundlagen der Wissenszurechnung, ZHR 181 (2017), 160; Jarbonegg, Zur Dogmatik der Mitwirkungspflicht bei Klagen aus §§ 117, 127 und 140 HGB, FS Koppensteiner, 2001, S. 105; Köhl, Der Prokurist in der unechten Gesamtvertretung, NZG 2005, 197; Lieder, Missbrauch der Vertretungsmacht und Kollusion, JuS 2014, 681; Osterloh-Konrad, Die Selbstorganschaft in der Personengesellschaft – Wesenszug oder Anachronismus?, ZGR 2019, 271; Rawert/Endres, Der falsus procurator und § 181 BGB, ZIP 2015, 2197; K. Schmidt, Ausschließungs- und Entziehungsklagen gegen den einzigen Komplementär, ZGR 2004, 227; K. Schmidt, Mehrseitige Gestaltungsprozesse bei Personengesellschaften, Studien und Thesen zur Prozessführung nach §§ 117, 127, 133, 140, 142 HGB, 1992; Scholz, Der Grundsatz der Selbstorganschaft in der Reform des Personengesellschaftsrechts, NZG 2020, 1044; Scholz, Missbrauch der Vertretungsmacht, Insichgeschäft und Erfüllung einer Verbindlichkeit. Zum Verhältnis von Missbrauch der Vertretungsmacht und § 181 BGB, ZfPW 2019, 297; Scholz, Delegierte Vertretungsmacht und Geschäfte mit organschaftli-
368 | Ceesay
Vertretung der Gesellschaft | Rz. 3 § 720 BGB chen Vertretern. Zu Reichweite und Funktion von § 181 BGB im Kontext der organschaftlichen Vertretung, ZfPW 2023, 157.
I. Grundlagen 1. Entstehungsgeschichte; Sinn und Zweck Die Vorschrift regelt das Vertretungsrecht der rechtsfähigen GbR. Der vormalige § 714 1 BGB a.F. fußte noch auf dem Gesamthandsdenken, sprach dementsprechend von der Befugnis der Gesellschafter, „die anderen Gesellschafter Dritten gegenüber zu vertreten“, und war daher schon vor dem MoPeG überholt.1 Die vormals in § 715 BGB a.F. geregelte Entziehung der Vertretungsmacht ist mit geringfügiger Modifikation (Rz. 63) in § 720 Abs. 4 BGB aufgegangen. In der Sache behält § 720 BGB wider Forderungen aus der Wissenschaft2 das Prinzip der 2 zwingenden Selbstorganschaft bei, so dass die organschaftliche – nach § 720 Abs. 3 BGB unbeschränkte und unbeschränkbare – Vertretungsmacht den Gesellschaftern vorbehalten ist und gesellschaftsfremden Dritten lediglich Vollmacht erteilt werden kann (Rz. 5 ff.). Das Vertretungsregime des § 720 BGB versteht sich als Kompromiss zwischen Gesellschaf- 3 ter- und Verkehrsschutz. Indem § 720 Abs. 1 BGB die Vertretung durch alle Gesellschafter gemeinschaftlich, d.h. die Gesamtvertretungsbefugnis zur Regel macht, schützt er – gemeinsam mit der in § 715 Abs. 3 BGB angeordneten Gesamtgeschäftsführungsbefugnis – die Gesellschafter vor der unbeschränkten Haftung für die Gesellschaftsverbindlichkeiten nach § 721 BGB.3 Die Ungleichbehandlung zur OHG, wo § 124 Abs. 1 HGB die Gesellschafter mit dispositiver Einzelvertretungsmacht ausstattet, rechtfertigt sich nach dem Gesetzgeber aus den „spezifischen Bedürfnissen der Schnelligkeit und Einfachheit des Handelsverkehrs“.4 Zugleich wird durch die Anordnung der Gesamtvertretung ein Anreiz gesetzt, die GbR eintragen zu lassen, weil nur die im Gesellschaftsregister eingetragene Einzelvertretungsbefugnis Registerpublizität genießt, während die Gesellschafter einer nicht eingetragenen GbR ihre Einzelvertretungsbefugnis weiterhin zum Beispiel durch Vorlage einer Vollmachtsurkunde nachweisen müssen.5 In jedem Fall ermöglicht die in § 720 Abs. 2 BGB geregelte Gesamtvertreterermächtigung – auch im Interesse des Rechtsverkehrs – „eine flexiblere Handhabung der Gesamtvertretung“.6 Zudem stattet § 720 Abs. 3 BGB die Gesellschafter mit sachlich unbeschränkter und unbeschränkbarer Vertretungsmacht aus, so dass sich der Rechtsverkehr darauf verlassen kann, dass die zur Vertretung befugten Gesellschafter diese auch in der Sache vertreten können und die Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft tatsächlich einstehen müssen.7 Schließlich erleichtert § 720 Abs. 5 BGB gleich § 124 Abs. 6 HGB, aber auch im Einklang mit der zuvor auf die Parallelregelungen in § 26 Abs. 2 Satz 2 BGB, § 1626 Abs. 1 Satz 2 BGB, § 170 Abs. 3 ZPO gestützten Rechtsprechung8 im Interesse 1 Siehe nur Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 162. 2 Eingehend m.w.N. und konkretem Vorschlag für die Zulassung fremdorganschaftlicher Strukturen auf Grundlage des „Mauracher Entwurfs“ Scholz, NZG 2020, 1044; für eine Abschaffung auch Lieder in Bergmann et al., Modernisierung des PerGesR 2020, 169, 179 ff.; Osterloh-Konrad, ZGR 2019, 271, 298 ff. 3 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 151 i.V.m. 162. 4 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 151. 5 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 163. 6 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 163. 7 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 163. 8 BGH v. 23.11.2011 – XII ZR 210/09, ZIP 2012, 581 Rz. 34: „der allgemeine Rechtsgrundsatz […], dass einer Personenmehrheit eine Willenserklärung durch Abgabe gegenüber einem der Gesamtvertreter zugeht“. Ceesay | 369
§ 720 BGB Rz. 3 | Rechtsfähige Gesellschaft des Rechtsverkehrs den Zugang von Willenserklärungen bei der GbR im Falle der Gesamtvertretung. 4 Die in § 720 Abs. 4 BGB eröffnete Möglichkeit, einzelnen Gesellschaftern die Vertretungs-
macht zu entziehen, schützt zwar auch die Mitgesellschafter. Der Entzug der Vertretungsmacht betrifft allerdings primär das Verhältnis der Gesellschafter untereinander. Da er abweichend von § 715 BGB a.F. nicht mehr an den Entzug der Geschäftsführungsbefugnis gekoppelt ist, muss er heute mit Blick auf § 715 Abs. 5 BGB (Entzug der Geschäftsführungsbefugnis), § 727 BGB (Ausschließung), § 731 BGB (Kündigung der Gesellschaft) als Bestandteil eines differenzierten Instrumentariums zur Lösung schwerwiegender innergesellschaftlicher Konflikte verstanden werden.9
2. Organschaftliche und rechtsgeschäftliche Vertretung 5 Ungeachtet ihrer Rechtsfähigkeit kann die GbR nicht unmittelbar selbst am Rechtsverkehr
teilnehmen. Sie ist daher nicht anders als eine juristische Person darauf angewiesen, durch ihre Organe vertreten zu werden. Um die Rechtsnatur dieser organschaftlichen Vertretung der Gesellschaft rankt zwar ein Theorienstreit.10 In der Sache steht gleichwohl zum einen außer Zweifel, dass auch die organschaftliche Vertretung den §§ 164 ff. BGB unterliegt, also insbesondere ein Handeln im Namen der Gesellschaft erfordert.11 Zum anderen regelt § 720 BGB unstreitig allein die organschaftliche Vertretungsbefugnis und schließt die rechtsgeschäftliche Erteilung von Vertretungsmacht – namentlich durch Ausübung der organschaftlichen Vertretungsmacht – nicht aus (dazu noch Rz. 8).12 6 Auch wenn es in § 720 BGB nur andeutungsweise zum Ausdruck kommt, liegt der Regelung
das schon vor dem MoPeG anerkannte Prinzip der zwingenden Selbstorganschaft zugrunde, wonach die Befugnis zur organschaftlichen Vertretung den Gesellschaftern vorbehalten ist.13 Seine Herleitung mag ursprünglich nicht ganz zweifelsfrei gewesen sein.14 Nach dem MoPeG verbleibt für solche Zweifel jedoch kein Raum mehr.15 Denn der MoPeG-Gesetzgeber hat die auf Gesellschafter zugeschnittenen Formulierungen aus § 125 HGB a.F. trotz Rufen nach einer Reform im unmittelbaren Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens16 sowohl in § 124 HGB als auch § 720 BGB übertragen, die Selbstorganschaft überdies als „systembildenden Grund-
9 Vgl. auch Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 179 (zu § 731): „Als vorrangige Maßnahmen kommen je nach Konstellation insbesondere in Betracht: die Kündigung der Mitgliedschaft, die Ausschließung des störenden Gesellschafters durch Beschluss der übrigen Gesellschafter, die Entziehung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis oder eine Anpassung des Gesellschaftsvertrags. Dabei ist stets in Blick zu nehmen, welche konkreten Rechtsfolgen mit einer dieser Maßnahmen für den kündigenden Gesellschafter und die anderen Gesellschafter verbunden sind.“ 10 Überblick bei Bergmann, Die fremdorganschaftlich verfasste offene Handelsgesellschaft, Kommanditgesellschaft und BGB-Gesellschaft als Problem des allgemeinen Verbandsrechts, 2002, S. 38 ff.; s. auch Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 125 HGB Rz. 4. 11 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 125 HGB Rz. 4; Hillmann in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 125 HGB Rz. 4; Roth in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 125 HGB Rz. 2. 12 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 162. 13 Vgl. BGH v. 20.5.2016 – V ZB 142/15, ZIP 2016, 1965 Rz. 13; BGH v. 5.10.1981 – II ZR 203/80, ZIP 1982, 578, 581; BGH v. 22.1.1962 – II ZR 11/61, BGHZ 36, 292, 293 f. = NJW 1962, 738, 738. 14 Eingehend Osterloh-Konrad, ZGR 2019, 271, 273 ff. 15 Ebenso Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 310 (Stand: 01/2022). 16 Mit konkretem Regelungsvorschlag auf Basis des „Mauracher Entwurfs“ Scholz, NZG 2020, 1044; für eine Abschaffung auch Lieder in Bergmann et al., Modernisierung des PerGesR 2020, S. 169, 179 ff.
370 | Ceesay
Vertretung der Gesellschaft | Rz. 9 § 720 BGB
satz“ bestätigt17 und mit § 707 Abs. 2 Nr. 3 BGB, § 106 Abs. 2 Nr. 3 HGB für das GbR- wie Handelsregister lediglich Angaben zur „Vertretungsbefugnis der Gesellschafter“ vorgesehen. In der Sache verbietet die zwingende Selbstorganschaft es erstens, sämtliche Gesellschafter von der Vertretungsmacht auszuschließen, und zweitens, Nichtgesellschaftern organschaftliche Vertretungsmacht einzuräumen.18 Überdies ist die organschaftliche Vertretungsmacht, soweit sie einzelnen Gesellschaftern ein- 7 geräumt wurde, grundsätzlich individuell unübertragbar und kann auch nicht – analog zur Erteilung einer Untervollmacht – subdelegiert werden. Davon macht § 720 Abs. 2 BGB eine bewusste Ausnahme, indem er die Gesamtvertreterermächtigung unter zur Gesamtvertretung berufenen Gesellschaftern gestattet (dazu noch Rz. 38 ff.). Die Gesetzesmaterialien sehen darin „in erster Linie eine Auflockerung des Grundsatzes der Höchstpersönlichkeit“19. Das ist jedoch begrifflich falsch und in der Sache irreführend. Denn es steht heute außer Streit, dass juristische Personen und Minderjährige nicht nur Gesellschafter sein können, sondern auch berechtigt sind, die organschaftlichen Vertretungsbefugnisse durch ihre organschaftlichen bzw. gesetzlichen Vertreter auszuüben (Rz. 9 f.), weshalb auch kein Zweifel an der Ausübung der organschaftlichen Vertretungsmacht durch einen Betreuer bestehen kann (Rz. 13). Weder die Unübertragbarkeit der organschaftlichen Vertretungsmacht noch das Prinzip der 8 zwingenden Selbstorganschaft stehen indessen einer Vertretung der Gesellschaft durch andere Personen als Gesellschafter auf Grundlage rechtsgeschäftlicher Vertretungsmacht entgegen (Rz. 5).20 Nur muss die Gesellschaft bei Erteilung einer Vollmacht wiederum wirksam vertreten werden.21 Das erfordert im Ausgangspunkt die Ausübung organschaftlicher Vertretungsmacht durch die Gesellschafter gem. § 720 BGB; auf dieser Grundlage können dann aber auch nach allgemeinen Grundsätzen Untervollmachten erteilt werden.22
3. Gesetzlich vertretene Gesellschafter a) Juristische Personen und rechtsfähige Personengesellschaften Sowohl juristische Personen als auch rechtsfähige Personengesellschaften können Gesell- 9 schafter sein (§ 705 BGB Rz. 7). Mangels einer § 6 Abs. 2 Satz 1 GmbHG vergleichbaren Regelung sind sie gleich natürlichen Personen gem. § 720 BGB zur organschaftlichen Vertretung der Gesellschaft berufen. Sie nehmen diese organschaftliche Befugnis durch ihre organ-
17 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 164. 18 BGH v. 20.5.2016 – V ZB 142/15, ZIP 2016, 1965 Rz. 13; BGH v. 5.10.1981 – II ZR 203/80, ZIP 1982, 578, 581; BGH v. 25.5.1964 – II ZR 42/62, BGHZ 41, 367, 369 = NJW 1964, 1624, 1624. 19 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 163; im Anschluss an Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 125 HGB Rz. 46; so auch Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 125 HGB Rz. 1; Roth in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 125 HGB Rz. 6. 20 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 162. 21 Nach Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 162 ist in Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung davon auszugehen, dass nunmehr die Gesellschaft selbst die Vollmacht erteilen kann. In der Tat fand sich in BGH v. 20.1.2011 – V ZB 266/10 Rz. 12 die Aussage: „Die Gesellschaft selbst kann keine Vollmacht erteilten [sic]; für sie handeln die Gesellschafter. Wollen diese sich dabei vertreten lassen, können sie einen Dritten durch Bevollmächtigung zu ihrem Vertreter bestellen“. Es liegt im Kontext der Entscheidung gleichwohl nahe, dass der BGH lediglich die „verbandsrechtliche Selbstverständlichkeit“ zum Ausdruck bringen wollte, dass die Gesellschaft nur durch ihre Organe handlungsfähig ist (vgl. Lautner, MittBayNot 2011, 495, 496). 22 Vgl. K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 125 HGB Rz. 9. Ceesay | 371
§ 720 BGB Rz. 9 | Rechtsfähige Gesellschaft schaftlichen Vertreter wahr, die dabei ihrerseits die Gesellschafter-Gesellschaft vertreten.23 Die Beteiligung an der GbR bleibt dabei ohne Einfluss auf die Organisationsverfassung der Gesellschafter-Gesellschaft. Ihre Organe werden auch nicht zu solchen der GbR.24 Zur Frage, ob der GbR eigene Ansprüche gegen die Organe der Gesellschafterin wegen pflichtwidriger Geschäftsführung zustehen, s. § 715 BGB Rz. 24. b) Minderjährige 10 Auch Minderjährige können Gesellschafter sein (§ 705 BGB Rz. 8). Mangels einer § 6 Abs. 2
Satz 1 GmbHG vergleichbaren Regelung tangiert weder beschränkte Geschäftsfähigkeit (§ 106 BGB) noch Geschäftsunfähigkeit (§ 104 Nr. 1 BGB) die grundsätzliche Befugnis zur Vertretung der Gesellschaft gem. § 720 BGB.25 Zur Ausübung dieser Befugnis sind jedoch ihre gesetzlichen Vertreter, also grundsätzlich die Eltern berufen (§ 1629 BGB).26 Diese unterliegen bei der Vertretung der Gesellschaft nicht den Schranken der § 1643 i.V.m. §§ 1850 ff. BGB (§§ 1821 f. BGB a.F.), weil die Eltern erstens ausschließlich im Namen der Gesellschaft handeln und zweitens die GbR-Beteiligung an sich nach § 1852 Nr. 1 lit. b, Nr. 2 BGB (§ 1822 Nr. 3 BGB a.F.) der familiengerichtlichen Genehmigung unterliegt; ist eine solche erteilt, haben die gesetzlichen Vertreter „nunmehr auf der genehmigten Grundlage alle weiteren Entscheidungen unter eigener Verantwortung zu treffen“.27 Von der Wahrnehmung der organschaftlichen Vertretungsbefugnis ist die Frage zu unterscheiden, ob die gesetzlichen Vertreter bei Änderungen des Gesellschaftsvertrags der familienrechtlichen Genehmigung bedürfen (s. § 705 BGB Rz. 9). 11 Handelt der Minderjährige vor Vollendung des siebenten Lebensjahres selbst, so ist seine Er-
klärung nach § 105 Abs. 1 BGB nichtig und eine gegenüber ihm abgegebene Erklärung wird gem. § 131 Abs. 1 BGB erst für die Gesellschaft (§ 720 Abs. 5 BGB) wirksam, wenn sie dem gesetzlichen Vertreter des Minderjährigen zugeht. Nach Vollendung des siebenten Lebensjahres ist eine Vertretung der Gesellschaft durch den minderjährigen Gesellschafter zwar nicht mehr gänzlich ausgeschlossen. Da er für die Gesellschaftsverbindlichkeiten gem. § 721 BGB persönlich haftet, erweist sich die Vertretung der Gesellschaft für ihn jedoch nicht als neutrales Geschäft, so dass der Anwendung von § 165 BGB für die organschaftliche wie rechtsgeschäftliche Vertretung der Gesellschaft die Grundlage entzogen ist.28 Insofern hängt die Wirksamkeit der für die Gesellschaft abgegebenen Erklärungen des minderjährigen Gesellschafters nach §§ 107 ff. BGB von der Zustimmung seiner gesetzlichen Vertreter ab, sofern die Willenserklärung nicht für die Gesellschaft selbst lediglich rechtlich vorteilhaft bzw. neutral ist.29 Gleichermaßen werden nur solche lediglich rechtlich vorteilhaften bzw. neutralen 23 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 125 HGB Rz. 9; K. Schmidt/ Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 125 HGB Rz. 8; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 320 (Stand: 01/2022). 24 K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 125 HGB Rz. 8. 25 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 125 HGB Rz. 29; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 319 (Stand: 01/2022). 26 K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 125 HGB Rz. 19; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 319a (Stand: 01/2022). 27 BGH v. 20.9.1962 – II ZR 209/61, BGHZ 38, 26, 31 (juris Rz. 19); Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 125 HGB Rz. 30; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 319b (Stand: 01/2022). 28 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 125 HGB Rz. 29; Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 125 HGB Rz. 18; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 319a (Stand: 01/2022). 29 Schilken in Staudinger, Neubearb. 2019, § 165 BGB Rz. 6; Schubert in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2021, § 165 BGB Rz. 8; zu weitgehend hingegen Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 125 HGB Rz. 29 („von der Vertretung ausgeschlossen“); ebenso Boesche in
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Vertretung der Gesellschaft | Rz. 13 § 720 BGB
Erklärungen gem. § 131 Abs. 2 Satz 2 BGB unmittelbar mit Zugang bei dem minderjährigen Gesellschafter für die Gesellschaft (§ 720 Abs. 5 BGB) wirksam; im Übrigen bleibt der Zugang bei dem gesetzlichen Vertreter des minderjährigen Gesellschafter nach § 131 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 BGB erforderlich. Mit Genehmigung des Familiengerichts können die gesetzlichen Vertreter den minderjähri- 12 gen Gesellschafter allerdings auch analog § 112 Abs. 1 Satz 1 BGB zur organschaftlichen Vertretung und Geschäftsführung der Gesellschaft ermächtigen.30 Infolge einer solchen Ermächtigung unterliegt der Minderjährige für die Vertretung der Gesellschaft ebenso wenig wie seine gesetzlichen Vertreter (Rz. 10) den Genehmigungserfordernissen aus § 1643 i.V.m. §§ 1850 ff. BGB (§§ 1821 f. BGB a.F.).31 Zwar wird die Annahme, der Minderjährige könne „nunmehr auf der genehmigten Grundlage alle weiteren Entscheidungen unter eigener Verantwortung […] treffen“32, auf den ersten Blick durch § 112 Satz 2 BGB widerlegt. Denn dieser nimmt solche Rechtsgeschäfte aus der Ermächtigung ausdrücklich aus, zu denen der Vertreter der Genehmigung des Familiengerichts bedarf. Diese Einschränkung bezweckt jedoch lediglich einen Gleichlauf mit den Beschränkungen, denen die gesetzlichen Vertreter unterliegen, und auch für den Minderjährigen bleibt es dabei, dass die Beteiligung im ersten Schritt nach § 1852 Nr. 1 lit. b, Nr. 2 BGB (§ 1822 Nr. 3 BGB a.F.) genehmigungsbedürftig ist. Von der Wahrnehmung der organschaftlichen Vertretungsbefugnis ist indes zum einen die Frage zu unterscheiden, ob die Ermächtigung nach § 112 Satz 1 BGB zur Wahrnehmung aller Gesellschafterrechte berechtigt, also insbesondere Grundlagengeschäfte umfasst, und zum anderen die Frage, ob für die gesetzlichen Vertreter des Minderjährigen insofern Genehmigungserfordernisse gelten, denen dann auch über § 112 Satz 2 BGB der ermächtigte Gesellschafter selbst unterliegt.33 c) Betreute Gesellschafter Wird für einen Gesellschafter gem. § 1814 Abs. 1 BGB (§ 1896 Abs. 1 BGB a.F.) ein Betreuer 13 bestellt, tangiert dies weder die Gesellschafterstellung des Betreuten noch seine organschaftliche Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis. Mangels einer § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 GmbHG vergleichbaren Regelung gilt auch dann nichts anderes, wenn das Betreuungsgericht einen Einwilligungsvorbehalt für die Besorgung seiner Vermögensangelegenheiten angeordnet hat. Wenn der Aufgabenkreis des Betreuers die Angelegenheiten der Gesellschaft umfasst, erstreckt sich seine gesetzliche Vertretungsmacht gem. § 1823 BGB (§ 1902 BGB a.F.) auch auf die Wahrnehmung der organschaftlichen Vertretungsbefugnis des betreuten Gesellschafters. Denn es lässt sich für den Betreuer kein Ausschluss von der organschaftlichen Vertretungsbefugnis begründen, wenn man es gleichzeitig zulässt, dass eine juristische Person oder Personengesellschaft ihre organschaftlichen Befugnisse durch ihre Organe (Rz. 9) und ein minderjähriger Gesellschafter seine organschaftlichen Befugnisse durch seine Eltern oder sonstigen gesetzlichen Vertreter (Rz. 10) ausüben lassen kann.34 Der BGH hat zur Gebrechlichkeitspflegschaft – dem Vorläufer der heutigen Betreuung35 – in diesem Sinne über-
30 31 32 33 34 35
Oetker, 7. Aufl. 2021, § 125 HGB Rz. 55; Hillmann in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 125 HGB Rz. 48; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 125 HGB Rz. 19. Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 125 HGB Rz. 18; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 319c (Stand: 01/2022). Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 125 HGB Rz. 29; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 319c (Stand: 01/2022). BGH v. 20.9.1962 – II ZR 209/61, BGHZ 38, 26, 31 (juris Rz. 19). Zu diesen Fragen eingehend Otte/Heuser in MünchHdbGesR IX, 6. Aufl. 2021, § 21 Rz. 71 ff. Eingehend Scholz in MünchHdbGesR IX, 6. Aufl. 2021, § 22 Rz. 40 f.; ebenso Wedemann, ZIP 2013, 1508, 1515, Fn. 77; a.A. Schäfer, ZHR 175 (2011), 557, 562; Staake/Weber, ZIP 2021, 611, 614 f. Vgl. Begr. RegE BtG, BT-Drucks. 11/4528, 38 ff. Ceesay | 373
§ 720 BGB Rz. 13 | Rechtsfähige Gesellschaft zeugend ausgeführt, der „für die Einrichtung der Gebrechlichkeitspflegschaft maßgebende soziale Schutzzweck [könne] aber nur erreicht werden, wenn diese Einrichtung im Rechtsverkehr beachtet und der Pfleger in seiner durch Gesetz und amtliche Berufung bestimmten Rechtsstellung voll anerkannt wird.“36 Soweit der Betreute die organschaftliche Vertretungsbefugnis des betreuten Gesellschafters ausübt, kann für die Genehmigungsvorbehalte aus §§ 1848 ff. BGB (§§ 1821 f. i.V.m. § 1908i BGB a.F.) nichts anderes gelten als bei der Vertretung minderjähriger Gesellschafter; auf die Vertretung der Gesellschaft schlagen sie mithin nicht durch (s. Rz. 10). 14 Die Bestellung eines Betreuers ändert jedoch im Grundsatz nichts an der Geschäftsfähigkeit
des Betreuten.37 Ist dieser weder geschäftsunfähig (§ 104 Nr. 2 BGB) noch vorübergehend in seiner Geistestätigkeit gestört (§ 105 Abs. 2 BGB), kann der Betreute mithin neben dem Betreuer selbst rechtsgeschäftlich für sich tätig werden. Insofern entspricht es allgemeinen betreuungsrechtlichen Grundsätzen, dass ein betreuter Gesellschafter die organschaftliche Vertretungsbefugnis neben dem Betreuer auch persönlich wahrnehmen kann.38 Ausgeschlossen ist eine Wahrnehmung der organschaftlichen Vertretungsbefugnis durch den betreuten Gesellschafter lediglich, wenn der Anlass für die Bestellung des Betreuers in der Geschäftsunfähigkeit des Gesellschafters besteht. Denn in diesem Fall sind seine Willenserklärungen gem. § 105 Abs. 1 BGB unabhängig davon nichtig, ob er im eigenen oder im fremden Namen handelt. Zum anderen ergeben sich Einschränkungen, wenn das Betreuungsgericht gem. § 1825 Abs. 1 BGB (§ 1903 Abs. 1 BGB a.F.) für den Gesellschafter in Gesellschaftsangelegenheiten einen Einwilligungsvorbehalt anordnet. Dann werden Willenserklärungen nämlich nach Maßgabe der Vorschriften des Minderjährigenrechts nur mit Zustimmung des Betreuers wirksam. Nach § 1825 Abs. 3 Satz 1 BGB (§ 1903 Abs. 3 Satz 1 BGB a.F.) bedarf es einer solchen Zustimmung zwar dort nicht, wo die Willenserklärung dem Betreuten lediglich einen rechtlichen Vorteil bringt, und das wird wie bei § 107 BGB auf rechtlich neutrale Geschäfte ausgedehnt. Hierunter fällt im Grundsatz – wie bereits § 165 BGB zum Ausdruck bringt – auch die Stellvertretung. Die Prämisse für eine solche Einschränkung des Einwilligungsvorbehalts entfällt jedoch, wenn der Betreute gem. § 721 BGB für die Verbindlichkeiten der von ihm vertretenen Gesellschaft unbeschränkt persönlich haftet. Insofern gilt für die Vertretung der Gesellschaft durch einen unter Einwilligungsvorbehalt stehenden Gesellschafter das Gleiche wie für die Vertretung durch den minderjährigen Gesellschafter (s. Rz. 11). d) Gesellschafter mit erteilter Vorsorgevollmacht 15 Die organschaftliche Vertretungsmacht kann nicht subdelegiert werden (Rz. 7). Im Betreu-
ungsfall erstreckt sich jedoch die gesetzliche Vertretungsmacht des Betreuers (§ 1823 BGB; § 1902 BGB a.F.) auf die Wahrnehmung der organschaftlichen Vertretungsbefugnis des betreuten Gesellschafters (s. Rz. 13). Unter dieser Prämisse gebietet es die gesetzlich angeordnete Subsidiarität der Betreuung gegenüber der Vorsorgevollmacht (§ 1814 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 BGB; § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB a.F.), dem Vorsorgebevollmächtigten die gleiche Rechtsstellung wie einem Betreuer zuzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für eine Betreuerbestellung an sich vorliegen (§ 1814 Abs. 1 BGB; § 1896 Abs. 1 BGB a.F.) und dieser allein die bereits erteilte Vorsorgevollmacht entgegensteht.39 Da sich die Kompetenz des Vorsorgebevollmächtigten somit aus (i) der Zulässigkeit der Wahrnehmung jener Befugnisse durch einen Betreuer und (ii) der Subsidiarität der Betreuung gegenüber der Vorsorgevollmacht ab36 BGH v. 21.6.1965 – II ZR 68/63, BGHZ 44, 98, 102 = NJW 1965, 1961, 1961. 37 Schneider in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 1903 BGB Rz. 1. 38 Vgl. nur Roth in Erman, 17. Aufl. 2023, § 1823 BGB Rz. 3: „Die Vertretungsmacht des Betreuers verdrängt den geschäftsfähigen Betreuten nicht, sondern es besteht eine Doppelkompetenz.“ 39 Scholz in MünchHdbGesR IX, 6. Aufl. 2021, § 8 Rz. 68; insoweit zu Recht auch Wedemann, ZIP 2013, 1508, 1515.
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Vertretung der Gesellschaft | Rz. 19 § 720 BGB
leitet, ist auch kein Raum dafür, die Zulässigkeit der Wahrnehmung organschaftlicher Befugnisse durch den Vorsorgebevollmächtigten von der Zustimmung der Mitgesellschafter abhängig zu machen.40 Solange der bürgerlich-rechtlich definierte Vorsorgefall (§ 1814 Abs. 1 BGB; § 1896 Abs. 1 16 BGB a.F.) noch nicht eingetreten ist, ändert auch die Zustimmung der Mitgesellschafter nichts daran, dass die organschaftliche Vertretungsmacht nach dem Prinzip der zwingenden Selbstorganschaft weder auf Nicht-Gesellschafter übertragen noch an Nicht-Gesellschafter subdelegiert werden kann (Rz. 6 f.). Vor Eintritt des bürgerlich-rechtlich definierten Vorsorgefalls geht die Vorsorgevollmacht gleichwohl nicht per se ins Leere. In dieser Situation stellt sich vielmehr die Frage, ob sie als Erteilung einer Generalvollmacht für die Gesellschaft ausgelegt werden kann.41 Da der für die Gesellschaftsverbindlichkeiten gem. § 721 BGB haftende Gesellschafter seinen Einfluss auf die Geschäftsführung im Zweifel auch im Vorsorgefall aufrechterhalten will, wird man die Vorsorgevollmacht regelmäßig als umfassende Vollmacht, im Namen der Gesellschaft zu handeln, auslegen können. Dafür spricht auch der Umstand, dass die Vorsorgevollmacht den Bevollmächtigten zumindest bei Eintritt der Voraussetzungen des § 1814 Abs. 1 BGB (§ 1896 Abs. 1 BGB a.F.) zum Handeln für die Gesellschaft ermächtigt (Rz. 15). Auch wenn die Vorsorgevollmacht daher regelmäßig als Erteilung einer Vollmacht für die Gesellschaft verstanden werden muss, hängt die Wirksamkeit einer solchen Bevollmächtigung davon ab, ob der Gesellschafter die Gesellschaft im Zeitpunkt der Erteilung organschaftlich vertreten konnte. Selbst wenn dies abweichend von § 720 BGB der Fall ist oder die Mitgesellschafter ihre Zustimmung erteilt haben, folgt indessen aus der einfachen rechtsgeschäftlichen Bevollmächtigung des Vorsorgebevollmächtigten, dass die für die Vertretung der Gesellschaft erteilte Vollmacht jederzeit auch von anderen Gesellschaftern in vertretungsberechtigter Anzahl widerrufen werden kann.42
4. Wissenszurechnung Kommt es rechtlich auf die Kenntnis oder auch die fahrlässige Unkenntnis der Gesellschaft 17 an, so spielt das organschaftliche Regelungsregime des § 720 BGB nur eine untergeordnete Rolle. Im Ausgangspunkt stellt nämlich § 166 Abs. 1 BGB auf die Person ab, die den Geschäftsherrn in der konkreten Situation rechtsgeschäftlich oder organschaftlich vertreten hat. Nach § 166 Abs. 2 BGB schadet die eigene Wissensverantwortlichkeit des Geschäftsherrn nur, wenn der Vertreter nach bestimmten Weisungen gehandelt hat. Darüber hinaus ist in der Rechtsprechung eine Zurechnung der Kenntnisse sog. Wissensver- 18 treter analog § 166 Abs. 1 BGB anerkannt, d.h. von Personen, die der Geschäftsherr mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut hat; da diese Wissenszurechnung verhindern soll, dass der Geschäftsherr aus einer geschäftsorganisatorisch bedingten Wissensaufspaltung Vorteile zieht, wird insoweit grundsätzlich nur geschäftlich erlangtes Wissen zugerechnet,43 und auch das lediglich, wenn der Wissensvertreter in den relevanten Aufgabenkreis eingebunden war.44 Eine weitergehende absolute Zurechnung von Organwissen lässt sich richtigerweise auch 19 nicht über eine analoge Anwendung von § 31 BGB begründen, da eine Zurechnung danach
40 Scholz in MünchHdbGesR IX, 6. Aufl. 2021, § 8 Rz. 68; a.A. Schäfer, ZHR 175 (2011), 557, 571 ff.; Wedemann, ZIP 2013, 1508, 1515. 41 Dazu bereits Scholz in MünchHdbGesR IX, 6. Aufl. 2021, § 8 Rz. 69. 42 Scholz in MünchHdbGesR IX, 6. Aufl. 2021, § 8 Rz. 70. 43 BGH v. 14.1.2016 – I ZR 65/14, NJW 2016, 3445 Rz. 61 m.w.N. 44 BGH v. 15.3.2011 – VI ZR 162/10, NJW 2011, 1799 Rz. 14 m.w.N. Ceesay | 375
§ 720 BGB Rz. 19 | Rechtsfähige Gesellschaft grundsätzlich die Verwirklichung des gesamten Tatbestands durch den Repräsentanten selbst und zugleich ein Handeln in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen verlangt.45 20 In der Rechtsprechung erfolgt eine über Rz. 18 hinausgehende Wissenszurechnung daher
heute primär auf der Grundlage der Verletzung von Wissensorganisationspflichten, die es jeder am Rechtsverkehr teilnehmende Organisation abverlangen, sicherzustellen, dass die ihr ordnungsgemäß zugehenden, rechtserheblichen Informationen von ihren Entscheidungsträgern zur Kenntnis genommen werden können.46 Dieser Ansatz überzeugt dort, wo es für die Erfüllung des in Rede stehenden Tatbestands nicht notwendig auf positive Kenntnis ankommt, sondern bereits Kennenmüssen genügt. Wenn „aus Wissenmüssen Wissen und aus Fahrlässigkeit Vorsatz“ werden soll, ist dies jedoch de lege lata methodisch nicht zu halten.47 Zumindest für die Haftung aus § 826 BGB hat der BGH denn auch entschieden, dass sich der Vorwurf der Sittenwidrigkeit nicht dadurch begründen lässt, dass unter Anwendung der Grundsätze der Wissenszurechnung auf die „im Hause der juristischen Person“ vorhandenen Kenntnisse abgestellt wird.48 Ob Kennenmüssen die tatbestandlich erforderliche Kenntnis bzw. Fahrlässigkeit den erforderlichen Vorsatz ersetzen kann, muss indessen nicht nur im Deliktsrecht, sondern für jede Norm gesondert beantwortet werden.49
5. Haftungszurechnung analog § 31 BGB 21 Analog § 31 BGB muss sich die rechtsfähige GbR das zum Schadensersatz verpflichtende
Handeln ihrer „verfassungsmäßig berufenen Vertreter“ zurechnen lassen, wozu jedenfalls die gem. § 720 BGB zur Vertretung befugten Gesellschafter und – unabhängig von der Vertretungsbefugnis – auch ihre gem. § 715 BGB geschäftsführungsbefugten Gesellschafter zählen.50
22 Der Begriff ist jedoch weiter und umfasst nach der Rechtsprechung auch Nichtgesellschafter,
welche die Gesellschaft im Rechtsverkehr repräsentieren, weil ihnen durch allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, für die Gesellschaft wesensmäßige Funktionen zur selbstständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind.51
45 Eingehend Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160, 187 f.; in der Sache auch Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 125 HGB Rz. 24, nach dem „freilich eine Verletzung der der Gesellschaft obliegenden Organisationspflichten“ Voraussetzung für die absolute Wissenszurechnung ist; a.A. BGH v. 8.12.1989 – V ZR 246/87, BGHZ 109, 327, 331, worauf allerdings die Aussage folgt, die Wissenszurechnung von Organvertretern lasse „sich nicht mit logisch-begrifflicher Stringenz, sondern nur in wertender Beurteilung entscheiden“. 46 Siehe nur BGH v. 15.12.2005 – IX ZR 227/04, ZIP 2006, 138 Rz. 13 m.w.N. 47 Eingehend und überzeugend Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160, 192 ff. Das gilt erst recht für den von Guski, ZHR 184 (2020), 363, 376 ff. vertretenen Ansatz, nach dem einer Gesellschaft jede in der Organisation kommunizierte Information als „systemeigenes Wissen“ zurechenbar sein soll. Denn eine absolute Zurechnung des Wissens aller „Kommunikationsstellen“ innerhalb einer Organisation liegt offensichtlich mit den § 166 BGB zugrunde liegenden Wertungen über Kreuz; sie lässt sich auch nicht auf das Gesellschaftsrecht beschränken, weil die Annahme ebenso offensichtlich nicht zu halten ist, „Systemwissen“ könne es nur geben, wo eine Organisation als juristische Person oder rechtsfähige Personengesellschaft verfasst ist. 48 BGH v. 8.3.2021 – VI ZR 505/19, ZIP 2021, 799 LS 1; BGH v. 28.6.2016 – VI ZR 536/15, ZIP 2016, 2023 LS 3. 49 Zum methodischen Rahmen einer solchen korrigierenden Rechtsfortbildung Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160, 179 f. 50 BGH v. 24.2.2003 – II ZR 385/99, BGHZ 154, 88 = ZIP 2003, 664 LS 1; BGH v. 3.5.2007 – IX ZR 218/05, BGHZ 172, 169 Rz. 16 = ZIP 2007, 1460. 51 BGH v. 3.5.2007 – IX ZR 218/05, BGHZ 172, 169 Rz. 16 = ZIP 2007, 1460; ebenso Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 166.
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Vertretung der Gesellschaft | Rz. 25 § 720 BGB
In der Sache setzt die Haftung der Gesellschaft grundsätzlich die vollständige Tatbestands- 23 verwirklichung einer zum Schadensersatz verpflichtenden Haftungsnorm durch einen Repräsentanten voraus. Allerdings geht die Haftung der Gesellschaft nicht stets mit der Eigenhaftung ihrer Repräsentanten einher. So macht die Rechtsprechung bei der Haftung für Verrichtungsgehilfen nach § 831 Abs. 1 BGB eine Ausnahme und erkennt an, dass Geschäftsherr im Sinne der Vorschrift ausschließlich die Gesellschaft ist.52 Richtigerweise besteht auch bei der Haftung gem. § 823 Abs. 2 BGB die Möglichkeit einer isolierten Haftung der Gesellschaft; es ist also nicht erforderlich, dass die Repräsentanten der Gesellschaft selbst in den „passiven Schutzbereich“ des Schutzgesetzes einbezogen sind, um die Haftung der Gesellschaft zu begründen.53 Diese Beispiele verdeutlichen, dass § 31 BGB nicht nur als Überleitungsnorm fungiert, sondern zugleich Raum für eine weitergehende deliktische Verantwortung auf Grund einer autonomen Bestimmung der Verkehrssicherungspflichten der Gesellschaft lässt: Auch im Rahmen von § 823 Abs. 1 BGB können die Verkehrssicherungspflichten der Gesellschaft richtigerweise über jene hinausreichen, welche die zur Vertretung berufenen Gesellschafter persönlich treffen.54 Die im Kapitalgesellschaftsrecht kontrovers diskutierte Frage, inwieweit Geschäftsleiter persönlich den Verkehrssicherungspflichten der Gesellschaft unterliegen,55 steht damit in engem Zusammenhang. Sie darf jedoch nicht den Blick darauf verstellen, dass über § 31 BGB lediglich eine Zurechnung von den Organmitgliedern an die Gesellschaft stattfindet. Die Verkehrssicherungspflichten der Organmitglieder bestimmen sich in jedem Fall deliktsrechtlich autonom.56 Ungeachtet jener Kontroversen steht heute außer Streit, dass sich die Gesellschaft auch im rechtsgeschäftlichen Bereich das Handeln ihrer Repräsentanten analog § 31 BGB – und nicht nur nach § 278 BGB mit der Möglichkeit, die Haftung für vorsätzliche Pflichtverletzungen auszuschließen – zurechnen lassen muss.57 Darüber hinaus setzt die Zurechnung analog § 31 BGB voraus, dass der verfassungsmäßig 24 berufene Vertreter oder sonstige Repräsentant (Rz. 21 f.) die zum Schadensersatz verpflichtende Handlung (Rz. 23) in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen begangen hat. Das ist weit zu verstehen und fehlt nur dann, wenn das schadenstiftende Verhalten so sehr außerhalb seines Aufgabenbereiches steht, dass ein innerer Zusammenhang zwischen dem Handeln und dem allgemeinen Rahmen der ihm übertragenen Obliegenheiten nicht mehr erkennbar ist; daher kann sowohl vorsätzliches Überschreiten der übertragenen Geschäftsführungsbefugnisse als auch Handeln außerhalb der eingeräumten Vertretungsmacht noch als Handeln in Ausführung der zustehenden Verrichtungen qualifiziert werden.58 Die Haftungszurechnung ist gleichwohl insofern mit dem Vertretungsrecht abgestimmt, als 25 § 31 BGB weder die Haftung des Vertreters ohne Vertretungsmacht aus § 179 BGB noch eine allein aus der fehlenden Vertretungsmacht begründete Haftung aus culpa in contrahendo gem. § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2, 3 BGB auf die Gesellschaft überleitet.59
52 53 54 55 56 57 58 59
BGH v. 14.5.1974 – VI ZR 8/73, NJW 1974, 1371, 1371 f. Eingehend Wagner in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 823 BGB Rz. 154 ff. Wagner in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 823 BGB Rz. 135 ff. Dazu eingehend Bayer/Scholz in BeckOGK/GmbHG, § 43 GmbHG Rz. 704 ff. (Stand: 1.1.2023); Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 462 ff. Bayer/Scholz in BeckOGK/GmbHG, 2022, § 43 GmbHG Rz. 719 f. BGH v. 24.2.2003 – II ZR 385/99, BGHZ 154, 88, 94 = ZIP 2003, 664, 666; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 722 (Stand: 01/2022). BGH v. 8.7.1986 – VI ZR 47/85, BGHZ 98, 148 = ZIP 1986, 1179 = GmbHR 1986, 380. BGH v. 8.7.1986 – VI ZR 47/85, BGHZ 98, 148 = ZIP 1986, 1179; BGH v. 20.2.1979 – VI ZR 256/ 77, NJW 1980, 115, 116 = GmbHR 1986, 380. Ceesay | 377
§ 720 BGB Rz. 26 | Rechtsfähige Gesellschaft
II. Dispositive Gesamtvertretung (Abs. 1) 1. Gesamtvertretung (Normalstatut) 26 Gemäß § 720 Abs. 1 BGB sind zur Vertretung der Gesellschaft grundsätzlich alle Gesellschaf-
ter gemeinsam befugt – auch wenn es sich bei ihnen um juristische Personen (Rz. 9), Minderjährige (Rz. 10 ff.) oder Betreute (Rz. 13 ff.) handelt. Aus der Bezugnahme in § 720 Abs. 2 BGB („Gesamtvertretung nach Absatz 1“), dem intendierten Gleichlauf mit der Geschäftsführungsbefugnis nach § 715 Abs. 3 BGB60 sowie der Parallelregelung des § 125 Abs. 2 HGB („alle oder mehrere Gesellschafter nur gemeinsam“) ergibt sich, dass der Gesetzgeber mit der Anordnung in § 720 Abs. 1 BGB den Grundsatz der Gesamtvertretung in dem Sinne aufstellen wollte, dass die organschaftliche Vertretungsbefugnis (s. Rz. 5) von den Gesellschaftern aktiv nur gemeinschaftlich ausgeübt werden kann (zur Passivvertretung s. Rz. 67). Es kann insofern als Redaktionsversehen abgetan werden, dass in § 720 Abs. 1 BGB lediglich von „gemeinsam“ und nicht von „nur gemeinsam“ die Rede ist.
27 Die Ausübung der Gesamtvertretungsmacht erfordert nicht notwendig gleichzeitiges Han-
deln; es müssen aber die übrigen Willenserklärungen noch in Kraft sein, wenn die letzte Erklärung wirksam wird.61 Unabhängig davon kann ein Rechtsgeschäft, das nicht von allen zur Gesamtvertretung berufenen Gesellschaftern für die Gesellschaft abgeschlossen wurde, nach § 177 Abs. 1 BGB genehmigt werden, indem die übrigen Gesellschafter nachträglich ihre Zustimmung erteilen.62 Auch ein rechtsgeschäftlicher Vertreter kann das Geschäft genehmigen, wenn der Abschluss des Geschäfts von der ihm erteilten Vollmacht gedeckt ist.63 Ob ein Fall noch ausstehender Mitwirkung der übrigen Gesellschafter oder Vertretung ohne Vertretungsmacht vorliegt, beurteilt sich danach, wie die Erklärung gem. §§ 133, 157 BGB für den Geschäftsgegner zu verstehen ist: Konnte er davon ausgehen, dass das Geschäft auf Grund der abgegebenen Erklärung(en) für die Gesellschaft zustande gekommen ist, unterliegt das Geschäft bei unzureichender Mitwirkung der übrigen Gesellschafter den §§ 177 ff. BGB; anders liegt es nur, wenn der Geschäftsgegner ausnahmsweise davon ausgehen musste, dass die Wirksamkeit des Geschäfts bis zur Mitwirkung der übrigen Gesellschafter hinausgeschoben sein soll.64 28 Bei formbedürftigen Rechtsgeschäften erfordert eine wirksame Gesamtvertretung im Aus-
gangspunkt die Einhaltung der Formvorgaben durch alle zur Gesamtvertretung berufenen Gesellschafter.65 Das schließt es jedoch nicht aus, einzelne Gesellschafter nach § 720 Abs. 2 BGB zur Vornahme formbedürftiger Geschäfte zu ermächtigen. Gleichermaßen ist auch bei formbedürftigen Rechtsgeschäften eine Vertretung ohne Vertretungsmacht mit anschließender Genehmigung nach § 177 Abs. 1 BGB denkbar. Dabei erstreckt sich das Formerfordernis nach § 167 Abs. 2, § 182 Abs. 2 BGB weder auf die Gesamtvertreterermächtigung noch auf die Genehmigung. Haben nicht alle zur Gesamtvertretung berufenen Gesellschafter in der erforderlichen Form gehandelt, ist folglich zu unterscheiden: Ein nach § 125 Satz 1 BGB re-
60 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 162 („Befugnis zur organschaftlichen Vertretung der Gesellschaft eigenständig, aber dennoch in Parallele zur Geschäftsführungsbefugnis zu regeln“). 61 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 125 HGB Rz. 41. 62 Vgl. BGH v. 16.12.2009 – XII ZR 146/07, BGHZ 184, 35 = ZIP 2010, 270 Rz. 23. 63 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 125 HGB Rz. 42; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 322d (Stand: 01/2022). 64 Vgl. BGH v. 4.11.2009 – XII ZR 86/07, BGHZ 183, 67 = ZIP 2010, 185 Rz. 13 (zur Schriftform). 65 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 125 HGB Rz. 41; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 125 HGB Rz. 29; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 322b (Stand: 01/2022).
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Vertretung der Gesellschaft | Rz. 29 § 720 BGB
gelmäßig66 zur Nichtigkeit führender Formmangel liegt vor, wenn von den Gesellschaftern, die gemeinsam im Namen der Gesellschaft auf den Abschluss des Geschäfts gerichtete Willenserklärungen abgegeben haben, auch nur einer nicht in der erforderlichen Form gehandelt hat; § 139 BGB kommt insoweit nach nicht zur Anwendung.67 Haben die Gesellschafter ihre Erklärungen individuell formwirksam im Namen der Gesellschaft abgegeben, muss für den Geschäftsgegner – wie auch sonst (Rz. 27) – erkennbar sein, dass der Vertrag auf Grund der abgegebenen Erklärung(en) für die Gesellschaft zustande gekommen und nicht bis zur formwirksamen Mitwirkung der übrigen Gesellschafter hinausgeschoben sein soll. An dieser Erkennbarkeit fehlt es bei einem Schriftformerfordernis namentlich, wenn die Gesamtvertretungsregelung im Rubrum des Vertrages oder auf dem verwendeten Briefkopf ausdrücklich angegeben ist und gleichwohl nicht alle dort aufgeführten Gesellschafter unterzeichnet haben; hier müssen die unterzeichnenden Gesellschafter vielmehr durch einen Vertretungszusatz deutlich machen, dass sie nicht nur für die Gesellschaft, sondern zugleich auf Grundlage einer Ermächtigung nach § 720 Abs. 2 BGB gleichsam für die übrigen Gesellschafter handeln.68 Allein die Eintragung der Vertretungsverhältnisse ins GbR-Register begründet jedoch keine Zweifel an der Vollständigkeit; nach dem BGH können sich solche Zweifel vielmehr nur aus der Vertragsurkunde selbst ergeben.69 Nehmen der oder die unterzeichnenden Gesellschafter nach dem Erscheinungsbild der Urkunde die Berechtigung zum Abschluss des fraglichen Rechtsgeschäfts für sich in Anspruch, bestehen an ihrer Vollständigkeit keine Zweifel.70 Ob das Geschäft bereits mit dieser Unterzeichnung wirksam zustande gekommen ist oder noch der Genehmigung bedarf, ist dann keine Frage der Schriftform mehr.71 Ist ein Gesellschafter verhindert, an der Vertretung mitzuwirken, fällt er nicht mit der Wir- 29 kung weg, dass die übrigen Gesellschafter die Gesellschaft nunmehr ohne ihn vertreten können.72 Das wäre schon mit der persönlichen Haftung für die so begründeten Verbindlichkeiten nach § 721 BGB schwerlich vereinbar. Darüber hinaus ist auf der einen Seite der Rechtsverkehr durch die passive Einzelvertretung nach § 720 Abs. 5 BGB geschützt. Auf der anderen Seite erhält § 720 Abs. 2 BGB auch unter diesen Umständen regelmäßig die Handhabbarkeit der Gesamtvertretung, während § 720 Abs. 4 BGB es im Notfall ermöglicht, dem Gesellschafter (zeitweise) die Vertretungsbefugnis zu entziehen. Wo der Gesellschafter aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist, an der Vertretung mitzuwirken, kann und muss außerdem – und zwar grundsätzlich vorrangig gegenüber einem Entzug der Vertretungsbefugnis73 – gem. § 1814 Abs. 1 BGB (§ 1896 Abs. 1 BGB a.F.) ein Betreuer bestellt werden, dessen gesetzliche Vertretungsmacht ihn auch ermächtigt, die organschaftliche Vertretungsbefugnis des betreuten Gesellschafters auszuüben (s. Rz. 13). Aus diesen Gründen ist auch die Bestellung eines Notvertreters analog § 29 BGB ausgeschlossen.74
66 In der Rechtsprechung dominieren hingegen Fälle zum Schriftformerfordernis des § 550 Satz 1 BGB, dessen Nichteinhaltung abweichend von § 125 BGB nur dazu führt, dass der befristete Mietvertrag als für unbestimmte Zeit geschlossen gilt und daher gem. § 542 Abs. 1 BGB ordentlich kündbar ist. 67 BGH v. 9.2.1970 – II ZR 137/69, BGHZ 53, 210, 214 f. = NJW 1970, 806, 808. 68 BGH v. 22.4.2015 – XII ZR 55/14, BGHZ 205, 99 = ZIP 2015, 1177 Rz. 21 f.; BGH v. 4.11.2009 – XII ZR 86/07, BGHZ 183, 67 = ZIP 2010, 185 Rz. 18 f. 69 BGH v. 22.4.2015 – XII ZR 55/14, BGHZ 205, 99 = ZIP 2015, 1177 Rz. 24. 70 BGH v. 26.2.2020 – XII ZR 51/19, BGHZ 224, 370 = ZIP 2020, 820 Rz. 24. 71 BGH v. 22.4.2015 – XII ZR 55/14, BGHZ 205, 99 = ZIP 2015, 1177 Rz. 25. 72 Vgl. (zur GmbH) BGH v. 12.12.1960 – II ZR 255/59, BGHZ 34, 27 LS 1 = NJW 1961, 506; Roth in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 125 HGB Rz. 16; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 323d (Stand: 01/2022). 73 Scholz in MünchHdbGesR IX, 6. Aufl. 2021, § 22 Rz. 75. 74 BGH v. 23.9.2014 – II ZB 4/14, ZIP 2014, 2344 LS. Ceesay | 379
§ 720 BGB Rz. 30 | Rechtsfähige Gesellschaft 30 Besonderheiten ergeben sich jedoch, wenn die Gesellschaft Klage gegen einen ihrer Gesell-
schafter erhebt. In diesem Fall ist zwar der Betroffene analog § 181 BGB von der Vertretung der Gesellschaft ausgeschlossen.75 Durch dessen Ausschluss wird die Vertretungsmacht der anderen Gesellschafter jedoch grundsätzlich nicht erweitert (s. auch Rz. 42); vielmehr steht § 181 BGB auch und gerade einer Gesamtvertretung mit dem Ausgeschlossenen entgegen (Rz. 50). Nach der neueren Rechtsprechung des BGH können die übrigen Gesellschafter – der Betroffene ist als Richter in eigener Sache von der Beschlussfassung ausgeschlossen76 – allerdings analog § 46 Nr. 8 Halbs. 2 GmbHG einen besonderen Vertreter für die Prozessführung bestellen.77 Nach einer früheren Entscheidung des BGH sowie der herrschenden Meinung im Schrifttum soll zudem eine Vertretung ohne den betroffenen Gesellschafter möglich sein.78 Das ist insofern mit der Anwendung von § 46 Nr. 8 GmbHG vereinbar, als in der Klageerhebung durch die übrigen Gesellschafter zugleich ein konkludenter Beschluss zur besonderen Vertretung durch die übrigen Gesellschafter erblickt werden kann. Bei einer von § 720 Abs. 1 BGB abweichenden Vertretungsregelung lässt sich jedoch nicht rechtfertigen, warum die Vertretungsmacht eines nur mit dem Betroffenen gemeinsam vertretungsbefugten Gesellschafters zur Einzelvertretungsbefugnis erstarken sollte, wenn doch die Kompetenz zur Einräumung einer solchen besonderen Vertretungsmacht analog § 46 Nr. 8 GmbHG bei der Gesamtheit der Gesellschafter liegt. Im GmbH-Recht verwandelt sich die Gesamtvertretungsbefugnis eines Geschäftsführers nämlich auch dann nicht in eine Einzelvertretungsbefugnis, wenn die Gesellschaft andernfalls – ohne Bestellung eines besonderen Vertreters – die Klage nicht wirksam erheben könnte.79
2. Gestaltungsalternativen 31 Die in § 720 Abs. 1 BGB angeordnete Gesamtvertretung durch alle Gesellschafter besteht
nur, wenn der Gesellschaftsvertrag nicht etwas anderes bestimmt. Wie schon die Gesamtvertretungsanordnung muss auch dieser Teil der Regelung im Zusammenhang mit § 124 HGB verstanden werden. Dementsprechend sind alternative Vertretungsregelungen nicht schrankenlos zulässig. Die Gestaltungsalternativen werden vielmehr durch das Prinzip der zwingenden Selbstorganschaft begrenzt (s. Rz. 6). Zudem bleibt die Möglichkeit, die Vertretungsmacht einzelner Gesellschafter an einen Prokuristen zu koppeln (§ 124 Abs. 3 HGB, sog. unechte Gesamtvertretung), den Personenhandelsgesellschaften vorbehalten, weil die GbR gem. § 48 Abs. 1 HGB keine Prokura erteilen kann und die unechte Gesamtvertretung auf Prokuristen beschränkt bleiben muss, da allein die Prokura ins Handelsregister eingetragen werden kann und muss.80 Zudem steht § 720 Abs. 3 BGB Regelungen entgegen, welche die Vertretungsmacht gegenständlich verknüpfen, also etwa eine Einzelvertretungsbefugnis (Rz. 32) oder eine gelockerte Gesamtvertretungsbefugnis (Rz. 33) nur für bestimmte Arten von Ge75 BGH v. 7.6.2010 – II ZR 210/09, ZIP 2010, 2345 Rz. 11. 76 BGH v. 7.6.2010 – II ZR 210/09, ZIP 2010, 2345 Rz. 17 m.w.N. 77 BGH v. 7.6.2010 – II ZR 210/09, ZIP 2010, 2345 LS; zust. Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 105 HGB Rz. 382; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 310e (Stand: 01/2022). 78 BGH v. 4.11.1982 – II ZR 210/81, WM 1983, 60; Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 125 HGB Rz. 43; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 125 HGB Rz. 31. 79 Vgl. BGH v. 24.2.1992 – II ZR 79/91, ZIP 1992, 760 = GmbHR 1992, 299 LS 1. 80 Siehe auch Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 162: „Möchte die Gesellschaft auch insoweit die Vorteile der Registerpublizität für sich in Anspruch nehmen, kann sie sich nach § 107 Absatz 1 HGB-E als Personenhandelsgesellschaft registrieren lassen, unterliegt dann aber auch insgesamt den Vorschriften über Kaufleute. Die Einführung einer typisierten rechtsgeschäftlichen Vollmacht am Vorbild der handelsrechtlichen Prokura kommt deswegen nicht in Betracht.“
380 | Ceesay
Vertretung der Gesellschaft | Rz. 35 § 720 BGB
schäften einräumen.81 Da § 720 Abs. 3 Satz 2 BGB eine Beschränkung des Umfangs der Vertretungsbefugnis gegenüber Dritten für unwirksam erklärt, sind solche Vertretungsregeln nicht insgesamt, sondern nur in ihrer sachlichen Beschränkung der Vertretungsmacht unwirksam. Ungeachtet der Tatsache, dass die Gesellschafter eine so weitreichende Abweichung von § 720 Abs. 1 BGB erkennbar nicht gewollt hatten, bleibt also bspw. eine sachlich beschränkte Einzelvertretungsmacht nach außen als sachlich unbeschränkte Einzelvertretungsmacht wirksam. Als Schranken der Geschäftsführungsbefugnis im Innenverhältnis bleiben die sachlichen Beschränkungen gleichwohl relevant (Rz. 47). Möglich bleibt danach die Einräumung von – sachlich unbeschränkter – Einzelvertretungs- 32 befugnis nach dem Vorbild von § 124 Abs. 1 HGB (zu den Einzelheiten § 124 HGB Rz. 14 f.) an einzelne oder alle Gesellschafter. Denkbar ist aber auch eine – sachlich unbeschränkte – Abschwächung der Gesamtvertre- 33 tung nach § 720 Abs. 1 BGB. So können einzelne oder alle Gesellschafter gemeinsam mit einer bestimmten Zahl von weiteren Gesellschaftern zur Vertretung berechtigt werden; möglich ist auch eine sog. halbseitige Gesamtvertretungsregelung, bei der einem Gesellschafter Einzelvertretungsbefugnis eingeräumt wird und die übrigen Gesellschafter zur Gesamtvertretung mit diesem Gesellschafter ermächtigt werden.82 Auch der Ausschluss einzelner Gesellschafter von der Vertretungsmacht ist von der Abwei- 34 chungsbefugnis des § 720 Abs. 1 BGB gedeckt. Das folgt einerseits aus einem Erst-rechtSchluss aus der Möglichkeit des einseitigen Entzugs nach § 720 Abs. 4 BGB. Die Zulässigkeit eines konsensualen Ausschlusses folgt aber auch aus der expliziten Anerkennung eines solchen in der Parallelregelung des § 124 Abs. 1 HGB. Sofern der Gesellschaftsvertrag lediglich den Ausschluss einzelner Gesellschafter regelt, bleibt es für die übrigen bei der Gesamtvertretung nach § 720 Abs. 1 BGB (s. Rz. 26 ff.) Insbesondere bei Ausschluss der übrigen Gesellschafter von der Vertretungsmacht und bei 35 einer halbseitigen Gesamtvertretungsregelung kann es dazu kommen, dass die gesellschaftsvertragliche Vertretungsregelung undurchführbar wird, wenn der einzige einzelvertretungsbefugte Gesellschafter ausscheidet oder ihm die Vertretungsbefugnis nach § 720 Abs. 4 BGB entzogen wird. Die undurchführbare Vertretungsregelung paralysiert die Gesellschaft nicht, da der Grundsatz der Selbstorganschaft den Ausschluss aller Gesellschafter von der Vertretungsmacht verbietet (Rz. 6). Die Vertretungsbefugnisse der verbleibenden Gesellschafter müssen dann jedoch durch (ergänzende) Vertragsauslegung ermittelt werden.83 Dabei gilt die Auslegungsregel, dass das Ausscheiden eines Gesellschafters die individuellen Vertretungsbefugnisse der übrigen Gesellschafter im Zweifel nicht erweitert.84 So erstarkt etwa eine halbseitige Gesamtvertretungsbefugnis nicht zur Einzelvertretungsmacht, da den übrigen Gesellschaftern eine solche Vertretungsbefugnis gerade nicht eingeräumt werden sollte.85 Gleichermaßen erstarkt die Gesamtvertretungsbefugnis eines Gesellschafters regelmäßig nicht zur Einzelvertretungsbefugnis, wenn neben ihm ausschließlich Gesellschafter verbleiben, die gesellschaftsvertraglich von der Vertretung ausgeschlossen sind.86 In der Kon81 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 125 HGB Rz. 40; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 322a (Stand: 01/2022). 82 Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 125 HGB Rz. 8; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 322 (Stand: 01/2022). 83 K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 125 HGB Rz. 54; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 323a (Stand: 01/2022). 84 Vgl. BGH v. 25.5.1964 – II ZR 42/62, BGHZ 41, 367 = NJW 1964, 1624, 1625 („Zuwachs an Vertretungsmacht läge im Zweifel nicht im Sinne des Gesellschaftsvertrages, der die Einzelvertretung gerade ausgeschlossen hat“). 85 Vgl. BGH v. 25.5.1964 – II ZR 42/62, BGHZ 41, 367 = NJW 1964, 1624, 1625. 86 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 125 HGB Rz. 43. Ceesay | 381
§ 720 BGB Rz. 35 | Rechtsfähige Gesellschaft sequenz fällt die Vertretungsbefugnis in diesen Fällen auf die gesetzliche Ausgangsregelung, d.h. die Gesamtvertretung durch alle Gesellschafter nach § 720 Abs. 1 BGB zurück,87 bis eine neue gesellschaftsvertragliche Regelung getroffen ist. Ebenso lebt die dispositive Gesamtvertretung nach § 720 Abs. 1 BGB wieder auf, wenn infolge des Ausscheidens nur Gesellschafter verbleiben, die nach dem Gesellschaftsvertrag von der Vertretung ausgeschlossen sind.88 36 Von der Undurchführbarkeit der Vertretungsregelung ist die bloße Verhinderung von Ge-
sellschaftern zu unterscheiden, deren Mitwirkung an der Vertretung notwendig ist. Hier gilt nichts anderes als bei der Gesamtvertretung gem. § 720 Abs. 1 BGB (Rz. 29). 37 Will die Gesellschaft Klage gegen einen ihrer Gesellschafter erheben, ist zwar der Betroffene
wegen des Verbots des Insichprozesses von der Vertretung der Gesellschaft ausgeschlossen.89 Unabhängig davon, ob der Ausschluss des Betroffenen eine Vertretung der Gesellschaft nach der gesellschaftsvertraglichen Regelung verhindert,90 können die übrigen Gesellschafter jedoch analog § 46 Nr. 8 GmbHG einen besonderen Vertreter für den Prozess bestellen (Rz. 30).
III. Gesamtvertreterermächtigung (Abs. 2) 38 Nach § 720 Abs. 2 BGB können die zur Gesamtvertretung nach Abs. 1 befugten Gesellschaf-
ter einzelne von ihnen zur Vornahme bestimmter Geschäfte oder bestimmter Arten von Geschäften ermächtigen. Die Vorschrift ist § 125 Abs. 2 Satz 2 HGB a.F. nachgebildet.91 Sie muss daher im Zusammenhang mit der unverändert in § 124 Abs. 2 Satz 2 HGB übernommenen Regelung verstanden und im Einklang mit ihr ausgelegt werden. Daraus folgt zunächst, dass sich der Anwendungsbereich des § 720 Abs. 2 BGB auf jede Variante der Gesamtvertretung (s. Rz. 33) erstreckt und nicht auf die dispositive Gesamtvertretung durch alle Gesellschafter nach § 720 Abs. 1 BGB beschränkt ist. Denn in § 124 Abs. 2 Satz 2 HGB ist lediglich von „zur Gesamtvertretung befugten“ Gesellschaftern die Rede und es ist kein nachvollziehbarer Grund ersichtlich, warum die „flexiblere Handhabung der Gesamtvertretung“92 in der GbR auf eine Gesamtvertretung durch alle Gesellschafter beschränkt bleiben sollte. Aus der Möglichkeit, einzelne Gesamtvertreter zu ermächtigen, folgt erst recht die Zulässigkeit, einzelne Gesamtvertreter zur Gesamtvertretung mit anderen – aber eben nicht allen – Gesamtvertretern zu ermächtigen, also namentlich die Gesamtvertretung i.S.d. § 720 Abs. 1 BGB flexibler zu handhaben, ohne Gesellschaftern partiell Einzelvertretungsbefugnis einzuräumen. Verkehrsschutzinteressen stehen insoweit nicht entgegen, weil die Gesamtvertreterermächtigung nicht eintragungsfähig ist und auch keinen gesetzlich fixierten Umfang hat.93 Daraus folgt zugleich, dass eine Ermächtigung nach § 720 Abs. 2 BGB – wie schon der Wortlaut nahelegt – den Empfänger lediglich ermächtigt und die ermächtigenden Gesamtvertreter nicht aus ihrer eigenen Vertretungsmacht verdrängt.94
87 Für allseitige Gesamtvertretung auf Basis der dispositiven Einzelvertretungsbefugnis in der OHG auch Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 125 HGB Rz. 43; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 125 HGB Rz. 54; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 323a (Stand: 01/2022). 88 BGH v. 11.7.1960 – II ZR 260/59, BGHZ 33, 105, 108 (juris Rz. 12). 89 BGH v. 7.6.2010 – II ZR 210/09, ZIP 2010, 2345 Rz. 11. Das Verbot des Insichprozesses ist ein eigenständiger Verfahrensgrundsatz (eingehend Schilken in Staudinger, Neubearb. 2019, § 181 BGB Rz. 27), während § 181 BGB im Verfahrensrecht nicht unmittelbar zur Anwendung gelangt (BGH v. 30.1.1964 – VII ZR 5/63, BGHZ 41, 104, 107 = NJW 1964, 1129, 1130). 90 Vgl. BGH v. 24.2.1992 – II ZR 79/91, ZIP 1992, 760 = GmbHR 1992, 299 LS 1. 91 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 163. 92 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 163. 93 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 163. 94 K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 125 HGB Rz. 45.
382 | Ceesay
Vertretung der Gesellschaft | Rz. 42 § 720 BGB
Die Gesamtvertreterermächtigung erfolgt durch einseitige empfangsbedürftige Erklärung 39 gegenüber dem Empfänger.95 Ungeachtet des Streits um die Rechtsnatur der Gesamtvertreterermächtigung (Rz. 41) finden auf ihre Ausübung die vertretungsrechtlichen Vorschriften unstreitig entsprechende Anwendung, so dass der Geschäftsgegner insbesondere ein einseitiges Rechtsgeschäft nach § 174 Satz 1 BGB zurückweisen kann, wenn der ermächtigte Gesamtvertreter keine Urkunde über die Ermächtigung vorlegt.96 Zudem steht heute außer Frage, dass die Ermächtigung durch die organschaftlichen Vertreter persönlich erteilt wird, sie also bei der Erteilung nicht die Gesellschaft vertreten (wofür wiederum die Mitwirkung des Empfängers vonnöten wäre).97 Deshalb kann auch, wenn noch andere Gesamtvertreter vorhanden sind, ein einzelner Gesamtvertreter einen weiteren Gesamtvertreter in der Weise ermächtigen, dass der Ermächtigte die Gesamtvertretungsbefugnis des Ermächtigenden gemeinsam mit den anderen Gesellschaftern ausüben kann. Beispiel: 40 A, B, C und D sind nach § 720 Abs. 1 BGB zur Gesamtvertretung befugt. In den von § 720 Abs. 2 BGB gezogenen sachlichen Grenzen können A, B und C den D zur Einzelvertretung ermächtigen. Ermächtigt allein C den D, so kann dieser gemeinsam mit A und B vertreten (Rz. 39). Gleichermaßen können A, B, C und D sich gegenseitig ermächtigen, bestimmte Geschäfte oder bestimmte Arten von Geschäften mit einem weiteren Gesellschafter vorzunehmen, und so die allseitige Gesamtvertretung in den sachlichen Grenzen des § 720 Abs. 2 BGB auflockern (Rz. 38).
Nach dem BGH bewirkt die Ermächtigung eines einzelnen Gesamtvertreters, dass dessen 41 Gesamtvertretungsmacht im Umfang der Ermächtigung zur Alleinvertretungsmacht erstarkt.98 Dieser Zuwachs an originärer Vertretungsbefugnis soll nach dem BGH zur Folge haben, dass ein Rechtsgeschäft zwischen dem ermächtigenden Gesellschafter und der durch den ermächtigten Gesellschafter vertretenen Gesellschaft kein Insichgeschäft darstellt, für dessen Vornahme dem Ermächtigten nach § 181 BGB die Vertretungsmacht fehlt.99 Dem halten gewichtige Stimmen in der Literatur zu Recht100 entgegen, dass der ermächtigte 42 Gesellschafter gleichwohl nur über abgeleitete Vertretungsmacht verfüge und daher denselben Beschränkungen wie der ermächtigende Gesellschafter unterliegen müsse.101 Sind nur zwei Gesellschafter vorhanden, ergeben sich zwischen den Auffassungen keine Unterschiede, weil in der Einzelvertretung durch den anderen Gesellschafter zugleich der konkludente Beschluss liegt, den Gesellschaftsvertrag für diesen Einzelfall abzuändern und das Insichgeschäft zu gestatten.102 Das gilt gleichermaßen, wenn im Falle einer Gesamtvertretung nach § 720 Abs. 1 BGB alle weiteren Gesellschafter zusammen für die Gesellschaft handeln. Anders liegt es aber, wenn einzelne Gesellschafter von der Vertretung ausgeschlossen sind, weil diese an einer punktuellen Vertragsdurchbrechung mitwirken müssten.103 Im Schrifttum wird demgegenüber vertreten, dass der Ausschluss eines Gesellschafters von der Vertretung
95 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 324b f. (Stand: 01/2022). 96 BAG v. 18.12.1980 – 2 AZR 980/78, NJW 1981, 2374 LS 2; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 324a (Stand: 01/2022). 97 Eingehend K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 125 HGB Rz. 44. 98 BGH v. 6.3.1975 – II ZR 80/73, BGHZ 64, 72, 75 = NJW 1975, 1117, 1118. 99 BGH v. 6.3.1975 – II ZR 80/73, BGHZ 64, 72, 74 ff. = NJW 1975, 1117, 1118 f.; bestätigt durch BGH v. 8.10.1991 – XI ZR 64/90, NJW 1992, 618, 618 = ZIP 1991, 1582, 1582 f = GmbHR 1992, 107. 100 Siehe bereits Scholz, ZfPW 2023, 157, 164 ff. 101 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 125 HGB Rz. 51; K. Schmidt/ Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 125 HGB Rz. 46; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 323f (Stand: 01/2022). 102 Vgl. BGH v. 7.2.1972 – II ZR 169/69, BGHZ 58, 115 LS 2, 3. 103 BGH v. 7.2.1972 – II ZR 169/69, BGHZ 58, 115 LS 2. Ceesay | 383
§ 720 BGB Rz. 42 | Rechtsfähige Gesellschaft bei Insichgeschäften die Gesellschaft handlungsunfähig mache, der betroffene Gesellschafter daher ipso iure als Vertreter ausfalle und folglich die Vertretungsmacht den übrigen Gesamtvertretern „ohne weiteres“ so zuwachse, als wenn der Gesellschafter ausgeschieden wäre.104 Das ist fehlgeleitet.105 So ist bereits die Prämisse, dass die Gesellschaft für (Verkehrs-)Geschäfte mit ihren Gesellschaftern nicht handlungsunfähig sein dürfe, schon deshalb zweifelhaft, weil § 181 BGB die Vertretungsmacht kraft Gesetzes beschränkt und – anders als das Ausscheiden eines Gesellschafters – die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft im Übrigen nicht beeinträchtigt. Vor allem lässt sich das Dogma von der Handlungsfähigkeit schwerlich auf die Gesamtvertretung beschränken und müsste daher den einzigen zur Vertretung berufenen Gesellschafter „ohne weiteres“ ebenso wie den einzigen Komplementär einer KG von den Beschränkungen des § 181 BGB befreien. Die Befreiung von § 181 BGB stellt jedoch auch und gerade in diesen Situationen unstreitig eine Regelung der Vertretungsmacht dar, die als Grundlagengeschäft der Gesellschafterversammlung vorbehalten ist.106 Wenn der Gesellschaftsvertrag einzelne Gesellschafter von der Vertretung ausschließt und für die anderen Gesellschafter eine Gesamtvertretung ohne Befreiung von § 181 BGB vorsieht, können die zur Gesamtvertretung berufenen Gesellschafter die Gesellschaft daher nicht „ohne weiteres“ gegenüber einzelnen von ihnen vertreten. 43 Die Gesamtvertreterermächtigung erlaubt lediglich die Ermächtigung zur Vornahme be-
stimmter Geschäfte oder bestimmter Arten von Geschäften. Eine Generalermächtigung ist mithin unwirksam.107 Im Übrigen muss der Umfang der Ermächtigung durch Auslegung ermittelt werden, wobei keine Vermutung analog § 54 HGB besteht.108 44 Die Ermächtigung kann jederzeit durch den ermächtigenden Gesellschafter widerrufen wer-
den. Andere Gesellschafter sind dagegen nicht zum Widerruf berechtigt.109 Denn die Ermächtigung erfolgt nicht in Vertretung der Gesellschaft, sondern wird durch den organschaftlichen Vertreter persönlich erteilt (Rz. 39). Haben mehrere Gesamtvertreter einen von ihnen zur alleinigen Vornahme ermächtigt und widerruft einer der ermächtigenden Gesellschafter die Ermächtigung, reduziert sich die Ermächtigung entsprechend.110 45 Beispiel: A, B und C sind nach § 720 Abs. 1 BGB zur Gesamtvertretung befugt. A und B haben C nach § 720 Abs. 2 BGB zur Einzelvertretung ermächtigt. Widerruft allein B die erteilte Ermächtigung, wird die Ermächtigung des C weder insgesamt hinfällig noch bleibt sie insgesamt erhalten. Vielmehr ist C nunmehr lediglich ermächtigt, die Gesellschaft im Umfang der von A erteilten Ermächtigung gemeinsam mit B zu vertreten.
104 K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 125 HGB Rz. 46; ebenso Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 323g (Stand: 01/2022) („nicht anders zu behandeln als der komplette Wegfall durch Tod oder ein sonstiges Ausscheiden aus der Gesellschaft“). 105 Eingehend bereits Scholz, ZfPW 2023, 157, 165 f. 106 Vgl. BGH v. 19.4.2016 – II ZR 123/15, ZIP 2016, 1332 Rz. 27; s. auch BGH v. 7.2.1972 – II ZR 169/69, BGHZ 58, 115 = GmbHR 2016, 980 LS 2. 107 Vgl. BGH v. 12.12.1960 – II ZR 255/59, BGHZ 34, 27 LS 2. 108 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 125 HGB Rz. 49. 109 K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 125 HGB Rz. 47; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 324e (Stand: 01/2022); a.A. Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 125 HGB Rz. 53; Hillmann in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 125 HGB Rz. 33; Roth in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 125 HGB Rz. 17; Steitz in Henssler/Strohn, GesR, 5. Aufl. 2021, § 125 HGB Rz. 45. 110 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 125 HGB Rz. 53; K. Schmidt/ Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 125 HGB Rz. 47; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 324e (Stand: 01/2022).
384 | Ceesay
Vertretung der Gesellschaft | Rz. 50 § 720 BGB
IV. Sachlicher Umfang der Vertretungsmacht (Abs. 3) 1. Unbeschränkte und unbeschränkbare Vertretungsmacht Nach § 720 Abs. 3 Satz 1 BGB erstreckt sich die Vertretungsbefugnis der Gesellschafter auf 46 alle Geschäfte der Gesellschaft. Hiervon ausgenommen sind lediglich Grundlagengeschäfte (Rz. 48). Zudem gelten die dispositiven Schranken des § 181 BGB auch für die Vertretung der Gesellschaft (Rz. 49 ff.). Darüber hinaus erklärt § 720 Abs. 3 Satz 2 BGB in bewusster Abkehr von § 714 BGB a.F.111 47 Beschränkungen des Umfangs jener Vertretungsbefugnis gegenüber Dritten für unwirksam. Die Vertretungsmacht ist also in jeder Hinsicht sachlich unbeschränkbar; § 720 Abs. 3 Satz 3 BGB hat daneben nur illustrativen Charakter. Eine Grenze zieht lediglich die Lehre vom Missbrauch der Vertretungsmacht, wenn Gesellschafter und Geschäftsgegner bewusst zum Nachteil der Gesellschaft zusammenwirken oder sich dem Geschäftsgegner aufdrängen musste, dass der Gesellschafter seine internen Beschränkungen überschreitet (Rz. 55 ff.). Im Übrigen bleiben Beschränkungen der Vertretungsbefugnis im Innenverhältnis als Grenzen der Geschäftsführungsbefugnis relevant,112 deren Überschreitung eine nach § 280 Abs. 1 BGB schadensersatzbewehrte Pflichtverletzung begründet (§ 715 BGB Rz. 24).
2. Verbleibende Schranken a) Grundlagengeschäfte Die sachlich unbeschränkte und unbeschränkbare Vertretungsmacht erstreckt sich auf alle 48 Geschäfte der Gesellschaft. Sie erfasst damit von vornherein nicht Vertrags- oder Statusangelegenheiten auf Gesellschafterebene, welche die Grundlagen der Gesellschaft betreffen.113 Diese Geschäfte unterliegen der Regelungskompetenz der Gesellschafterversammlung, d.h. der Entscheidung durch alle Gesellschafter ungeachtet ihrer individuellen Vertretungsbefugnisse (§ 709 BGB Rz. 36). b) Selbstkontrahieren und Mehrfachvertretung (§ 181 BGB) Die Anordnung der sachlich unbeschränkten Vertretungsmacht in § 720 Abs. 3 Satz 1 BGB 49 lässt das bürgerlich-rechtliche Verbot von Insichgeschäften, d.h. den Ausschluss der Vertretungsmacht für Insichgeschäfte,114 gem. § 181 BGB unberührt. Daher können auch die zur organschaftlichen Vertretung berufenen Gesellschafter die Gesellschaft grundsätzlich weder bei Rechtsgeschäften mit sich selbst (Selbstkontrahieren) noch bei solchen Rechtsgeschäften vertreten, bei denen sie zugleich als Vertreter eines Dritten handeln (Mehrfachvertretung), es sei denn, dass jene Rechtsgeschäfte ausschließlich in der Erfüllung einer Verbindlichkeit bestehen, der Gesellschaft lediglich einen rechtlichen Vorteil bringen115 oder dem Gesellschafter im Vorhinein gestattet wurden (Rz. 53). Das gilt nicht nur im Falle der Einzelvertretung, sondern schließt auch die Gesamtvertre- 50 tung unter Mitwirkung des nach § 181 BGB von der Vertretung ausgeschlossenen Gesell-
111 Dazu Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 163 f. 112 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 126 HGB Rz. 20. 113 Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 126 HGB Rz. 3 f.; Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 126 HGB Rz. 12 ff. 114 BGH v. 29.11.1993 – II ZR 107/92, ZIP 1994, 129, 131 = GmbHR 1994, 122; BGH v. 8.10.1975 – VIII ZR 115/74, BGHZ 65, 123, 125 f. 115 BGH v. 27.9.1972 – IV ZR 225/69, BGHZ 59, 236 LS. Ceesay | 385
§ 720 BGB Rz. 50 | Rechtsfähige Gesellschaft schafters aus.116 Nach einer wenig überzeugenden Rechtsprechungslinie soll sich jedoch dieser Ausschluss bzw. die Notwendigkeit einer Befreiung durch die Gesellschafterversammlung im Einzelfall (Rz. 53) dadurch umgehen lassen, dass der nach § 181 BGB von der Vertretung ausgeschlossene Gesamtvertreter den übrigen eine Ermächtigung nach § 720 Abs. 2 BGB erteilt (Rz. 41 f.). Gleichwohl kann auch nach dem BGH eine gemeinschaftliche Vertretung, bei der ein Gesellschafter gegen § 181 BGB verstößt, nicht nach § 140 BGB in eine solche Ermächtigung umgedeutet werden.117 Ungeachtet dieser Kontroversen liegt nach allgemeiner Auffassung kein Fall des § 181 BGB vor, wenn die Gesellschaft durch andere Gesellschafter einzeln oder gemeinschaftlich vertreten wird und diese auf Grund einer von § 720 Abs. 1 BGB abweichenden Vertretungsregelung für eine wirksame Vertretung nicht auf die Mitwirkung des Gesellschafters angewiesen sind, der auf der anderen Seite des Geschäfts steht.118 51 Wenngleich § 181 BGB durch eine Gesamtvertreterermächtigung gem. § 720 Abs. 2 BGB
nach der – insoweit zweifelhaften – höchstrichterlichen Rechtsprechung umgangen werden kann (Rz. 41 f.), hat doch der BGH auch in jenen Entscheidungen keinen Zweifel an dem Grundsatz aufkommen lassen, „daß der am Selbstkontrahieren gehinderte Vertreter nicht auf dem Umweg über die Bestellung eines Unterbevollmächtigten seine eigene Vertretungsmacht erweitern kann.“119 Daher findet § 181 BGB jedenfalls dann auf die Vertretung durch einen Bevollmächtigten analoge Anwendung, wenn ein Geschäft mit dem einzigen zur Vertretung der Gesellschaft berufenen Gesellschafter in Rede steht.120 Das Gleiche gilt, wenn die übrigen zur Vertretung berufenen Gesellschafter für eine wirksame Gesamtvertretung auf die Mitwirkung des Gesellschafters angewiesen wären, der auf der anderen Seite des Geschäfts steht.121 Dann könnte die Gesellschaft gegenüber diesem Gesellschafter nämlich selbst organschaftlich nur innerhalb der durch § 181 BGB gezogenen Grenzen vertreten werden. Dementsprechend fällt die Beurteilung schwerer, wenn die Gesellschaft auf Grund einer Einzelvertretungsbefugnis anderer Gesellschafter (Rz. 32) oder einer gelockerten Gesamtvertretungsregelung (Rz. 33) gegenüber dem Gesellschafter auch ohne dessen Mitwirkung organschaftlich vertreten werden könnte. Ob § 181 BGB in einer solchen Fallkonstellation die Vertretung durch einen Bevollmächtigten einschränkt, ist bislang weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur geklärt.122 Auf den ersten Blick mag es hier zwar naheliegen, darauf abzustellen, ob die Gesellschafter, welche die Vollmacht im Namen der Gesellschaft erteilt hatten, die Gesellschaft auch gegenüber dem Gesellschafter wirksam vertreten könnten, der auf der anderen Seite des Geschäfts steht. Eine Bevollmächtigung durch die Gesellschaft kann jedoch nicht einer Unterbevollmächtigung durch deren organschaftlichen Vertreter gleichgesetzt werden. Denn eine nachträgliche Änderung der organschaftlichen Vertretungsverhältnisse lässt die erteilte Vollmacht ebenso unberührt wie das Ausscheiden des Gesellschafters, der die Vollmacht ursprünglich erteilt hatte. Es spricht daher viel dafür, § 181 BGB entsprechend auf alle Geschäfte mit vertretungsberechtigten Gesellschaftern anzuwenden, bei denen die Gesellschaft durch einen Bevollmächtigten vertreten wird.123 Damit wäre die Vertretung bei solchen Geschäften effektiv den übrigen zur organschaftlichen Vertretung berufenen Gesellschaftern vorbehalten, sofern der Gesellschafter auf der Gegenseite nicht von § 181 BGB befreit wurde oder das Geschäft ausschließlich in der Erfüllung einer Verbindlichkeit besteht. Diese Lösung entspricht dem abstrakt-generellen Schutzkonzept des § 181 BGB, da bei rechtsgeschäftlichen Vertretern und insbesondere gem. § 106 GewO den
116 117 118 119 120 121 122 123
BGH v. 8.10.1991 – XI ZR 64/90, ZIP 1991, 1582 = GmbHR 1992, 107. BGH v. 8.10.1991 – XI ZR 64/90, ZIP 1991, 1582 LS 2 = GmbHR 1992, 107. Eingehend bereits Scholz, ZfPW 2023, 157, 161. BGH v. 6.3.1975 – II ZR 80/73, BGHZ 64, 72, 74 = NJW 1975, 1117, 1118. Scholz, ZfPW 2023, 157, 168 f. Eingehend bereits Scholz, ZfPW 2023, 157, 169. Eingehend und m.w.N. aber Scholz, ZfPW 2023, 157, 170 f. Eingehend bereits Scholz, ZfPW 2023, 157, 170 f.
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Vertretung der Gesellschaft | Rz. 53 § 720 BGB
Weisungen der Geschäftsführung unterworfenen Angestellten der Gesellschaft typischerweise die Gefahr besteht, dass sie die Interessen der Gesellschaft nicht effektiv gegenüber einem ihrer Gesellschafter vertreten werden. Die Alternative – im Einzelfall darauf abzustellen, ob der nicht von § 181 BGB befreite Gesellschafter den Bevollmächtigten zu dem Geschäft veranlasst hat124 – erfasst demgegenüber weder den gesamten Interessenkonflikt noch fügt sie sich bruchlos in das Regelungskonzept des § 181 BGB ein.125 Hat ein Gesellschafter die Gesellschaft unter Verstoß gegen § 181 BGB vertreten, ist das Ge- 52 schäft nicht nichtig; vielmehr liegt ein Fall der Vertretung ohne Vertretungsmacht vor, so dass ein Vertrag gem. § 177 Abs. 1 BGB und ein einseitiges Rechtsgeschäft unter den Voraussetzungen des § 180 BGB genehmigt werden kann.126 Da in einer solchen Genehmigung keine – der Gesellschafterversammlung vorbehaltene (Rz. 53) – Befreiung von § 181 BGB liegt, sondern mit ihr lediglich dem konkreten schwebend unwirksamen Rechtsgeschäft zur Wirksamkeit verholfen wird, kann sie von den zur organschaftlichen Vertretung der Gesellschaft berufenen Gesellschaftern erteilt werden.127 Allerdings unterliegt auch die Genehmigung des unter Verstoß gegen § 181 BGB abgeschlossenen Geschäfts den Schranken des § 181 BGB. Durch die organschaftlichen Vertreter kann die Genehmigung daher nur erteilt werden, wenn diese für eine wirksame Vertretung nicht auf die Mitwirkung des nach § 181 BGB ausgeschlossenen Gesellschafters angewiesen sind (Rz. 50).128 Auf Grundlage der Rechtsprechung des BGH, wonach § 181 BGB durch eine Gesamtvertreterermächtigung umgangen werden kann (Rz. 41), muss allerdings für die Genehmigung das Gleiche gelten. Hält man eine solche Umgehung dagegen für unzulässig (Rz. 42), schließt dies eine Genehmigung nicht per se aus. Die Genehmigungskompetenz fällt dann lediglich in die Hände der Gesellschafterversammlung,129 wo der Gesellschafter, der auf der anderen Seite des Geschäfts steht, jedenfalls bei der Beschlussfassung über die Genehmigung von Insichgeschäften vom Stimmrecht ausgeschlossen ist (vgl. § 709 BGB Rz. 49).130 Einer Genehmigung durch Bevollmächtigte stehen dieselben Bedenken entgegen, die dafürsprechen, § 181 BGB generell anzuwenden, wenn die Gesellschaft bei Insichgeschäften der Gesellschafter durch Bevollmächtigte vertreten wird (Rz. 51). Der Schutz des § 181 BGB ist disponibel („soweit nicht ein anderes ihm gestattet ist“). Da die 53 Befreiung von den Schranken des § 181 BGB den Umfang der Vertretungsmacht regelt, handelt es sich bei ihr um ein Grundlagengeschäft, das nach allgemeinen Grundsätzen der Gesellschafterversammlung vorbehalten ist (Rz. 48).131 Ihr steht es frei, den zur organschaftlichen Vertretung berufenen Gesellschaftern das Selbstkontrahieren durch gesellschaftsvertragliche Regelung generell oder durch vertragsdurchbrechenden Beschluss für den Einzelfall zu gestatten.132 Dabei können auch lediglich einzelne Gesellschafter befreit werden. Zudem steht es der Gesellschafterversammlung frei, ausschließlich die Mehrfachvertretung oder die Vornahme von Insichgeschäften zu gestatten. In jedem Fall handelt es sich bei einer generel-
124 Stephan/Tieves in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2023, § 35 GmbHG Rz. 210; ähnlich auch Schaefer, DStR 2020, 2379, 2381, der darauf abstellt, ob der organschaftliche Vertreter das Rechtsgeschäft bereits „hinreichend konkretisiert“ hatte. 125 Scholz, ZfPW 2023, 157, 170. 126 BGH v. 29.11.1993 – II ZR 107/92, ZIP 1994, 129, 131 = GmbHR 1994, 122; BGH v. 8.10.1975 – VIII ZR 115/74, BGHZ 65, 123, 125 f. 127 BGH v. 29.11.1993 – II ZR 107/92, ZIP 1994, 129, 131 = GmbHR 1994, 122. 128 Dagegen müssen die Gesellschafter, für die das zu genehmigende Geschäft kein Insichgeschäft darstellt, nicht von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit sein, um die Genehmigung erteilen zu können (Blasche/König, NZG 2012, 812, 816; Rawert/Endres, ZIP 2015, 2197, 2201 f.; Stephan/ Tieves in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2023, § 35 GmbHG Rz. 204). 129 Vgl. BGH v. 29.11.1993 – II ZR 107/92, ZIP 1994, 129, 131 = GmbHR 1994, 122. 130 Vgl. auch Stephan/Tieves in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2023, § 35 GmbHG Rz. 204. 131 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 125 HGB Rz. 52. 132 Vgl. BGH v. 7.2.1972 – II ZR 169/69, BGHZ 58, 115 LS 2. Ceesay | 387
§ 720 BGB Rz. 53 | Rechtsfähige Gesellschaft len Gestattung um eine Regelung der Vertretungsbefugnis der Gesellschafter i.S.d. § 707 Abs. 2 Nr. 3 BGB, die bei Eintragung der GbR ins Gesellschafterregister einzutragen ist (§ 707 BGB Rz. 25). 54 Sowohl im Falle einer Befreiung von den Schranken des § 181 BGB (Rz. 53) als auch in den
Fällen, in denen das Geschäft ausschließlich in der Erfüllung einer Verbindlichkeit besteht (Rz. 49), bleibt die Gesellschaft durch die Lehre vom Missbrauch der Vertretungsmacht geschützt (Rz. 57 f.). Dieser Schutz ist sogar besonders effektiv, weil sich der Gesellschafter beim Selbstkontrahieren von vornherein nicht auf die unbeschränkte Vertretungsmacht nach § 720 Abs. 3 BGB berufen kann133 und dem Geschäftsgegner bei einer Mehrfachvertretung das Wissen des Gesellschafters um die Beschränkungen seiner Geschäftsführungsbefugnis nach § 166 Abs. 1 BGB zugerechnet wird.134 c) Missbrauch der Vertretungsmacht 55 Die gem. § 720 Abs. 3 BGB unbeschränkte und unbeschränkbare Vertretungsmacht dient
dem Verkehrsschutz, insofern potentielle Vertragspartner der Gesellschaft bürgerlichen Rechts davor bewahrt werden, vor Abschluss des Vertrags prüfen zu müssen, ob die Vertretungsbefugnis beschränkt ist.135 Nach den tradierten Grundsätzen über den Missbrauch der Vertretungsmacht ist es dem Geschäftsgegner gleichwohl verwehrt, sich auf die unbeschränkte Vertretungsmacht zu berufen, wenn sein Vertrauen auf deren Unbeschränkbarkeit nicht schutzwürdig ist.136 An dieser Schutzwürdigkeit des Vertrauens fehlt es nach ständiger Rechtsprechung137 nicht nur, wenn Gesellschafter und Geschäftsgegner bewusst zum Nachteil der Gesellschaft zusammenwirken (Kollusion); es genügt bereits, dass sich dem Geschäftsgegner geradezu aufdrängen musste, dass der Gesellschafter seine gesellschaftsinternen Bindungen, d.h. seine Geschäftsführungsbefugnis, überschreitet (Evidenz). Die Fallgruppe der Evidenz erfordert dabei zwar „eine massive Verdachtsmomente voraussetzende objektive Evidenz des Missbrauchs“138 für den Geschäftsgegner. Aufseiten des handelnden Gesellschafters bedarf es indes nicht mehr als einer objektiven Pflichtverletzung139 und aufseiten der vertretenen Gesellschaft auch keines konkreten Nachteils140. Denn die Grundsätze über den Missbrauch der Vertretungsmacht wollen weder den Vertreter sanktionieren noch bezwecken sie primär den Vermögensschutz der Gesellschaft; sie schützen vielmehr das Selbstbestimmungsrecht des Vertretenen, wenn der Geschäftsgegner kein Repräsentant redlicher Verkehrsinteressen ist.141 Aus diesem Grund spricht die Rechtsprechung Gesellschaftern, die mit der Gesellschaft kontrahieren, zu Recht den durch § 720 Abs. 3 BGB vermittelten Verkehrsschutz in Gänze ab.142 133 BGH v. 23.6.1997 – II ZR 353/95, ZIP 1997, 1419, 1419 f = GmbHR 1997, 836. 134 Insofern noch richtig, daraus aber zu Unrecht die Notwendigkeit einer Einschränkung der Lehre vom Missbrauch der Vertretungsmacht ableitend, BGH v. 29.10.2020 – IX ZR 212/19, ZIP 2021, 581 Rz. 10; ebenso BGH v. 18.10.2017 – I ZR 6/16, ZIP 2018, 214 = GmbHR 2018, 251 LS, Rz. 24; eingehend dazu Scholz, ZfPW 2019, 297, 309 f. 135 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 163. 136 Ständige Rspr., s. etwa BGH v. 18.10.2017 – I ZR 6/16, ZIP 2018, 214 LS, Rz. 22; BGH v. 19.6.2006 – II ZR 337/05, ZIP 2006, 1391 Rz. 2 f.; BGH v. 28.2.1966 – VII ZR 125/65, NJW 1966, 1911 = GmbHR 2006, 876 (dort auch m.N. zur Rechtsprechung des RG). 137 Vgl. BGH v. 1.2.2012 – VIII ZR 307/10, NJW 2012, 1718 Rz. 21; BGH v. 13.11.1995 – II ZR 113/ 94, ZIP 1996, 68, 69 = GmbHR 1996, 111. 138 BGH v. 14.6.2016 – XI ZR 483/14, ZIP 2016, 1428 Rz. 24. 139 BGH v. 19.6.2006 – II ZR 337/05, ZIP 2006, 1391 Rz. 3 = GmbHR 2006, 876; s. auch BGH v. 11.5.2017 – IX ZR 238/15, NJW 2017, 3373 Rz. 20. 140 BGH v. 19.6.2006 – II ZR 337/05, ZIP 2006, 1391 Rz. 2 f. = GmbHR 2006, 876. 141 Zutreffend Fleischer, NZG 2005, 529, 535; Lieder, JuS 2014, 681, 682; ähnlich Schilken in Staudinger, Neubearb. 2019, § 167 BGB Rz. 95. 142 BGH v. 23.6.1997 – II ZR 353/95, ZIP 1997, 1419, 1419 f.; Fleischer, NZG 2005, 529, 535 f.
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Vertretung der Gesellschaft | Rz. 57 § 720 BGB
Auf Rechtsfolgenseite ist nach ständiger Rechtsprechung zu differenzieren: Bei Kollusion soll 56 das Rechtsgeschäft nach § 138 BGB nichtig sein,143 bei Evidenz sollen die §§ 177 ff. BGB entsprechende Anwendung finden144. In der Literatur spricht sich eine im Vordringen befindliche Auffassung hingegen zu Recht für eine einheitliche Anwendung der §§ 177 ff. BGB aus.145 Da die Lehre vom Missbrauch der Vertretungsmacht im Ausgangspunkt das Selbstbestimmungsrecht der Gesellschaft – respektive ihrer Gesellschafter – schützt, geht es zu weit, dieser auf Rechtsfolgenseite die Möglichkeit einer Genehmigung durch die zur Vertretung berufenen Gesellschafter zu nehmen.146 Unabhängig davon können, wenn die unbeschränkte und unbeschränkbare Vertretungsmacht nach den Grundsätzen über den Missbrauch der Vertretungsmacht durchbrochen ist, aus dem Handeln des Gesellschafters jedenfalls nur insoweit nachteilige Rechtsfolgen für die Gesellschaft hergeleitet werden, wie dies sonst bei einer Vertretung ohne Vertretungsmacht (z.B. durch einen von mehreren Gesamtvertretern) der Fall ist. Daher kann sich zwar der handelnde Gesellschafter gem. § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2, Abs. 3 BGB persönlich haftbar machen (eine Haftung als Vertreter ohne Vertretungsmacht scheitert stets an § 179 Abs. 3 Satz 1 BGB); soweit dessen culpa in contrahendo in der fehlenden Vertretungsmacht begründet ist, wird die Haftung jedoch auch analog § 31 BGB nicht auf die Gesellschaft übergeleitet (Rz. 25). Erst recht verbietet es sich, die Unwirksamkeit des ohne Vertretungsmacht geschlossenen Geschäfts analog § 254 BGB teilweise in Frage zu stellen, wenn die übrigen Gesellschafter den Missbrauch der Vertretungsmacht dadurch ermöglicht haben, dass sie zumutbare Kontrollmaßnahmen unterlassen haben. Soweit der BGH diesen Weg in der Vergangenheit vereinzelt beschritten hat,147 ist er daher zurecht auf einhellige Ablehnung aus dem Schrifttum gestoßen.148 Vielmehr ist § 254 BGB nur zugunsten der Gesellschaft anwendbar, wenn sie trotz des Missbrauchs der Vertretungsmacht aus culpa in contrahendo für das Verhalten des Gesellschafters haftbar ist.149 Die Lehre vom Missbrauch der Vertretungsmacht und § 181 BGB (Rz. 49 ff.) stellen von- 57 einander unabhängige Schranken der Vertretungsmacht dar. Entgegen einer neueren Linie in der Rechtsprechung150 ist es daher nicht gerechtfertigt, die Grundsätze über den Missbrauch der Vertretungsmacht bei einem Insichgeschäft mit Rücksicht auf die Wertungen des § 181 BGB zu beschränken.151 Das gilt einerseits, wenn das Insichgeschäft ausnahmsweise wegen Erfüllung einer Verbindlichkeit gem. § 181 letzter Halbs. BGB zulässig ist. Denn dieser Ausnahmetatbestand des § 181 BGB gründet auf dem Fehlen eines abstrakten Interessenkon-
143 BGH v. 11.5.2017 – IX ZR 238/15, NJW 2017, 3373 Rz. 20; BGH v. 28.1.2014 – II ZR 371/12, ZIP 2014, 615 Rz. 10 = GmbHR 2014, 421. 144 BGH v. 6.5.1999 – VII ZR 132/97, BGHZ 141, 357, 363 f. = ZIP 1999, 1099, 1101. 145 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 126 HGB Rz. 27; Lieder, JuS 2014, 681, 685. 146 Vgl. Lieder, JuS 2014, 681, 685; Mock, JuS 2008, 486, 486 f.; in der Sache auch Schubert in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2021, § 167 BGB Rz. 227; ebenso wohl Maier-Reimer/Finkenauer in Erman, 16. Aufl. 2020, § 167 BGB Rz. 71 (keine Nichtigkeit im „Fall des § 177 [BGB]“). 147 BGH v. 25.3.1968 – II ZR 208/64, BGHZ 50, 112, 114 = NJW 1968, 1379, 1381; BGH v. 6.3.1975 – II ZR 165/73, NJW 1975, 1168, 1169; dagegen hat BGH v. 29.6.1999 – XI ZR 277/98, ZIP 1999, 1303, 1305 offengelassen, „ob der in einem Einzelfall vertretenen Ansicht zu folgen ist“. 148 Siehe nur Maier-Reimer/Finkenauer in Erman, 16. Aufl. 2020, § 167 BGB Rz. 76; Schilken in Staudinger, Neubearb. 2019, § 167 BGB Rz. 104; Schubert in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2021, § 164 BGB Rz. 240. 149 Schilken in Staudinger, Neubearb. 2019, § 167 BGB Rz. 104; Schubert in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2021, § 164 BGB Rz. 240. 150 BGH v. 29.10.2020 – IX ZR 212/19, ZIP 2021, 581 LS 1, Rz. 10; BGH v. 18.10.2017 – I ZR 6/16, ZIP 2018, 214 LS, Rz. 23 ff. 151 Eingehend Scholz, ZfPW 2019, 297, 302 ff.; zust. Bayer in FS E. Vetter, 2019, S. 51, 75 ff.; MaierReimer/Finkenauer in Erman, 16. Aufl. 2020, § 181 BGB Rz. 2; Schubert in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2021, § 164 BGB Rz. 102; Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 714 BGB Rz. 7b. Ceesay | 389
§ 720 BGB Rz. 57 | Rechtsfähige Gesellschaft flikts des Vertreters, negiert jedoch weder dessen konkrete interne Bindungen noch die Bösgläubigkeit des Geschäftsgegners. Auch die vorherige Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB (Rz. 53) führt bei einem Insichgeschäft nicht zum Ausschluss der Lehre vom Missbrauch der Vertretungsmacht. Eine solche Befreiung ist primär auf die Vertretungsmacht im Außenverhältnis gerichtet und kann jedenfalls bei einer generellen Gestattung nicht als umfassende Befreiung des Vertreters von etwaigen internen Beschränkungen ausgelegt werden. 58 Ebenso wenig wie ein Sonderrecht für Insichgeschäfte (Rz. 57) lässt sich eine generelle Be-
schränkung der Lehre vom Missbrauch der Vertretungsmacht in den Fällen der Erfüllung einer Verbindlichkeit der Gesellschaft begründen.152 Wird die im Wege des Missbrauchs der Vertretungsmacht vorgenommene Erfüllung nicht nach § 177 BGB genehmigt (s. Rz. 56), ist der Geschäftsgegner mithin grundsätzlich darauf verwiesen, die Verbindlichkeit von der Gesellschaft einzuklagen. Es steht ihm jedoch mit der Rechtsprechung des V. Zivilsenats des BGH153 grundsätzlich offen, alternativ darauf zu klagen, dass die Gesellschaft die Erfüllung – ohne Rückwirkung – genehmigt.154 d) Minderjährige und betreute Gesellschafter 59 Soweit die organschaftliche Vertretungsbefugnis minderjähriger Gesellschafter durch ihre
gesetzlichen Vertreter ausgeübt wird, ist deren Befugnis zur Vertretung der Gesellschaft nicht durch § 1643 i.V.m. §§ 1850 ff. BGB (§§ 1821 f. BGB a.F.) beschränkt (Rz. 10). Das gilt ebenso, wenn der minderjährige Gesellschafter analog § 112 Abs. 1 Satz 1 BGB mit Zustimmung des Familiengerichts zur organschaftlichen Vertretung und Geschäftsführung der Gesellschaft ermächtigt wurde (Rz. 12). Soweit der Minderjährige ohne eine solche Ermächtigung selbst handelt, sind seine Erklärungen vor Vollendung des siebenten Lebensjahres nach § 105 Abs. 1 BGB nichtig und nach Vollendung des siebenten Lebensjahres nach §§ 107 ff. BGB von der Zustimmung seiner gesetzlichen Vertreter abhängig, sofern die Willenserklärung nicht für die Gesellschaft selbst lediglich rechtlich vorteilhaft bzw. neutral ist (Rz. 11). 60 Soweit die organschaftliche Vertretungsbefugnis eines betreuten Gesellschafters nach § 1823
BGB (§ 1902 BGB a.F.) durch den Betreuer ausgeübt wird, ist dessen Befugnis zur Vertretung der Gesellschaft ebenso wenig wie die Vertretungsbefugnis der gesetzlichen Vertreter minderjähriger Gesellschafter durch §§ 1848 ff. BGB (§§ 1821 f. i.V.m. § 1908i BGB a.F.) beschränkt (Rz. 13). Anders als der minderjährige Gesellschafter kann der betreute Gesellschafter die Gesellschaft jedoch grundsätzlich selbst organschaftlich vertreten; nur wenn ein Einwilligungsvorbehalt nach § 1825 BGB (§ 1903 BGB a.F.) angeordnet ist, bedarf er der Zustimmung des Betreuers für die Abgabe von Willenserklärungen, welche für die Gesellschaft nicht lediglich rechtlich vorteilhaft bzw. neutral sind (Rz. 14).
V. Entzug organschaftlicher Vertretungsmacht (Abs. 4) 61 Nach § 720 Abs. 4 BGB kann einem Gesellschafter die Vertretungsbefugnis in entsprechen-
der Anwendung von § 715 Abs. 5 BGB ganz oder teilweise entzogen werden. Die Möglichkeit zum Entzug besteht nicht nur bei einer über § 720 Abs. 1 BGB hinausgehenden Vertretungsbefugnis kraft gesellschaftsvertraglicher Regelung; auch die gesetzliche Vertretungsbefugnis nach § 720 Abs. 1 BGB kann entzogen werden.155 Indem § 720 Abs. 4 BGB ausdrücklich die
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Eingehend Scholz, ZfPW 2019, 297, 310 ff. BGH v. 29.9.1989 – V ZR 1/88, BGHZ 108, 380 = ZIP 1990, 518 LS 1, 3. Eingehend Scholz, ZfPW 2019, 297, 314 f. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 164.
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Vertretung der Gesellschaft | Rz. 65 § 720 BGB
teilweise Beschränkung gestattet, kann etwa eine Einzelvertretungsbefugnis auf eine Gesamtvertretungsbefugnis oder eine Gesamtvertretungsbefugnis mit einem weiteren Gesellschafter auf eine Gesamtvertretungsbefugnis mit zwei weiteren Gesellschaftern beschränkt werden.156 Die Möglichkeit zur Beschränkung nach § 720 Abs. 4 BGB besteht jedoch nur in den durch 62 § 720 Abs. 3 BGB gezogenen Grenzen. Auch bei Vorliegen eines wichtigen Grundes erlaubt die Vorschrift daher keine sachliche Beschränkung der Vertretungsmacht. Über den Verweis auf § 715 Abs. 5 BGB erfordert auch der Entzug der Vertretungsmacht 63 einen wichtigen Grund. Insofern gelten dieselben Grundsätze (§ 715 BGB Rz. 61 ff.), einschließlich der Möglichkeit, auf das Erfordernis des wichtigen Grundes gesellschaftsvertraglich zu verzichten157. Allerdings koppelt § 720 Abs. 4 BGB im Gegensatz zu § 715 BGB a.F. den Entzug der Vertretungsmacht nicht mehr an den Entzug der Geschäftsführungsbefugnis. Das muss bei der Interessenabwägung genauso berücksichtigt werden wie der Umfang der Entziehung (vgl. § 715 BGB Rz. 63). Das ist indes vor allem im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 715 Abs. 5 BGB von Bedeutung, da der Entzug der Geschäftsführungsbefugnis regelmäßig die einschneidendere Maßnahme darstellt.158 Ebenso wie der Entzug der Geschäftsführungsbefugnis erfordert § 720 Abs. 4 BGB einen Be- 64 schluss der Gesellschafterversammlung. Die Formulierung des § 715 Abs. 5 BGB, der einen „Beschluss der anderen Gesellschafter“ verlangt, stellt klar, dass der Betroffene dabei als Richter in eigener Sache vom Stimmrecht ausgeschlossen ist (eingehend und auch zu den Auswirkungen auf das Teilnahmerecht des Betroffenen § 715 BGB Rz. 65). Ob das Stimmverbot auch greift, wenn ein wichtiger Grund tatsächlich nicht vorliegt, spielt nach dem Normalstatut der GbR keine Rolle, weil der Beschluss bei Fehlen eines wichtigen Grundes ohnehin nichtig ist. Bei der gerichtlichen Überprüfung der Wirksamkeit des Gesellschafterbeschlusses kommt es ohnehin nur darauf an, ob ein wichtiger Grund im Zeitpunkt der Beschlussfassung vorlag oder nicht.159 Rechtfertigt der wichtige Grund zwar einen teilweisen, aber keinen vollständigen Entzug der Vertretungsmacht (s. Rz. 63), liegt es nahe, den unwirksamen Beschluss über den Ausschluss der Vertretungsbefugnis gem. § 140 BGB in einen wirksamen Beschluss über die Umgestaltung in eine Gesamtvertretungsbefugnis mit den übrigen Gesamtvertretern umzudeuten. Zur Parallelregelung in § 124 Abs. 5 HGB (§ 127 HGB a.F.) hat der BGH zwar entschieden, dass es sich bei der vollständigen und der teilweisen Entziehung der Vertretungsbefugnis um verschiedene Streitgegenstände handele; die Teilentziehung sei kein bloßes „Minus“, da der Gesellschaftsvertrag in erheblicher Weise anders umgestaltet werde.160 Diese Überlegungen verstehen sich indes vor dem prozessrechtlichen Hintergrund der Dispositionsmaxime161 (§ 124 HGB Rz. 55) und stehen einer Umdeutung nach § 140 BGB nicht entgegen. Denn für § 140 BGB genügt im Zweifel jedes rechtliche Mittel, „das diesen Erfolg, wenn vielleicht auch nicht ganz, so aber doch annähernd gewährleistet“.162 Wird infolge des Entzugs der Vertretungsbefugnis eine gesellschaftsvertragliche Vertretungs- 65 regelung undurchführbar und nicht gleichzeitig angepasst, müssen die Vertretungsbefugnisse der verbleibenden Gesellschafter durch (ergänzende) Vertragsauslegung ermittelt werden (Rz. 35).
156 Siehe auch Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 164. 157 Vgl. BGH v. 23.10.1972 – II ZR 31/70, NJW 1973, 651, 651; Servatius, GbR, 2023, § 720 BGB Rz. 35. 158 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 164. 159 Vgl. BGH v. 4.4.2017 – II ZR 77/16, ZIP 2017, 1065 Rz. 14 = GmbHR 2017, 701. 160 BGH v. 10.12.2001 – II ZR 139/00, ZIP 2002, 396, 397. 161 BGH v. 10.12.2001 – II ZR 139/00, ZIP 2002, 396, 397. 162 BGH v. 16.10.2007 – XI ZR 132/06, BGHZ 174, 39 = ZIP 2007, 2403 Rz. 27. Ceesay | 391
§ 720 BGB Rz. 66 | Rechtsfähige Gesellschaft 66 Eine Kündigung bzw. Niederlegung der Vertretungsbefugnis hat der Gesetzgeber im Ge-
gensatz zu § 715 Abs. 6 BGB bewusst nicht vorgesehen, da die Vertretungsbefugnis eines Gesellschafters keine Tätigkeitspflicht begründet, deren Fortbestehen für ihn unzumutbar werden könnte.163 Weigert sich ein Gesellschafter, an der Vertretung der Gesellschaft mitzuwirken, kann dies jedoch einen wichtigen Grund darstellen, um ihm die Vertretungsbefugnis gem. § 720 Abs. 4 BGB zu entziehen.
VI. Passivvertretung (Abs. 5) 67 Nach § 720 Abs. 5 BGB genügt die Abgabe gegenüber einem vertretungsbefugten Gesell-
schafter, wenn der Gesellschaft gegenüber eine Willenserklärung abzugeben ist. Das erleichtert im Interesse des Rechtsverkehrs den Zugang von Willenserklärungen im Falle einer Gesamtvertretungsregelung. 68 Besonderheiten ergeben sich einerseits bei minderjährigen Gesellschaftern: Sind diese nicht
analog § 112 Abs. 1 Satz 1 BGB mit Zustimmung des Familiengerichts zur organschaftlichen Vertretung und Geschäftsführung der Gesellschaft ermächtigt (Rz. 12), werden nur Erklärungen, die der Gesellschaft lediglich einen rechtlichen Vorteil bringen, gem. § 131 Abs. 2 Satz 1 BGB unmittelbar mit Zugang bei dem Minderjährigen für die Gesellschaft wirksam; im Übrigen bleibt der Zugang bei dem gesetzlichen Vertreter des minderjährigen Gesellschafters nach § 131 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 BGB erforderlich. 69 Bei betreuten Gesellschaftern gilt § 720 Abs. 5 BGB hingegen grundsätzlich unein-
geschränkt (Rz. 14). Nur wenn ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet ist, gelten gem. § 131 Abs. 2 i.V.m. § 1825 Abs. 1 Satz 2 BGB (§ 1903 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F.) die gleichen Grundsätze wie für minderjährige Gesellschafter (Rz. 68).
§ 721 BGB Persönliche Haftung der Gesellschafter 1Die
Gesellschafter haften für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft den Gläubigern als Gesamtschuldner persönlich. 2Eine entgegenstehende Vereinbarung ist Dritten gegenüber unwirksam.
In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Grundlagen 1. Entstehungsgeschichte; Sinn und Zweck 1 2. Verhältnis zur Beschränkung der Minderjährigenhaftung (§ 1629a BGB) . 5 II. Persönliche Haftung für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft (Satz 1) 1. Haftungsvoraussetzungen a) Gesellschaftsverbindlichkeit . . . . . . . . 11 b) Gesellschafterstellung . . . . . . . . . . . . . . 14 2. Haftungsmodalitäten
163 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 164.
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3. 4.
III. IV.
a) Haftungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesamtschuldnerische Haftung . . . . . c) Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forthaftung bei Ausscheiden . . . . . . . . . . Rückgriff gegenüber Gesellschaft und Mitgesellschaftern a) Rückgriff gegenüber der Gesellschaft . . b) Rückgriff gegenüber Mitgesellschaftern Abweichende Vereinbarungen (Satz 2) Prozessuales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18 24 29 31
34 37 44 46
§ 720 BGB Rz. 66 | Rechtsfähige Gesellschaft 66 Eine Kündigung bzw. Niederlegung der Vertretungsbefugnis hat der Gesetzgeber im Ge-
gensatz zu § 715 Abs. 6 BGB bewusst nicht vorgesehen, da die Vertretungsbefugnis eines Gesellschafters keine Tätigkeitspflicht begründet, deren Fortbestehen für ihn unzumutbar werden könnte.163 Weigert sich ein Gesellschafter, an der Vertretung der Gesellschaft mitzuwirken, kann dies jedoch einen wichtigen Grund darstellen, um ihm die Vertretungsbefugnis gem. § 720 Abs. 4 BGB zu entziehen.
VI. Passivvertretung (Abs. 5) 67 Nach § 720 Abs. 5 BGB genügt die Abgabe gegenüber einem vertretungsbefugten Gesell-
schafter, wenn der Gesellschaft gegenüber eine Willenserklärung abzugeben ist. Das erleichtert im Interesse des Rechtsverkehrs den Zugang von Willenserklärungen im Falle einer Gesamtvertretungsregelung. 68 Besonderheiten ergeben sich einerseits bei minderjährigen Gesellschaftern: Sind diese nicht
analog § 112 Abs. 1 Satz 1 BGB mit Zustimmung des Familiengerichts zur organschaftlichen Vertretung und Geschäftsführung der Gesellschaft ermächtigt (Rz. 12), werden nur Erklärungen, die der Gesellschaft lediglich einen rechtlichen Vorteil bringen, gem. § 131 Abs. 2 Satz 1 BGB unmittelbar mit Zugang bei dem Minderjährigen für die Gesellschaft wirksam; im Übrigen bleibt der Zugang bei dem gesetzlichen Vertreter des minderjährigen Gesellschafters nach § 131 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 BGB erforderlich. 69 Bei betreuten Gesellschaftern gilt § 720 Abs. 5 BGB hingegen grundsätzlich unein-
geschränkt (Rz. 14). Nur wenn ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet ist, gelten gem. § 131 Abs. 2 i.V.m. § 1825 Abs. 1 Satz 2 BGB (§ 1903 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F.) die gleichen Grundsätze wie für minderjährige Gesellschafter (Rz. 68).
§ 721 BGB Persönliche Haftung der Gesellschafter 1Die
Gesellschafter haften für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft den Gläubigern als Gesamtschuldner persönlich. 2Eine entgegenstehende Vereinbarung ist Dritten gegenüber unwirksam.
In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Grundlagen 1. Entstehungsgeschichte; Sinn und Zweck 1 2. Verhältnis zur Beschränkung der Minderjährigenhaftung (§ 1629a BGB) . 5 II. Persönliche Haftung für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft (Satz 1) 1. Haftungsvoraussetzungen a) Gesellschaftsverbindlichkeit . . . . . . . . 11 b) Gesellschafterstellung . . . . . . . . . . . . . . 14 2. Haftungsmodalitäten
163 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 164.
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III. IV.
a) Haftungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesamtschuldnerische Haftung . . . . . c) Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forthaftung bei Ausscheiden . . . . . . . . . . Rückgriff gegenüber Gesellschaft und Mitgesellschaftern a) Rückgriff gegenüber der Gesellschaft . . b) Rückgriff gegenüber Mitgesellschaftern Abweichende Vereinbarungen (Satz 2) Prozessuales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Persönliche Haftung der Gesellschafter | Rz. 4 § 721 BGB Schrifttum: Faust, Der Regress gegen Mitgesellschafter bei Personenhandelsgesellschaften, FS Karsten Schmidt, 2009, S. 357; Fleischer, Zu den Haftungsmodalitäten des § 128 HGB: Rechtsgeschichte – Rechtsvergleichung – Rechtsökonomie, FS K. Schmidt, 2019, S. 325; Haas/Keller, Die örtliche und internationale Zuständigkeit für Ansprüche nach § 128 HGB, ZZP 126 (2013), 335; Habersack, Das neue Gesetz zur Beschränkung der Haftung Minderjähriger, FamRZ 1999, 1; Habersack, Der Regress bei akzessorischer Haftung, AcP 198 (1998), 152; Koechel, Zur Gesellschafterhaftung gem. § 128 S. 1 HGB für eine auf Abgabe einer Willenserklärung gerichtete Gesellschaftsverbindlichkeit, NZG 2020, 127; Röß, Die Frage der Haftungsbeschränkung bei der GbR nach dem MoPeG, NZG 2023, 727; Sanders/Berisha, Der persönlich haftende Gesellschafter, NZG 2020, 1290; K. Schmidt, § 1629a BGB oder: über den Umgang mit einer rechtstechnisch misslungenen Vorschrift, FS Derleder, 2005, S. 601; K. Schmidt, Persönliche Gesellschafterhaftung in der Insolvenz, ZHR 174 (2010), 163; Scholz, Das Prozessrecht der akzessorischen Gesellschafterhaftung, ZZP 136 (2023), 221; Tassius, Die Haftungsverfassung der Ideal-MoPeG unter Geltung des MoPeG, AcP 222 (2022), 500; Wiesner, Haftung ausgeschiedener OHG-Gesellschafter für öffentlich-rechtliche Gesellschaftsverbindlichkeiten, FS Hellwig, 2010, S. 413.
I. Grundlagen 1. Entstehungsgeschichte; Sinn und Zweck Die Vorschrift ist die Zentralnorm im Normenkomplex der §§ 721–721b BGB, der das 1 schon vor dem MoPeG anerkannte Regime der akzessorischen Gesellschafterhaftung1 für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft vollständig an dasjenige der OHG angleicht.2 Mit den §§ 721, 721a, 721b BGB korrespondieren §§ 126, 127, 128 HGB, die ihrerseits die §§ 128, 129, 130 Abs. 1–3 HGB a.F. übernehmen. Ergänzend stellen § 722 Abs. 2 BGB und § 129 Abs. 2 HGB entsprechend § 129 Abs. 4 HGB a.F. klar, dass eine Zwangsvollstreckung gegen die Gesellschafter eines gegen diese persönlich gerichteten Vollstreckungstitels bedarf. Indem § 721 Satz 1 BGB die gesamtschuldnerische – unbeschränkte – Haftung der Gesell- 2 schafter für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft anordnet und § 721 Satz 2 BGB entgegenstehende Vereinbarungen unter den Gesellschaftern gegenüber Dritten für unwirksam erklärt, soll die Vorschrift den Kredit der Gesellschaft sichern, die fehlende Kapitalsicherung der rechtsfähigen GbR ausgleichen und den Gleichlauf von Herrschaft und Haftung sicherstellen.3 Im Kern dient sie damit dem Gläubigerschutz.4 Vor diesem Hintergrund hat sich der Gesetzgeber bewusst dafür entschieden, der Eintragung 3 der GbR ins Gesellschaftsregister keine Relevanz für den Umfang der Haftung beizumessen.5 Ungeachtet dieser bewussten vollständigen Angleichung an das Haftungsregime der OHG 4 soll § 721 BGB „keine Abkehr von den von der Rechtsprechung und dem Schrifttum bereits entwickelten Ausnahmen etwa für Bauherrengemeinschaften, geschlossene Immobilienfonds, Gelegenheitsgesellschaften und gemeinnützige Gesellschaften“ bezwecken; vielmehr sind die §§ 721–721b BGB nach dem expliziten Willen des Gesetzgebers insoweit nicht als
1 Grundlegend BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341, 358 = ZIP 2001, 330, 335 f.; ferner BGH v. 3.4.2006 – II ZR 40/05, ZIP 2006, 994 Rz. 10. 2 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 165. 3 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 165. 4 BGH v. 14.2.1957 – II ZR 190/55, BGHZ 23, 302, 305; s. auch BGH v. 7.4.2003 – II ZR 56/02, BGHZ 154, 370, 373; Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 128 HGB Rz. 1; Hillmann in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 128 HGB Rz. 1; eingehend zu den verschiedenen Aspekten des Gläubigerschutzes durch die persönliche Gesellschafterhaftung zuletzt Sanders/Berisha, NZG 2020, 1290, 1293 ff. 5 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 165. Ceesay | 393
§ 721 BGB Rz. 4 | Rechtsfähige Gesellschaft abschließend konzipiert, sondern lassen institutionelle Haftungsbeschränkungen grundsätzlich zu.6 Damit besteht zwar Bestandsschutz für die in der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmen von der unbeschränkten Gesellschafterhaftung.7 Dennoch verschiebt sich mit dem „Leitbildwandel im Recht der Gesellschaft bürgerlichen Rechts“8 und den jetzt aus dem Gesetz klar erkennbaren Haftungsfolgen die Begründungslast: Für eine Ausnahme von der unbeschränkten Haftung genügt es nunmehr nicht, wenn sich die Analogie zum OHG-Recht nicht zweifellos begründen lässt. Sie ist vielmehr nur noch dort gerechtfertigt, wo im Hinblick auf die Gesellschafterhaftung nach § 721 BGB – auch und insbesondere in Gegenüberstellung zur nicht-rechtsfähigen GbR sowie haftungsbeschränkten Rechtsformen – tatsächlich eine planwidrige Regelungslücke vorliegt. Nimmt man diesen Maßstab ernst, droht auch keine „uferlose Kasuistik“, die „das Vertrauen des Rechtsverkehrs in die GbR […] erheblich beeinträchtigen und dadurch zentrale Reformanliegen konterkarieren“ würde.9 Das heißt dann allerdings auch, dass institutionelle Haftungsbeschränkungen überhaupt nur dort erwogen werden können, wo sich ihr Anwendungsbereich klar abgrenzen ließe, ohne § 721 BGB zugleich in der Breite zu überformen. Insofern erscheinen nicht nur Ausnahmen für „Gelegenheitsgesellschaften“ zweifelhaft.10 Das Gleiche gilt für die „Ideal-GbR“, und zwar erst recht, wenn man dieser ein Nebenzweckprivileg nach vereinsrechtlichem Vorbild zugestehen wollte.11 Denn mit einer solchen Ausnahme wäre man wieder zurück beim Ausgangsbefund des MoPeG, dass nämlich „Rechtsprechung und Kautelarpraxis […] das Recht der Gesellschaft bürgerlichen Rechts immer weiter fortentwickelt [haben] […], so dass der Rechtsanwender das maßgebliche Recht dem Gesetz vielfach nicht mehr entnehmen kann.“12
2. Verhältnis zur Beschränkung der Minderjährigenhaftung (§ 1629a BGB) 5 Minderjährige können Gesellschafter sein (§ 705 BGB Rz. 8) und sind auch gleich volljähri-
gen Gesellschaftern zur organschaftlichen Geschäftsführung und Vertretung berufen, wenngleich sie zur Ausübung dieser Befugnis auf ihre gesetzlichen Vertreter angewiesen sind (§ 720 BGB Rz. 10). Für sie gilt auch keine Ausnahme von der Haftung für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft gem. § 721 Satz 1 BGB. 6 Allerdings ändert die Haftungsbegründung aus § 721 Satz 1 BGB nichts an der Haftungs-
beschränkung des § 1629a BGB. Nach § 1629a Abs. 1 Halbs. 1 BGB beschränkt sich die Haftung für Verbindlichkeiten, die die Eltern im Rahmen ihrer gesetzlichen Vertretungsmacht oder sonstige vertretungsberechtigte Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht durch Rechtsgeschäft oder eine sonstige Handlung mit Wirkung für das Kind begründet haben, auf den Bestand des bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandenen Vermögens des Kindes. Unter diese Verbindlichkeiten fällt unstreitig auch die durch § 721 BGB begründete Haftung als Gesellschafter.13 Zwar vertreten Mitgesellschafter und Bevollmächtigte der Gesellschaft 6 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 165. 7 Vgl. zur Bauherrengemeinschaft: BGH v. 8.2.2011 – II ZR 263/09, BGHZ 188, 233 = ZIP 2011, 909 Rz. 24; BGH v. 21.1.2002 – II ZR 2/00, BGHZ 150, 1 = ZIP 2002, 851 LS 3; zu geschlossenen Immobilienfonds: BGH v. 21.1.2002 – II ZR 2/00, BGHZ 150, 1 = ZIP 2002, 851 LS 2; zu Publikumsgesellschaften allgemein: BGH 21.7.2003 – II ZR 387/02, ZIP 2003, 1592, 1596. 8 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 105. 9 Vgl. die Sorge bei Röß, NZG 2023, 727, 734. 10 Eingehend Röß, NZG 2023, 727, 732 f. 11 So aber mit eingehender Begründung Tassius, AcP 222 (2022), 500, 507 ff., 515 ff., 537 ff.; zu Recht kritisch bereits Röß, NZG 2023, 727, 733, 12 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 1. 13 Grunewald, ZIP 1999, 597, 598; Habersack, FamRZ 1999, 1, 3; Kindler in Koller/Kindler/Roth/ Drüen, 9. Aufl. 2019, § 128 HGB Rz. 4; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 128 HGB Rz. 69.
394 | Ceesay
Persönliche Haftung der Gesellschafter | Rz. 7 § 721 BGB
als „sonstige vertretungsberechtigte Personen“ ebenso wie die Eltern, wenn diese die organschaftliche Vertretungsbefugnis des minderjährigen Gesellschafters aus § 720 BGB ausüben (§ 720 BGB Rz. 10), die Gesellschaft und nicht den minderjährigen Gesellschafter. Auch wird die Haftung der verfassungsmäßigen Vertreter analog § 31 BGB unmittelbar lediglich auf die Gesellschaft übergeleitet (§ 720 BGB Rz. 21 ff.). Sowohl der Schutzzweck des § 1629a BGB14 als auch die Gesetzesmaterialien15 gebieten jedoch eine Einbeziehung der Gesellschafterhaftung. Aus denselben Gründen fällt auch die Haftung für Gesellschaftsverbindlichkeiten, die der minderjährige Gesellschafter als organschaftlicher Vertreter mit Zustimmung seiner Eltern begründet hat (§ 720 BGB Rz. 11), in den Anwendungsbereich des § 1629a Abs. 1 Halbs. 2 BGB. Dagegen ist mit Blick auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben zweifelhaft, ob eine Ermächtigung analog § 112 BGB zur eigenständigen Ausübung der Gesellschafterrechte (s. § 720 BGB Rz. 12) nach § 1629a Abs. 2 Var. 1 BGB die Gesellschafterhaftung (i) gänzlich aus dem Anwendungsbereich der Haftungsbeschränkung oder (ii) nur für oder nur solche Gesellschaftsverbindlichkeiten ausschließt, an deren Begründung der ermächtigte Minderjährige mitgewirkt hat. In der Sache gibt § 1629a Abs. 1 Satz 1, 2 i.V.m. § 1990 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht dem min- 7 derjährigen, sondern erst dem volljährig gewordenen Gesellschafter die Möglichkeit, die Befriedigung eines Gesellschaftsgläubigers insoweit zu verweigern, als dass bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandene Vermögen nicht ausreicht. Zu einem materiell-rechtlichen Anspruchsausschluss führt die Erhebung dieser Einrede allerdings nur, wenn das Volljährigkeitsvermögen unter Berücksichtigung gegen den Gesellschafter bereits erwirkter Titel (§ 1629a Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 1991 Abs. 3 BGB) erschöpft ist, ohne dass den Gesellschafter hierfür seit seiner Volljährigkeit ein Verschulden trifft (§ 1629a Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 1991 Abs. 1, § 1978 Abs. 1, 2 BGB).16 Im Übrigen hat die Einrede nur die Verurteilung unter dem Vorbehalt der Haftungsbeschränkung (vgl. § 780 Abs. 1 i.V.m. § 786 Abs. 1 ZPO) und damit zur Folge, dass der Gesellschafter zwar eine Zwangsvollstreckung in das bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandene Vermögen dulden muss, eine Zwangsvollstreckung in das neu erworbene Vermögen aber durch eine Vollstreckungsgegenklage abwehren kann (§§ 781, 785 i.V.m. § 786 Abs. 1 ZPO), soweit er nicht nach § 1629a Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 1991 Abs. 1, § 1978 Abs. 1, 2 BGB ergänzend wegen einer schuldhaften Schmälerung des Volljährigkeitsvermögens haftet17. Nach § 780 Abs. 1 i.V.m. § 786 Abs. 1 ZPO muss die Einrede zwar grundsätzlich bereits im Haftungsprozess erhoben worden sein, um gegen die Zwangsvollstreckung vorgehen zu können. Das gilt jedoch nicht für Titel, die gegen den Gesellschafter vor Eintritt seiner Volljährigkeit erstritten wurden und bei denen er infolge seiner Minderjährigkeit gesetzlich vertreten wurde, denn § 1629a Abs. 1 BGB soll gerade vor den Folgen der „Fremdbestimmung der Kinder durch ihre Eltern“18 schützen.19 14 Die Vorschrift dient der Umsetzung der Vorgaben des BVerfG v. 13.5.1986 – 1 BvR 1542/84, BVerfGE 72, 155, 173 = ZIP 1986, 975, 977, wonach der Gesetzgeber mit Blick auf die „Fremdbestimmung der Kinder durch ihre Eltern […] dafür Sorge tragen [muß], daß den Volljährigen Raum bleibt, um ihr weiteres Leben selbst und ohne unzumutbare Belastungen zu gestalten, die sie nicht zu verantworten haben“. 15 Begr. RegE MHbeG, BT-Drucks. 13/5624, 8 („es ist letztlich unerheblich, wer im Einzelfall mit Wirkung für ihn gehandelt hat, die Eltern des Minderjährigen oder andere vertretungsberechtigten Personen, wie etwa Mitgesellschafter oder Prokuristen einer Handelsgesellschaft, in denen der Minderjährige Gesellschafter ist“). 16 Vgl. BGH v. 5.4.2000 – IV ZR 145/98, juris Rz. 7; BGH v. 8.2.1961 – V ZR 137/59, juris Rz. 18; sog. Erschöpfungseinrede, s. Horn in Erman, 16. Aufl. 2020, § 1990 BGB Rz. 5. 17 Vgl. BGH v. 13.7.1989 – IX ZR 227/87 LS 3 (Arglisteinwand gegen die Vollstreckungsabwehrklage). 18 BVerfG v. 13.5.1986 – 1 BvR 1542/84, BVerfGE 72, 155, 172 = ZIP 1986, 975, 977. 19 Mit anderer Begründung (Vorbehalt im Leistungsurteil noch nicht möglich) ausdrücklich auch Begr. RegE MHbeG, BT-Drucks. 13/5624, 15; mit hiesiger Begründung OLG Koblenz v. 27.5.2015 – 2 U 894/14, juris Rz. 5; Döll in Erman, 16. Aufl. 2020, § 1629a BGB Rz. 21. Ceesay | 395
§ 721 BGB Rz. 8 | Rechtsfähige Gesellschaft 8 Die Haftungsbeschränkung nach § 1629a Abs. 1 BGB hängt nicht davon ab, ob der Gesell-
schafter das Recht aus § 725 Abs. 4 BGB ausübt, binnen drei Monaten nach Eintritt der Volljährigkeit die Mitgliedschaft zu kündigen. Zwar knüpft § 1629a Abs. 4 BGB an die Nichtausübung des Kündigungsrechts die Vermutungen, dass die Gesellschaftsverbindlichkeiten erst nach dem Eintritt der Volljährigkeit entstanden sind und das gegenwärtige Vermögen des Gesellschafters bereits bei Eintritt der Volljährigkeit vorhanden war. Dem volljährig gewordenen Gesellschafter obliegt jedoch ohnehin die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen der für ihn günstigen Haftungsbeschränkung des § 1629a Abs. 1 BGB.20 9 Mit der Möglichkeit, die Haftung für vor der Volljährigkeit begründete Verbindlichkeiten (Alt-
verbindlichkeiten) gem. § 1629a Abs. 1 BGB auf das Volljährigkeitsvermögen zu beschränken, korrespondiert die Möglichkeit, die Vollstreckung wegen nach der Volljährigkeit begründeter Verbindlichkeiten (Neuverbindlichkeiten) in jenes Vermögen gem. § 783 i.V.m. § 786 Abs. 1 ZPO zu verhindern. Wenngleich die Vermutungen des § 1629a Abs. 4 BGB gegenüber Altgläubigern keine eigenständige Bedeutung haben (Rz. 8), folgt daraus nicht, dass sie dem Gesellschafter die Haftungsbeschränkung gegenüber Neugläubigern erleichtern, wenn er von seinem Kündigungsrecht aus § 725 Abs. 4 BGB keinen Gebrauch gemacht hat.21 Denn mit der Regelung des § 1629a Abs. 4 BGB wollte der Gesetzgeber ausschließlich erreichen, „daß der volljährig Gewordene nicht sein haftendes Altvermögen zu Lasten der Gläubiger schmälern kann, um dann von der Haftungsbeschränkung Gebrauch zu machen“22. Der Gesellschafter kann sich daher gegenüber Neugläubigern insbesondere nicht auf die Vermutung des § 1629a Abs. 4 Satz 2 BGB berufen, dass sein gegenwärtiges Vermögen bereits bei Eintritt der Volljährigkeit vorhanden war. 10 Aus § 1629a Abs. 3 BGB ergibt sich schließlich, dass die Rechte der Gläubiger gegen die ge-
samtschuldnerisch mithaftenden Gesellschafter von der Haftungsbeschränkung des § 1629a Abs. 1 BGB unberührt bleiben. Deren Regressansprüche gegen den volljährig gewordenen Gesellschafter unterliegen wiederum der Haftungsbeschränkung aus § 1629a Abs. 1 BGB.23
II. Persönliche Haftung für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft (Satz 1) 1. Haftungsvoraussetzungen a) Gesellschaftsverbindlichkeit 11 Die Haftung nach § 721 Satz 1 BGB erfordert zunächst eine Gesellschaftsverbindlichkeit und
damit eine gem. § 719 Abs. 1 BGB nach außen wirksame Gesellschaft. Vor dem in § 719 Abs. 1 BGB benannten Zeitpunkt kommt lediglich eine Haftung nach Rechtsscheingrundsätzen in Betracht (§ 719 BGB Rz. 10 ff.). Das gilt erst recht, wenn eine rechtsfähige GbR i.S.d. § 705 Abs. 2 BGB gar nicht entstanden ist (§ 705 BGB Rz. 96 ff.), soweit nicht nach der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft trotz des Mangels von einer nach außen wie innen voll wirksamen Gesellschaft auszugehen ist (§ 705 BGB Rz. 21 ff.). 12 Für die Qualifikation als Gesellschaftsverbindlichkeit ist unerheblich, ob die Forderung ge-
gen die Gesellschaft rechtsgeschäftlich oder gesetzlich begründete wurde, was auch und insbesondere im Wege der Haftungszurechnung analog § 31 BGB (s. § 720 BGB Rz. 21 ff.) be-
20 Habersack, FamRZ 1991, 1, 6. 21 Habersack, FamRZ 1991, 1, 6; zust. Huber in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 1629a BGB Rz. 80. 22 Begr. RegE MHbeG, BT-Drucks. 13/5624, 14. 23 Coester in Staudinger, Neubearb. 2020, § 1629a BGB Rz. 40; Huber in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 1629a BGB Rz. 65.
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Persönliche Haftung der Gesellschafter | Rz. 16 § 721 BGB
gründete Ansprüche gegen die Gesellschaft einschließt.24 Das Gleiche gilt für öffentlichrechtliche Forderungen, wenngleich § 721 Satz 1 BGB keine Verwaltungsaktbefugnis vermittelt, so dass die auf § 721 Satz 1 BGB gestützte Haftung auf dem Zivilrechtsweg eingeklagt werden muss.25 Ebenso wie die Art der Begründung ist auch der Inhalt der Forderung ohne Bedeutung für die Qualifikation als Gesellschaftsverbindlichkeit i.S.d. § 721 Satz 1 BGB; hier stellt sich lediglich die Frage, ob die Haftung der Gesellschafter – auf Rechtsfolgenseite – zwingend identisch sein muss (Rz. 19 ff.). Bei Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern muss indessen differenziert werden: An- 13 sprüche aus Drittgeschäften, die ihren Rechtsgrund nicht im Gesellschaftsverhältnis, sondern in einem davon zu unterscheidenden Rechtsverhältnis haben, sind Gesellschaftsverbindlichkeiten i.S.d. § 721 Satz 1 BGB.26 Erst recht gilt dies für Gesellschafterforderungen aus abgetretenem Recht, die ursprünglich in der Person eines Nicht-Gesellschafters begründet wurden.27 In beiden Fällen muss sich der Gesellschafter lediglich seinen eigenen Verlustanteil anrechnen lassen, wenn er seine Mitgesellschafter in Anspruch nimmt (Rz. 23). Dagegen fallen sog. Sozialverbindlichkeiten, die ihren Rechtsgrund im Gesellschaftsverhältnis finden, insbesondere Aufwendungsersatzansprüche gem. § 716 Abs. 1 BGB (§ 716 BGB Rz. 13), aus dem Anwendungsbereich des § 721 Satz 1 BGB heraus, da andernfalls das Mehrbelastungsverbot des § 710 BGB umgangen würde.28 Abfindungsansprüche ausgeschiedener Gesellschafter sind indessen als Gesellschaftsverbindlichkeiten i.S.d. § 721 Satz 1 BGB zu qualifizieren (§ 728 BGB Rz. 7).29 b) Gesellschafterstellung Die Haftung aus § 721 Satz 1 BGB trifft die Gesellschafter, d.h. die im Zeitpunkt der Be- 14 gründung der Gesellschaftsverbindlichkeit vorhandenen Gesellschafter der Gesellschaft. An dem Erfordernis der Gesellschafterstellung bei Begründung der Verbindlichkeit ändert 15 auch § 728b BGB über Nachhaftung ausgeschiedener Gesellschafter nichts. Dieser ist zwar als Einwendung gegen die Gesellschafterhaftung konzipiert (§ 728b BGB Rz. 22), weshalb das Ausscheiden eines Gesellschafters eine gem. § 721 Satz 1 BGB begründete Haftung nicht unmittelbar berührt (Rz. 31). Gleichwohl ordnet § 728b BGB keine begrenzte Nachhaftung an, sondern begrenzt die Haftung aus § 721 Satz 1 BGB für die bis zum Ausscheiden des Gesellschafters begründeten Gesellschaftsverbindlichkeiten. Für nach seinem Ausscheiden neu begründete Verbindlichkeiten (Abgrenzung bei § 728b BGB Rz. 7 ff.) haftet ein Gesellschafter a priori nicht.30 Später eintretende Gesellschafter haften nach § 721a Satz 1 BGB für die vor ihrem Eintritt 16 begründeten Verbindlichkeiten, so dass es gegenüber amtierenden Gesellschaftern keine Rolle spielt, wann eine Gesellschaftsverbindlichkeit begründet wurde.
24 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 166. 25 Eingehend und m.w.N. Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 125 HGB Rz. 10; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 895a (Stand: 01/2022). 26 BGH v. 8.10.2013 – II ZR 310/12, ZIP 2013, 2305 Rz. 18 m.w.N. 27 BGH v. 17.12.2001 – II ZR 382/99, ZIP 2002, 394, 396. 28 BGH v. 2.7.1962 – II ZR 204/60, BGHZ 37, 299, 301 f.; BGH v. 18.1.2010 – II ZR 31/09, ZIP 2010, 515 Rz. 7. 29 BGH v. 12.7.2016 – II ZR 74/14, ZIP 2016, 1627 Rz. 9. 30 Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 128 HGB Rz. 24; Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 128 HGB Rz. 54; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 128 HGB Rz. 41. Ceesay | 397
§ 721 BGB Rz. 17 | Rechtsfähige Gesellschaft 17 Nicht-Gesellschafter können lediglich als Scheingesellschafter haften, wenn sie in zurechen-
barer Weise den Rechtsschein ihrer Zugehörigkeit gesetzt haben oder gegen den durch einen anderen gesetzten Rechtsschein nicht pflichtgemäß vorgegangen sind und ein gutgläubiger Dritte sich bei seinem geschäftlichen Verhalten auf den Rechtsschein verlassen hat.31
2. Haftungsmodalitäten a) Haftungsinhalt 18 Gemäß § 721 Satz 1 BGB haften die Gesellschafter den Gläubigern für die Verbindlichkeiten
der Gesellschaft primär und unbeschränkt. Sie können die Gläubiger mithin nicht darauf verweisen, zuvorderst die Gesellschaft in Anspruch zu nehmen, und haften diesen unmittelbar mit ihrem gesamten Vermögen.32 Zwar haften die Gesellschafter untereinander als Gesamtschuldner für die Gesellschaftsverbindlichkeit. Für das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Gesellschafter gilt das jedoch nicht. Die Gesellschafter haften vielmehr akzessorisch für die Gesellschaftsschuld, d.h. die Gesellschafterhaftung hängt vollständig von der Entwicklung und dem Bestand der Gesellschaftsverbindlichkeit ab.33 Diese Akzessorietät wird durch § 721b BGB weiter konkretisiert. 19 Heute besteht Einigkeit darüber, dass die Gesellschafter nach § 721 Satz 1 BGB im Einklang
mit dem akzessorischen Charakter der Haftung (Rz. 18) grundsätzlich zur Erfüllung und nicht lediglich zum Geldersatz verpflichtet sind, zwischen Leistungspflicht der Gesellschaft und ihrer Gesellschafter also inhaltliche Kongruenz besteht.34 Das gilt nicht nur für Zahlungsverbindlichkeiten (§§ 803 ff. ZPO) und die Verpflichtung zur Vornahme vertretbarer Handlungen (§ 887 ZPO), sondern auch für die Pflicht zur Herausgabe (§§ 883 f. ZPO) und Lieferung (Übergabe nach §§ 883 f., § 897 Abs. 1 ZPO, Übereignung nach § 894 ZPO) beweglicher Sachen.35 Die Kongruenz bereitet insofern keine Probleme, als das Vollstreckungsrecht dem Gläubiger stets die Möglichkeit belässt, auf Schadensersatz statt der Leistung zu klagen (§ 893 ZPO) bzw. auf Grundlage entsprechender Anträge (§§ 255, 259 ZPO)36 nach Fristablauf unmittelbar wegen der Schadensersatzforderung nach §§ 803 ff. ZPO zu vollstrecken. Auf Grund der Akzessorietät der Haftung kann ein Gesellschafter jedoch gegen einen auf Erfüllung gerichteten Titel nach § 767 Abs. 1 ZPO vorgehen, wenn der Gläubiger sein Verlangen gegenüber der Gesellschaft auf Schadensersatz statt der Leistung umgestellt hat; das gilt auch in den Fällen des § 255 Abs. 1, § 259 ZPO, sofern nicht der Gesellschafter gleichermaßen auf Schadensersatz nach Fristablauf verurteilt wurde.37 Es spricht jedoch einiges
31 Siehe jeweils m.w.N. BGH v. 17.1.2012 – II ZR 197/10, ZIP 2012, 369 Rz. 19; BGH v. 31.7.2012 – X ZR 154/11, ZIP 2012, 2159 Rz. 13. 32 K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 128 HGB Rz. 16, 21. 33 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 165 (zu § 721 BGB), 168 (zu § 721b BGB); BGH v. 29.10.2015 – IX ZR 123/13, ZIP 2015, 2484 Rz. 8; BGH v. 22.3.2011 – II ZR 249/09, NJW 2011, 2048 Rz. 9; BGH v. 11.12.1978 – II ZR 235/77, BGHZ 73, 217, 225 = NJW 1979, 1361, 1362. 34 BGH v. 1.4.1987 – VIII ZR 15/86, ZIP 1987, 842, 844; BGH v. 22.3.1988 – X ZR 64/87, BGHZ 104, 76, 78 = ZIP 1988, 841, 841; BGH v. 11.12.1978 – II ZR 235/77, BGHZ 73, 217, 221 f. = NJW 1979, 1361, 1362; eingehend auch – jeweils m.w.N. zum Theorienstreit – Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 128 HGB Rz. 28 f.; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/ HGB, 5. Aufl. 2022, § 128 HGB Rz. 25. 35 Heute unstr. s. nur Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 128 HGB Rz. 30 ff. m.w.N.; s. ferner BGH v. 11.12.1978 – II ZR 235/77, BGHZ 73, 217 = NJW 1979, 1361 LS 1 (Mängelbeseitigung); BGH v. 1.4.1987 – VIII ZR 15/86, ZIP 1987, 842 LS (Herausgabe der Mietsache nach Beendigung des Mietverhältnisses). 36 Dazu BGH v. 9.11.2017 – IX ZR 305/16, NJW 2018, 786 LS 1, 2 = VersR 2018, 250. 37 Scholz, ZZP 136 (2023), 221, 228 f.
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Persönliche Haftung der Gesellschafter | Rz. 22 § 721 BGB
dafür, dem Gläubiger zu gestatten, allein den Anspruch gegen die Gesellschafter nach Fristablauf in einen Schadensersatzanspruch übergehen zu lassen38 Von dem Grundsatz der Erfüllungshaftung müssen jedoch dort Ausnahmen gemacht wer- 20 den, wo die Leistungserbringung durch einen Gesellschafter sachlich nicht das Gleiche bewirken würde wie eine Leistung durch die Gesellschaft selbst. Das betrifft allen voran die Verpflichtung der Gesellschaft zur Abgabe einer Willenserklärung (sofern sie nicht Teil einer Lieferpflicht sind, Rz. 19).39 Da eine solche Willenserklärung mit Rechtskraft des Urteils gegen die Gesellschaft als abgegeben gilt (§ 894 ZPO), ist der BGH bislang zu Recht nicht davon ausgegangen, dass die Gesellschafterhaftung nach § 721 Satz 1 BGB stattdessen primär auf Geldersatz gerichtet ist.40 Die Gesellschafter haften erst persönlich, wenn der Anspruch gegen die Gesellschaft selbst in einen Schadensersatzanspruch übergegangen ist.41 Auch auf die Vornahme unvertretbarer Handlungen i.S.v. § 888 Abs. 1 Satz 1 ZPO haften 21 die Gesellschafter nach heute allgemeiner Auffassung nicht persönlich, und zwar entgegen einer BGH-Entscheidung aus den 1950er Jahren42 unabhängig davon, ob sie zur organschaftlichen Geschäftsführung berufen sind.43 Für ein gegen die Gesellschaft nach § 888 Abs. 1 Satz 1 ZPO angeordnetes Zwangsgeld bleibt es indessen bei der akzessorischen Haftung nach § 721 Satz 1 BGB44; eine (Ersatz-)Zwangshaft kann und muss dagegen ausschließlich gegenüber den vertretungsbefugten Gesellschaftern angeordnet werden.45 Vor diesem Hintergrund haften die Gesellschafter auch für die Verpflichtung zur Vornahme unvertretbarer Handlungen nach § 721 Satz 1 BGB nicht primär auf Geldersatz statt auf Erfüllung; vielmehr können sie – wie bei der Verpflichtung zur Abgabe von Willenserklärungen (Rz. 20) – überhaupt erst persönlich in Anspruch genommen werden, wenn der Anspruch gegen die Gesellschaft in einen Schadensersatzanspruch übergegangen ist.46 Auch bei Unterlassungs- und Duldungspflichten der Gesellschaft kann eine deckungsglei- 22 che Verpflichtung der Gesellschafter nicht bestehen, da die Unterlassung durch einen Gesellschafter zwangsläufig einen anderen Inhalt als diejenige der Gesellschaft hat.47 Hier haften die Gesellschafter nach § 721 Satz 1 BGB unstreitig erst, wenn die Gesellschaft infolge einer Verletzung der Unterlassungspflicht ihrerseits gegenüber dem Gläubiger auf Schadensersatz
38 Eingehend zu dieser Problematik Scholz, ZZP 136 (2023), 221, 229 f. 39 BGH v. 25.1.2008 – V ZR 63/07, ZIP 2008, 501 LS. 40 Vgl. BGH v. 25.1.2008 – V ZR 63/07, ZIP 2008, 501 Rz. 8 („Haftung der Bekl. für diesen Anspruch scheitert“). 41 Scholz, ZZP 136 (2023), 221, 231; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 914 (Stand: 01/2022); a.A. (Haftung auf Geldersatz) Habersack in Habersack/ Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 128 HGB Rz. 37; Roth in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 128 HGB Rz. 18. 42 BGH v. 14.2.1957 – II ZR 190/55, BGHZ 23, 302, 305 f. = NJW 1957, 871, 872. 43 Eingehend und jeweils m.w.N. Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 128 HGB Rz. 36; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 912 (Stand: 01/2022). 44 Seeger in Heidel/Schall, 3. Aufl. 2020, § 128 HGB Rz. 26. 45 Rensen in Wieczorek/Schütze, 4. Aufl. 2015, § 888 ZPO Rz. 23; Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 128 HGB Rz. 36; Seibel in Zöller, 34. Aufl. 2022, § 888 ZPO Rz. 8; weitergehend (auch Zwangsgeldanordnung gegen vertretungsbefugte Gesellschafter) Bartels in Stein/Jonas, 23. Aufl. 2017, § 888 ZPO Rz. 40; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 128 HGB Rz. 29; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 913 (Stand: 01/2022). 46 Hillmann in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 128 HGB Rz. 27; Scholz, ZZP 136 (2023), 221, 232 f.; wohl auch Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 913 (Stand: 01/2022). 47 BGH v. 20.6.2013 – I ZR 201/11, ZIP 2013, 1856 Rz. 11. Ceesay | 399
§ 721 BGB Rz. 22 | Rechtsfähige Gesellschaft haftet.48 Daher erlaubt § 890 Abs. 1 ZPO bei Verstößen gegen titulierte Unterlassungspflichten der Gesellschaft es auch lediglich, ein Ordnungsgeld gegen die Gesellschaft zu verhängen, für das allerdings die Gesellschafter nach § 721 Satz 1 BGB akzessorisch haften; die ersatzweise Ordnungshaft kann und muss hingegen ausschließlich gegen die Gesellschafter festgesetzt werden, die schuldhaft gegen das Verbot verstoßen haben.49 Gleichzeitig bindet eine allein von der Gesellschaft abgegebene strafbewehrte Unterlassungserklärung die Gesellschafter grundsätzlich nicht persönlich, so dass Verstöße eines Gesellschafters weder für die Gesellschaft noch den handelnden Gesellschafter die Vertragsstrafe verwirken, wenn der Gesellschafter nach außen unabhängig von der Gesellschaft im eigenen Namen gehandelt hat.50 Haben die Gesellschaft und ihre Gesellschafter hingegen eine gemeinsame Unterlassungserklärung abgegeben, fällt bei einem der Gesellschaft analog § 31 BGB zurechenbaren Verstoß durch einen Gesellschafter grundsätzlich nur eine Vertragsstrafe an, für welche die Gesellschaft und der handelnde Gesellschafter als Gesamtschuldner haften,51 wobei für die Gesellschaftsverbindlichkeit nach § 721 Satz 1 BGB zudem alle Gesellschafter als Gesamtschuldner haften. Im Rahmen der Vollstreckung nach § 890 ZPO ändert die zusätzlich titulierte Unterlassungspflicht des Gesellschafters nichts daran, dass das Ordnungsgeld ausschließlich gegen die Gesellschaft festzusetzen ist.52 23 Gesellschafterforderungen aus Drittgeschäften sind zwar Gesellschaftsverbindlichkeiten, für
welche die Mitgesellschafter gem. § 721 Satz 1 BGB als Gesamtschuldner haften (Rz. 13). Der Gesellschafter muss sich indes seinen eigenen Verlustanteil anrechnen lassen, wenn er die übrigen Gesellschafter in Anspruch nimmt.53 Diese Anrechnung können die Mitgesellschafter im Falle einer Abtretung gem. § 404 BGB auch einem Rechtsnachfolger entgegenhalten.54 Sie findet ihre Rechtfertigung in der Erwägung, dass der gem. § 721 Satz 1 BGB in Anspruch genommene Gesellschafter wieder Ausgleichung von dem gem. § 721 Satz 1 BGB ebenfalls gesamtschuldnerisch haftenden Gesellschafter-Gläubiger verlangen könnte und letzterer deshalb dann, wenn er seinen eigenen Verlustanteil nicht berücksichtigt, etwas fordert, was er aufgrund seines Beteiligungsverhältnisses umgehend zurückgeben müsste.55 Tragen diese Erwägungen die Anrechnung des eigenen Verlustanteils, kann hiervon entgegen einem jüngeren BGH-Urteil56 keine Ausnahme gemacht werden, wenn ein Gesellschafter eine durch Abtretung erworbene Drittgläubigerforderung geltend machen will.57 b) Gesamtschuldnerische Haftung 24 Die Haftung der Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft ist akzessorisch
(Rz. 18). Gemäß § 721 Satz 1 BGB haften hingegen die Gesellschafter untereinander als Gesamtschuldner, so dass die §§ 421 ff. BGB insoweit zur Anwendung gelangen. 48 BGH v. 20.6.2013 – I ZR 201/11, ZIP 2013, 1856 Rz. 11: „Der Gesellschafter […] haftet vielmehr im Regelfall allein auf das Interesse des Gläubigers, falls die Gesellschaft das Unterlassungsgebot verletzt.“ 49 BGH v. 12.1.2012 – I ZB 43/11, ZIP 2012, 1431 Rz. 7. 50 BGH v. 20.6.2013 – I ZR 201/11, ZIP 2013, 1856 Rz. 12; zur unzulässigen Umgehung durch Gründung einer personenidentischen Zweitgesellschaft s. BGH v. 7.6.1972 – VIII ZR 175/70, BGHZ 59, 64 LS; zu weiteren Konstellationen eingehend Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 916 (Stand: 01/2022). 51 BGH v. 8.5.2014 – I ZR 210/12, ZIP 2014, 1382 Rz. 54 ff. 52 BGH v. 12.1.2012 – I ZB 43/11, ZIP 2012, 1431 Rz. 6; die zusätzliche Titulierung ist damit nur relevant, wenn das Handeln des Gesellschafters der Gesellschaft ausnahmsweise nicht analog § 31 BGB zurechenbar ist (BGH v. 12.1.2012 – I ZB 43/11, ZIP 2012, 1431 Rz. 9). 53 BGH v. 1.12.1982 – VIII ZR 206/81, ZIP 1983, 51 LS 2. 54 BGH v. 1.12.1982 – VIII ZR 206/81, ZIP 1983, 51 LS 3. 55 BGH v. 1.12.1982 – VIII ZR 206/81, ZIP 1983, 51, 54. 56 BGH v. 17.12.2001 – II ZR 382/99, ZIP 2002, 394, 396. 57 Ebenso Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 128 HGB Rz. 13.
400 | Ceesay
Persönliche Haftung der Gesellschafter | Rz. 30 § 721 BGB
In puncto Forderungsrecht ergeben sich daraus zwar keine Unterschiede zum Verhältnis 25 zwischen Gesellschafts- und Gesellschafterhaftung: Ebenso wie von der Gesellschaft können die Gläubiger die Leistung gem. § 421 BGB nach ihrem Belieben von jedem der Gesellschafter ganz oder zu einem Teil fordern.58 Das gilt auch dann, wenn der Forderungsinhaber selbst Gesellschafter ist.59 Dieser muss sich lediglich seinen eigenen Verlustanteil anrechnen lassen, wenn er die übrigen gesamtschuldnerisch in Anspruch nimmt (Rz. 23). Zudem wirkt die Erfüllung durch einen Gesellschafter gem. § 422 BGB für die übrigen Ge- 26 sellschafter ebenso wie für die Gesellschaft. Dagegen besteht nach § 423 BGB die Möglichkeit, einzelnen Gesellschaftern die Forderung 27 zu erlassen, ohne dass dadurch zugleich die Forderung gegenüber der Gesellschaft und den Mitgesellschaftern erlöschen würde, während die Akzessorietät der Gesellschafterhaftung es ausschließt, einen isolierten Erlassvertrag mit der Gesellschaft zu schließen (§ 721b BGB Rz. 7). Sofern einem Erlass- oder Vergleichsvertrag mit einem Gesellschafter lediglich Einzelwirkung zukommt, tangiert dies jedoch nicht etwaige Rückgriffsansprüche gegenüber anderen Gesellschaftern. Darüber hinaus zeitigen alle Umstände außer dem Gläubigerverzug (§ 424 BGB) lediglich 28 Einzelwirkung (§ 425 BGB), so dass namentlich der Verzug eines Gesellschafters nicht die anderen in Verzug setzt und die Verjährung gegenüber einem Gesellschafter bzw. die Ergreifung verjährungshemmender Maßnahmen gegenüber einem Gesellschafter nicht für und gegen die anderen wirken. c) Verjährung Gemäß § 721 Satz 1 BGB haften die Gesellschafter akzessorisch für die Gesellschaftsverbind- 29 lichkeiten (Rz. 18). Diese Akzessorietät schließt die Verjährung des Anspruchs ein: Erst, wenn die Gesellschaft erloschen ist, unterliegen Ansprüche gegen einen Gesellschafter aus Verbindlichkeiten der Gesellschaft gem. § 739 BGB einer eigenständigen Verjährungsfrist.60 Bis dahin folgen Frist und Beginn der Verjährung der Gesellschafterhaftung aus § 721 Satz 1 BGB der Gesellschaftsverbindlichkeit.61 Gleichermaßen erstrecken sich auch Hemmung und Neubeginn der Verjährung der Gesell- 30 schaftsverbindlichkeit auf die Gesellschafterhaftung (§ 721b BGB Rz. 8).62 Umgekehrt gilt dies zwar nicht.63 Allerdings kann ein Gesellschafter nicht die Verjährung der Gesellschaftsverbindlichkeit einwenden, wenn der Gesellschaftsgläubiger ihm gegenüber verjährungshemmende Maßnahmen ergriffen hat (§ 721b BGB Rz. 16).64
58 Zum verbleibenden Anwendungsbereich des Rechtsmissbrauchseinwands eingehend BGH v. 16.12.2009 – XII ZR 146/07, BGHZ 184, 35 Rz. 30 ff. 59 BGH v. 8.10.2013 – II ZR 310/12, ZIP 2013, 2305 LS Rz. 31 ff. 60 Dies gilt auch dann, wenn die Frist für die Verjährung der Gesellschaftsschuld kürzer ist, s. BGH v. 16.12.2021 – IX ZR 81/21, ZIP 2022, 217 Rz. 21. 61 BGH v. 12.1.2010 – XI ZR 37/09, ZIP 2010, 319 Rz. 40 ff. 62 BGH v. 11.12.1978 – II ZR 235/77, BGHZ 73, 217 = NJW 1979, 1361 LS 2. 63 K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 129 HGB Rz. 9; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 969 (Stand: 01/2022); offengelassen in BGH v. 22.3.1988 – X ZR 64/87, BGHZ 104, 76, 81 f. = ZIP 1988, 841, 842 f. 64 BGH v. 22.3.1988 – X ZR 64/87, BGHZ 104, 76 = ZIP 1988, 841 LS; bestätigt durch BGH v. 9.7.1998 – IX ZR 272/96, BGHZ 139, 214 LS 1. Ceesay | 401
§ 721 BGB Rz. 31 | Rechtsfähige Gesellschaft
3. Forthaftung bei Ausscheiden 31 Scheidet ein Gesellschafter nach Begründung der Gesellschaftsverbindlichkeit und damit
nach Begründung seiner Haftung gem. § 721 Satz 1 BGB (Rz. 14) aus, berührt dies die Haftung nicht unmittelbar. 32 Jedoch beschränkt § 728b BGB als Einwendung gegen die Inanspruchnahme aus § 721 Satz 1
BGB (§ 728b BGB Rz. 22) die Nachhaftung des Ausgeschiedenen auf fünf Jahre ab Kenntnisnahme des Gläubigers bzw. Eintragung des Ausscheidens in das Gesellschaftsregister. Diese Nachhaftungsbeschränkung wird bei § 728b BGB eingehend dargestellt. 33 Nach herrschender Auffassung haften ausgeschiedene Gesellschafter überdies nurmehr gelo-
ckert akzessorisch.65 Insbesondere soll eine rechtskräftige Verurteilung der Gesellschaft keine Bindungswirkung mehr entfalten, wenn der Gesellschafter schon bei Klageerhebung ausgeschieden war (§ 721b BGB Rz. 21).66 Auch verjährungshemmende Maßnahmen gegenüber der Gesellschaft sollen nicht mehr den Ablauf der Verjährungsfrist gegenüber ausgeschiedenen Gesellschaftern hemmen (§ 721b BGB Rz. 23).67 Ein solches Sonderrecht lässt sich jedoch bei näherer Betrachtung nicht rechtfertigen (§ 721b BGB Rz. 24).
4. Rückgriff gegenüber Gesellschaft und Mitgesellschaftern a) Rückgriff gegenüber der Gesellschaft 34 Zwischen der Gesellschaft und den nach § 721 Satz 1 BGB für die Verbindlichkeiten der Ge-
sellschaft persönlich haftenden Gesellschaftern besteht – anders als zwischen den Gesellschaftern (Rz. 24) – keine Gesamtschuld (Rz. 18). Soweit ein Gesellschafter an einen Gesellschaftsgläubiger leistet, kann er gleichwohl nach § 716 Abs. 1 BGB bei der Gesellschaft Rückgriff nehmen, soweit er die Leistung nach den Umständen für erforderlich halten durfte (§ 716 BGB Rz. 13, 23).68 Damit korrespondiert nicht nur ein Vorschussanspruch gem. § 716 Abs. 2 BGB, sondern ebenso ein Freistellungsanspruch gegen die Gesellschaft (§ 716 BGB Rz. 5).69 Den eigenen Verlustanteil muss sich der Gesellschafter dabei in keinem Fall anrechnen lassen.70
35 Aus dieser Konzeption des Innenregresses folgt, dass es durch die Befriedigung nicht zu einem
gesetzlichen Übergang der Forderung des Gläubigers und damit auch nicht zu einem Übergang von Sicherheiten gem. § 401, 413 BGB auf den Gesellschafter kommt.71 Für eine Analogie zu § 774 Abs. 1 Satz 1 BGB ist unter diesen Umständen kein Raum.72 Das gilt erst recht, 65 Eingehend Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 15; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 129 HGB Rz. 16. 66 BGH v. 8.11.1965 – II ZR 223/64, BGHZ 44, 229 LS 2; bestätigt durch BGH v. 20.2.2018 – II ZR 272/16, BGHZ 217, 327 Rz. 26. 67 BGH v. 10.5.2012 – IX ZR 125/10, BGHZ 193, 193 Rz. 77. 68 BGH v. 29.9.2015 – II ZR 403/13, BGHZ 207, 54 Rz. 15; BGH v. 19.7.2011 – II ZR 300/08, ZIP 2011, 1657 Rz. 59; BGH v. 2.7.1962 – II ZR 204/60, BGHZ 37, 299, 301 f. 69 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 166, wonach „jeder Gesellschafter von der Gesellschaft Freistellung verlangen und diese, wenn er zahlt, in Regress nehmen kann“. 70 BGH v. 17.12.2001 – II ZR 382/99, ZIP 2002, 394, 395. 71 BGH v. 19.7.2011 – II ZR 300/08, ZIP 2011, 1657 Rz. 59; BGH v. 9.5.1963 – II ZR 124/61, BGHZ 39, 319, 325 = NJW 1963, 1873, 1875. 72 BGH v. 19.7.2011 – II ZR 300/08, ZIP 2011, 1657 Rz. 60; Hillmann in Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn, 4. Aufl. 2020, § 128 HGB Rz. 30; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 128 HGB Rz. 32; Roth in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 128 HGB Rz. 25; Wertenbruch in Westermann/ Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 403 (Stand: 01/2022); a.A. Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 128 HGB Rz. 43.
402 | Ceesay
Persönliche Haftung der Gesellschafter | Rz. 40 § 721 BGB
nachdem der Gesetzgeber das akzessorische Haftungsmodell des OHG-Rechts ohne Einführung einer § 774 Abs. 1 BGB entsprechenden Regelung in § 721 Satz 1 BGB überführt hat. Der Rückgriff des ausgeschiedenen Gesellschafters unterliegt indessen anderen Regeln, weil 36 § 716 BGB voraussetzt, dass die Aufwendung von einem der Gesellschaft noch angehörenden Gesellschafter erbracht wird (§ 716 BGB Rz. 12). Der Freistellungsanspruch aus § 728 Abs. 1 BGB schließt jedoch einen Erstattungsanspruch für den Fall ein, dass der Ausgeschiedene für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft noch in Anspruch genommen wird; zudem weist der BGH dem Ausgeschiedenen den Anspruch des Gläubigers entsprechend § 426 Abs. 2 BGB im Wege der cessio legis zu (§ 728b BGB Rz. 27). Dieser Erstattungsanspruch bildet grundsätzlich einen unselbstständigen Posten in der zu erstellenden Auseinandersetzungsbilanz und kann, sofern die Abfindung nicht bereits gezahlt ist, von dem Ausgeschiedenen individuell ebenso wenig durchgesetzt werden wie ein zuvor entstandener Ausgleichsanspruch (§ 728 BGB Rz. 27).73 Darüber hinaus gelangt nach dem BGH zugunsten ausgeschiedener Gesellschafter § 426 Abs. 2 BGB analog zur Anwendung, so dass infolge der Befriedigung des Gesellschaftsgläubigers nicht nur die Gläubigerforderung, sondern nach §§ 401, 413 BGB auch etwaige Sicherheiten auf den ausgeschiedenen Gesellschafter übergehen.74 b) Rückgriff gegenüber Mitgesellschaftern Die Gesellschafter haften gem. § 721 Satz 1 BGB als Gesamtschuldner (Rz. 24). Ihr Ausgleich 37 richtet sich daher nach § 426 BGB.75 Daneben können Gesellschafter ihre Mitgesellschafter nicht gem. § 721 Satz 1 BGB für den Rückgriffsanspruch gegen die Gesellschaft (Rz. 34) in Anspruch nehmen (Rz. 13). Gemäß § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der von einem Gesellschaftsgläubiger in Anspruch 38 genommene Gesellschafter bei seinen Mitgesellschaftern Regress lediglich pro rata nehmen; die jeweilige Verlustbeteiligung ersetzt dabei das Kopfteilprinzip.76 Anders liegt es nur, wenn die Gesellschaftsverbindlichkeit, die der gesamtschuldnerischen Haftung zugrunde liegt, auf dem schuldhaften Verhalten einzelner Gesellschafter beruht.77 Gemäß § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB geht insoweit auch die Forderung des Gläubigers gegen die 39 Mitgesellschafter auf den leistenden Gesellschafter über. Zu einem Übergang akzessorischer Sicherungsrechte gem. §§ 401, 413 BGB kommt es dabei gleichwohl regelmäßig nicht, da diese typischerweise für die Gesellschaftsverbindlichkeit bestellt werden und diese infolge der Befriedigung des Gesellschaftsgläubigers nicht auf den leistenden Gesellschafter übergeht (Rz. 35). Nach ständiger Rechtsprechung haften die Gesellschafter untereinander allerdings nur sub- 40 sidiär, d.h. die Inanspruchnahme eines Mitgesellschafters setzt voraus, dass die Gesellschaft entweder nicht in der Lage oder nicht bereit ist, den ihr gegenüber bestehenden Aufwendungsersatzanspruch (Rz. 34) zu erfüllen.78 Dies ist jedoch schon dann gegeben, wenn die Gesellschaft auf Aufforderung nicht zahlt.79 73 BGH v. 7.3.2005 – II ZR 194/03, ZIP 2005, 1068 LS 2. 74 BGH v. 9.5.1963 – II ZR 124/61, BGHZ 39, 319, 323 ff. = NJW 1963, 1873, 1874 f.; vgl. auch (zu § 736d BGB) Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 188. 75 BGH v. 15.10.2007 – II ZR 136/06, ZIP 2007, 2313 Rz. 14; BGH v. 17.12.2001 – II ZR 382/99, ZIP 2002, 394, 396; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 416 (Stand: 01/2022). 76 BGH v. 17.12.2001 – II ZR 382/99, ZIP 2002, 394, 396; Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 128 HGB Rz. 49. 77 BGH v. 9.6.2008 – II ZR 268/07, ZIP 2008, 1915 LS. 78 BGH v. 15.10.2007 – II ZR 136/06, ZIP 2007, 2313 Rz. 17; BGH v. 17.12.2001 – II ZR 382/99, ZIP 2002, 394, 396 m.w.N. 79 BGH v. 17.12.2001 – II ZR 382/99, ZIP 2002, 394 LS 2. Ceesay | 403
§ 721 BGB Rz. 41 | Rechtsfähige Gesellschaft 41 Unter diesem Vorbehalt der Subsidiarität (Rz. 40) kann ein Gesellschafter von seinen Mit-
gesellschaftern nach allgemeinen Gesamtschuldgrundsätzen auch verlangen, ihren Verlustanteilen entsprechend an der Befriedigung des Gesellschaftsgläubigers mitzuwirken und ihn von einer Inanspruchnahme durch den Gesellschaftsgläubiger freizustellen, sofern die ernsthafte Möglichkeit seiner Inanspruchnahme besteht.80 42 Der Ausgleichsanspruch aus § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB verjährt als einheitlicher Anspruch,
der zunächst auf Mitwirkung, später auf Zahlung (Rz. 38, 41) gerichtet ist und bereits mit Begründung der Gesamtschuld entsteht, gem. §§ 195, 199 BGB unabhängig von der gem. § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB übergegangenen Forderung.81 Die Verjährung des übergegangenen Anspruchs folgt wiederum grundsätzlich der Verjährung der Gesellschaftsverbindlichkeit (Rz. 29 f.). 43 Auch wenn das Ausscheiden nichts an der in § 721 Satz 1 BGB angeordneten Gesamtschuld-
haftung ändert, haben sich für ausgeschiedene Gesellschafter in Rechtsprechung und herrschender Lehre Besonderheiten ausgebildet. Erstens kann der Ausgeschiedene die verbleibenden Gesellschafter ihrerseits als Gesamtschuldner in Anspruch nehmen.82 Denn auf Grund des Freistellungsanspruchs aus § 728 Abs. 1 Satz 1 BGB bilden die verbleibenden Gesellschafter gegenüber den ausgeschiedenen Gesellschaftern eine Haftungseinheit.83 Das liegt auf einer Linie mit dem ebenfalls in § 728 Abs. 1 Satz 1 BGB geregelten Abfindungsanspruch, dessen Charakterisierung als Sozialverbindlichkeit der gesamtschuldnerischen Einstandspflicht der verbleibenden Gesellschafter ebenfalls nicht im Wege steht (§ 728 BGB Rz. 7). Zweitens ist der Rückgriff ausgeschiedener Gesellschafter gegenüber den verbleibenden Gesellschaftern nicht subsidiär.84 Aus diesen Grundsätzen folgt im Umkehrschluss, dass ein ausgeschiedener von den verbleibenden Gesellschaftern seinerseits nicht in Anspruch genommen werden kann85 und einem anderen ausgeschiedenen Gesellschafter nach § 426 Abs. 1 Satz 2 BGB nur haftet, wenn die verbliebenen Gesellschafter ausfallen86.
III. Abweichende Vereinbarungen (Satz 2) 44 Gemäß § 721 Satz 2 BGB ist eine entgegenstehende Vereinbarung Dritten gegenüber unwirk-
sam. Damit sind Vereinbarungen unter den Gesellschaftern gemeint.87 An der Wirksamkeit solcher Abreden im Innenverhältnis ändert § 721 Satz 2 BGB hingegen nichts. Die Ge-
80 BGH v. 15.10.2007 – II ZR 136/06, ZIP 2007, 2313 Rz. 14, 17. 81 BGH v. 18.6.2009 – VII ZR 167/08, BGHZ 181, 310 = ZIP 2009, 1821 LS 1, Rz. 12 ff. 82 Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 128 HGB Rz. 33; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 128 HGB Rz. 66; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 417 (Stand: 01/2022); a.A. Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 128 HGB Rz. 50. 83 Vgl. zum Begriff der Haftungseinheit BGH v. 17.12.2009 – VII ZR 172/08 Rz. 23; s. auch BGH v. 18.11.2014 – KZR 15/12, BGHZ 203, 193 = ZIP 2015, 544 Rz. 113. 84 BGH v. 2.7.1979 – II ZR 132/78, NJW 1980, 339, 340; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 417 (Stand: 01/2022); a.A. Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 128 HGB Rz. 50; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 128 HGB Rz. 66. 85 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 128 HGB Rz. 51; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 418 (Stand: 01/2022); anders hingegen für den Fall des Ausscheidens durch Anteilsabtretung BGH v. 20.10.1980 – II ZR 257/79, ZIP 1981, 73, 74. 86 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 128 HGB Rz. 51; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 419 (Stand: 01/2022). 87 K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 128 HGB Rz. 13.
404 | Ceesay
Persönliche Haftung der Gesellschafter | Rz. 46 § 721 BGB
sellschafter können im Falle ihrer Inanspruchnahme jedoch ohnehin Regress bei der Gesellschaft nehmen (Rz. 34) und eine Modifikation der gesamtschuldnerischen Haftungsquoten i.S.d. § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB ist für das Außenverhältnis von vornherein irrelevant. Daher bleibt die Bedeutung gem. § 721 Satz 2 BGB nach außen unwirksamer Beschränkungen der Gesellschafterhaftung deutlich hinter der Bedeutung nach außen unwirksamer § 720 Abs. 3 Satz 2 BGB Beschränkungen der organschaftlichen Vertretungsmacht zurück (zu deren Relevanz im Innenverhältnis s. § 720 BGB Rz. 47). Die Gesetzesmaterialien schließen die „Möglichkeit, individuell eine Haftungsbeschränkung 45 mit dem Gesellschaftsgläubiger zu vereinbaren“, zwar nicht aus.88 Eine solche haftungsbeschränkende Vereinbarung mit dem Gläubiger ist jedoch grundsätzlich nur individualvertraglich möglich, da die Durchsetzung einer Haftungsbeschränkung durch AGB – auch und insbesondere bei in Gestalt der Verwendung des Rechtsformzusatzes „mit beschränkter Haftung“ oder „mbH“ – als überraschende Klausel an § 305c Abs. 1 BGB sowie als unangemessen benachteiligende Bestimmung an § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB scheitert.89 Ausnahmen gelten lediglich und überdies in engen gesetzlich gezogenen Grenzen für Rechtsanwälte (§ 52 Abs. 2 Satz 2 BRAO), Patentanwälte (§ 45b Abs. 2 Satz 2 PAO), Steuerberater (§ 67 Abs. 2 Satz 1 StBerG) und Wirtschaftsprüfer (§ 54a Abs. 2 WPO). Darüber hinaus hat der BGH eine Ausnahme für geschlossene Immobilienfonds anerkannt, da die Übernahme der persönlichen Haftung für das gesamte Investitionsvolumen „weder dem einzelnen Anleger zumutbar“ ist noch „vernünftigerweise vom Rechtsverkehr erwartet werden“ kann.90
IV. Prozessuales Den Gesellschaftsgläubiger trifft nach allgemeinen Grundsätzen die Darlegungs- und Be- 46 weislast für die Voraussetzungen der Haftung aus § 721 Satz 1 BGB, namentlich das Vorliegen einer Gesellschaftsverbindlichkeit (Rz. 11 ff.) und die Gesellschafterstellung des Anspruchsgegners (Rz. 14 ff.). Dabei ist die Beweisführung in mehrfacher Hinsicht erleichtert. Zum einen wirkt ein im Gesellschaftsprozess gegen die Gesellschaft ergangenes rechtskräftiges Urteil gem. § 721b BGB auch insoweit gegen die Gesellschafter, als es ihnen die Einwendungen nimmt, die der Gesellschaft abgesprochen wurden.91 Zudem muss der Gläubiger auf Grund der Regelung des § 721a BGB nicht die Gesellschafterstellung bei Begründung der Gesellschaftsverbindlichkeit beweisen; vielmehr genügt der Nachweis der Gesellschafterstellung zu irgendeinem Zeitpunkt seither. Gegenüber amtierenden Gesellschaftern spielt es mithin keine Rolle, wann eine Gesellschaftsverbindlichkeit begründet wurde (s. bereits Rz. 16). Ist hingegen streitig, ob eine Gesellschaftsverbindlichkeit erst nach dem Ausscheiden des Gesellschafters begründet wurde, bleibt es bei der Beweisbelastung des Gläubigers. Denn § 728b BGB begrenzt lediglich die Haftung des ausgeschiedenen Gesellschafters für Verbindlichkeiten, die bereits bei seinem Ausscheiden begründet waren (Rz. 15). Es ist allerdings keine Tatsachen-, sondern eine Rechtsfrage, ob eine nach dem Ausscheiden entstandene Forderung bereits vor dem Ausscheiden begründet war (zur Abgrenzung zwischen Neu- und Altverbindlichkeiten s. § 728b BGB Rz. 7 ff.).
88 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 165. 89 Grundlegend BGH v. 27.9.1999 – II ZR 371/98, BGHZ 142, 315 LS; grundsätzlich bestätigt durch BGH v. 21.1.2002 – II ZR 2/00, BGHZ 150, 1 LS 2 (lediglich Ausnahme für geschlossene Immobilienfonds „wegen der Eigenart derartiger Fonds als reine Kapitalanlagegesellschaften“). 90 BGH v. 21.1.2002 – II ZR 2/00, BGHZ 150, 1, 5 = ZIP 2002, 851, 853. 91 BGH v. 20.2.2018 – II ZR 272/16, BGHZ 217, 327 = ZIP 2018, 640 Rz. 23 m.w.N.; anders aber für den umgekehrten Fall (keine Rechtskrafterstreckung auf die Gesellschaft) BGH v. 22.3.2011 – II ZR 249/09, ZIP 2011, 1143 LS. Ceesay | 405
§ 721 BGB Rz. 47 | Rechtsfähige Gesellschaft 47 Da die Gesellschafter zwar akzessorisch haften, ihnen aber nach § 721b BGB individuelle
Einwendungen zustehen können, besteht sowohl zwischen Gesellschaft und Gesellschafter als auch zwischen den Gesellschaftern eine einfache Streitgenossenschaft i.S.v. §§ 59 f. ZPO.92 Dem Gläubiger steht daher frei, die gem. § 721 Satz 1 BGB haftenden Gesellschafter einzeln oder zusammen zu verklagen, und es ist ihm gleichfalls unbenommen, die Gesellschafter unabhängig von der Gesellschaft oder mit dieser gemeinsam zu verklagen. Da die Ansprüche gegen die Gesellschafter und die Gesellschaft wirtschaftlich identisch sind, führt eine streitgenossenschaftliche Inanspruchnahme nicht nach § 5 ZPO zu einer Streitwerterhöhung.93 48 Die gerichtliche Zuständigkeit folgt der Zuständigkeit der Klage gegen die Gesellschaft.94
Bedeutende Stimmen aus dem Schrifttum verweisen zwar darauf, dass der Gerichtsstand für die Gesellschaft und die Gesellschafter selbstständig zu prüfen sei.95 Für den Erfüllungsgerichtsstand des § 29 ZPO besteht jedoch seit dem Reichsgericht Konsens über den Zuständigkeitsgleichlauf.96 Ebenso hat der BGH die akzessorische Gesellschafterhaftung als Wohnungseigentumssache nach § 43 Nr. 2 WEG qualifiziert97 und das BAG den Rechtsweg zu den ArbG gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG für Klagen gegen die Gesellschafter geöffnet98. Mit dem Argument, zu den Modalitäten, die den Inhalt der Gesellschaftsverbindlichkeit ausmachen, gehöre auch, dass sie nur vor einem bestimmten Gericht erhoben werden kann, hat der BGH überdies eine Gerichtsstandsvereinbarung der Gesellschaft auf die Gesellschafterhaftung erstreckt.99 Ebenso hat der BGH die Erstreckung der von der Gesellschaft getroffenen Schiedsabrede mit den Besonderheiten der akzessorischen Haftung der Gesellschafter gerechtfertigt.100 Das sind alles keine Ausnahmen von einer abweichenden Regel. Vielmehr würde es den mit der akzessorischen und zugleich primären Haftungsanordnung des § 721 Satz 1 BGB bezweckten Gläubigerschutz konterkarieren, wenn der Gläubiger darauf verwiesen wäre, die Gesellschafterhaftung in separaten Prozessen einzuklagen. Deswegen kann auch für den Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nichts anderes gelten.101 Es begegnet auch keinen durchgreifenden Bedenken, dass die Gesellschafter damit stets am allgemeinen Gerichtsstand der Gesellschaft gem. § 17 ZPO verklagt werden können. Denn dieser Gerichtsstand ist als Gerichtsstand der Mitgliedschaft gem. § 22 ZPO jedenfalls für den Rückgriff der Gesellschafter untereinander (Rz. 37 ff.) eröffnet.102 Da die Akzessorietät der gerichtlichen Zuständigkeit lediglich dem Schutz der Gesellschaftsgläubiger dient, kann aus ihr indes kein Ausschluss des allgemeinen Gerichtsstands der Gesellschafter hergeleitet werden. Sofern für die Gesellschaftsverbindlichkeit kein ausschließlicher Gerichtsstand begründet ist, kann der Gesellschaftsgläubiger die Gesellschafter daher nach § 13 ZPO auch individuell an deren jeweiligen Wohnsitzen verklagen.
92 BGH v. 13.7.1970 – VIII ZR 230/68, BGHZ 54, 251 LS 1; BGH v. 10.3.1988 – IX ZR 194/87, juris Rz. 10; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 128 HGB Rz. 22. 93 Scholz, ZZP 136 (2023), 221, 222 f.; vgl. auch BGH v. 25.11.2003 – VI ZR 418/02, NJW-RR 2004, 638, 639. 94 Eingehend Scholz, ZZP 136 (2023), 221, 223 ff. 95 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 124 HGB Rz. 29; K. Schmidt/ Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 128 HGB Rz. 23. 96 RG v. 13.11.1893 – VI 208/93, RGZ 32, 44, 45; Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 124 HGB Rz. 29. 97 BGH v. 21.1.2016 – V ZR 108/15, ZIP 2016, 545 Rz. 4 ff. 98 BAG v. 1.3.1993 – 3 AZB 44/92, ZIP 1993, 848 LS 2; BAG v. 14.11.1979 – 4 AZR 3/78, BAGE 32, 187 LS. 99 BGH v. 8.7.1981 – VIII ZR 256/80, juris Rz. 23. 100 BGH v. 12.11.1990 – II ZR 249/89, juris Rz. 8. 101 So auch BayObLG v. 17.1.1980 – Allg. Reg. 87/79, BayObLGZ 1980, 13, 14. 102 BayObLG v. 28.9.1978 – Allg. Reg. 37/78, BayObLGZ 1978, 267, 270.
406 | Ceesay
Persönliche Haftung der Gesellschafter | Rz. 50 § 721 BGB
Die internationale Zuständigkeit für die Klage aus § 721 Satz 1 BGB gegen die Gesellschaf- 49 ter ist bis heute nicht abschließend geklärt.103 Der EuGH hat in seiner ÖFAB-Entscheidung nämlich nicht nur einer Gerichtsstandsakzessorietät der Gesellschafterhaftung eine Absage erteilt,104 sondern auch eine pauschale Anwendung des Erfüllungsgerichtsstands mit dem Argument verneint, die Anwendung von Art. 7 Nr. 1 Buchst. a Brüssel Ia-VO erfordere, „dass eine von einer Person gegenüber einer anderen freiwillig eingegangene rechtliche Verpflichtung bestimmt werden kann, auf die sich die betreffende Klage stützt“105. Auf dieser Grundlage ist die Eröffnung des Erfüllungsgerichtsstands selbst im Falle einer Inanspruchnahme der Gesellschafter aus einer vertraglichen Gesellschaftsverbindlichkeit zweifelhaft.106 Hierfür müsste man die Haftung aus § 721 Satz 1 BGB ausgehend von der freiwilligen Übernahme des Haftungsrisikos durch Übernahme der Beteiligung funktional als „freiwillig eingegangene rechtliche Verpflichtung“ gegenüber dem Gesellschaftsgläubiger qualifizieren. Unter dieser – ebenso weitgehenden wie zweifelhaften107 – Prämisse bliebe dann allerdings kaum Raum, zwischen vertraglichen und außervertraglichen Gesellschaftsverbindlichkeiten zu unterscheiden,108 was im Ergebnis wiederum zu einer Quasi-Gerichtsstandsakzessorietät und damit zu einer Vervielfachung der Gerichtsstände wegen ein und desselben Verhaltens (scil: des Gesellschaftsbeitritts) führte, die der EuGH in ÖFAB selbst bei einem spezifischen Fehlverhalten und einer begrenzten Einstandspflicht für die Gesellschaftsverbindlichkeiten als mit den Zielen der Brüssel Ia-VO unvereinbar erachtet hat109. Denn die Annahme einer „freiwillig eingegangene[n] rechtliche[n] Verpflichtung“ der Gesellschafter, gegenüber den Gesellschaftsgläubigern gem. § 721 Satz 1 BGB für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft einzustehen, impliziert keinen einheitlichen Erfüllungsort gem. Art. 7 Brüssel Ia-VO am Sitz der Gesellschaft. Der Erfüllungsort ist vielmehr nach gefestigter Rechtsprechung des EuGH „nach dem Recht zu bestimmen, das nach den Kollisionsnormen des mit dem Rechtsstreit befaßten Gerichts für die streitige Verpflichtung maßgebend ist“110. Da die Haftung der Gesellschafter dem Gesellschaftsstatut unterliegt,111 bestimmt sich ihr Erfüllungsort nach deutschem Recht und folgt ob der inhaltlichen Kongruenz der Gesellschafterhaftung (Rz. 19) dem Erfüllungsort der individuellen Gesellschaftsverbindlichkeit.112 Wenngleich daher viel für die Annahme spricht, dass für die Gesellschafterhaftung nur der allgemeine internationale Gerichtsstand des Wohnsitzes gem. Art. 4 Brüssel Ia-VO eröffnet ist, besteht doch in den Grenzen von Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO immerhin die Möglichkeit, einen einheitlichen Prozess gegen Gesellschaft und Gesellschafter oder einen einheitlichen Prozess gegen mehrere Gesellschafter zu führen. Bei einer gesamtschuldnerischen Verurteilung haften mehrere Gesellschafter gem. § 100 50 Abs. 4 ZPO auch auf die Kosten als Gesamtschuldner. Im Falle einer gemeinsamen Verurteilung mit der Gesellschaft wird die akzessorische Haftung der Gesellschafter für die Gesellschaftsverbindlichkeit dadurch zum Ausdruck gebracht, dass Gesellschaft und Gesellschafter 103 Eingehend zum Folgenden bereits Scholz, ZZP 136 (2023), 221, 225 ff. 104 EuGH v. 18.7.2013 – C-147/12, ECLI:EU:C:2013:490 – ÖFAB/Frank Koot u.a. Rz. 39 ff. 105 EuGH v. 18.7.2013 – C-147/12, ECLI:EU:C:2013:490 – ÖFAB/Frank Koot u.a. Rz. 33; a.A. ohne Berücksichtigung dieser Entscheidung des EuGH K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 128 HGB Rz. 23. 106 So aber ohne Problembewusstsein Gottwald in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl. 2022, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 11. 107 Zu Recht kritisch Leible in Rauscher, EuZPR/EuIPR, 5. Aufl. 2020, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 11; Paulus in Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, 52. EL 2016, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 17 ff. 108 So denn auch Haas, NZG 2013, 1161, 1163 f.; Wedemann, ZEuP 2014, 867, 874 f.; vor der Entscheidung des EuGH auch BGH v. 22.9.2008 – II ZR 288/07. 109 EuGH v. 18.7.2013 – C-147/12, ECLI:EU:C:2013:490 – ÖFAB/Frank Koot u.a. Rz. 41. 110 EuGH v. 28.9.1999 – C-440/97, ECLI:EU:C:1999:456 – GIE Groupe Concorde Rz. 32, 10 ff. 111 Siehe nur Kindler in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2021, IntGesR Rz. 614 f. 112 Ebenso Haas/Keller, ZZP 126 (2013), 335, 339. Ceesay | 407
§ 721 BGB Rz. 50 | Rechtsfähige Gesellschaft sowohl in der Hauptsache als auch in den Kosten „wie Gesamtschuldner“ verurteilt werden.113 51 Für die Vollstreckung gegen die Gesellschafter genügt ein Titel gegen die Gesellschaft nicht;
gem. § 722 Abs. 2 BGB bedarf es eines Titels gegen diese (§ 722 BGB Rz. 6 ff.). Umgekehrt genügt nach § 722 Abs. 1 BGB ein Titel gegen die Gesellschafter – auch ein Titel gegen alle Gesellschafter – nicht, um in das Vermögen der Gesellschaft zu vollstrecken (§ 722 BGB Rz. 3 ff.).
§ 721a BGB Haftung des eintretenden Gesellschafters 1Wer
in eine bestehende Gesellschaft eintritt, haftet gleich den anderen Gesellschaftern nach Maßgabe der §§ 721 und 721b für die vor seinem Eintritt begründeten Verbindlichkeiten der Gesellschaft. 2Eine entgegenstehende Vereinbarung ist Dritten gegenüber unwirksam. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). A. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Haftung des eintretenden Gesellschafters (Satz 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
C. Abweichende Vereinbarungen (Satz 2) . . 12 D. Prozessuales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
5
Schrifttum: Gerlach, Die Haftungsordnung der §§ 25, 28, 130 HGB, 1976; Scholz, Das Prozessrecht der akzessorischen Gesellschafterhaftung, ZZP 136 (2023), 221; J. Vetter, Altschuldenhaftung auf fehlerhafter Vertragsgrundlage, 1995.
A. Grundlagen 1 Mit der Vorschrift hat der Gesetzgeber § 130 HGB a.F. ohne inhaltliche Änderungen in das
Recht der GbR übernommen. Sie ist Teil des Normenkomplexes der §§ 721–721b BGB, der das schon vor dem MoPeG anerkannte Regime der akzessorischen Gesellschafterhaftung für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft vollständig an dasjenige der OHG angleicht (§ 721 BGB Rz. 1). 2 Indem § 721a Satz 1 BGB die akzessorische Gesellschafterhaftung des Eintretenden auf alle
Altverbindlichkeiten erstreckt, erweitert er das den Gesellschaftsgläubigern zur Verfügung stehende Haftungssubstrat. Dieser Gläubigerschutz „kompensiert den Einfluss, den [der eintretende Gesellschafter] auf das Gesellschaftsvermögen gewinnt, und wirkt einer Ausbeutung der Gesellschaftsgläubiger durch Vermögensverlagerungen, durch nachträgliche Veränderung der Risikostruktur der Gesellschaft oder durch eine exzessive Erhöhung der Schul-
113 Vgl. BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341, 358 = ZIP 2001, 330, 335 f., wonach im Urteilstenor kenntlich zu machen ist, dass zwischen den Ansprüchen „kein echtes Gesamtschuldverhältnis besteht, jedoch die [Gesellschaft] neben den ihrerseits untereinander gesamtschuldnerisch haftenden Gesellschafterinnen wie eine Gesamtschuldnerin verpflichtet ist“; a.A. Roth in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 128 HGB Rz. 39 („als Gesamtschuldner“).
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Haftung des eintretenden Gesellschafters | Rz. 6 § 721a BGB
denlast entgegen.“1 Aus diesen Erwägungen hatte der BGH § 130 HGB a.F. schon vor dem MoPeG analog auf die GbR angewandt.2 Im Zusammenspiel mit § 721 Satz 1 BGB fungiert § 721a Satz 1 BGB so zugleich als Beweis- 3 erleichterung. Denn auf Grund der Haftung gem. § 721a Satz 1 BGB muss der Gesellschaftsgläubiger nicht die Gesellschafterstellung bei Begründung der Gesellschaftsverbindlichkeit beweisen; vielmehr genügt der Nachweis der Gesellschafterstellung zu irgendeinem Zeitpunkt seither (§ 721 BGB Rz. 46). Insofern befreit die Vorschrift die Gesellschaftsgläubiger davon, „den aktuellen Gesellschafterbestand zu überblicken und daneben zwischen Alt- und Neuverbindlichkeiten zu unterscheiden“.3 Anders als in der OHG wird die Haftung für Altverbindlichkeiten gem. § 721a Satz 1 BGB 4 durch keine § 28 HGB entsprechende Regelung ergänzt, wonach bei Einbringung eines einzelkaufmännischen Unternehmens die Gesellschaft für alle im Betrieb des Geschäfts entstandenen Verbindlichkeiten des früheren Geschäftsinhabers haftet. Diese Diskrepanz geht auf eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers zurück.4 Dabei verweisen die Gesetzesmaterialien insbesondere zu Recht darauf, dass § 28 Abs. 2 HGB eine abweichende Vereinbarung zulässt, solange sie nur in das Handelsregister eingetragen ist, weshalb die Übertragung dieses Regelungsmodells das Eintragungswahlrecht der GbR-Gesellschafter konterkarieren würde.5 Vor diesem Hintergrund ist für eine analoge Anwendung des § 28 HGB kein Raum. Sie ist auch in aller Regel nicht erforderlich, weil in Einbringungsfällen § 28 HGB regelmäßig unmittelbar zur Anwendung gelangt.6
B. Haftung des eintretenden Gesellschafters (Satz 1) Gemäß § 721a Satz 1 BGB haftet derjenige, der in eine bestehende Gesellschaft eintritt, gleich 5 den anderen Gesellschaftern nach Maßgabe der §§ 721, 721b BGB für die vor seinem Eintritt begründeten Verbindlichkeiten der Gesellschaft. Funktional stellt die Vorschrift „sicher, dass auch der in eine Gesellschaft eintretende Gesellschafter für die zu diesem Zeitpunkt bereits begründeten Gesellschaftsverbindlichkeiten unbeschränkt persönlich haftet“7. Inhalt und Durchsetzung der Gesellschafterhaftung aus § 721a Satz 1 BGB entsprechen mithin vollständig der Haftung für Neuverbindlichkeiten gem. § 721 BGB. Weil der Eintretende gem. § 721 Satz 1 BGB für alle seit seinem Eintritt begründeten Ver- 6 bindlichkeiten, d.h. auch für alle Neuverbindlichkeiten haftet, spielt es insofern keine Rolle, wann eine Gesellschaftsverbindlichkeit begründet wurde.8 Die Frage, wann eine Gesellschaftsverbindlichkeit begründet wurde, wird erst relevant, wenn ein Gesellschafter ausschei1 2 3 4 5
Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 166. BGH v. 7.4.2003 – II ZR 56/02, BGHZ 154, 370, 373 f. = ZIP 2003, 899, 900 f. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 166. Vgl. die eingehende Begründung in Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 166 f. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 167: „Auf sie soll kein unstatthafter Druck ausgeübt werden, eine Eintragung der Gesellschaft zu bewirken, um allein dadurch in den Genuss eines Haftungsausschlusses zu gelangen.“ 6 So auch Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 167. 7 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 166. 8 Soweit der BGH die Haftung des Eintretenden für Altverbindlichkeiten analog § 130 HGB a.F. vor dem MoPeG nur angenommen hatte, wenn der Gesellschafter „die Altverbindlichkeit […] bei auch nur geringer Aufmerksamkeit hätte erkennen können“, ging es allein um die „Abwägung zwischen Rechtssicherheit einerseits und materieller Gerechtigkeit andererseits“ bei der Bewältigung von Altfällen, in denen der Eintritt vor Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Außen-GbR durch die Rechtsprechung erfolgt war (BGH v. 12.12.2005 – II ZR 283/03, ZIP 2006, 82 LS, Rz. 12 ff.; s. ferner BGH v. 19.7.2011 – II ZR 300/08, ZIP 2011, 1657 Rz. 40 f.). Ceesay | 409
§ 721a BGB Rz. 6 | Rechtsfähige Gesellschaft det und daher für nach seinem Ausscheiden begründete Verbindlichkeiten nicht mehr haftet (§ 721 BGB Rz. 14 f.). 7 Dem Schutzzweck der Vorschrift (Rz. 2) entsprechend ist der Begriff des Eintritts weit zu
verstehen, so dass er jeden Fall der Erweiterung des Gesellschafterkreises um unbeschränkt haftende Gesellschafter erfasst, sei es durch Aufnahmevertrag (§ 711 BGB Rz. 15), Anteilsabtretung (§ 711 BGB Rz. 19), Universalsukzession (§ 711 BGB Rz. 20 ff.) oder einen fehlerhaften Beitritt, der nach den Grundsätzen der fehlerhaften Gesellschaft einstweilen wirksam ist (§ 705 BGB Rz. 23).9 8 Nach herrschender Lehre10 und der neueren Rechtsprechung des II. Zivilsenats des BGH
zum GmbH-Recht11 liegt ein Fall des fehlerhaften Beitritts – entgegen der Rechtsprechung des XI. Zivilsenats12 – allerdings nicht bei einer fehlerhaften Anteilsübertragung vor (§ 705 BGB Rz. 23). Unter Gläubigerschutzgesichtspunkten ist eine Anwendung von § 721a Satz 1 BGB hier nicht erforderlich, da der vermeintliche Veräußerer als Gesellschafter nach §§ 721, 721a BGB für alle Gesellschaftsverbindlichkeiten verhaftet bleibt. Der vermeintliche Erwerber haftet dann zwar als Scheingesellschafter, als solcher jedoch nicht für die Altverbindlichkeiten (Rz. 9).
9 Es besteht Einigkeit darüber, dass § 721a Satz 1 BGB für den bloßen Scheingesellschafter nicht
gilt.13 Da der Scheingesellschafter anders als der fehlerhaft Eintretende noch nicht einmal vorläufig eine Gesellschafterstellung erwirbt, ist § 721a Satz 1 BGB weder nach seinem Wortlaut noch nach seinem Normzweck eröffnet. Darüber hinaus haftet der Scheingesellschafter auch nicht nach allgemeinen Rechtsscheingrundsätzen für Altverbindlichkeiten, da der Rechtsschein der Gesellschafterstellung für die zuvor begründeten Verbindlichkeiten nicht kausal geworden sein kann.14 Der Umstand, dass der Gesellschaftsgläubiger bei Klageerhebung auf den Rechtsschein der Gesellschafterstellung und die damit verknüpfte Haftung für Altverbindlichkeiten gem. § 721a Satz 1 BGB vertraut hat, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Dem Vertrauen des Gesellschaftsgläubigers ist aber dadurch Rechnung zu tragen, dass die Zerstörung des Rechtsscheins im Prozess als Erledigung qualifiziert wird.15 10 Gemäß § 721a Satz 1 BGB ist die Haftung für Altverbindlichkeiten an keine weiteren Vo-
raussetzungen als den Eintritt des Gesellschafters geknüpft. Das entsprach schon der herrschenden Auffassung zu § 130 HGB a.F.16 Nachdem der Gesetzgeber die Regelung – zumal
9 Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 130 HGB Rz. 5 ff.; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 130 HGB Rz. 12 ff.; zur Anwendung auf den Erbfall ausdrücklich BGH v. 17.12.2013 – II ZR 121/12, ZIP 2014, 1221 Rz. 5 ff. 10 Eingehend Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 387; s. auch Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 130 HGB Rz. 6; Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 130 HGB Rz. 9; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 130 HGB Rz. 15. 11 Siehe nur BGH v. 17.7.2012 – II ZR 217/10, ZIP 2013, 118 Rz. 9 m.w.N. = GmbHR 2012, 1304. 12 BGH v. 20.7.2010 – XI ZR 465/07, ZIP 2010, 1590 LS, Rz. 34 ff. 13 OLG Saarbrücken v. 22.12.2005 – 8 U 91/05, NJW 2006, 2862, 2863 f.; Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 130 HGB Rz. 6; Markworth in BeckOGK/HGB, § 130 HGB Rz. 35 (Stand: 1.12.2021); K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 130 HGB Rz. 15. 14 Vgl. BGH v. 13.12.2004 – II ZR 409/02 ZIP 2005, 253, 254 = GmbHR 2005, 354 („jedenfalls hat die Klägerin nicht auf einen etwaigen Rechtsschein vertraut. Der Subunternehmervertrag, aus dem sie ihren Anspruch herleitet, war schon zuvor geschlossen worden.“); Markworth in BeckOGK/HGB, § 130 HGB Rz. 14 (Stand: 1.12.2021). 15 Scholz, ZZP 136 (2023), 221, 234 f. 16 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 130 HGB Rz. 13; Markworth in BeckOGK/HGB, § 130 HGB Rz. 38 (Stand: 1.12.2021); K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/ HGB, 5. Aufl. 2022, § 130 HGB Rz. 16 ff.
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Haftung des eintretenden Gesellschafters | Rz. 14 § 721a BGB
unter Bereinigung des Wortlauts17 – für die OHG bestätigt und auf die GbR übertragen hat, kann daran kein Zweifel mehr bestehen. Erst recht steht die Haftung des eintretenden Gesellschafters nicht insgesamt unter dem Vorbehalt eines Geschäftsbeginns im Einvernehmen mit dem Eintretenden analog § 719 Abs. 1 BGB.18 Wird der eintretende Gesellschafter von dem Gesellschaftsgläubiger gem. § 721a Satz 1 BGB 11 in Anspruch genommen, kann der Gesellschafter genauso Rückgriff bei der Gesellschaft und den übrigen Gesellschaftern nehmen wie bei einer Inanspruchnahme aus einer nach dem Eintritt begründeten Verbindlichkeit. Von der Gesellschaft kann er mithin vollständige Freistellung verlangen (§ 721 BGB Rz. 34). Die Mitgesellschafter haften ihm dagegen ausschließlich entsprechend ihrer Verlustbeteiligung (§ 721 BGB Rz. 37 f.), wobei der Eintretende vorbehaltlich abweichender Vereinbarungen (Rz. 12) auch für Altverbindlichkeiten entsprechend seiner Verlustbeteiligung haftet.19
C. Abweichende Vereinbarungen (Satz 2) Gemäß § 721a Satz 2 BGB ist eine entgegenstehende Vereinbarung Dritten gegenüber un- 12 wirksam. Damit sind wie bei § 721 Satz 2 BGB Vereinbarungen unter den Gesellschaftern gemeint.20 An der Wirksamkeit solcher Abreden im Innenverhältnis ändert § 721a Satz 2 BGB hingegen nichts, so dass insbesondere die Möglichkeit besteht, den Eintretenden intern von der Haftung für Altverbindlichkeiten zu befreien, seine Haftung auf bekannte oder erkennbare Altverbindlichkeiten zu beschränken oder insoweit einen Haftungshöchstbetrag zu vereinbaren. Solche Vereinbarungen sind regelmäßig als abweichende Bestimmung für den Gesamtschuldnerausgleich unter den Gesellschaftern gem. § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB auszulegen, da der Eintretende im Falle seiner Inanspruchnahme ohnehin bei der Gesellschaft Rückgriff nehmen kann (Rz. 11).21 Ebenso wenig wie § 721 Satz 2 BGB beschränkt auch § 721a Satz 2 BGB die Möglichkeit, 13 individualvertraglich eine haftungsbeschränkende Vereinbarung mit dem Gläubiger zu schließen (§ 721 BGB Rz. 45). Das ist auch im Wege eines Vertrags zugunsten Dritter möglich.22
D. Prozessuales Die klageweise Durchsetzung der Haftung für Altverbindlichkeiten folgt – wie die Haftung 14 selbst (Rz. 5) – der Haftung für Neuverbindlichkeiten gem. § 721 Satz 1 BGB (§ 721 BGB Rz. 46 ff.). Dem Gesellschaftsgläubiger obliegt zwar die Darlegungs- und Beweislast für den
17 Im Gegensatz zu § 130 Abs. 1 HGB a.F. verzichtet § 127 HGB auf den Satzteil „ohne Unterschied, ob die Firma eine Änderung erleidet oder nicht“. Eine sachliche Änderung war damit nicht verbunden, vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 242: „Die Vorschrift übernimmt in der Sache den geltenden § 130 HGB.“ 18 Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 123 HGB Rz. 12; Markworth in BeckOGK/HGB, § 130 HGB Rz. 38 (Stand: 1.12.2021); K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 123 HGB Rz. 4; a.A. Boesche in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 130 HGB Rz. 8; Roth in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 130 HGB Rz. 6. 19 K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 130 HGB Rz. 22; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 919 (Stand: 01/2022). 20 K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 128 HGB Rz. 13. 21 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 130 HGB Rz. 15; K. Schmidt/ Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 130 HGB Rz. 22. 22 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 130 HGB Rz. 15. Ceesay | 411
§ 721a BGB Rz. 14 | Rechtsfähige Gesellschaft Eintritt des in Anspruch Genommenen in die Gesellschaft. Da der Eintretende auch für Neuverbindlichkeiten haftet, genügt der Nachweis der Gesellschafterstellung zu irgendeinem Zeitpunkt seit Begründung der Verbindlichkeit. Die Frage, wann eine Gesellschaftsverbindlichkeit begründet wurde, wird nur relevant, wenn ein Gesellschafter ausgeschieden ist und behauptet, dass die Gesellschaftsverbindlichkeit erst nach seinem Ausscheiden begründet wurde (§ 721 BGB Rz. 46). Auf Grund des Verweises auf § 721b Abs. 1 BGB wirkt ein rechtskräftiges Urteil gegen die Gesellschaft auch gegenüber dem Eintretenden einwendungshindernd.23
§ 721b BGB Einwendungen und Einreden des Gesellschafters (1) Wird ein Gesellschafter wegen einer Verbindlichkeit der Gesellschaft in Anspruch genommen, kann er Einwendungen und Einreden, die nicht in seiner Person begründet sind, insoweit geltend machen, als sie von der Gesellschaft erhoben werden können. (2) Der Gesellschafter kann die Befriedigung des Gläubigers verweigern, solange der Gesellschaft in Ansehung der Verbindlichkeit das Recht zur Anfechtung oder Aufrechnung oder ein anderes Gestaltungsrecht, dessen Ausübung die Gesellschaft ihrerseits zur Leistungsverweigerung berechtigen würde, zusteht. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). A. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 B. Abgeleitete und persönliche Einwendungen und Einreden des Gesellschafters (Abs. 1) . . . . . . . . . . 4 1. Abgeleitete Einwendungen und Einreden der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 2. Persönliche Einwendungen und Einreden des Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
3. Besonderheiten bei Eintritt eines Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Besonderheiten bei Ausscheiden eines Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Gestaltungseinrede (Abs. 2) . . . . . . . . . . D. Prozessuales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17 19 26 32
Schrifttum: Brandes, Verjährung von Gesellschafts- und Gesellschafterschuld im Recht der Personengesellschaften, FS Stimpel, 1985, S. 105; Klimke, Einwendungsverzicht und Rechtskrafterstreckung bei Personengesellschaften. Zum Anwendungsbereich des § 129 Abs. 1 HGB, ZGR 2006, 540; Primaczenko, Die Einrede der Aufrechenbarkeit in § 770 Abs. 2 BGB und § 129 Abs. 3 HGB, JA 2007, 173; Schlüter, Die Einrede der Aufrechenbarkeit des oHG-Gesellschafters und des Bürgen, FS H. Westermann, 1974, S. 509; Scholz, Das Prozessrecht der akzessorischen Gesellschafterhaftung, ZZP 136 (2023), 221; Thole, Die Wirkungen der Feststellung von Gläubigerforderungen zur Insolvenztabelle gegenüber dem nach §§ 171, 172 Abs. 4 HGB haftenden Kommanditisten, ZGR 2019, 301; Weller, Zur Rechtskrafterstreckung zwischen der Gesellschaft bürgerlichen Rechts und ihren Gesellschaftern, ZZP 124 (2011), 491.
A. Grundlagen 1 Mit der Vorschrift hat der Gesetzgeber § 129 Abs. 1-3 HGB a.F. mit punktuellen Klarstellun-
gen und Modifikationen in das Recht der GbR übernommen.1 Sie ist Teil des Normenkom-
23 K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 130 HGB Rz. 24. 1 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 168.
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Einwendungen und Einreden des Gesellschafters | Rz. 5 § 721b BGB
plexes der §§ 721–721b BGB, der das schon vor dem MoPeG anerkannte Regime der akzessorischen Gesellschafterhaftung für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft vollständig an dasjenige der OHG angleicht (§ 721 BGB Rz. 1). Soweit § 721b BGB von § 129 Abs. 1-3 HGB a.F. abweicht, finden diese Änderungen auch in § 128 HGB ihren Niederschlag. Die Vorschriften sind daher einheitlich auszulegen. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers ist § 721b BGB Konsequenz der Akzessorietät der 2 Gesellschafterhaftung (dazu § 721 BGB Rz. 18) und formt diese Akzessorietät zugleich näher aus.2 Konkret soll § 721b Abs. 1 BGB sicherstellen, „dass der Gesellschaftsgläubiger bei der Durchsetzung der Gesellschaftsverbindlichkeit gegenüber dem Gesellschafter nicht besser, aber auch nicht schlechter steht als bei Inanspruchnahme der Gesellschaft selbst“.3 Zugleich geht aus der Formulierung des § 721b Abs. 1 BGB hervor, dass in der Person des Gesellschafters begründete Einwendungen von diesem „ohne Weiteres“ geltend gemacht werden können.4 Wenngleich die Akzessorietät von Einreden und Einwendungen ein gewisses Maß an reflex- 3 haftem Gesellschafterschutz impliziert, hat jedenfalls § 721b Abs. 2 BGB eigenständigen gesellschafterschützenden Charakter.5 Vormals räumten § 129 Abs. 2 HGB a.F. und § 129 Abs. 3 HGB a.F. dem Gesellschafter nämlich ausschließlich die Einreden der Anfechtbarkeit und Aufrechenbarkeit ein, wenngleich sich zuletzt eine herrschende Auffassung zugunsten der analogen Anwendung auf alle Gestaltungsrechte herauskristallisiert hatte.6 Diesen Streitstand hat der Gesetzgeber bewusst aufgegriffen und entschieden.7
B. Abgeleitete und persönliche Einwendungen und Einreden des Gesellschafters (Abs. 1) Nach § 721b Abs. 1 BGB kann ein Gesellschafter, der wegen einer Verbindlichkeit der Gesell- 4 schaft in Anspruch genommen wird, Einwendungen und Einreden, die nicht in seiner Person begründet sind, insoweit geltend machen, als sie von der Gesellschaft erhoben werden können. Er kann daher sowohl die abgeleiteten Einwendungen und Einreden der Gesellschaft (Rz. 5 ff.) als auch etwaige in seiner Person begründete Einwendungen und Einreden (Rz. 15 f.) geltend machen. Für ausgeschiedene Gesellschafter gelten insoweit – anders als für neu eingetretene (Rz. 17 f.) – Besonderheiten, die sich teilweise aus dem Gesetz ergeben und teilweise von der Rechtsprechung entwickelt wurden (Rz. 19 ff.).
1. Abgeleitete Einwendungen und Einreden der Gesellschaft Der Gesellschafter kann nach § 721b Abs. 1 BGB gegen seine Inanspruchnahme für die Ge- 5 sellschaftsverbindlichkeiten die Einwendungen und Einreden der Gesellschaft „insoweit geltend machen, als sie von der Gesellschaft erhoben werden können“. Das entspricht der Akzessorietät der Haftung aus § 721 Satz 1 BGB und stellt zugleich sicher, dass der Gesell2 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 168; zu § 129 HGB a.F. bereits BGH v. 22.3.2011 – II ZR 249/09, ZIP 2011, 1143 Rz. 9 („Ausdruck und Folge der in § 128 Abs. 1 HGB geregelten akzessorischen Haftung der Gesellschafter“). 3 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 168. 4 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 168. 5 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 168: „Die Vorschrift vervollständigt den mit § 721b Absatz 1 BGB-E bezweckten Schutz des Gesellschafters.“ 6 Siehe nur die Nachweise Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 975 (Stand: 01/2022). 7 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 168. Ceesay | 413
§ 721b BGB Rz. 5 | Rechtsfähige Gesellschaft schaftsgläubiger bei der Durchsetzung der Gesellschaftsverbindlichkeit gegenüber dem Gesellschafter weder besser noch schlechter als bei Inanspruchnahme der Gesellschaft steht (Rz. 2). Insofern hat § 721b Abs. 1 BGB einerseits ermächtigende Funktion, soweit er den Gesellschafter zur Geltendmachung abgeleiteter Einwendungen und Einreden berechtigt (Rz. 6 ff.), und andererseits beschränkende Funktion, soweit Einwendungen und Einreden durch die Gesellschaft nicht mehr geltend gemacht werden können (Rz. 9). Hieraus leitet sich ab, dass ein rechtskräftiges Urteil im Gesellschaftsprozess für und gegen die Gesellschafter wirkt (Rz. 10 ff.). 6 Der Gesellschafter kann gem. § 721b Abs. 1 BGB jedwede Einrede und Einwendung der
Gesellschaft geltend machen, die auch die Gesellschaft selbst erheben könnte. Das gilt insbesondere für Verjährung (§ 214 BGB, dazu noch Rz. 8), Verwirkung (§ 242 BGB), Unmöglichkeit (§ 275 BGB), Erfüllung (§ 362 BGB), Erlass (§ 397 BGB, dazu noch Rz. 7), Stundung und pactum de non petendo sowie die Rechtskraft eines klagabweisenden Urteils (dazu noch Rz. 10).8 Mit Blick auf rechtshindernde und rechtsvernichtende Einwendungen bringt § 721b Abs. 1 BGB jedoch lediglich eine Selbstverständlichkeit zum Ausdruck.9 Denn infolge der Akzessorietät der Gesellschafterhaftung erlischt mit der Gesellschaftsverbindlichkeit bereits der Anspruch aus § 721 Satz 1 BGB (§ 721 BGB Rz. 18). 7 Insofern steht § 721b Abs. 1 BGB namentlich einem isolierten Erlassvertrag mit der Gesell-
schaft entgegen, in dem sich der Gläubiger vorbehält, deren Gesellschafter in Anspruch zu nehmen.10 Ein solcher isolierter Erlassvertrag mit der Gesellschaft soll zwar nach der Rechtsprechung wirksam vereinbart werden können, wenn die betroffenen Gesellschafter zustimmen.11 Nimmt man die Akzessorietät der Haftung ernst, bedarf es hierzu indessen (1.) eines vorbehaltlosen Erlasses gegenüber der Gesellschaft, der zum Erlöschen der akzessorischen Gesellschafterhaftung führt, und (2.) der gleichzeitigen Begründung einer neuen nicht akzessorischen Verbindlichkeit im Wege eines Schuldanerkenntnisses des Gesellschafters12 und es spricht einiges dafür, dass jenes Schuldanerkenntnis dann der Form des § 780 Abs. 1 BGB bedarf. Denn nach einem einvernehmlichen Verzicht auf die Gesellschaftsverbindlichkeit besteht weder Streit noch Ungewissheit über die akzessorische Gesellschafterhaftung, so dass für die Annahme eines lediglich deklaratorischen Schuldanerkenntnisses kein hinreichender Anlass besteht.13 Es ist äußerst zweifelhaft, ob diese durch die Akzessorietät der Gesellschafterhaftung gezogenen Grenzen durch Vereinbarung eines ewigen pactum de non petendo gegenüber der Gesellschaft unter gleichzeitigem Verzicht der Gesellschafter auf die Geltendmachung dieser Einrede umgangen werden können.14
8 Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 3; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 129 HGB Rz. 4. 9 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 4; Markworth in BeckOGK/HGB, § 129 HGB Rz. 8 (Stand: 1.12.2021). 10 BGH v. 20.4.1967 – II ZR 220/65, BGHZ 47, 376 LS, wonach der Vorbehalt unwirksam ist und regelmäßig die Unwirksamkeit des gesamten Erlassvertrages zur Folge hat; unter Verweis auf § 139 BGB bestätigend BGH v. 29.9.2020 – II ZR 112/19, ZIP 2020, 2179 Rz. 25; BGH v. 27.3.2019 – III ZR 156/18, Rz. 2. 11 BGH v. 29.9.2020 – II ZR 112/19, ZIP 2020, 2179 Rz. 25 („mangels Zustimmung der in Anspruch genommen Gesellschafter unwirksam“); ebenso BGH v. 27.3.2019 – III ZR 156/18, Rz. 2. 12 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 128 HGB Rz. 21; Markworth in BeckOGK/HGB, § 128 HGB Rz. 108 (Stand: 1.12.2021); K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/ HGB, 5. Aufl. 2022, § 128 HGB Rz. 18. 13 Zur Notwendigkeit eines besonderen Anlasses eingehend BGH v. 24.3.1976 – IV ZR 222/74, BGHZ 66, 250, 255 (juris Rz. 19); BGH v. 10.1.1984 – VI ZR 64/82, NJW 1984, 799, 799. 14 Dafür Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 128 HGB Rz. 21; Markworth in BeckOGK/HGB, § 128 HGB Rz. 108 (Stand: 1.12.2021); a.A. K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 128 HGB Rz. 18.
414 | Ceesay
Einwendungen und Einreden des Gesellschafters | Rz. 10 § 721b BGB
Gemäß § 721b Abs. 1 BGB kann sich der Gesellschafter auch auf die Verjährung der Gesell- 8 schaftsschuld berufen. Um die Verjährung der Gesellschaftsverbindlichkeit zu vermeiden, muss der Gesellschaftsgläubiger nach allgemeinen Grundsätzen verjährungshemmende Maßnahmen gegenüber der Gesellschaft – nicht nur gegenüber ihren Gesellschaftern – ergreifen. Gleichwohl kann sich ein Gesellschafter nicht auf die der Gesellschaft erwachsene Einrede der Verjährung berufen, wenn die Verjährung diesem Gesellschafter selbst gegenüber rechtzeitig gehemmt worden ist.15 Denn der mit der akzessorischen Gesellschafterhaftung bezweckte Gläubigerschutz würde konterkariert, wenn die Gläubiger gezwungen würden, verjährungshemmende Maßnahmen gegenüber der Gesellschaft zu ergreifen, um die Verjährung der Gesellschafterhaftung zu verhindern.16 Zudem ist der Gesellschafter nicht schutzwürdig, wenn er rechtzeitig in Anspruch genommen wird.17 Anders als der Bürge haftet er primär auf die Erfüllung der Gesellschaftsschuld.18 Ist eine Einrede oder Einwendung der Gesellschaft fortgefallen, so kann sie auch von ihren 9 Gesellschaftern nicht mehr erhoben werden. Das kam in § 129 Abs. 1 HGB a.F. noch deutlicher zum Ausdruck, als es noch hieß, dass der Gesellschafter nicht in seiner Person begründete Einwendungen „nur insoweit geltend machen“ kann, als sie von der Gesellschaft erhoben werden können. Der Sinngehalt der Vorschrift hat sich durch Streichung des Wortes „nur“ jedoch nicht geändert. Eine solche Änderung war auch nicht intendiert: Aus den Gesetzesmaterialien geht hervor, dass der Gesetzgeber der Auffassung war, die Einschränkung „nur“ verdecke, dass der Gesellschafter in seiner Person begründete Einwendungen stets ohne weiteres geltend machen könne.19 Vor diesem Hintergrund geht ein Einwendungsverzicht der Gesellschaft ebenso zu Lasten des Gesellschafters, wie er für eine Erweiterung der Gesellschaftsverbindlichkeit nach § 721 Satz 1 BGB einstehen müsste.20 Aus denselben Gründen muss sich der Gesellschafter ebenso wie die Gesellschaft selbst die 10 Rechtskraft eines Urteils gegen die Gesellschaft entgegenhalten lassen.21 Ihm bleiben jedoch jene Einreden und Einwendungen, welche die Gesellschaft gem. § 767 Abs. 2 ZPO selbst geltend machen kann,22 und außerdem solche, die gem. § 826 BGB eine Rechtskraftdurchbrechung auch gegenüber der Gesellschaft rechtfertigen23. Hierzu zählt es auch, wenn der Gläubiger mit den Vertretern der Gesellschaft kollusiv zusammengewirkt hat.24 Da der 15 BGH v. 16.12.2021 – IX ZR 81/21, ZIP 2022, 217 Rz. 23; BGH v. 17.12.2015 – IX ZR 143/13, BGHZ 208, 227 Rz. 33 f.; BGH v. 22.3.1988 – X ZR 64/87, BGHZ 104, 76, 81 f. = ZIP 1988, 841, 841 f. 16 BGH v. 22.3.1988 – X ZR 64/87, BGHZ 104, 76, 81 f. = ZIP 1988, 841, 841 f. 17 BGH v. 22.3.1988 – X ZR 64/87, BGHZ 104, 76, 81 f. = ZIP 1988, 841, 841 f. 18 Eingehend zur Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung von Gesellschafter und Bürge BGH v. 9.7.1998 – IX ZR 272/96, BGHZ 139, 214, 217 ff. = ZIP 1998, 1478, 1479 f. 19 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 168. 20 BGH v. 9.7.1998 – IX ZR 272/96, BGHZ 139, 214, 217 f.= ZIP 1998, 1478, 1480; Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 14. 21 BGH v. 20.2.2018 – II ZR 272/16, BGHZ 217, 327 = ZIP 2018, 640 Rz. 23 = GmbHR 2018, 468; BGH v. 22.3.2011 – II ZR 249/09, ZIP 2011, 1143 Rz. 9; BGH v. 3.4.2006 – II ZR 40/05, ZIP 2006, 994 Rz. 15. 22 BGH v. 3.11.2015 – II ZR 446/13, ZIP 2016, 211 Rz. 34; BGH v. 3.4.2006 – II ZR 40/05, ZIP 2006, 994 Rz. 15. 23 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 11; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 129 HGB Rz. 13. Zu den Voraussetzungen der Rechtskraftdurchbrechung gem. § 826 BGB s. v.a. die Grundsatzentscheidung BGH v. 24.9.1987 – III ZR 187/86, BGHZ 101, 380, 384 ff. = ZIP 1987, 1305, 1306 ff.; aus neuerer Zeit s. etwa BGH v. 10.3.2011 – IX ZR 82/10 Rz. 28. 24 BGH v. 3.11.2015 – II ZR 446/13, ZIP 2016, 211 Rz. 35; BGH v. 11.12.1995 – II ZR 220/94, ZIP 1996, 227, 227 f. Darin liegt keine bloße Durchbrechung des Einwendungsausschlusses im Sinne einer in der Person des Gesellschafters begründeten Einwendung (missverständlich insoweit Habersack in Ceesay | 415
§ 721b BGB Rz. 10 | Rechtsfähige Gesellschaft Gesellschafter zwar akzessorisch haftet, aber nach § 722 Abs. 2 BGB aus dem Titel gegen die Gesellschaft nicht in sein Vermögen vollstreckt werden kann, kann er die Einwendungen der Gesellschaft seiner Inanspruchnahme unmittelbar und unabhängig davon entgegenhalten, ob die Gesellschaft selbst Vollstreckungsabwehrklage erhebt; erst recht ist er nicht darauf verwiesen, sich zunächst verurteilen zu lassen und anschließend Vollstreckungsabwehrklage gegen das Urteil aus dem Gesellschafterprozess zu erheben.25 Deswegen schließt ein rechtskräftiges Urteil gegen die Gesellschaft auch überhaupt keine Einwendungen aus, wenn ein Nichtigkeitsgrund gem. § 579 Abs. 1 ZPO vorliegt, namentlich wenn die Gesellschaft in dem gegen sie geführten Verfahren nicht ordnungsgemäß vertreten war.26 11 Diese Grundsätze gelten entsprechend für andere rechtskraftfähige Vollstreckungstitel, ins-
besondere Vollstreckungsbescheide.27 Soweit § 795 ZPO den Anwendungsbereich der Vollstreckungsabwehrklage für nicht der Rechtskraft fähige Vollstreckungstitel (v.a. Prozessvergleiche, vollstreckbare Urkunden) öffnet, ist schon die Gesellschaft nicht nach § 767 Abs. 2 ZPO mit ihren Einwendungen präkludiert.28 Für die Gesellschafterhaftung spielt die mit der sofortigen Vollstreckbarkeit verbundene Umkehr der Klagelast keine Rolle, da der Gesellschaftsgläubiger die akzessorische Gesellschafterhaftung stets separat titulieren muss. 12 Darüber hinaus führt § 721b Abs. 1 BGB unabhängig von der Vollstreckbarkeit zu einer
Rechtskrafterstreckung, soweit die materielle Rechtskraft die Geltendmachung von Einwendungen und Einreden durch die Gesellschaft präkludiert. Das gilt etwa für die Rechtskraftwirkung der Insolvenztabelle.29 13 Umgekehrt kann sich der Gesellschafter ebenso wie die Gesellschaft auf die Rechtskraft ei-
nes klagabweisenden Urteils im Prozess des Gläubigers gegen die Gesellschaft berufen (Rz. 6).30 14 Keine Relevanz hat dagegen ein Urteil gegen einen Mitgesellschafter. Das ergibt sich ob der
Gesamtschuld der Gesellschafter (§ 721 BGB Rz. 24) unmittelbar aus § 425 Abs. 2 BGB. Da sich § 721b Abs. 1 BGB als Konsequenz der akzessorischen Haftung der Gesellschafter für die Schulden der Gesellschaft versteht (Rz. 2), die Gesellschaft aber nicht akzessorisch für die Schulden der Gesellschafter haftet, kommt es auch zu keiner mittelbaren Rechtskrafterstreckung in der Weise, dass das Urteil gegen einen Gesellschafter die Gesellschaft bindet, wodurch dann wiederum gem. § 721b Abs. 1 BGB die Einwendungen und Einreden der übrigen Gesellschafter determiniert würden.31
25 26 27 28 29 30 31
Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 18); vielmehr könnte die Gesellschaft in diesen Fällen selbst nach § 826 BGB gegen den Titel vorgehen, weil die kollusive Titelerschleichung zum Nachteil der Gesellschafter im Einklang mit den Voraussetzungen einer Rechtskraft durchbrechenden Klage (vgl. BGH v. 10.3.2011 – IX ZR 82/10 Rz. 28) zugleich voraussetzt, „daß der Titelgläubiger Kenntnis davon hat, daß die titulierte Forderung in Wahrheit nicht besteht“ (BGH, v. 11.12.1995 – II ZR 220/94, ZIP 1996, 227, 227, 228). BGH v. 3.11.2015 – II ZR 446/13, ZIP 2016, 211 Rz. 34; BGH v. 3.4.2006 – II ZR 40/05, ZIP 2006, 994 Rz. 15. BGH v. 3.11.2015 – II ZR 446/13, ZIP 2016, 211 Rz. 35; BGH v. 11.12.1995 – II ZR 220/94, ZIP 1996, 227, 228 = GmbHR 1996, 219. Vgl. BGH v. 3.11.2015 – II ZR 446/13, ZIP 2016, 211 Rz. 34; BGH v. 11.12.1995 – II ZR 220/94, ZIP 1996, 227, 228 = GmbHR 1996, 219. Vgl. nur BVerfG v. 27.2.2018 – 2 BvR 2821/14 Rz. 22. BGH v. 20.2.2018 – II ZR 272/16, BGHZ 217, 327 = ZIP 2018, 640 = GmbHR 2018, 468 LS 2, Rz. 21 ff. Unstr. s. nur Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 6; Roth in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 128 HGB Rz. 43; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 129 HGB Rz. 12. Eingehend BGH v. 22.3.2011 – II ZR 249/09, ZIP 2011, 1143 Rz. 7 ff.
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Einwendungen und Einreden des Gesellschafters | Rz. 17 § 721b BGB
2. Persönliche Einwendungen und Einreden des Gesellschafters Aus der Formulierung des § 721b Abs. 1 BGB geht hervor, dass der Gesellschafter in seiner 15 Person begründete Einwendung und Einreden stets gelten machen kann (Rz. 2). Das ist im Grunde eine Selbstverständlichkeit. So kann etwa der Gesellschaftsgläubiger dem einzelnen Gesellschafter die Forderung stunden oder erlassen, ohne zugleich auf die Durchsetzung gegenüber der Gesellschaft zu verzichten.32 Unter den Gesellschaftern haben solche Tatsachen grundsätzlich nur Einzelwirkung gem. § 425 BGB (§ 721 BGB Rz. 28). Sie wirken auch nicht mittelbar über § 721b Abs. 1 BGB zu ihren Gunsten, weil die Gesellschaft dem Gläubiger die persönlichen Einreden und Einwendungen der Gesellschafter nicht analog § 721b Abs. 1 BGB entgegenhalten kann (s. auch Rz. 14).33 Die Gesellschafterhaftung ist auch hinsichtlich der Verjährung des Anspruchs aus § 721 16 Satz 1 BGB insoweit akzessorisch, als sich – vor dem Erlöschen der Gesellschaft – die Verjährungsfrist und der Fristbeginn nach der Gesellschaftsverbindlichkeit bestimmen (§ 721 BGB Rz. 29). Dagegen müssen verjährungshemmende Maßnahmen im Ausgangspunkt gegenüber der Gesellschaft ergriffen werden, um die Verjährung des Anspruchs gegen die Gesellschaft abzuwenden (Rz. 8), und gegenüber dem jeweiligen Gesellschafter ergriffen werden, um zu verhindern, dass die Verjährungseinrede in seiner Person entsteht. Gleichwohl wirken verjährungshemmende Maßnahmen gegenüber der Gesellschaft auch gegenüber ihren Gesellschaftern, denn die Gesellschafter müssten sich zumindest ein Anerkenntnis der Gesellschaft wie eine Erweiterung der Verbindlichkeit entgegenhalten lassen und es lässt sich letztlich nicht begründen, warum nur der Verjährungsneubeginn und nicht auch die Hemmung gegenüber den Gesellschaftern wirken sollten.34 Dagegen entfalten verjährungshemmende Maßnahmen gegenüber Mitgesellschaftern nach § 425 BGB nur Einzelwirkung. Sie wirken auch nicht qua Zurechnung zur Gesellschaft für die anderen Gesellschafter (Rz. 15). Nur der Gesellschafter, demgegenüber die verjährungshemmenden Maßnahmen tatsächlich ergriffen wurden, kann sich nicht darauf berufen, dass der Gläubiger keine separaten verjährungshemmenden Maßnahmen gegenüber der Gesellschaft ergriffen hat (Rz. 8).35
3. Besonderheiten bei Eintritt eines Gesellschafters Gemäß § 721a Satz 1 BGB haftet derjenige, der in eine bestehende Gesellschaft eintritt, gleich 17 den anderen Gesellschaftern nach Maßgabe der §§ 721 und 721b BGB für die vor seinem Eintritt begründeten Verbindlichkeiten der Gesellschaft. Dieser Anordnung der Haftung für Altverbindlichkeiten liegt nicht nur eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung für den Gläubigerschutz zugrunde; dem Gesetzgeber ging es auch und gerade darum, die Gesellschaftsgläubiger davon zu befreien, den aktuellen Gesellschafterbestand zu überblicken und daneben zwischen Alt- und Neuverbindlichkeiten zu unterscheiden (§ 721a BGB Rz. 2 f.). Vor diesem Hintergrund lassen sich für den Eintretenden keine Abweichungen von den dargestellten Grundsätzen rechtfertigen.36 Insbesondere erstreckt sich daher unabhängig von seiner fehlenden Einflussmöglichkeit auf den Gesellschaftsprozess die Rechtskraft eines gegen die Gesellschaft ergangenen Urteils auch auf den Eintretenden (Rz. 10).
32 33 34 35
Vgl. Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 2. Vgl. BGH v. 22.3.2011 – II ZR 249/09, ZIP 2011, 1143 Rz. 9. BGH v. 11.12.1978 – II ZR 235/77, BGHZ 73, 217 LS 2. BGH v. 16.12.2021 – IX ZR 81/21, ZIP 2022, 217 Rz. 23; BGH v. 17.12.2015 – IX ZR 143/13, BGHZ 208, 227 Rz. 33 f.; BGH v. 22.3.1988 – X ZR 64/87, BGHZ 104, 76, 81 f. = ZIP 1988, 841, 841 f. 36 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 15. Ceesay | 417
§ 721b BGB Rz. 18 | Rechtsfähige Gesellschaft 18 Das liegt insofern mit den für ausgeschiedene Gesellschafter aufgestellten Rechtsprechungs-
grundsätzen über Kreuz, als dort gerade auf die fehlende Einflussmöglichkeit des Gesellschafters abgestellt wird (Rz. 20 ff.). Die Ungleichbehandlung von Eintritt und Ausscheiden ließe sich zwar mit dem Argument rechtfertigen, dass sich der Eintretende vor seinem Betritt hätte informieren können.37 Das heißt aber nur, dass sich ein Sonderrecht für die Haftung eintretender Gesellschafter noch weniger rechtfertigen lässt als eines für die Haftung ausgeschiedener Gesellschafter (Rz. 24).
4. Besonderheiten bei Ausscheiden eines Gesellschafters 19 Für den ausgeschiedenen Gesellschafter gilt zunächst die gesetzliche Nachhaftungsbegren-
zung des § 728b BGB. Danach haftet der Ausgeschiedene für bis zu seinem Ausscheiden begründete Gesellschaftsverbindlichkeiten nur, wenn sie vor Ablauf von fünf Jahren nach seinem Ausscheiden fällig sowie festgestellt, gerichtlich geltend gemacht oder anerkannt sind. 20 Darüber hinaus haben jedoch Rechtsprechung und Lehre nahezu einmütig ein Sonderrecht
für die Haftung ausgeschiedener Gesellschafter entwickelt, das seine Ableitungsbasis in der fehlenden Einflussmöglichkeit auf die Geschicke der Gesellschaft findet.38 Deshalb soll es bei den für amtierende Gesellschafter geltenden Grundsätzen bleiben, wenn ein persönlich haftender Gesellschafter nach der Umgestaltung der Gesellschaft in eine GmbH & Co. KG die Geschäfte als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH weiterführt.39 Für den in die Stellung eines Kommanditisten wechselnden Gesellschafter kann ungeachtet des Ausschlusses von Geschäftsführung (§ 164 HGB) und Vertretung (§ 170 Abs. 1 HGB) nichts anderes gelten, da ein solcher Wechsel gem. § 137 Abs. 3 HGB allein unter dem Gesichtspunkt der Nachhaftungsbegrenzung einem Ausscheiden gleichgestellt ist (§ 137 HGB Rz. 13) und § 128 Abs. 1 HGB – als Parallelregelung zu § 721b Abs. 1 BGB – gem. § 161 Abs. 2 HGB auch für die Kommanditistenhaftung gilt40. Innerhalb der so gezogenen Grenzen gelten folgende Besonderheiten: 21 Erstens muss sich ein bereits bei Klageerhebung ausgeschiedener Gesellschafter den mit der
Rechtskraft eines Urteils gegen die Gesellschaft verbundenen Einwendungsausschluss (Rz. 10 ff.) nicht entgegenhalten lassen.41 Dagegen soll die Rechtskraft eines klagabweisenden Urteils gegen die Gesellschaft auch zugunsten eines ausgeschiedenen Gesellschafters wirken, weil der Gesellschafter nicht regresslos gestellt werden dürfe.42
37 Klimke, ZGR 2006, 540, 544. 38 Vgl. nur BGH v. 20.2.2018 – II ZR 272/16, BGHZ 217, 327 = ZIP 2018, 640 Rz. 26; BGH v. 8.11.1965 – II ZR 223/64, BGHZ 44, 229, 233 f. = GmbHR 2018, 468; Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 6; Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 15; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 967 (Stand: 01/2022); kritisch aber neuerdings Markworth in BeckOGK/HGB, § 129 HGB Rz. 36 (Stand: 1.12.2021). 39 BGH v. 22.9.1980 – II ZR 204/79, BGHZ 78, 114, 120 f. = ZIP 1980, 997, 999 = GmbHR 1981, 12; BGH v. 20.2.2018 – II ZR 272/16, BGHZ 217, 327 = ZIP 2018, 640 Rz. 27 = GmbHR 2018, 468. 40 BGH v. 20.2.2018 – II ZR 272/16, BGHZ 217, 327 = ZIP 2018, 640 Rz. 24 = GmbHR 2018, 468. 41 BGH v. 20.2.2018 – II ZR 272/16, BGHZ 217, 327 = ZIP 2018, 640 Rz. 26; BGH v. 8.11.1965 – II ZR 223/64, BGHZ 44, 229, 233 f = GmbHR 2018, 468. 42 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 15; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 129 HGB Rz. 17; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 967 (Stand: 01/2022).
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Einwendungen und Einreden des Gesellschafters | Rz. 25 § 721b BGB
Zweitens wirkt ein Verzicht der Gesellschaft auf Einwendungen und Einreden entgegen 22 § 721b Abs. 1 BGB (Rz. 9) nicht gegenüber dem Ausgeschiedenen.43 Drittens sollen verjährungshemmende Maßnahmen gegenüber der Gesellschaft entgegen 23 den zu § 721b Abs. 1 BGB geltenden Grundsätzen (Rz. 16) nicht zugleich die Verjährung der akzessorischen Gesellschafterhaftung hemmen.44 Entgegen Rechtsprechung und herrschender Meinung im Schrifttum ist das vorstehend um- 24 rissene (Rz. 20–23) Sonderrecht abzulehnen.45 Erstens findet es keine Stütze im Gesetz. Vielmehr fehlt es ob der expliziten Nachhaftungsbegrenzung durch § 728b BGB (Rz. 19) an einer Regelungslücke für eine solche Rechtsfortbildung. Der Gesetzgeber hat bereits mit der Einführung der Nachhaftungsbegrenzungsvorschrift des § 160 HGB a.F. einen „angemessenen Ausgleich der Interessen der Gläubiger an einer Haftung des Gesellschafters für bereits früher begründete Verbindlichkeiten und der Interessen des Gesellschafters an einer zeitlichen Begrenzung dieser Haftung“ schaffen wollen.46 Diese Wertentscheidung ist ernst zu nehmen, zumal weder die Gesetzesmaterialien zum Nachhaftungsbegrenzungsgesetz noch jene zum MoPeG die Notwendigkeit eines weitergehenden Schutzes ausgeschiedener Gesellschafter anerkennen. Zweitens ist der ausgeschiedene Gesellschafter keineswegs schutzlos gestellt: Er kann sowohl von der Gesellschaft als auch von den verbleibenden Gesellschaftern verlangen, von den Gesellschaftsverbindlichkeiten freigestellt zu werden (§ 721 BGB Rz. 36, 43). Die verbleibenden Gesellschafter haften ihm sogar als Gesamtschuldner ohne die Notwendigkeit, zuvor die Gesellschaft in Anspruch nehmen zu müssen (§ 721 BGB Rz. 43). Drittens rechtfertigt der bloß fehlende Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft keine Aufweichung der Akzessorietät der Gesellschafterhaftung. Das verdeutlicht schon der Umstand, dass sich auch der von Geschäftsführung und Vertretung ausgeschlossene Kommanditist gem. § 128 Abs. 1 i.V.m. § 161 Abs. 2 HGB die Rechtskraft von gegen die Gesellschaft ergangenen Entscheidungen entgegenhalten lassen muss.47 Viertens privilegieren Rechtsprechung und herrschende Lehre den ausgeschiedenen Gesellschafter so sogar gegenüber einem Bürgen. Nach der neueren Rechtsprechung des XI. Zivilsenats steht eine schlechte Prozessführung einem Verzicht im Sinne § 768 Abs. 2 BGB nämlich nicht gleich, weil der Verlust einer ursprünglich gerechtfertigten Einrede durch das Urteil im Prozess des Gläubigers gegen den Hauptschuldner die Haftung des Bürgen nicht über den bei Bürgschaftsübernahme für ihn überschaubaren Umfang hinaus erweitert.48 Fünftens darf durch einen Einwendungsverzicht der Gesellschaft zwar keine Haftung des Gesellschafters für Neuverbindlichkeiten durch die Hintertür begründet werden. Hinsichtlich rechtshindernder und rechtsvernichtender Einwendungen ist § 721b Abs. 1 BGB indes ohnehin deklaratorisch (Rz. 6). Um zu verhindern, dass der Verzicht auf solche Einwendungen den ausgeschiedenen Gesellschafter belastet, bedarf es mithin keines Sonderrechts. Damit verbleibt lediglich die Frage, ob es nach dem Ausscheiden weiterhin gerechtfertigt ist, 25 verjährungshemmenden Maßnahmen gegenüber der Gesellschaft dem Gesellschafter zuzurechnen (Rz. 16) und dem Gesellschafter die Berufung auf eine zwischenzeitlich eingetretene Verjährung der Gesellschaftsverbindlichkeit zu versagen, wenn der Gläubiger nur ihm
43 Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 9; Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 15; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 129 HGB Rz. 17. 44 Siehe nur Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 4 m.w.N. 45 Dazu eingehend bereits Scholz, ZZP 136 (2023), 221, 238 ff. 46 Begr. RegE NachhBG, BT-Drucks. 12/1868, 7; ebenso Bericht Rechtsausschuss NachhBG, BT-Drucks. 12/6569, 11. 47 Vgl. BGH v. 20.2.2018 – II ZR 272/16, BGHZ 217, 327 = ZIP 2018, 640 Rz. 24 = GmbHR 2018, 468. 48 BGH v. 14.6.2016 – XI ZR 242/15, BGHZ 210, 348 = ZIP 2016, 1866 Rz. 36 f., 43. Ceesay | 419
§ 721b BGB Rz. 25 | Rechtsfähige Gesellschaft gegenüber verjährungshemmende Maßnahmen ergriffen hat (Rz. 8). Beides ist zu bejahen. Erstens ändert sich nichts an der fehlenden Schutzbedürftigkeit des Gesellschafters, wenn er rechtzeitig selbst wegen der Verbindlichkeit in Anspruch genommen wird, für die er gem. § 721 Satz 1 BGB – anders als ein Bürge – primär auf Erfüllung haftet (Rz. 8). Zweitens hat der Gesetzgeber bei Einführung von § 160 HGB a.F. anerkannt, dass die Ergreifung verjährungshemmender Maßnahmen gegenüber der Gesellschaft grundsätzlich auch gegenüber dem Ausgeschiedenen wirkt: Allein zur Abwehr der Enthaftung sollte eine „Inanspruchnahme nur der Gesellschaft […] zur Fristwahrung nicht aus[reichen], da ein Rechtsstreit mit der Gesellschaft sehr lange dauern kann und der ausgeschiedene Gesellschafter sonst sehr lange einer Ungewißheit ausgesetzt bliebe, ob ihm noch eine persönliche Haftung droht.“49 Die Neufassung der Nachhaftungsbegrenzung in § 728b BGB, § 137 HGB gibt keinen Anlass, dies heute anders zu beurteilen.
C. Gestaltungseinrede (Abs. 2) 26 Gemäß § 721b Abs. 2 BGB kann der Gesellschafter die Befriedigung des Gläubigers verwei-
gern, solange der Gesellschaft in Ansehung der Verbindlichkeit das Recht zur Anfechtung oder Aufrechnung oder ein anderes Gestaltungsrecht zusteht, dessen Ausübung die Gesellschaft ihrerseits zur Leistungsverweigerung berechtigen würde. Die Vorschrift gibt dem Gesellschafter eine Einrede gegen seine Inanspruchnahme aus § 721 Satz 1 BGB, aber nicht das Recht, das betreffende Gestaltungsrecht der Gesellschaft selbst auszuüben. 27 Die Einrede des § 721b Abs. 2 BGB besteht, solange die Gesellschaft das entsprechende Gestal-
tungsrecht ausüben kann. Sie fällt mithin weg, wenn die Voraussetzungen für die Ausübung des Gestaltungsrechts nicht mehr vorliegen, z.B. die Frist zur Anfechtung nach § 121 Abs. 1 BGB abgelaufen ist. Zu einem Wegfall kommt es aber auch, wenn die Gesellschaft auf die Ausübung des Gestaltungsrechts verzichtet. Insoweit kann nichts anderes als bei einem Verzicht auf eine der Gesellschaft zustehende Einrede oder Einwendung gelten (Rz. 9). Ungeachtet der Frage, ob ein solcher Einwendungsverzicht gem. § 721b Abs. 1 BGB gegenüber dem Ausgeschiedenen wirkt (Rz. 20 ff.), kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Verzicht auf die Ausübung eines Gestaltungsrechts dem Ausgeschiedenen die Einrede des § 721b Abs. 2 BGB nimmt. Denn so weit reicht noch nicht einmal der Schutz des Bürgen gem. § 768 Abs. 2 BGB.50 28 Einem Wegfall des Gestaltungsrechts steht eine Präklusion gem. § 767 Abs. 2 ZPO gleich,
nachdem das Urteil gegen die Gesellschaft im Gesellschaftsprozess in Rechtskraft erwachsen ist. Denn nach gefestigter Rechtsprechung des BGH kommt es für den Einwendungsausschluss gem. § 767 Abs. 2 ZPO nur darauf an, ob das Gestaltungsrecht bereits in der letzten mündlichen Verhandlung hätte ausgeübt werden können.51 Infolge der Präklusion zeitigt die Ausübung des Gestaltungsrechts auch keine materiell-rechtlichen Wirkungen mehr.52 29 Die Anfechtungseinrede steht dem Gesellschafter zu, wenn und solange (vgl. § 121 Abs. 1,
§ 124, § 144 Abs. 1 BGB) die Gesellschaft selbst zur Anfechtung befugt ist. Bei einer arglistigen Täuschung steht dem Gesellschafter neben der Anfechtungseinrede des § 721b Abs. 2 BGB regelmäßig gem. § 721b Abs. 1 BGB die abgeleitete Einrede der Gesellschaft aus § 853 BGB zu, welche die Gesellschaft auch noch nach Ablauf der Anfechtungsfrist des § 124 Abs. 1 BGB erheben kann. 49 Begr. RegE NachhBG, BT-Drucks. 12/1868, 8. 50 Vgl. Habersack in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 768 BGB Rz. 16; Madaus in BeckOGK/BGB, § 770 BGB Rz. 18 (Stand: 1.4.2022); Stürner in Staudinger, Neubearb. 2020, § 770 BGB Rz. 1; Zetzsche in Erman, 16. Aufl. 2020, § 770 BGB Rz. 1. 51 BGH v. 3.3.2020 – XI ZR 486/17, BGHZ 225, 44 = ZIP 2020, 1455 Rz. 13 m.w.N. 52 BGH v. 25.6.2019 – II ZR 170/17, Rz. 11 m.w.N.
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Einwendungen und Einreden des Gesellschafters | Rz. 34 § 721b BGB
Die Aufrechnungseinrede steht dem Gesellschafter zu, wenn (§§ 390, 394 BGB) und solange 30 die Gesellschaft mit einer Forderung gegen den Gläubiger gegen die Forderung des Gesellschaftsgläubigers aufrechnen kann. Das entsprach schon vor dem MoPeG der ganz herrschenden Meinung zu § 129 Abs. 3 HGB a.F., da die umgekehrte Formulierung („solange sich der Gläubiger durch Aufrechnung gegen eine fällige Forderung der Gesellschaft befriedigen kann“) auf einem Redaktionsversehen – nämlich der unbesehenen Übernahme des für die subsidiäre Bürgenhaftung geltenden § 770 Abs. 2 BGB – beruhte.53 Ob der Gläubiger gegen die Gesellschaft aufrechnen könnte, spielt keine Rolle. Ebenso spielt es für § 721b Abs. 2 BGB keine Rolle, ob der Gesellschafter mit einer eigenen Forderung gegen den Gläubiger aufrechnen könnte. Unter den Voraussetzungen der §§ 387 ff. BGB kann der Gesellschafter jedoch den Gläubiger durch Aufrechnung befriedigen und umgekehrt der Gläubiger mit dem Anspruch aus § 721 Satz 1 BGB gegen eine Forderung des Gesellschafters aufrechnen.54 Darüber hinaus gibt § 721b Abs. 2 BGB dem Gesellschafter eine Einrede, solange der Gesell- 31 schaft in Ansehung der Verbindlichkeit ein anderes Gestaltungsrecht zusteht, dessen Ausübung die Gesellschaft ihrerseits zur Leistungsverweigerung berechtigen würde. Damit kann sich der Gesellschafter insbesondere auch auf ein von der Gesellschaft nicht ausgeübtes Rücktritts- oder Kündigungsrecht berufen.55
D. Prozessuales Die Vorschrift gilt nicht für rein prozessuale Einreden, gibt also weder dem Gesellschafter 32 den Einwand der Rechtshängigkeit der Gesellschaftsklage (§ 261 Abs. 3 ZPO) noch wirkt die rügelose Einlassung der Gesellschaft gegenüber dem Gesellschafter zuständigkeitsbegründend (§ 39 Satz 1 ZPO).56 Die materielle Rechtskraft eines Urteils gegen die Gesellschaft erstreckt sich über § 721b 33 Abs. 1 BGB auch auf den Gesellschafter, so dass ihm im Haftungsprozess neben den Einwendungen, die der Gesellschaft noch verbleiben (Rz. 10), nurmehr persönliche Einwendungen (Rz. 15 ff.) sowie die Einrede des § 721b Abs. 2 BGB hinsichtlich solcher Gestaltungsrechte der Gesellschaft zustehen, die durch das rechtskräftige Urteil nicht präkludiert sind (Rz. 28). Die materielle Rechtskraft eines Urteils gegen den Gesellschafter erstreckt sich nicht auf 34 die Gesellschaft (Rz. 14). Infolgedessen kann der Gesellschafter mittels Vollstreckungsabwehrklage jedoch gem. § 767 Abs. 2 ZPO nurmehr solche Einwendungen der Gesellschaft geltend machen, die nach der letzten mündlichen Verhandlung im Gesellschafterprozess entstanden sind. Der Einwand einer nachträglichen Verjährung der Gesellschaftsschuld ist dem Gesellschafter gleichwohl verwehrt, nachdem er sich bereits im Haftungsprozess nicht auf die Verjährung der Gesellschaftsschuld hätte berufen können, wenn der Gläubiger ihm gegenüber verjährungshemmende Maßnahmen ergriffen hat (Rz. 8).57
53 BGH v. 14.12.1964 –VIII ZR 119/63, BGHZ 42, 396, 397 f.; Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 12; Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 23; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 129 HGB Rz. 25. 54 K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 129 HGB Rz. 27. 55 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 168. 56 Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 3; Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 5; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 129 HGB Rz. 5. 57 BGH v. 27.4.1981 – lI ZR 177/80, ZIP 1981, 861 LS; Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 9. Ceesay | 421
§ 721b BGB Rz. 35 | Rechtsfähige Gesellschaft 35 Nach allgemeinen Grundsätzen wird die Klage in den Fällen des § 721b Abs. 2 BGB als
„derzeit unbegründet“ abgewiesen.58 Da sich die Rechtskraft des Urteils im Gesellschafterprozess nicht auf die Gesellschaft erstreckt (Rz. 14), kann auch die Entscheidung über die Forderung der Gesellschaft bei Erhebung der Aufrechnungseinrede (Rz. 30) nicht gem. § 322 Abs. 2 ZPO in Rechtskraft erwachsen. Die Aufrechnungseinrede wirkt deshalb keinesfalls kostenerhöhend nach § 45 Abs. 3 GKG.
§ 722 BGB Zwangsvollstreckung gegen die Gesellschaft oder gegen ihre Gesellschafter (1) Zur Zwangsvollstreckung in das Vermögen der Gesellschaft ist ein gegen die Gesellschaft gerichteter Vollstreckungstitel erforderlich. (2) Aus einem gegen die Gesellschaft gerichteten Vollstreckungstitel findet die Zwangsvollstreckung gegen die Gesellschafter nicht statt. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). A. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Zwangsvollstreckung gegen die Gesellschaft (Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Zwangsvollstreckung gegen die Gesellschafter (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . .
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Schrifttum: Scholz, Das Prozessrecht der akzessorischen Gesellschafterhaftung, ZZP 136 (2023), 221; Wertenbruch, Die Haftung von Gesellschaftern und Gesellschaftsanteilen in der Zwangsvollstreckung, 2000.
A. Grundlagen 1 Mit der Vorschrift hat der Gesetzgeber § 124 Abs. 2, § 129 Abs. 4 HGB a.F. in das Recht der
GbR übernommen.1 Zugleich geht ihre Einführung mit der Streichung des seit Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Außen-GbR überholten § 736 ZPO a.F. einher.2 Dabei regelt § 722 BGB lediglich klarstellend, „ob und unter welchen Voraussetzungen ein Titel für eine Zwangsvollstreckung in das Gesellschaftsvermögen oder in das Privatvermögen eines oder mehrerer Gesellschafter taugt“.3 Ein eigenständiger zwangsvollstreckungsrechtlicher Regelungsgehalt lässt sich ihr daher nicht entnehmen.4 2 Für die OHG sind § 124 Abs. 2, § 129 Abs. 4 HGB a.F. in der zu § 722 BGB wortlautiden-
tischen Parallelregelung des § 129 HGB aufgegangen.
58 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 974 (Stand: 01/2022). 1 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 168. 2 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 168. 3 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 168. 4 Scholz, ZZP 136 (2023), 221, 242.
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Zwangsvollstreckung | Rz. 5 § 722 BGB
B. Zwangsvollstreckung gegen die Gesellschaft (Abs. 1) Gemäß § 722 Abs. 1 BGB ist zur Zwangsvollstreckung in das Vermögen der Gesellschaft ein 3 gegen die Gesellschaft gerichteter Vollstreckungstitel erforderlich. Die Vorschrift impliziert bereits die Parteifähigkeit der rechtsfähigen GbR. Nach allgemeinen Grundsätzen folgt diese zudem aus § 50 ZPO i.V.m. § 705 Abs. 2 BGB. Indes ist auch die rechtsfähige GbR gem. § 51 Abs. 1 ZPO prozessunfähig und wird daher im Prozess durch ihre gem. § 720 BGB zur organschaftlichen Vertretung berufenen Gesellschafter vertreten. Der allgemeine Gerichtsstand der Gesellschaft liegt gem. § 17 Abs. 1 Satz 1 ZPO an ihrem Sitz, welcher sich wiederum nach § 706 BGB bestimmt und davon abhängt, ob die Gesellschaft im Gesellschaftsregister eingetragen ist. Im Hinblick auf die akzessorische Gesellschafterhaftung gem. § 721 Satz 1 BGB können Gesellschaft und Gesellschafter als einfache Streitgenossen gemeinsam vor demselben Gericht verklagt werden (eingehend § 721 BGB Rz. 47 ff.). Für die Zwangsvollstreckung in das Gesellschaftsvermögen bedarf es eines gegen die Gesell- 4 schaft gerichteten Vollstreckungstitels. Nach Abschaffung von § 736 ZPO a.F. genügt auch ein gegen alle Gesellschafter erwirkter Titel nicht. Wird auf Grund eines gegen einen Gesellschafter erwirkten Titels in das Gesellschaftsvermögen vollstreckt, kann sich die Gesellschaft mithin grundsätzlich mittels Drittwiderspruchsklage gem. § 771 Abs. 1 ZPO zur Wehr setzen.5 Betreibt der Gläubiger die Zwangsvollstreckung jedoch wegen einer rechtskräftigen akzesso- 5 rischen Gesellschafterhaftung für eine Gesellschaftsverbindlichkeit gem. § 721 Satz 1 BGB, kann der Gläubiger der Gesellschaft – wie im umgekehrten Fall auch dem Gesellschafter (Rz. 9) – den auf § 242 BGB gestützten Einwand der materiell-rechtlichen Mithaftung für die titulierte Forderung entgegenhalten.6 Wenn man den Einwand der Mithaftung gegen die Drittwiderspruchsklage grundsätzlich anerkennt7 und ihn insbesondere auch auf Bürgen erstreckt8, lässt sich nicht rechtfertigen, ihn auf die Vollstreckung aus einem Titel gegen die Gesellschaft in das Vermögen der Gesellschafter (Rz. 9) zu beschränken.9 Kommt es für den Einwand nicht entscheidend auf die Frage an, ob die Rechtskraft des Vollstreckungstitels auch gegen den Intervenienten wirkt,10 muss sich die nach § 771 Abs. 1 ZPO intervenierende Gesellschaft den Einwand der Mithaftung erst recht entgegenhalten lassen, da sie ihrer Inanspruchnahme keine materiell-rechtlichen Einwendungen und Einreden entgegenhalten kann, die nicht auch der Gesellschafter geltend machen könnte. Dem Einwand der Mithaftung stehen schließlich weder die Abschaffung von § 736 ZPO a.F. noch die Einführung von § 722 Abs. 1 BGB entgegen, da § 722 BGB in den Augen des Gesetzgebers lediglich klarstellenden Charakter hat (Rz. 1) und damit keinen eigenständigen zwangsvollstreckungsrechtlichen Regelungsgehalt enthält.
5 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 124 HGB Rz. 42. 6 So auch K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 124 HGB Rz. 29. 7 Dagegen etwa Spohnheimer in Wieczorek/Schütze, 4. Aufl. 2016, § 771 ZPO Rz. 54; eingehend zur Diskussion auch Münzberg in Stein/Jonas, 22. Aufl. 2002, § 771 ZPO Rz. 59 ff.; K. Schmidt/Brinkmann in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl. 2020, § 771 ZPO Rz. 50. 8 Dafür BGH v. 1.6.1953 – IV ZR 196/52, LS 1; Herget in Zöller, 34. Aufl. 2022, § 771 ZPO Rz. 15.5; Lackmann in Musielak/Voit, 19. Aufl. 2022, § 771 ZPO Rz. 33; Münzberg in Stein/Jonas, 22. Aufl. 2002, § 771 ZPO Rz. 61; K. Schmidt/Brinkmann in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl. 2020, § 771 ZPO Rz. 50. 9 Dazu bereits Scholz, ZZP 136 (2023) 221, 243 f. 10 Die Rechtskraft eines Urteils gegen den Hauptschuldner erstreckt sich ebenso wenig auf den Bürgen (BGH v. 9.7.1998 – IX ZR 272/96, BGHZ 139, 214, 218 = ZIP 1998, 1478, 1480 m.w.N.), wie sich die Rechtskraft eines Urteils gegen den Gesellschafter auf die Gesellschaft erstreckt (BGH v. 22.3.2011 – II ZR 249/09, ZIP 2011, 1143 Rz. 7 ff.). Ceesay | 423
§ 722 BGB Rz. 6 | Rechtsfähige Gesellschaft
C. Zwangsvollstreckung gegen die Gesellschafter (Abs. 2) 6 Die Gesellschafter haften gem. §§ 721–721b BGB akzessorisch für die Verbindlichkeiten der
Gesellschaft. Im Hinblick auf diese akzessorische Gesellschafterhaftung können sie mit der Gesellschaft als einfache Streitgenossen gemeinsam vor demselben Gericht verklagt werden (eingehend § 721 BGB Rz. 47 ff.). 7 Wenngleich die Rechtskraft eines gegen die Gesellschaft ergangenen Urteils über den Ein-
wendungsausschluss des § 721b Abs. 1 BGB auch gegen die Gesellschafter wirkt (§ 721b BGB Rz. 10 ff.), findet die Zwangsvollstreckung gegen die Gesellschafter aus einem gegen die Gesellschaft gerichteten Vollstreckungstitel gem. § 722 Abs. 2 BGB nicht statt. Das ist nicht nur durch die formale Trennung der Vermögenssphären von rechtsfähiger Gesellschaft und rechtsfähigem Gesellschafter gerechtfertigt, sondern findet seine innere Rechtfertigung in der Möglichkeit der Gesellschafter, neben den abgeleiteten Einreden und Einwendungen der Gesellschaft gem. § 721b Abs. 1 BGB die in ihrer Person selbst begründeten Einreden und Einwendungen geltend zu machen. Deshalb kann auch ein gegen die Gesellschaft erwirkter Titel nicht nach § 727 ZPO auf die Gesellschafter umgeschrieben werden.11 Eine solche Titelumschreibung ist nur möglich, wenn nach Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters das Gesellschaftsvermögen gem. § 712a Abs. 1 Satz 2 BGB auf den letzten verbleibenden Gesellschafter übergegangen ist, und auch dann erlaubt § 727 ZPO es lediglich, den Titel auf den letzten Gesellschafter umzuschreiben. 8 Für die Zwangsvollstreckung in das Privatvermögen eines Gesellschafters bedarf es daher
genauso eines gegen den Gesellschafter persönlich gerichteten Vollstreckungstitels wie eine Vollstreckung in das Gesellschaftsvermögen gem. § 722 Abs. 1 BGB einen gegen die Gesellschaft gerichteten Vollstreckungstitel erfordert. Wird auf Grund eines gegen die Gesellschaft erwirkten Titels in das Privatvermögen des Gesellschafters vollstreckt, kann sich der Gesellschafter mithin grundsätzlich mittels Drittwiderspruchsklage gem. § 771 Abs. 1 ZPO zur Wehr setzen. 9 Soweit der Gesellschafter allerdings gem. § 721 Satz 1 BGB akzessorisch für die titulierte Ge-
sellschaftsverbindlichkeit haftet, kann der Gesellschaftsgläubiger der Intervention des Gesellschafters nach ganz herrschender Auffassung den Einwand der Mithaftung entgegenhalten.12 Dem stehen weder die Abschaffung von § 736 ZPO a.F. noch die Einführung von § 722 Abs. 1 BGB entgegen, da § 722 BGB in den Augen des Gesetzgebers lediglich klarstellenden Charakter hat (Rz. 1) und damit keinen eigenständigen zwangsvollstreckungsrechtlichen Regelungsgehalt enthält. Ob sich ein Gesellschafter den Einwand der Mithaftung auch entgegenhalten lassen muss, wenn ein Gesellschaftsgläubiger auf Grund eines gegen einen Gesellschafter erwirkten Titels in das Privatvermögen eines anderen Gesellschafters vollstreckt, ist noch ungeklärt.13 Geht man davon aus, dass es für den Einwand der Mithaftung nicht entscheidend darauf ankommt, ob die Rechtskraft des Vollstreckungstitels auch gegen den Intervenienten wirkt, muss sich zwar die Gesellschaft ihre Mithaftung von einem Gesellschaftsgläubiger entgegenhalten lassen, da ihr nur diejenigen Einwendungen und Einreden zustehen, die auch der Gesellschafter hätte geltend machen können (Rz. 5). Die Gesellschafter untereinander haften dagegen als Gesamtschuldner für die Gesellschaftsverbindlichkeit,
11 Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 14; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 979 (Stand: 01/2022). 12 BGH v. 1.6.1953 – IV ZR 196/52, LS 1; Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 14; Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 27; Herget in Zöller, 34. Aufl. 2022, § 771 ZPO Rz. 15.5; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/ HGB, 5. Aufl. 2022, § 129 HGB Rz. 29; Scholz, ZZP 136 (2023), 221, 242 f.; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 979 (Stand: 01/2022). 13 Dazu bereits Scholz, ZZP 136 (2023), 221, 244 f.
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Gründe für das Ausscheiden; Zeitpunkt des Ausscheidens | § 723 BGB
so dass sich die Rechtskraft des Urteils gegen einen von ihnen nicht auf die anderen erstreckt und jeder Gesellschafter potentiell eigene Einwendungen und Einreden geltend machen kann (§ 721b BGB Rz. 15). Nichtsdestotrotz fällt es auch in dieser Situation schwer, ein schutzwürdiges Interesse an einem separaten Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren anzuerkennen. Die herrschende Meinung im Zivilprozessrecht spricht sich denn auch generell für eine Erstreckung des Mithaftungseinwands auf Gesamtschuldner aus.14
Ausscheiden eines Gesellschafters (§§ 723–728b)
§ 723 BGB Gründe für das Ausscheiden; Zeitpunkt des Ausscheidens (1) Folgende Gründe führen zum Ausscheiden eines Gesellschafters aus der Gesellschaft, sofern der Gesellschaftsvertrag für diese Fälle nicht die Auflösung der Gesellschaft vorsieht: 1. Tod des Gesellschafters; 2. Kündigung der Mitgliedschaft durch den Gesellschafter; 3. Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Gesellschafters; 4. Kündigung der Mitgliedschaft durch einen Privatgläubiger des Gesellschafters; 5. Ausschließung des Gesellschafters aus wichtigem Grund. (2) Im Gesellschaftsvertrag können weitere Gründe für das Ausscheiden eines Gesellschafters vereinbart werden. (3) Der Gesellschafter scheidet mit Eintritt des ihn betreffenden Ausscheidensgrundes aus, im Fall der Kündigung der Mitgliedschaft aber nicht vor Ablauf der Kündigungsfrist und im Fall der Ausschließung aus wichtigem Grund nicht vor Mitteilung des betreffenden Beschlusses an den auszuschließenden Gesellschafter. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Übergangsregelung Fortgeltungsverlangen bis 31.12.2024 . . 4 Regelungen in Altverträgen . . . . . . . . . . 7 Ausscheidensgründe (Abs. 1) Tod des Gesellschafters (Nr. 1) . . . . . . . . 9 Kündigung durch einen Gesellschafter (Nr. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 3. Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Gesellschafters (Nr. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
I. II. 1. 2. III. 1. 2.
4. Sonstige Ausscheidensgründe (Nr. 4, 5) IV. Ausscheiden durch Austrittsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Abweichende Regelungen im Gesellschaftsvertrag 1. Auflösungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Weitere Gründe für das Ausscheiden (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Zeitpunkt des Ausscheidens (Abs. 3) . VII. Rechtsfolgen des Ausscheidens . . . . . .
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22 23 24 26
14 BGH v. 1.6.1953 – IV ZR 196/52, LS 1; Herget in Zöller, 34. Aufl. 2022, § 771 ZPO Rz. 15.5; Lackmann in Musielak/Voit, 19. Aufl. 2022, § 771 ZPO Rz. 33; K. Schmidt/Brinkmann in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl. 2020, § 771 ZPO Rz. 50; a.A. Spohnheimer in Wieczorek/Schütze, 4. Aufl. 2016, § 771 ZPO Rz. 54, der den Mithaftungseinwand allerdings generell ablehnt. Ceesay und Guntermann | 425
§ 723 BGB Rz. 1 | Rechtsfähige Gesellschaft Schrifttum: Bochmann, Gesellschafterwechsel, Ausscheiden und Auflösung im Mauracher Entwurf zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, ZGR Sonderheft 23 (2021), 221; Clemm, Ausscheiden eines Gesellschafters aus der Personengesellschaft, BB 1992, 1959; Frey/v. Bredow, Der Wegfall des einzigen Komplementärs nach der HGB-Reform, ZIP 1998, 1621; Gehrlein, Die durch die Insolvenz ihres Gesellschafters aufgelöste Gesellschaft, ZInsO 2018, 1173; Heerma, Der (insolvente) Kommanditist als Risiko für eine KG?, ZIP 2011, 981; Hoffmann, Ausscheiden oder Auflösen – Grundsatzfrage bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts neu gestellt im Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG), FS Heidel, 2021, S. 79; Lange/Kretschmann, Die Nachfolge von Todes wegen in einen Personengesellschaftsanteil nach dem MoPeG – ein erster Überblick, ZEV 2021, 545; Pieronczyk, Auflösung und Ausscheiden einzelner Gesellschafter bei Rechtsanwaltssozietäten, Diss. Kiel 2020; Richter, Der insolvente Mitgesellschafter, ZIP 2023, 1222; von Proff, Ausscheiden statt Auflösen: Handlungsund Beratungsbedarf infolge des MoPeG beider GbR in der Übergangsphase, NZG 2023, 147.
I. Überblick 1 Die §§ 723 ff. BGB regeln die Gründe für das Ausscheiden eines Gesellschafters aus der Ge-
sellschaft und dessen vermögensrechtliche Rechtsfolgen. Sie ergänzen die §§ 712 und 712a BGB, die u.a. die bislang in § 738 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. geregelten mitgliedschaftlichen Folgen des Ausscheidens betreffen. § 723 BGB bestimmt Gründe, die zum Ausscheiden aus der Gesellschaft führen (Abs. 1, 2), und den Zeitpunkt des Ausscheidens (Abs. 3). Die Norm beruht auf einer Empfehlung der Abteilung Wirtschaftsrecht des 71. Deutschen Juristentages 20161 und ist § 131 Abs. 3 HGB a.F. nachgebildet. Die bislang in §§ 723, 725, 727, 728 Abs. 2 i.V.m. § 736 Abs. 1 BGB a.F. geregelten Gründe führen nun nur noch zum Ausscheiden des betreffenden Gesellschafters statt zur Auflösung der Gesellschaft. 2 Im Jahr 1998 hatte sich der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der Umwandlung von Auf-
lösungs- in Ausscheidensgründe für die Personenhandelsgesellschaften durch das Handelsrechtsreformgesetz2 noch ausdrücklich dafür ausgesprochen, für die GbR an der bisherigen Rechtslage festzuhalten, weil der Regelfall der Auflösung dem Interesse der Gesellschafter der nicht unternehmerisch tätigen GbR eher gerecht werde.3 Mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass ein erheblicher Anteil an Gesellschaften bürgerlichen Rechts in der Praxis nicht zu gelegentlichen Zwecken eingesetzt wird, sondern auf Dauer angelegt ist und selbstständig am Rechtsverkehr teilnimmt.4 Das bisherige Leitbild der bloßen Gelegenheitsgesellschaft wird durch das MoPeG von demjenigen der Dauergesellschaft abgelöst. Statt Personenkontinuität, die an die spätestens durch das MoPeG überholte Vorstellung anknüpft, die Gesellschaft sei ein reines Vertragsverhältnis und damit in ihrem Bestand von den Gesellschaftern als Vertragspartner abhängig,5 gilt nun – wie in der Personenhandelsgesellschaft (§ 130 HGB Rz. 1) – primär Verbands- bzw. Unternehmenskontinuität.6 Dadurch soll die wirtschaftlich unerwünschte Zerschlagung des Unternehmens verhindert werden.7 Die Neufassung hat zur Folge, dass es einer gesellschaftsvertraglichen Ausscheidens- oder Fortsetzungsklausel nicht mehr bedarf (zur Bedeutung von Klauseln in Altverträgen Rz. 7 f.).8
1 Beschluss 21 in Verhandlungen des 71. DJT, 2016, Bd. II/2, O222. 2 Gesetz zur Neuregelung des Kaufmanns- und Firmenrechts und zur Änderung anderer handelsund gesellschaftsrechtlicher Vorschriften v. 22.6.1998, BGBl. I 1998, 1474. 3 Begr. RegE HRefG, BT-Drucks. 13/8444, 42. 4 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 105. 5 Vgl. Mot. II, 622 = Mugdan II, 348. 6 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 107, 169. Kritisch für Gelegenheitsgesellschaften: Servatius, GbR, 2023, § 723 BGB Rz. 2. 7 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 107. 8 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 170.
426 | Guntermann
Gründe für das Ausscheiden; Zeitpunkt des Ausscheidens | Rz. 4 § 723 BGB
Die Regelung gilt nur für rechtsfähige Gesellschaften. Für die nicht rechtsfähige Gesell- 3 schaft treffen die §§ 740a−740c BGB eigenständige Regelungen, die an dem bisherigen Grundsatz der Personenkontinuität festhalten. Wollen die Gesellschafter die Auflösung der Gesellschaft wegen eines der in § 740a Abs. 1 BGB genannten Gründe verhindern, bedarf es einer gesellschaftsvertraglichen Regelung (§ 740c Abs. 1 BGB). In der aufgelösten Gesellschaft gelten die Ausscheidensgründe gemäß Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 1 Nr. 3 nicht mehr, d.h. die Erben (in Erbengemeinschaft) und der insolvente Gesellschafter verbleiben in der Liquidationsgesellschaft. Dies lässt sich aus § 736 Abs. 2, 3 BGB ableiten.9 Für die Gläubigerkündigung (Nr. 4) bleibt es dagegen bei der Ausscheidensfolge. Insbesondere folgt der Verbleib des Gesellschafters in der Liquidationsgesellschaft nicht aus § 735 Abs. 2 Satz 2, § 736a Abs. 2 Nr. 4 BGB, da diese Vorschriften den Fall der gesellschaftsvertraglich zugelassenen Auflösungskündigung durch einen Privatgläubiger, nicht aber die Ausscheidenskündigung erfassen.10 Im Übrigen muss der Gläubiger die Entstehung des Abfindungsanspruchs (§ 728 BGB) herbeiführen können. Allein durch den Zugriff auf den Auseinandersetzungsanspruch wird der Gläubiger nicht hinreichend geschützt, da ihm die Gesellschafter diesen Zugriff durch einen Fortsetzungsbeschluss wieder entziehen können (§ 727 BGB Rz. 4). Allerdings ist anzunehmen, dass die Sperrwirkung des Liquidationsverfahrens der Durchsetzung des Abfindungsanspruchs durch den Gläubiger entgegensteht.11 Auch die Kündigung (aus wichtigem Grund) durch einen Gesellschafter (Nr. 2) führt noch nach der Auflösung zum Ausscheiden des Gesellschafters, die Durchsetzung des Abfindungsanspruchs ist in der Auflösungsphase jedoch gesperrt (§ 725 BGB Rz. 3).12 Schließlich muss auch die Ausschließung eines Gesellschafters aus wichtigem Grund noch im Liquidationsstadium möglich sein (§ 727 BGB Rz. 3).
II. Übergangsregelung 1. Fortgeltungsverlangen bis 31.12.2024 Art. 229 § 61 EGBGB enthält für die §§ 723–728 BGB a.F. eine komplexe Übergangsrege- 4 lung, die Art. 41 EGHGB a.F. nachempfunden ist, der im Zuge der Handelsrechtsreform 1998 den Übergang von der Personen- zur Verbandskontinuität betraf. Durch die Regelung soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass Gesellschafter bislang möglicherweise bewusst von einer gesellschaftsvertraglichen Regelung zu den Folgen des Eintritts der in §§ 723 ff. BGB a.F. geregelten Gründe abgesehen haben, weil ihre Kooperation nicht auf Dauer angelegt ist und ihnen die bislang gesetzlich vorgesehene Auflösung daher als interessengerecht erscheint.13 Sie begründet das Recht eines jeden Gesellschafters, die vorübergehende Fortgeltung der bisherigen Regelung zu verlangen. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass die durch das MoPeG eintretende Umwandlung der Auflösungs- in Ausscheidensgründe vorbehaltlich der gesetzlichen Neuregelung nur durch eine Änderung des Gesellschaftsvertrags erfolgen könnte, die einen einstimmig zu fassenden Gesellschafterbe9 Für Nr. 1: Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 723 BGB Rz. 5, 8; Michel in BeckOGK/ HGB, Stand: 15.7.2022, § 131 HGB Rz. 125. Dazu implizit auch: Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 184. Anders aber: Servatius, GbR, § 723 BGB Rz. 12. Für Nr. 3: Schäfer in Schäfer, GbR/ PartG, § 723 BGB Rz. 5, 12 f.; tendenziell auch: Servatius, GbR, § 723 BGB Rz. 23. Dazu implizit auch: Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 183. Anders: Michel in BeckOGK/HGB, Stand: 15.7.2022, § 131 HGB Rz. 125. 10 Anders: Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 723 BGB Rz. 5. 11 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 135 HGB Rz. 4; Michel in BeckOGK/HGB, Stand: 1.6.2022, § 135 HGB Rz. 6; im Ergebnis auch: Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 723 BGB Rz. 24. 12 Anders: Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 723 BGB Rz. 5, 10. 13 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 219. Guntermann | 427
§ 723 BGB Rz. 4 | Rechtsfähige Gesellschaft schluss (§ 714 BGB) voraussetzen würde.14 Auch dann hätte also jeder Gesellschafter ein Vetorecht gegen die Umwandlung. 5 Die §§ 723−728 BGB a.F. und die darin geregelte Auflösungsfolge sind – vorbehaltlich ander-
weitiger vertraglicher Vereinbarungen – weiter anzuwenden, wenn ein Gesellschafter bis zum 31.12.2024 gegenüber der Gesellschaft schriftlich (§ 126 BGB) die Fortgeltung verlangt. Damit die Auflösungsfolge zur Anwendung kommt, muss innerhalb der Frist, aber nach dem Verlangen des Gesellschafters zudem der betreffende Auflösungs- bzw. Ausscheidensgrund eintreten.15 Dadurch soll verhindert werden, dass ein Gesellschafter einem bereits eingetretenen Ausscheidenstatbestand nachträglich eine Auflösungsfolge beigibt.16 Für den Fall, dass ein Tatbestand wie die ordentliche Kündigung durch einen Gesellschafter (§ 725 Abs. 1 BGB) erst nach Ablauf einer bestimmten Frist zur Auflösung bzw. zum Ausscheiden führt, ist das Verlangen richtigerweise während des Laufs der Frist nicht mehr möglich, sondern muss vor dem fristauslösenden Ereignis, im Falle der Kündigung also vor der Kündigungserklärung, erfolgen.17 Dafür spricht, dass dem einzelnen Gesellschafter nicht das Recht zugebilligt werden kann, die Folgen der Kündigungserklärung nach ihrer Entäußerung zu verändern, selbst wenn diese zum Zeitpunkt des Verlangens noch nicht eingetreten sind.18 Durch die damit einhergehende zeitliche Beschränkung wird der die Fortgeltung der §§ 723−728 BGB a.F. wünschende Gesellschafter auch nicht übermäßig belastet, weil er das Verlangen jederzeit, d.h. auch unmittelbar nach Inkrafttreten des MoPeG, erklären kann. Nach dem 31.12.2024 gilt unabhängig von einem entgegenstehenden Gesellschafterwillen das neue Recht. Wollen die Gesellschafter dies verhindern, muss der Gesellschaftsvertrag geändert werden.
6 Gemäß Art. 229 § 61 Satz 2 EGBGB kann das Verlangen durch einen Gesellschafterbeschluss
zurückgewiesen werden. Dies wird grundsätzlich nur in Betracht kommen, wenn der Gesellschaftsvertrag eine Mehrheitsklausel enthält (§ 714 BGB Rz. 86 ff.) und der Beschluss daher gegen die Stimmen des verlangenden und von der Abstimmung über die Zurückweisung nicht ausgeschlossenen Gesellschafters19 gefasst werden kann. Aus der Treuepflicht kann sich im Einzelfall eine Zustimmungspflicht zu dem Zurückweisungsbeschluss ergeben.20 Ebenso kann die Treuepflicht im Nachgang zu einer erfolgreichen Zurückweisung des Fortgeltungsbegehrens die Pflicht der zurückweisenden Gesellschafter begründen, den Gesellschaftsvertrag an die Interessen des begehrenden Gesellschafters (z.B. durch die Aufnahme einer Nachfolgeklausel, § 711 BGB Rz. 22 ff.) anzupassen.21
2. Regelungen in Altverträgen 7 Keine Regelung trifft Art. 229 § 61 EGBGB für die Frage, wie mit Altverträgen umzugehen
ist, die von §§ 723−728 BGB a.F. abweichende Regelungen enthalten und bislang nicht an die neue Rechtslage angepasst wurden (s. auch § 727 BGB Rz. 3).22 Unproblematisch sind praxis-
14 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 219. 15 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 220; kritisch: von Proff, NZG 2023, 147, 152. Anders: Servatius, GbR, § 724 BGB Rz. 42. 16 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks 19/27635, 220. 17 Anders (Zeitpunkt der Kündigungswirkungen maßgebend): von Proff, NZG 2023, 147, 152; K. Schmidt, BB 2001, 1, 5. 18 In diesem Sinne auch: BGH v. 13.7.1967 – II ZR 72/67, BGHZ 48/251, NJW 1967, 2157, 2158 f. 19 OLG Düsseldorf v. 10.3.2000 – 17 U 118/99, NZG 2000, 1121. 20 Zu Art. 41 EGHGB a.F.: K. Schmidt, BB 2001, 1, 2 f. 21 Zu Art. 41 EGBGB a.F.: K. Schmidt, NJW 1998, 2661, 2166; Priester, DNotZ 1998, 691, 703 f.; allgemein: BGH v. 20.10.1986 – II ZR 86/85, ZIP 1987, 166. 22 Vgl. zur entsprechenden Anwendung der zu § 41 EGHGB a.F. formulierten Auslegungsgrundsätze: Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 220.
428 | Guntermann
Gründe für das Ausscheiden; Zeitpunkt des Ausscheidens | Rz. 10 § 723 BGB
übliche Klauseln, wonach bisherige Auflösungsgründe in Übereinstimmung mit Abs. 1 zum Ausscheiden aus der fortbestehenden Gesellschaft führen sollen (sog. Fortsetzungsklauseln). Das Wahlrecht gem. Art. 229 § 61 EGBGB besteht in diesem Fall wegen einer anderweitigen vertraglichen Vereinbarung nicht.23 Gleiches gilt, wenn der Gesellschaftsvertrag einen dynamisch zu verstehenden Verweis auf das jeweilige Gesetzesrecht enthält.24 Sieht eine gesellschaftsvertragliche Klausel in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtslage die Auflösung der Gesellschaft vor, ist durch Auslegung des Gesellschaftsvertrag unter Berücksichtigung auch etwaiger Umstände außerhalb des Vertrages (§ 705 BGB Rz. 16) zu ermitteln, ob sich die Gesellschafter bei Aufnahme der Klausel auf eine deklaratorische Wiedergabe der damaligen Rechtslage beschränkt oder die Auflösung auch unabhängig von der gesetzlichen Regelung als sachgerechtere Rechtsfolge erachtet haben. Ohne dahingehende Hinweise wird man von einer bloß deklaratorischen Wirkung der Klausel ausgehen können.25 Die Klausel kann dann unbeachtet bleiben. Gleiches gilt – vorbehaltlich besonderer Anhaltspunkte für den unbedingten Erhalt des damit 8 einhergehenden Vetorechts – für eine Klausel, die die Fortsetzung der grundsätzlich aufgelösten Gesellschaft oder umgekehrt die Auflösung der grundsätzlich fortgesetzten Gesellschaft an die Zustimmung der Gesellschafter knüpft. Die Gesellschafter können dann jeweils auf Grundlage der Treuepflicht voneinander eine klarstellende Änderung des Gesellschaftsvertrags verlangen.26 Keine Änderung ist demgegenüber erforderlich, wenn der Gesellschaftsvertrag eine Kündigungsklausel ohne Rechtsfolgenanordnung enthält, die man grundsätzlich als Bezugnahme auf die jeweils geltenden gesetzlichen Regelungen verstehen kann.27
III. Ausscheidensgründe (Abs. 1) 1. Tod des Gesellschafters (Nr. 1) Der Tod eines Gesellschafters führt nun in Abweichung zu § 727 Abs. 1 BGB a.F. grundsätz- 9 lich zum Ausscheiden des Gesellschafters. Die Mitgliedschaft ist also – vorbehaltlich einer abweichenden Vereinbarung i.S.v. § 711 Abs. 2 BGB (zu den Gestaltungsmöglichkeiten und ihren Folgen § 711 BGB Rz. 22 ff., § 724 BGB Rz. 1, 6 ff.) – grundsätzlich nicht vererblich. Sie erlischt eine juristische Sekunde vor dem Tod. Im gleichen Moment entsteht ein Abfindungsanspruch (§ 728 Abs. 1 Satz 1 BGB), der dann nach § 1922 Abs. 1 BGB auf die Erben übergeht (zur Haftung der Erben § 724 BGB Rz. 1, 23, § 728b BGB Rz. 4).28 Soll die Gesellschaft stattdessen nach dem Gesellschaftsvertrag durch den Tod eines Gesell- 10 schafters aufgelöst sein (Rz. 22) bzw. tritt der Tod nach der Auflösung der Gesellschaft ein, fällt die Mitgliedschaft in der Liquidationsgesellschaft in den Nachlass. Miterben werden zur gesamten Hand berechtigt.29 Im Interesse der anderen Gesellschafter an baldiger Abwicklung
23 Von Proff, NZG 2023, 147, 151; vgl. bereits: K. Schmidt, BB 2001, 1, 3. 24 Von Proff, NZG 2023, 147, 151. 25 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 131 HGB Rz. 6; Michel in BeckOGK/HGB, Stand: 15.7.2022, § 131 HGB Rz. 84; anders: K. Schmidt, BB 2001, 1, 4; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 131 HGB Rz. 60. 26 K. Schmidt, BB 2001, 1, 6; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 131 HGB Rz. 6. 27 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 131 HGB Rz. 6; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 131 HGB Rz. 60. 28 BGH v. 30.3.1967 – II ZR 102/65, BGHZ 47, 293, 296 = NJW 1967, 1961, 1962; Lange/Kretschmann, ZEV 2021, 545, 548. Zur dogmatischen Konstruktion: Klöhn in Henssler/Strohn, § 140 HGB Rz. 46. 29 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 184; vgl. auch: BGH v. 21.9.1995 – II ZR 273/93, ZIP 1995, 1752; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 9; Klöhn in Henssler/ Strohn, § 131 HGB Rz. 47. Guntermann | 429
§ 723 BGB Rz. 10 | Rechtsfähige Gesellschaft müssen sie zur Ausübung der Gesellschafterrechte einen gemeinsamen Vertreter bestellen, § 736 Abs. 3 BGB (§ 736 BGB Rz. 5). Die durch den Eintritt begründete Haftung der Gesellschafter-Erben (§§ 721, 721a BGB) beschränkt sich jedoch entsprechend § 724 Abs. 4 BGB auf den Nachlass (§ 724 BGB Rz. 5). Gemäß § 730 Abs. 1 Satz 1 BGB ist der Erbe des verstorbenen Gesellschafters verpflichtet, den anderen Gesellschaftern den Tod unverzüglich anzuzeigen (§ 730 BGB Rz. 5). Zudem begründet § 730 Abs. 1 Satz 2−4 BGB ein Recht zur einstweiligen Fortführung der laufenden Geschäfte (§ 730 BGB Rz. 6 f.). 11 Ist eine Gesellschaft Gesellschafterin, ist fraglich, ob und in welchen Fällen Nr. 1 entspre-
chende Anwendung findet. Die grundsätzlich mit dem Tode vergleichbare Vollbeendigung der Gesellschafter-Gesellschaft, kann richtigerweise nicht unter Nr. 1 subsumiert werden. Die Vollbeendigung setzt die vollständige Liquidation und damit auch die Verwertung der Beteiligungen der Gesellschaft voraus. Es ist damit ausgeschlossen, dass eine Gesellschaft im Zeitpunkt ihrer Vollbeendigung noch Gesellschafterin ist und durch die Vollbeendigung ausscheidet.30 Eine Anwendung von Nr. 1 kommt allenfalls in Betracht, wenn die Gesellschaft liquidationslos erlischt (z.B. gem. § 712a Abs. 1 Satz 1 BGB, § 20 Abs. 1 Nr. 2, § 131 Abs. 1 Nr. 2 UmwG). Aber auch hier passt die auf den Tod einer natürlichen Person zugeschnittene Regelung nicht.31 Immerhin besteht die erloschene Gesellschafter-Gesellschaft im Vermögen der übernehmenden Person fort. Dass die übernehmende Person die Gesellschafterrechte gegebenenfalls anders ausübt als die Gesellschafter-Gesellschaft und die übrigen Gesellschafter dadurch belastet werden, kann eine entsprechende Anwendung ebenfalls nicht rechtfertigen. Diese Möglichkeit besteht auch bei einem Austausch eines Gesellschafters durch Singularsukzession, für den ein Ausscheiden analog Nr. 1 nicht in Betracht gezogen wird. Sachgerecht erscheint es vielmehr, die Frage nach dem Ausscheiden der Gesellschafter-Gesellschaft im Falle ihres liquidationslosen Erlöschens durch (ergänzende) Auslegung des Gesellschaftsvertrags zu lösen.32
2. Kündigung durch einen Gesellschafter (Nr. 2) 12 Auch die Kündigung der Mitgliedschaft aus den in § 725 BGB bzw. § 724 Abs. 2 BGB ge-
nannten Gründen (§ 725 BGB Rz. 7 ff., 11 ff., 17 ff., § 724 BGB Rz. 18 ff.) führt nun von Gesetzes wegen zum Ausscheiden des kündigenden Gesellschafters aus der Gesellschaft (zu auf Klauseln in Altverträgen gestützten Kündigungen Rz. 7 f.). Während §§ 723, 724 BGB a.F. bislang nur die sog. Auflösungskündigung ermöglichten, ist seit dem Inkrafttreten des MoPeG danach zu unterscheiden, ob der Gesellschafter die Gesellschaft kündigen möchte (§ 729 Abs. 1 Nr. 3, § 731 BGB) oder nur seine Mitgliedschaft in der Gesellschaft (sog. Austrittskündigung).33 Ein Wahlrecht steht dem kündigenden Gesellschafter jedenfalls dann zu, wenn die Voraussetzungen des § 731 Abs. 1 Satz 1 BGB (§ 731 BGB Rz. 2 ff.) vorliegen, die Auflösung insbesondere verhältnismäßig ist (zum Verhältnis der verschiedenen Gestaltungsrechte bei Vorliegen eines wichtigen Grundes § 725 BGB Rz. 14). Auch wenn ihm die Fortsetzung der Gesellschaft objektiv nicht zuzumuten ist, kann er für das bloße Ausscheiden vo-
30 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 131 HGB Rz. 69; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 727 BGB Rz. 8; Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, § 131 HGB Rz. 26. 31 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 131 HGB Rz. 69; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 131 HGB Rz. 81; anders: BGH v. 8.10.1979 – II ZR 257/78, BGHZ 75, 178, 182 = ZIP 1980, 44, 45 = GmbHR 1980, 83; OLG Hamm v. 30.3.2007 – 30 U 13/06, ZIP 2007, 1233; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 131 HGB Rz. 44. 32 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 131 HGB Rz. 69; Klöhn in Henssler/Strohn, § 131 HGB Rz. 43 f.; für eine grundsätzliche Übertragung: Schäfer in Habersack/Schäfer, § 131 HGB Rz. 81; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 727 BGB Rz. 8. 33 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 170.
430 | Guntermann
Gründe für das Ausscheiden; Zeitpunkt des Ausscheidens | Rz. 15 § 723 BGB
tieren. Aus der dahingehenden Ausübung des Wahlrechts lässt sich nicht schließen, dass ihm die Fortsetzung der Gesellschaft zuzumuten wäre.34 Immerhin ist denkbar, dass der kündigende Gesellschafter sich aus altruistischen Motiven entscheidet, den für ihn eigentlich unzumutbaren Fortbestand der Gesellschaft zu dulden. Lässt sich der Kündigungserklärung der Gegenstand der Kündigung nicht unmittelbar ent- 13 nehmen, ist durch Auslegung zu ermitteln, ob es sich um eine Auflösungs- oder Austrittskündigung handeln soll. Im Zweifel ist davon auszugehen, dass der kündigende Gesellschafter die seinem Kündigungsrecht entsprechende Rechtsfolge wählt.35 Danach ist die Erklärung eindeutig auf das Ausscheiden des Gesellschafters gerichtet, wenn es an einem wichtigen Grund fehlt, da eine ordentliche Kündigung vorbehaltlich einer abweichenden gesellschaftsvertraglichen Regelung (§ 731 BGB Rz. 13) nur zum Ausscheiden berechtigt (§ 725 Abs. 1 BGB). Für die Austrittskündigung gem. § 725 Abs. 3 BGB kann auch sprechen, dass der Gesellschafter gerade erst volljährig geworden ist. Handelt es sich dagegen um eine Kündigung aus wichtigem Grund, hängt die Kündigungswirkung davon ab, ob nur die Austritts- oder auch die Auflösungskündigung verhältnismäßig ist (zu den Unterschieden § 725 BGB Rz. 14 f. und § 731 BGB Rz. 5). Richtet sich die Kündigungserklärung ausdrücklich auf die Kündigung der Gesellschaft und 14 fehlt es an einem Kündigungsgrund i.S.v. § 731 Abs. 1 BGB, weil die Auflösung unverhältnismäßig wäre, kann die Kündigungserklärung unter den Voraussetzungen von § 140 BGB in eine Kündigung der Mitgliedschaft umgedeutet werden.36 Um zu verhindern, dass die eigene Kündigung mangels Kündigungsgrundes ins Leere geht, ist dem kündigenden Gesellschafter zu empfehlen, die Auflösungskündigung mit einer hilfsweise erklärten Austrittskündigung zu verbinden.37
3. Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Gesellschafters (Nr. 3) Auch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Gesellschafters führt 15 nun nicht mehr zur Auflösung der Gesellschaft (§ 728 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F.), sondern – vorbehaltlich einer abweichenden Regelung (§ 729 BGB Rz. 11 f., § 730 BGB Rz. 1) – nur zu dessen Ausscheiden. Die Regelung dient einerseits den Interessen der Gläubiger des ausscheidenden Gesellschafters, indem sie ihnen Zugriff auf den durch das Ausscheiden entstehenden Abfindungsanspruch (§ 728 Abs. 1 Satz 1 BGB) gewährt. Gleichzeitig werden die übrigen Gesellschafter vor einer Fortführung unter Beteiligung des Insolvenzverwalters geschützt, der vor allem die Befriedigungsaussichten der Gesellschafter-Gläubiger im Blick hat.38 Die Regelung ist dahingehend abdingbar, dass der Gesellschaftsvertrag an die Gesellschafterinsolvenz die Auflösung der Gesellschaft knüpfen kann, vgl. § 730 Abs. 2 BGB (Rz. 22, zur Bedeutung von Fortsetzungsklauseln in Altverträgen Rz. 7).39 In diesem Fall wird die Gesellschaft unter Mitwirkung des Insolvenzverwalters (§ 80 Abs. 1 InsO) abgewickelt.
34 Anders aber: Hoffmann in FS Heidel, 2021, S. 79, 92 f. 35 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 131 HGB Rz. 83. 36 Hoffmann in FS Heidel, 2021, S. 79, 93; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 131 HGB Rz. 83. 37 Hoffmann in FS Heidel, 2021, S. 79, 93. 38 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 131 HGB Rz. 70. 39 Zu § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 HGB a.F. schon: Gehrlein, ZInsO 2018, 1173, 1176; Heerma, ZIP 2011, 981, 984 ff.; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 131 HGB Rz. 89; Michel in BeckOGK/HGB, Stand: 15.7.2022, § 131 HGB Rz. 97. Guntermann | 431
§ 723 BGB Rz. 16 | Rechtsfähige Gesellschaft 16 Das Ausscheiden setzt die Verfahrenseröffnung (§ 27 InsO) voraus, nicht aber die Bekannt-
machung und Eintragung des Eröffnungsbeschlusses (§§ 30 ff. InsO) oder dessen Rechtskraft.40 Die Anordnung einer vorläufigen Sicherungsmaßnahme gem. § 21 InsO genügt nicht.41 Wird der Eröffnungsbeschluss rechtskräftig aufgehoben (§ 34 InsO), lässt dies die rechtlichen Wirkungen der Eröffnung grundsätzlich rückwirkend entfallen.42 Ob sich dies auch auf die Mitgliedschaft des ausgeschiedenen Gesellschafters erstreckt oder dieser nur so zu stellen ist, als wäre er niemals ausgeschieden, wird nicht einheitlich beurteilt.43 Vorsorglichen sollten etwaige Rechtshandlungen, die zwischenzeitlich vorgenommen wurden, im Falle der Rückwirkung des Wiedereintritts aber in ihrer Wirksamkeit bedroht wären, wiederholt werden. 17 Ebenfalls nicht einheitlich beurteilt wird, ob die Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens
einen Ausscheidensgrund darstellt.44 Der BGH45 hat diese Frage mit Blick auf die fehlende Zugehörigkeit des Gesellschaftsanteils zum Nachlass verneint.46 Der Nachlassinsolvenzverwalter habe jedoch ein Kündigungsrecht analog § 726 BGB (bzw. § 135 HGB a.F.), durch dessen Ausübung er den Abfindungsanspruch zum Nachlass ziehen könne. Dem könne der Erbe zuvorkommen, indem er den (künftigen) Abfindungsanspruch mit Mitteln aus seinem nicht vom Insolvenzbeschlag betroffenen Eigenvermögen auslöst.47 Der Gesetzgeber des MoPeG hält an der dem Urteil zugrunde liegenden Prämisse, dass der ausnahmsweise vererbliche Gesellschaftsanteil (Rz. 9) nicht in den Nachlass fällt, sondern unmittelbar in das Privatvermögen des Erben übergeht, fest (vgl. § 711 Abs. 2 BGB, vgl. § 711 BGB Rz. 26). Daher spricht viel für die Übertragbarkeit der Entscheidung auf die Rechtslage nach Inkrafttreten des MoPeG. 18 Wird der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Gesell-
schafters mangels Masse abgelehnt (§ 26 InsO), führt dies nach h.M. nicht zum Ausscheiden des Gesellschafters.48 Dies mag zwar vor dem Hintergrund der damit einhergehenden tatsächlichen Beeinträchtigung der gesamtschuldnerischen Solidarhaftung (§ 721 BGB) bedenklich sein.49 Vom Sinn und Zweck des Ausscheidensgrundes (Rz. 15) her ist ein Ausscheiden aber nicht gerechtfertigt, da es weder einer Sicherung der Gläubigerbefriedigung in der Insolvenz bedarf noch die übrigen Gesellschafter vor der Mitwirkung eines Insolvenzverwalters zu schützen sind. 19 Nr. 3 findet auch Anwendung in der Zwei-Personen-Gesellschaft.50 In der Literatur weit-
gehend anerkannt ist jedoch, dass die Gesellschafterinsolvenz nicht zum Ausscheiden führt,
40 Von Proff zu Irnich in BeckOGK/BGB, Stand: 1.6.2023, § 728 BGB Rz. 4; Habermeier in Staudinger, § 728 BGB Rz. 7. 41 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 131 HGB Rz. 91; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 728 BGB Rz. 9. 42 Laroche in Kayser/Thole, § 34 InsO Rz. 40. 43 Für eine echte Rückwirkung: Schäfer in Habersack/Schäfer, § 130 HGB Rz. 90; Michel in BeckOGK/HGB, Stand: 15.7.2022, § 131 HGB Rz. 99; anders: K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/ HGB, § 131 HGB Rz. 73. 44 Dafür etwa: K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 131 HGB Rz. 74; Roth in Hopt, § 131 HGB Rz. 22; Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, § 131 HGB Rz. 32. 45 BGH v. 30.4.1984 – II ZR 293/83, BGHZ 91, 132 = ZIP 1984, 952, 953 f. 46 Im Ergebnis auch: Lehmann-Richter in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 131 HGB Rz. 41; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 131 HGB Rz. 47; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 131 HGB Rz. 91; Klöhn in Henssler/Strohn, § 131 HGB Rz. 51; Gehrlein, ZInsO 2018, 1173, 1182. 47 Zustimmend: Schäfer in Habersack/Schäfer, § 131 HGB Rz. 91; Flume, NJW 1988, 161, 162. 48 BGH v. 8.10.1979 – II ZR 257/78, BGHZ 75, 178, 179 f. = ZIP 1980, 44 f. = GmbHR 1980, 83; OLG Hamm v. 30.3.2007 – 30 U 13/06, ZIP 2007, 1233, 1237; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 131 HGB Rz. 91; anders: K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 131 HGB Rz. 75. 49 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 131 HGB Rz. 75. 50 BGH v. 7.7.2008 – II ZR 37/07, ZIP 2008, 1677; zur KG: BGH v. 13.7.2011 – 8 C 10/10, ZIP 2011, 1868; BVerwG v. 13.7.2011 – 8 C 10/10, ZIP 2011, 1868; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/ HGB, § 131 HGB Rz. 76; anders: Frey/v. Bredow, ZIP 1998, 1621 ff.
432 | Guntermann
Gründe für das Ausscheiden; Zeitpunkt des Ausscheidens | Rz. 21 § 723 BGB
wenn über das Vermögen sämtlicher Gesellschafter zeitgleich oder in engem zeitlichen Zusammenhang das Insolvenzverfahren eröffnet wird (sog. horizontale Simultaninsolvenz).51 Dadurch wird verhindert, dass das Gesellschaftsvermögen herrenlos wird oder es vom Zufall abhängt, in welche Masse es fällt (§ 179 HGB Rz. 10).52 Auch in der zeitgleich bzw. in engem zeitlichem Zusammenhang eintretenden Insolvenz der Gesellschaft und ihrer Gesellschafter (sog. vertikale Simultaninsolvenz) wird Nr. 3 von Teilen der Literatur für unanwendbar gehalten. Hier soll die Auflösung (§ 729 Abs. 1 Nr. 2 BGB) vorgehen.53 Insoweit könnte man freilich auch einen Gegenschluss zu der ausdrücklichen Regelung in § 179 HGB für die vertikale Simultaninsolvenz der Gesellschaft und des einzigen persönlich haftenden Gesellschafters ziehen (§ 179 HGB Rz. 4 ff.) und auf dieser Grundlage an der Ausscheidensfolge für die vertikale Simultaninsolvenz in der GbR festhalten (zur oHG § 130 HGB Rz. 7). Für sämtliche der vorgenannten Fälle empfiehlt sich zur Vermeidung von Rechtsunsicherheiten die Aufnahme einer gesellschaftsvertraglichen Regelung, die z.B. die Auflösung der Gesellschaft anordnet.
4. Sonstige Ausscheidensgründe (Nr. 4, 5) Zum Ausscheiden eines Gesellschafters führt ferner die Kündigung der Mitgliedschaft durch 20 einen Privatgläubiger des Gesellschafters (Nr. 4 i.V.m. § 726 BGB) und die Ausschließung des Gesellschafters aus wichtigem Grund (Nr. 5 i.V.m. § 727 BGB).
IV. Ausscheiden durch Austrittsvereinbarung Nicht ausdrücklich in § 723 BGB genannt, aber natürlich ebenso möglich ist das Ausschei- 21 den durch Vereinbarung sämtlicher Gesellschafter. Die Austrittsvereinbarung begründet eine Änderung des Gesellschaftsvertrags. Im Einzelfall kann sich aus der gesellschafterlichen Treuepflicht eine Rechtspflicht ergeben, dem Ausscheiden eines anderen Gesellschafters54 oder dem eigenen Ausscheiden55 zuzustimmen, wenn dies mit Rücksicht auf das bestehende Gesellschaftsverhältnis oder mit Rücksicht auf die Rechtsbeziehungen der Gesellschafter zueinander erforderlich und dem Gesellschafter unter Berücksichtigung seiner eigenen Belange auch zumutbar ist. Auf die Ausscheidensvereinbarung finden die Regeln des Allgemeinen Teils Anwendung, d.h. es sind insbesondere etwaige Zustimmungsvorbehalte (z.B. § 108 Abs. 1 BGB) zu beachten. Die Austrittsvereinbarung kann grundsätzlich formfrei geschlossen werden. Im Falle der Unwirksamkeit des Vertrages kann die Unwirksamkeitsfolge nach der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft eingeschränkt sein (§ 705 BGB Rz. 21 ff.).56
51 Zur Unterscheidung: K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 131 HGB Rz. 78. 52 Michel in BeckOGK/HGB, Stand: 15.7.2022, § 131 HGB Rz. 105; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 131 HGB Rz. 78; Klöhn in Henssler/Strohn, § 131 HGB Rz. 53a; anders: OLG Hamm v. 8.4.2013 – 8 U 122/12, NZG 2014, 540, 541. 53 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 131 HGB Rz. 92; K. Schmidt, ZIP 2008, 2337, 2346; K. Schmidt, ZIP 2010, 1621, 1626 f.; anders: BGH v. 7.7.2008 – II ZR 37/07, ZIP 2008, 1677, 1678. 54 BGH v. 26.1.1961 – II ZR 240/59, NJW 1961, 724 f. 55 BGH v. 21.10.1985 – II ZR 57/85, NJW-RR 1986, 256 = ZIP 1986, 91. 56 BGH v. 14.4.1969 – II ZR 142/67, NJW 1969, 1483; Schulte/Hushahn in MünchHdb. GesR I, § 10 Rz. 37. Guntermann | 433
§ 723 BGB Rz. 22 | Rechtsfähige Gesellschaft
V. Abweichende Regelungen im Gesellschaftsvertrag 1. Auflösungsklauseln 22 § 723 Abs. 1 BGB ist teilweise dispositiv. Der Unterschied im Wortlaut („sofern der Gesell-
schaftsvertrag für diese Fälle nicht die Auflösung der Gesellschaft vorsieht“) im Vergleich zu § 131 Abs. 3 HGB a.F. („mangels abweichender vertraglicher Bestimmung“) macht deutlich, dass sich die Abdingbarkeit nur auf die Rechtsfolge der in § 723 Abs. 1 BGB genannten Gründe bezieht, das dort vorgesehene Ausscheiden also lediglich durch die Auflösung der Gesellschaft ersetzt werden kann.57 Dadurch sollen Klauseln verhindert werden, die die Gläubiger des betroffenen Gesellschafters benachteiligen, indem sie einen Fortbestand der Gesellschaft mit dem betroffenen Gesellschafter anordnen und dadurch die Entstehung des Abfindungsanspruchs (§ 728 Abs. 1 Satz 1 BGB) bzw. des Anspruchs auf das Liquidationsguthaben (§ 736d Abs. 5, 6 BGB) verhindern.58 Eine spezifische Gläubigergefährdung ist zwar nur in den Fällen der Gesellschafterinsolvenz (Nr. 3) und der Kündigung durch einen Privatgläubiger (Nr. 4) auszumachen. Gleichwohl ist eine teleologische Reduktion der Vorschrift nicht von Nöten. Für die Fälle der Nr. 1 folgt die Möglichkeit, den Fortbestand der Gesellschaft anzuordnen, bereits aus § 711 Abs. 2 BGB. Dagegen kommt für das Ausscheiden durch Kündigung des Gesellschafters (Nr. 2) bzw. für die Ausschließung durch Beschluss (Nr. 5) eine Klausel, die den Fortbestand der Gesellschaft unter Beteiligung des Ausgeschiedenen anordnet, per se nicht in Betracht.
2. Weitere Gründe für das Ausscheiden (Abs. 2) 23 Abs. 2 ermöglicht, dass im Gesellschaftsvertrag weitere Gründe für das Ausscheiden eines
Gesellschafters vereinbart werden. Die Begründung stellt insoweit ausdrücklich klar, dass „weitere“ nicht „andere“ bedeutet.59 Die in Abs. 1 normierten Ausscheidensgründe sind dementsprechend – vorbehaltlich einer ausdrücklichen Anordnung in den jeweils in Bezug genommenen Vorschriften (s. aber § 727 BGB Rz. 14 ff.) – in ihren Voraussetzungen nicht dispositiv.60 Möglich sind dagegen z.B. Klauseln, die das Ausscheiden eines Gesellschafters an den Ablauf einer bestimmten Zeit oder den Eintritt eines bestimmten Ereignisses (z.B. Erreichen einer Altersgrenze) knüpfen. Ist eine Gesellschaft Gesellschafterin, kommt insbesondere eine sog. Change-of-Control-Klausel in Betracht.61 Klauseln i.S.v. Abs. 2 bedürfen – jedenfalls wenn sie zum unmittelbaren Ausscheiden des betroffenen Gesellschafters führen sollen – eines Mindestmaßes an Bestimmtheit. Inhaltlich sind sie an §§ 134, 138 BGB zu messen (zu Hinauskündigungsklauseln § 727 BGB Rz. 15, zu „Russian-RouletteKlauseln“ und „Shoot-out-Klauseln“ § 727 BGB Rz. 16).62 In letzterem Sinne problematisch können insbesondere Klauseln sein, die das Ausscheiden an Ereignisse außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Sphäre anknüpfen (z.B. Wiederverheiratung eines Gesellschafters).63
57 58 59 60 61
Bergmann in Schäfer, Neues PersGesR, § 7 Rz. 35. Zu den Folgen: Richter, ZIP 2023, 1222, 1226 f. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 170; kritisch: Richter, ZIP 2023, 1222, 1225 f. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 170. Bergmann in Schäfer, Neues PersGesR, § 7 Rz. 35. K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 131 HGB Rz. 88; Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1084 (78. EL Oktober 2020). 62 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 131 HGB Rz. 88; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 131 HGB Rz. 102 ff. 63 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 131 HGB Rz. 104; Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 723 BGB Rz. 37; Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1083 (78. EL Oktober 2020).
434 | Guntermann
Gründe für das Ausscheiden; Zeitpunkt des Ausscheidens | Rz. 26 § 723 BGB
VI. Zeitpunkt des Ausscheidens (Abs. 3) Abs. 3 regelt nach dem Vorbild von § 131 Abs. 3 Satz 2 HGB a.F. den Zeitpunkt des Aus- 24 scheidens. Vorbehaltlich einer abweichenden Regelung im Gesellschaftsvertrag scheidet der Gesellschafter mit Eintritt des ihn betreffenden Ausscheidensgrundes aus, d.h. im Zeitpunkt des Todes (Nr. 1) bzw. der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Nr. 2). Im Falle der Kündigung der Mitgliedschaft durch den Gesellschafter (Nr. 2) oder einen Privatgläubiger (Nr. 4) wird die Wirkung der gegenüber einem vertretungsberechtigten Gesellschafter (§ 720 Abs. 5 BGB) abgegebenen Kündigungserklärung auf den Ablauf der jeweiligen Kündigungsfrist aufgeschoben. Bis dahin bleibt der Auszuschließende vollwertiger Gesellschafter einschließlich sämtlicher Rechte und Pflichten. Auch die persönliche Haftung des Gesellschafters (§§ 721, 721a BGB) bleibt bis zum Ausscheiden unberührt.64 Da das Ausscheiden mit Ablauf der Kündigungsfrist gewiss ist, kann der ausscheidende Gesellschafter jedoch in Einzelfällen auf der Grundlage seiner Treuepflicht gehalten sein, bestimmten Maßnahmen, die nach seinem Ausscheiden Wirkung entfalten, zuzustimmen oder sich insoweit der Stimme zu enthalten. Eine weitere Sonderregelung trifft Abs. 3 für den Fall der Ausschließung durch die übrigen 25 Gesellschafter (§ 727 BGB). Im Unterschied zur Rechtslage in der oHG, wo das Ausscheiden von der rechtskräftigen Entscheidung über eine Ausschließungsklage abhängt (§ 130 Abs. 3 HGB, vgl. § 130 HGB Rz. 11, § 134 HGB Rz. 8, 11), scheidet ein GbR-Gesellschafter – wie nach § 737 Satz 3 BGB a.F. – bereits durch Mitteilung eines auf seine Ausschließung gerichteten (materiell wirksamen) Beschlusses (§ 727 BGB Rz. 11 f.) aus der Gesellschaft aus (zu den Auswirkungen von Abs. 3 bei materiell unwirksamen Beschlüssen § 727 BGB Rz. 12). Dieser Unterschied beruht auf einer angemessenen Verteilung der Klagelast.65 Das Gestaltungsklageerfordernis gem. § 134 HGB trägt der grundsätzlichen Einzelgeschäftsführungsund Einzelvertretungsbefugnis in der oHG (§ 116 Abs. 3, § 124 Abs. 1 HGB) Rechnung und sorgt bei den verbleibenden Gesellschaftern für Rechtssicherheit über den Kreis der geschäftsführungs- und vertretungsberechtigten Gesellschafter für den Zeitraum bis zum Eintritt der Rechtskraft (§ 134 HGB Rz. 1). Demgegenüber weist das Gesetz in der GbR dem (vermeintlich) ausgeschiedenen Gesellschafter die Klagelast bei Zweifeln über die Rechtmäßigkeit des Ausschließungsbeschlusses zu. Durch die Vorverlagerung des Ausscheidenszeitpunkts auf die Mitteilung des Ausschließungsbeschlusses wird er angehalten, eine aus seiner Sicht erforderliche gerichtliche Überprüfung nicht allzu lang hinauszuzögern.66
VII. Rechtsfolgen des Ausscheidens In der eingetragenen GbR ist das Ausscheiden eines Gesellschafters in das Gesellschafts- 26 register einzutragen, § 707 Abs. 3 Satz 2 BGB. Die Anmeldung zum Gesellschaftsregister muss durch sämtliche Gesellschafter einschließlich des Ausgeschiedenen erfolgen, § 707 Abs. 4 Satz 1 BGB. Scheidet ein Gesellschafter durch Tod aus (Rz. 9 ff.), kann die Anmeldung ohne Mitwirkung der Erben erfolgen, § 707 Abs. 4 Satz 2 BGB (§ 707 BGB Rz. 34). Erfolgt keine Eintragung, wird die Wirksamkeit des Ausscheidens davon nicht berührt. Allerdings gilt der ausgeschiedene Gesellschafter einem gutgläubigen Dritten gegenüber weiterhin als Gesellschafter, § 707a Abs. 3 Satz 1 BGB i.V.m. § 15 Abs. 1 HGB (zu den haftungsrechtlichen Folgen: § 728b BGB Rz. 9, § 724 BGB Rz. 23).
64 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 140 HGB Rz. 46. 65 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 170 f. 66 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 171. Dazu auch: Bergmann in Schäfer, Neues PersGesR, § 7 Rz. 38. Guntermann | 435
§ 723 BGB Rz. 27 | Rechtsfähige Gesellschaft 27 Mit dem Ausscheiden wächst der Gesellschaftsanteil des ausgeschiedenen Gesellschafters
den übrigen Mitgesellschaftern im Zweifel im Verhältnis ihrer Anteile zu (§ 712 Abs. 1 BGB). Zudem erwirbt der ausgeschiedene Gesellschafter einen Anspruch auf Abfindung (§ 728 BGB Rz. 6 ff.). Reicht der Wert des Gesellschaftsvermögens zur Deckung der Verbindlichkeiten der Gesellschaft nicht aus, trifft ihn eine Fehlbetragshaftung (§ 728b BGB). Die persönliche Haftung des ausgeschiedenen Gesellschafters endet. Für bis zu seinem Ausscheiden begründete Verbindlichkeiten bleibt die persönliche Haftung des ausgeschiedenen Gesellschafters dagegen grundsätzlich unberührt. Das Ausscheiden setzt aber die fünfjährige Nachhaftungsfrist in Gang (§ 728b BGB). Die Gesellschaft hat den ausscheidenden Gesellschafter von der Haftung für ihre Verbindlichkeiten zu befreien bzw. für nicht fällige Verbindlichkeiten Sicherheit zu leisten (§ 728 Abs. 1 Satz 2 BGB) (§ 728 BGB Rz. 39 ff.). 28 Der Fortbestand der Gesellschaft wird durch das Ausscheiden eines Gesellschafters grund-
sätzlich nicht berührt. Allerdings führt das Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters dazu, dass die Gesellschaft ohne Liquidation erlischt (§ 712a Abs. 1 Satz 1 BGB) und das Gesellschaftsvermögen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den verbleibenden Gesellschafter übergeht (§ 712a Abs. 1 Satz 2 BGB) (vgl. im Einzelnen § 712a BGB Rz. 12).
§ 724 BGB Fortsetzung mit dem Erben; Ausscheiden des Erben (1) Geht der Anteil eines verstorbenen Gesellschafters auf seine Erben über und erfüllt die Gesellschaft die Voraussetzungen nach § 107 Absatz 1 des Handelsgesetzbuchs, um in das Handelsregister eingetragen zu werden, so kann jeder Erbe gegenüber den anderen Gesellschaftern antragen, dass ihm die Stellung eines Kommanditisten eingeräumt und der auf ihn entfallende Anteil des Erblassers als seine Kommanditeinlage anerkannt wird. (2) Nehmen die anderen Gesellschafter einen Antrag nach Absatz 1 nicht an oder ist eine Fortführung der Gesellschaft als Kommanditgesellschaft nicht möglich, ist der Erbe befugt, seine Mitgliedschaft in der Gesellschaft ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zu kündigen. (3) 1Die Rechte nach den Absätzen 1 bis 2 können von dem Erben nur innerhalb von drei Monaten nach dem Zeitpunkt, zu dem er von dem Anfall der Erbschaft Kenntnis erlangt hat, geltend gemacht werden. 2Auf den Lauf der Frist ist § 210 entsprechend anzuwenden. 3Ist bei Ablauf der drei Monate das Recht zur Ausschlagung der Erbschaft noch nicht verloren, endet die Frist nicht vor dem Ablauf der Ausschlagungsfrist. (4) Scheidet innerhalb der Frist des Absatzes 3 der Erbe aus der Gesellschaft aus oder wird innerhalb der Frist die Gesellschaft aufgelöst oder dem Erben die Stellung eines Kommanditisten eingeräumt, so haftet er für die bis dahin entstandenen Gesellschaftsverbindlichkeiten nur nach Maßgabe der Vorschriften, welche die Haftung des Erben für die Nachlassverbindlichkeiten betreffen. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. II. 1. 2.
Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahlrecht des Gesellschafter-Erben . . . Wahlberechtigter Erbe . . . . . . . . . . . . . . . . Voraussetzungen von § 107 Abs. 1 HGB
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3. Abschluss eines Änderungsvertrages . . . 10 a) Vertragsschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 b) Inhalt des Änderungsvertrages . . . . . . 15
Fortsetzung mit dem Erben; Ausscheiden des Erben | Rz. 2 § 724 BGB III. Kündigungsrecht des GesellschafterErben (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 IV. Haftung des Gesellschafter-Erben 1. Grundsatz: Erb- und gesellschaftsrechtliche Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2. Rückwirkende Haftungsprivilegierung gem. Abs. 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
a) Haftung bei Umwandlung in eine Kommanditbeteiligung . . . . . . . . . . . . b) Haftung bei Ausscheiden . . . . . . . . . . . c) Haftung bei Auflösung der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Abweichende Regelungen im Gesellschaftsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Schrifttum: Bochmann, Gesellschafterwechsel, Ausscheiden und Auflösung im Mauracher Entwurf zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, ZGR Sonderheft 23 (2021), 221; Emmerich, Die Haftung des Gesellschaftererben nach § 139 HGB, ZHR 150 (1986), 193; Freitag, Rechtliche Fallstricke des Todes des Personengesellschafters de lege lata und de lege ferenda, ZGR 2021, 534; Kick, Die Haftung des Erben eines Personenhandelsgesellschafters, Diss. Tübingen 1997; Lange/Kretschmann, Die Nachfolge von Todes wegen in einen Personengesellschaftsanteil nach dem MoPeG – ein erster Überblick, ZEV 2021, 545; Lange/Kretschmann, Haftungsfragen bei der Nachfolge von Todes wegen in eine GbR nach dem MoPeG – der neue § 724 BGB, NZG 2023, 351; K. Schmidt, Kommanditisteneinlage und Haftsumme des Gesellschaftererben – Scheinprobleme, Probleme und Problemlösungen zu § 139 HGB –, ZGR 1989, 445; Schörnig, Die Bedeutung des § 139 HGB bei der Gesellschafternachfolge, ZEV 2001, 129; Stephan, Kommanditistenhaftung bei Beteiligungsänderungen, NZG 2021, 1481; Wiedemann, Die Übertragung und Vererbung von Mitgliedschaftsrechten bei Handelsgesellschaften, Habil. München 1965.
I. Überblick Grundsätzlich führt der Tod eines Gesellschafters zu dessen Ausscheiden aus der Gesellschaft 1 (§ 723 Abs. 1 Nr. 1 BGB), d.h. die Erben des Verstorbenen werden nicht Gesellschafter. Lediglich der Anspruch auf Abfindung fällt in den Nachlass (§ 723 BGB Rz. 9). Die Erben haften zwar für die Verbindlichkeiten des Erblassers (§§ 1967 ff. BGB), was die im Zeitpunkt seines Todes begründeten Verbindlichkeiten aus §§ 721, 721a BGB einschließt. Sie haben aber die Möglichkeit, die Haftung nach §§ 1975 ff. BGB auf den Nachlass zu beschränken. Geht der Anteil dagegen aufgrund einer Nachfolgeklausel im Gesellschaftsvertrag auf die Erben über (Rz. 6), treten die Erben grundsätzlich auch haftungsrechtlich an die Stelle des Erblassers. Wie den Erblasser trifft die Erben eine unbeschränkte persönliche Eigenhaftung gem. §§ 721, 721a BGB (Rz. 24). Da diese Eigenhaftung grundsätzlich nicht beschränkt werden kann, droht die Möglichkeit, die erbrechtliche Haftung auf den Nachlass zu beschränken, entwertet zu werden.1 Will der Erbe die unbeschränkte persönliche Haftung vermeiden, müsste er die gesamte Erbschaft ausschlagen (§ 1950 Satz 2 BGB).2 Dem tritt § 724 BGB entgegen, indem dem Gesellschafter-Erben unter bestimmten Voraus- 2 setzungen ein gem. Abs. 3 befristetes Wahlrecht eingeräumt wird: er kann den Verbleib in der Gesellschaft davon abhängig machen, dass ihm die Stellung eines Kommanditisten eingeräumt wird.3 Nehmen die übrigen Gesellschafter den dahingehenden Antrag (Rz. 10 f.) an, ist die gesellschaftsrechtliche Haftung des Erben nach Maßgabe der §§ 171 ff. HGB beschränkt (Abs. 4, Rz. 29 f.). Andernfalls kann der Erbe die auf ihn übergegangene Mitgliedschaft fristlos kündigen (Abs. 2, Rz. 18 ff.) mit der Folge, dass die gesellschaftsrechtliche Eigenhaftung des Erben für die Altschulden des Erblassers und die sog. Zwischenneuschulden (Rz. 24) rückwirkend auf den Erbfall entfällt (Abs. 4) (Rz. 31 f.). Die Haftungsbeschränkung 1 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 171; zu § 139 HGB a.F.: K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 5. 2 Freitag, ZGR 2021, 534, 539. 3 Wiedemann, Die Übertragung und Vererbung von Mitgliedschaftsrechten bei Personenhandelsgesellschaften, Habil. München 1965, 240. Guntermann | 437
§ 724 BGB Rz. 2 | Rechtsfähige Gesellschaft gem. Abs. 4 greift zudem, wenn die Gesellschaft innerhalb der Frist gem. Abs. 3 aufgelöst wird (Rz. 33). Da die Möglichkeit der Umwandlung der Mitgliedschaft – das Einverständnis sämtlicher Gesellschafter vorausgesetzt – und ein Kündigungsrecht (§ 725 BGB) immer bestehen, liegt die eigentliche Bedeutung von § 724 BGB in dieser haftungsrechtlichen Konsequenz. 3 Bereits vor dem Inkrafttreten des MoPeG wurde mit Blick auf die Anerkennung einer per-
sönlichen Gesellschafterhaftung analog §§ 128, 130 HGB a.F. überwiegend angenommen, dass § 139 HGB a.F. auch in der (Außen-)GbR analog zur Anwendung gelange.4 Lediglich für Gesellschaftsformen, bei denen die Rechtsprechung eine nur beschränkte Gesellschafterhaftung anerkennt (z.B. geschlossene Immobilienfonds und Bauherrengemeinschaften),5 passe das Wahlrecht seinem Sinn und Zweck nach (Rz. 1 f.) nicht.6 Auf Empfehlung der Abteilung Wirtschaftsrecht des 71. Deutschen Juristentages 20167 wurde das Wahlrecht des Erben eines GbR-Gesellschafters nun eigens kodifiziert. § 724 BGB weicht jedoch in zwei Punkten von § 139 HGB a.F. (§ 131 HGB) ab: Zum einen ist nicht jeder GbR der für die Umwandlung der Mitgliedschaft erforderliche Formwechsel in eine KG möglich. Daher enthalten Abs. 1 und Abs. 2 einen entsprechenden Vorbehalt (Rz. 9, 18). Zum anderen ist die Regelung in der GbR vollständig dispositiv (Rz. 34), weshalb es an einer § 139 Abs. 5 HGB a.F. (§ 131 Abs. 5 HGB) entsprechenden Regelung fehlt.8 4 § 724 BGB findet nur in der rechtsfähigen Gesellschaft Anwendung.9 Eine teleologische
Reduktion der Vorschrift in Fällen, in denen die Gesellschafter sich auf eine beschränkte Gesellschafterhaftung berufen können, wäre der Sache nach zwar (weiterhin) gerechtfertigt.10 Eine planwidrige Regelungslücke wird man indes verneinen müssen. In der Gesetzesbegründung wird ausdrücklich auf Fälle Bezug genommen, in denen dem Gesellschafter-Erben keine unkalkulierbaren Haftungsrisiken drohen. Für diesen Fall verweist die Begründung statt auf eine teleologische Reduktion der Vorschrift auf die Möglichkeit der (auch stillschweigenden) Abbedingung des § 724 BGB (Rz. 34).11 5 Da die KG nun gem. § 161 Abs. 2, § 107 Abs. 1 HGB grundsätzlich auch für freiberufliche
Tätigkeiten offen steht, kann ein Gesellschafter-Erbe auch in einer freiberuflich tätigen GbR nur die Umwandlung in eine KG, nicht aber die Umwandlung in eine Partnerschaft verlangen.12 Dies folgt bereits aus dem Verweis in Abs. 1 auf § 107 Abs. 1 Satz 2 HGB und lässt sich auch der Gesetzesbegründung13 entnehmen. Wurde die Gesellschaft bereits vor oder jedenfalls durch den Tod des Erblassers aufgelöst (§ 723 BGB Rz. 10) besteht kein Wahlrecht
4 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 727 BGB Rz. 48 f.; von Proff zu Irnich in BeckOGK/BGB, Stand: 1.6.2023, § 727 BGB Rz. 52 f.; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 61; Schäfer, NJW 2005, 3665, 3666 f.; Mock, NZG 2004, 118, 119 f.; offen: BGH v. 17.12.2013 – II ZR 121/ 12, ZIP 2014, 1221, 1222 Rz. 9 f.; anders etwa: Westermann in Erman, § 727 BGB Rz. 11. 5 BGH v. 21.1.2002 – II ZR 2/00, BGHZ 150, 1, 6 = ZIP 2002, 851. 6 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 727 BGB Rz. 48. 7 Beschluss 22 in Verhandlungen des 71. DJT, 2016, Bd. II/2, O222. 8 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 171. 9 Eine Beschränkung auf unternehmenstragende Gesellschaften (K. Schmidt, ZHR 177 (2013), 712, 737) erfolgte hingegen nicht. 10 Schäfer in Verhandlungen des 71. DJT, 2016, Bd. I, E89; Bochmann, ZGR Sonderheft 23 (2021), 221, 233. Zur Fortgeltung der Ausnahmen von der persönlichen Haftung: Begr. RegE MoPeG, BTDrucks. 19/27635, 164. 11 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 171. Dazu auch: Bergmann in Schäfer, Neues PersGesR, § 7 Rz. 41 f. 12 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 727 BGB Rz. 49; vgl. auch: Schäfer in Verhandlungen des 71. DJT, 2016, Bd. I, E90; abweichend: von Proff zu Irnich in BeckOGK/BGB, Stand: 1.6.2023, § 727 BGB Rz. 53 (nur Ausscheiden). 13 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 171.
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Fortsetzung mit dem Erben; Ausscheiden des Erben | Rz. 7 § 724 BGB
gem. Abs. 1.14 Allerdings ist Abs. 4 entsprechend anzuwenden mit der Folge, dass die grundsätzlich unbeschränkte Haftung in der Liquidationsgesellschaft auf den Nachlass beschränkt werden kann (Rz. 25).15 Da die Haftungsprivilegierung für den Fall der Auflösung der Gesellschaft innerhalb der Frist im Grunde ebenfalls nicht mit dem Wahlrecht des Erben zusammenhängt, kann der Zeitpunkt der Auflösung jedenfalls vor Ablauf der Drei-MonatsFrist keine Rolle für ihr Eingreifen spielen. Für die Personenhandelsgesellschaften trifft § 131 HGB eine entsprechende Regelung, die partiell auch auf die Partnerschaft Anwendung findet (§ 9 Abs. 1 PartGG) (zu den Unterschieden § 131 HGB Rz. 3).
II. Wahlrecht des Gesellschafter-Erben § 724 BGB setzt voraus, dass der Anteil eines verstorbenen Gesellschafters auf seine Erben 6 übergeht. Gemäß § 711 Abs. 2 Satz 1 BGB ist dazu erforderlich, dass im Gesellschaftsvertrag vereinbart wird, dass im Falle des Todes eines Gesellschafters die Gesellschaft mit seinem Erben fortgesetzt wird (sog. erbrechtliche Nachfolgeklausel, zu den einzelnen Gestaltungsvarianten § 711 BGB Rz. 22 ff.). Enthält der Gesellschaftsvertrag eine rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel (§ 711 BGB Rz. 34),16 eine bloße Fortsetzungsklausel (§ 711 BGB Rz. 21) oder eine Eintrittsklausel (§ 711 BGB Rz. 21),17 findet § 724 BGB keine Anwendung.
1. Wahlberechtigter Erbe Das Wahlrecht steht grundsätzlich jedem Erben zu. Sind mehrere Erben vorhanden, kann je- 7 der Miterbe für sich unabhängig von den anderen Miterben das Wahlrecht ausüben (zur Annahme Rz. 14).18 Dies folgt schon daraus, dass sich der vererbte Gesellschaftsanteil gem. § 711 Abs. 2 Satz 2 BGB teilt und jedem Erben kraft Gesetzes ein eigener Gesellschaftsanteil entsprechend der Erbquote zufällt.19 Bei Vor- und Nacherbschaft steht das Wahlrecht auch dem Nacherben zu, sofern es nicht bereits durch den Vorerben ausgeübt worden ist und die Gesellschaft infolgedessen in eine KG umgewandelt wurde, in welcher der Vorerbe die Stellung eines Kommanditisten eingenommen hat.20 Das Wahlrecht ist ein höchstpersönliches Recht des Erben, so dass es auch im Falle der Testamentsvollstreckung,21 der Nachlassverwaltung22 und
14 BGH v. 6.7.1981 – II ZR 38/81, ZIP 1981, 1088, 1090; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 139 HGB Rz. 99, 131; Klöhn in Henssler/Strohn, § 139 HGB Rz. 33; Kamanabrou in Oetker, § 139 HGB Rz. 63; Schäfer in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2019, § 139 HGB Rz. 128; anders: K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 62. 15 BGH v. 6.7.1981 – II ZR 38/81, ZIP 1981, 1088, 1090; BGH v. 21.9.1995 – II ZR 273/93, ZIP 1995, 1752; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 128; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 139 HGB Rz. 131. 16 Müller/Godron in BeckOGK/HGB, Stand: 15.4.2021, § 139 HGB Rz. 207. 17 Müller/Godron in BeckOGK/HGB, Stand: 15.4.2021, § 139 HGB Rz. 170. 18 BGH v. 21.12.1970 – II ZR 258/67, BGHZ 55, 267 = NJW 1971, 1268 f.; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 69; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 79; Kamanabrou in Oetker, § 139 HGB Rz. 68. 19 Freitag, ZGR 2021, 534, 553. 20 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 69; Roth in Hopt, § 139 HGB Rz. 19; Müller/Godron in BeckOGK/HGB, Stand: 15.4.2021, § 139 HGB Rz. 171; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 86. 21 RGZ 170, 392, 394 f.; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 69. 22 BGH v. 30.3.1967 – II ZR 102/65, BGHZ 47, 293, 296 = NJW 1967, 1961; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 69. Guntermann | 439
§ 724 BGB Rz. 7 | Rechtsfähige Gesellschaft der Nachlassinsolvenz23 durch den Erben selbst ausgeübt wird. Als Nachweis der Erbenstellung können die Gesellschafter nicht die Vorlage eines Erbscheins (§ 2365 BGB) verlangen. Dies folgt schon daraus, dass § 724 BGB andernfalls leerlaufen würde. Die Drei-Monats-Frist (Abs. 3) beginnt bereits mit der Kenntnis des Erben von dem Anfall der Erbschaft (Rz. 11) und wird daher im praktischen Regelfall deutlich vor Erteilung des Erbscheins und – im Falle der gewillkürten Erbfolge – regelmäßig auch vor Eröffnung einer letztwilligen Verfügung enden. 8 Keine Anwendung findet § 724 BGB, wenn ein Mitgesellschafter erbt. Da jener bereits gem.
§§ 721, 721a BGB persönlich haftet, besteht mit Blick auf die Einheitlichkeit der Mitgliedschaft24 keine Veranlassung, ihm infolge des Erbfalls die Möglichkeit einzuräumen, sich der ihn ohnehin treffenden persönlichen Haftung zu entziehen.25 Verlangt er dennoch die Umwandlung seiner Gesellschafterstellung, können die Mitgesellschafter frei darüber entscheiden, ob sie dem darin liegenden Antrag auf Vertragsänderung zustimmen. Abs. 2 und Abs. 4 finden dann keine Anwendung.
2. Voraussetzungen von § 107 Abs. 1 HGB 9 Das Wahlrecht setzt ferner voraus, dass die Gesellschaft die Voraussetzungen gem. § 107
Abs. 1 HGB erfüllt, um in das Handelsregister eingetragen zu werden. Sie muss also ein Kleingewerbe oder eine gewerbeähnliche Vermögensverwaltung betreiben.26 Alternativ möglich ist der Formwechsel in eine Kommanditgesellschaft nun auch für freiberuflich tätige Gesellschaften. Hier muss das jeweils anwendbare Berufsrecht die Eintragung der Gesellschaft als KG zulassen, § 107 Abs. 1 Satz 2 HGB (§ 107 HGB Rz. 25 ff.). Ist der Formwechsel in eine KG berufsrechtlich nicht zulässig, steht dem Gesellschafter-Erben das Kündigungsrecht gem. Abs. 2 zu. Ist die Gesellschaft bereits im Gesellschaftsregister eingetragen, ist im Rahmen der Umwandlung ein Statuswechsel gem. § 707c Abs. 2 BGB anzumelden (§ 707c BGB Rz. 12 ff.).
3. Abschluss eines Änderungsvertrages 10 Rechtstechnisch erfolgt die Umwandlung der Mitgliedschaft durch einen Vertrag des Gesell-
schafter-Erben mit sämtlichen Gesellschaftern. Inhaltlich ist der Vertrag auf die Änderung des Gesellschaftsvertrags (Änderung der Rechtsform und Änderung der fortbestehenden Mitgliedschaft in die Stellung eines Kommanditisten27) gerichtet.28 Dementsprechend stellt Abs. 1 im Vergleich zu dem insoweit missverständlichen § 139 HGB a.F. klar, dass die Ausübung des Wahlrechts durch ein an sämtliche bisherigen Gesellschafter (zu Miterben Rz. 14) zu richtendes Angebot auf Abschluss eines dahingehenden Änderungsvertrages erfolgt.29 Für einen Minderjährigen können seine gesetzlichen Vertreter entscheiden (§ 1626 Abs. 1, § 1629 Abs. 1 Satz 1, 2 BGB),30 sofern sie nicht Mitgesellschafter sind (§ 1629 Abs. 2 Satz 1, 23 Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 139 HGB Rz. 103; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 69. 24 Zur Fortgeltung: Schäfer in Schäfer, § 6 Rz. 7. 25 KG JW 1936, 2933 Nr. 28; Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, § 139 HGB Rz. 26; K. Schmidt/ Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 66; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 139 HGB Rz. 99; einschränkend (teilweiser Austritt sei möglich): Servatius, GbR, § 724 BGB Rz. 7. 26 Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 724 BGB Rz. 7. 27 BayObLG v. 29.1.2003 – 3Z BR 5/03, ZIP 2003, 1443, 1444. 28 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 171. 29 Fehlgehend (§ 720 Abs. 5 BGB analog): Servatius, GbR, § 724 BGB Rz. 9. 30 BGH v. 21.12.1970 – II ZR 258/67, BGHZ 55, 267, 270 = NJW 1971, 1268; Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1288 (Stand: 71. EL Mai 2018); Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 139 HGB Rz. 110.
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Fortsetzung mit dem Erben; Ausscheiden des Erben | Rz. 12 § 724 BGB
§ 1824 Abs. 2, § 181 BGB) (Rz. 11). Dann bedarf es eines Ergänzungspflegers (§ 1809 BGB).31 Das Angebot kann formfrei unterbreitet werden.32 a) Vertragsschluss Soll das Angebot des Erben im Falle seiner Ablehnung die Rechtsfolgen gem. Abs. 2, Abs. 4 11 auslösen, muss es gem. Abs. 3 Satz 1 grundsätzlich binnen drei Monaten, nachdem der Erbe von dem Anfall der Erbschaft Kenntnis erlangt hat, unterbreitet werden.33 Für den Fristbeginn muss der Erbe wissen, dass der Erblasser verstorben ist und er aus dem ein oder anderen Grund zum Erben berufen ist. Den konkreten Berufungsgrund (z.B. ein bestimmtes Testament) muss der Erbe dagegen nicht kennen. Dies folgt schon aus einem Umkehrschluss zu § 1944 Abs. 2 Satz 1 BGB. Für den Fristbeginn ist auch unmaßgeblich, wann der Erbe erfährt, dass ein Gesellschaftsanteil zur Erbmasse zählt.34 Bei Minderjährigen ist grundsätzlich die Kenntnis der gesetzlichen Vertreter maßgebend.35 Zudem findet § 210 BGB gem. Abs. 3 Satz 2 entsprechende Anwendung, d.h. der Ablauf der Frist wird bei einem geschäftsunfähigen oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkten Erben ohne gesetzlichen Vertreter bis zum Ablauf von drei Monaten nach dem Zeitpunkt gehemmt, in dem der Erbe unbeschränkt geschäftsfähig oder der Mangel der Vertretung behoben wird. Ein praktisch wichtiger Fall, in dem es an einem gesetzlichen Vertreter fehlt, dürfte vorliegen, wenn die Eltern (§ 1626 Abs. 1, § 1629 Abs. 1 BGB) ebenfalls zum Gesellschafterkreis gehören und daher gemäß § 1629 Abs. 2 Satz 1, § 1824 Abs. 2, § 181 BGB von der gesetzlichen Vertretung ausgeschlossen sind, weil das Vertretergeschäft eine Änderung des Gesellschaftsvertrags betreffen würde (Rz. 10).36 Ist bei Ablauf der drei Monate das Recht zur Ausschlagung der Erbschaft (§ 1942 Abs. 1, § 1944 BGB) noch nicht verloren, endet die Frist nicht vor dem Ablauf der Ausschlagungsfrist, Abs. 3 Satz 3. Bei der Frist gemäß Abs. 3 handelt es sich um eine materielle Ausschlussfrist, d.h. eine Wiedereinsetzung bei unverschuldeter Säumnis kommt per se nicht in Betracht.37 Von der Frist gem. Abs. 3 zu trennen ist eine Annahmefrist, die der Erbe den bisherigen 12 Gesellschaftern setzen kann (§ 148 BGB). Ihnen muss jedoch in jedem Fall eine in Anbetracht der Tragweite der Entscheidung angemessene Bedenkzeit verbleiben.38 Subsidiär gilt die gesetzliche Annahmefrist gem. § 147 BGB. Anträge unter Anwesenden können danach nur sofort angenommen werden (§ 147 Abs. 1 BGB). Dies gilt auch im Rahmen von § 724 BGB. Zwar ist der Begriff „sofort“ enger als die Unverzüglichkeit i.S.v. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB auszulegen. Aber auch hier ist den Angebotsempfängern der erforderliche Zeitraum zuzugestehen, den sie benötigen, um den Inhalt des Angebots und die etwaigen Wirkungen des Vertrages zu erfassen.39 31 Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1288 (Stand: 71. EL Mai 2018). 32 Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 724 BGB Rz. 11. 33 Zu etwaigen Schwierigkeiten, innerhalb der Frist die Haftungsrisiken in der nicht buchführungspflichtigen GbR zu überblicken: Lange/Kretschmann, ZEV 2021, 545, 549. 34 Wiedemann, Die Übertragung und Vererbung von Mitgliedschaftsrechten bei Handelsgesellschaften, Habil. München 1965, S. 233; Kamanabrou in Oetker, § 139 HGB Rz. 72. 35 Zu § 1944 BGB: BGH v. 16.1.2019 – IV ZB 20+21/18, MDR 2019, 297. 36 BGH v. 12.12.1970 – II ZR 258/67, BGHZ 55, 267 = NJW 1971, 1268; Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 724 BGB Rz. 20. Allgemein: Schubert in MünchKomm/BGB, § 181 BGB Rz. 39 ff. 37 Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 724 BGB Rz. 24. 38 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 71; Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 724 BGB Rz. 13. 39 In diesem Sinne auch: Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 724 BGB Rz. 13. Anders (§ 147 Abs. 1 BGB gelte nicht): K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 71; Kamanabrou in Oetker, § 139 HGB Rz. 76; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 95. Guntermann | 441
§ 724 BGB Rz. 13 | Rechtsfähige Gesellschaft 13 Der Antrag des Erben ist grundsätzlich i.S.v. § 145, Halbs. 1 BGB bindend. Da der Ab-
schluss des Änderungsvertrages primär dem Gesellschafter-Erben zugutekommt, ist jedoch anzunehmen, dass der Gesellschafter-Erbe – freilich in den Grenzen der Treuepflicht – die Bindungswirkung des Angebots einschränken (z.B. durch einen Widerrufsvorbehalt) oder ausschließen kann, § 145, Halbs. 2 BGB. 14 Die Annahme des Angebots muss – vorbehaltlich einer Mehrheitsklausel im Gesellschafts-
vertrag40 – durch sämtliche Gesellschafter erfolgen und zwar innerhalb der Annahmefrist (Rz. 12). Die verspätete Annahme durch nur einen Gesellschafter führt dazu, dass der Antrag als abgelehnt (§ 146, Var. 2 BGB)41 und die Annahme als neuer Antrag gilt (§ 150 Abs. 1 BGB). Möglich ist dagegen die Annahme noch nach Ablauf der Drei-Monats-Frist gem. Abs. 3 (Rz. 11). In diesem Fall kann die Entscheidung der Gesellschafter jedoch unabhängig von den Rechtsfolgen gem. Abs. 2, 4 erfolgen,42 d.h. bei Ablehnung des Antrags steht dem Erben kein Kündigungsrecht zu und auch die Haftungsprivilegierung kommt ihm nicht zugute (zu etwaigen Folgen einer verzögerten Ablehnung Rz. 19). Steht das Wahlrecht verschiedenen Miterben des verstorbenen Gesellschafters zu (Rz. 7), können die Gesellschafter jedem Miterben gegenüber frei darüber entscheiden, ob sie der Vertragsänderung zustimmen. Ihre Entscheidung wird nicht durch die Annahme des Angebots eines einzelnen Miterben präjudiziert. Das Angebot auf Vertragsänderung muss nicht auch durch die anderen Miterben angenommen und ihnen daher auch nicht unterbreitet werden.43 b) Inhalt des Änderungsvertrages
15 In dem Änderungsvertrag können die Konditionen der Umwandlung frei bestimmt wer-
den. Dies folgt schon aus der grundsätzlichen Disponibilität der Regelung. Insbesondere die Gewinn- und Verlustbeteiligung des Gesellschafter-Erben (Rz. 36) und seine Einlage können abweichend von derjenigen des Erblassers bestimmt werden. Wegen der insoweit bestehenden Unsicherheiten (s. sogleich Rz. 16) ist eine möglichst detaillierte Regelung zu empfehlen.44 16 Fehlt es an einer dahingehenden Bestimmung, ist der auf den Gesellschafter-Erben entfallen-
de Anteil des Erblassers als seine Kommanditeinlage anzuerkennen. Unter Geltung von § 139 HGB a.F. war wegen des anderslautenden Wortlauts („der auf ihn entfallende Teil der Einlage des Erblassers“) umstritten, ob der auf den Erblasser entfallende Kapitalanteil zzgl. ausstehender Einlagen und ungerechtfertigter Entnahmen45 oder die im Gesellschaftsvertrag vereinbarte („bedungene“) Einlage46 maßgebend war. Durch die Neufassung wird diese Streitfrage nun im Sinne der herrschenden Auffassung geklärt.47 Bezugsgröße für die Kommanditeinlage des Gesellschafter-Erben ist der auf den Erblasser entfallende buchmäßige Kapitalanteil zzgl. ausstehender Einlagen und ungerechtfertigter Entnahmen. Der Gesellschafter-Erbe verpflichtet sich also, der Gesellschaft den Vermögensbeitrag, den ihr der Erb-
40 Klöhn in Henssler/Strohn, § 139 HGB Rz. 42; Kamanabrou in Oetker, § 139 HGB Rz. 75. 41 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 71; Kamanabrou in Oetker, § 139 HGB Rz. 76. 42 Kamanabrou in Oetker, § 139 HGB Rz. 75. 43 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 71. 44 Ebenso: Lange/Kretschmann, NZG 2023, 351, 354. 45 Roth in Hopt, § 139 HGB Rz. 41; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 139 HGB Rz. 107; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 103 ff.; Kamanabrou in Oetker, § 139 HGB Rz. 79. 46 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 76; K. Schmidt, ZGR 1989, 445, 459 ff.; zustimmend Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, § 139 HGB Rz. 35. 47 In diesem Sinne auch: Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 724 BGB Rz. 15; Servatius, GbR, § 724 BGB Rz. 17.
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Fortsetzung mit dem Erben; Ausscheiden des Erben | Rz. 18 § 724 BGB
lasser zur Verfügung gestellt hat, nicht zu entziehen.48 Bei einem negativen Kapitalanteil des Erblassers49 bleibt es dabei auch für den Gesellschafter-Erben.50 In Bezug auf die Innenhaftung für ausstehende Einlagen und ungerechtfertigte Entnahmen kann sich der Gesellschafter-Erbe nicht auf die erbrechtliche Haftungsprivilegierung berufen.51 Auch war unklar, welche Auswirkungen § 139 HGB a.F. auf die im Handelsregister einzutra- 17 gende Haftsumme hatte. Während teilweise auch insoweit auf die vereinbarte Einlage abgestellt wurde,52 legten andere den Aktivsaldo des Kapitalkontos des Erblassers zugrunde, wobei uneinheitlich beurteilt wurde, ob ausstehende Einlagen und unberechtigte Entnahmen hinzuzurechnen waren.53 Berücksichtigt man, dass § 724 Abs. 4 BGB den Gesellschafter-Erben vor einer unbeschränkten Außenhaftung schützen will und die Haftungsbeschränkung des Kommanditisten gem. § 171 Abs. 1, Halbs. 2 HGB an die Einlageleistung anknüpft, muss für die Haftsumme dasselbe gelten wie für die Einlage des Gesellschafter-Erben, d.h. sie muss grundsätzlich ebenfalls dem auf den Erblasser entfallenden Kapitalanteil entsprechen. Ausstehende Einlagen und ungerechtfertigte Entnahmen sind ebenfalls zu berücksichtigen, da der Gesellschafter-Erbe insoweit auch haften würde (§ 171 Abs. 1, Halbs. 2, § 172 Abs. 4 HGB), wenn bereits der Erblasser Kommanditist gewesen wäre.54 Zu einem Auseinanderfallen von Einlage und Haftsumme muss es hingegen kommen, wenn der auf den Erblasser entfallende Kapitalanteil negativ ist. Da die Haftsumme zwingend positiv ist, ist in diesem Fall eine Haftsumme von einem Euro in das Handelsregister einzutragen.55
III. Kündigungsrecht des Gesellschafter-Erben (Abs. 2) Nehmen die anderen Gesellschafter einen Antrag nach Abs. 1 nicht an oder ist eine Fortfüh- 18 rung der Gesellschaft als Kommanditgesellschaft nicht möglich (Rz. 9), kann der Erbe die Mitgliedschaft in der Gesellschaft außerordentlich fristlos kündigen. Schon aus dem Wortlaut des Abs. 2 („einen Antrag nach Abs. 1“) folgt, dass grundsätzlich nur die Ablehnung eines Angebots, das den Anforderungen nach Abs. 1 entspricht, das Kündigungsrecht auslösen kann.56 Der Gesellschafter kann insbesondere keinen höheren Gewinnanteil oder sons48 Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil an Personengesellschaften des Handelsrechts, Habil. Heidelberg 1970, S. 430. 49 Zum Fortbestand des Wahlrechts: BGH v. 21.12.1970 – II ZR 258/67, BGHZ 55, 267 = NJW 1971, 1268, 1269; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 110. 50 Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 139 HGB Rz. 109; Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1298 (Stand: 71. EL Mai 2018); Roth in Hopt, § 139 HGB Rz. 42; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 111; Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 724 BGB Rz. 15; anders offenbar (Einlage von einem Euro): Servatius, GbR, § 724 BGB Rz. 17. 51 OLG Hamburg v. 5.11.1993 – 11 U 39/93, ZIP 1994, 297; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 106; K. Schmidt, ZGR 1989, 445, 458. 52 Für die Maßgeblichkeit der „bedungenen“ Einlage: K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 31; zustimmend: Klöhn in Henssler/Strohn, § 139 HGB Rz. 59 f.; für die grundsätzliche Maßgeblichkeit des Aktivsaldos des ererbten Kapitalkontos: Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn, § 139 HGB Rz. 108; Kamanabrou in Oetker, § 139 HGB Rz. 80; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 107 ff. 53 Dafür etwa: Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 139 HGB Rz. 108; für ungerechtfertigte Entnahmen auch: Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 108; dagegen etwa: Kamanabrou in Oetker, § 139 HGB Rz. 80. 54 Anders (Abzug rückständiger Einlagen): Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 724 BGB Rz. 17. 55 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 111; Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 724 BGB Rz. 17; Roth in Hopt, § 139 HGB Rz. 42; Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil an Personengesellschaften des Handelsrechts, Habil. Heidelberg 1970, S. 436. 56 Klöhn in Henssler/Strohn, § 139 HGB Rz. 66; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 89; Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 724 BGB Rz. 10. Guntermann | 443
§ 724 BGB Rz. 18 | Rechtsfähige Gesellschaft tige Änderungen des Gesellschaftsverhältnisses verlangen. Mit Blick auf inhaltliche Zweifelsfragen (Rz. 16 f.) ist jedoch ein großzügiger Maßstab anzulegen. Lediglich die bewusste Abweichung von Abs. 1 schließt das Kündigungsrecht aus.57 Die Gesellschafter können dem Gesellschafter-Erben zum Zwecke der Abwendung der Kündigung einen Verbleib in der Gesellschaft unter anderen Konditionen anbieten. Ebenso kann der Gesellschafter-Erbe nach Ablehnung eines Antrags auf Einräumung einer Kommanditbeteiligung mit Konditionen außerhalb des § 724 BGB erneut ein Angebot unterbreiten.58 Bis zur Entscheidung über die Ausübung des Kündigungsrechts befindet sich die Gesellschafter-Stellung des Erben in einer gewissen Schwebelage. Dennoch ist nicht davon auszugehen, dass er in dieser Zeit, seine Gesellschafterrechte nur zurückhaltend ausüben dürfte.59 Immerhin bringt er mit dem Antrag auf Änderung seiner Gesellschafterstellung in die eines Kommanditisten zum Ausdruck, dass sein Engagement in der Gesellschaft grundsätzlich von Dauer sein soll. Mit Blick auf die Möglichkeit, dass er von dem Kündigungsrecht nach Abs. 2 Gebrauch macht, unterscheidet er sich nicht von jedem anderen Gesellschafter einer unbefristeten Gesellschaft, der sich ebenfalls jederzeit durch ordentliche Kündigung von der Gesellschaft lösen kann. Davon zu unterscheiden ist die den Gesellschafter-Erben treffende Pflichtenbindung. Mit Blick auf die Möglichkeit, dass er von dem Kündigungsrecht nach Abs. 2 Gebrauch macht, wäre es nicht sachgerecht, ihn in der Zwischenzeit einem Wettbewerbsverbot (§ 705 BGB Rz. 61) zu unterwerfen.60 Immerhin hat er die Gesellschafterstellung nicht freiwillig übernommen. 19 Die formfrei mögliche Kündigung muss ebenfalls innerhalb der Frist gem. Abs. 3 (Rz. 11)
erfolgen. Ist die Fortführung der Gesellschaft als Kommanditgesellschaft nicht möglich, kann sie unmittelbar nach dem Erbfall erklärt werden. Erklärungsgegnerin ist – anders als nach bisheriger Rechtslage61 – entsprechend § 725 Abs. 1 BGB die Gesellschaft,62 wobei die Erklärung gegenüber einem vertretungsberechtigten Gesellschafter genügt (§ 720 Abs. 5 BGB). Die Einschränkung gem. § 725 Abs. 5 Satz 1 BGB, wonach die Kündigung nicht zur Unzeit erfolgen darf, wird man wegen der bis zum Ausscheiden bestehenden Treuepflicht des Gesellschafter-Erben gegenüber den Mitgesellschaftern mit der Maßgabe anzuwenden haben, dass der Ablauf der Frist gem. Abs. 3 währenddessen gehemmt ist. Lehnen die Gesellschafter den Antrag erst kurz vor Ablauf der Frist gem. Abs. 3 ab mit der Folge, dass der Gesellschafter-Erbe gehindert ist, die Kündigung rechtzeitig zu erklären, kann dies im Einzelfall eine schadensersatzbewehrte Treuepflichtverletzung und einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung gem. § 725 Abs. 2 BGB darstellen.63 Darüber hinaus wird man im Einzelfall annehmen können, dass die Gesellschafter sich nicht auf eine Verfristung berufen können, wenn der Gesellschafter-Erbe den Antrag so frühzeitig stellt, dass ihnen ohne Weiteres eine sachgerechte Prüfung möglich ist, sie aber innerhalb der Frist sachgrundlos nicht reagieren.64 20 Um eine fristgerechte Kündigung sicherzustellen, kann es sich anbieten, den Antrag nach
Abs. 1 gegenüber den geschäftsführungsbefugten Gesellschaftern mit einer an die Gesellschaft
57 Ähnlich (erkennbarer Ausübungswille und kein Rechtsmissbrauch): K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 86. 58 Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1294 (Stand: 71. EL Mai 2018). 59 So aber: Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 724 BGB Rz. 25; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 118. 60 Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 724 BGB Rz. 25; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 119. 61 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 89. 62 Anders zu § 139 HGB a.F.: Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 112; Kamanabrou in Oetker, § 139 HGB Rz. 82. 63 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 112; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 88. 64 Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 724 BGB Rz. 13.
444 | Guntermann
Fortsetzung mit dem Erben; Ausscheiden des Erben | Rz. 24 § 724 BGB
adressierten aufschiebend bedingten Kündigungserklärung zu verbinden.65 Dann scheidet der Gesellschafter-Erbe aus, sobald der erste Gesellschafter das Angebot ablehnt. Außerdem sollte der Gesellschafter-Erbe den Gesellschaftern vorsorglich eine vor Ablauf der Drei-Monats-Frist endende Annahmefrist (Rz. 12) setzen. Die verspätete Reaktion gilt gem. § 146, Var. 2 BGB als Ablehnung des Antrags (Rz. 14) und löst daher das Kündigungsrecht aus, das der Gesellschafter-Erbe dann freilich noch innerhalb der Frist gem. Abs. 3 ausüben muss.66 Erfolgt die Kündigungserklärung fristgemäß, scheidet der Gesellschafter-Erbe gem. § 723 21 Abs. 1 Nr. 2 BGB mit Wirkung ex nunc67 aus der Gesellschaft aus. Ihm wird die Haftungsbeschränkung gem. Abs. 4 zuteil (Rz. 26 ff.) und es entsteht ein Abfindungsanspruch gem. § 728 Abs. 1 Satz 1 BGB.68 Ist die Frist überschritten, ohne dass die Kündigung erklärt oder eine Vereinbarung über die Umwandlung in die Rechtsstellung eines Kommanditisten getroffen wurde, haftet der Gesellschafter-Erbe gesellschaftsrechtlich unbeschränkt (Rz. 28).
IV. Haftung des Gesellschafter-Erben 1. Grundsatz: Erb- und gesellschaftsrechtliche Haftung Die Haftung der Gesellschafter-Erben gegenüber Gesellschaftsgläubigern ist grundsätzlich 22 abhängig davon, welche Folgen der Tod des Erblassers zeitigt. Führt der Tod gem. § 723 Abs. 1 Nr. 1 BGB zum Ausscheiden des Erblassers (§ 723 BGB 23 Rz. 9), haften seine Erben für die bis dahin begründeten Verbindlichkeiten ausschließlich erbrechtlich, d.h. nach Maßgabe der §§ 1967 ff. BGB.69 Zudem kommt den Erben die Enthaftung gem. § 728b BGB zugute (§ 728b BGB Rz. 4).70 In der eingetragenen GbR kann daneben eine Rechtsscheinhaftung gem. § 15 Abs. 1 HGB i.V.m. § 707a Abs. 3 Satz 1 BGB treten, wenn das Ausscheiden (§ 707 Abs. 3 Satz 2 BGB) nicht eingetragen und bekannt gemacht wird.71 Auch insoweit findet § 728b BGB Anwendung (§ 728b BGB Rz. 9). Geht der Anteil des Erblassers aufgrund einer Nachfolgeklausel im Gesellschaftsvertrag auf 24 die Erben über, haften sie zum einen erbrechtlich für die Verbindlichkeiten des Erblassers (§§ 721, 721a BGB, sog. Altschulden) nach §§ 1967 ff. BGB. Zudem folgt aus Abs. 4, dass die Verbindlichkeiten aus der Schwebephase gem. Abs. 3 (sog. Zwischenneuschulden) den Nachlassverbindlichkeiten gleichgestellt werden (§ 1967 Abs. 2 BGB).72 Neben die erbrechtliche Haftung tritt eine gesellschaftsrechtliche Eigenhaftung für die vor dem Tod begründe-
65 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 112; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 88; Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1304 (Stand: 71. EL Mai 2018). 66 Den Erhalt der Kündigungsmöglichkeit nach § 162 BGB erwägend: Westermann in Westermann/ Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1289 (Stand: 71. EL Mai 2018). 67 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 114; abweichend: Freitag, ZGR 2021, 534, 546. 68 Hoffmann in FS Heidel, 2021, S. 79, 86; zur Wirksamkeit von Abfindungsklauseln gegenüber ausgeschiedenen Gesellschafter-Erben: Lange/Kretschmann, ZEV 2021, 545, 548; Lange, ErbR 2020, 378, 382. 69 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 100. 70 Kick, Die Haftung des Erben eines Personenhandelsgesellschafters, Diss. Tübingen 1997, S. 51 f.; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, § 160 HGB Rz. 17; Klöhn in Henssler/Strohn, § 160 HGB Rz. 8. 71 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 100. Zur Unanwendbarkeit der Eintragungspflicht und der Rechtsscheinwirkung des § 15 HGB in der Schwebelage: Emmerich, ZHR 150 (1986), 193, 198 ff.; Stephan, NZG 2021, 1481, 1488. 72 Emmerich, ZHR 150 (1986), 193, 209; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 124; K. Schmidt/ Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 115; Klöhn in Henssler/Strohn, § 139 HGB Rz. 48. Guntermann | 445
§ 724 BGB Rz. 24 | Rechtsfähige Gesellschaft ten Verbindlichkeiten (§ 721a BGB) und die nach dem Tod neu entstehenden Verbindlichkeiten der Gesellschaft (§ 721 BGB).73 Für den Fall einer qualifizierten Nachfolgeklausel (§ 711 BGB Rz. 27 f.) gilt dies freilich nur für die Erben, auf die der Anteil des Erblassers übergeht. Wird den Erben lediglich durch Regelung im Gesellschaftsvertrag das Recht auf Eintritt in die Gesellschaft eingeräumt (sog. Eintrittsklausel, vgl. § 711 BGB Rz. 21), haften sie in jedem Fall erbrechtlich für die vor dem Tod begründeten Verbindlichkeiten (§§ 1967 ff. BGB). Eine gesellschaftsrechtliche Eigenhaftung (§§ 721, 721a BGB) trifft nur diejenigen Erben, die von dem Eintrittsrecht Gebrauch machen. 25 Wird die Gesellschaft infolge einer dahingehenden Regelung im Gesellschaftsvertrag durch
den Tod eines Gesellschafters aufgelöst (§ 723 Abs. 1 BGB), treten die Erben in Erbengemeinschaft in die aufgelöste Gesellschaft ein (§ 723 BGB Rz. 10). Entsprechend Abs. 4 haften sie jedoch ausschließlich nach erbrechtlichen Regeln (Rz. 5).
2. Rückwirkende Haftungsprivilegierung gem. Abs. 4 26 Für den Fall, dass der Anteil des Erblassers auf den Erben übergeht (Rz. 24), begründet Abs. 4
ein rückwirkendes Haftungsprivileg.74 Scheidet der Erbe innerhalb der Frist gem. Abs. 3 (Rz. 11) aus der Gesellschaft aus oder wird innerhalb der Frist die Gesellschaft aufgelöst oder dem Erben die Stellung eines Kommanditisten eingeräumt, entfällt die unbeschränkte gesellschaftsrechtliche Eigenhaftung des Gesellschafter-Erben gem. §§ 721, 721a BGB mit Wirkung auf den Erbfall.75 Die erbrechtliche Haftung für die Verbindlichkeiten des Erblassers und die Zwischenneuschulden bleibt dagegen ebenso unberührt wie die Möglichkeit der erbrechtlichen Haftungsbeschränkung (§§ 1975 ff. BGB).76 27 Bis zum Eintritt der Haftungsprivilegierung kann der Gesellschafter-Erbe mit Blick auf sein
Recht, durch Ausübung der Rechte gem. Abs. 1−3 die gesellschaftsrechtliche Haftung rückwirkend zu beseitigen, die Leistung aus seinem Privatvermögen vorübergehend verweigern.77 Er haftet daher während der Schwebezeit für Alt- und Zwischenneuschulden nur mit dem Nachlass. Begleicht er dennoch während der Schwebezeit eine Gesellschaftsverbindlichkeit aus seinem Privatvermögen und tritt anschließend die Haftungsbeschränkung gem. Abs. 4 ein, hat er einen Aufwendungsersatzanspruch gegen die Gesellschaft gem. § 716 Abs. 1 BGB und, wenn es zu einer erbrechtlichen Haftungsbeschränkung kommt, gegen den Nachlass gem. § 1978 Abs. 3, § 1979 BGB.78 28 Entfällt die Gestaltungsmöglichkeit des Gesellschafter-Erben nach Abs. 1−3 durch Fristablauf
(Rz. 11) oder steht sie ihm per se nicht zu, bleibt es bei der unbeschränkten gesellschaftsrechtlichen Eigenhaftung gem. §§ 721, 721a BGB. Dem Erben verbleibt nur die Möglichkeit, die erbrechtliche Haftung nach §§ 1975 ff. BGB zu beschränken (Rz. 1). Dies gilt im Interesse der Gesellschaftsgläubiger auch dann, wenn die Nichtwahrung der Frist einzig in die Verant-
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K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 102. K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 103. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 172. Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 139 HGB Rz. 128; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 126; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 117. 77 Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, § 139 HGB Rz. 56; Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1313 (Stand: 71. EL Mai 2018); K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 106; Emmerich, ZHR 150 (1986), 193, 197 f., 200; Lange/Kretschmann, NZG 2023, 351, 355. 78 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 122; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 106; Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1313 (Stand: 71. EL Mai 2018); Emmerich, ZHR 150 (1986), 193, 197.
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Fortsetzung mit dem Erben; Ausscheiden des Erben | Rz. 30 § 724 BGB
wortung der übrigen Gesellschafter fällt.79 Obwohl es im Falle mehrerer Erben durch die Sondererbfolge in die Gesellschafterstellung (§ 711 Abs. 2 Satz 2 BGB) im Grunde zu einer Teilung des Nachlasses kommt, sofern der Gesellschaftsanteil das wesentliche Vermögen des Erblassers ausmacht, ist anzunehmen, dass es entgegen § 2062, Halbs. 2 BGB bei der Möglichkeit bleibt, die Nachlassverwaltung zu beantragen und dadurch die Haftung auf den Nachlass zu beschränken, § 1975, Var. 1. BGB.80 Ebenfalls anwendbar bleibt das Erfüllungsverweigerungsrecht gem. § 2059 BGB.81 Im Falle einer qualifizierten Nachfolgeklausel können die Erben, die nicht Gesellschafter geworden sind und daher lediglich erbrechtlich für die Erblasser-Schulden haften, von dem Gesellschafter-Erben Regress bzw. Freistellung gem. §§ 2058, 426 BGB verlangen.82 a) Haftung bei Umwandlung in eine Kommanditbeteiligung Die unbeschränkte gesellschaftsrechtliche Eigenhaftung (§§ 721, 721a BGB) wird zum einen 29 rückwirkend ausgeschlossen, wenn innerhalb der Frist des Abs. 3 die Gesellschaft in eine KG umgewandelt und dem Gesellschafter-Erben die Stellung eines Kommanditisten eingeräumt wird. Dementsprechend findet auch § 707c Abs. 5 Satz 1 BGB, der für den Fall der Umwandlung einer GbR in eine KG § 728b BGB für entsprechend anwendbar erklärt, sofern ein Gesellschafter Kommanditist wird (§ 707c BGB Rz. 19), keine Anwendung. § 724 Abs. 4 BGB ist insoweit lex specialis (§ 728b BGB Rz. 2). Allerdings beschränkt sich die Haftung des Erben entgegen dem insoweit missverständlichen Wortlaut infolge der Umwandlung nicht auf die von der Haftungsbeschränkung unberührt bleibende erbrechtliche Haftung (Rz. 26). Der Gesellschafter-Erbe haftet daneben weiterhin als Kommanditist. Für Altverbindlichkeiten und Zwischenneuschulden ergibt sich die Haftung aus § 173 HGB,83 für Neuverbindlichkeiten aus §§ 171, 172 HGB. Eine Haftung besteht danach nur, soweit die vereinbarte Einlage nicht erbracht ist (§ 171 Abs. 1, Halbs. 2 HGB) oder zurückbezahlt wird (§ 172 Abs. 4 Satz 1 HGB). Vorbehaltlich einer abweichenden Vereinbarung ist der auf ihn entfallende Anteil des Erblassers gem. Abs. 1 als seine Kommanditeinlage anzuerkennen und grundsätzlich auch der ins Handelsregister einzutragenden Haftsumme zugrunde zu legen (Rz. 16 f.). Werden die Umwandlung in eine KG und der damit einhergehende Statuswechsel (§ 707c 30 BGB) nicht eingetragen, kann sich trotz § 724 Abs. 4 BGB in der eingetragenen GbR eine unbeschränkte Haftung gem. §§ 721, 721a BGB aus Rechtsschein ergeben (§ 15 Abs. 1 HGB i.V.m. § 707a Abs. 3 Satz 1 HGB). Teilweise wird angenommen, dass die Rechtsscheinhaftung der erbrechtlichen Beschränkung (§§ 1975 ff. BGB) unterliege.84 § 176 Abs. 2 HGB findet demgegenüber keine Anwendung. Für die Fälle der Umwandlung gem. § 724 BGB gilt dies schon deshalb, weil die formwechselnde GbR keine „bestehende Handelsgesellschaft“ 79 Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 724 BGB Rz. 13 (unter Hinweis auf den dann gegebenenfalls in Betracht kommenden Schadensersatzanspruch). 80 Emmerich, ZHR 150 (1986), 193, 207; Kick, Die Haftung des Erben eines Personenhandelsgesellschafters, Diss. Tübingen 1997, S. 115 ff.; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 139 HGB Rz. 121; Westermann in Erman, § 727 BGB Rz. 11; anders: Marotzke in Staudinger, § 2059 BGB Rz. 60. 81 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 51; Marotzke in Staudinger, § 2059 BGB Rz. 60; anders: Westermann in Erman, § 727 BGB Rz. 11. 82 Klöhn in Henssler/Strohn, § 139 HGB Rz. 47; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 111; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 139 HGB Rz. 121; Emmerich, ZHR 150 (1986), 193, 208 f. 83 RGZ 171, 328 (332); K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 115; Stephan, NZG 2021, 1481, 1489. 84 BGH v. 4.3.1976 – II ZR 145/75, BGHZ 66, 98 = NJW 1976, 848; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn, § 139 HGB Rz. 129; Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, § 139 HGB Rz. 62; anders: K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 131. Guntermann | 447
§ 724 BGB Rz. 30 | Rechtsfähige Gesellschaft darstellt. Im Übrigen ist die Umwandlung der Gesellschafterstellung in diejenige eines Kommanditisten gem. § 724 BGB kein „Eintritt“ i.S.v. § 176 Abs. 2 HGB.85 b) Haftung bei Ausscheiden 31 Die rückwirkende Haftungsbeschränkung kommt ebenso zur Anwendung, wenn der Gesell-
schafter-Erbe innerhalb der Frist gem. Abs. 3 aus der Gesellschaft ausscheidet. Für Neuschulden haftet er schon infolge seines Ausscheidens nicht mehr. Wird das Ausscheiden nicht eingetragen und bekannt gemacht, kommt jedoch eine Haftung aus Rechtsschein in Betracht (§ 15 Abs. 1 HGB i.V.m. § 707a Abs. 3 Satz 1 BGB),86 wobei ebenfalls teilweise angenommen wird, dass die Möglichkeit der erbrechtlichen Beschränkung bestehe.87 Die erbrechtliche Haftung für Altschulden und Zwischenneuschulden bleibt dagegen unberührt (Rz. 26). Hinsichtlich der Altschulden kommt dem Erben jedoch die Enthaftung gem. § 728b BGB zugute.88 32 Der Gesellschafter-Erbe muss nicht durch Kündigung gem. Abs. 2 aus der Gesellschaft aus-
geschieden sein. Angesichts des insoweit offenen Wortlauts des Abs. 4 genügt auch ein Ausscheiden aus sonstigen Gründen.89 Richtigerweise genügt auch die Anteilsveräußerung innerhalb der Drei-Monats-Frist, um die Haftungsprivilegierung auszulösen.90 Den Interessen der Gläubiger ist hinreichend durch die Haftung des Erwerbers nach § 721a BGB gedient. Ein Grund, den veräußerungswilligen Gesellschafter-Erben im Interesse der Haftungsvermeidung zum Ausscheiden zu zwingen, besteht vor diesem Hintergrund nicht. c) Haftung bei Auflösung der Gesellschaft 33 Schließlich ordnet Abs. 4 die rückwirkende Haftungsprivilegierung auch für den Fall an,
dass die Gesellschaft innerhalb der Drei-Monats-Frist gem. Abs. 3 aufgelöst wird (zur Geltung von Abs. 4 für den Fall der Auflösung vor dem oder durch den Tod des Erblassers Rz. 5). Die Haftung des Gesellschafter-Erben für Altschulden und Zwischenneuschulden sowie richtigerweise auch für Neuschulden nach der Auflösung91 beschränkt sich gem. Abs. 4 auf die erbrechtliche Haftung gem. §§ 1967 ff. BGB. Der Gesellschafter-Erbe wird also so gestellt, als wäre die Gesellschaft bereits mit dem Tod des Erblassers aufgelöst worden. Eine Haftung für Neuschulden nach der Auflösung kann sich in der eingetragenen GbR jedoch aus § 15 Abs. 1 HGB i.V.m. § 707a Abs. 3 Satz 1 BGB ergeben, wenn die Auflösung nicht unverzüglich 85 BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, BGHZ 108, 187, 197 = ZIP 1989, 1186, 1189; BGH v. 4.3.1976 – II ZR 145/75, BGHZ 66, 98, 101 ff. = NJW 1976, 848 = GmbHR 1990, 28; Lorz in Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn, § 139 HGB Rz. 125 f.; Kamanabrou in Oetker, § 139 HGB Rz. 89; anders: BGH v. 21.3.1983 – II ZR 113/82, ZIP 1983, 822 = GmbHR 1983, 238 (obiter); Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 133. 86 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 131; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn, § 139 HGB Rz. 129. 87 Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 139 HGB Rz. 129; anders: K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 130. 88 K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, § 160 HGB Rz. 17; Klöhn in Henssler/Strohn, § 160 HGB Rz. 8. 89 BGH v. 21.12.1970 – II ZR 258/67, BGHZ 55, 267 = NJW 1971, 1268, 1269; Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1316 (Stand: 71. EL Mai 2018); Emmerich, ZHR 150 (1986), 193, 216. 90 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 119; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 126; Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1317 (Stand: 71. EL Mai 2018). 91 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 123; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn, § 139 HGB Rz. 130; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 127.
448 | Guntermann
Fortsetzung mit dem Erben; Ausscheiden des Erben | Rz. 36 § 724 BGB
eingetragen wird (§ 733 BGB). Auch insoweit wird überwiegend angenommen, dass dem Erben die Möglichkeit der erbrechtlichen Haftungsbeschränkung zustehe.92
V. Abweichende Regelungen im Gesellschaftsvertrag Anders als § 139 HGB a.F. ist § 724 BGB als dispositive Regelung konzipiert, weshalb eine 34 § 139 Abs. 5 HGB a.F. entsprechende Regelung fehlt (Rz. 3).93 Die Gesellschafter können im Gesellschaftsvertrag § 724 BGB gänzlich abbedingen, wozu insbesondere Anlass bestehen kann, wenn für einen etwaigen Gesellschafter-Erben z.B. wegen einer anerkannten Haftungsbeschränkung (Rz. 3) keine unkalkulierbaren Haftungsrisiken drohen und die Umwandlung in eine KG für die Gesellschafter mit übermäßigen Belastungen einhergeht.94 In der Gesetzesbegründung wird auch auf die Möglichkeit einer stillschweigenden Abbedingung verwiesen. Da den übrigen Gesellschaftern die Möglichkeit verbleibt, den Antrag des ausscheidenden Gesellschafters abzulehnen und dadurch die Umwandlung in eine KG zu verhindern, wird man eine stillschweigende Abbedingung aber allenfalls in Ausnahmefällen annehmen können, in denen der Gesellschaft der Abfluss von Gesellschaftsmitteln zur Begleichung der im Falle des Ausscheidens entstehenden Abfindungsverbindlichkeit (§ 728 Abs. 1 Satz 1 BGB) unzumutbar ist.95 Vorsorglich ist Gesellschaftern, die die Rechtsfolgen des § 724 BGB verhindern wollen, daher zu einer ausdrücklichen gesellschaftsvertraglichen Regelung zu raten. Aus der gänzlichen Abdingbarkeit der Regelung folgt a maiore ad minus, dass die Gesell- 35 schafter – anders als in der Personenhandelsgesellschaft (§ 131 HGB Rz. 20) – das Recht des Gesellschafter-Erben auch weitgehend einschränken können. Die Wertung des § 725 Abs. 6 BGB, wonach ein außerordentliches Kündigungsrecht nicht beschränkt werden kann (§ 725 BGB Rz. 31) und die man auf das außerordentliche Kündigungsrecht gem. § 724 Abs. 2 BGB erstrecken könnte, tritt dahinter zurück. Die Gesellschafter können z.B. vorsehen, dass für den Fall der Ablehnung des Antrags auf Umwandlung der Rechtsstellung des Erben in diejenige eines Kommanditisten kein Kündigungsrecht nach Abs. 2 besteht. Ebenso zulässig sind Abfindungsbeschränkungen gerade für den Fall der Kündigung gem. Abs. 2 oder eine Verkürzung der Frist gem. Abs. 3. Eine Grenze (§ 138 Abs. 1 BGB) dürfte zum einen erreicht sein, wenn die gesellschaftsver- 36 tragliche Regelung den Erben schlechter stellt, als er bei einem bloßen Einrücken in die Gesellschafterstellung des Erblassers stehen würde (z.B. durch eine an den Erbfall anknüpfende zusätzliche Einlagepflicht, § 710 Satz 1 BGB).96 Eine Rückausnahme ist entsprechend § 131 Abs. 5 Satz 2 HGB für die Bestimmung des Gewinnanteils des Erben als Kommanditist anzuerkennen. Dass der Gewinnanteil des Erben anders als derjenige des Erblassers bestimmt werden kann, rechtfertigt sich dadurch, dass der Erbe als Kommanditist nicht das volle Geschäftsrisiko trägt (§ 131 HGB Rz. 21). Zum anderen dürften Klauseln unzulässig sein, durch die eine Gläubigerbenachteiligung eintritt. So kann etwa die haftungsbeschränkende Wirkung gem. Abs. 4 nicht erweitert werden (z.B. auf den Zeitraum nach Umwandlung der Ge92 BGH v. 4.3.1976 – II ZR 145/75, BGHZ 66, 98 = NJW 1976, 848; Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, § 139 HGB Rz. 62; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 139 HGB Rz. 132; Emmerich, ZHR 150 (1986), 193, 220. 93 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 171. Für die zwingende Geltung der Regelung: Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 724 BGB Rz. 2. Auf damit verbundene Rechtsunsicherheiten hinweisend: K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 39. Positiv dagegen: Servatius, GbR, § 724 BGB Rz. 2. 94 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 171. 95 Tendenziell auch Bergmann in Schäfer, Neues PersGesR, § 7 Rz. 42 („wird man sicherlich nicht allgemein annehmen können“). 96 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 137. Guntermann | 449
§ 724 BGB Rz. 36 | Rechtsfähige Gesellschaft sellschafterstellung).97 Auch eine Verlängerung der Drei-Monats-Frist kommt nur in Betracht, soweit sich die Wirkung auf das Innenverhältnis der Gesellschafter beschränkt.98 Insbesondere können die Wirkung der Haftungsbeschränkung gem. § 724 Abs. 4 BGB bzw. das in der Schwebephase bestehende Leistungsverweigerungsrecht (Rz. 27) nicht durch Verlängerung der Frist erweitert werden. 37 Ohne weiteres zulässig sind dagegen sog. kombinierte Nachfolge- und Umwandlungsklau-
seln.99 Nachfolgeklauseln (§ 711 Abs. 2 Satz 1 BGB) werden dergestalt ergänzt, dass der zur Nachfolge berufene Erbe entweder einen klagbaren Anspruch auf Umwandlung in einen Kommanditanteil erhält (sog. obligatorische Umwandlungsklausel), der Erbe die Umwandlung durch einseitige Erklärung herbeiführen kann (sog. Optionsklausel) oder der Erbe automatisch in die Rechtsstellung eines Kommanditisten einrückt. In letzterem Fall ist die Klausel dahingehend auszulegen, dass das Kündigungsrecht gem. Abs. 2 abbedungen ist.100 Ebenfalls zulässig ist es, dem Erben ein Recht zum sofortigen Austritt aus der Gesellschaft ohne vorherigen Antrag auf Umwandlung nach Abs. 1 zuzubilligen.101
§ 725 BGB Kündigung der Mitgliedschaft durch den Gesellschafter (1) Ist das Gesellschaftsverhältnis auf unbestimmte Zeit eingegangen, kann ein Gesellschafter seine Mitgliedschaft unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten zum Ablauf des Kalenderjahres gegenüber der Gesellschaft kündigen, es sei denn, aus dem Gesellschaftsvertrag oder aus dem Zweck der Gesellschaft ergibt sich etwas anderes. (2) 1Ist für das Gesellschaftsverhältnis eine Zeitdauer vereinbart, ist die Kündigung der Mitgliedschaft durch einen Gesellschafter vor dem Ablauf dieser Zeit zulässig, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. 2Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn ein anderer Gesellschafter eine ihm nach dem Gesellschaftsvertrag obliegende wesentliche Verpflichtung vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat oder wenn die Erfüllung einer solchen Verpflichtung unmöglich wird. (3) Liegt ein wichtiger Grund im Sinne von Absatz 2 Satz 2 vor, so ist eine Kündigung der Mitgliedschaft durch einen Gesellschafter stets ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zulässig. (4) 1Ein Gesellschafter kann seine Mitgliedschaft auch kündigen, wenn er volljährig geworden ist. 2Das Kündigungsrecht besteht nicht, wenn der Gesellschafter bezüglich des Gegenstands der Gesellschaft zum selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts gemäß § 112 ermächtigt war oder der Zweck der Gesellschaft allein der Befriedigung seiner persönlichen Bedürfnisse diente. 3Der volljährig Gewordene kann die Kündigung nur binnen drei Monaten von dem Zeitpunkt an erklären, in welchem er von seiner Gesellschafterstellung Kenntnis hatte oder haben musste.
97 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 135. 98 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 135; Kamanabrou in Oetker, § 139 HGB Rz. 93; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 96. 99 Zu den einzelnen Klauselvarianten: K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 135 ff.; K. Schmidt, BB 1989, 1702, 1704 f. 100 Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 139 HGB Rz. 138; Kamanabrou in Oetker, § 139 HGB Rz. 94. 101 Kamanabrou in Oetker, § 139 HGB Rz. 93; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 134; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 96.
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§ 724 BGB Rz. 36 | Rechtsfähige Gesellschaft sellschafterstellung).97 Auch eine Verlängerung der Drei-Monats-Frist kommt nur in Betracht, soweit sich die Wirkung auf das Innenverhältnis der Gesellschafter beschränkt.98 Insbesondere können die Wirkung der Haftungsbeschränkung gem. § 724 Abs. 4 BGB bzw. das in der Schwebephase bestehende Leistungsverweigerungsrecht (Rz. 27) nicht durch Verlängerung der Frist erweitert werden. 37 Ohne weiteres zulässig sind dagegen sog. kombinierte Nachfolge- und Umwandlungsklau-
seln.99 Nachfolgeklauseln (§ 711 Abs. 2 Satz 1 BGB) werden dergestalt ergänzt, dass der zur Nachfolge berufene Erbe entweder einen klagbaren Anspruch auf Umwandlung in einen Kommanditanteil erhält (sog. obligatorische Umwandlungsklausel), der Erbe die Umwandlung durch einseitige Erklärung herbeiführen kann (sog. Optionsklausel) oder der Erbe automatisch in die Rechtsstellung eines Kommanditisten einrückt. In letzterem Fall ist die Klausel dahingehend auszulegen, dass das Kündigungsrecht gem. Abs. 2 abbedungen ist.100 Ebenfalls zulässig ist es, dem Erben ein Recht zum sofortigen Austritt aus der Gesellschaft ohne vorherigen Antrag auf Umwandlung nach Abs. 1 zuzubilligen.101
§ 725 BGB Kündigung der Mitgliedschaft durch den Gesellschafter (1) Ist das Gesellschaftsverhältnis auf unbestimmte Zeit eingegangen, kann ein Gesellschafter seine Mitgliedschaft unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten zum Ablauf des Kalenderjahres gegenüber der Gesellschaft kündigen, es sei denn, aus dem Gesellschaftsvertrag oder aus dem Zweck der Gesellschaft ergibt sich etwas anderes. (2) 1Ist für das Gesellschaftsverhältnis eine Zeitdauer vereinbart, ist die Kündigung der Mitgliedschaft durch einen Gesellschafter vor dem Ablauf dieser Zeit zulässig, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. 2Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn ein anderer Gesellschafter eine ihm nach dem Gesellschaftsvertrag obliegende wesentliche Verpflichtung vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat oder wenn die Erfüllung einer solchen Verpflichtung unmöglich wird. (3) Liegt ein wichtiger Grund im Sinne von Absatz 2 Satz 2 vor, so ist eine Kündigung der Mitgliedschaft durch einen Gesellschafter stets ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zulässig. (4) 1Ein Gesellschafter kann seine Mitgliedschaft auch kündigen, wenn er volljährig geworden ist. 2Das Kündigungsrecht besteht nicht, wenn der Gesellschafter bezüglich des Gegenstands der Gesellschaft zum selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts gemäß § 112 ermächtigt war oder der Zweck der Gesellschaft allein der Befriedigung seiner persönlichen Bedürfnisse diente. 3Der volljährig Gewordene kann die Kündigung nur binnen drei Monaten von dem Zeitpunkt an erklären, in welchem er von seiner Gesellschafterstellung Kenntnis hatte oder haben musste.
97 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 135. 98 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 135; Kamanabrou in Oetker, § 139 HGB Rz. 93; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 96. 99 Zu den einzelnen Klauselvarianten: K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 135 ff.; K. Schmidt, BB 1989, 1702, 1704 f. 100 Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 139 HGB Rz. 138; Kamanabrou in Oetker, § 139 HGB Rz. 94. 101 Kamanabrou in Oetker, § 139 HGB Rz. 93; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 134; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 96.
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Kündigung der Mitgliedschaft durch den Gesellschafter | Rz. 2 § 725 BGB
(5) 1Die Kündigung darf nicht zur Unzeit geschehen, es sei denn, dass ein wichtiger Grund für die unzeitige Kündigung vorliegt. 2Kündigt ein Gesellschafter seine Mitgliedschaft ohne solchen Grund zur Unzeit, hat er der Gesellschaft den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. (6) Eine Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag, welche das Kündigungsrecht nach den Absätzen 2 und 4 ausschließt oder diesen Vorschriften zuwider beschränkt, ist unwirksam. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. II. III. 1. 2.
Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Kündigungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . 4 Kündigungsrecht Ordentliche Kündigung (Abs. 1) . . . . . . . 7 Außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund (Abs. 2, 3) a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 b) Zur Kündigung berechtigende Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 c) Verhältnis zu sonstigen Vorschriften und Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . 14
d) Keine Kündigungsfrist . . . . . . . . . . . . . 3. Außerordentliche Kündigung wegen Volljährigkeit (Abs. 4) . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Kündigungsschranken 1. Kündigung zur Unzeit (Abs. 5) . . . . . . . . 2. Rechtsmissbrauch und sonstige Treuepflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Rechtsfolgen der Kündigung . . . . . . . . . VI. Abweichende Vereinbarungen . . . . . . . . 1. Ordentliches Kündigungsrecht . . . . . . . . 2. Außerordentliches Kündigungsrecht . . .
16 17 21 23 26 27 28 31
Schrifttum: Glöckner, Das Sonderkündigungsrecht des volljährig gewordenen Gesellschafters, ZEV 2001, 47; Grunewald, Haftungsbeschränkungs- und Kündigungsmöglichkeiten für volljährig gewordenen Personengesellschafter, ZIP 1999, 597; Habersack, Das neue Gesetz zur Beschränkung der Haftung Minderjähriger, FamRZ 1999, 1; Hoffmann, Ausscheiden oder Auflösen – Grundsatzfrage bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts neu gestellt im Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG), FS Heidel, 2021, S. 79; Menkel, Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters gem. § 712 a BGB nF, NZG 2023, 683; Sigle, Betrachtungen zum Sonderkündigungsrecht nach § 723 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 BGB, FS Karsten Schmidt, 2009, S. 1507; Spliedt, Die Kündigungs- und Abfindungsrechte des Personengesellschafters und die Zulässigkeit ihrer Beschränkungen durch gesellschaftsvertragliche Vereinbarungen, Diss. Hohenheim 1990; Steinbeck, Zur Kündbarkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Oder: Nach § 128 HGB jetzt auch § 132 HGB analog?, FS Hadding, 2004, S. 675; Stodolkowitz, Die außerordentliche Gesellschafterkündigung in der Personenhandelsgesellschaft, NZG 2011, 1327; Ulmer, Austrittsrecht aus wichtigem Grund in der OHG/KG?, FS Goette, 2011, S. 545.
I. Überblick § 725 BGB regelt die Kündigung der Mitgliedschaft durch einen Gesellschafter. Die Norm 1 unterscheidet zwischen der ordentlichen Kündigung der Mitgliedschaft in Gesellschaftsverhältnissen, die auf unbestimmte Zeit eingegangen sind (Abs. 1), und der außerordentlichen Kündigung (Abs. 2 und Abs. 4). Die Kündigung aus wichtigem Grund ist stets fristlos (Abs. 3), aber wie die ordentliche Kündigung grundsätzlich nicht zur Unzeit (Abs. 5) möglich. Gemäß Abs. 6 sind gesellschaftsvertragliche Regelungen, die das Recht zur außerordentlichen Kündigung beschränken, unwirksam. Die Neuregelung entspricht im Wesentlichen § 723 BGB a.F.1 Abweichungen von der bishe- 2 rigen Regelung erklären sich zum großen Teil durch die veränderte gesetzliche Konzeption 1 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 172. Guntermann | 451
§ 725 BGB Rz. 2 | Rechtsfähige Gesellschaft (§ 723 BGB Rz. 2). Die Kündigung der Mitgliedschaft, die von der Kündigung der Gesellschaft (§ 731 BGB) zu trennen ist (Rz. 6), führt nun nicht mehr zur Auflösung der Gesellschaft, sondern zum Ausscheiden des kündigenden Gesellschafters aus der fortbestehenden Gesellschaft (§ 723 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Der Übergang von der Gelegenheits- zur Dauergesellschaft veranlasste zudem die Streichung von § 724 BGB a.F. (Rz. 7) und die Einführung einer gesetzlichen Kündigungsfrist (Abs. 1, Rz. 8 f.).2 Dass die Kündigung gegenüber der Gesellschaft statt gegenüber den Gesellschaftern zu erklären ist, ist unmittelbare Folge der weitgehenden rechtlichen Verselbstständigung der GbR auch im Innenverhältnis zu den Gesellschaftern (Rz. 4).3 Stellenweise wurde die Norm auch aus Klarstellungsgründen angepasst. So ist z.B. der Eintritt der Volljährigkeit nun nicht mehr als wichtiger Grund zur Kündigung (§ 723 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 BGB a.F.), sondern als eigenständiger Kündigungsgrund ausgestaltet, was durch die systematische Stellung in Abs. 4 zum Ausdruck kommt.4 Eine wesentliche inhaltliche Änderung betrifft hingegen die Disponibilität der Regelung. Anders als nach bisherigem Recht (§ 723 Abs. 3 BGB a.F.) kann das Recht zur ordentlichen Kündigung nun gesellschaftsvertraglich ausgeschlossen oder beschränkt werden (Rz. 27 ff.).5 Das Beschränkungsverbot bezieht sich nur noch auf das Recht zur außerordentlichen Kündigung gem. Abs. 2 und Abs. 3 (Abs. 6, Rz. 31 ff.). 3 § 725 BGB gilt für die rechtsfähige Gesellschaft. In der nicht rechtsfähigen Gesellschaft
führt die Kündigung durch einen Gesellschafter grundsätzlich nicht zum Ausscheiden, sondern zur Auflösung der Gesellschaft (§ 740a Abs. 1 Nr. 4 BGB). In der aufgelösten Gesellschaft besteht das außerordentliche Kündigungsrecht nach Abs. 2 grundsätzlich fort. Es muss dem kündigenden Gesellschafter aber gerade unzumutbar sein, bis zur Vollbeendigung in der Gesellschaft zu verbleiben und an der Liquidation mitzuwirken (§ 736 Abs. 1 BGB).6 Davon zu unterscheiden ist der Fall, dass die Kündigung vor der Auflösung erklärt wird, die Kündigungswirkungen zu diesem Zeitpunkt aber noch ausstehen.7 Hier beruht die Kündigung auf der Unzumutbarkeit der fortgesetzten Mitgliedschaft in einer werbenden Gesellschaft. Nach der durch den Auflösungsbeschluss eintretenden Änderung des Gesellschaftszwecks ist das Ausscheiden daher nicht mehr ohne Weiteres gerechtfertigt. Der isolierten Durchsetzung des infolge des Ausscheidens entstehenden Abfindungsanspruchs (§ 728 BGB) steht in jedem Fall die in der Auseinandersetzungsphase geltende Durchsetzungssperre (§ 735 BGB Rz. 18 ff.) entgegen. Für die Personenhandelsgesellschaften trifft das HGB in § 132 HGB eine entsprechende Regelung (zu den Unterschieden § 132 HGB Rz. 3). Neben dem Gesellschafter sind auch dessen (Privat-)Gläubiger zur Kündigung der Mitgliedschaft berechtigt, um sich Zugriff auf den in der Mitgliedschaft verkörperten Wert in Gestalt der Abfindung zu verschaffen (§ 726 BGB, s. § 726 BGB Rz. 1).
II. Kündigungserklärung 4 Die Kündigung erfolgt durch Erklärung des Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft.
Dass die Kündigung eigentlich das Verhältnis der Gesellschafter zueinander betrifft, weil der Gesellschafter seine Stellung als Partei des Gesellschaftsvertrags aufgeben möchte, führt nicht zu einem von dem Gesetzeswortlaut abweichenden Erfordernis, die Kündigung gegenüber
2 3 4 5 6
Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 172. Dazu: Fleischer, DB 2020, 1107, 1110. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 173 („qualitativ anderer Kündigungsanlass“). Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 173 f. Ebenso: Servatius, GbR, § 725 BGB Rz. 10. Anders: Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 723 BGB Rz. 5, 10. Für den Sonderfall der Kündigung einer Publikumsgesellschaft auch: BGH v. 30.1.2018 – II ZR 95/16, BGHZ 217, 237 = ZIP 2018, 721, 726. 7 Zur Publikumsgesellschaft: BGH v. 6.2.2018 – II ZR 1/16, ZIP 2018, 778.
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Kündigung der Mitgliedschaft durch den Gesellschafter | Rz. 5 § 725 BGB
allen Mitgesellschaftern zu erklären.8 Vielmehr kommt in der Möglichkeit der Kündigung gegenüber der Gesellschaft zum Ausdruck, dass die Gesellschaft nun nicht mehr nur im Außenverhältnis eine selbstständige Rechtsperson darstellt,9 sondern sich durch das MoPeG auch im Innenverhältnis zu ihren Gesellschaftern weitgehend verselbstständigt hat. Der Gesellschaftsvertrag, der durch die Kündigung eine Änderung erfährt, dient nun nicht mehr primär als Grundlage für die wechselseitigen Rechte und Pflichten der Gesellschaft, sondern wie die Neufassung von § 705 BGB zeigt, als organisationsrechtlicher Errichtungsakt (zur Rechtsnatur des Gesellschaftsvertrags auch § 705 BGB Rz. 19).10 Daher ist auch eine Kündigung der Mitgliedschaft gegenüber der Gesellschaft sachgerecht. Die Erklärung wird wirksam (§ 130 Abs. 1 BGB) mit ihrem Zugang bei einem vertretungsberechtigten Gesellschafter (§ 720 Abs. 5 BGB). Einer besonderen Form bedarf die Kündigungserklärung vorbehaltlich einer abweichenden gesellschaftsvertraglichen Regelung (Rz. 30) nicht.11 Als Gestaltungserklärung ist die Kündigung grundsätzlich bedingungsfeindlich (vgl. § 388 Satz 2 BGB). Etwas anderes gilt aber dann, wenn die Bedingung nicht zu Ungewissheit über den Eintritt der Kündigungswirkungen führt.12 Die Rücknahme der Kündigungserklärung ist nach ihrem Wirksamwerden nur noch mit Zustimmung sämtlicher Gesellschafter möglich.13 Dies gilt nach neuem Recht fort, obwohl die Kündigung nur der Gesellschaft gegenüber zu erklären ist. Denn mit dem Zugang der Kündigungserklärung tritt die Gestaltungswirkung ein, wenn auch im Falle der ordentlichen Kündigung aufschiebend befristet auf den Ablauf der Kündigungsfrist. Die Rücknahme der Kündigungserklärung ist dann unabhängig davon, ob der Kündigungsstichtag bereits eingetreten ist,14 ein Wiedereintritt in die Gesellschaft, der aber nur mit Zustimmung sämtlicher Gesellschafter erfolgen kann.15 Die Kündigung ist eine Willenserklärung i.S.d. §§ 104 ff. BGB. Insbesondere kann die Kün- 5 digungserklärung bei Vorliegen eines Willensmangels angefochten werden. Es gelten allerdings die Grundsätze zur fehlerhaften Gesellschaft (§ 705 BGB Rz. 21 ff.), d.h. der Ausgeschiedene erhält lediglich einen Anspruch auf Wiederaufnahme in die Gesellschaft mit Wirkung für die Zukunft.16 Für einen minderjährigen Gesellschafter handeln grundsätzlich seine gesetzlichen Vertreter. Da die Kündigung gegenüber der Gesellschaft zu erklären ist, bedarf es der Bestellung eines Ergänzungspflegers (§ 1629 Abs. 2 Satz 1, § 1824 Abs. 2, § 181 BGB) nur dann, wenn die gesetzlichen Vertreter des Minderjährigen die einzigen vertretungsberechtigten Gesellschafter der Gesellschaft sind. Betreibt die Gesellschaft ein „Erwerbsgeschäft“, ist zudem die Zustimmung des Familiengerichts erforderlich, da auch die Kündigung eine Verfügung über den Gesellschaftsanteil im Sinne von § 1643 Abs. 1, § 1852 Nr. 1a BGB darstellt.17 Handelt es sich bei der Beteiligung an der Gesellschaft um den wesentlichen Vermögensteil eines im Güterstand der Zugewinngemeinschaft verheirateten Ge8 So aber: Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 725 BGB Rz. 14 (mit Fn. 26). 9 Darauf stellt Servatius (GbR, § 725 BGB Rz. 31) zur Begründung des geänderten Kündigungsadressaten ab. 10 Martens, AcP 221 (2021), 68, 78 f.; zuvor schon: Wiedemann in GS Lüderitz, 2000, S. 839, 840. 11 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 723 BGB Rz. 12; Westermann in Erman, § 723 BGB Rz. 9. 12 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 723 BGB Rz. 16; zu möglichen Bedingungen: Lübke in BeckOGK/ BGB, Stand: 14.2023, § 723 BGB Rz. 41. Allgemein: Armbrüster in Erman, Vor § 158 BGB Rz. 18. 13 Zur Rechtslage vor dem MoPeG: OLG Zweibrücken v. 7.7.1998 – 8 U 83/97, NZG 1998, 939, 940; Lübke in BeckOGK/BGB, Stand: 1.4.2023, § 723 BGB Rz. 36; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 723 BGB Rz. 18. 14 Danach differenzierend: K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 132 HGB Rz. 19; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 132 HGB Rz. 16. 15 Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1026 (Stand: 81. EL September 2021). 16 BGH v. 14.4.1969 – II ZR 142/67, NJW 1969, 1483; BGH v. 18.1.1988 – II ZR 140/87, ZIP 1988, 509, 510 = GmbHR 1988, 177; Lübke in BeckOGK/BGB, Stand: 1.4.2023, § 723 BGB Rz. 37. 17 Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 725 BGB Rz. 12. Guntermann | 453
§ 725 BGB Rz. 5 | Rechtsfähige Gesellschaft sellschafters, setzt die Kündigung die Zustimmung des anderen Ehegatten voraus, § 1365 Abs. 1 BGB.18 Der Vorerbe kann ohne Zustimmung eines Nacherben (§ 2113 Abs. 2 BGB) von dem Kündigungsrecht Gebrauch machen.19 6 Inhaltlich muss sich aus der Erklärung (ggf. durch Auslegung) der Wille ergeben, dass der
Erklärende aus der Gesellschaft ausscheiden möchte.20 Richtet sich die Erklärung stattdessen darauf, dass der Erklärende eine Beendigung der Gesellschaft wünscht, handelt es sich um eine zur Auflösung der Gesellschaft führenden Kündigung gem. § 731 BGB (zum Verhältnis der Kündigungsgründe Rz. 14 f.). Auch die Geltendmachung der Ansprüche aus § 728 BGB kann im Einzelfall als Kündigungserklärung nach § 725 BGB ausgelegt werden.21 Eine konkludente Kündigung kann z.B. in der tatsächlichen Beendigung der Zusammenarbeit liegen.22 Gemäß § 140 BGB kann eine außerordentliche Kündigung bei Fehlen eines Kündigungsgrundes nach Abs. 2, 4 in eine ordentliche Kündigung nach Abs. 1 umgedeutet werden, wenn die ordentliche Kündigung für die Gesellschaft erkennbar vom Willen des Erklärenden umfasst ist.23 Ebenso kann eine verspätete Kündigung in eine Kündigung zum nächstmöglichen Termin umgedeutet werden.24 Eine Teilkündigung ist wegen der Einheitlichkeit der Mitgliedschaft derselben nicht möglich.25
III. Kündigungsrecht 1. Ordentliche Kündigung (Abs. 1) 7 Gemäß Abs. 1 kann die Mitgliedschaft ordentlich gekündigt werden, wenn das Gesellschafts-
verhältnis auf unbestimmte Zeit eingegangen ist. § 724 BGB a.F. ordnete an, dass ein Recht zur ordentlichen Kündigung auch dann besteht, wenn die Gesellschaft für die Lebenszeit eines Gesellschafters eingegangen ist oder die Gesellschaft nach dem Ablauf der bestimmten Zeit stillschweigend fortgesetzt wird. Diese Vorschrift, die vor allem dem Schutz der Gesellschafter vor einer überlangen Bindung diente,26 indem sie ihnen das Recht zur jederzeitigen Loslösung gem. § 723 BGB a.F. einräumte, wurde gestrichen. Zur Begründung verweist der Gesetzgeber darauf, dass durch eine sachgerechte Auslegung des Gesellschaftsvertrages und die bewegliche Kündigungsschranke des § 138 BGB der dadurch verwirklichten Schutzfunk-
18 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 132 HGB Rz. 8; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 132 HGB Rz. 13. Das ungeschriebene Merkmal der Kenntnis der Betroffenheit eines wesentlichen Vermögenbestandteils (vgl. Budzikiewicz in Erman, § 1365 BGB Rz. 11) muss in der Person des Erklärungsgegners, d.h. der Gesellschaft, erfüllt sein. Gemäß § 166 Abs. 1 BGB ist der Gesellschaft die Kenntnis eines ihrer vertretungsberechtigten Gesellschafter zuzurechnen. Es muss sich nicht notwendig um denjenigen handeln, der die Erklärung entgegennimmt. 19 Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 725 BGB Rz. 13. 20 Vgl. zu als Kündigung auszulegenden Erklärungen: RGZ 89, 398, 400 („Rücktritt“); RGZ 165, 193, 206 („Anfechtung“); BGH v. 28.1.2002 – II ZR 239/00, ZIP 2002, 570, 571 („Ausscheiden“). 21 OLG Düsseldorf v. 24.10.1997 – 22 U 43-97, NJW-RR 1998, 658, 659. 22 BGH v. 28.9.2005 – XII ZR 189/02, BGHZ 165, 1 = NJW 2006, 1268, 1270; OLG Hamm v. 20.11.2009 – 33 U 13/09, FamRZ 2010, 1737, 1738. 23 BGH v. 26.3.1956 – II ZR 57/55, BGHZ 20, 239, 249 f. = NJW 1956, 906; BGH v. 12.1.1998 – II ZR 98/96, ZIP 1998, 509; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 723 BGB Rz. 17. 24 Westermann in Erman, § 723 BGB Rz. 9; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 723 BGB Rz. 17. 25 BGH v. 22.5.1989 – II ZR 211/88, ZIP 1989, 1052, 1054 = GmbHR 1990, 25; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 723 BGB Rz. 15; Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 725 BGB Rz. 18. 26 Zur Parallelnorm des § 134 HGB a.F.: K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 134 HGB Rz. 4.
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Kündigung der Mitgliedschaft durch den Gesellschafter | Rz. 9 § 725 BGB
tion angemessen Rechnung getragen werden könne.27 Berücksichtigt man, dass Abs. 1 und Abs. 6 den gesellschaftsvertraglichen Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts und dadurch eine langfristige Bindung des einzelnen Gesellschafters nun ausdrücklich zulassen, wird man freilich die Grenze, ab der die Bindung i.S.v. § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig ist, sehr großzügig definieren müssen (Rz. 29, vgl. auch § 728 BGB Rz. 34). Abweichend von § 723 BGB a.F. ist die ordentliche Kündigung nun grundsätzlich frist- 8 gebunden, § 725 Abs. 1 BGB. Dadurch soll dem gewandelten Verständnis der GbR als Dauergesellschaft Rechnung getragen werden.28 Die verbleibenden Gesellschafter erhalten zudem die Möglichkeit, sich auf die Folgen des Ausscheidens, u.a. die dadurch entstehenden Abfindungsansprüche (§ 728 Abs. 1 Satz 1 BGB), aber auch die mit dem Ausscheiden des Kündigenden einhergehende Veränderung der Gesellschafterstruktur, einzustellen.29 Zugleich wird die Ableitung konkludenter Befristungen aus dem Gesellschaftszweck30 entbehrlich.31 Die Frist beträgt drei Monate zum Ablauf des Kalenderjahres, d.h. sie muss der Gesellschaft spätestens am 30. September zugehen (zu etwaigen Erschwerungen Rz. 30). Eine Verschiebung von einem Sonn- oder Feiertag auf den nächsten Werktag (§ 193 BGB) mit der Folge, dass die Kündigungsfrist zu Lasten der Gesellschaft und der verbleibenden Gesellschafter verkürzt würde, kommt nicht in Betracht.32 Ebenso wenig ist der Beginn der Frist auf einen vorangehenden Werktag zu verlegen. Eine verfristete Kündigung kann jedoch gegebenenfalls in eine Kündigung zum nächstmöglichen Termin ausgelegt bzw. umgedeutet werden (Rz. 6). Die übrigen Gesellschafter können zudem auf die Wahrung der Kündigungsfrist verzichten.33 An der Zuständigkeit sämtlicher Gesellschafter für den Verzicht wird man festhalten müssen, obgleich Adressat der Kündigung nunmehr die Gesellschaft ist (Rz. 4). Immerhin kommt es infolge der Kündigung zu einer Umgestaltung des Gesellschaftsverhältnisses.34 Dies folgt auch aus Abs. 1, Halbs. 2. Die Gesetzesbegründung verweist zudem auf die Möglichkeit einer konkludenten Abbedin- 9 gung der Kündigungsfrist. Insbesondere bei Gelegenheitsgesellschaften ohne schriftlichen Gesellschaftsvertrag könne gegebenenfalls aus dem Gesellschaftszweck auf die Zulässigkeit einer fristlosen Kündigung geschlossen werden (vgl. Abs. 1, Halbs. 2 a.E.). Umgekehrt kann sich aus dem Gesellschaftszweck im Einzelfall auch eine längere Kündigungsfrist ergeben.35 Die Beweislast für die Nichtgeltung der gesetzlichen Kündigungsfrist trägt der kündigende Gesellschafter.36 Um die diesbezügliche Rechtsunsicherheit zu vermeiden, ist zu empfehlen, eine ausdrückliche Regelung zur Kündigungsfrist in den Gesellschaftsvertrag aufzunehmen, sofern die gesetzliche Drei-Monats-Frist den Vorstellungen der Gesellschafter nicht entspricht.
27 28 29 30 31 32
33 34 35 36
Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 172. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 172. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 172. Dazu auch: Hoffmann in FS Heidel, 2021, S. 79, 88. Dazu: Schäfer in MünchKomm/BGB, § 723 BGB Rz. 22 ff.; Westermann in Erman, § 723 BGB Rz. 10. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 172. Allgemein: BGH v. v. 17.2.2005 – III ZR 172/04, BGHZ 162, 175, 179 f. = MDR 2005, 798 = ZIP 2005, 716; Grothe in MünchKomm/BGB, § 193 BGB Rz. 7. Anders (ohne Begründung): Schulte/Hushahn in MünchHdb. GesR II, § 36 Rz. 11; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 132 HGB Rz. 13. Kamanabrou in Oetker, § 132 HGB Rz. 11; Michel in BeckOGK/HGB, Stand: 1.6.2022, § 132 HGB Rz. 24. K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 132 HGB Rz. 15. Servatius, GbR, § 725 Rz. 30. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 172 f. Guntermann | 455
§ 725 BGB Rz. 10 | Rechtsfähige Gesellschaft
2. Außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund (Abs. 2, 3) a) Allgemeines 10 Ist das Gesellschaftsverhältnis auf bestimmte Zeit eingegangen, ist eine ordentliche Kündi-
gung nach allgemeinen Grundsätzen ausgeschlossen. Stattdessen können die Gesellschafter sich vor dem Zeitablauf nur durch eine außerordentliche Kündigung von der Gesellschaft lösen. Dementsprechend ordnet Abs. 2 Satz 1 an, dass die außerordentliche Kündigung der Mitgliedschaft zulässig ist, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Entgegen dem insoweit missverständlichen Wortlaut von Abs. 2 besteht ein Recht zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund aber natürlich auch, wenn das Gesellschaftsverhältnis auf unbestimmte Zeit eingegangen ist.37 Ein wesentlicher Vorteil der außerordentlichen Kündigung liegt hier darin, dass die Kündigungsfrist gem. Abs. 1 nicht gewahrt zu werden braucht, Abs. 3 (Rz. 8). Dementsprechend muss der wichtige Grund grundsätzlich so schwerwiegend sein, dass dem kündigenden Gesellschafter die Wahrung der Kündigungsfrist nicht zuzumuten ist (Rz. 12).38 Lediglich in Fällen, in denen das Recht zur ordentlichen Kündigung wirksam ausgeschlossen ist (Rz. 28 ff.), wird man ein außerordentliches Kündigungsrecht großzügiger bejahen müssen.39 b) Zur Kündigung berechtigende Umstände 11 Die außerordentliche Kündigung setzt einen wichtigen Grund zur Kündigung voraus (Abs. 2
Satz 2). Der wichtige Grund muss im Zeitpunkt der Kündigung vorliegen.40 Fehlt es an einem wichtigen Grund, kann die Erklärung im Einzelfall in eine ordentliche Kündigung zum nächstmöglichen Termin (Rz. 6) oder ein Antrag auf Austritt umgedeutet werden. In letzterem Fall muss der Antrag freilich sämtlichen Gesellschaftern zugehen, da der Austritt durch Vereinbarung sämtlicher Gesellschafter erfolgt (§ 723 BGB Rz. 21).41 In der Regel muss der Kündigungsgrund schon aus Gründen der Treuepflicht in der Kündigungserklärung angegeben werden.42 Ein Nachschieben von im Zeitpunkt der Kündigung vorliegenden, aber in der Kündigungserklärung nicht angegebenen Gründen ist aber möglich, sofern die Gesellschaft z.B. wegen eines inneren Zusammenhangs mit dem angegebenen Grund mit der Geltendmachung jener Gründe rechnen musste.43 Kein (zusätzlicher) wichtiger Grund ist erforderlich in Fällen des fehlerhaften Beitritts zu einer Gesellschaft. Hier folgt das Kündigungsrecht entsprechend § 725 Abs. 2 BGB bereits aus dem fortbestehenden Mangel des Beitritts (zu Auflösungskündigung bei fehlerhafter Gesellschaft § 705 BGB Rz. 39).44 12 Ein wichtiger Grund (s. dazu näher § 727 BGB Rz. 4 ff.) liegt vor, wenn dem kündigenden
Gesellschafter unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen eine Fortsetzung des Gesellschaftsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann, weil die Förderung des gemeinsamen Zwecks wegen wirtschaftlicher oder in der Per37 Lübke in BeckOGK/BGB, Stand: 1.4.2023, § 723 BGB Rz. 57.1; Hoffmann in FS Heidel, 2021, S. 79, 93 f.; Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 725 BGB Rz. 28; Servatius, GbR, § 725 BGB Rz. 51. 38 Hoffmann in FS Heidel, 2021, S. 79, 93 f. 39 Lübke in BeckOGK/BGB, Stand: 1.4.2023, § 723 BGB Rz. 95.3. 40 BGH v. 24.7.2000 – II ZR 320/98, ZIP 2000, 1772, 1773; BGH v. 22.5.2012 – II ZR 2/11, ZIP 2012, 1500, 1503; Westermann in Erman, § 723 BGB Rz. 14. 41 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 723 BGB Rz. 26. 42 Lübke in BeckOGK/BGB, Stand: 1.4.2023, § 723 BGB Rz. 39; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 723 BGB Rz. 27. 43 BGH v. 22.5.2012 – II ZR 2/11, ZIP 2012, 1500, 1503; BGH v. 5.5.1958 – II ZR 245/56, BGHZ 27, 220 = NJW 1958, 1136. 44 Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 725 BGB Rz. 48.
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Kündigung der Mitgliedschaft durch den Gesellschafter | Rz. 13 § 725 BGB
son eines anderen Gesellschafters liegender Umstände dauerhaft schwer beeinträchtigt ist.45 Erforderlich ist eine eingehende Würdigung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalles.46 Abs. 2 Satz 2 nennt beispielhaft die vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung einer wesentlichen gesellschaftsvertraglichen Verpflichtung durch einen anderen Gesellschafter oder die Unmöglichkeit der Erfüllung einer solchen Verpflichtung. Trifft den kündigenden Gesellschafter eine Mitverantwortlichkeit für den wichtigen Grund, was insbesondere bei einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des Vertrauensverhältnisses denkbar ist, ist das Kündigungsrecht nicht nach dem Rechtsgedanken des § 323 Abs. 6 BGB per se ausgeschlossen. Die (Mit-)Verantwortung der kündigenden Partei ist nur als ein Aspekt im Rahmen der Gesamtabwägung zu berücksichtigen.47 Dies lässt sich schon damit begründen, dass der Rücktritt und die Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund auf unterschiedlichen Wertungsgrundlagen beruhen. Das Recht, sich durch Rücktritt vom Vertrag zu lösen, beruht auf der vertraglichen Verknüpfung der wechselseitigen Leistungspflichten. Der Gläubiger soll sich von seiner Gegenleistungspflicht befreien können, weil er die Leistung nicht erhalten hat, für die er die Gegenleistung versprochen bzw. bereits erbracht hat.48 Beruht das Ausbleiben der Leistung auf einem Umstand, für den er selbst allein oder weit überwiegend verantwortlich ist, erschiene es umgekehrt treuwidrig, wenn er die Gegenleistungspflicht infolgedessen beseitigen könnte. Daher ist ein Ausschluss des Rücktritts in diesem Fall gerechtfertigt. Das Recht zur außerordentlichen Kündigung wurzelt dagegen nicht unmittelbar im vertraglichen Austauschverhältnis, sondern letztlich in dem Selbstbestimmungsrecht des Kündigenden und der dem Vertragsschluss vorgelagerten Frage, in welchem Umfang sich der Kündigende selbst binden kann.49 Dann kann ein Fehler in der Durchführung des vertraglichen Pflichtenprogramms ebenso wenig allein entscheidend sein wie die Verantwortung für diesen Fehler. Im Rahmen der Gesamtabwägung steigert die Mitverantwortlichkeit des Kündigenden indes regelmäßig die Anforderungen an das Verhalten der übrigen Gesellschafter. Zudem darf die kündigende Partei das Kündigungsrecht nicht treuwidrig ausüben, indem sie z.B. den wichtigen Grund zielgerichtet provoziert.50 Eine Änderung zur bisherigen Rechtslage soll mit der Neufassung nicht verbunden sein, so 13 dass auf die bisherigen Auslegungsgrundsätze zurückgegriffen werden kann.51 Zur außerordentlichen Kündigung kann daher im Einzelfall z.B. eine Erkrankung oder das hohe Alter des kündigenden Gesellschafters52 bzw. eine nachhaltige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses der Gesellschafter berechtigen.53 Bei der Abwägung ist zu berücksichtigen, dass die Kündigung nicht mehr zur Auflösung, sondern nur zum Ausscheiden des kündigenden Ge45 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 173; vgl. auch: BGH v. 21.11.2005 – II ZR 367/03, ZIP 2006, 127. 46 BGH v. 22.5.2012 – II ZR 2/11, ZIP 2012, 1500, 1502 f.; BGH v. 21.11.2005 – II ZR 367/03, ZIP 2006, 127, 128 f. Rz. 15; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 723 BGB Rz. 29. 47 RGZ 122, 312, 313; OLG Schleswig v. 28.10.2010 – 5 U 55/09 – juris; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 133 HGB Rz. 22; Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 725 BGB Rz. 36; allgemein: BGH v. 29.11.1965 – VII ZR 202/63, NJW 1966, 347, 348; BGH v. 29.10.1959 – II ZR 27/58 – juris; BGH v. 11.2.1981 – VIII ZR 312/79, NJW 1981, 1264, 1265. Anders etwa: Gaier in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2022, § 314 BGB Rz. 23; Hadding/Kießling in Soergel, § 723 BGB Rz. 42. 48 Mit unterschiedlichen Akzenten: Schwarze in Staudinger, 2020, § 323 BGB Rz. B9; Ernst in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2022, Vor § 323 BGB Rz. 3; Canaris in FS Kropholler, 2008, S. 3, 4 f.; Looschelders in BeckOGK/BGB, Stand: 15.2.2023, § 323 BGB Rz. 11. 49 Oetker, Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung, 1994, S. 268 ff.; anders: BGH v. 10.3.1976 – VIII ZR 268/74, BGHZ 76, 186 („notwendiges Korrelat zur langfristigen Bindung“). 50 Oetker, Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung, 1994, S. 271. 51 Dazu etwa: Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 723 BGB Rz. 17 ff. 52 Habermeier in Staudinger, § 723 BGB Rz. 29; Schulte/Hushahn in MünchHdb. GesR I, § 74 Rz. 44. 53 BGH v. 22.5.2012 – II ZR 2/11, ZIP 2012, 1500; Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 723 BGB Rz. 17. Guntermann | 457
§ 725 BGB Rz. 13 | Rechtsfähige Gesellschaft sellschafters führt.54 Dementsprechend sind die Belastungen der Kündigung für die verbleibenden Gesellschafter, die bei der Abwägung in Rede zu stellen sind, deutlich geringer. Zu berücksichtigen sind aber die infolge des Ausscheidens durch Zugang der Kündigungserklärung entstehenden Ausscheidensfolgen, insbesondere der Abfindungsanspruch des ausscheidenden Gesellschafters (§ 728 Abs. 1 Satz 1 BGB) und die mit dem Ausscheiden einhergehende Veränderung der Gesellschafterstruktur. c) Verhältnis zu sonstigen Vorschriften und Verhältnismäßigkeit 14 Das Vorliegen eines wichtigen Grundes ist nicht nur für die Kündigung aus wichtigem
Grund relevant, sondern auch für die Ausschließung aus wichtigem Grund (§ 727 BGB) und für die Kündigung der Gesellschaft aus wichtigem Grund (§ 731 Abs. 1 BGB). Der wichtige Grund muss in sämtlichen Fällen ähnlich schwer wiegen. Ein Rangverhältnis besteht insoweit nicht.55 Allerdings ist das Vorliegen eines wichtigen Grundes aus verschiedenen Perspektiven zu ermitteln. Im Rahmen von § 725 Abs. 2 BGB geht es darum, ob dem kündigenden Gesellschafter der Verbleib in der Gesellschaft zuzumuten ist. In die gleiche Richtung zielt § 731 Abs. 1 BGB. § 727 BGB fragt dagegen, ob der Verbleib des auszuschließenden Gesellschafters in der Gesellschaft aus Sicht der verbleibenden Gesellschafter zumutbar ist (§ 727 BGB Rz. 5).56 15 Im Rahmen der in sämtlichen Fällen vorzunehmenden Verhältnismäßigkeitsprüfung ste-
hen die an das Vorliegen eines wichtigen Grundes knüpfenden Rechtsfolgen hingegen durchaus in einer Art Stufenverhältnis.57 Die außerordentliche Kündigung der Mitgliedschaft wegen des Vorliegens einer Pflichtverletzung kommt ebenso wie die Ausschließung des pflichtwidrig handelnden Gesellschafters nur in Betracht, wenn nicht bereits die Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht (§ 715 Abs. 5, § 720 Abs. 4 BGB) die Unzumutbarkeit beseitigt.58 Demgegenüber ist die Kündigung der Gesellschaft nach § 731 BGB lediglich ultima ratio, die nur verhältnismäßig ist, wenn weder der Austritt aus der Gesellschaft noch die Ausschließung des auszuschließenden Gesellschafters ausreichen, um die Unzumutbarkeit zu beseitigen (§ 731 BGB Rz. 5).59 d) Keine Kündigungsfrist 16 Die Wahrung einer Kündigungsfrist ist im Falle der außerordentlichen Kündigung nicht er-
forderlich. Obwohl sich Abs. 3 nur auf die Regelbeispiele in Abs. 2 Satz 2 bezieht, ist anzunehmen, dass Abs. 3 auch auf nicht unter Abs. 2 Satz 2 subsumierbare Fälle eines wichtigen Grundes Bezug nimmt. Von Abs. 3 erfasst wird sowohl die gesetzliche Kündigungsfrist gem. Abs. 1 als auch eine etwaige gesellschaftsvertragliche Kündigungsfrist.60 Auch die allgemeine Kündigungserklärungsfrist gem. § 314 Abs. 3 BGB gilt nicht. Allerdings kann ein längeres Zuwarten mit der Kündigungserklärung im Einzelfall gegen das Vorliegen eines 54 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 173. 55 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 140 HGB Rz. 13; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 140 HGB Rz. 4, 15; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 737 BGB Rz. 9. 56 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 174. 57 Vgl. auch: Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 725 BGB Rz. 4; Servatius, GbR, § 725 BGB Rz. 8. 58 OLG Koblenz v. 15.7.2014 – 3 U 1462/12, ZIP 2014, 2086; Nodoushani, DStR 2016, 1932, 1933; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 737 BGB Rz. 9; Westermann in Erman, § 723 BGB Rz. 11; Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 723 BGB Rz. 17. 59 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 179. Vgl. auch: Menkel, NZG 2023, 683, 686; K. Schmidt/ Fleischer in MünchKomm/HGB, § 133 HGB Rz. 13; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 133 HGB Rz. 13; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1696b (84. EL September 2022). 60 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 173.
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Kündigung der Mitgliedschaft durch den Gesellschafter | Rz. 19 § 725 BGB
wichtigen Grundes sprechen61 oder gar zu einer Verwirkung des Kündigungsrechts aus wichtigem Grund führen.62
3. Außerordentliche Kündigung wegen Volljährigkeit (Abs. 4) Abs. 4 übernimmt wortgleich das bislang in § 723 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2, Satz 4, 5 BGB a.F. 17 geregelte außerordentliche Kündigungsrecht bei Eintritt der Volljährigkeit.63 Das Kündigungsrecht wurde erstmals durch das Gesetz zur Beschränkung der Haftung Minderjähriger vom 25.8.199864 eingeführt. Es ist im Zusammenhang mit § 1629a BGB zu lesen. Beide Normen beruhen auf Vorgaben des BVerfG. Danach wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Minderjährigen durch die Möglichkeit der Eltern verletzt, kraft ihrer gesetzlichen Vertretungsmacht (§ 1626 Abs. 1, § 1629 Abs. 1 BGB) unbegrenzt Verbindlichkeiten zu Lasten ihrer Kinder zu begründen.65 § 725 Abs. 4 BGB und § 1629a BGB sollen verhindern, dass der Minderjährige überschuldet in die Volljährigkeit startet.66 Während § 1629a BGB primär die Haftung für Altverbindlichkeiten beschränkt, soll das Kündigungsrecht das Entstehen von Neuverbindlichkeiten ausschließen (Rz. 19).67 Gemäß Abs. 4 Satz 1 entsteht das Kündigungsrecht mit Eintritt der Volljährigkeit. Es be- 18 steht nicht, wenn der Gesellschafter bezüglich des Gegenstands der Gesellschaft zum selbstständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts gem. § 112 BGB ermächtigt war oder der Zweck der Gesellschaft allein der Befriedigung seiner persönlichen Bedürfnisse (z.B. Förderung seiner Ausbildung68) diente. Unter diesen Voraussetzungen greift auch die Haftungsbeschränkung gem. § 1629a Abs. 1 BGB nicht (§ 1629a Abs. 2 BGB). Das Kündigungsrecht kann gem. Abs. 4 Satz 3 nur binnen drei Monaten ab dem Zeitpunkt erklärt werden, in welchem der volljährig Gewordene von seiner Gesellschafterstellung Kenntnis erlangt hat oder haben musste. Obgleich die Entbehrlichkeit einer Kündigungsfrist (Abs. 3) sich nun systematisch nur noch auf die Kündigung aus wichtigem Grund (Abs. 2) zu beziehen scheint, ist anzunehmen, dass die Kündigung gem. Abs. 4 weiterhin fristlos erfolgen kann,69 um den volljährig Gewordenen möglichst umfassend zu schützen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber durch die Umqualifizierung zum eigenständigen Kündigungsgrund das Kündigungsrecht inhaltlich verändern wollte. Die Kündigung gem. Abs. 4 führt dazu, dass der volljährig Gewordene aus der Gesellschaft 19 ausscheidet (§ 723 Abs. 1 Nr. 2 BGB) und er für Neuverbindlichkeiten nicht mehr haftet. Für Altverbindlichkeiten besteht die Haftung zwar gesellschaftsrechtlich fort (§ 728b BGB). Allerdings führt § 1629a Abs. 1 BGB zu einer – auch unabhängig von der Kündigung greifenden – Haftungsbeschränkung. Für die vor dem Eintritt der Volljährigkeit begründeten Verbindlichkeiten aus der Gesellschafterstellung, d.h. die persönliche Haftung für Gesell-
61 BGH v. 11.7.1966 – II ZR 215/64, NJW 1966, 2160; BGH v. 14.6.1999 – II ZR 193/98, ZIP 1999, 1355; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 723 BGB Rz. 48. 62 Westermann in Erman, § 723 BGB Rz. 14; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 723 BGB Rz. 47; Habermeier in Staudinger, § 723 BGB Rz. 38. 63 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 173. 64 BGBl. I 1998, 2487. 65 BVerfG v. 13.5.1986 – 1 BvR 1542/84, BVerfGE 72, 155, 173 = NJW 1986, 1859 = ZIP 1986, 975. 66 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 723 BGB Rz. 39; Glöckner, ZEV 2001, 47 f. 67 Kilian in Henssler/Strohn, § 723 BGB Rz. 15. 68 Westermann in Erman, § 723 BGB Rz. 17; Lübke in BeckOGK/BGB, Stand: 1.4.2023, § 723 BGB Rz. 81. 69 Zu § 723 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 BGB a.F.: Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 723 BGB Rz. 23. Guntermann | 459
§ 725 BGB Rz. 19 | Rechtsfähige Gesellschaft schaftsverbindlichkeiten gem. §§ 721, 721a BGB sowie Sozialverbindlichkeiten, haftet nur sein bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandenes Vermögen.70 20 Darüber hinaus führt die Kündigung zum Ausschluss der doppelten Vermutungswirkung
gem. § 1629a Abs. 4 BGB. Danach wird grundsätzlich vermutet, dass i.) Verbindlichkeiten nach dem Eintritt der Volljährigkeit entstanden sind (§ 1629a Abs. 4 Satz 1 BGB) und ii.) das gegenwärtige Vermögen des volljährig Gewordenen bereits bei Volljährigkeit vorhanden war (§ 1629a Abs. 4 Satz 2 BGB). Der Minderjährige trägt mithin grundsätzlich die Darlegungsund Beweislast dafür, dass i.) es sich bei der geltend gemachten Verbindlichkeit um eine von der Haftungsprivilegierung gem. § 1629a Abs. 1 BGB erfasste Altverbindlichkeit handelt und ii.) sein Vermögen bei Eintritt der Volljährigkeit gegebenenfalls geringer war als bei Geltendmachung der Verbindlichkeit. Kündigt er die Gesellschafterstellung, wobei über den Wortlaut des § 1629a Abs. 4 Satz 1 BGB hinaus jede Kündigung bis zum Ablauf von drei Monaten nach der Kenntnis bzw. dem Kennenmüssen der Gesellschafterstellung genügt,71 wird die Vermutungswirkung gem. § 1629a Abs. 4 BGB beseitigt. Gleichzeitig tritt zugunsten des volljährig Gewordenen eine Beweislastumkehr ein. Die grundsätzliche Darlegungs- und Beweislastumkehr des Haftungsschuldners wird durch § 1629a Abs. 4 BGB zwar nur deklaratorisch bestätigt.72 Gleichwohl ist aus teleologischen Gründen eine Beweislastumkehr geboten. Nach der Kündigung sind mithin die Gläubiger des volljährig Gewordenen darlegungs- und beweisbelastet für das Vorliegen einer Neuverbindlichkeit und den Wert des Vermögens bei Eintritt der Volljährigkeit.73
IV. Kündigungsschranken 1. Kündigung zur Unzeit (Abs. 5) 21 Gemäß Abs. 5 Satz 1 darf die Kündigung nicht zur Unzeit erfolgen, es sei denn, dass ein
wichtiger Grund für die unzeitige Kündigung vorliegt. Das Verbot der Kündigung zur Unzeit stellt einen typischen Fall eines Verstoßes gegen die gesellschafterliche Treuepflicht dar.74 Wie sich aus der systematischen Stellung ergibt, gilt das Verbot für sämtliche Kündigungsgründe gem. Abs. 1, 2, 4.75 Darüber hinaus ist es auf die Kündigung des Gesellschaftererben nach § 724 Abs. 2 BGB zu erstrecken (§ 724 BGB Rz. 19). Ob die Kündigung unzeitig erfolgt, richtet sich danach, ob der gewählte Kündigungszeitpunkt für den Erklärungsgegner, nunmehr die Gesellschaft (!) (Rz. 4), mit Nachteilen verbunden ist, die im Falle der Kündigung zu einem anderen Zeitpunkt nicht eingetreten wären. Nicht unzeitig ist die Kündigung, wenn die entgegenstehenden Interessen auch zu jedem anderen Zeitpunkt vorgelegen hätten.76 Die unzeitige Kündigung ist zudem zulässig, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Das Interesse des kündigenden Gesellschafters an der Kündigung gerade zu diesem Zeitpunkt muss dazu das Interesse der Gesellschaft an der Kündigung zu einem anderen Zeitpunkt überwiegen.77 70 Habersack, FamRZ 1999, 1, 3; Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 723 Rz. 23; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 723 BGB Rz. 42. 71 Lübke in BeckOGK/BGB, Stand: 1.4.2023, § 723 BGB Rz. 80; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 723 BGB Rz. 44. 72 Armend-Traut in BeckOGK/BGB, Stand: 1.6.2023, § 1629a BGB Rz. 70; Habersack, FamRZ 1999, 1, 6. 73 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 723 BGB Rz. 45 Fn. 115; Lübke in BeckOGK/BGB, Stand: 1.4.2023, § 723 BGB Rz. 79. 74 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 173. 75 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 723 BGB Rz. 53. 76 Bergmann in jurisPK/BGB, Stand: 1.2.2023, § 723 BGB Rz. 25. 77 BGH v. 8.7.1976 – II ZR 34/75 Rz. 26, WM 1976, 1030; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 723 BGB Rz. 54.
460 | Guntermann
Kündigung der Mitgliedschaft durch den Gesellschafter | Rz. 23 § 725 BGB
Die unzeitige Kündigung führt nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung.78 Vielmehr ist der 22 kündigende Gesellschafter zum Ersatz des daraus resultierenden Schadens verpflichtet (Abs. 5 Satz 2). Die Schadensersatzpflicht besteht gegenüber der Gesellschaft. Dies ist auch in zweigliedrigen Gesellschaften sachgerecht, da mit dem Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters (§ 723 Abs. 1 Nr. 2, § 725 BGB) der in diesem Fall eine juristische Sekunde vor dem Ausscheiden entstehende Schadensersatzanspruch im Wege der Gesamtrechtsnachfolge (§ 712a Abs. 1 Satz 2 BGB) auf den letzten Gesellschafter übergeht. Zu einem „Umweg“, der durch die Anspruchsentstehung unmittelbar in der Person des letzten Gesellschafters vermieden werden würde, kommt es daher nicht.79 Ersatzfähig ist der sog. Verfrühungsschaden.80 Nicht ersatzfähig sind dagegen Nachteile, die mit dem Ausscheiden als solches verbunden sind. Auch kann im Wege der Naturalrestitution (§ 249 Abs. 1 BGB) nicht die Rücknahme der Kündigung geltend gemacht werden.81 Die Schadensersatzpflicht ist von einem Verschulden des Kündigenden abhängig.82
2. Rechtsmissbrauch und sonstige Treuepflichtverletzung Die Kündigung steht zudem unter dem Vorbehalt des Rechtsmissbrauchs. Bei der Annah- 23 me rechtsmissbräuchlichen Verhaltens ist jedoch Zurückhaltung geboten. Dies folgt schon aus der Eigennützigkeit der Kündigung und der durch Abs. 6 garantierten Kündigungsfreiheit,83 die sich freilich – anders als nach altem Recht – nur noch auf die Möglichkeit der außerordentlichen Kündigung bezieht (Rz. 27). Dies ist auch bei der Frage zu berücksichtigen, ob eine ordentliche Kündigung im Einzelfall rechtsmissbräuchlich und daher unwirksam ist. Ob die Kündigung rechtsmissbräuchlich ist, ist anhand einer Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls zu bewerten.84 Als Fälle einer rechtsmissbräuchlichen Kündigung werden in der Literatur etwa die Kündigung in Schädigungsabsicht85 oder die Kündigung während einer Notlage des Erklärungsgegners,86 d.h. nunmehr der Gesellschaft (Rz. 4), genannt. In der zweigliedrigen Gesellschaft kann es im Einzelfall auch zu berücksichtigen sein, dass die Gesellschaft infolge der Kündigung gemäß § 712a Abs. 1 BGB erlischt, das Gesellschaftsvermögen auf den vorletzten Gesellschafter übergeht und dieser durch den nunmehr ihn persönlich treffenden Abfindungsanspruch (§ 728 BGB Rz. 5, 7) finanziell übermäßig belastet wird.87 Eine Umdeutung in eine Auflösungskündigung dürfte in diesem Fall dagegen schon wegen ihres ultima-ratio-Charakters nicht in Betracht kommen.88 Andernfalls würde auch gerade die Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Rechtsfolgen der Kündigung eintreten, die der Rechtsausschuss durch die Streichung des Erfordernisses einer Übernah-
78 BGH v. 8.7.1976 – II ZR 34/75 Rz. 26, WM 1976, 1030; Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 723 BGB Rz. 29; Habermeier in Staudinger, 2003, § 723 BGB Rz. 37; Westermann in Erman, § 723 BGB Rz. 19; Kilian in Henssler/Strohn, § 723 BGB Rz. 21. 79 So aber: Servatius, GbR, § 725 BGB Rz. 35. 80 Kilian in Henssler/Strohn, § 723 BGB Rz. 21. 81 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 723 BGB Rz. 56; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 132 HGB Rz. 25. 82 Westermann in Erman, § 723 BGB Rz. 20; Lübke in BeckOGK/BGB, Stand: 1.4.2023, § 723 BGB Rz. 90; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 723 BGB Rz. 55. 83 BGH v. 20.12.1956 – II ZR 166/55, BGHZ 23, 10, 16 = NJW 1957, 461; BGH v. 28.2.1977 – II ZR 210/75, WM 1977, 736, 738; Westermann in Erman, § 723 BGB Rz. 19. 84 BGH v. 24.7.2000 – II ZR 320/98, ZIP 2000, 1772, 1773. 85 Hadding/Kießling in Soergel, § 723 BGB Rz. 53; Habermeier in Staudinger, § 723 BGB Rz. 18. 86 Lübke in BeckOGK/BGB, Stand: 1.4.2023, § 723 BGB Rz. 92; Kilian in Henssler/Strohn, § 723 BGB Rz. 22; Hadding/Kießling in Soergel, § 723 BGB Rz. 53. 87 Menkel, NZG 2023, 683, 688. 88 Anders: Menkel, NZG 2023, 683, 688. Guntermann | 461
§ 725 BGB Rz. 23 | Rechtsfähige Gesellschaft meerklärung durch den letzten Gesellschafter (vgl. § 712a Abs. 1 a.E. in der Fassung des RegE) gerade vermeiden wollte.89 24 Die Kündigung kann auch aus sonstigen Gründen treuwidrig sein. Abs. 5 ist insoweit nicht
abschließend. Ob die Kündigung noch treuwidrig oder schon rechtsmissbräuchlich ist, ist anhand der Umstände des Einzelfalles zu beurteilen.90 Maßgebend ist, ob die durch die Kündigung beeinträchtigten Interessen der Gesellschaft schon durch einen Schadensersatzanspruch oder erst durch die Unwirksamkeit der Kündigung hinreichend gewahrt werden.91 25 Die aus sonstigen Gründen treuwidrige Kündigung hat wie die Kündigung zur Unzeit grund-
sätzlich nicht die Unwirksamkeit der Kündigung, sondern lediglich eine Schadensersatzpflicht zur Folge.92 Dafür spricht neben der Wertung von Abs. 5 Satz 2, dass die Kündigung ein eigennütziges Recht darstellt, der Kündigende also den eigenen Interessen durchaus grundsätzlich den Vorrang einräumen darf. Auch erkennt das Gesetz durch Abs. 6 eine Vertragsbeendigungsfreiheit jedenfalls für die außerordentliche Kündigung an.93 Handelt der Gesellschafter rechtsmissbräuchlich, wird man dagegen ausnahmsweise die Unwirksamkeit der Kündigung annehmen können.94
V. Rechtsfolgen der Kündigung 26 Der kündigende Gesellschafter scheidet mit Wirksamwerden der außerordentlichen fristlosen
Kündigung durch Zugang bei der Gesellschaft bzw. im Falle der ordentlichen Kündigung mit Ablauf der Kündigungsfrist aus der Gesellschaft aus, § 723 Abs. 3 BGB (zu den zwischenzeitlichen Rechten und Pflichten des kündigenden Gesellschafters § 723 BGB Rz. 24). Der Abfindungsanspruch gem. § 728 Abs. 1 Satz 1 BGB entsteht erst mit dem Ausscheiden. Die zwischenzeitliche Entziehung von Gesellschaftsvermögen, die gezielt zum Zwecke der Reduzierung des mit Ablauf der Kündigungsfrist entstehenden Abfindungsanspruchs erfolgt, ist treuwidrig und kann einen Schadensersatzanspruch des ausscheidenden Gesellschafters begründen. Erklären sämtliche Gesellschafter zum selben Stichtag die Kündigung der Mitgliedschaft (allseitige Kündigung), wird die Gesellschaft am Stichtag aufgelöst und wandelt sich in eine Liquidationsgesellschaft (§§ 735 ff. BGB).95 Kündigt der vorletzte Gesellschafter, erlischt die Gesellschaft ohne Liquidation und das Gesellschaftsvermögen geht im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den letzten Gesellschafter über (§ 712a Abs. 1 BGB). Die etwaige Unwirksamkeit der Kündigung kann im Wege der Feststellungsklage geltend gemacht werden.96
VI. Abweichende Vereinbarungen 27 Gemäß § 723 Abs. 3 BGB a.F. waren sowohl das außerordentliche als auch das ordentliche
Kündigungsrecht zwingend gewährleistet. Dadurch sollte der Gesellschafter vor einer zeitlich
89 Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 19/31105, 7. 90 BGH v. 14.11.1953 – II ZR 232/52, NJW 1954, 106. 91 Hadding/Kießling in Soergel, § 723 BGB Rz. 53; Lübke in BeckOGK/BGB, Stand: 1.4.2023, § 723 BGB Rz. 93. 92 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 132 HGB Rz. 21 f.; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 132 HGB Rz. 20 f. 93 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 132 HGB Rz. 21 f. 94 Michel in BeckOGK/HGB, Stand: 1.6.2022, § 132 HGB Rz. 33; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn, § 132 HGB Rz. 17; Kamanabrou in Oetker, § 132 HGB Rz. 13. 95 Menkel, NZG 2023, 683, 689. 96 Servatius, GbR, § 725 BGB Rz. 39.
462 | Guntermann
Kündigung der Mitgliedschaft durch den Gesellschafter | Rz. 29 § 725 BGB
unbegrenzten Einschränkung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Kapazitäten97 bzw. vor einer fortdauernden Bindung an einen unzumutbar gewordenen Vertrag geschützt werden. § 725 Abs. 6 BGB beschränkt die zwingende Geltung nun auf das Recht zur außerordentlichen Kündigung gem. Abs. 2 und Abs. 4. Abs. 1, Halbs. 2 stellt dies für die Kündigungsfrist bei der ordentlichen Kündigung noch einmal klar (Rz. 30).
1. Ordentliches Kündigungsrecht Das Interesse des Gesellschafters, sich auch ohne außerordentlichen Kündigungsgrund von 28 dem Gesellschaftsvertrag lösen zu können, wird dementsprechend nicht mehr als unbedingt schutzwürdig erachtet. Gesellschaftsvertragliche Regelungen, die das Recht zur ordentlichen Kündigung einschränken oder ausschließen, sind nur noch an § 138 Abs. 1 BGB zu messen. Im Rahmen der Sittenwidrigkeitsprüfung ist die Wertung des § 725 Abs. 6 BGB zu berücksichtigen.98 Die Annahme der Sittenwidrigkeit wird daher nur in krassen Ausnahmefällen in Betracht kommen.99 Dies erscheint auch insoweit sachgerecht, als der kündigungswillige Gesellschafter an der Einschränkung des Kündigungsrechts durch gesellschaftsvertragliche Regelung mitgewirkt hat bzw. jedenfalls unter Inkaufnahme dieser Regelung der Gesellschaft beigetreten ist.100 Der Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts ist nunmehr unabhängig davon wirk- 29 sam, ob es durch alternative Ausstiegsmöglichkeiten (z.B. Andienungsrecht, Umwandlungsklausel, Optionsklausel)101 kompensiert wird.102 Gleiches muss grundsätzlich für überlange Befristungen der Gesellschaft gelten, die das ordentliche Kündigungsrecht de facto ausschließen. In Anbetracht des Wechsels des gesetzlichen Leitbilds von der Gelegenheits- zur Dauergesellschaft und der daraus resultierenden Streichung sowohl des § 723 Abs. 3 BGB a.F. als auch des § 724 BGB a.F lässt sich schwerlich daran festhalten, dass eine überlange Befristung in jedem Fall gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist.103 Dies gilt umso mehr, als der Gesellschafter mit Blick auf das unantastbare Recht zur außerordentlichen Kündigung eine Loslösungsmöglichkeit im Falle der Unzumutbarkeit behält. Auf die nach bisheriger Rechtslage regelmäßig im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung vorgenommene Reduzierung einer übermäßig langen Bindung auf das gerade noch zulässige Maß104 kommt es daher künftig nicht mehr an. Auch sonstige Beschränkungen des Rechts zur ordentlichen Kündigung durch die Begründung weiterer Voraussetzungen (z.B. längere Kündigungsfristen, Erfordernis eines Kündigungsgrundes), durch eine gesellschaftsvertragliche Unterlassungspflicht oder durch tatsächliche Kündigungshindernisse sind nunmehr grundsätzlich zuläs-
97 BGH v. 18.9.2006 – II ZR 137/04, ZIP 2006, 2316, 2317 Rz. 10; BGH v. 11.7.1968 – II ZR 179/66, BGHZ 50, 316, 322 = NJW 1968, 2003, 2004. 98 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 174; anders (Berücksichtigung der Wertung von § 725 Abs. 1 BGB): Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 725 BGB Rz. 65. 99 Ähnlich: Lübke in BeckOGK/BGB, Stand: 1.4.2023, § 723 BGB Rz. 95.2 f.; Servatius, GbR, § 725 BGB Rz. 43; anders die Einschätzung von: Hoffmann in FS Heidel, 2021, S. 79, 90. 100 Dazu auch: Servatius, GbR, § 725 BGB Rz. 26. 101 Dazu vor dem MoPeG: K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 132 HGB Rz. 31. 102 Anders offenbar: Hoffmann in FS Heidel, 2021, S. 79, 90; wie hier tendenziell: Lübke in BeckOGK/BGB, Stand: 1.4.2023, § 723 BGB Rz. 95.3; ebenfalls auf Erleichterungen für die Kautelarpraxis hinweisend: Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 173. 103 Ebenso: Servatius, GbR, § 725 BGB Rz. 2, 27, der allerdings zu dem Ergebnis gelangt, dass in Gesellschaften, die auf Lebenszeit eines Gesellschafters eingegangen werden, durchaus ein ordentliches Kündigungsrecht bestehe (Rz. 23). Anders: Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 725 BGB Rz. 65 ff. 104 Dazu etwa: BGH v. 22.5.2012 – II ZR 205/10, ZIP 2012, 1599, 1602. Guntermann | 463
§ 725 BGB Rz. 29 | Rechtsfähige Gesellschaft sig.105 Ob etwas anderes gilt, wenn abweichend von §§ 714, 715 Abs. 3, § 720 Abs. 1 BGB das Mehrheitsprinzip gilt, der kündigungswillige Gesellschafter sich also gegebenenfalls Gesellschaftsverbindlichkeiten ausgesetzt sieht, die seine Mitgesellschafter ohne seine Zustimmung begründen,106 ist zweifelhaft.107 Immerhin hat der Gesellschafter sich dieser Gefahr bei der Gründung bzw. seinem Beitritt oder einer dahingehenden nachträglichen Änderung des Gesellschaftsvertrags bewusst ausgesetzt. Für den Fall der Unzumutbarkeit einer fortdauernden Bindung in Anbetracht erheblicher Gesellschaftsverbindlichkeiten wird er im Einzelfall hinreichend durch das Recht zur außerordentlichen Kündigung geschützt. Auch die Folgen der ordentlichen Kündigung sind grundsätzlich frei gestaltbar, selbst wenn sie derart ungünstig sind, dass sie einen Gesellschafter von der Ausübung des ordentlichen Kündigungsrechts abhalten (z.B. Vertragsstrafenregelungen) (zu Abfindungsklauseln § 728 BGB Rz. 34).108 30 Auch die Modalitäten der Kündigung sind disponibel. Insbesondere kann die Kündigungs-
frist ausdrücklich oder konkludent abbedungen werden, wie sich aus Abs. 1, Halbs. 2 ergibt.109 Die Gesetzesbegründung verweist darauf, dass insbesondere bei Gelegenheitsgesellschaften ohne schriftlichen Gesellschaftsvertrag gegebenenfalls aus dem Gesellschaftszweck auf die Zulässigkeit einer fristlosen Kündigung geschlossen werden könne (vgl. Abs. 1, Halbs. 2 a.E., Rz. 9).
2. Außerordentliches Kündigungsrecht 31 Das außerordentliche Kündigungsrecht gem. Abs. 2 und Abs. 4 kann hingegen weder aus-
geschlossen noch beschränkt werden. Obgleich Abs. 6 – anders als § 723 Abs. 3 BGB a.F. („eine Vereinbarung“) – nach seinem Wortlaut nun nur noch Vereinbarungen im Gesellschaftsvertrag zu erfassen scheint, spricht wegen der beschränkenden Wirkung außergesellschaftsvertraglicher Vereinbarungen (z.B. Verfügung von Todes wegen unter der Auflage, die außerordentliche Kündigung zu unterlassen110) und in Anbetracht der fehlenden Begründung für diese Einschränkung mehr dafür, von der Planwidrigkeit der dahingehenden Regelungslücke auszugehen. Abs. 6 ist daher auf sämtliche das außerordentliche Kündigungsrecht ausschließende oder beschränkende Rechtsgeschäfte (analog) anzuwenden.111
32 Das außerordentliche Kündigungsrecht wird u.a. durch Kündigungsfristen oder Termine
unzulässig beschränkt.112 Dass Abs. 6 nicht auf Abs. 3 verweist, der die Wahrung einer Kündigungsfrist für entbehrlich erklärt, steht dem schon mit Blick auf den Wortlaut des Abs. 3 („stets“) nicht entgegen.113 Ebenfalls unzulässig ist die Eingrenzung der möglichen Kündigungsgründe.114 Zulässig ist es dagegen, dass die Gesellschafter sich darauf verständigen, 105 Lübke in BeckOGK/BGB, Stand: 1.4.2023, § 723 BGB Rz. 101.1; Rz. 108.1; Servatius, GbR, § 725 BGB Rz. 45; anders: Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 725 BGB Rz. 72. 106 So: Lübke in BeckOGK/BGB, Stand: 1.4.2023, § 723 BGB Rz. 95.3. 107 Ebenso: Servatius, GbR, § 725 BGB Rz. 43. 108 Lübke in BeckOGK/BGB, Stand: 1.4.2023, § 723 BGB Rz. 111.1; grundsätzlich anders (Ausnahme: zeitweilig zu verwirkende Vertragsstrafen zulässig): Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 725 BGB Rz. 74. 109 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 172 f. 110 Budzikiewicz, AcP 209 (2009), 354, 390 f.; Lübke in BeckOGK/BGB, Stand: 1.4.2023, § 723 BGB Rz. 98. 111 Lübke in BeckOGK/BGB, Stand: 1.4.2023, § 723 BGB Rz. 98.1; Servatius, GbR, § 725 BGB Rz. 65. 112 Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 723 BGB Rz. 36; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 723 BGB Rz. 74; Habermeier in Staudinger, § 723 BGB Rz. 42; a.A. Hadding/Kießling in Soergel, § 723 BGB Rz. 60. 113 Im Ergebnis auch: Servatius, GbR, § 725 BGB Rz. 66. 114 BGH v. 13.6.1994 – II ZR 259/92, ZIP 1994, 1180, 1182; zur Rechtslage nach dem MoPeG auch: Lübke in BeckOGK/BGB, Stand: 1.4.2023, § 723 BGB Rz. 108.1.
464 | Guntermann
Kündigung der Mitgliedschaft durch einen Privatgläubiger | § 726 BGB
dass bestimmte Umstände regelmäßig keinen wichtigen Grund zur Kündigung darstellen sollen.115 Formvorgaben sind ebenso zulässig116 wie Begründungspflichten.117 Hinsichtlich der Ausgestaltung der Kündigungsfolgen ist zu differenzieren. Unzulässig ist etwa die Vereinbarung einer Vertragsstrafe oder sonstiger Zahlungspflichten für den Fall der Kündigung (zu Abfindungsklauseln § 728 BGB Rz. 33).118 Zulässig ist es dagegen, wenn das Kündigungsrecht durch das Recht, den Gesellschaftsanteil zu übertragen, ersetzt wird, sofern dadurch eine Loslösung garantiert wird (z.B. durch ein zusätzliches Andienungsrecht gegenüber den Mitgesellschaftern zu abfindungsähnlichen Bedingungen).119 Auch eine Andienungspflicht gegenüber den Mitgesellschaftern vor dem Ausscheiden ist mit Abs. 6 vereinbar, sofern der ausscheidungswillige Gesellschafter dadurch nicht schlechter gestellt wird.120 Ebenso zulässig ist eine Vereinbarung, wonach die Kündigung zur Auflösung der Gesellschaft statt zum Ausscheiden des kündigenden Gesellschafters führen soll. Dies folgt schon aus § 723 Abs. 1 BGB. Regelungen, die gegen Abs. 6 verstoßen, sind nichtig (zu nachträglichen mittelbaren Kündi- 33 gungsbeschränkungen s. § 728 BGB Rz. 33).121 An ihre Stelle treten die gesetzlichen Bestimmungen.122 Im Übrigen bleibt der Gesellschaftsvertrag wirksam, § 139 BGB gilt grundsätzlich nicht.123 Einer ergänzenden Auslegung von Klauseln über die Dauer der Gesellschaft auf das gerade noch zulässige Maß124 bedarf es nach dem MoPeG grundsätzlich nicht mehr, da Abs. 6 solchen Regelungen nicht mehr entgegensteht (Rz. 29).
§ 726 BGB Kündigung der Mitgliedschaft durch einen Privatgläubiger des Gesellschafters Hat ein Privatgläubiger eines Gesellschafters, nachdem innerhalb der letzten sechs Monate eine Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen des Gesellschafters ohne Erfolg versucht wurde, aufgrund eines nicht bloß vorläufig vollstreckbaren Schuldtitels die Pfändung des Anteils des Gesellschafters an der Gesellschaft erwirkt, kann er dessen Mitgliedschaft gegenüber der Gesellschaft unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten zum Ablauf des Kalenderjahrs kündigen. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436).
115 Habermeier in Staudinger, § 723 BGB Rz. 43; Westermann in Erman, § 723 BGB Rz. 24. 116 Servatius, GbR, § 725 BGB Rz. 66; anders: Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 725 BGB Rz. 75. 117 Lübke in BeckOGK/BGB, Stand: 1.4.2023, § 723 BGB Rz. 107; unklar: Servatius, GbR, § 725 BGB Rz. 66. 118 RGZ 61, 328, 329 f.; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 723 BGB Rz. 73; Habermeier in Staudinger, § 723 BGB Rz. 21. 119 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 723 BGB Rz. 70; Habermeier in Staudinger, § 723 BGB Rz. 23; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 132 HGB Rz. 31. 120 BGH v. 13.6.1994 – II ZR 38/93, BGHZ 126, 226 = ZIP 1994, 1173 = GmbHR 1994, 871; Lübke in BeckOGK/BGB, Stand: 1.4.2023, § 723 BGB Rz. 112. 121 Lübke in BeckOGK/BGB, Stand: 1.4.2023, § 723 BGB Rz. 99.1. 122 Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 723 BGB Rz. 32; Hadding/Kießling in Soergel, § 723 BGB Rz. 55; Habermeier in Staudinger, § 723 BGB Rz. 41. 123 Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 723 BGB Rz. 32; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 723 BGB Rz. 63. 124 Vgl. etwa: BGH v. 22.5.2012 – II ZR 205/10, ZIP 2012, 1599, 1602. Guntermann | 465
Kündigung der Mitgliedschaft durch einen Privatgläubiger | § 726 BGB
dass bestimmte Umstände regelmäßig keinen wichtigen Grund zur Kündigung darstellen sollen.115 Formvorgaben sind ebenso zulässig116 wie Begründungspflichten.117 Hinsichtlich der Ausgestaltung der Kündigungsfolgen ist zu differenzieren. Unzulässig ist etwa die Vereinbarung einer Vertragsstrafe oder sonstiger Zahlungspflichten für den Fall der Kündigung (zu Abfindungsklauseln § 728 BGB Rz. 33).118 Zulässig ist es dagegen, wenn das Kündigungsrecht durch das Recht, den Gesellschaftsanteil zu übertragen, ersetzt wird, sofern dadurch eine Loslösung garantiert wird (z.B. durch ein zusätzliches Andienungsrecht gegenüber den Mitgesellschaftern zu abfindungsähnlichen Bedingungen).119 Auch eine Andienungspflicht gegenüber den Mitgesellschaftern vor dem Ausscheiden ist mit Abs. 6 vereinbar, sofern der ausscheidungswillige Gesellschafter dadurch nicht schlechter gestellt wird.120 Ebenso zulässig ist eine Vereinbarung, wonach die Kündigung zur Auflösung der Gesellschaft statt zum Ausscheiden des kündigenden Gesellschafters führen soll. Dies folgt schon aus § 723 Abs. 1 BGB. Regelungen, die gegen Abs. 6 verstoßen, sind nichtig (zu nachträglichen mittelbaren Kündi- 33 gungsbeschränkungen s. § 728 BGB Rz. 33).121 An ihre Stelle treten die gesetzlichen Bestimmungen.122 Im Übrigen bleibt der Gesellschaftsvertrag wirksam, § 139 BGB gilt grundsätzlich nicht.123 Einer ergänzenden Auslegung von Klauseln über die Dauer der Gesellschaft auf das gerade noch zulässige Maß124 bedarf es nach dem MoPeG grundsätzlich nicht mehr, da Abs. 6 solchen Regelungen nicht mehr entgegensteht (Rz. 29).
§ 726 BGB Kündigung der Mitgliedschaft durch einen Privatgläubiger des Gesellschafters Hat ein Privatgläubiger eines Gesellschafters, nachdem innerhalb der letzten sechs Monate eine Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen des Gesellschafters ohne Erfolg versucht wurde, aufgrund eines nicht bloß vorläufig vollstreckbaren Schuldtitels die Pfändung des Anteils des Gesellschafters an der Gesellschaft erwirkt, kann er dessen Mitgliedschaft gegenüber der Gesellschaft unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten zum Ablauf des Kalenderjahrs kündigen. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436).
115 Habermeier in Staudinger, § 723 BGB Rz. 43; Westermann in Erman, § 723 BGB Rz. 24. 116 Servatius, GbR, § 725 BGB Rz. 66; anders: Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 725 BGB Rz. 75. 117 Lübke in BeckOGK/BGB, Stand: 1.4.2023, § 723 BGB Rz. 107; unklar: Servatius, GbR, § 725 BGB Rz. 66. 118 RGZ 61, 328, 329 f.; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 723 BGB Rz. 73; Habermeier in Staudinger, § 723 BGB Rz. 21. 119 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 723 BGB Rz. 70; Habermeier in Staudinger, § 723 BGB Rz. 23; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 132 HGB Rz. 31. 120 BGH v. 13.6.1994 – II ZR 38/93, BGHZ 126, 226 = ZIP 1994, 1173 = GmbHR 1994, 871; Lübke in BeckOGK/BGB, Stand: 1.4.2023, § 723 BGB Rz. 112. 121 Lübke in BeckOGK/BGB, Stand: 1.4.2023, § 723 BGB Rz. 99.1. 122 Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 723 BGB Rz. 32; Hadding/Kießling in Soergel, § 723 BGB Rz. 55; Habermeier in Staudinger, § 723 BGB Rz. 41. 123 Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 723 BGB Rz. 32; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 723 BGB Rz. 63. 124 Vgl. etwa: BGH v. 22.5.2012 – II ZR 205/10, ZIP 2012, 1599, 1602. Guntermann | 465
§ 726 BGB Rz. 1 | Rechtsfähige Gesellschaft I. II. 1. 2.
Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kündigungsrecht Stellung als Privatgläubiger . . . . . . . . . . . Wirksame Pfändung des Gesellschaftsanteils a) Erwirken der Pfändung . . . . . . . . . . . .
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b) Grundlage: nicht bloß vorläufig vollstreckbarer Schuldtitel . . . . . . . . . . 3. Erfolgloser Versuch der Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen des Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kündigungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . IV. Wegfall des Kündigungsgrundes . . . . . .
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Schrifttum: Koch, Vollstreckung durch Privatgläubiger eines Gesellschafters – Gesellschaftsvertraglicher Gestaltungsbedarf, DZWIR 2010, 441; H. Roth, Pfändung und Verpfändung von Gesellschaftsanteilen, ZGR 2000, 187; Ulmer/Schäfer, Die Zugriffsmöglichkeiten der Nachlaß- und Privatgläubiger auf den durch Sondervererbung übergegangenen Anteil an einer Personengesellschaft, ZHR 160 (1996), 413; Werner, Die Verwertung gepfändeter Anteile an einer GmbH & Co. KG, GmbHR 2018, 1297; Wertenbruch, Die Haftung von Gesellschaften und Gesellschaftsanteilen in der Zwangsvollstreckung, 2000; Wössner, Die Pfändung des Gesellschaftsanteils bei den Personengesellschaften, Habil. Bonn 2000; Zimmer, Zwangsvollstreckung gegen den Gesellschafter einer Personengesellschaft, Diss. Bochum 1978.
I. Allgemeines 1 § 726 BGB begründet das Recht der Privatgläubiger eines Gesellschafters, dessen Mitglied-
schaft gegenüber der Gesellschaft zu kündigen. Die Kündigung führt zum Ausscheiden des Gesellschafters (§ 723 Abs. 1 Nr. 4 BGB), soweit nicht im Gesellschaftsvertrag als Rechtsfolge die Auflösung der Gesellschaft vorgesehen ist (§ 723 BGB Rz. 22). Dadurch erhalten die Privatgläubiger eines Gesellschafters eine indirekte Zugriffsmöglichkeit auf sein in der Mitgliedschaft gebundenes Vermögen, insbesondere seinen durch das Ausscheiden entstehenden Abfindungsanspruch (§ 728 Abs. 1 Satz 1 BGB)1 bzw. seinen Anspruch auf den Liquidationserlös (§ 736d Abs. 6 BGB). Vorbehaltlich der Rechtsfolge der Kündigung (Auflösung statt Ausscheiden) ist die Regelung grundsätzlich nicht dispositiv (§ 723 BGB Rz. 22).2 Erleichterungen des Kündigungsrechts können jedoch vorgesehen werden.3 2 Die Norm übernimmt § 725 BGB a.F. unter inhaltlicher Anpassung an § 135 HGB a.F.4 Ne-
ben die bislang geltenden Voraussetzungen tritt das Erfordernis, dass innerhalb der letzten sechs Monate erfolglos eine Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen des Gesellschafters versucht worden ist (Rz. 11 f.). Dadurch soll die Gesellschaft vor der Belastung durch eine Abfindungszahlung geschützt werden, wenn der Privatgläubiger sich auch anderweitig durch Vollstreckung in das bewegliche Vermögen eines Gesellschafters befriedigen kann.5 Außerdem kann die Kündigung durch den Privatgläubiger nur fristgebunden erfolgen (Rz. 14), um den verbleibenden Gesellschaftern eine rechtzeitige Anpassung an die bevorstehende Änderung der Gesellschafterstruktur zu ermöglichen.6 Dies ist Ausdruck des auch § 725 Abs. 1 BGB zugrunde liegenden Wandels des gesetzlichen Leitbildes von der Gelegenheits- zur Dauergesellschaft (§ 723 BGB Rz. 2, § 725 BGB Rz. 8).7 Die Kündigung führt – vorbehaltlich
1 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 174. 2 Michel in BeckOGK/HGB, Stand: 1.6.2022, § 135 HGB Rz. 34; Klöhn in Henssler/Strohn, § 135 HGB Rz. 28. 3 Kamanabrou in Oetker, § 135 HGB Rz. 14; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 135 HGB Rz. 17; Servatius, GbR, § 726 BGB Rz. 34. 4 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 174. 5 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 174; zu § 135 HGB a.F. schon: Michel in BeckOGK/HGB, Stand: 1.6.2022, § 135 HGB Rz. 4. 6 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 174. 7 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 107.
466 | Guntermann
Kündigung der Mitgliedschaft durch einen Privatgläubiger | Rz. 6 § 726 BGB
einer abweichenden gesellschaftsvertraglichen Regelung – nicht mehr zur Auflösung der Gesellschaft, sondern zum Ausscheiden des Gesellschafters, § 723 Abs. 1 Nr. 4 BGB. § 725 Abs. 2 BGB a.F., wonach der Gläubiger die sich aus dem Gesellschaftsverhältnis er- 3 gebenden Rechte des Gesellschafters, mit Ausnahme des Anspruchs auf einen Gewinnanteil, nicht geltend machen konnte, wurde ersatzlos gestrichen. Inhaltlich bleibt es jedoch dabei. Dass dem Gläubiger trotz der Pfändung kein Recht zur Geltendmachung der Verwaltungsrechte des Gesellschafters zusteht (Rz. 8), folgt bereits aus der Unübertragbarkeit dieser Rechte, § 711a Satz 1 BGB.8 Der Gewinnanspruch unterliegt hingegen der Beschlagnahme (Rz. 7, 9). Auch ist der Gläubiger berechtigt, sonstige mit dem Anteil verbundene und ohne Kündigung fällige Geldforderungen einzuziehen. § 726 BGB gilt nur in der rechtsfähigen Gesellschaft. Dort ist sie auch noch nach der Auf- 4 lösung zulässig, um dem Gläubiger das Risiko zu nehmen, dass die Gesellschafter die Fortsetzung der Gesellschaft beschließen und dadurch die Entstehung des Anspruchs auf das Auseinandersetzungsguthaben vereiteln.9 In der nicht rechtsfähigen Gesellschaft führt die Kündigung durch den Privatgläubiger eines Gesellschafters zur Auflösung der Gesellschaft, § 740a Abs. 1 Nr. 6 BGB. Für die Personenhandelsgesellschaften enthält § 133 HGB eine § 726 BGB im Wesentlichen entsprechende Regelung (zu den Unterschieden § 133 HGB Rz. 3).
II. Kündigungsrecht 1. Stellung als Privatgläubiger Das Kündigungsrecht steht jedem Privatgläubiger eines Gesellschafters zu. Sein Anspruch 5 muss mithin auf einer individuellen Rechtsbeziehung zum Gesellschafter beruhen. Es genügt nicht, wenn der Gesellschafter gem. §§ 721, 721a BGB für eine Gesellschaftsverbindlichkeit haftet.10 Das Kündigungsrecht steht auch Inhabern vertraglicher Pfandrechte an einem Gesellschaftsanteil zu, wenn der Pfandgläubiger gem. § 1277 BGB durch Zwangsvollstreckung in den Anteil Befriedigung sucht.11 Ferner ist das Kündigungsrecht analog § 726 BGB dem Testamentsvollstrecker12 sowie dem Nachlass(insolvenz-)verwalter zuzubilligen (§ 723 BGB Rz. 17),13 damit sie den Wert der Mitgliedschaft liquidieren können. Titel und Pfändung sind in diesem Fall nicht erforderlich.14
2. Wirksame Pfändung des Gesellschaftsanteils a) Erwirken der Pfändung Der Privatgläubiger muss die Pfändung eines Gesellschaftsanteils erwirkt haben. Insoweit 6 ergibt sich keine Änderung zur bisherigen Rechtslage. § 725 Abs. 1 BGB a.F. stellte zwar auf 8 Westermann in Erman, § 725 BGB Rz. 3. 9 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 135 HGB Rz. 2; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 135 HGB Rz. 4. 10 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 174; Bergmann in Schäfer, Neues PersGesR, § 7 Rz. 53. 11 Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 725 BGB Rz. 8; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 725 BGB Rz. 3. 12 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 725 BGB Rz. 4; Schulte/Hushahn in MünchHdb GesR I, § 10 Rz. 49. 13 BGH v. 30.4.1984 – II ZR 293/83, BGHZ 91, 132, 137 = ZIP 1984, 952, 953; Habermeier in Staudinger, § 725 BGB Rz. 6; Hadding/Kießling in Soergel, § 727 BGB Rz. 60 f.; Schäfer in MünchKomm/ BGB, § 725 BGB Rz. 4. 14 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 725 BGB Rz. 5. Guntermann | 467
§ 726 BGB Rz. 6 | Rechtsfähige Gesellschaft die Pfändung des „Anteils des Gesellschafters an dem Gesellschaftsvermögen“ ab, wurde aber seit der Anerkennung der (Teil-)Rechtsfähigkeit der GbR ebenfalls dahingehend gelesen, dass es einer Pfändung der Mitgliedschaft bedurfte.15 7 Die Anteilspfändung erfolgt nach §§ 857, 829 ZPO.16 Drittschuldner i.S.v. § 829 Abs. 2 Satz 1
ZPO ist die Gesellschaft.17 Daher genügt die Zustellung des Pfändungsbeschlusses an einen der vertretungsbefugten Gesellschafter, § 720 Abs. 5 BGB, und den Gesellschafter-Schuldner, § 829 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Die Pfändung führt zur Verstrickung der aus der Mitgliedschaft folgenden Vermögensrechte.18 Die Verwertung der gepfändeten vermögensrechtlichen Ansprüche durch Einziehung setzt zusätzlich deren Überweisung voraus, § 857 Abs. 1, § 835 Abs. 1 ZPO.19 Zur Entstehung des Kündigungsrechts ist die Überweisung indes nicht erforderlich.20 8 Anders als die Vermögensrechte verbleiben die Verwaltungsrechte wegen § 711a Satz 1 BGB
(i.V.m. § 851 Abs. 1 ZPO) bei dem Gesellschafter (Rz. 3).21 Er kann sie weiterhin ausüben, sofern sie nicht das Pfandrecht des Gläubigers beeinträchtigen.22 Es greift zudem ein Verbot von Verfügungen, die das Pfandrecht beeinträchtigen würden (§ 829 Abs. 1 Satz 2 ZPO i.V.m. §§ 136, 135 Abs. 1 BGB).23 Darunter fällt nicht die Verfügung über den Gesellschaftsanteil als solchen, da sie das Pfandrecht unberührt lässt.24 9 Von der Anteilspfändung zu trennen ist die Pfändung einzelner aus der Gesellschafterstel-
lung resultierender Vermögensrechte gem. §§ 829, 851 ZPO i.V.m. § 711a Satz 2 BGB. Die Pfändung ist unabhängig davon zulässig, ob die Vermögensrechte nach dem Gesellschaftsvertrag einem Abtretungsverbot unterliegen (§ 851 Abs. 2 ZPO). Selbst der Abfindungsanspruch gem. § 728 Abs. 1 Satz 1 BGB ist als künftige Forderung bereits vor dem Ausscheiden pfändbar (§ 728 BGB Rz. 8). Ein Pfändungspfandrecht an dem Abfindungsanspruch und die damit einhergehende Befriedigungsmöglichkeit entstehen hingegen erst mit dem Ausscheiden des Gesellschafters,25 z.B. aufgrund einer Kündigung gem. § 726 BGB. Die Pfändung einzelner Vermögensrechte genügt indes nicht, um das Kündigungsrecht gem. § 726 BGB zu begründen.26 Dies wird durch die Neufassung von § 726 BGB („Pfändung des 15 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 725 BGB Rz. 8, 10; Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 725 BGB Rz. 3. 16 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 203. Vgl. auch: BGH v. 21.4.1986 – II ZR 198/85, BGHZ 97, 392, 395 = ZIP 1986, 776, 777; Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 725 BGB Rz. 4; Smid in MünchKomm/ZPO, § 859 ZPO Rz. 3. 17 BGH v. 21.4.1986 – II ZR 198/85, BGHZ 97, 392, 393 ff. = ZIP 1986, 776, 777; Westermann in Erman, § 725 BGB Rz. 2; Hadding/Kießling in Soergel, § 725 BGB Rz. 10; Schäfer in MünchKomm/ BGB, § 725 BGB Rz. 12. 18 BGH v. 15.9.2016 – V ZB 183/14, ZIP 2016, 2085, 2086; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 725 BGB Rz. 11; Westermann in Erman, § 725 BGB Rz. 3. 19 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 725 BGB Rz. 13. 20 Habermeier in Staudinger, § 725 BGB Rz. 11; Westermann in Erman, § 725 BGB Rz. 2; Servatius, GbR, § 726 BGB Rz. 20. 21 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 725 BGB Rz. 11; Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 725 BGB Rz. 3, 9; Servatius, GbR, § 726 BGB Rz. 25. 22 Westermann in Erman, § 725 BGB Rz. 7; Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 725 BGB Rz. 9; Habermeier in Staudinger, § 725 BGB Rz. 18. 23 von Proff zu Irnich in BeckOGK/BGB, Stand: 1.6.2023, § 725 BGB Rz. 29; Schäfer in MünchKomm/ BGB, § 725 BGB Rz. 27. 24 von Proff zu Irnich in BeckOGK/BGB, Stand: 1.6.2023, § 725 BGB Rz. 32; Schäfer in MünchKomm/ BGB, § 725 BGB Rz. 27; Servatius, GbR, § 726 BGB Rz. 25. 25 BGH v. 19.9.2016 – V ZB 183/14 Rz. 17 – juris; BGH v. 17.9.2009 – IX ZR 106/08, BGHZ 182, 264 = ZIP 2010, 38, 39. 26 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 725 BGB Rz. 6; von Proff zu Irnich in BeckOGK/BGB, Stand: 1.6.2023, § 725 BGB Rz. 20.
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Kündigung der Mitgliedschaft durch einen Privatgläubiger | Rz. 11 § 726 BGB
Anteils […] an der Gesellschaft“ statt „Pfändung des Anteils […] an dem Gesellschaftsvermögen“) klargestellt.27 b) Grundlage: nicht bloß vorläufig vollstreckbarer Schuldtitel Die Pfändung muss aufgrund eines nicht bloß vorläufig vollstreckbaren Schuldtitels erfolgt 10 sein. Während der Mauracher Entwurf noch auf „rechtskräftige Schuldtitel“ abstellte, stellt die Gesetzesfassung nun klar, dass sämtliche Titel genügen, die mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr angreifbar sind. Dies erfasst z.B. auch notarielle Unterwerfungserklärungen (§ 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO), die nicht in Rechtskraft erwachsen können.28 Dass der Schuldtitel im Zeitpunkt der Pfändung bloß vorläufig vollstreckbar war, steht dem Kündigungsrecht nicht entgegen. Auch auf die Reihenfolge, in der die einzelnen Merkmale erfüllt werden, kommt es entgegen dem Wortlaut nicht an. Maßgebend ist allein, dass bei Zugang der Kündigungserklärung sämtliche Merkmale erfüllt sind. Dies war zu § 135 HGB anerkannt29 und ist auch nach dem MoPeG anzunehmen. Zwar hat der Gesetzgeber des MoPeG die Möglichkeit zur Klarstellung ungenutzt gelassen. Schon mit Blick auf die Gesetzesbegründung zu § 133 HGB („entspricht inhaltlich dem geltenden § 135 HGB“)30 ist jedoch anzunehmen, dass er die Klarstellung schlicht für nicht erforderlich hielt.
3. Erfolgloser Versuch der Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen des Gesellschafters Darüber hinaus muss innerhalb der letzten sechs Monate eine Zwangsvollstreckung wegen 11 einer Geldforderung in das bewegliche Vermögen des Gesellschafters (§§ 803 ff. ZPO) ohne Erfolg versucht worden sein. Es muss sich um einen ernsthaften Vollstreckungsversuch gehandelt haben,31 der nicht zur vollständigen Befriedigung geführt hat.32 Ein einziger Vollstreckungsversuch genügt,33 wobei es gleichgültig ist, ob der Kündigende selbst den Versuch unternommen hat oder ein Dritter.34 Der Fehlschlag der Befriedigung im Wege der Zwangsvollstreckung muss darauf beruhen, dass nicht genügend pfändbares bewegliches Vermögen vorhanden war.35 Nicht erforderlich ist, dass der Vollstreckungsversuch vor dem Erwirken der Anteilspfändung oder der Erlangung des zugrunde liegenden Schuldtitels erfolgt ist (Rz. 10). Ebenso wenig muss der Vollstreckungstitel, auf dessen Grundlage der Versuch der Zwangsvollstreckung erfolgte, rechtskräftig gewesen sein.36
27 Michel in BeckOGK/HGB, Stand: 1.6.2022, § 135 HGB Rz. 43. 28 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 174. 29 BGH v. 28.6.1982 – II ZR 233/81, ZIP 1982, 1072; BGH v. 25.5.2009 – II ZR 60/08, ZIP 2009, 1863, 1864 Rz. 12 = GmbHR 2009, 1102; OLG Düsseldorf v. 15.10.1981 – 6 U 63/81, ZIP 1981, 1210; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 135 HGB Rz. 16; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/ HGB, § 135 HGB Rz. 20. 30 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 245. 31 BGH v. 25.5.2009 – II ZR 60/08, ZIP 2009, 1863, 1864 Rz. 12 = GmbHR 2009, 1102; Lehmann-Richter in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 135 HGB Rz. 7. 32 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 135 Rz. 19; Roth in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 135 HGB Rz. 6. 33 BGH v. 25.5.2009 – II ZR 60/08, ZIP 2009, 1863, 1864 Rz. 11 = GmbHR 2009, 1102; K. Schmidt/ Fleischer in MünchKomm/HGB, § 135 HGB Rz. 19. 34 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 174; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 135 HGB Rz. 19. 35 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 135 HGB Rz. 10. 36 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 135 HGB Rz. 19; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn, § 135 HGB Rz. 10. Guntermann | 469
§ 726 BGB Rz. 12 | Rechtsfähige Gesellschaft 12 Zwischen der erfolglosen Zwangsvollstreckung und der Pfändung dürfen höchstens sechs
Monate liegen. Die Frist beginnt am Tag nach dem erfolglosen Vollstreckungsversuch.37 Maßgeblich für den Fristablauf ist der Zeitpunkt der Zustellung des Pfändungsbeschlusses an die Gesellschaft.38
III. Kündigungserklärung 13 Die Kündigung ist gegenüber der Gesellschaft zu erklären. Daran ist angesichts des eindeu-
tigen Wortlauts und aus den zu § 725 BGB genannten Gründen (§ 725 BGB Rz. 4) trotz des Grundlagencharakters der Kündigung festzuhalten.39 Ausreichend ist demnach die Erklärung gegenüber einem vertretungsbefugten Gesellschafter, § 720 Abs. 5 BGB. Inhaltlich muss die Erklärung den Kündigungswillen klar erkennen lassen, wobei es genügt, dass der Gläubiger unter Hinweis auf die Pfändung des Anteils und die erfolglose Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen des Schuldners die Auszahlung der Abfindung verlangt. 14 Wie die ordentliche Kündigung durch den Gesellschafter (§ 725 Abs. 1 BGB) kann die Kün-
digung durch den Gesellschafter-Gläubiger nur mit einer Frist von drei Monaten zum Ablauf des Kalenderjahres erfolgen. Eine abweichende gesellschaftsvertragliche Frist für die ordentliche Kündigung durch die Gesellschafter gilt nicht für die Kündigung durch den Privatgläubiger.40 Das auf der gesellschafterlichen Treuepflicht beruhende Verbot der Kündigung zur Unzeit (§ 725 Abs. 5 BGB) gilt dagegen nur, wenn der kündigende Privatgläubiger zugleich Gesellschafter der Gesellschaft ist.41
IV. Wegfall des Kündigungsgrundes 15 Wird der Gläubiger durch den Schuldner befriedigt, entfällt der Kündigungsgrund. Gleiches
gilt für die Rechte aus der Pfändung. Ist die Kündigung bereits erfolgt, bleiben die Rechtsfolgen der Kündigung davon jedoch unberührt.42 Der ausgeschiedene Gesellschafter-Schuldner hat im Einzelfall einen Anspruch auf Wiederaufnahme in die Gesellschaft.43 § 726 BGB soll den übrigen Gesellschaftern nicht das Recht verleihen, sich eines nur vorübergehend in finanziellen Schwierigkeiten befindlichen Gesellschafters zu entledigen.44 Entfällt der Kündigungsgrund dagegen vor dem Eintritt der Kündigungswirkungen durch Ablauf der Kündigungsfrist, erscheint es sachgerechter, die Kündigung als nicht erfolgt anzusehen.45 37 Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 135 HGB Rz. 11; Kamanabrou in Oetker, § 135 HGB Rz. 7; offen: BGH v. 25.5.2009 – II ZR 60/08, ZIP 2009, 1863 = GmbHR 2009, 1102. 38 Kamanabrou in Oetker, § 135 HGB Rz. 7. 39 Kritisch mit Blick auf den Grundlagencharakter der Kündigung: Servatius, GbR, § 726 BGB Rz. 19. Anders (Kündigung gegenüber sämtlichen Gesellschaftern): Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 736 BGB Rz. 19. 40 Michel in BeckOGK/HGB, Stand: 1.6.2022, § 135 HGB Rz. 26; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn, § 135 HGB Rz. 17. 41 Zur Geltung der Treuepflicht in diesem Fall: BGH v. 25.11.1968 – II ZR 78/68, BGHZ 51, 84, 87 = NJW 1969, 505, 506; BGH v. 16.2.1978 – II ZR 53/76, WM 1978, 675; Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 725 BGB Rz. 7; zur Nichtgeltung des Verbots der Kündigung zur Unzeit gegenüber dem Privatgläubiger: Schäfer in MünchKomm/BGB, § 725 BGB Rz. 18. 42 BGH v. 15.6.1959 – II ZR 44/58, BGHZ 30, 195, 201 f. = NJW 1959, 1683, 1685. 43 BGH v. 12.7.2022 – II ZR 81/21, ZIP 2022, 1695, 1696; BGH v. 15.6.1959 – II ZR 44/58, BGHZ 30, 195, 201 f. = NJW 1959, 1683, 1685 = GmbHR 2022, 1079 m. Anm. Münnich; Schöne in BeckOK/ BGB, Stand: 1.5.2023, § 725 BGB Rz. 18; Habermeier in Staudinger, § 725 BGB Rz. 17. 44 Michel in BeckOGK/HGB, Stand: 1.6.2022, § 135 HGB Rz. 32; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 135 HGB Rz. 34. 45 Servatius, GbR, § 726 BGB Rz. 23.
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Ausschließung aus wichtigem Grund | Rz. 2 § 727 BGB
§ 727 BGB Ausschließung aus wichtigem Grund 1
Tritt in der Person eines Gesellschafters ein wichtiger Grund ein, kann er durch Beschluss der anderen Gesellschafter aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden. 2Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn der Gesellschafter eine ihm nach dem Gesellschaftsvertrag obliegende wesentliche Verpflichtung vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat oder wenn ihm die Erfüllung einer solchen Verpflichtung unmöglich wird. 3Dem Beschluss steht nicht entgegen, dass nach der Ausschließung nur ein Gesellschafter verbleibt. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. II. 1. 2.
Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Voraussetzungen der Ausschließung Wichtiger Grund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschluss der Gesellschafter . . . . . . . . . . .
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3. Mitteilung an den Betroffenen . . . . . . . . . 10 III. Ausschließung des vorletzten Gesellschafters (Satz 3) . . . . . . . . . . . . . . 13 IV. Abweichende Vereinbarungen . . . . . . . . 14
Schrifttum: Altmeppen, Mängel und Widersprüche des Regierungsentwurfs zum MoPeG am Beispiel des Ausschlusses eines Gesellschafters und der Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis, ZIP 2021, 213; Altmeppen, Ausschlussklage und Gewinnbeteiligung des ausscheidenden Gesellschafters der Personengesellschaft und GmbH, FS G.H. Roth, 2011, S. 1; Gehrlein, Ausschluss und Abfindung von Gesellschaftern, WM 2019, 1; Grunewald, Der Ausschluss aus Gesellschaft und Verein, Habil. Bonn 1987; Heckschen/Nolting, Das MoPeG ist verkündet – Verbesserungen am Gesetz noch auf der Zielgeraden, BB 2021, 2946; Kilian, Die Trennung vom „missliebigen“ Personengesellschafter, WM 2006, 1567; Otte, Auswirkungen des MoPeG auf die anwaltliche Gestaltungs- und Beratungspraxis, ZIP 2021, 2162; Schöne, Gesellschafterausschluss bei Personengesellschaften, Diss. Münster 1993.
I. Allgemeines § 727 BGB regelt die Ausschließung eines Gesellschafters durch Beschluss der übrigen Ge- 1 sellschafter bei Vorliegen eines wichtigen Grundes. Die Norm steht in engem Zusammenhang zu § 725 Abs. 2 BGB. Beide Normen knüpfen in Gestalt des wichtigen Grundes an dieselbe Voraussetzung an, unterscheiden sich aber perspektivisch (§ 725 BGB Rz. 14): § 725 Abs. 2 BGB stellt auf die Unzumutbarkeit des Verbleibs in der Gesellschaft für den kündigenden Gesellschafters ab, § 727 BGB verlangt, dass der Verbleib des auszuschließenden Gesellschafters in der Gesellschaft für die verbleibenden Gesellschafter unzumutbar ist.1 Es handelt sich um ein Verteidigungsrecht der Gesellschafter gegen Störungen, das zugleich präventive Wirkungen entfalten soll.2 Die Neuregelung beruht auf § 737 Satz 1, 2 BGB a.F. und § 140 Abs. 1 Satz 2 HGB a.F. Ein 2 wesentlicher Unterschied zur bisherigen Regelung besteht darin, dass eine Fortsetzungsklausel nicht länger erforderlich ist, da die Auflösung der Gesellschaft nicht länger grundsätzliche Folge des Ausscheidens eines Gesellschafters ist (§ 723 BGB Rz. 2).3 § 727 BGB enthält in 1 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 174. 2 Grunewald, Der Ausschluss aus Gesellschaft und Verein, Habil. Bonn 1987, S. 17 ff.; Schöne, Gesellschafterausschluss bei Personengesellschaften, Diss. Münster 1993, S. 17 ff.; R. Koch in BeckOGK/ BGB, Stand: 1.6.2023, § 727 BGB Rz. 2; Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 737 BGB Rz. 6. 3 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 174. Guntermann | 471
§ 727 BGB Rz. 2 | Rechtsfähige Gesellschaft Satz 2 eine im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens ergänzte Definition des wichtigen Grundes, die in Anbetracht von § 725 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht erforderlich gewesen wäre, aber immerhin die perspektivische Verschiedenheit der beiden Regelungen zum Ausdruck bringt.4 Satz 1 stellt nun auch klar, dass die Ausschließung durch Beschluss der übrigen Gesellschafter erfolgt. § 737 Satz 3 BGB a.F. wurde dagegen nicht in § 727 BGB übernommen.5 Dass die Ausschließung zusätzlich einer Mitteilung des Beschlusses an den auszuschließenden Gesellschafter bedarf, folgt nun aus § 723 Abs. 3 BGB. In Satz 3 wird in Anlehnung an § 140 Abs. 1 Satz 2 HGB a.F. klargestellt, dass die Ausschließung auch erfolgen kann, wenn nach der Ausschließung nur ein Gesellschafter verbleibt (Rz. 13). Dazu ist wegen § 712a Abs. 1 BGB keine Übernahme- oder Fortsetzungsklausel mehr erforderlich (§ 712a BGB Rz. 16 ff.). 3 Die Regelung gilt für rechtsfähige und nicht rechtsfähige Gesellschaften (§ 740c Abs. 2
BGB) in gleichem Maße. Fraglich ist hingegen, ob das Ausschließungsrecht auch dann besteht, wenn im Gesellschaftsvertrag vorgesehen ist, dass die in § 723 Abs. 1 BGB genannten Ausscheidensgründe zur Auflösung der Gesellschaft führen sollen (allgemein § 723 BGB Rz. 7 f.). Da die Ausschließung nur in Betracht kommt, wenn die Gesellschaft fortbesteht, erscheint es nicht völlig ausgeschlossen anzunehmen, dass die Gesellschafter durch die Klausel das Ausschließungsrecht insgesamt abbedingen wollten.6 Insoweit ist eine klarstellende Regelung empfehlenswert. Das Ausschließungsrecht besteht auch im Liquidationsstadium, setzt dort aber grundsätzlich voraus, dass die Fortsetzung unter Beteiligung des störenden Gesellschafters (§ 736d Abs. 1 BGB) nicht einmal bis zur bevorstehenden Vollbeendigung zumutbar ist.7 Etwas anderes kann gelten, wenn die übrigen Gesellschafter die Fortsetzung der Gesellschaft wünschen, daran aber durch den auszuschließenden Gesellschafter gehindert werden. Dann kann derselbe Maßstab wie in der werbenden Gesellschaft angesetzt werden.8 Für Personenhandelsgesellschaften enthält § 134 HGB eine entsprechende Regelung (zu den Unterschieden § 134 HGB Rz. 1).
II. Voraussetzungen der Ausschließung 1. Wichtiger Grund 4 Der Ausschluss ist nur möglich bei Vorliegen eines wichtigen Grundes in der Person des aus-
zuschließenden Gesellschafters. Der wichtige Grund muss ebenso schwer wiegen wie der wichtige Grund zur Austrittskündigung (§ 725 Abs. 2 BGB) bzw. zur Auflösungskündigung (§ 731 Abs. 1 BGB). Ob die unveränderte Fortsetzung zumutbar ist, ist jedoch aus unterschiedlichen Perspektiven zu beurteilen (Rz. 1). Zudem stellt die Ausschließung gegebenenfalls das mildere Mittel im Verhältnis zur Auflösung dar (§ 725 BGB Rz. 15). Erfasst werden sowohl verhaltensbezogene als auch nicht verhaltensbezogene Gründe (Rz. 7).9 Satz 2 nennt beispielhaft eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung wesentlicher Pflichten oder die Unmöglichkeit der Erfüllung einer wesentlichen Verpflichtung. Das Verhalten eines gesetzlichen Vertreters
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Ebenso: Bergmann in Schäfer, Neues PersGesR, § 7 Rz. 57. Kritisch: Altmeppen, ZIP 2021, 213, 216. Anders: Hoffmann in FS Heidel, 2021, S. 79, 98. Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1113 (Stand: 78. EL Oktober 2020); Hadding/Kießling in Soergel, § 737 BGB Rz. 9; Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 727 BGB Rz. 10; Servatius, GbR, § 727 BGB Rz. 10; R. Koch in BeckOGK/BGB, Stand: 1.6.2023, § 724 BGB Rz. 9. 8 Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 727 BGB Rz. 11; Servatius, GbR, § 727 BGB Rz. 16. 9 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1696a (Stand: 84. EL September 2022).
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Ausschließung aus wichtigem Grund | Rz. 6 § 727 BGB
wird dem auszuschließenden Gesellschafter zugerechnet.10 Erforderlich ist zudem ein Bezug zum Gesellschaftsverhältnis, reine private Verfehlungen genügen regelmäßig nicht.11 Im Einzelfall kann auch der objektiv begründete Verdacht einer Pflichtverletzung die Ausschließung rechtfertigen.12 Ein Verschulden ist nicht zwingend erforderlich,13 kann aber – wie das Regelbeispiel zeigt – einen bedeutenden Aspekt in der Abwägung (Rz. 5) darstellen. Der wichtige Grund muss im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Ausschließung vorliegen.14 Es muss sich um Umstände handeln, die die Fortsetzung der Gesellschaft unter Beteiligung 5 des auszuschließenden Gesellschafters unzumutbar machen.15 Erforderlich ist eine Abwägung zwischen dem Interesse der übrigen Gesellschafter an einer ungestörten gemeinsamen Zweckverfolgung und dem Interesse des auszuschließenden Gesellschafters am Erhalt seiner Mitgliedschaft.16 Dabei sind sämtliche Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, z.B. das Fehlverhalten des Gesellschafters, der Grad seines Verschuldens, die dadurch eingetretene Zerrüttung, aber auch die Verdienste des auszuschließenden Gesellschafters für die Gesellschaft und seine Stellung in der Gesellschaft.17 In der Abwägung ist eine Prognose darüber anzustellen, ob das betreffende Verhalten bzw. der betreffende Zustand fortdauert oder eine konkrete Wiederholungsgefahr besteht.18 Auf vergangenes Verhalten, das in der Zukunft nicht wieder zu erwarten ist, kann die Ausschließung nicht gestützt werden.19 Wurde der wichtige Grund durch die übrigen Gesellschafter mitverursacht, ist ein Ausschluss in der Regel nur möglich, wenn das Verschulden des auszuschließenden Gesellschafters überwiegt.20 Eine längere Duldung des störenden Verhaltens kann die Unzumutbarkeit entfallen lassen (§ 725 BGB Rz. 16).21 Die Ausschließung kommt nur als ultima ratio in Betracht.22 Mildere Mittel können etwa 6 die Entziehung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis (§ 715 Abs. 5, § 720 Abs. 4 BGB) oder eine zumutbare Änderung des Gesellschaftsvertrags (z.B. Umwandlung in eine KG und Einräumung einer Kommanditistenstellung) sein (zum Verhältnis zur Auflösungskündigung Rz. 4).23
10 Zur KG: BGH v. 25.4.1983 – II ZR 170/82, ZIP 1983, 1066, 1072 = GmbHR 1983, 301; Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1107 (Stand: 78. EL Oktober 2020). 11 Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 737 BGB Rz. 7; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 140 HGB Rz. 9; Servatius, GbR, § 727 BGB Rz. 13. 12 BGH v. 17.12.1959 – II ZR 32/59, BGHZ 31, 295, 305 = NJW 1960, 625, 627; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 140 HGB Rz. 46. 13 BGH v. 9.7.1952 – II ZR 145/51, BB 1952, 649; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 737 BGB Rz. 8; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 140 HGB Rz. 23. 14 Servatius, GbR, § 727 BGB Rz. 11. 15 Vgl. etwa: BGH v. 31.3.2003 – II ZR 8/01, ZIP 2003, 1037, 1038. 16 LG Heidelberg v. 6.11.2019 – 5 O 32/19, ZInsO 2020, 109, 112 Rz. 30; Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 737 BGB Rz. 6. 17 BGH v. 17.12.1959 – II ZR 32/59, BGHZ 31, 295 = NJW 1960, 625, 627; BGH v. 31.3.2003 – II ZR 8/01, ZIP 2003, 1037, 1038; BGH v. 1.3.2011 – II ZR 83/09, ZIP 2011, 806, 809 = GmbHR 2011, 539 m. Anm. Münnich. 18 Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 737 BGB Rz. 6. 19 Schöne, Gesellschafterausschluss bei Personengesellschaften, Diss. Münster 1993, S. 20. 20 BGH v. 1.3.2011 – II ZR 83/09, ZIP 2011, 806, 809 = GmbHR 2011, 539 m. Anm. Münnich; BGH v. 31.3.2003 – II ZR 8/01, ZIP 2003, 1037; Westermann in Erman, § 737 BGB Rz. 3. 21 BGH v. 11.7.1966 – II ZR 215/64, NJW 1966, 2160; BGH v. 28.6.1993 – II ZR 119/92, NJW-RR 1993, 1123, 1125; Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 737 BGB Rz. 6. 22 BGH v. 1.3.2011 – II ZR 83/09, ZIP 2011, 806, 809 = GmbHR 2011, 539 m. Anm. Münnich; BGH v. 31.3.2003 – II ZR 8/01, ZIP 2003, 1037, 1038. 23 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/BGB, § 140 HGB Rz. 28; Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 737 BGB Rz. 10. Guntermann | 473
§ 727 BGB Rz. 7 | Rechtsfähige Gesellschaft 7 Neben den in Satz 2 genannten Regelbeispielen hat sich eine vielfältige Kasuistik heraus-
gebildet. Anerkannte verhaltensbezogene Gründe für die Ausschließung sind etwa: schwerwiegender Verstoß gegen gesellschaftsvertragliche Pflichten,24 Veruntreuung oder Unterschlagung von Gesellschaftsvermögen25 oder Rücksichtslosigkeit und Illoyalität gegenüber Mitgesellschaftern.26 Auch eine völlige Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zwischen den Gesellschaftern kann einen wichtiger Grund zur Ausschließung begründen, wenn der auszuschließende Gesellschafter das Zerwürfnis überwiegend verursacht hat.27 Nicht verhaltensbezogene Gründe können etwa sein: eine lang andauernde schwere Krankheit28 oder der Verlust der Berufszulassung im Falle einer Freiberuflersozietät.29
2. Beschluss der Gesellschafter 8 Die Ausschließung erfolgt durch Beschluss der übrigen Gesellschafter. Vorbehaltlich einer
Mehrheitsklausel im Gesellschaftsvertrag (§ 714 BGB Rz. 86 ff.), bedarf es der Zustimmung sämtlicher Gesellschafter (§ 714 BGB).30 Der auszuschließende Gesellschafter verfügt bei der Beschlussfassung nicht über ein Stimmrecht.31 Sind mehrere Gesellschafter wegen derselben Verfehlung aus der Gesellschaft auszuschließen, gilt das Stimmverbot auch für die Beschlussfassung über die Ausschließung der jeweils anderen Gesellschafter. Geht es um den Vorwurf gemeinsamer Verfehlungen, so ist die gegen einen „Mittäter“ erhobene Beschuldigung auch „eigene Sache“ der übrigen Beteiligten.32 Nehmen nicht alle Gesellschafter an der Beschlussfassung teil, müssen die ferngebliebenen Gesellschafter nachträglich zustimmen.33 Im Einzelfall kann sich aus der Treuepflicht der Gesellschafter die (einklagbare)34 Pflicht einzelner Gesellschafter ergeben, dem Ausschließungsbeschluss zuzustimmen, sofern die ungestörte Fortsetzung der gemeinsamen Zweckverfolgung die Ausschließung dringend erfordert und dem betreffenden Gesellschafter die Zustimmung zuzumuten ist.35 Mit Eintritt der Rechtskraft des entsprechenden Urteils gilt die Zustimmung als erteilt (§ 894 ZPO).36 Eine Umqualifizierung der treuwidrigen Nichtzustimmung in eine Zustimmung sollte dagegen schon zum Schutz des Stimmrechts des gegen den Beschluss stimmenden Gesellschafters und zur Vermeidung von Rechtsunsicherheit grundsätzlich nicht möglich sein.37 Etwas anderes kann gelten, wenn die Ausschließung nicht nur den „Nervfaktor“ für die Gesellschafter
24 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 140 HGB Rz. 9; Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1095 (Stand: 78. EL Oktober 2020). 25 BGH v. 14.6.1999 – II ZR 193/98, ZIP 1999, 1355, 1356; Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1095 (Stand: 78. EL Oktober 2020). 26 Zur GmbH: BGH v. 25.1.1960 – II ZR 22/59, BGHZ 32, 17, 32 f. = NJW 1960, 866, 868 f. 27 BGH v. 31.3.2003 – II ZR 8/01, ZIP 2003, 1037; OLG Brandenburg v. 3.11.2021 – 7 U 194/20 – juris; LG Heidelberg v. 6.11.2019 – 5 O 32/19, ZInsO 2020, 109, 113 Rz. 35 f.; Kilian, WM 2006, 1567, 1568 f. 28 Hadding/Kießling in Soergel, § 737 BGB Rz. 8; Roth in Hopt, § 140 HGB Rz. 7. 29 Henssler/Michel, NZG 2012, 401, 402; a.A. Westermann in Erman, § 737 BGB Rz. 3. 30 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 174. 31 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 174; Bergmann in Schäfer, Neues PersGesR, § 7 Rz. 57. 32 BGH v. 20.1.1986– II ZR 73/85, BGHZ 97, 28 = NJW 1986, 2051, 2052 f. 33 Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 737 BGB Rz. 15. 34 BGH v. 28.4.1975 – II ZR 16/73, BGHZ 64, 253, 256 = NJW 1975, 1410, 1412. 35 BGH v. 28.4.1975 – II ZR 16/73, BGHZ 64, 253, 256 = NJW 1975, 1410, 1412; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 737 BGB Rz. 13; Westermann in Erman, § 737 BGB Rz. 4. 36 BGH v. 28.4.1975 – II ZR 16/73, BGHZ 64, 253 = NJW 1975, 1410, 1412; Kamanabrou in Oetker, § 140 HGB Rz. 34. 37 Anders: Servatius, GbR, § 727 BGB Rz. 19.
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Ausschließung aus wichtigem Grund | Rz. 11 § 727 BGB
beseitigt, sondern für die Gesellschaft von existentieller Bedeutung ist, weil sie ohne die Ausschließung nicht mehr funktionsfähig wäre.38 Der ausgeschlossene Gesellschafter kann sich gegen die Ausschließung durch eine gegen die 9 übrigen Gesellschafter gerichtete Klage auf Feststellung, dass seine Gesellschafterstellung fortbesteht, zur Wehr setzen (zu den Modalitäten der Klage § 714 BGB Rz. 127 ff.).39 Das Vorliegen eines wichtigen Grundes unterliegt dabei der vollen gerichtlichen Nachprüfung.40 Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines wichtigen Grundes tragen schon nach allgemeinen Grundsätzen die übrigen Gesellschafter.41 Dagegen führt es nicht zur Unwirksamkeit des Ausschließungsbeschlusses, wenn der ausgeschlossene Gesellschafter vor der Beschlussfassung nicht angehört wurde.42 Freilich kann sich ein Recht auf Anhörung aus der Treuepflicht ergeben.43 Wegen der vollen gerichtlichen Überprüfbarkeit der Ausschließungsentscheidung ist es hingegen nicht erforderlich, die Anhörung zur Wirksamkeitsvoraussetzung zu erheben. Ebenso wenig wird die Wirksamkeit des Ausschließungsbeschlusses von dem Fehlen einer i.S.v. § 728 Abs. 1 Satz 1 BGB angemessenen Abfindung berührt (§ 728 BGB Rz. 30).
3. Mitteilung an den Betroffenen Aus § 723 Abs. 3 BGB folgt, dass die Ausschließung erst mit der Mitteilung des Beschlusses 10 an den auszuschließenden Gesellschafter wirksam wird (§ 723 BGB Rz. 25). Ausreichend ist die Mitteilung durch einen – nicht notwendig geschäftsführenden – Gesellschafter.44 Der auszuschließende Gesellschafter kann zudem die Mitteilung des Ausschließungsgrundes verlangen. Die Wirksamkeit der Ausschließung ist davon jedoch nicht abhängig.45 War der auszuschließende Gesellschafter bei der Beschlussfassung anwesend, ist die gesonderte Mitteilung entbehrlich. Wie in Bezug auf § 737 Satz 3 BGB a.F. stellt sich die Frage, ob in § 723 Abs. 3 BGB nur der 11 Zeitpunkt des Wirksamwerdens eines materiell wirksamen Ausschließungsbeschlusses geregelt ist oder der Regelung auch materiell-rechtliche Bedeutung dergestalt zukommt, dass sie die (vorläufige) Wirksamkeit auch materiell unwirksamer Beschlüsse anordnet, deren Wirkung erst durch eine Feststellungsklage des ausgeschlossenen Gesellschafters beseitigt wird. Die bisherige Diskussion zu dieser Frage ist bestenfalls undurchsichtig. Die Annahme, der Beschluss sei wirksam, die Wirksamkeit stehe aber unter dem „Vorbehalt der gerichtlichen Nachprüfung“,46 scheint schwerlich mit der grundsätzlichen Nichtigkeit fehlerhafter
38 Dazu: BGH v. 19.6.2008 – III ZR 46/06, ZIP 2008, 1582, 1585; BGH v. 29.9.1986 – II ZR 285/85, NJW-RR 1987, 285, 286. 39 BGH v. 25.1.2011 – II ZR 122/09, ZIP 2011, 768 = GmbHR 2011, 529 m. Anm. Ulrich; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 737 BGB Rz. 12. 40 BGH v. 27.2.1954 – II ZR 17/53, BGHZ 13, 5 = NJW 1954, 833, 834. 41 Altmeppen, ZIP 2021, 213, 216; Michel in BeckOGK/HGB, Stand: 1.7.2022, § 140 HGB Rz. 92. 42 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 737 BGB Rz. 15; Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 727 BGB Rz. 15; Hadding/Kießling in Soergel, § 737 BGB Rz. 13; Habermeier in Staudinger, § 737 BGB Rz. 12; offen: LG Heidelberg v. 6.11.2019 – 5 O 32/19, ZInsO 2020, 109, 112 Rz. 28. 43 Westermann in Erman, § 737 BGB Rz. 5; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 737 BGB Rz. 15; anders („nicht geboten“): Servatius, GbR, § 727 BGB Rz. 17. 44 Hadding/Kießling in Soergel, § 737 BGB Rz. 12; Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 737 BGB Rz. 17. 45 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 737 BGB Rz. 14; Habermeier in Staudinger, § 737 BGB Rz. 11. 46 Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 140 HGB Rz. 45; ähnlich: BGH v. 17.12.1959 – II ZR 32/ 59, BGHZ 31, 295 = NJW 1960, 625, 626 f.; OLG Karlsruhe v. 14.5.1996 – 11 Wx 86/95, NJW-RR 1997, 169; Michel in BeckOGK/HGB, Stand: 1.7.2022, § 140 HGB Rz. 62. Guntermann | 475
§ 727 BGB Rz. 11 | Rechtsfähige Gesellschaft Gesellschafterbeschlüsse (§ 714 BGB Rz. 120) vereinbar.47 Dass die Gesetzesbegründung zu § 723 Abs. 3 BGB auf die Möglichkeit der „rückwirkenden Aufhebung des Ausschließungsbeschlusses“ verweist, kann ebenfalls nicht zugunsten einer (vorläufigen) materiellen Wirksamkeit angeführt werden. Dieser Satz ist ein Relikt aus der Begründung zum Mauracher Entwurf,48 der noch das Anfechtungsmodell auf die GbR erstrecken wollte. Die Feststellungsklage führt dagegen nicht zu einer rückwirkenden Aufhebung des Beschlusses, sondern lediglich zur gerichtlichen Feststellung, ob der Beschluss – und zwar von Anfang an – nichtig ist (§ 714 BGB Rz. 121 ff.). 12 Daher erscheint es treffender anzunehmen, dass § 723 Abs. 3 BGB keine materiell-recht-
liche Wirkung entfaltet, ein materiell unwirksamer Beschluss also nicht durch die Mitteilung (vorläufig) materiell wirksam wird. Vielmehr tritt die Ausschließungswirkung nur dann mit der Mitteilung ein, wenn der Beschluss materiell wirksam ist.49 Für den materiell unwirksamen Beschluss hat die Mitteilung aber immerhin zur Folge, dass der Ausschließungsbeschluss formell in der Welt ist, was dem (vermeintlich) ausgeschlossenen Gesellschafter die Klagelast zuweist (§ 723 BGB Rz. 25). Das Urteil, das der Feststellungsklage gegen den Ausschließungsbeschluss stattgibt, beseitigt dann diese formelle Wirksamkeit. Der materiell niemals ausgeschlossene Gesellschafter kann von den Gesellschaftern, die für den Ausschließungsbeschluss gestimmt haben, Schadensersatz wegen der zwischenzeitlichen Verweigerung seiner Gesellschafterrechte verlangen.50 Zwischenzeitliche Verfügungen über den vermeintlich angewachsenen Gesellschaftsanteil sind (schwebend) unwirksam (§ 185 BGB). Die (endgültige) Unwirksamkeit kann jedoch nach den Grundsätzen der fehlerhaften Gesellschaft nicht mit Wirkung ex tunc geltend gemacht werden (§ 705 BGB Rz. 21 ff.).51 Wurden zwischenzeitlich Gesellschafterbeschlüsse ohne den vermeintlich ausgeschlossenen Gesellschafter gefasst, können etwaige Umsetzungshandlungen nach den Grundsätzen über die fehlerhafte Gesellschaft (§ 705 BGB Rz. 21 ff.) wirksam sein.
III. Ausschließung des vorletzten Gesellschafters (Satz 3) 13 Satz 3 stellt mit Blick auf § 712a BGB klar, dass die Ausschließung auch von dem letztverblei-
benden Gesellschafter beschlossen werden kann.52 Dazu ist wegen § 712a Abs. 1 BGB keine Übernahme- oder Fortsetzungsklausel mehr erforderlich (Rz. 2). Die Ausschließung setzt auch in der Zwei-Personen-Gesellschaft einen wichtigen Grund voraus. Zudem muss der Beschluss, der freilich auch konkludent gefasst werden kann, dem auszuschließenden Gesellschafter mitgeteilt werden (§ 723 Abs. 3 BGB). Mit dem Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters erlischt die Gesellschaft ohne Liquidation (§ 712a Abs. 1 Satz 1 BGB). Das Gesellschaftsvermögen geht im Zeitpunkt des Ausscheidens im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den verbleibenden Gesellschafter über (§ 712a Abs. 1 Satz 2 BGB).
47 In diesem Sinne auch: Matz/Müllner, WM 2009, 683, 685 f.; im Ergebnis auch: OLG Hamm v. 24.5.2007 – 15 W 145/07, NZG 2008, 21, 22. 48 Begr. Mauracher Entwurf, S. 120. 49 Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 737 BGB Rz. 19. 50 BGH v. 17.12.1959 – II ZR 32/59, BGHZ 31, 295, 302 = NJW 1960, 625, 626 f.; OLG Düsseldorf v. 22.3.1984 – U (Kart) 2/82, DB 1984, 1087; Habermeier in Staudinger, § 737 BGB Rz. 13. 51 BGH v. 20.7.2010 – XI ZR 465/07, BGHZ 186, 253 = ZIP 2010, 1590; Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 705 BGB Rz. 96. 52 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 175.
476 | Guntermann
Ausschließung aus wichtigem Grund | Rz. 16 § 727 BGB
IV. Abweichende Vereinbarungen § 727 BGB ist insgesamt dispositiv. Zwar lässt sich die Dispositivität nicht auf § 723 Abs. 2 14 BGB stützen, da danach nur „weitere“, nicht „andere“ Ausscheidensgründe vereinbart werden können (§ 723 BGB Rz. 23). Allerdings erscheint das Fehlen einer § 134 Satz 1 a.E. HGB entsprechenden Öffnungsklausel planwidrig, da kein Grund ersichtlich ist, die Voraussetzungen der Ausschließung in der oHG dispositiv auszugestalten, in der GbR aber nicht. Im Vergleich zur bisherigen Rechtslage ergibt sich mithin keine Änderung.53 Das Recht zur Ausschließung einzelner Gesellschafter kann z.B. gänzlich ausgeschlossen oder auf bestimmte Gründe beschränkt werden.54 In letzterem Fall ist durch Auslegung der Klausel zu ermitteln, ob die Ausschließung bei Vorliegen des gesellschaftsvertraglich bestimmten Grundes in jedem Fall erfolgen oder dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit unterliegen soll.55 Ebenfalls zulässig sind Regelungen zum Verfahren der Ausschließung (z.B. Mehrheit, Zuständigkeit, Beschlusserfordernis).56 Sog. Hinauskündigungsklauseln, die die Ausschließung in das „freie Ermessen“ einzelner 15 Gesellschafter stellen sind zwar mit § 723 Abs. 2 BGB vereinbar,57 jedoch grundsätzlich gem. § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig und daher nichtig.58 Denn unter dem Damoklesschwert der jederzeitigen Ausschließung wird der von der Klausel betroffene Gesellschafter an der Ausübung seiner Gesellschafterrechte gehindert. Ausnahmsweise können Hinauskündigungsklauseln durch außergewöhnliche Umstände sachlich gerechtfertigt und damit rechtmäßig sein, z.B. wenn der ausschließungsberechtigte Gesellschafter mit Rücksicht auf die enge persönliche Beziehung zu einem Mitgesellschafter die volle Finanzierung der Gesellschaft übernommen und diesem die Mehrheitsbeteiligung und die Geschäftsführung eingeräumt hatte.59 Weitere Fälle, in denen der BGH die grundlose Hinauskündigung für zulässig erachtet hat, sind vor allem dadurch gekennzeichnet, dass der ausgeschlossene Gesellschafter keine schutzwürdige Rechtsposition innehatte, z.B. weil im Gesellschaftsvertrag eine Probezeit vereinbart war60 oder ihm die Gesellschafterstellung nur befristet für den Zeitraum seiner Tätigkeit für das Unternehmen eingeräumt worden war (sog. Mitarbeiter- bzw. Managermodell).61 Zulässig sind zudem Ausschlussklauseln in zweigliedrigen Gesellschaften, die zur Auflö- 16 sung einer Patt-Situation dienen (sog. Russian-Roulette- oder Shoot-Out-Klauseln).62 Allerdings kann die Ausübung des darauf beruhenden Ausschließungsrechts im Einzelfall rechtsmissbräuchlich sein.63 53 Zu § 737 BGB a.F.: Westermann in Erman, § 737 BGB Rz. 6; Hadding/Kießling in Soergel, § 737 BGB Rz. 22. 54 Anders: Servatius, GbR, § 727 BGB Rz. 26 f. 55 Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 737 BGB Rz. 23; Kamanabrou in Oetker, § 140 HGB Rz. 45. 56 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 737 BGB Rz. 13; Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 737 BGB Rz. 26. 57 Zu § 130 Abs. 2 HGB: Begr. RegE, BT-Drucks. 19/27635, 243. Vgl. auch: R. Koch in BeckOGK/ BGB, Stand: 1.6.20223, § 727 BGB Rz. 30. 58 BGH v. 20.1.1977 – II ZR 217/75, BGHZ 68, 212, 215 = NJW 1977, 1292; BGH v. 13.7.1981 – II ZR 56/80, BGHZ 81, 263, 266 f. = ZIP 1981, 978; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 737 BGB Rz. 19; Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 727 BGB Rz. 19; Hadding/Kießling in Soergel, § 737 BGB Rz. 17 f.; Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1127a (Stand: 78. EL Oktober 2020). 59 Zur GmbH: BGH v. 9.7.1990 – II ZR 194/89, BGHZ 112, 103 = ZIP 1990, 1057. 60 BGH v. 7.5.2007 – II ZR 281/05, ZIP 2007, 1309. 61 BGH v. 19.9.2005 – II ZR 173/04, BGHZ 164, 98 = ZIP 2005, 1917 = GmbHR 2005, 1558; kritisch: Grunewald, ZIP 2021, 433. 62 Dazu: OLG Nürnberg v. 20.12.2013 – 12 U 49/13, ZIP 2014, 171, 173 = GmbHR 2014, 310 m. Anm. Werner; Schulte/Sieger, NZG 2005, 24; Fleischer/Schneider, DB 2010, 2713. 63 Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 737 BGB Rz. 25. Guntermann | 477
§ 728 BGB | Rechtsfähige Gesellschaft
§ 728 BGB Ansprüche des ausgeschiedenen Gesellschafters (1) 1Sofern im Gesellschaftsvertrag nichts anderes vereinbart ist, ist die Gesellschaft verpflichtet, den ausgeschiedenen Gesellschafter von der Haftung für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft zu befreien und ihm eine dem Wert seines Anteils angemessene Abfindung zu zahlen. 2Sind Verbindlichkeiten der Gesellschaft noch nicht fällig, kann die Gesellschaft dem Ausgeschiedenen Sicherheit leisten, statt ihn von der Haftung nach § 721 zu befreien. (2) Der Wert des Gesellschaftsanteils ist, soweit erforderlich, im Wege der Schätzung zu ermitteln. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Abfindungsanspruch 1. Allgemeines a) Anspruchsvoraussetzungen . . . . . . . . . b) Anspruchsentstehung und Fälligkeit . c) Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Angemessenheit der Abfindung a) Begriff der Angemessenheit . . . . . . . . b) Bewertung des Anteils . . . . . . . . . . . . . 3. Ermittlung des Abfindungsanspruchs . . . 4. Gesamtabrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verlustausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
6 8 11 13 16 21 23 26
III. Vertragliche Abfindungsvereinbarungen 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grenzen a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gläubigerbenachteiligung . . . . . . . . . . c) Kündigungserschwerungen . . . . . . . . . 3. Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Sonstige Ansprüche des Ausgeschiedenen 1. Schuldbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rückgabe von Gegenständen; Rückzahlung der Einlage . . . . . . . . . . . . .
27 29 32 33 35
39 42
Schrifttum: Armbrüster, Grenzen der Gestaltungsfreiheit im Personengesellschaftsrecht, ZGR 2014, 333; Bochmann, Gesellschafterwechsel, Ausscheiden und Auflösung im Mauracher Entwurf zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, ZGR Sonderheft 23 (2021), 221; Büttner, Flexible Grenzen der Durchsetzbarkeit von Abfindungsbeschränkungen in Personengesellschaftsverträgen, FS Nirk, 1992, S. 119; Fleischer, Rechtsfragen der Unternehmensbewertung bei geschlossenen Kapitalgesellschaften – Minderheitsabschlag, Fungibilitätsabschlag, Abschlag für Schlüsselpersonen, ZIP 2012, 1633; Fleischer/ Bong, Gradmesser gesellschaftsvertraglicher Gestaltungsfreiheit: Abfindungsklauseln in Personengesellschaft und GmbH, WM 2017, 1957; Gehrlein, Ausschluss und Abfindung von Gesellschaftern, WM 2019, 1; Großfeld, Bewertung von Anteilen an Unternehmen, JZ 1981, 769; Heckelmann, Abfindungsklauseln in Gesellschaftsverträgen, Habil. Mainz 1973; Hüttemann/Meyer, Zur Abfindung ausscheidender Personengesellschafter nach dem MoPeG, ZIP 2022, 935; Kopp, Der Anspruch des ausgeschiedenen GbR-Gesellschafters auf Aufstellung einer „Abschichtungsbilanz“, ZIP 2022, 875; Sigle, Gedanken zur Wirksamkeit von Abfindungsklauseln, ZGR 1999, 659; Sudhoff, Die Berechnung des Auseinandersetzungsguthabens bei Personengesellschaften, ZGR 1972, 157; Ulmer, Die vertragliche Beschränkung des Austrittsrechts und der Abfindungsansprüche ausscheidenswilliger Gesellschafter in der großen, generationsübergreifenden Familien-KG, ZIP 2010, 805; Ulmer/Schäfer, Die rechtliche Beurteilung vertraglicher Abfindungsbeschränkungen bei nachträglich eintretendem grobem Missverhältnis, ZGR 1995, 134; Walter, Das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts im Recht der Unternehmensbewertung, ZIP 2022, 2587.
478 | Guntermann
Ansprüche des ausgeschiedenen Gesellschafters | Rz. 4 § 728 BGB
I. Allgemeines §§ 728−728b BGB regeln die wesentlichen vermögensrechtlichen Folgen des Ausscheidens 1 aus der Gesellschaft. § 728 BGB entspricht im Wesentlichen § 738 Abs. 1 Satz 2, Satz 3, Abs. 2 BGB a.F. Die Anwachsung des Anteils des Ausscheidenden zu den verbleibenden Gesellschaftern (§ 738 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F.) ist nun in § 712 Abs. 1 BGB geregelt. Die in § 738 Abs. 1 Satz 2, Var. 1 BGB a.F. enthaltene Pflicht zur Rückgabe von Gegenständen, die der Ausscheidende der Gesellschaft zur Benutzung überlassen hat, wurde gestrichen, da die Rückgabepflicht bereits aus der Vereinbarung folge, die der Nutzungsüberlassung zugrunde liegt (Rz. 42).1 Darüber hinaus setzt die Neuregelung verschiedene Aspekte um, die sich bereits vor dem MoPeG aus der Rechtsfähigkeit der GbR und der bloß akzessorischen Gesellschafterhaftung ergaben, im Wortlaut von § 738 BGB a.F. aber keinen Ausdruck fanden. Dies betrifft etwa die Abfindungspflicht der Gesellschaft (Rz. 7), die zugleich Ausdruck der weitgehenden rechtlichen Verselbstständigung der Gesellschaft auch im Innenverhältnis ist (vgl. auch § 725 BGB Rz. 2) und das Erfordernis der Befreiung von den Verbindlichkeiten der Gesellschaft (Rz. 39). Auch die Disponibilität der Regelung ist nun unmittelbar in Abs. 1 Satz 1, Halbs. 1 normiert (Rz. 27).2 Eine wesentliche Änderung betrifft jedenfalls begrifflich die Bemessung der dem Ausschei- 2 denden zu zahlenden Abfindung. §§ 738−740 BGB a.F. beruhten auf dem Grundgedanken, dass die vermögensrechtliche Stellung des Ausscheidenden derjenigen bei Auflösung der Gesellschaft weitgehend anzugleichen ist. Sah der Gesellschaftsvertrag statt der Auflösung das Ausscheiden des Gesellschafters aus der fortbestehenden Gesellschaft vor (§ 736 Abs. 1 BGB a.F.), sollte sich dies nicht nachteilig auf die Vermögenslage des Ausscheidenden auswirken.3 Daher konnte der Ausscheidende u.a. eine Abfindung in Höhe des fiktiven Auseinandersetzungsanspruchs verlangen. § 728 BGB räumt dem Ausscheidenden stattdessen einen Anspruch auf eine angemessene Abfindung ein. Dadurch wird der Umkehrung des Verhältnisses von Auflösung und Ausscheiden Rechnung getragen (§ 723 BGB Rz. 2). Missverständlich ist dagegen der Hinweis in der Gesetzesbegründung, wonach das Angemessenheitskriterium den Gesellschaftern bei der Ermittlung des Abfindungsanspruch mehr Freiraum belassen soll.4 Tatsächlich ist ein ausscheidender Gesellschafter auch weiterhin grundsätzlich nach dem wahren Anteilswert abzufinden (Rz. 14). Im Übrigen halten die §§ 728, 728a BGB an dem Gleichlauf von Ausscheiden und Auf- 3 lösung fest.5 Der Ausscheidende hat wie im Falle der Auflösung gem. Abs. 1 Satz 1, Var. 1, Satz 2 einen Anspruch auf Schuldbefreiung bzw. Sicherheitsleistung (vgl. für die Auflösung: § 736d Abs. 4 BGB) und ihn trifft gem. § 728a BGB eine anteilige Fehlbetragshaftung (vgl. für die Auflösung: § 737 BGB). Der Maßstab für die gerichtliche Kontrolle gesellschaftsvertraglicher Abfindungsklauseln 4 (Rz. 29 ff.) wurde ebenfalls nicht verändert. Die Abteilung Wirtschaftsrechts des 71. Deutschen Juristentags 2016 hatte sich im Anschluss an das Referat von Wicke6 für eine Ablösung der bisherigen Wirksamkeitskontrolle durch eine Ausübungskontrolle ausgesprochen, um den Gesellschaftern bei der Gestaltung von Abfindungsklauseln einen größeren Freiraum zu gewähren.7 Nach dem Vorschlag von Wicke sollte die Gesellschaft sich nur dann nicht auf
1 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 175. 2 Zur Geltung vor dem MoPeG: BGH v. 2.6.1997 – II ZR 81/96, ZIP 1997, 1453; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 738 BGB Rz. 12. 3 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 738 BGB Rz. 1. 4 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 175; weniger eindeutig noch: Mauracher Entwurf, 124. 5 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 175. 6 Wicke in Verhandlungen des 71. DJT, 2016 Bd. II/1, O31, O42. 7 Beschluss 11a des 71. DJT, 2016, Bd. II/2, 2017, O220. Guntermann | 479
§ 728 BGB Rz. 4 | Rechtsfähige Gesellschaft die von der gesetzlichen Abfindung abweichende Klausel berufen können, wenn sie im Einzelfall zu grob unbilligen Ergebnissen führt. Diesem Vorschlag erteilt der Gesetzgeber des MoPeG eine klare Absage, um die verhaltenssteuernde Wirkung einer drohenden Wirksamkeitskontrolle zu erhalten.8 Das ist zu begrüßen.9 Die bisherigen Gestaltungshemmnisse durch die Wirksamkeitskontrolle10 dürften nach neuem Recht nicht in gleicher Weise fortbestehen.11 Bereits durch die Beschränkung von § 725 Abs. 6 BGB auf die außerordentliche Kündigung (Rz. 33, § 725 BGB Rz. 27) erhalten die Gesellschafter einen zusätzlichen Gestaltungsspielraum. Außerdem wird künftig bei der Bewertung einer Abfindungsklausel die Umkehr des Verhältnisses von Ausscheiden und Auflösung zu berücksichtigen sein (Rz. 31). 5 §§ 728−728b BGB gelten für den Fall des Ausscheidens des vorletzten Gesellschafters ent-
sprechend, § 712a Abs. 2 BGB. In diesem Fall richten sich die durch § 728 BGB begründeten Ansprüche gegen den verbleibenden Gesellschafter, der in die Rechtsstellung der Gesellschaft im Wege der Gesamtrechtsnachfolge eintritt (Rz. 7). §§ 728, 728a BGB sind auch dann entsprechend anwendbar, wenn in der nicht rechtsfähigen Gesellschaft für die in § 740a Abs. 1 Nr. 3−6 BGB geregelten Fälle statt der Auflösung das Ausscheiden des Gesellschafters vereinbart wurde (§ 740c BGB, § 740c BGB Rz. 5). Für das Ausscheiden aus einer Personenhandelsgesellschaft treffen §§ 135−137 HGB (i.V.m. § 161 Abs. 2 HGB) entsprechende Regelungen. Eines Rückgriffs auf die Vorschriften des BGB (gem. § 105 Abs. 3 HGB) bedarf es daneben nicht mehr.
II. Abfindungsanspruch 1. Allgemeines a) Anspruchsvoraussetzungen 6 Nach Abs. 1 Satz 1, Var. 2 hat der ausgeschiedene Gesellschafter einen Anspruch auf eine
dem Wert seines Anteils angemessene Abfindung. Voraussetzung des Abfindungsanspruchs ist das ersatzlose Ausscheiden eines Gesellschafters aus der fortbestehenden Gesellschaft. Die rechtsgeschäftliche Anteilsübertragung, die im Einzelfall durch Vertragsauslegung von dem Ausscheiden eines Gesellschafters und dem anschließenden Neueintritt eines anderen zu trennen ist,12 löst dagegen keinen Abfindungsanspruch aus.13 Dasselbe gilt, wenn der Anteil eines verstorbenen Gesellschafters auf seine Erben übergeht (§ 1922 BGB i.V.m. § 711 Abs. 2 BGB). Führt der Tod des Gesellschafters dagegen zu seinem Ausscheiden (§ 723 Abs. 1 Nr. 1 BGB), fällt der Abfindungsanspruch in die Erbmasse und kann von den Erben durchgesetzt werden (§ 723 BGB Rz. 9). 7 Der Anspruch richtet sich als Sozialverbindlichkeit primär gegen die Gesellschaft.14 Gemäß
§ 721 BGB haften aber auch die verbleibenden Gesellschafter dafür grundsätzlich unbeschränkt persönlich.15 Dem steht insbesondere § 710 Satz 1 BGB nicht entgegen, da es sich
8 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 175. 9 So schon: Schäfer in Verhandlungen des 71. DJT, 2016, Bd. I, E5, E49; Armbrüster, ZGR 2014, 333, 356 ff. 10 Dazu: Sigle, ZGR 1999, 659, 665; Mecklenbrauck, BB 2000, 2001; Lange, NZG 2001, 635. 11 M. Noack, NZG 2020, 581, 584; tendenziell: Schollmeyer in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion, 2020, 2021, S. 15, 21 f.; anders: Bochmann, ZGR Sonderheft 23 (2021), 221, 243 ff. 12 Vgl. dazu: BGH v. 28.9.1995 – II ZR 87/94, NJW 1995, 3313. 13 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 738 BGB Rz. 14. 14 BGH v. 15.5.1972 – II ZR 144/69, WM 1972, 1399, 1400. 15 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 175; zum alten Recht: BGH v. 12.7.2016 – II ZR 74/14, ZIP 2016, 1627; zustimmend: Bergmann in Schäfer, Neues PersGesR, § 7 Rz. 61; mit abweichender
480 | Guntermann
Ansprüche des ausgeschiedenen Gesellschafters | Rz. 9 § 728 BGB
infolge des Ausscheidens des Anspruchsstellers aus der Gesellschaft in der Durchsetzung um ein echtes Gläubigerrecht handelt.16 Vereinbarungen im Gesellschaftsvertrag, wonach die Abfindung primär aus dem Gesellschaftsvermögen zu zahlen ist oder die Gesellschafter auch Dritten gegenüber nur mit einer ihrem Anteil entsprechenden Quote haften, muss sich der Ausgeschiedene indes entgegenhalten lassen.17 Zudem folgt aus der nachvertraglichen Treuepflicht des ausgeschiedenen Gesellschafters gegenüber seinen ehemaligen Mitgesellschaftern die Pflicht, zunächst die Gesellschaft in Anspruch nehmen.18 Für den Fall des Ausscheidens des vorletzten Gesellschafters entsteht die Abfindungsverbindlichkeit eine juristische Sekunde vor dem Ausscheiden und geht mit dem Ausscheiden, das zum liquidationslosen Erlöschen der Gesellschaft führt (§ 712a Abs. 1 Satz 1 BGB), auf den letzten Gesellschafter im Wege der Gesamtrechtsnachfolge über (§ 712a Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 BGB). b) Anspruchsentstehung und Fälligkeit Der Abfindungsanspruch entsteht im Zeitpunkt des Ausscheidens. Dies soll durch die Ver- 8 änderung im Wortlaut (dem „ausgeschiedenen Gesellschafter“ statt „dem Ausscheidenden“) klargestellt werden,19 ist aber auch ohne diese Klarstellung selbstverständlich. Vor dem Ausscheiden besteht der Abfindungsanspruch bereits als künftiges Recht.20 Als solches kann er abgetreten, besichert (z.B. gem. § 1204 Abs. 2, § 1113 Abs. 2 BGB) und gepfändet werden (§ 726 BGB Rz. 9). Dies war schon unter Geltung von § 717 Satz 2 BGB a.F. anerkannt21 und wird trotz der partiellen Aufgabe der Parallele zur Auflösung (Rz. 2 f.) auch durch § 711a Satz 2 BGB nicht infrage gestellt. In welchem Zeitpunkt der Abfindungsanspruch fällig wird, wird nicht einheitlich beurteilt. 9 Insoweit hat auch die Neufassung keine Klarheit gebracht. Auf die Aufstellung oder gar Feststellung einer Abfindungsbilanz bzw. -rechnung (Rz. 21 f.)22 kann es richtigerweise nicht ankommen, da sie keine konstitutive Voraussetzung des Abfindungsanspruchs darstellt. Die sofortige Fälligkeit mit dem Ausscheiden (§ 271 Abs. 1, Var. 3 BGB)23 dürfte dagegen – vorbehaltlich einer Abfindung zum sofort feststellbaren Buchwert – regelmäßig nicht den Interessen der Gesellschafter entsprechen. Vorbehaltlich einer gesellschaftsvertraglichen Regelung (§ 271 Abs. 1, Var. 1 BGB) ergibt sich daher in der Regel aus den Umständen (§ 271 Abs. 1, Var. 2 BGB), dass die Fälligkeit erst nach Ablauf einer für die Bemessung der Abfindungshöhe erforderlichen Zeitspanne eintreten soll.24 Vorsorglich sollten der Zeitpunkt
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Begründung: Servatius, GbR, § 728 BGB Rz. 52; anders: Kopp, ZIP 2022, 875, 877 f.; kritisch: R. Koch in BeckOGK/BGB, Stand: 1.6.2023, § 728 BGB Rz. 14. Schäfer in Habersack/Schäfer, § 131 HGB Rz. 139, 142. OLG Köln v. 17.1.2001 – 13 U 82/00, NZG 2001, 467, 469; OLG Oldenburg v. 3.1.2000 – 15 U 63/ 99, NZG 2000, 542. OLG Frankfurt v. 6.4.2005 – 23 U 151/00, juris; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 131 HGB Rz. 130. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 175; vgl. dazu auch: Schäfer in MünchKomm/BGB, § 738 BGB Rz. 19. Schäfer in MünchKomm/BGB, § 717 BGB Rz. 32. Zur GmbH: BGH v. 11.7.1988 – II ZR 281/87, ZIP 1988, 1545; BGH v. 14.7.1997 – II ZR 122/96, ZIP 1997, 1589, 1590; OLG München v. 10.3.2010 – 20 U 3761/09, juris. OLG München v. 10.3.2010 – 20 U 3761/09, juris. So aber: RG JW 1917, 539, 540. So: BGH v. 11.6.1959 – II ZR 101/58, WM 1959, 886, 887; BGH v. 4.11.1979 – II ZR 245/78, WM 1980, 212, 213; Schulte/Hushahn in MünchHdb. GesR I, § 10 Rz. 89; Kopp, ZIP 2022, 875, 878 f.; R. Koch in BeckOGK/BGB, Stand: 1.6.2023, § 728 BGB Rz. 17. Vgl.: Schäfer in MünchKomm/BGB, § 738 BGB Rz. 20; Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 728 BGB Rz. 17; Habermeier in Staudinger, § 738 BGB Rz. 9; Westermann in Erman, § 738 BGB Rz. 4. DiffeGuntermann | 481
§ 728 BGB Rz. 9 | Rechtsfähige Gesellschaft der Fälligkeit und eine etwaige Verzinsungspflicht der Gesellschaft ausdrücklich im Gesellschaftsvertrag bestimmt werden. 10 Nach dem Eintritt der Fälligkeit kann der ausgeschiedene Gesellschafter unmittelbar auf
Zahlung klagen, sofern er die Höhe des Abfindungsanspruchs substantiiert vortragen kann.25 Er ist nicht darauf verwiesen, zunächst die Richtigkeit der Bewertung im Wege der Feststellungsklage zu rügen oder im Falle der Untätigkeit der Gesellschaft die Aufstellung einer Abfindungsrechnung zu verlangen (Rz. 22).26 Ebenfalls möglich ist die Verbindung einer Klage auf Aufstellung einer Abfindungsrechnung mit der Zahlungsklage im Wege der Stufenklage (§ 254 ZPO).27 Unstreitige Mindestbeträge können schon vor Fälligkeit geltend gemacht werden.28 c) Verjährung 11 Der Abfindungsanspruch unterliegt der dreijährigen Regelverjährung gem. § 195 BGB.29
Maßgeblich für den Beginn der Verjährungsfrist ist zum einen die Anspruchsentstehung (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Sie setzt voraus, dass der Anspruch erstmals vom Gläubiger geltend gemacht und mit einer Klage durchgesetzt werden kann.30 Diese Möglichkeit besteht grundsätzlich nach dem Eintritt der Fälligkeit. Sieht der Gesellschaftsvertrag Ratenzahlung vor (Rz. 38), entsteht der Abfindungsanspruch als einheitlicher Gesamtanspruch mit der Fälligkeit der ersten Rate.31 12 Daneben muss der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der
Person des Schuldners Kenntnis haben oder sie grob fahrlässig verkennen (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Nicht erforderlich ist in der Regel, dass der Gläubiger aus den ihm bekannten Tatsachen die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zieht. Bei unsicherer Rechtslage kann es jedoch im Einzelfall an der Zumutbarkeit der Klageerhebung als übergreifender Voraussetzung für den Verjährungsbeginn fehlen.32 Gleiches gilt, wenn der Gläubiger sich mit der Klage zu seinem Vorbringen in einem noch nicht abgeschlossenen Vorprozess in Widerspruch setzen müsste.33 Für den Abfindungsanspruch hat der BGH die Zumutbarkeit gerichtlicher Geltendmachung und damit den Verjährungsbeginn verneint, wenn sich der durch Beschluss der Gesellschafter aus wichtigem Grund ausgeschlossene Gesellschafter (§ 727 BGB) im Klageweg gegen die Wirksamkeit seines Ausschlusses wendet.34 Der Erfolg der Klage hängt u.a. von einer Würdigung und Abwägung tatsächlicher Umstände ab (§ 727 BGB Rz. 5), deren Ergebnis auch der Rechtskundige häufig nur schwer vorhersehen kann. Die Verjährungsfrist beginnt dann erst mit rechtskräftiger Entscheidung über die Wirksamkeit der Ausschlie-
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renzierter: Servatius, GbR, § 728 BGB Rz. 49, der zwischen der mit dem Ausscheiden eintretenden „Fälligkeit dem Grunde nach“ und und den daraus abzuleitenden Rechtsfolgen unterscheidet. BGH v. 13.7.1987 – II ZR 274/86, NJW-RR 1987, 1386, 1387; BGH v. 7.6.2011 – II ZR 186/08, ZIP 2011, 1358. Zu diesen Möglichkeiten: Schäfer in MünchKomm/BGB, § 738 BGB Rz. 30 f. BGH v. 12.7.2016 – II ZR 74/14, ZIP 2016, 1627, 1628 Rz. 14; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 738 BGB Rz. 30. BGH v. 9.3.1981 – II ZR 70/80, ZIP 1981, 612; BGH v. 4.7.1988 – II ZR 312/87, NJW-RR 1988, 1249; BGH v. 12.7.1999 – II ZR 4/98, ZIP 1999, 1526, 1527. BGH v. 19.7.2010 – II ZR 57/09, ZIP 2010, 1637, 1638 Rz. 7. BGH v. 8.7.2008 – XI ZR 230/07, ZIP 2008, 1762, 2763 Rz. 17. BGH v. 18.5.2021 – II ZR 41/20, ZIP 2021, 1542, 1543 Rz. 9; BGH v. 3.4.2019 – IV ZR 90/18, ZIP 2019, 1072, Rz. 14. BGH v. 4.7.2017 – XI ZR 562/15, ZIP 2017, 1610 Rz. 86. BGH v. 13.1.2015 – XI ZR 303/12, BGHZ 204, 30 = ZIP 2015, 420, 424 Rz. 41 f.; BGH v. 18.5.2021 – II ZR 41/20, ZIP 2021, 1542, 1543 Rz. 11. BGH v. 18.5.2021 – II ZR 41/20, ZIP 2021, 1542, 1543 ff.
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Ansprüche des ausgeschiedenen Gesellschafters | Rz. 14 § 728 BGB
ßung.35 Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Wirksamkeit der Ausschließung zwischen den Parteien unstreitig oder offensichtlich ist.
2. Angemessenheit der Abfindung a) Begriff der Angemessenheit Die Abfindung muss angemessen sein. Der ausgeschiedene Gesellschafter soll ein vollwerti- 13 ges Äquivalent für den durch das Ausscheiden bedingten Verlust der Mitgliedschaft erhalten.36 Zu diesem Zweck ist grundsätzlich der wahre Wert der Mitgliedschaft heranzuziehen, der in der Regel indirekt aus dem Unternehmenswert ermittelt wird. Da das MoPeG die Verknüpfung zum fiktiven Auseinandersetzungsguthaben gelöst hat, ist aber nun auch eine direkte Anteilsbewertung möglich,37 wie auch Abs. 2 („Wert des Gesellschaftsanteils“) zum Ausdruck bringt. Bewertungsobjekt ist dann nicht das Unternehmen, sondern der einzelne Anteil als selbstständig handelbares Gut. Die isolierte Ermittlung des Anteilswerts wird jedoch allenfalls in Publikumsgesellschaften in Betracht kommen, bei denen es für die Mitgliedschaft einen funktionierenden Markt gibt und der Anteilswert dementsprechend aus Marktpreisen abgeleitet werden kann.38 Unklar bleibt die Bedeutung des Hinweises in der Gesetzesbegründung, wonach das Kriteri- 14 um der Angemessenheit den Gesellschaftern bei der Ermittlung der Abfindungshöhe mehr Freiraum belassen und insbesondere die Möglichkeit einräumen soll, die finanziellen Belastungen des Abfindungsanspruchs für die grundsätzlich fortbestehende Gesellschaft zu berücksichtigen.39 Auf den ersten Blick scheint der Gesetzgeber damit den Gesellschaftern die Konkretisierung der „Angemessenheit“ zu überantworten und die Abfindung auch dann als i.S.v. Abs. 1 Satz 1 „angemessen“ anzuerkennen, wenn sie nicht dem wahren Wert der Mitgliedschaft entspricht, sofern der andernfalls erforderliche Mittelabfluss den Fortbestand der Gesellschaft gefährden würde. Gegen ein solches Verständnis ist jedoch anzuführen,40 dass die Gesetzesbegründung zugleich den erforderlichen Schutz des ausscheidenden Gesellschafters betont und eine hinreichende Flexibilität für die verbleibenden Gesellschafter offensichtlich bereits durch das Prinzip der Methodenoffenheit (Rz. 17) und die Möglichkeit der Schätzung (Abs. 2, Rz. 16) gewährleistet sieht.41 Zudem gilt es zu berücksichtigen, dass mit einem dahingehenden Verständnis der Angemessenheit eine erhebliche Rechtsunsicherheit betreffend die ohnehin konfliktträchtige Abfindungshöhe einhergehen würde. Letztlich würde die Disponibilität des gesetzlichen Bewertungsziels dazu führen, dass eine gesellschaftsvertraglich vereinbarte Abfindungshöhe (Rz. 27 ff.) mangels Bewertungsmaßstabs nicht mehr gerichtlich überprüfbar wäre.42 Da das MoPeG jedoch an der gerichtlichen Wirksamkeitskontrolle abweichender Regelungen festhält (Rz. 4, 29 ff.), ist anzunehmen, dass der Gesetzgeber
35 36 37 38
39 40 41 42
BGH v. 18.5.2021 – II ZR 41/20, ZIP 2021, 1542. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 176. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 176. Schäfer in MünchKomm/BGB, § 738 BGB Rz. 33; Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 728 BGB Rz. 30; Kopp, ZIP 2022, 875, 880; Walter, ZIP 2022, 2587, 2591; Servatius, GbR, § 728 BGB Rz. 34. Bergmann (in Schäfer, Neues PersGesR, § 7 Rz. 64) verweist zudem auf die die Möglichkeit, konkrete Kaufangebote zu berücksichtigen. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 175; weniger eindeutig noch: Mauracher Entwurf, 124. Ebenfalls ablehnend: Hüttemann/Meyer, ZIP 2022, 935, 937 ff., 940 ff. Anders aber: Servatius, GbR, § 728 BGB Rz. 40 f.; tendenziell auch: R. Koch in BeckOGK/BGB, Stand: 1.6.2023, § 728 BGB Rz. 33. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 176. Hüttemann/Meyer, ZIP 2022, 935, 937. Zur Orientierung der gerichtlichen Überprüfung an dem gesetzlichen Anteilswert: Schäfer in Habersack/Schäfer, § 131 HGB Rz. 155. Guntermann | 483
§ 728 BGB Rz. 14 | Rechtsfähige Gesellschaft auch das bisherige gesetzliche Bewertungsziel beibehalten wollte. Die Abfindung ist daher – vorbehaltlich einer wirksamen abweichenden gesellschaftsvertraglichen Regelung (Rz. 27 ff.) – nur dann angemessen, wenn sie dem wahren Anteilswert entspricht (Rz. 13).43 15 Ausdrücklich offen lässt die Gesetzesbegründung, ob bei der Ermittlung der angemessenen
Abfindung auch rein anteilsbezogene Faktoren, z.B. eine disquotale Ergebnis- oder Stimmverteilung, Entnahme-, Ausschüttungs- und Kündigungsbeschränkungen, die geringeren Einflussmöglichkeiten der Minderheit sowie die rechtliche und faktische Unveräußerlichkeit der Beteiligung, zu berücksichtigen sind.44 Der „weiche“ Angemessenheitsbegriff zeigt sich dafür ebenso offen45 wie die nunmehr mögliche direkte Anteilsbewertung. Auch lässt sich die Unmaßgeblichkeit solcher Faktoren nicht mehr zwingend mit der Parallele zur Auseinandersetzung begründen, die zur quotalen Teilhabe am Liquidationserlös berechtigt (§ 734 BGB a.F.).46 Ein pauschaler Minderheitenabschlag scheitert dagegen ebenso wie ein Abschlag wegen einzelner Beschränkungen der Gesellschafterrechte am Grundsatz der Gleichbehandlung, der auch im Verhältnis der Personengesellschaft zu ihren Gesellschaftern und damit im Verhältnis der Abfindungsschuldnerin zum jeweiligen Abfindungsgläubiger Geltung beansprucht.47 Die fehlende Fungibilität haftet demgegenüber grundsätzlich sämtlichen GbR-Anteilen in gleicher Weise an, so dass ein Abschlag wegen der Unveräußerlichkeit der Beteiligung nur bei dem ausscheidenden Gesellschafter nicht gerechtfertigt wäre.48 Eine disquotale Ergebnisverteilung ist dagegen auch bei der indirekten Anteilsbewertung für die Bestimmung des Anteils am Überschuss/Fehlbetrag entscheidend (Rz. 20).49 b) Bewertung des Anteils 16 Der Anteil des ausscheidenden Gesellschafters ist zum Tag des Ausscheidens zu bewerten.50
Dabei ist weiterhin eine Schätzung zulässig (Abs. 2). Wie das Prinzip der Methodenoffenheit (Rz. 17) soll die Möglichkeit der Schätzung die gerichtliche Kontrolldichte reduzieren und dadurch dem Umstand Rechnung tragen, dass jeder Bewertung eine spezifische Unsicherheit immanent ist.51 Weiter reduzieren lässt sich die mit dem Erfordernis der Bewertung einhergehende Unsicherheit durch praxisübliche Klauseln, wonach die Bewertung mit verbindlicher Wirkung durch einen Schiedsgutachter oder eine sonstige neutrale Stelle erfolgt, sofern die Beteiligten sich nicht innerhalb einer bestimmten Frist über die Höhe der Abfindung einigen können.52
43 Hüttemann/Meyer, ZIP 2022, 935, 940. 44 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 175. Dafür: Bochmann, ZGR Sonderheft 23 (2021), 221, 246 f. 45 Anders: Hüttemann/Meyer, ZIP 2022, 935, 940. 46 Hüttemann/Meyer, ZIP 2022, 935, 939. Dazu: Fleischer, ZIP 2012, 1633, 1636; Fleischer in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2019, Rz. 20.12. 47 Großfeld, JZ 1981, 769, 770 ff.; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 131 HGB Rz. 160. Mit abweichender Begründung auch: OLG Köln v. 26.3.1999 – 19 U 108/96, NZG 1999, 1222, 1227 (zum GmbHRecht). Anders: Sigle, ZGR 1999, 659, 669 f.; Servatius, GbR, § 728 BGB Rz. 34; offen auch: Walter, ZIP 2022, 2587, 2591. 48 Großfeld, JZ 1981, 769, 775. Im Ergebnis auch: OLG Köln v. 26.3.1999 – 19 U 108/96, NZG 1999, 1222, 1227; Fleischer, ZIP 2012, 1633, 1639; Fleischer in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 331 ff.; offener: Walter, ZIP 2022, 2587, 2591. 49 Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 131 HGB Rz. 100; Wagner/Nonnenmacher, ZGR 1981, 674, 675. 50 BGH v. 20.10.2003 – II ZR 7/01, DStR 2004, 97, 98; Schulte/Hushahn in MünchHdb. GesR I, § 10 Rz. 82; Habermeier in Staudinger, § 738 BGB Rz. 14. 51 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 176. 52 Habermeier in Staudinger, § 738 BGB Rz. 18.
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Ansprüche des ausgeschiedenen Gesellschafters | Rz. 19 § 728 BGB
Der Anteilswert kann auch – und dies dürfte den praktischen Regelfall darstellen – indirekt 17 aus dem Unternehmenswert abgeleitet werden.53 Zu diesem Zweck sind Fortführungs-, nicht Liquidationswerte zu ermitteln. Maßgeblich ist der Wert, der sich bei einem Verkauf des lebensfähigen Unternehmens als Einheit – einschließlich der stillen Reserven und des good will – ergeben würde.54 Eine bestimmte Bewertungsmethode sieht Abs. 1 nicht vor (Prinzip der Methodenoffenheit). Durch die Entkoppelung von dem fiktiven Auseinandersetzungsguthaben ist auch die vermeintlich vorrangige Maßgeblichkeit der Substanzwertmethode entfallen.55 So erklärt sich auch die Streichung von § 740 BGB a.F. (Rz. 19).56 Die richtige Bewertungsmethode ist sachverhaltsspezifisch in Abhängigkeit von den Besonderheiten des Tätigkeitsbereichs der Gesellschaft auszuwählen.57 Bei unternehmenstragenden Gesellschaften wird in der Praxis regelmäßig die sog. Ertrags- 18 wertmethode angewendet, bei der künftige Jahreserträge auf der Basis der ordentlichen Erträge und Aufwendungen der letzten Geschäftsjahre geschätzt und unter Zugrundelegung eines geeigneten Kapitalisierungszinssatzes auf den Bewertungszeitpunkt abgezinst werden.58 Eine Untergrenze stellt dabei der Substanzwert dar.59 Möglich ist aber auch die Anwendung des sog. Discounted Cashflow-Verfahrens (DCF-Verfahren). Hier werden künftige Überschüsse statt anhand der zu erwartenden Differenz von Erträgen und Aufwendungen anhand des Cashflow, also des jährlich zu erzielenden Einnahmeüberschusses abzgl. Investitionskosten und Unternehmenssteuern – jedoch ohne Berücksichtigung von Abschreibungen und Fremdkapitalkosten – ermittelt.60 Ausnahmsweise kann auch eine reine Substanzwertmethode angewendet werden, wenn dies im Gesellschaftsvertrag vorgesehen ist oder wenn der Ertragswert unter dem Substanzwert liegt.61 Der Substanzwert ermittelt sich aus dem Wert der einzelnen materiellen und immateriellen Bestandteile des Gesellschaftsvermögens, wobei Sachwerte zu Wiederbeschaffungswerten anzusetzen und stille Reserven zu berücksichtigen sind.62 Bei der Ermittlung des künftigen Ertrags zu berücksichtigen sind auch schwebende Geschäf- 19 te, die vor Inkrafttreten des MoPeG unter § 740 BGB a.F. fielen.63 Mit Blick auf die bewusste Streichung der Norm wird man auch nicht annehmen können, dass ihr Rechtsgedanke fortgilt, wenn der Anteilswert ausnahmsweise aufgrund von Substanzwerten ermittelt wird (Rz. 18).64 Dies erscheint auch insoweit sachgerecht, als die Norm selbst unter vorrangiger Anwendung der Substanzwertmethode überwiegend abbedungen wurde, weil fortdauernde Geschäftsbeziehungen zwischen der Gesellschaft und dem Ausgeschiedenen und damit ein-
53 Kritisch: Hüttemann/Meyer, ZIP 2022, 935, 939 f. 54 BGH v. 21.4.1955 – II ZR 227/53, BGHZ 17, 130, 136 = NJW 1955, 1025, 1027; BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 = ZIP 1992, 237, 240; Westermann in Erman, § 738 BGB Rz. 5a; Hadding/Kießling in Soergel, § 738 BGB Rz. 30; Walter, ZIP 2022, 2587, 2590. 55 Kritisch: Hüttemann/Meyer, ZIP 2022, 935, 938 f. 56 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 176. 57 BGH v. 24.10.1990 – XII ZR 101/89, MDR 1991, 343; BGH v. 24.5.1993 – II ZR 36/92, ZIP 1993, 1160, 1162; Kopp, ZIP 2022, 875, 880. 58 BGH v. 9.11.1998 – II ZR 190/97, ZIP 1998, 2151; BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 (371) = ZIP 1992, 237, 240 f.; Habermeier in Staudinger, § 738 BGB Rz. 18; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 738 BGB Rz. 24; Westermann in Erman, § 738 BGB Rz. 5a. 59 Habermeier in Staudinger, § 738 BGB Rz. 18; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 738 BGB Rz. 24; Westermann in Erman, § 738 BGB Rz. 5a. 60 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 738 BGB Rz. 36; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 131 HGB Rz. 143. 61 Habermeier in Staudinger, § 738 BGB Rz. 18; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 738 BGB Rz. 24. 62 Böcking/Rauschenberg in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, Rz. 2.40 ff. 63 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 740 BGB Rz. 3; Habermeier in Staudinger, § 740 BGB Rz. 1. 64 Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 728 Rz. 3. Guntermann | 485
§ 728 BGB Rz. 19 | Rechtsfähige Gesellschaft hergehende Rechenschaftspflichten dem Interesse der Beteiligten in der Regel nicht entsprachen.65 20 Der Anteil des Gesellschafters am danach ermittelten Unternehmenswert bemisst sich – vor-
behaltlich einer abweichenden Vereinbarung – nach dem im Zeitpunkt des Ausscheidens geltenden Gewinnverteilungsschlüssel (§ 709 Abs. 3 BGB).66 Dies folgt unmittelbar aus § 728a BGB. Wenn der Anteil an Gewinn und Verlust maßgeblich ist für die quotale Beteiligung des Ausgeschiedenen an einem etwaigen Fehlbetrag (Rz. 26), muss dies auch für die Verteilung von Überschüssen gelten.
3. Ermittlung des Abfindungsanspruchs 21 Zur Ermittlung des Abfindungsanspruchs hat die Gesellschaft regelmäßig eine Abfindungs-
rechnung auf den Stichtag des Ausscheidens aufzustellen.67 Zwar ist eine der Schlussabrechnung bei der Auflösung entsprechende Abfindungs- oder Abschichtungsbilanz wegen der grundsätzlichen Unmaßgeblichkeit der Substanzwertmethode (Rz. 16) nicht länger erforderlich, um den Unternehmenswert für die indirekte Anteilsbewertung zu ermitteln.68 Gleichwohl bedarf es regelmäßig einer Abfindungsrechnung, um aus dem anteiligen Unternehmens- bzw. Anteilswert unter Berücksichtigung sonstiger Ansprüche und Verbindlichkeiten (Rz. 23 ff.) die Höhe des Abfindungsanspruchs abzuleiten oder einen etwaigen Fehlbetrag festzustellen (Rz. 26).69 22 Zur Aufstellung verpflichtet ist die Gesellschaft,70 wobei auch die Gesellschafter gem. § 721
BGB persönlich haften.71 Auch den ausgeschiedenen Gesellschafter können im Rahmen seiner Möglichkeiten Mitwirkungspflichten treffen.72 Der Ausgeschiedene kann gem. § 810 BGB die Geschäftsunterlagen einsehen, sofern er daran ein rechtliches Interesse hat.73 Der Auskunftsanspruch nach § 717 Abs. 1 BGB entfällt dagegen mit dem Ausscheiden. Wird die Abfindungsrechnung zwischen den Beteiligten durch Beschluss, der unter Beteiligung des Ausgeschiedenen zu fassen ist, festgestellt, entfaltet sie entsprechend § 779 BGB Bindungswirkung.74 Weder die Aufstellung noch die Feststellung der Abfindungsrechnung sind jedoch Voraussetzung für die Entstehung oder die Fälligkeit des Abfindungsanspruchs (Rz. 10). Gerichtlich durchsetzen kann der ausgeschiedene Gesellschafter den Anspruch auf Aufstel65 Habermeier in Staudinger, § 740 BGB Rz. 1; zu weiteren Schwierigkeiten: Schäfer in MünchKomm/ BGB, § 740 BGB Rz. 3. 66 BGH v. 18.7.2013 – IX ZR 198/10, ZIP 2013, 1533, 1535; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 131 HGB Rz. 160. 67 Bergmann in jurisPK/BGB, Stand: 1.2.2020, § 738 BGB Rz. 13; Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1141 (Stand: 78. EL Oktober 2020); Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 728 Rz. 22. 68 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 738 BGB Rz. 24; Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1145 (Stand: 78. EL Oktober 2020). 69 BGH v. 18.7.2013 – IX ZR 198/10, ZIP 2013, 1533, 1534 f.; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 738 BGB Rz. 25; Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 738 BGB Rz. 24; Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1139 ff. (Stand: 78. EL Oktober 2020). 70 OLG München v. 31.7.2019 – 7 U 651/19, juris Rz. 43; Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 738 BGB Rz. 24; Habermeier in Staudinger, § 738 BGB Rz. 16; Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 728 BGB Rz. 24. 71 BGH v. 22.9.2008 – II ZR 257/07, ZIP 2008, 2359, 2361; LG Heidelberg v. 6.11.2019 – 5 O 32/19, ZInsO 2020, 109, 114 Rz. 41; Kopp, ZIP 2022, 875, 881. 72 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 131 HGB Rz. 150; Westermann in Erman, § 738 BGB Rz. 8; einschränkend: Kopp, ZIP 2022, 875, 881 f. 73 BGH v. 17.4.1989 – II ZR 258/88, ZIP 1989, 768, 769. 74 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 738 BGB Rz. 29; Habermeier in Staudinger, § 738 BGB Rz. 17.
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Ansprüche des ausgeschiedenen Gesellschafters | Rz. 24 § 728 BGB
lung der Abfindungsrechnung im Wege der Leistungsklage (zum Verhältnis zur Geltendmachung des Zahlungsanspruchs Rz. 10).75 Ein durchsetzbarer Anspruch auf Feststellung der Abfindungsrechnung steht dem ausgeschiedenen Gesellschafter dagegen nicht zu.76 Die (Un)Richtigkeit einzelner Bilanzposten oder Berechnungsgrundsätze kann im Wege der Feststellungsklage geltend gemacht werden. Die Subsidiarität der Feststellungsklage steht ihrer Zulässigkeit nicht entgegen.77
4. Gesamtabrechnung Bislang galt für den Abfindungsanspruch das Prinzip der Gesamtabrechnung, d.h. neben 23 dem anteiligen Unternehmenswert wurden sämtliche auf dem Gesellschaftsverhältnis beruhenden Ansprüche und Verbindlichkeiten als unselbstständige Rechnungsposten berücksichtigt. Sie konnten grundsätzlich nicht mehr selbstständig gemacht werden (sog. Durchsetzungssperre).78 Dies wurde im Wesentlichen mit der Parallele zur Auflösung der Gesellschaft begründet.79 Obgleich die Neuregelung dem ausgeschiedenen Gesellschafter eine angemessene Abfindung zuspricht statt ihn auf den fiktiven Auseinandersetzungsanspruch zu verweisen, gilt das Erfordernis der Gesamtabrechnung fort.80 Das Angemessenheitskriterium soll vor allem dem Umstand Rechnung tragen, dass die Gesellschaft trotz Ausscheidens eines Gesellschafters grundsätzlich fortbesteht. Eine völlige Abkehr von der Parallele zur Liquidation ist damit nicht verbunden (Rz. 2 f.). Im Übrigen sprechen Sinn und Zweck der Gesamtabrechnung für eine Fortgeltung. Sie soll das Hin- und Herzahlen zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern vermeiden und dadurch das zwischen ihnen bestehende Rechtsverhältnis rechtssicher beenden und befrieden.81 Dies macht nicht nur für die Auflösung, sondern auch für das Ausscheiden des Gesellschafters Sinn. Daher gilt auch weiterhin, dass sonstige Ansprüche und Verbindlichkeiten aus dem Gesellschaftsverhältnis grundsätzlich in eine Gesamtabrechnung einfließen und nicht isoliert geltend gemacht werden können. Für die Anwendung des Prinzips der Gesamtabrechnung unmaßgebend ist, ob der Abfin- 24 dungsanspruch durch indirekte oder direkte Bewertung des Anteils (Rz. 13) ermittelt wird. Eine Ausnahme vom Prinzip der Gesamtabrechnung wird jedoch anerkannt, wenn sich aus dem Sinn und Zweck der gesellschaftsvertraglichen Bestimmungen ergibt, dass die Einzelansprüche im Falle des Ausscheidens eines Gesellschafters ihre Selbständigkeit behalten sollten.82 Das Prinzip der Gesamtabrechnung steht der Geltendmachung eines unstreitigen Mindestabfindungsbetrags (Rz. 10) nicht entgegen.83
75 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 738 BGB Rz. 30; Habermeier in Staudinger, § 738 BGB Rz. 19. 76 Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 728 BGB Rz. 25. 77 BGH v. 10.1.1951 – II ZR 27/50, NJW 1951, 360; R. Koch in BeckOGK/BGB, Stand: 1.6.2023, § 728 BGB Rz. 22; Westermann in Erman, § 738 BGB Rz. 8; Hadding/Kießling in Soergel, § 738 BGB Rz. 28. Zur Zulässigkeit der Leistungsklage daneben: OLG Koblenz v. 7.2.2002 – 5 U 1170/01, NJW-RR 2002, 827. 78 BGH v. 17.5.2011 – II ZR 285/09, ZIP 2011, 1359; Westermann in Erman, § 738 BGB Rz. 5; Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1143 (Stand: 78. EL Oktober 2020). 79 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 131 HGB Rz. 143. 80 Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 728 BGB Rz. 15; Servatius, GbR, § 728 BGB Rz. 44. 81 BGH v. 3.4.2006 – II ZR 40/05, ZIP 2006, 994, 996; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 131 HGB Rz. 143. 82 BGH v. 17.52011 – II ZR 285/09, ZIP 2011, 1359, 1360 f.; Bergmann in jurisPK/BGB, Stand: 1.2.2020, § 738 BGB Rz. 14. 83 BGH v. 24.10.1994 – II ZR 231/93, ZIP 1994, 1846; BGH v. 10.5.1993 – II ZR 111/92, ZIP 1993, 919. Guntermann | 487
§ 728 BGB Rz. 25 | Rechtsfähige Gesellschaft 25 In die Gesamtabrechnung einzustellen sind sämtliche nicht unternehmenswertbezogenen
gegenseitigen Ansprüche aus dem Gesellschaftsverhältnis. Dazu zählt u.a. der Anspruch des ausgeschiedenen Gesellschafters auf Erstattung des geleisteten Beitrags (entsprechend § 736d Abs. 5 BGB)84 sowie auf Rückgewähr von nicht zu Eigentum überlassenen Gegenständen (Rz. 4). Drittgläubigerforderungen, also Forderungen, die ihre Grundlage nicht im Gesellschaftsvertrag, sondern in einem unabhängig davon mit der Gesellschaft abgeschlossenen Rechtsgeschäft haben, können dagegen neben dem Abfindungsanspruch geltend gemacht werden.85 Forderungen der Gesellschaft gegen einen Mitgesellschafter auf Rückzahlung unberechtigter Entnahmen werden jedenfalls bei der Bemessung des Unternehmenswerts berücksichtigt.86
5. Verlustausgleich 26 Ein Abfindungsanspruch ergibt sich nur, sofern das auf der Grundlage der Abfindungsrech-
nung ermittelte, um die Einlagen der anderen Gesellschafter und die übrigen Gesellschaftsverbindlichkeiten bereinigte Gesellschaftsvermögen einen Überschuss aufweist. Reicht das Gesellschaftsvermögen dagegen nicht zur Deckung der Verbindlichkeiten der Gesellschaft aus, kann der ausgeschiedene Gesellschafter – vorbehaltlich einer abweichenden gesellschaftsvertraglichen Regelung – keine Abfindung verlangen.87 Er ist im Gegenteil zum Ausgleich des auf ihn entfallenden Fehlbetrags verpflichtet (§ 728a BGB).88 Vor dem Hintergrund des Alternativverhältnisses von Abfindung und Fehlbetragshaftung ist der Hinweis in der Gesetzesbegründung, wonach zur Ermittlung eines Fehlbetrags auch der Abfindungsanspruch des Gesellschafters zu berücksichtigen sei, jedenfalls missverständlich.89
III. Vertragliche Abfindungsvereinbarungen 1. Allgemeines 27 Der Abfindungsanspruch steht grundsätzlich zur Disposition der Gesellschafter.90 Dies stellt
Abs. 1 Satz 1, Halbs. 1 nun ausdrücklich klar. Eine Abweichung von der gesetzlichen Regelung kann etwa in Betracht kommen, um die Gesellschaft vor den finanziellen Belastungen der Abfindungsforderung zu schützen oder um die Ermittlung des Abfindungsanspruchs zu vereinfachen.91 28 Die Abweichung kann ausdrücklich, aber auch konkludent vereinbart werden. Ein konklu-
denter Abfindungsausschluss lässt sich jedoch in der Regel nicht allein daraus ableiten, dass die Gesellschaft einen ideellen Zweck verfolgt oder die Gesellschafter auf eine periodische
84 BGH v. 18.7.2013 – IX ZR 198/10, ZIP 2013, 1533, 1535; BGH v. 12.7.2016 – II ZR 74/14, ZIP 2016, 1627, 1628; Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 728 BGB Rz. 34. 85 BGH v. 3.4.2006 – II ZR 40/05, ZIP 2006, 994, 996. 86 BGH v. 12.7.2016 – II ZR 74/14, ZIP 2016, 1627, 1628. 87 BGH v. 14.2.1974 – II ZR 83/72, NJW 1974, 899. 88 Hadding/Kießling in Soergel, § 739 BGB Rz. 3. Zum fortgeltenden Alternativverhältnis: Bergmann in Schäfer, Neues PersGesR, § 7 Rz. 66; Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 728 BGB Rz. 35. 89 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 176. Darauf ebenfalls hinweisend: Servatius, GbR, § 728a BGB Rz. 6. 90 BGH v. 2.6.1997 – II ZR 81/96, BGHZ 135, 387 = ZIP 1997, 1453. 91 Habermeier in Staudinger, § 738 BGB Rz. 21; Heckelmann, Abfindungsklauseln in Gesellschaftsverträgen, Habil. Mainz 1973, S. 37 ff.
488 | Guntermann
Ansprüche des ausgeschiedenen Gesellschafters | Rz. 31 § 728 BGB
Gewinnverteilung verzichten.92 Eine ergänzende Vertragsauslegung eignet sich dagegen nicht, um eine Abweichung von Abs. 1 Satz 1 zu begründen, da es wegen der gesetzlichen Auffangregelung an einem Regelungsbedürfnis fehlt, das Voraussetzung für die ergänzende Vertragsauslegung wäre.93
2. Grenzen a) Allgemeines Von Abs. 1 Satz 1 abweichende Vereinbarungen insbesondere betreffend die Höhe der Abfin- 29 dung oder die Modalitäten der Auszahlung sind an § 138 Abs. 1 BGB zu messen. Der vom 71. Deutschen Juristentag empfohlene Vorrang einer Ausübungskontrolle wurde bewusst nicht aufgegriffen (Rz. 4). Die Ausübungskontrolle behält neben der Wirksamkeitskontrolle dennoch eigenständige Bedeutung. So kann die Berufung auf eine (wirksame und nicht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung anzupassende) vertragliche Abfindungsklausel im Einzelfall rechtsmissbräuchlich sein.94 Im Rahmen der Wirksamkeitskontrolle sind Abfindungsklauseln weiterhin an dem vom 30 BGH entwickelten zweistufigen Prüfungsprogramm zu messen.95 Wird der Abfluss von Gesellschaftskapital durch die Abfindungsklausel schon bei ihrer Vereinbarung in einem Maße beschränkt, das vollkommen außer Verhältnis steht zu der Beschränkung, die erforderlich wäre, um im Interesse der verbleibenden Gesellschafter den Fortbestand und die Fortführung des Unternehmens zu sichern, ist die Klausel gem. § 138 Abs. 1 BGB nichtig.96 Bei der Prüfung ist zu berücksichtigen, dass durch das MoPeG das Verhältnis von Ausscheiden und Auflösung umgekehrt wurde. Daher kann mit Blick auf die Beeinträchtigung des Fortbestands des Unternehmens durch eine Abfindungszahlung im Einzelfall eine stärkere Einschränkung des Abfindungsrechts gerechtfertigt sein als vor dem MoPeG.97 Ist eine gesellschaftsvertragliche Klausel danach nichtig, tritt an die Stelle der nichtigen Klausel die gesetzliche Regelung (§ 728 Abs. 1 Satz 1 BGB). Eine Lückenfüllung im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung muss schon zur Vermeidung eines „Teilerfolgs“ des sittenwidrig Handelnden ausscheiden.98 Eine geltungserhaltende Reduktion findet ebenfalls nicht statt.99 Umgekehrt führt die Unwirksamkeit der Abfindungsklausel grundsätzlich nicht zur Unwirksamkeit des gesamten Gesellschaftsvertrags. Auch bleibt die Wirksamkeit des Ausscheidens von der nichtigen Abfindungsregelung unberührt.100 Tritt dagegen erst im Zeitablauf nach Vertragsschluss ein grobes Missverhältnis zwischen 31 dem vertraglichen Abfindungsbetrag und dem wirklichen Anteilswert auf, bleibt die Klausel wirksam. Ihr Inhalt ist aber im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung nach den Grundsätzen von Treu und Glauben unter angemessener Abwägung der Interessen der Gesellschaft und des ausscheidenden Gesellschafters und unter Berücksichtigung aller Umstände des 92 OLG Karlsruhe v. 12.5.2021 – 7 U 176/19, ZInsO 2021, 1786, 1788 f. Rz. 26; LG Heidelberg v. 6.11.2019 – 5 O 32/19, ZInsO 2020, 109, 115 Rz. 44. 93 LG Heidelberg v. 6.11.2019 – 5 O 32/19, ZInsO 2020, 109, 115 Rz. 45. 94 Fleischer/Bong, WM 2017, 1957, 1965; einschränkend: Servatius, GbR, § 728 BGB Rz. 70. 95 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 175 f. Zu damit einhergehenden Unsicherheiten für den Fall des Ausscheidens von Todes wegen: Lange/Kretschmann, ZEV 2021, 545, 548. 96 BGH v. 27.9.2011 – II ZR 279/09, ZIP 2011, 2357 Rz. 12 ff. 97 So auch: Servatius, GbR, § 728 BGB Rz. 2, 54; M. Noack, NZG 2020, 581, 584; R. Koch in BeckOGK/BGB, Stand. 1.6.2023, § 728 BGB Rz. 35. 98 Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 728 BGB Rz. 75 f.; anders: Servatius, GbR, § 728 BGB Rz. 68. 99 Büttner in FS Nirk, 1992, S. 119, 126 f. 100 BGH v. 23.10.1972 – II ZR 31/70, NJW 1973, 651, 652; BGH v. 7.5.1973 – II ZR 140/71, NJW 1973, 1606, 1607. Guntermann | 489
§ 728 BGB Rz. 31 | Rechtsfähige Gesellschaft konkreten Falls (z.B. Dauer der Mitgliedschaft, Anteil des Ausgeschiedenen an Aufbau und Erfolg des Unternehmens, Anlass des Ausscheidens, Vermögens- und Ertragsstruktur des Unternehmens) entsprechend den veränderten Verhältnissen anzupassen.101 Das Ergebnis der Lückenfüllung lässt sich durch eine praxisübliche salvatorische Klausel, in der die Reduktion auf das noch zulässige Maß vereinbart wird, determinieren.102 Fehlt es dagegen ausnahmsweise an der für die ergänzende Vertragsauslegung erforderlichen Vertragslücke, können die Gesellschafter gem. § 242 BGB daran gehindert sein, sich auf die Abfindungsklausel zu berufen.103 Auch in diesem Fall kommt die gesetzliche Regelung zum Zuge. b) Gläubigerbenachteiligung 32 Die Abfindungsklausel kann auch dann gem. § 138 Abs. 1 BGB wegen Gläubigerbenachteili-
gung nichtig sein, wenn sie speziell für die Fälle des Ausscheidens gem. § 723 Abs. 1 Nr. 3 BGB (Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Gesellschafters) oder § 723 Abs. 1 Nr. 4 BGB (Kündigung durch einen Privatgläubiger) den Abfindungsanspruch ausschließt oder beschränkt.104 Dies folgt nun jedenfalls aus der Wertung des § 723 Abs. 1, Halbs. 2 BGB, der Klauseln entgegensteht, die für diese Fälle den Fortbestand der Gesellschaft mit dem betroffenen Gesellschafter anordnen (§ 723 BGB Rz. 22). Dadurch soll den Gesellschaftergläubigern der Zugriff auf den Abfindungsanspruch ermöglicht werden.105 Dieser Zugriff ist jedoch nicht nur durch Klauseln bedroht, die das Ausscheiden ausschließen, sondern auch durch solche, die unmittelbar den Abfindungsanspruch betreffen. Beschränkungen des Abfindungsanspruchs, die nicht auf die Gläubigerbenachteiligung gerichtet sind und den Gesellschafter in vergleichbaren Fällen ebenso treffen können, sind dagegen hinzunehmen.106 c) Kündigungserschwerungen 33 Bislang war die Regelung zusätzlich an § 723 Abs. 3 BGB a.F. zu messen, der jede Verein-
barung, durch welche das Kündigungsrecht ausgeschlossen oder beschränkt wurde, für nichtig erklärte. § 725 Abs. 6 BGB beschränkt das Verbot nun auf Vereinbarungen, die das Kündigungsrecht aus wichtigem Grund (§ 725 Abs. 2 BGB) bzw. das Kündigungsrecht wegen Volljährigkeit (§ 725 Abs. 4 BGB) ausschließen oder beschränken (§ 725 BGB Rz. 31 ff.). Für diese Fälle wird man annehmen können, dass auch eine mittelbare Kündigungsbeschränkung durch eine Abfindungsklausel unter § 725 Abs. 6 zu subsumieren sein kann.107 Die Abfindungsklausel ist jedoch nur dann nichtig, wenn sie schon bei Vertragsschluss auf-
101 BGH v. 20.9.1993 – II ZR 104/92, BGHZ 123, 281, 284 f. = ZIP 1993, 1611; BGH v. 27.9.2011 – II ZR 279/09, ZIP 2011, 2357 Rz. 13; kritisch: Schulte/Hushahn in MünchHdb. GesR I, § 38 Rz. 36; Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 738 BGB Rz. 41 f.; Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 728 BGB Rz. 52 (stattdessen Korrektur über den Missbrauchseinwand). 102 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 738 BGB Rz. 76 f.; Kamanabrou in Oetker, § 131 HGB Rz. 95; Haack, GmbHR 1994, 438, 441 f.; anders etwa: Ulmer, ZIP 2010, 805, 811. 103 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 204 unter Verweis auf: Fleischer/Bong, WM 2017, 1957, 1965; zustimmend: Bergmann in Schäfer, Neues PersGesR, § 7 Rz. 65. 104 So bislang schon: BGH v. 12.6.1975 – II ZB 12/73, BGHZ 65, 22, 28 = NJW 1975, 1835, 1836; BGH v. 19.6.2000 – II ZR 73/99, BGHZ 144, 365, 366 f. = ZIP 2000, 1294 (für die GmbH); Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1153 (Stand: 78. EL Oktober 2020). 105 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 170. 106 BGH v. 24.5.1993 – II ZR 36/92, ZIP 1993, 1160, 1161; Schulte/Hushahn in MünchHdb. GesR I, § 10 Rz. 99. 107 Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 728 BGB Rz. 48; R. Koch in BeckOGK/BGB, Stand: 1.6.2023, § 728 BGB Rz. 38.
490 | Guntermann
Ansprüche des ausgeschiedenen Gesellschafters | Rz. 35 § 728 BGB
grund wirtschaftlich nachteiliger Folgen die Freiheit des Gesellschafters, sich zu einer außerordentlichen Kündigung zu entschließen, unvertretbar einengt.108 Dazu muss zwischen dem wirklichen Anteilswert und dem vereinbarten Abfindungsbetrag ein erhebliches Missverhältnis bestehen.109 Konkrete Grenzen, die in der Literatur für den Fall der faktischen Beschränkung des Rechts zur ordentlichen Kündigung definiert wurden,110 wird man wegen der besonderen Bedeutung des Rechts zur außerordentlichen Kündigung nicht ohne weiteres heranziehen können.111 Eine Umgehungsabsicht der Mitgesellschafter ist nicht erforderlich.112 An die Stelle einer unwirksamen Klausel treten die gesetzlichen Bestimmungen (§ 725 BGB Rz. 32).113 Eine geltungserhaltende Reduktion kommt auch bei einer einheitlich für sämtliche Ausscheidensfälle formulierte Abfindungsklausel nicht in Betracht.114 Zwar betrifft die Unwirksamkeit gemäß § 725 Abs. 6 unmittelbar nur das außerordentliche Kündigungsrecht. Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Gesellschafter vor seinem Ausscheiden mit Blick auf die nachteiligen Folgen von einer außerordentlichen Kündigung abgesehen hat. Dann wirkt die Kündigungsbeschränkung aber im Grunde bis zu seinem Ausscheiden aus anderem Grund fort.115 Tritt die faktische Beschränkung des Kündigungsrechts nachträglich ein, ist die Klausel nicht unwirksam, sondern der Anspruch ist im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung neu zu bewerten (Rz. 31).116 Für die ordentliche Kündigung sieht der Gesetzgeber nun keine Einschränkung mehr vor 34 (§ 725 BGB Rz. 27). Die Gesetzesbegründung verweist stattdessen auf die bewegliche Schranke des § 138 BGB, wobei die Wertung des § 725 Abs. 6 BGB Eingang in die Sittenwidrigkeitsprüfung finde.117 Das wird man dahingehend verstehen müssen, dass Abfindungsklauseln, die die Freiheit des Gesellschafters, sich zu einer ordentlichen Kündigung zu entschließen, einengen, nur noch in krassen Ausnahmefällen der Nichtigkeit unterfallen bzw. Anlass zu einer Anpassung der Abfindung im Wege ergänzender Vertragsauslegung geben.118
3. Einzelfälle Ein völliger Ausschluss des Abfindungsanspruchs ist danach regelmäßig unwirksam. Aus- 35 nahmen werden einerseits anerkannt für Gesellschaften mit rein ideellem Zweck.119 Die Be-
108 BGH v. 24.9.1984 – II ZR 256/83, NJW 1985, 192, 193; zur Beschränkung der Unwirksamkeitsfolge auf anfänglich unwirksame Klauseln: BGH v. 20.9.1993 – II ZR 104/92, ZIP 1993, 1611. 109 R. Koch in BeckOGK/BGB, Stand: 1.6.2023, § 728 BGB Rz. 39; Habermeier in Staudinger, § 738 BGB Rz. 25. 110 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 738 BGB Rz. 52; Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 728 BGB Rz. 50; Habermeier in Staudinger, § 738 BGB Rz. 26. 111 Tendenziell: BGH v. 24.5.1993 – II ZR 36/92, ZIP 1993, 1160, 1161; Schäfer in MünchKomm/ BGB, § 738 BGB Rz. 51; Habermeier in Staudinger, § 738 BGB Rz. 26; R. Koch in BeckOGK/BGB, Stand: 1.6.2023, § 728 BGB Rz. 40. 112 R. Koch in BeckOGK/BGB, Stand: 1.6.2023, § 728 BGB Rz. 38. 113 Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2022, § 723 BGB Rz. 32; Hadding/Kießling in Soergel, § 723 BGB Rz. 55; Habermeier in Staudinger, § 723 BGB Rz. 41; anders (ergänzende Vertragsauslegung): Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 728 BGB Rz. 75. 114 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 738 BGB Rz. 74. 115 Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 728 BGB Rz. 72; zuvor schon: Schäfer in Habersack/Schäfer, § 131 HGB Rz. 173, 177; R. Koch in BeckOGK/BGB, Stand: 1.6.2023, § 728 BGB Rz. 56. 116 BGH v. 20.9.1993 – II ZR 104/92, ZIP 1993, 1611; BGH v. 24.9.1984 – II ZR 256/83, NJW 1985, 192. 117 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 174. 118 Im Ergebnis auch: Lübke in BeckOGK/BGB, Stand: 1.4.2023, § 723 BGB Rz. 114.1. 119 BGH v. 2.6.1997 – II ZR 81/96, BGHZ 135, 387 = ZIP 1997, 1453, 1454; LG Heidelberg v. 6.11.2019 – 5 O 32/19, ZInsO 2020, 109, 114 Rz. 42; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 738 BGB Rz. 63. Guntermann | 491
§ 728 BGB Rz. 35 | Rechtsfähige Gesellschaft teiligung des Ausgeschiedenen an der GbR beruht in diesem Fall primär auf altruistischen Vorstellungen, so dass nicht anzunehmen ist, dass seine wirtschaftliche Freiheit durch das Fehlen eines Abfindungsanspruchs beeinträchtigt wird. Auch in Freiberufler-Sozietäten wird ein Ausschluss für zulässig erachtet, sofern es dem Ausgeschiedenen durch die vertragliche Gestaltung ermöglicht wird, sich unter Mitnahme der schon bisher von ihm betreuten Mandanten (Patienten) eine eigene Existenz aufzubauen.120 Ebenfalls zulässig sind Regelungen, die für den Fall des Ausscheidens durch Tod einen Abfindungsanspruch ausschließen. Sie werden als vorweggenommene unentgeltliche Verfügungen über den Anteilswert auf den Todesfall qualifiziert.121 Ferner kann der Anspruch auf Abfindung ersetzt werden durch einen Anspruch auf den Verkaufserlös aus einem freihändigen Verkauf des Anteils durch die geschäftsführenden Gesellschafter.122 36 Klauseln, die die Höhe der Abfindung auf einen Betrag beschränken, der die gem. Abs. 1
Satz 1 geschuldete angemessene Abfindung unterschreitet, können zulässig sein, wenn sie auf nachvollziehbare, das Abfindungsinteresse des Gesellschafters begrenzende Interessen auf Seiten der Gesellschaft gestützt sind.123 Zu berücksichtigen sind insbesondere die Umstände des Ausscheidens sowie die finanziellen Belastungen der Abfindungszahlung sowie deren Auswirkungen auf den Fortbestand der Gesellschaft.124 Eine weitergehende Beschränkung der Abfindungshöhe kann wegen der treuhandähnlichen Mitgliedschaft und ihrer Ausrichtung auf generationenübergreifende Bestandssicherung auch in großen Familiengesellschaften gerechtfertigt sein. Dies wird im Anschluss an Ulmer insbesondere in Betracht kommen, wenn in der Gesellschaft dauerhaft nur ein beschränkter Jahresüberschuss als Gewinn an die Gesellschafter ausgekehrt wird. Diese regelmäßige Gewinnquote kann dann auch der Bemessung des Ertragswerts des jeweiligen Anteils zugrunde gelegt werden.125 Dagegen erscheint es nicht sachgerecht, eine Abfindungsbeschränkung mit Blick auf die Vertragsfreiheit der Gesellschafter zuzulassen, soweit die Abfindung nur den Wert der Einlage des jeweiligen Gesellschafters deckt.126 Dadurch wird verkannt, dass die Wirksamkeitsschranke des § 138 Abs. 1 BGB gerade dem Schutz der benachteiligten Vertragspartei dient, die sich nicht eigenverantwortlich vor einer ihren Interessen zuwiderlaufenden Regelung bewahren konnte. 37 Typischerweise betreffen gesellschaftsvertragliche Klauseln nicht unmittelbar die Höhe des
Abfindungsanspruchs, sondern die Art ihrer Berechnung. In der Praxis sind häufig sog. Buchwertklauseln anzutreffen, die auf für die Bemessung des Abfindungsanspruchs auf das bilanzielle Eigenkapital abstellen und u.a. stille Reserven unberücksichtigt lassen.127 Solche Klauseln sind in der Regel nicht wegen Sittenwidrigkeit unwirksam, da sich im Zeitraum nach der Gründung Buchwert und Verkehrswert häufig kaum unterscheiden.128 Allerdings kann sich ein grobes Missverhältnis zum wahren Anteilswert mit zunehmendem Zeitablauf
120 BGH v. 17.5.2011 – II ZR 285/09, ZIP 2011, 1359, 1362; BGH v. 12.7.2016 – II ZR 74/14, ZIP 2016, 1627, 1628 Rz. 16. 121 KG v. 19.9.1958 – 12 U 842/58, JR 1959, 101; BGH v. 22.11.1956 – II ZR 222/55, BGHZ 22, 186, 194 = NJW 1957, 180, 181. 122 BGH v. 21.1.2014 – II ZR 87/13, DStR 2014, 1404. 123 Kilian in Henssler/Strohn, § 738 BGB Rz. 18. 124 Zu letzterem: Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 175. 125 Ulmer, ZIP 2010, 805, 813 ff.; zustimmend etwa: Krämer, Das Sonderrecht der Familiengesellschaften, 2019, S. 275 ff., 310 ff.; Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 728 BGB Rz. 58. 126 So aber: Servatius, GbR, § 728 BGB Rz. 63. 127 R. Koch in BeckOGK/BGB, Stand: 1.6.2023, § 728 BGB Rz. 49. 128 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 738 BGB Rz. 46; Habermeier in Staudinger, § 738 Rz. 33; Westermann in Erman, § 738 BGB Rz. 16.
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Ansprüche des ausgeschiedenen Gesellschafters | Rz. 40 § 728 BGB
seit der Gründung ergeben.129 Die Abfindung ist dann nach den zuvor dargestellten Grundsätzen (Rz. 31) anzupassen. Wegen der durch die Rechtsprechung vorgenommenen umfassenden Interessenabwägung kann etwas anderes gelten, wenn sich die Buchwertklausel auf den Fall des Ausscheidens durch Ausschließung beschränkt.130 Häufig beziehen sich gesellschaftsvertragliche Klauseln auch auf die Modalitäten der Aus- 38 zahlung. Hierzu zählen insbesondere Ratenzahlungsvereinbarungen und hinausgeschobene Fälligkeitstermine, die verhindern sollen, dass die Gesellschaft schon im Zeitpunkt des Ausscheidens einen erheblichen Liquiditätsabfluss erleidet. Für die Zulässigkeit solcher Klauseln kann insbesondere sprechen, dass der Abfindungsanspruch angemessen verzinst wird und dem Ausgeschiedenen durch die Klausel keine unzumutbaren Risiken hinsichtlich der späteren Durchsetzung des Anspruchs auferlegt werden.131 Die Grenze der Zulässigkeit wird häufig bei zehn Jahren gezogen.132 Der BGH hat eine 15 Jahre andauernde Ratenzahlung für unwirksam erachtet.133 Unbedenklich sind in der Regel Auszahlungsfristen von bis zu fünf Jahren bei gleichzeitiger Verzinsung des Abfindungsanspruchs.134
IV. Sonstige Ansprüche des Ausgeschiedenen 1. Schuldbefreiung Neben dem Abfindungsanspruch steht dem Ausgeschiedenen – vorbehaltlich einer abwei- 39 chenden Regelung im Gesellschaftsvertrag – ein Anspruch auf Befreiung von der Haftung für die Verbindlichkeiten der Gesellschaften zu, Abs. 1 Satz 1. Dadurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass das Ausscheiden die persönliche Haftung des Ausgeschiedenen innerhalb der Nachhaftungsfrist gem. § 728b BGB unberührt lässt. Die Beweislast für das Bestehen der Verbindlichkeit und ihre Fälligkeit trägt der Ausgeschiedene.135 Macht die Gesellschaft geltend, dass die Verbindlichkeit bereits erloschen sei, ist sie insoweit beweispflichtig.136 Hat der Gesellschafter für Gesellschaftsverbindlichkeiten Sicherheit geleistet, kann er entsprechend Abs. 1 Satz 1 die Freigabe der Sicherheiten verlangen.137 Der Anspruch richtet sich gegen die Gesellschaft und greift unabhängig davon, ob die Schuld 40 bereits fällig ist.138 Ist sie noch nicht fällig, räumt Abs. 1 Satz 2 der Gesellschaft allerdings eine Ersetzungsbefugnis ein. Sie kann dem Ausgeschiedenen, statt ihn von der Haftung zu befreien, Sicherheit leisten. Für streitige Verbindlichkeiten kann der Ausgeschiedene weder Schuldbefreiung verlangen noch ist eine Sicherheitsleistung erforderlich.139
129 BGH v. 24.5.1993 – II ZR 36/92, ZIP 1993, 1160, 1161; OLG München v. 1.9.2004 – 7 U 6152/99, NZG 2004, 1055, 1056. 130 BGH v. 24.5.1993 – II ZR 36/92, ZIP 1993, 1160, 1161; offen: BGH v. 9.1.1989 – II ZR 83/88, ZIP 1989, 770, 772; anders: Hadding/Kießling in Soergel, § 738 BGB Rz. 50. 131 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 738 BGB Rz. 66; Habermeier in Staudinger, § 738 BGB Rz. 34. 132 Habermeier in Staudinger, § 738 BGB Rz. 34; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 738 BGB Rz. 66; Heckelmann, Abfindungsklauseln in Gesellschaftsverträgen, Habil. Mainz 1973, S. 147. 133 BGH v. 9.1.1989 – II ZR 83/88, ZIP 1989, 770. 134 OLG München v. 1.9.2004 – 7 U 6152/99, NZG 2004, 1055, 1057; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 738 BGB Rz. 66; Habermeier in Staudinger, § 738 BGB Rz. 34. 135 BGH v. 9.3.2009 – II ZR 131/08, ZIP 2009, 1008. 136 BGH v. 14.2.2000 – II ZR 155/98, ZIP 2000, 716. 137 BGH v. 14.2.1974 – II ZR 83/72, NJW 1974, 899; Kamanabrou in Oetker, § 131 HGB Rz. 46; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 131 HGB Rz. 122. 138 OLG Hamm v. 18.5.2011 – 8 U 173/10, juris. 139 RGZ 60, 155, 157 f.; Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 738 BGB Rz. 12. Guntermann | 493
§ 728 BGB Rz. 41 | Rechtsfähige Gesellschaft 41 Der Anspruch auf Schuldbefreiung wird erfüllt durch Leistung an die Gläubiger oder Ver-
einbarung mit den Gläubigern, den Ausgeschiedenen aus der Haftung zu entlassen.140 Ein Zahlungsanspruch des Ausgeschiedenen lässt sich aus Abs. 1 Satz 1 grundsätzlich nicht ableiten. Etwas anderes kann aber gelten, wenn der ausgeschiedene Gesellschafter vor erreichter Schuldbefreiung von einem Gläubiger in Anspruch genommen wurde und diesen befriedigt hat. Für diesen Fall wird vertreten, dass sich der Befreiungsanspruch in einen Regressanspruch wandele (§ 728b BGB Rz. 27). Eine Leistungsklage gegen die Gesellschaft ist nur begründet, wenn der Freistellungsanspruch auch beziffert werden kann. Andernfalls ist der Ausgeschiedene auf die Erhebung einer Feststellungsklage verwiesen.141 Trifft den Ausgeschiedenen gem. § 728a BGB eine Nachschusspflicht, besteht der Befreiungsanspruch fort, die Gesellschaft kann jedoch ein Zurückbehaltungsrecht gem. § 273 BGB geltend machen.142
2. Rückgabe von Gegenständen; Rückzahlung der Einlage 42 § 738 Abs. 1 Satz 2, Var. 1, Satz 2 BGB a.F. räumte dem Ausgeschiedenen zudem einen An-
spruch auf Rückgabe der Gegenstände ein, die er der Gesellschaft zur Nutzung überlassen hat. Diese Regelung wurde nicht in § 728 BGB übernommen, da sich ein solcher Anspruch bereits aus der der Nutzungsüberlassung zugrunde liegenden Vereinbarung (Gesellschaftsvertrag oder gesonderte Nutzungsüberlassungsvereinbarung) ergebe (Rz. 1).143 Dem ist zuzustimmen. Selbst ohne ausdrückliche Regelung lässt sich dies jedenfalls als ungeschriebene Nebenpflicht (§ 241 Abs. 2, § 242 BGB) aus der Vereinbarung ableiten. Auch haftet die Gesellschaft dem ausgeschiedenen Gesellschafter bei einer schuldhaften Verletzung der vertraglichen Rückgabepflicht schon gemäß §§ 280 ff. BGB. Einer entsprechenden Anwendung von § 732 BGB a.F. bedarf es daher nicht.144 Die Gesellschaft kann die Rückgabe verweigern, bis der Ausgeschiedene einen etwaigen Fehlbetrag ausgeglichen hat (§ 728a BGB). Dazu genügt vor Erstellung der Abfindungsrechnung eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der von ihr behauptete Ausgleichsanspruch besteht.145 Umgekehrt steht auch dem Ausgeschiedenen mit Blick auf die Fehlbetragshaftung ein Zurückbehaltungsrecht zu (§ 728a BGB Rz. 7). Der Ausgeschiedene kann jedoch im Einzelfall aus nachvertraglicher Treuepflicht gehalten sein, der Gesellschaft überlassene Gegenstände, die sie dringend benötigt, gegen Nutzungsausgleich vorübergehend noch zu belassen.146 43 Darüber hinaus steht dem Ausgeschiedenen entsprechend § 736d Abs. 5 BGB ein Anspruch
auf Rückzahlung seiner Einlage zu.147 Aus der Streichung der Einlage aus der Ermittlung eines etwaigen Anspruchs aus Fehlbetragshaftung in § 728a BGB folgt nichts Gegenteiliges. Trifft den ausgeschiedenen Gesellschafter eine Verbindlichkeit nach § 728a BGB, steht der Gesellschaft auch insoweit ein Zurückbehaltungsrecht zu.148
140 RGZ 132, 29, 31; BGH v. 3.5.1999 – II ZR 32/98, ZIP 1999, 1003, 1004. 141 BGH v. 22.5.2012 – II ZR 14/10, ZIP 2012, 1504, 1509; BGH v. 22.3.2010 – II ZR 66/08, ZIP 2010, 1030, 1032. 142 BGH v. 14.2.1974 – II ZR 83/72, NJW 1974, 899. 143 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 175. 144 So aber: Servatius, GbR, § 728 BGB Rz. 5, 25, 29. 145 BGH v. 29.6.1981 – II ZR 165/80, MDR 1982, 119. 146 Westermann in Erman, § 738 BGB Rz. 9; Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 728 BGB Rz. 4; Servatius, GbR, § 728 BGB Rz. 28. 147 Servatius, GbR, § 728 BGB Rz. 30. 148 Kamanabrou in Oetker, § 131 HGB Rz. 45; Schulte/Hushahn in MünchHdb. GesR II, § 37 Rz. 18.
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Haftung des ausgeschiedenen Gesellschafters für Fehlbetrag | Rz. 3 § 728a BGB
§ 728a BGB Haftung des ausgeschiedenen Gesellschafters für Fehlbetrag Reicht der Wert des Gesellschaftsvermögens zur Deckung der Verbindlichkeiten der Gesellschaft nicht aus, hat der ausgeschiedene Gesellschafter der Gesellschaft für den Fehlbetrag nach dem Verhältnis seines Anteils am Gewinn und Verlust aufzukommen. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Fehlbetragshaftung des Ausscheidenden
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Schrifttum: Armbrüster, Nachschusspflicht im Personengesellschaftsrecht, ZGR 2009, 1; Miras, Nachträgliche Zahlungspflichten des Gesellschafters eines in der Rechtsform der GbR betriebenen geschlossenen Immobilienfonds, DStR 2011, 318; K. Schmidt, Zur Verjährung der Verlustausgleichshaftung von Personengesellschaftern nach §§ 735, 739 BGB, DB 2010, 2093.
I. Allgemeines § 728a BGB begründet die Pflicht des ausgeschiedenen Gesellschafters, einen im Rahmen der 1 Abfindungsrechnung ermittelten Fehlbetrag anteilig auszugleichen (§ 728 BGB Rz. 26). Die Fehlbetragshaftung entspricht § 737 Satz 1 BGB für den Fall der Auflösung.1 Sie ist mit dem Mehrbelastungsverbot vereinbar, das nach dem Ausscheiden aus der Gesellschaft keine Anwendung mehr findet (vgl. auch § 710 Satz 2 BGB).2 Die Norm entspricht im Wesentlichen § 739 BGB a.F.3 Die wenigen Änderungen im Wort- 2 laut vollziehen vor allem die Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Gesellschaft bzw. ihre weitgehende Verselbstständigung im Innenverhältnis nach („Verbindlichkeiten der Gesellschaft“ bzw. Haftung gegenüber „der Gesellschaft“). Dass die Pflicht der Gesellschaft zur Rückzahlung der Einlage gestrichen wurde, bedeutet nicht, dass die Gesellschaft nicht mehr verpflichtet wäre, dem ausgeschiedenen Gesellschafter die Einlage zurückzuerstatten, und die Rückerstattungspflicht in der Abfindungsrechnung nicht mehr zur berücksichtigen wäre (Rz. 4, § 728 BGB Rz. 43). Zudem übernimmt die Norm für die Bestimmung des Anteils an der Fehlbetragshaftung den kapitalistischen Verteilungsschlüssel des § 709 Abs. 3 BGB. Die Fehlbetragshaftung greift auch bei Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters (§ 712a 3 Abs. 2 BGB). Der Anspruch steht in diesem Fall dem verbleibenden Gesellschafter als Gesamtrechtsnachfolger der Gesellschaft (§ 712a Abs. 1 Satz 2 BGB) zu (§ 712a BGB Rz. 19). Für das Ausscheiden aus der oHG enthält § 136 HGB nun eine § 728a BGB entsprechende Regelung, die – vorbehaltlich § 167 HGB – auch für das Ausscheiden aus der KG Geltung beansprucht (§ 161 Abs. 2 HGB). Keine Fehlbetragshaftung wird durch die Übertragung des Gesellschaftsanteils ausgelöst.4
1 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 176. 2 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 143. Abweichend in der Begründung (Konsequenz der persönlichen Gesellschafterhaftung): K. Schmidt, DB 2010, 2093. 3 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 176. 4 OLG Hamm v. 6.3.1985 – 15 W 88/85, Rpfleger 1985, 289 f. Guntermann | 495
§ 728a BGB Rz. 4 | Rechtsfähige Gesellschaft
II. Fehlbetragshaftung des Ausscheidenden 4 Die Fehlbetragshaftung setzt voraus, dass das Gesellschaftsvermögen zur Deckung der Ver-
bindlichkeiten der Gesellschaft einschließlich der Pflicht zur Rückzahlung der Einlagen an die Gesellschafter (§ 736d Abs. 5 BGB) nicht ausreicht (§ 728 BGB Rz. 26).5 Wird der Anteilswert (wie im praktischen Regelfall) indirekt aus dem Gesellschaftsvermögen ermittelt, zeigt sich der Fehlbetrag unmittelbar in der zur Ermittlung der Abfindung aufgestellten Abfindungsrechnung (§ 728 BGB Rz. 21).6 Der ausgeschiedene Gesellschafter ist an dem Fehlbetrag grundsätzlich nach dem Verhältnis seines Anteils am Gewinn und Verlust (§ 709 Abs. 3 BGB) zu beteiligen. Eine abweichende Regelung im Gesellschaftsvertrag ist möglich.7 Auf die Beschränkung der gesellschafterlichen Haftung im Außenverhältnis kann sich der ausgeschiedene Gesellschafter im Innenverhältnis dagegen nicht berufen.8 5 Der Anspruch der Gesellschaft entsteht wie der Abfindungsanspruch (§ 728 BGB Rz. 8) im
Zeitpunkt des Ausscheidens.9 Auch hinsichtlich der Fälligkeit gleichen sich Abfindungsanspruch und Fehlbetragshaftung, d.h. vorbehaltlich einer gesellschaftsvertraglichen Regelung (§ 271 Abs. 1, Var. 1 BGB) ergibt sich in der Regel aus den Umständen (§ 271 Abs. 1, Var. 2 BGB), dass die Fälligkeit erst nach Ablauf einer für die Bemessung der Anspruchshöhe erforderlichen Zeitspanne eintreten soll (§ 728 BGB Rz. 9).10 Die Erstellung einer Abfindungsbilanz setzt die Fälligkeit hingegen nicht voraus.11 Als Sozialverbindlichkeit kann die Fehlbetragshaftung auch im Wege der actio pro socio (§ 715b BGB) geltend gemacht werden.12 6 Der Anspruch der Gesellschaft unterliegt der dreijährigen Regelverjährung gem. § 195
BGB. Für die subjektiven Voraussetzungen gem. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB genügt es, wenn die Gesellschaft auch ohne exakte Berechnung wusste oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte wissen müssen, dass das Gesellschaftsvermögen zur Deckung der gemeinschaftlichen Schulden und der Einlagen nicht ausreicht.13 Die Nachhaftungsbegrenzung nach Ablauf von fünf Jahren gem. § 728b BGB findet keine entsprechende Anwendung. Sie gilt nur für die akzessorische Außenhaftung des ausgeschiedenen Gesellschafters gegenüber den Gesellschaftsgläubigern, nicht aber für den Innenhaftungsanspruch der Gesellschaft.14 Dass die Haftung im Außenverhältnis infolgedessen länger besteht als die Innenabwicklung der Außenhaftung im Rahmen von § 728a BGB spricht ebenso wenig zwingend für eine Analogie wie der Umstand, 5 Hadding/Kießling in Soergel, § 739 BGB Rz. 4. 6 Hadding/Kießling in Soergel, § 739 BGB Rz. 3. 7 Bergmann in Schäfer, Neues PersGesR, § 7 Rz. 66. Zur praktischen Bedeutung: Miras, DStR 2011, 318, 320. 8 BGH v. 9.3.2009 – II ZR 131/08, ZIP 2009, 1008, 1009; KG v. 9.1.2009 – 14 U 46/07, NZG 2009, 1222. 9 BGH v. 19.7.2010 – II ZR 57/09, ZIP 2010, 1637, 1638. 10 Anders (Fälligkeit mit Ausscheiden): Westermann in Erman, § 739 BGB Rz. 1; Hadding/Kießling in Soergel, § 739 BGB Rz. 6. In der zur Begründung herangezogenen Entscheidung (BGH v. 19.7.2010 – II ZR 57/09, ZIP 2010, 1637) war die Fälligkeit jedoch i.S.v. § 271 Abs. 1, Var. 1 BGB durch gesellschaftsvertragliche Regelung bestimmt. 11 BGH v. 19.7.2010 – II ZR 57/09, ZIP 2010, 1637, 1638. 12 R. Koch in BeckOGK/BGB, Stand: 1.6.2023, § 728a BGB Rz. 7; Hadding/Kießling in Soergel, § 739 BGB Rz. 6; Kilian in Henssler/Strohn, § 739 BGB Rz. 2. 13 BGH v. 19.7.2010 – II ZR 57/09, ZIP 2010, 1637, 1638; R. Koch in BeckOGK/BGB, Stand: 1.6.2023, § 728a BGB Rz. 10. 14 Zu §§ 159, 160 HGB a.F.: BGH v. 10.5.2011 – II ZR 227/09, NJW 2011, 2292, 2293 = ZIP 2011, 1362; BGH v. 19.7.2010 – II ZR 57/09, NJW-RR 2010, 1401, 1402; Hadding/Kießling in Soergel, § 739 BGB Rz. 6; im Ergebnis auch: Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 728a BGB Rz. 3; anders: K. Schmidt, DB 2010, 2093, 2095 = ZIP 2010, 1637; Habersack in Habersack/Schäfer, § 159 HGB Rz. 13; für den Anspruch aus § 735 BGB a.F. auch: OLG Koblenz v. 14.9.2009 – 12 U 1496/07, NZG 2009, 1426.
496 | Guntermann
Nachhaftung des ausgeschiedenen Gesellschafters | § 728b BGB
dass die Außenhaftung im Insolvenzfall gem. § 93 InsO „nach innen gelenkt“ wird.15 Die Haftung im Außenverhältnis und die Ausgleichspflicht im Innenverhältnis sind klar zu trennen.16 Jedenfalls ist anzunehmen, dass es nach der ausdrücklichen Normierung der Nachhaftungsbegrenzung im BGB (§ 728b BGB) ohne Erstreckung auf die Fehlbetragshaftung an der Planwidrigkeit der Regelungslücke fehlt. Der ausgeschiedene Gesellschafter kann die Zahlung gem. § 273 BGB verweigern, bis etwai- 7 ge Gegenansprüche (z.B. Rückgabe von eingebrachten Gegenständen, Schuldbefreiung, Sicherheitsleistung) erfüllt werden.17 Macht der ausgeschiedene Gesellschafter einredeweise einen Anspruch auf Schuldbefreiung bzw. Sicherheitsleistung (§ 728 Abs. 1 BGB) geltend, ist er für das Bestehen entsprechender Schulden darlegungs- und beweispflichtig (§ 728 BGB Rz. 39).18 Anders als § 737 (Satz 2) BGB sieht § 728a BGB keine Ausfallhaftung der verbleibenden 8 Gesellschafter vor. Dies ist Ausdruck des Mehrbelastungsverbots gem. § 710 Satz 1 BGB.19 Angesichts der (bewussten) Nichtregelung durch das MoPeG besteht mangels planwidriger Regelungslücke auch kein Raum für eine entsprechende Anwendung von § 737 Satz 2 BGB. Der Ausfall erhöht dagegen freilich den auf die verbleibenden Gesellschafter im Falle ihres Ausscheidens bzw. der Liquidation entfallenden Verlust.20
§ 728b BGB Nachhaftung des ausgeschiedenen Gesellschafters (1) 1Scheidet ein Gesellschafter aus der Gesellschaft aus, so haftet er für deren bis dahin begründete Verbindlichkeiten, wenn sie vor Ablauf von fünf Jahren nach seinem Ausscheiden fällig sind und 1. daraus Ansprüche gegen ihn in einer in § 197 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 bezeichneten Art festgestellt sind oder 2. eine gerichtliche oder behördliche Vollstreckungshandlung vorgenommen oder beantragt wird; bei öffentlich-rechtlichen Verbindlichkeiten genügt der Erlass eines Verwaltungsakts. 2Ist die Verbindlichkeit auf Schadensersatz gerichtet, haftet der ausgeschiedene Gesellschafter nach Satz 1 nur, wenn auch die zum Schadensersatz führende Verletzung vertraglicher oder gesetzlicher Pflichten vor dem Ausscheiden des Gesellschafters eingetreten ist. 3Die Frist beginnt, sobald der Gläubiger von dem Ausscheiden des Gesellschafters Kenntnis erlangt hat oder das Ausscheiden des Gesellschafters im Gesellschaftsregister eingetragen worden ist. 4Die §§ 204, 206, 210, 211 und 212 Absatz 2 und 3 sind entsprechend anzuwenden. (2) Einer Feststellung in einer in § 197 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 bezeichneten Art bedarf es nicht, soweit der Gesellschafter den Anspruch schriftlich anerkannt hat.
15 So aber: K. Schmidt, DB 2010, 2093, 2094 f.; zustimmend: Schäfer in MünchKomm/BGB, § 739 BGB Rz. 3 (Analogie zu § 159 HGB a.F.). 16 BGH v. 9.3.2009 – II ZR 131/08, ZIP 2009, 1008, 1009. 17 BGH v. 14.2.1974 – II ZR 83/72, NJW 1974, 899; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 739 BGB Rz. 4. 18 BGH v. 9.3.2009 – II ZR 131/08, ZIP 2009, 1008. 19 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 739 BGB Rz. 5; Habermeier in Staudinger, § 739 BGB Rz. 3. 20 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 739 BGB Rz. 5; Hadding/Kießling in Soergel, § 739 BGB Rz. 8. Guntermann | 497
Nachhaftung des ausgeschiedenen Gesellschafters | § 728b BGB
dass die Außenhaftung im Insolvenzfall gem. § 93 InsO „nach innen gelenkt“ wird.15 Die Haftung im Außenverhältnis und die Ausgleichspflicht im Innenverhältnis sind klar zu trennen.16 Jedenfalls ist anzunehmen, dass es nach der ausdrücklichen Normierung der Nachhaftungsbegrenzung im BGB (§ 728b BGB) ohne Erstreckung auf die Fehlbetragshaftung an der Planwidrigkeit der Regelungslücke fehlt. Der ausgeschiedene Gesellschafter kann die Zahlung gem. § 273 BGB verweigern, bis etwai- 7 ge Gegenansprüche (z.B. Rückgabe von eingebrachten Gegenständen, Schuldbefreiung, Sicherheitsleistung) erfüllt werden.17 Macht der ausgeschiedene Gesellschafter einredeweise einen Anspruch auf Schuldbefreiung bzw. Sicherheitsleistung (§ 728 Abs. 1 BGB) geltend, ist er für das Bestehen entsprechender Schulden darlegungs- und beweispflichtig (§ 728 BGB Rz. 39).18 Anders als § 737 (Satz 2) BGB sieht § 728a BGB keine Ausfallhaftung der verbleibenden 8 Gesellschafter vor. Dies ist Ausdruck des Mehrbelastungsverbots gem. § 710 Satz 1 BGB.19 Angesichts der (bewussten) Nichtregelung durch das MoPeG besteht mangels planwidriger Regelungslücke auch kein Raum für eine entsprechende Anwendung von § 737 Satz 2 BGB. Der Ausfall erhöht dagegen freilich den auf die verbleibenden Gesellschafter im Falle ihres Ausscheidens bzw. der Liquidation entfallenden Verlust.20
§ 728b BGB Nachhaftung des ausgeschiedenen Gesellschafters (1) 1Scheidet ein Gesellschafter aus der Gesellschaft aus, so haftet er für deren bis dahin begründete Verbindlichkeiten, wenn sie vor Ablauf von fünf Jahren nach seinem Ausscheiden fällig sind und 1. daraus Ansprüche gegen ihn in einer in § 197 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 bezeichneten Art festgestellt sind oder 2. eine gerichtliche oder behördliche Vollstreckungshandlung vorgenommen oder beantragt wird; bei öffentlich-rechtlichen Verbindlichkeiten genügt der Erlass eines Verwaltungsakts. 2Ist die Verbindlichkeit auf Schadensersatz gerichtet, haftet der ausgeschiedene Gesellschafter nach Satz 1 nur, wenn auch die zum Schadensersatz führende Verletzung vertraglicher oder gesetzlicher Pflichten vor dem Ausscheiden des Gesellschafters eingetreten ist. 3Die Frist beginnt, sobald der Gläubiger von dem Ausscheiden des Gesellschafters Kenntnis erlangt hat oder das Ausscheiden des Gesellschafters im Gesellschaftsregister eingetragen worden ist. 4Die §§ 204, 206, 210, 211 und 212 Absatz 2 und 3 sind entsprechend anzuwenden. (2) Einer Feststellung in einer in § 197 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 bezeichneten Art bedarf es nicht, soweit der Gesellschafter den Anspruch schriftlich anerkannt hat.
15 So aber: K. Schmidt, DB 2010, 2093, 2094 f.; zustimmend: Schäfer in MünchKomm/BGB, § 739 BGB Rz. 3 (Analogie zu § 159 HGB a.F.). 16 BGH v. 9.3.2009 – II ZR 131/08, ZIP 2009, 1008, 1009. 17 BGH v. 14.2.1974 – II ZR 83/72, NJW 1974, 899; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 739 BGB Rz. 4. 18 BGH v. 9.3.2009 – II ZR 131/08, ZIP 2009, 1008. 19 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 739 BGB Rz. 5; Habermeier in Staudinger, § 739 BGB Rz. 3. 20 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 739 BGB Rz. 5; Hadding/Kießling in Soergel, § 739 BGB Rz. 8. Guntermann | 497
§ 728b BGB Rz. 1 | Rechtsfähige Gesellschaft In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 II. Enthaftung ausgeschiedener Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 1. Erfasste Verbindlichkeiten a) Altverbindlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . 7 b) Schadensersatzverbindlichkeiten (Abs. 1 Satz 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2. Fristlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 3. Fristwahrende Abwehr der Enthaftung . . 18
4. Rechtsfolgen a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Regressansprüche ehemaliger Mitgesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Abweichende Regelungen . . . . . . . . . . . . IV. Folgen der Abwehr der Enthaftung 1. Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Regress . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Schrifttum: Bormann, Nachhaftungsbegrenzung beim Wechsel vom Voll- zum Teilhafter, NZG 2004, 751; Lüneborg, Die Nachhaftung des ausgeschiedenen Personengesellschafters für Altverbindlichkeiten, ZIP 2012, 2229; Medicus, Nachhaftungsbegrenzung und Deliktsrecht am Beispiel der OHG, FS Lutter, 2000, S. 891; Schlinker/Hammerschmid, Nachhaftung des aus der Sozietät ausgeschiedenen Rechtsanwalts für Sekundäransprüche nach der Verletzung von Schutzpflichten i. S. von § 241 II BGB, NJOZ 2012, 321; Siems/ Maaß, Die Begrenzung der Nachhaftung gem. § 160 HGB, § 736 Abs. 2 BGB, WM 2000, 2328; Ulmer/ Wiesner, Die Haftung ausgeschiedener Gesellschafter aus Dauerschuldverhältnissen, ZHR 144 (1980), 393; Wertenbruch, Beginn der Enthaftungsfrist bei Ausscheiden aus einer Personengesellschaft, NZG 2008, 216; Wertenbruch/Döring, Änderung der Gesellschafter-Nachhaftung durch das MoPeG gem. § 728b BGB n.F. und § 137 HGB n.F., GmbHR 2023, 649.
I. Allgemeines 1 Das Ausscheiden aus der Gesellschaft lässt die persönliche Haftung für Altverbindlichkeiten
gem. §§ 721, 721a BGB grundsätzlich unberührt (§ 721 BGB Rz. 31). Ohne die Nachhaftungsbegrenzung könnte der ausgeschiedene Gesellschafter daher noch Jahre nach dem Ausscheiden wegen unverjährter Altverbindlichkeiten der Gesellschaft z.B. aus Dauerschuldverhältnissen in Anspruch genommen werden.1 Dem wirkt § 728b BGB entgegen. Der ausgeschiedene Gesellschafter soll nach Ablauf von fünf Jahren nach seinem Ausscheiden von der persönlichen Haftung frei werden. Dies ist insoweit sachgerecht, als der Gesellschafter nach dem Ausscheiden weder auf die Gesellschaft Einfluss nehmen kann noch an etwaigen Erträgen partizipiert.2 Die Nachhaftungsbegrenzung bezweckt mittelbar den Schutz mittelständischer Unternehmen. Ohne die Nachhaftungsbegrenzung würden Gesellschafter solcher Unternehmen eine persönliche Haftung kaum mehr übernehmen können.3 2 § 728b BGB entspricht im Wesentlichen der schon zuvor geltenden Regelung gem. § 736
Abs. 2 BGB i.V.m. § 160 Abs. 1, 2 HGB a.F. Auf die dazu entwickelten Auslegungsgrundsätze kann daher weiterhin zurückgegriffen werden.4 Das HGB enthält in § 137 eine im Wesentlichen entsprechende Regelung. Grund für die unterschiedliche Regelung zum Fristbeginn ist die bloß fakultative Registereintragung bei der GbR (§ 707 Abs. 1 BGB).5 Eine § 137 Abs. 3 HGB (§ 160 Abs. 3 HGB a.F.) entsprechende Regelung wurde zudem statt in
1 Habersack in Habersack/Schäfer, § 160 HGB Rz. 3. 2 BGH v. 27.9.1999 – II ZR 356/98, BGHZ 142, 324 = ZIP 1999, 1967, 1968 = GmbHR 1999, 1287 m. Anm. Emde. 3 Begr. RegE NachhBG, BT-Drucks. 12/1868, 7; Habersack in Habersack/Schäfer, § 160 HGB Rz. 3. 4 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 27635, 177. 5 Begründung Mauracher Entwurf, 125.
498 | Guntermann
Nachhaftung des ausgeschiedenen Gesellschafters | Rz. 4 § 728b BGB
§ 728b BGB in § 707c Abs. 5 BGB normiert. Die Nachhaftungsbegrenzung gilt mithin auch in Fällen des Statuswechsels der eingetragenen GbR in eine KG. Die unbeschränkte persönliche Haftung der Gesellschafter, die in der KG die Stellung eines Kommanditisten übernehmen, für im Zeitpunkt der Eintragung im Handelsregister begründete Verbindlichkeiten besteht daher nur unter den Voraussetzungen von § 728b BGB fort (§ 707c BGB Rz. 19 ff.).6 Obgleich der Regelungsstandort in eine gegenteilige Richtung deutet, muss dasselbe gelten, wenn eine nicht eingetragene GbR in eine KG formgewechselt wird. Hier würde es eine unnötige Formalität darstellen, wenn die künftigen Kommanditisten im Interesse der Nachhaftungsbegrenzung vor dem Formwechsel in die KG zunächst eine Eintragung der GbR anstrengen müssten.7 Dagegen ist für den Fall des Wechsels eines Gesellschaftererben in die Stellung eines Kommanditisten (§ 724 BGB) die Haftungsbeschränkung gem. § 724 Abs. 4 BGB (§ 724 BGB Rz. 26 ff.) vorrangig (Rz. 4).8 Die in Kraft getretene Fassung entspricht im Wesentlichen dem Vorschlag der Mauracher 3 Kommission. Einzelne Änderungen im Referenten- bzw. Regierungsentwurf waren jeweils nur redaktioneller Natur. Erst auf Empfehlung des Rechtsausschusses wurde Abs. 1 Satz 2 aufgenommen, wonach der ausgeschiedene Gesellschafter für Schadensersatzansprüche nur haftet, wenn die haftungsbegründende Pflichtverletzung vor dem Ausscheiden eingetreten ist (Rz. 11 ff.). Diese Einschränkung wurde u.a. auf Empfehlung von Heckschen aufgenommen,9 der in der öffentlichen Anhörung auf den – zuvor bereits instanzgerichtlich behandelten (Rz. 11) – Sonderfall einer Freiberufler-GbR hingewiesen hatte, deren Gesellschafter nach dem Ausscheiden eines Mitgesellschafters eine Pflicht aus dem schon vor dem Ausscheiden geschlossenen Beratungsvertrag mit einem Mandanten verletzen. Die dadurch begründete Schadensersatzverbindlichkeit der Gesellschaft ist nach herkömmlichem Verständnis schon durch den Abschluss des Beratungsvertrages, d.h. vor dem Ausscheiden, i.S.v. § 160 Abs. 1 HGB a.F. begründet (Rz. 11). Eine Nachhaftung des ausgeschiedenen Gesellschafters sei aber mangels fortbestehender Einflussmöglichkeit des ausgeschiedenen Gesellschafters nicht sachgerecht.10 Darauf wies auch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in einem Entschließungsantrag hin.11 Durch die Regelung in Abs. 1 Satz 2 soll diese Konstellation durch eine klare und eindeutige Nachhaftungsbegrenzung einer interessengerechten Lösung zugeführt werden.12 Tatsächlich wirft die Regelung aber neue Fragen auf und erscheint jedenfalls in ihrer Undifferenziertheit wenig sachgerecht (Rz. 12 f.). Im Falle einer Anteilsübertragung gilt die Norm entsprechend für den Veräußerer.13 Schei- 4 det ein Gesellschafter durch Tod aus (§ 723 Abs. 1 Nr. 1 BGB), kommt § 728b BGB den Erben zugute (§ 724 BGB Rz. 23).14 Rücken die Erben aufgrund einer dahingehenden Nachfolgeklausel im Gesellschaftsvertrag in die Gesellschafterstellung ein, machen aber von ihrem Kündigungsrecht Gebrauch (§ 724 Abs. 2 BGB), gilt § 728b BGB nur für die erbrechtliche Haftung für Altschulden (§ 724 BGB Rz. 31). Die gesellschaftsrechtliche Eigenhaftung gem. §§ 721, 721a BGB entfällt gem. § 724 Abs. 4 BGB mit Rückwirkung auf den Erbfall (§ 724
6 7 8 9 10 11 12 13 14
Dazu vor dem MoPeG schon: K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, § 160 HGB Rz. 19, 49. Anders: Wertenbruch/Döring, GmbHR 2023, 649, 656 f. K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, § 160 HGB Rz. 51. Schollmeyer, DNotZ 2021, 889, 894. Vgl. Stellungnahme Heckschen im Rechtsausschuss des Bundestags v. 21.4.2021; vgl. zuvor schon: Heckschen, AnwBl. Online 2018, 116, 121 f. Ausschussdrucksache 19(6)230, 2 f. Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 19/31105, 7. Positiv auch: Servatius, GbR, § 728b BGB Rz. 1. BGH v. 26.3.2019 – II ZR 413/18, ZIP 2019, 965, 967; Habersack in Habersack/Schäfer, § 160 HGB Rz. 12; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, § 160 HGB Rz. 21. Klöhn in Henssler/Strohn, 5. Aufl. 2021, § 160 HGB Rz. 8; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/ HGB, § 160 HGB Rz. 17; Servatius, GbR, § 728b BGB Rz. 6. Guntermann | 499
§ 728b BGB Rz. 4 | Rechtsfähige Gesellschaft BGB Rz. 26, 31). Für das Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters gilt § 728b BGB entsprechend (§ 712a Abs. 2 BGB) (§ 712a BGB Rz. 19).15 5 § 728b BGB kommt auch in der Partnerschaftsgesellschaft zur Anwendung, sofern sie einen
Statuswechsel in eine Kommanditgesellschaft vollzieht (§ 1 Abs. 4 PartGG i.V.m. § 707c Abs. 5 BGB). Für die Haftung eines aus der Partnerschaft ausscheidenden Gesellschafters verweisen § 9 Abs. 1 PartGG und § 10 Abs. 2 PartGG dagegen auf § 137 HGB.
II. Enthaftung ausgeschiedener Gesellschafter 6 § 728b BGB führt zu einer doppelten Nachhaftungsbegrenzung.16 Der ausgeschiedene Ge-
sellschafter haftet nur für Verbindlichkeiten, wenn sie vor Ablauf von fünf Jahren nach seinem Ausscheiden fällig werden. Zudem ist erforderlich, dass die Verbindlichkeit innerhalb der Frist in einer in § 197 Abs. 1 Nr. 3−5 BGB bezeichneten Art festgestellt worden ist oder eine gerichtliche oder behördliche Vollstreckungshandlung vorgenommen oder beantragt wurde.
1. Erfasste Verbindlichkeiten a) Altverbindlichkeiten 7 Die Nachhaftungsbegrenzung gilt für Verbindlichkeiten, die bis zum Zeitpunkt des Ausschei-
dens begründet wurden (sog. Altverbindlichkeiten). Erfasst werden nur Verbindlichkeiten der Gesellschaft, für die der Gesellschafter gem. §§ 721, 721a BGB haftet (zu Regressverbindlichkeiten Rz. 23 f.). Nicht erfasst werden Verbindlichkeiten des Gesellschafters aus anderen Rechtsgründen (z.B. Bürgschaften, Schuldübernahmen) und Sozialverbindlichkeiten einschließlich der Fehlbetragshaftung gem. § 728a BGB (§ 728a BGB Rz. 6).17 8 Erforderlich ist, dass die Verbindlichkeit vor dem Ausscheiden begründet wurde. Dafür ist
nicht maßgebend, wann eine Forderung entsteht oder fällig wird. Entscheidend ist vielmehr, dass die jeweilige Rechtsgrundlage bis zum Ausscheiden gelegt worden ist, auch wenn die einzelnen Verpflichtungen erst später entstehen und fällig werden.18 Dem liegt zugrunde, dass bei rechtsgeschäftlichen Verbindlichkeiten die Gläubiger gegebenenfalls bei Abschluss des Vertrages auf die Solvenz des später ausgeschiedenen Gesellschafters vertrauen.19 Dementsprechend kommt es bei vertraglichen Verbindlichkeiten grundsätzlich darauf an, ob der Vertrag vor dem Ausscheiden geschlossen wurde.20 Dies gilt auch bei Dauerschuldverhältnissen (Rz. 9).21 Hier haftet der ausgeschiedene Gesellschafter mithin auch für die erst nach dem Ausscheiden fällig werdenden Teilverbindlichkeiten. Wird die vertragliche Haftung dagegen nach dem Ausscheiden durch Vertragsänderung erweitert, haftet der ausge-
15 Vgl. schon: BGH v. 17.1.2012 – II ZR 197/10, ZIP 2012, 369, 370; BGH v. 27.9.1999 – II ZR 356/98, BGHZ 142, 324, 331 = ZIP 1999, 1967, 1969 = GmbHR 1999, 1287 m. Anm. Emde. Anders (Anwendung von § 739 BGB): Servatius, GbR, § 728b BGB Rz. 7 16 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 177. 17 BGH v. 10.5.2011 – II ZR 227/09, ZIP 2011, 1362, 1363 Rz. 17. 18 BGH v. 3.7.2020 – V ZR 250/19, ZIP 2020, 1704, 1705; BGH v. 17.1.2012 – II ZR 197/10, ZIP 2012, 369, 370; BGH v. 29.4.2002 – II ZR 330/00, BGHZ 150, 373, 376 = ZIP 2002, 1251, 1252. 19 BGH v. 21.12.1961 – II ZR 74/59, BGHZ 36, 224 = NJW 1962, 536, 537; BGH v. 6.6.1968 – II ZR 118/66, BGHZ 50, 232 = NJW 1968, 2006, 2007. 20 Hillmann in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 128 HGB Rz. 47; Boesche in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 128 HGB Rz. 54. 21 BGH v. 12.12.2005 – II ZR 283/03, ZIP 2006, 82, 83.
500 | Guntermann
Nachhaftung des ausgeschiedenen Gesellschafters | Rz. 11 § 728b BGB
schiedene Gesellschafter für dadurch begründeten Neuverbindlichkeiten nicht.22 Bei gesetzlichen Schuldverhältnissen (zu deliktischen Ansprüchen Rz. 12) ist maßgebend, ob der das Schuldverhältnis begründende Tatbestand bereits vor dem Ausscheiden des Gesellschafters erfüllt war.23 Bei einem Anspruch aus GoA (§§ 677 ff. BGB) ist die Übernahme der Geschäftsführung entscheidend.24 Bei Ansprüchen aus Bereicherungsrecht (§§ 812 ff. BGB) ist im Falle der Eingriffskondiktion auf den Eingriff in den Zuweisungsgehalts des Rechts des Bereicherungsgläubigers abzustellen, bei der Leistungskondiktion ist dagegen maßgebend, ob der vermeintliche Rechtsgrund für die Leistung schon zum Zeitpunkt des Ausscheidens bestand.25 Maßgebend ist grundsätzlich, ob die jeweilige Rechtsgrundlage im Zeitpunkt des Ausschei- 9 dens (§ 723 Abs. 3 BGB) bestand. Der Zeitpunkt der Eintragung des Ausscheidens in das Gesellschaftsregister (§ 707 Abs. 3 Satz 2 BGB) ist dagegen auch bei der eingetragenen Gesellschaft unerheblich.26 Nicht ausreichend ist, dass die Verbindlichkeit nach dem Ausscheiden, aber vor der Eintragung des Ausscheidens in das Gesellschaftsregister bzw. der Kenntnis des Gläubigers von dem Ausscheiden begründet wird.27 Dieser Zeitpunkt ist nur maßgeblich für den Beginn der Nachhaftungsfrist (Rz. 14, 16). Allerdings kann sich eine Nachhaftung für derartige Neuverbindlichkeiten aus Rechtsschein (§ 707a Abs. 3 Satz 1 BGB i.V.m. § 15 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 HGB) ergeben.28 Auch insoweit findet § 728b BGB Anwendung.29 Für Dauerschuldverhältnisse hat der BGH früher vertreten, dass die Haftung des ausgeschiedenen Gesellschafters auf den Zeitraum bis zum ersten auf das Ausscheiden folgenden Kündigungstermin beschränkt ist.30 Diese sog. Kündigungstheorie kommt nicht mehr zur Anwendung. § 728b BGB ist insoweit als abschließende Regelung zu verstehen, die für alle Verbindlichkeiten einheitlich eine klare Ausschlussfrist festlegt.31 Für den Fall des Formwechsels in eine Kommanditgesellschaft (Rz. 2), greift § 728b BGB für 10 die Haftung der Gesellschafter, die nach dem Formwechsel die Rechtsstellung eines Kommanditisten einnehmen, § 707c Abs. 5 Satz 1 BGB. Hier ist maßgebend, ob die Verbindlichkeiten zum Zeitpunkt seiner Eintragung im Handelsregister begründet waren (§ 707c BGB Rz. 20). Bei einer Anteilsübertragung ist der Zeitpunkt maßgeblich, in dem die Abtretung vollzogen ist.32 b) Schadensersatzverbindlichkeiten (Abs. 1 Satz 2) Für Schadensersatzverbindlichkeiten stellt Abs. 1 Satz 2 nun eine zusätzliche Voraussetzung 11 auf. Erforderlich ist, dass die zum Schadensersatz führende Verletzung vertraglicher oder 22 Boesche in Oetker, § 128 HGB Rz. 56. 23 BGH v. 3.7.2020 – V ZR 250/19, ZIP 2020, 1704, 1705; Temming in BeckOGK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 137 HGB Rz. 29; Boesche in Oetker, § 128 HGB Rz. 58. 24 BGH v. 3.7.2020 – V ZR 250/19, ZIP 2020, 1704, 1705; BGH v. 25.11.1985 – II ZR 80/85, ZIP 1986, 226; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, § 128 HGB Rz. 57. 25 BGH v. 3.7.2020 – V ZR 250/19, ZIP 2020, 1704, 1705; BGH v. 17.1.2012 – II ZR 197/10, ZIP 2012, 369, 370; Habersack in Habersack/Schäfer, § 128 HGB Rz. 69. 26 Vgl. Temming in BeckOGK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 137 HGB Rz. 29; Boesche in Oetker, § 128 HGB Rz. 53. 27 Habersack in Habersack/Schäfer, § 160 HGB Rz. 9. 28 Habersack in Habersack/Schäfer, § 160 HGB Rz. 9. 29 Habersack in Habersack/Schäfer, § 138 HGB Rz. 61, § 160 HGB Rz. 9. 30 BGH v. 19.12.1977 – II ZR 202/76, BGHZ 70, 132, 137 = NJW 1978, 636, 637. 31 BGH v. 29.4.2002 – II ZR 330/00, BGHZ 150, 373, 376 = ZIP 2002, 1251 f.; BGH v. 27.9.1999 – II ZR 356/98, BGHZ 142, 324, 330 f. = ZIP 1999, 1967, 1968 = GmbHR 1999, 1287 m. Anm. Emde; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, § 160 HGB Rz. 23; Habersack in Habersack/Schäfer, § 160 HGB Rz. 34. 32 Boesche in Oetker, § 128 HGB Rz. 53. Guntermann | 501
§ 728b BGB Rz. 11 | Rechtsfähige Gesellschaft gesetzlicher Pflichten vor dem Ausscheiden des Gesellschafters eingetreten ist. Dadurch soll die vermeintlich unbefriedigende Rechtslage vor dem Inkrafttreten des MoPeG gelöst werden (Rz. 3). Nach überwiegender Auffassung zählten zu den Altverbindlichkeiten, die von der Nachhaftung umfasst werden, auch Sekundäransprüche aus einem vor dem Ausscheiden geschlossenen Vertrag, selbst wenn einzelne Tatbestandsmerkmale des Sekundäranspruchs (z.B. Pflichtverletzung) erst nach dem Ausscheiden eintraten.33 Dies galt vor allem für Sekundäransprüche, die an die Stelle der im Vertrag vereinbarten Primärleistung treten.34 Aber auch für die Verletzung von Nebenpflichten (§ 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB) durch einen Mitgesellschafter des Ausgeschiedenen sollte die Nachhaftung nach wohl überwiegender Auffassung greifen.35 Für die Freiberufler-Gesellschaft erhob sich jedoch zuletzt vor allem instanzgerichtlicher Widerstand.36 Zur Begründung wurde u.a. darauf verwiesen, dass der ausgeschiedene Gesellschafter keinen Einfluss auf die Mitgesellschafter mehr nehmen und Sorgfaltsdefizite nicht mehr verhindern könne.37 Dem Desiderat nach einer Haftungsbegrenzung für ausgeschiedene Gesellschafter hat sich der Gesetzgeber nun nicht nur für die Freiberufler-GbR und nicht nur für Sekundäransprüche wegen Nebenpflichtverletzungen angeschlossen. Vielmehr ist für sämtliche Schadensersatzansprüche erforderlich, dass die Pflichtverletzung vor dem Ausscheiden erfolgt ist. Andernfalls handelt es sich nicht um eine Altverbindlichkeit, für die der ausgeschiedene Gesellschafter nach Maßgabe von § 728b BGB noch nach seinem Ausscheiden haftet. Abs. 1 Satz 2 greift auch dann, wenn der Gesellschafter vor dem Inkrafttreten der Regelung am 1.1.2024 ausgeschieden ist, sofern nur die Pflichtverletzung nach dem Inkrafttreten begangen wurde.38 12 Für die Haftung wegen der Verletzung gesetzlicher Pflichten (insbesondere gem. § 823
BGB) führt Abs. 1 Satz 2 zu sachgerechten Ergebnissen. Die Norm gibt im Grunde nur wieder, was schon zuvor anerkannt war (Rz. 8).39 Für die Haftung wegen vertraglicher Pflichtverletzungen erscheint die Regelung dagegen kaum sachgerecht.40 Die Norm bedeutet eine empfindliche Einschränkung des Gläubigerrechts aus §§ 721, 721a BGB, die zum Schutz des ausgeschiedenen Gesellschafters nicht erforderlich erscheint. Vor den Folgen von Pflichtverletzungen seiner ehemaligen Mitgesellschafter, die er infolge seines Ausscheidens nicht verhindern kann, wird er hinreichend durch den Freistellungsanspruch gegen die Gesellschaft (§ 728 Abs. 1 Satz 1 BGB) sowie die Möglichkeit des Innenregresses gegen die ehemaligen Mitgesellschafter gemäß § 426 BGB geschützt (Rz. 28; zur gesamtschuldnerischen Haftung der Gesellschafter § 721 BGB Rz. 24). Insbesondere in der Freiberufler-GbR, für die Instanzgerichte und Stimmen im Schrifttum eine Abs. 1 Satz 2 entsprechende Einschränkung forderten, gilt es zudem zu berücksichtigen, dass die Versicherungsbedingungen der jeweiligen 33 BGH v. 21.12.1961 – II ZR 74/59, BGHZ 36, 224 = NJW 1962, 536, 537; BGH v. 13.7.1967 – II ZR 268/64, NJW 1967, 2203, 2204; OLG Saarbrücken v. 30.4.2007 – 1 U 148/06, DStR 2008, 527; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, § 128 HGB Rz. 52; Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, § 128 HGB Rz. 28; Sommer/Treptow/Dietlmeier, NJW 2011, 1551, 1552. 34 Ebenso: Lüneborg, ZIP 2012, 2229, 2234 f.; Schlinker/Hammerschmid, NJOZ 2012, 321, 323 ff. 35 Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, § 128 HGB Rz. 28; Sommer/Treptow/Dietlmeier, NJW 2011, 1551, 1552. 36 LG Bonn v. 13.4.2010 – 15 O 451/09, NZG 2011, 143, 145; AG Eilenburg v. 9.11.2011 – 4 C 471/11, BeckRS 2012, 5164; ebenso: Lüneborg, ZIP 2012, 2229, 2234 f.; Meixner/Schröder, DStR 2008, 527, 528. 37 Heckschen, AnwBl. Online 2018, 116, 121 f. 38 Wertenbruch/Döring, GmbHR 2023, 649, 658. 39 Temming in BeckOGK/HGB, Stand: 1.5.1.2023, § 137 HGB Rz. 29; Boesche in Oetker, § 128 HGB Rz. 58. 40 Ebenso: K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, § 160 HGB Rz. 61. Anders: Heckschen, AnwBl. 2021, 224, 227; Heckschen/Nolting, BB 2021, 2946, 2950; Lieder/Hilser, NotBZ 2021, 401, 410; Servatius, GbR, § 728b BGB Rz. 10 ff.; grundsätzlich auch: Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 728b BGB Rz. 9.
502 | Guntermann
Nachhaftung des ausgeschiedenen Gesellschafters | Rz. 13 § 728b BGB
Berufshaftpflichtversicherung in der Regel so ausgelegt werden können, dass auch Regressverbindlichkeiten unter den Begriff der „Haftpflichtansprüche“ fallen.41 Daher ist auch die mitunter eingeschränkte Solvenz der ehemaligen Mitgesellschafter und die dadurch erschwerte Durchsetzbarkeit etwaiger Regressansprüche kein durchgreifendes Argument gegen den Verweis des ausgeschiedenen Gesellschafters auf den Innenregress. Jedenfalls überzeugt die Regelung in ihrer Pauschalität nicht. Für Sekundäransprüche, die aus der Verletzung von Primärpflichten resultieren,42 kann man nicht ernstlich bezweifeln, dass sie unmittelbar aus dem vor dem Ausscheiden geschlossenen Vertrag resultieren und eine Haftung daher sowohl für den ausgeschiedenen Gesellschafter vorhersehbar als auch im Gläubigerinteresse angemessen ist. Jenseits von Dienstverträgen ist immerhin nicht auszuschließen, dass ein Gläubiger den Vertrag gerade mit Blick auf die finanzielle Leistungsfähigkeit des ausgeschiedenen Gesellschafters geschlossen hat (Rz. 8). Darüber hinaus ist es wenig einsichtig, wenn der ausgeschiedene Gesellschafter für die nach seinem Ausscheiden fällig werdende Primärleistungspflicht haftet, aber für die etwaige Schlechtleistung nicht einzustehen hat. Eine teleologische Reduktion kommt gleichwohl schon mangels Planwidrigkeit einer dahingehenden Regelungslücke nicht in Betracht.43 Auch eine Differenzierung danach, ob die Verletzung der Primärleistungspflicht sich bereits vor dem Ausscheiden wegen des Unterlassens von Vorbereitungsmaßnahmen (z.B. Unterlassen der rechtzeitigen Bestellung bei Zulieferern) abzeichnete,44 überzeugt nicht. Die Pflichtverletzung im Verhältnis zu dem jeweiligen Gläubiger, auf die Abs. 1 Satz 2 abstellt, liegt auch in diesem Fall in der Nichtleistung bei Fälligkeit (vgl. § 281 Abs. 1 Satz 1 BGB). Würde man davon abweichend im Rahmen der Nachhaftung weiter nach den Ursachen der jeweiligen Pflichtverletzung unterscheiden, wären damit erhebliche Rechtunsicherheiten verbunden. Die Regelung führt zu diversen Folgefragen hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs. Die mit 13 ihr bezweckte „klare und eindeutige Nachhaftungsbegrenzung“45 wird daher keinesfalls erreicht. Aus dem Wortlaut („eingetreten ist“) dürfte sich noch recht klar ergeben, dass eine Nachhaftung für Schadensersatzansprüche, die einen Verletzungserfolg voraussetzen (z.B. § 823 Abs. 1 BGB), nur in Betracht kommt, wenn auch jener vor dem Ausscheiden eingetreten ist. Doch schon bei Pflichtverletzungen, die in einer Dauerhandlung oder einem dauerhaften Unterlassen bestehen und nicht zu einem abgrenzbaren Schaden führen, ist fraglich, ob die Pflichtverletzung vor dem Ausscheiden „eingetreten ist“. Auch in Fällen, in denen umstritten ist, welche Pflichtverletzung die Schadensersatzhaftung begründet (z.B. gem. § 437 Nr. 3, § 280 Abs. 1, 3, § 281 BGB), führt Abs. 1 Satz 2 nicht zu einer klaren und eindeutigen Rechtslage. Daher kann es sich anbieten, die erforderliche Klarheit durch eine gesellschaftsvertragliche Regelung herbeizuführen (Rz. 25). In Fällen, in denen zwar der haftungsbegründende Tatbestand vor dem Ausscheiden verwirklicht wurde, Schäden aber noch nach dem Ausscheiden eintreten, bleibt es dagegen bei der Nachhaftung nach Maßgabe von Abs. 1 Satz 1, Abs. 2.46 Mit der Gegenauffassung wäre eine nicht zu rechtfertigende Schlechterstellung der Schadensersatzgläubiger verbunden, die zusätzlich dadurch verstärkt würde,
41 Hartmann/Jöster in MünchAnwHdb. Versicherungsrecht, 5. Aufl. 2022, § 22 Rz. 275; Diller in Diller, AVB-RSW, 2. Aufl. 2017, § 1 Rz. 57. Für die D&O-Versicherung: Guntermann/Noack in FS Grunewald, 2021, S. 253, 267 f. 42 Gegen eine Differenzierung: Temming in BeckOGK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 137 HGB Rz. 35, 37. Wie hier aber: K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, § 160 HGB Rz. 61. 43 Für eine teleologische Reduktion der Vorschrift (Forthaftung bis zur Höhe der vereinbarten Primärleistung): Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 728b BGB Rz. 9; Schäfer in Schäfer, Neues PersGesR, § 1 Rz. 39; Habersack in Schäfer, Neues PersGesR, § 4 Rz. 25; ablehnend auch: Wertenbruch/Döring, GmbHR 2023, 649, 653; Temming in BeckOGK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 137 HGB Rz. 37. 44 Wertenbruch/Döring, GmbHR 2023, 649, 653. 45 Bericht Rechtsausschuss MoPeG, BT-Drucks. 19/31105, 7. 46 So aber: Servatius, GbR, § 728b BGB Rz. 12. Guntermann | 503
§ 728b BGB Rz. 13 | Rechtsfähige Gesellschaft dass ein Gesellschafter sich durch eine Kündigung (§ 725 BGB) der Haftung für absehbar in Zukunft eintretende Schäden (z.B. Kosten für eine bevorstehende kostenintensive Operation des Geschädigten) gezielt entziehen könnte. Darüber hinaus würde diese Annahme dem im Verjährungsrecht geltenden Grundsatz der Schadenseinheit47 widersprechen. Eine Ausstrahlungswirkung durch die auf die Ergänzung der Verjährungsvorschriften zielende Nachhaftungsbegrenzung48 auf das Verjährungsrecht wäre nicht ausgeschlossen, aber nicht zu rechtfertigen. Nicht in Betracht kommt zudem eine ungeschriebene Erstreckung von Abs. 1 Satz 2 auf von der Gesellschaft abschnittsweise geschuldete Vergütungen bei Dauerschuldverhältnissen.49 Dies würde den mit der Nachhaftung intendierten Gläubigerschutz bei Dauerschuldverhältnissen weitgehend leerlaufen lassen. Im Übrigen wird der Gesellschafter vor einem unkalkulierbaren Haftungsumfang hinreichend durch den Anspruch auf Freistellung bzw. Sicherheitsleistung (§ 728 Abs. 1 Satz 1 BGB) geschützt. Auch zeichnen sich solche Sachverhalte gerade nicht durch den für die Einführung von Abs. 1 Satz 2 BGB maßgeblichen fehlenden Einfluss des ausgeschiedenen Gesellschafters (Rz. 11) aus.
2. Fristlauf 14 Die fünfjährige Nachhaftungsfrist beginnt entgegen dem insoweit missverständlichen Wort-
laut von Abs. 1 Satz 1 („fünf Jahre nach seinem Ausscheiden“) nicht mit dem materiell-rechtlichen Ausscheiden durch Eintritt des Ausscheidensgrundes (§ 723 Abs. 3 BGB), sondern erst mit Kenntnis des Gläubigers von dem Ausscheiden oder der Eintragung des Ausscheidens in das Gesellschaftsregister (Abs. 1 Satz 3). 15 Für den Fristbeginn wurde bereits § 160 HGB a.F. für die GbR so gelesen, dass der Zeitpunkt
maßgeblich sei, zu dem der jeweilige Gläubiger vom Ausscheiden des Gesellschafters Kenntnis erlangt hat.50 Daran hält Abs. 1 Satz 3 für die nicht eingetragene GbR fest. Für den Fristbeginn verweist die Gesetzesbegründung darauf, dass es an der Gesellschaft liege, dem Interesse des ausgeschiedenen Gesellschafters an dem Eintritt der Nachhaftungsbegrenzung z.B. durch ein Rundschreiben an die bekannten Gläubiger Rechnung zu tragen.51 Wegen der belastenden Wirkung der Inanspruchnahme durch Gesellschaftsgläubiger wird man gar einen dahingehenden Anspruch des ausgeschiedenen Gesellschafters aus Treuepflicht bejahen können, der neben den Anspruch auf Haftungsbefreiung (§ 728 Abs. 1 Satz 1 BGB) tritt.52 Die Beweislast für die Kenntnis des Gläubigers trägt der ausgeschiedene Gesellschafter.53 16 Bei der eingetragenen GbR wirkt dagegen grundsätzlich erst die Eintragung des Ausschei-
dens in das Gesellschaftsregister fristauslösend. Etwas anderes gilt nur, wenn der jeweilige Gläubiger schon davor Kenntnis von dem Ausscheiden hatte.54 Durch den dann maßgeblichen Zeitpunkt der Kenntniserlangung wird eine nicht vertretbare Besserstellung der Gläubi47 BGH v. 14.3.1968 – VII ZR 77/65, BGHZ 50, 21 = NJW 1968, 1324, 1325; BGH v. 15.10.1992 – IX ZR 43/92, NJW 1993, 648, 650; BGH v. 8.11.2016 – VI ZR 200/15, MDR 2017, 149, 150. 48 Begr. RegE Nachhaftungsbegrenzungsgesetz, BT-Drucks. 12/1868, 1 f. 49 So aber: Servatius, GbR, § 728b BGB Rz. 11. 50 BGH v. 8.9.2016 – IX ZR 255/13, ZIP 2017, 287, 289; BGH v. 24.9.2007 – II ZR 284/05, BGHZ 174, 7 = ZIP 2007, 2262; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 736 BGB Rz. 26. 51 Begr. RegE, BT-Drucks. 19/27636, 177; dazu schon: Schäfer in MünchKomm/BGB, § 736 BGB Rz. 27. 52 Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 941a (Stand: 77. EL Juli 2020). 53 BGH v. 8.9.2016 – IX ZR 255/13, ZIP 2017, 287, 289 Rz. 22; Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, § 160 HGB Rz. 7. 54 Begr. RegE, BT-Drucks. 19/27636, 177.
504 | Guntermann
Nachhaftung des ausgeschiedenen Gesellschafters | Rz. 20 § 728b BGB
ger einer eingetragenen GbR vermieden.55 Darüber hinaus entspricht die Schädlichkeit der positiven Kenntnis der sich bereits aus § 707a Abs. 3 Satz 1 BGB i.V.m. § 15 Abs. 1 HGB ergebenden Rechtslage.56 Die Frist beginnt gem. § 187 Abs. 1 BGB am Folgetag des fristauslösenden Ereignisses und 17 endet gem. § 188 Abs. 2 BGB an dem Datum des fristauslösenden Ereignisses fünf Jahre später.57 § 193 BGB findet Anwendung. Gemäß Abs. 1 Satz 4 sind die Regelungen zur Hemmung (§§ 204, 206, 210, 211 BGB) und zum Neubeginn der Verjährungsfrist (§ 212 Abs. 2, 3 BGB) entsprechend anzuwenden. Freilich dispensieren diese Regelungen nicht von dem Erfordernis der Fälligkeit der Verbindlichkeit innerhalb der Frist (Rz. 18).58
3. Fristwahrende Abwehr der Enthaftung Die Gläubiger der Gesellschaft können die Enthaftung nur hinsichtlich solcher Ansprüche 18 abwehren, die vor Ablauf der Fünf-Jahres-Frist (Rz. 14 ff.) fällig werden. Maßgebend ist der Zeitpunkt, in dem der Gläubiger die Leistung von dem Gesellschafter verlangen kann (§ 271 BGB). Ist ausgeschlossen, dass ein Anspruch fristgemäß fällig wird, insbesondere eine außerordentliche Kündigung vor dem vereinbarten Fälligkeitstermin die Fälligkeit nicht vorverlagern kann, ist es sachgerecht anzunehmen, dass die Enthaftung schon mit dem Ausscheiden eintritt.59 Ein Verzicht der Gesellschaft auf den Einwand der fehlenden Fälligkeit einer Verbindlichkeit wirkt nicht zu Lasten des ausgeschiedenen Gesellschafters.60 Hinzutreten muss grundsätzlich eine der in Abs. 1 Satz 1 genannten Maßnahmen. Erforder- 19 lich ist mithin die Feststellung durch rechtskräftiges Urteil (§ 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB), durch vollstreckbaren Vergleich oder vollstreckbare Urkunde (§ 197 Abs. 1 Nr. 4 BGB) oder eine vollstreckbare Feststellung im Insolvenzverfahren (§ 197 Abs. 1 Nr. 5 BGB). Ein rechtskräftiges Urteil i.S.v. Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB liegt nicht vor, wenn der Anspruch des Gläubigers in dem Urteil nur dem Grunde nach festgestellt wird. Dagegen muss es sich nicht um das Urteil eines ordentlichen Gerichts handeln, auch sonstige Vollstreckungstitel i.S.v. § 794 Abs. 1 ZPO genügen, soweit sie der Rechtskraft fähig sind. Das Ergreifen einer Maßnahme nach Abs. 1 Satz 1 ist entbehrlich, wenn der Gesellschafter 20 den Anspruch vor oder nach dem Ausscheiden schriftlich anerkennt (Abs. 2). Ausreichend ist eine einseitige tatsächliche Erklärung des Gesellschafters. Eines Schuldanerkenntnisses (§§ 780, 781 BGB) bedarf es nicht.61 Eine anerkennende Erklärung innerhalb der Fünfjahresfrist ist daher im Zweifel auch nicht als Schuldanerkenntnis auszulegen.62 Die Erklärung
55 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 177. Zu § 160 HGB a.F.: BGH v. 24.9.2007 – II ZR 284/ 05, BGHZ 174, 7 = ZIP 2007, 2262, 2263 f. 56 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 177. 57 K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 160 HGB Rz. 26; Hillmann in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 160 HGB Rz. 9; Servatius, GbR, § 728b BGB Rz. 16. Habersack (in Habersack/Schäfer, § 160 HGB Rz. 16) stellt stattdessen für den Fristbeginn auf § 187 Abs. 2 Satz 1 BGB ab. 58 Klimke in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 160 HGB Rz. 13. 59 Habersack in Habersack/Schäfer, § 160 HGB Rz. 17; Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 938 (Stand: 77. EL Juli 2020); Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, § 160 HGB Rz. 8; anders: K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, § 160 HGB Rz. 30. 60 Hillmann in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 160 HGB Rz. 15. 61 Habersack in Habersack/Schäfer, § 160 HGB Rz. 32 f.; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, § 160 HGB Rz. 35. 62 Hillmann in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 160 HGB Rz. 15; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, § 160 HGB Rz. 38. Guntermann | 505
§ 728b BGB Rz. 20 | Rechtsfähige Gesellschaft muss im Interesse der Rechtssicherheit in Schriftform (§ 126 BGB bzw. § 126 Abs. 3, § 126a BGB) erfolgen.63 21 Zur Abwehr der Enthaftung ebenfalls ausreichend sind die Vornahme oder Beantragung
einer gerichtlichen oder behördlichen Vollstreckungshandlung (Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Halbs. 1). Dadurch wird es dem Gläubiger ermöglicht, die Enthaftung auch mithilfe eines nur vorläufig vollstreckbaren Titels abzuwenden.64 Bei öffentlich-rechtlichen (insbesondere steuerrechtlichen) Verbindlichkeiten wird die Enthaftung auch durch den Erlass eines Verwaltungsaktes abgewehrt (Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Halbs. 2). Zu § 160 HGB a.F. wurde angenommen, dass das schriftliche Anerkenntnis nicht nur eine Feststellung i.S.v. § 197 Abs. 1 Nr. 3 −5 BGB entbehrlich macht, sondern auch die Vornahme von Vollstreckungshandlungen oder den Erlass eines Verwaltungsaktes.65 Daran ist festzuhalten, obgleich Abs. 2 weiterhin nur auf die Feststellung gem. § 197 Abs. 1 Nr. 3−5 BGB verweist. Die Maßnahmen nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 stellen nur ein Substitut für die Feststellung dar, so dass kein Grund ersichtlich ist, weshalb das schriftliche Anerkenntnis nicht auch in diesen Fällen genügen sollte, um den Ablauf der Nachhaftungsfrist zu hemmen. Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber diesen Aspekt bei der Übernahme des § 160 HGB a.F. in das BGB schlicht übersehen hat, weshalb die Regelungslücke weiterhin als planwidrig erscheint.
4. Rechtsfolgen a) Allgemeines 22 Wird die Enthaftungswirkung nicht fristwahrend abgewehrt (Rz. 18 ff.), wird der ausgeschie-
dene Gesellschafter nach Ablauf der Fünfjahresfrist von seiner Haftung für Altverbindlichkeiten (Rz. 7 ff.) im Außenverhältnis frei. Die dahingehenden Ansprüche der Gläubiger erlöschen. Die Fünfjahresfrist ist mithin als Ausschlussfrist konzipiert,66 die als rechtsvernichtende Einwendung67 anders als die Verjährung von Amts wegen zu berücksichtigen ist. Mit dem Anspruch erlöschen auch akzessorische Sicherheiten, die ausschließlich für die Schuld des ausgeschiedenen Gesellschafters bestellt wurden. Nicht akzessorische Sicherheiten sind nach Maßgabe der Sicherungsabrede freizugeben.68 b) Regressansprüche ehemaliger Mitgesellschafter 23 Für Regressansprüche eines in Anspruch genommenen ehemaligen Mitgesellschafters gegen
den Ausgeschiedenen kommt § 728b BGB ebenfalls Bedeutung zu. Erfüllt ein ehemaliger Mitgesellschafter eine vor dem Ausscheiden begründete Gesellschaftsschuld vor dem Ablauf der Nachhaftungsfrist, sind die Ansprüche aus § 426 Abs. 1, 2 BGB als Altverbindlichkeiten zu qualifizieren, da sie gemeinsam mit der Gesellschaftsverbindlichkeit begründet wurden.69 Erfolgt die Inanspruchnahme des später Regressberechtigten dagegen erst nach dem Ablauf der Nachhaftungsfrist, besteht bereits keine Regressverbindlichkeit aus § 426 Abs. 1, 2 BGB. Infolge 63 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 177. 64 Habersack in Habersack/Schäfer, § 160 HGB Rz. 28. 65 K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, § 160 HGB Rz. 35; Habersack in Habersack/Schäfer, § 160 HGB Rz. 29. 66 Begr. RegE, BT-Drucks. 19/27636, 177; Roth in Hopt, § 160 HGB Rz. 3. 67 Begr. RegE MoPeG BT-Drucks. 19/27635, 177; Habersack in Habersack/Schäfer, § 160 HGB Rz. 1; Boesche in Oetker, § 160 HGB Rz. 13. 68 Habersack in Habersack/Schäfer, § 160 HGB Rz. 20. 69 Vgl. zum Parallelfall des § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB: BGH v. 18.10.2012 – III ZR 312/11, NJW 2012, 3777, 3778; BGH v. 7.5.2015 – VII ZR 104/14, ZIP 2015, 1189 Rz. 19; BGH v. 8.11.2016 – VI ZR 200/15, MDR 2017, 149 Rz. 10 ff.
506 | Guntermann
Nachhaftung des ausgeschiedenen Gesellschafters | Rz. 25 § 728b BGB
der mit Ablauf der Nachhaftungsfrist eintretenden Enthaftung des ausgeschiedenen Gesellschafters fehlt es im Zeitpunkt der Inanspruchnahme an einer Gesamtschuld i.S.v. § 421 BGB.70 Der in Anspruch genommene Gesellschafter kann bei dem ausgeschiedenen Gesellschafter 24 nur in den Grenzen des § 728b BGB Regress nehmen. Das gilt einerseits für den Anspruch aus § 426 Abs. 2 BGB, da der in Anspruch genommene Gesellschafter hier den auf ihn übergegangenen Gläubigeranspruch geltend macht.71 Aber auch für den Anspruch aus § 426 Abs. 1 BGB kann nichts anderes gelten.72 Zwar handelt es sich dogmatisch um eine eigene Verbindlichkeit des Gesellschafters und nicht um eine Altverbindlichkeit der Gesellschaft, für die der Gesellschafter gem. §§ 721, 721a BGB haftet. Gleichwohl ist eine Gleichstellung gerechtfertigt, da es sich um einen Folgeanspruch zu der Gesellschaftsverbindlichkeit handelt und es für den ausgeschiedenen Gesellschafter wegen des Wahlrechts des Gläubigers (§ 421 BGB) letztlich zufällig ist, ob er von diesem aus der persönlichen Gesellschafterhaftung oder einem Mitgesellschafter im Innenregress in Anspruch genommen wird. Die praktische Bedeutung der Anwendbarkeit von § 728b BGB dürfte insoweit gleichwohl begrenzt sein. Da der Anspruch aus § 426 Abs. 1 BGB der dreijährigen Regelverjährung (§ 195 BGB) unterliegt,73 die bereits mit der Entstehung der Gesellschaftsverbindlichkeit ausgelöst wird, wird der Anspruch häufig schon vor Ablauf der Nachhaftungsfrist verjährt sein (zum Erhalt der Verjährungseinrede Rz. 26). Sofern die Gesellschaftsschuld bereits bei der Bemessung des Abfindungsanspruchs berücksichtigt wurde (§ 728 Abs. 1 Satz 1 BGB), scheidet ein Regress des in Anspruch genommenen Gesellschafters aus.74
III. Abweichende Regelungen § 728b BGB ist durch Vereinbarung zwischen dem ausgeschiedenen Gesellschafter und dem 25 Gläubiger abdingbar.75 Gegenstand der Vereinbarung kann z.B. eine Verlängerung der Nachhaftungsfrist sein. In diesem Fall ist das Formerfordernis gem. Abs. 2 entsprechend anzuwenden.76 Außerdem ist die Regelung an § 138 BGB und § 242 BGB (sowie im Falle der Vereinbarung durch AGB an §§ 307 ff. BGB) zu messen. Auch eine Verkürzung der Nachhaftungsfrist durch Vereinbarung zwischen Gläubiger und Gesellschafter ist möglich. Erforderlich ist aber, dass der Gläubiger die Nachhaftung kannte oder zumindest einen Verzichtswillen erkennen ließ.77 Eine Besserstellung des Gläubigers kann auch durch Vereinbarung zwischen der Gesellschaft und dem Gesellschafter (zugunsten Dritter, § 328 BGB) erreicht werden.78
70 Habersack in Habersack/Schäfer, § 160 HGB Rz. 22. 71 Habersack in Habersack/Schäfer, § 160 HGB Rz. 23. 72 Anders: Habersack in Habersack/Schäfer, § 160 HGB Rz. 23; Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 728b BGB Rz. 15. 73 BGH v. 9.7.2009 – VII ZR 109/08, NJW 2010, 62, 63; BGH v. 7.5.2015 – VII ZR 104/14, ZIP 2015, 1189 Rz. 19. 74 BGH v. 20.10.1980 – II ZR 257/79, ZIP 1981, 73, 74; Habersack in Habersack/Schäfer, § 128 HGB Rz. 51. 75 K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, § 160 HGB Rz. 41; Hillmann in Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn, § 160 HGB Rz. 19; Temming in BeckOGK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 137 HGB Rz. 74 ff.; anders: Habersack in Habersack/Schäfer, § 160 HGB Rz. 6 f. 76 Temming in BeckOGK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 137 HGB Rz. 74; Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 943 (Stand: 77. EL Juli 2020); anders: Hillmann in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 160 HGB Rz. 19; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/ HGB, § 160 HGB Rz. 41. 77 BGH v. 27.9.1999 – II ZR 356/98, BGHZ 142, 324, 330 f. = ZIP 1999, 1967, 1968 = GmbHR 1999, 1287 m. Anm. Emde. 78 Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 943 (Stand: 77. EL Juli 2020). Guntermann | 507
§ 728b BGB Rz. 26 | Rechtsfähige Gesellschaft
IV. Folgen der Abwehr der Enthaftung 1. Haftung 26 Gelingt es dem Gläubiger die Enthaftung abzuwehren, kann er den ausgeschiedenen Gesell-
schafter wie vor seinem Ausscheiden in Anspruch nehmen. Umgekehrt kann der Gesellschafter wie vor seinem Ausscheiden Einwendungen gem. § 721b BGB geltend machen. Auch die Einrede der Verjährung bleibt von § 728b BGB unberührt.79 Der ausgeschiedene Gesellschafter kann von der Gesellschaft Befreiung verlangen (§ 728 Abs. 1 Satz 1, Var. 1 BGB).
2. Regress 27 Befriedigt der ausgeschiedene Gesellschafter den Gläubiger, kann er bei der Gesellschaft und
seinen ehemaligen Mitgesellschaftern Regress nehmen. Im Verhältnis zur Gesellschaft folgt ein Regressanspruch nach dem Ausscheiden nicht mehr aus § 716 Abs. 1 BGB (§ 716 BGB Rz. 12), da das gesellschaftsrechtliche Innenverhältnis durch das Ausscheiden beendet wurde.80 Der BGH weist dem ausgeschiedenen Gesellschafter entsprechend § 426 Abs. 2 BGB im Wege der cessio legis den Anspruch des Gläubigers zu.81 Andere Stimmen wollen die cessio legis wegen der fortbestehenden Akzessorietät der Gesellschafterhaftung auf § 774 Abs. 1 BGB stützen.82 Im Schrifttum wird alternativ auf einen Ausgleichsanspruch gem. § 670 BGB83 bzw. § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. (§ 728 Abs. 1 Satz 1, Var. 1 BGB) analog verwiesen. Der Befreiungsanspruch wandele sich nach der Gläubigerbefriedigung in einen Regressanspruch.84 Der Regressanspruch ist im Rahmen der Gesamtabrechnung zu berücksichtigen und kann nicht isoliert geltend gemacht werden (Durchsetzungssperre) (§ 728 BGB Rz. 23 ff.).85 28 Gegenüber den ehemaligen Mitgesellschaftern folgen Regressansprüche einerseits aus § 426
Abs. 1, Abs. 2 BGB.86 Das Gesamtschuldverhältnis besteht bis zum Ablauf der Nachhaftungsfrist fort (Rz. 23). Der Ausgleichsanspruch des ausgeschiedenen Gesellschafters ist dabei nicht auf den ehemaligen Verlustanteil im Innenverhältnis (§ 709 Abs. 3 BGB) beschränkt. Da Verbindlichkeiten der Gesellschaft bereits im Rahmen der Abfindungsbemessung zu berücksichtigen sind, würde der ausgeschiedene Gesellschafter andernfalls doppelt und über Gebühr belastet.87 Nicht einheitlich wird beurteilt, ob der ausgeschiedene Gesellschafter gegen die ehemaligen Mitgesellschafter nur pro rata vorgehen kann oder ob diese ihrerseits im 79 Habersack in Habersack/Schäfer, § 160 HGB Rz. 34. 80 BGH v. 9.5.1963 – II ZR 124/61, BGHZ 39, 319, 323 ff. = NJW 1963, 1873, 1874 f.; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 404a; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, § 128 HGB Rz. 65; anders: R. Koch in BeckOGK/BGB, Stand: 1.6.2023, § 728 BGB Rz. 9. 81 BGH v. 9.5.1963 – II ZR 124/61, BGHZ 39, 319, 325 = NJW 1963, 1873, 1875; BGH v. 14.1.1985 – II ZR 103/84, BGHZ 93, 246, 247 = ZIP 1985, 609; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 404b (Stand: 74. EL Juni 2019); Hillmann in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 128 HGB Rz. 31. 82 Schulte/Hushahn in MünchHdb. GesR I, § 75 Rz. 78; Habersack in Habersack/Schäfer, § 128 HGB Rz. 46. 83 Roth in Hopt, § 128 HGB Rz. 36; Hillmann in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 128 HGB Rz. 31. 84 Markworth in BeckOGK/HGB, Stand: 1.12.2021, § 128 HGB Rz. 169; Habersack in Habersack/Schäfer, § 128 HGB Rz. 45; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, § 128 HGB Rz. 61; Servatius, GbR, § 728b BGB Rz. 14; Schäfer in Schäfer, § 728b BGB Rz. 16. 85 BGH v. 7.3.2005 – II ZR 194/03, ZIP 2005, 1068; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, § 128 HGB Rz. 65. 86 BGH v. 2.7.1979 – II ZR 132/78, NJW 1980, 339, 340; BGH v. 20.10.1980 – II ZR 257/79, ZIP 1981, 73. 87 Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 728b BGB Rz. 17.
508 | Guntermann
Auflösungsgründe | § 729 BGB
Verhältnis zu dem ausgeschiedenen Gesellschafter als Gesamtschuldner haften.88 Für die Regressansprüche aus § 426 Abs. 1, Abs. 2 BGB wird man eine gesamtschuldnerische Haftung nicht bejahen können, eine „Gesamtschuld in der Gesamtschuld“ würde der klaren Anordnung in § 426 Abs. 1 BGB widersprechen. Allerdings ist zu beachten, dass nicht nur der Abfindungsanspruch (§ 728 BGB Rz. 7), sondern auch der Regressanspruch gegen die Gesellschaft (Rz. 27) mit dem Ausscheiden zu einer Drittgläubigerforderung wird, für die die ehemaligen Mitgesellschafter gem. § 721 BGB gesamtschuldnerisch haften.89 Das Gesellschaftsverhältnis entfaltet jedoch insoweit Nachwirkungen, als der ausgeschiedene Gesellschafter sich mit Blick auf die Treuepflicht gegenüber den ehemaligen Mitgesellschaftern primär an die Gesellschaft halten muss (§ 728 BGB Rz. 7).90
Auflösung der Gesellschaft (§§ 729–734)
§ 729 BGB Auflösungsgründe (1) Die Gesellschaft wird aufgelöst durch: 1. Ablauf der Zeit, für welche sie eingegangen wurde; 2. Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft; 3. Kündigung der Gesellschaft; 4. Auflösungsbeschluss. (2) Die Gesellschaft wird ferner aufgelöst, wenn der Zweck, zu dem sie errichtet wurde, erreicht oder seine Erreichung unmöglich geworden ist. (3) 1Eine Gesellschaft, bei der kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist, wird ferner aufgelöst: 1. mit der Rechtskraft des Beschlusses, durch den die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt worden ist; 2. durch die Löschung wegen Vermögenslosigkeit nach § 394 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. 2Dies gilt nicht, wenn zu den persönlich haftenden Gesellschaftern eine andere rechtsfähige Personengesellschaft gehört, bei der mindestens ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist. (4) Im Gesellschaftsvertrag können weitere Auflösungsgründe vereinbart werden. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436).
88 Für eine Gesamtschuld: Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, § 128 HGB Rz. 33; Schulte/ Hushahn in MünchHdb. GesR I, § 75 Rz. 79; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, § 128 HGB Rz. 66; anders: Habersack in Habersack/Schäfer, § 128 HGB Rz. 50; Schäfer in Schäfer, GbR/ PartG, § 728b BGB Rz. 17. 89 Schulte/Hushahn in MünchHdb. GesR I, § 75 Rz. 79; anders (Sozialverbindlichkeit): K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, § 128 HGB Rz. 66; Habersack in Habersack/Schäfer, § 128 HGB Rz. 50. 90 K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, § 128 HGB Rz. 66; Habersack in Habersack/Schäfer, § 128 HGB Rz. 50; Schöne in BeckOK/BGB; Stand: 1.5.2023, § 736 BGB Rz. 19; anders: BGH v. 2.7.1979 – II ZR 132/78, NJW 1980, 339, 340; Markworth in BeckOGK/HGB, Stand: 1.12.2021, § 128 HGB Rz. 173. Guntermann und Richter | 509
§ 729 BGB Rz. 1 | Rechtsfähige Gesellschaft I. Auflösung, Liquidation und Beendigung der Gesellschaft 1. Ablauf von Auflösung und Liquidation . 1 2. Entwicklung des gesetzlichen Auflösungsregimes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 II. Auflösungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1. Zeitablauf (Abs. 1 Nr. 1) . . . . . . . . . . . . . . 7 2. Insolvenz der Gesellschaft (Abs. 1 Nr. 2) oder eines Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . 9 3. Kündigung der Gesellschaft (Abs. 1 Nr. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 4. Auflösungsbeschluss (Abs. 1 Nr. 4) . . . . . 15 5. Eintritt oder Unmöglichkeit der Zweckerreichung (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . 17
6. Vermögens- oder Masselosigkeit (Abs. 3) 7. Weitere Auflösungsgründe . . . . . . . . . . . . a) Vertragliche Auflösungsgründe (Abs. 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sonstige Vereinigung aller Gesellschaftsanteile in einer Hand . . . d) Grenzüberschreitende Sitzverlegung . III. Konsequenzen und Geltendmachung der Auflösung 1. Rechtsfolgen der Gesellschaftsauflösung 2. Prozessuale Geltendmachung der Auflösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21 24 25 27 28 29
30 33
Schrifttum: Bachmann, Gesellschafterwechsel, Ausscheiden und Auflösung im Mauracher Entwurf zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, ZGR-Sonderheft 23 2021, 221; Beurskens/Rottmann, Das Ende der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, JZ 2018, 272; Frh. v. Proff, Ausscheiden statt Auflösen: Handlungs- und Beratungsbedarf infolge des MoPeG bei der GbR in der Übergangsphase, NZG 2023, 147; Hillers, Personengesellschaft und Liquidation, 1987; Klein-Wiele, Verhältnismäßigkeit und ultima ratio handelsrechtlicher Gestaltungsklagen, 2016.
I. Auflösung, Liquidation und Beendigung der Gesellschaft 1. Ablauf von Auflösung und Liquidation 1 Die §§ 729 ff., §§ 735 ff. BGB befassen sich mit dem Ende einer rechtsfähigen GbR, das sich
regelmäßig in zwei Schritten vollzieht: Mit dem Eintritt eines gesetzlich oder vertraglich vorgegebenen Auflösungsgrundes (Rz. 5 ff.) wandelt sich zunächst der Zweck der Gesellschaft; er ist nunmehr auf Abwicklung der „Liquidationsgesellschaft“ gerichtet. Die Gesellschaft bleibt also vorerst bestehen und bewahrt ihre Identität. Welche Gründe zur Gesellschaftsauflösung führen können, liegt weitgehend in der Regelungsmacht der Gesellschafter (Rz. 25). Das Gesetzt normiert nur wenige zwingende Auflösungsgründe (Rz. 6) und regelt in den §§ 729 ff. BGB ansonsten einige Besonderheiten, die bei dem Eintritt bestimmter vertraglicher Auflösungsgründe gelten sollen. 2 Mit der Auflösung der Gesellschaft beginnt die Phase der Liquidation. Wollen die Gesell-
schafter die GbR fortführen, haben sie die Möglichkeit einen Fortsetzungsbeschluss zu fassen, den Gesellschaftszweck erneut zu ändern und so die GbR in eine werbende Gesellschaft rückumzuwandeln (§ 734 BGB Rz. 1 ff.); anderenfalls haben sie die Pflicht, die Gesellschaft abzuwickeln. Hierfür macht das Gesetz in den §§ 735 ff. BGB wesentliche Vorgaben, von denen jedoch zu großen Teilen abgewichen werden kann. Nach erfolgter Abwicklung kommt es zum Erlöschen der Gesellschaft und damit zu ihrem endgültigen Ende.
2. Entwicklung des gesetzlichen Auflösungsregimes 3 Mit der grundlegenden Reform des Personengesellschaftsrechts durch das MoPeG hat der
Gesetzgeber bewusst das gesetzliche Leitbild der GbR von der Gelegenheits- auf die Dauergesellschaft umgestellt.1 Die Vorstellung einer grds. auf Dauer angelegten Personengesell1 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 105 ff., 169.
510 | Richter
Auflösungsgründe | Rz. 7 § 729 BGB
schaft hat insbesondere auch bei der Regelung der Auflösungsgründe Niederschlag gefunden: Während die vorherigen („historisch überholten“2) Regelungen das Fortbestehen der Gesellschaft an die beteiligten Vertragsparteien – also die konkreten Gesellschafter – gebunden hatte, wurde nun die Verbandskontinuität betont: Der wesentliche Grundsatz sollte nunmehr lauten: „Ausscheiden eines Gesellschafters vor Auflösung der Gesellschaft“3. Anknüpfend an eine Empfehlung des 71. Deutschen Juristentages4 wurden deshalb die bisherigen personenbzw. gesellschafterbezogenen Auflösungsgründe (etwa der Tod oder die Insolvenz eines Gesellschafters) in Ausscheidensgründe umgewandelt (§ 723 BGB Rz. 2, 9 ff.). Auch die Kündigung sollte nunmehr im Regelfall zum Ausscheiden des Gesellschafters und nur im Ausnahmefall zur Auflösung der Gesellschaft führen (§ 723 BGB Rz. 12 ff.). Auf diese Weise vollzog sich im BGB ein Wandel, der in ganz ähnlicher Weise bereits 1998 4 im Recht der Personenhandelsgesellschaften stattgefunden hatte.5 Die dortigen Regelungen, Sichtweisen und Erkenntnisse hat der MoPeG-Gesetzgeber an vielen Stellen als Vorbild für die Neufassung des GbR-Rechts genommen und so die Vorgaben für die GbR und die oHG weitgehend angeglichen. Für die Auslegung der §§ 729 ff. BGB kann deshalb in weitem Umfang auf die Auslegungsergebnisse zu den §§ 131 ff., §§ 145 ff. HGB a.F. zurückgegriffen werden.6
II. Auflösungsgründe Das Ende einer rechtsfähigen GbR nimmt seinen Ausgang im Eintritt eines Auflösungsgrun- 5 des, durch den die (bislang) werbende Gesellschaft als solche endet und in ihre Liquidationsphase übergeht. Eine „Rückumwandlung“ durch Fortsetzung der aufgelösten Gesellschaft setzt z.T. eine Beseitigung des Auflösungsgrundes voraus (§ 734 BGB Rz. 4 ff.). Die in § 729 BGB genannten Gründe umfassen die relevantesten Konstellationen, abschließend soll die Regelung jedoch nach Ansicht des Gesetzgebers nicht sein.7 Die in § 729 BGB genannten Auflösungsgründe lassen sich in zwei wesentliche Kategorien 6 einteilen: In bestimmten Konstellationen will das Gesetz die Fortsetzung der Gesellschaft durch den Auflösungsgrund verhindern; ein solcher „zwingender“ Grund muss deshalb behoben werden, bevor eine Gesellschaftsfortsetzung in Betracht kommt. Andere (fakultative) Auflösungsgründe, in denen sich allein die Privatautonomie spiegelt, entfallen hingegen allein durch den Fortsetzungswillen der Gesellschafter.8
1. Zeitablauf (Abs. 1 Nr. 1) Deklaratorisch beschreibt Abs. 1 Nr. 1 die allgemeine, sich aus der Privatautonomie ableiten- 7 de Möglichkeit, die Gesellschaft mit zeitlicher Befristung zu errichten. Möglich ist hierbei nicht nur die Vereinbarung einer konkreten Gesellschaftsdauer oder eines kalendarisch festgelegten Auflösungstermins, sondern auch das Anknüpfen an ein zukünftiges Ereignis und zwar auch dann, wenn ungewiss ist, wann oder ob dieses Ereignis eintreten wird. Besteht 2 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 107; vgl. hierzu Kilian in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Vorbem. zu §§ 726–728 BGB Rz. 2. 3 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 169; hierzu mit besonderem Fokus auf die Übergangsphase des Regimewechsels Frh. v. Proff, NZG 2023, 147. 4 Verhandlungen des 71. Deutschen Juristentages, Band II/2, 2017, O 222 (Beschluss 21). 5 Vgl. hierzu etwa Lorz in E/B/J/S, § 131 HGB Rz. 1 ff. 6 Noack in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 9 Rz. 1. 7 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 178. 8 S. zu dieser Einteilung Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 181. Richter | 511
§ 729 BGB Rz. 7 | Rechtsfähige Gesellschaft nur Ungewissheit über den Zeitpunkt, liegt eine unproblematische Befristung vor. Ist das Eintreten an sich ungewiss, liegt eine Auflösungsbedingung vor, aus der sich jedoch nicht die Wirkung des § 158 Abs. 2 Halbs. 2 BGB ergibt.9 Auch die Vereinbarung einer derartigen Bedingung ist möglich,10 wobei hierbei nicht an den (ohnehin rein deklaratorischen) § 729 Abs. 1 Nr. 1 BGB, sondern unmittelbar an die Privatautonomie der gesellschaftsgründenden Parteien (Abs. 4, Rz. 25) anzuknüpfen ist. Fällt die vereinbarte auflösende Bedingung mit der Zweckerreichung der Gesellschaft oder deren Unmöglichkeit zusammen, ist § 729 Abs. 2 BGB einschlägig (Rz. 17 ff.). 8 Wird die Gesellschaft nur für eine bestimmte Zeit gegründet, so beschränkt dies die Mög-
lichkeit der Gesellschafter, ihre Mitgliedschaft zu kündigen: Anders als bei unbefristeten Gesellschaften ist in diesem Fall gem. § 725 Abs. 2 BGB das Vorliegen eines wichtigen (Kündigungs-)Grundes notwendig (§ 725 BGB Rz. 10). Insbesondere wegen dieser Folgen ist die Unterscheidung von Befristung und Bedingung der Gesellschaft ggf. von entscheidender Bedeutung. Vereinbaren die Gesellschafter eine „Mindestfrist“, liegt hierin eine zeitweise Begrenzung des Rechts zur Mitgliedschaftskündigung (§ 725 Abs. 1, Abs. 2 BGB), jedoch kein Auflösungsgrund i.S.d. § 729 Abs. 1 Nr. 1 BGB.11 Bestehen Zweifel darüber, ob eine Mindestoder eine Höchstfrist vereinbart werden sollte, ist vom Regelfall der unbefristeten Gesellschaft auszugehen.12 Wird die zeitliche Befristung der Gesellschaft von den Gesellschaftern „ignoriert“ und die GbR fortgeführt, kann hierin u.U. ein konkludenter Beschluss über die Gesellschaftsfortsetzung zu sehen sein, durch welchen die GbR in eine werbende Gesellschaft (rück-)umgewandelt wird (vgl. § 734 BGB Rz. 9).
2. Insolvenz der Gesellschaft (Abs. 1 Nr. 2) oder eines Gesellschafters 9 Mit Eintritt der formellen, nicht bereits der materiellen Insolvenz der Gesellschaft ist diese
(zwingend)13 aufgelöst. Anknüpfungspunkt ist der gerichtliche Insolvenzeröffnungsbeschluss nach § 27 InsO, der – auch vor diesem Hintergrund – unverzüglich bei Eintritt der Entscheidungsreife ergehen muss.14 Die Abwicklung der Gesellschaft richtet sich in diesem Fall nicht nach den Vorgaben der §§ 735 ff. BGB, sondern nach der Insolvenzordnung (§ 735 BGB Rz. 5 ff.). 10 Weder die Stellung eines Insolvenzantrags, noch der Beginn eines „vorläufigen Insolvenz-
verfahrens“ durch Anordnung von Sicherungsmaßnahmen (§ 21 InsO), etwa die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters, führt zur Gesellschaftsauflösung, ebenso wenig die Einleitung und Durchführung eines Restrukturierungsverfahrens nach dem StaRUG. Wird der Insolvenzantrag wegen Masselosigkeit gem. § 26 InsO abgelehnt, greift nicht Abs. 1 Nr. 2, sondern Abs. 3 Satz 1 Nr. 1: Es kommt nur dann zur Auflösung der (materiell insolventen) Gesellschaft, wenn diese keine natürliche Person als persönlich haftenden Gesellschafter hat (Rz. 21).
9 Stürner in Jauernig, Anmerkungen zu §§ 723–728 BGB Rz. 2. 10 Vgl. zu dieser Frage K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 131 HGB Rz. 11; Klöhn in Henssler/ Strohn, Gesellschaftsrecht, § 131 HGB Rz. 9. 11 Zur alten Rechtslage BGH v. 11.7.1968 – II ZR 179/66, BGHZ 50, 316, 321 f. 12 So bereits zu § 131 Abs. 1 Satz 1 HGB a.F. Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, § 131 HGB Rz. 7. 13 Hintergrund ist die Notwendigkeit der Gläubigerbefriedigung und Marktbereinigung, vgl. hierzu Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 728 BGB Rz. 3. 14 Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, 10. Aufl. 2020, Rz. 136; Richter, Verschleppte Eröffnung von Insolvenzverfahren, 2018, S. 268 ff.
512 | Richter
Auflösungsgründe | Rz. 14 § 729 BGB
Wird über das Vermögen eines an der GbR beteiligten Gesellschafters das Insolvenz- 11 verfahren eröffnet, führt dies, anders als nach altem Recht (§ 728 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F.), grundsätzlich nicht zur Gesellschaftsauflösung, sondern gem. § 723 Abs. 1 Nr. 3 BGB zum Ausscheiden des Insolvenzschuldners (§ 723 BGB Rz. 15). Allerdings kann eine abweichende vertragliche Regelung getroffen und so der Ausscheidensgrund zu einem Auflösungsgrund gewandelt werden. Ob der Gesellschaftsvertrag auch eine von diesen Alternativen abweichende Gestaltung vorsehen konnte, war nach früherem Recht umstritten; mit der Neufassung des Gesetzes wurde diese Frage (wenig überzeugend)15 geklärt: Bei einer Gesellschafterinsolvenz kann statt des Ausscheidens vertraglich ausschließlich die Gesellschaftsauflösung vorgesehen werden (§ 723 BGB Rz. 22). Sollte sich eine derartige Regelung im Gesellschaftsvertrag finden, das Insolvenzverfahren 12 über den Gesellschafter eröffnet und die Gesellschaft deshalb aufgelöst werden, sieht das Gesetz mehrere Sonderregelungen vor. Aus § 730 Abs. 2 BGB ergibt sich ein Pflichtrecht der anderen (bislang geschäftsführenden) Gesellschafter zur Notgeschäftsführung (§ 730 BGB Rz. 13). Zudem werden dem Insolvenzverwalter einige Sonderrechte eingeräumt: Soll vom gesetzlichen Liquidationsverfahren abgewichen werden (etwa im Fall der Gesellschaftsfortsetzung, § 734 BGB Rz. 16), muss der Insolvenzverwalter dem zustimmen (§ 735 BGB Rz. 30). Außerdem hat er (bei einer eingetragenen GbR) das unentziehbare Recht, aus wichtigem Grund die gerichtliche (Ab-)Berufung von Liquidatoren zu beantragen (§ 736a BGB Rz. 8).
3. Kündigung der Gesellschaft (Abs. 1 Nr. 3) In der Möglichkeit, die Gesellschaft kündigen zu können (Abs. 1 Nr. 3), verwirklicht sich das 13 allgemeine Prinzip der jederzeitigen Auflösbarkeit einer Dauerrechtsbeziehung aus wichtigem Grund.16 Diese Auflösungskündigung, die näher in § 731 BGB geregelt wird, ist abzugrenzen von der Kündigung der Mitgliedschaft eines Gesellschafters, für die deutlich geringere Anforderungen gelten (§ 725 BGB Rz. 15). Letztere führt nicht zum Ende der Gesellschaft, sondern gem. § 723 Abs. 1 Nr. 2 BGB lediglich zum Ausscheiden des kündigenden Gesellschafters. In dieser Unterscheidung zeigt sich der neue Ansatz des Gesetzes, der die Verbandskontinuität bei der rechtsfähigen GbR betont und eine Auflösungskündigung nur als ultima ratio zulässt (näher hierzu § 731 BGB Rz. 5).17 Die wirksame Kündigung der Gesellschaft führt unmittelbar, insb. ohne die Notwendigkeit eines gerichtlichen Verfahrens, zur Gesellschaftsauflösung. Ein besonderer Fall der Gesellschaftskündigung liegt in der Beendigung der fehlerhaften 14 Gesellschaft. Auch nach dem reformierten Recht sind die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft auf die GbR anzuwenden (§ 705 BGB Rz. 21 ff.). Macht ein Gesellschafter nachdem die GbR in Vollzug gesetzt wurde geltend, dass der Gesellschaftsvertrag unwirksam ist, so liegt in dieser Geltendmachung (bspw. der Anfechtungserklärung) die Kündigung der Gesellschaft aus wichtigem Grund.18 Selbst wenn der Unwirksamkeitsgrund eindeutig aus der Sphäre eines einzelnen Gesellschafters kommt (etwa bei dessen Irrtum), liegt kein Fall der Austrittskündigung gem. § 723 Abs. 1 Nr. 2 BGB, sondern eine gesellschaftsauflösende Kündigung vor.
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Richter, ZIP 2023, 1222. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 179. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 107, 179. Tröger in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 220 f., grundlegend auch mit Blick auf das MoPeG bei Rz. I 51, Rz. I 213, 216a (Stand: 84. EL 9/2022). Richter | 513
§ 729 BGB Rz. 15 | Rechtsfähige Gesellschaft
4. Auflösungsbeschluss (Abs. 1 Nr. 4) 15 Wie die Errichtung steht auch die Beendigung der Gesellschaft im freien Ermessen der Ge-
sellschafter; in der Möglichkeit, die GbR gemeinsam per Beschluss aufzulösen (Abs. 1 Nr. 4), verwirklicht sich ihre Privatautonomie. Ein derartiger Gesellschafterbeschluss stellt eine Änderung des Gesellschaftszwecks und damit des Gesellschaftsvertrags dar, weshalb er grundsätzlich die einstimmige Entscheidung aller Gesellschafter voraussetzt.19 Zwar kann der Gesellschaftsvertrag auch die Möglichkeit einer Mehrheitsentscheidung vorsehen, das Gesetz verlangt in diesem Fall jedoch, dass der Auflösungsbeschluss mit mindestens 75 % der abgegebenen Stimmen gefasst wird (näher hierzu bei § 732 BGB Rz. 2 f.). 16 Der Auflösungsbeschluss unterliegt keinen Formvorgaben, kann also auch konkludent erfol-
gen. Wird etwa einstimmig (bzw. mit der für die Auflösung notwendigen Mehrheit) beschlossen, das wesentliche Gesellschaftsvermögen zu veräußern und den Erlös unter den Gesellschaftern zu verteilen, kann hierin ein Auflösungsbeschluss gesehen werden.20 Nach der wohl h.L. ist ein fehlerhafter, aber gleichwohl in Vollzug gesetzter Auflösungsbeschluss entsprechend den Grundsätzen der fehlerhaften Gesellschaft als wirksam zu behandeln (vgl. aber bei § 732 BGB Rz. 5).21
5. Eintritt oder Unmöglichkeit der Zweckerreichung (Abs. 2) 17 Ist der Gesellschaftszweck, der Kerninhalt des Gesellschaftsvertrags ist (§ 705 BGB Rz. 30),
erreicht worden oder ist sein Eintritt unmöglich, so fehlt es an der zentralen Voraussetzung der GbR. In diesem Fall wird die Gesellschaft zwingend gem. § 729 Abs. 2 BGB aufgelöst, ohne dass es etwa einer Auflösungskündigung aus wichtigem Grund (Abs. 1 Nr. 3) bedürfte. Eine Rückgängigmachung dieser Folge ist allein durch die Vereinbarung eines neuen Gesellschaftszwecks möglich (§ 734 BGB Rz. 6). Ist die Gesellschaft (etwa auf Grundlage von Abs. 2) aufgelöst worden und wurde anschließend der neue Gesellschaftszweck – die Abwicklung – erreicht, so greift § 729 Abs. 2 BGB nicht,22 es tritt Vollbeendigung ein. 18 Die vollständige Erreichung des gesellschaftlichen Ziels und die Folge der automatischen
Auflösung ist typisch und regelmäßig gewollt bei Gelegenheits- und Projektgesellschaften; so wird etwa der Zweck einer „Vorgründungsgesellschaft“ (§ 705 BGB Rz. 38) mit der Gründung der zu errichtenden Kapitalgesellschaft erreicht.23 Weil der Gesellschaftszweck und sein Eintritt den beteiligten Gesellschaftern in derartigen Fällen typischerweise klar vor Auge steht, ergeben sich aus der ipso iure-Auflösung i.d.R. keine besonderen Probleme; insofern besteht Ähnlichkeit zur befristeten Gesellschaft (Rz. 7).24
19 Schäfer in MünchKomm/BGB, Vor § 723 BGB Rz. 18. 20 OLG Zweibrücken v. 7.7.1998 – 8 U 83/97, NZG 1998, 939, 940; zur Personenhandelsgesellschaft bereits BGH v. 22.5.1958 – II ZR 36/57, BB 1958, 891; Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, Vor §§ 723 ff. BGB Rz. 10. 21 Habermeier in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2003, Vor §§ 723 ff. Rz. 12; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 131 HGB Rz. 21; Lehmann-Richter in BeckOK/HGB, § 131 HGB Rz. 16 (Stand: 39. Ed. 15.1.2023); a.A. insb. Schäfer in Staub, § 131 HGB Rz. 56 ff.; Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002, S. 402 ff. 22 Die Norm befasst sich explizit, wie § 726 BGB a.F., allein mit dem Zweck, „zu dem sie [die Gesellschaft] errichtet wurde“; das (konstruierte) „Problem des unendlichen Abwicklungsstadiums“ (Sharei, NZG 2023, 200, 205) besteht schon nicht; einer teleologischen Reduktion bedarf es nicht. 23 Kilian in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 726 BGB Rz. 3. 24 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 726 BGB Rz. 2 f. („Begrenzung der Gesellschaftsdauer meist […] absehbar“).
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Auflösungsgründe | Rz. 21 § 729 BGB
Demgegenüber kann das Unmöglichwerden des Gesellschaftszwecks u.U. deutlich problema- 19 tischer sein. Auch in diesem Fall wird die GbR automatisch aufgelöst, ohne dass die Gesellschafter hieran mitwirken oder hiervon auch nur Kenntnis erlangen müssten.25 Weil die Gesellschaft ungeplant und entgegen der ursprünglichen Gründungsintention aufgelöst wird, sind an das Merkmal der Unmöglichkeit hohe Anforderungen zu stellen. Die gravierende Folge der Gesellschaftsauflösung kommt nach herrschender Meinung nur bei einer „dauernden und offenbaren Unmöglichkeit der Zweckerreichung“26 in Betracht. Nicht ausreichend ist etwa die bloße Unrentabilität, solange diese die (klein-)unternehmerische Betätigung nicht erkennbar und dauerhaft unmöglich macht.27 Auch Kapitalmangel und Zahlungsunfähigkeit reichen nicht aus; dies gilt angesichts des § 729 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 BGB (entgegen der h.M.)28 selbst dann, wenn die Gesellschafter die zur Sanierung notwendige Kapitalzufuhr definitiv abgelehnt haben. Der gesetzlich angeordnete Automatismus, nach dem die GbR unmittelbar im Moment der 20 Zweckerreichung oder -unmöglichkeit ipso iure aufgelöst ist, hat berechtigte Kritik hervorgerufen. Insbesondere im Fall der (den Gesellschaftern ggf. nicht bekannten) Unmöglichkeit ergibt sich durch die Auflösung eine nicht unerhebliche Rechtsunsicherheit. Selbst wenn man davon ausgeht, dass nur eine „offenbare“ Unmöglichkeit zur Auflösung führt, wird die Feststellung, dass bzw. wann diese eingetreten ist oder offenbar wurde, ggf. komplex und damit unsicher sein. Bereits die inhaltlich deckungsgleiche Vorgängernorm (§ 726 BGB a.F.) wurde aus diesen Gründen für „rechtspolitisch missglückt“29 gehalten und eine Korrektur durch entsprechende Anwendung des oHG-Rechts vorgeschlagen: Analog § 133 HGB a.F. (§ 139 HGB n.F.) würde die Gesellschaft erst auf Antrag durch gerichtliche Entscheidung aufgelöst (§ 139 HGB Rz. 1, 11).30 Die hiermit adressierten Probleme hat der MoPeG-Gesetzgeber gesehen, gleichwohl aber keine Neuregelung vorgenommen: Bei einer oHG käme eine automatische Auflösung, wie sie § 729 Abs. 2 BGB für die GbR vorsieht, nicht in Betracht, da es sich bei den hier genannten Auflösungsgründen „nicht um fest umrissene, ohne Weiteres in Erscheinung tretende Tatbestände handelt, deren Verwirklichung klar und einfach festgestellt werden kann.“31 Konsequenzen wurden aus dieser Feststellung für die Regelungen des BGB jedoch nicht gezogen. Die hiermit für die GbR einhergehende Rechtsunsicherheit kann rechtspolitisch kritisiert werden; da sie aber bei der Neunormierung des BGB bewusst in Kauf genommen wurde, muss – jedenfalls aus diesem Grund – eine analoge Anwendung des § 139 HGB ausscheiden.
6. Vermögens- oder Masselosigkeit (Abs. 3) § 729 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB ist im Zusammenhang mit Abs. 1 Nr. 2 zu lesen: Grundsätzlich 21 führt weder die materielle Insolvenz einer GbR zur Gesellschaftsauflösung (Rz. 9) noch die Ablehnung eines Insolvenzantrags wegen Masselosigkeit (§ 26 InsO). Für die Gläubiger der Gesellschaft ergibt sich hieraus in der Regel kein besonderes Schutzdefizit, weil diese auf die
25 Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 726 BGB Rz. 2, 6. 26 BGH v. 12.7.1982 – II ZR 157/81, BGHZ 84, 379 = ZIP 1982, 1070; OLG Köln v. 14.3.2002 – 7 U 112/01, BB 2002, 1167; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 726 BGB Rz. 4. 27 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 726 BGB Rz. 5; Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 726 BGB Rz. 5. 28 OLG Köln v. 14.3.2002 – 7 U 112/01, BB 2002, 1167; Westermann in Erman, § 726 BGB Rz. 1. 29 Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 726 BGB Rz. 2. 30 Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, Vor § 723 BGB Rz. 15; s. auch K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 58 V 2, S. 1722 f. 31 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 246; grundlegend hierfür Schäfer in Staub, § 131 HGB Rz. 44. Richter | 515
§ 729 BGB Rz. 21 | Rechtsfähige Gesellschaft unbeschränkte persönliche Haftung der Gesellschafter gem. § 721 BGB vertrauen dürfen (§ 721 BGB Rz. 2). Sind an der GbR jedoch keine natürlichen Personen beteiligt – etwa in einer (seltenen) rein kapitalistisch strukturierten GmbH & Co. GbR32 –, droht diese Durchgriffshaftung praktisch leerzulaufen. Zum Schutz der Alt-, insb. aber auch möglicher NeuGläubiger werden diese „atypischen“33 Gesellschaften zunächst dazu gezwungen, bei Eintritt der materiellen Insolvenz einen Eigenantrag zu stellen (§ 15a Abs. 1 Satz 1, 3 InsO), so dass es im Falle der Verfahrenseröffnung zur Auflösung gem. Abs. 1 Nr. 2 kommt. Wird die Verfahrenseröffnung jedoch mangels Masse rechtskräftig abgelehnt, wird die kapitalistische GbR abweichend vom allgemeinen Grundsatz gem. § 729 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB aufgelöst. 22 Für eine GbR, bei der keiner der persönlich haftenden Gesellschafter eine natürliche Person
ist, ergibt sich aus § 729 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BGB ein weiterer spezieller Auflösungsgrund: Sollte diese im Gesellschaftsregister eingetragen worden sein (§ 707 BGB Rz. 13 ff.), ist eine Löschung nach den allgemeinen Vorschriften grds. erst nach Beendigung der Liquidation möglich (§ 738 BGB Rz. 2). Bei Eintritt von Vermögenslosigkeit,34 die unabhängig von Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit ist,35 kann es zum Schutz des Rechtsverkehrs gem. § 394 Abs. 1, Abs. 4 FamFG von Amts wegen oder auf Antrag (etwa der Finanzbehörden) zur Löschung der eGbR kommen, woraufhin diese nach § 729 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BGB aufgelöst wird. In diesem Fall tritt, abweichend vom Normalfall, unmittelbar die Vollbeendigung der Gesellschaft ein, ohne dass es eines Liquidationsverfahrens bedürfte. Nur wenn sich nach der Löschung herausstellt, dass noch verteilbares Gesellschaftsvermögen vorhanden ist, besteht die GbR als Liquidationsgesellschaft fort (§ 735 BGB Rz. 7). 23 Beide Auflösungsgründe erfahren eine Einschränkung durch Satz 2: Haftet eine natürliche
Person mittelbar für die Verbindlichkeit der GbR, nämlich als persönlich haftender Gesellschafter einer an der GbR beteiligten Personengesellschaft, so besteht keine Notwendigkeit für die (gläubiger- und verkehrsschützende) Auflösung nach Satz 1. Anders als die Formulierung des Gesetzes nahelegt, greift diese Ausnahme nicht nur dann, wenn die haftende natürliche Person Gesellschafter auf zweiter Ebene ist („Gesellschafter-Gesellschafter“), sondern auch dann, wenn ein solcher Gesellschafter auf höherer Stufe beteiligt und letztlich haftpflichtig ist. Damit entspricht die Norm der Regelung zur Insolvenzantragspflicht bei mehrstöckigen Gesellschaftskonstruktionen.36
7. Weitere Auflösungsgründe 24 § 729 BGB regelt die Auflösungsgründe „in nicht abschließender Weise“37, der Kreis der ge-
nannten Gründe kann zum einen durch privatautonome Regelungen (vgl. Abs. 4) und zum anderen durch Vorgaben außerhalb des § 729 BGB, ggf. auch im Wege der Rechtsfortbildung, erweitert werden.38
32 Petersen, GmbHR 1997, 1088; Fischer in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1203, 1212 (Stand: 84. EL 9/2022). 33 So die Einschätzung des Gesetzgebers, Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 178. 34 Notwendig ist Vermögenslosigkeit sowohl der GbR als auch der Gesellschafter (vgl. § 394 Abs. 4 Satz 2 FamFG). 35 OLG Frankfurt v. 29.1.2015 – 20 W 116/12, ZIP 2015, 1978 f.; Holzer in Prütting/Helms, 6. Aufl. 2023, § 394 FamFG Rz. 6. 36 Steffek in Kübler/Prütting/Bork, § 15a InsO Rz. 21 (Stand: 94. EL 94/2022). 37 Vgl. auch Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 178. 38 So bereits die h.M. zur früheren Rechtslage, vgl. etwa Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, Vor §§ 723 BGB Rz. 3 ff.
516 | Richter
Auflösungsgründe | Rz. 28 § 729 BGB
a) Vertragliche Auflösungsgründe (Abs. 4) Der Gesellschaftsvertrag kann weitere Auflösungsgründe vorsehen, dies stellt § 729 Abs. 4 25 BGB deklaratorisch fest. Diese Gründe sind vertraglich präzise zu bestimmen und führen entweder unmittelbar bei ihrem Eintritt zur Auflösung der Gesellschaft (s. zur Auflösungsbedingung auch Rz. 7); alternativ können auch Gründe festgelegt werden, die als Grundlage für eine (dann noch notwenige) Auflösungskündigung dienen, ohne dass ein wichtiger Grund i.S.d. § 731 Abs. 1 BGB vorliegen müsste (§ 731 BGB Rz. 10). Ob ein Auflösungsoder ein Auflösungskündigungsgrund vorliegt, ist durch Auslegung zu ermitteln, wobei im Zweifelsfall von Letzterem auszugehen ist. Wird der Tod oder die Insolvenz eines Gesellschafters (abweichend von § 723 Abs. 1 BGB) als vertraglicher Auflösungsgrund gewählt, knüpft das Gesetz an den Eintritt dieses Ereignisses besondere Rechte und Pflichten für die Erben und die Mitgesellschafter (§ 730 BGB). Der Gesellschaftsvertrag kann auch vorsehen, dass ein Privatgläubiger eines Gesellschaf- 26 ters, der den Gesellschaftsanteil seines Schuldners gepfändet hat, nicht nur dessen Mitgliedschaft gem. § 723 Abs. 1 Nr. 4, § 726 BGB kündigen (§ 726 BGB Rz. 1 ff.), sondern sogar die Gesellschaftskündigung aussprechen und damit sofort die Auflösung herbeiführen kann. Für diesen Fall sieht das Gesetz vor, dass der kündigende Privatgläubiger seine Zustimmung erteilen muss, wenn vom gesetzlich vorgesehenen Liquidationsverfahren abgewichen werden soll (§ 734 BGB Rz. 18, § 735 BGB Rz. 30). Zudem wird ihm (bei einer eGbR) das unentziehbare Recht eingeräumt, aus wichtigem Grund die gerichtliche (Ab-)Berufung von Liquidatoren zu beantragen (§ 736a BGB Rz. 8). b) Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters Wie die Gründung (§ 705 BGB Rz. 7) setzt auch das Fortbestehen einer GbR die Beteiligung 27 einer Mehrheit von Gesellschaftern voraus. Auch wenn die nunmehr gesetzgeberisch nachvollzogene Verselbständigung der GbR von seinen Mitgliedern dafürsprechen könnte, ihren rechtlichen Bestand auch dann anzuerkennen, wenn sich alle Anteile in der Hand eines Gesellschafters vereinigen,39 trifft das Gesetzt nunmehr eine ausdrückliche, abweichende Regelung: Mit dem Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters kommt es unmittelbar zur Auflösung und zugleich zur sofortigen Vollbeendigung der Gesellschaft (§ 712a BGB Rz. 1, 16). Der Gesellschaftsvertrag kann allerdings abweichend hiervon vorsehen, dass ein gesetzlich als Ausscheidensgrund (§ 723 BGB Rz. 9 ff., 22) festgelegter Umstand zu einem Auflösungsgrund gewandelt wird. Sollte dieser Umstand eintreten, bleiben die Gesellschafter abweichend von § 723 BGB an der (nun aufgelösten) Gesellschaft beteiligt, § 712a BGB kommt nicht zur Anwendung, es kommt nicht unmittelbar zum Erlöschen, sondern zur ordentlichen Abwicklung.40 c) Sonstige Vereinigung aller Gesellschaftsanteile in einer Hand Mit dem vorgenannten Fall im Ergebnis gleichzusetzen sind andere, nicht positiv gesetzlich 28 geregelte Situationen, in denen alle Gesellschaftsanteile von einer Person erworben werden. Übertragen die Gesellschafter ihre Anteile zeitgleich auf einen Dritten (§ 711 BGB Rz. 1 ff.), so entfällt auch hier das Merkmal der Mehrgliedrigkeit der Personengesellschaften, weshalb die GbR aufgelöst wird und zugleich liquidationslos erlischt.41 Ein solches Vorgehen ermög-
39 Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, Vor §§ 723 BGB Rz. 13; Vor §§ 705 BGB Rz. 29a. 40 S. hierzu Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 148. 41 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1789 (Stand: Stand: 84. EL 9/2022). Richter | 517
§ 729 BGB Rz. 28 | Rechtsfähige Gesellschaft licht eine faktische Verschmelzung auf andere Gesellschaften und kommt „als Instrument für Umwandlungen außerhalb des Umwandlungsgesetzes in Betracht“42. d) Grenzüberschreitende Sitzverlegung 29 Nach der zur alten Rechtslage entwickelten herrschenden Meinung führte die grenzüber-
schreitende Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes einer Personengesellschaft zur Gesellschaftsauflösung im Inland.43 Diese Sicht wurde vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit bestritten44 und vom MoPeG-Gesetzgeber ebenfalls kritisch wahrgenommen.45 Nach der Einführung des Sitzwahlrechts (§ 706 BGB Rz. 14) besteht nunmehr für die (eingetragene)46 GbR die Möglichkeit, den tatsächlichen Tätigkeitsschwerpunkt grenzüberschreitend zu verlegen, ohne zugleich den (Vertrags-)Sitz ändern und die Auflösung fürchten zu müssen. Die Verlegung auch des Vertragssitzes ins Ausland bei gleichzeitiger Beibehaltung der deutschen Rechtsform lässt § 706 Satz 2 BGB zwar nicht zu, so dass ein entsprechender Beschluss grds. als nichtig anzusehen, nicht aber in einen Auflösungsbeschluss umzudeuten ist.47 Eine Satzungssitzverlegung dürfte jedoch im Fall des (unions-)grenzüberschreitenden Formwechsels ohne Auflösung möglich sein.48
III. Konsequenzen und Geltendmachung der Auflösung 1. Rechtsfolgen der Gesellschaftsauflösung 30 Durch den Eintritt eines Auflösungsgrundes wird die GbR (in der Regel, vgl. aber § 735 BGB
Rz. 7 ff.) noch nicht beendet, vielmehr wandelt sie sich von einer werbenden Gesellschaft in eine Abwicklungsgesellschaft. Diese ist zwar rechtlich mit der werbenden Gesellschaft identisch, ihr Zweck richtet sich nunmehr jedoch grds. auf Liquidation gem. §§ 730 ff. BGB und anschließende Vollbeendigung.49 Sollte die GbR im Gesellschaftsregister eingetragen sein, muss ihre Auflösung durch die Gesellschafter zur Eintragung in das Register angemeldet werden (§ 733 BGB Rz. 1). Zudem ändern sich die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse der Gesellschafter und werden ihrer neuen Funktion als „Liquidatoren“ angepasst (§ 736b BGB Rz. 1 ff.). 31 Dritte werden durch die Auflösung zunächst kaum berührt; regelmäßig hat lediglich die Än-
derung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse Konsequenzen auch im Außenverhältnis.50 Deutlich gewichtigere Auswirkungen hat die Auflösung auf das gesellschaftsrechtliche Innenverhältnis: So können etwa die Gesellschafter ihre Forderungen aus dem Gesellschaftsverhältnis grds. nur noch im Rahmen der Gesamtliquidation geltend machen; umgekehrt können Sozialansprüche der Gesellschaft nur noch insoweit geltend gemacht werden, als die Leistung für die Liquidation notwendig ist (§ 735 BGB Rz. 16 f.).51 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51
So zu § 712a Abs. 1 BGB Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 147. Kilian in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 726 BGB Rz. 5; Fleischer, DStR 2021, 430, 434. Koch, ZHR 173 (2009), 101, 112 ff.; Schäfer in Staub, § 106 HGB Rz. 19. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 126 f. Vgl. zur Bedeutung der Neuregelung für die nicht eingetragene GbR Schön, ZHR 187 (2023), 123, 137 ff. Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 496 f.; Lieder in Oetker, § 106 HGB Rz. 24; Paefgen in FS E. Vetter, 2019, S. 527, 536 f. Schall, ZIP 2020, 1443, 1449; Fleischer in MünchKomm/HGB, Vor § 105 HGB Rz. 360 f. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 186; Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, Vorbem. zu §§ 723 BGB Rz. 2. Schäfer in MünchKomm/BGB, Vor § 723 BGB Rz. 23 f., § 730 BGB Rz. 36 f. Habermeier in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2003, Vorbem. zu §§ 723 BGB Rz. 18, § 730 BGB Rz. 21 ff.
518 | Richter
Auflösung bei Tod oder Insolvenz eines Gesellschafters | § 730 BGB
Weil die GbR durch die Auflösung nicht unmittelbar beendet, sondern nur in ihrem Zweck 32 verändert wird, ist auch eine identitätswahrende Fortsetzung der Gesellschaft durch erneute Zweckänderung und Wiederaufnahme der werbenden Tätigkeit möglich.52 Dieser nunmehr ausdrücklich in § 734 BGB normierte Weg setzt die Beseitigung bzw. den Wegfall des Auflösungsgrundes sowie einen entsprechenden Gesellschafterbeschluss voraus (§ 734 BGB Rz. 2 ff.).
2. Prozessuale Geltendmachung der Auflösung Besteht zwischen den Gesellschaftern Uneinigkeit darüber, ob ein vertraglicher oder gesetzli- 33 cher Auflösungsgrund eingetreten ist, ob ein „wichtiger Grund“ i.S.d. § 731 Abs. 1 BGB vorliegt etc., kann bzw. muss eine gerichtliche Klärung über die Feststellungsklage (oder inzident in einer Leistungsklage) erreicht werden.53 Eine spezielle Auflösungsklage sieht das Gesetz für die GbR nicht vor; die analoge Anwendung der Regelungen des HGB (§ 139 HGB Rz. 1) kommt nicht in Betracht,54 da jedenfalls nach der umfassenden Reform des MoPeG nicht mehr von einer planwidrigen Regelungslücke ausgegangen werden kann (Rz. 20). Der die Auflösung behauptende Gesellschafter muss sich in die Klägerrolle des (Feststellungs-) Prozesses begeben und hier nötigenfalls das Vorliegen des Auflösungsgrunds beweisen.55 Trotz der Rechts- und Parteifähigkeit der GbR ist die Klage nicht gegen die Gesellschaft,56 sondern gegen alle Mitgesellschafter in notwendiger Streitgenossenschaft zu richten: Die GbR ist Gegenstand von Auflösung und Rechtsstreit und deshalb nicht dispositionsbefugt.57
§ 730 BGB Auflösung bei Tod oder Insolvenz eines Gesellschafters (1) 1Ist im Gesellschaftsvertrag vereinbart, dass die Gesellschaft durch den Tod eines Gesellschafters aufgelöst wird, hat der Erbe des verstorbenen Gesellschafters den anderen Gesellschaftern dessen Tod unverzüglich anzuzeigen. 2Wenn mit dem Aufschub Gefahr für die Gesellschaft oder das Gesellschaftsvermögen verbunden ist, hat der Erbe außerdem die laufenden Geschäfte fortzuführen, bis die anderen Gesellschafter in Gemeinschaft mit ihm anderweitig Fürsorge treffen können. 3Abweichend von § 736b Absatz 1 gilt für die einstweilige Fortführung der laufenden Geschäfte die dem Erblasser durch den Gesellschaftsvertrag übertragene Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis als fortbestehend. 4Die anderen Gesellschafter sind in gleicher Weise zur einstweiligen Fortführung der laufenden Geschäfte berechtigt und verpflichtet.
52 Habermeier in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2003, Vor § 723 BGB Rz. 22. 53 Kritisch diesbzgl. Habermeier in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2003, Vor § 723 BGB Rz. 16. 54 Für die analoge Anwendung des § 133 HGB a.F. zumindest bei einer unternehmenstragenden GbR Habermeier in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2003, Vor § 723 BGB Rz. 15; s. auch K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 58 V 2, S. 1722 f. 55 Kilian in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 726 BGB Rz. 2; s. zur Beweislast hinsichtlich des Vorliegens eines wichtigen Grundes zur Auflösungskündigung Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/ 27635, 180. 56 Für die Passivlegitimation der Gesellschaft bei Vorliegen einer entsprechenden Klausel im Gesellschaftsvertrag Schäfer in MünchKomm/BGB, Vor § 723 BGB Rz. 25 unter Verweis auf BGH v. 30.6.1966 – II ZR 149/64, WM 1966, 1036. 57 Schäfer in MünchKomm/BGB, Vor § 723 BGB Rz. 25; a.A. Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, Vor § 723 BGB Rz. 16. Richter | 519
Auflösung bei Tod oder Insolvenz eines Gesellschafters | § 730 BGB
Weil die GbR durch die Auflösung nicht unmittelbar beendet, sondern nur in ihrem Zweck 32 verändert wird, ist auch eine identitätswahrende Fortsetzung der Gesellschaft durch erneute Zweckänderung und Wiederaufnahme der werbenden Tätigkeit möglich.52 Dieser nunmehr ausdrücklich in § 734 BGB normierte Weg setzt die Beseitigung bzw. den Wegfall des Auflösungsgrundes sowie einen entsprechenden Gesellschafterbeschluss voraus (§ 734 BGB Rz. 2 ff.).
2. Prozessuale Geltendmachung der Auflösung Besteht zwischen den Gesellschaftern Uneinigkeit darüber, ob ein vertraglicher oder gesetzli- 33 cher Auflösungsgrund eingetreten ist, ob ein „wichtiger Grund“ i.S.d. § 731 Abs. 1 BGB vorliegt etc., kann bzw. muss eine gerichtliche Klärung über die Feststellungsklage (oder inzident in einer Leistungsklage) erreicht werden.53 Eine spezielle Auflösungsklage sieht das Gesetz für die GbR nicht vor; die analoge Anwendung der Regelungen des HGB (§ 139 HGB Rz. 1) kommt nicht in Betracht,54 da jedenfalls nach der umfassenden Reform des MoPeG nicht mehr von einer planwidrigen Regelungslücke ausgegangen werden kann (Rz. 20). Der die Auflösung behauptende Gesellschafter muss sich in die Klägerrolle des (Feststellungs-) Prozesses begeben und hier nötigenfalls das Vorliegen des Auflösungsgrunds beweisen.55 Trotz der Rechts- und Parteifähigkeit der GbR ist die Klage nicht gegen die Gesellschaft,56 sondern gegen alle Mitgesellschafter in notwendiger Streitgenossenschaft zu richten: Die GbR ist Gegenstand von Auflösung und Rechtsstreit und deshalb nicht dispositionsbefugt.57
§ 730 BGB Auflösung bei Tod oder Insolvenz eines Gesellschafters (1) 1Ist im Gesellschaftsvertrag vereinbart, dass die Gesellschaft durch den Tod eines Gesellschafters aufgelöst wird, hat der Erbe des verstorbenen Gesellschafters den anderen Gesellschaftern dessen Tod unverzüglich anzuzeigen. 2Wenn mit dem Aufschub Gefahr für die Gesellschaft oder das Gesellschaftsvermögen verbunden ist, hat der Erbe außerdem die laufenden Geschäfte fortzuführen, bis die anderen Gesellschafter in Gemeinschaft mit ihm anderweitig Fürsorge treffen können. 3Abweichend von § 736b Absatz 1 gilt für die einstweilige Fortführung der laufenden Geschäfte die dem Erblasser durch den Gesellschaftsvertrag übertragene Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis als fortbestehend. 4Die anderen Gesellschafter sind in gleicher Weise zur einstweiligen Fortführung der laufenden Geschäfte berechtigt und verpflichtet.
52 Habermeier in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2003, Vor § 723 BGB Rz. 22. 53 Kritisch diesbzgl. Habermeier in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2003, Vor § 723 BGB Rz. 16. 54 Für die analoge Anwendung des § 133 HGB a.F. zumindest bei einer unternehmenstragenden GbR Habermeier in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2003, Vor § 723 BGB Rz. 15; s. auch K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 58 V 2, S. 1722 f. 55 Kilian in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 726 BGB Rz. 2; s. zur Beweislast hinsichtlich des Vorliegens eines wichtigen Grundes zur Auflösungskündigung Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/ 27635, 180. 56 Für die Passivlegitimation der Gesellschaft bei Vorliegen einer entsprechenden Klausel im Gesellschaftsvertrag Schäfer in MünchKomm/BGB, Vor § 723 BGB Rz. 25 unter Verweis auf BGH v. 30.6.1966 – II ZR 149/64, WM 1966, 1036. 57 Schäfer in MünchKomm/BGB, Vor § 723 BGB Rz. 25; a.A. Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, Vor § 723 BGB Rz. 16. Richter | 519
§ 730 BGB Rz. 1 | Rechtsfähige Gesellschaft (2) Absatz 1 Satz 4 gilt entsprechend, wenn im Gesellschaftsvertrag vereinbart ist, dass die Gesellschaft durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Gesellschafters aufgelöst wird. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Auflösung statt Ausscheiden bei Tod oder Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Folgen todesbedingter Auflösung (Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Besondere Pflichten und Pflichtrechte des Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anzeigepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 2 4 5
b) Pflichtrecht zur Notgeschäftsführung 6 c) Besonderheiten bei Erbengemeinschaft 8 d) Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2. Folgen für die übrigen Gesellschafter . . . 11 III. Folgen insolvenzbedingter Auflösung (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
I. Auflösung statt Ausscheiden bei Tod oder Insolvenz 1 Der Tod und die (formelle) Insolvenz eines Gesellschafters führen nach dem neuen gesetzli-
chen Konzept grundsätzlich nicht zur Gesellschaftsauflösung, sondern lediglich zum Ausscheiden des Gesellschafters (§ 723 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3 BGB). Der vom Gesetzgeber neu gefasste Grundsatz „Ausscheiden vor Auflösung“1 kann jedoch durch eine entsprechende gesellschaftsvertragliche Regelung (§ 723 BGB Rz. 10, 22) umgekehrt werden. Sind Tod bzw. Insolvenz eines Gesellschafters gem. § 729 Abs. 4 BGB zur Auflösungsbedingung gemacht worden, regelt § 730 BGB, welche besonderen Konsequenzen der Bedingungseintritt neben der Auflösung hat. Diese beiden Auflösungskonstellationen stellen sich als vermögensrechtlich besonders problematisch dar; § 730 BGB soll gewährleisten, dass es gleichwohl zu einem geordneten Übergang von der werbenden zur abzuwickelnden Gesellschaft kommt.2 Bei der Auflösung wegen Gesellschafterinsolvenz ist zudem § 735 Abs. 2 Satz 2 BGB zu beachten, der bzgl. der Frage, wie das Liquidationsverfahren ausgestaltet werden soll, eine Sonderregelung vorsieht (§ 735 BGB Rz. 30).
II. Folgen todesbedingter Auflösung (Abs. 1) 2 Der Tod eines Gesellschafters führt gem. § 723 Abs. 1 BGB nur dann zur Auflösung der
GbR, wenn der Gesellschaftsvertrag dies positiv anordnet. Als vertraglicher Auflösungsgrund kann der Tod eines bestimmten, aber auch das Versterben irgendeines Gesellschafters festgelegt werden. Ist an der GbR eine juristische Person oder eine andere Personengesellschaft beteiligt, so dürfte – anders als nach bisherigem Recht – bereits deren Auflösung und nicht erst die vollständige Beendigung als Auflösungsgrund anzusehen sein.3 Allein entscheidend ist hierbei die Frage, an welches Ereignis der Gesellschaftsvertrag anknüpft, was also „Tod“ i.S.d. vertraglichen Regelung meint; wie stets kommt es auf die Auslegung des Vertrages nach den allgemeinen Regeln an.4 3 Verstirbt einer der Gesellschafter und tritt somit die Auflösungsbedingung ein, so wandelt
sich die GbR in eine Liquidationsgesellschaft um, an der nunmehr auch der Erbe (bzw. die 1 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 169. 2 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 178. 3 Zum früheren gesetzlichen Auflösungsgrund des Todes BGH v. 12.7.1982 – II ZR 157/81, BGHZ 84, 379 = ZIP 1982, 1070; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 727 BGB Rz. 8. 4 Vgl. hierzu Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 727 BGB Rz. 26 f.
520 | Richter
Auflösung bei Tod oder Insolvenz eines Gesellschafters | Rz. 6 § 730 BGB
Erbengemeinschaft, Rz. 8) des Erblassers beteiligt ist. Dieser rückt als Mitglied der Liquidationsgesellschaft in die Vermögens- und Verwaltungsrechte des verstorbenen Gesellschafters ein.5 Hieran anknüpfend sieht § 730 Abs. 1 Sätze 1-3 BGB besondere Pflichten und „Pflichtrechte“ des Erben vor; Satz 4 regelt zudem die besonderen Folgen für die übrigen Mitgesellschafter. Aus der mitgliedschaftlichen Stellung des Erben folgt zudem die Kompetenz, gemeinsam mit den übrigen Gesellschaftern – abweichend von der ursprünglichen Intention des Gesellschaftsvertrags – die Fortsetzung der GbR zu beschließen (allgemein hierzu § 734 BGB Rz. 1 ff.; zur Beschlussfassung bei Erbenmehrheit Rz. 8).
1. Besondere Pflichten und Pflichtrechte des Erben Die Normierung der Rechte und Pflichten des Gesellschaftererbens entspricht weitestgehend 4 dem früheren Recht (§ 727 Abs. 2 Satz 1, 2 BGB a.F.) mit Anpassungen redaktioneller Art. a) Anzeigepflicht Mit dem Eintritt des Auflösungsgrundes, also dem Tod des Gesellschafters, trifft dessen Erbe 5 die Pflicht, allen anderen Gesellschaftern den Tod unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) anzuzeigen. Zwar entsteht diese Pflicht bereits mit Erbanfall;6 bei der Frage, ab wann die Anzeige jedoch pflichtwidrig verzögert wurde, müssen jedoch die konkreten Einzelumstände berücksichtigt werden. Insbesondere liegt kein schuldhaftes Zögern vor, solange der Erbe keine Kenntnis vom Todesfall, von seiner Erbschaft, von der Gesellschafterstellung des Erblassers und von der Auflösungsklausel hat.7 Erlangen die übrigen Gesellschafter vom Tod des Mitgesellschafters anderweitig Kenntnis, erlischt die Anzeigepflicht des Erben.8 Da die Pflicht „kraft Mitgliedschaft“9 entsteht, greift § 730 Abs. 1 Satz 1 BGB weder direkt noch analog, wenn die Gesellschaft gem. § 723 Abs. 1 Nr. 1 BGB fortgesetzt wird.10 b) Pflichtrecht zur Notgeschäftsführung Den Erben des verstorbenen Gesellschafters treffen zudem die Pflicht und die korrespondie- 6 rende Befugnis, die laufenden Geschäfte der GbR fortzuführen, wenn ansonsten die Gesellschaft oder ihr Vermögen gefährdet würde. Dieses „Pflichtrecht zur Notgeschäftsführung“11 ähnelt den Regelungen der § 715 Abs. 3, § 715a BGB: Hier wie dort ordnet das Gesetz an, dass die Geschäftsführung stets durch einen einzelnen Gesellschafter erfolgen kann, wenn der Aufschub des fraglichen Geschäfts mit einer Gefahr für die Gesellschaft oder das Gesellschaftsvermögen verbunden ist, wenn also ohne sofortiges und alleiniges Handeln eine Gesellschaftsschädigung droht (§ 715 BGB Rz. 37 ff., § 715a BGB Rz. 4 ff.).12 Während die § 715 Abs. 3, § 715a BGB jedoch ausschließlich die Geschäftsführungsbefugnis im Innenver-
5 Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 727 BGB Rz. 7; v. Ditfurth in Prütting/Wegen/ Weinreich, § 727 BGB Rz. 2. 6 Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 727 BGB Rz. 7. 7 Allgemein hierzu Hadding/Kießling in Soergel, § 727 BGB Rz. 9. 8 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 727 BGB Rz. 15. 9 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 178. 10 Zu der diesbzgl. Diskussion vor der Gesetzesreform Schäfer in MünchKomm/BGB, § 727 BGB Rz. 25 f. 11 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 178. 12 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 153. Richter | 521
§ 730 BGB Rz. 6 | Rechtsfähige Gesellschaft hältnis vermitteln, betrifft die Notgeschäftsführung nach § 730 BGB zusätzlich auch die Vertretungsbefugnis im Außenverhältnis. Es wurde als unbillig angesehen, dem Erben das Insolvenzrisiko der Gesellschaft zuzuweisen, falls dieser für die Notgeschäftsführungsmaßnahme Ausgleich bei der Gesellschaft sucht.13 7 Begrenzt wird die Notgeschäftsführung durch den Gesellschafter-Erben zunächst durch Satz 2
in zeitlicher Hinsicht: Das Pflichtrecht besteht nur, bis der Erbe gemeinsam mit den anderen Gesellschaftern anderweitig Fürsorge treffen konnte, also für die Übergangszeit bis zur Umstellung der Gesellschaft auf die Liquidation.14 Weitere Besonderheiten ergeben sich aber auch aus Satz 3. Aus dem Gesetzeswortlaut wird zwar nicht unmittelbar ersichtlich, dass sich diese Regelung ebenfalls auf die in Satz 2 normierte Notgeschäftsführung bezieht und diese einschränkt; da der MoPeG-Gesetzgeber jedoch nur Anpassungen „redaktioneller Art“ vornehmen wollte,15 sind beide Sätze als einheitliche Regelung zu betrachten.16 Das Pflichtrecht zur Notgeschäftsführung betrifft den Erben nach Satz 3 deshalb nur, wenn und soweit dem Erblasser durch den Gesellschaftsvertrag Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse übertragen waren. Diese Befugnisse würden gem. § 736b Abs. 1 BGB eigentlich mit der Auflösung der Gesellschaft erlöschen (§ 736b BGB Rz. 1), für den Fall der todesbedingten Auflösung wird hiervon jedoch abgewichen; die bisherigen Befugnisse bestehen übergangsweise „in einem durch den Zweck der Gefahrenabwehr begrenzten Umfang fort.“17 c) Besonderheiten bei Erbengemeinschaft 8 Wird der verstorbene Gesellschafter durch mehrere Personen beerbt, geht seine Gesellschaf-
terstellung ungeteilt auf die Miterben über, die Erbengemeinschaft tritt in die abzuwickelnde Gesellschaft ein.18 Die Rechte aus der Gesellschafterstellung, etwa auch Stimmrechte, müssten die Erben damit grundsätzlich gemeinschaftlich ausüben (§ 2038 Abs. 1 Satz 1 BGB); da diese Konsequenz nicht mit dem Interesse an alsbaldiger Abwicklung zu vereinbaren ist, haben die Erben einen gemeinsamen Vertreter zu benennen (§ 736 BGB Rz. 5).19 Die Pflichten aus § 730 Abs. 1 Sätze 1-3 BGB greifen jedoch zeitlich vor einer etwaigen Vertreterbestellung, müssten also grundsätzlich von allen Erben gemeinschaftlich erfüllt werden. Allerdings kann jeder Miterbe ohne die Mitwirkung der anderen gem. § 2038 Abs. 1 Satz 2 BGB all jene Maßregeln treffen, die zur Erhaltung des Nachlasses bzw. des Nachlassgegenstandes notwendig sind. Diese Voraussetzungen werden typischerweise in der Situation der Notgeschäftsführung vorliegen, so dass jeden Miterben das Recht (aber auch die Pflicht)20 aus § 730 Abs. 1 Satz 2 trifft.21 Ähnliches gilt für die Pflicht aus Satz 1, wird die Anzeige durch einen der Erben vorgenommen, bringt er seine sowie die Pflicht der übrigen Miterben zum Erlöschen.22
13 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 179. 14 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 179; vgl. auch Schäfer in MünchKomm/BGB, § 727 BGB Rz. 16. 15 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 179. 16 Die in Satz 2 beschriebene Notgeschäftsführung und die in Satz 3 angesprochene „einstweilige Fortführung der laufenden Geschäfte“ meinen folglich das Gleiche und entsprechen damit § 727 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 BGB a.F.; vgl. hierzu Hadding/Kießling in Soergel, § 727 BGB Rz. 10. 17 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 179. 18 Vgl. auch § 736 Abs. 3 BGB; Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 184. 19 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 184; vgl. hierzu auch K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 146 HGB Rz. 17. 20 Zu der Verpflichtung des Einzelnen hinsichtlich unaufschiebbarer Notverwaltungsmaßnahmen innerhalb der Erbengemeinschaft Gergen in MünchKomm/BGB, § 2038 BGB Rz. 56. 21 Hadding/Kießling in Soergel, § 727 BGB Rz. 10. 22 Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 727 BGB Rz. 11.
522 | Richter
Auflösung bei Tod oder Insolvenz eines Gesellschafters | Rz. 11 § 730 BGB
d) Haftung Für die Verletzung der Pflichten aus den Sätzen 1-3 haftet der Erbe bzw. die Erbengemein- 9 schaft gegenüber der GbR nach den allgemeinen Maßstäben über § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB, zu vertreten sind also Vorsatz und Fahrlässigkeit. Die frühere Begrenzung auf die diligentia quam in suis (§ 708 BGB a.F.) kommt nach geltendem Recht auch dem Erben nicht zugute, da sich aber über die verkehrskreisbezogene Bestimmung des Sorgfaltsmaßstabs nach § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB „interessengerechte Lösungen“ finden lassen,23 dürfte bei der Frage der Haftung auch weiterhin der persönliche Erfahrungshorizont des (u.U. geschäftsunkundigen) Erben zu berücksichtigen sein.24 Da der Erbe bzw. die Erbengemeinschaft mit dem Versterben des Erblassers Mitglied der Ab- 10 wicklungsgesellschaft werden, droht die Haftung für Gesellschaftsschulden gem. §§ 721, 721a BGB.25 Für den (Regel-)Fall, dass die GbR mit dem Tod des Gesellschafters nicht aufgelöst, sondern mit dem bzw. den Erben fortgesetzt wird, sieht § 724 BGB haftungsbeschränkende Sonderregeln vor (§ 724 BGB Rz. 22 ff.). Diese finden zwar auf die Situation des § 730 BGB keine unmittelbare Anwendung, allerdings dürfte § 724 Abs. 4 BGB Ausstrahlungswirkung haben:26 Die unbeschränkte Haftung der Liquidationsgesellschaft für Alt- und Neuverbindlichkeiten kann nach erbrechtlichen Regeln auf den Nachlass beschränkt werden.27
2. Folgen für die übrigen Gesellschafter Auch den Altgesellschaftern kommt im Fall der todesbedingten Auflösung ein besonderes 11 Pflichtrecht zur Notgeschäftsführung zu; nach Abs. 1 Satz 4 sind diese in gleicher Weise zur einstweiligen Fortführung der laufenden Geschäfte berechtigt und verpflichtet wie die Gesellschafter-Erben. Abweichend von § 736b Abs. 1 BGB bleiben die bisherigen Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse der Gesellschafter bestehen, bis die GbR auf die Liquidation umgestellt wurde.28 Die Kompetenzen begrenzen sich jedoch, wie bei den GesellschafterErben auch, auf nicht aufschiebbare Maßnahmen der Gefahrenabwehr; befugt sind zudem nur die Gesellschafter, die auch zuvor schon die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis innehatten.29 Hiervon zu unterscheiden ist die Fiktion des § 736b Abs. 2 BGB (§ 736b BGB Rz. 12 ff.). Die hiernach „als fortbestehend“ geltenden Befugnisse sind nicht auf die Notgeschäftsführung begrenzt, setzen aber voraus, dass die handelnden Gesellschafter von der Auflösung weder wussten noch wissen mussten. Zu der Kompetenz der übrigen Gesellschafter, die Auflösung einer eGbR ohne Mitwirkung der Erben anzumelden, vgl. § 733 Abs. 2 BGB (§ 733 BGB Rz. 7).
23 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 140; vgl. hierzu auch Habersack/Lüdeking, RFamU 2022, 3, 7 f. 24 So die herrschende Sicht zum alten Recht, vgl. etwa Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 727 BGB Rz. 7; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 727 BGB Rz. 19. 25 Vgl. hierzu Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 727 BGB Rz. 8. 26 Mit Bezug auf § 139 HGB a.F., der für § 724 BGB Pate gestanden hat, Lorz in E/B/J/S, § 139 HGB Rz. 131. 27 So bzgl. einer KG bereits BGH v. 6.7.1981 – II ZR 38/1, ZIP 1981, 1088 Ls. 2; s. auch K. Schmidt/ Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 101. 28 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 179. 29 So ausdrücklich Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 179 zu Abs. 2; dem Gesetzestext lässt sich diese Einschränkung nur mittelbar (in der Formulierung „in gleicher Weise“) entnehmen. Richter | 523
§ 730 BGB Rz. 12 | Rechtsfähige Gesellschaft
III. Folgen insolvenzbedingter Auflösung (Abs. 2) 12 Wird über das Vermögen eines Gesellschafters das Insolvenzverfahren eröffnet, kann der Ge-
sellschaftsvertrag, abweichend von § 723 Abs. 1 BGB, hieran die Auflösung der GbR knüpfen. Da es sich nicht um einen gesetzlichen Auflösungsgrund handelt, bleibt es den Gesellschaftern überlassen, den maßgeblichen (Verfahrens-)Zeitpunkt durch eine entsprechende vertragliche Vereinbarung zu bestimmen. Wird schlicht an „die Insolvenz“ angeknüpft, könnte sowohl der Eintritt der materiellen Insolvenz als auch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemeint sein. Da das erstmalige Vorliegen eines Insolvenzgrunds häufig nicht deutlich erkennbar sein wird, dürfte eine derart offen formulierte Auflösungsbedingung im Zweifel an den unzweideutigen Zeitpunkt der (öffentlich bekanntzumachenden) Insolvenzeröffnung anknüpfen. Eine andere Gestaltung ist allerdings möglich. 13 Kommt es aufgrund der formellen Insolvenz eines Gesellschafters zur Auflösung der GbR, so
kommt den übrigen (bislang geschäftsführenden) Gesellschaftern, wie bei der todesbedingten Auflösung (Rz. 6 f.), ein Pflichtrecht zur Notgeschäftsführung zu; § 730 Abs. 1 Satz 4 BGB gilt entsprechend. Der Insolvenzverwalter, der nun das Vermögen des insolventen Gesellschafters verwaltet, nimmt zwar auch dessen Geschäftsführungsfunktionen in der Abwicklungsgesellschaft wahr (§ 736 BGB Rz. 4); das besondere Pflichtrecht zur Notgeschäftsführung steht ihm jedoch auch dann nicht zu, wenn dem Insolvenzschuldner nach dem Gesellschaftsvertrag Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse übertragen waren; eine entsprechende Anwendung von § 730 Abs. 1 Sätze 2, 3 BGB wurde bewusst abgelehnt.30 § 730 Abs. 2, Abs. 1 Satz 4 BGB kommt auch dann zur Anwendung, wenn ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung (§ 270 InsO) angeordnet wurde, Anknüpfungspunkt ist lediglich die Insolvenzeröffnung und nicht die Verwalterbestellung. 14 Den anderen Mitgesellschaftern können aus ihrer Notgeschäftsführung u.U. Ausgleichs-
ansprüche entstehen, die sich primär gegen die Gesellschaft (allgemein hierzu § 716 BGB Rz. 13) und im Rahmen der Verlustverteilung (nachrangig)31 gegen den insolventen Mitgesellschafter richten. Innerhalb des Insolvenzverfahrens kann der geschäftsführende Gesellschafter die Ansprüche, die ihm aus der einstweiligen Fortführung eilbedürftiger Geschäfte zustehen, (subsidiär) als Massegläubiger geltend machen (§ 118 Satz 1 InsO). 15 Der Anwendungsbereich des § 730 Abs. 2 BGB begrenzt sich auf die Auflösung wegen for-
meller Gesellschafterinsolvenz. Wird vertraglich die materielle Insolvenz (oder die Stellung des Insolvenzantrags bzw. der Erlass einstweiliger Sicherungsmaßnahmen) als Auflösungsgrund gewählt, kommt eine direkte Anwendung nicht in Betracht. Dies hat zur Konsequenz, dass § 736b Abs. 1 BGB uneingeschränkt gilt, so dass die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis allen Gesellschafter – inkl. dem insolventen Mitgesellschafter – gemeinsam zusteht. Mit der Insolvenzeröffnung tritt dann der Insolvenzverwalter an dessen Stelle (§ 736 BGB Rz. 4). Eine analoge Anwendung liegt zumindest dann nahe, wenn das Verfahren zwar noch nicht eröffnet, aber bereits ein sog. „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter gem. § 22 Abs. 1 InsO eingesetzt wurde.
30 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 179. 31 S. hierzu und zum Folgenden Ringstmeier in K. Schmidt, 20. Aufl. 2023, § 118 InsO Rz. 10 ff.
524 | Richter
Kündigung der Gesellschaft | Rz. 3 § 731 BGB
§ 731 BGB Kündigung der Gesellschaft (1) 1Ein Gesellschafter kann die Gesellschaft jederzeit aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen, wenn ihm die Fortsetzung der Gesellschaft nicht zuzumuten ist. 2Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn ein anderer Gesellschafter eine ihm nach dem Gesellschaftsvertrag obliegende wesentliche Verpflichtung vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat oder wenn die Erfüllung einer solchen Verpflichtung unmöglich wird. (2) Eine Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag, welche das Kündigungsrecht ausschließt oder dieser Vorschrift zuwider beschränkt, ist unwirksam. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Außerordentliche Auflösungskündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wichtiger Grund als Kündigungsvoraussetzung (Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erklärung, Form und Frist der Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 2
3. Eo ipso-Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 4. Einschränkbarkeit des Kündigungsrechts (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 II. Ordentliche Auflösungskündigung . . . 13
6
I. Außerordentliche Auflösungskündigung Die in § 729 Abs. 1 Nr. 3 BGB normierte Möglichkeit der Gesellschafter, nicht nur ihre Mit- 1 gliedschaft (s. diesbzgl. § 723 BGB Rz. 12 ff.), sondern die Gesellschaft insgesamt zu kündigen und damit aufzulösen, wird durch § 731 BGB konkretisiert: Eine derartige Gesellschaftskündigung ist jederzeit und fristlos möglich, wenn ein „wichtiger Grund“ vorliegt und die Fortsetzung der Gesellschaft unzumutbar ist (Abs. 1); ein vertraglicher Ausschluss oder eine Beschränkung dieses Rechts ist nicht möglich (Abs. 2).
1. Wichtiger Grund als Kündigungsvoraussetzung (Abs. 1) Mit § 731 Abs. 1 BGB wird ausdrücklich auf das „allgemeine Prinzip“ Bezug genommen, 2 nach dem Dauerschuldverhältnisse jederzeit aus wichtigem Grund auflösbar sind,1 angeknüpft wird also an § 314 Abs. 1 BGB. Zwar würde bereits diese allgemeine Regelung das außerordentliche Kündigungsrecht tragen, für den Gesellschaftsvertrag wird die Auflösbarkeit jedoch speziell geregelt, um diese „in das richtige Verhältnis zu anderen Möglichkeiten“ zu bringen, mit denen auf Störungen im Gesellschaftsverhältnis reagiert werden könnte.2 Die zentrale Kündigungsvoraussetzung – das Vorliegen eines wichtigen Grundes – ist vor diesem Hintergrund zu bestimmen. Ein wichtiger, die außerordentliche Kündigung tragender Grund liegt nach allgemeinen 3 Grundsätzen vor, wenn dem kündigenden Teil nicht zugemutet werden kann, das Dauer-
1 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 179 („jederzeitige Auflösbarkeit einer Dauerrechtsbeziehung“). 2 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 179. Richter | 525
§ 731 BGB Rz. 3 | Rechtsfähige Gesellschaft schuldverhältnis bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist fortzuführen, wobei alle Einzelfallumstände und relevanten Interessen berücksichtigt und abgewogen werden müssen. Auch nach § 731 Abs. 1 Satz 1 BGB bestimmt sich das Vorliegen eines Kündigungsgrundes im Kern danach, ob eine (zumindest temporäre) Gesellschaftsfortsetzung zumutbar ist. Hiermit werden also nicht zwei verschiedene Voraussetzungen genannt, die kumulativ eine Kündigung rechtfertigen (der wichtige Grund sowie die Unzumutbarkeit der Fortsetzung);3 vielmehr bezieht sich die Prüfung des wichtigen Kündigungsgrundes auf zwei in Zusammenhang stehende Elemente: Zum einen stellt sich die Frage, ob Umstände vorliegen, die eine sofortige Beendigung der bisherigen Beziehungen rechtfertigen (Rz. 4); zum anderen ist zu prüfen, ob nicht eine weniger gravierende Maßnahme als (vorrangiges) Mittel der Konfliktlösung verfügbar ist (Rz. 5). 4 Die außerordentliche Beendigung des gesellschaftsrechtlichen Dauerverhältnisses ist – zu-
nächst unabhängig davon ob die Mitgliedschaft oder die Gesellschaft gekündigt wird – gerechtfertigt, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen den Gesellschaftern grundlegend gestört bzw. die gemeinsame gesellschaftliche Zweckförderung unmöglich geworden ist.4 Beispielhafte wichtige Kündigungsgründe sind in Satz 2 genannt, der das bisherige Recht übernimmt und sich mit § 725 Abs. 2 Satz 2 BGB und § 727 Satz 2 BGB deckt (§ 725 BGB Rz. 11 ff.). Ein wichtiger Grund liegt hiernach insbesondere dann vor, wenn wesentliche gesellschaftsvertragliche Verpflichtungen vorsätzlich oder grob fahrlässig von einem Mitgesellschafter verletzt wurden oder wenn – grds. unabhängig vom Verschulden – die Erfüllung einer solchen Verpflichtung unmöglich wird. Für die Frage nach dem „wichtigen Grund“ können die Grundsätze herangezogen werden, die zu § 723 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BGB a.F. sowie zu § 133 Abs. 2 HGB a.F. entwickelt wurden.5 Ein wichtiger Grund, der regelmäßig die Auflösung rechtfertigt, liegt insbesondere in der Fehlerhaftigkeit einer in Vollzug gesetzten Gesellschaft (§ 705 BGB Rz. 29).
5 Liegt ein wichtiger Grund vor, so ist zudem zu prüfen, „ob der Grund derart gewichtig ist,
dass er als letztes Mittel gerade eine Auflösung der Gesellschaft rechtfertigt.“6 Die Auflösungskündigung stellt sich hiernach als ultima ratio dar, kommt also nur dann in Betracht, wenn eine Lösung des gesellschaftlichen Konflikts mit anderen Maßnahmen nicht möglich ist. Vorrangig sind nach Vorstellung des Gesetzgebers insbesondere die Kündigung der Mitgliedschaft (§ 725 BGB Rz. 15), die Ausschließung des (störenden) Gesellschafters durch Gesellschafterbeschluss (§ 727 BGB Rz. 1), die Entziehung von Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnissen (§ 715 BGB Rz. 53 ff., § 720 BGB Rz. 61 ff.) sowie eine Anpassung des Gesellschaftsvertrags.7 Als „milderes Mittel“ dürfte zudem eine nicht fristlose Kündigung vorrangig sein, wenn die Fortführung der GbR zwar nicht zumutbar, eine sofortige Auflösung aber ebenfalls nicht angezeigt ist.8 Nur wenn dem betroffenen Gesellschafter trotz all dieser Alternativen die Fortsetzung der Gesellschaft (auch ohne ihn) nicht zuzumuten ist, besteht ein Kündigungsrecht nach § 731 Abs. 1 Satz 1 BGB.
3 S. auch Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 179. 4 Vgl. bereits BGH v. 24.7.2000 – II ZR 320/98, ZIP 2000, 1772, 1773; Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 727 BGB Rz. 26; ähnlich auch Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 173, 179. 5 Hierzu Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 723 BGB Rz. 28 ff. 6 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 179. 7 Dieses Rangverhältnis sei „Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips“, Begr. RegE MoPeG, BTDrucks. 19/27635, 179. 8 Zu prüfen ist deshalb, ob ein wichtiger Grund für die sofortige Kündigung und Auflösung besteht; dies entspricht der Regelung in § 725 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 BGB (s. hierzu § 725 BGB Rz. 21).
526 | Richter
Kündigung der Gesellschaft | Rz. 7 § 731 BGB
2. Erklärung, Form und Frist der Kündigung Zur Erklärung der Auflösungskündigung enthält das Gesetz keine näheren Bestimmungen. 6 Nach allgemeinen Grundsätzen sind deshalb die Vertragspartner, also alle Mitgesellschafter – nicht die GbR – die richtigen Adressaten der empfangsbedürftigen Willenserklärung. Dies war für alle Austritts- und Auflösungskündigungen des früheren Personengesellschaftsrechts einhellige Meinung. Die Auflösungskündigung ist „als Gestaltungsakt in Bezug auf die Gesellschaftsgrundlagen grundsätzlich an alle Gesellschafter zu richten.“9 Von dieser treffenden Sicht scheint die Gesetzesbegründung zum MoPeG abweichen zu wollen: Die Kündigungserklärung richte sich „nicht gegen die anderen Gesellschafter, sondern gegen die Gesellschaft selbst.“10 Diese Vorstellung der Gesetzesmotive überzeugt inhaltlich nicht und kann keine Geltung beanspruchen, da sie – anders als bei § 725 Abs. 1 BGB – keinen Niederschlag im Normtext gefunden hat; es bleibt bei der bisherigen Rechtslage. Auch wenn man davon ausgehen wollte, dass der MoPeG-Gesetzgeber mit seiner Aussage nicht den Erklärungsadressaten, sondern den Gegner in einem etwaigen Prozess beschreiben wollte,11 dürfte dem zu widersprechen sein: Auch die Klage auf Feststellung der Auflösung ist gegen die Mitgesellschafter und nicht gegen die Gesellschaft zu richten (Rz. 8; § 729 BGB Rz. 33). Die Kündigung kann, mangels spezieller gesetzlicher Vorgaben, grds. formlos erfolgen, es sei 7 denn, im Gesellschaftsvertrag wird eine besondere Form (wirksam, Rz. 12) vorgeschrieben. Die außerordentliche Kündigung ist zwar gem. § 731 Abs. 1 Satz 1 BGB „jederzeit“ und ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist möglich, beide Aspekte sind jedoch einzuschränken: Ist dem Kündigenden eine lediglich temporäre Gesellschaftsfortführung zumutbar, so würde die Einhaltung einer Kündigungsfrist eine gegenüber der fristlosen Kündigung mildere und deshalb vorrangige Maßnahme sein (Rz. 5). Für die Auflösungskündigung sieht das BGB heute12 (anders als bei der Mitgliedschaftskündigung, § 725 BGB Rz. 21) kein ausdrückliches Verbot der Kündigung zur Unzeit vor. Ein derartiges Verbot ist auch nicht notwendig: Liegt ein wichtiger Grund vor, der (sogar) die unzeitige Kündigung rechtfertigt, ist diese zulässig.13 Liegt ein derartig gewichtiger Grund nicht vor, so ist dem Kündigenden die (zumindest zeitweise) Fortsetzung der Gesellschaft nicht unzumutbar, so dass die Auflösungskündigung unwirksam ist, da sie nicht dem beschriebenen Verhältnismäßigkeitsgebot entspricht. Für den Kündigungszeitpunkt werden i.Ü. keine besonderen Vorgaben gemacht, so dass keine fixe Ausschlussfrist besteht. Allerdings muss der Kündigungsberechtigte nach der allgemeinen Vorgabe des § 314 Abs. 3 BGB „innerhalb einer angemessenen Frist kündigen, nachdem er vom Kündigungsgrund Kenntnis erlangt hat.“ Für den speziellen Fall der Gesellschaftskündigung wird diese Bestimmung (lediglich) zur Grundlage einer tatsächlichen Vermutung gemacht: Übt der Gesellschafter sein Kündigungsrecht erst nach Ablauf der angemessenen Bedenkzeit aus, spreche dies dafür, dass die Fortführung der Gesellschaft nicht (oder nicht mehr) unzumutbar ist.14
9 BGH v. 11.5.2016 – XII ZR 147/14, ZIP 2016, 1432, 1433 Rz. 25; vgl. auch Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 723 BGB Rz. 9; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 132 HGB Rz. 17 sowie zur Auflösungsklage bei § 133 HGB Rz. 50, 52. 10 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 180. 11 Für diese Deutung spräche zumindest die Tatsache, dass die Kündigungserklärung nach der Gesetzesbegründung „gegen“ und nicht „an“ die Gesellschaft zu richten sei. 12 Anders noch § 723 Abs. 2 BGB a.F. 13 Vgl. für die Mitgliedschaftskündigung § 725 Abs. 5 Satz 1 BGB a.E.; vgl. auch Westermann in Erman, § 723 BGB Rz. 19. 14 BGH v. 22.5.2012 – II ZR 2/11, ZIP 2012, 1500, 1503 Rz. 30; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 723 BGB Rz. 48. Richter | 527
§ 731 BGB Rz. 8 | Rechtsfähige Gesellschaft
3. Eo ipso-Wirkung 8 Ist die außerordentliche Kündigung der Gesellschaft wirksam, so führt sie unmittelbar, ins-
besondere ohne die Notwendigkeit einer gerichtlichen Entscheidung eo ipso zur Gesellschaftsauflösung. Besteht zwischen den Gesellschaftern Streit darüber, ob tatsächlich ein wichtiger Grund vorlag, die Kündigung damit wirksam war und die GbR folglich aufgelöst wurde, muss hierüber nachträglich prozessiert werden. Bis diesbezüglich jedoch eine rechtskräftige Entscheidung ergeht und für Rechtsklarheit und Verkehrssicherheit sorgt, können ggf. Jahre vergehen. Für die Personenhandelsgesellschaften sieht das Gesetz deshalb seit langem im Interesse des Rechtsverkehrs sowie der Gesellschafter vor, dass die Auflösung aus wichtigem Grund nur durch eine Gestaltungsklage angestoßen und durch ein entsprechendes Urteil bewirkt werden kann (§ 139 HGB Rz. 1).15 Da dieselben Interessen auch bei der GbR bestehen können, wurde zum früheren Recht vorgeschlagen, zumindest bei unternehmenstragenden BGB-Gesellschaften eine Auflösungsklage analog § 133 HGB a.F. (§ 139 HGB n.F.) anstelle der Kündigungsmöglichkeit zu setzen und so auch hier für Rechtssicherheit zu sorgen.16 Angesichts der Tatsache, dass sich der MoPeG-Gesetzgeber umfassend mit der Auflösungskündigung befasst, diese neu geregelt und gleichwohl von einer Angleichung an das Handelsrecht abgesehen hat, kann jedenfalls nach neuem Recht nicht mehr angenommen werden, dass eine planwidrige Regelungslücke besteht. Die Analogie muss folglich ausscheiden.
4. Einschränkbarkeit des Kündigungsrechts (Abs. 2) 9 Nach § 731 Abs. 2 BGB sind gesellschaftsvertragliche Vereinbarungen, die das Recht aus
Abs. 1 ausschließen oder „dieser Vorschrift zuwider“ begrenzen, unwirksam. Diese Vorgabe bezieht sich insbesondere auf das substantielle Recht der außerordentlichen Kündigung: Eine unbefristete Bindung ohne Kündigungsmöglichkeit „ist mit der persönlichen Freiheit der Gesellschafter unvereinbar und kann von ihnen nicht wirksam vereinbart werden.“17 Deshalb kann weder das Kündigungsrecht allgemein ausgeschlossen, noch inhaltlich so ausgehöhlt werden, dass es trotz des Vorliegens eines wichtigen Grundes nicht sinnvoll ausübbar ist. Werden an die außerordentliche Kündigung etwa wirtschaftliche Einbußen oder andere Nachteile geknüpft, die so schwerwiegend sind, dass der Kündigungswillige vernünftigerweise nicht von seinem Kündigungsrecht Gebrauch machen kann, ist die entsprechende Bestimmung unwirksam.18
10 Regelungen, die festlegen, welche Umstände als „wichtiger Grund“ zur Kündigung berechti-
gen, sind unproblematisch möglich, wenn sie das Kündigungsrecht ausweiten, indem sie bestimmte Umstände typisiert als besonderen Kündigungsgrund anerkennen (Rz. 4). Demgegenüber ist es jedoch nicht möglich, einen Kündigungsgrund, der objektiv den Tatbestand des Abs. 1 erfüllt, durch vertragliche Regelung als „nicht wichtig“ und unbeachtlich einzuordnen. Eine derartige Klausel kann (und muss) jedoch beachtet werden, wenn geprüft wird, ob die konkreten Umstände des Falls für den Betroffenen eine Unzumutbarkeit i.S.d.
15 Vgl. Butzer/Knof in MünchHdb. GesR I, § 83 Rz. 22; Lorz in E/B/J/S, § 133 HGB Rz. 1. Eine dem § 731 Abs. 1 BGB entsprechende vertragliche Regelung ist jedoch auch bei der oHG möglich (§ 139 HGB Rz. 2, 12). 16 Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, Vor § 723 BGB Rz. 15, § 723 BGB Rz. 36; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 58 V 2, S. 1722 f.; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 133 HGB Rz. 3. 17 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 173, 180; vgl. auch m.w.N. BGH v. 13.6.1994 – II ZR 38/ 93, ZIP 1994, 1173, 1174 f. 18 BGH v. 7.4.2008 – II ZR 181/04, ZIP 2008, 1276, 1279 Rz. 19; s. hierzu auch Westermann in Erman, § 723 BGB Rz. 23.
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Kündigung der Gesellschaft | Rz. 13 § 731 BGB
§ 731 Abs. 1 Satz 1 BGB darstellen. Haben die Vertragsparteien zum Ausdruck gebracht, dass bestimmte Umstände für sie hinnehmbar sind, stellt dies ein Indiz dafür dar, dass die Fortsetzung der Gesellschaft beim nachträglichen Eintreten dieser Gründe auch tatsächlich nicht unzumutbar ist.19 Vertragliche Regelungen, die anordnen, dass bei Vorliegen eines wichtigen Grundes lediglich 11 die Mitgliedschaft, nicht aber die Gesellschaft gekündigt werden kann, sind dem Grunde nach unproblematisch, wenn und weil hierdurch nur das dem § 731 Abs. 1 BGB ohnehin inhärente Verhältnismäßigkeitsprinzip aufgenommen wird. Unzulässig und unwirksam sind damit vor allem solche Regeln, die das Recht des Gesellschafters, sich trotz des wichtigen Grundes in irgendeiner Form von der gesellschaftsvertraglichen Bindung zu lösen, substantiell einschränken.20 Der Fall, dass dem Kündigungswilligen jede Form der Gesellschaftsfortführung (auch ohne seine Beteiligung) unzumutbar sein sollte, wäre ebenfalls von § 731 Abs. 2 BGB umfasst, dürfte praktisch jedoch kaum vorkommen. Während substantielle Einschränkungen des Kündigungsrechts ausgeschlossen sind, können 12 rein verfahrenstechnische Vorgaben wirksam vertraglich vereinbart werden, etwa zur Kündigungsform.21 Unzulässig sind jedoch Regelungen, nach denen das außerordentliche Kündigungsrecht nur unter der Einhaltung bestimmter Ausschluss- oder Kündigungsfristen ausgeübt werden kann.22 Dass dieses Recht bei Vorliegen eines entsprechenden Grundes „jederzeit“ und „ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist“ ausgeübt werden kann, gehört zu dessen unabdingbarem Wesenskern (s. aber Rz. 7).
II. Ordentliche Auflösungskündigung Das Gesetz sieht heute nicht mehr vor, dass die Gesellschaft auch ohne wichtigen Grund ge- 13 kündigt und damit aufgelöst werden kann.23 Die Möglichkeit, sich grds. frei (ggf. aber unter Einhaltung bestimmter Fristen) von der vertraglichen Bindung zu lösen, wird vielmehr durch die Austrittskündigung sichergestellt (§ 725 BGB Rz. 7 ff.). Die Gesellschafter können allerdings auf vertraglicher Basis ein „ordentliches“ Recht zur Auflösungskündigung begründen (vgl. § 723 Abs. 1, § 729 Abs. 4 BGB). Hierbei kann die voraussetzungs- und fristlose Kündigung vorgesehen werden. Wird im Vertrag lediglich das ordentliche Kündigungsrecht, jedoch keine Kündigungsfrist festgelegt, stellt sich die Frage, ob die in § 725 Abs. 1 BGB genannte Frist (von drei Monaten zum Ablauf des Kalenderjahres) einzuhalten ist. Da es um privatautonome Rechtsgestaltung geht, muss diese Frage jeweils konkret im Wege der Auslegung beantwortet werden: Sollte die Klausel an § 723 Abs. 1 Nr. 2, § 725 BGB anknüpfen und das Austrittsrecht zu einem Auflösungsrecht wandeln, so dürften die Fristen zu beachten sein. Sollte hingegen eine freie und flexible Auflösbarkeit, wie sie das alte Recht kannte, vereinbart werden, sind keine Fristen einzuhalten. Eine Kündigung zur Unzeit ist jedoch auch in diesem Fall analog § 725 Abs. 5 Satz 1 BGB unzulässig, aber wirksam. Der Gesellschaftsvertrag kann auch besondere Umstände benennen und als Kündigungsgründe festschreiben, die neben die wichtigen Gründe des § 731 Abs. 1 BGB treten (Rz. 10). Hierbei sollte durch präzise Formulierung klargestellt werden, ob der Eintritt der benannten Umstände unmittelbar zur Auflösung führen (§ 729 BGB Rz. 25) oder lediglich zur möglichen Kündigung berechtigen soll.
19 Ähnlich Westermann in Erman, § 723 BGB Rz. 23; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 133 HGB Rz. 71. 20 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 133 HGB Rz. 66, 68. 21 Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 723 Rz. 42. 22 Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 723 Rz. 42; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 723 BGB Rz. 74. 23 Anders für die unbefristete Gesellschaft noch § 723 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. Richter | 529
§ 732 BGB Rz. 1 | Rechtsfähige Gesellschaft
§ 732 BGB Auflösungsbeschluss Hat nach dem Gesellschaftsvertrag die Mehrheit der Stimmen zu entscheiden, muss ein Beschluss, der die Auflösung der Gesellschaft zum Gegenstand hat, mit einer Mehrheit von mindestens drei Viertel der abgegebenen Stimmen gefasst werden. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Auflösung durch Gesellschafterbeschluss II. Bestimmung von Mehrheit und Stimmgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
III. Folgen des (ggf. fehlerhaften) Auflösungsbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
3
I. Auflösung durch Gesellschafterbeschluss 1 Die vertragliche Grundlage der GbR kann durch einvernehmliche Entscheidung aller Gesell-
schafter grds. frei gestaltet werden, weshalb auch die Beendigung der Gesellschaft durch Auflösungsvertrag oder -beschluss ausgelöst werden kann; dies stellt § 729 Abs. 1 Nr. 4 BGB klar (§ 729 BGB Rz. 15). Nach allgemeinem Vertragsrecht, aber auch nach der allgemeinen Vorschrift zur Beschlussfassung in der GbR (§ 714 BGB Rz. 86) bedarf eine derartige Entscheidung grds. der Zustimmung aller Vertragsparteien. Sind sich alle Gesellschafter einig darüber, dass die Gesellschaft abgewickelt werden soll, ist die privatautonom bewirkte Auflösung stets möglich. Abweichend von diesem Einstimmigkeitserfordernis kann der Gesellschaftsvertrag jedoch auch eine Mehrheitsklausel vorsehen, so dass eine Auflösung auch gegen den Willen einzelner opponierender Mitgesellschafter per Mehrheitsbeschluss möglich ist. Weil bei dieser Grundlagenentscheidung ein besonders ausgeprägtes Schutzbedürfnis der Gesellschafter gesehen wird,1 ordnet § 732 BGB ein Mindestquorum von 75 % an (Rz. 3). Auch im Handelsrecht ist nunmehr eine inhaltsgleiche Schutzregelung normiert (§ 140 HGB Rz. 3). 2 § 732 BGB knüpft an eine gesellschaftsvertragliche Klausel an, nach der ein (Auflösungs-)Be-
schluss mit der Mehrheit der Stimmen ergehen kann. Möglich ist etwa, dass der Vertrag eine konkrete, speziell auf die Auflösungsentscheidung bezogene Klausel vorsieht. Aber auch eine allgemeine Mehrheitsklausel ist taugliche Grundlage für einen Auflösungsbeschluss, gerade auch weil hier ein besonderer Schutz über § 732 BGB besteht.2 Trifft die (konkrete oder allgemeine) Klausel keine genauere Vorgabe zur notwendigen Mehrheit, so käme der Beschluss nach allgemeinen Grundsätzen mit einfacher Stimmenmehrheit zustande (§ 709 BGB Rz. 44). Hiervon abweichend stellt § 732 BGB klar, dass der Auflösungsbeschluss mit einer Mehrheit von mindestens drei Viertel der abgegebenen Stimmen gefasst werden muss. Sieht der Gesellschaftsvertrag ein niedrigeres Quorum vor, so ist dies unerheblich (aber auch unschädlich). Wird vertraglich jedoch eine höhere Quote vorgesehen, so muss diese erreicht werden; § 732 BGB stellt insofern nur eine Untergrenze dar. Möglich ist es deshalb auch, im Gesellschaftsvertrag eine allgemeine Mehrheitsklausel aufzunehmen und speziell für den Auflösungsbeschluss Einstimmigkeit vorzusehen.
1 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 180. 2 So ausdrücklich der MoPeG-Gesetzgeber: § 732 BGB stelle „als Spezialregelung klar, dass für den Auflösungsbeschluss auch eine allgemeine Mehrheitsklausel taugt“ (Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/ 27635, 180).
530 | Richter
Auflösungsbeschluss | Rz. 5 § 732 BGB
II. Bestimmung von Mehrheit und Stimmgewicht Notwendig für den wirksamen Auflösungsbeschluss sind drei Viertel der abgegebenen Stim- 3 men. Für die Bestimmung der notwendigen Mehrheit ergibt sich aus dieser Formulierung zunächst, dass nicht die (qualifizierte) Mehrheit aller Gesellschafter zustimmen muss, sondern dass lediglich 75 % der tatsächlich abgegebenen und wirksamen Stimmen auf die Auflösung entfallen müssen. Hierbei sind Stimmenthaltungen und ungültige Stimmen nicht einzuberechnen. Der Gesetzgeber hat insoweit wortgleich die Bestimmung des § 33 Abs. 1 Satz 1 BGB übernommen,3 so dass die dort entwickelten Grundsätze zur Bestimmung von Mehrheiten auch hier gelten.4 Des Weiteren stellt sich die Frage, ob den hiernach zu wertenden Stimmen unterschiedliches Stimmgewicht zukommt. Die Formulierung des § 732 BGB spricht zunächst dafür, allein die bloße Anzahl der Stimmen i.S. einer Kopfmehrheit zu werten. Allerdings sieht das Gesetz in § 709 Abs. 3 BGB eine allgemeine Regel zur Stimmkraft vor, die mangels abweichender Spezialvorgaben auch für den Auflösungsbeschluss greift. Hiernach richtet sich die Stimmkraft vorrangig nach den vereinbarten Beteiligungsverhältnissen (§ 709 BGB Rz. 21 ff.). Sieht der Gesellschaftsvertrag also die Auflösung durch Mehrheitsbeschluss vor, verlangt § 732 BGB, dass die zustimmenden Gesellschafter insgesamt mindestens 75 % der Anteilsquote repräsentieren. Von dieser „vorrangigen“ Bestimmung des Stimmgewichts kann vertraglich abgewichen werden, so dass etwa auf die Beitragsquote oder auf die (qualifizierte) Kopfmehrheit abzustellen wäre.5 Sieht der Gesellschaftsvertrag eine solche Bestimmung vor, dürfte sich aus § 732 BGB keine zusätzliche Schranke ergeben, so dass etwa ein Beschluss mit einer drei Viertel Mehrheit der abstimmenden Gesellschafter ergehen könnte, selbst wenn diese nicht 75 % der Anteilsquote repräsentieren.
III. Folgen des (ggf. fehlerhaften) Auflösungsbeschlusses Wird ein Auflösungsbeschluss mit der notwendigen Mehrheit gefasst, wandelt sich die GbR 4 unmittelbar in eine Liquidationsgesellschaft um. Möglich und u.U. sinnvoll ist es aber auch, die Auflösung im Beschluss für einen bestimmten zukünftigen Zeitpunkt vorzusehen; wird hingegen an ein ungewisses Ereignis angeknüpft, stellt dies eine Änderung des Gesellschaftsvertrags dar, die u.U. nicht mit qualifizierter Mehrheit, sondern einstimmig ergehen muss.6 Ein ohne die erforderliche Mehrheit gefasster oder aus sonstigen Gründen fehlerhafter Auf- 5 lösungsbeschluss ist grds. unwirksam. Wird gleichwohl mit der Liquidation begonnen – etwa, weil übersehen wurde, dass die 75 %-Schwelle des § 732 BGB nicht erreicht wurde –, so ist der Beschluss in Vollzug gesetzt und deshalb nach der wohl h.L. den Grundsätzen der fehlerhaften Gesellschaft entsprechend als wirksam zu behandeln.7 Eine Korrektur ließe sich nur durch einen (ggf. einzuklagenden) Fortsetzungsbeschluss (§ 734 BGB Rz. 1) erreichen. Gegen diese Sicht wird jedoch zu Recht eingewandt, dass zwar zwischenzeitliche Liquidationsmaßnahmen wirksam sein können, dass diese aber rückgängig zu machen sind
3 Auf diese Norm weist die Gesetzesbegründung – wenn auch in anderem Kontext – ausdrücklich hin (Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 180), so dass von einer Übertragbarkeit ausgegangen werden kann. 4 Vgl. dort zur Mehrheitsbestimmung Schwennicke in Staudinger, Neubearbeitung 2019, § 33 BGB Rz. 15, § 32 BGB Rz. 110 ff. 5 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 142 f., s. hierzu auch § 709 BGB Rz. 32. 6 Vgl. zu dieser Abgrenzungsproblematik K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 131 HGB Rz. 16. 7 Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, Vor §§ 723 ff. BGB Rz. 12; Lehmann-Richter in BeckOK/HGB, § 131 HGB Rz. 16 (Stand: 39. Ed. 15.1.2023). Richter | 531
§ 732 BGB Rz. 5 | Rechtsfähige Gesellschaft und die Fortführung der Gesellschaft auch ohne die Notwendigkeit eines erneuten (Fortsetzungs-)Beschlusses möglich und angezeigt ist.8
§ 733 BGB Anmeldung der Auflösung (1) 1Ist die Gesellschaft im Gesellschaftsregister eingetragen, ist ihre Auflösung von sämtlichen Gesellschaftern zur Eintragung in das Gesellschaftsregister anzumelden. 2 Dies gilt nicht in den Fällen der Eröffnung oder der Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft (§ 729 Absatz 1 Nummer 2 und Absatz 3 Satz 1 Nummer 1); dann hat das Gericht die Auflösung und ihren Grund von Amts wegen einzutragen. 3Im Fall der Löschung der Gesellschaft (§ 729 Absatz 3 Satz 1 Nummer 2) entfällt die Eintragung der Auflösung. (2) Ist aufgrund einer Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag die Gesellschaft durch den Tod eines Gesellschafters aufgelöst, kann die Anmeldung der Auflösung der Gesellschaft ohne Mitwirkung der Erben erfolgen, sofern einer solchen Mitwirkung besondere Hindernisse entgegenstehen. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Auflösung als eintragungspflichtige Tatsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II. Pflicht zur Anmeldung der Auflösung . .
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I. Auflösung als eintragungspflichtige Tatsache 1 Wird eine eingetragene BGB-Gesellschaft (eGbR, § 707 BGB Rz. 7, 13 ff.) aufgelöst, so muss
dieser Umstand im Gesellschaftsregister eingetragen werden. Auf diesem Wege soll der Rechtsverkehr über die Zweckänderung der Gesellschaft informiert werden sowie darüber, dass die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse (abweichend von der bisherigen Rechts- und Registerlage, § 707 BGB Rz. 25) gem. § 736b Abs. 1 BGB auf die Liquidatoren übergegangen sind.1 Die Pflicht, die Eintragung anzumelden, trifft gem. § 733 Abs. 1 Satz 2 BGB die Gesellschafter. Zwar ist grundsätzlich jede Form der Auflösung einzutragen, unabhängig davon, auf welchem Auflösungsgrund diese beruht; zu der Anmeldepflicht der Gesellschafter ergeben sich jedoch Ausnahmen aus Abs. 1 Satz 2 und 3 (Rz. 2 f.). Neben die Pflicht zur Anmeldung der Auflösung tritt zusätzlich die Pflicht aus § 736c Abs. 1 Satz 1 BGB zur Anmeldung der Liquidatoren (§ 736c BGB Rz. 5); zeitlich nachgelagert muss zudem das Erlöschen der GbR angemeldet werden (§ 738 BGB Rz. 1, 4). 2 Für drei Auflösungsgründe sieht das Gesetz Ausnahmen von der allgemeinen Anmelde-
pflicht der Gesellschafter vor. Nach § 733 Abs. 1 Satz 2 BGB besteht keine derartige Pflicht, wenn über das Vermögen der GbR das Insolvenzverfahren eröffnet und die Gesellschaft damit aufgelöst wurde. Dieser Umstand ist zwar gleichwohl im Register einzutragen; dies er-
8 Grundlegend insb. Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002, S. 404 ff.; Schäfer in Staub, § 131 HGB Rz. 56 ff.; Fleischer in MünchKomm/HGB, § 105 HGB Rz. 514; anders aber bei § 131 HGB Rz. 21. 1 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 180; vgl. auch Schäfer in Staub, § 143 HGB Rz. 2.
532 | Richter
Anmeldung der Auflösung | Rz. 4 § 733 BGB
folgt nach Satz 2 Halbs. 2 jedoch von Amts wegen durch „das Gericht“. Gemeint ist hiermit das Registergericht,2 das durch das Insolvenzgericht gem. § 31 InsO über die formelle Insolvenz informiert wird und daraufhin nach § 707b Nr. 2 BGB i.V.m. § 32 HGB sowohl die Insolvenzeröffnung als auch die Gesellschaftsauflösung einzutragen hat. In diesem Fall greift die Registerpublizität (§ 15 HGB, s. noch Rz. 8) entsprechend § 32 Abs. 2 HGB nicht. Entsprechendes gilt, wenn die Insolvenzeröffnung rechtskräftig mangels Masse gem. § 26 InsO abgelehnt wurde, auch hier erfolgen die Eintragungen wie dargestellt von Amts wegen. Allerdings greift dieser Auflösungsgrund – anders als der Grund der Insolvenzeröffnung – nicht bei jeder rechtsfähigen GbR, sondern lediglich bei Gesellschaften ohne persönlich haftenden Gesellschafter (§ 729 BGB Rz. 21, 23). Eine solche „atypische“ GbR wird schließlich auch dann aufgelöst (und unmittelbar vollbeendigt), wenn sie wegen Vermögenslosigkeit gem. § 394 Abs. 1, Abs. 4 FamFG gelöscht wurde. Da hier die Löschung im Register Voraussetzung der Gesellschaftsauflösung und -beendigung ist, entfällt gem. § 733 Abs. 1 Satz 3 BGB die Eintragung der Auflösung und somit auch die Pflicht des Abs. 1 Satz 1. Problematisch ist die Anmelde- und Eintragungspflicht, wenn es aus anderen Gründen zum 3 liquidationslosen Erlöschen der eGbR kommt; wichtig ist insbesondere der Fall des Ausscheidens des vorletzten Gesellschafters (§ 729 BGB Rz. 27). Hier ist das Ausscheiden eintragungspflichtig (§ 707 BGB Rz. 29), ob jedoch sowohl die Auflösung als auch das (hiermit einhergehende) Erlöschen der Gesellschaft (analog)3 § 738 BGB angemeldet und eingetragen werden müssen, ist unklar. Eine im Handelsrecht verbreitete Sichtweise hält es für ausreichend, allein das Erlöschen, nicht aber die Auflösung im Register verzeichnen zu lassen.4 Angesichts der gesetzlichen Anordnung des § 733 Abs. 1 BGB, der das liquidationslose Erlöschen nur im Fall des Satz 3 besonders regelt, sollte eine umfassende Eintragung erfolgen (etwa: „Die Gesellschaft ist aufgelöst und ohne Abwicklung erloschen.“).5 Da die Registrierung der GbR bereits im Ausgangspunkt freiwillig ist, besteht die Pflicht des 4 § 733 Abs. 1 Satz 1 – anders als im handelsrechtlichen Register (§ 141 HGB Rz. 3) – nur bei (Vor-)Eintragung der Gesellschaft. Ist bei der eGbR zunächst ein Auflösungsgrund eingetreten, wurde jedoch vor bzw. statt der Anmeldung der Auflösung ein Fortsetzungsbeschluss gefasst, so ist sowohl die Auflösung als auch die Fortsetzung (§ 734 BGB Rz. 19) einzutragen: Von der Eintragungspflicht kann nicht mit dem Argument abgewichen werden, dass die Registerlage wegen der Fortsetzung zutreffend sei. Auch an der nachträglichen Eintragung besteht weiterhin ein rechtliches Interesse,6 aus dem Register muss sich ergeben, in welchem Zeitraum die GbR als Liquidationsgesellschaft mit abweichenden Vertretungsverhältnissen bestand.7 Dies deckt sich mit der Vorgabe des § 734 Abs. 3 BGB, der einschränkungslos die Anmelde- und Eintragungspflicht bei Fortsetzung der Gesellschaft vorsieht.
2 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 180. 3 Da die Norm lediglich die Anmeldepflicht nach Abschluss des Liquidationsverfahrens anordnet, ist eine analoge Anwendung notwendig und möglich, vgl. hierzu § 738 BGB Rz. 2. 4 So zur parallelen Regelung des § 143 HGB a.F. (§ 141 HGB n.F.) KG v. 3.4.2007 – 1 W 305/06, ZIP 2007, 1505, 1506; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 143 HGB Rz. 4; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1668 (Stand: 84. EL 9/2022). 5 Zu ergänzen ist u.U., wer ausgeschieden und wer nunmehr Inhaber des Vermögens ist; in diese Richtung zum (früheren) Handelsrecht auch OLG Frankfurt v. 25.8.2003 – 20 W 354/02, ZIP 2004, 1458, 1459; BayObLG v. 19.6.2001 – 3Z BR 48/01, NZG 2001, 889 = GmbHR 2001, 776; OLG München v. 16.6.2010 – 31 Wx 94/10, ZIP 2010, 2147; Lehmann-Richter in BeckOK/HGB, § 143 HGB Rz. 5 (Stand: 39. Ed. 15.1.2023). 6 So die ganz h.M. zur Eintragung im Handelsregister, s. m.w.N. K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 143 HGB Rz. 3; a.A. Schäfer in Staub, § 143 HGB Rz. 12. 7 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1667 (Stand: 84. EL 9/2022). Richter | 533
§ 733 BGB Rz. 5 | Rechtsfähige Gesellschaft 5 Die Form und das Verfahren der Anmeldung richten sich nach den für die Erstanmeldung
geltenden Vorschriften,8 so dass diese bei dem (Amts-)Gericht einzureichen ist, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat (vgl. näher hierzu § 707 BGB Rz. 16).
II. Pflicht zur Anmeldung der Auflösung 6 Die Pflicht, die Eintragung der Auflösung anzumelden, trifft nach § 733 Abs. 1 Satz 1 BGB
grds. „sämtliche Gesellschafter“, eine Ausnahme besteht lediglich nach Abs. 2 (Rz. 7). Damit entspricht die Anmeldepflicht der allgemeinen Regel des § 707 Abs. 4 Satz 1 BGB: Indem alle Gesellschafter gemeinsam (jedoch nicht zwingend gleichzeitig)9 die Registeranmeldung vornehmen, soll sichergestellt werden, dass die anzumeldende Tatsache – hier die Auflösung – tatsächlich auch wahrheitsgemäß ist; zudem kann so eine etwaige Unrichtigkeit jedem Gesellschafter zugerechnet werden.10 Damit ergänzt § 733 Abs. 1 Satz 1 BGB die allgemeinen Anmeldepflichten des § 707 Abs. 3 BGB. Weigert sich ein Gesellschafter, an der Anmeldung mitzuwirken (weil er bspw. davon ausgeht, dass kein Auflösungsgrund vorliegt), so muss der im Gesellschaftsvertrag wurzelnde Anspruch auf Mitwirkung grds. klageweise geltend gemacht werden. Liegt eine entsprechende rechtskräftige oder vollstreckbare Entscheidung vor, so genügt nach § 707b Nr. 2 BGB i.V.m. § 16 HGB die Anmeldung durch die übrigen Gesellschafter. Möglich ist die Anmeldung in Vertretung, weshalb der Gesellschaftsvertrag eine derartige Vollmacht etwa für den geschäftsführenden Gesellschafter vorsehen kann und sollte.11 Bei Publikumsgesellschaften wird vertreten, dass eine entsprechende Vertretungsbefugnis auch ohne derartige Klausel bestünde.12
7 Eine Ausnahme vom Grundsatz der gemeinschaftlichen Anmeldung macht § 733 Abs. 2
BGB: Sollte die Gesellschaft (abweichend vom gesetzlichen Regelfall, § 730 BGB Rz. 1) durch den Tod eines Gesellschafters aufgelöst worden sein, so kann hiernach die Anmeldung der Auflösung u.U. allein durch die verbleibenden (Alt-)Gesellschafter vorgenommen werden. Die Erben des Verstorbenen treten zwar in die mitgliedschaftliche Stellung des Erblassers ein (§ 730 BGB Rz. 3) und müssen deshalb grundsätzlich auch an der Anmeldung der Auflösung mitwirken; stehen dieser Mitwirkung jedoch „besondere Hindernisse“ entgegen, ist die Anmeldung auch ohne Erbenbeteiligung möglich. Ein derartiges Hindernis wird angenommen, wenn nicht (bzw. nicht in absehbarer Zeit) ermittelt werden kann, wer Erbe geworden oder wenn der bekannte Erbe nicht zu erreichen ist.13 Sollte sich aus einem Erbschein oder einem öffentlichen Testament die Erbenstellung ergeben, ist eine Abweichung vom allgemeinen Grundsatz der gemeinschaftlichen Anmeldung nicht geboten.14 8 Wird die Anmeldepflicht verletzt, hat dies für die Auflösung keine Bedeutung, diesbzgl. ist
die Registereintragung nur deklaratorisch. Um die Erfüllung dieser im öffentlichen Interesse bestehenden Pflicht sicherzustellen, hat das Registergericht gem. § 707b Nr. 2 BGB i.V.m.
8 Vgl. auch den Hinweis zur parallelen Regelung in § 707 Abs. 3 BGB in Begr. RegE MoPeG, BTDrucks. 19/27635, 131. 9 Schäfer in Staub, § 143 HGB Rz. 14. 10 S. zur allgemeinen Anmeldepflicht Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 127, 131; s. auch Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1669 (Stand: 84. EL 9/2022). 11 Lorz in E/B/J/S, § 143 HGB Rz. 9. 12 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 143 HGB Rz. 10; Schäfer in Staub, § 143 HGB Rz. 14. 13 Schäfer in Staub, § 143 HGB Rz. 18. 14 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 143 HGB Rz. 17.
534 | Richter
Fortsetzung der Gesellschaft | § 734 BGB
§ 14 HGB die Möglichkeit, ein Zwangsgeld festzusetzen.15 Besondere Bedeutung erlangt die pflichtgemäße Anmeldung jedoch vor dem Hintergrund der Registerpublizität: Gemäß § 707a Abs. 3 Satz 1 BGB findet auf die eingetragene GbR § 15 HGB Anwendung (§ 707a BGB Rz. 11), so dass die Auflösung als einzutragende Tatsache an der Publizitätswirkung des Registers teilnimmt. Das Register bewirkt insbesondere entsprechend § 15 Abs. 1 HGB negative Publizität,16 so dass die Auflösung (und ihre Folgen) einem gutgläubigen Dritten nicht entgegengesetzt werden kann, solange keine Eintragung erfolgt ist. Kenntnis erlangt der Dritte insbesondere dadurch, dass bei schriftlichen Erklärungen, die für die GbR von den Liquidatoren abgegeben werden, ein Liquidationszusatz erfolgen muss (§ 736d BGB Rz. 27). Bösgläubigkeit des Dritten tritt jedoch nicht schon dann ein, wenn dieser Kenntnis vom Eintreten eines Auflösungsgrundes hat, sondern erst dann, wenn er positive Kenntnis von der Auflösung selbst hat.17 Um diese Folgen verhindern zu können, bedarf es der Eintragung, die deshalb auch im Interesse der Gesellschafter liegt.18
§ 734 BGB Fortsetzung der Gesellschaft (1) Die Gesellschafter können nach Auflösung der Gesellschaft deren Fortsetzung beschließen, sobald der Auflösungsgrund beseitigt ist. (2) Hat nach dem Gesellschaftsvertrag die Mehrheit der Stimmen zu entscheiden, muss der Beschluss über die Fortsetzung der Gesellschaft mit einer Mehrheit von mindestens drei Viertel der abgegebenen Stimmen gefasst werden. (3) War die Gesellschaft vor ihrer Auflösung im Gesellschaftsregister eingetragen, ist die Fortsetzung von sämtlichen Gesellschaftern zur Eintragung in das Gesellschaftsregister anzumelden. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Fortsetzung einer aufgelösten Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Voraussetzungen der Gesellschaftsfortsetzung (Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fortsetzungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wegfall des Auflösungsgrundes . . . . . . . . 3. Fortführungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . .
1 2 3 4 8
III. Wirksamer Mehrheitsbeschluss 1. Zulässigkeit von Mehrheitsentscheidungen 2. Mindestquorum des Fortsetzungsbeschlusses (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Notwendige Mitwirkung Dritter . . . . . . V. Pflicht zur Anmeldung der Fortsetzung (Abs. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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15 Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass bei der GbR ein „geringerer Professionalisierungsgrad“ bestehen kann, als dies bei Personenhandelsgesellschaften zu erwarten ist, s. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 136. 16 Es besteht zwar auch positive Publizität entsprechend § 15 Abs. 3 HGB, allerdings ohne praktische Bedeutung, s. K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 143 HGB Rz. 23. 17 So die zum Handelsregister entwickelte h.M., s. BGH v. 4.3.1976 – II ZR 145/75, BGHZ 66, 98, 103 (zum parallelen Fall des Ausscheidens); m.w.N. Lorz in E/B/J/S, § 143 HGB Rz. 20; vgl. aber Schäfer in Staub, § 143 HGB Rz. 33. 18 So auch die Erwägungen in Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 180. Richter | 535
Fortsetzung der Gesellschaft | § 734 BGB
§ 14 HGB die Möglichkeit, ein Zwangsgeld festzusetzen.15 Besondere Bedeutung erlangt die pflichtgemäße Anmeldung jedoch vor dem Hintergrund der Registerpublizität: Gemäß § 707a Abs. 3 Satz 1 BGB findet auf die eingetragene GbR § 15 HGB Anwendung (§ 707a BGB Rz. 11), so dass die Auflösung als einzutragende Tatsache an der Publizitätswirkung des Registers teilnimmt. Das Register bewirkt insbesondere entsprechend § 15 Abs. 1 HGB negative Publizität,16 so dass die Auflösung (und ihre Folgen) einem gutgläubigen Dritten nicht entgegengesetzt werden kann, solange keine Eintragung erfolgt ist. Kenntnis erlangt der Dritte insbesondere dadurch, dass bei schriftlichen Erklärungen, die für die GbR von den Liquidatoren abgegeben werden, ein Liquidationszusatz erfolgen muss (§ 736d BGB Rz. 27). Bösgläubigkeit des Dritten tritt jedoch nicht schon dann ein, wenn dieser Kenntnis vom Eintreten eines Auflösungsgrundes hat, sondern erst dann, wenn er positive Kenntnis von der Auflösung selbst hat.17 Um diese Folgen verhindern zu können, bedarf es der Eintragung, die deshalb auch im Interesse der Gesellschafter liegt.18
§ 734 BGB Fortsetzung der Gesellschaft (1) Die Gesellschafter können nach Auflösung der Gesellschaft deren Fortsetzung beschließen, sobald der Auflösungsgrund beseitigt ist. (2) Hat nach dem Gesellschaftsvertrag die Mehrheit der Stimmen zu entscheiden, muss der Beschluss über die Fortsetzung der Gesellschaft mit einer Mehrheit von mindestens drei Viertel der abgegebenen Stimmen gefasst werden. (3) War die Gesellschaft vor ihrer Auflösung im Gesellschaftsregister eingetragen, ist die Fortsetzung von sämtlichen Gesellschaftern zur Eintragung in das Gesellschaftsregister anzumelden. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Fortsetzung einer aufgelösten Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Voraussetzungen der Gesellschaftsfortsetzung (Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fortsetzungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wegfall des Auflösungsgrundes . . . . . . . . 3. Fortführungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Wirksamer Mehrheitsbeschluss 1. Zulässigkeit von Mehrheitsentscheidungen 2. Mindestquorum des Fortsetzungsbeschlusses (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Notwendige Mitwirkung Dritter . . . . . . V. Pflicht zur Anmeldung der Fortsetzung (Abs. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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15 Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass bei der GbR ein „geringerer Professionalisierungsgrad“ bestehen kann, als dies bei Personenhandelsgesellschaften zu erwarten ist, s. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 136. 16 Es besteht zwar auch positive Publizität entsprechend § 15 Abs. 3 HGB, allerdings ohne praktische Bedeutung, s. K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 143 HGB Rz. 23. 17 So die zum Handelsregister entwickelte h.M., s. BGH v. 4.3.1976 – II ZR 145/75, BGHZ 66, 98, 103 (zum parallelen Fall des Ausscheidens); m.w.N. Lorz in E/B/J/S, § 143 HGB Rz. 20; vgl. aber Schäfer in Staub, § 143 HGB Rz. 33. 18 So auch die Erwägungen in Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 180. Richter | 535
§ 734 BGB Rz. 1 | Rechtsfähige Gesellschaft
I. Fortsetzung einer aufgelösten Gesellschaft 1 Mit der Auflösung einer Gesellschaft ist diese noch nicht vollbeendigt, vielmehr besteht sie
bei Beibehaltung der rechtlichen Identität, jedoch mit geändertem Gesellschaftszweck als Liquidationsgesellschaft fort (§ 729 BGB Rz. 30 ff.; § 735 BGB Rz. 10). Sollte kein zwingender und unabänderbarer Grund für eine finale Auflösung vorliegen, sind die Gesellschafter frei, den Gesellschaftszweck erneut durch Beschluss zu ändern und die GbR wieder zu einer werbenden Gesellschaft umzugestalten.1 Diese in der Privatautonomie wurzelnde Möglichkeit erkennt das Gesetz mit § 734 BGB explizit an, macht jedoch einige grundlegende Vorgaben für die Fortsetzung der Gesellschaft.
II. Voraussetzungen der Gesellschaftsfortsetzung (Abs. 1) 2 Mit § 734 Abs. 1 BGB hat der Gesetzgeber zwei der drei Kernvoraussetzungen übernommen,
die bereits vor dieser Normierung als notwendige Bedingung der Gesellschaftsfortsetzung anerkannt waren: Der Auflösungsgrund muss beseitigt bzw. entfallen und ein Fortsetzungsbeschluss muss wirksam, insb. mit der notwendigen Mehrheit gefasst worden sein. Zudem muss die GbR fortsetzungsfähig, d.h. aufgelöst, aber noch nicht vollbeendet sein.2
1. Fortsetzungsfähigkeit 3 Ausdrücklich gibt Abs. 1 hinsichtlich der Fortsetzungsfähigkeit lediglich vor, dass die Gesell-
schaft bereits aufgelöst sein muss („nach Auflösung“). Dass die GbR zudem noch nicht vollbeendet sein darf, ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut; allerdings bleibt für eine identitätswahrende Fortsetzung kein Raum, wenn die Gesellschaft (ggf. nach einer Liquidation) erloschen ist (§ 735 BGB Rz. 13). Auch die systematische Stellung der Norm in Kapitel 5 und nicht zuletzt der eindeutige Hinweis in den Gesetzesmaterialien machen deutlich, dass „Fortsetzungsfähigkeit“ nur dann besteht, wenn die GbR noch nicht vollbeendet ist.3 Eine Fortsetzung scheidet deshalb aus, wenn die Gesellschaft gem. § 394 Abs. 1, Abs. 4 FamFG wegen Vermögenslosigkeit gelöscht und damit unmittelbar beendigt wurde (§ 729 BGB Rz. 22).4 Auch wenn die Gesellschaft wegen des Ausscheidens des vorletzten Gesellschafters aufgelöst wird, tritt unmittelbar Vollbeendigung ein (§ 729 BGB Rz. 27), so dass eine Fortsetzung wohl nicht möglich ist.
2. Wegfall des Auflösungsgrundes 4 Eine Fortsetzung der Gesellschaft kommt des Weiteren nur dann in Betracht, wenn der Auf-
lösungsgrund nicht mehr vorliegt. Viele der Auflösungsgründe fußen ausschließlich auf einer entsprechenden Entscheidung der Gesellschafter, so etwa, wenn die GbR nur für eine bestimmte Dauer errichtet wurde, unter einer auflösenden Bedingung stehen sollte oder ein Auflösungsbeschluss gefasst wurde. In diesen Fällen entfällt der Auflösungsgrund bereits durch die entgegengesetzte Willensbetätigung der Gesellschafter, die im Fortsetzungsbeschluss (Rz. 8) 1 BGH v. 19.6.1995 – II ZR 255/93, ZIP 1995, 1412; Schäfer in Staub, § 131 HGB Rz. 60. 2 S. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 181; vgl. auch BGH v. 19.6.1995 – II ZR 255/93, ZIP 1995, 1412; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 145 HGB Rz. 73 ff. 3 S. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 181. 4 Die Frage, ob eine Fortsetzung möglich ist, wenn sich nach der Löschung herausstellt, dass noch verteilbares Vermögen vorhanden ist (§ 135 HGB Rz. 7), ist umstritten, hat jedoch wenig praktische Relevanz; vgl. hierzu K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 145 HGB Rz. 97.
536 | Richter
Fortsetzung der Gesellschaft | Rz. 8 § 734 BGB
zu Tage tritt.5 Eigenständige Bedeutung erlangt die zweite Fortsetzungsbedingung deshalb nur dort, wo die Auflösung gesetzlich angeordnet wurde; hier will das Gesetz das Fortbestehen der Gesellschaft aus unterschiedlichen Gründen verhindern, akzeptiert die Fortsetzung also nur dann, wenn diese Gründe nicht mehr vorliegen.6 Wurde über das Gesellschaftsvermögen das Insolvenzverfahren eröffnet, ist eine Fortset- 5 zung möglich, wenn das Verfahren eingestellt bzw. aufgehoben wurde, etwa bei Zustimmung aller beteiligten Gläubiger gem. § 213 InsO oder mit der rechtskräftigen Bestätigung eines Insolvenzplans nach § 258 Abs. 1 InsO.7 Neben diesen, bereits in § 144 Abs. 1 HGB a.F. genannten Fällen, ist eine Fortsetzung auch dann möglich, wenn das Insolvenzverfahren aus anderen Gründen beendet wird, insb. bei Wegfall der materiellen Insolvenz (§ 212 InsO).8 Ist der Gesellschaftszweck erreicht oder die Zweckerreichung unmöglich geworden, fehlt es 6 an einem konstitutiven Element der GbR (§ 729 BGB Rz. 17). Um die Gesellschaft fortsetzen zu können, muss deshalb ein neuer Zweck gefunden und vereinbart werden.9 Problematisch ist hierbei die Frage, wer an dieser Vereinbarung beteiligt werden muss: Nach altem Recht wurde gefordert, dass der Fortführung unter veränderter Zwecksetzung sämtliche Gesellschafter zustimmen, die an der fortgeführten Gesellschaft beteiligt sein sollen.10 Dies ist jedenfalls nach heute geltendem Recht nicht zu fordern. Nicht nur der Fortsetzungsbeschluss, sondern auch die Festlegung des neuen Gesellschaftszwecks kann u.U. durch eine mehrheitliche Zustimmung getroffen werden (näher bei Rz. 11). Ist die Gesellschaft aus wichtigem Grund wirksam gekündigt und deshalb aufgelöst worden, 7 kommt die Fortsetzung nur dann in Betracht, wenn der Kündigungsgrund entfallen ist. Da die Gesellschaftskündigung überhaupt nur dann möglich ist, wenn dem kündigenden Gesellschafter die Fortführung der Gesellschaft in jeglicher Form unzumutbar wäre (§ 731 BGB Rz. 5), ist der Wegfall dieser Unzumutbarkeit zwingende Bedingung für eine Fortsetzung. Der Kündigende soll so davor geschützt werden, die GbR mit den übrigen Gesellschaftern fortsetzen zu müssen.11 Vor diesem Hintergrund stellt sich ebenfalls die Frage, ob die Fortsetzung neben dem Wegfall des wichtigen Grundes auch die Zustimmung des kündigenden Gesellschafters voraussetzt, wenn der Beschluss i.Ü. mit Mehrheit gefasst werden könnte (hierzu Rz. 12).
3. Fortführungsbeschluss Schließlich setzt die Fortführung der Gesellschaft einen entsprechenden Beschluss voraus. 8 Da die Fortführung zu einem erneuten Wandel des Gesellschaftszwecks führt und sich u.U. als wesentliche Änderung des Gesellschaftsvertrags (etwa bei Entfristung oder Zweckänderung), stets aber als Grundlagenentscheidung der Gesellschafter darstellt,12 muss der Beschluss im Grundsatz einstimmig unter Beteiligung aller (auch ausscheidender) Gesellschaf5 Zur Konsequenz des abweichenden Willens im Fall der Mehrheitsentscheidung s. noch Rz. 11. 6 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 181. 7 In diesen Fällen sei, so der Gesetzgeber, durch die insolvenzrechtlichen Vorschriften sichergestellt, „dass die Fortsetzung der Gesellschaft nicht den Interessen Dritter entgegensteht“ (Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 181). 8 Zu weiteren Fällen der Verfahrensbeendigung und den etwaigen (meist rein theoretischen) Fortsetzungsmöglichkeiten s. Lorz in E/B/J/S, § 144 HGB Rz. 6. 9 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 181; Schäfer in MünchKomm/BGB, vor § 723 BGB Rz. 11. 10 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 726 BGB Rz. 9. 11 So Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 181. 12 Vgl. hierzu K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 145 HGB Rz. 76; ungenau Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 181. Richter | 537
§ 734 BGB Rz. 8 | Rechtsfähige Gesellschaft ter ergehen.13 Zwar kann eine Fortsetzung auch per Mehrheitsentscheid beschlossen werden, wenn der Gesellschaftsvertrag dies (konkret oder allgemein, Rz. 13) vorsieht. In diesem Fall macht § 734 Abs. 2 BGB jedoch Vorgaben für das Mindestquorum (hierzu sowie zu weiteren Wirksamkeitsvoraussetzung der Beschlussfassung sogleich, Rz. 10 ff.). 9 Der Fortführungsbeschluss kann grds. ohne Beachtung einer besonderen Form ergehen; er-
geben sich aus dem Gesellschaftsvertrag hierfür oder allgemein für die Änderung des Gesellschaftsvertrags Formvorgaben, so sind diese zu beachten.14 Im Übrigen kann der Beschluss auch konkludent gefasst werden; insbesondere kann sich ggf. aus der stillschweigenden Fortführung der Gesellschaft ein entsprechender Wille entnehmen lassen. Sehen die Gesellschafter in Kenntnis des Auflösungsgrundes von Liquidationsmaßnahmen ab und setzen stattdessen die Gesellschaftstätigkeit unverändert fort, weist dies u.U. auf eine entsprechende Beschlussfassung hin.15 Ob die Gesellschafter tatsächlich die werbende Tätigkeit dauerhaft fortsetzen oder lediglich die Liquidation temporär aufschieben wollen, ist wie stets durch Auslegung zu ermitteln; ein Anhaltspunkt kann etwa der Abschluss langfristiger Verträge sein.16
III. Wirksamer Mehrheitsbeschluss 1. Zulässigkeit von Mehrheitsentscheidungen 10 Die Entscheidung über die Gesellschaftsfortsetzung muss im Grundsatz einstimmig durch
alle bisherigen und künftigen Gesellschafter gefasst werden (Rz. 8). Die schon nach altem Recht zumindest im Grundsatz anerkannte Möglichkeit, durch Regelung im Gesellschaftsvertrag von der grds. notwendigen Einstimmigkeit abweichen zu können, wurde mit § 734 Abs. 2 BGB gesetzlich anerkannt. Da die Norm für alle Fälle der Auflösung Geltung beansprucht,17 ist eine (vertraglich vorgesehene) Mehrheitsentscheidung stets zulässig.18 11 Zum alten Recht wurde z.T. vertreten, dass in bestimmten Konstellationen eine Fortsetzung
(trotz Mehrheitsklausel) nur bei Zustimmung bestimmter, ggf. auch aller Gesellschafter möglich wäre, so etwa bei der Festlegung eines völlig neuen Gesellschaftszwecks.19 In diesem Fall sorgt die Mehrheitsentscheidung dafür, dass die opponierenden Gesellschafter nach der Beschlussfassung (zumindest zunächst) an einem Gesellschaftsvertrag beteiligt sind, dessen wesentlichem Inhalt sie nicht zugestimmt haben. Gleichwohl akzeptiert das Gesetzt – vor dem Hintergrund des Schutzes aus Abs. 2 – eine solche Mehrheitsentscheidung. Für einen opponierenden Gesellschafter könne sich die Gesellschaftsfortsetzung mit neuem Zweck – so 13 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 181; BGH v. 19.6.1995 – II ZR 255/93, ZIP 1995, 1412; Westermann in Erman, § 736 BGB Rz. 4. 14 Weil die Fortsetzung nicht in jedem Fall eine Vertragsänderung im eigentlichen Sinne ist, will K. Schmidt die hierfür geltenden Formvorgaben nicht stets gelten lassen (K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 145 HGB Rz. 76); über die dann notwendige Auslegung der Klausel dürfte sich jedoch in aller Regel das gleiche Ergebnis ergeben. 15 BGH v. 19.6.1995 – II ZR 255/93, ZIP 1995, 1412; so auch Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 181. 16 Schäfer in Staub, § 134 HGB Rz. 9. 17 Der Gesetzgeber hielt fest, dass sich die Regelung „auf alle gesetzlichen Auflösungsgründe des § 729 BGB bezieht“ (Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 181); angesichts von § 729 Abs. 4 BGB dürfte sich der Bezug auch auf die vertraglichen Auflösungsgründe (§ 729 BGB Rz. 25) richten. 18 In wenigen Ausnahmefällen ist jedoch die Zustimmung eines konkreten Mitgesellschafters auch bei Vorliegen einer Mehrheitsklausel zwingend notwendig, s. hierzu Rz. 12 und Rz. 17. 19 Schäfer in MünchKomm/BGB, Vor § 723 BGB Rz. 11, § 726 BGB Rz. 9; Schöne in BeckOK/BGB, § 726 BGB Rz. 3 (Stand: 65. Ed. 1.2.2023).
538 | Richter
Fortsetzung der Gesellschaft | Rz. 13 § 734 BGB
der MoPeG-Gesetzgeber – als unzumutbar erweisen, ihm bliebe dann jedoch die Möglichkeit der Mitgliedschaftskündigung.20 Wenn an das sich anschließende Ausscheiden gesellschaftsvertragliche Abfindungsbeschränkungen gekoppelt sind, sei es ausdrücklich Aufgabe der Rechtsprechung, ein „auskömmliches Schutzniveau zu gewährleisten.“21 Für den Fall, dass einer der Gesellschafter die Auflösung aus wichtigem Grund erwirkt hat, 12 war es schon nach herrschender Meinung zum alten Recht grds. nicht möglich, die Fortsetzung gegen den Willen dieses Gesellschafters zu beschließen.22 Dies gilt, anders als z.T. angenommen,23 auch nach neuem Recht: Eine Fortsetzung kommt nach Abs. 1 nur dann in Betracht, wenn der Auflösungsgrund – also die Auflösungskündigung (§ 731 BGB Rz. 1, 8) und nicht allein der wichtige Kündigungsgrund – entfallen ist. Fällt der wichtige Grund nach wirksamer Auflösungskündigung fort, so berührt dies die Wirksamkeit der Kündigung nicht;24 deshalb ist ein (ggf. mit Mehrheit gefasster) Fortsetzungsbeschluss nur mit Zustimmung des kündigenden Gesellschafters wirksam. Nicht unproblematisch ist die Frage, ob sich die Mehrheitsklausel speziell auf die Entschei- 13 dung über die Fortsetzung beziehen muss oder ob (wie für die Auflösung auch, § 732 BGB Rz. 2) eine allgemeine Mehrheitsklausel ausreicht. Nach früherer Rechtslage wurde eine allgemein gefasste Mehrheitsklausel nicht als ausreichend erachtet: Weil durch den Fortsetzungsbeschluss die Liquidationsansprüche der betroffenen Gesellschafter beeinträchtigt werden, diese also in ihren zentralen Vermögensrechten betroffen sind, wurde teilweise die Zustimmung sämtlicher Gesellschafter gefordert,25 wobei z.T. die konkret bestimmte Mehrheitsklausel als ausreichende „antizipierte Zustimmung“26 gewertet wurde. Nach der Neufassung des Gesetzes durch das MoPeG dürfte diese Sicht nicht aufrecht zu erhalten sein. Der Gesetzgeber hat erkannt, dass der Fortsetzungsbeschluss besondere Bedeutung hat, (auch) weil er den bereits entstandenen Anspruch auf das anteilige Liquidationsguthaben wieder entfallen lässt.27 Das durch § 734 Abs. 2 BGB normierte Mindestquorum diene dem Schutz der betroffenen Gesellschafter, wenn der Gesellschaftsvertrag (allgemein) „mehrheitliche Beschlussfassung vorsieht“28. Zudem wurde die Norm bewusst parallel zu § 732 BGB gefasst, hier wie dort ging der Gesetzgeber also davon aus, dass die allgemeine Mehrheitsklausel ausreichender Anknüpfungspunkt für die Beschlussfassung über Auflösung oder Fortsetzung ist (§ 732 BGB Rz. 2).29
20 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 181. 21 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 181. 22 S. zur Auflösungskündigung etwa Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 723 BGB Rz. 14; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 723 BGB Rz. 18; zum parallelen Fall der erfolgreichen Auflösungsklage nach § 133 HGB a.F. Lorz in E/B/J/S, § 131 HGB Rz. 35; Schäfer in Staub, § 131 HGB Rz. 67. 23 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1683a (Stand: 84. EL 9/2022), zum Handelsrecht. 24 Entscheidender Zeitpunkt ist, anders als bei der Auflösungsklage des § 139 HGB (§ 139 HGB Rz. 10) nicht der Zeitpunkt einer etwaigen mündlichen Verhandlung, sondern der Zeitpunkt der Kündigung (vgl. hierzu auch Schäfer in MünchKomm/BGB, § 723 BGB Rz. 27). 25 Schäfer in MünchKomm/BGB, Vor § 723 BGB Rz. 11; Schäfer in Staub, § 131 HGB Rz. 66. 26 K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 145 HGB Rz. 79; grundlegend BGH v. 12.11.1952 – II ZR 260/5, BGHZ 8, 35; s. auch Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 709 BGB Rz. 50 f.; Vor §§ 723 ff. BGB Rz. 22. 27 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 181. 28 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 181. 29 Zur weitgehend wortgleichen Regelung in § 732 BGB stellte der Gesetzgeber klar, dass für den dort adressierten Beschluss „auch eine allgemeine Mehrheitsklausel taugt“ (Begr. RegE MoPeG, BTDrucks. 19/27635, 180). Richter | 539
§ 734 BGB Rz. 14 | Rechtsfähige Gesellschaft
2. Mindestquorum des Fortsetzungsbeschlusses (Abs. 2) 14 Sieht der Vertrag mehrheitliche Beschlussfassung vor, kann die Fortsetzung auch gegen den
Willen einzelner Gesellschafter beschlossen werden. Durch das in § 734 Abs. 2 BGB normierte Mindestquorum soll ihrem Schutzbedürfnis Rechnung getragen werden.30 Der Fortsetzungsbeschluss muss hiernach mit einer Mehrheit von mindestens 75 % der abgegebenen Stimmen gefasst werden. Sieht der Gesellschaftsvertrag eine geringere Quote vor, muss gleichwohl (wie beim Auflösungsbeschluss, § 732 BGB Rz. 2) die Dreiviertelmehrheit erreicht werden. Strengere gesellschaftsvertragliche Vorgaben sind hingegen zu beachten. Von der allgemeinen Möglichkeit, Fortsetzungsbeschlüsse per Mehrheit zu treffen, ist die Frage zu unterscheiden, ob in bestimmten Konstellationen die Zustimmung bestimmter oder ggf. aller Gesellschafter oder sonstiger Personen für die Fortführung notwendig ist (Rz. 12, Rz. 16 ff.). 15 Hinsichtlich der Bestimmung von Mehrheit und Stimmgewicht ist die gesetzliche Vorgabe
parallel zu § 732 BGB ausgestaltet (eingehend hierzu unter § 732 BGB Rz. 3). Auch für den Fortsetzungsbeschluss kommt es deshalb primär nicht auf die qualifizierte Kopfmehrheit, sondern auf die vereinbarten Beteiligungsverhältnisse an (§ 709 BGB Rz. 21). Wurde im Gesellschaftsvertrag von der Regel des § 709 Abs. 3 Satz 1 BGB nicht abgewichen, müssen nicht drei Viertel der Gesellschafter der Fortführung zustimmen; notwendig ist lediglich, dass die zustimmenden Gesellschafter insgesamt mindestens 75 % der Anteilsquote repräsentieren.
IV. Notwendige Mitwirkung Dritter 16 Neben dem Wegfall des Auflösungsgrundes und dem (ggf. mehrheitlich gefassten) Beschluss
der Gläubiger setzt die Gesellschaftsfortführung in bestimmten Fällen das Mitwirken Dritter voraus. Ein besonderes Zustimmungserfordernis ergibt sich insbesondere mittelbar aus § 735 Abs. 2 BGB. Nach dem dortigen Satz 1 haben die Gesellschafter die Möglichkeit, das sich an die Auflösung anschließende Abwicklungsverfahren abweichend von der gesetzlichen Konzeption auszugestalten (§ 735 BGB Rz. 27). Nach dem dortigen Satz 2 bedarf eine vom Gesetz abweichende Art der Abwicklung jedoch u.U. der Zustimmung eines Dritten: Wurde im Gesellschaftsvertrag vereinbart, dass die formelle Insolvenz eines Gesellschafters zur Auflösung führen soll (§ 729 BGB Rz. 11, 25), so muss der in diesem Verfahren bestellte Insolvenzverwalter der atypischen Liquidationsweise zustimmen. Erst recht gilt das Zustimmungserfordernis, wenn insgesamt von der Liquidation abgesehen werden soll – also im Fall der Gesellschaftsfortsetzung.31 Diese Vorgabe gewinnt insbesondere dadurch an praktischer Bedeutung, dass sie (analog) auch dann anzuwenden ist, wenn die Gesellschaft aus einem anderen Grund aufgelöst wurde und einer der Gesellschafter während der Liquidationsphase insolvent wird (§ 735 BGB Rz. 30).32 17 Wurde im Insolvenzverfahren Eigenverwaltung gem. § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO angeordnet,
so tritt an die Stelle des Insolvenzverwalters der insolvente Gesellschafter, der gem. § 735 Abs. 2 Satz 3 BGB seine Zustimmung erteilen muss (§ 735 BGB Rz. 30). Hierin liegt (neben dem Fall der Auflösungskündigung, Rz. 12) ein weiterer Fall, in dem auch bei einer Mehrheitsklausel einem Gesellschafter stets ein „Vetorecht“ bzgl. der Fortführung zukommt. 18 Ein entsprechendes Zustimmungserfordernis besteht schließlich in den (selteneren) Fällen,
in denen der Gesellschaftsvertrag vorsieht, dass die Privatgläubiger eines Gesellschafters 30 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 181. 31 Dies war bereits zu § 728 Abs. 2 BGB a.F. ganz herrschende Meinung (m.w.N. Westermann in Erman, § 728 BGB Rz. 8); vgl. hierzu auch K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 145 HGB Rz. 82. 32 Vgl. etwa Habersack in Staub, § 145 HGB Rz. 28; Hillmann in E/B/J/S, § 145 HGB Rz. 19.
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Notwendigkeit der Liquidation; anwendbare Vorschriften | § 735 BGB
nicht nur dessen Mitgliedschaft gem. § 723 Abs. 1 Nr. 4, § 726 BGB (§ 726 BGB Rz. 1), sondern sogar die gesamte Gesellschaft kündigen können. Nach § 735 Abs. 2 Satz 2 BGB wäre in diesem Fall die Art der Liquidation und damit auch die Frage der Gesellschaftsfortsetzung von der Zustimmung des kündigenden Privatgläubigers abhängig.
V. Pflicht zur Anmeldung der Fortsetzung (Abs. 3) War die fortzusetzende Gesellschaft vor ihrer Auflösung im Register eingetragen (eGbr, vgl. 19 § 707 BGB Rz. 7, Rz. 13 ff.), so müssen „sämtliche Gesellschafter“ gem. § 734 Abs. 3 BGB die Fortsetzung zur Eintragung im Gesellschaftsregister anmelden. Dies entspricht der parallelen Anmeldepflicht im Fall der Gesellschaftsauflösung (§ 733 BGB Rz. 1). Notwendig ist also das Zusammenwirken aller Gesellschafter, wobei sowohl alle bisherigen (auch die ausscheidenden) Gesellschafter als auch die Neugesellschafter mitwirken müssen.33 Möglich ist die gegenseitige Vertretung, eine entsprechende im Gesellschaftsvertrag verankerte Vollmachtserteilung ist ausreichend und i.d.R. sinnvoll (vgl. hierzu § 733 BGB Rz. 6). Die Gesellschaftsfortsetzung ist stets eintragungspflichtig; Ziel der Eintragung ist es, die 20 „Rückumwandlung in eine werbende Gesellschaft unter Löschung des Auflösungsvermerks offenkundig zu machen.“34 Gleichwohl greift die Anmeldepflicht auch dann, wenn die Auflösung noch nicht eingetragen war; in diesem Fall sind beide Sachverhalte – Auflösung und Fortsetzung – zur Eintragung anzumelden (vgl. auch § 733 BGB Rz. 4).35 Die Eintragung ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Fortsetzung, insofern ist sie nur deklaratorisch. Allerdings greift gem. § 707a Abs. 3 Satz 1 BGB die Registerpublizität entsprechend § 15 HGB (vgl. § 707a BGB Rz. 11), so dass die unterlassene Anmeldung und Eintragung negative Konsequenzen für die GbR bzw. die Gesellschafter haben kann; so muss die Gesellschaft etwa in diesem Fall u.U. das Handeln der bisherigen (vertretungsbefugten, vgl. § 735 BGB Rz. 11) Liquidatoren gegen sich gelten lassen.36
Liquidation der Gesellschaft (§§ 735–739)
§ 735 BGB Notwendigkeit der Liquidation; anwendbare Vorschriften (1) 1Nach Auflösung der Gesellschaft findet die Liquidation statt, sofern nicht über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet ist. 2Ist die Gesellschaft durch Löschung wegen Vermögenslosigkeit aufgelöst, findet eine Liquidation nur statt, wenn sich nach der Löschung herausstellt, dass noch Vermögen vorhanden ist, das der Verteilung unterliegt. (2) 1Die Gesellschafter können anstelle der Liquidation eine andere Art der Abwicklung vereinbaren. 2Ist aufgrund einer Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag die Gesellschaft durch die Kündigung eines Privatgläubigers eines Gesellschafters oder durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Gesellschafters aufgelöst, bedarf eine Vereinbarung über eine andere Art der Abwicklung der Zustimmung des Privat-
33 Der nicht näher spezifizierte Begriff der „Gesellschafter“ ist in Abs. 3 so zu verstehen wie auch in Abs. 1 (vgl. hierzu Rz. 10). 34 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 182. 35 K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 145 HGB Rz. 84; a.A. Schäfer in Staub, § 143 HGB Rz. 12. 36 Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, § 144 HGB Rz. 9. Richter | 541
§ 735 BGB Rz. 1 | Rechtsfähige Gesellschaft gläubigers oder des Insolvenzverwalters. 3Ist im Insolvenzverfahren Eigenverwaltung angeordnet, tritt an die Stelle der Zustimmung des Insolvenzverwalters die Zustimmung des Schuldners. (3) Die Liquidation erfolgt nach den folgenden Vorschriften dieses Kapitels, sofern sich nicht aus dem Gesellschaftsvertrag etwas anderes ergibt. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Überblick über die Gesellschaftsliquidation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 II. Die Notwendigkeit der Abwicklung (Abs. 1) 1. Abwicklung im Regelfall . . . . . . . . . . . . . . 4 2. Abwicklung durch den Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 3. Sofortige Vollbeendigung ohne Liquidation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 III. Die Liquidationsgesellschaft und -beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
IV. Stellung und Ansprüche der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beitragspflichten der Gesellschafter . . . . 2. Gesellschafteransprüche und Durchsetzungssperre . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesellschafterklage (actio pro socio) . . . . V. Stellung und Ansprüche der Gesellschaftsgläubiger . . . . . . . . . . . . . . . VI. Gestaltbarkeit der Abwicklung (Abs. 2, Abs. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14 16 18 24 25 27
Schrifttum: Beurskens/Rottmann, Das Ende der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, JZ 2018, 272; Freund, Die gesellschaftsrechtliche Durchsetzungssperre, MDR 2011, 577; Grunewald, Liquidation von Personengesellschaften, in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2011, 2012, S. 31; Grunewald, Die actio pro socio und Ansprüche der Gesellschafter aus eigenem Recht in der Liquidation der Personengesellschaften, in FS Hommelhoff, 2012, S. 275; Grziwotz, Die Liquidation von Personengesellschaften, DStR 1992, 1365; Hillers, Personengesellschaft und Liquidation, 1987; Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021; Osterloh-Konrad, Gesellschafterausgleich in der Liquidation der Personengesellschaft, ZGR 2021, 476; K. Schmidt, Zur Haftung und Enthaftung der persönlich haftenden Gesellschafter bei Liquidation und Konkurs der Personengesellschaft, ZHR 152 (1988), 105; K. Schmidt, Die Handels-Personengesellschaft in Liquidation, ZHR 153 (1989), 270; Stüber, Der Grundsatz der Durchsetzungssperre bei Liquidation von Personengesellschaften, 2013.
I. Überblick über die Gesellschaftsliquidation 1 Der Eintritt eines Auflösungsgrundes (vgl. § 729 BGB Rz. 1) macht es notwendig, die GbR –
wenn nicht die Fortsetzung beschlossen wird (vgl. § 734 BGB Rz. 1) – abzuwickeln. Um das Gesellschaftsvermögen verwerten, die in diesem Zeitpunkt bestehenden Verbindlichkeiten begleichen und für eine strukturierte Abwicklung der internen Gesellschafterbeziehungen sorgen zu können, endet die Gesellschaft nicht sofort, sondern wandelt sich identitätswahrend in eine Liquidationsgesellschaft, deren Zweck (nunmehr) die Abwicklung ist.1 Nur in Ausnahmefällen entfällt die Liquidationsphase (Rz. 4, Rz. 7 ff.).
2 Schon in der verwendeten Terminologie unterscheidet sich das Gesetz von der bisherigen
Rechtslage: Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die Gesellschaft nicht wie die Gemeinschaft in natura aufgeteilt wird;2 vielmehr soll es zu einer echten Liquidation aller Vermögenswerte, also einer vollständigen Umsetzung des Gesellschaftsvermögens in Geld kommen (§ 736d Abs. 2 Satz 1 BGB), an die sich ein finanzieller Ausgleich anschließt. Die GbR muss jedoch 1 Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 730 BGB Rz. 1 ff.; vgl. auch § 729 BGB Rz. 30. 2 So noch § 731 Satz 2 BGB a.F.; von diesem Ansatz des früheren Rechts wurde mit dem MoPeG ausdrücklich Abstand genommen, s. etwa Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 183, 186.
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Notwendigkeit der Liquidation; anwendbare Vorschriften | Rz. 5 § 735 BGB
nicht zwingend vollständig liquidiert werden, auch eine Abwicklung in anderer Form ist möglich. Die Entscheidung über die konkrete Art der Abwicklung steht im Ermessen der Gesellschafter, die von dem in den §§ 735 ff. BGB beschriebenen Liquidationsverfahren größtenteils abweichen können (Rz. 27 ff.). Der Ablauf des gesetzlich vorgesehenen Abwicklungsverfahrens lässt sich in den wesentlichen 3 Zügen in § 736d Abs. 2, 4-6 BGB erkennen (vgl. hierzu im Detail § 736d BGB Rz. 7 ff.): Zunächst werden die noch laufenden Geschäfte beendet, Forderungen eingezogen und das Vermögen i.Ü. liquidiert, also in Geld umgesetzt.3 Aus der so umgesetzten Vermögensmasse werden zunächst die Gesellschaftsgläubiger befriedigt, anschließend erhalten die Gesellschafter ihre Beiträge (ggf. wertmäßig) zurückerstattet. Ergibt sich aus der abschließenden Schlussabrechnung ein positiver Saldo, wird der Überschuss an die Gesellschafter gemäß ihrer Beteiligungsquote verteilt. Sollte sich hingegen ein Fehlbetrag ergeben, so haben die Gesellschafter hierfür gegenüber der GbR aufzukommen; die Befriedigung der Gläubiger erfolgt dann „über Eck“. Solange die Gesellschaft über derartige Nachschussansprüche (und damit über Aktivvermögen) verfügt, erlischt sie grds. nicht.
II. Die Notwendigkeit der Abwicklung (Abs. 1) 1. Abwicklung im Regelfall Für den Regelfall erklärt § 735 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BGB programmatisch: „Nach Auflösung 4 der Gesellschaft findet die Liquidation statt“. Da die Gesellschafter auch eine andere Art der Abwicklung wählen können (Abs. 2 Satz 1, Rz. 27), ließe sich auch allgemeiner formulieren: Nach Auflösung findet Abwicklung statt. Von dem so gefassten Grundsatz weicht auch der zweite Halbsatz inhaltlich nicht ab: Auch wenn die Gesellschaft formell insolvent ist, wird diese abgewickelt; allerdings nicht gem. §§ 735 ff. BGB im ordentlichen Liquidations-, sondern im Insolvenzverfahren (Rz. 5). Angezeigt und notwendig ist die Abwicklung allerdings nur, wenn und weil die Gesellschaft Vermögen hat. Aus diesem Grund erlischt etwa die nicht rechtsfähige GbR liquidationslos bei Eintritt eines Beendigungsgrundes (§ 740a BGB Rz. 1).4 In Ausnahmefällen kommt es aber auch bei der rechtsfähigen GbR zeitgleich zu Auflösung und Vollbeendigung, konkret wenn sich alle Gesellschaftsanteile in der Hand eines Gesellschafters vereinigen (Rz. 9) oder wenn die Gesellschaft kein Vermögen hat und keine natürliche Person als voll haftender Gesellschafter in Anspruch genommen werden kann (Rz. 7 f). Von diesen selteneren Fällen abgesehen besteht die rechtsfähige GbR trotz Auflösung grds. zum Zwecke der Abwicklung fort.
2. Abwicklung durch den Insolvenzverwalter Nach § 735 Abs. 1 Satz 1 BGB ist die Liquidation nur vorgesehen, sofern nicht über das Ver- 5 mögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Zwar findet auch in diesem Fall eine Abwicklung statt, häufig dürfte hierbei auch die Gesellschaft und ihr Vermögen liquidiert werden; wegen der formellen Insolvenz obliegt diese Aufgabe allerdings nicht (wie sonst, Rz. 10, Rz. 15) den Gesellschaftern, sondern dem Insolvenzverwalter, der das Vermögen der Gesellschaft nach den Vorgaben der Insolvenzordnung zu verwerten hat;5 auch die Ansprüche der Gläubiger sind nunmehr im Insolvenzverfahren geltend zu machen. Der Insol3 Diese Schritte gehen einher mit der Pflicht zur Aussonderung gesellschaftsfremder Gegenstände, die nicht ausdrücklich in § 736d BGB aufgeführt ist (§ 736d BGB Rz. 8). 4 Vgl. auch Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 191. 5 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 730 BGB Rz. 23; Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 182. Richter | 543
§ 735 BGB Rz. 5 | Rechtsfähige Gesellschaft venzverwalter übt die Verwaltungs- und Verfügungsrechte über das Vermögen der schuldnerischen GbR aus (§ 80 Abs. 1 InsO) und wird im praktischen Regelfall die einzelnen Vermögensbestandteile verwerten und den Erlös zur Gläubigerbefriedigung einsetzen. Alternativ kommt auch eine Verwertung durch Unternehmensübertragung im Asset-Deal in Betracht; selten, aber möglich ist auch die rechtsträgererhaltende Sanierung im Insolvenzplanverfahren. 6 Die Abwicklungskompetenz des Insolvenzverwalters bezieht sich insbesondere auf das Ge-
sellschaftsvermögen, umfasst aber auch die gegen die Gesellschafter gerichteten Haftungsansprüche Dritter (vgl. § 721 BGB Rz. 11 ff.). Obwohl diese Ansprüche zwischen Gläubiger und Gesellschafter bestehen und haftungsrechtlich nicht dem Vermögen der insolventen Gesellschaft zugeordnet werden können, kann die persönliche Haftung gem. § 93 InsO während des laufenden Insolvenzverfahrens nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden.6
3. Sofortige Vollbeendigung ohne Liquidation 7 Handelt es sich bei der Gesellschaft um eine im Register eingetragene GbR, bei der keiner
der persönlich haftenden Gesellschafter eine natürliche Person ist, so wird diese im Fall der Vermögenslosigkeit zum Schutz des Rechtsverkehrs gem. § 394 Abs. 1, Abs. 4 FamFG von Amts wegen oder auf Antrag (etwa der Finanzbehörden) gelöscht; die eGbR ist in diesem Fall gem. § 729 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BGB aufgelöst (vgl. § 729 BGB Rz. 22). In einer derartigen Konstellation, bei der weder verteilbares Vermögen vorhanden ist noch Haftungsansprüche gegen die Gesellschafter realisiert werden können,7 besteht kein Liquidationsbedarf, weshalb ausnahmsweise unmittelbar Vollbeendigung eintritt. Eine Rückausnahme macht § 735 Abs. 1 Satz 2 BGB, der ein Liquidationsverfahren anordnet, wenn sich nach der Löschung herausstellt, dass noch verteilungsfähiges Vermögen vorhanden ist. In dieser Feststellung zeigt sich, dass die Löschung zu Unrecht erfolgt ist; die nur vermeintlich vollbeendete (gleichwohl aber aufgelöste) GbR besteht als Liquidationsgesellschaft fort, ist mit einem entsprechenden Hinweis wieder im Register einzutragen8 und nach den auch sonst geltenden Regelungen abzuwickeln.9 8 Verbreitet wird zudem vertreten, dass die liquidationslose Vollbeendigung allgemein bei Ver-
mögenslosigkeit der GbR eintritt, also auch außerhalb des zuvor genannten Falls der Löschung gem. § 394 Abs. 1, Abs. 4 FamFG. Die Notwendigkeit einer Abwicklung (unter Fortbestand der Liquidationsgesellschaft) besteht hiernach nur dann, wenn diese auch Aktivvermögen hat.10 Dem scheint auch die gesetzgeberische Einschätzung zu entsprechen, nach der Liquidationsbedarf nur bestehe, wenn sich verteilungsfähiges Vermögen findet.11 Die in § 735
6 Hinter dieser Regelung steht, anders als vielfach angenommen, nicht der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung, sondern der Schutz der Sanierungsmasse, s. hierzu Brinkmann, Die Bedeutung der §§ 92, 93 InsO, 2001, S. 103 ff. 7 Voraussetzung der Löschung und damit der Auflösung ist nicht nur die Vermögenslosigkeit der GbR, sondern auch die der beteiligten Gesellschafter (vgl. § 394 Abs. 4 Satz 2 FamFG). Zudem kommt eine Auflösung dann nicht in Betracht, wenn eine natürliche Person höherer Stufe an einer Gesellschafter-Gesellschaft beteiligt und damit letztlich haftpflichtig ist (vgl. § 729 BGB Rz. 23). 8 Zur parallelen Regelung des § 66 Abs. 5 GmbHG wird z.T. vertreten, dass auf diese Eintragung im Einzelfall aus pragmatischen Gründen verzichtet werden könne; kritisch hierzu m.w.N. BGH v. 26.7.2022 – II ZB 20/21, ZIP 2022, 1806, 1807 Rz. 9 ff. 9 Vgl. K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 145 HGB Rz. 66 ff. 10 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1701 (Stand: 84. EL 9/2022); Schäfer in MünchKomm/BGB, § 730 BGB Rz. 2. 11 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 182.
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Notwendigkeit der Liquidation; anwendbare Vorschriften | Rz. 10 § 735 BGB
Abs. 1 Satz 2 BGB getroffene Aussage wäre demnach zu eng geraten.12 Diese Sichtweise trifft im Grundsatz zu, muss allerdings mit dem Hinweis darauf versehen werden, dass auch Forderungen, die sich gegen die GbR richten, regelmäßig Liquidationsbedarf auslösen: Aus den Verpflichtungen der Gesellschaft ergeben sich i.d.R. unmittelbar (Sozial-)Ansprüche der GbR gegen die Gesellschafter (§ 737 BGB Rz. 1 ff.) und somit Aktivvermögen und Abwicklungsbedarf.13 Grundsätzlich kommt es deshalb erst nach der Einforderung und Verteilung der Nachschussansprüche zur Vollbeendigung der Gesellschaft.14 Wird allerdings die Vorgabe des § 737 BGB abbedungen,15 mit der Folge, dass die Gesellschafter zwar noch im Außenverhältnis zu den Gläubigern haften, jedoch nicht gegenüber der GbR, führt deren Vermögenslosigkeit unmittelbar zur Beendigung. Einen weiteren Fall der liquidationslosen Vollbeendigung der GbR regelt das Gesetz außer- 9 halb des 6. Kapitels: Beim Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters erlischt die Gesellschaft gem. § 712a Abs. 1 Satz 1 BGB unmittelbar, also ohne Liquidation (vgl. § 712a BGB Rz. 5). Das Gesellschaftsvermögen geht nach dem dortigen Satz 2 ipso iure auf den verbleibenden Gesellschafter über,16 gegen diesen richten sich auch die Ansprüche des ausgeschiedenen Gesellschafters (bzw. der Erben) auf angemessene Abfindung, Haftungsfreistellung etc. (vgl. § 712a BGB Rz. 12). Das Gleiche gilt, wenn alle bisherigen Gesellschafter ihre Anteile zeitgleich an einen Dritten übertragen, etwa im Wege einer faktischen Verschmelzung auf eine andere Gesellschaft.17 Für eine Abwicklung der Gesellschaft ist nur dann Raum, wenn der Gesellschaftsvertrag abweichend vom gesetzlichen Regelfall positiv anordnet, dass die GbR beim Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters nicht erlöschen, sondern lediglich aufgelöst werden soll. Eine derartige Regelung hat zur Folge, dass auch der ausscheidende Gesellschafter (bzw. dessen Erbe) an der Liquidationsgesellschaft beteiligt bleibt und am Liquidationserlös voll partizipiert.18
III. Die Liquidationsgesellschaft und -beteiligten Mit Eintritt eines Auflösungsgrundes verändert sich zwar der Zweck der GbR, der sich nun- 10 mehr auf Abwicklung richtet; i.Ü. bleibt die Gesellschaft jedoch unter Beibehaltung ihrer Identität, ihres ggf. eingetragenen Namens,19 ihres Vermögens und ihrer Rechts- und Parteifähigkeit bestehen.20 Die Liquidations- bzw. Abwicklungsgesellschaft kann folglich, wie jede andere GbR im Rechtsverkehr auftreten, neue Verträge eingehen, bestehende Pflichten erfüllen bzw. Leistungen einfordern etc. Diese Tätigkeiten sind jedoch nicht mehr am ursprünglichen Gesellschaftszweck (§ 705 BGB Rz. 30 ff.), sondern am Ziel der Abwicklung aus-
12 Entsprechenden Reformbedarf erkennt Bachmann, NZG 2020, 612, 617. 13 Habersack in Staub, § 145 HGB Rz. 9; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1701 (Stand: 84. EL 9/2022); K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 145 HGB Rz. 18; vgl. allerdings m.w.N. Hillmann in E/B/J/S, § 145 HGB Rz. 8; s. hierzu auch Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 264, 270 ff. 14 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1701a (Stand: 84. EL 9/2022); Schäfer in MünchKomm/BGB, § 730 BGB Rz. 5. 15 Zu der Möglichkeit einer abweichenden Gestaltung vgl. § 737 BGB Rz. 3. 16 S. hierzu Noack in Schäfer, Personengesellschaftsrecht, § 9 Rz. 34. 17 S. hierzu Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1789 (Stand: 84. EL 9/2022) sowie § 729 BGB Rz. 28. 18 Mit Hinweis auf diese Möglichkeit Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 148. 19 Dieser ist beim Auftritt im Rechtsverkehr mit einem Liquidationszusatz zu versehen, s. § 736d BGB Rz. 27. 20 Westermann in Erman, § 730 BGB Rz. 5 ff.; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 730 BGB Rz. 24; Habersack in Staub, § 145 HGB Rz. 13. Richter | 545
§ 735 BGB Rz. 10 | Rechtsfähige Gesellschaft zurichten.21 Entsprechendes gilt für die Rechte und Pflichten der Gesellschafter, die nun ebenfalls von diesem Ziel geprägt sind (Rz. 14). 11 Geführt und vertreten wird die Gesellschaft vom Zeitpunkt ihrer Auflösung an durch Liqui-
datoren. Hierzu sind, vorbehaltlich abweichender Regelungen, zunächst alle Gesellschafter berufen (§ 736 BGB Rz. 2). Durch den Gesellschaftsvertrag oder durch Gesellschafterbeschluss kann hiervon jedoch abgewichen werden, so dass einzelne oder alle Gesellschafter von der Aufgabe der Liquidation ausgeschlossen und ggf. Dritte hierfür berufen werden können (§ 736 BGB Rz. 6 ff.). Auch durch gerichtlichen Beschluss können Liquidatoren berufen und abberufen werden (§ 736a BGB Rz. 1). Die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse stehen nach gesetzlicher Konzeption im Abwicklungsverfahren allen Liquidatoren gemeinsam zu (§ 736b BGB Rz. 1). Diese sind dazu verpflichtet, im Rahmen ihrer Abwicklungstätigkeit den bestmöglichen Erlös zu erzielen und haben deshalb u.U. sogar die Aufgabe, einen noch aktiven Betrieb der GbR vorläufig fortzuführen, um diesen ggf. als Einheit erhalten und verwerten zu können.22 12 Abgesehen von dieser veränderten Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis wandelt
sich die gesellschaftsrechtliche Organisation durch die Auflösung nicht grundlegend. Die Gesellschafter üben weiterhin die Kontrolle über die GbR aus, bspw. durch die Entscheidung über die Gesellschaftsfortführung (§ 734 BGB Rz. 1) oder die Art der Abwicklung (Rz. 27 ff.), durch die Berufung und Abberufung der Liquidatoren oder durch die Erteilung von bindenden Weisungen bzgl. der Geschäftsführung (§ 736d BGB Rz. 3). Die Herrschaft der Gesellschafter bleibt also auch nach Eintritt des Auflösungsgrundes bestehen,23 allerdings muss diese u.U. gemeinsam mit den sonstigen Beteiligten des Liquidationsverfahrens ausgeübt werden. Zu diesen zählen neben den Gesellschaftern auch ein etwaiger Gesellschafter-Insolvenzverwalter, ein gemeinsamer Vertreter von Gesellschafter-Erben sowie ein die GbR kündigender Gesellschafter-Gläubiger (§ 736a BGB Rz. 8). 13 Erst nach Abschluss der Liquidation bzw. der sonstigen Abwicklung kommt es zur Vollbeen-
digung und zum Erlöschen der Gesellschaft. Abgeschlossen ist die Liquidation erst, wenn kein verteilungsfähiges Vermögen mehr vorhanden ist. Allerdings ergibt sich aus den gegen die GbR gerichteten Ansprüchen i.d.R. eine Nachschusspflicht der Gesellschafter, weshalb die damit korrespondierenden Ansprüche der Gesellschaft als Vermögenswerte anzusehen sind, die einer Vollbeendigung entgegenstehen.24 Ist die Liquidation jedoch vollständig beendet und die Gesellschaft damit erloschen, muss dieser Umstand bei einer eGbR im Register eingetragen werden (§ 738 BGB Rz. 1), womit die Verjährung der Ansprüche aus der Gesellschafterhaftung beginnt (§ 739 BGB Rz. 9).
IV. Stellung und Ansprüche der Gesellschafter 14 Mit der Auflösung ändern sich insbesondere die Rechte und Pflichten der Gesellschafter.
Durch den neuen Gesellschaftszweck wechselt etwa der Bezugspunkt der mitgliedschaftlichen Treuepflichten, die nun am Ziel der Gesellschaftsabwicklung auszurichten sind.25 Die
21 Vgl. etwa § 736d Abs. 2 BGB; hierzu sowie zu der Frage, ob die Abwicklung Zweck der Gesellschaft oder Zweck des Liquidationsverfahrens ist Habersack in Staub, § 145 HGB Rz. 16. 22 S. hierzu Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1764 (Stand: 84. EL 9/2022). 23 Die Beteiligten sind nach Vorstellung des Gesetzgebers die „Herren des Liquidationsverfahrens“, s. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 186. 24 S. BGH v. 27.10.2020 – II ZR 150/19, BGHZ 227, 242, 246 ff. Rz. 20 ff. = ZIP 2020, 2460, vgl. auch § 736d BGB Rz. 32. 25 BGH v. 11.1.1971 – II ZR 143/68, NJW 1971, 802; Habersack in Staub, § 145 HGB Rz. 17.
546 | Richter
Notwendigkeit der Liquidation; anwendbare Vorschriften | Rz. 17 § 735 BGB
Gesellschafter schulden sich gegenseitig, aber auch der GbR die Förderung des Abwicklungszwecks, müssen deshalb die hierfür notwendigen Auskünfte erteilen und bei der Ausübung der eigenen Rechte dieses Ziel beachten.26 Diese Pflichtenausrichtung besteht unabhängig davon, ob die Gesellschafter zu Liquidatoren bestimmt sind oder entgegen dem gesetzlichen Regelfall von diesem Amt ausgeschlossen sind. Die bisherigen Befugnisse der Gesellschafter zu Geschäftsführung und Vertretung erlö- 15 schen unmittelbar mit der Gesellschaftsauflösung (§ 736b BGB Rz. 1); eine entsprechende Kompetenz kommt ihnen jedoch regelmäßig in der neuen Funktion als Liquidatoren (gemeinschaftlich) zu (Rz. 11). In ihrer Rolle als Beteiligte des Liquidationsverfahrens üben die Gesellschafter die Kontrolle über die Abwicklung und die Maßnahmen der Liquidatoren aus (Rz. 12), können also bspw. bindende Weisungen erteilen (§ 736d BGB Rz. 3).
1. Beitragspflichten der Gesellschafter Im Rahmen der Abwicklung werden grundsätzlich alle offenen Forderungen der Gesellschaft 16 geltend gemacht (Rz. 3), so dass im Grundsatz auch die noch nicht geleisteten Beiträge (§ 709 BGB Rz. 5) der Gesellschafter durch die Liquidatoren einzufordern sind. Allerdings schlägt diesbezüglich u.U. die Wandlung des Gesellschaftszwecks durch: Die versprochenen Beiträge sind nur insoweit zu leisten, als diese für die Abwicklung notwendig sind.27 Wurde bspw. für die werbende Tätigkeit der GbR die Erbringung von Dienstleistungen oder die Gebrauchsüberlassung einer Sache versprochen, aber noch nicht erbracht, dann entfällt die Beitragspflicht, wenn diese Leistungen für die Liquidation nicht erforderlich bzw. nützlich sind. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass unter gewissen Umständen eine zeitweise Fortführung der bisherigen Tätigkeit angezeigt ist, so dass im Ausnahmefall auch solche Beiträge erbracht werden müssen. Im Normalfall sind derartige Beitragspflichten jedoch erst im Rahmen der Schlussabrechnung zu berücksichtigen (Rz. 18).28 Schuldet der Gesellschafter Geldeinlage, die Übereignung einer Sache bzw. die sonstige Vermehrung des Gesellschaftsvermögens und damit der Haftungsmasse, sind die Beiträge (i.d.R. wertmäßig)29 zugunsten der GbR zu erbringen bzw. in der Schlussabrechnung zu berücksichtigen, so dass die Gläubiger (ggf. aber auch die Mitgesellschafter)30 hieraus befriedigt werden können (Rz. 22). Hierin zeigt sich der wesentliche Unterschied der verschiedenen Beitragsformen.31 Umstritten ist die Frage, wer darzulegen und zu beweisen hat, dass die Erbringung des rück- 17 ständigen Beitrags für die Verwirklichung des Liquidationszwecks notwendig ist. Nach der herrschenden Meinung trifft den in Anspruch genommenen Gesellschafter die Darlegungslast und Beweislast dafür, dass der eingeforderte Betrag nicht i.R.d. Liquidation benötigt wird; die insoweit bedeutsamen Verhältnisse der Gesellschaft müssten hingegen von den Liquidatoren dargelegt werden, soweit ihnen dies möglich ist.32 Die Gegenansicht spricht sich dafür aus, den Liquidatoren die Beweislast für die Notwendigkeit der Beitragseinforderung aufzuerlegen, ins26 Westermann in Erman, § 730 BGB Rz. 6; Habersack in Staub, § 145 HGB Rz. 17. 27 Vgl. BGH v. 3.2.1977 – II ZR 201/75, WM 1977, 617; BGH v. 30.1.2018 – II ZR 95/16, ZIP 2018, 721, 726 Rz. 58; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1735 (Stand: 84. EL 9/2022); Habersack in Staub, § 149 HGB Rz. 22. 28 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 730 BGB Rz. 30. 29 K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 149 HGB Rz. 23; Habersack in Staub, § 149 HGB Rz. 22. 30 S. hierzu K. Schmidt, ZHR 153 (1989), 270, 295 ff.; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 149 HGB Rz. 21 f. m.w.N.; a.A. Hillmann in E/B/J/S, § 149 HGB Rz. 11; s. hierzu noch § 736d BGB Rz. 16. 31 So auch Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 142. 32 BGH v. 3.7.1978 – II ZR 54/77, WM 1978, 898; BGH v. 30.1.2018 – II ZR 95/16, ZIP 2018, 721, 726 Rz. 59; Habersack in Staub, § 149 HGB Rz. 22; vgl. hierzu auch Osterloh-Konrad, ZGR 2021, 476, 492 f. Richter | 547
§ 735 BGB Rz. 17 | Rechtsfähige Gesellschaft besondere weil diese Einblick in die Gesellschafts- und Liquidationsinterna und damit die deutlich besseren Beweismöglichkeiten haben.33 Diesem Umstand wird man aber auch dadurch gerecht, indem den Liquidatoren die sekundäre Darlegungslast auferlegt wird.34
2. Gesellschafteransprüche und Durchsetzungssperre 18 Die sich aus dem Gesellschaftsverhältnis ergebenden Ansprüche der Gesellschafter gegen-
über der GbR unterliegen von der Auflösung an der sog. Durchsetzungssperre; das Gleiche gilt grds. auch umgekehrt für ihre Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft: Derartige (Sozial-)Ansprüche sind im Liquidationsverfahren nicht mehr getrennt durchsetzbar, sondern erst im Rahmen der Schlussabrechnung als unselbständige Rechnungsposten zu berücksichtigen.35 Trotz eines missverständlichen Hinweises in den Gesetzesmaterialien gelten im Recht der GbR damit grundsätzlich die gleichen Prinzipien wie für die Personenhandelsgesellschaften.36 19 Die Durchsetzungssperre dient dem allgemeinen Prinzip, im Abwicklungsstadium wechsel-
seitige Zahlungen zu vermeiden,37 und spiegelt sich in der zuvor dargestellten Beitragspflicht der Gesellschafter, deren Leistungspflichten zumindest im Grundsatz ebenfalls erst in der Schlussabrechnung zu berücksichtigen sind (Rz. 16). Betroffen von der Durchsetzungssperre sind etwa die Ansprüche auf Ersatz von Aufwendungen oder Verlusten nach § 716 Abs. 1 BGB (§ 716 BGB Rz. 9), Gewinnausschüttungsansprüche (§ 718 BGB Rz. 5) und Ausgleichsansprüche nach § 426 BGB.38 20 Die Durchsetzungssperre gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Unberührt von der Durchset-
zungssperre bleiben insbesondere Drittgläubigeransprüche, die dem Anspruchsinhaber nicht in seiner Rolle als Gesellschafter zukommen (s. § 736d BGB Rz. 15). Steht der Gesellschafter der GbR mit seiner Forderung „wie jeder dritte Gläubiger gegenüber, ist es nicht einzusehen, weshalb er anders als jeder außenstehende Gläubiger auf die Erfüllung seiner Forderung soll warten müssen, bis die Schlussabrechnung feststeht.“39 Mit derartigen An-
33 Gegen die h.M. etwa Schäfer in MünchKomm/BGB, § 730 BGB Rz. 31; Schöne in BeckOK/BGB, § 730 BGB Rz. 20 (Stand: 65. Ed. 1.2.2023); kritisch, aber zurückhaltender Habermeier in Staudinger Neubearbeitung 2003, § 730 BGB Rz. 17 („nicht unproblematisch“) sowie Westermann in Erman, § 730 BGB Rz. 6 („bedenklich“). 34 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1738 (Stand: 84. EL 9/2022) m.w.N. 35 BGH v. 3.5.1976 – II ZR 92/75, WM 1976, 789; BGH v. 3.4.2006 – II ZR 40/05, ZIP 2006, 994, 996 Rz. 17 m.w.N. Dieser Rechtsprechung hat sich auch der MoPeG-Gesetzgeber ausdrücklich angeschlossen (Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 187 f., s. aber die folgende Fn.); vgl. auch Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1754 ff., 1779 ff. (Stand: 84. EL 9/2022); Freund, MDR 2011, 577; Stüber, Der Grundsatz der Durchsetzungssperre, Diss. Mannheim 2013, S. 27 ff. 36 Hinsichtlich der Geltendmachung von Sozialverbindlichkeiten führte der Gesetzgeber zum HGB aus, dass diese Ansprüche – anders als bei einer GbR – in der Liquidation nur als Rechnungsposten in die Kapitalkonten eingingen (Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 249); i.E. deckt sich dies jedoch mit dem BGB; s. auch Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1779 ff. (Stand: 84. EL 9/2022). 37 S. zu diesem Prinzip Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 188; vgl. auch BGH v. 3.4.2006 – II ZR 40/05, ZIP 2006, 994, 996 Rz. 17; Osterloh-Konrad, ZGR 2021, 476, 487 f. 38 Westermann in Erman, § 730 BGB Rz. 11; Stüber, Der Grundsatz der Durchsetzungssperre, Diss. Mannheim 2013, S. 27 ff.; Freund, MDR 2011, 577, 579. 39 BGH v. 3.4.2006 – II ZR 40/05, ZIP 2006, 994; s. hierzu Schäfer in MünchKomm/BGB, § 730 BGB Rz. 53. Aus dem gleichen Grund sind derartige Drittgläubigeransprüche in der Insolvenz der Gesellschaft nicht nachrangig, sondern als Insolvenzforderungen quotal zu befriedigen.
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Notwendigkeit der Liquidation; anwendbare Vorschriften | Rz. 24 § 735 BGB
sprüchen soll der Gesellschafter nicht nur inhaltlichen Vorrang vor anderen Verbindlichkeiten genießen, sondern er soll auch gesondert und außerhalb der Schlussabrechnung befriedigt werden, bevor andere (Sozial-)Verbindlichkeiten beglichen werden (Rz. 22).40 Welche Ansprüche konkret hierunter zu fassen sind, weil sie keine gesellschaftsvertragliche Prägung haben, regelt das Gesetz nicht; es wurde vielmehr „bewusst offen formuliert, um der Rechtsprechung Auslegungsspielraum für die sachgerechte Behandlung von Sozialverbindlichkeiten zu belassen.“41 Auch bzgl. gesellschaftsvertraglich geprägter Ansprüche sind u.U. Ausnahmen von der Durch- 21 setzungssperre zu machen, etwa wenn sicher feststeht, dass ein Gesellschafter einen bestimmten (Mindest-)Betrag nach der Schlussabrechnung erhalten wird oder wenn sich aus einer gesellschaftsvertraglichen Regelung ergibt, dass bestimmte Ansprüche ihre Selbständigkeit auch nach der Gesellschaftsauflösung behalten sollen.42 Die Befriedigungsreihenfolge, die sich insb. aus §§ 736d Abs. 4–6, 737 BGB ergibt, stellt kei- 22 ne Abweichung vom dargestellten Grundsatz der Durchsetzungssperre, sondern eine Regelung zum materiellen Vor- und Nachrang bestimmter Forderungen dar. Dem Grunde nach sind – wenn keine Ausnahme greift (Rz. 20) – alle Forderungen und Verbindlichkeiten der Gesellschafter im Verhältnis zur Gesellschaft nur als unselbständige Rechnungsposten in der abschließenden Auseinandersetzungsbilanz zu berücksichtigen und letztlich nur im Saldo zu begleichen. Allerdings ist die Schlussrechnung unter Beachtung der Befriedigungsreihenfolge zu erstellen (§ 736d BGB Rz. 23), so dass bspw. der Anspruch eines Gesellschafters auf wertmäßige Rückerstattung seiner Einlage (§ 736d Abs. 5 BGB) bilanziellen Vorrang vor Ausschüttungsansprüchen (§ 736d Abs. 6 BGB) hat. Klagt der Gesellschafter seine Forderung entgegen der Durchsetzungssperre mit einer Leis- 23 tungsklage ein, so wäre diese als (derzeit) unbegründet abzuweisen.43 Ist die geltend gemachte Forderung zwischen der Gesellschaft und dem Gesellschafter bereits in Bestand oder Höhe umstritten, kann der Klageantrag u.U. in einen Feststellungsantrag umgedeutet werden.44 Eine derartige Feststellungsklage würde von der Durchsetzungssperre nicht betroffen. Machen die Liquidatoren jedoch lediglich geltend, dass die selbständige Geltendmachung der (i.Ü. nicht umstrittenen) Forderung wegen des Liquidationsverfahrens nicht beansprucht werden kann, scheitert die Feststellungsklage mangels Feststellungsinteresse.45
3. Gesellschafterklage (actio pro socio) Die in § 715b BGB normierte Kompetenz der Gesellschafter, Ansprüche der GbR für diese 24 u.U. in gesetzlicher Prozessstandschaft geltend zu machen (§ 715b BGB Rz. 1, 10), besteht auch in der Liquidationsphase fort. Sollten die Liquidatoren die Sozialansprüche nicht geltend machen können oder wollen, besteht die subsidiäre Möglichkeit zur Gesellschafterklage. Dass die actio pro socio auch nach der Auflösung der Gesellschaft möglich ist, ist für Scha-
40 So ausdrücklich Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 187; s. auch Hillers, Personengesellschaft und Liquidation, 1988, S. 114 ff. 41 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 187; vgl. auch bei S. 188: „Dies zu kodifizieren, entzieht sich jedoch einer abstrakt-generellen Regelung.“ 42 BGH 2.10.1997 – II ZR 249/96, ZIP 1997, 2120; m.w.N. Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1779e (Stand: 84. EL 9/2022). 43 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 730 BGB Rz. 51. 44 BGH v. 9.3.1992 – II ZR 195/90, NJW 1992, 2757, 2758; BGH v. 15.5.2000 – II ZR 6/99, ZIP 2000, 1208; Westermann in Erman, § 730 BGB Rz. 13. 45 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1754a (Stand: 84. EL 9/2022). Richter | 549
§ 735 BGB Rz. 24 | Rechtsfähige Gesellschaft densersatzansprüche allgemein akzeptiert.46 Zulässig ist eine Gesellschafterklage unter den allgemeinen Voraussetzungen aber auch bzgl. anderer Ansprüche, insbesondere auf Leistung offener Einlagen.47 Für die Geltendmachung der Beitragspflichten gilt jedoch auch hier, dass derartige Forderungen nur insoweit bestehen, als diese für die Abwicklung notwendig sind (Rz. 16). Das beschriebene Problem der Darlegungs- und Beweislast (Rz. 17) stellt sich in diesem Fall mit besonderer Schärfe, weil die allgemeinen Anforderungen zur sekundären Darlegung, die im Normalfall die Liquidatoren treffen, durch den klagenden Gesellschafter u.U. nicht zu erfüllen sind.
V. Stellung und Ansprüche der Gesellschaftsgläubiger 25 Durch die Auflösung der Gesellschaft ändert sich im Außenverhältnis zu den Gesellschafts-
gläubigern zunächst wenig: Verträge und sonstige Rechtsverhältnisse zu Dritten bleiben unverändert bestehen; auch Dauerschuldverhältnisse müssen grds. fortgeführt und können nur unter Einhaltung der allgemeinen Kündigungsregeln abgewickelt werden. Zwar kann die Vertragsfortsetzung mit der Liquidationsgesellschaft im Einzel- und Ausnahmefall unzumutbar sein, so dass eine außerordentliche Beendigung durch die Gegenseite in Betracht kommt;48 in aller Regel besteht jedoch kein außerordentliches Lösungs- oder Umgestaltungsrecht bzgl. bestehender Schuldverhältnisse.49 26 Auf die Ansprüche der Gläubiger hat die Auflösung keine Auswirkungen. Bestand oder In-
halt der Ansprüche ändern sich nicht, auch tritt keine vorzeitige Fälligkeit ein (vgl. § 736d Abs. 4 Satz 2 BGB).50 Nach der gesetzlichen Konzeption würden die Gläubiger vorrangig aus dem Gesellschaftsvermögen befriedigt werden, insb. bevor die Gesellschafter ihre Beiträge erstattet oder sonstige Vermögensanteile ausgezahlt bekommen (§ 736d BGB Rz. 18). Dieses „Recht auf vorrangige Gläubigerbefriedigung“51 entspricht allerdings nur dem (dispositiven) gesetzlichen Leitbild und kann durch die Gesellschafter eingeschränkt werden, indem diese eine abweichende Regelung zur Abwicklung treffen (Rz. 31). Die Gläubiger sind in diesem Fall durch die persönliche Haftung der Gesellschafter geschützt (§ 736d BGB Rz. 30).52 Nachteilig kann sich allenfalls die Sonderverjährung dieser Ansprüche (§ 739 BGB Rz. 4) auswirken: Die gegen die GbR gerichteten Ansprüche erlöschen gemeinsam mit der Gesellschaft (§ 736d BGB Rz. 32); wenn für diese Ansprüche (im Ausnahmefall)53 eine Verjährungsfrist gegolten hat, die über den Fünfjahreszeitraum des § 739 BGB hinausging, so stellt sich die Gesellschafterhaftung als ein Minus im Vergleich zur primären Gesellschaftshaftung dar.54 46 BGH v. 30.11.1959 – II ZR 145/58, NJW 1960, 433; vgl. hierzu auch Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 730 BGB Rz. 19; Grunewald in FS Hommelhoff, 2012, S. 275, 279 ff. 47 In diese Richtung Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 187; vgl. auch Westermann in Erman, § 730 BGB Rz. 9; Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 730 BGB Rz. 19; Grunewald in FS Hommelhoff, 2012, S. 275, 277 f.; Osterloh-Konrad, ZGR 2021, 476, 484 ff.; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 730 BGB Rz. 33 f. (vgl. auch Rz. 35 zur Möglichkeit der Klage auf Leistung an sich selbst). 48 Schäfer in Staub, § 131 HGB Rz. 51; Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 730 BGB Rz. 20. 49 OLG Brandenburg v. 2.4.2008 – 3 U 103/07, NZG 2008, 506; Kilian in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 730 BGB Rz. 6; Hadding/Kießling in Soergel, § 730 BGB Rz. 18. 50 Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 730 BGB Rz. 20. 51 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 182. 52 So auch zum alten Recht Hadding/Kießling in Soergel, § 730 BGB Rz. 18. 53 Mit dem Hinweis auf die kürzere Frist der Regelverjährung auch Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 189. 54 S. auch Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 730 BGB Rz. 20.
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Notwendigkeit der Liquidation; anwendbare Vorschriften | Rz. 29 § 735 BGB
VI. Gestaltbarkeit der Abwicklung (Abs. 2, Abs. 3) Das Abwicklungsverfahren kann durch die Gesellschafter (bzw. die Liquidationsbeteiligten, 27 Rz. 12) weitgehend frei ausgestaltet werden, die Vorgaben der §§ 735 ff. BGB sind bis auf einzelne Ausnahmen dispositiv. Vom gesetzlichen Liquidationsverfahren kann sowohl durch Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag (Rz. 28) als auch durch (ggf. nachträglichen) Beschluss (Rz. 29) abgewichen werden. Auf diese Weise können einzelne Modifikationen vorgenommen und i.Ü. auf das gesetzliche Verfahren zurückgegriffen werden; möglich ist aber auch, dass ganz grundsätzlich abgewichen und eine andere Art der Abwicklung anstelle der Liquidation vereinbart wird. Ob sogar die Abwicklung als solche zur Disposition der Gesellschafter steht, ist umstritten. In einer sehr frühen Entscheidung ging der BGH davon aus, dass die Gesellschafter (einer oHG) „nicht die Abwicklung ausschließen können, ohne statt dessen eine andere Form der Auseinandersetzung zu vereinbaren.“55 Diese Sicht wurde vielfach in Frage gestellt, wobei insbesondere auch auf § 145 Abs. 2 HGB a.F. verwiesen wurde, der positiv die Möglichkeit vorsah, dass die Liquidation unterbleibt.56 Der heutige § 735 Abs. 2 BGB, der dieser Norm nachgebildet ist,57 spricht jedoch (wie auch § 143 Abs. 2 HGB) nicht vom Unterbleiben der Liquidation, sondern legt vielmehr nahe, dass die Liquidation nur durch eine andere Art der Abwicklung ersetzt werden kann: Die Auseinandersetzung trotz eingetretener Auflösung kann nicht auf Dauer ausgeschlossen, die Vollbeendigung nicht schlicht fingiert werden.58 § 735 Abs. 3 BGB macht deutlich, dass gesellschaftsvertragliche Abwicklungsvereinbarungen 28 vorrangig gelten und die dispositiven Vorschriften der §§ 736 ff. BGB nur subsidiär zur Anwendung kommen.59 So wie bereits vorab vertraglich geregelt werden kann, welche Gründe zur Auflösung der GbR führen sollen (§ 729 BGB Rz. 25), kann auch festgelegt werden, welche Konsequenz die Auflösung für die Verteilung des Gesellschaftsvermögens haben soll. Möglich ist auch, für verschiedene Auflösungsgründe unterschiedliche Abwicklungsregelungen vorzusehen.60 Auch nachträglich kann durch Beschluss vom gesetzlich (oder gesellschaftsvertraglich) vor- 29 gesehenen Liquidationsverfahren abgewichen werden. Für den Fall einer Gesellschaftsfortsetzung (§ 734 BGB Rz. 1, 16 ff.), die ebenfalls eine vom Gesetz abweichende Gestaltung der Abwicklung darstellt, ist die Beschlussmöglichkeit positiv in § 734 BGB normiert. Für alle weiteren Gestaltungsentscheidungen ergibt sich die entsprechende Kompetenz der Gesellschafter aus § 735 Abs. 2 Satz 1 BGB. Die Zustimmung von Dritten ist nur in Ausnahmefällen notwendig (Rz. 30, § 736d BGB Rz. 6). Trifft der Gesellschaftsvertrag für diese Beschlussfassung keine spezielle Regelung, so bedarf die Abweichung von den gesetzlichen Liquidationsvorschriften der Zustimmung aller Gesellschafter.61 Möglich ist allerdings gesellschaftsvertraglich eine Mehrheitsentscheidung vorzusehen; dies wird nicht zuletzt durch § 736 Abs. 5 BGB e contrario deutlich: Die Entscheidung über die Berufung oder Abberufung eines
55 BGH v. 4.4.1951 – II ZR 10/50, BGHZ 1, 324, 329; zustimmend Kilian in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 730 Rz. 19; Lehmann-Richter in BeckOK/HGB, § 145 HGB Rz. 22 (Stand: 39. Ed. 15.1.2023). 56 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1705 (Stand: 84. EL 9/2022). 57 S. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 182. 58 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 730 BGB Rz. 46; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1705 (Stand: 84. EL 9/2022). 59 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 183. 60 Hadding/Kießling in Soergel, Vor § 730 BGB Rz. 17. 61 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 730 BGB Rz. 46; Hadding/Kießling in Soergel, Vor § 730 BGB Rz. 17. Richter | 551
§ 735 BGB Rz. 29 | Rechtsfähige Gesellschaft Liquidators ist hiernach durch mehrheitlichen Beschluss möglich;62 (nur) für diesen Beschluss muss der Gesellschaftsvertrag jedoch eine konkret gefasste Klausel vorsehen (§ 736 BGB Rz. 10). Für andere Beschlüsse, mit denen von den gesetzlichen Regeln abgewichen werden soll, reicht demnach eine allgemeine Mehrheitsklausel.63 30 Die Möglichkeit der Gesellschafter, frei über die Art der Abwicklung zu entscheiden, wird
durch das Zustimmungserfordernis für zwei bestimmte Konstellationen eingeschränkt: Sieht der Gesellschaftsvertrag (ausnahmsweise) vor, dass der Privatgläubiger eines Gesellschafters, der dessen Anteil gepfändet hat, nicht nur dessen Mitgliedschaft gem. §§ 723 Abs. 1 Nr. 4, 726 BGB (§ 726 BGB Rz. 1), sondern sogar die gesamte Gesellschaft kündigen kann, ergibt sich für diesen Gläubiger ein Vetorecht: Eine von §§ 735 ff. BGB abweichende Abwicklung kann gem. Abs. 2 Satz 2 nur mit seiner Zustimmung erfolgen. Entsprechendes gilt, wenn ein Gesellschafter formell insolvent wurde und hieran vertraglich die Gesellschaftsauflösung geknüpft wurde (§ 729 BGB Rz. 11). In diesem Fall kann vom gesetzlichen Liquidationsverfahren nur abgewichen werden, wenn der Insolvenzverwalter dem zustimmt, weil er sich hiervon eine bessere Gläubigerbefriedigung verspricht. Wurde im Insolvenzverfahren die Eigenverwaltung durch den insolventen Gesellschafter angeordnet, so muss dieser gem. Abs. 2 Satz 3 seine Zustimmung erteilen, wobei seine Entscheidung ebenfalls an den Interessen seiner Gläubiger auszurichten ist. In den genannten Konstellationen greift das Zustimmungserfordernis nur, wenn durch nachträglichen Beschluss vom gesetzlichen Liquidationsverfahren abgewichen werden soll; für den Fall, dass schon der Gesellschaftsvertrag abweichende Regeln vorsieht, steht dem Insolvenzverwalter oder dem kündigenden Privatgläubiger kein Vetorecht zu.64 Zusätzliche praktische Bedeutung erlangt Abs. 2 Satz 2, weil die Norm (analog) auch dann anzuwenden ist, wenn die Gesellschaft nicht wegen der Insolvenz eines Gesellschafters, sondern aus einem anderem Grund aufgelöst wurde und einer der Gesellschafter während der Liquidationsphase insolvent wird.65 31 Vom Gesetz abweichende Regelungen kommen zum einen für die Gestaltung des gesell-
schaftsrechtlichen Innenverhältnis in Betracht, etwa zu der Frage, welche Personen zu Liquidatoren berufen sein sollen (§ 736 BGB Rz. 10). Möglich ist es aber auch, die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis der Liquidatoren zu gestalten,66 so dass die Regelung auch im Außenverhältnis Wirkung entfaltet. Wie immens die Auswirkungen gesetzesabweichender Regelungen im Außenverhältnis sein können, wird besonders augenfällig an der Gestaltbarkeit der Befriedigungsreihenfolge: Nach gesetzlicher Konzeption besteht ein Vorrang der Gläubigerbefriedigung, so dass (nach der „Aussonderung“, § 736d BGB Rz. 8) zunächst die Forderungen der Gesellschaftsgläubiger beglichen werden müssen, bevor die Gesellschafter ihre Einlagen zurück- bzw. sonstige Zahlungen erhalten dürfen. Zwar gab der MoPeG-Gesetzgeber an, man wolle die Frage der Gestaltbarkeit dieser Vorschriften der Klärung durch die Rechtsprechung vorbehalten,67 gleichzeitig ging man jedoch positiv davon aus, dass die Gesellschafter durchaus eine Vereinbarung treffen könnten, die im Außenverhältnis wirkt und „Gläubigerschutzvorschriften wie zum Beispiel das Recht auf vorrangige Gläubigerbefriedi-
62 Auch aus § 736d Abs. 1 BGB ergibt sich, dass derartige Mehrheitsbeschlüsse im und über das Liquidationsverfahren möglich sind (§ 736d BGB Rz. 6). 63 Eine allgemeine Mehrheitsklausel ist ebenfalls ausreichend für den Beschluss zur Gesellschaftsfortsetzung (vgl. § 734 BGB Rz. 13), die sich auch als eine vom Gesetz abweichende Art der Abwicklung darstellt. 64 Vgl. Habersack in Staub, § 145 HGB Rz. 30; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 145 HGB Rz. 51. 65 S. hierzu Habersack in Staub, § 145 HGB Rz. 28. 66 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 183; Hadding/Kießling in Soergel, § 730 BGB Rz. 5. 67 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 183.
552 | Richter
Liquidatoren | § 736 BGB
gung […] tangieren kann.“68 Die besseren Gründe sprechen für die umfassende Gestaltbarkeit (§ 736d BGB Rz. 29). Eine besonders wichtige Form der Abwicklung liegt in der Möglichkeit der Unternehmens- 32 übertragung: Betreibt die GbR ein Unternehmen, dürfte es häufig besonders lukrativ sein, die (klein-)unternehmerische Einheit trotz der Gesellschaftsauflösung zu erhalten und alle hiermit zusammenhängenden Assets en bloc zu übertragen. Nicht selten wird das zusammenhängende, funktionierende Unternehmen als „lebende Einheit“ einen höheren Wert haben als die Summe seiner Einzelteile. In einem solchen Fall liegt es nahe, das Unternehmen nicht zu zerschlagen und alle Bestandteile zu liquidieren, sondern es als Ganzes zu veräußern.69 Eine solche Art der Abwicklung ist jedoch, entgegen der herrschenden Sicht,70 nicht als vom Gesetz abweichende Verwertungsart anzusehen, so dass auch kein Zustimmungsvorbehalt nach Abs. 2 Satz 2 (Rz. 30) besteht. Bei einer solchen Verwertung wird schlicht das Gesellschaftsvermögen in Geld umgesetzt, wie dies in § 736d Abs. 2 Satz 2 BGB vorgesehen ist.71 Zwar hat der Gesetzgeber diese Verwertungsart ausdrücklich als eine (zustimmungsbedürftige) Abweichung vom gesetzlichen Abwicklungsverfahren angesehen;72 dies überzeugt inhaltlich jedoch nicht: Die Veräußerung der Vermögensgegenstände ist die (gesetzes-)typische Art der Gesellschaftsliquidation; dass diese en bloc erfolgt, ändert hieran nichts.73 Anders sind jedoch Situationen zu beurteilen, bei denen die Übertragung auf anderem Wege als durch einen kaufweisen Asset Deal erfolgt: Die reale Aufteilung des Unternehmens auf die Gesellschafter, die Herbeiführung einer Gesamtrechtsnachfolge durch Anteilsübertragung oder die Einbringung des Unternehmens als Sacheinlage in eine andere Gesellschaft stellen jeweils zustimmungsbedürftige Formen einer Unternehmensübernahme dar.74
§ 736 BGB Liquidatoren (1) Zur Liquidation sind alle Gesellschafter berufen. (2) Ist über das Vermögen eines Gesellschafters das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt worden, tritt dieser an die Stelle des Gesellschafters. (3) Mehrere Erben eines Gesellschafters haben einen gemeinsamen Vertreter zu bestellen.
68 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 182; dass die eine Aussage bzgl. der gesellschaftsvertraglichen Gestaltung getroffen wurde und die andere Aussage die Gestaltung per Beschluss betrifft, dürfte angesichts der Äquivalenz dieser Gestaltungsarten nicht von Belang sein. 69 Westermann in Erman, § 730 BGB Rz. 16 ff.; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1707 (Stand: 84. EL 9/2022). 70 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 730 BGB Rz. 86; Westermann in Erman, § 730 BGB Rz. 16; zur parallelen Regelung des Handelsrechts etwa K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 145 HGB Rz. 40; Roth in Hopt, § 145 HGB Rz. 10; Kamanabrou in Oetker, § 145 HGB Rz. 16; Hillmann in E/B/J/S, § 145 HGB Rz. 24. 71 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1707 (Stand: 84. EL 9/2022); Habersack in Staub, § 145 HGB Rz. 35. 72 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 182: Beispiel für den Anwendungsbereich des Abs. 2 sei u.a. „die Übertragung des Unternehmens in Einzelrechtsnachfolge auf einen Dritten“. 73 A.A. Schäfer in MünchKomm/BGB, § 730 BGB Rz. 86. 74 Habersack in Staub, § 145 HGB Rz. 36; Westermann in Erman, § 730 BGB Rz. 16; Hillmann in E/ B/J/S, § 145 HGB Rz. 22 ff. Diese Verwertungsarten werden ebenfalls vom Gesetzgeber (vorvorherige Fn.) – insofern dann auch zutreffend – unter den Zustimmungsvorbehalt gestellt. Richter | 553
Liquidatoren | § 736 BGB
gung […] tangieren kann.“68 Die besseren Gründe sprechen für die umfassende Gestaltbarkeit (§ 736d BGB Rz. 29). Eine besonders wichtige Form der Abwicklung liegt in der Möglichkeit der Unternehmens- 32 übertragung: Betreibt die GbR ein Unternehmen, dürfte es häufig besonders lukrativ sein, die (klein-)unternehmerische Einheit trotz der Gesellschaftsauflösung zu erhalten und alle hiermit zusammenhängenden Assets en bloc zu übertragen. Nicht selten wird das zusammenhängende, funktionierende Unternehmen als „lebende Einheit“ einen höheren Wert haben als die Summe seiner Einzelteile. In einem solchen Fall liegt es nahe, das Unternehmen nicht zu zerschlagen und alle Bestandteile zu liquidieren, sondern es als Ganzes zu veräußern.69 Eine solche Art der Abwicklung ist jedoch, entgegen der herrschenden Sicht,70 nicht als vom Gesetz abweichende Verwertungsart anzusehen, so dass auch kein Zustimmungsvorbehalt nach Abs. 2 Satz 2 (Rz. 30) besteht. Bei einer solchen Verwertung wird schlicht das Gesellschaftsvermögen in Geld umgesetzt, wie dies in § 736d Abs. 2 Satz 2 BGB vorgesehen ist.71 Zwar hat der Gesetzgeber diese Verwertungsart ausdrücklich als eine (zustimmungsbedürftige) Abweichung vom gesetzlichen Abwicklungsverfahren angesehen;72 dies überzeugt inhaltlich jedoch nicht: Die Veräußerung der Vermögensgegenstände ist die (gesetzes-)typische Art der Gesellschaftsliquidation; dass diese en bloc erfolgt, ändert hieran nichts.73 Anders sind jedoch Situationen zu beurteilen, bei denen die Übertragung auf anderem Wege als durch einen kaufweisen Asset Deal erfolgt: Die reale Aufteilung des Unternehmens auf die Gesellschafter, die Herbeiführung einer Gesamtrechtsnachfolge durch Anteilsübertragung oder die Einbringung des Unternehmens als Sacheinlage in eine andere Gesellschaft stellen jeweils zustimmungsbedürftige Formen einer Unternehmensübernahme dar.74
§ 736 BGB Liquidatoren (1) Zur Liquidation sind alle Gesellschafter berufen. (2) Ist über das Vermögen eines Gesellschafters das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt worden, tritt dieser an die Stelle des Gesellschafters. (3) Mehrere Erben eines Gesellschafters haben einen gemeinsamen Vertreter zu bestellen.
68 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 182; dass die eine Aussage bzgl. der gesellschaftsvertraglichen Gestaltung getroffen wurde und die andere Aussage die Gestaltung per Beschluss betrifft, dürfte angesichts der Äquivalenz dieser Gestaltungsarten nicht von Belang sein. 69 Westermann in Erman, § 730 BGB Rz. 16 ff.; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1707 (Stand: 84. EL 9/2022). 70 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 730 BGB Rz. 86; Westermann in Erman, § 730 BGB Rz. 16; zur parallelen Regelung des Handelsrechts etwa K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 145 HGB Rz. 40; Roth in Hopt, § 145 HGB Rz. 10; Kamanabrou in Oetker, § 145 HGB Rz. 16; Hillmann in E/B/J/S, § 145 HGB Rz. 24. 71 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1707 (Stand: 84. EL 9/2022); Habersack in Staub, § 145 HGB Rz. 35. 72 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 182: Beispiel für den Anwendungsbereich des Abs. 2 sei u.a. „die Übertragung des Unternehmens in Einzelrechtsnachfolge auf einen Dritten“. 73 A.A. Schäfer in MünchKomm/BGB, § 730 BGB Rz. 86. 74 Habersack in Staub, § 145 HGB Rz. 36; Westermann in Erman, § 730 BGB Rz. 16; Hillmann in E/ B/J/S, § 145 HGB Rz. 22 ff. Diese Verwertungsarten werden ebenfalls vom Gesetzgeber (vorvorherige Fn.) – insofern dann auch zutreffend – unter den Zustimmungsvorbehalt gestellt. Richter | 553
§ 736 BGB Rz. 1 | Rechtsfähige Gesellschaft (4) 1Durch Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag oder durch Beschluss der Gesellschafter können auch einzelne Gesellschafter oder andere Personen zu Liquidatoren berufen werden. 2Das Recht, einen solchen Liquidator nach § 736a Absatz 1 Satz 1 zu berufen, bleibt unberührt. (5) Hat nach dem Gesellschaftsvertrag die Mehrheit der Stimmen zu entscheiden, gilt dies im Zweifel nicht für die Berufung und Abberufung eines Liquidators. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Die Liquidatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Liquidatoren nach gesetzlicher Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Privatautonome Bestimmung der Liquidatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesellschaftsvertragliche Festlegung der Liquidatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Berufung von Liquidatoren durch (Mehrheits-)Beschluss . . . . . . . . . . . . . . . 10 3. Besonderheiten bei Bestimmung eines Drittliquidators . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 IV. Abberufung von Liquidatoren . . . . . . . . 13
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I. Die Liquidatoren 1 Die Durchführung des Abwicklungsverfahrens obliegt dem Kreis der Liquidatoren, der im
gesetzlichen Regelfall mit dem Kreis der Gesellschafter identisch ist (Rz. 2). Diese Bezeichnung ist zwar nicht ganz exakt, wenn die Gesellschaft nicht im eigentlichen Sinne liquidiert, sondern auf andere Art abgewickelt wird; gleichwohl kann entsprechend der gesetzlichen Terminologie einheitlich von Liquidatoren gesprochen werden. Die Liquidation obliegt grundsätzlich den Gesellschaftern gemeinschaftlich („mitgliedschaftliches Pflichtrecht“1). Der Gesellschaftsvertrag oder ein Gesellschafterbeschluss kann eine abweichende Bestimmung der Liquidatoren vorsehen; ebenso gibt es bei der eingetragenen Gesellschaft die Möglichkeit, eine gerichtliche Berufung oder Abberufung von Liquidatoren zu erwirken (§ 736a BGB Rz. 1). Zur Übernahme und Erfüllung dieser Tätigkeit sind die Gesellschafter einander verpflichtet,2 eine Vergütung steht ihnen grds. nicht zu, abweichende vertragliche Regeln sind jedoch möglich.3 Neben die Gesellschafter (oder an deren Stelle) können auch andere Personen treten und die Liquidation übernehmen; solche Drittliquidatoren haben regelmäßig Anspruch auf Vergütung und Aufwendungsersatz (Rz. 12). In jedem Fall haben die Liquidatoren die Weisungen der Gesellschafter zu befolgen (§ 736d BGB Rz. 3 ff.).
II. Liquidatoren nach gesetzlicher Konzeption 2 Soweit die Gesellschafter keine abweichende Regelung treffen, sind gem. § 736 Abs. 1 BGB
alle Gesellschafter gemeinschaftlich zur Liquidation der Gesellschaft berufen. Unabhängig davon, ob die werbende GbR vor ihrer Auflösung ebenfalls durch alle Gesellschafter gemeinsam geleitet und vertreten worden war oder ob einzelne Gesellschafter von Geschäftsführung und Vertretung ausgeschlossen waren, werden mit der Auflösung grundsätzlich alle Gesellschafter zu Liquidatoren bestimmt. Eine gesellschaftsvertragliche Regelung, die für die werbende Gesellschaft getroffen wurde, gilt im Zweifel nicht für die Liquidationsgesellschaft 1 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 183. 2 Habersack in Staub, § 146 HGB Rz. 21; Roth in Hopt, § 146 HGB Rz. 3. 3 K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 146 HGB Rz. 10; ohne besondere vertragliche Grundlage gilt der Grundsatz des § 715 Abs. 1 BGB, vgl. auch Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 185.
554 | Richter
Liquidatoren | Rz. 4 § 736 BGB
fort.4 Hintergrund dieser Regelung ist die Tatsache, dass die Gesellschafter vom Moment der Auflösung an nicht mehr einem gemeinsamen Ziel verpflichtet sind, das sie kooperativ verfolgen würden, sondern im Zweifel ein Interesse daran haben, selbst auf die Abwicklung einwirken und sich dabei gegenseitig kontrollieren zu können.5 Der Kreis der Liquidatoren kann jedoch durch die Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag (Rz. 8) oder in Beschlüssen (Rz. 10) sowie durch gerichtliche Entscheidung (§ 736a BGB Rz. 1) abweichend bestimmt werden. Problematisch ist die Grundsatzregelung des § 736 Abs. 1 BGB für die Publikums-GbR, an 3 der eine unüberschaubare Zahl von Gesellschaftern beteiligt ist. Für diese wurde zum alten Recht z.T. vertreten, dass – anders als sonst – auch ohne entsprechende gesellschaftsvertragliche Regelung bzw. Beschlussfassung nicht alle Gesellschafter, sondern nur die bisherigen Geschäftsführer zur Abwicklung berufen seien.6 Dies entsprach der zur Publikums-KG bestehenden herrschenden Meinung.7 Unabhängig davon, ob diese Sichtweise zum alten GbRoder KG-Recht überzeugen konnte, dürfte sie nach der Gesetzesreform nicht mehr zu vertreten sein: Zum einen hat sich der Gesetzgeber nunmehr dem Problem für die Kommanditgesellschaft angenommen und (nur) hier angeordnet, dass die Kommanditisten nicht zu Liquidation berufen sind (§ 178 HGB Rz. 1). Zum anderen hat er im BGB mit § 736a Abs. 1 Satz 1 BGB bewusst einen Weg eröffnet, wie mit den praktischen Problemen in der PublikumsGbR umzugehen ist (§ 736a BGB Rz. 5).8 Eine ggf. konkludente und durch Auslegung zu ermittelnde abweichende Regelung ist selbstverständlich weiterhin möglich (Rz. 8) und bei der Publikumsgesellschaft i.d.R. zu erwarten. Sollte einer der Gesellschafter während der Liquidationsphase der Gesellschaft formell insol- 4 vent sein, so ist er nach der Vorgabe des § 736 Abs. 2 BGB von der Ausübung des Liquidatorenamtes ausgeschlossen; an seine Stelle tritt der Insolvenzverwalter, der das Gesellschaftervermögen und damit auch den Gesellschaftsanteil verwaltet. Dieser übt die Rechte für den insolventen Gesellschafter aus;9 die Regelung stellt sicher, dass die Befugnisse, die sich aus dem Amt des Liquidators ergeben, an den Interessen der (Insolvenz-)Gläubiger ausgerichtet sind. Zu dieser Situation kommt es zum einen, wenn die Insolvenz des Gesellschafters ausnahmsweise als Auflösungsgrund für die GbR festgelegt wurde (§ 729 BGB Rz. 11). Aber auch wenn die Gesellschaft aus einem anderen Grund aufgelöst und anschließend das Insolvenzverfahren über das Vermögen eines Gesellschafters eröffnet wurde, kommt Abs. 2 zur Anwendung. Für den Fall, dass im Insolvenzverfahren die Eigenverwaltung durch den Gesellschafter gem. § 270 InsO angeordnet wurde, trifft § 736 BGB (anders als § 735 Abs. 2 S. 2 BGB, § 735 BGB Rz. 30) keine ausdrückliche Regelung. Da Abs. 2 jedoch beide Aspekte kumulativ voraussetzt (Insolvenzeröffnung und Bestellung eines Insolvenzverwalters) und eine
4 OLG Köln v. 29.5.1995 – 19 U 83/94, WM 1995, 1881; Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 730 BGB Rz. 12. 5 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 183; vgl. auch BGH v. 5.7.2011 – II ZR 199/10, ZIP 2011, 1865, 1867 Rz. 20. 6 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 730 BGB Rz. 40, der sich für eine analoge Anwendung von § 265 Abs. 1 AktG „im Interesse einer zügigen und praktikablen Liquidation“ ausspricht; so auch LG Nürnberg-Fürth v. 25.6.2010 – 15 S 2130/10, NZG 2010, 1101; vgl. aber BGH v. 5.7.2011 – II ZR 199/10, ZIP 2011, 1865, 1866 Rz. 18 ff. 7 BGH v. 2.6.2003 – II ZR 102/02, BGHZ 155, 121 = ZIP 2003, 1338; Habersack in Staub, § 146 HGB Rz. 13; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 146 HGB Rz. 15; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1712a (Stand: 84. EL 9/2022); abweichend Grunewald in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2011, 2012, S. 42 f. 8 S. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 184: Für die gerichtliche Bestimmung der Liquidatoren könne „insbesondere bei einer Publikumsgesellschaft ein Bedürfnis bestehen“. 9 K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 146 HGB Rz. 46; im Anschluss hieran auch Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 183. Richter | 555
§ 736 BGB Rz. 4 | Rechtsfähige Gesellschaft Eigenverwaltung stets ohne Bestellung eines Insolvenzverwalters erfolgt, bleibt es bei der Anwendung von Abs. 1: Der eigenverwaltende Gesellschafter übt (unter Aufsicht eines Sachwalters) das Amt des Liquidators selbst aus. 5 Ist einer der Gesellschafter verstorben und wurde die Gesellschaft deshalb (§ 729 BGB Rz. 25)
oder zuvor aus anderen Gründen aufgelöst, so geht der Gesellschaftsanteil des Erblassers ungeteilt auf seine Erben über. Das mitgliedschaftliche Pflichtrecht des Liquidators hätten die Erben grds. nach § 2038 Abs. 1 BGB gemeinsam auszuüben. Weil dies den Interessen der anderen Mitgesellschafter an einer möglichst zügigen Liquidation widersprechen würde,10 ordnet § 736 Abs. 3 BGB an, dass die Erben einen gemeinsamen Vertreter zu bestellen haben. Die Beschlussfassung über die Person des Vertreters kann innerhalb der Erbengemeinschaft mit Stimmenmehrheit erfolgen (§ 2038 Abs. 2 Satz 1, § 745 Abs. 1 BGB); bestellt werden kann nicht nur einer der Miterben, sondern auch einer der anderen Gesellschafter oder ein unbeteiligter Dritter.11 Kommen die Erben dieser Pflicht nicht nach, machen sie sich ersatzpflichtig,12 i.d.R. wird die Liquidationsgesellschaft deshalb jedoch nicht handlungsunfähig: Die gemeinschaftliche Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis (§ 736b BGB Rz. 1) umfasst lediglich die aktuell zur Liquidation berufenen Personen, weshalb die Mitgesellschafter auch ohne den zu bestellenden Vertreter handeln können.13
III. Privatautonome Bestimmung der Liquidatoren 6 Nach § 736 Abs. 4 Satz 1 BGB können die Gesellschafter durch Vereinbarung im Gesell-
schaftsvertrag oder durch Beschluss festlegen, dass nicht alle, sondern lediglich einzelne Gesellschafter oder (abweichend vom sonst geltenden Grundsatz der Selbstorganschaft, § 715 BGB Rz. 14) außenstehende Personen (Rz. 12) zu Liquidatoren berufen werden. Auch hier zeigt sich, dass das Liquidationsverfahrens durch die Gesellschafter weitgehend frei ausgestaltet werden kann; die spezielle Normierung hat vor allem klarstellende Funktion.14 Nicht abdingbar ist allerdings die Möglichkeit, einen Liquidator (bei einer eingetragenen GbR) durch gerichtliche Entscheidung berufen bzw. abberufen zu lassen (§ 736a BGB Rz. 2); dies wird sowohl in § 736 Abs. 4 Satz 2 BGB als auch in § 736a Abs. 1 Satz 2 BGB klargestellt. 7 Der Gesetzestext beschränkt sich darauf, die positive Wirkung der Liquidatorenberufung her-
vorzuheben. Eine Berufung hat jedoch auch immer eine negativ wirkende Komponente, die das Gesetz mitdenkt, aber nicht ausdrücklich ausspricht: Werden aus dem Kreis der Gesellschafter nur einzelne Gesellschafter zu Liquidatoren benannte, dann liegt hierin gleichzeitig der Ausschluss aller nichtbenannten Gesellschafter von diesem Amt. Entsprechendes gilt, wenn (nur) außenstehende Dritte berufen werden.15 Eine gesetzliche Lücke besteht hinsichtlich der späteren Abberufung eines zunächst berufenen Liquidators; auch diese Kompetenz kommt – trotz fehlender ausdrücklicher Normierung – den Gesellschaftern zu (Rz. 13).
10 So Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 184; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1715a (Stand: 84. EL 9/2022). 11 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1715a (Stand: 84. EL 9/2022). 12 Habersack in Staub, § 146 HGB Rz. 28. 13 Vgl. zum früheren (Handels-)Recht K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 146 HGB Rz. 24; Habersack in Staub, § 146 HGB Rz. 28. 14 S. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 184: Die Gestaltbarkeit ergebe sich „an sich“ aus § 735 Abs. 3 BGB. 15 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 184; zur Bedeutung dieser Befugnisentziehung per Mehrheitsentscheid vgl. Schäfer in MünchKomm/BGB, § 730 BGB Rz. 47.
556 | Richter
Liquidatoren | Rz. 11 § 736 BGB
1. Gesellschaftsvertragliche Festlegung der Liquidatoren Durch den Gesellschaftsvertrag, der ganz grundlegende oder spezielle Weichenstellungen für 8 das Abwicklungsverfahren vornehmen kann (§ 735 BGB Rz. 27 ff.), lässt sich vorab bestimmen, welche Personen die Liquidation übernehmen sollen. Eine Regelung, die vorsieht, dass nicht alle, sondern nur einzelne Gesellschafter die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis innehaben sollen, gilt zwar im Zweifel nicht über den Zeitpunkt der Auflösung fort (Rz. 2); wenn die Auslegung der vertraglichen Regelung allerdings ergibt, dass auch das Liquidationsverfahren umfasst sein soll, liegt hierin – mangels Zweifel – eine Festlegung der Liquidatoren i.S.d. § 736 Abs. 4 Satz 1 BGB. Insbesondere bei den gesellschaftsvertraglichen Regelungen einer Publikumsgesellschaft dürften derartige Zweifel selten sein (Rz. 3). Sieht der Gesellschaftsvertrag lediglich vor, dass die Liquidatoren durch Gesellschafterbe- 9 schluss (Rz. 10 f.) bestimmt werden sollen, stellt sich die umstrittene Frage, wer bis zu dieser Beschlussfassung geschäftsführungs- und vertretungsbefugt ist. Um eine „führungslose“ (Liquidations-)Gesellschaft zu vermeiden, dürfte hier auf § 736 Abs. 1 BGB zurückzugreifen sein: Solange keine abweichende Bestimmung getroffen wurde, bleibt es bei der allgemeinen Anordnung, dass alle Gesellschafter gemeinschaftlich zur Liquidation berufen sind.16 Entsprechendes dürfte gelten, wenn alle Gesellschafter durch vertragliche Regelung vom Liquidatorenamt ausgeschlossen und ein außenstehender Dritter benannt wird, solange dieser sein Amt nicht angenommen hat (Rz. 12).
2. Berufung von Liquidatoren durch (Mehrheits-)Beschluss Die Liquidatoren können auch noch nach der Gesellschaftsauflösung abweichend von § 736 10 Abs. 1 BGB durch Beschluss bestimmt werden. Angesichts der Tatsache, dass die Gesellschafter im Liquidationsstadium nicht mehr einem gemeinsamen Ziel verpflichtet sind, das sie kooperativ verfolgen würden (Rz. 2), kann dieser Beschluss im Grundsatz nur einstimmig getroffen werden.17 Der Gesellschaftsvertrag kann allerdings eine Mehrheitsentscheidung vorsehen. Dies erkennt auch § 736 Abs. 5 BGB an und trifft diesbezüglich eine Zweifelsregelung: Enthält der Gesellschaftsvertrag lediglich eine allgemeine Mehrheitsklausel, die nicht speziell auf die Beschlussfassung über die Liquidatoren gerichtet ist, so reicht diese Regelung im Zweifel nicht für die hier relevante Entscheidung aus. Lässt sich jedoch durch Auslegung erkennen, dass gerade auch diese Entscheidung durch die Mehrheit getroffen werden kann, bleibt für die Regelung des Abs. 5 kein Raum.18 Für die Bestimmung der notwendigen Mehrheit gelten die allgemeinen Grundsätze (§ 714 BGB Rz. 69 ff.). An der Beschlussfassung über die Liquidatoren sind ausweislich des Gesetzeswortlauts 11 (Abs. 4 Satz 1) grds. lediglich die Gesellschafter beteiligt. Allerdings sind auch hier die allgemeinen Grundsätze anzuwenden, die auch in den Abs. 2 und 3 durchscheinen: Der Insolvenzverwalter eines Gesellschafters tritt „an die Stelle“ des Schuldners (s. § 80 Abs. 1 InsO), die Erben rücken in die Rechtsstellung des verstorbenen Gesellschafters ein. Weil es bei der Entscheidung nach § 736 Abs. 4 Satz 1 BGB um die Ausübung mitgliedschaftsrechtlicher Befugnisse geht, sind diese Personen an der Beschlussfassung über die Liquidatoren zu beteiligen. Ein dem § 735 Abs. 2 Satz 2 BGB entsprechendes Vetorecht wird hingegen nicht ein16 So bereits zum alten Recht Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1716 (Stand: Stand: 84. EL 9/2022); Habersack in Staub, § 146 HGB Rz. 18; anders etwa K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 146 HGB Rz. 12. 17 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 730 BGB Rz. 47; Hillmann in E/B/J/S, § 146 HGB Rz. 9. 18 Vgl. zur alten Rechtslage auch BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, ZIP 2014, 2231, 2233 Rz. 13 ff.; s. auch BGH v. 17.9.2013 – II ZR 68/11, NZG 2014, 302, 305 Rz. 33 ff. (eine auf Vertragsänderungen bezogene Mehrheitsklausel genügt). Richter | 557
§ 736 BGB Rz. 11 | Rechtsfähige Gesellschaft geräumt. Gänzlich unbeteiligt an der Beschlussfassung ist der pfändende Privatgläubiger eines Gesellschafters (§ 729 BGB Rz. 26), der allerdings ebenfalls Verfahrensbeteiligter ist und deshalb (bei der eGbR) die Möglichkeit hat, eine gerichtliche (Ab-)Berufung von Liquidatoren zu beantragen (§ 736a BGB Rz. 8).
3. Besonderheiten bei Bestimmung eines Drittliquidators 12 Die Liquidationsgesellschaft kann, abweichend vom sonst geltenden Grundsatz der Selbst-
organschaft (§ 715 BGB Rz. 14), nicht nur von den Gesellschaftern, sondern zusätzlich oder ausschließlich durch externe Personen geleitet werden. Wird ein solcher Drittliquidator durch den Gesellschaftsvertrag oder durch Beschluss bestimmt, so bedarf es seiner Mitwirkung; der Dritte muss also erklären, dass er die Bestellung annimmt.19 Von diesem „zweiseitigen“ Bestellungsakt zu unterscheiden ist die Begründung des Schuldverhältnisses zwischen Gesellschaft und Drittem: Typischerweise wird mit dem Drittliquidator ein Geschäftsbesorgungs- bzw. Dienstvertrag geschlossen,20 aus dem sich nicht nur dessen Pflicht zur Annahme der Bestellung und zur Gesellschaftsabwicklung ergibt, sondern auch ein Anspruch auf angemessene Vergütung.21 Vertreten wird die Liquidationsgesellschaft bei dem Abschluss dieses Vertrages durch ihre Liquidatoren, also – da (noch) § 736 Abs. 1 BGB fortwirkt – durch alle Gesellschafter gemeinschaftlich.22 Wurde die Bestellung mehrheitlich beschlossen (Rz. 10), sind auch die dissentierenden Gesellschafter zur Mitwirkung verpflichtet. Legt der Drittliquidator sein Amt nieder oder verstirbt er, so sind, falls keine weiteren Liquidatoren berufen waren,23 grds. wieder alle Gesellschafter gemeinschaftlich zur Liquidation berufen.
IV. Abberufung von Liquidatoren 13 Die Gesellschafter haben allgemein das Recht, während der Gesellschaftsabwicklung die Per-
son des Liquidators zu bestimmen und damit auch diesen auszuwechseln. Zwar spricht § 736 Abs. 4 BGB ausdrücklich lediglich davon, dass Liquidatoren berufen werden können; der „actus contrarius“ einer Abberufung obliegt den Gesellschaftern jedoch ebenfalls. Dies ergibt sich bereits aus ihrer allgemeinen Stellung als „Herren des Liquidationsverfahrens“24, deutlich wird dies aber auch in § 736 Abs. 5 BGB, der die (ggf. mehrheitliche) Beschlussfassung bzgl. der „Berufung und Abberufung eines Liquidators“ regelt (Rz. 10). 14 Die Abberufung eines Liquidators kann, anders als nach früherem Handelsrecht, allein durch
die (Mehrheit der) Gesellschafter beschlossen werden: § 147 HGB a.F., der für § 736 Abs. 5 BGB i.Ü. Pate stand, sah vor, dass eine Abberufung nur durch einstimmigen Beschluss aller Verfahrensbeteiligten erfolgen konnte.25 Nunmehr liegt die Kompetenz allein bei den Gesellschaftern (allerdings unter Berücksichtigung von Abs. 2 und 3, Rz. 4 f., Rz. 11). Zudem 19 Habersack in Staub, § 146 HGB Rz. 21. 20 Habersack in Staub, § 146 HGB Rz. 21; Klöhn in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 149 HGB Rz. 5; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1722 (Stand: 84. EL 9/2022). 21 Die gesetzlich in § 736a Abs. 3 BGB angeordnete Vergütung betrifft nur den gerichtlich bestellten Drittliquidator (§ 736a BGB Rz. 13). 22 Habersack in Staub, § 146 HGB Rz. 21. 23 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1722 (Stand: 84. EL 9/2022). 24 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 186; so auch K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 152 HGB Rz. 1. 25 Allerdings war diese Vorgabe nach herrschender Meinung dispositiv (K. Schmidt in MünchKomm/ HGB, § 147 HGB Rz. 15), so dass i.E. nur geringe Unterschiede zur lex lata bestehen.
558 | Richter
Gerichtliche Berufung und Abberufung von Liquidatoren | § 736a
ist bei Vorliegen einer entsprechenden Mehrheitsklausel (Rz. 10) Einstimmigkeit nicht notwendig. Enthält der Gesellschaftsvertrag eine Klausel, nach der die (positive) Berufung von Liquidatoren mit Mehrheit erfolgen kann, so dürfte dies regelmäßig so auszulegen sein, dass auch die (negative) Abberufung per Mehrheitsbeschluss möglich sein soll. Auch ein Liquidator, der durch gerichtlichen Beschluss zur Abwicklung einer (eingetragenen)26 15 GbR berufen wurde (§ 736a BGB Rz. 1), kann durch Gesellschafterbeschluss abberufen werden; auch ein Mehrheitsbeschluss (Rz. 10) ist grundsätzlich möglich. Die ursprüngliche gerichtliche Berufungsentscheidung, die hiermit rückgängig gemacht würde, beruht jedoch stets auf dem erfolgreichen Antrag eines Beteiligten: Ist die GbR im Register eingetragen, sichert das Gesetz allen Verfahrensbeteiligten das unabdingbare Recht zu, Liquidatoren aus wichtigem Grund durch gerichtliche Entscheidung – auch gegen die Mehrheit der (Mit-)Gesellschafter – berufen zu lassen (§ 736a BGB Rz. 8). Dieses Recht würde leerlaufen, wenn der auf Antrag berufene Liquidator umgehend durch Mehrheitsbeschluss aus seinem Amt entfernt werden könnte. Deshalb ist eine Abberufung des gerichtlich bestellten Liquidators nur mit Zustimmung desjenigen möglich, der die Berufung gem. § 736a Abs. 1 BGB erfolgreich beantragt hatte.27
§ 736a Gerichtliche Berufung und Abberufung von Liquidatoren (1) 1Ist die Gesellschaft im Gesellschaftsregister eingetragen, kann auf Antrag eines Beteiligten ein Liquidator aus wichtigem Grund durch das Gericht, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat, berufen und abberufen werden. 2Eine Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag, welche dieses Recht ausschließt, ist unwirksam. (2) Beteiligte sind: 1. jeder Gesellschafter (§ 736 Absatz 1), 2. der Insolvenzverwalter über das Vermögen des Gesellschafters (§ 736 Absatz 2), 3. der gemeinsame Vertreter (§ 736 Absatz 3) und 4. der Privatgläubiger des Gesellschafters, durch den die zur Auflösung der Gesellschaft führende Kündigung erfolgt ist (§ 735 Absatz 2 Satz 2). (3) 1Gehört der Liquidator nicht zu den Gesellschaftern, hat er Anspruch auf Ersatz der erforderlichen Aufwendungen und auf Vergütung für seine Tätigkeit. 2Einigen sich der Liquidator und die Gesellschaft hierüber nicht, setzt das Gericht die Aufwendungen und die Vergütung fest. 3Gegen die Entscheidung ist die Beschwerde zulässig; die Rechtsbeschwerde ist ausgeschlossen. 4Aus der rechtskräftigen Entscheidung findet die Zwangsvollstreckung nach der Zivilprozessordnung statt. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Gerichtliche (Ab-)Berufung von Liquidatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anwendungsbereich und analoge Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Voraussetzung und Verfahren der gerichtlichen Bestimmung . . . . . . . . . . . . 8 IV. Vergütungs- und Ersatzansprüche der Liquidatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
26 Vgl. zur Situation einer nichteingetragenen GbR § 736a BGB Rz. 6 f. 27 So bereits zum früheren (Handels-)Recht Habersack in Staub, § 147 HGB Rz. 3, 8; Hillmann in E/B/J/S, § 147 HGB Rz. 4; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1720 (Stand: 84. EL 9/2022). Richter | 559
Gerichtliche Berufung und Abberufung von Liquidatoren | § 736a
ist bei Vorliegen einer entsprechenden Mehrheitsklausel (Rz. 10) Einstimmigkeit nicht notwendig. Enthält der Gesellschaftsvertrag eine Klausel, nach der die (positive) Berufung von Liquidatoren mit Mehrheit erfolgen kann, so dürfte dies regelmäßig so auszulegen sein, dass auch die (negative) Abberufung per Mehrheitsbeschluss möglich sein soll. Auch ein Liquidator, der durch gerichtlichen Beschluss zur Abwicklung einer (eingetragenen)26 15 GbR berufen wurde (§ 736a BGB Rz. 1), kann durch Gesellschafterbeschluss abberufen werden; auch ein Mehrheitsbeschluss (Rz. 10) ist grundsätzlich möglich. Die ursprüngliche gerichtliche Berufungsentscheidung, die hiermit rückgängig gemacht würde, beruht jedoch stets auf dem erfolgreichen Antrag eines Beteiligten: Ist die GbR im Register eingetragen, sichert das Gesetz allen Verfahrensbeteiligten das unabdingbare Recht zu, Liquidatoren aus wichtigem Grund durch gerichtliche Entscheidung – auch gegen die Mehrheit der (Mit-)Gesellschafter – berufen zu lassen (§ 736a BGB Rz. 8). Dieses Recht würde leerlaufen, wenn der auf Antrag berufene Liquidator umgehend durch Mehrheitsbeschluss aus seinem Amt entfernt werden könnte. Deshalb ist eine Abberufung des gerichtlich bestellten Liquidators nur mit Zustimmung desjenigen möglich, der die Berufung gem. § 736a Abs. 1 BGB erfolgreich beantragt hatte.27
§ 736a Gerichtliche Berufung und Abberufung von Liquidatoren (1) 1Ist die Gesellschaft im Gesellschaftsregister eingetragen, kann auf Antrag eines Beteiligten ein Liquidator aus wichtigem Grund durch das Gericht, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat, berufen und abberufen werden. 2Eine Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag, welche dieses Recht ausschließt, ist unwirksam. (2) Beteiligte sind: 1. jeder Gesellschafter (§ 736 Absatz 1), 2. der Insolvenzverwalter über das Vermögen des Gesellschafters (§ 736 Absatz 2), 3. der gemeinsame Vertreter (§ 736 Absatz 3) und 4. der Privatgläubiger des Gesellschafters, durch den die zur Auflösung der Gesellschaft führende Kündigung erfolgt ist (§ 735 Absatz 2 Satz 2). (3) 1Gehört der Liquidator nicht zu den Gesellschaftern, hat er Anspruch auf Ersatz der erforderlichen Aufwendungen und auf Vergütung für seine Tätigkeit. 2Einigen sich der Liquidator und die Gesellschaft hierüber nicht, setzt das Gericht die Aufwendungen und die Vergütung fest. 3Gegen die Entscheidung ist die Beschwerde zulässig; die Rechtsbeschwerde ist ausgeschlossen. 4Aus der rechtskräftigen Entscheidung findet die Zwangsvollstreckung nach der Zivilprozessordnung statt. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Gerichtliche (Ab-)Berufung von Liquidatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anwendungsbereich und analoge Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Voraussetzung und Verfahren der gerichtlichen Bestimmung . . . . . . . . . . . . 8 IV. Vergütungs- und Ersatzansprüche der Liquidatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
26 Vgl. zur Situation einer nichteingetragenen GbR § 736a BGB Rz. 6 f. 27 So bereits zum früheren (Handels-)Recht Habersack in Staub, § 147 HGB Rz. 3, 8; Hillmann in E/B/J/S, § 147 HGB Rz. 4; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1720 (Stand: 84. EL 9/2022). Richter | 559
§ 736a Rz. 1 | Rechtsfähige Gesellschaft
I. Gerichtliche (Ab-)Berufung von Liquidatoren 1 § 736a BGB begründet das unentziehbare Recht der Verfahrensbeteiligten, auf eine Umgestal-
tung des Kreises der Liquidatoren hinzuwirken, indem eine gerichtliche Berufung oder Abberufung aus wichtigem Grund (Rz. 10) beantragt wird. Es geht hierbei um (Ausnahme-)Fälle, in denen eine gedeihliche Abwicklung der GbR durch die berufenen Gesellschafter- oder Drittliquidatoren nicht zu erwarten ist.1 Insbesondere bei Publikumsgesellschaften, bei denen weder die Liquidation durch alle Gesellschafter noch eine abweichende Bestimmung durch Gesellschafterbeschluss möglich ist, soll § 736a BGB die Abwicklung sicherstellen. Weil sich die rechtstatsächlichen Verhältnisse einer Publikumsgesellschaft nach Auffassung des Gesetzgebers nicht angemessen im Gesetz abbilden lassen, knüpft das Gesetz nicht an bestimmte Gesellschaftsverhältnisse, sondern an die Registereintragung der Gesellschaft (Rz. 5) an.2 Auch bei der nichteingetragenen GbR besteht aber die Möglichkeit, ein gerichtlichen (Ab-) Berufung zu beantragen (Rz. 6). 2 Die Möglichkeit, Liquidatoren aus wichtigem Grund durch gerichtliche Entscheidung beru-
fen bzw. abberufen zu lassen, ist ein unabdingbares Recht aller Verfahrensbeteiligten. Anders als die meisten gesetzlichen Vorgaben zum Liquidationsverfahren kann die Bestimmung des § 736a Abs. 1 Satz 1 BGB nicht wirksam ausgeschlossen werden; dies wird in Satz 2 ausdrücklich angeordnet, wird aber auch in § 736 Abs. 4 Satz 2 BGB festgestellt. Aus diesem Grund ist es für die Gesellschafter auch nicht möglich, den gerichtlich bestellten Liquidator per Mehrheitsbeschluss abzuberufen, wenn derjenige, der die gerichtliche Bestellung beantragt hatte, nicht zustimmt (s. § 736 BGB Rz. 15). 3 Durch gerichtliche Entscheidung kann jeder Liquidator abberufen werden, unabhängig da-
von, ob dieser sein Amt auf Grundlage von § 736 Abs. 1 BGB innehat oder ob er durch Vertrag, Beschluss oder durch gerichtliche Entscheidung berufen wurde. Zwar halten die Gesetzesmaterialien zur Parallelnorm des HGB fest, dass sich die dort normierte Vorschrift (§ 145 Abs. 1 HGB) im Unterschied zu § 736a Abs. 1 BGB „auch auf die Abberufung solcher Liquidatoren [beziehe], die nicht bereits durch gerichtliche Entscheidung berufen worden sind.“3 Eine derartige Einschränkung der gerichtlichen Kompetenz lässt sich dem BGB jedoch nicht entnehmen; insoweit besteht vielmehr Gleichlauf zwischen § 736a Abs. 1 BGB und § 145 Abs. 1 HGB. 4 Durch die zu beantragende gerichtliche Entscheidung können nicht nur die Personen, die
zur Liquidation berufen sind, bestimmt werden; auch deren Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse können durch das Gericht erweitert oder beschränkt werden (näher hierzu unter § 736b BGB Rz. 9 ff.). Insgesamt soll über § 736a BGB sichergestellt werden, dass die zuvor berufenen Liquidatoren nicht zu Lasten der Gläubiger und der anderen Beteiligten die Abwicklung blockieren oder regelwidrig durchführen.4
II. Anwendungsbereich und analoge Anwendung 5 Unmittelbare Anwendung findet § 736a Abs. 1 Satz 1 BGB dem Wortlaut nach nur auf Ge-
sellschaften, die im Register eingetragen sind (eGbR, § 707 BGB Rz. 13 ff.).5 Hintergrund dieser Regelung ist die Auffassung des Gesetzgebers, dass die gerichtliche (Ab-)Berufung von 1 2 3 4 5
Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 184; Habersack in Staub, § 146 HGB Rz. 33. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 184. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 248. Wertenbruch, JZ 2023, 78, 87. Die Gesetzesmaterialien heben gesondert hervor, dass die im Handelsrecht parallel normierte Möglichkeit zur gerichtlichen (Ab-)Berufung (§ 145 HGB) – anders als bei der GbR – „jederzeit“ bestünde
560 | Richter
Gerichtliche Berufung und Abberufung von Liquidatoren | Rz. 8 § 736a
Liquidatoren in einigen Fällen notwendig ist, um eine vernünftige, effektive Abwicklung zu ermöglichen, während der gerichtliche Eingriff in anderen Fällen, insbesondere wenn nur sehr wenige Gesellschafter beteiligt sind, einen gegenteiligen Effekt haben und die Abwicklung verkomplizieren könnte.6 Besonders offensichtlich ist das Bedürfnis nach einer gerichtlichen Festlegung des Liquidatorenkreises bei Publikumsgesellschaften: Ist an der GbR eine Vielzahl an Personen beteiligt, droht der Abwicklung praktisch die Dauerblockade, wenn (mangels abweichender vertraglicher Regelung, § 736 BGB Rz. 8) alle Gesellschafter zu Liquidatoren berufen sind und (mangels entsprechender Klausel, § 736 BGB Rz. 10) eine privatautonome Bestimmung der Liquidatoren durch Mehrheitsbeschluss nicht möglich ist. Dass in dieser Situation die Möglichkeit einer gerichtlichen (Ab-)Berufung von Liquidatoren bestehen muss, war bereits zum alten Recht unter analoger Anwendung handelsrechtlicher Normen anerkannt.7 Weil der MoPeG-Gesetzgeber aber meinte, dass „sich die rechtstatsächlichen Verhältnisse einer Publikumsgesellschaft nicht angemessen im Gesetz abbilden lassen“8, knüpfte er in § 736a Abs. 1 Satz 1 BGB an ein Ersatzmerkmal an: die Eintragung der GbR im Register. Die Korrelation zwischen Gesellschaften, bei denen die Anwendung von § 736a BGB ange- 6 zeigt und notwendig ist, und solchen, die registriert sind, dürfte (künftig) in der Praxis mutmaßlich – wie vom Gesetzgeber vermutet – relativ hoch sein; ein zwingender Zusammenhang besteht jedoch nicht. Zum einen gibt es nichtregistrierte Gesellschaften, bei denen die Interessenlage vergleichbar mit dem ist, was der Gesetzgeber unter § 736a BGB fassen wollte. Für diese Fälle – etwa die unternehmenstragende GbR – sprechen sich die Gesetzesmaterialien ausdrücklich dafür aus, die Norm analog anzuwenden.9 Zum anderen wird es viele Gesellschaften geben, die zwar als eGbR registriert sind, bei denen aber der Kreis der Gesellschafter überschaubar ist, so dass die gesetzgeberische Befürchtung zum Tragen kommen müsste, dass sich „die Möglichkeit der gerichtlichen Berufung und Abberufung von Liquidatoren […] in ihr bezwecktes Gegenteil verkehren kann.“10 Um die vom Gesetzgeber erkannten Abgrenzungsschwierigkeiten aufzulösen und den hilfs- 7 weisen Rückgriff auf das Ersatzkriterium der Registereintragung obsolet zu machen, sollte diese einschränkende Voraussetzung gestrichen werden. Unabhängig davon, ob die GbR im Register eingetragen ist oder nicht, sollte de lege ferenda ein Antragsrecht der Beteiligten bestehen. Die stets notwendige Entscheidung, ob im konkreten Fall eine gerichtliche (Ab-)Berufung notwendig und gerechtfertigt ist, lässt sich am Tatbestandsmerkmal des „wichtigen Grundes“ (Rz. 10) festmachen: Das Gericht hätte bei jeder Gesellschaft – wie bei der oHG (§ 145 HGB Rz. 9) – zu prüfen, ob die konkrete Zusammensetzung des Liquidatorenkreises eine gedeihliche Durchführung der Abwicklung bedroht.
III. Voraussetzung und Verfahren der gerichtlichen Bestimmung Die Berufung oder Abberufung eines Liquidators durch das Gericht setzt zunächst den An- 8 trag eines Beteiligten (Abs. 2) voraus. Antragsberechtigt ist gem. Nr. 1 jeder Gesellschafter;
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(Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 248), womit die Notwendigkeit der Registrierung nochmals betont wurde. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 184. BGH v. 5.7.2011 – II ZR 199/10, ZIP 2011, 1865, 1867 Rz. 19; unter Verweis u.a. auf Schäfer in MünchKomm/BGB, § 730 BGB Rz. 40; s. auch Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1770a (Stand: 84. EL 9/2022). Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 184. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 184; s. auch Noack in Schäfer, Personengesellschaftsrecht, § 9 Rz. 21. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 184. Richter | 561
§ 736a Rz. 8 | Rechtsfähige Gesellschaft ist einer der Gesellschafter formell insolvent, so ist (wenn keine Eigenverwaltung vorliegt, § 736 BGB Rz. 4) nicht er, sondern sein Insolvenzverwalter nach Nr. 2 antragsberechtigt. Wird die GbR vor oder wegen des Versterbens eines Gesellschafters aufgelöst, so können die Gesellschaftererben selbst einen Antrag stellen (vgl. zu dieser nicht unproblematischen Befugnis § 145 HGB Rz. 6); daneben eröffnet Nr. 3 die Möglichkeit, dass auch der (zwingend zu bestellende, § 736 BGB Rz. 5) gemeinsame Vertreter der Erben einen Antrag stellen kann. Verfahrensbeteiligter und damit antragsberechtigt ist schließlich der Privatgläubiger eines Gesellschafters, der die gesamte GbR gekündigt und damit die Auflösung bewirkt hat. Hierzu kommt es nur im seltenen Ausnahmefall, in dem der Gesellschaftsvertrag eine derartige Kündigungsmöglichkeit für den Privatgläubiger, der einen Gesellschaftsanteil pfändet, vorsieht (§ 729 BGB Rz. 26). Anders als die anderen Verfahrensbeteiligten kann der Privatgläubiger ausschließlich über § 736a BGB auf die Zusammensetzung des Liquidatorenkreises einwirken; an einer (Ab-)Berufung mittels Beschluss ist er nicht zu beteiligen (§ 736 BGB Rz. 11). 9 Der Antrag auf gerichtliche (Ab-)Berufung ist bei dem Gericht zu stellen, in dessen Bezirk die
Gesellschaft ihren Sitz hat. Bei der Entscheidung nach § 736a Abs. 1 BGB handelt es sich um ein unternehmensrechtliches Verfahren gem. § 375 Nr. 17 FamFG, das als Angelegenheit der freiwilligen Gerichtsbarkeit den AG zugewiesen ist (§ 23a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 GVG). Der Antrag ist in der Form des § 25 FamFG zu stellen und kann sich darauf richten, konkret benannte Personen abzuberufen bzw. (ggf. zusätzlich) konkret benannte Liquidatoren zu bestellen. Wird ein derart konkret formulierter Antrag gestellt, so kann das Gericht nicht über dessen Inhalt hinausgehen und bspw. andere, als die genannten Personen (ab-)berufen.11 Der Antrag kann aber auch allgemein gehalten werden, ohne dass die Liquidatoren zahlen- oder personenmäßig bestimmt würden; in diesem Fall besteht gerichtliches Ermessen bei der Entscheidungsfindung,12 das am Ziel der Abwicklung auszurichten ist. Vor seiner Entscheidung hat das Gericht allen Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren, indem es hinreichende Gelegenheit zur Stellungnahme einräumt.13 10 Die materielle Voraussetzung der gerichtlichen Berufung bzw. Abberufung eines Liquidators
ist das diesbezügliche Vorliegen eines wichtigen Grundes. Da durch die gerichtliche Entscheidung erheblich in die Verfahrensherrschaft der Gesellschafter eingegriffen wird, ist eine (Ab-)Berufung nach § 736a Abs. 1 Satz 1 BGB nur dann gerechtfertigt, wenn bei Würdigung aller Umstände nicht zu erwarten ist, dass die Abwicklung durch die (gesetzlich, vertraglich oder per Beschluss festgelegten, s. hierzu Rz. 3) Liquidatoren in gedeihlicher Weise durchgeführt werden kann und wenn zu befürchten ist, dass ohne die gerichtliche Bestimmung erhebliche Nachteile für die GbR oder für einen der Beteiligten eintreten werden.14 Durch die Hürde des wichtigen Grundes lässt sich sicherstellen, dass nur bei solchen Gesellschaften interveniert wird, bei denen auch das Bedürfnis für externe Eingriffe besteht; auf das zusätzliche Merkmal der Registrierung kann und sollte aus diesem Grund de lege ferenda verzichtet werden (Rz. 7). 11 Häufig wird das Vorliegen eines wichtigen Grundes dafürsprechen, einzelne oder mehrere
Liquidatoren zu ersetzen, also gleichzeitig die Abberufung und die Neubestellung zu beschließen.15 Lässt sich die Blockadesituation in einem Liquidationsverfahren jedoch bereits dadurch auflösen, dass lediglich einer der bisherigen Liquidatoren abberufen wird, so ist auf die zusätzliche Berufung eines weiteren Liquidators zu verzichten, weil für diese keine Not11 12 13 14 15
Hillmann in E/B/J/S, § 146 HGB Rz. 17; Habersack in Staub, § 146 HGB Rz. 33. K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 146 HGB Rz. 36. Habersack in Staub, § 146 HGB Rz. 38; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 146 HGB Rz. 37. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 184; Habersack in Staub, § 146 HGB Rz. 33. S. Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1718 (Stand: 84. EL 9/2022).
562 | Richter
Gerichtliche Berufung und Abberufung von Liquidatoren | Rz. 13 § 736a
wendigkeit und damit kein wichtiger Grund vorliegt. Typische Gründe für eine solche Abberufung sind etwa eine mangelhafte oder verzögerte Geschäftsführung in der Vergangenheit, das (tatsächlich gerechtfertigte) Misstrauen in die Redlichkeit oder Unparteilichkeit des Liquidators oder dessen mangelnde Befähigung zur Abwicklung.16 Häufig dürfte der Abberufungsantrag aus einem Zerwürfnis der Gesellschafter resultieren; ist das Verhältnis zwischen den Gesellschaftern so stark belastet, dass eine gemeinsame konstruktive Abwicklung ausgeschlossen scheint, kann es angezeigt sein, alle betroffenen Gesellschafter abzuberufen und einen neutralen Drittliquidator zu bestellen.17 Weniger häufig, aber ebenfalls möglich ist die Bestellung eines Liquidators ohne parallele Abberufung, etwa wenn die Bestellung notwendig ist, um die amtierenden Liquidatoren wegen Überlastung zu unterstützen oder wenn einer der Liquidatoren durch Tod weggefallen ist.18 Der gerichtliche Beschluss ist gem. § 402 Abs. 1 FamFG mit der Beschwerde anfechtbar. 12 Wird der Antrag zurückgewiesen, ist der Antragsteller beschwerdeberechtigt (§ 59 Abs. 2 FamFG); ein stattgebender Beschluss kann von allen angegriffen werden, die durch diesen in ihren Rechten verletzt sein könnten (§ 59 Abs. 1 FamFG), also insbesondere einem abberufenen Liquidator und anderen Beteiligten.19 Betrifft die gerichtliche (Ab-)Berufung eine eGbR, so ist die Änderung von Amts wegen im Register zu verzeichnen (§ 736c BGB Rz. 8).
IV. Vergütungs- und Ersatzansprüche der Liquidatoren Ausdrücklich in § 736a Abs. 3 BGB geregelt sind die Vergütungs- und Aufwendungsersatz- 13 ansprüche von gerichtlich bestellten Drittliquidatoren. Zwar ließen sich auch Drittliquidatoren, die durch einen Beschluss der Gesellschafter berufen wurden (§ 736 BGB Rz. 12) unter den Wortlaut des Abs. 3 fassen; systematisch bezieht sich die Regelung jedoch ausschließlich auf solche Personen, die das Gericht gem. § 736a Abs. 1 BGB berufen hat.20 Diese haben einen Anspruch auf Vergütung ihrer Tätigkeit und auf Ersatz der für diese objektiv erforderlichen Aufwendungen, der sich dem Grunde nach aus Satz 1 ergibt. Über die konkrete Ausgestaltung der Ansprüche sollen grundsätzlich der bestellte Liquidator und die Gesellschaft Einigkeit herstellen, etwa durch Abschluss eines (Dienst-)Vertrages.21 Können diese sich nicht einigen, so sind die Ansprüche auf Antrag einer Seite nach Satz 2 gerichtlich festzusetzen. Zuständig ist das Gericht, das auch die Berufung beschlossen hat (Rz. 9). Gegen dessen Entscheidung ist gem. Satz 3 Halbs. 1 die Beschwerde zulässig; die Rechtsbeschwerde ist jedoch ausgeschlossen (Halbs. 2). Beschwerdeberechtigt sind die Betroffenen, namentlich der gerichtlich bestellte Liquidator und die Liquidationsgesellschaft (§ 59 FamFG). Wird der gerichtliche Beschluss rechtskräftig, kann der Liquidator aus diesem gegen die Gesellschaft vollstrecken; der rechtskräftige Festsetzungsbeschluss ist Vollstreckungstitel gem. § 736a Abs. 3 Satz 4 BGB, § 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO.
16 Habersack in Staub, § 146 HGB Rz. 33; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 146 HGB Rz. 32. 17 KG v. 12.1.1999 – 1 W 7923/98, NZG 1999, 437 f. = GmbHR 1999, 866; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1718a (Stand: 84. EL 9/2022). 18 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1718 (Stand: 84. EL 9/2022). 19 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1719 (Stand: 84. EL 9/2022); Habersack in Staub, § 146 HGB Rz. 38, § 147 Rz. 13. 20 Eindeutig insoweit auch die Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 185. 21 Vgl. hierzu auch § 736 BGB Rz. 12. Ein solches Vertragsverhältnis wird durch die gerichtliche Bestellung nicht begründet, s. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 185 mit Bezugnahme auf K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 146 HGB Rz. 44. Richter | 563
§ 736b BGB Rz. 1 | Rechtsfähige Gesellschaft
§ 736b BGB Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis der Liquidatoren (1) 1Mit der Auflösung der Gesellschaft erlischt die einem Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag übertragene Befugnis zur Geschäftsführung und Vertretung. 2Diese Befugnis steht von der Auflösung an allen Liquidatoren gemeinsam zu. (2) Die bisherige Befugnis eines Gesellschafters zur Geschäftsführung und, sofern die Gesellschaft nicht im Gesellschaftsregister eingetragen ist, zur Vertretung gilt gleichwohl zu seinen Gunsten als fortbestehend, bis er von der Auflösung der Gesellschaft Kenntnis erlangt hat oder die Auflösung kennen muss. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse in der Liquidationsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gestaltbarkeit der Befugnisse . . . . . . . . 1. Gestaltung durch Gesellschaftsvertrag oder Beschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Gestaltung durch gerichtliche Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 III. Fiktion der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . 12 IV. Allgemeine Notgeschäftsführung in der Liquidation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
I. Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse in der Liquidationsgesellschaft 1 § 736b BGB regelt die Befugnisse zur Führung und Vertretung der Liquidationsgesellschaft.
Im Moment der Gesellschaftsauflösung erlöschen gem. Abs. 1 Satz 1 – zumindest grundsätzlich – die bisherigen Befugnisse zur Geschäftsführung und Vertretung; stattdessen stehen diese Befugnisse nach Satz 2 fortan den Liquidatoren gemeinsam zu. Da die Liquidation im gesetzlichen Normalfall von allen Gesellschaftern gemeinschaftlich durchzuführen ist (§ 736 BGB Rz. 2), entspricht die Zuweisung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse in der Liquidationsgesellschaft dem, was auch für die werbende GbR gem. §§ 715, 720 BGB im Grundsatz gilt. Wurde die Gesellschaft vor ihrer Auflösung jedoch nur durch einzelne Gesellschafter geführt bzw. vertreten, endet diese Kompetenz grds. mit der Auflösung.
2 Abweichend vom Grundsatz des Abs. 1 Satz 1 gelten unter bestimmten Voraussetzungen die
bisherigen Befugnisse der geschäftsführenden Gesellschafter als fortbestehend: Hat der bisher Befugte keine Kenntnis vom Eintritt des Auflösungsgrundes und ist ihm diesbezüglich auch keine Fahrlässigkeit vorzuwerfen, ergibt sich aus § 736b Abs. 2 BGB (in gewissem Umfang) die Fiktion der fortdauernden Befugnis (Rz. 12). In ähnlicher Weise fingiert § 730 Abs. 1 Satz 3 BGB in gewissem Umfang das Fortbestehen der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse, wenn die GbR infolge des Todes eines Gesellschafters aufgelöst wurde (Rz. 15, § 730 BGB Rz. 7). 3 Die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse lassen sich im Liquidationsstadium, wie
bei der werbenden Gesellschaft auch (vgl. § 715 BGB Rz. 4, § 720 BGB Rz. 31), auf verschiedene Arten gestalten: Zunächst kann abweichend von § 736 Abs. 1 BGB festgelegt werden, dass nicht alle, sondern nur bestimmte Gesellschafter oder auch außenstehende Dritte zu Liquidatoren bestellt werden sollen (§ 736 BGB Rz. 6), so dass auch die Befugnisse zur Geschäftsführung und Vertretung nur diesen zukommen. Zumindest hinsichtlich der Ge564 | Richter
Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis der Liquidatoren | Rz. 6 § 736b BGB
schäftsführungsbefugnis ist aber auch § 736b Abs. 1 BGB disponibel, so dass auch die Befugnisse der berufenen Liquidatoren in anderer Weise zugewiesen werden können. Auch die Vertretungsbefugnisse können mit Außenwirkung verändert werden, problematisch ist allerdings die Frage, ob diesbzgl. auch Einschränkungen mit Außenwirkung möglich sind (Rz. 6). Abweichende Regelungen sind durch den Gesellschaftsvertrag oder durch Beschlussfassung der Verfahrensbeteiligten (Rz. 7 f.) möglich, können aber auch durch gerichtliche Entscheidung getroffen werden (Rz. 9 ff.). Werden die Befugnisse der Liquidatoren nicht abweichend von § 736b Abs. 1 BGB festgelegt, 4 stellt sich die Frage nach dem gesetzlichen Umfang der Vertretungsmacht. Grundsätzlich sind die Liquidatoren umfassend zur Vertretung befugt, können also etwa Verfügungen über das Gesellschaftsvermögen treffen, die GbR entsprechend verpflichten, aber bspw. auch für diese „neue Geschäfte eingehen“ (vgl. zur Rechtsstellung der Liquidatoren § 736d BGB Rz. 1 ff.). Umstritten ist jedoch, ob die Vertretungsmacht durch den Liquidationszweck beschränkt wird. Mit Verweis auf ältere Entscheidungen des BGH1 wird herrschend vertreten, dass die Gesellschaft für Geschäfte, die vom Abwicklungszweck nicht gedeckt sind, lediglich nach Rechtsscheingrundsätzen haften würde.2 Die überzeugende Gegenansicht spricht sich gegen eine derartige Beschränkung der Vertretungsmacht aus. Die Grenzen sind hiernach ausschließlich durch die allgemeinen Grundsätze zum Missbrauch der Vertretungsmacht gezogen.3 Weil aber auch die herrschende Sicht unter den Vorbehalt des Verkehrs- bzw. Vertrauensschutzes gestellt wird,4 kommen beide Ansichten zu weitgehend übereinstimmenden Ergebnissen.
II. Gestaltbarkeit der Befugnisse Sowohl die Geschäftsführungs- als auch die Vertretungsbefugnisse der Liquidatoren können 5 durch die Gesellschafter (bzw. die Beteiligten), aber auch durch gerichtlichen Beschluss abweichend von der gesetzlichen Vorgabe ausgestaltet werden. Die Gestaltungsmacht der Gesellschafter wird zwar nicht ausdrücklich durch § 736b BGB klargestellt, ergibt sich allerdings aus der allgemeinen Dispositivität der §§ 736 ff. BGB (§ 736 BGB Rz. 6 ff.) sowie mittelbar aus § 736c Abs. 1 BGB (hierzu sogleich, Rz. 14). Relativ unproblematisch ist die Gestaltung der Geschäftsführungsbefugnisse im Innenverhältnis: Die Aufgaben der Liquidatoren und ihr (Zusammen-)Wirken unterliegt der uneingeschränkten Disposition der Gesellschafter, so dass diese (ggf. mit den sonstigen Beteiligten, Rz. 7 f.) einstimmig oder auch mit Mehrheitsbeschluss Vorgaben machen können, wer in welcher Weise und mit welcher Freiheit die Abwicklung betreiben kann. Ausdruck findet dieses Recht zur bindenden Gestaltung der Geschäftsführungsbefugnisse in § 736d Abs. 1 Satz 1 BGB. Problematisch ist allerdings die Frage, ob auch die Vertretungsbefugnis in gleicher Weise ge- 6 staltbar ist. Hinsichtlich der Ausweitung der Befugnisse, etwa durch Einräumung von Einzelvertretungsmacht, bestehen keine Bedenken; anders ist dies bei der Frage, ob die grds. umfassenden Vertretungsbefugnisse mit Außenwirkung eingeschränkt werden können. Zum früheren Recht war man von der Unbeschränkbarkeit der Vertretungsbefugnisse der Liqui1 BGH v. 26.1.1959 – II ZR 174/57, WM 1959, 323; BGH v. 1.12.1983 – III ZR 149/82, ZIP 1984, 312. 2 Hadding/Kießling in Soergel, § 730 BGB Rz. 3; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 730 BGB Rz. 43; Westermann in Erman, § 730 BGB Rz. 8. 3 Grundlegend insb. K. Schmidt, AcP 174 (1974), 55, 67 ff.; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 149 HGB Rz. 52; Habersack in Staub, § 149 HGB Rz. 46; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1726 ff., 1770c (Stand: 84. EL 9/2022). Diese Sichtweise hat durch das MoPeG an weiterer Überzeugungskraft gewonnen, weil durch die Reform eine entscheidende Norm (§ 149 Satz 2 HGB a.F.), nach der die Liquidatoren nur „innerhalb ihres Geschäftskreises“ vertretungsbefugt waren, entfallen ist. 4 Vgl. hierzu Hillmann in E/B/J/S, § 149 HGB Rz. 23; Habersack in Staub, § 149 HGB Rz. 45. Richter | 565
§ 736b BGB Rz. 6 | Rechtsfähige Gesellschaft datoren ausgegangen.5 Weil eine entsprechende gesetzliche Anordnung in den (parallel ausgestalteten) Regelungen des Handelsrechts gestrichen wurde, stellt sich die Frage, ob dieser Grundsatz durch die Reform des MoPeG entfallen ist. Die besseren Gründe sprechen dafür, auch heute noch von der Unbeschränkbarkeit der Vertretungsbefugnisse auszugehen (umfassend hierzu bei § 146 HGB Rz. 6 f.), wobei sich dies aus einer analogen Anwendung von § 720 Abs. 3 Satz 2 BGB ableiten lässt.6
1. Gestaltung durch Gesellschaftsvertrag oder Beschluss 7 Im Gesellschaftsvertrag können die Gesellschafter von § 736b Abs. 1 BGB abweichende Vor-
gaben machen, bspw. vorsehen, dass die Befugnisse nach bzw. trotz der Auflösung wie zuvor fortbestehen sollen. Eine solche Abweichung von Abs. 1 Satz 1 muss sich dem Vertrag jedoch eindeutig entnehmen lassen; im Zweifel gelten Regelungen, die für die werbende Gesellschaft getroffen wurden nicht im Liquidationsstadium fort.7 Eine entsprechende Änderung des Gesellschaftsvertrags, durch den die Befugnisse der (späteren) Liquidatoren gestaltet werden, kann vor der Auflösung der GbR allein durch die Gesellschafter (ggf. per Mehrheitsbeschluss) vorgenommen werden; nach der Auflösung sind hingegen auch die anderen Verfahrensbeteiligten zwingend einzubeziehen. 8 Auch durch nachträgliche Beschlussfassung können die Befugnisse der Liquidatoren aus-
gestaltet werden. Geht es um die Frage der Geschäftsführungsbefugnis, handelt es sich um eine Form der Weisung i.S.d. § 736d Abs. 1 Satz 1 BGB, so dass nicht nur die Gesellschafter, sondern alle Beteiligten (§ 736a BGB Rz. 8) an der Beschlussfassung mitwirken müssen. Im Grundsatz gilt hierbei das Einstimmigkeitserfordernis: Nur wenn sich alle Beteiligten einig darüber sind, dass und wie vom gesetzlichen Konzept abgewichen werden soll, können den Liquidatoren entsprechende Weisungen erteilt werden. Eine Beschlussfassung durch Mehrheitsentscheidung ist zwar möglich, wenn dies im Gesellschaftsvertrag vorgesehen ist; es besteht jedoch für bestimmte Beteiligte ein Vetorecht (s. hierzu § 736d BGB Rz. 6).8
2. Gestaltung durch gerichtliche Entscheidung 9 Lässt sich zwischen den Beteiligten keine Einigkeit bzw. keine ausreichende Mehrheit für die
Ausgestaltung der Befugnisse der Liquidatoren erreichen, verbleibt den einzelnen Beteiligten die Möglichkeit, auf eine entsprechende gerichtliche Gestaltungsentscheidung hinzuwirken. § 736a Abs. 1 BGB sieht zwar (für die eingetragene GbR) lediglich die gerichtliche Berufung und Abberufung von Liquidatoren vor. Der Gesetzgeber ging aber davon aus, die Vorschrift erfasse nach „ihrem Sinn und Zweck […] auch die Erweiterung und Beschränkung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse der Liquidatoren“, dies bedürfe „keiner gesetzlichen Klarstellung“9. Hierbei schloss man sich einer Literaturansicht an, die den Wortlaut des (inhaltlich parallelen) § 146 Abs. 2 HGB a.F. für zu eng erachtete;10 gleichwohl nahm man das MoPeG nicht zum Anlass den Gesetzestext dementsprechend anzupassen. 5 Westermann in Erman, § 730 BGB Rz. 10; Kilian in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 730 BGB Rz. 22. 6 So schon Noack in Schäfer, Personengesellschaftsrecht, § 9 Rz. 19; für die Unbeschränkbarkeit nach neuem Recht auch Lehmann-Richter in BeckOK/HGB, § 151 HGB Rz. 3 (Stand: 39. Ed. 15.1.2023). 7 OLG Köln v. 29.5.1995 – 19 U 83/94, WM 1995, 1881; Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 730 BGB Rz. 12, vgl. hierzu auch bei § 736 BGB Rz. 2, Rz. 8. 8 S. zum Vetorecht bzgl. der allgemeinen Verfahrensausgestaltung § 735 BGB Rz. 30. 9 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 184 f. 10 Ausdrücklich verwiesen wird auf K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 146 HGB Rz. 28; vgl. auch Habersack in Staub, § 146 HGB Rz. 30, § 147 HGB Rz. 5.
566 | Richter
Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis der Liquidatoren | Rz. 14 § 736b BGB
Unter § 736a Abs. 1 BGB ist demnach auch die gerichtliche Erweiterung und Beschränkung 10 der Geschäftsführungs- sowie der Vertretungsbefugnisse der Liquidatoren zu fassen. Die Voraussetzungen und das Verfahren entsprechen dem dort Gesagten (§ 736a BGB Rz. 8 ff.): Grundlage einer solchen gerichtlichen Gestaltungsentscheidung ist der entsprechende Antrag eines Beteiligten i.S.d. § 736a Abs. 2 BGB sowie das Vorliegen eines wichtigen Grundes. Die Einschränkung oder Ausweitung der Liquidatorenbefugnisse ist dann angezeigt und gerechtfertigt, wenn nicht zu erwarten ist, dass die Gesellschaftsabwicklung ohne die gerichtliche Entscheidung in gedeihlicher Weise durchgeführt werden kann und wenn ansonsten erhebliche Nachteile für die GbR oder für einen der Beteiligten zu erwarten sind. Geht es um eine eGbR, ist die gerichtlich bestimmte Änderung der Befugnisse von Amts wegen im Register zu verzeichnen (§ 736c BGB Rz. 8).11 Das Recht, eine derartige gerichtliche Entscheidung zu beantragen, kann den Beteiligten 11 nicht entzogen werden (s. § 736a Abs. 1 Satz 2 BGB). Zudem setzt das Antragsrecht nicht zwingend voraus, dass die Gesellschaft im Register eingetragen ist: Auch auf eine nichteingetragene GbR kann § 736a Abs. 1 BGB analog anzuwenden sein; de lege ferenda sollte das Registrierungserfordernis gestrichen werden (s. hierzu § 736a BGB Rz. 7).
III. Fiktion der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse Durch § 736b Abs. 2 BGB werden die bisherigen Geschäftsführungs- und Vertretungsbefug- 12 nisse u.U. als fortbestehend fingiert: Solange ein Gesellschafter, der bisher zur Geschäftsführung berufen war, keine Kenntnis vom Eintritt des Auflösungsgrundes hat und ihm diesbzgl. auch keine Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist (vgl. § 122 Abs. 2 a.E., § 267 Abs. 2 BGB), gilt seine bisherige Geschäftsführungsbefugnis zu seinen Gunsten als fortbestehend. Um den (ehemaligen) Geschäftsführer vor den Risiken der unerkannten Auflösung der GbR zu schützen,12 wird über Abs. 2 Alt. 1 verhindert, dass dieser im Innenverhältnis durch die Gesellschaft aufgrund seines Organhandelns als Geschäftsführer ohne Auftrag in Anspruch genommen wird.13 Für die Frage der Vertretungsbefugnis bzw. der Fiktion des Fortbestehens differenziert das 13 Gesetz anhand des Merkmals der Registereintragung. Für Gesellschaften, die nicht im Register eingetragen sind, wird gem. § 736b Abs. 2 Alt. 2 BGB nicht nur die Geschäftsführungs-, sondern auch die Vertretungsbefugnis als fortbestehend fingiert, wenn der (ehemalige) Geschäftsführer von der Gesellschaftsauflösung keine Kenntnis hatte bzw. haben musste. Vertritt er die GbR – trotz Auflösung und trotz der grds. Anordnung des § 736b Abs. 1 Satz 1 BGB – im Außenverhältnis, so bewahrt ihn diese Fiktion vor einer Inanspruchnahme als falsus procurator (§ 179 BGB). Ein außenstehender Dritter kann sich auf die Fiktion des § 736b Abs. 2 Alt. 2 BGB jedoch nicht berufen, wenn er seinerseits von der Auflösung bzw. dem Erlöschen der Vertretungsbefugnis wusste bzw. hätte wissen müssen; die entsprechende Anordnung trifft § 169 BGB, der zwar noch auf § 729 BGB a.F. verweist, inhaltlich aber seit dem MoPeG auf § 736b Abs. 2 BGB anzuwenden ist. Für die eingetragene GbR gilt die Fiktion hinsichtlich der Vertretungsbefugnis ausdrücklich 14 nicht. Die Frage, ob diese Befugnis trotz Auflösung als fortbestehend anzusehen ist, soll sich bei einer eGbR vorrangig nach dem Registereintrag richten; der MoPeG-Gesetzgeber ging 11 Ausdrücklich für die Anwendung der Norm auch auf diesen Fall Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 186. 12 S. zu diesem Normzweck Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 185; Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 729 BGB Rz. 1 ff. 13 Vgl. Schäfer in MünchKomm/BGB, § 729 BGB Rz. 1; Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 185. Richter | 567
§ 736b BGB Rz. 14 | Rechtsfähige Gesellschaft davon aus, dass hier § 707a Abs. 3 Satz 1 BGB i.V.m. § 15 Abs. 2 HGB einschlägig sei.14 Inwiefern sich hieraus Schutz für den gutgläubigen Gesellschafter ergeben soll, bleibt jedoch offen (vgl. eingehend hierzu § 146 HGB Rz. 14). Angesichts der sich aus § 736c Abs. 1 BGB ergebenden Eintragungspflicht wäre vielmehr auf § 15 Abs. 1 HGB abzustellen, so dass lediglich ein Verkehrs- und Drittschutz zu erkennen ist. 15 Eine weitere gesetzliche Fiktion hinsichtlich des Fortbestehens von Geschäftsführungs- und
Vertretungsbefugnissen ergibt sich aus § 730 Abs. 1 Satz 3 BGB für den Fall, dass die GbR aufgelöst wurde, weil einer der Gesellschafter verstorben (vgl. zu diesem möglichen, aber untypischen Auflösungsgrund § 729 BGB Rz. 25). In diesen Fällen besteht für die Erben des verstorbenen Gesellschafters ein Pflichtrecht zur Notgeschäftsführung, weshalb auch die bislang bestehenden Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse des Erblassers trotz Auflösung und unabhängig von der diesbzgl. Gutgläubigkeit weiterhin in Anspruch genommen werden können (eingehend hierzu § 730 BGB Rz. 7). Ein entsprechendes Pflichtrecht zur Notgeschäftsführung ergibt sich auch für die Mitgesellschafter, wenn diese bereits vor der Auflösung die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis innehatten.15 Entsprechendes gilt auch, wenn die GbR (ausnahmsweise, § 729 BGB Rz. 11) wegen der formellen Insolvenz eines Gesellschafters aufgelöst wurde (§ 730 BGB Rz. 13).
IV. Allgemeine Notgeschäftsführung in der Liquidation 16 § 736b Abs. 1 Satz 2 BGB wird schließlich durch die allgemeine Regelung zur Notgeschäfts-
führungsbefugnis eingeschränkt. Mit der Anordnung der Gesamtgeschäftsführung durch alle Liquidatoren entspricht § 736b Abs. 1 Satz 2 BGB inhaltlich dem § 715 Abs. 1 BGB, weshalb es naheliegt, für die Phase nach der Auflösung die Regelung des § 715 Abs. 3 Satz 1 BGB analog anzuwenden, also bei Gefahr im Verzug eine allgemeine Befugnis zur Notgeschäftsführung anzuerkennen. Eingehend zur Rechtfertigung einer solchen Analogie, die bereits zum früheren Handelsrecht allgemein befürwortet wurde,16 vgl. § 146 HGB Rz. 17. Hiernach steht einem einzelnen Liquidator das Recht zu, allein für die aufgelöste Gesellschaft zu handeln, wenn sich mit dem Aufschub dieser Handlung eine Gefahr für die Gesellschaft oder das Gesellschaftsvermögen verbindet (vgl. auch § 715 BGB Rz. 37 ff.); umfasst ist hiervon jedoch nur die Geschäftsführungsbefugnis im Innen-, nicht aber die Vertretungsbefugnis im Außenverhältnis.17 17 Zudem dürfte eine weitere Analogie gerechtfertigt sein: Die Regelung des § 715a BGB dürfte
ebenfalls auf die aufgelöste Gesellschaft (analog) anzuwenden sein. Hiernach sind nicht nur die einzelnen Liquidatoren zur Notgeschäftsführung befugt, sondern auch andere Gesellschafter, wenn diese – abweichend von § 736 Abs. 1 BGB – ausnahmsweise nicht zur Liquidation berufen sind. Auch für die Phase nach der Auflösung besteht mithin im Innenverhältnis eine Geschäftsführungsbefugnis für Geschäfte, die keinen Aufschub dulden, wenn also ohne sofortiges und alleiniges Handeln ein Schaden für die Gesellschaft oder ihr Vermögen droht.18
14 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 185. 15 So ausdrücklich Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 179 zu Abs. 2. 16 Habersack in Staub, § 150 HGB Rz. 6, § 150 HGB Rz. 6; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 150 HGB Rz. 9. 17 Vgl. § 715 BGB Rz. 8; anders zum früheren (Handels-)Recht Lehmann-Richter in BeckOK/HGB, § 150 HGB Rz. 8 (Stand: 39. Ed. 15.1.2023). 18 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 153.
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Anmeldung der Liquidatoren | Rz. 2 § 736c BGB
§ 736c BGB Anmeldung der Liquidatoren (1) 1Ist die Gesellschaft im Gesellschaftsregister eingetragen, sind die Liquidatoren und ihre Vertretungsbefugnis von sämtlichen Gesellschaftern zur Eintragung in das Gesellschaftsregister anzumelden. 2Das Gleiche gilt für jede Änderung in der Person des Liquidators oder seiner Vertretungsbefugnis. 3Wenn im Fall des Todes eines Gesellschafters anzunehmen ist, dass die Anmeldung den Tatsachen entspricht, kann die Eintragung erfolgen, auch ohne dass die Erben bei der Anmeldung mitwirken, sofern einer solchen Mitwirkung besondere Hindernisse entgegenstehen. (2) Die Eintragung gerichtlich berufener Liquidatoren sowie die Eintragung der gerichtlichen Abberufung von Liquidatoren geschieht von Amts wegen. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Liquidatoren und Vertretungsbefugnisse als eintragungspflichtige Tatsachen . . . . . II. Die Anmeldepflicht und ihre Bedeutung (Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Eintragung nach gerichtlicher Entscheidung (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Liquidatoren und Vertretungsbefugnisse als eintragungspflichtige Tatsachen § 736c BGB ordnet für die eingetragene BGB-Gesellschaft (eGbR, § 707 BGB Rz. 13) an, dass 1 und von wem die Personen und die Befugnisse der Liquidatoren zur Eintragung in das Gesellschaftsregister anzumelden sind. Hierdurch wird die Pflicht aus § 733 Abs. 1 BGB ergänzt, die Tatsache der Gesellschaftsauflösung eintragen zu lassen (§ 733 BGB Rz. 1). Durch die Herstellung der Registerpublizität wird sichergestellt, dass der Rechtsverkehr nicht nur weiß, dass, sondern auch wie sich die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse geändert haben. Als eintragungspflichtige Tatsachen nennt Abs. 1 Satz 1 zunächst die ursprünglichen Liqui- 2 datoren sowie ihre Vertretungsbefugnisse. Falls im Gesellschaftsvertrag keine abweichenden Regelungen getroffen wurden, werden alle Gesellschafter mit dem Eintritt des Auflösungsgrundes zu Liquidatoren (§ 736 BGB Rz. 2); die Vertretungsbefugnis steht ihnen gemeinschaftlich zu (§ 736b BGB Rz. 1). Diese Umstände sind – auch wenn sie dem gesetzlichen Leitbild entsprechen und sich der Umstand der Auflösung gesondert aus dem Register ergeben muss (§ 733 BGB Rz. 1) – zwingend zur Eintragung in das Gesellschaftsregister anzumelden.1 Sollte gesellschaftsvertraglich eine vom gesetzlichen Bild abweichende Abwicklung vorgesehen sein, so sind die hiernach bestimmten „Abwickler“ im Register einzutragen, unabhängig davon, auf welche Weise diese die GbR abwickeln sollen. Werden durch nachträglichen Beschluss der Gesellschafter bzw. der Beteiligten Liquidatoren berufen oder abberufen (§ 736 BGB Rz. 10) oder die Vertretungsbefugnisse geändert (§ 736b BGB Rz. 8), so müssen auch diese Tatsachen gem. Abs. 1 Satz 2 eingetragen werden. Diese Pflicht besteht auch, wenn Liquidatoren aus anderen Gründen aus dem Amt ausscheiden (etwa von Todes wegen); für die gerichtliche (Ab-)Berufung gilt hingegen die Sonderreglung des Abs. 2 (Rz. 8). 1 Vgl. Habersack in Staub, § 148 HGB Rz. 6; wortgleich Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 186. Richter | 569
§ 736c BGB Rz. 3 | Rechtsfähige Gesellschaft 3 Sollte es an der notwendigen Voreintragung fehlen, ist etwa die Anmeldung gem. Abs. 1
Satz 1 zunächst unterblieben, bevor die Liquidatoren durch Beschluss neubestimmt wurden, so sind beide Aspekte zur Eintragung anzumelden: Aus dem Register muss sich sowohl ergeben, wer bei Eintritt des Auflösungsgrund als Liquidator (wie) berechtigt war, als auch, wer durch die nachträgliche Änderung mit welchen Befugnissen ausgestattet wurde.2 Im Normalfall haben die Anmeldung der Gesellschaftsauflösung (§ 733 BGB Rz. 6) sowie die Anmeldung nach § 736c Abs. 1 Satz 1 BGB zeitgleich zu erfolgen; gleichwohl darf die Eintragung der Auflösung nicht davon abhängig gemacht werden, dass zugleich auch die Liquidatoren angemeldet werden.3 4 Inhaltlich hat sich die Anmeldung hinsichtlich der Personenangaben an § 707 Abs. 2 Nr. 2
BGB zu orientieren: Ist der einzutragende Liquidator eine natürliche Person, so sind dessen Vor- und Nachname sowie Geburtsdatum und Wohnort anzugeben. Wird eine juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft zum Liquidator berufen, so sind ihre Firma bzw. ihr Name, Rechtsform, Sitz und, wenn einschlägig, ihr zuständiges Register und die Registernummer einzutragen (vgl. auch § 707 BGB Rz. 17 ff.).
II. Die Anmeldepflicht und ihre Bedeutung (Abs. 1) 5 Nach § 736c Abs. 1 Satz 1 BGB trifft die Pflicht, die Liquidatoren und ihre Vertretungsbefug-
nisse zur Eintragung in das Gesellschaftsregister anzumelden, grds. „sämtliche Gesellschafter“. Lediglich für einen Sonderfall (Einrücken von Erben als Neugesellschafter) sieht Satz 3 eine abweichende Regelung vor (Rz. 6). Die Anmeldung kann in Vertretung erfolgen, weshalb der Gesellschaftsvertrag eine entsprechende Bevollmächtigung vorsehen kann und sollte.4 Die Anmeldepflicht entspricht damit der allgemeinen Regel des § 707 Abs. 4 Satz 1 BGB sowie der Vorgabe des § 733 Abs. 1 BGB. Indem alle Gesellschafter die Anmeldung gemeinsam vornehmen müssen, soll zum einen sichergestellt werden, dass die eintragungspflichtigen Tatsachen wahrheitsgemäß angezeigt werden und zum anderen, dass eine etwaige Unrichtigkeit jedem Gesellschafter zugerechnet werden kann.5 Sollte sich einer der Gesellschafter (pflichtwidrig) weigern, an der Anmeldung mitzuwirken, so müssen die Mitgesellschafter ihren im Gesellschaftsvertrag wurzelnden Anspruch auf Mitwirkung klageweise durchsetzen. Die Anmeldung kann nach § 707b Nr. 2 BGB i.V.m. § 16 HGB allein durch die übrigen Gesellschafter erfolgen, wenn diese eine rechtskräftige oder vollstreckbare Entscheidung zu ihren Gunsten erstreiten.
6 Vom Grundsatz der gemeinschaftlichen Anmeldung macht Abs. 1 Satz 3 (wie auch § 733
Abs. 2 BGB) eine Ausnahme: Wurde die Gesellschaft aufgrund entsprechender vertraglicher Gestaltung (vgl. § 730 BGB Rz. 1) durch den Tod eines Gesellschafters aufgelöst, so kann hiernach die Anmeldung u.U. allein durch die verbleibenden (Alt-)Gesellschafter vorgenommen werden. Zwar treten die Erben des Verstorbenen in dessen mitgliedschaftliche Stellung ein (§ 730 BGB Rz. 3) und müssen aus diesem Grund auch an der Anmeldung mitwirken; gleichwohl ist die Anmeldung auch ohne die Beteiligung der Erben möglich, wenn dieser 2 Vgl. auch Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1723a (Stand: 84. EL 9/2022); anders Lehmann-Richter in BeckOK/HGB, § 148 HGB Rz. 6 (Stand: 39. Ed. 15.1.2023), der offenbar die Anmeldepflicht aus Abs. 1 Satz 1 entfallen lassen will, wenn unverzüglich Liquidatoren gekoren wurden, nachdem die Gesellschaft in das Liquidationsstadium eingetreten ist. 3 BayObLG München v. 7.3.2001 – 3Z BR 68/01, GmbHR 2001, 522; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1723a (Stand: 84. EL 9/2022). 4 Für Publikumsgesellschaften wird vertreten, dass eine entsprechende Vertretungsbefugnis auch ohne derartige Klausel bestünde, vgl. K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 148 HGB Rz. 8; Habersack in Staub, § 148 HGB Rz. 4. 5 S. allgemein hierzu Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 127, 131.
570 | Richter
Rechtstellung der Liquidatoren | § 736d BGB
Mitwirkung „besondere Hindernisse“ entgegenstehen. Insbesondere wenn nicht (bzw. nicht in absehbarer Zeit) ermittelt werden kann, wer Erbe geworden oder wenn der bekannte Erbe nicht zu erreichen ist, wird ein derartiges Hindernis anzunehmen sein.6 Problematisch ist dies allerdings, wenn (noch) nicht von der gesetzlichen Anordnung des § 736 Abs. 1 BGB durch Vertrag oder durch Beschluss abgewichen wurde; in diesem Fall ist auch der noch unbekannte Erbe zur Liquidation berufen und müsste deshalb im Register ausgewiesen werden. Anders als der ansonsten parallele § 733 Abs. 2 BGB sieht § 736c Abs. 1 Satz 3 BGB als zusätzliche Voraussetzung vor, dass anzunehmen sein muss, dass die Anmeldung den Tatsachen entspricht. Die Anmeldepflicht dient öffentlichen Interessen und ist deshalb nicht abdingbar. Die Regis- 7 tereintragung hat allerdings lediglich deklaratorische Bedeutung,7 so dass die Verletzung der Anmeldepflicht nicht dazu führt, dass die Berufung oder Abberufung von Liquidatoren oder die (Um-)Gestaltung ihrer Vertretungsbefugnisse unwirksam wäre. Besondere Bedeutung erlangt die pflichtgemäße Anmeldung jedoch über § 707a Abs. 3 Satz 1 BGB i.V.m. § 15 HGB vor dem Hintergrund der Registerpublizität (vgl. hierzu bei § 733 BGB Rz. 8). Die Erfüllung der Anmeldepflicht kann zudem durch das Registergericht sichergestellt werden, das gem. § 707b Nr. 2 BGB i.V.m. § 14 HGB Zwangsgelder festsetzten könnte.
III. Eintragung nach gerichtlicher Entscheidung (Abs. 2) Werden Liquidatoren auf den Antrag eines Beteiligten hin durch gerichtliche Entscheidung 8 berufen oder abberufen, so hat die Eintragung dieser Tatsache gem. § 736c Abs. 2 BGB von Amts wegen zu erfolgen. Die Anmeldepflicht der Gesellschafter aus Abs. 1 Satz 2 entfällt in diesen Fällen.8 Die Pflicht zur amtswegigen Eintragung besteht auch, wenn die Vertretungsbefugnisse der Liquidatoren durch gerichtliche Entscheidung gestaltet wurden (s. hierzu § 736b BGB Rz. 9). Diese Konstellation wird zwar nur in § 736c Abs. 1 BGB angesprochen, in Abs. 2 jedoch ausgelassen, so dass es im Gegenschluss naheläge, von einer Anmeldepflicht der Gesellschafter auszugehen; gleichwohl ist hier eine analoge Anwendung des Abs. 2 angezeigt. Dies wurde nicht nur zum früheren (Handels-)Recht so herrschend vertreten,9 sondern auch der MoPeG-Gesetzgeber ging davon aus, dass § 736c Abs. 2 BGB entsprechend auf die gerichtlich angeordnete Änderung der Vertretungsbefugnis der Liquidatoren anzuwenden sei.10 Die Eintragung hat also auch diesbezüglich von Amts wegen stattzufinden; im Gegenzug entfällt die entsprechende Anmeldepflicht der Gesellschafter aus Abs. 1 Satz 2.
§ 736d BGB Rechtstellung der Liquidatoren (1) 1Die Liquidatoren haben, auch wenn sie vom Gericht berufen sind, den Weisungen Folge zu leisten, welche die Beteiligten in Bezug auf die Geschäftsführung beschließen.
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Hillmann in E/B/J/S, § 148 HGB Rz. 3. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 186. Habersack in Staub, § 148 HGB Rz. 6, 8. S. hierzu m.w.N. K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 148 HGB Rz. 10; Klöhn in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 148 HGB Rz. 7. 10 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 186, auch hier meinte man, dass dies „keiner gesetzlichen Klarstellung“ bedürfe. Richter | 571
Rechtstellung der Liquidatoren | § 736d BGB
Mitwirkung „besondere Hindernisse“ entgegenstehen. Insbesondere wenn nicht (bzw. nicht in absehbarer Zeit) ermittelt werden kann, wer Erbe geworden oder wenn der bekannte Erbe nicht zu erreichen ist, wird ein derartiges Hindernis anzunehmen sein.6 Problematisch ist dies allerdings, wenn (noch) nicht von der gesetzlichen Anordnung des § 736 Abs. 1 BGB durch Vertrag oder durch Beschluss abgewichen wurde; in diesem Fall ist auch der noch unbekannte Erbe zur Liquidation berufen und müsste deshalb im Register ausgewiesen werden. Anders als der ansonsten parallele § 733 Abs. 2 BGB sieht § 736c Abs. 1 Satz 3 BGB als zusätzliche Voraussetzung vor, dass anzunehmen sein muss, dass die Anmeldung den Tatsachen entspricht. Die Anmeldepflicht dient öffentlichen Interessen und ist deshalb nicht abdingbar. Die Regis- 7 tereintragung hat allerdings lediglich deklaratorische Bedeutung,7 so dass die Verletzung der Anmeldepflicht nicht dazu führt, dass die Berufung oder Abberufung von Liquidatoren oder die (Um-)Gestaltung ihrer Vertretungsbefugnisse unwirksam wäre. Besondere Bedeutung erlangt die pflichtgemäße Anmeldung jedoch über § 707a Abs. 3 Satz 1 BGB i.V.m. § 15 HGB vor dem Hintergrund der Registerpublizität (vgl. hierzu bei § 733 BGB Rz. 8). Die Erfüllung der Anmeldepflicht kann zudem durch das Registergericht sichergestellt werden, das gem. § 707b Nr. 2 BGB i.V.m. § 14 HGB Zwangsgelder festsetzten könnte.
III. Eintragung nach gerichtlicher Entscheidung (Abs. 2) Werden Liquidatoren auf den Antrag eines Beteiligten hin durch gerichtliche Entscheidung 8 berufen oder abberufen, so hat die Eintragung dieser Tatsache gem. § 736c Abs. 2 BGB von Amts wegen zu erfolgen. Die Anmeldepflicht der Gesellschafter aus Abs. 1 Satz 2 entfällt in diesen Fällen.8 Die Pflicht zur amtswegigen Eintragung besteht auch, wenn die Vertretungsbefugnisse der Liquidatoren durch gerichtliche Entscheidung gestaltet wurden (s. hierzu § 736b BGB Rz. 9). Diese Konstellation wird zwar nur in § 736c Abs. 1 BGB angesprochen, in Abs. 2 jedoch ausgelassen, so dass es im Gegenschluss naheläge, von einer Anmeldepflicht der Gesellschafter auszugehen; gleichwohl ist hier eine analoge Anwendung des Abs. 2 angezeigt. Dies wurde nicht nur zum früheren (Handels-)Recht so herrschend vertreten,9 sondern auch der MoPeG-Gesetzgeber ging davon aus, dass § 736c Abs. 2 BGB entsprechend auf die gerichtlich angeordnete Änderung der Vertretungsbefugnis der Liquidatoren anzuwenden sei.10 Die Eintragung hat also auch diesbezüglich von Amts wegen stattzufinden; im Gegenzug entfällt die entsprechende Anmeldepflicht der Gesellschafter aus Abs. 1 Satz 2.
§ 736d BGB Rechtstellung der Liquidatoren (1) 1Die Liquidatoren haben, auch wenn sie vom Gericht berufen sind, den Weisungen Folge zu leisten, welche die Beteiligten in Bezug auf die Geschäftsführung beschließen.
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Hillmann in E/B/J/S, § 148 HGB Rz. 3. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 186. Habersack in Staub, § 148 HGB Rz. 6, 8. S. hierzu m.w.N. K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 148 HGB Rz. 10; Klöhn in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 148 HGB Rz. 7. 10 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 186, auch hier meinte man, dass dies „keiner gesetzlichen Klarstellung“ bedürfe. Richter | 571
§ 736d BGB Rz. 1 | Rechtsfähige Gesellschaft 2Hat
nach dem Gesellschaftsvertrag die Mehrheit der Stimmen zu entscheiden, bedarf der Beschluss der Zustimmung der Beteiligten nach § 736a Absatz 2 Nummer 2 und 4. (2) 1Die Liquidatoren haben die laufenden Geschäfte zu beendigen, die Forderungen der Gesellschaft einzuziehen und das übrige Vermögen in Geld umzusetzen. 2Zur Beendigung der laufenden Geschäfte können die Liquidatoren auch neue Geschäfte eingehen. (3) Ist die Gesellschaft im Gesellschaftsregister eingetragen, haben die Liquidatoren bei Abgabe ihrer Unterschrift dem Namen der Gesellschaft einen Liquidationszusatz beizufügen. (4) 1Aus dem Vermögen der Gesellschaft sind zunächst die Gläubiger der Gesellschaft zu befriedigen. 2Ist eine Verbindlichkeit noch nicht fällig oder ist sie streitig, ist das zur Berichtigung der Verbindlichkeit Erforderliche zurückzubehalten. (5) 1Aus dem nach der Berichtigung der Verbindlichkeiten verbleibenden Gesellschaftsvermögen sind die geleisteten Beiträge zurückzuerstatten. 2Für Beiträge, die nicht in Geld bestanden haben, ist der Wert zu ersetzen, den sie zur Zeit der Einbringung gehabt haben. 3Für Beiträge, die in der Leistung von Diensten oder in der Überlassung der Benutzung eines Gegenstands bestanden haben, kann im Zweifel kein Ersatz verlangt werden. (6) Das nach Berichtigung der Verbindlichkeiten und Rückerstattung der Beiträge verbleibende Vermögen der Gesellschaft ist unter den Gesellschaftern nach dem Verhältnis ihrer Anteile am Gewinn und Verlust zu verteilen. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Die Rechts- und Pflichtenstellung der Liquidatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 II. Weisungsrecht und Weisungsgebundenheit (Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . 3 III. Ablauf der Liquidation . . . . . . . . . . . . . . 7 1. Aussonderung gesellschaftsfremder Gegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 2. Beendigung und Abwicklung laufender Geschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 3. Einziehung von Gesellschaftsforderungen 14 4. Sonstige Umsetzung des Gesellschaftsvermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
5. Gläubigerbefriedigung (Abs. 4) . . . . . . . . 6. Rückerstattung von Gesellschafterbeiträgen (Abs. 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Schlussabrechnung und -verteilung (Abs. 6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zeichnung für die eingetragene Liquidationsgesellschaft (Abs. 3) . . . . . V. Gestaltbarkeit der Befriedigungsreihenfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Vollbeendigung der Gesellschaft . . . . . .
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I. Die Rechts- und Pflichtenstellung der Liquidatoren 1 Die Abwicklung der Gesellschaft liegt in der Hand der Liquidatoren, die ihrerseits jedoch
den Weisungen der Gesellschafter und sonstigen Beteiligten Folge zu leisten haben (Rz. 5). Die Rechte der Liquidatoren folgen im Grundsatz aus ihrer Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis (§ 736b BGB Rz. 1); ihre Pflichten aus dem gewandelten Gesellschaftszweck, der nunmehr auf Abwicklung und Vollbeendigung gerichtet ist.1 Konkretisiert wird die Rechts- und Pflichtenstellung durch § 736d BGB, der auch den gesetzestypischen Ablauf der Liquidation beschreibt (Rz. 7 ff.).
1 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 186; Noack in Schäfer, Personengesellschaftsrecht, § 9 Rz. 22.
572 | Richter
Rechtstellung der Liquidatoren | Rz. 6 § 736d BGB
Die Rechte und Pflichten der Liquidatoren können, wie auch die Festlegung der Personen 2 (§ 736 BGB Rz. 6 ff.), abweichend vom gesetzlichen Konzept geregelt werden. Eine Gestaltung ist sowohl vorab im Gesellschaftsvertrag möglich als auch nachträglich durch Beschluss, der zu einer die Liquidatoren bindenden Weisung führt (Rz. 3 ff.). Auf diese Weise ist es möglich, ganz allgemein das Verfahren und das Ziel der Abwicklung festzulegen (§ 735 BGB Rz. 29), so dass bspw. eine Unternehmensübertragung an die Stelle der Liquidation tritt; genauso möglich ist es aber auch, grds. am gesetzlichen Liquidationsverfahren festzuhalten und lediglich einzelne konkrete Fragen gesondert zu regeln.
II. Weisungsrecht und Weisungsgebundenheit (Abs. 1) § 736d Abs. 1 Satz 1 BGB normiert die Weisungsgebundenheit der Liquidatoren und setzt 3 gleichzeitig ein entsprechendes Weisungsrecht der Gesellschafter und der sonstigen Beteiligten (§ 736a BGB Rz. 8) voraus. Die Norm soll sicherstellen, dass die Beteiligten stets die „Herren des Liquidationsverfahrens“2 bleiben, unabhängig davon, wer die Liquidation konkret durchführt, insbesondere also, wenn Drittliquidatoren durch Gesellschafter- oder Gerichtsbeschluss (§ 736 BGB Rz. 12, § 736a BGB Rz. 11) bestellt werden. Da den Gesellschaftern diese Verfahrensherrschaft im Falle der Gesellschaftsinsolvenz entzogen ist (§ 735 BGB Rz. 5), besteht kein Weisungsrecht im Verhältnis zum Insolvenzverwalter.3 Das Weisungsrecht des § 736d Abs. 1 Satz 1 BGB bezieht sich ausweislich des Wortlauts „auf die 4 Geschäftsführung“, kann also etwa auf die Vornahme oder das Unterlassen von rechtsgeschäftlichen oder tatsächlichen Handlungen gerichtet sein. Möglich sind allerdings auch Weisungen (im Innenverhältnis) bzgl. der Ausübung der Vertretungsmacht (im Außenverhältnis).4 Missachten die Liquidatoren eine (wirksame) Weisung, so liegt hierin eine Pflichtverletzung, 5 die zu Schadensersatzansprüchen gegenüber der Gesellschaft führen kann. Auch liquidationsfremde Geschäfte können bindend angeordnet werden.5 Die Folgepflicht der Liquidatoren endet jedoch dort, wo die Weisungen ein gesetzes- oder sittenwidriges Verhalten veranlassen sollen;6 in diesem Fall dürfen und müssen die Liquidatoren weisungswidrig handeln. Auch wenn der Weisung kein wirksamer (Mehrheits-)Beschluss zugrunde liegt, entfaltet diese keine strikte Bindungswirkung; das gleichwohl erkennbare Meinungsbild der Beteiligten müssen die Liquidatoren jedoch zumindest berücksichtigen.7 Der Beschluss der Beteiligten, mit dem die Liquidatoren angewiesen werden sollen, setzt 6 grundsätzlich Einstimmigkeit voraus (s. allgemein hierzu § 714 BGB Rz. 86).8 Nur wenn sich alle Gesellschafter (und die sonst Beteiligten) einig darüber sind, dass und wie vom gesetzlichen Abwicklungsverfahren abgewichen werden soll, können sie das bindende Weisungsrecht ausüben. Allerdings kann im Gesellschaftsvertrag vorgesehen werden, dass eine Beschlussfassung durch Mehrheitsentscheidung ergehen kann; diese Möglichkeit wird in § 736d Abs. 1 Satz 2 BGB anerkannt. Zum Schutz bestimmter Beteiligter wird in diesem Fall jedoch ein Ve2 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 186; so zur Vorgängernorm (§ 152 HGB a.F.) auch K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 152 HGB Rz. 1; ähnlich Hillmann in E/B/J/S, § 152 HGB Rz. 1. 3 K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 152 HGB Rz. 2. 4 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1732 (Stand: 84. EL 9/2022); Hillmann in E/B/J/S, § 152 HGB Rz. 3. 5 K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 152 HGB Rz. 9; Habersack in Staub, § 152 HGB Rz. 8; a.A. Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1732 (Stand: 84. EL 9/2022). 6 Habersack in Staub, § 152 HGB Rz. 8. 7 K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 152 HGB Rz. 3. 8 Mit dem ausdrücklichen Hinweis auf § 714 BGB auch Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 186. Richter | 573
§ 736d BGB Rz. 6 | Rechtsfähige Gesellschaft torecht statuiert: Wurde über das Vermögen eines Gesellschafters das Insolvenzverfahren eröffnet und die GbR aus diesem Grund (§ 729 BGB Rz. 11) oder zuvor aus anderem Grund aufgelöst, so kann eine Weisung nur mit Zustimmung des Gesellschafter-Verwalters erfolgen (vgl. hierzu auch § 735 BGB Rz. 30). Ein solches Vetorecht kann zudem dem Privatgläubiger eines Gesellschafters zustehen, wenn dieser den Gesellschaftsanteil gepfändet und daraufhin nicht nur die Mitgliedschaft, sondern die Gesellschaft als solche gekündigt hat (vgl. § 729 BGB Rz. 26). Vor dem Hintergrund dieser Zustimmungserfordernisse konnte darauf verzichtet werden, eine materielle Beschlusskontrolle vorzusehen.9
III. Ablauf der Liquidation 7 § 736d BGB beschreibt neben den Weisungsrechten und -folgepflichten (Rz. 3 ff.) auch den
typisierten Ablauf der Gesellschaftsabwicklung. Deren zentrale Schritte sind: die Umsetzung des Gesellschaftsvermögens in Geld (Abs. 2), die Befriedigung der Gläubiger aus dem Erlös (Abs. 4), die Beitragsrückerstattung (Abs. 5) sowie die Verteilung des verbleibenden freien Vermögens an die Gesellschafter (Abs. 6). Teilweise folgen diese Schritte zeitlich aufeinander; in Teilen wirken die Abstufungen jedoch lediglich als Vorgaben zum materiellen Vor- und Nachrang in der Schlussabrechnung (Rz. 23). Ergänzt wird § 736d BGB durch § 737 BGB, der die Haftung der Gesellschafter für Fehlbeträge normiert, sowie durch § 738 BGB, der die Anmeldepflicht beim Erlöschen einer eGbR anordnet.
1. Aussonderung gesellschaftsfremder Gegenstände 8 Die Liquidation beginnt grds. mit der Aussonderung gesellschaftsfremder Gegenstände. Da
diese nicht zum Vermögen der GbR gehören, nicht für ihre Verbindlichkeiten haften und damit auch nicht Teil der Liquidationsmasse sein können, müssen diese an die Rechtsinhaber – also an Gesellschafter oder Dritte – vor der Durchführung der Liquidation herausgegeben werden.10 Diese primäre Aussonderungs- und Herausgabepflicht ist zwar nicht ausdrücklich normiert, besteht aber gleichwohl unabhängig davon, wie der Gegenstand in die Gesellschaft eingebracht wurde: Das fremde Sachen an den jeweiligen Eigentümer herauszugeben sind, ergibt sich bereits aus dessen Eigentumsrecht. Hatte die Gesellschaft ein obligatorisches Besitz- und Nutzungsrecht, so endet dieses, sobald der zugrunde liegende (Leasing-/Miet-) Vertrag gekündigt worden ist (jedoch nicht zwingend bereits mit Gesellschaftsauflösung). 9 Gegenstände die ein Gesellschafter zur Erfüllung seiner Beitragspflicht der GbR zur Nut-
zung überlassen hat, müssen an diesen zurückgegeben werden; zwar ist die entsprechende Regelung des alten Rechts entfallen (§ 732 Satz 1 BGB a.F.), inhaltlich ist jedoch keine Änderung beabsichtigt. Der Rückgabeanspruch verstehe sich, so der Reformgesetzgeber, „nach der zugrundeliegenden Vereinbarung von selbst“11. Entsprechendes gelte für die Gefahrtragung bei zufälliger Verschlechterung oder zufälligem Abhandenkommen der Sache: Der bisherigen gesetzlichen Klarstellung (§ 732 Satz 2 BGB a.F.) bedürfe es nicht; bereits aus der zugrunde liegenden Vereinbarung ergebe sich, dass „mangels Verschuldens bei Untergang oder Verschlechterung des überlassenen Gegenstands ein Schadensersatzanspruch ausscheidet.“12
9 Vgl. zu diesen alternativen Gestaltungsmöglichkeiten und den diesbezüglichen Motiven des Gesetzgebers Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 187. 10 S. hierzu auch Noack in Schäfer, Personengesellschaftsrecht, § 9 Rz. 24; Hillers, Personengesellschaft und Liquidation, 1988, S. 33. 11 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 186. 12 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 186; vgl. jedoch den Hinweis auf die Ungenauigkeit dieser Aussage bei Noack in Schäfer, Personengesellschaftsrecht, § 9 Rz. 24.
574 | Richter
Rechtstellung der Liquidatoren | Rz. 13 § 736d BGB
Ein letztlich im Vollrecht wurzelnder Aussonderungsanspruch des Gesellschafters besteht 10 auch, wenn er seine Sache dem Werte nach eingebracht hat (quoad sortem). Die Sache ist formell in seinem Eigentum verblieben; Wert, Nutzungen und Wertsteigerungen sollten hingegen der Gesellschaft zustehen (§ 709 Rz. 13). Folglich ist der eingebrachte Gegenstand (entgegen älterer Rechtsprechung)13 zwar i.R.d. Liquidation herauszugeben, der (aktuelle, ggf. also gestiegene) Sachwert wird jedoch zu Lasten des Gesellschafters in der Schlussabrechnung (Rz. 22 f.) berücksichtigt.14
2. Beendigung und Abwicklung laufender Geschäfte Die Gesellschaftsauflösung führt zwar zu einer Veränderung des Gesellschaftszwecks, sie 11 wirkt sich regelmäßig jedoch nicht unmittelbar auf den Bestand von Vertrags- und sonstigen Schuldverhältnissen der GbR aus (vgl. auch bei § 735 BGB Rz. 25). Deshalb haben die Liquidatoren gem. § 736d Abs. 2 Satz 1 BGB die Aufgabe, laufende Geschäfte zu beenden. Soweit bei Dauerschuldverhältnissen vorzeitige Lösungsmöglichkeiten bestehen, haben die Liquidatoren diese wahrzunehmen; i.Ü. müssen sie sich darum bemühen, die jeweiligen Vertragspartner zu einer vorzeitigen Vertragsabwicklung zu bewegen.15 Umfasst ist jedoch nicht nur die Kündigung oder sonstige Beendigung von Vertragsverhält- 12 nissen der GbR; der Begriff des „laufenden Geschäfts“ muss vielmehr untechnisch verstanden werden und erfasst allgemein die betriebliche Tätigkeit der GbR.16 Da eine unmittelbare Einstellung jeglicher Tätigkeit der (Liquidations-)Gesellschaft i.d.R. nicht in Betracht kommt, besteht u.U. die Möglichkeit und Pflicht, die Tätigkeit der GbR zeitweise fortzuführen.17 Häufig lässt sich nur durch eine einstweilige Betriebsfortführung eine möglichst profitable Abwicklung erreichen, wobei sich die Fortführung stets im Rahmen des Liquidationszwecks (§ 735 BGB Rz. 10, 16) und der Weisungen der Beteiligten (Rz. 3) halten muss. Aus diesem Grund sieht das Gesetz in § 736d Abs. 2 Satz 2 BGB explizit vor, dass die Liquidatoren zur Beendigung der laufenden Geschäfte auch neue Geschäfte eingehen können. Auch diese Möglichkeit besteht jedoch nur, wenn und „soweit es der auf Abwicklung und Vollbeendigung gerichtete Gesellschaftszweck erfordert“18, unter dieser Voraussetzung jedoch auch unabhängig von einer Betriebsfortführung. Auch rechtshängige Prozesse sind von den Liquidatoren aufzunehmen und abzuwickeln; 13 die notwendige Befugnis ergibt sich aus § 736b Abs. 1 BGB oder der vom Gesetz abweichenden Zuweisung durch Vertrag oder Beschluss (§ 736b BGB Rz. 7). Zwar spricht das Interesse an einer möglichst zügigen Liquidation dafür, dass die Liquidatoren auf eine rasche Verfahrensbeendigung hinwirken sollten;19 gleichwohl können und sollten alle Rechte und Verteidigungsmittel voll ausgeschöpft werden, wenn dies den Interessen der zu befriedigenden Gläubiger und der beteiligten Gesellschafter dient.20
13 BGH v. 25.3.1965 – II ZR 203/62, WM 1965, 744 (lediglich Anspruch des Gesellschafters auf Werterstattung). 14 Westermann in Erman, § 732 BGB Rz. 1; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 732 BGB Rz. 10, § 733 BGB Rz. 13. 15 Habersack in Staub, § 149 HGB Rz. 13; Hillmann in E/B/J/S, § 149 HGB Rz. 6. 16 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 187; s. auch K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 149 HGB Rz. 8. 17 So schon zum Genossenschaftsrecht RG v. 27.10.1909 – I 615/08, RGZ 72, 236, 240; s. auch Habersack in Staub, § 149 HGB Rz. 14; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 149 HGB Rz. 9. 18 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 187. 19 Habersack in Staub, § 149 HGB Rz. 14. 20 Vgl. auch K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 149 HGB Rz. 11. Richter | 575
§ 736d BGB Rz. 14 | Rechtsfähige Gesellschaft
3. Einziehung von Gesellschaftsforderungen 14 Aus § 736d Abs. 2 Satz 1 BGB ergibt sich des Weiteren die Pflicht der Liquidatoren, offene
Forderungen der Gesellschaft einzuziehen und auf diese Weise in eine liquide, verteilungsfähige Vermögensmasse umzuwandeln.21 Zulässig und u.U. sinnvoll ist aber auch eine andersgeartete Verwertung der Forderungen,22 etwa durch Aufrechnung (mit der Folge, dass zugleich auch die Gläubigerbefriedigung erfolgt, Rz. 18). Die Einziehungspflicht betrifft zunächst Forderungen, die sich gegen außenstehende Dritte richten, unabhängig davon, ob diese sich auf Geldleistung richten oder einen anderen Inhalt haben. Hat die GbR Anspruch auf eine Sachleistung, so muss diese zunächst eingefordert und sodann in einem zweiten Schritt in Geld umgesetzt werden (Rz. 17). Fällige Ansprüche sind unmittelbar geltend zu machen, i.Ü. sind die Forderungen (etwa durch Kündigung) wenn möglich fällig zu stellen.23 Sollte der Drittschuldner die Erfüllung verweigern, ist die Forderung klageweise geltend zu machen, soweit entsprechende Erfolgs- und Befriedigungsaussichten bestehen.24 15 Auch Gesellschaftsforderungen, die sich gegen einen der Gesellschafter richten, sind von den
Liquidatoren einzuziehen; zu den Aufgaben der Liquidatoren gehört es auch, den Ausgleich unter den Gesellschaftern durchzuführen.25 Dies betrifft zunächst Forderungen aus Drittgeschäften, an denen sich die GbR und der Gesellschafter „wie Dritte“ gegenüberstehen, also insb. Rechtsgeschäfte die nicht causa societatis, sondern in jeweils eigenem Interesse abgeschlossen wurden.26 Die Geltendmachung dieser Forderungen betrifft nicht den internen Ausgleich im Gesellschaftsverhältnis, so dass hier keine Durchsetzungssperre (s. hierzu § 735 BGB Rz. 20) besteht.27 16 Von den Liquidatoren sind zum anderen aber auch Sozialansprüche gegen die Gesellschafter
geltend zu machen: Ansprüche auf noch nicht erbrachte Einlageleistungen sind grds. einzuziehen, allerdings nur insoweit, als die Beiträge für die Abwicklung notwendig sind (s. hierzu § 735 BGB Rz. 16).28 Nach herrschender, aber bestrittener Sicht trifft die diesbezügliche Darlegungs- und Beweislast grds. den in Anspruch genommenen Gesellschafter.29 Die Gesellschafterbeiträge sind zwar i.R.d. Liquidation grds. zurückzuerstatten (Rz. 20), dies gilt jedoch erstens nicht für jede Beitragsart und hat zweitens nach dem gesetzlichen Leitbild Nachrang gegenüber der Befriedigung der Gläubiger (Rz. 18). Richtet sich die Beitragsforderung auf Geldeinlage oder die sonstige Vermehrung des Gesellschaftsvermögens, sind die Beiträge in aller Regel zugunsten der Gesellschaft zu erbringen bzw. in der Schlussabrechnung zu berücksichtigen (s. hierzu auch § 735 BGB Rz. 16).30 Entsprechendes gilt für die Ansprüche aus § 737 BGB: Ergibt sich aus der Schlussabrechnung, dass das Gesellschaftsver21 22 23 24 25 26 27 28 29 30
Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 187; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 149 HGB Rz. 16. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 187. Habersack in Staub, § 149 HGB Rz. 19. Hillmann in E/B/J/S, § 149 HGB Rz. 10; Habersack in Staub, § 149 HGB Rz. 19. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 187 mit dem Hinweis auf BGH v. 30.1.2018 – II ZR 95/ 16, BGHZ 217, 237 = ZIP 2018, 721. S. hierzu Schäfer in Staub/HGB, § 105 HGB Rz. 213 f. BGH v. 27.10.2020 – II ZR 150/19, BGHZ 227, 242, 246 Rz. 17 = ZIP 2020, 2460; Kilian in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 730 BGB Rz. 13. Vgl. BGH v. 3.2.1977 – II ZR 201/75, WM 1977, 617; BGH v. 30.1.2018 – II ZR 95/16, ZIP 2018, 721, 726 Rz. 58; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1735 (Stand: 84. EL 9/2022); Habersack in Staub, § 149 HGB Rz. 22. BGH v. 30.1.2018 – II ZR 95/16, ZIP 2018, 721, 726 Rz. 59; Habersack in Staub, § 149 HGB Rz. 22; a.A. etwa Schäfer in MünchKomm/BGB, § 730 BGB Rz. 31; s. hierzu auch § 735 BGB Rz. 17. Nur in Ausnahmefällen dürften die vorhandenen liquiden Mittel für die Begleichung sämtlicher Forderungen ausreichen, so dass ein derartiger Beitrag nicht für die Abwicklung benötigt würde; vgl. aber OLG Saarbrücken v. 29.3.2017 – 1 U 82/16, ZInsO 2018, 202, 205 (zur Einlagepflicht eines Kommanditisten).
576 | Richter
Rechtstellung der Liquidatoren | Rz. 18 § 736d BGB
mögen nicht zur Gläubigerbefriedigung und zur Rückerstattung der Beiträge ausreicht, haften die Gesellschafter der GbR für den Fehlbetrag; diese Nachschüsse sind i.R.d. Schlussabrechnung ebenfalls durch die Liquidatoren einzufordern. Dies war vor der Gesetzesreform umstritten, aber herrschende Meinung,31 der sich der MoPeG-Gesetzgeber angeschlossen hat.32 Sollten die Liquidatoren ihrer Pflicht zur Forderungseinziehung nicht nachkommen, besteht (begrenzt auf die Sozialansprüche) Raum für eine Gesellschafterklage (actio pro socio, § 735 BGB Rz. 24).33
4. Sonstige Umsetzung des Gesellschaftsvermögens Neben den Gesellschaftsforderungen haben die Liquidatoren auch das übrige Aktivvermögen 17 der Gesellschaft in Geld umzusetzen. Anders als nach altem Recht ist nach § 736d Abs. 2 Satz 1 BGB das gesamte Vermögen vollständig zu liquidieren und nicht mehr nur insoweit, als es für die Gläubigerbefriedigung und die Beitragsrückerstattung erforderlich ist.34 Die frühere gesetzliche Vorstellung einer (Auf-)Teilung des verbleibenden Gesellschaftsvermögens in Natur wurde mit dem MoPeG aufgegeben. Wie die „Umsetzung“ konkret erfolgt, liegt – vorbehaltlich konkreter Vorgaben durch Gesellschaftsvertrag oder Gesellschafterbeschluss – im Ermessen der Liquidatoren, das am Ziel der bestmöglichen Verwertung auszurichten ist. Die früher einschlägigen Vorschriften zum Pfandverkauf und zur Immobiliarzwangsversteigerung sind nicht mehr anzuwenden; das bisherige Regime erschien dem Gesetzgeber vor dem Hintergrund des neuen Leitbilds „einer auf Dauer angelegten und damit häufig auch nachhaltig wirtschaftlich tätigen Gesellschaft […] nicht mehr praktikabel.“35 Die hiermit ermöglichte freihändige Verwertung ist insbesondere wichtig, wenn und weil so der Betrieb der GbR als Einheit verwertet werden kann, so dass u.U. deutlich höhere Erlöse als bei einer zerschlagenden Liquidation erzielt werden können (§ 735 BGB Rz. 32).36
5. Gläubigerbefriedigung (Abs. 4) Aus dem liquidierten Vermögen sind – nach gesetzlicher Vorstellung: vorrangig (Rz. 29) – 18 die Gesellschaftsgläubiger zu befriedigen (§ 736d Abs. 4 Satz 1 BGB), bevor Beiträge an die Gesellschafter zurückerstattet werden (Rz. 20). Diese Norm wird vom Gesetzgeber als „Gläubigerschutzvorschrift“ eingeordnet, aus der sich „das Recht auf vorrangige Gläubigerbefriedigung“ ergebe.37 Gläubiger in diesem Sinne sind insbesondere außenstehende Dritte, aber u.U. auch die Gesellschafter: Steht einem Gesellschafter eine Forderung aus einem Drittgeschäft (Rz. 15) zu, so kann die Forderung unmittelbar geltend gemacht werden; die allgemeine Durchsetzungssperre greift hier nicht (§ 735 BGB Rz. 20). Etwas anderes gilt für
31 BGH v. 27.10.2020 – II ZR 150/19, BGHZ 227, 242, 246 Rz. 20 ff. = ZIP 2020, 2460; grundlegend K. Schmidt, ZHR 153 (1989), 270, 295 f.; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 149 HGB Rz. 21 f. m.w.N.; a.A. etwa Hillmann in E/B/J/S, § 149 HGB Rz. 15. 32 Im Anschluss an BGH v. 30.1.2018 – II ZR 95/16, BGHZ 217, 237 Rz. 67 ff. = ZIP 2018, 721; Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 187. 33 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 187 mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass die Gesellschafterklage durch § 736d Abs. 2 BGB nicht ausgeschlossen ist, s. auch Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 735 BGB Rz. 4. 34 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 187; Noack in Schäfer, Personengesellschaftsrecht, § 9 Rz. 25. 35 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 187. 36 Noack in Schäfer, Personengesellschaftsrecht, § 9 Rz. 25. 37 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 182; zur Einschränkbarkeit dieses Vorrangs der Gläubigerbefriedigung s. Rz. 29. Richter | 577
§ 736d BGB Rz. 18 | Rechtsfähige Gesellschaft die sonstigen Gesellschafterforderungen, insbesondere die sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Sozialverbindlichkeiten; diese sind zwar auch zu berichtigen, dies allerdings erst und nur als Rechnungsposten im Rahmen der Schlussabrechnung.38 19 Für die (etwaige) Erfüllung von Forderungen, die streitig oder noch nicht fällig sind, muss
gem. Satz 2 das zur Berichtigung der Verbindlichkeiten Erforderliche zurückbehalten werden. Diese Rückstellungen gehen also ebenfalls der Auskehr von Einlagen oder Überschüssen an die Gesellschafter vor.39 Bei der Prüfung, ob und inwieweit Rückstellungen für streitige Forderungen zu bilden sind, ist eine vorsichtige Prognose angezeigt; ein Zurückbehalten ist jedoch nicht notwendig bei offensichtlich unbegründeten Forderungen.40 Sollten keine abweichenden Regelungen getroffen worden sein, sind zurückbehaltene Gelder wo dies möglich und sinnvoll ist gem. § 372 BGB zu hinterlegen.41
6. Rückerstattung von Gesellschafterbeiträgen (Abs. 5) 20 Gegenüber der Aussonderung (Rz. 8) und der Gläubigerbefriedigung nach Abs. 4 (Rz. 18)
nachrangig ist der Anspruch der Gesellschafter auf Rückerstattung ihrer Beiträge (Abs. 5), die sie zur Förderung des gemeinsamen Zwecks in die GbR eingebracht haben (§ 709 BGB Rz. 5 ff.). § 736d Abs. 5 BGB ist jedoch nicht nur eine (dispositive) Regelung zum Ablauf der Liquidation, sondern stellt sich – ungeachtet des Regelungsstandorts – als eigenständige Anspruchsgrundlage dar.42 Besteht ein derartiger Anspruch, kann dieser – anders als Abs. 5 nahezulegen scheint – nicht zeitlich vor, sondern nur innerhalb der Schlussabrechnung und -verteilung (Rz. 23) geltend gemacht werden. 21 Im Zentrum steht die wertmäßige Erstattung von Vermögensgegenständen, die als Einlage-
leistung zum (bilanzierungsfähigen)43 Gesellschaftsvermögen geworden sind (quoad dominum, § 709 BGB Rz. 11). Geldeinlagen sind in entsprechender Höhe zu begleichen, bei sonstigen Sacheinlagen ist gemäß Satz 2 der Wert zu ersetzen, den diese zur Zeit der Einbringung gehabt haben. Dies gilt jedoch nicht für Gegenstände, die lediglich „dem Werte nach“ eingebracht wurden (quoad sortem, § 709 BGB Rz. 13); diese sind als gesellschaftsfremde Sache gegen Wertersatz auszusondern (Rz. 10). Entsprechendes gilt für Gegenstände, die der GbR zur Nutzung überlassen wurden (quoad usum, § 709 BGB Rz. 12).44 Der geldwerte Vorteil, der in dieser zeitweisen Nutzungsüberlassung liegt, wird nicht ohne weiteres ersetzt: Nach Satz 3 kann für Beiträge, die in der Leistung von Diensten oder in der Überlassung der Benutzung eines Gegenstands bestanden haben, im Zweifel kein Ersatz verlangt werden. Hintergrund dieser Zweifelsregelung ist die gesetzgeberische Annahme, dass die konkrete Bewertung dieser Beiträge zu erheblichen Schwierigkeiten führen könnte und der Beitragswert regelmäßig bereits durch die Gewinnbeteiligung (§ 709 BGB Rz. 33) ausgeglichen wird.45 Eine abweichende Regelung im Gesellschaftsvertrag oder durch Beschluss ist allerdings unproblematisch möglich, so dass diese Regelung – mangels Zweifeln – nicht zum Zuge kommt. 38 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 188 unter Hinweis auf Schäfer in MünchKomm/BGB, § 730 BGB Rz. 49 ff. 39 Westermann in Erman, § 733 BGB Rz. 3; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 733 BGB Rz. 9. 40 Hadding/Kießling in Soergel, § 733 BGB Rz. 8. 41 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 188; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 733 BGB Rz. 9. 42 So ausdrücklich auch Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 188. 43 Noack in Schäfer, Personengesellschaftsrecht, § 9 Rz. 27. 44 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1781a (Stand: 84. EL 9/2022). 45 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 188 mit Verweis auf Schäfer in MünchKomm/BGB, § 733 BGB Rz. 17.
578 | Richter
Rechtstellung der Liquidatoren | Rz. 25 § 736d BGB
7. Schlussabrechnung und -verteilung (Abs. 6) Einer der letzten Schritte des Liquidationsverfahrens ist die Schlussabrechnung, also die Auf- 22 stellung einer Auseinandersetzungsbilanz, aus der sich ein positiver Liquidationsüberschuss oder ein negativer Fehlbetrag ergibt. Während die Pflicht zur Schlussabrechnung für die oHG speziell geregelt ist (§ 148 HGB Rz. 31), enthält das BGB keine entsprechende Norm für die GbR. Allerdings setzt die Verteilung von Überschüssen nach § 736d Abs. 6 BGB (Rz. 24) bzw. die Verlustverteilung und -haftung nach § 737 BGB inhaltlich eine solche Schlussabrechnung voraus. Eine formelle Auseinandersetzungsbilanz nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung ist jedoch bei der GbR grundsätzlich nicht notwendig; dies ist nur dann anders, wenn die konkreten Verhältnisse der Gesellschaft besonders komplex und nicht ohne weiteres überschaubar sind und deshalb eine formelle Bilanzierung notwendig ist, um eine klare und (rechts-)sichere Auseinandersetzung zu gewährleisten.46 In die Schlussabrechnung ist auf der Aktivseite das verbliebene, liquidierte Gesellschaftsver- 23 mögen einzustellen, das nicht zur Befriedigung der Gläubiger eingesetzt wurde. Sollten die Gläubiger nicht vollständig befriedigt worden sein, so sind ihre Forderungen auf der Passivseite zu berücksichtigen; nach der gesetzlich vorgesehenen (allerdings abdingbaren, Rz. 30) Konzeption, dürfte – weil die Gläubigerbefriedigung der Schlussabrechnung vorgeht – in diesem Fall kein freies Vermögen mehr vorhanden sein; den Gläubigerforderungen stehen dann die Ansprüche auf Fehlbetragshaftung (Rz. 26, § 737 BGB Rz. 1) gegenüber. Einzustellen sind weiterhin alle Sozialverbindlichkeiten, also die gesellschaftsvertraglich geprägten Forderungen der Gesellschafter, inkl. der Ansprüche auf Rückerstattung ihrer Beiträge (Rz. 20). Diese Forderungen werden zu „unselbständigen Rechnungsposten im Rahmen der Schlussabrechnung“47. Auf der Aktivseite sind spiegelbildlich auch die Ansprüche der GbR gegen ihre Gesellschafter – etwa bei offenen Einlagepflichten (Rz. 16) – zu berücksichtigen. Aus der (abdingbaren) gesetzlichen Befriedigungsreihenfolge ergibt sich eine Regelung zum materiellen Vor- und Nachrang für die verschiedenen Forderungen und Verpflichtungen innerhalb des Gesellschaftsverhältnisses, die es bei Aufstellung der Schlussabrechnung zu beachten gilt (s. auch § 735 BGB Rz. 22). Anhand dieser Bilanzierung errechnet sich, ob insgesamt ein Überschuss oder Fehlbetrag besteht, der sodann auf die Gesellschafter aufgeteilt und jeweils mit deren Forderungen bzw. Verpflichtungen verrechnet wird. Ergibt sich aus der Schlussabrechnung ein positiver Saldo, reicht also das Aktivvermögen aus, 24 um alle Gesellschaftsverbindlichkeiten (inkl. der Sozialverbindlichkeiten) vollständig zu begleichen und die Beiträge wie geschuldet zu erstatten, so kommt es zur Überschussverteilung nach § 736d Abs. 6 BGB.48 Der jeweilige Anteil der Gesellschafter am Überschuss ergibt sich dem Grunde nach – vorbehaltlich abweichender Vereinbarungen – aus dem allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel,49 also der Gewinn- und Verlustbeteiligungen (§ 709 BGB Rz. 32). Allerdings wird der Überschussanspruch mit etwaigen (Sozial-)Ansprüchen verrechnet, die zwischen dem jeweiligen Gesellschafter und der GbR bestehen und noch nicht beglichen wurden. Aufzusummieren sind die Gesellschafterforderungen, die der Durchsetzungssperre unterfallen (§ 735 BGB Rz. 18). Der jeweilige Anspruch auf Auszahlung des anteiligen Überschusses gründet im Mitglied- 25 schaftsrecht, entsteht mit der Auflösung in noch unbestimmter Höhe und wird nach (wohl)
46 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 730 BGB Rz. 58; Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 730 BGB Rz. 24. 47 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 188; vgl. auch Hadding/Kießling in Soergel, § 730 BGB Rz. 25. 48 S. zum Begriff des Überschusses auch Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 188; vgl. auch Schäfer in MünchKomm/BGB, § 734 BGB Rz. 3 ff. 49 Westermann in Erman, § 734 BGB Rz. 2. Richter | 579
§ 736d BGB Rz. 25 | Rechtsfähige Gesellschaft herrschender Sicht mit Feststellung der Schlussabrechnung fällig.50 Diese Sicht kann für die GbR jedoch in Frage gestellt werden, weil § 736d BGB (anders als das i.Ü. weitgehend parallele Handelsrecht, § 148 HGB Rz. 40) keinen Anspruch auf vorläufige Vorabausschüttung vorsieht.51 Der Anspruch auf die (endgültige) Überschussverteilung richtet sich gegen die GbR, muss im Streitfall also grds. durch Klage gegen die Gesellschaft geltend gemacht werden. Ausnahmsweise (insb. bei einer zweigliedrigen GbR ohne nennenswertes Vermögen) wird gleichwohl zugelassen, dass die Gesellschafter untereinander Leistungen im „abgekürzten Zahlungsweg“52 durchsetzen:53 Steht einem Gesellschafter ein Auszahlungsanspruch zu, der letztlich allein durch die Nachzahlung eines Mitgesellschafters zu begleichen ist, so kann jener die Forderung gegen den ausgleichspflichtigen Gesellschafter durchsetzen und unmittelbar Leistung an sich selbst fordern.54 26 Sollte das Aktivvermögen der Gesellschaft nicht ausreichen, um alle Verbindlichkeiten der Ge-
sellschaft zu begleichen, ergibt sich also in der Schlussabrechnung ein Fehlbetrag, so kommt die Rang- und Befriedigungsreihenfolge zum Tragen: Aus den verbliebenden liquiden Mitteln sind zunächst nach Abs. 4 – soweit möglich – die (Dritt-)Gläubigerforderungen und sodann die Sozialverbindlichkeiten zu befriedigen (Rz. 18), bevor die Beiträge nach Abs. 5 wertmäßig zu erstatten sind (Rz. 20). Wenn gleichrangige (Sozial-)Ansprüche nicht vollständig beglichen werden können, gilt – anders als bei der Gläubigerbefriedigung55 – Gleichbehandlung, so dass hier eine quotale Befriedigung angezeigt ist.56 Die Summe der offenen Forderungen stellt den Fehlbetrag dar, der gem. § 737 BGB von den Gesellschaftern auszugleichen ist; den Liquidatoren kommt dann die Aufgabe der Verlustverteilung zu (§ 737 BGB Rz. 1).
IV. Zeichnung für die eingetragene Liquidationsgesellschaft (Abs. 3) 27 Ist die Gesellschaft im Register eingetragen (eGbR), ergibt sich aus § 736d Abs. 3 BGB die
Pflicht der Liquidatoren, bei der Abgabe ihrer Unterschrift dem Namen der Gesellschaft einen Liquidationszusatz (etwa: „in Abwicklung“, „in Liquidation“ oder „i.L.“) beizufügen. Diese dem § 153 HGB a.F. nachempfundene Regelung ist, anders als die meisten übrigen Vorgaben der §§ 735 ff. BGB, nicht dispositiv.57 Durch den Liquidationszusatz soll der Rechts- und Ge50 BGH v. 22.1.2019 – II ZR 59/18, ZIP 2019, 414, 415 Rz. 10; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 734 BGB Rz. 10; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1785 (Stand: 84. EL 9/2022); kritisch Osterloh-Konrad, ZGR 2021, 476, 487 ff.; s. auch Noack in Schäfer, Personengesellschaftsrecht, § 9 Rz. 30. Anders auch die herrschende Sicht zum Handelsrecht, s. etwa m.w.N. K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 155 HGB Rz. 43. 51 Der Gesetzgeber meinte, dass eine dem § 148 Abs. 7 HGB entsprechende Regelung für die GbR nicht notwendig sei; man ging davon aus, dass bei der GbR das Liquidationsverfahren kürzer sei als bei den Handelsgesellschaften, weil es weniger Liquidationsmasse zu verteilen gebe (Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 250, mit umgekehrter Verneinung). 52 Noack in Schäfer, Personengesellschaftsrecht, § 9 Rz. 29. 53 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1785a (Stand: 84. EL 9/2022); Hillers, Personengesellschaft und Liquidation, 1988, S. 254 ff. 54 BGH v. 13.10.2015 – II ZR 214/13, ZIP 2016, 216; Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 730 BGB Rz. 26; Hadding/Kießling in Soergel, § 730 BGB Rz. 17, 28; Schäfer in MünchKomm/ BGB, § 730 BGB Rz. 62. 55 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1742 (Stand: 84. EL 9/2022); K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 149 HGB Rz. 42; Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 269. 56 Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 734 BGB Rz. 6; Westermann in Erman, § 734 BGB Rz. 3; s. zur Gleichbehandlung der Gesellschafter auch Hillers, Personengesellschaft und Liquidation, 1988, S. 58 f. 57 S. zur bisherigen handelsrechtlichen Vorgabe etwa K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 153 HGB Rz. 4.
580 | Richter
Rechtstellung der Liquidatoren | Rz. 30 § 736d BGB
schäftsverkehr – jedenfalls bei schriftlichen Erklärungen – vor den rechtlichen und wirtschaftlichen Risiken gewarnt werden, die sich aus dem Vertragsschluss mit einer Liquidationsgesellschaft ergeben können.58 Besondere Bedeutung hat die Vorgabe des Abs. 3, wenn die Gesellschaftsauflösung (trotz der Regelung des § 733 Abs. 1 Satz 1 BGB) noch nicht im Gesellschaftsregister eingetragen wurde (vgl. hierzu § 733 BGB Rz. 8). Die negative Publizität des Handelsregisters kommt nicht zum Tragen, wenn und weil der Liquidationszusatz dafür sorgt, dass der (eintragungspflichtige) Umstand der Auflösung dem Dritten bekannt war (§ 15 Abs. 1 a.E. HGB i.V.m. § 707a Abs. 3 Satz 1 BGB).59 Verstößt ein Liquidator bei der Abgabe einer Willenserklärung gegen die Vorgabe des § 736d 28 Abs. 3 BGB, berührt dies die Wirksamkeit der Erklärung nicht; auch die Vertretungswirkung wird hiervon nicht betroffen. Allerdings kann ein Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft der GbR sowie u.U. eine diesbezügliche arglistige Täuschung im Raum stehen, so dass eine Anfechtung gem. § 119 Abs. 2, § 123 BGB möglich sein kann.60 Eine Außenhaftung des Liquidators kann sich ergeben, wenn die Voraussetzungen einer culpa in contrahendo vorliegen (§ 311 Abs. 3, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB) sowie ggf. als Folge einer unerlaubten Handlung;61 § 736d Abs. 3 BGB ist Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten des Vertragspartners.62
V. Gestaltbarkeit der Befriedigungsreihenfolge Aus § 736d BGB ergibt sich die zuvor dargestellte Rang- und Reihenfolge bei der Befriedi- 29 gung der unterschiedlichen Ansprüche (Rz. 23). Die Einhaltung dieser Tilgungsreihenfolge liegt „in erster Linie, im Interesse der Gläubiger.“63 Weil diese nach gesetzlicher Konzeption vorrangig aus dem Liquidationserlös zu befriedigen sind, wurde etwa § 736d Abs. 4 BGB vom Gesetzgeber als „Gläubigerschutzvorschrift“ tituliert.64 Gleichwohl kann von der Befriedigungsreihenfolge des § 736d BGB durch den Gesellschaftsvertrag oder durch (grds. einstimmigen) Beschluss der Beteiligten abgewichen werden. So wie das Ziel und das Verfahren der Abwicklung insgesamt gestaltbar ist (§ 735 BGB Rz. 27 ff.), kann auch vereinbart werden, wie mit den Aktiva und Passiva der Gesellschaft umgegangen werden soll. So ist es möglich und zulässig, das gesamte (nur u.U. liquidierte) Gesellschaftsvermögen an die Gesellschafter zu verteilen, ohne eine vorherige Schuldentilgung vorzusehen.65 Zum früheren Recht wurde z.T. davon ausgegangen, der Vorrang der Gläubigerbefriedigung 30 habe zwingenden Charakter, wenn nicht ausnahmsweise davon ausgegangen werden könne, dass Gläubigerinteressen offensichtlich nicht berührt wären.66 Auch zum reformierten Recht wird teilweise vertreten, dass die Dispositivität zumindest im Einzelfall eingeschränkt werden
58 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 187; vgl. auch Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/ Haas, § 153 HGB Rz. 1. 59 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 187 mit Bezugnahme auf Habersack in Staub, § 153 HGB Rz. 1. 60 Habersack in Staub, § 153 HGB Rz. 7; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 153 HGB Rz. 5. 61 K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 153 HGB Rz. 6; Hillmann in E/B/J/S, § 149 HGB Rz. 3. 62 S. bereits OLG Frankfurt v. 18.9.1991 – 21 U 10/90, NJW 1991, 3286 = GmbHR 1992, 537 zum parallelen § 68 Abs. 2 GmbHG. 63 Noack in Schäfer, Personengesellschaftsrecht, § 9 Rz. 26; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 733 BGB Rz. 10. 64 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 182. 65 Hadding/Kießling in Soergel, § 730 BGB Rz. 18; Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 730 BGB Rz. 2; Beurskens/Rottmann, JZ 2018, 272, 273. 66 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 733 BGB Rz. 11. Richter | 581
§ 736d BGB Rz. 30 | Rechtsfähige Gesellschaft müsse, wobei sich eine teleologische Reduktion von § 735 Abs. 3 BGB anböte.67 Jedenfalls seit Einführung des § 721 BGB dürfte allerdings die Gestaltbarkeit der Befriedigungsreihenfolge zu befürworten sein: Während die persönliche Haftung der Gesellschafter vor dem MoPeG nicht gesetzlich normiert und eine Befriedigung der Gläubiger deshalb nicht umfassend sichergestellt war, dürfte sich dieser Einwand mit der Gesetzesreform und dem heutigen § 721 BGB erledigt haben. Die Gesellschafter haften jedoch nicht nur auf diese Weise im Außenverhältnis (vgl. zur besonderen Verjährung nach Erlöschen der Gesellschaft § 739 BGB Rz. 4 ff.); sie haften – zumindest grds. – auch der GbR gegenüber für den Fehlbetrag gem. § 737 BGB, so dass auch die Gesellschaft von den Gläubigern in Anspruch genommen werden kann (§ 737 BGB Rz. 2).
VI. Vollbeendigung der Gesellschaft 31 Wurde die Gesellschaft vollständig abgewickelt, sind insbesondere alle Verbindlichkeiten ge-
tilgt und das Vermögen verteilt, endet das Liquidationsverfahren und mit ihm die Existenz der GbR; es tritt Vollbeendigung ein. Das Gesetz spricht vom Erlöschen der Gesellschaft, das bei einer eGbR im Register einzutragen ist (§ 738 BGB Rz. 1). Eine solche Registereintragung ist, anders als bei den Kapitalgesellschaften,68 jedoch rein deklaratorisch; die Gesellschaft endet – unabhängig davon, ob sie zuvor eingetragen war oder nicht – ipso iure mit dem Abschluss der Liquidation.69 Zur sofortigen Vollbeendigung ohne Liquidationsverfahren vgl. § 735 BGB Rz. 7 ff. 32 Unter Geltung des alten Rechts war umstritten, ob Vollbeendigung bereits dann eintritt,
wenn zwar alle Vermögensgegenstände verteilt wurden, aber noch Gesellschaftsverbindlichkeiten bestanden. Z.T. wurde angenommen, dass auch in diesem Fall die Existenz der GbR enden solle; ein hinreichender Gläubigerschutz werde durch die unbeschränkte persönliche Haftung der Gesellschafter gewährleistet, die auch bei Wegfall der GbR fortbestehe.70 Die Gegenansicht verweist hingegen zu Recht darauf, dass sich aus den ungetilgten Verbindlichkeiten der Gesellschaft (über den heutigen § 737 BGB) unmittelbar Nachschussansprüche der GbR gegen die Gesellschafter ergeben, die einer Vollbeendigung entgegenstehen.71 Sollte diese Fehlbetragshaftung nicht wirksam abbedungen sein (§ 737 BGB Rz. 3), ergibt sich aus den Passiva ein entsprechendes Aktivvermögen, das es zu verteilen gilt. Auch der BGH hatte sich noch zur bisherigen Rechtslage und in Abweichung zu früheren Entscheidungen, dieser Sichtweise angeschlossen: „Solange der Gesellschaft noch ein Anspruch auf Nachschuss […] zusteht, ist ihre Vollbeendigung nicht eingetreten. Sie besteht als Rechtssubjekt fort und wird vorbehaltlich einer anderweitigen gesellschaftsvertraglichen Regelung durch ihre Liquidatoren vertreten.“72 Der hierbei zugrunde liegende Gedanke – die umfassende Anerkennung der Rechtsfähigkeit der GbR – ist durch das MoPeG nunmehr gesetzlich fixiert, deshalb ist jedenfalls für das reformierte Recht davon auszugehen, dass die Vollbeendigung der Gesellschaft grundsätzlich erst dann eintritt, nachdem die Nachschussansprüche eingefordert und die Erlöse verteilt wurden.73 Wird allerdings die Vorgabe des § 737 BGB abbedungen, so dass die Gesellschafter nicht gegenüber der GbR, sondern allein im Außenverhältnis zu den
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Noack in Schäfer, Personengesellschaftsrecht, § 9 Rz. 17. S. etwa § 273 AktG, § 74 GmbHG; vgl. hierzu Koch, § 262 AktG Rz. 23 f., § 273 AktG Rz. 7. K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 157 HGB Rz. 9. Beurskens/Rottmann JZ 2018, 272, 273; s. auch Hadding/Kießling in Soergel, § 730 BGB Rz. 33; s. hierzu auch Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 730 BGB Rz. 3. 71 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1701a, 1757 ff., 1790 (Stand: 84. EL 9/2022); Habersack in Staub, § 155 HGB Rz. 34. 72 BGH v. 27.10.2020 – II ZR 150/19, BGHZ 227, 242, 248 = ZIP 2020, 2460, 2461 Rz. 23. 73 Noack in Schäfer, Personengesellschaftsrecht, § 9 Rz. 32.
582 | Richter
Haftung der Gesellschafter für Fehlbetrag | Rz. 2 § 737 BGB
Gläubigern haften, kommt es trotz der Schulden der Gesellschaft zu ihrer Beendigung.74 Nur in diesem Fall kann es zur Anwendung der Sonderverjährungsvorschrift des § 739 BGB kommen (§ 739 BGB Rz. 2).
§ 737 BGB Haftung der Gesellschafter für Fehlbetrag 1Reicht
das Gesellschaftsvermögen zur Berichtigung der Verbindlichkeiten und zur Rückerstattung der Beiträge nicht aus, haben die Gesellschafter der Gesellschaft für den Fehlbetrag nach dem Verhältnis ihrer Anteile am Gewinn und Verlust aufzukommen. 2 Kann von einem Gesellschafter der auf ihn entfallende Betrag nicht erlangt werden, haben die anderen Gesellschafter den Ausfall nach dem gleichen Verhältnis zu tragen. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Haftung für Fehlbeträge (Satz 1) . . . . . . .
1
II. Subsidiäre Ausfallhaftung (Satz 2) . . . . .
4
I. Haftung für Fehlbeträge (Satz 1) Für die werbende GbR folgt aus § 710 Satz 1 BGB, dass die Gesellschafter nur die vertraglich 1 versprochenen Beiträge zu leisten haben und gegen ihren Willen nicht zur Erhöhung dieser Beiträge verpflichtet werden können (§ 710 BGB Rz. 1). Dieses Mehrbelastungsverbot entfällt jedoch mit Eintritt des Auflösungsgrundes, gilt also nicht für die Liquidationsgesellschaft.1 Aus § 737 Satz 1 BGB folgt vielmehr eine Nachschusspflicht der Gesellschafter gegenüber der GbR: Ergibt sich aus der Schlussabrechnung (§ 736d BGB Rz. 26) ein negativer Saldo, reicht also das Vermögen der Gesellschaft nicht aus, um alle Gesellschaftsverbindlichkeiten zu begleichen und die Gesellschafterbeiträge zu erstatten, so haben die Gesellschafter für den Fehlbetrag aufzukommen. Der Ausgleich erfolgt grds. „über Eck“, also über die GbR (Rz. 2). Sind an der abschließenden Verteilung jedoch nur Gesellschafter beteiligt, wird jedoch ausnahmsweise die Möglichkeit einer direkten Abwicklung über den „abgekürzten Zahlungsweg“2 anerkannt (§ 736d BGB Rz. 25). Gläubigerin des Nachschussanspruchs ist die Gesellschaft; geltend zu machen sind die Forde- 2 rungen durch die Liquidatoren,3 subsidiär ist aber auch hier eine Geltendmachung im Wege der actio pro socio möglich (s. hierzu § 736d BGB Rz. 16).4 Bestehen also Ansprüche Dritter oder (Sozial-)Verbindlichkeiten gegenüber einem Gesellschafter, folgt hieraus über § 737 74 OLG Düsseldorf v. 27.3.2014 – 3 Wx 48/14, NZG 2014, 583, 584 = GmbHR 2014, 658; Noack in Schäfer, Personengesellschaftsrecht, § 9 Rz. 32; Habersack in Staub, § 155 HGB Rz. 34; gegen diese herrschende Sicht Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 274 ff. 1 S. zur diesbzgl. Regelung des § 710 Satz 2 BGB auch Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 143. 2 Noack in Schäfer, Personengesellschaftsrecht, § 9 Rz. 29; vgl. auch Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 735 BGB Rz. 4. 3 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 188; s. bereits zum alten Recht BGH v. 27.10.2020 – II ZR 150/19, BGHZ 227, 242 = ZIP 2020, 2460; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 735 BGB Rz. 5. 4 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1782 (Stand: 84. EL 9/2022); Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 274. Richter | 583
§ 737 BGB Rz. 2 | Rechtsfähige Gesellschaft Satz 1 BGB eine Art Regressanspruch der Gesellschaft und damit Aktivvermögen, das es zu verteilen gilt, so dass es (noch) nicht zur Vollbeendigung der Gesellschaft kommt (§ 736d BGB Rz. 32). Grundsätzlich (vgl. aber Satz 2, Rz. 4) haften die Gesellschafter für den Fehlbetrag anteilig und zwar grundsätzlich gemäß ihrer allgemeinen Gewinn- und Verlustbeteiligungen. Im Gesellschaftsvertrag kann jedoch auch ein spezieller Verlustverteilungsschlüssel bzgl. der Fehlbetragshaftung vorgesehen werden.5 3 Nicht nur die Quote der Verlustbeteiligung ist vertraglich gestaltbar, § 737 BGB ist vielmehr
insgesamt dispositiv.6 Wird die Norm nicht abbedungen, können die Gläubiger der Gesellschaft die (gesellschaftsinterne) Fehlbetragshaftung selbst nicht geltend machen; möglich ist jedoch ein Vorgehen gegen die Gesellschaft und die Vollstreckung in den Anspruch der GbR (§§ 829, 835 ZPO).7 Wird die Haftung nach § 737 BGB jedoch im Innenverhältnis abbedungen, bleiben die Gläubiger ebenfalls nicht schutzlos: Sie können (wie sonst auch) unmittelbar gegen die Gesellschafter vorgehen, die gem. § 721 Satz 1 BGB persönlich für die Gesellschaftsverbindlichkeiten haften (§ 721 BGB Rz. 11) und zwar auch dann, wenn die Gesellschaft als eigentliche Schuldnerin erloschen ist (vgl. auch § 739 BGB Rz. 2).8
II. Subsidiäre Ausfallhaftung (Satz 2) 4 § 737 Satz 2 BGB statuiert eine nachrangige Ausfallhaftung: Kann der Anspruch auf antei-
ligen Ausgleich des Fehlbetrags nach Satz 1 gegen einen Gesellschafter nicht erfolgreich geltend gemacht werden, so haften die übrigen Gesellschafter für diesen Ausfall. Auch diese subsidiäre Haftung besteht jeweils nur anteilig gem. der allgemeinen (oder speziell festgelegten) Verlustbeteiligungen (§ 709 BGB Rz. 32). Die Ausfallhaftung betrifft alle uneinbringlichen Sozialansprüche der Gesellschaft gegen ihre Gesellschafter.9 Ein diese Haftung auslösender Schuldnerausfall liegt etwa vor, wenn der Mitgläubiger zahlungsunfähig, ggf. sogar formell insolvent ist, wenn Zwangsvollstreckungsversuche erfolglos geblieben sind, bei unbekanntem Aufenthalt oder sonstiger dauerhafter Unerreichbarkeit.10
§ 738 BGB Anmeldung des Erlöschens Ist die Gesellschaft im Gesellschaftsregister eingetragen, ist das Erlöschen der Gesellschaft von sämtlichen Liquidatoren zur Eintragung in das Gesellschaftsregister anzumelden, sobald die Liquidation beendigt ist.
5 BGH v. 26.1.1967 – II ZR 127/65, WM 1967, 346, 347; Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 735 BGB Rz. 3. 6 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1782a (Stand: 84. EL 9/2022); Hadding/Kießling in Soergel, § 735 BGB Rz. 2. 7 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 735 BGB Rz. 5. 8 Kritisch und gegen die herrschende Sicht hierzu Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 274 ff. 9 S. BGH v. 24.10.1974 – II ZR 146/72, WM 1975, 268; Westermann in Erman, § 735 BGB Rz. 3; Habermeier in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2003, § 735 BGB Rz. 4. 10 Dies stimmt mit dem Schuldnerausfall i.S.d. § 426 Abs. 1 Satz 2 BGB überein (Heinemeyer in MünchKomm/BGB, § 426 BGB Rz. 40), der in Voraussetzungen und Umfang dem Ausfall nach § 737 Satz 2 BGB entspricht, Schäfer in MünchKomm/BGB, § 735 BGB Rz. 7.
584 | Richter
§ 737 BGB Rz. 2 | Rechtsfähige Gesellschaft Satz 1 BGB eine Art Regressanspruch der Gesellschaft und damit Aktivvermögen, das es zu verteilen gilt, so dass es (noch) nicht zur Vollbeendigung der Gesellschaft kommt (§ 736d BGB Rz. 32). Grundsätzlich (vgl. aber Satz 2, Rz. 4) haften die Gesellschafter für den Fehlbetrag anteilig und zwar grundsätzlich gemäß ihrer allgemeinen Gewinn- und Verlustbeteiligungen. Im Gesellschaftsvertrag kann jedoch auch ein spezieller Verlustverteilungsschlüssel bzgl. der Fehlbetragshaftung vorgesehen werden.5 3 Nicht nur die Quote der Verlustbeteiligung ist vertraglich gestaltbar, § 737 BGB ist vielmehr
insgesamt dispositiv.6 Wird die Norm nicht abbedungen, können die Gläubiger der Gesellschaft die (gesellschaftsinterne) Fehlbetragshaftung selbst nicht geltend machen; möglich ist jedoch ein Vorgehen gegen die Gesellschaft und die Vollstreckung in den Anspruch der GbR (§§ 829, 835 ZPO).7 Wird die Haftung nach § 737 BGB jedoch im Innenverhältnis abbedungen, bleiben die Gläubiger ebenfalls nicht schutzlos: Sie können (wie sonst auch) unmittelbar gegen die Gesellschafter vorgehen, die gem. § 721 Satz 1 BGB persönlich für die Gesellschaftsverbindlichkeiten haften (§ 721 BGB Rz. 11) und zwar auch dann, wenn die Gesellschaft als eigentliche Schuldnerin erloschen ist (vgl. auch § 739 BGB Rz. 2).8
II. Subsidiäre Ausfallhaftung (Satz 2) 4 § 737 Satz 2 BGB statuiert eine nachrangige Ausfallhaftung: Kann der Anspruch auf antei-
ligen Ausgleich des Fehlbetrags nach Satz 1 gegen einen Gesellschafter nicht erfolgreich geltend gemacht werden, so haften die übrigen Gesellschafter für diesen Ausfall. Auch diese subsidiäre Haftung besteht jeweils nur anteilig gem. der allgemeinen (oder speziell festgelegten) Verlustbeteiligungen (§ 709 BGB Rz. 32). Die Ausfallhaftung betrifft alle uneinbringlichen Sozialansprüche der Gesellschaft gegen ihre Gesellschafter.9 Ein diese Haftung auslösender Schuldnerausfall liegt etwa vor, wenn der Mitgläubiger zahlungsunfähig, ggf. sogar formell insolvent ist, wenn Zwangsvollstreckungsversuche erfolglos geblieben sind, bei unbekanntem Aufenthalt oder sonstiger dauerhafter Unerreichbarkeit.10
§ 738 BGB Anmeldung des Erlöschens Ist die Gesellschaft im Gesellschaftsregister eingetragen, ist das Erlöschen der Gesellschaft von sämtlichen Liquidatoren zur Eintragung in das Gesellschaftsregister anzumelden, sobald die Liquidation beendigt ist.
5 BGH v. 26.1.1967 – II ZR 127/65, WM 1967, 346, 347; Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 735 BGB Rz. 3. 6 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1782a (Stand: 84. EL 9/2022); Hadding/Kießling in Soergel, § 735 BGB Rz. 2. 7 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 735 BGB Rz. 5. 8 Kritisch und gegen die herrschende Sicht hierzu Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 274 ff. 9 S. BGH v. 24.10.1974 – II ZR 146/72, WM 1975, 268; Westermann in Erman, § 735 BGB Rz. 3; Habermeier in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2003, § 735 BGB Rz. 4. 10 Dies stimmt mit dem Schuldnerausfall i.S.d. § 426 Abs. 1 Satz 2 BGB überein (Heinemeyer in MünchKomm/BGB, § 426 BGB Rz. 40), der in Voraussetzungen und Umfang dem Ausfall nach § 737 Satz 2 BGB entspricht, Schäfer in MünchKomm/BGB, § 735 BGB Rz. 7.
584 | Richter
Anmeldung des Erlöschens | Rz. 3 § 738 BGB In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Erlöschen als eintragungspflichtige Tatsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II. Pflicht zur Anmeldung des Erlöschens . .
4
1
I. Erlöschen als eintragungspflichtige Tatsache Endet das Liquidationsverfahren bei einer eingetragenen GbR, so dass Vollbeendigung ein- 1 tritt, so muss dieser Umstand – das Erlöschen – im Gesellschaftsregister eingetragen werden; zuvor war in gleicher Weise bereits die Gesellschaftsauflösung gem. § 733 BGB zu registrieren (§ 733 BGB Rz. 1). § 738 BGB steht in Zusammenhang mit § 707a Abs. 4 BGB, der die Verlässlichkeit der durch Eintragung geschaffenen Subjektpublizität schützt (§ 707a BGB Rz. 18). Durch die (von den Liquidatoren zu veranlassende, Rz. 4) Löschung der eGbR aus dem Register soll die Vollbeendigung der Gesellschaft als Rechtsträgerin im Interesse des Rechtsverkehrs publik gemacht werden.1 Die formelle Löschung der eGbR aus dem Register ist rein deklaratorisch, das materielle Erlöschen tritt unabhängig hiervon ein.2 Umgekehrt führt also auch die (zu Unrecht erfolgte) Löschung nicht dazu, dass die noch abzuwickelnde Gesellschaft enden würde.3 Form und Verfahren der Anmeldung des Erlöschens richten sich nach den für die Gesellschaftsanmeldung geltenden Vorschriften,4 so dass diese bei dem (Amts-)Gericht einzureichen ist, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat (vgl. näher hierzu § 707 BGB Rz. 16). § 738 BGB stellt für die Pflicht zur Anmeldung des Erlöschens auf die Beendigung der Liqui- 2 dation ab und knüpft damit grundsätzlich an das gesetzliche Verfahren der §§ 736 ff. BGB an. Wurde eine von diesen Normen abweichende Art der Abwicklung vereinbart und durchgeführt (§ 735 BGB Rz. 27 ff.), greift die Anmeldepflicht gleichwohl.5 Ist die Gesellschaft ausnahmsweise durch die Auflösung unmittelbar liquidationslos erloschen (§ 735 BGB Rz. 7), greift § 738 BGB seinem Wortlaut nach nicht. Gleichwohl sind sowohl die Auflösung als auch das Erlöschen der Gesellschaft von den Gesellschaftern zur Eintragung anzumelden; für ersteres ergibt sich diese Pflicht unmittelbar aus § 733 Abs. 1 Satz 1 BGB, für letzteres aus einer Gesamtanalogie von §§ 738, 733 Abs. 1 Satz 1 BGB.6 Eine eGbR, bei der keiner der persönlich haftenden Gesellschafter eine natürliche Person ist, 3 wird im Fall der Vermögenslosigkeit gem. § 394 Abs. 1, Abs. 4 FamFG von Amts wegen oder auf Antrag (etwa der Finanzbehörden) gelöscht, so dass es eines Antrags nach § 738 BGB nicht bedarf. Wird die eGbR durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens aufgelöst, ist zwar die Auflösung von Amts wegen im Register einzutragen (§ 733 BGB Rz. 2). Eine der-
1 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 188. 2 Noack in Schäfer, Personengesellschaftsrecht, § 9 Rz. 33. 3 Noack in Schäfer, Personengesellschaftsrecht, § 9 Rz. 33; zur parallelen Löschung einer oHG aus dem Handelsregister m.w.N. Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1757b (Stand: 84. EL 9/2022). 4 Vgl. auch den Hinweis zu § 707 Abs. 3 BGB in Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 131. 5 S. zu dieser im Handelsrecht umstrittenen Frage K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 157 HGB Rz. 3; Habersack in Staub, § 157 HGB Rz. 2; vgl. auch § 150 HGB Rz. 3. 6 Anzumelden ist (analog § 738 BGB) das Erlöschen; anmeldepflichtig sind (analog § 733 Abs. 1 BGB) die Gesellschafter; ebenfalls für eine Analogie Lehmann-Richter in BeckOK/HGB, § 157 HGB Rz. 1 (Stand: 39. Ed. 15.1.2023); anders aber bei § 143 HGB Rz. 5. Richter | 585
§ 738 BGB Rz. 3 | Rechtsfähige Gesellschaft artige Regelung besteht jedoch nicht für die Vollbeendigung in bzw. nach dem Insolvenzverfahren; hier greift die Anmeldepflicht des § 738 BGB und trifft den Insolvenzverwalter.7
II. Pflicht zur Anmeldung des Erlöschens 4 Die Anmeldung des Erlöschens der Gesellschaft muss von sämtlichen Liquidatoren vor-
genommen werden; der Kreis der Verpflichteten ergibt sich also aus der privatautonomen Bestimmung (§ 736 BGB Rz. 6) und subsidiär aus § 736 Abs. 1 BGB. Gesellschafter, die nicht zu Liquidatoren berufen sind, sind demnach nicht zur Anmeldung verpflichtet. Die gegenteilige Aussage der Gesetzgebungsmaterialien ist ungenau: Sämtliche Gesellschafter sind nur dann zur Anmeldung verpflichtet, wenn diese gem. § 736 Abs. 1 BGB allesamt auch das Liquidatorenamt bekleiden.8 Weil alle Liquidatoren bei der Anmeldung mitwirken müssen, kommt es nicht darauf an, ob die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse abweichend bestimmt sein sollten (§ 736b BGB Rz. 5), insbesondere also ob Einzelbefugnisse bestehen.9 5 Wird die Anmeldepflicht aus § 738 BGB verletzt, hat dies keine Bedeutung für das Erlöschen,
da die Registereintragung nur deklaratorisch ist (Rz. 1). Um die Erfüllung dieser Pflicht sicherzustellen, können Zwangsgelder durch das Registergericht festgesetzt werden (§ 707b Nr. 2 BGB i.V.m. § 14 HGB). Vor allem aber hat die pflichtgemäße Anmeldung entscheidende Bedeutung vor dem Hintergrund der Registerpublizität: Weil § 15 HGB auf die eGbR Anwendung findet (s. § 707a Abs. 3 Satz 1 BGB), nimmt das Erlöschen der Gesellschaft als einzutragende Tatsache an der Publizitätswirkung des Registers teil (allgemein hierzu § 707a BGB Rz. 11). Das Register bewirkt insbesondere entsprechend § 15 Abs. 1 HGB negative Publizität, so dass die Vollbeendigung – insbesondere also der Umstand, dass die Gesellschaft nicht mehr als Rechtsträgerin existiert – einem gutgläubigen Dritten nicht entgegengesetzt werden kann, solange keine Eintragung erfolgt ist. Vor allem aber haben die Gesellschafter ein besonderes Interesse an der Einhaltung der Anmeldepflicht: Durch die Eintragung des Erlöschens wird gem. § 739 Abs. 2 BGB die Verjährung von Ansprüchen aus der Gesellschafterhaftung in Gang gesetzt (§ 739 BGB Rz. 9).
§ 739 Verjährung von Ansprüchen aus der Gesellschafterhaftung (1) Ist die Gesellschaft durch Liquidation oder auf andere Weise erloschen, verjähren Ansprüche gegen einen Gesellschafter aus Verbindlichkeiten der Gesellschaft in fünf Jahren, sofern nicht der Anspruch gegen die Gesellschaft einer kürzeren Verjährung unterliegt. (2) Die Verjährung beginnt abweichend von § 199 Absatz 1, sobald der Gläubiger von dem Erlöschen der Gesellschaft Kenntnis erlangt hat oder das Erlöschen der Gesellschaft im Gesellschaftsregister eingetragen worden ist. (3) Beginnt die Verjährung des Anspruchs gegen die Gesellschaft neu oder wird die Verjährung des Anspruchs gegenüber der Gesellschaft nach den §§ 203, 204, 205 oder 206
7 Vgl. zur parallelen früheren Regelung des § 157 Abs. 1 HGB a.F. K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 157 HGB Rz. 4. 8 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 188: „Die Vorschrift regelt die Pflicht sämtlicher Gesellschafter […] das Erlöschen der Gesellschaft zur Eintragung in das Gesellschaftsregister anzumelden.“ 9 Habersack in Staub, § 157 HGB Rz. 8; Hillmann in E/B/J/S, § 157 HGB Rz. 5.
586 | Richter
§ 738 BGB Rz. 3 | Rechtsfähige Gesellschaft artige Regelung besteht jedoch nicht für die Vollbeendigung in bzw. nach dem Insolvenzverfahren; hier greift die Anmeldepflicht des § 738 BGB und trifft den Insolvenzverwalter.7
II. Pflicht zur Anmeldung des Erlöschens 4 Die Anmeldung des Erlöschens der Gesellschaft muss von sämtlichen Liquidatoren vor-
genommen werden; der Kreis der Verpflichteten ergibt sich also aus der privatautonomen Bestimmung (§ 736 BGB Rz. 6) und subsidiär aus § 736 Abs. 1 BGB. Gesellschafter, die nicht zu Liquidatoren berufen sind, sind demnach nicht zur Anmeldung verpflichtet. Die gegenteilige Aussage der Gesetzgebungsmaterialien ist ungenau: Sämtliche Gesellschafter sind nur dann zur Anmeldung verpflichtet, wenn diese gem. § 736 Abs. 1 BGB allesamt auch das Liquidatorenamt bekleiden.8 Weil alle Liquidatoren bei der Anmeldung mitwirken müssen, kommt es nicht darauf an, ob die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse abweichend bestimmt sein sollten (§ 736b BGB Rz. 5), insbesondere also ob Einzelbefugnisse bestehen.9 5 Wird die Anmeldepflicht aus § 738 BGB verletzt, hat dies keine Bedeutung für das Erlöschen,
da die Registereintragung nur deklaratorisch ist (Rz. 1). Um die Erfüllung dieser Pflicht sicherzustellen, können Zwangsgelder durch das Registergericht festgesetzt werden (§ 707b Nr. 2 BGB i.V.m. § 14 HGB). Vor allem aber hat die pflichtgemäße Anmeldung entscheidende Bedeutung vor dem Hintergrund der Registerpublizität: Weil § 15 HGB auf die eGbR Anwendung findet (s. § 707a Abs. 3 Satz 1 BGB), nimmt das Erlöschen der Gesellschaft als einzutragende Tatsache an der Publizitätswirkung des Registers teil (allgemein hierzu § 707a BGB Rz. 11). Das Register bewirkt insbesondere entsprechend § 15 Abs. 1 HGB negative Publizität, so dass die Vollbeendigung – insbesondere also der Umstand, dass die Gesellschaft nicht mehr als Rechtsträgerin existiert – einem gutgläubigen Dritten nicht entgegengesetzt werden kann, solange keine Eintragung erfolgt ist. Vor allem aber haben die Gesellschafter ein besonderes Interesse an der Einhaltung der Anmeldepflicht: Durch die Eintragung des Erlöschens wird gem. § 739 Abs. 2 BGB die Verjährung von Ansprüchen aus der Gesellschafterhaftung in Gang gesetzt (§ 739 BGB Rz. 9).
§ 739 Verjährung von Ansprüchen aus der Gesellschafterhaftung (1) Ist die Gesellschaft durch Liquidation oder auf andere Weise erloschen, verjähren Ansprüche gegen einen Gesellschafter aus Verbindlichkeiten der Gesellschaft in fünf Jahren, sofern nicht der Anspruch gegen die Gesellschaft einer kürzeren Verjährung unterliegt. (2) Die Verjährung beginnt abweichend von § 199 Absatz 1, sobald der Gläubiger von dem Erlöschen der Gesellschaft Kenntnis erlangt hat oder das Erlöschen der Gesellschaft im Gesellschaftsregister eingetragen worden ist. (3) Beginnt die Verjährung des Anspruchs gegen die Gesellschaft neu oder wird die Verjährung des Anspruchs gegenüber der Gesellschaft nach den §§ 203, 204, 205 oder 206
7 Vgl. zur parallelen früheren Regelung des § 157 Abs. 1 HGB a.F. K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 157 HGB Rz. 4. 8 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 188: „Die Vorschrift regelt die Pflicht sämtlicher Gesellschafter […] das Erlöschen der Gesellschaft zur Eintragung in das Gesellschaftsregister anzumelden.“ 9 Habersack in Staub, § 157 HGB Rz. 8; Hillmann in E/B/J/S, § 157 HGB Rz. 5.
586 | Richter
Verjährung von Ansprüchen aus der Gesellschafterhaftung | Rz. 3 § 739
gehemmt, wirkt dies auch gegenüber den Gesellschaftern, die der Gesellschaft zur Zeit des Erlöschens angehört haben. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Verjährung von Haftungsansprüchen nach Erlöschen der Gesellschaft . . . . . . . . II. Die besondere Verjährung nach Abs. 1 . .
1 4
III. Der Beginn der Verjährung nach Abs. 2 . 8 IV. Hemmung und Neubeginn der Verjährung (Abs. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
I. Verjährung von Haftungsansprüchen nach Erlöschen der Gesellschaft § 739 BGB regelt die besondere Verjährung der gegen die Gesellschafter gerichteten Haf- 1 tungsansprüche, die sich aus Verbindlichkeiten der Gesellschaft ergeben. Die persönliche Haftung wird durch die Gesellschaftsauflösung nicht eingeschränkt, erst das Erlöschen der GbR ist Anknüpfungspunkt für die zeitliche Begrenzung der Haftung. § 159 HGB a.F., der im Ansatz übernommen wurde,1 hatte den Beginn der Sonderverjährung bereits an den Auflösungszeitpunkt angeknüpft. Weil jedoch die aufgelöste Gesellschaft zunächst lediglich einen neuen Zweck erhält, im Liquidationsstadium identitätswahrend fortexistiert und auch die Haftung nach den allgemeinen Regeln weiterhin bestehen bleibt, hat dieser Ansatz des alten (Handels-)Rechts berechtigte Kritik erfahren.2 Nunmehr wird die besondere Verjährung erst durch den Abschluss der Liquidation oder 2 das sonstige Erlöschen der Gesellschaft ausgelöst. Damit ist der Anwendungsbereich der Norm relativ gering ausgestaltet: Auf die Sonderverjährung kommt es nur dann an, wenn überhaupt noch Gläubigerforderungen offen sind; sind diese aber offen, besteht (im gesetzlichen Regelfall) ein Nachschussanspruch der GbR gegen ihre Gesellschafter (§ 737 BGB) und damit verteilungsfähiges Aktivvermögen, so dass es nicht zum Erlöschen kommt und die Verjährung nach § 739 Abs. 1 BGB nicht beginnt. Der für § 739 BGB entscheidende Umstand – das Erlöschen der Gesellschaft – ist häufig 3 deutlich weniger eindeutig und klar bestimmbar als der Eintritt des Auflösungsgrundes: Ob die Gesellschaft tatsächlich vollständig abgewickelt und das gesamte Vermögen verteilt wurde, ist zuweilen schwierig festzustellen. Dass es gleichwohl auf diesen „weniger greifbaren Zeitpunkt“ ankommt, wurde vom Gesetzgeber nicht nur hingenommen, sondern sogar beabsichtigt: Da der in Anspruch genommene Gesellschafter als Haftungsschuldner den Beginn und Ablauf der Verjährung im Streitfall darlegen und beweisen muss, werde er durch die Regelung des § 739 BGB dazu „angehalten, das Erlöschen der Gesellschaft, im Regelfall also den Abschluss der Liquidation, nachvollziehbar zu dokumentieren, um mit einer Einrede der Verjährung im Prozess Gehör zu finden“3. Zudem werde mit der Möglichkeit, die Verjährung durch Registereintragung auszulösen (Rz. 9), ein weiterer positiver Anreiz gesetzt, schon im Ausgangspunkt die GbR im Register anzumelden und so Publizität herzustellen.4
1 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 188 f. 2 K. Schmidt, ZHR 152 (1988), 105, 107 f., 116 ff.; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 159 HGB Rz. 2; die Kritik wurde im Gesetzgebungsprozess ausdrücklich aufgenommen, s. zu Abs. 2 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 189. 3 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 189 zu Abs. 2. 4 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 189; s. allgemein zum Ansatz, positive Anreize statt einer Verpflichtung zur Registrierung vorzusehen bei S. 128 mit Verweis auf Verhandlungen des 71. Deutschen Juristentages, Band II/2, 2017, O 220 (Beschluss 5c). Richter | 587
§ 739 Rz. 4 | Rechtsfähige Gesellschaft
II. Die besondere Verjährung nach Abs. 1 4 Die besondere Verjährung ist einschlägig, wenn die GbR durch Liquidation oder anderwei-
tig erloschen ist; auch wenn ein Auflösungsgrund eintritt, der zur sofortigen Vollbeendigung der Gesellschaft führt, ist die Norm anwendbar. Erlischt die Gesellschaft jedoch gem. § 712a Abs. 1 BGB, weil der vorletzte Gesellschafter ausscheidet (§ 729 BGB Rz. 27), wird dessen Haftung durch die spezielle Regelung der § 712a Abs. 2, § 728b BGB (§ 728b BGB Rz. 1) auf einen Fünfjahreszeitraum begrenzt. Wird über die GbR das Insolvenzverfahren eröffnet, so dass Auflösung gem. § 729 Abs. 1 Nr. 2 BGB eintritt, ist die Restrukturierung durch Insolvenzplan denkbar (wenn auch praktisch selten). Sollte im Insolvenzplan nichts Abweichendes vereinbart sein, erlischt die Gesellschafterhaftung mit der im Plan vorgesehenen Befriedigung der Insolvenzgläubiger (§ 227 Abs. 2 InsO). Auf § 739 BGB kann und muss dann nicht zurückgegriffen werden. Auch wenn die aufgelöste GbR auf sonstige Weise fortgesetzt wird (§ 734 BGB Rz. 1), ist für die Anwendung von § 739 BGB mangels Gesellschaftsbeendigung kein Raum. 5 Inhaltlich umfasst werden nach Abs. 1 die gegen einen Gesellschafter gerichteten Ansprüche
aus Verbindlichkeiten der Gesellschaft, also die persönliche, unabdingbare Außenhaftung gem. §§ 721 ff. BGB. Diese greift auch für Forderungen, die im Rahmen des Liquidationsverfahrens begründet wurden. Nicht betroffen sind hingegen Sozialverbindlichkeiten, für die die Gesellschafter lediglich im und aus dem Innenverhältnis haften. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass die Sonderverjährung des § 739 BGB – angesichts der gesetzlich vorgesehenen regelmäßigen Befriedigungsreihenfolge (§ 736d BGB Rz. 29) – nur im Ausnahmefall relevant wird; „in der Regel“ führe das Liquidationsverfahren zur vollständigen Begleichung aller Gesellschaftsverbindlichkeiten und damit auch zur Befriedigung aller Gläubiger.5 6 Für die Gesellschafterhaftung wird eine maximal fünfjährige Verjährungsfrist vorgesehen.
Dieser Zeitraum sei, so der Reformgesetzgeber, „erforderlich, aber auch ausreichend“, um den Gesellschaftsgläubigern die Gelegenheit zu geben, ihre Forderungen, die bei der Abwicklung der GbR nicht befriedigt wurden, durch Inanspruchnahme der Gesellschafter durchzusetzen.6 Die Fünfjahresfrist ist jedoch nur dann einschlägig, wenn nicht der gegen die GbR gerichtete Anspruch einer kürzeren Verjährung unterliegt; in diesem Fall kann sich der Gesellschafter auf die Verjährungseinrede der Gesellschaft berufen (§ 721b BGB Rz. 8). § 739 Abs. 1 Halbs. 2 BGB stellt also lediglich klar, dass die Wirkung des § 721b BGB unberührt bleibt.7 Die Unterscheidung ist insbesondere deshalb wichtig, weil die unterschiedlichen Verjährungsfristen zu unterschiedlichen Zeitpunkten beginnen (Rz. 8 ff.).8
7 Angesichts der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB) ist der Anwen-
dungsbereich des § 739 BGB durchaus begrenzt. Relevant wird die Sonderverjährung etwa, wenn für die Gesellschaftsschuld eine längere Verjährungsfrist vertraglich vereinbart wurde (§ 202 Abs. 2 BGB); diese Abrede berührt die Wirkung des § 739 Abs. 1 BGB grundsätzlich nicht,9 sondern nur, wenn (auch) diesbezüglich eine eindeutige Einigung vorliegt.10 Von Bedeutung ist die Sonderverjährung insbesondere auch in den Fällen des § 197 BGB, etwa wenn die Gesellschaftsverbindlichkeit bereits durch rechtskräftiges Urteil, durch vollstreck-
5 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 189. 6 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 189. 7 BGH v. 16.12.2021 – IX ZR 81/21, ZIP 2022, 217, 219 Rz. 21 zur insoweit parallelen Formulierung in § 159 HGB a.F. 8 Die bzgl. der Gesellschaftsschuld bestehende (längere) Verjährungsfrist wird also nicht durch § 739 Abs. 1 BGB verkürzt, s. hierzu BGH v. 16.12.2021 – IX ZR 81/21, ZIP 2022, 217, 219 Rz. 19 ff. 9 S. auch die Einschätzung in Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 189. 10 Zu dieser Möglichkeit Habersack in Staub, § 159 HGB Rz. 4.
588 | Richter
Verjährung von Ansprüchen aus der Gesellschafterhaftung | Rz. 10 § 739
baren Vergleich oder in einem Insolvenzverfahren festgestellt worden ist.11 Liegt jedoch bereits ein Titel gegen den Gesellschafter wegen seiner persönlichen Haftung nach § 721 BGB vor, so greift § 739 Abs. 1 BGB nicht; es bleibt vielmehr bei der dreißigjährigen Verjährungsfrist des § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB.12
III. Der Beginn der Verjährung nach Abs. 2 Die Sonderverjährung beginnt gem. § 739 Abs. 2 BGB, wenn die Gesellschaft erstens erlo- 8 schen ist (Rz. 2) und wenn zweitens der Gläubiger Kenntnis von dem Erlöschen erlangt hat oder wenn alternativ das Erlöschen im Gesellschaftsregister eingetragen worden ist. Bei einer nicht eingetragenen GbR verjähren die Ansprüche aus der Gesellschafterhaftung somit nur und erst dann, wenn der Gläubiger positiv weiß, dass die Abwicklung vollständig abgeschlossen worden ist; anders als etwa in § 199 Abs. 1 BGB schadet grob fahrlässige Unkenntnis nicht. Da der (sich auf die Verjährung berufende) Gesellschafter die positive Kenntnis des Gläubigers im Streitfall darlegen und beweisen müsste, dürfte diese Einredemöglichkeit häufig leerlaufen. Unabhängig von der Gläubigerkenntnis kann die Verjährung bei einer eGbR ausgelöst wer- 9 den, indem das Erlöschen der Gesellschaft im Register eingetragen wird (irrelevant ist hierbei die Eintragung der Auflösung, § 733 Rz. 1). Auf diese Weise wird ein (doppelter) gesetzlicher Anreiz gesetzt, die Gesellschaft erstens schon im Ausgangspunkt registrieren zu lassen und zweitens der Pflicht zur Anmeldung des Erlöschens nachzukommen (§ 738 BGB Rz. 5). Bei einer eGbR beginnt die Sonderverjährung damit im praktischen Regelfall an dem Tag, an dem das Erlöschen im Register eingetragen wurde, es sei denn, der betreffende Gläubiger sollte – ausnahmsweise – bereits zuvor Kenntnis vom Erlöschen erlangt haben; dies gilt selbst dann, wenn das Erlöschen entgegen § 738 BGB pflichtwidrig nicht angemeldet wurde (vgl. auch § 15 Abs. 1 HGB a.E. i.V.m. § 707a Abs. 3 Satz 1 BGB); positive Kenntnis ist immer beachtlich.13 Die Sonderverjährung beginnt erst, wenn der Anspruch des Gläubigers fällig (geworden) ist. 10 Sollte Fälligkeit erst nach der Registereintragung eintreten, so beginnt die Verjährung erst zu diesem späteren Zeitpunkt. Dieser Grundsatz war im bisherigen (Handels-)Recht positiv normiert (§ 159 Abs. 3 HGB a.F.) und auch für die Haftung in der GbR anerkannt,14 wurde jedoch nicht in § 739 BGB (oder in § 151 HGB) übernommen; gleichwohl gilt er weiterhin. Zum einen sollte die bisherige Gesetzeslage inhaltlich übernommen werden,15 zum anderen gilt auch allgemein im Verjährungsrecht, dass ein Anspruch grds. erst dann verjährt, wenn er auch durchgesetzt werden kann, so dass Fälligkeit Voraussetzung des Verjährungsbeginns ist.16 Auch wenn § 739 Abs. 2 BGB ausdrücklich eine Regelung „abweichend von § 199 Abs. 1“ BGB trifft, besteht insoweit also Parallelität.
11 Hillmann in E/B/J/S, § 159 HGB Rz. 10. 12 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 189 unter Bezugnahme auf BGH v. 27.4.1981 – II ZR 177/80, ZIP 1981, 861. 13 Dieser Grundsatz wurde vom Gesetzgeber ausdrücklich betont; hieran sei festzuhalten, weil das neue gesetzliche „Konzept der Registrierung gerade nicht auf eine negative Anreizwirkung“ setze, s. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 189 f. 14 S. etwa Hadding/Kießling in Soergel, § 730 BGB Rz. 24; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 949 (Stand: 84. EL 9/2022). 15 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 188 f., 251. 16 S. hierzu Peters/Jacoby in Staudinger, Neubearbeitung 2019, § 199 BGB Rz. 5, 7 ff.; s. auch BGH v. 16.12.2021 – IX ZR 81/21, ZIP 2022, 217, 218 Rz. 10. Richter | 589
§ 739 Rz. 11 | Rechtsfähige Gesellschaft
IV. Hemmung und Neubeginn der Verjährung (Abs. 3) 11 § 739 Abs. 3 BGB regelt in sehr missverständlicher Weise, wie mit Hemmung und Neu-
beginn der Verjährung umzugehen sein soll. Der Wortlaut knüpft daran an, dass die Verjährung des gegen die Gesellschaft gerichteten Anspruchs neu beginnt bzw. gehemmt wird. Diese Vorgabe ist dem früheren § 159 Abs. 4 HGB a.F. nachgebildet;17 nachdem die Sonderverjährung nach Abs. 1 jedoch nunmehr (anders als vor dem MoPeG) nicht an die Auflösung, sondern an die Vollbeendigung der Gesellschaft anknüpft, kann die Regelung des Abs. 3 kaum mehr überzeugen: Zur Sonderverjährung kommt es nur, wenn die Liquidation tatsächlich vollständig beendet, kein (ggf. unentdecktes) verteilbares Vermögen vorhanden und damit Vollbeendigung der Gesellschaft eingetreten ist (Rz. 4). In diesem Fall kann es jedoch keinen „gegen die Gesellschaft“ gerichteten Anspruch geben, dessen Verjährung gehemmt sein oder neu beginnen könnte. Aus diesem Grund wurde zum früheren (Handels-) Recht allgemein vertreten, dass die entsprechende Regelung des § 159 Abs. 4 HGB a.F. nicht für die vollbeendigte Gesellschaft gelten würde.18 12 Welche Konsequenzen sich aus der gleichwohl erfolgten positiven Anordnung des geltenden
§ 739 Abs. 3 BGB ergeben, ist vor diesem Hintergrund unklar. Die Norm regelt nicht selbst den Neubeginn oder die Hemmung der Verjährung, sondern setzt diese voraus und will die Wirkungen auf die (früheren) Gesellschafter übertragen.19 Im Kern dürfte sich § 739 Abs. 3 BGB auf solche Fälle begrenzen, in denen der Fortbestand der Gesellschaft fingiert wird und es deshalb ausnahmsweise zu Neubeginn oder Hemmung der Verjährung eines gegen die (erloschene!) Gesellschaft gerichteten Anspruchs kommen kann. Wird etwa das Erlöschen einer eGbR entgegen § 738 BGB nicht angemeldet und deshalb auch nicht eingetragen, so kann ein gutgläubiger Dritter auf Grundlage von § 707a Abs. 3 Satz 1 BGB, § 15 Abs. 1 HGB gegen die (nur vermeintlich noch bestehende) Gesellschaft klagen und ggf. einen Titel erwirken. In diesem Fall kommt es zur Anwendung von § 739 Abs. 3 BGB zu Lasten der (ehemaligen) Gesellschafter.20 13 Von Abs. 3 umfasst sind ausdrücklich die Verjährungshemmung bei Verhandlungen (§ 203
BGB), bei Rechtsverfolgung (§ 204 BGB), bei einem vereinbarten Leistungsverweigerungsrecht (§ 205 BGB) sowie bei eine Rechtsverfolgung hindernder höherer Gewalt (§ 206 BGB). In Bezug genommen wird zudem – wenn auch nicht explizit – die Vorschrift des § 212 BGB,21 also der Neubeginn der Verjährung bei der Vornahme oder Beantragung von Vollstreckungshandlungen durch den Gläubiger oder bei einem Anerkenntnis durch die (nur vermeintlich existierende) schuldnerische Gesellschaft. Ob darüber hinaus auch andere Vorschriften (außerhalb des BGB) umfasst sind, aus denen sich eine Hemmung oder ein Neubeginn der Verjährung ergibt, ist unklar.22 Dies betrifft insbesondere die Frage, ob die „Unterbrechung“ der Verjährung steuerrechtlicher Ansprüche nach § 231 Abs. 1 AO auch gegenüber dem (akzessorisch) haftenden Gesellschafter gilt; ähnlich ist das Problem bei einer
17 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 190. 18 Habersack in Staub, § 159 HGB Rz. 21; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, § 159 HGB Rz. 32; Klöhn in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 159 HGB Rz. 16; Hillmann in E/B/J/S, § 159 HGB Rz. 14. 19 Zum früheren Recht BVerwG v. 14.10.2015 – 9 C 11/14, BVerwGE 153, 109 = NVwZ 2016, 464 Ls. 2; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, § 159 HGB Rz. 33; Hillmann in E/B/J/S, § 159 HGB Rz. 14 f.; anders Habersack in Staub, § 159 HGB Rz. 19 f. 20 Mit Hinweis auf eine solche Konstellation und die Auswirkung von § 159 Abs. 4 HGB a.F. Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, § 157 HGB Rz. 7. 21 Mit Bezugnahme hierauf Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 190. 22 Gegen eine derartig umfassende Wirkung etwa Klöhn in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 159 HGB Rz. 16; Habersack in Staub, § 159 HGB Rz. 21; K. Schmidt/Schneider, BB 2003, 1961, 1968 f.; vgl. zur Gegenansicht Fn. 266.
590 | Richter
Fehlende Vermögensfähigkeit; anwendbare Vorschriften | § 740 BGB
sich aus § 230 Abs. 2 AO ergebenden Verjährungshemmung. Mit der Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass auch derartige (fachrechtliche) verjährungshindernde Tatbestände über § 739 Abs. 3 BGB ebenfalls gegenüber dem Gesellschafter wirken.23
Nicht rechtsfähige Gesellschaft (§§ 740–740c)
§ 740 BGB Fehlende Vermögensfähigkeit; anwendbare Vorschriften (1) Eine nicht rechtsfähige Gesellschaft hat kein Vermögen. (2) Auf das Rechtsverhältnis der Gesellschafter untereinander sind die §§ 708, 709, 710, 711, 711a, 712, die §§ 714, 715, 715a, 716, 717 Absatz 1 sowie § 718 entsprechend anzuwenden. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Grundlegendes zur nicht rechtsfähigen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abgrenzung zu anderen Rechtsverhältnissen a) Abgrenzung zur rechtsfähigen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abgrenzung zur Bruchteilsgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einordnung als Innengesellschaft . . . . . . 4. Einordnung als (besonderes) vertragliches Schuldverhältnis . . . . . . . . . 5. Eigenständiges gesetzliches Leitbild . . . . 6. Rechte und Pflichten der Gesellschafter . 7. Haftung der Gesellschafter untereinander 8. Rechtsverhältnisse zu Dritten a) Keine Vertretung der Gesellschaft . . . b) Handeln im eigenen Namen für gemeinschaftliche Rechnung . . . . . . . . c) Keine Außenhaftung der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Unterschiedliche Organisationsstruktur . 10. Motive und Vielgestaltigkeit . . . . . . . . . . . 11. Anwendung der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Stille Gesellschaft bürgerlichen Rechts . . 13. Unterbeteiligungsgesellschaft . . . . . . . . . .
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II. Fehlende Vermögensfähigkeit (Abs. 1) 1. Kein Vermögensträger, kein Gesamthandsvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Gesellschafter als Gläubiger der Ansprüche auf Beitragsleistung . . . . . b) Verfügung über einen dem Gesellschaftszweck dienenden Vermögensgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aufrechnung gegen eine dem Gesellschaftszweck dienende Forderung . . . d) Vollstreckung in einen dem Gesellschaftszweck dienenden Vermögensgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Vermögensübertragung bei Wechsel zu rechtsfähiger Gesellschaft . . . . . . . . 2. Die Gesellschafter als Bruchteilsgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Treuhänderische Vermögensverwaltung durch einen Gesellschafter . . . . . . . . . . . . III. Anwendbare Vorschriften (Abs. 2) . . . . 1. Gestaltungsfreiheit (§ 708 BGB) . . . . . . . 2. Beiträge; Stimmkraft; Anteil an Gewinn und Verlust (§ 709 BGB) . . . . . . . . . . . . . 3. Mehrbelastungsverbot (§ 710 BGB) . . . . 4. Übertragung und Übergang von Gesellschaftsanteilen (§ 711 BGB) . . . . . . 5. Eingeschränkte Übertragbarkeit von Gesellschafterrechten (§ 711a BGB) . . . .
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23 BVerwG v. 14.10.2015 – 9 C 11/14, BVerwGE 153, 109 = NVwZ 2016, 464, 465 f. Rz. 15 ff.; Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, § 159 HGB Rz. 13 Fn. 2; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/ HGB, § 159 HGB Rz. 33; Klimke in BeckOK/HGB, § 159 HGB Rz. 21 (Stand: 39. Ed. 15.1.2023). Richter und Tassius | 591
§ 740 BGB Rz. 1 | Nicht rechtsfähige Gesellschaft 6. Ausscheiden eines Gesellschafters; Eintritt eines neuen Gesellschafters (§ 712 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Beschlussfassung (§ 714 BGB) . . . . . . . . . 8. Geschäftsführungsbefugnis (§ 715 BGB) 9. Notgeschäftsführungsbefugnis (§ 715a BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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10. Ersatz von Aufwendungen und Verlusten; Vorschusspflicht; Herausgabepflicht; Verzinsungspflicht (§ 716 BGB) . . . . . . . . 53 11. Informationsrechte (§ 717 Abs. 1 BGB) . 54 12. Rechnungsabschluss und Gewinnverteilung (§ 718 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . 58
52
Schrifttum: Altmeppen, Kritischer Zwischenruf zum „Mauracher Entwurf“, NZG 2020, 822; Armbrüster, Außengesellschaft und Innengesellschaft, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 143; Bachmann, Zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, NZG 2020, 612; Beuthien, Darf die Innengesellschaft kein Vermögen bilden?, NZG 2017, 201; Beuthien, Ist die Innengesellschaft nicht rechtsfähig?, NZG 2011, 161; Bochmann, Gesellschafterwechsel, Ausscheiden und Auflösung im Mauracher Entwurf zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 221; Denga, Zur Definition der Außen-GbR, ZfPW 2021, 73; Fest, Zweckoffenheit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts: Restriktionen bei der Errichtung von Innengesellschaften, AcP 2015, 765; Fleischer, Ein Rundgang durch den Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, DStR 2021, 430; Fleischer, Ein Rundflug über das OHG-Recht im Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, BB 2021, 386; Fleischer, Leibildwandel im Recht der BGB-Gesellschaft, DB 2020, 1107; Fleischer/Danninger, Der Sorgfaltsmaßstab in der Personengesellschaft, NZG 2016, 481; Fleischer/Hahn, Das Gesellschaftsrecht der Tippgemeinschaft – ein Lehrstück zur Innengesellschaft bürgerlichen Rechts, NZG 2017, 1; Geibel, Mauracher Entwurf zum Personengesellschaftsrecht, ZRP 2020, 137; Habersack, Modernisierung des Personengesellschaftsrechts – aber wie?, ZGR 2020, 539; Hadding, Zur Innengesellschaft bürgerlichen Rechts, in FS Grunewald, 2021, S. 285; Hippeli, Zur avisierten Reform des Personengesellschaftsrechts, DZWIR 2020, 386; Lieder, Der Regierungsentwurf des MoPeG in der rechtspolitischen Analyse, ZRP 2021, 34; Martens, Vom Beruf unserer Zeit für ein Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts – Kritische Anmerkungen zum „Mauracher Entwurf“, AcP 2021, 68; Mohamed, Die Reform des Personengesellschaftsrechts, JuS 2021, 820; Röder, Reformüberlegungen zum Recht der GbR, AcP 2015, 450; Schäfer, Innengesellschaft – die Zündapp unter den Gesellschaften, in FS Windbichler, 2020, S. 981; Schäfer, Grundsatzfragen bei der anstehenden Reform des Personengesellschaftsrechts, in FS Seibert, 2019, S. 723; Schäfer, Empfiehlt sich eine grundlegende Reform des Personengesellschaftsrechts?, Gutachten E zum 71. Deutschen Juristentag, 2016; Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002; Schall, Eine dogmatische Kritik am „Mauracher Entwurf“ zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, ZIP 2020, 1443; Schirrmacher, Der Haftungsmaßstab in der Personengesellschaft nach dem MoPeG, ZHR 186 (2022), 250; K. Schmidt, Ein neues Zuhause für das Recht der Personengesellschaften, ZHR 185 (2021), 16; Steckhan, Die Innengesellschaft, 1966; Wertenbruch, Gesellschaftsvertrag und Entstehung der rechtsfähigen GbR iSd § 705 Abs. 2 Var. 1 BGB nF, ZPG 2023, 1; Wertenbruch, Der BMJV-Referentenentwurf eines MoPeG, GmbHR 2021, 1; Westermann, Überlegungen zu Reformen des Personengesellschaftsrechts, NJW 2016, 2625; Wilhelm, Paradigmenwechsel im Recht der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft, NZG 2020, 1041.
I. Grundlegendes zur nicht rechtsfähigen Gesellschaft 1 Im Anschluss an die Grundnorm des § 705 BGB (Untertitel 1) und die Regelungen zur
rechtsfähigen Gesellschaft in Untertitel 2, wird in Untertitel 3 (§§ 740–740c BGB) fortan die nicht rechtsfähige Gesellschaft als zweite Variante1 der Gesellschaft bürgerlichen Rechts geregelt. Die seit der Grundsatzentscheidung des BGH aus dem Jahr 2001 („ARGE Weißes
1 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 103; K. Schmidt macht in ZHR 185 (2021), 16, 23 f. zutreffend darauf aufmerksam, dass es sich bei der rechtsfähigen und der nicht rechtsfähigen Gesellschaft zwar um zwei Varianten der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, nicht jedoch – wie es die Begründung des Regierungsentwurfs formuliert – um zwei Varianten derselben Rechtsform handelt.
592 | Tassius
Fehlende Vermögensfähigkeit; anwendbare Vorschriften | Rz. 3 § 740 BGB
Ross“)2 von der „Außengesellschaft bürgerlichen Rechts“ strikt zu unterscheidende „Innengesellschaft bürgerlichen Rechts“ erfährt damit eine eigenständige gesetzliche Regelung, die systematisch den Abschluss des neuen Rechts zur Gesellschaft bürgerlichen Rechts bildet. Terminologisch wird nun mit der Bezeichnung als nicht rechtsfähige Gesellschaft zum Ausdruck gebracht, was vormals mit der „Innengesellschaft bürgerlichen Rechts“ ohnehin assoziiert wurde, dass diese nämlich nicht Trägerin von Rechten und Pflichten ist (zur nunmehr überholten Frage, ob auch eine „Innengesellschaft bürgerlichen Rechts“ ein Vermögen haben kann, s. Rz. 26).3
1. Entstehung Die nicht rechtsfähige Gesellschaft entsteht4 – ebenso wie die rechtsfähige Gesellschaft – 2 durch den Abschluss des Gesellschaftsvertrags, in dem sich die Gesellschafter verpflichten, die Erreichung eines gemeinsamen Zwecks zu fördern (§ 705 Abs. 1 BGB).5 Die Auslegung der auf den Abschluss des Gesellschaftsvertrags gerichteten Willenserklärungen muss gem. der §§ 133, 157 BGB ergeben, dass eine Teilnahme am Rechtsverkehr mit der Gesellschaft als solcher nicht bezweckt ist (zur Abgrenzung von dem Gesellschaftsvertrag einer rechtsfähigen Gesellschaft ausführlich bei Rz. 3 ff.).6 Da die nicht rechtsfähige Gesellschaft sich in den Rechtsverhältnissen der Gesellschafter untereinander erschöpft, Rechtsverhältnisse zur Gesellschaft und zu Dritten gerade nicht bestehen, ist ihre Entstehung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vollständig abgeschlossen.7
2. Abgrenzung zu anderen Rechtsverhältnissen a) Abgrenzung zur rechtsfähigen Gesellschaft Im Gegensatz zur rechtsfähigen Gesellschaft, darf der Gesellschaftsvertrag einer nicht rechts- 3 fähigen Gesellschaft gerade nicht den Willen der Gesellschafter erkennen lassen, mit der Gesellschaft als solcher am Rechtsverkehr teilnehmen zu wollen.8 Die Gesellschaft soll ihre 2 BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 = ZIP 2001, 330. 3 Vgl. noch die Bezeichnung im Mauracher Entwurf, 22 („Innengesellschaft“); Armbrüster in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 1; Armbrüster, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 143, 147; Bachmann, NZG 2020, 612, 614; Fleischer, DStR 2021, 430, 432; Noack, MDR 2021, 1425; OtteGräbener, BB 2020, 1295, 1297; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, Vor § 705 BGB Rz. 96; K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 48; Weller/Schwemmer, BB 2021, Heft 29/30, I; vgl. zur grundsätzlich synonymen Verwendung beider Begriffe auch bereits BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 = ZIP 2001, 330; abweichend jedoch Beuthien, NZG 2011, 161 ff. 4 Für die nicht rechtsfähige Gesellschaft scheint es terminologisch zutreffender, von der „Entstehung“ und nicht von der „Errichtung“ zu sprechen, auch wenn das Gesetz in § 705 Abs. 1 BGB insofern nicht differenziert. 5 Grundsätzlich kommt jeder erlaubte Zweck in Frage; zur eingeschränkten Zweckoffenheit von Innengesellschaften, wenn ein weiteres Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten (insbesondere Bruchteilsoder Zugewinngemeinschaft) besteht: Fest, AcP 2015, 766. 6 Mohamed, JuS 2021, 820, 824; anders wohl Martens in AcP 2021, 68, 77. 7 Vgl. hingegen zur abgestuften Entstehung der rechtsfähigen Gesellschaft als Rechtsträger gegenüber den Gesellschaftern und gegenüber Dritten Geibel, ZRP 2020, 137, 137 ff.; Martens, AcP 2021, 68, 78 sowie Verse/Tassius in FS Grunewald, 2021, S. 1159, 1160 ff. 8 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 126; Armbrüster, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 143, 148; Armbrüster in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 16 ff.; Bachmann, NZG 2020, 612, 614; mit diesem Verständnis von einer „Innengesellschaft bürgerlichen Rechts“ zuvor auch Hadding in FS Grunewald, 2021, S. 285, 288 f. sowie Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 283 und Westermann, NJW 2016, 2625, 2626; das von Denga in ZfPW 2021, Tassius | 593
§ 740 BGB Rz. 3 | Nicht rechtsfähige Gesellschaft Rechtswirkungen vielmehr ausschließlich im Verhältnis der Gesellschafter untereinander entfalten (§ 705 Abs. 2 Alt. 2 BGB), auch wenn sie dafür nicht von den Gesellschaftern geheim gehalten werden muss.9 Für die Abgrenzung ist die (mitunter durchaus schwierige)10 Auslegung des Gesellschaftsvertrags maßgeblich, der freilich auch konkludent und ohne ein entsprechendes Bewusstsein über die Entstehung einer Gesellschaft geschlossen werden kann.11 Auf die tatsächliche (vorübergehende) Teilnahme bzw. Nichtteilnahme am Rechtsverkehr kommt es grundsätzlich nicht an.12 Insbesondere kann auch nicht für Gesellschaften, die nicht unter gemeinschaftlichem Namen ein Unternehmen führen, durch eine Art Umkehrschluss zu § 705 Abs. 3 BGB automatisch auf das Vorliegen einer nicht rechtsfähigen Gesellschaft geschlossen werden, da die Vermutungsregel allein für das Vorliegen einer rechtsfähigen Gesellschaft greift.13 Ist im Gesellschaftsvertrag lediglich die Geschäftsführung eines Gesellschafters vorgesehen, kann nicht mehr (wie gegebenenfalls nach alter Rechtslage) 14 auch eine Vertretungsbefugnis und damit das Vorliegen einer rechtsfähigen Gesellschaft ohne weiteres vermutet werden, da die Vermutungsregelung des § 714 BGB a.F. durch den Reformgesetzgeber abgeschafft wurde. Es ist dann vielmehr ein genaues Augenmerk darauf zu richten, wie sich diese Geschäftsführung nach dem Willen der Gesellschafter zu vollziehen hat. Vertragliche Regelungen zu einem gemeinschaftlichen Namen (als einem Merkmal, was häufig Dritten gegenüber die Identität der Gesellschaft als selbständige Rechtsteilnehmerin zum Ausdruck bringen soll)15 sowie zum Gesellschaftszweck (wenn dieser etwa eine Teilnahme am Rechtsverkehr oder auch die Bildung eines der Gesellschaft zuzuordnenden Vermögens16 nötig erscheinen lässt) können hingegen für das Vorliegen einer rechtsfähigen und damit gegen die Annahme einer nicht rechtsfähigen Gesellschaft sprechen.17 4 Dadurch, dass sich die Abgrenzung zwischen rechtsfähiger und nicht rechtsfähiger Gesell-
schaft allein danach richtet, ob die Gesellschafter mit der Gesellschaft am Rechtsverkehr teilnehmen wollen oder nicht, kann ein Wechsel einer nicht im Gesellschaftsregister eingetragenen rechtsfähigen in eine nicht rechtsfähige Gesellschaft oder umgekehrt jederzeit stattfinden, ohne dass sich dieser für den Rechtsverkehr aufgrund einer Veränderung im Gesellschaftsregister besonders bemerkbar macht oder durch sonstige objektive Anhaltspunkte (wie im Fall eines automatischen Formwechsels zwischen rechtsfähiger Gesellschaft und Handelsgesellschaft)18 ankündigt.19 Der Wechsel vollzieht sich dogmatisch allein durch eine wiede-
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73, 88 ff. bevorzugte Kriterium der Namensführung spielt lediglich im Rahmen der Vermutungsregel des § 705 Abs. 3 BGB eine Rolle. Bachmann, NZG 2020, 612, 614; Beuthien, NZG 2017, 201, 202; Hadding in FS Grunewald, 2021, S. 285, 287; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 284. Weller/Schwemmer, BB 2021, Heft 29/30, I. Armbrüster, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 143, 148; Denga, ZfPW 2021, 73, 93; Mohamed, JuS 2021, 820, 824; K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 26 („gesellschaftsvertraglicher Konsens“); anders wohl Martens, AcP 2021, 68, 77. Vgl. § 705 Abs. 2 BGB („teilnehmen soll“); Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 126 (lediglich ergänzende Heranziehung des tatsächlichen Verkehrsverhaltens). Im Fall einer nicht nur vorübergehenden (Nicht-) Teilnahme am Rechtsverkehr kommt freilich eine überholende konkludente Willensbildung der Gesellschafter in Betracht, die dann wiederum (entgegen der ursprünglichen Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag) für die Annahme einer (nicht) rechtsfähigen Gesellschaft sprechen kann. Vgl. auch Heckschen/Nolting, BB 2021, 2946; Noack, MDR 2021, 1425, 1426. So bislang Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 287. Zur Bedeutung der Namensführung insbesondere Denga, ZfPW 2021, 73, 75 ff. Vgl. Westermann, NJW 2016, 2625, 2626. Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 126; hierzu auch Armbrüster in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 19. BGH v. 19.5.1960 – II ZR 72/59, NJW 1960, 1664, 1665; Wertenbruch in Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn, 4. Aufl. 2020, § 105 HGB Rz. 25. Vgl. Armbrüster, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 143, 150.
594 | Tassius
Fehlende Vermögensfähigkeit; anwendbare Vorschriften | Rz. 5 § 740 BGB
rum vom Willen aller Gesellschafter getragenen Vertragsänderung (zu gegebenenfalls erforderlichen Vermögensübertragungsvorgängen beim Wechsel von einer nicht rechtsfähigen zu einer rechtsfähigen Gesellschaft bei Rz. 32). Die Vertragsänderung kann gewiss auch konkludent getroffen werden, indem die Gesellschafter beispielsweise einem Gesellschafter die Befugnis erteilen, die Gesellschaft als solche im Rechtsverkehr zu vertreten.20 Ein Gläubigerschutzdefizit dürfte sich aus diesem rein subjektiv bewirkten Wechsel nicht ergeben.21 In ersterem Fall (Übergang einer rechtsfähigen zu einer nicht rechtsfähigen Gesellschaft) wird der Rechtsverkehr bei der Neubegründung von rechtsgeschäftlichen Verbindlichkeiten durch die allgemeinen Rechtsscheinsgrundsätze ausreichend geschützt, falls er nach wie vor von einer rechtsfähigen Gesellschaft ausgeht. In Bezug auf Altverbindlichkeiten der Gesellschaft wird der Gläubigerschutz durch die Liquidationsregelungen (insbesondere § 736d Abs. 4 BGB) bzw. die bis zur vollständigen Gläubigerbefriedigung fortbestehende Gesellschafterhaftung (in den zeitlichen Grenzen des § 739 BGB) gewährleistet. Im zweiten Fall (Übergang einer nicht rechtsfähigen zu einer rechtsfähigen Gesellschaft) kommt ein neues Rechtsgeschäft mit der nunmehr rechtsfähigen Gesellschaft ohnehin nur dann zustande, wenn in deren Namen gehandelt wurde (§ 164 Abs. 1 BGB). Bereits begründete Verbindlichkeiten gegenüber dem (ehemals) geschäftsführenden Gesellschafter der nicht rechtsfähigen Gesellschaft bedürfen mangels rechtlicher Identität beider Varianten der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft22 auch einer entsprechenden Willenserklärung des Gläubigers, um einen Übergang auf die nunmehr rechtsfähige Gesellschaft zu bewirken (vgl. §§ 414, 415 BGB; s. hierzu auch die Ausführungen bei Rz. 32). Sobald die Gesellschaft im Gesellschaftsregister eingetragen ist bzw. wird, erhält die Ab- 5 grenzung von rechtsfähiger und nicht rechtsfähiger Gesellschaft im Fall eines (möglicherweise auch nur von Teilen der Gesellschafter) angestrebten Rechtsformwechsels eine zusätzliche Komplexität. Dies hängt mit dem durch die Registrierung gesteigerten Verkehrsschutz sowie der in den § 705 Abs. 2, § 719 Abs. 1 Alt. 2 BGB angelegten Differenzierung zwischen der Entstehung der rechtsfähigen Gesellschaft im Innen- und im Außenverhältnis zusammen.23 In dem einen Fall, in dem die Gesellschafter einen Wechsel von einer eingetragenen rechtsfähigen Gesellschaft zu einer nicht rechtsfähigen Gesellschaft erreichen wollen, kommt es zur Auflösung der rechtsfähigen Gesellschaft, die bis zur vollständigen Liquidation als (rechtsfähige) Liquidationsgesellschaft fortbesteht. Eine „direkte Umwandlung“ dergestalt, dass eine eingetragene rechtsfähige Gesellschaft nunmehr als nicht rechtsfähige Gesellschaft registriert wird, ist – ebenso wie die grundsätzliche Eintragung einer nicht rechtsfähigen Gesellschaft –24 ausgeschlossen.25 Werden die Auflösung oder das Erlöschen (als jeweils eintragungspflichtige Tatsachen, vgl. §§ 733, 738 BGB) nicht im Gesellschaftsregister eingetragen, kann sich die Gesellschaft gem. § 707a Abs. 3 BGB i.V.m. § 15 Abs. 1 HGB hierauf nicht berufen. Nichtwissende Dritte können also, solange die entsprechenden Eintragungen nicht erfolgt sind, auf die Existenz einer werbenden bzw. sich in Liquidation befindenden rechtsfähigen Gesellschaft vertrauen, obgleich eine solche tatsächlich bereits (aufgrund vollständiger Liquidation oder Vermögenslosigkeit) erloschen sein mag.26 Ob bereits im Zeitpunkt des Auflösungsbeschlusses eine nicht rechtsfähige Gesellschaft (parallel zur Liquidationsgesell20 21 22 23
Vgl. Beuthien, NZG 2017, 201, 202. So auch Armbrüster, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 143, 150. K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 24. Zur Kritik an § 719 BGB s. auch Verse/Tassius in FS Grunewald, 2021, S. 1159, 1166 ff.; kritisch zur bereits im Mauracher Entwurf verankerten Innen- und Außenrechtsfähigkeit der rechtsfähigen Gesellschaft auch Geibel, ZRP 2020, 137, 137 ff. 24 Martens, AcP 2021, 68, 97; Wertenbruch, GmbHR 2021, 1, 5; eine Eintragungsmöglichkeit hingegen in Betracht ziehend Hippeli, DZWiR 2020, 386, 390. 25 So wohl auch Bachmann, NZG 2020, 612, 615. 26 Die Rechtsfolgen der Auflösung treten unabhängig von der nur deklaratorisch wirkenden Eintragung ein (Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 186). Tassius | 595
§ 740 BGB Rz. 5 | Nicht rechtsfähige Gesellschaft schaft) besteht27 oder ob ihre Entstehung auf den Zeitpunkt des vollständigen Erlöschens der rechtsfähigen Gesellschaft aufschiebend bedingt wurde, ergibt sich wiederum aus dem Willen der Gesellschafter. In dem anderen Fall, in dem eine (ursprünglich) nicht rechtsfähige Gesellschaft im Gesellschaftsregister eintragen wird, ist wiederum zu differenzieren. Ist die Eintragung auf die gemeinsame Entscheidung der Gesellschafter zurückzuführen, ergibt sich im Zweifel daraus der für § 705 Abs. 2 Alt. 1 BGB erforderliche gemeinsame Wille der Gesellschafter zur Teilnahme am Rechtsverkehr;28 es entsteht somit durch wirksame Änderung des Gesellschaftsvertrags vor Eintragung bereits eine rechtsfähige Gesellschaft im Innenverhältnis und im Eintragungszeitpunkt sodann auch im Außenverhältnis (§ 719 Abs. 1 Alt. 2 BGB). Wird die Eintragung nicht einvernehmlich, sondern beispielsweise durch das eigenmächtige Handeln eines Gesellschafters bewirkt, steht der Annahme einer rechtsfähigen Gesellschaft29 bzw. der Fiktion einer solchen30 (wie auch im Fall eines gänzlich fehlenden Gesellschaftsvertrags) der in § 705 Abs. 2 BGB verankerte Grundsatz der Privatautonomie der Gesellschafter entgegen.31 Insbesondere kann der in § 705 Abs. 2 BGB als maßgeblich erklärte Wille der Gesellschafter nicht per se in der Stellung eines Eintragungsantrags gesehen werden.32 Es liegt in diesen Fällen somit weiterhin eine nicht rechtsfähige Gesellschaft vor.33 Dritte können sich gegenüber dem eigenmächtig Handelnden Gesellschafter aber nach § 707a Abs. 3 BGB i.V.m. § 15 Abs. 3 HGB34 auf das Bestehen einer rechtsfähigen Gesellschaft berufen.35 Davon zu unterscheiden ist die auch von der Gesetzesbegründung gesehene Konstellation, dass ein Gesellschafter einer bislang ausschließlich im Innenverhältnis wirksamen rechtsfähigen Gesellschaft vorzeitig und ohne entsprechende Zustimmung der übrigen Gesellschafter die Eintragung im Gesellschaftsregister bewirkt.36 Hier entsteht durch das eigenmächtige Handeln des eintragungswilligen Gesellschafters auch im Außenverhältnis eine 27 Hierzu auch Geibel in BeckOGK/BGB, Stand 1.1.2019, § 705 BGB Rz. 235. 28 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 162; Armbrüster, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 143, 157 f.; vgl. auch Hippeli, DZWiR 2020, 386, 390. 29 A.A. Bachmann, NZG 2020, 612, 614. 30 So wohl Armbrüster, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 143, 157, 160 („[Die nicht rechtsfähige Gesellschaft] ist dann aber als rechtsfähige Gesellschaft zu behandeln.“). 31 Von der (wohl) abweichenden Ansicht eines Mitglieds der Expertenkommission (s. hierzu die Darstellung der anschließenden Diskussionsbeiträge bei Benz, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 165, 166) sowie ursprünglich angedachter gesetzlicher Vermutungsregelungen (vgl. hierzu die Ausführungen auf S. 2 der von den Arbeitsgruppen ursprünglich erstellten Thesenpapiere, abrufbar unter https:// perma.cc/F64Y-ANNR) ist auch nicht zwingend auf einen gegensätzlichen gesetzgeberischen Willen zu schließen. Vielmehr scheint die Gesetzesbegründung lediglich von einer Entbehrlichkeit des Einvernehmens im Fall einer im Innenverhältnis bereits existierenden rechtsfähigen Gesellschaft auszugehen (Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 162). 32 So tendenziell allerdings Martens, AcP 2021, 68, 97. 33 A.A. Armbrüster, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 143, 157; Bachmann, NZG 2020, 612, 614 und wohl auch Martens, AcP 2021, 68, 97, der unterstellt, dass ein jeder Eintragungsantrag vom Willen sämtlicher Gesellschafter getragen sein wird, was nicht zwingend der Fall sein muss. 34 Die im Rahmen von § 15 Abs. 3 HGB nach h.M. erforderliche Zurechenbarkeit der unrichtig eingetragenen Tatsache setzt die Mitwirkung des jeweiligen Gesellschafters bei der Anmeldung voraus (Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 131; vgl. auch BGH v. 21.7.2020 – II ZB 26/19, ZIP 2020, 1658, 1659 Rz. 20 = GmbHR 2020, 1067). 35 Zwar ist die Eintragung der rechtsfähigen Gesellschaft im Gesellschaftsregister fakultativ und insofern keine „einzutragende Tatsache“ i.S.v. § 15 Abs. 3 HGB. Der Normzweck des § 707a Abs. 3 BGB gebietet allerdings auch insofern eine Publizitätswirkung des Registers, so dass die entsprechende Anwendung von § 15 Abs. 3 HGB auch in dieser Konstellation Verkehrsschutz entfaltet (vgl. auch Lieder, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 169, 176 sowie Martens, AcP 2021, 68, 97 f. sowie die Ausführungen im Tätigkeitsbericht der Expertenkommission, S. 16 („Für die Angaben im Register gilt öffentlicher Glauben.“), abrufbar unter https://perma.cc/PHW9-EF64); a.A. und mit entsprechender Gesetzeskritik Geibel, ZRP 2020, 137, 139 sowie Herrler, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 39, 57 f.). 36 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 162.
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Fehlende Vermögensfähigkeit; anwendbare Vorschriften | Rz. 8 § 740 BGB
rechtsfähige Gesellschaft und zwar tatbestandlich und nicht nur dem äußeren Anschein nach, da hierfür nicht zwingend das Einvernehmen der Gesellschafter erforderlich ist (vgl. § 719 Abs. 1 Alt. 2 BGB).37 Die von der Gesetzesbegründung angestellten Verkehrsschutzerwägungen38 rechtfertigen für diese Konstellation die Entbehrlichkeit des Einvernehmens, da hier der Wille der Gesellschafter hinsichtlich einer Teilnahme der Gesellschaft als solcher grundsätzlich vorhanden ist. Aus dem vormals Gesagten ergibt sich bereits, dass die nicht rechtsfähige Gesellschaft weder 6 als Durchgangsstadium zur rechtsfähigen Gesellschaft zu begreifen noch mit der lediglich im Innenverhältnis rechtsfähigen Gesellschaft zu verwechseln ist.39 Bei letzterer handelt es sich vielmehr um eine rechtsfähige Gesellschaft, die allein im Außenverhältnis noch nicht wirksam entstanden ist (§ 719 Abs. 1 BGB). b) Abgrenzung zur Bruchteilsgemeinschaft Des Weiteren ist die nicht rechtsfähige Gesellschaft von der Bruchteilsgemeinschaft ab- 7 zugrenzen. Bei letzterer handelt es sich um eine reine Rechtsgemeinschaft, die sich im Innehaben eines gemeinschaftlichen Rechts erschöpft40 und bei der sich die diesbezüglichen Rechte und Pflichten aus dem Gesetz ergeben,41 während sich die Gesellschafter einer nicht rechtsfähigen Gesellschaft auf vertraglicher Grundlage verpflichten, einen gemeinsamen Zweck zu verfolgen.42 Nicht rechtsfähige Gesellschaft und Bruchteilsgemeinschaft können auch kombiniert werden, beispielweise können Ehegatten an einem Vermögensgegenstand Bruchteilseigentümer sein, der zugleich dem Zweck einer unter ihnen bestehenden nicht rechtsfähigen Gesellschaft zu dienen bestimmt ist.43 Insbesondere hatte der Gesetzgeber diese Kombinationsmöglichkeit bei der Konzeption der nicht rechtsfähigen Gesellschaft und ihrer Vermögensverhältnisse vor Augen (hierzu ausführlich bei Rz. 33 ff.).44 Die Abgrenzung zwischen nicht rechtsfähiger Gesellschaft und Bruchteilsgemeinschaft wur- 8 de durch die Abschaffung der Gesamthand im Recht der Gesellschaft (hierzu bei Rz. 27) dahingehend entschärft, als es nun nicht mehr (auch) um eine sich gegenseitig ausschließende unterschiedliche Rechtszuständigkeit (Bruchteilsgemeinschaft oder Gesamthand)45 geht. Es verbleibt aber die Frage, ob im konkreten Fall neben einer gemeinschaftlichen Rechtszuständigkeit (insbesondere Miteigentum) an einem Vermögensgegenstand zugleich eine diesbezügliche gemeinsame Zweckverfolgung i.S.d. § 705 Abs. 1 BGB und damit ein Gesell37 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 162. Dies mag damit zusammenhängen, dass der Gesetzgeber ausschließlich den Fall vor Augen hatte, dass eine Teilnahme der Gesellschaft am Rechtsverkehr noch nicht gewollt war (Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 162), es sich also um eine im Innenverhältnis (bereits) bestehende rechtsfähige Gesellschaft handelt. 38 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 162 („[Der Rechtsverkehr muss sich] auf die im Gesellschaftsregister verlautbarte Existenz der Gesellschaft als Rechtssubjekt verlassen können.“). 39 Vgl. auch Geibel, ZRP 2020, 137, 139. 40 von Proff in Staudinger, Neubearbeitung 2021, § 741 BGB Rz. 10; K. Schmidt in MünchKomm/ BGB, 8. Aufl. 2020, § 741 BGB Rz. 4. 41 Zur Bruchteilsgemeinschaft als „Quelle“ gesetzlicher Schuldverhältnisse: BGH v. 26.3.1974 – VI ZR 103/72, BGHZ 62, 243, 246 = NJW 1974, 1189, 1190; Fest, AcP 2015, 765, 788; K. Schmidt in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 741 BGB Rz. 3. 42 Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 132; K. Schmidt in MünchKomm/ BGB, 8. Aufl. 2020, § 741 BGB Rz. 4; zum Erfordernis einer Vertragsgrundlage insbesondere Geibel in BeckOGK/BGB, Stand: 1.1.2019, § 705 BGB Rz. 133; vgl. auch Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 125; Fleischer, DStR 2021, 430, 432. 43 Vgl. BGH v. 3.2.2016 – XII ZR 29/13, ZIP 2016, 860. 44 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 190. 45 Aderhold in Erman, 16. Aufl. 2020, § 741 BGB Rz. 2; K. Schmidt in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 741 BGB Rz. 6. Tassius | 597
§ 740 BGB Rz. 8 | Nicht rechtsfähige Gesellschaft schaftsvertrag anzunehmen ist,46 der dann die Rechte und Pflichten der Beteiligten hinsichtlich des betreffenden Vermögensgegenstands bestimmen bzw. die mit der Bruchteilsgemeinschaft verbundenen Rechte und Pflichten überlagern würde (dazu auch bei Rz. 52). Zwar kann die gemeinsame Verwaltung eines einzelnen Vermögensgegenstandes für die Annahme eines Gesellschaftszwecks ausreichen,47 der schlichte Erwerb einer Sache zu Miteigentum und die damit notwendigerweise verbundenen Verwaltungsmaßnahmen allein reichen hierfür jedoch nicht aus.48
3. Einordnung als Innengesellschaft 9 Mit der nicht rechtsfähigen Gesellschaft i.S.d. §§ 740–740c BGB kennt das Gesetz nun neben
der handelsrechtlichen stillen Gesellschaft (§§ 230–236 HGB) eine zweite Innengesellschaft,49 also eine Gesellschaft, die – im Gegensatz zu den Außengesellschaften – vertraglich nicht darauf angelegt ist, als solche am Rechtsverkehr teilzunehmen.50 Sie entfaltet ihre Rechtswirkungen vielmehr ausschließlich im Verhältnis der Gesellschafter zueinander (vgl. nun auch § 705 Abs. 2 BGB). Im Verhältnis zur stillen Gesellschaft, für die zur gemeinsamen Zweckverfolgung die speziellen Voraussetzungen des § 230 HGB (hierzu ausführlich bei § 230 HGB Rz. 6 ff.) hinzutreten müssen, bildet sie die Grundform der Innengesellschaften.51
4. Einordnung als (besonderes) vertragliches Schuldverhältnis 10 Das bislang für die „Innengesellschaft bürgerlichen Rechts“ verfolgte Bestreben, diese Gesell-
schaftsform einer dogmatischen Kategorie (Schuldverhältnis52, Organisation53 bzw. Schuld-
46 Geibel in BeckOGK/BGB, Stand: 1.1.2019, § 705 BGB Rz. 133; vgl. von Proff in Staudinger, Neubearbeitung 2021, § 741 BGB Rz. 11. 47 K. Schmidt in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 741 BGB Rz. 5. 48 Vgl. Aderhold in Erman, 16. Aufl. 2020, § 741 BGB Rz. 2; Geibel in BeckOGK/BGB, Stand: 1.1.2019, § 705 BGB Rz. 133; ähnlich auch Fest in AcP 2015, 765, 789, der den Teilhabern einer Bruchteilsgemeinschaft das gleichzeitige Eingehen einer Innengesellschaft gänzlich versagen möchte, wenn diese sich in dem Halten und Verwalten des gemeinschaftlichen Gegenstands erschöpft; zur rechtlichen Einordnung einer Wochenendreisegruppe als (lediglich) Bruchteilsgemeinschaft LG Arnsberg v. 2.3.2017 – 1 O 151/16, juris. 49 Im Mauracher Entwurf wurde die nicht rechtsfähige Gesellschaft auch noch als „Innengesellschaft“ bezeichnet (Mauracher Entwurf, 22). Zur Qualifizierung der stillen Gesellschaft als Innengesellschaft K. Schmidt in MünchKomm/HGB, 4. Aufl. 2019, § 230 HGB Rz. 7 m.w.N. 50 So die h.M.: Armbrüster, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 143, 148; Hadding in FS Grunewald, 2021, S. 285, 286; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 285 jeweils m.w.N. 51 So bereits zur „Innengesellschaft bürgerlichen Rechts“: Röder, AcP 2015, 450, 499; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 290; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, 4. Aufl. 2019, § 230 HGB Rz. 4; Wedemann in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 230 HGB Rz. 1. 52 Grunewald, JZ 2015, 1027; Gummert in MünchHdbGesR I, 5. Aufl. 2019, § 17 Rz. 13 („Die Innengesellschaft ist nicht mehr als ein besonderen Regeln unterliegendes Schuldverhältnis der Gesellschafter untereinander […].“); für die „Innengesellschaft ohne Gesamthandsvermögen“ auch Hadding/ Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2012, § 705 BGB Rz. 43 („Die Gesellschaft kann jedoch auch auf eine Organisation verzichten, wir die Zulässigkeit der Innengesellschaft ohne Gesamthandvermögen und Gesellschaftsorgane deutlich macht.“); Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 284, 293 (organisationsrechtliches Element „allenfalls in rudimentärer Form“); Wedemann, IPrax 2016, 252 ((kollisionsrechtliche) Einordnung als Schuldverhältnis); vgl. auch Fleischer/Harzmeier, ZGR 2017, 239, 268; Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 705 BGB Rz. 59; Habersack, ZGR 2020, 539, 542. 53 Beuthien, NZG 2011, 161, 164 f. („Wie jede Personengesellschaft kann auch die Innengesellschaft nicht durch Schuldvertrag, sondern nur durch Organisationsvertrag begründet werden.“); vgl.
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Fehlende Vermögensfähigkeit; anwendbare Vorschriften | Rz. 10 § 740 BGB
verhältnis mit organisationsrechtlichen Elementen54) zuzuordnen, dürfte sich auch mit Einführung der nicht rechtsfähigen Gesellschaft nicht gänzlich erledigt haben, sondern bleibt weiterhin einer wissenschaftlichen Analyse überantwortet. Wer zuvor die organisationsrechtlichen Elemente einer „Innengesellschaft bürgerlichen Rechts“ vom Vorliegen eines Gesamthandsvermögens abhängig gemacht hat,55 wird nun konsequenterweise von einer Qualifizierung der nicht rechtsfähigen Gesellschaft als einem „reinen“ Schuldverhältnis ausgehen müssen. Stellt man darauf ab, dass die nicht rechtsfähige Gesellschaft solcher Rechtsverhältnisse entbehrt, die (neben den Rechtsverhältnissen der Gesellschafter zueinander) zwischen den Gesellschaftern und der Gesellschaft als eigenständigem Zuordnungssubjekt bestehen,56 so liegt die Qualifizierung als vertragliches Schuldverhältnis ebenfalls nahe.57 Aber auch im Übrigen scheint es für die rechtliche Handhabe – insbesondere für die entsprechende Anwendung der Vorschriften über die rechtsfähige Gesellschaft gem. § 740 Abs. 2 BGB – klarer58 und deshalb vorzugswürdig, der nicht rechtsfähigen Gesellschaft das Verständnis eines (reinen) vertraglichen Schuldverhältnisses zugrunde zu legen.59 Auch die Intention des Gesetzgebers lässt sich dahingehend deuten, zumal die nicht rechtsfähige Gesellschaft in bewusstem Kontrast zur rechtsfähigen Gesellschaft konzipiert ist.60 Damit soll freilich nicht darüber hinweggegangen werden, dass die nicht rechtsfähige Gesellschaft im Vergleich zu anderen (Dauer-) Schuldverhältnissen durch die gemeinsame Zweckverfolgung, die häufig mehrgliedrige Struktur und die auch hier vorliegende Zuständigkeitsordnung (insbesondere Ge-
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auch Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, Vor § 705 BGB Rz. 27 („Eine verbandsmäßige Organisation kann auch eine Innengesellschaft, etwa eine Unterbeteiligung mit mehreren Gesellschaftern benötigen“) sowie im Kontext der stillen Gesellschaft K. Schmidt in MünchKomm/HGB, 4. Aufl. 2019, § 230 HGB Rz. 7 („Die stille Beteiligung kann {…} über die schuldrechtliche Bindung hinausgehen. Sie kann als Verband organisiert und sogar als „Innen-KG“ ausgestaltet sein.“) sowie hierzu monographisch Florstedt, Der stille Verband, Diss. Bonn 2006. Geibel in BeckOGK/BGB, Stand: 1.1.2019, § 705 BGB Rz. 229; mit Blick auf die mehrgliedrige Innengesellschaft auch Schall, ZIP 2020, 1443, 1450; in diesem Sinne wohl auch Schücking in MünchHdbGesR I, 5. Aufl. 2019, § 3 Rz. 50. Vgl. Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 705 BGB Rz. 59; Schäfer in MünchKomm/ BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 284; so zuvor bereits Ulmer in MünckKomm/BGB, 5. Aufl. 2009, § 705 BGB Rz. 285. Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 125 („Die Beitragspflicht begründet eine Sozialverbindlichkeit gegenüber der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, sofern diese rechtsfähig ist, ansonsten gegenüber den anderen Gesellschaftern.“) und im Umkehrschluss zu 139 („Infolge der gesetzlichen Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts beschränken sich die Rechte und Pflichten der Gesellschafter nämlich nicht mehr auf deren Rechtsbeziehungen untereinander, sondern bestehen auch im Verhältnis zur Gesellschaft.“). Vgl. Fleischer, DB 2020, 1107, 1112, der insbesondere in den Rechtsbeziehungen zwischen den Gesellschaftern und der Gesellschaft als solcher die Entwicklung der rechtsfähigen Gesellschaft zur Organisation sieht; die Einordnung der nicht rechtsfähigen Gesellschaft als (reines) Schuldverhältnis dürfte auch von Röder geteilt werden (vgl. Röder, AcP 2015, 450, 494). Zum unklaren Gehalt des Organisationsvertrags (im Vergleich zum Schuldvertrag): Martens, AcP 2021, 68, 79. Für die Interpretation als (reines) Schuldverhältnis: Armbrüster in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 64; Wertenbruch, ZPG 2023, 1, 2; Wertenbruch, GmbHR 2021, 1, 4; ebenso (noch auf der Grundlage des Mauracher Entwurfs) Geibel, ZRP 2020, 137, 138 sowie Noack, NZG 2020, 581, 582; wohl auch Fleischer, DStR 2021, 430, 432 (nur die rechtsfähige Gesellschaft wirke im Besonderen Schuldrecht „wie ein Fremdkörper“); für die Annahme eines Organisationsvertrags (wohl auch für die nicht rechtsfähige Gesellschaft) hingegen Martens, AcP 2021, 68, 78 ff., 104. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 190 („systembildende Unterscheidung“); diese klare Unterscheidung begrüßend Habersack, ZGR 2020, 539, 566; zur Unterscheidung dieser beiden „{grundverschiedenen} rechtlichen Strukturtypen“ auch Fleischer, DB 2020, 1107, 1114. Tassius | 599
§ 740 BGB Rz. 10 | Nicht rechtsfähige Gesellschaft schäftsführung und Gesellschafterversammlung)61 Besonderheiten aufweist, die sich gewiss auch in Rechtsanwendungsfragen niederschlagen. Beispielsweise sind die §§ 320 ff. BGB, die einen gegenseitigen Vertrag voraussetzen, auf die nicht rechtsfähige Gesellschaft grundsätzlich nicht anwendbar62 (zur Frage, ob die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft auf die nicht rechtsfähige Gesellschaft Anwendung findet, s. Rz. 20).
5. Eigenständiges gesetzliches Leitbild 11 Bei den Vorschriften des Untertitels 3 zur nicht rechtsfähigen Gesellschaft handelt es sich um
einen Rechtsrahmen, der auf die „Gelegenheitsgesellschaft ohne besondere vertragliche Vorsorge“63 zugeschnitten ist und den Gesellschaftern als passende Auffanglösung dienen soll.64 Damit steht die nicht rechtsfähige Gesellschaft auch hinsichtlich ihres Leitbilds im bewussten Kontrast zur auf Dauer angelegten und professionalisierten65 rechtsfähigen Gesellschaft. Selbstverständlich bleibt es den Gesellschaftern unbenommen, durch entsprechende Regelungen im Gesellschaftsvertrag von diesem Leitbild abzuweichen, wie es insbesondere von Gelegenheitsgesellschaften des Wirtschaftsverkehrs (z.B. Emissionskonsortien) auch zu erwarten ist.66 Das ergibt sich bereits daraus, dass sich die nicht rechtsfähige Gesellschaft in den Rechtsverhältnissen der Gesellschafter untereinander erschöpft und damit grundsätzlich dispositives Gesetzesrecht betrifft (vgl. § 708 BGB).67
6. Rechte und Pflichten der Gesellschafter 12 Die Rechte und Pflichten der Gesellschafter ergeben sich aus den Regelungen des Gesell-
schaftsvertrags und (ergänzend) aus den § 740 Abs. 2, §§ 740a–740c BGB (s. hierzu jeweils die gesonderten Kommentierungen). Insbesondere sind die Gesellschafter zur Leistung ihrer jeweiligen Beiträge verpflichtet (vgl. § 705 Abs. 1, § 709 BGB; s. hierzu Rz. 40; zum Geschäftsführungspflichtrecht s. Rz. 50). Darüber hinaus sind sich auch die Gesellschafter einer nicht rechtsfähigen Gesellschaft aufgrund des Gesellschaftsverhältnisses (unabhängig von einer entsprechenden Regelung im Gesellschaftsvertrag) zur Treue verpflichtet, da sich ein der gemeinsamen Zweckverfolgung zuwiderlaufendes Verhalten nicht mit ihrer vertraglichen Verpflichtung zur Zweckförderung vertragen würde (§ 242 BGB).68 Insofern kann auf die 61 Sowohl Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 705 BGB Rz. 159 als auch Schücking in MünchHdbGesR I, 5. Aufl. 2019, § 3 Rz. 52 weisen zu Recht darauf hin, dass auch eine Innengesellschaft eine Geschäftsführung, Gesellschafterversammlung und ggf. auch einen Beirat hat bzw. haben kann, ohne dass dadurch die (rein) schuldrechtlichen Rechtsbeziehungen zwischen den Gesellschaftern in Frage gestellt würden. 62 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 125; Wertenbruch, ZPG 2023, 1, 5; vgl. auch Geibel in BeckOGK/BGB, Stand: 1.1.2019, § 705 BGB Rz. 76 ff.; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 167; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, 81. EL September 2021, Rz. I 49. 63 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 191; das Leitbild begrüßend Fleischer, DStR 2021, 430, 437. 64 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 190. 65 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 107 f. 66 Armbrüster, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 143, 163; Fleischer, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 1, 15; Fleischer, DStR 2021, 430, 437. 67 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 191. 68 Geibel in BeckOGK/BGB, Stand: 1.5.2019, § 706 BGB Rz. 62; vgl. Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 49 (die Treuepflicht als gesellschaftsrechtsspezifische Ausprägung des § 242 BGB); zu den aus der Treuepflicht folgenden Informationspflichten: Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 159.
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Fehlende Vermögensfähigkeit; anwendbare Vorschriften | Rz. 14 § 740 BGB
Ausführungen zur rechtsfähigen Gesellschaft entsprechend Bezug genommen werden (hierzu ausführlich bei § 705 BGB Rz. 57 ff.), freilich mit dem Unterschied, dass bei der nicht rechtsfähigen Gesellschaft ausschließlich Treuebindungen zwischen den Gesellschaftern bestehen.69 Entspricht die nicht rechtsfähige Gesellschaft im konkreten Fall ihrem gesetzlichen Leitbild (Rz. 11), besteht keine sonderlich intensive Pflichtenbindung.70
7. Haftung der Gesellschafter untereinander Einen im Vergleich zu § 276 Abs. 1 BGB milderen gesetzlichen Maßstab für die Haftung der 13 Gesellschafter untereinander kennt auch die nicht rechtsfähige Gesellschaft mit der vollständigen Abschaffung des § 708 BGB a.F. (Haftung lediglich für eigenübliche Sorgfalt) nicht mehr. Vielmehr wird der allgemein-schuldrechtliche Haftungsmaßstab für diese ebenfalls als ausreichend flexibel angesehen.71 Allerdings wird man – sollte die Gesellschaft im konkreten Fall ihrem gesetzlichen Leitbild entsprechen – eine Haftung der Gesellschafter für lediglich eigenüblich sorgfaltswidriges Verhalten i.S.d. § 277 BGB tendenziell leichter aus einer konkludenten Vereinbarung bzw. dem Inhalt des Schuldverhältnisses (§ 276 Abs. 1 Alt. 2 BGB) entnehmen können als im Fall einer rechtsfähigen Gesellschaft.72 Schließlich hängt die Abschaffung des § 708 BGB a.F. insbesondere mit dem höheren Professionalisierungsgrad der rechtsfähigen Gesellschaft zusammen,73 während sein Regelungsgehalt für Gelegenheitsgesellschaften des täglichen Lebens, bei denen die Beteiligten insbesondere nicht professionell und ohne Rechtskunde agieren, bis zuletzt als angemessen angesehen wurde.74 Sollte die nicht rechtsfähige Gesellschaft einen ideellen Zweck verfolgen, ist grundsätzlich (in analoger Anwendung der §§ 31a, 31b BGB) von einer Haftung nur für vorsätzliches und grob fahrlässiges Verhalten auszugehen.75
8. Rechtsverhältnisse zu Dritten a) Keine Vertretung der Gesellschaft Da die nicht rechtsfähige Gesellschaft kein eigenständiges Rechtssubjekt ist, können die ge- 14 schäftsführungsbefugten Gesellschafter auch nicht im Rechtsverkehr als deren (organschaftliche) Vertreter fungieren. Das vertragswidrige Auftreten eines Gesellschafters als (organschaftlicher) Vertreter der Gesellschaft lässt diese auch nicht zur rechtsfähigen Gesellschaft werden. Dafür wäre sowohl im Verhältnis der Gesellschafter zueinander (vgl. § 705 Abs. 2 Alt. 1 BGB sowie die Ausführungen bei Rz. 3) als auch im Verhältnis zu Dritten (vgl. § 719 Abs. 1 Alt. 1 BGB) der einvernehmliche Wille der Gesellschafter zur Teilnahme am Rechts69 Geibel in BeckOGK/BGB, Stand: 1.5.2019, § 706 BGB Rz. 62. 70 Zur Intensität der Treuebindung: Geibel in BeckOGK/BGB, Stand: 1.5.2019, § 706 BGB Rz. 64 ff.; vgl. auch Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 231. 71 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 140. 72 Vgl. auch Fleischer/Danninger, NZG 2016, 481, 490 f. 73 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 108; vgl. auch Mohamed, JuS 2021, 820, 825; K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 43. 74 Bachmann, NZG 2020, 612, 613 sowie Martens, AcP 2021, 68, 91 („Gelegenheitsgesellschaften, die auf persönlichem Vertrauen beruhen“); Schäfer, Gutachten E zum 71. DJT, 2016, E 88; zur Angemessenheit des milderen Sorgfaltsmaßstabs bei Familiengesellschaften: Westermann, DZWiR 2020, 321, 324; kritisch zur Abschaffung von § 708 BGB a.F. mit Blick auf Klein- und Gelegenheitsgesellschaften auch Schall, ZIP 2020, 1443, 1444. 75 Schirrmacher, ZHR 186 (2022), 250, 261 ff.; vgl. zu diesem Haftungsprivileg bei der rechtsfähigen Ideal-GbR Tassius, AcP 2022, 500. Tassius | 601
§ 740 BGB Rz. 14 | Nicht rechtsfähige Gesellschaft verkehr erforderlich.76 Zum Schutz des Rechtsverkehrs kommt in diesem Fall eine Haftung des handelnden Gesellschafters als falsus procurator gem. § 179 BGB77 (aufgrund des nicht existenten Vertretenen in analoger Anwendung) in Betracht sowie eine Haftung nach allgemeinen Rechtsscheinsgrundsätzen (Haftung als persönlich haftender Gesellschafter einer – in Wirklichkeit nicht existenten – rechtsfähigen Gesellschaft).78 Genehmigen sämtliche Gesellschafter den Vertragsschluss (§ 177 Abs. 1 BGB analog)79, kommt dieser mit der von den Gesellschaftern dann errichteten rechtsfähigen Gesellschaft zustande.80 Die Gesellschafter bringen damit den einvernehmlichen Willen (vgl. § 705 Abs. 2 Alt. 1, § 719 Abs. 1 Alt. 1 BGB) zum Ausdruck, mit der Gesellschaft als solcher am Rechtsverkehr teilnehmen zu wollen. Dass ein solcher anlassbezogener (oder „punktuell“ gebildeter) Wille für das Vorliegen einer rechtsfähigen Gesellschaft nicht ausreichen soll,81 kann der Konzeption der § 705 Abs. 2, § 719 Abs. 1 BGB nicht entnommen werden. Außerdem wäre unklar, ob und wie § 177 Abs. 1 BGB dann analoge Anwendung finden würde.82 b) Handeln im eigenen Namen für gemeinschaftliche Rechnung 15 Die Gesellschafter einer nicht rechtsfähigen Gesellschaft sind freilich nicht daran gehindert,
einen Zweck zu verfolgen, der ebenfalls ein rechtsgeschäftliches Handeln gegenüber Dritten erforderlich macht.83 Die Gesellschaft nimmt dann – wenn auch nicht als solche – am Rechtsverkehr teil, indem ihre (geschäftsführungsbefugten) „Außen“84 – oder „Hauptgesellschafter“85 in eigenem Namen, aber für Rechnung der Gesellschaft bzw. aller Gesellschafter handeln.86 Es liegt dann eine besondere Konstellation der mittelbaren Stellvertretung vor,87 bei der der Außengesellschafter als Teil der Gesellschaft allerdings auch in eigenem Interesse handelt.88 Trotz dieses Unterschieds zum (ausschließlich fremdnützigen) Handeln eines Kommissionärs als klassischem Fall der mittelbaren Stellvertretung (vgl. § 383 Abs. 1 HGB)89, wird man sich – wenn das Gesellschaftsverhältnis insofern Fragen offen lässt – an den Vorschriften zum Kommissionsgeschäft (§§ 383 ff. HGB) orientieren können (s. hierzu 76 Zur Beseitigung des Streitstands bzgl. der Auslegung von § 123 Abs. 2 HGB a.F. (als der Vorbildvorschrift des § 719 BGB): Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 161. 77 Hadding in FS Grunewald, 2021, S. 285, 291; vgl. auch BGH v. 12.11.2008 – VIII ZR 170/07, BGHZ 178, 307, 311 = ZIP 2009, 220, 221; Beck, ZIP 2017, 1748, 1752. 78 Vgl. Beck, ZIP 2017, 1748, 1753. 79 Grundsätzlich ist allein der Vertretene genehmigungsberechtigt (Ulrici in BeckOGK/BGB, Stand: 1.8.2021, § 177 BGB Rz. 137). Ist die vertretene Gesellschaft aber (noch) nicht als rechtsfähige Gesellschaft existent, kommt es im Rahmen der Analogie auf die Genehmigung ihrer (zukünftigen) Gesellschafter an. 80 A.A. hingegen Beuthien, NZG 2011, 161, 165. 81 So wohl Beuthien, NZG 2011, 161, 165; Hadding in FS Grunewald, 2021, S. 285, 291; Westermann, NZW 2016, 2625, 2626. 82 Bislang scheint eine analoge Anwendung des § 177 Abs. 1 BGB für die Fälle anerkannt, bei denen die rechtsfähige Gesellschaft noch nicht entstanden ist: Maier-Reimer/Finkenauer in Erman, 16. Aufl. 2020, § 177 BGB Rz. 9; Schilken in Staudinger, Neubearbeitung 2019, § 177 BGB Rz. 20. 83 Bachmann, NZG 2020, 612, 614; Hadding in FS Grunewald, 2021, S. 285, 290. 84 Geibel in BeckOGK/BGB, Stand: 1.1.2019, § 705 BGB Rz. 227. 85 Westermann, NJW 2016, 2625, 2626. 86 BGH v. 11.9.2018 – II ZR 161/17, ZIP 2018, 2267, 2268; Beuthien, NZG 2017, 201; Beuthien, NZG 2011, 161, 165 = GmbHR 2019, 22; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 287 (jeweils für die „Innengesellschaft bürgerlichen Rechts“). 87 Vgl. Beuthien, NZG 2011, 161, 165 sowie Steckhan, Die Innengesellschaft, Diss. Erlangen-Nürnberg 1965, S. 26. 88 Allgemein zur mittelbaren Stellvertretung etwa Schubert in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2021, § 164 BGB Rz. 47 ff. (Handeln im eigenen Namen, aber im fremden Interesse und für fremde Rechnung). 89 Zur Einordnung des Kommissionsgeschäfts als Fall mittelbarer Stellvertretung etwa Schilken in Staudinger, Neubearbeitung 2019, Vor § 164 BGB Rz. 42.
602 | Tassius
Fehlende Vermögensfähigkeit; anwendbare Vorschriften | Rz. 18 § 740 BGB
auch Rz. 51).90 Im Außenverhältnis wird freilich allein der in eigenem Namen auftretende Gesellschafter der nicht rechtsfähigen Gesellschaft berechtigt und verpflichtet.91 Das für Rechnung der Gesellschaft Erworbene ist zunächst jedenfalls Bestandteil des Vermögens des nach außen hin handelnden Gesellschafters. Ob dieses sodann anteilig dem Vermögen der übrigen Gesellschafter zugeführt wird bzw. zuzuführen ist oder weiterhin ausschließlich vom Außengesellschafter (gegebenenfalls treuhänderisch für die Gesellschaft) gehalten wird, bestimmt sich nach den Vereinbarungen des Gesellschaftsvertrags (zu den Gesellschaftern als Bruchteilsgemeinschaft bei Rz. 33 ff.; zur treuhänderischen Vermögensverwaltung durch einen Gesellschafter bei Rz. 36 f.).92 c) Keine Außenhaftung der Gesellschafter Die nicht rechtsfähige Gesellschaft kommt als Schuldnerin, an der eine akzessorische Haf- 16 tung der Gesellschafter gegenüber Dritten anzuknüpfen wäre, nicht in Betracht. Für die im Rahmen der gesellschaftlichen Zweckverfolgung eingegangenen Verbindlichkeiten haftet im Außenverhältnis ausschließlich der in eigenem Namen auftretende Gesellschafter.93
9. Unterschiedliche Organisationsstruktur Die nicht rechtsfähige Gesellschaft kann zwei- oder mehrgliedrig sein, wobei auch in letzte- 17 rem Fall ausschließlich Rechtsbeziehungen zwischen den Gesellschaftern bestehen.94 Nimmt die Gesellschaft – wenn auch nicht als solche – am Rechtsverkehr teil, stehen ihr auch dafür unterschiedliche Organisationsstrukturen offen. Insbesondere kann lediglich ein Hauptbzw. Außengesellschafter die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft nach außen entfalten (zur möglicherweise dann vorliegenden stillen Gesellschaft bürgerlichen Rechts s. bei Rz. 21 ff.) oder es können sämtliche Gesellschafter in eigenem Namen, aber für gemeinsame Rechnung auftreten und jeweils als Vermögensträger fungieren (sog. Metagesellschaft).95
10. Motive und Vielgestaltigkeit Eine nicht rechtsfähige Gesellschaft kann aus ganz unterschiedlichen Motiven entstehen. Bei 18 einer gemeinsamen Zweckverfolgung, die nur auf kurze Dauer, ja womöglich nur auf ein einmaliges Kooperieren zu einem kurzfristig erreichbaren Ziel bzw. im Rahmen einer einmaligen Gelegenheit (etwa im Fall einer Fahrgemeinschaft) angelegt ist, wird die oftmals den Beteiligten gar nicht bewusste Organisation als nicht rechtsfähige Gesellschaft bereits durch eben diesen kurzfristigen und die Rechtsfähigkeit des Zusammenschlusses entbehrenden Zweck vorgegeben.96 Bei einer auf Dauer angelegten gemeinsamen Zweckverfolgung dürfte – in Abgrenzung zur rechtsfähigen Gesellschaft – das Anliegen, keine persönliche und unbeschränkte Haftung für das im Zusammenhang mit der gemeinsamen Zweckverfolgung stehende Verhalten der übrigen Gesellschafter zu riskieren, zentral sein.97 Aber auch Gründe 90 91 92 93 94 95
Ähnlich Hadding in FS Grunewald, 2021, S. 285, 291. Hadding in FS Grunewald, 2021, S. 285, 287. Hierzu auch Beuthien, NZG 2011, 161, 165 (Fn. 47); Hadding in FS Grunewald, 2021, S. 285, 291 f. Vgl. Bachmann, NZG 2020, 612, 616; Röder, ACP 2015, 450, 527 f. Anders noch Beuthien, NZG 2011, 161, 164 („sternvertraglicher Mittelpunkt“). BGH v. 26.6.1989 – II ZR 128/88, NJW 1990, 573, 574; Röder, AcP 2015, 450, 499; Schücking in MünchHdbGesR I, 5. Aufl. 2019, § 4 Rz. 34 ff.; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, Vor § 705 BGB Rz. 77. 96 Vgl. auch Röder, AcP 2015, 450, 498. 97 Zum Beispiel eines Bankenkonsortiums: Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, Vor § 705 BGB Rz. 55 f. Tassius | 603
§ 740 BGB Rz. 18 | Nicht rechtsfähige Gesellschaft der Außenwirkung, wie insbesondere das bewährte (alleinige) Auftreten des geschäftsführenden Gesellschafters bzw. die bewusste Zurückhaltung oder auch der Wunsch der übrigen Gesellschafter, gar nicht in Erscheinung zu treten,98 können aus Sicht der Beteiligten für eine Organisation als nicht rechtsfähige Gesellschaft sprechen.99 Schließlich kann bestimmendes Motiv für diese Variante der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaftsein, dass die mit dem Gesellschaftszweck verbundene Tätigkeit überhaupt nur einem Gesellschafter erlaubt ist.100 19 So unterschiedlich die Motive ihrer Gesellschafter sein können, so vielgestaltig tritt die nicht
rechtsfähige Gesellschaft in Erscheinung101 und womöglich sogar deutlich häufiger als ihr rechtsfähiges Pendant102. Insbesondere bei alltäglichen (Gelegenheits-) Gesellschaften ohne vertragliche Vorsorge, wie sie dem gesetzlichen Leitbild entsprechen (hierzu bei Rz. 11), kommt eine Organisation als nicht rechtsfähige Gesellschaft in Betracht, etwa im Fall einer Fahrgemeinschaft103 oder einer Ausflugs- oder Reisegruppe, die eine gemeinsame Kasse führt,104 nach dem Willen der Beteiligten aber als solche nicht rechtlich in Erscheinung tritt. Die nicht rechtsfähige Gesellschaft kann auch den rechtlichen Rahmen für Tipp-105 und Wettgemeinschaften, Sportteams und Musikensembles106 bilden. Nicht zuletzt wird man bei Wohngemeinschaften mitunter eine nicht rechtsfähige Gesellschaft annehmen können.107 Aber auch im (professionellen) Wirtschaftsverkehr kommt der nicht rechtsfähigen Gesellschaft große Bedeutung zu, bspw. als Organisationsform für Büro- und Praxisgemeinschaften108, Zusammenschlüsse zur Realisierung eines gemeinsamen Bauvorhabens109, Interessengemeinschaften, Wissenschaftskooperationen, ebenso wie für Stimmrechts- und Emissionskonsortien110.111 Als weitere Anwendungsfälle finden sog. Metageschäfte112 (hierzu Rz. 17), Joint Ventures113 und diverse Poolgestaltungen114 Erwähnung.
98 Zu einer solchen Konstellation beispielsweise BGH v. 11.9.2018 – II ZR 161/17, ZIP 2018, 2267 = GmbHR 2019, 22 (Vermeidung augenscheinlicher Interessenkonflikte zweier Gesellschafter, die als Architekten für die Gemeinde tätig sind und deshalb nicht zugleich als Grundstückserwerber in Erscheinung treten wollen). 99 Vgl. Steckhan, Die Innengesellschaft, Diss. Erlangen-Nürnberg 1965, S. 36 f. 100 Vgl. Steckhan, Die Innengesellschaft, Diss. Erlangen-Nürnberg 1965, S. 37. 101 Fleischer, DStR 2021, 430, 437; Kindler, ZfPW 2022, 409, 416. 102 Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 291; Schäfer in FS Windbichler, 2020, S. 981, 981 f.; K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 24; zum häufigen Vorkommen auch Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, Vor § 705 BGB Rz. 27. 103 Westermann, NJW 2016, 2625, 2628. 104 Zu diesem Beispiel auch Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 288. 105 Hierzu ausführlich Fleischer/Hahn, NZG 2017, 1. 106 K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 25 ff. 107 LG Berlin v. 9.2.2010 – 65 S 475/07, juris Rz. 14 (Qualifizierung einer Wohngemeinschaft als Innengesellschaft, wenn die einzelnen Gemeinschaftsmitglieder im Vertragsrubrum aufgeführt werden); zur Qualifizierung einer Wohngemeinschaft als nicht rechtsfähige Gesellschaft Grunewald, JZ 2015, 1027 sowie Siegmund, MDR 2022, 1063, 1065. 108 K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 25 ff. 109 Zur Einordnung einer „Integrierten Projektabwicklung“ als nicht rechtsfähige Gesellschaft: Fuchs/ Leuering, NZBau 2022, 499, 502 f. 110 Westermann, NJW 2016, 2625, 2628 f. 111 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 126, 190; Fleischer, DStR 2021. 430, 437; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 291. 112 Servatius in Henssler/Strohn, 5. Aufl. 2021, § 705 BGB Rz. 7; OLG Köln v. 30.8.2013 – 18 U 2/13, juris Rz. 3. 113 Stengel in BeckHdb. PersG, 5. Aufl. 2020, § 22 Rz. 40. 114 Geibel in BeckOGK/BGB, Stand: 1.1.2019, § 705 BGB Rz. 238; Röder, AcP 2015, 450, 499 mit Verweis auf K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 58 III. 7. d, S. 1710 f.; Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, Vor § 705 BGB Rz. 43 ff.; vgl. auch Hippeli, DZWiR 2020, 386, 391.
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Fehlende Vermögensfähigkeit; anwendbare Vorschriften | Rz. 21 § 740 BGB
Schließlich hält die nicht rechtsfähige Gesellschaft in gewissen Konstellationen auch für ei- 20 nen (billigen) Vermögensausgleich unter Eheleuten her. Eine solche (typischerweise konkludent gegründete) Ehegatteninnengesellschaft wird vom BGH dann angenommen, wenn die Ehegatten einen gemeinsamen und über die Verwirklichung der ehelichen Lebensgemeinschaft hinausgehenden Zweck verfolgen.115 Dies sei insbesondere der Fall, wenn die Eheleute durch den Einsatz von Vermögenswerten und Arbeitsleistungen ein Vermögen bilden oder gemeinsam berufliche Tätigkeiten ausüben.116 Scheitert die Ehe (und mit ihr die gemeinsame Zweckverfolgung im Rahmen der Ehegatteninnengesellschaft), könne grundsätzlich auf die gesellschaftsrechtlichen Auseinandersetzungsregeln zurückgegriffen werden.117 Die Innengesellschaft bürgerlichen Rechts wird unter dem Begriff der Ehegatteninnengesellschaft vom BGH somit als Rechtsgrundlage für die Korrektur eines unbilligen Vermögensausgleichs beim Scheitern einer Ehe herangezogen,118 was insbesondere im Fall der Gütertrennung relevant wird.119 Haben die Eheleute hingegen im gesetzlichen Güterstand gelebt, kommt die Annahme einer Ehegatteninnengesellschaft jedenfalls nur ausnahmsweise in Betracht, da das Gesetz insofern mit dem güterrechtlichen Zugewinnausgleich bereits eine Regelung zum angemessenen Vermögensgleich vorsieht.120 Im Fall einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, die spezieller gesetzlicher Regelungen zum Vermögensausgleich im Beendigungsfall entbehrt, spricht der BGH sich sogar für eine „großzügigere Anwendung gesellschaftsrechtlicher Auseinandersetzungsregelungen“ aus, obgleich dann besonderes Augenmerk auf den (für den Gesellschaftsvertrag erforderlichen) Rechtsbindungswillen der (im Übrigen ohne Rechtsbindungswillen verbundenen) Partner zu richten sei.121
11. Anwendung der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft Ob die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft (hierzu bei § 705 BGB Rz. 21 ff.) auch auf 21 Innengesellschaften Anwendung findet oder ob – im Fall eines mangelbehafteten Gesellschaftsvertrags – die vom Gesetz vorgesehenen Nichtigkeitstatbestände (insbesondere die §§ 105, 108, 125, 134, 138, 142 Abs. 1 BGB) greifen, ist umstritten und wird vor allem im Bereich der stillen Gesellschaft ausgiebig diskutiert122 (s. § 230 HGB Rz. 38 ff.). Das hat den Hintergrund, dass diese Frage bei Anlagegesellschaften, die in der Vergangenheit u.a. als stille (Publikums-) Gesellschaften organisiert waren und bei denen Teile der Anleger eine Rückabwicklung ihrer Vermögenseinlage im Wege eines Schadensersatzanspruchs begehrten, rele-
115 BGH v. 30.6.1999 – XII ZR 230/96, BGHZ 142, 137, 144 = FamRZ 1999, 1580, 1581; BGH v. 3.2.2016 – XII ZR 29/13, ZIP 2016, 860, 861; jüngst wieder rezipiert durch OLG Koblenz v. 7.9.2022 – 9 UF 123/22, GmbHR 2023, 174, 175 sowie OLG Brandenburg v. 23.2.2022 – 7 U 133/ 20, NZG 2022, 452; ausführliche und kritische Darstellung der Rechtsprechungsentwicklung bei Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, Vor § 705 BGB Rz. 81 ff. („Analogieproblem“); kritisch zur Ehegatteninnengesellschaft insbesondere auch Herr, Kritik der konkludenten Ehegatteninnengesellschaft, Diss. Mannheim 2008, S. 308 ff. 116 BGH v. 30.6.1999 – XII ZR 230/96, BGHZ 142, 137, 144 = FamRZ 1999, 1580, 1581. 117 BGH v. 28.9.2005 – XII ZR 189/02, BGHZ 165, 1, 8 = NJW 2006, 1268, 1269. 118 Zur (stillschweigend vereinbarten) Ehegatteninnengesellschaft als „güterrechtliches Korrekturinstrumentarium“: Wedemann, IPrax 2016, 252, 254. 119 Koch in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2023, § 516 BGB Rz. 77. 120 So auch BGH v. 28.9.2005 – XII ZR 189/02, BGHZ 165, 1 = NJW 2006, 1268, 1269. 121 BGH v. 9.7.2008 – XII ZR 179/05, BGHZ 177, 193, 199 ff. = NJW 2008, 3277, 3278; jüngst zum Fehlen eines entsprechenden Rechtsbindungswillens OLG Hamm v. 6.4.2022 – 8 U 172/20, ZPG 2023, 112, 115. 122 Übersicht bei Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 369 ff. Tassius | 605
§ 740 BGB Rz. 21 | Nicht rechtsfähige Gesellschaft vant wurde.123 Das Reformgesetz sowie seine Begründung sparen das Rechtsinstitut der fehlerhaften Gesellschaft gänzlich und somit auch für das Recht der Innengesellschaften aus. Der BGH geh von der Anwendbarkeit jedenfalls für stille Gesellschaften,124 darüber hinaus aber wohl auch für sämtliche Innengesellschaften aus.125 Im Schrifttum bejahen einige Stimmen die Anwendbarkeit der Lehre auf Innengesellschaften.126 Andere wiederum lehnen diese teilweise127 oder gänzlich128 ab. Überzeugender scheint letztere Ansicht. Die tragenden Gründe, die bei der rechtsfähigen Gesellschaft eine Abweichung von den gesetzlichen Rechtsfolgen rechtfertigen, liegen bei der nicht rechtsfähigen Gesellschaft nicht vor. Zum einen bestehen keine Rückabwicklungsschwierigkeiten im Verhältnis zu Dritten; die nicht rechtsfähige Gesellschaft ist per definitionem auf ein Auftreten im Rechtsverkehr gar nicht ausgerichtet. Zum anderen unterscheidet sich ihre Rückabwicklung nicht (in relevantem Maße) von derjenigen sonstiger Dauerschuldverhältnisse, zumal die nicht rechtsfähige Gesellschaft nicht über ein eigenes Gesellschaftsvermögen verfügt (s. hierzu auch die Ausführungen bei § 230 HGB Rz. 39). Nicht zuletzt fügt sich diese Sichtweise in die hier ebenfalls vorgenommene Einordnung der nicht rechtsfähigen Gesellschaft als ein (reines, wenn auch durch besondere Merkmale geprägtes) vertragliches Schuldverhältnis (Rz. 10) ein.
12. Stille Gesellschaft bürgerlichen Rechts 22 Eine besondere Ausprägung der nicht rechtsfähigen Gesellschaft ist die stille Gesellschaft
bürgerlichen Rechts.129 Diese gleicht in ihrer Struktur der stillen Gesellschaft (ausführlich hierzu bei § 230 HGB Rz. 6 ff.), d.h. dass sich auch bei ihr ein „stiller Gesellschafter“ verpflichtet, eine Einlage in das Vermögen eines anderen, nach außen hin auftretenden Hauptgesellschafters zu leisten, um im Gegenzug von diesem am Gewinn und gegebenenfalls auch am Verlust beteiligt zu werden.130 Allerdings ist der Hauptgesellschafter im Fall der stillen Gesellschaft bürgerlichen Rechts eben gerade nicht Inhaber eines Handelsgeschäfts bzw. (Form-) Kaufmann, was (nach wie vor) zwingende Voraussetzung für das Vorliegen einer
123 Vgl. auch Armbrüster/Joos, ZIP 2004, 189, 197 f.; Konzen in FS Westermann, 2008, S. 1133, 1133 f.; Miras in MünchHdbGesR II, 5. Aufl. 2019, § 95 Rz. 11 ff. sowie Wälzholz, DStR 2003, 1533. 124 BGH v. 29.6.1970 – II ZR 158/69, BGHZ 55, 5 = NJW 1971, 375 (Grundsätze über fehlerhafte Gesellschaft finden sogar auf die typisch stille Gesellschaft Anwendung). 125 BGH v. 22.10.1990 – II ZR 247/89, NJW-RR 1991, 613; unklar allerdings noch in BGH v. 18.6.1990 – II ZR 132/89, BB 1990, 1997, 1997 f. 126 Tröger in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, 82. EL Januar 2022, Rz. I 216b ff.; grundsätzlich gegen eine Unterscheidung und unterschiedliche rechtliche Behandlung von Außen- und Innengesellschaften Steckhan, Die Innengesellschaft, Diss. Erlangen-Nürnberg 1965. 127 Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 705 BGB Rz. 59 (Anwendung nur sofern Lehre bei Dauerschuldverhältnissen im Allgemeinen zur Anwendung kommt); Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 371 (Anwendung nur im Fall einer „Innen-KG“, nicht hingegen grundsätzlich im Bereich der Innengesellschaften (hierzu insbesondere auch Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, Habil. Heidelberg 2001, S. 145); Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 88 (keine Anwendung bei zweigliedrigen Innengesellschaften). 128 Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 705 BGB Rz. 161 (kein Bedürfnis); Ulmer in FS Flume Band II, 1978, S. 301, 318; gegen die Anwendbarkeit im Recht der stillen Gesellschaft Harbarth in Staub, 5. Aufl. 2015, § 230 HGB Rz. 170 ff. (insbesondere methodisch fragwürdige teleologische Reduktion); als gänzlich ablehnend mittlerweile auch einzuordnen: Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2012, § 705 BGB Rz. 92 (keine Anwendung auf Innengesellschaften ohne Gesamthandsvermögen). 129 Vgl. Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 294; Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 67. 130 Schäfer in FS Windbichler, 2020, S. 981, 991.
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Fehlende Vermögensfähigkeit; anwendbare Vorschriften | Rz. 24 § 740 BGB
stillen Gesellschaft i.S.d. § 230 HGB ist (§ 230 HGB Rz. 7).131 Der Hauptgesellschafter betreibt vielmehr ein kleingewerbliches, rein vermögensverwaltendes, freiberufliches oder ein land- oder forstwirtschaftliches Unternehmen, ohne dabei durch Eintragung im Handelsregister den Status eines (Form-) Kaufmanns erlangt zu haben (vgl. insbesondere §§ 2, 3, 107 HGB, § 13 Abs. 3 GmbHG, § 3 Abs. 1 AktG)132. Möglicherweise verliert die stille Gesellschaft bürgerlichen Rechts durch die Öffnung des Handelsrechts für freiberuflich tätige Gesellschaften weiter an Bedeutung, zumal nun in sämtlichen erwerbswirtschaftlichen Bereichen die Möglichkeit besteht, Handelsgesellschaft kraft Eintragung zu werden. Denkbar bleibt diese Ausgestaltung einer nicht rechtsfähigen Gesellschaft bürgerlichen Rechts dennoch, etwa wenn von der Möglichkeit einer Eintragung im Handelsregister kein Gebrauch gemacht wird oder wenn ein einzelner Freiberufler eine Praxis führt und hieran stille Beteiligungen begründet werden.133 Liegt eine zweigliedrige stille Gesellschaft bürgerlichen Rechts vor, erfolgt die (mitunter 23 schwierige)134 Abgrenzung zu synallagmatischen Vertragsverhältnissen, insbesondere zum partiarischen Darlehen, ebenso wie bei der stillen Gesellschaft anhand des Merkmals der gemeinsamen Zweckverfolgung (hierzu bei § 230 HGB Rz. 15). Auf die stille Gesellschaft bürgerlichen Rechts finden grundsätzlich die §§ 231 ff. HGB ana- 24 loge Anwendung,135 da diese Vorschriften auf die speziellere Struktur eines solchen gesellschaftsrechtlichen Zusammenschlusses zugeschnitten sind und ihre Anwendung nicht von der meist im Belieben des Hauptgesellschafters stehenden Entscheidung, als Kaufmann behandelt werden zu wollen, abhängen kann.136 Abweichende Rechtsfolgen ergeben sich dann insbesondere mit Blick auf das Informationsrecht des Stillen (hierzu bei Rz. 57), die (allerdings nur geringfügig abweichenden) Gewinnverteilungsgrundsätze des § 231 Abs. 1 HGB (s. hierzu die Ausführungen bei § 231 HGB Rz. 3), die (im Vergleich zu § 725 Abs. 1 BGB) längere Kündigungsfrist des § 234 Abs. 1 HGB i.V.m. § 132 Abs. 1 HGB und die gem. § 234 Abs. 2 HGB grundsätzliche Fortführung der Gesellschaft beim Tod des Stillen mit dessen Erben bzw. Erbengemeinschaft (hierzu bei § 234 HGB Rz. 14 f.).137 Auch wird man ein Recht des Stillen, den Hauptgesellschafter bei Vorliegen eines wichtigen Grundes in dessen Person ausschließen und die Übertragung des dem Gesellschaftszweck gewidmeten Vermögens verlangen zu können, nicht ohne eine entsprechende Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag annehmen können (anders nun jedoch im Recht der nicht rechtsfähigen Gesellschaft, s. hierzu bei § 740c BGB Rz. 3 f.). Zum grundsätzlich analog anzuwendenden Recht der stillen Gesellschaft tritt außerdem folgender Grundsatz hinzu: Je stärker die Rechtsstellung des Stillen
131 Harbarth in Staub, 5. Aufl. 2015, § 230 HGB Rz. 76, 89; Mock in Röhricht/Graf von Westphalen/ Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 230 HGB Rz. 77; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 294. 132 Zum Streit, ob eine Gesellschaft, die eine Land- oder Forstwirtschaft betreibt und im Handelsregister eingetragen ist, gem. § 107 Abs. 1 HGB oder gem. §§ 2, 3 i.V.m. § 105 Abs. 1 HGB Handelsgesellschaft ist: vgl. Klimke in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 105 HGB Rz. 8. 133 Zu einer solchen Gestaltung jüngst BFH v. 23.11.2021 – VIII R 17/19, BB 2022, 1125 = GmbHR 2022, 602. 134 Allgemein zur schwierigen Abgrenzung der „Innen-GbR“ zu partiarischen Schuldverhältnissen: Geibel in BeckOGK/BGB, Stand: 1.1.2019, § 705 BGB Rz. 236. 135 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 190; Armbrüster in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 30; Harbarth in Staub, 5. Aufl. 2015, § 230 HGB Rz. 76; Mock in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 230 HGB Rz. 77; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 295; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, 4. Aufl. 2019, § 230 HGB Rz. 19; Wedemann in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 230 HGB Rz. 20. 136 Vgl. K. Schmidt in MünchKomm/HGB, 4. Aufl. 2019, § 230 HGB Rz. 24. 137 Vgl. hierzu im Einzelnen auch Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 705 BGB Rz. 60; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 295 f. Tassius | 607
§ 740 BGB Rz. 24 | Nicht rechtsfähige Gesellschaft derjenigen eines Gesellschafters einer rechtsfähigen Gesellschaft entspricht, desto eher sind Vertragslücken mithilfe des Rechts der jeweiligen rechtsfähigen Gesellschaft zu schließen.138
13. Unterbeteiligungsgesellschaft 25 Obgleich auch die Unterbeteiligungsgesellschaft dogmatisch als eine Variante der nicht
rechtsfähigen Gesellschaft (vormals „Innengesellschaft bürgerlichen Rechts“) einzuordnen ist,139 steht sie – ebenso wie die stille Gesellschaft bürgerlichen Rechts – der stillen Gesellschaft aufgrund ihrer Organisationsstruktur näher, weshalb auch auf sie grundsätzlich die Vorschriften der §§ 231 ff. HGB analoge Anwendung finden (zur analogen Anwendung des Informationsrechts nach § 233 HGB s. § 233 HGB Rz. 7; allgemein zur Unterbeteiligungsgesellschaft bei § 230 HGB Rz. 41).140
II. Fehlende Vermögensfähigkeit (Abs. 1) 1. Kein Vermögensträger, kein Gesamthandsvermögen 26 In § 740 Abs. 1 BGB ist nun unmissverständlich geregelt, dass die nicht rechtsfähige Gesell-
schaft kein Gesellschaftsvermögen hat. Damit wird zum einen der Streit um die Frage, ob auch eine „Innengesellschaft bürgerlichen Rechts“ Trägerin eines Vermögens sein kann,141 beendet. Die nicht rechtsfähige Gesellschaft im Sinne der neuen gesetzlichen Regelungen ist weder absolut noch relativ142 zur Bildung eines eigenen Vermögens in der Lage.143 Freilich
138 Armbrüster in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 3 Rz. 30; Schäfer in FS Windbichler, 2020, S. 981, 992. 139 Ganz h.M.: BGH v. 11.7.1968 – II ZR 179/66, BGHZ 50, 316, 320 = NJW 1968, 2003; Gehrlein in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 230 HGB Rz. 92; Kindler in Koller/Kindler/Roth/ Drüen, 9. Aufl. 2019, § 230 HGB Rz. 4; Mock in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 230 HGB Rz. 221; Roth in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 105 HGB Rz. 38; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, Vor § 705 BGB Rz. 97; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, 4. Aufl. 2019, § 230 HGB Rz. 195; Servatius in Henssler/Strohn, 5. Aufl. 2021, § 230 HGB Rz. 8; wohl auch Blaurock in Blaurock, Handbuch Stille Gesellschaft, 9. Aufl. 2020, III. Teil, § 30 Rz. 30.21 ff. 140 BGH v. 29.11.2011 – II ZR 306/09, BGHZ 191, 354, 359 = ZIP 2012, 326, 328; Beuthien, NZG 2011, 161, 165; Kindler in Koller/Kindler/Roth/Drüen, 9. Aufl. 2019, § 230 HGB Rz. 4; Mock in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 230 HGB Rz. 221; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, Vor § 705 BGB Rz. 97; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, 4. Aufl. 2019, § 230 HGB Rz. 205; zurückhaltender Blaurock in Blaurock, Handbuch Stille Gesellschaft, 9. Aufl. 2020, I. Teil, § 30 Rz. 30.22 ff. 141 Hierzu jüngst Hadding in FS Grunewald, 2021, S. 285, 287 ff.; gegen die Kategorie einer Innengesellschaft mit Gesellschaftsvermögen (bereits vor der Gesetzesnovellierung) Heckschen in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, 67. EL Februar 2017, Rz. I 74b; dafür hingegen Beuthien, NZG 2011, 161 sowie Martens, AcP 2021, 68, 76 f. 142 Hadding hält in FS Grunewald, 2021, S. 285, 289 f. eine relative, auf den internen Kreis der Gesellschafter beschränkte Vermögensträgerschaft der „Innengesellschaft bürgerlichen Rechts“ noch für möglich; für eine Rechtsfähigkeit im Innenverhältnis wohl auch Martens, AcP, 2021, 68, 77. Die vom MoPeG eigens vorgesehene relative Rechtsfähigkeit im Stadium zwischen dem Abschluss des Gesellschaftsvertrags und der einvernehmlichen Teilnahme am Rechtsverkehr (kritisch hierzu Verse/Tassius in FS Grunewald, 2021, S. 1159, 1167 ff.) betrifft allein die rechtsfähige Gesellschaft. 143 Die gesetzliche Klarstellung bzw. Neuregelung begrüßend Armbrüster, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 143; Habersack, ZGR 2020, 539, 547 sowie Lieder, ZRP 2021, 34; kritisch dagegen Westermann, NJW 2016, 2625, 2626; gänzlich ablehnend Hippeli, DZWiR 2020, 386, 391; Wilhelm, NZG 2020, 1041, 1042 ff.
608 | Tassius
Fehlende Vermögensfähigkeit; anwendbare Vorschriften | Rz. 27 § 740 BGB
kann ein „Gesellschaftsvermögen“ begrifflich darin gesehen werden, dass der Gesellschaft bestimmte Vermögensgegenstände (insbesondere Beitragsleistungen der Gesellschafter) gewidmet werden; der nicht rechtsfähigen Gesellschaft kann insofern eine Vermögensausstattung getrost zugesprochen werden.144 Rechtlich zuzuordnen sind diese Vermögensgegenstände der Gesellschaft als solcher aber nicht. Deshalb mag man der Vorschrift des § 740 Abs. 1 BGB auch gedanklich hinzufügen, dass die nicht rechtsfähige Gesellschaft kein eigenes Vermögen hat.145 Zum anderen wird auch das Gesamthandsprinzip für den Bereich des Gesellschaftsrechts 27 insgesamt abgeschafft.146 In einer nicht rechtsfähigen Gesellschaft sind die Gesellschafter nach der Konzeption des MoPeG147 daher auch nicht (mehr) in der Lage, die zur Zweckverfolgung vorgesehenen Vermögensgegenstände einer gesamthänderischen Bindung zu unterwerfen.148 Mochten die Regelungen des Mauracher Entwurfs hier noch einen Auslegungsspielraum zugelassen haben,149 so ist der (in der Gesetzesbegründung150 und in der Verweisungsvorschrift des § 740 Abs. 2 BGB151 zum Ausdruck kommende) gesetzgeberische Wille dahingehend nun eindeutig. Die Abschaffung des Gesamthandsprinzips bedeutet, dass es fortan keine dem § 719 BGB a.F. vergleichbare Regelung mehr gibt, die es den Gesellschaftern verwehren würde, über den Anteil an dem Gesellschaftsvermögen oder an den einzelnen Vermögensgegenständen zu verfügen. Damit ist auch eine Differenzierung zwischen der nicht rechtsfähigen Gesellschaft im engeren und im weiteren Sinne (wie dies vormals für die „Innengesellschaft bürgerlichen Rechts“ erwogen wurde)152 hinfällig. Die Entwurfsverfasser sehen für eine Beibehaltung des Gesamthandsprinzips kein praktisches Bedürfnis153 und wollen mit der Abschaffung den Gläubigerschutz stärken.154 Die Praxis wird für den Fall,
144 Vgl. hierzu Westermann, NJW 2016, 2625, 2628. 145 S. hierzu auch die Darstellung bei Benz, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 165, 166. 146 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 103 f. Zur Differenzierung zwischen Rechtsträgerschaft und gesamthänderischer Vermögensbindung s. Armbrüster, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 143, 152 sowie Schäfer, Gutachten E zum 71. DJT, 2016, E 57; ausführlich zur Gesamthand als vermögensrechtliches Prinzip Beuthien, ZGR 2019, 664; Beuthien, NZG 2011, 161, 163. 147 Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts v. 10.8.2021, BGBl. I, 3436. 148 Für eine Abschaffung des Gesamthandsprinzips im Recht der GbR zuvor schon Röder, AcP 2015, 450, 494 ff.; dagegen jedoch Schall, ZIP 2020, 1443, 1447 f.; kritisch auch Altmeppen, NZG 2020, 822; gegen die Kategorie einer Innengesellschaft mit Gesamthandsvermögen (bereits vor der Gesetzesnovellierung) Röder, AcP 2015, 450, 494 ff.; Schäfer in FS Windbichler, 2020, S. 981, 985 f. (unerwünschter „Hybrid“); Schäfer in FS Seibert, 2019, S. 723, 729 ff.; dafür hingegen Bachmann, NZG 2020, 612, 616; Geibel in BeckOGK/BGB, Stand: 1.1.2019, § 705 BGB Rz. 247; Hippeli, DZWiR 2020, 386, 391. 149 Für eine entsprechende Anwendung des § 713 BGB-E noch Bachmann, NZG 2020, 612, 616. 150 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 103 f. 151 § 713 BGB, der für die rechtsfähige Gesellschaft die Bildung des Gesellschaftsvermögens regelt, ist nunmehr von der Verweisung des § 740 Abs. 2 BGB ausgenommen. 152 Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 288. 153 Wo das Gesetz sonst, nämlich für die eheliche Gütergemeinschaft oder die Erbengemeinschaft, ein gesamthänderisch gebundenes Vermögen vorsieht, ginge es darum, den Zusammenhalt der Beteiligten zu festigen, was mit den Bedürfnissen innerhalb einer Gesellschaft nicht vergleichbar sei (Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 191; so auch Armbrüster, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 143, 154 f.; vgl. auch Röder, AcP 2015, 450, 497 sowie Schäfer in FS Seibert, 2019, S. 723, 730; zu den Charakteristika der unterschiedlichen Rechtsgemeinschaften vgl. auch Beuthien, ZGR 2019, 664, 683 f.). 154 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 190; so auch Armbrüster, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 143, 153; vgl. zum fehlenden Bedürfnis auch Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 288; kritisch allerdings Bachmann, NZG 2020, 612, 616; a.A. Beuthien, NZG 2017, 201, 202 ff. Tassius | 609
§ 740 BGB Rz. 27 | Nicht rechtsfähige Gesellschaft dass die Gesellschaft überhaupt Vermögen benötigt,155 auf alternative Instrumente zur Vermögensordnung, nämlich die Bruchteilsgemeinschaft (s. Rz. 33 ff.) und die treuhänderische Vermögensverwaltung eines Gesellschafters für die übrigen Gesellschafter (s. Rz. 36 f.) verwiesen.156 Eine Abkehr von dem mit dem Begriff der Gesamthandsgesellschaft assoziierten Organisationstyp und seiner Strukturmerkmale (insbesondere Prinzip der Selbstorganschaft, Ausschluss der 1-Personen-Gründung oder des Erwerbs eigener Anteile) bzw. eine gänzliche Einebnung der Unterschiede zur juristischen Person kann den Neuregelungen des MoPeG allerdings nicht entnommen werden.157 Vielmehr wird dieser Organisationstyp bzw. werden diese Unterschiede zur juristischen Person durch die rechtsfähigen Personengesellschaften verkörpert.158 a) Die Gesellschafter als Gläubiger der Ansprüche auf Beitragsleistung 28 Da die nicht rechtsfähige Gesellschaft kein eigenes Gesellschaftsvermögen hat, ist auch nicht
sie, sondern sind die Gesellschafter die Inhaber der Beitragsansprüche.159.Die Geltendmachung der Beitragsansprüche ist auch bei der nicht rechtsfähigen Gesellschaft den geschäftsführungsbefugten Gesellschaftern überantwortet (s. Rz. 50). Sieht die Geschäftsführung von einer Beitragsforderung ab, stellt sich auch für die nicht rechtsfähige Gesellschaft die Frage, ob die übrigen (nicht geschäftsführungsbefugten) Gesellschafter in der Lage sind, die Ansprüche auf Beitragsleistung durchzusetzen und sich somit über die vereinbarte Zuständigkeitsordnung hinwegzusetzen.160 Dies ist für die nicht rechtsfähige Gesellschaft auch ohne eines Rückgriffs auf das Rechtsinstitut der actio pro socio161 bzw. der dazu neu eingeführten Vorschrift des § 715b Abs. 1 Satz 1 BGB zu bejahen.162 Im Gesellschaftsvertrag haben sich die Gesellschafter wechselseitig verpflichtet, die Beiträge gegenüber ihren Mitgesellschaftern zu erbringen.163 Jeder Gesellschafter kann somit die Beitragsleistung eines Mitgesellschafters
155 Je nach Gesellschaftszweck kommen auch nicht rechtsfähige Gesellschaften in Betracht, die gänzlich ohne Vermögen auskommen (Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 192); hierzu auch Flume, ZHR 136 (1972), 177, 180 („Gesellschaften ohne jede vermögensmäßige Relevanz, […], die nur der Organisation oder gemeinschaftlichen Betätigung dienen“). 156 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 190 mit Bezugnahme auf Armbrüster, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 143, 153; zu diesen Gestaltungsvarianten der vermögenslosen „Innengesellschaft bürgerlichen Rechts“ zuvor bereits Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 705 BGB Rz. 59. 157 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 103 sowie 144; K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 27 f.; Wertenbruch, JZ 2023, 78, 79; zur Beibehaltung des Grundsatzes der Selbstorganschaft Mohamed, JuS 2021, 820, 824; insbesondere auch zur Beibehaltung der einkommensteuerrechtlichen Behandlung der GbR: Wertenbruch, GmbHR 2021, 1, 3; Wertenbruch, GmbHR 2020, R196, R197; im Stadium des Mauracher Entwurfs wurden die bisherigen Strukturmerkmale allerdings auch in Frage gestellt: Bachmann, NZG 2020, 612, 615 sowie Bochmann, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 221, 242; für eine Loslösung vom Grundsatz der Selbstorganschaft auch Scholz, NZG 2020, 1044, 1046. 158 Vgl. Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 105 HGB Rz. 25. 159 So bereits klarstellend der Mauracher Entwurf, 70 und ihm folgend die Begr. RegE MoPeG, BTDrucks. 19/27635, 125; Martens, AcP 2021, 68, 76. 160 Hierzu auch Hadding in FS Grunewald, 2021, S. 285, 287, 292 f. („Gibt es in der Innengesellschaft bürgerlichen Rechts […] eine Einzelklagebefugnis (actio pro socio) oder ist etwa § 432 BGB anwendbar?“). 161 Zur Funktion der actio pro socio als Minderheitsschutzinstrument etwa Bork, ZGR 2001, 515, 517; Osterloh-Konrad in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2021, 2022, S. 77 Rz. 29; Schäfer, ZHR 187 (2023), 78, 81. 162 So auch Berger, ZZP 2022, 407, 410. Sah der Mauracher Entwurf eine Verweisung des § 740 Abs. 2 BGB auf § 715b BGB noch vor, ist diese berechtigter Weise nun doch nicht Gesetz geworden. 163 Hierzu K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 21 IV. 2., S. 633.
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Fehlende Vermögensfähigkeit; anwendbare Vorschriften | Rz. 28 § 740 BGB
an alle Gesellschafter verlangen.164 Man mag die Gesellschafter insofern der allgemeinschuldrechtlichen Kategorie einer Mitgläubigerschaft i.S.d. § 432 BGB zuordnen (Einzelforderungsberechtigung bei Gesamtempfangsberechtigung)165.166 Dass sich die Gesellschafter vertraglich verpflichtet haben, die Beitragsansprüche nur gem. ihrer Geschäftsführungsregel (d.h. im Zweifel Gesamtgeschäftsführung durch alle Gesellschafter gem. § 740 Abs. 2 BGB i.V.m. § 715 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 BGB) geltend zu machen, wirkt sich daher allein bei der Frage aus, ob der klagende Gesellschafter sich vertragswidrig verhält167 oder ob er sich in berechtigter Weise über ein vom Geschäftsführer wiederum pflichtwidriges Unterlassen hinwegsetzt. Die nicht rechtsfähige Gesellschaft stellt nämlich zum einen keine Gesamthandsgesellschaft (mehr) dar, deren (gegenüber § 432 BGB vorrangige)168 Geschäftsführungs- und Vertretungsordnung (i.S.d. §§ 709, 714 BGB a.F.) im Außenverhältnis einzuhalten wäre169 und zum anderen handelt die Geschäftsführungsregel des § 715 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 BGB auch nicht von der im Außenverhältnis ebenfalls beachtlichen Verwaltungskompetenz einer Rechtsgemeinschaft (wie etwa im Fall der Bruchteils- oder Gütergemeinschaft nach den §§ 744, 1421 BGB), sondern stellt insofern (lediglich) eine dispositive Auffangregelung für die Verwaltung der vertraglichen Ansprüche dar.170 Der Gesellschafter einer nicht rechtsfähigen Gesellschaft macht somit – wenn auch gegebenenfalls in vertragswidriger Weise – seinen eigenen vertraglichen Anspruch auf Beitragsleistung geltend, weswegen es der actio pro socio nicht bedarf171 bzw. diese bei der nicht rechtsfähigen Gesellschaft „nichts anderes als die Durchsetzung von Ansprüchen unter Gesellschaftern“172 bedeutet (zur Frage, ob die actio pro socio im Recht der stillen Gesellschaft Anwendung findet, s. § 230 HGB Rz. 37).
164 Wurde im Gesellschaftsvertrag geregelt, dass ausschließlich ein Gesellschafter das dem Gesellschaftszweck dienende Vermögen treuhänderisch halten soll, können die Gesellschafter lediglich Leistung an diesen verlangen (vgl. Schäfer in FS Windbichler, 2020, S. 981, 990). 165 Allgemein hierzu Rüßmann in jurisPK/BGB, Band 2, 10. Aufl. 2023, § 432 Rz. 2. 166 Vgl. Hadding in FS Grunewald, 2021, S. 285, 289 (über den „Kunstgriff“, die Ansprüche als rechtlich unteilbar anzusehen) sowie Böttcher in Erman, 16. Aufl. 2020, § 432 BGB Rz. 15. 167 Der klagende Gesellschafter riskiert dadurch, sich Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen oder auch einer Ausschließung aus der Gesellschaft aus wichtigem Grund auszusetzen; vgl. auch Windbichler, Gesellschaftsrecht, 24. Aufl. 2017, § 7 I. 6., Rz. 6 („der einzelne Gesellschafter [hat aufgrund seiner Treuepflicht] die internen Entscheidungsmechanismen zu respektieren“). 168 Zum Vorrang der gesellschaftsrechtlichen Regelungen BGH v. 10.1.1963 – II ZR 95/61, BGHZ 39, 14 = NJW 1963, 641 („Ein Gesellschafter ist im Allgemeinen nicht befugt, eine Gesellschaftsforderung gegen einen Dritten im eigenen Namen gem. § 432 BGB geltend zu machen. Eine solche Befugnis wird durch die in § 709 Abs. 1 BGB getroffene Regelung oder eine im Gesellschaftsvertrag enthaltene abweichende Bestimmung über die Geschäftsführungsbefugnis ausgeschlossen.“); BGH v. 18.11.1999 – IX ZR 153/98, NJW 2000, 734; Heinemeyer in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2022, § 432 BGB Rz. 10; Looschelders in Staudinger, Neubearbeitung 2022, § 432 BGB Rz. 15; SchmidtKessel in Staudinger, Eckpfeiler des Zivilrechts, 7. Aufl. 2020/2021, G II. 1. B, Rz. G 85. 169 In diesem Sinne wohl Fleischer/Harzmeier, ZGR 2017, 239, 268 („{Bei der rein schuldrechtlichen Innen-GbR droht} kein Konflikt mit der innergesellschaftlichen Kompetenzordnung.“); zur Annahme einer actio pro socio bei einer „Innengesellschaft mit Gesamthandsvermögen“ noch OLG Düsseldorf v. 17.7.2019 – 14 U 107/15, BeckRS 2019, 47843 Rz. 66. 170 Zur ausschließlich gemeinsamen Befugnis, eine Forderung geltend zu machen („gemeinschaftliche Gläubigerschaft“), im Fall einer Gesamthandsforderung oder einer Forderung in Bruchteilsgemeinschaft: Heinemeyer in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2022, Vor § 420 BGB Rz. 14. 171 Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 705 BGB Rz. 59; Mock, RabelsZ 2008, 264, 270. 172 Jeweils noch mit Bezug zur „Innengesellschaft bürgerlichen Rechts“: Bergmann in jurisPK/BGB, 10. Aufl. 2023, § 709 BGB Rz. 31; Geibel in BeckOGK/BGB, Stand: 1.5.2019, § 706 BGB Rz. 14; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 214 jeweils mit Verweis auf K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 21 IV. 2., S. 633. Tassius | 611
§ 740 BGB Rz. 29 | Nicht rechtsfähige Gesellschaft b) Verfügung über einen dem Gesellschaftszweck dienenden Vermögensgegenstand 29 Jedenfalls seit Abschaffung des Gesamthandsprinzips im Gesellschaftsrecht durch das Mo-
PeG173 können die einzelnen dem Zweck der nicht rechtsfähigen Gesellschaft dienenden Vermögensgegenstände nicht (länger) einer dinglichen Verfügungsbeschränkung wie derjenigen des § 719 Abs. 1 Halbs. 1 BGB a.F. unterworfen werden (vgl. § 137 Satz 1 BGB).174 Um das dem Gesellschaftszweck dienende Vermögen zu sichern, bleibt den Gesellschaftern allein die Möglichkeit, eine Verfügungsbeschränkung mit rein schuldrechtlicher Wirkung zu vereinbaren (§ 137 Satz 2 BGB) sowie hinsichtlich der jeweiligen Vermögensgegenstände eine Bruchteilsgemeinschaft i.S.d. § 741 BGB zu bilden (zur dadurch im Vergleich zu § 719 BGB schwächeren Vermögensbindung s. Rz. 34). c) Aufrechnung gegen eine dem Gesellschaftszweck dienende Forderung 30 Sofern man die „Innengesellschaft bürgerlichen Rechts“ als zur Bildung eines Gesamthands-
vermögens fähig angesehen haben mochte,175 erweitern sich nach der neuen Rechtslage auch die Aufrechnungsmöglichkeiten des Gläubigers. Die dem Gesellschaftszweck einer nicht rechtsfähigen Gesellschaft dienenden Forderungen unterliegen nicht (mehr) einer gesamthänderischen Bindung, die einer Aufrechnung des Privatgläubigers gem. § 719 Abs. 2 BGB a.F. dann entgegenstand. Haben sämtliche Gesellschafter die Forderung gegenüber dem Vertragspartner gemeinschaftlich begründet, hängt die von § 387 BGB verlangte Gegenseitigkeit und damit die Aufrechnungsmöglichkeit des Gläubigers allerdings davon ab, ob die Gesellschafter insofern (ausnahmsweise) eine Gesamtgläubigerschaft i.S.d. § 428 BGB oder – für eine wenigstens teilweise Aufrechnung – eine Teilgläubigerschaft bilden (zur Annahme einer Mitgläubigerschaft (§ 432 BGB) im Fall einer zwischen den Gesellschaftern bestehenden Bruchteilsgemeinschaft bei Rz. 35).176
d) Vollstreckung in einen dem Gesellschaftszweck dienenden Vermögensgegenstand 31 Auch vollstreckungsrechtlich sorgt die Konzeption der nicht rechtsfähigen Gesellschaft (ohne
Gesamthandsvermögen) für Klarheit. Der Vollstreckungsgläubiger kann auf die Vermögensgegenstände seines Schuldners zugreifen, mögen diese auch der Zweckverfolgung einer (vom Schuldner eingegangenen) nicht rechtsfähigen Gesellschaft dienen. Die nach altem Recht für den Fall einer gesamthänderischen Bindung angenommene Pfändung des Gesellschaftsanteils mit anschließender Kündigung der Mitgliedschaft177 hält der MoPeG-Gesetzgeber unter Gläubigergesichtspunkten für nicht gerechtfertigt.178 Mit diesem aufwendigen Verfahren soll der Gläubiger nur belastet werden, wenn er auf das Auseinandersetzungsguthaben zugreifen will (vgl. § 740a Abs. 1 Nr. 6 BGB i.V.m. § 726 BGB; zur Möglichkeit des Vollstreckungsgläubigers, die Aufhebung der Gemeinschaft gem. § 751 Satz 2 BGB zu verlangen, wenn die Gesellschafter an dem betreffenden Gegenstand eine Bruchteilsgemeinschaft bilden s. Rz. 34).
173 Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts v. 10.8.2021, BGBl. I, 3436. 174 Beuthien, NZG 2017, 201, 203; Liebs, AcP 1975, 1, 41; Röder, AcP 2015, 450, 500. 175 So etwa Geibel in BeckOGK/BGB, Stand: 1.1.2019, § 705 BGB Rz. 247; Hippeli, DZWiR 2020, 386, 391. 176 Hierzu Röder, AcP 2015, 450, 502. 177 Hierzu Armbrüster, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 143, 153 f.; Beuthien NZG 2017, 201, 203; Röder, AcP 2015, 450, 502. 178 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 190; so auch Armbrüster, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 143, 153; a.A. jedoch Beuthien, NZG 2017, 201, 202 ff.
612 | Tassius
Fehlende Vermögensfähigkeit; anwendbare Vorschriften | Rz. 33 § 740 BGB
e) Vermögensübertragung bei Wechsel zu rechtsfähiger Gesellschaft Entscheiden sich die Gesellschafter schließlich doch für eine Teilnahme mit der Gesellschaft 32 am Rechtsverkehr, wechseln sie also von einer nicht rechtsfähigen Gesellschaft zu einer rechtsfähigen Gesellschaft, werden etwaige dem Gesellschaftszweck gewidmete Vermögensgegenstände nicht automatisch Vermögen der (nunmehr) rechtsfähigen Gesellschaft. Die Gesellschafter müssen diese dann vielmehr durch entsprechende Übertragungsvorgänge (Übereignung, Abtretung, Schuld- bzw. Vertragsübernahme) dem Vermögen der rechtsfähigen Gesellschaft zuführen.179 Die Vermögensübertragung kann sich, sofern es der Mitsprache eines Dritten – etwa im Fall der Übereignung oder der Abtretung – nicht bedarf, bereits konkludent im Rahmen der Vertragsänderung vollziehen. Setzt die Übertragung tatbestandlich noch Weiteres voraus (wie etwa bei der Übereignung eines Grundstücks)180, müssen freilich auch diese Voraussetzungen erfüllt sein. Noch bestehende Ansprüche auf Beitragsleistung werden ab dem „Umwandlungszeitpunkt“ ohne weiteren Übertragungsakt Sozialansprüche der rechtsfähigen Gesellschaft.
2. Die Gesellschafter als Bruchteilsgemeinschaft Wollen die Gesellschafter einer nicht rechtsfähigen Gesellschaft gewisse oder alle Ver- 33 mögensgegenstände, die sie zur Zweckverfolgung benötigen oder verwenden wollen, vor dem ungehinderten Zugriff des vermögenstragenden Gesellschafters oder seiner Gläubiger schützen, haben sie die Möglichkeit, parallel zum Gesellschaftsverhältnis jeweils eine Bruchteilsgemeinschaft i.S.d. §§ 741 ff. BGB hinsichtlich dieser Vermögensgegenstände einzugehen.181 Sie können also insbesondere Miteigentum an Sachen (§§ 1008 ff. BGB)182 begründen. Aber auch für andere Rechte (vgl. § 741 BGB), etwa beschränkt dingliche Rechte oder Forderungen183, steht den Gesellschaftern dieses Institut zur Verfügung.184 Im Gegensatz zur rechtsfähigen Gesellschaft, die alleinige Inhaberin des gesamten Gesellschaftsvermögens ist (§ 713 BGB), besteht die Rechtsinhaberschaft bei der Bruchteilsgemeinschaft geteilt und bezüglich jedes einzelnen Vermögensgegenstandes gesondert.185 Um an dem jeweiligen Vermögensgegenstand eine Bruchteilsgemeinschaft zu begründen, bedarf es jeweils
179 Dies gilt insbesondere auch dann, wenn an dem jeweiligen Vermögensgegenstand eine Bruchteilsgemeinschaft bestehen sollte: K. Schmidt in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 741 BGB Rz. 4 bzw. 9. Aufl. 2023, § 1008 BGB Rz. 14. 180 Bei der Übereignung eines Grundstücks ist nun neben der Einhaltung der Form des § 925 Abs. 1 BGB und der Eintragung im Grundbuch (jedenfalls faktisch) erforderlich, dass die Gesellschaft im Gesellschaftsregister eingetragen ist, vgl. § 47 Abs. 2 GBO. 181 Röder, AcP 2015, 450, 500 ff.; K. Schmidt in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 741 BGB Rz. 4; K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 23 („Kombination von Miteigentum und Innengesellschaft“). 182 Zum Miteigentum als besonders relevanter Anwendungsfall einer Bruchteilsgemeinschaft: Aderhold in Erman, 16. Aufl. 2020, § 741 BGB Rz. 5; K. Schmidt in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 741 BGB Rz. 11; K. Schmidt in ZHR 185 (2021), 16, 22 z.B. eines Regattateams, das für gemeinsame Rechnung ein Boot zu Miteigentum erwirbt. 183 Die Beteiligten, die hinsichtlich einer Forderung eine Bruchteilsgemeinschaft bilden, sind im Außenverhältnis als Mitgläubiger i.S.v. § 432 BGB anzusehen (Aderhold in Erman, 16. Aufl. 2020, § 741 BGB Rz. 7; Looschelders in Staudinger, Neubearbeitung 2022, § 432 BGB Rz. 24; Röder, AcP 2015, 450, 500; K. Schmidt in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 741 BGB Rz. 47; a.A. hingegen Kreße in BeckOGK/BGB, Stand: 1.3.2023, § 432 BGB Rz. 15). 184 Aderhold in Erman, 16. Aufl. 2020, § 741 BGB Rz. 5 ff.; Beuthien, NZG 2017, 201, 203. 185 Aderhold in Erman, 16. Aufl. 2020, § 741 BGB Rz. 3; Röder, AcP 2015, 450, 501; K. Schmidt in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 741 BGB Rz. 6. Tassius | 613
§ 740 BGB Rz. 33 | Nicht rechtsfähige Gesellschaft eines entsprechenden rechtsgeschäftlichen Erwerbsvorgangs186 (für die Begründung von Miteigentum nach den §§ 929 ff. BGB bzw. §§ 873, 925 BGB,187 für die gemeinschaftliche Forderungsinhaberschaft nach den §§ 398 ff. BGB188). Was die Bildung einer Bruchteilsgemeinschaft hinsichtlich der Vermögensgegenstände, die als Beitragsleistungen der Gesellschaft zur Verfügung gestellt werden sollen, anbelangt, können entsprechende Vereinbarungen bereits im Gesellschaftsvertrag getroffen werden. Mit Blick auf die Vermögensgegenstände aus einer etwaigen Geschäftstätigkeit der nicht rechtsfähigen Gesellschaft kann der geschäftsführende Gesellschafter vorab im Gesellschaftsvertrag verpflichtet werden, daran jeweils eine Bruchteilsgemeinschaft mit den übrigen Gesellschaftern zu bilden. Er hat dann die jeweiligen Gegenstände auf die übrigen Gesellschafter unter Rückbehalt seines Anteils zu übertragen.189 Ein bereits im Gesellschaftsvertrag antizipierter Erwerbsvorgang dürfte an den noch nicht hinreichend bestimmbaren Rechten scheitern.190 34 Im Vergleich zur überholten gesamthänderischen Bindung (gem. § 719 BGB a.F.) fällt die
Vermögensbindung, die die Gesellschafter einer nicht rechtsfähigen Gesellschaft durch die Begründung einer Bruchteilsgemeinschaft am jeweiligen Vermögensgegenstand erreichen können, schwächer aus.191 Schließlich erlaubt § 747 Satz 1 BGB jedem Bruchteilsinhaber, über seinen Anteil am Vermögensgegenstand frei zu verfügen;192 eine zwischen den Gesellschaftern vereinbarte Verfügungsbeschränkung hätte gem. § 137 BGB lediglich schuldrechtliche Wirkung (s. Rz. 29) und würde gegebenenfalls zu Ersatzansprüchen der übrigen Gesellschafter oder einem Ausschluss des vertragswidrig handelnden Gesellschafters (§ 740c Abs. 2 BGB i.V.m. § 727 BGB) führen.193 Auch vollstreckungsrechtlich zeigt sich die (im Vergleich zu § 719 BGB a.F.) schwächere Vermögensbindung.194 Möchte ein (Privat-) Gläubiger des nach außen hin auftretenden (geschäftsführenden) Gesellschafters in Vermögensgegenstände vollstrecken, an denen eine Bruchteilsgemeinschaft zwischen letzterem und den übrigen Gesellschaftern besteht, kann er den Bruchteil seines Vollstreckungsschuldners (gem. § 857 ZPO bzw. §§ 864, 866, 867 ZPO) pfänden bzw. eine Zwangshypothek eintragen lassen195 und – wenn sein Titel nicht nur vorläufig vollstreckbar ist – die Aufhebung der Bruchteilsgemeinschaft verlangen (§ 751 Satz 2 BGB).196 Der Gläubiger muss also nicht mehr den 186 Zur Unterscheidung zwischen gesetzlicher und rechtsgeschäftlicher Entstehung einer Bruchteilsgemeinschaft: Aderhold in Erman, 16. Aufl. 2020, § 741 BGB Rz. 15 ff. 187 Vgl. Beuthien, ZGR 2019, 664, 672; P. Müller in BeckOGK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 1008 BGB Rz. 15 f. 188 Zur Zulässigkeit der Übertragung einer ungeteilten Forderung auf mehrere Gläubiger in gemeinschaftlicher Rechtsinhaberschaft ohne Zustimmung des Schuldners: Lieder in BeckOGK/BGB, Stand: 1.9.2022, § 398 BGB Rz. 129. 189 Hadding in FS Grunewald, 2021, S. 285, 291. 190 Zum Bestimmtheitsgrundsatz bei einer Forderung, die abgetreten werden soll: Lieder in BeckOGK/BGB, Stand: 1.9.2022, § 398 BGB Rz. 114 ff.; zum Bestimmtheitsgrundsatz bei der Übereignung von Sachen: Bayer in Erman, 16. Aufl. 2020, § 929 BGB Rz. 3; C. Heinze in Staudinger, Neubearbeitung 2020, § 929 BGB Rz. 13 ff. 191 Beuthien, NZG 2017, 201, 203. Bei aller Sympathie für die Ablehnung von Innengesellschaften mit Gesamthandsvermögen scheint daher die Auffassung, für die Bildung eines gesamthänderisch gebundenen Vermögens bestünde kein schutzwürdiges Bedürfnis seitens der Gesellschafter (so aber Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 190; Armbrüster, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 143, 153), wenig nachvollziehbar (vgl. auch Bachmann, NZG 2020, 612, 616). 192 Fehrenbacher in BeckOGK/BGB, Stand: 15.12.2022, § 747 BGB Rz. 2. 193 Vgl. Beuthien, NZG 2017, 201, 203; Röder, AcP 2015, 450, 501. 194 Vgl. Fehrenbacher in BeckOGK/BGB, Stand: 15.12.2022, § 747 BGB Rz. 2. 195 Zur unterschiedlichen Vollstreckung in Bruchteilsrechte an beweglichen Sachen und Rechten im Vergleich zur Vollstreckung in Miteigentumsanteile an Grundstücken: Fehrenbacher in BeckOGK/BGB, Stand: 15.12.2022, § 751 BGB Rz. 4; K. Schmidt in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 747 BGB Rz. 38. 196 Armbrüster, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 143, 154.
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Fehlende Vermögensfähigkeit; anwendbare Vorschriften | Rz. 36 § 740 BGB
(noch umständlicheren) Weg gehen, zunächst die Pfändung des Gesellschaftsanteils und anschließend die nunmehr fristgebundene197 Kündigung zu betreiben.198 Besteht an einer Hauptforderung zwischen den Gesellschaftern eine Bruchteilsgemein- 35 schaft,199 ist eine Aufrechnung des (Privat-) Gläubigers mit einer Forderung gegen den Hauptgesellschafter nicht möglich.200 Es fehlt insoweit an der von § 387 BGB vorausgesetzten Gegenseitigkeit. Denn die Beteiligten einer Bruchteilsgemeinschaft sind hinsichtlich ihrer Gläubigerstellung lediglich als Mit- (§ 432 BGB) und nicht als Gesamtgläubiger (§ 428 BGB) zu qualifizieren, da sie nicht berechtigt sind, jeweils die ganze Leistung für sich einzufordern.201 Ihnen ist es nur gestattet, Leistung an alle Bruchteilsberechtigten gemeinsam zu fordern, was ihrer grundsätzlich gemeinschaftlichen Verwaltungskompetenz (§ 744 Abs. 1 BGB) entspricht.
3. Treuhänderische Vermögensverwaltung durch einen Gesellschafter Sofern die Gesellschafter (insbesondere aus Praktikabilitätsgründen) nicht jeweils selbständig 36 (und gegebenenfalls anteilig) die dem Gesellschaftszweck dienenden Vermögensgegenstände halten möchten, kann auch ein einziger Gesellschafter als Vermögensträger fungieren. Dies wird meist der geschäftsführende Außengesellschafter sein, auch wenn dies nicht zwingend ist. Lässt sich dabei den Vereinbarungen der Gesellschafter entnehmen, dass die Gesellschafter das Vermögen (schuldrechtlich) als gemeinsames Vermögen behandeln wollen, hält und verwaltet der vermögenstragende (Außen-) Gesellschafter die Vermögensgegenstände zugleich treuhänderisch für die anderen Gesellschafter.202 Es tritt dann nicht – wie man die Gesetzesbegründung verstehen mag –203eine Treuhandabrede im Sinne eines zusätzlichen Vertrags zwischen dem Treuhänder-Gesellschafter und den übrigen Gesellschaftern als Treugebern zum Gesellschaftsverhältnis hinzu.204 Vielmehr speist sich die mit der treuhänderischen Stellung verbundene Pflicht, die Vermögensgegenstände zweck- und absprachegemäß zu verwalten, aus der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht des Treuhänder-Gesellschaf197 In § 726 BGB ist nunmehr (im Gegensatz zur Vorgängervorschrift des § 725 BGB a.F.) eine dreimonatige Kündigungsfrist zum Ablauf des Kalenderjahrs vorgesehen. 198 Armbrüster, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 143, 154; hierzu auch Röder, AcP 2015, 450, 502. 199 Das kann beispielsweise auch eine Forderung aufgrund der Vermietung einer im Miteigentum der Gesellschafter stehenden Mietsache sein (vgl. BGH v. 28.9.2005 – VIII ZR 399/03, NJW 2005, 3781, 3782; K. Schmidt in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 741 BGB Rz. 47.). 200 Vgl. BGH v. 29.1.1969 – VIII ZR 20/67, NJW 1969, 839, 839 f.; Röder, AcP 2015, 450, 502 (Aufrechnungsmöglichkeit nur im Fall von Teil- oder Gesamtgläubigerschaft); K. Schmidt in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 741 BGB Rz. 47. 201 K. Schmidt in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 741 BGB Rz. 47 („Die Geltendmachung der Forderung richtet sich nach § 432 BGB.“). 202 Mauracher Entwurf, 138 („Es ist unproblematisch möglich, auch bei der Innengesellschaft ein gemeinsames Vermögen allerdings mit schuldrechtlicher Wirkung zu vereinbaren und die Gesellschafter an seinen Wertveränderungen wirtschaftlich zu beteiligen. Das ändert aber nichts daran, dass das Vermögen in diesen Fällen dinglich nur von einem Gesellschafter zugleich treuhänderisch für die übrigen gehalten wird.“); Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 288; K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 22 mit Bezugnahme auf seine Ausführungen zur „Innen-KG“ (insbesondere K. Schmidt, ZHR 178 (2014), 10) vgl. auch (zur Rolle des Geschäftsinhabers bei der stillen Gesellschaft) Blaurock in Blaurock, Handbuch Stille Gesellschaft, 9. Aufl. 2020, I. Teil, § 4 Rz. 4.14. 203 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 190 mit Bezugnahme auf die Ausführungen von Armbrüster, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 143, 153. 204 Vgl. auch zum Treuhand-Element bei der Innen-KG: K. Schmidt, ZHR 178 (2014), 10, 28 (gesellschaftsrechtliche Rechte und Pflichten sind durch „gedachtes Treuhandverhältnis aufgeladen“; Treuhandverhältnis ist „nicht zweiseitig, sondern kollektiv zu verstehen“). Tassius | 615
§ 740 BGB Rz. 36 | Nicht rechtsfähige Gesellschaft ters.205 Jedenfalls aber entsteht keine uneigennützige Treuhand zwischen dem TreuhänderGesellschafter und den übrigen Gesellschaftern. Der Treuhänder-Gesellschafter handelt schließlich auch in eigenem Interesse. Die Gläubiger des Treuhänder-Gesellschafters haben somit in der Zwangsvollstreckung ungehinderten Zugriff auf die diesem dinglich zugeordneten Vermögensgegenstände. Eine Drittwiderspruchsklage gem. § 771 ZPO der anderen (nicht vermögenstragenden) Gesellschafter kommt – im Gegensatz zu den Treugebern einer uneigennützigen Treuhand –206 nicht in Betracht.207 37 Die betreffenden Vermögensgegenstände sind dinglich ausschließlich dem Treuhänder-Ge-
sellschafter zuzuordnen. Dieser ist somit uneingeschränkt und selbständig, d.h. auch ohne die Mitwirkung der übrigen Gesellschafter, in der Lage, über die der Gesellschaft dienenden Vermögensgegenstände zu verfügen. Lediglich schuldrechtlich kann er gegenüber den anderen Gesellschaftern dazu verpflichtet sein, nicht oder nur unter gewissen Umständen von seiner Verfügungsbefugnis Gebrauch zu machen.208 Die übrigen Gesellschafter tragen somit das Risiko, dass sich der Treuhänder-Gesellschafter vertragswidrig verhält, ein bestimmter Gegenstand (beispielsweise das Eigentum an einem Grundstück, das die Gesellschaft für ihre Zweckverfolgung nutzt) auf einen Dritten übertragen wird und somit nicht mehr länger dem Gesellschaftszweck zur Verfügung steht bzw. der Treuhänder-Gesellschafter nicht in der Lage ist, etwaige Kompensationsansprüche der übrigen Gesellschafter zu befriedigen.209
III. Anwendbare Vorschriften (Abs. 2) 38 Im Fokus der Gesetzesnovelle durch das MoPeG210 steht die rechtsfähige Gesellschaft, was
auch im Umfang der Regelungen beider Varianten der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft sowie der Verweisungstechnik des § 740 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommt.211 Die entsprechende Anwendung der Vorschriften über die rechtsfähige Gesellschaft bedeutet ausweislich der Gesetzesbegründung, dass der Regelungsgehalt der in § 740 Abs. 2 BGB aufgeführten Vorschriften gerade nicht die Rechtsfähigkeit der Gesellschaft voraussetzt.212 Inhaltlich wird mit § 740 Abs. 2 BGB daher (nahezu vollständig) auf die Vorschriften des zweiten Kapitels der rechtsfähigen Gesellschaft, nämlich die Vorschriften über das Innenverhältnis, Bezug genommen. Im Gegensatz zur rechtsfähigen Gesellschaft beschränkt sich das Innenverhältnis bei der nicht rechtsfähigen Gesellschaft allerdings auf die Rechtsverhältnisse der Ge-
205 Überzeugend Hadding in FS Grunewald, 2021, S. 285, 292; vgl. auch (zum Recht der stillen Gesellschaft) Keul in MünchHdbGesR II, 5. Aufl. 2019, § 73 Rz. 24. 206 BGH v. 5.11.1953 – IV ZR 95/53, BGHZ 11, 37, 41 = NJW 1954, 190, 192; Herget in Zöller, 34. Aufl. 2022, § 771 ZPO Rz. 14.27; K. Schmidt/Brinkmann in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl. 2020, § 771 ZPO Rz. 26. 207 Geibel in BeckOGK/BGB, Stand: 1.1.2019, § 705 BGB Rz. 245; dieses Verständnis liegt wohl auch der Gesetzesbegründung zugrunde, da mit der Abschaffung der gesamthänderischen Bindung gerade die erschwerten Vollstreckungsbedingungen der Gläubiger beseitigt werden sollen (Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 190). 208 Zu möglichen Abwehr- und Kompensationsansprüchen des Treuhänder-Gesellschafters, die dieser im Interesse aller Gesellschafter gegenüber Dritten geltend zu machen hat: Hadding in FS Grunewald, 2021, S. 285, 292. 209 Vgl. Denga, ZfPW 2021, 73, 84; zum Schutzdefizit im Vergleich zu einer gesamthänderischen Vermögensbindung auch Geibel in BeckOGK/BGB, Stand: 1.1.2019, § 705 BGB Rz. 245. 210 Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts v. 10.8.2021, BGBl. I, 3436. 211 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 103; vgl. auch Armbrüster, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 143, 145; Bachmann, NZG 2020, 612, 613 („Wurmfortsatz“); Fleischer, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 1, 15 („unterkomplex“) sowie K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 24 („stiefmütterliche“ Behandlung); vgl. auch Mohamed, JuS 2021, 820, („verschachtelte Behandlung“). 212 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 191.
616 | Tassius
Fehlende Vermögensfähigkeit; anwendbare Vorschriften | Rz. 40 § 740 BGB
sellschafter untereinander; Rechtsverhältnisse der Gesellschafter zur Gesellschaft bestehen nicht.213 Besondere Aufmerksamkeit ist bei der entsprechenden Anwendung aber auch auf das eigene gesetzliche Leitbild der nicht rechtsfähigen Gesellschaft als laienhafter Gelegenheitszusammenschluss zu richten, von dem man sich im Recht der rechtsfähigen Gesellschaft bewusst abgewendet hat.214 Bei der entsprechenden Anwendung der auf das Leitbild der rechtsfähigen Gesellschaft zugeschnittenen Vorschriften215 ist diesem Umstand somit stets Rechnung zu tragen.216
1. Gestaltungsfreiheit (§ 708 BGB) Da die nicht rechtsfähige Gesellschaft sich auf das Rechtsverhältnis der Gesellschafter unter- 39 einander beschränkt, besteht ganz überwiegend Gestaltungsfreiheit, was durch die Verweisung des § 740 Abs. 2 BGB auf § 708 BGB klargestellt wird. Dies betrifft (ausweislich der Gesetzesbegründung) sowohl die gem. § 740 Abs. 2 BGB entsprechend anzuwendenden Vorschriften der rechtsfähigen Gesellschaft als auch die für die nicht rechtsfähige Gesellschaft eigens vorgesehenen Vorschriften der §§ 740a–740c BGB.217
2. Beiträge; Stimmkraft; Anteil an Gewinn und Verlust (§ 709 BGB) Die entsprechende Anwendung des § 709 BGB bereitet keine größeren Schwierigkeiten. 40 Auch bei der nicht rechtsfähigen Gesellschaft sind ganz unterschiedliche Beiträge der Gesellschafter denkbar (§ 709 Abs. 1 BGB). Entspricht die nicht rechtsfähige Gesellschaft dem ihr zugrunde gelegten Leitbild (hierzu bei Rz. 11), können sich die Beiträge auch lediglich konkludent aus dem gemeinsamen Zweck und der im Rahmen der Zweckverfolgung vorgesehenen Rollenzuweisung der Gesellschafter ergeben (beispielsweise hat der Fahrzeugführer einer Fahrgemeinschaft das Fahrzeug ordnungsgemäß an den vereinbarten Ort zu führen, die übrigen Fahrzeuginsassen haben sich im Zweifel an den Fahrtkosten zu beteiligen; bei einem Abiturjahrgang, der gemeinsam die Abiturfeier organisiert, schulden die Beteiligten die ihnen jeweils zugedachten organisatorischen Aufgaben, insbesondere die Beschaffung von Räumlichkeiten, Programmgestaltung, Finanzierung, Koordinierung, etc.)218. Geht es um Sachbeiträge, so kommt insbesondere die Gebrauchsüberlassung der Sache oder auch die 213 Vgl. auch den Wortlaut des § 740 Abs. 2 BGB (Rechtsverhältnis der Gesellschafter untereinander) im Vergleich zur Überschrift von Kapitel 2 zum Recht der rechtsfähigen Gesellschaft (Rechtsverhältnis der Gesellschafter untereinander und der Gesellschafter zur Gesellschaft) sowie die Entwurfsbegründung, die für ein Rechtsverhältnis der Gesellschafter zur Gesellschaft offensichtlich die Rechtsfähigkeit der Gesellschaft voraussetzt (vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 139); a.A. noch zur „Innengesellschaft bürgerlichen Rechts“ Beuthien, NZG 2011, 161, 164 („verselbständigter Rechts- und Pflichtenträger“). 214 Hierzu kritisch Habersack, ZGR 2020, 539, 552. 215 Wertenbruch, NJW 2023, 1393. 216 Zu dieser „Herausforderung“ auch Bachmann, NZG 2020, 612, 613; zu den teilweise unpassenden Regelungen der §§ 705 ff. BGB für nicht unternehmenstragende Gesellschaften Martens, AcP 2021, 68, 88; vgl. auch allgemein zum Spielraum bei der entsprechenden Anwendung Bachmann, NJW 2021, 3073, 3076 sowie Kindler, ZfPW 2022, 409, 416. 217 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 191; die mit Blick auf die §§ 740b, 740c BGB etwas vage gebliebene Gesetzesbegründung (Gestaltungsfreiheit „insbesondere“ hinsichtlich der Regelung des § 740a BGB) ist so zu verstehen, dass auch diese Vorschriften vom Grundsatz der Gestaltungsfreiheit (§ 708 BGB) umfasst sind. 218 Der Zusammenschluss müsste sich im Einzelfall freilich auch als Gesellschaft qualifizieren lassen (zur Qualifizierung eines Abiturjahrgangs als „Außen-GbR“: LG Detmold v. 8.7.2015 – 10 S 27/ 15, NJW 2015, 3176; zur Abgrenzung von Innen- und Außengesellschaft in diesem Fall: Oechsler/ Tassius | 617
§ 740 BGB Rz. 40 | Nicht rechtsfähige Gesellschaft Einbringung des Eigentums in Betracht.219 Letzterenfalls wird, da die nicht rechtsfähige Gesellschaft nicht selbst vermögensfähig ist, je nach Vertragsgestaltung eine treuhänderische Eigentumsverwaltung des bisherigen Eigentümers bzw. eine Zuführung des Eigentums in das Vermögen eines anderen (Treuhand-) Gesellschafters oder die Begründung von Miteigentum unter den Gesellschaftern geschuldet sein (zu den Gesellschaftern als Bruchteilsgemeinschaft s. Rz. 33 ff.; zur treuhänderischen Vermögensverwaltung durch einen Gesellschafter s. Rz. 36 f.). Kommt ein Gesellschafter seiner Beitragspflicht nicht nach, besteht grundsätzlich für jeden Mitgesellschafter die Möglichkeit, den Anspruch gerichtlich durchzusetzen (hierzu sowie zur Anwendung des Rechtsinstituts der actio pro socio bei Rz. 28). Haben die Gesellschafter die Beiträge nicht – auch nicht konkludent – geregelt, greift auch bei der nicht rechtsfähigen Gesellschaft die Auslegungsregelung des § 709 Abs. 2 BGB, nach welcher die Gesellschafter im Zweifel zu gleichen Beiträgen verpflichtet sind.220 41 Schließlich findet auch die Regelung des § 709 Abs. 3 BGB entsprechende Anwendung; die
Stimmkraft der Gesellschafter sowie ihr Anteil an Gewinn und Verlust bestimmen sich vorrangig nach einer diesbezüglich getroffenen Vereinbarung, hilfsweise nach dem Verhältnis der (gegebenenfalls auch nur konkludent)221 vereinbarten Werte der Beiträge und höchsthilfsweise nach Kopfteilen. Damit gilt auch für die nicht rechtsfähige Gesellschaft der von § 709 Abs. 3 BGB vorgesehene und im Gegensatz zur „brüderlichen“ Verteilung der Vorgängerregelungen (§ 709 Abs. 2 BGB a.F. und § 722 Abs. 1 BGB a.F.) kapitalistische Beteiligungsschlüssel.222 Das ist mit Blick auf das gesetzliche Leitbild der nicht rechtsfähigen Gesellschaft zwar nicht unmittelbar einleuchtend, ist diese doch (ganz im Gegensatz zu ihrem rechtsfähigen Pendant)223 nicht auf eine erwerbswirtschaftliche Zweckverfolgung zugeschnitten.224 Gleichwohl ist von einer bewussten Verweisung des Gesetzgebers auszugehen. Spielraum für eine leitbildgerechte entsprechende Anwendung besteht bei der Annahme einer konkludenten Vereinbarung über die Beitragswerte: Wird man im Fall einer rechtsfähigen Gesellschaft geneigt sein, bei wertmäßig sehr unterschiedlichen Beiträgen einer konkludent vereinbarten Beitragsquote und damit einem kapitalorientierten Beteiligungsverhältnis den Vorrang vor einer „brüderlichen“ Beteiligung nach Kopfteilen einzuräumen,225 ist dies bei der nicht rechtsfähigen Gesellschaft nur im Fall einer erwerbswirtschaftlichen bzw. gewinnorientierten Zweckverfolgung (und sei es in Form einer Tippgemeinschaft) naheliegend.226 Schon vor dem Hintergrund, dass sich die Annahme einer konkludenten Vereinbarung der Beitragswerte dann nach § 709 Abs. 3 BGB gleichermaßen auf die Verteilung der Stimmkraft auswirkt, erzeugt für die „laienhafte Gelegenheitsgesellschaft“ (zum Leitbild der nicht rechtsfähigen Gesellschaft bei Rz. 11), für die eine Abstimmung nach Köpfen im Zweifel angemessen erscheint, einen höheren Begründungsaufwand.
219 220 221 222 223 224 225 226
Mihaylova, JURA 2016, 833, 835 f.; zur Qualifizierung einer Fahrgemeinschaft als Gesellschaft: BGH v. 20.12.1966 – VI ZR 53/65, BGHZ 46, 313, 315 = NJW 1967, 558). Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 142. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 142; vgl. auch Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 706 BGB Rz. 15. Insbesondere bei wertmäßig sehr unterschiedlichen Beiträgen: Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 143. Fleischer, DStR 2021, 430, 435; Fleischer, DB 2020, 1107, 1113. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 105; vgl. zur Neuregelung des § 709 Abs. 3 BGB auch Schäfer in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 6 Rz. 22 („Neuregelung [ist] dem neuen, nicht mehr auf die Gelegenheitsgesellschaft bezogenen Leitbild verpflichtet …“). Zur Eignung der Beitragswerte für die Gewinnverteilung in erwerbswirtschaftlichen Gesellschaften: Fleischer/Pendl, WM 2017, 881, 888. So ausdrücklich Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 143. Zur Bedeutung der Beitragsquote bzw. der Höhe der Einsätze bei einer als Innengesellschaft organisierten Tippgemeinschaft: Fleischer/Hahn, NZG 2017, 1, 6.
618 | Tassius
Fehlende Vermögensfähigkeit; anwendbare Vorschriften | Rz. 44 § 740 BGB
3. Mehrbelastungsverbot (§ 710 BGB) Mit dem Verweis auf § 710 BGB wird auch für die nicht rechtsfähige Gesellschaft klargestellt, 42 dass eine Beitragserhöhung grundsätzlich227 die Zustimmung des betroffenen Gesellschafters voraussetzt (§ 740 Abs. 2 BGB i.V.m. § 710 Satz 1 BGB). Des Weiteren wird geregelt, dass von dem Mehrbelastungsverbot die Fälle ausgenommen sind, in denen es entweder im Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters nach § 740c Abs. 2 BGB i.V.m. § 728a BGB oder der Auseinandersetzung nach § 740b Abs. 2 BGB i.V.m. § 737 BGB zu einer anteiligen Ausgleichspflicht für etwaige Fehlbeträge kommt (§ 740 Abs. 2 BGB i.V.m. § 710 Satz 2 BGB). Entsprechende Anwendung bedeutet in dem Zusammenhang, dass es nicht um die anteilige „Haftung“ des Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft für Verbindlichkeiten der Gesellschaft, sondern um die Verpflichtung des Gesellschafters gegenüber den übrigen Gesellschaftern geht, im Rahmen der Abfindungs- bzw. Auseinandersetzungsrechnung anteilig für etwaige Fehlbeträge bei der Berichtigung von Verbindlichkeiten des oder der Außengesellschafter(s) gegenüber Dritten oder bei der Rückerstattung der Beiträge aufzukommen.
4. Übertragung und Übergang von Gesellschaftsanteilen (§ 711 BGB) Mit der Verweisung auf § 711 BGB werden insbesondere zwei grundlegende gesetzgeberische 43 Entscheidungen auch für die nicht rechtsfähige Gesellschaft nachvollzogen. Zum einen wird klargestellt, dass es auch bei ihr zu einer unmittelbaren Gesellschafter-Nachfolge entweder zu Lebzeiten des scheidenden Gesellschafters (Abs. 1) oder bei dessen Versterben (Abs. 2) kommen kann und zum anderen dass dies die (gegebenenfalls auch im Gesellschaftsvertrag antizipierte) Zustimmung der übrigen Gesellschafter zur Wahrung des „gemeinschaftsrechtlichen Charakters“ des gesellschaftsrechtlichen Zusammenschlusses228 voraussetzt. Terminologisch sollte man der fehlenden Rechtsträgerqualität der nicht rechtsfähigen Gesellschaft dadurch Rechnung tragen, dass man im Rahmen der entsprechenden Anwendung des § 711 BGB nicht von einer Übertragung bzw. einem Übergang des „Anteils“ an der Gesellschaft, sondern von einer Übertragung bzw. einem Übergang der Gesellschafterstellung spricht.229 Die von der Gesetzesbegründung offengelassene und bislang „wenig diskutiert[e] und dem- 44 gemäß ungeklärt[e]“ Übertragung einer Gesellschafterstellung in einer nicht rechtsfähigen Gesellschaft230 vollzieht sich zu Lebzeiten nicht durch Abtretung nach den §§ 398, 413 BGB231, sondern durch Vertragsübernahme,232 die entweder dreiseitig zwischen dem alten
227 Zur Möglichkeit eines Mehrheitsbeschlusses hinsichtlich der Beitragserhöhung: Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 143 sowie Martens, AcP 2021, 68, 83. 228 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 144; Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 719 BGB Rz. 8; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 719 BGB Rz. 27. 229 Vgl. auch die Begr. RegE MoPeG zu § 740a Abs. 3 BGB i.V.m. § 726 BGB (BT-Drucks. 19/27635, 192), die klarstellt, dass Gegenstand einer Pfändung durch den Gläubiger eines Gesellschafters einer nicht rechtsfähigen Gesellschaft auch nicht der „Gesellschaftsanteil“, sondern der Auseinandersetzungsanspruch ist. 230 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 19 IV. 2. b, 564; vgl. auch Bochmann, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 221, 224; vgl. auch Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil an Personalgesellschaften des Handelsrechts, Habil. Heidelberg 1968, S. 387 f. 231 Zur unumstrittenen Übertragbarkeit des Anteils an einer rechtsfähigen Gesellschaft im Wege der Abtretung: Bochmann, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 221, 224; hierzu jüngst auch Schunke, JURA 2022, 1287, 1288; vgl. zur Übertragung der Mitgliedschaft in einer rechtsfähigen Personengesellschaft auch Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 105 HGB Rz. 453 ff. 232 Vgl. zur Übertragung einer typisch stillen Beteiligung im Wege der Vertragsübernahme: K. Schmidt in MünchKomm/HGB, 4. Aufl. 2019, § 230 HGB Rz. 176; zur Vertragsübernahme als (lediglich) Tassius | 619
§ 740 BGB Rz. 44 | Nicht rechtsfähige Gesellschaft und dem neuen Gesellschafter sowie den übrigen Gesellschaftern oder zweiseitig zwischen dem alten und dem neuen Gesellschafter mit Zustimmung der übrigen Gesellschaftervereinbart wird.233 Dadurch wird auch bei der nicht rechtsfähigen Gesellschaft ein einheitliches Rechtsgeschäft als Alternative zu einem zweiaktigen rechtsgeschäftlichen Vorgang (bestehend aus dem separaten Ausscheiden eines bisherigen und sodann dem Hinzutreten eines neuen Gesellschafters durch jeweils gesonderte Verträge mit den übrigen Gesellschaftern) geschaffen.234 Hinsichtlich der Einbindung der übrigen Gesellschafter (ad-hoc-Zustimmung, antizipierte Zustimmung im Gesellschaftsvertrag, Mehrheitsklausel)235 kann auf die Ausführungen zur rechtsfähigen Gesellschaft (§ 711 BGB) Bezug genommen werden. Was den (auch für die rechtsfähige Gesellschaft unmöglichen) Erwerb eigener Anteile i.S.v. § 711 Abs. 1 Satz 2 BGB anbelangt, so ist die Verweisung von § 740 Abs. 2 BGB gegenstandslos, da für die nicht rechtsfähige Gesellschaft ein solcher Erwerb mangels Rechtsträgereigenschaft von vornherein nicht in Betracht kommt. 45 Auch im Fall des Todes eines Gesellschafters stellt die Verweisung des § 740 Abs. 2 BGB auf
§ 711 Abs. 2 BGB klar, dass – sofern dies im Gesellschaftsvertrag vereinbart ist236 – der Erbe in die vertragliche Stellung des verstorbenen Gesellschafters einrückt. Mit Blick auf § 740a Abs. 1 Nr. 3 BGB kommt einer entsprechenden Nachfolgeklausel im Gesellschaftsvertrag dann eine doppelte Bedeutung zu. Zum einen wird dadurch geregelt, dass es überhaupt zu einer Fortsetzung der Gesellschaft kommt, und zum anderen dass dies mit dem (im Gesellschaftsvertrag gegebenenfalls näher bestimmten)237 Erben des verstorbenen Gesellschafters geschieht. Sind mehrere Erben vorhanden, rückt auch bei der nicht rechtsfähigen Gesellschaft nicht die Erbengemeinschaft in die Gesellschafterstellung ein; stattdessen findet eine Sondererbfolge eines jeden Erben entsprechend seiner Erbquote statt (§ 740 Abs. 2 BGB i.V.m. § 711 Abs. 2 Satz 2 und 3 BGB).238
233
234
235 236 237 238
Folge der Abtretung eines Gesellschaftsanteils bei der rechtsfähigen Gesellschaft: Reiff/Nannt, DStR 2009, 2376; generell zur Annahme einer „Vertrags(stellungs)übernahme“ bei der Übertragung einer Mitgliedschaft Beuthien in FS Wiedemann, 2002, S. 755, 759. Diese für die rechtsfähige Gesellschaft überholte Dogmatik (vgl. Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 719 BGB Rz. 22) ist für die nicht rechtsfähige Gesellschaft nun zutreffend. Vgl. auch (im Umkehrschluss zu den auf die rechtsfähige Gesellschaft bezogenen Ausführungen) Heinemeyer in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2022, Vor § 414 BGB Rz. 8 und Heinig in BeckOGK/BGB, Stand: 1.3.2023, § 414 BGB Rz. 29.5) getroffen werden. Allgemein zu den beiden Möglichkeiten einer Vertragsübernahme: BGH v. 20.6.1985 – IX ZR 173/84, BGHZ 95, 88; Heinemeyer in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2022, Vor § 414 BGB Rz. 8; Heinig in BeckOGK/BGB, Stand: 1.3.2023, § 414 BGB Rz. 44; Röthel in Erman, 16. Aufl. 2020, Vor § 414 BGB Rz. 4. Zur Einordnung der Vertragsübernahme als Verfügungsgeschäft: Busche in Staudinger, Neubearbeitung 2022, Einl. zu §§ 398 ff. BGB Rz. 198; Röthel in Erman, 16. Aufl. 2020, Vor § 414 BGB Rz. 2. So bereits für die Übertragung eines Personenhandelsgesellschaftsanteils BGH v. 8.11.1965 – II ZR 223/64, BGHZ 44, 229, 231 = NJW 1966, 499, 500; zu einem solchen „Doppelvertrag“ als Alternative: Bochmann, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 221, 225; allgemein hierzu auch Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 719 BGB Rz. 6; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, 79. EL Januar 2021, Rz. I 640. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 144; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 719 BGB Rz. 27 f. Das (auch nach neuer Gesetzeslage eingeführte) Erfordernis einer Nachfolgeklausel begrüßend Bochmann, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 221, 225. Zur nach wie vor möglichen Vereinbarung einer qualifizierten Nachfolgeklausel: Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 145. So auch Leipold in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2022, § 1922 BGB Rz. 142. Da die Gesetzesbegründung die Sondererbfolge nicht nur mit der Haftungs-, sondern auch mit der abweichenden Organisationsstruktur der Erbengemeinschaft rechtfertigt (Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 145), kann von einer bewussten Verweisung des § 740 Abs. 2 BGB auf den gesamten § 711 BGB ausgegangen werden.
620 | Tassius
Fehlende Vermögensfähigkeit; anwendbare Vorschriften | Rz. 47 § 740 BGB
Existiert ein dem Gesellschaftszweck gewidmetes Vermögen und/oder bestehen für die Ver- 46 wirklichung des Gesellschaftszwecks Verträge mit Dritten, kann sich für die nicht rechtsfähige Gesellschaft bei einem Gesellschafterwechsel ein zusätzlicher rechtlicher Gestaltungsaufwand ergeben. Dadurch, dass das Vermögen bzw. die Vertragsbeziehungen nicht bei der Gesellschaft als eigenständigem Rechtssubjekt unverändert fortbestehen, werden vielmehr ersatzweise entsprechende Übertragungsvorgänge erforderlich.239 Bilden die Gesellschafter hinsichtlich gewisser oder sämtlicher Vermögensgegenstände zugleich eine Bruchteilsgemeinschaft (s. Rz. 33 ff.) und wollen sie diese Vermögensordnung im neu besetzten Gesellschafterkreis beibehalten, müssen die entsprechenden Bruchteile des alten Gesellschafters auf den neuen Gesellschafter nach den jeweils maßgeblichen Regelungen (insbesondere den §§ 929 ff. BGB, §§ 873, 925 BGB, §§ 398 ff. BGB240; s. hierzu auch die Ausführungen bei Rz. 33) übertragen werden. Erfolgt der Wechsel in die Stellung eines Gesellschafters, der das Vermögen treuhänderisch für die Gesellschaft gehalten und verwaltet hat und soll diese Rolle nun dem neuen Gesellschafter zukommen, gilt Entsprechendes, wenngleich es diesmal um die jeweilige Übertragung nicht nur eines Anteils, sondern um das Recht in Gänze geht. Um in beiden Konstellationen die dafür erforderliche Verfügungsbereitschaft des scheidenden Gesellschafters – wenn auch nur schuldrechtlich – abzusichern, können die Gesellschafter eine entsprechende Übertragungspflicht im Gesellschaftsvertrag vorsehen. Wird ein geschäftsführender Gesellschafter ersetzt, der nach außen hin aufgetreten und für Rechnung der Gesellschaft ein (noch andauerndes) Vertragsverhältnis eingegangen ist, beispielsweise einen Mietvertrag über die von der Gesellschaft genutzten Räumlichkeiten, so bedarf es einer Vertragsübernahme durch dreiseitigen Konsens zwischen dem alten und dem neuen Gesellschafter sowie dem Vertragspartner.241 Besteht ein Vertragsverhältnis zwischen dem Vertragspartner und sämtlichen Gesellschaftern, sind etwa sämtliche Gesellschafter zu Vertragsparteien auf Mieterseite geworden, wird eine Vertragsübernahme durch Vertrag zwischen sämtlichen Gesellschaftern (unter Einschluss des alten Gesellschafters), dem neuen Gesellschafter und dem Vertragspartner erforderlich.242
5. Eingeschränkte Übertragbarkeit von Gesellschafterrechten (§ 711a BGB) Ebenso wenig wie bei der rechtsfähigen Gesellschaft grundsätzlich einzelne mit dem Gesell- 47 schaftsanteil verbundene Rechte von diesem abgespalten und auf andere Personen übertragen werden können, ist bei der nicht rechtsfähigen Gesellschaft eine entsprechende Aufteilung der schuldvertraglichen Gesellschafterstellung auf verschiedene Personen möglich. Dies gilt namentlich für die zur Gesellschafterstellung in der nicht rechtsfähigen Gesellschaft gehörigen Verwaltungsrechte, insbesondere also das Geschäftsführungs-, das Stimm- und das Kontrollrecht.243 Ausgenommen sind die in § 711a BGB aufgezählten Ansprüche, die sich bei der nicht rechtsfähigen Gesellschaft allerdings nicht gegen die Gesellschaft, sondern 239 Zu diesem praktischen Nachteil gegenüber einer rechtsfähigen Gesellschaft bereits: BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341, 345 = ZIP 2001, 330, 331. 240 Eickelberg in Staudinger, Neubearbeitung 2021, § 747 BGB Rz. 20; K. Schmidt in MünchKomm/ BGB, 8. Aufl. 2020, § 747 BGB Rz. 18. 241 Der Konsens kann in Form eines dreiseitigen Vertrags oder eines zweiseitigen Vertrags mit Zustimmung des Vertragspartners hergestellt werden: BGH v. 20.6.1985 – IX ZR 173/84, BGHZ 95, 88, juris; Heinemeyer in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2022, Vor § 414 BGB Rz. 8; Heinig in BeckOGK/BGB, Stand: 1.3.2023, § 414 BGB Rz. 44; Röthel in Erman, 16. Aufl. 2020, Vor § 414 BGB Rz. 4. 242 Vgl. auch BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341, 345 = ZIP 2001, 330, 331. 243 Vgl. Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 717 BGB Rz. 1; Schäfer in MünchKomm/ BGB, 8. Aufl. 2020, § 717 BGB Rz. 16; Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 717 BGB Rz. 3. Tassius | 621
§ 740 BGB Rz. 47 | Nicht rechtsfähige Gesellschaft gegen die jeweils verpflichteten Gesellschafter (s. hierzu die Ausführungen bei Rz. 53, Rz. 59 und § 740b BGB Rz. 3) richten.
6. Ausscheiden eines Gesellschafters; Eintritt eines neuen Gesellschafters (§ 712 BGB) 48 Mit der Verweisung auf § 712 BGB wird das Prinzip der An- (Abs. 1) und Abwachsung
(Abs. 2) sinngemäß auf die nicht rechtsfähige Gesellschaft übertragen, wobei man freilich auch insofern den schuldrechtlichen Charakter der nicht rechtsfähigen Gesellschaft berücksichtigen und vom Prinzip der Beibehaltung der Beteiligungsverhältnisse sprechen sollte.244 Auch für die nicht rechtsfähige Gesellschaft greift somit die von § 712 BGB vorgesehene Auslegungsregel245, nach welcher bei Eintritt oder Ausscheiden eines Gesellschafters die Beteiligungen der übrigen Gesellschafter (insbesondere Stimmkraft und gegebenenfalls Teilhabe an Gewinn und Verlust) im Zweifel in ihrem bisherigen Verhältnis zueinander fortbestehen. Selbstverständlich bleibt es den Gesellschaftern unbenommen, die Beteiligungsverhältnisse im Fall einer Änderung des Gesellschafterkreises abweichend zu regeln (§ 708 BGB).
7. Beschlussfassung (§ 714 BGB) 49 Solange die Gesellschafter nichts Abweichendes vereinbart haben, gilt im Rahmen der Be-
schlussfassung das Einstimmigkeitsprinzip. Die nunmehr auch gesetzlich nachvollzogene Trennung von Beschlussfassung und Geschäftsführung ist zwar vor allem der neuen Konzeption einer gegenüber den Gesellschaftern verselbständigten rechtsfähigen Gesellschaft geschuldet;246 sie ist gleichwohl auch für die nicht rechtsfähige Gesellschaft von Bedeutung. Auch für letztere wird dadurch die Entscheidungsbefugnis des geschäftsführenden Gesellschafters eingegrenzt, indem diese bei außergewöhnlichen Geschäftsführungsmaßnahmen im Zweifel247 und bei Grundlagengeschäften grundsätzlich248 der Gesellschaftergesamtheit zuteil wird.249 Im Übrigen, insbesondere zur Konkretisierung von gewöhnlichen und außergewöhnlichen Geschäftsführungsmaßnahmen sowie Grundlagengeschäften, kann auf die Ausführungen zur rechtsfähigen Gesellschaft verwiesen werden (s. § 714 BGB).
8. Geschäftsführungsbefugnis (§ 715 BGB) 50 Die Geschäftsführungsbefugnis ist das Recht und gleichzeitig auch die Pflicht, die den Gesell-
schaftszweck fördernden rechtlichen und tatsächlichen Maßnahmen vorzunehmen. Davon ausgenommen sind Maßnahmen, welche die Grundlagen der Gesellschaft betreffen und grundsätzlich auch solche Maßnahmen, die über das, was der Gesellschaftszweck gewöhnlich mit sich bringt, hinausgehen (vgl. § 715 Abs. 1 und Abs. 2 BGB);250 auf die Ausführungen zu
244 Vgl. Wertenbruch in GmbHR 2021, 1, 3, der die Modernisierung des Anwachsungsbegriffs mit Blick auf die rechtsfähige Gesellschaft als konsequent erachtet. 245 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 146. 246 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 149. 247 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 151. 248 Vgl. Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 709 BGB Rz. 10; Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 709 BGB Rz. 6. 249 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 149. 250 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 149 ff.
622 | Tassius
Fehlende Vermögensfähigkeit; anwendbare Vorschriften | Rz. 51 § 740 BGB
§ 715 BGB wird entsprechend Bezug genommen. Bei der nicht rechtsfähigen Gesellschaft richtet sich die Geschäftsführungsbefugnis daher insbesondere auf Geschäfte, die für gemeinschaftliche Rechnung gewöhnlich, d.h. dem Gesellschaftszweck entsprechend, getätigt werden. Außerdem umfasst sie die Geltendmachung der jeweiligen Gesellschafterbeiträge.251 Auch die Gesellschafter einer nicht rechtsfähigen Gesellschaft sind grundsätzlich nur gemeinschaftlich zur Geschäftsführung berechtigt und verpflichtet (§ 715 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 BGB). Sie können aber hiervon im Gesellschaftsvertrag, beispielsweise durch die Vereinbarung von Einzelgeschäftsführungsbefugnis, abweichen252 und auch sonst die Geschäftsführungsbefugnis gegenständlich frei ausgestalten.253 Insofern bestehen keine Besonderheiten im Vergleich zur rechtsfähigen Gesellschaft. Nimmt die nicht rechtsfähige Gesellschaft – wenn auch nicht als solche – am Rechtsverkehr teil, wird häufig der nach außen in eigenem Namen, aber für Rechnung der Gesellschaft auftretende Gesellschafter (hierzu bei Rz. 15) der alleinige Geschäftsführer sein.254 Zwingend ist dies jedoch nicht. Vielmehr bedarf es hierfür einer (über diese von den Gesellschaftern vorgesehene Rollenverteilung hinausgehenden) entsprechenden gesellschaftsvertraglichen Vereinbarung.255 Tätigt ein Gesellschafter mit dem Willen, für gemeinschaftliche Rechnung zu handeln, ein 51 Geschäft, für das es ihm aber an einer entsprechenden Geschäftsführungsbefugnis fehlt, ist zu beurteilen, ob dieses Geschäft dem Gesellschafter persönlich oder der Gesellschaft zuzurechnen ist (hiervon zu unterscheiden ist die bei Rz. 14 behandelte Frage, was die Rechtsfolgen einer „Vertretung“ der nicht rechtsfähigen Gesellschaft sind). Der BGH nimmt an, dass auch in diesem Fall ein Geschäft für Rechnung der Gesellschaft vorliegt, der vertragswidrig handelnde Gesellschafter sich aber möglicherweise schadensersatzpflichtig macht.256 Dies überzeugt im Ausgangspunkt, zumal der Gesellschafter als Geschäftsführer handeln will. Allerdings sollten die übrigen Gesellschafter (in den Grenzen ihrer Treuepflicht) dieses Geschäft auch zurückweisen können mit der Folge, dass das Geschäft dann allein die persönliche Sphäre des handelnden Gesellschafters betrifft und der Ausgleich potentiell nachteiliger Folgen nicht von der erfolgreichen Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs gegenüber dem vertragswidrig handelnden Gesellschafter abhängt. Insofern kann trotz gesellschaftsrechtlicher Unterschiede257 eine Parallele zum Kommissionsgeschäft gezogen werden (vgl. § 385 Abs. 1 Halbs. 2 HGB); zur Orientierung an den Vorschriften zum Kommissionsgeschäft s. auch Rz. 15.
251 Zur Einordnung der gerichtlichen und außergerichtlichen Geltendmachung von Sozialansprüchen als Geschäftsführungsmaßnahme (bei der rechtsfähigen Gesellschaft): Fleischer/Harzmeier, ZGR 2017, 239, 267; Geibel in BeckOGK/BGB, Stand: 1.12.2019, § 709 BGB Rz. 3; Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2012, § 705 BGB Rz. 9 („ausführende Geltendmachung“ als Geschäftsführungsmaßnahme); Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 709 BGB Rz. 12; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, 71. EL Mai 2018, Rz. I 354c. 252 S. hierzu entsprechend die Ausführungen (noch) zur „Innengesellschaft bürgerlichen Rechts“ Hadding in FS Grunewald, 2021, S. 285, 290. 253 Vgl. Steckhan, Die Innengesellschaft, Diss. Erlangen-Nürnberg 1965, S. 30. 254 Vgl. Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 705 BGB Rz. 59. 255 BGH v. 11.9.2018 – II ZR 161/17, ZIP 2018, 2267, 2269 = GmbHR 2019, 22; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 292; vgl. auch Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 705 BGB Rz. 59. 256 BGH v. 11.9.2018 – II ZR 161/17, ZIP 2018, 2267, 2269 = GmbHR 2019, 22; dem zustimmend Schäfer in FS Windbichler, 2020, S. 981, 987 f. 257 Der nicht geschäftsführungsbefugte Gesellschafter handelt nicht (wie der Kommissionär) im Rahmen eines Geschäftsbesorgungsverhältnisses. Tassius | 623
§ 740 BGB Rz. 52 | Nicht rechtsfähige Gesellschaft
9. Notgeschäftsführungsbefugnis (§ 715a BGB) 52 Die gem. § 715a Satz 2 BGB zwingende und neu ins Gesetz aufgenommene Notgeschäftsfüh-
rungsbefugnis steht ebenfalls allen Gesellschaftern der nicht rechtsfähigen Gesellschaft zu (auf die Ausführungen zu § 715a BGB, insbesondere auf das offenkundige Redaktionsversehen in § 715a Satz 1 BGB, wird entsprechend Bezug genommen). Bei der nicht rechtsfähigen Gesellschaft kann die Notgeschäftsführungsbefugnis allerdings in Konflikt zur Vorschrift des § 744 Abs. 2 BGB geraten, wenn die Gesellschafter hinsichtlich bestimmter oder sämtlicher dem Gesellschaftszweck dienenden Vermögensgegenstände zugleich eine Bruchteilsgemeinschaft (hierzu ausführlich bei Rz. 33 ff.) bilden. Beide Vorschriften weisen zwar durchaus die Gemeinsamkeit auf, dass vom Begriff der Maßregel (§ 744 Abs. 2 BGB) bzw. des Geschäfts (§ 715a Satz 1 BGB) sowohl rechtliche als auch tatsächliche Maßnahmen erfasst werden.258 Im Übrigen unterscheiden sie sich jedoch, da an die Notgeschäftsführungsbefugnis strengere Voraussetzungen als an das Notverwaltungsrecht geknüpft sind. So setzt § 715a Satz 1 BGB – wie schon zuvor im Rahmen der analogen Anwendung des § 744 Abs. 2 BGB gefordert – zusätzlich und im Gegensatz zu § 744 Abs. 2 BGB (in direkter Anwendung)259 die Eilbedürftigkeit der Geschäftsführungsmaßnahme voraus.260 Dieser Unterschied wird relevant, wenn hinsichtlich eines dem Gesellschaftszweck gewidmeten und zugleich in Bruchteilsgemeinschaft befindlichen Vermögensgegenstandes eine Situation gegeben ist, die eine Erhaltungsmaßnahme eines einzelnen Teilhabers nach § 744 Abs. 2 BGB rechtfertigen würde, bei der jedoch (noch) keine zeitlich sensible Gefahrenlage i.S.d. § 715a Satz 1 BGB anzunehmen wäre. Hält man § 744 Abs. 2 BGB für derart zwingendes Recht,261 das auch einer Substituierung durch eine etwas engere Notverwaltungskompetenz entgegensteht, wären Notverwaltungsmaßnahmen in einem solchen Konfliktfall gegenüber den übrigen Beteiligten als Bruchteilsberechtigten zwar zulässig, der Handelnde würde sich in seiner Position als (nicht geschäftsführungsbefugter) Gesellschafter gleichwohl rechtswidrig verhalten. Insofern mag man durchaus von einer „Überlagerung“ der sich aus der Bruchteilsgemeinschaft ergebenden Rechte und Pflichten durch das Gesellschaftsrechtsverhältnis sprechen.262
10. Ersatz von Aufwendungen und Verlusten; Vorschusspflicht; Herausgabepflicht; Verzinsungspflicht (§ 716 BGB) 53 Im Rahmen der entsprechenden Anwendung von § 716 BGB ist zu berücksichtigen, dass der
Vermögensausgleich nicht zwischen dem ausgleichsberechtigten Gesellschafter und der Ge-
258 Zum Begriff der Maßregel: von Proff in Staudinger, Neubearbeitung 2021, § 744 BGB Rz. 7; zum Begriff des Geschäfts: Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 150; Schäfer in MünchKomm/ BGB, 8. Aufl. 2020, § 709 BGB Rz. 7. 259 Zur typischen, aber nicht zwingenden Eilbedürftigkeit: OLG Brandenburg v. 15.12.2015 – 9 UF 29/15, juris Rz. 35; Fehrenbacher in BeckOGK/BGB, Stand: 15.12.2022, § 744 BGB Rz. 22; Gehrlein in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 744 BGB Rz. 7; Schirrmacher, NJW 2018, 3348; von Proff in Staudinger, Neubearbeitung 2021, § 744 BGB Rz. 23. 260 Vgl. BGH v. 26.6.2018 – II ZR 205/16, ZIP 2018, 1492; Andreas Bergmann, WM 2019, 189; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 709 Rz. 21; Schirrmacher, NJW 2018, 3348; Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 709 BGB Rz. 8. Die analoge Anwendung von § 744 Abs. 2 BGB ist mit Einführung des § 715a BGB nun hinfällig geworden (von Proff in Staudinger, Neubearbeitung 2021, § 744 BGB Rz. 31.1). 261 Hierzu Fehrenbacher in BeckOGK/BGB, Stand: 15.12.2023, § 744 BGB Rz. 1; von Proff in Staudinger, Neubearbeitung 2021, § 744 BGB Rz. 28. 262 Vgl. Röder, AcP 2015, 450, 501 sowie Servatius in Henssler/Strohn, 5. Aufl. 2021, § 705 BGB Rz. 13 (sogar Vorrang der gesellschaftsrechtlichen Rechte und Pflichten).
624 | Tassius
Fehlende Vermögensfähigkeit; anwendbare Vorschriften | Rz. 54 § 740 BGB
sellschaft, sondern zwischen den Gesellschaftern untereinander stattfindet.263 Das bedeutet, dass die übrigen Gesellschafter dem ausgleichsberechtigten Gesellschafter nach § 716 Abs. 1 und 2 BGB anteilig (gemäß ihrer jeweiligen Beteiligungsquote) ausgleichs- bzw. vorschusspflichtig sind bzw. dass letzterer – sollte das dem Gesellschaftszweck dienende Vermögen von einem (geschäftsführenden) Gesellschafter (gegebenenfalls treuhänderisch) verwaltet werden und entsprechende Geldmittel umfassen – von dem vermögenstragenden Gesellschafter Ausgleich verlangen kann. Was hinsichtlich der Herausgabepflicht gem. § 716 Abs. 3 BGB für die rechtsfähige Gesellschaft besondere Voraussetzung ist, nämlich das Handeln des Gesellschafters in eigenem Namen,264 ist der nicht rechtsfähigen Gesellschaft bereits wesensimmanent. Allerdings besteht bei ihr dann wiederum die Besonderheit, dass es nicht stets einen herausgabeberechtigten Vermögensträger gibt. Ein Gesellschafter einer nicht rechtsfähigen Gesellschaft, der etwas aus der Geschäftsbesorgung erlangt, ist vielmehr nur dann einem anderen Gesellschafter gegenüber herausgabepflichtig, wenn das dem Gesellschaftszweck dienende Vermögen bei letzterem in treuhänderischer Verwaltung für die Gesellschaft angesiedelt ist. Dann geht (jedenfalls konkludent) aus dem Gesellschaftsvertrag hervor, dass auch etwaige Vermögensgegenstände aus einer Geschäftsbesorgung i.S.v. § 716 BGB in das Vermögen des Treuhänder-Gesellschafters zu überführen sind. Die weiteren Einzelheiten zum Anwendungsbereich des § 716 BGB betreffen die rechtsfähige Gesellschaft gleichermaßen (insbesondere die Bestimmung des Geschäftsbesorgungszwecks, der Erforderlichkeit sowie des unmittelbaren Verlustes) und sind der dortigen Kommentierung zu entnehmen.265
11. Informationsrechte (§ 717 Abs. 1 BGB) Das in § 717 Abs. 1 BGB vorgesehene und teilweise zwingende (§ 717 Abs. 1 Satz 3 BGB) indi- 54 viduelle266 Informationsrecht steht grundsätzlich auch den Gesellschaftern einer nicht rechtsfähigen Gesellschaft zu und setzt sich auch für diese aus einem vorrangigen Einsichts- (Satz 1) und einem ergänzenden Auskunftsrecht (Satz 2) zusammen (s. § 717 BGB Rz. 15 ff.).267 Die Gesellschafter sollen dadurch zur Überwachung der Geschäftsführung und zur sachgemäßen Wahrnehmung ihrer Mitwirkungsrechte befähigt werden.268 Allerdings kann es – ganz im Sinne des gesetzlichen Leitbilds der nicht rechtsfähigen Gesellschaft als laienhafte Gelegenheitsgesellschaft (hierzu Rz. 11) – durchaus vorkommen, dass einsichtsfähige Unterlagen mangels Geschäftstätigkeit gar nicht vorhanden sind, der Anspruch folglich ins Leere läuft.269 Liegt eine Geschäftstätigkeit der Gesellschaft vor, richtet sich der Informationsanspruch bei der nicht rechtsfähigen Gesellschaft nicht gegen die Gesellschaft, sondern gegen den Gesellschafter, der über die Information verfügt.270 Dies wird meist – wenn auch nicht zwangsläufig – 271der geschäftsführende Gesellschafter sein. Das Informationsrecht besteht ausschließlich für die Dauer des Gesellschaftsverhältnisses; es endet folglich mit dem Ausscheiden des Gesell-
263 264 265 266 267 268 269 270 271
Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 191. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 158. Zum neuen § 716 BGB insbesondere auch Fleischer, BB 2020, 2114. Zur Abgrenzung vom „kollektiven“ Informationsrecht des § 717 Abs. 2 BGB s. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 159 f. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 159; vgl. zum bisherigen Informationsrecht des § 716 Abs. 1 BGB auch Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 716 BGB Rz. 12. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 159. Vgl. auch Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 713 BGB Rz. 8, der für den geschäftsführenden Gesellschafter einer Gelegenheitsgesellschaft ohne erwerbswirtschaftliche Ziele eine Ausnahme von der Rechenschaftspflicht des § 713 BGB a.F. i.V.m. § 666 BGB in Betracht zieht. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 191. Mauracher Entwurf, 139. Tassius | 625
§ 740 BGB Rz. 54 | Nicht rechtsfähige Gesellschaft schafters oder mit der die nicht rechtsfähige Gesellschaft zugleich beendenden Auflösung der Gesellschaft.272 Einsichtsrechte, die insbesondere im Zusammenhang mit Abfindungs- bzw. Auseinandersetzungsansprüchen geltend gemacht werden, richten sich dann (allein) nach den §§ 810, 242 BGB (s. hierzu § 740b BGB Rz. 2 und § 740c BGB Rz. 5). 55 Der BGH nimmt überdies ein (unverzichtbares) Recht des Treugebers, der sich über einen
Treuhandkommanditisten an einer Publikumsgesellschaft beteiligt und mit den übrigen Anlegern (und dem Treuhandkommanditisten) aufgrund der im konkreten Fall getroffenen vertraglichen Vereinbarungen eine „Innengesellschaft bürgerlichen Rechts“ bilde, an, Auskunft über die Namen und Anschriften der Mittreugeber verlangen zu können.273 Als Rechtsgrundlage für diesen besonderen Auskunftsanspruch zieht der BGH § 716 Abs. 1 BGB a.F. sowie den zwischen den Treugebern bestehenden Gesellschaftsvertrag heran.274 Der Anspruch sei gegenüber dem Treuhandkommanditisten als dem Geschäftsführer dieser Innengesellschaft geltend zu machen.275 Es ist davon auszugehen, dass der BGH an dieser (im Schrifttum zu Recht auf Kritik gestoßenen)276 Ansicht auch unter dem reformierten Recht festhalten wird und in einer entsprechenden Konstellation nunmehr auf § 717 Abs. 1 BGB bzw. eine zwischen den Anlegern bestehende nicht rechtsfähige Gesellschaft als Rechtsgrundlage abstellen wird. 56 Dass die Pflicht der geschäftsführenden Gesellschafter, die Gesellschaft von sich aus stetig
mit den nötigen Nachrichten zu versorgen, gegebenenfalls Auskunft zu erteilen und Rechenschaft abzulegen (§ 717 Abs. 2 BGB), von der Verweisung des § 740 Abs. 2 BGB ausgenommen ist, mag zwei Gründe haben. Wurden schon nach bisherigem Recht (§ 713 BGB a.F. i.V.m. § 666 BGB) die mit der Pflicht der geschäftsführenden Gesellschafter korrespondierenden Ansprüche allein der Gesellschaft als solcher bzw. den Gesellschaftern als Kollektiv zugesprochen,277 soll sich mit der nun systembildenden Unterscheidung von rechtsfähiger und nicht rechtsfähiger Gesellschaft wohl allein erstere auf einen entsprechenden Anspruch stützen können. Außerdem mag das Leitbild der nicht rechtsfähigen Gesellschaft gegen noch
272 Vgl. Geibel in BeckOGK/BGB, Stand: 15.3.2021, § 716 BGB Rz. 6 ff. 273 BGH v. 11.1.2011 – II ZR 187/09, ZIP 2011, 322 mit Bezug auf seinen Hinweisbeschluss v. 21.9.2009 – II ZR 264/08, ZIP 2010, 27 (Anspruch auf Auskunft über Namen und Anschriften von Mitgesellschaftern einer (Außen-) Gesellschaft bürgerlichen Rechts in Gestalt einer Publikumsgesellschaft) und fortgeführt durch BGH v. 5.2.2013 – II ZR 134/11, BGHZ 196, 131 = ZIP 2013, 570 (Anspruch auf Auskunft über Namen und Anschriften von mittelbaren und unmittelbaren Gesellschaftern einer Publikumsgesellschaft, wenn der Anleger eine dem unmittelbaren Gesellschafter entsprechende Rechtsstellung innehat). Ob der BGH in seiner Entscheidung von 2011 von einer Einbeziehung des Treuhandkommanditisten in die „Innengesellschaft bürgerlichen Rechts“ ausgegangen ist, bleibt unklar: Einerseits ist von einer (ausschließlich) zwischen den Anlegern bestehenden Innengesellschaft und andererseits von dem Treuhandkommanditisten als deren handelndes Organ im Außenverhältnis die Rede (insbesondere Leitsatz sowie Rz. 13 ff.), hierzu auch K. Schmidt, NZG 2011, 361, 366, der die Ausführungen des BGH in ersterem Sinne versteht, sich selbst hingegen für die Annahme einer den Treuhandkommanditisten miteinbeziehenden „Innen-KG“ ausspricht. 274 BGH v. 11.1.2011 – II ZR 187/09, ZIP 2011, 322, 323 f. Rz. 11; hierzu Geibel in BeckOGK/BGB, Stand: 1.1.2019, § 705 BGB Rz. 239. 275 BGH v. 11.1.2011 – II ZR 187/09, ZIP 2011, 322, 323 f. Rz. 11. 276 Überblick über die Rechtsprechungsentwicklung und Stellungnahme bei Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 716 BGB Rz. 13 ff.; ausführliche Stellungnahme und Darstellung des Meinungsspektrums bei Tassius, Die Innen-KG, Diss. Köln 2018, S. 79 ff. 277 So die h.M.: Geibel in BeckOGK/BGB, Stand: 15.1.2021, § 713 BGB Rz. 28; Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 713 BGB Rz. 6; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 713 BGB Rz. 8; Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 713 BGB Rz. 3 mit jeweils w.N.; vgl. auch Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 159.
626 | Tassius
Fehlende Vermögensfähigkeit; anwendbare Vorschriften | Rz. 59 § 740 BGB
umfangreichere Informationsrechte- bzw. pflichten gesprochen haben, insbesondere wenn man den nicht rechtsfähigen Gesellschaften des Wirtschaftsverkehrs ohnehin zusätzliche Vertragsvorsorge unterstellt278. Obgleich beide (mutmaßlichen) Beweggründe nicht zu überzeugen vermögen – die nicht geschäftsführenden Gesellschafter wären bei entsprechender Anwendung als gemeinschaftliche Gläubiger279 zu qualifizieren und eine effektive Überwachung der Geschäftsführung wäre bereits von Gesetzes wegen gewährleistet –, ist insofern von einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers auszugehen. Soll es bei der nicht rechtsfähigen Gesellschaft ebenfalls zu umfangreicheren, insbesondere vom geschäftsführenden Gesellschafter stetig zu erfüllenden Informationspflichten kommen, sind die Gesellschafter demnach auf eine entsprechende vertragliche Vereinbarung angewiesen. Für die stille Gesellschaft bürgerlichen Rechts (Rz. 22 ff.) sowie für die Unterbeteiligungs- 57 gesellschaft (§ 230 HGB Rz. 41) ist anstelle von § 717 Abs. 1 BGB die Vorschrift des § 233 HGB analog anzuwenden;280 dem Stillen bzw. dem Unterbeteiligten stehen somit ein jährliches Recht auf Abschrift der Jahresabrechnung (bzw. der Bilanz über den Gesellschaftsanteil) sowie ein ergänzendes Einsichts- und Auskunftsrecht zu (vgl. § 233 HGB Rz. 4 ff.).
12. Rechnungsabschluss und Gewinnverteilung (§ 718 BGB) Obgleich der nicht rechtsfähigen Gesellschaft ein Leitbild zugrunde gelegt wurde (hierzu bei 58 Rz. 11), das gerade für die Reformierung der bisherigen Vorschrift zum Rechnungsabschluss und zur Gewinnverteilung (§ 721 BGB a.F.) verantwortlich war,281 soll nun auch für sie (bei Abwesenheit gesellschaftsvertraglicher Regelungen)282 die neue Zweifelsregelung zugunsten eines jährlichen Rechnungsabschlusses inklusive Gewinnverteilung Anwendung finden. Entspricht die nicht rechtsfähige Gesellschaft im konkreten Fall ihrem Leitbild als Gelegenheitsgesellschaft, wird man jedoch an eine konkludent vereinbarte einmalige Gewinnverteilung im Beendigungszeitpunkt keine besonders hohen Anforderungen zu stellen haben.283 Wie auch im Rahmen von § 740 Abs. 2 BGB i.V.m. § 716 BGB führt die entsprechende An- 59 wendung des § 718 BGB nicht zu einem Vermögensausgleich zwischen dem Gesellschafter und der Gesellschaft, sondern zwischen den Gesellschaftern untereinander.284 Der gem. § 718 BGB durchzuführende Rechnungsabschluss beinhaltet zunächst einen Anspruch auf
278 Vgl. Armbrüster, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 143, 163; Fleischer, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 1, 15; Fleischer, DStR 2021, 430, 437. 279 Die nicht geschäftsführungsbefugten Gesellschafter könnten das weitergehende Informationsrecht folglich auch nur gemeinsam geltend machen (zu dieser von § 432 BGB abzugrenzenden Form der Gläubigermehrheit: Heinemeyer in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2022, Vor § 420 BGB Rz. 14, § 432 BGB Rz. 2). 280 Für einen Gleichlauf nach bisheriger Rechtslage etwa Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 716 BGB Rz. 2; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 716 BGB Rz. 3 f.; die bislang abweichende und dem Stillen bzw. Unterbeteiligten auch ein Auskunftsrecht zubilligende Auffassung (Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 716 BGB Rz. 4) dürfte sich aufgrund der Neufassung von § 233 HGB nunmehr kaum von der übrigen Meinung im Schrifttum unterscheiden. 281 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 160 f. 282 Die Gesellschafter können insbesondere auch eine Abrechnung nach jedem einzelnen Geschäft oder eine Abrechnung erst im Beendigungszeitpunkt vorsehen, vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 161. 283 Bei einer nicht rechtsfähigen Gesellschaft in Gestalt einer langfristig angelegten Tippgemeinschaft kommt wiederum die konkludente Vereinbarung einer unverzüglichen Abrechnung und Gewinnverteilung nach jeder Auslosung in Betracht (Fleischer/Hahn, NZG 2017, 1, 6). 284 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 191. Tassius | 627
§ 740 BGB Rz. 59 | Nicht rechtsfähige Gesellschaft Rechnungslegung.285 Es hat also eine geordnete Aufstellung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesellschaft,286 in die insbesondere die für Rechnung der Gesellschaft getätigten Geschäfte und andere der gesellschaftlichen Zweckverfolgung zuzuordnenden Geschäftsvorfälle (wie beispielsweise ein nach § 716 Abs. 1 Alt. 2 BGB zu ersetzender Verlust) einfließen, zu erfolgen. Haben die Gesellschafter vereinbart, dass die dem Gesellschaftszweck dienenden Vermögensgegenstände wirtschaftlich als gemeinschaftliches Vermögen zu behandeln sind,287 sind etwaige Wertveränderungen oder daraus erzielte Erträge ebenfalls zu berücksichtigen. Der Anspruch richtet sich bei der nicht rechtsfähigen Gesellschaft gegen den oder die geschäftsführungsbefugten Gesellschafter,288 während die Feststellung des Rechnungsabschlusses (ebenso wie bei der rechtsfähigen Gesellschaft) sämtlichen Gesellschaftern obliegt.289 Aus dem (gegebenenfalls) festgestellten Gewinn und dem zugrunde zu legenden Gewinnverteilungsschlüssel (§ 709 Abs. 3 BGB) ergibt sich der Anspruch auf Auszahlung des Gewinnanteils.290 Hier kann es bei der nicht rechtsfähigen Gesellschaft zu wechselseitigen Ansprüchen der Gesellschafter untereinander kommen oder – im Fall einer Vermögensverwaltung durch lediglich einen der Gesellschafter – zu einem Anspruch gegen den (wohl meist auch geschäftsführenden) vermögenstragenden Gesellschafter.291 Hält man ein dem Gewinnanspruch vorgeschaltetes Gewinnverteilungsverfahren, bestehend aus der rechnerischen Ermittlung des jeweiligen Gewinnanteils und der Feststellung der Gewinnverwendung für erforderlich,292 so ist bei der nicht rechtsfähigen Gesellschaft für erstere wiederum der geschäftsführende Gesellschafter und sind für letztere sämtliche Gesellschafter zuständig. 60 Liegt (insbesondere mit Blick auf das Leitbild der nicht rechtsfähigen Gesellschaft) eine Ge-
sellschaft vor, die keinerlei erwerbswirtschaftlicher Tätigkeit nachgeht oder die mit dem
285 BGH v. 22.3.2011 – II ZR 206/09, ZIP 2011, 1145, 1147; Kilian in Henssler/Strohn, 5. Aufl. 2021, § 721 BGB Rz. 3; zum etwaigen Anspruch auf Buchführung Kell in BeckOGK/BGB, Stand: 1.4.2021, § 721 BGB Rz. 18 ff. 286 Vgl. Kilian in Henssler/Strohn, 5. Aufl. 2021, § 721 BGB Rz. 3; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 721 BGB Rz. 6; Scholz in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, 79. EL Januar 2021, Rz. I 593; vgl. auch Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 721 BGB Rz. 7 („Bilanz sowie […] einer den Verhältnissen der GbR angepassten Gewinn- und Verlustrechnung“). 287 Zu dieser Möglichkeit Mauracher Entwurf, 138; Röder, AcP 2015, 450, 499 f. sowie K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 21 f. 288 Bei der nicht rechtsfähigen Gesellschaft kommt die Gesellschaft selbst nicht als Pflichtenadressatin in Betracht (vgl. hingegen für die rechtsfähige Gesellschaft Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/ 27635, 161). Im Fall einer Unterbeteiligungsgesellschaft richtet sich der Anspruch gegen den Hauptbeteiligten (Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 721 BGB Rz. 1). 289 Kilian in Henssler/Strohn, 5. Aufl. 2021, § 721 BGB Rz. 6; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 721 BGB Rz. 4; Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 721 BGB Rz. 2; zum grundsätzlichen Einstimmigkeitserfordernis BGH v. 9.11.1998 – II ZR 213/97, ZIP 1999, 68; diese Grundsätze wurden bereits nach alter Rechtslage auch auf „Innengesellschaften ohne Gesamthandsvermögen“ übertragen (BGH v. 25.1.2011 – II ZR 280/09, juris; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 721 BGB Rz. 4). 290 Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 721 BGB Rz. 8; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 721 BGB Rz. 8; Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 721 BGB Rz. 3; explizit zur grundsätzlichen Entbehrlichkeit eines Gewinnverwendungsbeschlusses Scholz in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, 79. EL Januar 2021, Rz. I 618; vgl. auch Begr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 161. 291 Der Gewinnanspruch besteht nicht gegenüber der „Gesamtheit der gesamthänderisch gebundenen Gesellschafter“ (so noch zur alten Rechtslage: Kell in BeckOGK/BGB, Stand: 1.4.2021, § 721 BGB Rz. 49). 292 Kilian in Henssler/Strohn, 5. Aufl. 2021, § 721 BGB Rz. 8; ähnlich Kell in BeckOGK/BGB, 1.4.2021, § 721 BGB Rz. 38 sowie Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 721 BGB Rz. 5.
628 | Tassius
Beendigung der Gesellschaft | Rz. 1 § 740a BGB
Rechtsverkehr sogar kaum oder gar nicht in Berührung kommt, können die Ansprüche nach § 718 BGB im Einzelfall ins Leere laufen.293
§ 740a BGB Beendigung der Gesellschaft (1) Die nicht rechtsfähige Gesellschaft endet durch: 1. Ablauf der Zeit, für welche sie eingegangen wurde; 2. Auflösungsbeschluss; 3. Tod eines Gesellschafters; 4. Kündigung der Gesellschaft durch einen Gesellschafter; 5. Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Gesellschafters; 6. Kündigung der Gesellschaft durch einen Privatgläubiger eines Gesellschafters. (2) Die Gesellschaft endet ferner, wenn der vereinbarte Zweck erreicht oder seine Erreichung unmöglich geworden ist. (3) Auf die Beendigung der Gesellschaft sind die §§ 725, 726, 730, 732 und 734 Abs. 1 und 2 entsprechend anzuwenden. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. 1. 2. 3. 4.
Beendigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeitablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auflösungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . Tod eines Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . Kündigung durch einen Gesellschafter . .
1 2 3 4 6
5. 6. 7. II.
Insolvenz eines Gesellschafters . . . . . . . . Kündigung durch einen Privatgläubiger Zweckerreichung und Unmöglichkeit . . . Fortsetzungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . .
10 11 13 14
Schrifttum: Bochmann, Gesellschafterwechsel, Ausscheiden und Auflösung im Mauracher Entwurf zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 221; Fleischer, Ein Rundgang durch den Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, DStR 2021, 430.
I. Beendigungsgründe Mangels eigenen Gesellschaftsvermögens tritt bei der nicht rechtsfähigen Gesellschaft an die 1 Stelle der Liquidation die Beendigung.1 Während für die rechtsfähige Gesellschaft somit in § 729 BGB die der Liquidation vorausgehende Auflösung und folglich die Auflösungsgründe geregelt sind, finden sich für die nicht rechtsfähige Gesellschaft in § 740a Abs. 1 und 2 BGB entsprechende Beendigungsgründe. Unter Beachtung ihres Leitbilds als „Gelegenheitsgesellschaft ohne vertragliche Vorsorge“ wird der herkömmliche gesetzliche Regelfall der Auf293 Vgl. BGH v. 25.1.2011 – II ZR 280/09, juris; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 721 BGB Rz. 4 (Fn. 10); vgl. auch Scholz in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, 79. EL Januar 2021, Rz. I 593 (Fn. 1). 1 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 191; Bochmann, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 221, 240; Fleischer, DStR 2021, 430, 438. Tassius | 629
§ 740a BGB Rz. 1 | Nicht rechtsfähige Gesellschaft lösung bzw. Beendigung zu Recht für die nicht rechtsfähige Gesellschaft beibehalten.2 Gewisse Umstände in der Person eines Gesellschafters (Tod, Insolvenz oder Kündigung) führen somit nicht (lediglich) zu dessen Ausscheiden, sondern grundsätzlich zur Beendigung der Gesellschaft (§ 740a Abs. 1, § 740c Abs. 1 BGB).
1. Zeitablauf 2 Es obliegt der privatautonomen Entscheidung der Gesellschafter einer nicht rechtsfähigen
Gesellschaft, den Beendigungszeitpunkt von vornherein zeitlich festzulegen (§ 740a Abs. 1 Nr. 1 BGB). Insofern bestehen keine Besonderheiten im Vergleich zur rechtsfähigen Gesellschaft.
2. Auflösungsbeschluss 3 Die Gesellschafter können die Auflösung und damit die Beendigung der Gesellschaft auch
jederzeit beschließen (§ 740a Abs. 1 Nr. 2 BGB).3 Sieht der Gesellschaftsvertrag in Abweichung von § 740 Abs. 2 BGB i.V.m. § 714 BGB für die Beschlussfassung das Mehrheitsprinzip vor, so bedarf es auch bei der nicht rechtsfähigen Gesellschaft gem. § 740a Abs. 3 BGB i.V.m. § 732 BGB für den Auflösungsbeschluss einer qualifizierten Mehrheit von drei Viertel der abgegebenen Stimmen.
3. Tod eines Gesellschafters 4 Der Tod eines Gesellschafters führt bei der nicht rechtsfähigen Gesellschaft (im Gegensatz
zum neuen gesetzlichen Regelfall bei der rechtsfähigen Gesellschaft, vgl. §§ 729, 730 BGB) grundsätzlich4 zur Beendigung der Gesellschaft (§ 740a Abs. 1 Nr. 3 BGB). Bei der in § 740a Abs. 3 BGB vorgesehenen entsprechenden Anwendung des § 730 Abs. 1 BGB ist für die nicht rechtsfähige Gesellschaft somit keine Beendigungsvereinbarung notwendig. Die entsprechende Anwendung bedeutet ferner, dass der Erbe nicht Mitglied einer Liquidationsgesellschaft wird, sondern Beteiligter des Abrechnungsschuldverhältnisses (s. § 740b BGB Rz. 1 ff.). Die Vorschrift beinhaltet (neben der Anzeigepflicht nach Abs. 1 Satz 1) ein Notgeschäftsführungspflichtrecht (Abs. 1 Satz 2 und 3), das sich bei der nicht rechtsfähigen Gesellschaft allein auf die (ausschließlich vorhandene) Geschäftsführungsebene bezieht. Für den Erben wird dieses relevant, wenn der Gesellschafter-Erblasser zu Lebzeiten (aufgrund entsprechender Geschäftsführungsbefugnis) im eigenen Namen für Rechnung der Gesellschaft Geschäfte getätigt hat, die im Zeitpunkt des Erbfalls bzw. im Beendigungszeitpunkt noch fortbestehen. Der Erbe tritt dann kraft erbrechtlicher Universalsukzession in die Stellung des Gesellschafter-Erblassers ein (§ 1922 Abs. 1, § 1967 BGB) und ist nach § 740a Abs. 3 BGB i.V.m. § 730 Abs. 1 BGB gegenüber den anderen Gesellschaftern bis zum Zeitpunkt, in
2 Freiherr von Proff, NZG 2023, 147, 149. Bei einer Abweichung vom gesetzlichen Leitbild ist zu erwarten, dass die Gesellschafter dann auch entsprechende vertragliche Vorsorge betreiben: so auch Bochmann, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 221, 234. 3 Zum Zusammenfallen von Auflösung und („Voll“-) Beendigung bei der „Innengesellschaft bürgerlichen Rechts“: Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 730 BGB Rz. 12. 4 Ist im Gesellschaftsvertrag allerdings die Fortsetzung der Gesellschaft unter den übrigen Gesellschaftern vereinbart, kommt es allein zum Ausscheiden des verstorbenen Gesellschafters (§ 740c Abs. 1 BGB).
630 | Tassius
Beendigung der Gesellschaft | Rz. 6 § 740a BGB
dem diese sich mit ihm zur Auseinandersetzung zusammenfinden können,5 berechtigt und verpflichtet, diese Geschäfte fortzuführen, wenn der Aufschub sonst eine Gefährdung der Auseinandersetzungsansprüche bedeuten würde. Beispielsweise könnte eine Kündigung im Rahmen eines vom Gesellschafter-Erblasser abgeschlossenen Mietvertrages über Räumlichkeiten, in denen der Gesellschaftszweck entfaltet wurde, eilig zu erklären oder ein Tippschein dringend abzugeben sein;6 die anderen Gesellschafter sind aber nicht erreichbar, wissen ggf. nicht einmal um die Beendigung der Gesellschaft und den Übergang ins Auseinandersetzungsstadium. Das gleiche Recht bzw. die gleiche Pflicht kommt den anderen Gesellschaftern in dieser Übergangszeit zu (§ 740a Abs. 3 BGB i.V.m. § 730 Abs. 1 Satz 4 BGB). Das Notgeschäftsführungspflichtrecht endet nach der (jeweils anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls zu bestimmenden) Übergangszeit und wird dann durch die im Auseinandersetzungsstadium eigentlich geltende Zuständigkeitsregel (hierzu bei § 740b BGB Rz. 3) abgelöst. Auf die stille Gesellschaft bürgerlichen Rechts (s. hierzu § 740 BGB Rz. 22 ff.) findet hin- 5 gegen § 234 Abs. 2 HGB analoge Anwendung mit der Folge, dass mit dem Tod des Stillen die Gesellschaft grundsätzlich zwischen dem Hauptgesellschafter und dem Erben des Stillen fortgeführt wird (hierzu bei § 234 HGB Rz. 14 f.).7 Denn unabhängig von der Kaufmannseigenschaft des Hauptgesellschafters entspricht der Stille wirtschaftlich hier einem reinen Kapitalgeber, dessen Person für den Bestand der Gesellschaft in der Regel keine große Bedeutung hat.8
4. Kündigung durch einen Gesellschafter Auch die Kündigung der Gesellschaft9 durch einen der Gesellschafter führt – wenn ein Fort- 6 bestand unter den übrigen Gesellschaftern nicht vereinbart ist (s. hierzu § 740c BGB Rz. 1) – zur Beendigung der Gesellschaft (§ 740a Abs. 1 Nr. 4 BGB). Wurde die Gesellschaft auf unbestimmte Zeit eingegangenen, kann sie gemäß der Verweisung in § 740a Abs. 3 BGB in entsprechender Anwendung des § 725 Abs. 1 BGB grundsätzlich unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten zum Ablauf des Kalenderjahres ordentlich gekündigt werden, wenn die Gesellschafter das ordentliche Kündigungsrecht nicht – wie nunmehr möglich – vertraglich
5 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 178 f. („geordneter Übergang von der werbenden zur abzuwickelnden Gesellschaft“, „Übergangszeit […] bis zur Umstellung der Gesellschaft auf die Liquidation“). 6 Freilich wird es auch für den Erben nicht immer auf der Hand liegen, dass er einen Gesellschafter einer nicht rechtsfähigen Gesellschaft beerbt, insbesondere dann, wenn es sich um eine dem gesetzlichen Leitbild entsprechende Gelegenheitsgesellschaft handelt. Auch wird man von ihm nicht ohne weiteres verlangen können, in einer solchen Situation den Interessen der Gesellschaft mustergültig gerecht zu werden. Diese Umstände gilt es dann auf Verschuldensebene entsprechend zu berücksichtigen, sollte er seiner Notgeschäftsführungspflicht nicht nachgekommen sein. 7 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 190; so auch Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 705 BGB Rz. 60; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 296; zu weitgehend hingegen von Proff zu Irnich in BeckOGK/BGB, Stand: 1.2.2023, § 727 BGB Rz. 20, der von einer analogen Anwendung des § 234 Abs. 2 HGB auf jeden nicht nach außen hin auftretenden Gesellschafter einer „Innengesellschaft bürgerlichen Rechts“ ausgeht. 8 Vgl. K. Schmidt in MünchKomm/HGB, 4. Aufl. 2019, § 234 HGB Rz. 56. 9 Zur unterschiedlichen gesetzlichen Terminologie bei der rechtsfähigen bzw. nicht rechtsfähigen Gesellschaft (Kündigung der Mitgliedschaft bzw. Kündigung der Gesellschaft): Bochmann, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 221, 237. Tassius | 631
§ 740a BGB Rz. 6 | Nicht rechtsfähige Gesellschaft abbedungen haben (vgl. § 740a Abs. 3 BGB i.V.m. § 725 Abs. 6 BGB).10 Die in der Gesetzesbegründung anklingende Möglichkeit, gegebenenfalls von einer konkludenten Abbedingung der Kündigungsfrist bzw. einer bereits im Gesellschaftszweck angelegten Abbedingung ausgehen zu können, ist insbesondere auf den Bereich der Gelegenheitsgesellschaften gemünzt,11 weshalb die Kündigungsfrist für die nicht rechtsfähige Gesellschaft (als „Gelegenheitsgesellschaft ohne besondere vertragliche Vorsorge“, hierzu bei § 740 BGB Rz. 11) eine erhebliche Relativierung erfährt.12 7 Haben die Gesellschafter für das Gesellschaftsverhältnis hingegen eine bestimmte Zeit vor-
gesehen, ist für das (häufig allein in Frage kommende) außerordentliche Kündigungsrecht des § 725 Abs. 2 und Abs. 3 BGB das Vorliegen eines wichtigen Grundes erforderlich. Insofern kann auf die Ausführungen zur rechtsfähigen Gesellschaft Bezug genommen werden. 8 Die Kündigung erfolgt durch entsprechende Erklärung gegenüber den Mitgesellschaftern.
Da die Kündigung die personelle Zusammensetzung der Gesellschaft und damit ihre Grundlage betrifft, kann grundsätzlich nicht davon ausgegangen werden, dass sie nur gegenüber einem oder mehreren geschäftsführungsbefugten Gesellschaftern als zugleich Empfangsvertreter (gem. § 164 Abs. 3 BGB) der übrigen Gesellschafter erklärt zu werden braucht.13 9 Für die stille Gesellschaft bürgerlichen Rechts (s. hierzu § 740 BGB Rz. 22 ff.) gilt § 234
Abs. 1 HGB i.V.m. § 132 Abs. 1 HGB analog mit der Folge, dass bei einem auf unbestimmte Zeit eingegangenen Gesellschaftsverhältnis die Kündigung grundsätzlich nur unter Einhaltung einer sechsmonatigen Frist zum Ablauf des Geschäftsjahres möglich ist.
5. Insolvenz eines Gesellschafters 10 Die Gesellschaft endet ferner, wenn über das Vermögen eines Gesellschafters das Insolvenz-
verfahren eröffnet wird (§ 740a Abs. 1 Nr. 5 BGB). Abweichend vom gesetzlichen Regelfall kann im Gesellschaftsvertrag vorgesehen werden, dass die Gesellschaft unter den übrigen Gesellschaftern fortbesteht (vgl. § 740c Abs. 1 BGB). Die Beendigung der Gesellschafterstellung des von der Insolvenzeröffnung betroffenen Gesellschafters ist hingegen zwingend,14 um sicherzustellen, dass der Auseinandersetzungsanspruch des betroffenen Gesellschafters der Insolvenzmasse zur Verfügung gestellt wird.15 Etwas anderes gilt nur dann, wenn von vornherein ausgeschlossen ist, dass mit der Gesellschafterstellung des insolventen Gesell-
10 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 174 („Das außerordentliche Kündigungsrecht ist unabdingbar, das ordentliche Kündigungsrecht ist es nicht.“); hierzu auch Bochmann, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 221, 237. 11 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 172 f. („Der bisherige Verzicht auf Fristen für die ordentliche Kündigung lässt sich nur mit dem überholten gesetzlichen Leitbild der Gelegenheitsgesellschaft mit entsprechend lockeren Bindungen der Gesellschafter erklären. […] Lässt sich eine entsprechende Vereinbarung – wie häufig bei Gelegenheitsgesellschaften ohne schriftlichen Gesellschaftsvertrag – nicht feststellen, kann gleichermaßen aus dem Gesellschaftszweck auf die Zulässigkeit einer fristlosen Kündigung geschlossen werden.“). 12 Ähnlich Bochmann, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 221, 237. 13 Vgl. zur rechtsfähigen Gesellschaft BGH v. 5.11.2016 – XII ZR 147/14, NJW 2016, 2492, 2493 Rz. 25 = ZIP 2016, 1432 (Zugang bei vertretungsberechtigten Gesellschaftern grundsätzlich nicht ausreichend); Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 723 BGB Rz. 11; Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 723 BGB Rz. 9; vgl. auch K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 132 HGB Rz. 17. 14 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 170. 15 So bereits zu § 728 Abs. 2 BGB a.F. Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 728 BGB Rz. 33; vgl. auch K. Schmidt, KTS 1977, 1, 8 (§ 728 BGB Abs. 2 BGB a.F. setze Gesamthandsvermögen nicht voraus).
632 | Tassius
Beendigung der Gesellschaft | Rz. 14 § 740a BGB
schafters irgendein wirtschaftlicher Wert verbunden ist, den es zugunsten der Insolvenzgläubiger zu realisieren gilt;16 der Beendigungsgrund des § 740a Abs. 1 Nr. 5 BGB ist in diesem Ausnahmefall teleologisch zu reduzieren. Die gemäß § 740a Abs. 3 BGB entsprechend zur Anwendung gelangende Vorschrift des § 730 Abs. 2 BGB bedeutet für die anderen Gesellschafter (wie im Fall des Todes eines Gesellschafters, hierzu bei Rz. 4) insbesondere ein bis zur geordneten Auseinandersetzung geltendes Notgeschäftsführungspflichtrecht.
6. Kündigung durch einen Privatgläubiger Schließlich führt die Kündigung durch einen Privatgläubiger17 des Gesellschafters zur Been- 11 digung der Gesellschaft (§ 740a Abs. 1 Nr. 6 BGB). Auch hinsichtlich dieses Auflösungsgrunds ist – wie im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Gesellschafters – zwar nicht die Fortführung mit, aber ohne den betroffenen Gesellschafter möglich, wenn eine entsprechende Vereinbarung getroffen wurde (vgl. § 740c Abs. 1 BGB). Auf das Kündigungsrecht des Privatgläubigers findet § 726 BGB entsprechende Anwendung, d.h. dass auch der Privatgläubiger u.a. die Kündigungsfrist von drei Monaten zum Ablauf des Kalenderjahres zu beachten hat. Die vom Privatgläubiger erwirkte Pfändung bezieht sich bei der nicht rechtsfähigen Gesellschaft nicht auf Gesellschaftsanteil, sondern auf den Auseinandersetzungsanspruch als dem nach § 857 Abs. 1 ZPO pfändbaren Vermögensrecht.18 Auf die stille Gesellschaft bürgerlichen Rechts findet wiederum die Vorschrift des § 234 12 Abs. 1 HGB i.V.m. § 133 HGB analoge Anwendung, weshalb der Privatgläubiger des Stillen eine Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Ablauf des Geschäftsjahres einzuhalten hat.19
7. Zweckerreichung und Unmöglichkeit Ebenso wie nach alter Rechtslage (§ 726 BGB a.F.) und auch im neuen Recht der rechtsfähi- 13 gen Gesellschaft (§ 729 Abs. 2 BGB) endet die nicht rechtsfähige Gesellschaft auf „natürliche Weise“ automatisch, wenn der mit ihr verfolgte Zweck erreicht oder seine Erreichung unmöglich wird (§ 740a Abs. 2 BGB).
II. Fortsetzungsmöglichkeit Auch den Gesellschaftern der nicht rechtsfähigen Gesellschaft soll es nach der gesetzlichen 14 Anordnung des § 740a Abs. 3 BGB i.V.m. § 734 Abs. 1 und 2 BGB freistehen, trotz Vorliegens einer der Beendigungstatbestände die Gesellschaft doch noch fortzuführen. Bei der ent16 So die Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 192 („Der Beendigungsgrund [greift daher] nur Platz, wenn nach Beendigung verteilungsfähiges Vermögen […] existiert.“). Aus dem Kontext wird klar, dass der Beendigungsgrund der Nr. 5 (– im Mauracher Entwurf sowie im Referentenentwurf entsprach dieser noch der Nr. 6 –) gemeint ist. 17 Der Begriff des Privatgläubigers dürfte im Rahmen von § 740a Abs. 1 Nr. 6 BGB nur für die Konstellationen relevant werden, wo es um das Kündigungsrecht eines Mitgesellschafters geht. Schließlich gibt es bei der nicht rechtsfähigen Gesellschaft kein nach außen hin separiertes Gesellschaftsvermögen, das den „Gesellschaftsgläubigern“, also denjenigen Gläubigern, die zu einem der Gesellschafter aufgrund eines gesellschaftsbezogenen Tatbestands in einer rechtlichen Sonderbeziehung stehen, bereits haftet. Allgemein zum Kündigungsrecht eines Mitgesellschafters und einer etwaigen Einschränkung durch die Treuepflicht: Klöhn in Henssler/Strohn, 5. Aufl. 2021, § 135 HGB Rz. 7; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 135 HGB Rz. 6. 18 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 192. 19 Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 725 BGB Rz. 2. Tassius | 633
§ 740a BGB Rz. 14 | Nicht rechtsfähige Gesellschaft sprechenden Anwendung des § 734 Abs. 1 und 2 BGB müssen die Unterschiede beider Varianten der Gesellschaft bürgerlichen Rechts sorgsam beachtet werden. Was bei der rechtsfähigen Gesellschaft beispielsweise die Grundvoraussetzung für eine Fortsetzung bildet, nämlich dass die Gesellschaft noch nicht („voll“-) beendet ist, sondern insbesondere als Vermögensträger bis zum Abschluss der Liquidation noch fortbesteht,20 ist bei der nicht rechtsfähigen Gesellschaft denklogisch ausgeschlossen. Die Fortsetzung kann sich somit auch nicht im Wege einer Vertragsänderung21 vollziehen, da ein (Gesellschafts-) Vertragsverhältnis bei der nicht rechtsfähigen Gesellschaft im Auflösungs- bzw. Beendigungszeitpunkt nicht mehr existiert. Trotz dieser augenfälligen Unterschiede, dürfte in der (bewusst auf die beiden ersten Absätze der Vorschrift bezogenen) Verweisung nicht lediglich die gesetzgeberische Klarstellung zu sehen sein, dass die Beteiligten sich verpflichten können, das vorherige Gesellschaftsverhältnis als nicht beendet zu behandeln.22 Eine solche Klarstellung zur Vertragsfreiheit der Beteiligten bedarf grundsätzlich keiner Erwähnung. Außerdem wäre dadurch der mit dieser Vorschrift verfolgte Schutzzweck, die vor der Beendigung bestehende Vermögensordnung beizubehalten,23 nicht gleichermaßen gesichert. Am Entstehen der wechselseitigen Auseinandersetzungsansprüche würde sich nichts ändern, was jedenfalls zu einer größeren Rechtsunsicherheit führen würde. Überdies könnte man auch nur schwer eine (dann notwendige) Neugründung der Gesellschaft mit einer gem. § 734 Abs. 2 BGB möglichen Stimmenmehrheit der ursprünglichen Gesellschafter begründen. Vorzugswürdig erscheint es daher, in dem Verweis von § 740a Abs. 3 BGB auf § 734 Abs. 1 und 2 BGB ein den Gesellschaftern für den Auseinandersetzungszeitraum zustehendes besonderes Recht zu sehen, rückwirkend auf den Zeitpunkt des verwirklichten Beendigungstatbestands eine Fortsetzung der Gesellschaft (gegebenenfalls mit neuem Zweck) entweder mit sämtlichen Gesellschaftern oder mit den nicht vom Beendigungsgrund betroffenen Gesellschaftern beschließen zu können. Damit würde auch die Entstehung der Auseinandersetzungsansprüche rückwirkend beseitigt. In Parallele zum Liquidationsstadium der rechtsfähigen Gesellschaft besteht das Recht allerdings nur solange die Auseinandersetzung nach § 740b BGB noch andauert, da auch nur dann der Schutzzweck noch erfüllt werden kann. Die Auseinandersetzungsansprüche dürfen somit noch nicht (vollständig) erfüllt worden sein. Des Weiteren setzt die Fortsetzung der Gesellschaft die Beseitigung des Beendigungsgrundes voraus (vgl. § 734 Abs. 1 BGB). Dies kann bei der nicht rechtsfähigen Gesellschaft grundsätzlich durch einen reinen (mit dem Fortsetzungsbeschluss einhergehenden) Willensakt (etwa die Vereinbarung eines neuen Zwecks bei Zweckerreichung) erfolgen. Soll eine nicht rechtsfähige Gesellschaft jedoch mit einem Gesellschafter fortgesetzt werden, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, käme es zusätzlich auf die Veränderung tatsächlicher Umstände an.24 Für die Fortsetzung
20 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 181; so bereits auch BGH v. 19.6.1995 – II ZR 255/93, NJW 1995, 2843, 2844 = ZIP 1995, 1412; s. hierzu auch Noack in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 9 Rz. 9. 21 So allerdings im Fall einer rechtsfähigen Gesellschaft (Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 181). 22 Zu dieser freilich bestehenden Möglichkeit für den Fall einer beendeten stillen Gesellschaft: Gehrlein in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 234 HGB Rz. 6; K. Schmidt in MünchKomm/ HGB, 4. Aufl. 2019, § 234 HGB Rz. 3; Wedemann in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 234 HGB Rz. 6. 23 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 181. 24 Im Bericht des Rechtsausschusses zum MoPeG wird auf die Möglichkeit einer insolvenzrechtlichen Freigabe nach § 35 Abs. 2 InsO hingewiesen (BT-Drucks. 19/31105, 7). Die rechtsfähige Gesellschaft wird kraft Gesetzes im Fall der Insolvenz der Gesellschaft oder einer Auflösungsklage eines Gesellschafters ganz aufgelöst; hier soll es dann auf eine Einstellung des Insolvenzverfahrens gem. § 213 InsO oder dessen Aufhebung gem. §§ 217 ff. InsO ankommen, um überhaupt eine Fortsetzung der Gesellschaft beschließen zu können (Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 181).
634 | Tassius
Auseinandersetzung | Rz. 1 § 740b BGB
bedarf es dann aus Schutzgründen25 eines einstimmigen oder – wenn der Gesellschaftsvertrag das Mehrheitsprinzip vorsieht – jedenfalls eines mehrheitlichen Beschlusses von mindestens drei Viertel der abgegebenen Stimmen (§ 734 Abs. 2 BGB). Die Fortsetzungsmöglichkeit spielt für diejenige nicht rechtsfähige Gesellschaft keine Rolle, bei der eine Auseinandersetzung mangels entsprechender Ausgleichsansprüche gar nicht erst stattfindet. Dann können sich die Gesellschafter allein zu einer Neugründung der Gesellschaft entschließen.
§ 740b BGB Auseinandersetzung (1) Nach der Beendigung der nicht rechtsfähigen Gesellschaft findet die Auseinandersetzung unter den Gesellschaftern statt. (2) Auf die Auseinandersetzung sind § 736d Absatz 2, 4, 5 und 6 und § 737 entsprechend anzuwenden. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Die Auseinandersetzung . . . . . . . . . . . . . .
1
II. Anwendbare Vorschriften (Abs. 2) . . . . .
7
Schrifttum: Armbrüster, Außengesellschaft und Innengesellschaft, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 143; Bochmann, Gesellschafterwechsel, Ausscheiden und Auflösung im Mauracher Entwurf zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 221.
I. Die Auseinandersetzung An die Stelle von Auflösung und Liquidation tritt bei der nicht rechtsfähigen Gesellschaft 1 ihre Beendigung und die Auseinandersetzung unter den Gesellschaftern.1 Die Auseinandersetzung kann als ein (internes) Abrechnungsschuldverhältnis2 zwischen den Gesellschaftern verstanden werden, das aus nachvertraglichen Rechten und Pflichten folgt3 und bei dem die einzelnen Ansprüche aus dem Gesellschaftsverhältnis – soweit verrechenbar – zu unselbständigen Rechnungsposten einer Gesamtabrechnung werden und grundsätzlich nicht mehr selbständig geltend gemacht werden können.4 Die Auseinandersetzung dient dazu, das dem
25 Die Gesellschafter verlieren schließlich ihre Auseinandersetzungsansprüche wieder; vgl. für die rechtsfähige Gesellschaft Noack in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 9 Rz. 9 (Anspruch des Gesellschafters auf anteiliges Liquidationsguthaben entfällt wieder). 1 Bochmann, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 221, 240. 2 Zu den Rechten und Pflichten bei der Auseinandersetzung einer „Innengesellschaft bürgerlichen Rechts“ allgemein R. Koch in BeckOGK/BGB, Stand: 1.4.2023, § 730 BGB Rz. 41 ff.; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 730 BGB Rz. 12 ff. 3 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 192; R. Koch in BeckOGK/BGB, Stand: 1.4.2022, § 730 BGB Rz. 52; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 730 BGB Rz. 14. 4 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 192; BGH v. 11.9.2018 – II ZR 161/17, ZIP 2018, 2267, 2268 Rz. 13 sowie Rz. 14 ff. (zur Ausnahme eines Direktanspruchs im Rahmen einer vereinfachten Auseinandersetzungsrechnung); Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 730 BGB Rz. 14. Tassius | 635
§ 740b BGB Rz. 1 | Nicht rechtsfähige Gesellschaft Gesellschaftszweck dienende Vermögen (unter Einschluss getätigter Aufwendungen und etwaiger erlittener Schäden) wirtschaftlich zwischen den Gesellschaftern gem. ihrem Gewinnund Verlustverteilungsschlüssel zu verteilen.5 2 Die Auseinandersetzung beinhaltet insbesondere die Pflicht, eine (auf den Stichtag der Been-
digung bezogene)6 Schlussabrechnung über die wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesellschaft zu erstellen7 und nach Maßgabe der §§ 810, 242 BGB in diese auch Einsicht zu gewähren.8 Aus der Schlussabrechnung ergibt sich dann, ob und in welcher Höhe Ansprüche auf Auszahlung eines Auseinandersetzungsguthabens oder aber auf Nachschusszahlungen (§ 740b Abs. 2 BGB i.V.m. § 737 BGB) bestehen.9 3 Die Gläubiger- bzw. Schuldnerstellung hinsichtlich der Auseinandersetzungsansprüche
folgt aus den Regelungen des Gesellschaftsvertrags, wobei der von den Gesellschaftern gewählten Struktur besondere Bedeutung beizumessen ist. Der Gesetzgeber hat für die nicht rechtsfähige Gesellschaft bewusst auf eine entsprechende Anwendung der § 736 Abs. 1, § 736b Abs. 1 BGB verzichtet, wonach die Liquidation der rechtsfähigen Gesellschaft grundsätzlich gemeinsame Aufgabe der Gesellschafter ist. Auch nach alter Rechtslage war man sich einig, dass der gesetzliche Regelfall einer gemeinsamen Zuständigkeit der Gesellschafter (§ 730 Abs. 2 Satz 2 BGB a.F.) auf die „Innengesellschaft bürgerlichen Rechts“ aufgrund ihrer strukturellen Unterschiede nicht passe. Vielmehr hat man das Bild einer aus einem Außenund einem oder mehreren Innengesellschafter(n) bestehenden Gesellschaft vor Augen, bei der im Auseinandersetzungsstadium der Außengesellschafter Schuldner der Abrechnungsund Auszahlungspflicht sei.10 Daran ist richtig, dass man umso eher von einer konzentrierten Zuständigkeit des Außengesellschafters ausgehen können wird, die noch laufenden Geschäfte zu beenden (§ 740b Abs. 2 BGB i.V.m. § 736d Abs. 2 und 4 BGB) und das Gesellschaftsverhältnis abzurechnen, je stärker die Vermögensverwaltung vor Beendigung der Gesellschaft in seine Hände gelegt wurde.11 Seine vermögensverwaltende Gesellschafterrolle setzt sich dann im Auseinandersetzungsstadium fort und geht mit Rechenschafts- und Auskunftspflichten einher.12 Als Vermögensträger ist er dann zugleich Schuldner etwaiger (sich aus der entsprechenden Anwendung des § 736d Abs. 5 und 6 BGB ergebenden) Auszahlungs- bzw. Ausgleichsansprüche.13 Dabei steht es ihm grundsätzlich – d.h. wenn nichts Abweichendes (insbesondere keine Pflicht zur Einräumung von Miteigentum oder zur Verwertung des Vermögens) im Gesellschaftsvertrag vereinbart ist – frei, (alleiniger) Vermögensträ-
5 6 7 8 9 10
Schäfer in FS Windbichler, 2020, S. 981, 989. BGH v. 26.6.1989 – II ZR 128/88, NJW 1990, 573, 575. Vgl. BGH v. 23.6.1986 – II ZR 130/85, NJW-RR 1986, 1419. Vgl. (zur stillen Gesellschaft) Harbarth in Staub, 5. Aufl. 2015, § 235 HGB Rz. 30. Vgl. R. Koch in BeckOGK/BGB, Stand 1.4.2023, § 730 BGB Rz. 53. Vgl. Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 730 BGB Rz. 6; Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2012, Vor § 730 BGB Rz. 11; R. Koch in BeckOGK/BGB, Stand: 1.4.2023, § 730 BGB Rz. 51 ff.; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 730 BGB Rz. 16; Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 730 BGB Rz. 2. 11 Eine pauschal anzunehmende Zuständigkeit des Außengesellschafters ist allerdings abzulehnen, offengelassen durch BGH v. 23.6.1986 – II ZR 130/85, NJW-RR 1986, 1419; a.A. wohl R. Koch in BeckOGK/BGB, Stand: 1.4.2023, § 730 BGB Rz. 53; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 730 BGB Rz. 16. 12 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 192; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 730 BGB Rz. 16 f. 13 Vgl. noch die Entwurfsfassung des § 740b Abs. 2 BGB (Mauracher Entwurf, 23); vgl. auch BGH v. 15.10.1990 – II ZR 25/90, NJW-RR 1991, 442; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 730 BGB Rz. 16.
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Auseinandersetzung | Rz. 7 § 740b BGB
ger zu bleiben und seine Mitgesellschafter in Geld abzufinden.14 Haben die Gesellschafter hingegen eine andere Organisationsstruktur gewählt, indem sie beispielsweise eine Metagesellschaft gegründet (hierzu bei § 740 BGB Rz. 17) oder den Außengesellschafter nicht zugleich als Vermögenstreuhänder eingesetzt haben, fallen die Gläubiger- bzw. Schuldnerstellungen der Gesellschafter entsprechend anders aus. So sind im Fall einer Metagesellschaft grundsätzlich sämtliche Gesellschafter gemeinsam zum Erstellen der Schlussabrechnung verpflichtet. Auszahlungs- bzw. Ausgleichsansprüche richten sich jeweils gegen denjenigen Gesellschafter, der nach der Schlussabrechnung zu viel des der Gesellschaft zuzurechnenden Vermögens hält. Die Auseinandersetzung beinhaltet ferner die Pflicht, Gegenstände, die zur gesellschaftli- 4 chen Nutzung zur Verfügung gestellt wurden, dem berechtigten Gesellschafter zurückzugeben.15 Wird eine Ehegatteninnengesellschaft beendet, kommt ein gesellschaftsrechtlicher Aus- 5 gleichsanspruch unabhängig davon in Betracht, ob ein etwaiger familienrechtlicher Zugewinnausgleich bereits zu einem angemessenen Ergebnis unter den Beteiligten führt.16 Auf die stille Gesellschaft bürgerlichen Rechts (s. § 740 BGB Rz. 22 ff.) findet § 235 HGB 6 analoge Anwendung.17
II. Anwendbare Vorschriften (Abs. 2) Mit der Verweisung auf § 736d Abs. 2, 4, 5 und 6 BGB sowie § 737 BGB soll eine möglichst 7 flexible Rechtsanwendung gewährleistet werden, um auf die von den Gesellschaftern jeweils gewählte Vermögensordnung der nicht rechtsfähigen Gesellschaft sachgerecht reagieren zu können.18 Die entsprechende Anwendung bedeutet insofern, dass es um die Beendigung der laufenden Geschäfte des Außengesellschafters, die dieser für Rechnung der Gesellschaft getätigt hat und um die Befriedigung eben dieser Gläubiger des Außengesellschafters geht. Bei der (bereits nach alter Rechtslage auch für die „Innengesellschaft“ anerkannten)19 Nachschusspflicht i.S.v. § 737 BGB geht es – ebenso wie im Rahmen des Ausscheidens eines Gesellschafters – um die grundsätzlich anteilige Haftung eines jeden Gesellschafters bis zu dem Betrag, zu welchem der Wert des dem Gesellschaftszweck dienenden Vermögens nicht ausreicht, um die für Rechnung der Gesellschaft bestehenden Verbindlichkeiten (insbesondere Verbindlichkeiten des Außengesellschafters gegenüber Dritten sowie etwaige Einlagerückzahlungsverpflichtungen) abzudecken.
14 BGH v. 2.5.1983 – II ZR 148/82, NJW 1983, 2375, 2375 f.; Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 705 BGB Rz. 59; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 BGB Rz. 293 und § 730 BGB Rz. 13; Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 730 BGB Rz. 2. 15 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 186; vgl. auch Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 730 BGB Rz. 14. 16 BGH v. 28.9.2005 – XII ZR 189/02, BGHZ 165, 1 = NJW 2006, 1268. 17 Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 730 BGB Rz. 7; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 730 BGB Rz. 18; Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 730 BGB Rz. 4. 18 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 192. 19 BGH v. 11.9.2018 – II ZR 161/17, ZIP 2018, 2267, 2268 = GmbHR 2019, 22. Tassius | 637
§ 740c BGB Rz. 1 | Nicht rechtsfähige Gesellschaft
§ 740c BGB Ausscheiden eines Gesellschafters (1) Ist im Gesellschaftsvertrag vereinbart, dass abweichend von den in § 740a Abs. 1 Nummer 3 bis 6 genannten Beendigungsgründen die Gesellschaft fortbestehen soll, so tritt mangels abweichender Vereinbarung an die Stelle der Beendigung der Gesellschaft das Ausscheiden des Gesellschafters, in dessen Person der Ausscheidensgrund eintritt. (2) Auf das Ausscheiden eines Gesellschafters sind die §§ 727, 728 und 728a entsprechend anzuwenden. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Ausscheiden eines Gesellschafters bei Fortsetzungsvereinbarung (Abs. 1) . . . . . II. Ausschließung aus wichtigem Grund . . .
1 3
III. Ansprüche des ausgeschiedenen Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Haftung des ausgeschiedenen Gesellschafters für Fehlbetrag . . . . . . . . .
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Schrifttum: Bochmann, Gesellschafterwechsel, Ausscheiden und Auflösung im Mauracher Entwurf zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 221.
I. Ausscheiden eines Gesellschafters bei Fortsetzungsvereinbarung (Abs. 1) 1 Haben die Gesellschafter einer nicht rechtsfähigen Gesellschaft abweichend vom gesetzlichen
Regelfall für die Fälle des § 740a Abs. 1 Nr. 3–6 BGB die Fortsetzung der Gesellschaft vereinbart, kommt es (lediglich) zum Ausscheiden desjenigen Gesellschafters, in dessen Person einer der Tatbestände der Nr. 3–6 (Tod, Kündigung der Gesellschaft durch Gesellschafter bzw. Privatgläubiger, Insolvenz) verwirklicht wird. Mit dem Ausscheiden des Gesellschafters endet dessen Gesellschafterstellung;1 bezüglich der vermögensrechtlichen Folgen kann auf die Ausführungen bei § 740 BGB Rz. 46 entsprechend Bezug genommen werden. Liegt ein Fall von § 740a Abs. 1 Nr. 1 BGB (Zeitablauf) oder § 740a Abs. 1 Nr. 2 BGB (Auflösungsbeschluss) vor, wurde von sämtlichen Gesellschaftern ein Beendigungswille bekundet, weshalb sich konsequenterweise auch die Frage des (bloßen) Ausscheidens eines Gesellschafters erübrigt. 2 Die erst im Zuge der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses2 aufgenommene und den
Regelungshalt des § 740c Abs. 1 BGB unnötig verkomplizierende Formulierung,3 dass bei Vorliegen einer Fortsetzungsvereinbarung „mangels abweichender Vereinbarung“ an die Stelle der Beendigung der Gesellschaft das Ausscheiden des betroffenen Gesellschafters tritt,
1 Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 738 BGB Rz. 6. 2 Beschlussempfehlung Rechtsausschuss MoPeG, BT-Drucks. 19/30942, 40. 3 Mit ähnlichem Fazit Schäfer in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 8 Rz. 28, der zu Recht in Frage stellt, ob es aufgrund dieser Einzelfall-Ausnahme einer Umformulierung der Vorschrift bedurfte. Eine erwägenswerte Alternative wäre es gewesen, in diesem Fall überhaupt von der Beendigungsfolge des § 740a Abs. 1 Nr. 5 BGB abzusehen oder in der Gesetzesbegründung einen entsprechenden Rechtsfortbildungsauftrag zu erteilen.
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Ausscheiden eines Gesellschafters | Rz. 3 § 740c BGB
betrifft allein den Beendigungs- bzw. Ausscheidensgrund des § 740a Abs. 1 Nr. 5 BGB.4 Der Bericht des Rechtsausschusses gibt hierzu an, dass die von § 740c Abs. 1 BGB angeordnete Rechtsfolge – nämlich das Ausscheiden des betroffenen Gesellschafters im Fall einer Fortsetzungsvereinbarung – nicht immer passe. Als Beispiel wird eine Freiberufler-Bürogemeinschaft angeführt, bei der über das Vermögen eines der Beteiligten das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, dem Betroffenen aber eine Freigabe gem. § 35 Abs. 2 InsO erteilt wurde, seine selbständige Tätigkeit trotz Insolvenz weiter fortführen zu dürfen.5 In diesem Fall wird also – bei Vorliegen einer entsprechenden Vereinbarung – eine Fortsetzung der Gesellschaft mit dem jeweils betroffenen Gesellschafter ermöglicht.
II. Ausschließung aus wichtigem Grund Gemäß § 740c Abs. 2 BGB i.V.m. § 727 BGB kann ein Gesellschafter aus wichtigem Grund 3 aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden (zu den Anforderungen an den wichtigen Grund s. § 727 BGB Rz. 4 ff.), ohne dass es hierfür einer Fortsetzungsklausel im Gesellschaftsvertrag bedarf (vgl. § 740c Abs. 2 BGB).6 Dieser gesetzliche Regelfall wurde nun auch für die nicht rechtsfähige Gesellschaft vorgesehen, obwohl für diese im Übrigen die Beendigung der Gesellschaft anstelle des bloßen Ausscheidens eines Gesellschafters beibehalten wurde (vgl. § 740a Abs. 1 BGB).7 Es kommt somit nicht darauf an, ob durch den von allen anderen Gesellschaftern (vgl. § 727 Satz 1 BGB)8 zu fassenden Beschluss über die Ausschließung des störenden Gesellschafters das maßgebliche Bestandsinteresse9 zum Ausdruck kommt.10 Die vorgenannten Grundsätze gelten unabhängig davon, ob es sich um den Ausschluss eines reinen Innen- oder eines nach außen hin auftretenden Gesellschafters handelt. Zwar wird ein solches Ausschlussrecht zugunsten der Innen- und zu Lasten der Außengesellschafter nach alter Rechtslage grundsätzlich abgelehnt11 bzw. nur bei einer entsprechenden vertraglichen Vereinbarung, den Außengesellschafter ersetzen zu dürfen,12 angenommen. Da der Gesetzgeber nun aber allgemein, d.h. ohne zwischen Innen- und Außengesellschaftern zu differen-
4 Dass im Fall des Todes eines Gesellschafters bei entsprechender erbrechtlicher Nachfolgeklausel die Gesellschaft mit dem oder den Erben fortgesetzt wird, ergibt sich bereits aus (§ 740 Abs. 2 BGB i.V.m.) § 711 Abs. 2 BGB und bedurfte auch für die rechtsfähige Gesellschaft keiner (erneuten) Klarstellung in § 723 Abs. 1 BGB; dies jedoch als weiteren Ausnahmefall anführend Armbrüster in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 3 Rz. 72. 5 Begr. Rechtsaussch., BT-Drucks. 19/31105, 7. 6 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 193; Armbrüster in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 3 Rz. 73; Bochmann, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 221, 234; zu dieser gesetzgeberischen Entscheidung stehen allerdings die Erwägungen zur rechtsfähigen Gesellschaft (kein Bedarf für Fortsetzungsklausel aufgrund der Umstellung von Auflösungs- zu Ausscheidensgründen, vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 174) durchaus in einem gewissen Widerspruch. Nach alter Rechtslage wurde für Innengesellschaften ein Ausschlussrecht selbst dann bezweifelt, wenn eine Fortsetzungsklausel vorlag. Zum Streitstand: Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 737 BGB Rz. 5. 7 Vgl. Armbrüster in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 3 Rz. 73. 8 Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 737 BGB Rz. 4. 9 Vgl. Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 737 BGB Rz. 8 (anderweitige Erkennbarkeit des Willens zur Fortsetzung ist Fortsetzungsklausel gleichzustellen); Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 737 BGB Rz. 4; Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 737 BGB Rz. 1 mit Verweis auf Grunewald, Der Ausschluss aus Gesellschaft und Verein, Habil. Bonn 1986, S. 32 f. 10 Dies grundsätzlich annehmend Bochmann, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 221, 234 f. 11 Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 737 BGB Rz. 3; Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 737 BGB Rz. 5. 12 R. Koch in BeckOGK/BGB, Stand: 1.4.2023, § 737 Rz. 8; Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 737 BGB Rz. 2; Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, 78. EL Oktober 2020, Rz. I 1114. Tassius | 639
§ 740c BGB Rz. 3 | Nicht rechtsfähige Gesellschaft zieren, den mutmaßlichen Willen der Gesellschafter einer nicht rechtsfähigen Gesellschaft, die Gesellschaft fortzuführen, unterstellt,13 betrifft dies auch den Fall, in dem eine Fortführung nur unter Austausch des Außengesellschafters möglich ist. 4 Dem in § 727 Satz 3 BGB nun gesetzlich verankerten Recht des nach der Ausschließung
letztverbleibenden Gesellschafters einer rechtsfähigen Gesellschaft auf Übernahme des Gesellschaftsvermögens im Wege der Gesamtrechtsnachfolge14 korrespondiert – aufgrund der angeordneten entsprechenden Anwendung dieser Vorschrift – ein Anspruch der Gesellschafter einer nicht rechtsfähigen Gesellschaft auf Übertragung etwaiger gesellschaftsbezogener Vermögensgegenstände. Der Anspruch richtet sich dann gegen den (treuhänderischen oder bruchteilsberechtigten) Vermögensträger bzw. Außengesellschafter, in dessen Person ein wichtiger Grund vorliegt.15 Auch bei der nicht rechtsfähigen Gesellschaft besteht ein legitimes Interesse sämtlicher Gesellschafter, den Gesellschaftszweck mit den bereits bewährten Mitteln weiterzuverfolgen.16 Selbst die rechtlich dominierende Stellung eines Außengesellschafters rechtfertigt per se keine Ausnahme (zur stillen Gesellschaft bürgerlichen Rechts s. allerdings § 740 BGB Rz. 24). Vielmehr kommt in der umfassenden Verweisung auf § 727 BGB der gesetzgeberische Wille zum Ausdruck, dass hinsichtlich der dem Gesellschaftszweck dienenden Vermögensgegenstände das Fortsetzungsinteresse der anderen Gesellschafter grundsätzlich überwiegt. Der Anspruch wird bei der nicht rechtsfähigen Gesellschaft beim Ausschluss eines vermögenstragenden Gesellschafters sowohl beim Verbleib nur eines Gesellschafters als auch mehrerer Gesellschafter relevant. Sind von der Vermögenübertragung (teilweise) schützenswerte Belange Dritter betroffen (vgl. insbesondere die §§ 414, 415 BGB), kann der ausgeschlossene Gesellschafter seine Übertragungsverpflichtung freilich nur mit deren Mitwirkung erfüllen.
III. Ansprüche des ausgeschiedenen Gesellschafters 5 Der ausgeschiedene Gesellschafter ist von den übrigen Gesellschaftern gem. § 740c Abs. 2
BGB i.V.m. § 728 BGB dem Wert seiner Gesellschafterstellung entsprechend abzufinden. Hierfür ist von dem Gesellschafter, der mit den Vermögensangelegenheiten der Gesellschaft betraut ist, meist wohl dem (geschäftsführenden) Außengesellschafter, eine Berechnung der Abfindung vorzunehmen,17 die der ausgeschiedene Gesellschafter nach Maßgabe der §§ 810, 242 BGB einsehen darf.18 Der (etwaige) Auszahlungsanspruch des ausgeschiedenen Gesellschafters richtet sich dann ebenfalls gegen diesen Gesellschafter (vgl. auch die Ausführungen zur Auseinandersetzung bei § 740b BGB Rz. 3). Gegenstände, die der ausgeschiedene Gesellschafter zur gesellschaftlichen Nutzung überlassen hat, sind ihm zurückzugeben; ein Anspruch auf Schadensersatz bei zufälliger Verschlechterung bzw. zufälligem Untergang steht ihm nicht zu.19 Im Übrigen kann auf die Ausführungen zur rechtsfähigen Gesellschaft Bezug genommen werden (s. § 728 BGB).
13 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 193. 14 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 175; ausführlich zum Ausschluss aus der zweigliedrigen rechtsfähigen Gesellschaft und zur Übernahme des Gesellschaftsvermögens: Nodoushani, DStR 2016, 1932; Rimmelspacher, AcP 1973, 1. 15 Vgl. zum schuldrechtlichen Übernahmerecht bereits Rimmelspacher, AcP 1973, 1, 18. 16 Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 739 BGB Rz. 8 („Interesse an der Erhaltung geschaffener Werte“); allgemein zum Interesse der verbleibenden Gesellschafter Rimmelspacher, AcP 1973, 1, 13. 17 Ausführlich zum Anspruch des ausgeschiedenen Gesellschafters auf Aufstellung einer „Abschichtungsbilanz“ (bei der rechtsfähigen Gesellschaft) Kopp, ZIP 2022, 875. 18 Vgl. (zur „Außengesellschaft bürgerlichen Rechts“) Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 738 BGB Rz. 27. 19 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 175.
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Ausscheiden eines Gesellschafters | Rz. 6 § 740c BGB
IV. Haftung des ausgeschiedenen Gesellschafters für Fehlbetrag Entsprechend der Fehlbetragshaftung im Beendigungsfall (§ 740b Abs. 2 i.V.m. § 737 BGB) 6 haftet auch der ausgeschiedene Gesellschafter gem. § 740c Abs. 2 i.V.m. § 728a BGB anteilig für einen etwaigen Fehlbetrag (ausführlich hierzu bei § 728a BGB). Bei der nicht rechtsfähigen Gesellschaft besteht die Haftung gegenüber den in der Gesellschaft verbliebenen Gesellschaftern, wenn der Wert des dem Gesellschaftszweck dienenden Vermögens nicht ausreicht, um die für Rechnung der Gesellschaft bestehenden Verbindlichkeiten (insbesondere Verbindlichkeiten des Außengesellschafters gegenüber Dritten sowie etwaige Einlagerückzahlungsverpflichtungen) abzudecken.
Tassius | 641
Handelsgesetzbuch (HGB) Handelsregister; Unternehmensregister (§§ 8–16)
§ 8 HGB Handelsregister (1) Das Handelsregister wird von den Gerichten elektronisch geführt. (2) Andere Datensammlungen dürfen nicht unter Verwendung oder Beifügung der Bezeichnung „Handelsregister“ in den Verkehr gebracht werden. I. Sinn und Zweck des Handelsregisters II. Rechtsgrundlagen, Aufbau und Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zuständigkeit des Registergerichts 1. Sachliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . 2. Örtliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . 3. Funktionelle Zuständigkeit . . . . . . . . . . IV. Eintragungspflichtige, eintragungsfähige und nicht eintragungsfähige Tatsachen 1. Hintergrund und Terminologie . . . . . .
1 5 10 11 13
2. 3. 4. V. VI.
Eintragungspflichtige Tatsachen . . . . . . Eintragungsfähige Tatsachen . . . . . . . . Nicht eintragungsfähige Tatsachen . . . Wirkung der Eintragung . . . . . . . . . . . Art und Umfang der registerrechtlichen Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . VII. Entscheidung des Gerichts und Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Der Schutz des Begriffs „Handelsregister“ (Abs. 2) . . . . . . . . .
18 19 27 29 33 37 39
15
Schrifttum: Bärwaldt, Befreiung vom Verbot des Selbstkontrahierens, Rpfleger 1990, 102; Bormann/ Stelmaszczyk, Digitalisierung des Gesellschaftsrechts nach dem EU-Company Law Package, NZG 2019, 601; Bühler, Die Befreiung des Geschäftsführers der GmbH von § 181 BGB, DNotZ 1983, 588; Flume, Der Gewinn- und Verlustübernahmevertrag im GmbH-Recht, DB 1989, 665; Hauschild, § 181 BGB im Gesellschaftsrecht – eine heilige Kuh auf verlorenem Posten?, ZIP 2014, 954; Klose, Eintragung des Nießbrauchs am Kommanditanteil im Handelsregister?, DStR 1999, 807; Krafka, Zwischenruf zur Zwischenverfügung in Registersachen, NZG 2019, 9; Lieder, Digitalisierung des europäischen Unternehmensrechts, NZG 2018, 1081; Lindemeier, Die Eintragung des Nießbrauchs am Kommanditanteil im Handelsregister, RNotZ 2001, 155; Nedden-Boeger, Die Ungereimtheiten der FGG-Reform – eine kritische Bestandsaufnahme aus registerrechtlicher Sicht, FGPrax 2009, 144; Ries/Schulte, Umstrittene Eintragungsfähigkeit bestimmter Veränderungen in das Handelsregister – Fluch oder Segen für die beteiligten Gesellschaften? –, GmbHR 2013, 345; K. Schmidt, Handelsrecht – Unternehmensrecht I, 6. Aufl. 2014; Ulmer, Abschied vom Vorbelastungsverbot im Gründungsstadium der GmbH – Gelöste und ungelöste Fragen zum Recht der Vor-GmbH und der Vor-GmbH & Co. KG, ZGR 1981, 593.
I. Sinn und Zweck des Handelsregisters Das Handelsregister1 ermöglicht einen Einblick in Tatsachen und Rechtsverhältnisse von 1 Kaufleuten und Handelsgesellschaften, die als besonders bedeutsam gelten.2 Die dadurch erzeugte Publizität nimmt sowohl eine Informations- als auch eine Verkehrsschutzfunktion
1 Zu den historischen Hintergründen s. Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 1. 2 BGH v. 3.2.2015 – II ZB 12/14, BGH GmbHR 2015, 751 = ZIP 2015, 1064; Merkt in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 8 HGB Rz. 1; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 3; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 8 HGB Rz. 1. Grobe | 643
§ 8 HGB Rz. 1 | Handelsregister; Unternehmensregister wahr.3 Die Informationsfunktion wird u.a. dadurch gewährleistet, indem Dritte nach § 9 Abs. 1 Satz 1 HGB freien Zugriff auf Unternehmensdaten (auch in digitaler Form) haben. Ferner haben Dritte seit Einführung des Unternehmensregisters (§ 8b HGB) mittelbar Zugriff auf Eintragungen in das Handelsregister und weitere unternehmensbezogene Daten.4 2 Gleichzeitig erzeugen die im Handelsregister zur Verfügung gestellten Daten Klarheit über
die Existenz, Vertretungs- und Haftungsverhältnisse des eingetragenen Rechtsträgers und gewährleisten nach § 15 einen entsprechenden Schutz des Rechtsverkehrs.5 Eine vergleichbare Funktion üben das Genossenschafts- und Partnerschaftsregister aus.6 Ab 1.1.2024 wird auch für die Gesellschafter der GbR nach § 707 BGB n.F. die Möglichkeit bestehen, die GbR bei dem Gericht, in dessen Bezirk sie ihren Sitz hat, zur Eintragung in das Gesellschaftsregister anzumelden7, so dass auch dieses neu geschaffene Register einen entsprechenden Verkehrsschutz ermöglicht (vgl. § 707a Abs. 1 Satz 1 BGB). Dem Unternehmensregister (§ 8b HGB) wird hingegen eine mit § 15 HGB vergleichbare Schutzfunktion nicht zuteil.8 3 Information und Verkehrsschutz werden dadurch gestärkt, indem die zur Verfügung gestell-
ten Tatsachen nicht unkontrolliert im Handelsregister verlautbart werden.9 Neben der nach § 378 Abs. 3 FamFG vorgesehenen notariellen Vorabprüfung üben die Registergerichte vielmehr eine Kontrollfunktion aus, indem sie im Hinblick auf die angemeldeten Tatsachen nach Richtigkeit und Vollständigkeit prüfen.10 Das Prüfungsrecht des Registergerichts besteht dabei sowohl in formeller als auch in materieller Form.11 Eine Prüfung der einzutragenden Tatsache in materieller Hinsicht erfolgt allerdings nur, wenn im betreffenden Einzelfall begründete Zweifel oder erheblichen Bedenken an der Richtigkeit der angemeldeten Tatsache bestehen.12 4 Die europarechtlichen Einflüsse auf das Recht des Handelsregisters haben sich in den letzten
Jahren erheblich verstärkt. Dies betrifft vor allem – aber nicht nur – das Recht der Kapitalgesellschaften.13 Daneben wird vor allem das europäische System der Registervernetzung, welches in § 9b HGB geregelt ist, immer weiter vorangetrieben.14 Von besonderer Bedeutung ist der Wegfall des Bekanntmachungserfordernisses, der auf die Änderungen der GesR-RL durch das Company-Law-Package zurückzuführen ist.15
3 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 4 ff.; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 8 HGB Rz. 2 f. 4 Zum Hintergrund s. § 8b HGB Rz. 2; ferner Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 8 HGB Rz. 2. 5 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 8 HGB Rz. 1; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 4. 6 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 31; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 8 HGB Rz. 1. 7 Dazu Szalai, § 707 BGB Rz. 2. 8 Vgl. BT-Drucks. 16/960, 39; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 8 HGB Rz. 66. 9 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 8 HGB Rz. 4; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 10 ff. 10 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 5. 11 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 5, 97 ff. 12 BGH v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 352 f. = GmbHR 1991, 255 = ZIP 1991, 511; BayObLG v. 18.2.1988 – BReg 3 Z 154/87, BB 1988, 716, 717 = GmbHR 1988, 269; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 99; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 73 ff. 13 Vgl. Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 3. 14 Ausführlich dazu Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 3. 15 Vgl. Bormann/Stelmaszczyk, NZG 2019, 601; Lieder, NZG 2018, 1081.
644 | Grobe
Handelsregister | Rz. 9 § 8 HGB
II. Rechtsgrundlagen, Aufbau und Verfahren Das HGB schweigt darüber, wie das Handelsregister in concreto ausgestaltet sein soll und 5 nach welchen Regelungen Eintragungen erfolgen sollen. Diese Bestimmungen befinden sich in der Verordnung über die Führung des Handelsregisters (HRV)16. Es handelt sich bei der HRV um eine Rechtsverordnung, deren Rechtsgrundlage sich einerseits aus § 387 Abs. 2 FamFG und andererseits hinsichtlich des elektronischen Handelsregisters aus § 8a Abs. 2 HGB ergibt. Das Handelsregister ist grundsätzlich17 in die Abteilungen A und B aufgegliedert, §§ 3, 39 6 HRV. Während die Einzelkaufleute, die Personenhandelsgesellschaften oHG und KG, die juristischen Personen i.S.d. § 33 HGB und die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) nach § 3 Abs. 2 HRV in die Abteilung A eingetragen werden, sind die Aktiengesellschaft, die Kommanditgesellschaft auf Aktien, die GmbH und die Societas Europaea (SE) nach § 3 Abs. 3 HRV in Abteilung B einzutragen. Die Eintragung von Zweigniederlassungen ausländischer Rechtsträger orientiert sich an der Eintragung der entsprechenden deutschen Rechtsträger.18 Das Handelsregister wird gem. § 8 Abs. 1 HGB elektronisch geführt. §§ 47 ff. HRV regeln 7 die damit für das elektronische Handelsregister einhergehenden Anforderungen. Damit verbunden ist die Einreichung der notwendigen Dokumente in elektronischer Form.19 Die Registerverfahren sind Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, vgl. § 374 FamFG, so 8 dass das FamFG Anwendung findet.20 Auf die Verfahrensart – Eintragung aufgrund von Anmeldung oder von Amts wegen – kommt es nicht an. Für Gerichtskosten wie Gebühren und Auslagen und Notarkosten gilt das Gerichts- und No- 9 tarkostengesetz, § 1 GNotKG, das die KostO ab dem 1.8.2013 abgelöst hat.21 Zudem enthält § 58 GNotKG (§ 79a KostO) die Ermächtigung zum Erlass der Handelsregistergebührenverordnung (HRV). Die bloße Einsichtnahme in das Handelsregister beim jeweiligen Gericht ist grundsätzlich kostenfrei. Infolge des DiRUG wurde § 1 Abs. 2 Nr. 4 JVKostG a.F. mit Wirkung zum 1.8.2022 geändert, sodass auch der elektronische Abruf von Handelsregisterdaten kostenfrei ist.22 Ist der Vollzug der Anmeldung an die Zahlung eines Vorschusses geknüpft (§ 13 GNotKG), rechtfertigt die Nichtzahlung des Vorschusses die Zurückweisung der Anmeldung.23
16 Verordnung über die Einrichtung und Führung des Handelsregisters (Handelsregisterverordnung) vom 12.8.1937, RMBl. S. 515, BGBl. III, 315-320, zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.2.2023, BGBl. I 2023 Nr. 51. 17 Zu Abteilung C und dem Recht der DDR für volkseigene Betriebe s. KG v. 13.5.2020 – 22 W 73/14, ZIP 2020, 1664. 18 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 8 HGB Rz. 6. 19 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 8 HGB Rz. 7; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 12. 20 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 8 HGB Rz. 8; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 1. 21 Gesetz über Kosten der freiwilligen Gerichtsbarkeit für Gerichte und Notare vom 23.7.2013, BGBl. I 2013, 2586; zuletzt geändert durch Gesetz vom 31.10.2022, BGBl. I 2022, 1966. 22 S. Begr. RegE DiRUG, S. 170. 23 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 8 HGB Rz. 9. Grobe | 645
§ 8 HGB Rz. 10 | Handelsregister; Unternehmensregister
III. Zuständigkeit des Registergerichts 1. Sachliche Zuständigkeit 10 Nach Abs. 1 wird das Handelsregister von den Gerichten geführt. Seit Einführung und Etab-
lierung der elektronischen gerichtlichen Registerführung besteht kein Bedarf mehr für eine Auslagerung auf die Industrie- und Handelskammern.24 Da es sich bei der Führung des Handelsregisters um Registersachen nach § 374 Nr. 1 FamFG handelt, liegt die sachliche Zuständigkeit nach § 23a Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 GVG bei den AG.
2. Örtliche Zuständigkeit 11 Die örtliche Zuständigkeit ist in § 377 Abs. 1 FamFG geregelt. Danach ist das Gericht aus-
schließlich zuständig, in dessen Bezirk sich die Niederlassung des Einzelkaufmanns oder der Sitz der Gesellschaft befindet. Maßgeblich für die Personenhandelsgesellschaften ist als Sitz immer der Ort der tatsächlichen Geschäftsführung. Dies gilt selbst dann, wenn im Gesellschaftsvertrag ein abweichender Sitz festgeschrieben und im Handelsregister ein abweichender Sitz eingetragen ist.25 Erfolgt eine Anmeldung an ein örtlich unzuständiges Gericht, so ist die Anmeldung nach § 3 Abs. 1 FamFG an das örtlich zuständige Gericht zu verweisen. Die Zuständigkeit für die Eintragung von Zweigniederlassungen richtet sich nach § 13 und §§ 13d ff. HGB. 12 Nach der besonderen Zuständigkeitsregel des § 376 Abs. 1 FamFG ist grundsätzlich für Han-
delsregistersachen nach § 374 Nr. 1 FamFG das Gericht, in dessen Bezirk ein LG seinen Sitz hat, für den Bezirk dieses LG zuständig. Den Ländern steht es nach § 376 Abs. 2 FamFG frei, durch Rechtsverordnung die Führung des Registers anderen oder zusätzlichen Gerichten zu übertragen.26
3. Funktionelle Zuständigkeit 13 Handelsregistersachen sind nach der Vorbehaltsregel des § 3 Nr. 2 Buchst. d RPflG grund-
sätzlich dem Rechtspfleger übertragen, sofern nicht nach § 17 RPflG ein entsprechendes Geschäft dem Richter vorbehalten ist. Der Rechtspfleger entscheidet daher über Anträge und Anmeldungen auf Eintragung in das Handelsregister Abteilung A, über Eintragungen in das Genossenschafts-, Partnerschafts- und Vereinsregister und grundsätzlich über Anträge und Anmeldungen auf Eintragung in das Handelsregister Abteilung B. Ein Richtervorbehalt besteht bei Letzteren jedoch nach § 17 Abs. 1 RPflG für die Eintragung der AG, KGaA, GmbH, VVaG sowie die Eintragung von Satzungsänderungen der Gesellschaften. Die Länder haben nach der Öffnungsklausel des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 RPflG die Möglichkeit, weitere Geschäfte auf den Rechtspfleger zu übertragen.27 Die Zuständigkeit des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle folgt aus § 29 HRV.
24 Zu den Hintergründen s. Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 19; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 8 HGB Rz. 19. 25 Nedden-Boeger, FGPrax 2009, 144, 145; zustimmend Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 23. 26 Dass die Länder davon in erheblicher Weise Gebrauch gemacht haben, zeigt die Übersicht bei Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 8 HGB Rz. 21.1 ff. 27 Baden-Württemberg, Niedersachen, Rheinland-Pfalz und Thüringen haben bisher davon Gebrauch gemacht.
646 | Grobe
Handelsregister | Rz. 16 § 8 HGB
Ob ein Verstoß gegen die funktionelle Zuständigkeit von Bedeutung ist, richtet sich danach, 14 ob Richter oder Rechtspfleger in unzuständiger Weise gehandelt haben. Hat ein Richter die Tätigkeit eines Rechtspflegers wahrgenommen, so begründet dies nach § 8 Abs. 1 RPflG keinen Verstoß. Gleiches gilt nach § 8 Abs. 5 RPflG, wenn ein Rechtspfleger ein Geschäft eines Urkundsbeamten wahrgenommen hat. Nimmt hingegen der Rechtspfleger ein Geschäft wahr, das in der Zuständigkeit des Richters liegt, ist dieses nach § 8 Abs. 4 Satz 1 RPflG unwirksam. Der Richter ist weder berechtigt, die Entscheidung des Rechtspflegers zu heilen noch wird die unwirksame Entscheidung des Rechtspflegers zu einer wirksamen des Richters.28 Die Unwirksamkeit nach § 8 Abs. 4 Satz 1 RPflG kann auch nicht mit der Beschwerde geltend gemacht werden, da die Eintragung gem. § 383 Abs. 3 FamFG nicht anfechtbar und die Beschwerde daher nicht statthaft ist.29 Eine entsprechende Beschwerde ist als Anregung nach § 24 FamFG in eine Löschung vom Amts wegen nach § 395 FamFG umzudeuten, soweit sie nicht deklaratorisch und den Tatsachen entsprechend sachlich richtig ist.30
IV. Eintragungspflichtige, eintragungsfähige und nicht eintragungsfähige Tatsachen 1. Hintergrund und Terminologie Um der von dem Handelsregister wahrgenommenen Publikationsfunktion gerecht zu wer- 15 den, müssen die enthaltenen Informationen übersichtlich und vergleichbar sein.31 Diese Funktion wäre gefährdet, wenn der Betroffene nach Belieben festlegen könnte, was im Handelsregister einzutragen sei. Daher sind grundsätzlich nur solche Tatsachen als eintragungsfähig anzusehen, die per Gesetz – dem HGB oder einem Nebengesetz – eine Eintragung vorsehen.32 Daneben erfasst der Begriff der eintragungsfähigen Tatsachen auch Rechtsverhältnisse, die sich aus der rechtlichen Beurteilung tatsächlicher Vorgänge ergeben.33 Zwar soll das Handelsregister über wesentliche Unternehmensdaten informieren, jedoch ist nicht alles, was im unternehmerischen Verkehr als bedeutsam angesehen wird, auch in das Handelsregister einzutragen.34 Als wesentlich sind die Existenz sowie die Vertretungs- und Haftungsverhältnisse des eingetragenen Rechtsträgers anzusehen.35 Hervorzuheben ist dabei zudem, dass sich die Eintragungsfähigkeit einer Tatsache nicht da- 16 rauf beschränkt, ob das Gesetz die Eintragung ausdrücklich vorsieht. Rechtsprechung und Literatur haben in der Vergangenheit weitere nicht vom Gesetz geregelte Fälle eintragungsfähiger Tatsachen zugelassen.36 Maßgeblich ist danach, ob Sinn und Zweck des Handelsregisters die Eintragung erfordern.37 Dies wird nach der Rechtsprechung dann angenommen, wenn aus Sicht des Rechtsverkehrs ein sachliches Bedürfnis besteht, die eingetragenen Rechtsverhältnisse so wiederzugeben, wie sie sich nach der von den Beteiligten gewollten
28 Vgl. BayObLG v. 17.3.1959 – BReg. 2 Z 187/58, NJW 1959, 1042. 29 A.A. OLG Düsseldorf v. 17.3.2011 – 3 Wx 6/11, FGPrax 2011, 158; kritisch Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 26. 30 Vgl. Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 26; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 8 HGB Rz. 25. 31 Vgl. Koch/Harnos in GK-HGB, Staub, § 8 HGB Rz. 31. 32 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 8 HGB Rz. 11; Merkt in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 8 HGB Rz. 1; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 32. 33 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 32. 34 K. Schmidt, HandelsR, § 13 Rz. 8; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 33. 35 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 33. 36 Zu Historie und Entwicklung s. Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 37 f. 37 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 37. Grobe | 647
§ 8 HGB Rz. 16 | Handelsregister; Unternehmensregister und mit der Rechtsordnung zu vereinbarenden Sachlage darstellen.38 Fehlt es bereits an der Eintragungsfähigkeit, ist die Anmeldung zurückzuweisen. 17 Die in der Praxis etablierte Terminologie findet sich nicht im Gesetz wieder. Sieht das Gesetz
neben der Eintragungsfähigkeit einer Tatsache auch einen Zwang zur Eintragung (besser Anmeldung) vor, spricht man von der Eintragungspflichtigkeit der Tatsache (eigentlich Anmeldungspflichtigkeit). Fehlt ein solcher Zwang, handelt es sich um eine nur eintragungsfähige Tatsache.39 Den Gegenpol zur eintragungsfähigen Tatsache bildet die nicht eintragungsfähige Tatsache, wobei hier herzhaft gestritten werden kann, wann eine Tatsache eintragungsfähig ist oder nicht.40
2. Eintragungspflichtige Tatsachen 18 Eintragungen, die zur Identifizierung des Rechtsträgers dienen (§§ 29, 31, 33, 34 Abs. 1,
§§ 106, 141, 151, 152, 162 HGB) oder die Vertretung betreffen (Prokura nach § 53 HGB; Bestellung von Liquidatoren nach §§ 146, 147 HGB) begründen per Gesetz eine Anmeldepflicht, deren Erfüllung durch das Registergericht erzwungen werden kann, § 14 HGB. Davon abzugrenzen sind Tatsachen, die von Amts wegen einzutragen sind, was in den meisten Fällen bei Insolvenzsachverhalten der Fall ist, § 32 HGB.41
3. Eintragungsfähige Tatsachen 19 Tatsachen sind entweder per Gesetz eintragungsfähig oder wurden von der Rechtsprechung
als eintragungsfähig anerkannt. Zu den gesetzlich geregelten nur eintragungsfähigen Tatsachen zählen die Eintragungsmöglichkeit nach § 2 Abs. 2 Satz 2 HGB des Kannkaufmanns, die Eintragungsmöglichkeit nach § 3 Abs. 2 und 3 HGB bei Betreiben von Land- und Forstwirtschaft, die Haftungsbeschränkung des Erwerbers nach § 25 Abs. 2 HGB sowie die Haftungsbeschränkung des Beitretenden nach § 28 Abs. 2 HGB. Liegt eine ordnungsgemäße Anmeldung vor, trifft das Registergericht die Pflicht, die Eintragung auszuführen.42 20 Eintragungsfähig sind auch diejenigen Tatsachen, deren Eintragungsfähigkeit sich nicht be-
reits aus dem Gesetz ergibt, sondern bei denen die Eintragung nach Sinn und Zweck des Handelsregisters geboten erscheint, da sowohl für die Beteiligten als auch für den Rechtsverkehr ein sachliches Bedürfnis besteht (vgl. bereits Rz. 16). Eine andere Frage betrifft den Umstand, ob die Eintragung auch durch das Registergericht erzwingbar ist. Bei den von der
38 Vgl. BGH v. 28.2.1983 – II ZB 8/82, BGHZ 87, 59, 61 f. = GmbHR 1983, 269 = ZIP 1983, 568 (Gestattung des Selbstkontrahierens als eintragungspflichtige Tatsache); BGH v. 10.11.1997 – II ZB 6/ 97, NJW 1998, 1071 = GmbHR 1998, 181 = ZIP 1998, 152 (keine Eintragung eines Stellvertreterzusatzes für GmbH-Geschäftsführer); aus der jüngeren Rechtsprechungspraxis KG v. 24.3.2014 – 12 W 43/12, FGPrax 2014, 217 = GmbHR 2014, 756 = ZIP 2014, 968 (keine Eintragungsfähigkeit eines Teilgewinnabführungsvertrages); OLG Düsseldorf v. 26.10.2009 – 3 Wx 142/09, FGPrax 2010, 85 (keine Eintragung ausländischer Zweigniederlassungen inländischer Unternehmen); zuletzt BGH v. 31.1.2023 – II ZB 10/22, NZG 2023, 508 (keine Eintragung des Gewinnabführungsvertrags im Handelsregister der Obergesellschaft). 39 Ausführlich und kritisch Koch/Harnos in Staub, § 8 HGB Rz. 33. 40 Dazu insbesondere Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 65 – Eintragungsfähigkeit der Testamtsvollstreckung über Kommanditanteil sowie des Nießbrauchs. 41 Dazu Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 27. 42 Für eine weitere Differenzierung nach erzwingbar und nicht erzwingbar anmeldepflichtigen Tatsachen s. Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 36.
648 | Grobe
Handelsregister | Rz. 22 § 8 HGB
Rechtsprechung anerkannten eintragungsfähigen Tatsachen ist deshalb danach zu differenzieren, ob die Eintragung der Tatsache deklaratorische oder konstitutive Wirkung entfaltet. Bei Eintragungen mit deklaratorischer Wirkung werden Umstände wiedergegeben, die be- 21 reits außerhalb des Registers wirksam erfolgt sind. Aufgrund des damit geschaffenen Risikos für den Rechtsverkehr kann das Registergericht die Eintragung (bzw. Anmeldung) nach § 14 HGB erzwingen.43 Es handelt sich dann auch um eintragungspflichtige Tatsachen im Sinne von Rz. 18, mit der Besonderheit, dass keine ausdrückliche gesetzlich normierte Pflicht zur Anmeldung/Eintragung existiert, jedoch die Rechtsprechung eine solche anerkennt. Beispiele: Eintragungsfähig sind nachträgliche Veränderungen zu den im Handelsregister 22 eingetragenen Personalien, da dies dem Zweck des Handelsregisters hinsichtlich einer korrekten Auskunft entspricht.44 Darunter fallen auch Doktortitel.45 Richtigerweise handelt es sich dabei auch um erzwingbare anmeldepflichtige Tatsachen.46 Gleiches gilt grundsätzlich für die (generelle oder eingeschränkte47) Befreiung des Verbots zum Selbstkontrahieren und der Mehrfachvertretung nach § 181 BGB für den Geschäftsführer einer GmbH.48 Für Vorstandsmitglieder der AG kommt eine Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB aufgrund von § 112 AktG nur hinsichtlich des Verbots der Mehrfachvertretung in Betracht.49 Die Befreiung vom Verbot des Selbstkontrahierens ist sowohl für die vertretungsberechtigten Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft als auch für die Prokuristen eine zulässige eintragungsfähige Tatsache, da die abstrakte Erlaubnis zur Erweiterung der organschaftlichen bzw. rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht dem Rechtsverkehr bekannt gemacht werden muss.50 Sie ist zudem erzwingbar.51 Die Erweiterung der Prokura nach § 49 Abs. 2 HGB zur Veräußerung und Belastung von Grundstücken stellt ebenfalls eine zur Anmeldung erzwingbare eintragungsfähige Tatsache dar.52 Hinsichtlich der Befreiung von § 181 BGB bei der GmbH & Co. KG ist zu berücksichtigen, dass nicht nur die Komplementäre, sondern auch deren Geschäftsführer durch die Kommanditgesellschaft befreit werden können.53 Dies gilt ebenso, wenn als Komplementär eine ausländische Kapitalgesellschaft fungiert.54 Bei der AG & Co. KG findet § 112 AktG keine Anwendung.55 Auch die Vor-GmbH kann als Komplementärin in das Handelsregister Abteilung A eingetragen werden, wobei der Zusatz „in Gründung“ erfolgen muss, der bei Eintragung der GmbH selbst in Abteilung B nach Antrag
43 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 39. 44 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 46; Schaub in Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn, 4. Aufl. 2020, § 8 HGB Rz. 121. 45 BGH v. 4.4.2017 – II ZB 10/16, NZG 2017, 734 Rz. 22 = ZIP 2017, 1067 = GmbHR 2017, 707. 46 Differenzierend Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 46; Schaub in Ebenroth/ Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 8 HGB Rz. 121 f. 47 Dazu Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 51. 48 Schaub in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 8 HGB Rz. 77 ff.; dazu Bühler, DNotZ 1983, 588, 593; Bärwaldt, Rpfleger 1990, 102; Hauschild, ZIP 2014, 954. 49 Schaub in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 8 HGB Rz. 85. 50 Vgl. BayObLG v. 14.7.1980 – BReg 1 Z 17/80, BayObLGZ 1980, 195, 201 = ZIP 1980, 901 = GmbHR 1981, 14; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 55. 51 Ebenso BayObLG v. 14.7.1980 – BReg 1 Z 17/80, BayObLGZ 1980, 195, 201 = ZIP 1980, 901 = GmbHR 1981, 14; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 55; a.A. OLG Hamm v. 21.2.1983 – 15 W 87/82, MDR 1983, 673. 52 BayObLG v. 15.2.1971 – BReg. 2 Z 83/70, BayObLGZ 1971, 55, 56 = NJW 1971, 810; Canaris, HandelsR, 24. Aufl., § 4 Rz. 9; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 58. 53 OLG Frankfurt v. 28.7.2006 – 20 W 191/06, FGPrax 2006, 273, Rpfleger 2007, 31 = ZIP 2006, 1673; OLG Düsseldorf v. 29.9.2004 – 3 Wx 125/04, FGPrax 2005, 8; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 56. 54 OLG Frankfurt v. 28.7.2006 – 20 W 191/06, FGPrax 2006, 273. 55 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 56. Grobe | 649
§ 8 HGB Rz. 22 | Handelsregister; Unternehmensregister der Beteiligten entfällt.56 Wird eine bereits aufgelöste Personenhandelsgesellschaft während der Liquidation wieder fortgesetzt, so ist dies nach § 142 Abs. 3 HGB analog von allen Gesellschaftern anzumelden.57 23 Vor allem im Recht der Unternehmensverträge hat die Rechtsprechung58 auch solche Um-
stände als eintragungsfähig anerkannt, deren Eintragung konstitutive Wirkung entfaltet.59 Die Eintragung setzt in diesem Fall ein dringendes Bedürfnis voraus, wobei der maßgebliche Zeitpunkt die tatsächliche Eintragung der Tatsache ist.60 Die Rechtsprechung hat hierbei auf § 54 Abs. 3 GmbHG analog als normative Grundlage abgestellt, da die Wirksamkeit des Beherrschung- bzw. Gewinnabführungsvertrags erst mit Eintragung Wirksamkeit erlangt. Eine erzwingbare Anmeldepflicht besteht hingegen nicht. Die hierzu aufgestellten Grundsätze sind auf Unternehmensverträge bei beherrschten Personengesellschaften nicht übertragbar, da die Änderung des Gesellschaftsvertrags – mit Ausnahme von Firma, Sitz und den organschaftlichen Vertretungsregelungen – nicht im Handelsregister einzutragen sind.61 24 Beispiele: Eintragungsfähig ohne erzwingbare Anmeldepflicht ist im Übrigen die Bezeich-
nung als Vorstandsvorsitzender einer AG bzw. einer SE. Da die Bezeichnung „Steuerberater“ oder „Wirtschaftsprüfer“ nach den berufsrechtlichen Bestimmungen im Rechtsverkehr geführt werden muss (vgl. § 43 StBerG, § 18 WPO), sind auch diese Berufsbezeichnungen im Handelsregister einzutragen.62 Geht ein Kommanditanteil im Wege der Gesamtrechts- oder Sonderrechtsnachfolge auf einen neuen Kommanditisten über, so ist ein entsprechender Vermerk auf die Nachfolge einzutragen.63
25 Schwierig ist der Umgang mit der Eintragung von Testamentsvollstreckervermerken. Un-
streitig ist dabei die Behandlung der sog. „Treuhandlösung“: Bei dieser erfolgt die Eintragung des Testamentsvollstreckers im Handelsregister als Inhaber, wenn er im eigenen Namen ein Handelsgeschäft führt und die Testamentsvollstreckung nicht offenlegt.64 Hingegen verneint die h.M. die Eintragung eines Vermerks der Testamentsvollstreckung bei einem einzelkaufmännischen Unternehmen65 sowie im Hinblick auf die Beteiligung eines persönlich haftenden Gesellschafters einer oHG und KG.66 Ist allerdings für den Nachlass
56 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129 = NJW 1981, 1373 = GmbHR 1981, 114 = ZIP 1981, 394; Ulmer, ZGR 1981, 593, 617; Schaub in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 8 HGB Rz. 123. 57 Schaub in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 8 HGB Rz. 115; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 59. 58 BGH v. 24.10.1988 – II ZB 7/88, BGHZ 105, 324 = NJW 1989, 295 – Supermarkt; dazu Flume, DB 1989, 665 = GmbHR 1989, 25 = ZIP 1989, 29; Schaub in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 8 HGB Rz. 103 ff. 59 Vgl. ausführlich zur Wirksamkeit von Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 43; Schaub in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 8 HGB Rz. 103 ff.; s. auch BGH v. 31.1.2023 – II ZB 10/22, NZG 2023, 508 (keine Eintragung des Gewinnabführungsvertrags im Handelsregister der Obergesellschaft). 60 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 42. 61 OLG Köln v. 23.10.2019 – 18 Wx 16/19, FGPrax 2019, 265; OLG München v. 8.2.2011 – 31 Wx 2/ 11, RNotZ 2011, 365; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 8 HGB Rz. 13; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 44. 62 Schaub in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 8 HGB Rz. 112. 63 BGH v. 19.9.2005 – II ZB 11/04, NZG 2006, 15 = ZIP 2005, 2257 = DNotZ 2006, 135; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 63. 64 RG v. 26.3.1931 – IIb 5/31, RGZ 132, 138, 140 ff.; Merkt in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 8 HGB Rz. 5; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 55; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 46. 65 RG v. 26.3.1931 – IIb 5/31, RGZ 132, 138. 66 RG v. 4.3.1943 – II 113/42, RGZ 170, 392, 394; BGH v. 11.4.1957 – II ZR 182/55, BGHZ 24, 106, 112 f.
650 | Grobe
Handelsregister | Rz. 27 § 8 HGB
eines Kommanditisten die Dauertestamentsvollstreckung angeordnet, so handelt es sich – entgegen vereinzelter Kritik67 – um eine eintragungsfähige Tatsache.68 Es liegt dann gerade kein reines Internum vor, sondern ein Umstand, der für den Rechtsverkehr und eine mögliche Haftung von Relevanz ist.69 Infolge dieser Entwicklungen wurde die Frage aufgeworfen, inwiefern die Eintragung eines 26 Nießbrauchs an einem Kommanditanteil eine eintragungsfähige Tatsache darstellt. Literatur als auch obergerichtliche Rechtsprechung weisen differente Ansätze auf,70 die vor allem an der materiellen Stellung des Nießbrauchers anknüpfen.71 Da dieser zumindest bei Grundsatzentscheidungen maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidungsfindung innerhalb der Gesellschaft nimmt, liegt eine ins Handelsregister einzutragende Tatsache vor.
4. Nicht eintragungsfähige Tatsachen Als nicht eintragungsfähig gelten der Unternehmensgegenstand von oHG und KG72 sowie 27 Berufsbezeichnungen73 oder handelsrechtliche Vollmachten74 mit Ausnahme der Prokura. Da das Gesetz eine „Generalvollmacht“ nicht kennt und in der Praxis unterschiedliche Ausgestaltungen auftreten können, ist es überzeugend, auch hier die Eintragungsfähigkeit zu verneinen.75 Gleiches gilt im Hinblick auf eine Vollmacht, die dem Kommanditisten qua gesellschaftsvertraglicher Vereinbarung erteilt wurde.76 Auch eine Regelung, nach der Kommanditisten ihre Rechte nur durch einen gemeinsamen Vertreter wahrnehmen können, ist – mangels relevanter Außenwirkung – nicht eintragungsfähig.77 In den Fällen des § 25 Abs. 2 sowie § 28 Abs. 2 HGB erfolgt die Eintragung eines Haftungsausschlusses nur im Register des die Firma fortführenden Rechtsträgers; nicht hingegen im Register des die Firma übertragenden Rechtsträgers.78
67 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 65. 68 BGH v. 14.2.2012 – II ZB 15/11, DStR 2012, 866 = ZEV 2012, 335 m. Anm. Zimmermann; Ries/ Schulte, GmbHR 2013, 345, 346 = ZIP 2012, 623; Schaub in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 8 HGB Rz. 124; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 46. 69 Schaub in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 8 HGB Rz. 124; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 46. 70 Die Eintragungsfähigkeit befürwortend: OLG Stuttgart v. 28.1.2013 – 8 W 25/13, ZIP 2013, 624; OLG Oldenburg v. 9.3.2015 – 12 W 51/15, ZIP 2015, 1173; Klose, DStR 1999, 807 f.; Lindemeier, RNotZ 2001, 155, 157 f.; Kindler in Koller/Kindler/Roth/Drüen, 9. Aufl. 2019, § 105 HGB Rz. 23; die Eintragungsfähigkeit ablehnend: OLG München v. 8.8.2016 – 31 Wx 204/16, AG Mainz v. 22.4.2015 – 84 C 283/14, ZIP 2015, 1675 = GmbHR 2016, 1267 m. Anm. Wachter; Schaub in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 8 HGB Rz. 126a, Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 65. 71 OLG Oldenburg v. 9.3.2015 – 12 W 51/15, ZIP 2015, 1173. 72 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 65; Schaub in Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn, 4. Aufl. 2020, § 8 HGB Rz. 75; Koch/Harnos in Staub, § 8 HGB Rz. 51; Merkt in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 8 HGB Rz. 5. 73 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 45; Schaub in Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn, 4. Aufl. 2020, § 8 HGB Rz. 75. 74 OLG Frankfurt v. 18.3.1976 – 20 W 141/76, BB 1976, 569; Schaub in Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn, 4. Aufl. 2020, § 8 HGB Rz. 75; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 51; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 66. 75 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 66; Schaub in Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn, 4. Aufl. 2020, § 8 HGB Rz. 75. 76 OLG Frankfurt v. 26.9.2005 – 20 W 192/05, FGPrax 2006, 82 = GmbHR 2006, 265 = ZIP 2006, 904; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 65. 77 OLG Hamm v. 26.4.1952 – 15 W 73/52, MDR 1952, 549. 78 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 67. Grobe | 651
§ 8 HGB Rz. 28 | Handelsregister; Unternehmensregister 28 In familienrechtlicher Hinsicht ist auch die gesetzliche Vertretung eines Minderjährigen
nicht eintragungsfähig79 sowie güterrechtliche Beschränkungen80 als auch die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts eines unter Betreuung stehenden Inhabers eines Handelsgeschäfts nach § 1903 Abs. 1 BGB.81 Ferner sind die Eintragung eines Nacherbenvermerks82 sowie die Eintragung einer Beschränkung83 der Vertretungsmacht von Miterben einer ungeteilten Erbengemeinschaft nicht möglich.
V. Wirkung der Eintragung 29 Das Registerrecht differenziert zwischen deklaratorischen (bekundenden) und konstitutiven
(begründenden) Eintragungen. Eine deklaratorisch wirkende Eintragung gibt Umstände wieder, die bereits außerhalb des Registers wirksam erfolgt sind. Darunter fallen Erteilung und Widerruf der Prokura, Bestehen einer oHG nach § 105 Abs. 1 HGB, Ein- und Austritt von Gesellschaftern bei Personenhandelsgesellschaften sowie Bestellung und Abberufung eines Geschäftsführers nach § 39 GmbHG. 30 Eine Eintragung hat konstitutive Wirkung, wenn der Umstand erst mit Eintragung im Han-
delsregister Wirksamkeit erlangt. Dies gilt bspw. für die Eintragung eines Kannkaufmanns nach §§ 2, 3 HGB oder einer oHG nach § 107 Abs. 1 HGB, oder für die Eintragung einer Haftungsbeschränkung nach § 25 Abs. 2 HGB. Ferner bestehen die Kapitalgesellschaften wie GmbH und AG als solche erst mit der Eintragung, vgl. § 13 Abs. 1 GmbHG, § 41 Abs. 1 Satz 1 AktG, so dass auch diese konstitutiver Natur ist. 31 Die Eintragung einer eintragungsfähigen Tatsache wirkt – unabhängig ob sie durch Anmel-
dung oder von Amts wegen erfolgt84 – unmittelbar und erlangt Wirksamkeit, sobald sie in den für die Handelsregistereintragungen bestimmten Datenspeicher aufgenommen ist und auf Dauer inhaltlich unverändert in lesbarer Form wiedergegeben werden kann, § 8a Abs. 1 HGB. Eine Beseitigung kann nur mit Wirkung für die Zukunft nach § 395 FamFG von Amts wegen erfolgen.85 Eine Beschwerde ist wegen der Unanfechtbarkeit der Eintragung nach § 383 Abs. 3 FamFG nicht statthaft.
32 Wird eine nicht eintragungsfähige Tatsache dennoch ins Handelsregister eingetragen, so
entfaltet die Eintragung keine Wirkung mit der Folge, dass der Schutz des § 15 HGB nicht zur Anwendung kommt.86 Die Tatsache ist nach § 395 FamFG von Amts wegen zu löschen.87 Dennoch kann die allgemeine Rechtsscheinhaftung zur Anwendung kommen.88
79 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 66. 80 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 66; Schaub in Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn, 4. Aufl. 2020, § 8 HGB Rz. 75; Merkt in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 8 HGB Rz. 5. 81 Roth in Koller/Kindler/Roth/Drüen, 9. Aufl. 2019, § 8 HGB Rz. 10; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 66. 82 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 64; Schaub in Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn, 4. Aufl. 2020, § 8 HGB Rz. 75. 83 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 66. 84 Vgl. BGH v. 9.3.2021 – II ZB 33/20, ZIP 2021, 1213 = GmbHR 2021, 756 m. Anm. Wachter. 85 Vgl. KG v. 8.7.2021 – 22 W 1039/20, NZG 2021, 1401. 86 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 8 HGB Rz. 16; Merkt in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 8 HGB Rz. 5. 87 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 8 HGB Rz. 16; 88 Vgl. BGH v. 1.7.1991 – II ZR 292/90, WM 1991, 1466 f.; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/ Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 8 HGB Rz. 26; Koch/Harnos in Staub, § 8 HGB Rz. 51.
652 | Grobe
Handelsregister | Rz. 35 § 8 HGB
VI. Art und Umfang der registerrechtlichen Prüfung Aus der den Registergerichten zugeordneten Kontrollfunktion, ob die angemeldeten Tatsa- 33 chen vollständig und richtig sind89, resultiert ein Prüfungsrecht, das mit der Prüfungspflicht einhergeht. Das Prüfungsrecht reicht nicht weiter als die Prüfungspflicht.90 Das Prüfungsrecht besteht sowohl in formeller als auch in materieller Form.91 Zunächst müssen die formellen Eintragungsvoraussetzungen gegeben sein. Dazu zählen 34 neben der Existenz einer Anmeldung die sachliche und örtliche Zuständigkeit des Gerichts.92 Nur in Ausnahmefällen ist die Eintragung von Amts wegen gegeben.93 Ferner hat das Gericht zu prüfen, ob die zur Anmeldung verpflichteten oder berechtigten Personen angemeldet haben und die Form der Anmeldung nach § 12 Abs. 1 Satz 1 HGB sowie die Vollmacht nach § 12 Abs. 1 Satz 2 HGB gewahrt sind. Ebenfalls müssen die zur Anmeldung erforderlichen Dokumente (Gesellschaftervertrag, Gesellschafterliste, Gesellschafterbeschlüsse etc.) in der Form des § 12 Abs. 2 Satz 2 HGB beigefügt werden.94 Ferner ist zu prüfen, ob die Rechtsnachfolger eines Beteiligten die Rechtsnachfolge durch öffentliche Urkunden nachgewiesen haben, § 12 Abs. 1 Satz 4 HGB.95 Zudem ist die Erteilung und das Wirksamwerden einer erforderlichen familiengerichtlichen Genehmigung Gegenstand der Prüfung.96 Von wesentlicher Bedeutung ist die Prüfung, ob die angemeldete Tatsache eintragungsfähig ist. Ist dies nicht der Fall, so ist die Eintragung durch Beschluss abzulehnen.97 Eine materielle Prüfung der einzutragenden Tatsache durch das Registergericht erfolgt aller- 35 dings nur, wenn im betreffenden Einzelfall begründete Zweifel oder erheblichen Bedenken an der Richtigkeit der angemeldeten Tatsache bestehen.98 Das Gericht hat die Anmeldung auf ihre Plausibilität zu prüfen. Maßgeblich ist, ob die Eintragung schlüssig dargelegt und aufgrund der Erfahrung des Gerichts an sich glaubwürdig ist.99 Für Genehmigungen gilt hingegen die Plausibilitätskontrolle nicht, da das Registergericht an die behördliche Entscheidung gebunden ist.100 Die Prüfungskompetenz beschränkt sich auf die erforderlichen Eintragungen. Sie findet dort ihre Grenze, wo das Gericht über die Eintragungen hinaus prüft und die Eintragung hiervon abhängig macht.101 So sind Umstände nicht zu berücksichtigen, die die sachliche Richtigkeit der Anmeldung nicht berühren – etwa die Nichtbeachtung gesellschaftsinterner Zustimmungserfordernisse bei Bestellung der Prokura.102 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100 101 102
Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 5. Schaub in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 8 HGB Rz. 137. Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 5, 97 ff. Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 68. Krafka, RegisterR, 11. Aufl. 2019, Rz. 400 ff. Schaub in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 8 HGB Rz. 134; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 69. OLG Bremen v. 15.4.2014 – 2 W 22/14, FGPrax 2014, 219; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 68. Schaub in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 8 HGB Rz. 134; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 69. Zu den möglichen Rechtsmitteln s. Rz. 38. BGH v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 352 f. = GmbHR 1991, 255 = ZIP 1991, 511; BayObLG v. 18.2.1988 – BReg 3 Z 154/87, BB 1988, 716, 717 = GmbHR 1988, 269; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 99; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 73 ff. Schaub in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 8 HGB Rz. 140; Müther in BeckOK/ HGB, Stand: 15.1.2023, § 8 HGB Rz. 37. BGH v. 9.11.1987 – II ZB 49/87, BGHZ 102, 209, 216 f. = DNotZ 1988, 506 = GmbHR 1988, 135 = ZIP 1988, 433; Schaub in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 8 HGB Rz. 141; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 73. Ausführlich Schaub in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 8 HGB Rz. 137. Schaub in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 8 HGB Rz. 142. Grobe | 653
§ 8 HGB Rz. 35 | Handelsregister; Unternehmensregister Nur im Fall des offensichtlichen Missbrauchs der organschaftlichen Vertretungsbefugnis ist der Registerrichter zur Prüfung berechtigt.103 Ferner begründen unklare, missverständliche oder widersprüchliche Formulierungen in Gesellschaftsverträgen kein Prüfungsrecht des Registerrichters.104 Ebenso sind wirtschaftliche Erwägungen unbeachtlich.105 Das Registergericht hat allein die zwingenden gesetzlichen Anforderungen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen.106 36 Maßgeblicher Zeitpunkt der Prüfung ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Anmeldung.107
Ausnahmsweise kann das Registergericht bei sachlich begründeten Zweifeln, ob die Eintragungsvoraussetzungen nach Anmeldung weggefallen sind, berechtigt sein, weitere Nachweise zu verlangen.108
VII. Entscheidung des Gerichts und Rechtsbehelfe 37 Dem Registergericht stehen nach Stellung und Eingang des Antrags verschiedene Entschei-
dungsmöglichkeiten zur Verfügung, § 25 Abs. 1 HRV. Ist die Anmeldung unvollständig oder weist sie andere behebbare Mängel auf, so kann das Gericht zur Behebung dieser Mängel eine Zwischenverfügung erlassen, § 382 Abs. 4 FamFG.109 Der Antragsteller hat dann innerhalb einer vom Gericht gesetzten Frist die Möglichkeit, den Mangel zu heilen. Eine solche Zwischenverfügung darf jedoch nur ergehen, wenn es sich überhaupt um einen heilungsfähigen Mangel handelt.110 Liegt hingegen ein nicht behebbares Eintragungshindernis vor – etwa eine nicht eintragungsfähige Tatsache – so wird die Eintragung nach § 382 Abs. 3 FamFG durch Beschluss abgelehnt.111 Ferner kann das Eintragungsverfahren nach § 21 Abs. 1 FamFG oder § 381 FamFG ausgesetzt werden. Sind hingegen keine Beanstandungen ersichtlich, wird die Eintragung verfügt oder selbst vorgenommen (§ 27 Abs. 1 HRV). Eines Beschlusses bedarf es dann nicht, da das Verfahren mit Vornahme der Eintragung abgeschlossen ist, § 382 Abs. 1 FamFG. 38 Dem Antragsteller steht das Rechtsmittel der Beschwerde zur Verfügung, wenn der Eintra-
gungsantrag durch Beschluss (§ 382 Abs. 3 FamFG, §§ 58 ff. FamFG) abgelehnt oder eine Zwischenverfügung nach § 382 Abs. 4 FamFG erlassen wurde. Gegenüber einer Aussetzung nach § 21 Abs. 1 FamFG ist die sofortige Beschwerde nach § 21 Abs. 2 FamFG i.V.m. §§ 567 ff. ZPO statthaft. Wird aufgrund der Anmeldung die Eintragung bzw. Löschung vollzogen, ist diese Entscheidung unanfechtbar.112 Zuständiges Gericht gegen Entscheidungen des Richters oder Rechtspflegers (§ 11 Abs. 1 RPflG) ist nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG das OLG. Die Rechtsmittelfrist beträgt einen Monat, § 63 FamFG. In der Begründetheit 103 K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2021, § 46 GmbHG Rz. 127, 132; Schaub in Ebenroth/ Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 8 HGB Rz. 142; Noack in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 46 GmbHG Rz. 55. 104 OLG Köln v. 1.7.1981 – 2 Wx 31/81, GmbHR 1982, 187, 188; BayObLG v. 8.2.1985 – 3Z BR 12/ 85, BB 1985, 545, 546 = GmbHR 1985, 261; Wicke in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 9c GmbHG Rz. 8. 105 Schaub in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 8 HGB Rz. 145. 106 Schaub in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 8 HGB Rz. 143. 107 OLG Nürnberg v. 26.1.2015 – 12 W 46/15, ZIP 2015, 1630 = GmbHR 2015, 196; Schaub in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 8 HGB Rz. 147. 108 Koch, § 38 AktG Rz. 4; Schaub in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 8 HGB Rz. 148. 109 Krafka, NZG 2019, 9; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 89; Schaub in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 8 HGB Rz. 179. 110 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 89. 111 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 89. 112 BGH v. 21.3.1988 – II ZB 69/87, BGHZ 104, 61 = NJW 1988, 1840 = ZIP 1988, 702; Schaub in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 8 HGB Rz. 182.
654 | Grobe
Eintragungen in das Handelsregister; Verordnungsermächtigung | § 8a HGB
der Beschwerde können auch Verstöße gegen das HRV von Relevanz sein. Gegen die Entscheidung des Beschwerdegerichts kann die Rechtsbeschwerde nach §§ 70 ff. FamFG statthaft sein.
VIII. Der Schutz des Begriffs „Handelsregister“ (Abs. 2) Die Regelung untersagt das Inverkehrbringen von Datensammlungen, die den Begriff „Han- 39 delsregister“ verwenden oder beifügen. Hintergrund ist der Schutz vor privaten Registern, da der Verkehrsschutz des § 15 HGB nur für das echte Handelsregister gilt.113 Eine ähnliche Bestimmung enthalten Genossenschafts- (§ 10 Abs. 3 GenG), Partnerschafts- (§ 5 Abs. 2 PartGG) und Gesellschaftsregister (§ 707b BGB Rz. 17 f.). Hingegen fehlt eine solche Bestimmung im Unternehmensregister (§ 8b HGB).114 Wettbewerbsrechtliche Vorschriften sind ebenfalls anwendbar.115
§ 8a HGB Eintragungen in das Handelsregister; Verordnungsermächtigung (1) Eine Eintragung in das Handelsregister wird wirksam, sobald sie in den für die Handelsregistereintragungen bestimmten Datenspeicher aufgenommen ist und auf Dauer inhaltlich unverändert in lesbarer Form wiedergegeben werden kann. (2) 1Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung nähere Bestimmungen über die elektronische Führung des Handelsregisters, die elektronische Anmeldung, die elektronische Einreichung von Dokumenten sowie deren Aufbewahrung zu treffen, soweit nicht durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz nach § 387 Abs. 2 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechende Vorschriften erlassen werden. 2Dabei können sie auch Einzelheiten der Datenübermittlung regeln sowie die Form zu übermittelnder elektronischer Dokumente festlegen, um die Eignung für die Bearbeitung durch das Gericht sicherzustellen. 3Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen. I. Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Wirksamkeit der Eintragung (Abs. 1) . . .
1 2
III. Verordnungsermächtigung (Abs. 2) . . . .
4
Schrifttum: Schulz, Informelle Abstimmungen mit dem Handelsregister, NJW 2016, 1483.
113 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 8 HGB Rz. 66, a.A. Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 98. 114 Vgl. BT-Drucks. 16/960, 39. 115 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 98; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 8 HGB Rz. 66. Grobe | 655
Eintragungen in das Handelsregister; Verordnungsermächtigung | § 8a HGB
der Beschwerde können auch Verstöße gegen das HRV von Relevanz sein. Gegen die Entscheidung des Beschwerdegerichts kann die Rechtsbeschwerde nach §§ 70 ff. FamFG statthaft sein.
VIII. Der Schutz des Begriffs „Handelsregister“ (Abs. 2) Die Regelung untersagt das Inverkehrbringen von Datensammlungen, die den Begriff „Han- 39 delsregister“ verwenden oder beifügen. Hintergrund ist der Schutz vor privaten Registern, da der Verkehrsschutz des § 15 HGB nur für das echte Handelsregister gilt.113 Eine ähnliche Bestimmung enthalten Genossenschafts- (§ 10 Abs. 3 GenG), Partnerschafts- (§ 5 Abs. 2 PartGG) und Gesellschaftsregister (§ 707b BGB Rz. 17 f.). Hingegen fehlt eine solche Bestimmung im Unternehmensregister (§ 8b HGB).114 Wettbewerbsrechtliche Vorschriften sind ebenfalls anwendbar.115
§ 8a HGB Eintragungen in das Handelsregister; Verordnungsermächtigung (1) Eine Eintragung in das Handelsregister wird wirksam, sobald sie in den für die Handelsregistereintragungen bestimmten Datenspeicher aufgenommen ist und auf Dauer inhaltlich unverändert in lesbarer Form wiedergegeben werden kann. (2) 1Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung nähere Bestimmungen über die elektronische Führung des Handelsregisters, die elektronische Anmeldung, die elektronische Einreichung von Dokumenten sowie deren Aufbewahrung zu treffen, soweit nicht durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz nach § 387 Abs. 2 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechende Vorschriften erlassen werden. 2Dabei können sie auch Einzelheiten der Datenübermittlung regeln sowie die Form zu übermittelnder elektronischer Dokumente festlegen, um die Eignung für die Bearbeitung durch das Gericht sicherzustellen. 3Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen. I. Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Wirksamkeit der Eintragung (Abs. 1) . . .
1 2
III. Verordnungsermächtigung (Abs. 2) . . . .
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Schrifttum: Schulz, Informelle Abstimmungen mit dem Handelsregister, NJW 2016, 1483.
113 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 8 HGB Rz. 66, a.A. Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 98. 114 Vgl. BT-Drucks. 16/960, 39. 115 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8 HGB Rz. 98; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 8 HGB Rz. 66. Grobe | 655
§ 8a HGB Rz. 1 | Handelsregister; Unternehmensregister
I. Regelungsinhalt 1 Während Abs. 11 bestimmt, wann eine Eintragung im Handelsregister als wirksam angese-
hen wird, ermächtigt Abs. 2 die Länder, durch Rechtsverordnung näher zu bestimmen, wie das Handelsregister geführt wird, wobei insbesondere Fragen zum elektronischen Handelsregister im Mittelpunkt stehen wie etwa die zu der Art der Dateiformate. Die Länderermächtigung greift jedoch nur, wenn nicht der Bund eine Verordnung nach § 387 Abs. 2–4 FamFG erlassen hat. Die Bestimmung ist gem. § 707b Nr. 2 BGB auf die eingetragene Gesellschaft bürgerlichen Rechts entsprechend anwendbar.2
II. Wirksamkeit der Eintragung (Abs. 1) 2 Die Eintragung wird nach Abs. 1 wirksam, wenn sie in einen Datenspeicher aufgenommen
ist und ihre Wiedergabe auf Dauer inhaltlich unverändert und in lesbarer Form gegeben ist. Entscheidend ist allein die Möglichkeit, die Daten abzurufen.3 Auf den Eintragungsvorgang selbst kommt es hingegen nicht an. Ferner können weder Vorentwürfe noch die vom Urkundsbeamten erstellte Verfügung die Wirksamkeit der Eintragung herbeiführen.4 3 An den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Eintragung sind sowohl Publizitätsfolgen (vor
allem § 15 HGB) als auch materiellrechtliche Wirkungen (bei rechtsbegründenden Eintragungen) verknüpft.5 Daher ist der nach Unveränderbarkeit und Wiederabrufbarkeit der Eintragung bestimmte Zeitpunkt durch Datumsangabe zu versehen, § 27 Abs. 4 HRV. Fehlt diese, führt dies nicht zur Unwirksamkeit der Eintragung.6 Da in einigen Fällen die Vorhersehbarkeit des Eintragungszeitpunkts von besonderer Bedeutung ist, besteht die Möglichkeit einer informellen Vorabstimmung mit dem Registergericht.7 Nach § 27 Abs. 1 Alt. 1 HRV kann die Eintragung durch Richter bzw. Rechtspfleger vorgenommen werden. Ferner besteht nach § 27 Abs. 1 Alt. 2 HRV die Möglichkeit, die Eintragung zu verfügen, wobei der Urkundsbeamte die Ausführung der Eintragungsverfügung zu veranlassen und die Eintragung zu signieren hat, § 27 Abs. 2 Satz 2 HRV. Nach § 28 Satz 1 HRV ist die Eintragung mit der elektronischen Signatur des jeweils Handelnden (Richter, Rechtspfleger oder Urkundsbeamten) zu versehen. Dieser hat nach § 27 Abs. 3 HRV zu prüfen, ob die Eintragung wiederaufrufbar, vollständig und richtig ist.
III. Verordnungsermächtigung (Abs. 2) 4 Sofern der Bund durch das BMJ nach § 387 Abs. 2 FamFG keine entsprechenden Vorschrif-
ten erlassen hat, können die Länder nach Abs. 2 Satz 1 nähere Bestimmungen über die elek1 Zur Historie der Norm s. Koch/Harnos in Staub, § 8a HGB Rz. 1; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8a HGB Rz. 1; Merkt in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 8a HGB Rz. 1; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 8a HGB Rz. 1. 2 Vgl. Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts v. 10.8.2021, BGBl. I 2021, 3436; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 8a HGB Rz. 1. 3 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8a HGB Rz. 3; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 8a HGB Rz. 1; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 8a HGB Rz. 3; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 8a HGB Rz. 2. 4 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 8a HGB Rz. 1. 5 Merkt in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 8a HGB Rz. 2; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 8a HGB Rz. 2. 6 Merkt in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 8a HGB Rz. 2; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 8a HGB Rz. 3. 7 Dazu Schulz, NJW 2016, 1483; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 8a HGB Rz. 2.
656 | Grobe
Unternehmensregister | § 8b HGB
tronische Führung des Handelsregisters, die elektronische Anmeldung, die elektronische Einreichung sowie deren Aufbewahrung treffen.8 Nach Abs. 2 Satz 2 können sie dabei auch Einzelheiten der Datenübermittlung regeln sowie die Form zu übermittelnder elektronischer Dokumente festlegen. Nach Abs. 2 Satz 3 können die Länder die Ermächtigung im Wege einer Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen. §§ 47 ff. HRV sind aufgrund der Bundesermächtigung lex specialis gegenüber den landesrechtlichen Bestimmungen. Die Länder haben auf Grundlage einer Musterverordnung Regelungen zu Einzelheiten der Datenermittlung sowie der Form der zu übermittelnden Dokumente erlassen.
§ 8b HGB Unternehmensregister (1) Das Unternehmensregister wird vorbehaltlich einer Regelung nach § 9a Abs. 1 vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz elektronisch geführt. (2) Über die Internetseite des Unternehmensregisters sind zugänglich: 1. Eintragungen im Handelsregister und zum Handelsregister eingereichte Dokumente; 2. Eintragungen im Genossenschaftsregister und zum Genossenschaftsregister eingereichte Dokumente; 2a. Eintragungen im Gesellschaftsregister und zum Gesellschaftsregister eingereichte Dokumente; 3. Eintragungen im Partnerschaftsregister und zum Partnerschaftsregister eingereichte Dokumente; 4. Unterlagen der Rechnungslegung und Unternehmensberichte, die nach diesem Gesetz, dem Publizitätsgesetz, dem Eisenbahnregulierungsgesetz, dem Energiewirtschaftsgesetz, dem Entgelttransparenzgesetz, dem Kapitalanlagegesetzbuch, dem Telekommunikationsgesetz, dem Vermögensanlagengesetz oder dem Wertpapierhandelsgesetz offengelegt wurden, mit Ausnahme der zur dauerhaften Hinterlegung eingestellten Unterlagen; 5. gesellschaftsrechtliche Bekanntmachungen im Bundesanzeiger; 6. im Aktionärsforum veröffentlichte Eintragungen nach § 127a des Aktiengesetzes; 7. Veröffentlichungen von Unternehmen nach dem Wertpapierhandelsgesetz oder dem Vermögensanlagengesetz im Bundesanzeiger, von Bietern, Gesellschaften, Vorständen und Aufsichtsräten nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz im Bundesanzeiger sowie Veröffentlichungen nach der Börsenzulassungs-Verordnung im Bundesanzeiger; 8. Bekanntmachungen und Veröffentlichungen von Kapitalverwaltungsgesellschaften und extern verwalteten Investmentgesellschaften nach dem Kapitalanlagegesetzbuch, dem Investmentgesetz und dem Investmentsteuergesetz im Bundesanzeiger; 9. Veröffentlichungen und sonstige der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellte Informationen nach den §§ 5, 26 Absatz 1 und 2, § 40 Absatz 1, den §§ 41, 46 Absatz 2, den §§ 50, 51 Absatz 2 und § 127 des Wertpapierhandelsgesetzes, sofern die Veröffentlichung nicht bereits über Nummer 7 in das Unternehmensregister eingestellt wird;
8 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/960, 39. Grobe | 657
§ 8b HGB | Handelsregister; Unternehmensregister 10. Mitteilungen über kapitalmarktrechtliche Veröffentlichungen an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, sofern die Veröffentlichung selbst nicht bereits über Nummer 7 oder Nummer 9 in das Unternehmensregister eingestellt wird; 11. Bekanntmachungen der Insolvenzgerichte nach § 9 der Insolvenzordnung, ausgenommen Verfahren nach dem Zehnten Teil der Insolvenzordnung; 12. Registerbekanntmachungen aus dem Handels-, Genossenschafts- und Partnerschaftsregister; 13. Bekanntmachungen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht nach § 107 Absatz 1 Satz 6, § 109 Absatz 2 Satz 1 und 5, Absatz 3 Satz 2 des Wertpapierhandelsgesetzes und nach § 31 Absatz 4 des Vermögensanlagengesetzes. (3) 1Zur Einstellung in das Unternehmensregister sind dem Unternehmensregister zu übermitteln: 1. die Daten nach Absatz 2 Nummer 5 bis 8 durch den Betreiber des Bundesanzeigers, 2. die Daten nach Absatz 2 Nummer 4, 9 und 10 sowie diejenigen Unterlagen, die dauerhaft hinterlegt werden sollen, durch den jeweils Offenlegungs- oder Veröffentlichungspflichtigen oder den von ihm mit der Veranlassung der Offenlegung oder Veröffentlichung beauftragten Dritten, 3. die Daten nach Absatz 2 Nummer 13 durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. 2 Die Landesjustizverwaltungen übermitteln die Daten nach Absatz 2 Nummer 1 bis 3, 11 und 12 zum Unternehmensregister, soweit die Übermittlung für die Eröffnung eines Zugangs zu den Originaldaten über die Internetseite des Unternehmensregisters erforderlich ist. 3Die das Unternehmensregister führende Stelle stellt dem Betreiber des Bundesanzeigers die nach Satz 2 von den Landesjustizverwaltungen übermittelten Daten zur Verfügung, soweit dies für die Erfüllung der Aufgabe der Zuordnung von Einreichungen beim Betreiber des Bundesanzeigers nach Absatz 2 Nummer 5 bis 8 erforderlich ist. 4Die Daten dürfen vom Betreiber des Bundesanzeigers nur für diese Zwecke verwendet werden. 5Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht überwacht die Übermittlung der Veröffentlichungen und der sonstigen der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellten Informationen nach den §§ 5, 26 Absatz 1 und 2, § 40 Absatz 1, den §§ 41, 46 Absatz 2, den §§ 50, 51 Absatz 2, § 114 Absatz 1 bis § 116 Absatz 2, den §§ 117, 118 Absatz 4 und § 127 des Wertpapierhandelsgesetzes an das Unternehmensregister zur Einstellung und kann Anordnungen treffen, die zu ihrer Durchsetzung geeignet und erforderlich sind. 6Die Bundesanstalt kann die gebotene Übermittlung der in Satz 5 genannten Veröffentlichungen, der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellten Informationen und Mitteilung auf Kosten des Pflichtigen vornehmen, wenn die Übermittlungspflicht nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht in der vorgeschriebenen Weise erfüllt wird. 7Für die Überwachungstätigkeit der Bundesanstalt gelten § 6 Absatz 3 Satz 1 und 3, Absatz 15 und 16, die §§ 13, 18 und 21 des Wertpapierhandelsgesetzes entsprechend. (4) Die Führung des Unternehmensregisters schließt die Erteilung von Ausdrucken sowie die Beglaubigung entsprechend § 9 Abs. 3 und 4 hinsichtlich der im Unternehmensregister eingestellten Unterlagen der Rechnungslegung und Unternehmensberichte im Sinn des Absatzes 2 Nr. 4 ein. (5) Die Führung des Unternehmensregisters schließt auch den Informationsaustausch nach § 9c ein. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436).
658 | Grobe
Unternehmensregister | Rz. 2 § 8b HGB I. Hintergrund und Funktion; Verhältnis zu anderen Registern . . . . . . . . . . . . . . . . 1 II. Das Unternehmensregister (Abs. 1) . . . . 3 III. Zugang und Informationen (Abs. 2) . . . 4 IV. Datenübermittlung (Abs. 3) . . . . . . . . . . 12
V. Erteilung von Ausdrucken (Abs. 4) . . . . 15 VI. Der Austausch von Informationen nach § 9c HGB (Abs. 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 VII. Schutz des Begriffs „Unternehmensregister“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
Schrifttum: Clausnitzer/Blatt, Das neue elektronische Handels- und Unternehmensregister, GmbHR 2006, 1303; Meyding/Bödeker, Gesetzesentwurf über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG-E) – Willkommen im Online-Zeitalter, BB 2006, 1009; Nedden-Boeger, Das neue Registerrecht, FGPrax 2007, 1.
I. Hintergrund und Funktion; Verhältnis zu anderen Registern Das Unternehmensregister wurde 2006 infolge des EHUG1 geschaffen. Damit wurden zu- 1 gleich europarechtliche Vorgaben aus Art. 14 sowie Art. 16 GesRRL umgesetzt.2 Es stellt sowohl Informationen des Handelsregisters als auch unternehmensspezifische Informationen für interessierte Kreise zur Verfügung. Das deutsche Unternehmensregister geht über die europarechtlichen Mindestanforderungen hinaus und erfasst alle im Handelsregister eingetragenen Unternehmen und nicht nur AG, KGaA und GmbH.3 Das Unternehmensregister erfüllt zugleich die in Art. 21 TransparenzRL niedergelegte Pflicht der Mitgliedstaaten zur Einrichtung einer zentralen Stelle, bei der die nach der Richtlinie notwendigen Informationen zur Verfügung stehen. Das Unternehmensregister ermöglicht die Zusammenführung der in den dezentral geführten 2 Registern enthaltenen Informationen und erweitert diese um unternehmensspezifische Informationen. Damit wurde der Forderung nach einer sog. „on-stop-shop“-Lösung entsprochen.4 Die Informationen müssen nicht mehr an den jeweiligen Stellen eingesehen werden, sondern stehen zentral zur Verfügung und können elektronisch abgerufen werden.5 In technischer Hinsicht wird dem Unternehmensregister der Zugriff auf die Datenspeicher der anderen Register ermöglicht. Es ersetzt dadurch allerdings nicht die Funktion von Handels-, Gesellschafts-, Genossenschafts- und Partnerschaftsregister. So entfaltet das Unternehmensregister selbst keine Publizitätswirkung nach § 15 HGB.6 Allerdings kann eine solche zumindest mittelbar erzeugt werden.7 Allerdings gilt die Mitteilungspflicht des Transparenzregisters dann als erfüllt, wenn die entsprechenden Daten aus dem Unternehmensregister ersichtlich sind, § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 GwG.8
1 Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG) v. 10.11.2006. 2 Vgl. Richtlinie (EU) 2017/1132 vom 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (GesRRL). 3 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 8b HGB Rz. 1. 4 Vgl. Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 8b HGB Rz. 2. 5 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 8b HGB Rz. 9. 6 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 8b HGB Rz. 2; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 8b HGB Rz. 2; a.A. Nedden-Boeger, FGPrax 2007, 1, 5. 7 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 8b HGB Rz. 3; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 8b HGB Rz. 2; Meyding/Bödeker, BB 2006, 1009, 1011. 8 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 8b HGB Rz. 2; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 8b HGB Rz. 2. Grobe | 659
§ 8b HGB Rz. 3 | Handelsregister; Unternehmensregister
II. Das Unternehmensregister (Abs. 1) 3 Der Gesetzgeber hat die Aufgaben zur Führung des Unternehmensregisters nach § 9a Abs. 1
HGB auf ein Unternehmen der Privatwirtschaft übertragen, so dass das Unternehmensregister gegenwärtig nicht vom BMJ geführt wird. Die Wahrnehmung der Aufgaben erfolgt durch die Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH9, da diese den Anforderungen von § 9a Abs. 1 Satz 5 HGB gerecht wird.10 Aufbau und Führung des Unternehmensregisters werden gem. § 9 Abs. 3 HGB durch die Unternehmensregisterverordnung (URV) geregelt.
III. Zugang und Informationen (Abs. 2) 4 Über die Web-Seite www.unternehmensregister.de können die Informationen kostenlos ab-
gerufen werden. Dies folgt aus § 9 Abs. 1 Satz 1, Abs. 6 Satz 1 HGB. Die bisher bestehende Kostenpflicht für Auskünfte aus dem Handels-, Genossenschafts- und Partnerschaftsregister ist mit Wirkung zum 1.8.2022 entfallen. 5 Bei den in Abs. 2 aufgezählten Informationen, die durch das Unternehmensregister zur Ver-
fügung gestellt werden, handelt es sich um einen Mindestinhalt, der nicht abschließend ist. So können weitere unternehmensspezifische Daten eingestellt werden. Anmeldungs- oder Genehmigungserfordernisse werden durch § 8b HGB nicht begründet.11 6 Nach Abs. 2 Nr. 1–3 kann direkte Einsicht in die Daten aus Handels-, Gesellschafts-, Genos-
senschafts- und Partnerschaftsregister genommen werden. Einblick wird dabei sowohl in die eingereichten Dokumente als auch in die Registerbekanntmachungen nach § 10 Abs. 3 HGB ermöglicht, vgl. Abs. 2 Nr. 12. 7 Nach Abs. 2 Nr. 4 kann in die Unterlagen der Rechnungslegung und Unternehmensberich-
te, die nach dem Handelsgesetzbuch, dem Publizitätsgesetz, dem Eisenbahnregulierungsgesetz, dem Energiewirtschaftsgesetz, dem Entgelttransparenzgesetz, dem Kapitalanlagegesetzbuch, dem Telekommunikationsgesetz, dem Vermögensanlagengesetz oder dem Wertpapierhandelsgesetz offengelegt wurden, mit Ausnahme der zur dauerhaften Hinterlegung eingestellten Unterlagen Einsicht genommen werden.12 8 Abs. 2 Nr. 5–10 ermöglicht die Einsicht in gesellschaftsrechtliche Veröffentlichungen des
Bundesanzeigers (Nr. 5), Veröffentlichungen im Aktionärsforum nach § 127a AktG (Nr. 6) als auch relevante Veröffentlichungen den Kapitalmarkt (Nr. 7) und den Investmentsektor (Nr. 8) betreffend. Nr. 9 ergänzt Nr. 4 und Nr. 7 und erfasst Vorschriften des WpHG. Nr. 10 betrifft Mitteilungen über kapitalmarktrechtliche Veröffentlichungen an die BaFin und ergänzt Nr. 7 und Nr. 9. 9 Nach Abs. 2 Nr. 11 kann über das Unternehmensregister auch auf Bekanntmachungen der
Insolvenzgerichte zugegriffen werden, mit Ausnahme der Verbraucherinsolvenzen (10. Teil der InsO). 10 Abs. 2 Nr. 12 ermöglicht den Zugriff auf Registerbekanntmachungen aus dem Handels-,
Gesellschafts-, Genossenschafts- und Partnerschaftsregister.
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Kritisch zur Übertragung Clausnitzer/Blatt, GmbHR 2006, 1303, 1304. Vgl. Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 8b HGB Rz. 3. Merkt in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 8b HGB Rz. 2. Zum Versuch von Gesellschaften, die Offenlegung durch Einreichung einer Nullbilanz zu umgehen, s. LG Bonn v. v. 15.3.2013 – 37 T 730/12, GmbHR 2013, 986 m. Anm. Kuntze-Kaufhold.
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Unternehmensregister | Rz. 16 § 8b HGB
Zudem ist nach Abs. 2 Nr. 13 die Einsichtnahme in Bekanntmachungen der BaFin nach 11 § 107 Abs. 1 Satz 6, § 109 Abs. 2 Satz 1 und 5, Abs. 3 Satz 2 WpHG und nach § 31 Abs. 4 VermAnlG möglich.
IV. Datenübermittlung (Abs. 3) Abs. 3 bestimmt, welche zuständige Stelle die in Abs. 2 aufgeführten Daten an das Unterneh- 12 mensregister übermittelt. Die Landesjustizverwaltungen sind verpflichtet, die Daten nach § 8b Abs. 2 Nr. 1–3, 11 und 12 HGB weiterzuleiten. Diese sog. Indexdaten umfassen die Registernummer, die Firma und den Sitz des Unternehmensträgers und ermöglichen eine Suche in den Datenspeichern der registerführenden Stellen.13 Der Betreiber des elektronischen Bundesanzeigers hat die Daten nach Abs. 2 Nr. 5–8 zur Ver- 13 fügung zu stellen. Zu berücksichtigen ist dabei, dass die das Unternehmensregister führende Stelle dem Betreiber des Bundesanzeigers die nach Satz 2 von den Landesjustizverwaltungen übermittelten Daten zur Verfügung stellt, soweit dies für die Erfüllung der Aufgabe der Zuordnung von Einreichungen beim Betreiber des Bundesanzeigers nach Abs. 2 Nr. 5–8 erforderlich ist. Die publizitätspflichtigen Unternehmen selbst sind verpflichtet, die Daten nach Abs. 2 14 Nr. 4, 9 und 10 an das Unternehmensregister zur übermitteln. Die BaFin überwacht die Übermittlung der Daten nach Abs. 2 Nr. 9 und ist berechtigt, auch weitere Maßnahmen zur Durchsetzung vorzunehmen (Abs. 3 Sätze 3–5). Ferner hat die BaFin selbst die Daten nach Abs. 2 Nr. 13 zu übermitteln.
V. Erteilung von Ausdrucken (Abs. 4) Nach Abs. 4 schließt die Führung des Unternehmensregisters auch die Erteilung von Aus- 15 drucken sowie die Beglaubigung entsprechend § 9 Abs. 3 und 4 HGB hinsichtlich der im Unternehmensregister eingestellten Unterlagen der Rechnungslegung und Unternehmensberichte i.S.d. Abs. 2 Nr. 4 ein.
VI. Der Austausch von Informationen nach § 9c HGB (Abs. 5) § 9c HGB regelt den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten, ob eine Person 16 als Geschäftsführer einer GmbH oder Vorstand einer Aktiengesellschaft nach den deutschen Bestimmungen zur Inhabilität ausgeschlossen ist. Die Regelung setzt Vorgaben der Digitalisierungsrichtlinie14 um und ist durch das DiRUG15 mit Wirkung zum 1.8.2022 in Kraft getreten. Abs. 5 stellt klar, dass zur Führung des Unternehmensregisters auch der entsprechende Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten gehört. Es ist sowohl Adressat und Bearbeiter ausländischer als auch inländischer (durch deutsche AG ausgelöste) Informationsanfragen.
13 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 8b HGB Rz. 2; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 8b HGB Rz. 4. 14 Richtlinie (EU) 2019/1151 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2019 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 im Hinblick auf den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht. 15 Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie (DiRUG) vom 21.7.2021, BGBl. I 2021, 3338. Grobe | 661
§ 8b HGB Rz. 17 | Handelsregister; Unternehmensregister
VII. Schutz des Begriffs „Unternehmensregister“ 17 Der Begriff des „Unternehmensregisters“ ist im Gegensatz zum Begriff des „Handelsregis-
ters“ (vgl. § 8 Abs. 2 HGB) nicht explizit geschützt. Auch eine analoge Anwendung der Schutzvorschrift zum Handelsregister scheidet mangels Planwidrigkeit der Regelungslücke aus, da eine Schutznorm im Gesetzgebungsverfahren diskutiert, aber nicht eingefügt wurde.16 Schutz erfährt der Begriff daher allein über § 5 UWG.17
§ 9 HGB Einsichtnahme in das Handelsregister und das Unternehmensregister (1) 1Die Einsichtnahme in das Handelsregister sowie in die zum Handelsregister eingereichten Dokumente ist jedem zu Informationszwecken durch einzelne Abrufe gestattet. 2Die Landesjustizverwaltungen bestimmen das elektronische Informations- und Kommunikationssystem, über das die Daten aus den Handelsregistern abrufbar sind, und sind für die Abwicklung des elektronischen Abrufverfahrens zuständig. 3Die Landesregierung kann die Zuständigkeit durch Rechtsverordnung abweichend regeln; sie kann diese Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltung übertragen. 4Die Länder können ein länderübergreifendes, zentrales elektronisches Informationsund Kommunikationssystem bestimmen. 5Sie können auch eine Übertragung der Abwicklungsaufgaben auf die zuständige Stelle eines anderen Landes sowie mit dem Betreiber des Unternehmensregisters eine Übertragung der Abwicklungsaufgaben auf das Unternehmensregister vereinbaren. (2) Sind Dokumente nur in Papierform vorhanden, kann die elektronische Übermittlung nur für solche Schriftstücke verlangt werden, die weniger als zehn Jahre vor dem Zeitpunkt der Antragstellung zum Handelsregister eingereicht wurden. (3) 1Die Übereinstimmung der übermittelten Daten mit dem Inhalt des Handelsregisters und den zum Handelsregister eingereichten Dokumenten wird auf Antrag durch das Gericht beglaubigt. 2Dafür hat eine Authentifizierung durch einen Vertrauensdienst nach der Verordnung (EU) Nr. 910/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.7.2014 über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 1999/93/EG (ABl. L 257 vom 28.8.2014, S. 73; L 23 vom 29.1.2015, S. 19; L 155 vom 14.6.2016, S. 44) zu erfolgen. (4) 1Von den Eintragungen und den eingereichten Dokumenten kann ein Ausdruck verlangt werden. 2Von den zum Handelsregister eingereichten Schriftstücken, die nur in Papierform vorliegen, kann eine Abschrift gefordert werden. 3Die Abschrift ist von der Geschäftsstelle zu beglaubigen und der Ausdruck als amtlicher Ausdruck zu fertigen, wenn nicht auf die Beglaubigung verzichtet wird. (5) Das Gericht hat auf Verlangen eine Bescheinigung darüber zu erteilen, dass bezüglich des Gegenstandes einer Eintragung weitere Eintragungen nicht vorhanden sind oder dass eine bestimmte Eintragung nicht erfolgt ist. (6) 1Für die Einsichtnahme in das Unternehmensregister gilt Absatz 1 Satz 1 entsprechend. 2Anträge nach den Absätzen 2 bis 5 können auch über das Unternehmensregister 16 Merkt in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 8b HGB Rz. 8. 17 RegE EHUG, BT-Drucks. 16/960, S. 39.
662 | Grobe
Einsichtnahme in das Handelsregister und das Unternehmensregister | Rz. 2 § 9 HGB
an das Gericht vermittelt werden. 3Die Einsichtnahme in die beim Unternehmensregister zur dauerhaften Hinterlegung eingestellten Daten erfolgt nur auf Antrag durch Übermittlung einer Kopie. I. Die Einsichtnahme in das Handelsregister (Abs. 1) 1. Das Recht auf Einsichtnahme (Abs. 1 Satz 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Einsichtnahme über elektronische Informations- und Kommunikationssysteme (Abs. 1 Satz 2–5) . . . . . . . . . . . . II. Elektronische Übermittlung von Papierdokumenten (Abs. 2) . . . . . . . . .
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Beglaubigung (Abs. 3) . . . . . . . . . . . . . . 6 Ausdrucke und Abschriften (Abs. 4) . . 7 Negativtestat (Abs. 5) . . . . . . . . . . . . . . . 8 Die Einsichtnahme in das Unternehmensregister (Abs. 6) . . . . . . . . . . . 9 VII. Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 III. IV. V. VI.
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I. Die Einsichtnahme in das Handelsregister (Abs. 1) 1. Das Recht auf Einsichtnahme (Abs. 1 Satz 1) Das Recht auf Einsichtnahme ist zentraler Bestandteil zur Erfüllung der Publizitätsfunktion 1 des Handelsregisters. Sie ist grundsätzlich jedermann ohne jegliche Einschränkungen zu gestatten1, sofern ein Informationszweck vorliegt. Ein solcher ist zumindest dann nicht anzunehmen, wenn die Einsicht vor allem dazu dienen soll, den Inhalt des Handelsregisters gewerblich zu vermarkten und dieser den Geschäftsgegenstand bildet.2 Aus dem Umstand, dass mehrere Vorgänge eingesehen werden, kann nicht geschlussfolgert werden, dass die Einsicht keinen Informationszweck verfolgt.3 Abs. 1 Satz 1 hat diesbezüglich jedoch durch das DiRUG eine Ergänzung erfahren. So ist die Einsicht auf einzelne Abrufe beschränkt. Insgesamt kann aber festgehalten werden, dass die Einsichtnahme nach Abschaffung der Bekanntmachung als selbstständiges Publizitätsmedium an Bedeutung gewonnen hat.4 Die Regelung des § 9 HGB findet auf das Genossenschafts- (§ 156 Abs. 1 GenG), das Partnerschafts- (§ 5 Abs. 2 PartGG) und infolge des MoPeG auch auf das Gesellschaftsregister (§ 707b BGB) Anwendung. Zuständig für die Erteilung der Einsicht ist grundsätzlich der Urkundsbeamte der Ge- 2 schäftsstelle, § 29 Abs. 1 Nr. 1 HRV. Lehnt dieser den Antrag ab, hat der Antragsteller die Möglichkeit, eine Entscheidung durch den Registerrichter zu verlangen, § 29 Abs. 2 Satz 1 HRV. Wird auch dieser Antrag abgelehnt, ist die Beschwerde statthaft, § 29 Abs. 2 Satz 2 HRV. Dies wird vor allem in den Fällen der kommerziellen Nutzung der Registerdaten von Bedeutung sein. Die hierzu ergangene Rechtsprechung, die eine Zuständigkeit des Urkundsbeamten verneint, wenn es um die Komplettübernahme zum Zwecke des gewerblichen Nutzens geht, ist angesichts der Neufassung des § 9 Abs. 1 HGB, der eine Beschränkung auf einzelne Abrufe vorsieht, obsolet5: Der Urkundsbeamte ist berechtigt, die Einsichtnahme abzulehnen. In den wohl häufigsten Fällen wird die Einsichtnahme durch elektronischen Abruf erfolgen, der nur möglich ist, wenn die Registrierungsvoraussetzungen erfüllt sind. 1 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 9 HGB Rz. 2; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 9 HGB Rz. 2. 2 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 9 HGB Rz. 2. 3 Vgl. BGH v. 12.7.1989 – IVa ARZ (VZ) 9/88, ZIP 1989, 1120 = GmbHR 1989, 369; OLG Köln v. 20.2.1991 – 2 Wx 68/90, GmbHR 1991, 424; OLG Hamm v. 17.1.1991 – 15 W 482/90, NJW-RR 1991, 1256. 4 Koch/Harnos in Staub, § 9 HGB Rz. 1. 5 Koch/Harnos in Staub, § 9 HGB Rz. 25. Grobe | 663
§ 9 HGB Rz. 3 | Handelsregister; Unternehmensregister 3 Die Einsicht erfasst alle eingereichten Unterlagen, d.h. die Eintragungen in das Handels-
register sowie die dazu eingereichten Dokumente von bereits eingetragenen Unternehmen.6 Bei noch nicht eingetragenen Unternehmen kann eine Einsichtnahme nur gewährt werden, wenn ein berechtigtes Interesse gem. § 13 Abs. 2 FamFG vorliegt. Gleiches gilt im Hinblick auf die Dokumente, die nicht vom Einsichtsrecht nach § 9 Abs. 1 HGB erfasst sind, wie etwa Verfügungen des Registergerichts, Anregungen zur Verfahrenseinleitung u.a.7
2. Die Einsichtnahme über elektronische Informations- und Kommunikationssysteme (Abs. 1 Satz 2–5) 4 § 9 HGB setzt die Einsichtnahme in das Handelsregister über elektronische Informations-
und Kommunikationssysteme (Internet) voraus. Abs. 1 Satz 2–5 enthält verschiedene Zuständigkeitsbestimmungen für die Landesjustizverwaltungen und Länder. Ein gemeinsames Registerportal wurde durch die Länder geschaffen. Einsicht kann über www.handelsregister. de oder über das Unternehmensregister über www.unternehmensregister.de genommen werden. Umfang und Voraussetzungen des Abrufs im automatisierten Verfahren bestimmen sich nach § 9 Abs. 1 HGB, § 52 Satz 1 HRV.
II. Elektronische Übermittlung von Papierdokumenten (Abs. 2) 5 Nach Abs. 2 kann die elektronische Übermittlung von solchen Dokumenten verlangt werden,
die nur in Papierform vorliegen und weniger als zehn Jahre vor dem Zeitpunkt der Antragstellung zum Handelsregister eingereicht wurden. Diese zeitliche Begrenzung dient vor allem der Entlastung der Registergerichte. Die Bestimmung ist im Zusammenhang mit der durch das EHUG eingeführten Umstellung auf elektronische Dokumente zu verstehen. Art. 61 Abs. 3 EGHGB sah bis zu seiner Aufhebung im Jahr 2016 vor, dass Schriftstücke auf Antrag in ein elektronisches Dokument zu übertragen waren, sofern diese Schriftstücke im Zeitraum von zehn Jahren vor Antragstellung beim Registergericht in Papierform eingereicht worden waren.8 Nach Aufhebung des Art. 61 Abs. 3 EGHGB ist allein die mit dieser Regelung verbundene negative Aussage, dass nach Ablauf der Zehnjahresfrist kein Anspruch auf ein Mediumwechsel besteht, in § 9 Abs. 2 HGB übernommen worden.9
III. Beglaubigung (Abs. 3) 6 Nach Abs. 3 Satz 1 wird die Übereinstimmung der übermittelten Daten mit dem Inhalt des
Handelsregisters und den zum Handelsregister eingereichten Dokumenten auf Antrag durch das Gericht beglaubigt. Die Bestimmung bezieht sich allerdings ausschließlich auf die Beglaubigung einer Kopie in elektronischer Form10, da die Beglaubigung einer auf Papier ausgestellten Kopie in § 9 Abs. 4 Satz 3 HGB geregelt ist. Obwohl aufgrund des DiRUG11 § 9 Abs. 3 HGB keine Änderung erfahren hat, haben sich die unionsrechtlichen Grundlagen der Regelung geändert. So sieht Art. 16a Abs. 3 der Gesellschaftsrechtsrichtlinie12 (im Ge6 7 8 9 10 11 12
Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 9 HGB Rz. 3. Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 9 HGB Rz. 3. Umfassend Koch/Harnos in Staub, § 9 HGB Rz. 26 f. Koch/Harnos in Staub, § 9 HGB Rz. 27. Koch/Harnos in Staub, § 9 HGB Rz. 29. Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie (DiRUG) v. 5.7.2021, BGBl. I 2021, 3338. Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts.
664 | Grobe
Einsichtnahme in das Handelsregister und das Unternehmensregister | Rz. 9 § 9 HGB
gensatz zu Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 4 der Publizitätsrichtlinie a.F.) vor, dass die Richtigkeit der einem Antragsteller übermittelten elektronischen Kopie und Papierkopie bestätigt wird, sofern der Antragsteller auf diese Beglaubigung nicht verzichtet. Folglich erhält der Antragsteller auch dann bereits eine Beglaubigung, wenn er sie nicht ausdrücklich verlangt. § 9 Abs. 3 Satz 1 HGB ist daher richtlinienkonform auszulegen, sodass dem Antragserfordernis bereits mit Abruf der Registerdaten durch Nutzer entsprochen wird und keine weitere Handlung erforderlich ist.13 Um den Abruf zu ermöglich, hat eine Authentifizierung durch einen Vertrauensdienst nach der Verordnung (EU) Nr. 910/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.7.2014 zu erfolgen.14
IV. Ausdrucke und Abschriften (Abs. 4) Die Bestimmung setzt die europarechtlichen Vorgaben der GesRRL um. Nach Abs. 4 Satz 1 7 kann der Einsichtnehmende einen Ausdruck von den Eintragungen und eingereichten Dokumenten verlangen. Bei Schriftstücken, die nur in Papierform vorliegen, kann nach Abs. 4 Satz 2 eine Abschrift gefordert werden. Nach Aufhebung von Art. 61 Abs. 3 EGHGB, der einen Anspruch auf Medienwechsel vorsah, kommt Satz 2 wieder mehr Bedeutung zu15, vgl. § 30 HRV. Grundsätzlich gilt eine qualifizierte Form: So ist die Abschrift zu beglaubigen und ein Ausdruck als amtlicher Ausdruck zu fertigen. Der amtliche Ausdruck ist das elektronische Äquivalent zur Beglaubigung, vgl. § 30a Abs. 3 Satz 3 HRV. Auf die besonderen Formanforderungen kann verzichtet werden, vgl. § 30a Abs. 1 HRV.
V. Negativtestat (Abs. 5) Nach Abs. 5 hat das Gericht auf Verlangen eine Bescheinigung darüber zu erteilen, dass be- 8 züglich des Gegenstandes einer Eintragung weitere Eintragungen nicht vorhanden sind oder dass eine bestimmte Eintragung nicht erfolgt ist. Da der Gesetzgeber diesem sog. Negativtestat weiterhin im Rechtsverkehr Bedeutung einräumt, wurde die Regelung auch nach Einführung des elektronischen Handelsregisters beibehalten.16 Die überwiegende Auffassung überträgt die für das Registerzeugnis (§ 9 Abs. 3 HGB a.F.) entwickelten Grundsätze zur Beweiswirkung auf das Negativtestat17; dies ist nicht ohne Kritik geblieben.18 Nach § 29 Abs. 1 Satz HRV erteilt der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die Bescheinigung. Nach § 29 Abs. 2 Satz 1 HRV kann die Entscheidung des Richters verlangt werden. Hiergegen ist das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben, § 29 Abs. 2 Satz 2 HRV.
VI. Die Einsichtnahme in das Unternehmensregister (Abs. 6) Nach Abs. 6 Satz 1 gelten die Ausführungen zur Einsichtnahme in das Handelsregister für 9 die Einsichtnahme in das Unternehmensregister nach § 8b HGB entsprechend. Die Einsichtnahme ist für jedermann über das Internet möglich.19 Es besteht zudem nach Abs. 6 Satz 2 13 14 15 16
Siehe Harnos, GmbHR 2022, R135 f. Dazu Koch/Harnos in Staub, § 9 HGB Rz. 32. Koch/Harnos in Staub, § 9 HGB Rz. 36. Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 9 HGB Rz. 12; dazu Koch/Harnos in Staub, § 9 HGB Rz. 38 f. 17 Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 9 HGB Rz. 15; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 9 HGB Rz. 20. 18 Koch/Harnos in Staub, § 9 HGB Rz. 40. 19 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 9 HGB Rz. 13. Grobe | 665
§ 9 HGB Rz. 9 | Handelsregister; Unternehmensregister die Möglichkeit, Anträge auf Umwandlung von Unterlagen in Papierform (Abs. 2), auf Beglaubigung der Übereinstimmung der übermittelten Daten mit dem Inhalt des Handelsregisters und den zum Handelsregister eingereichten Dokumenten (Abs. 3), auf Erteilung von Ausdrucken oder Abschriften (Abs. 4) oder auf Bescheinigungen nach Abs. 5 zu stellen. Die Einsichtnahme in die beim Unternehmensregister zur dauerhaften Hinterlegung eingestellten Daten (§ 326 Abs. 2 HGB)20 erfolgt nur auf Antrag durch Übermittlung einer Kopie, Abs. 6 Satz 3.
VII. Kosten 10 Seit Geltung des DiRUG ist auch die Online-Einsichtnahme kostenfrei, da § 1 Abs. 2 Satz 1
Nr. 4 JVKostG a.F. gestrichen wurde. Zuvor war allein die Einsichtnahme auf der Geschäftsstelle nach § 90 KostO a.F. kostenfrei. Der Gesetzgeber ist damit den Vorgaben von Art. 19 Abs. 2 der Gesellschaftsrechtsrichtlinie gefolgt, nach denen der Zugang zu Informationen des Europäischen Systems der Registervernetzung kostenlos sein muss. 11 Für Ausdrucke, Abschriften und Negativtestate fallen Gebühren gem. § 3 Abs. 2 GNotKG
und der Anlage 1 zum GNotKG (KV GNotKG) an. Die Beglaubigung eines elektronischen Auszugs nach § 9 Abs. 3 Satz 1 HGB ist nach § 4 Abs. 1 JVKostG gebührenpflichtig. Gem. § 22 Abs. 1 GNotKG, § 14 Abs. 2 JVKostG ist der Antragsteller der gebührenpflichten Handlung zugleich Kostenschuldner. Die Einsichtnahme in das Unternehmensregister ist kostenfrei.
§ 9a HGB Übertragung der Führung des Unternehmensregisters; Verordnungsermächtigung (1) 1Das Bundesministerium der Justiz wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates einer juristischen Person des Privatrechts die Aufgaben nach § 8b Abs. 1 zu übertragen. 2Der Beliehene erlangt die Stellung einer Justizbehörde des Bundes. 3Zur Erstellung von Beglaubigungen führt der Beliehene ein Dienstsiegel; nähere Einzelheiten hierzu können in der Rechtsverordnung nach Satz 1 geregelt werden. 4Die Dauer der Beleihung ist zu befristen; sie soll fünf Jahre nicht unterschreiten; Kündigungsrechte aus wichtigem Grund sind vorzusehen. 5Eine juristische Person des Privatrechts darf nur beliehen werden, wenn sie grundlegende Erfahrungen mit der Veröffentlichung von kapitalmarktrechtlichen Informationen und gerichtlichen Mitteilungen, insbesondere Handelsregisterdaten, hat und ihr eine ausreichende technische und finanzielle Ausstattung zur Verfügung steht, die die Gewähr für den langfristigen und sicheren Betrieb des Unternehmensregisters bietet. (2) 1Das Bundesministerium der Justiz wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Einzelheiten der Datenübermittlung zwischen den Behörden der Länder und dem Unternehmensregister einschließlich Vorgaben über Datenformate zu regeln. 2Abweichungen von den Verfahrensregelungen durch Landesrecht sind ausgeschlossen. (3) 1Das Bundesministerium der Justiz wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates die technischen Einzelheiten zu Aufbau und Führung des 20 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 9 HGB Rz. 21.
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§ 9 HGB Rz. 9 | Handelsregister; Unternehmensregister die Möglichkeit, Anträge auf Umwandlung von Unterlagen in Papierform (Abs. 2), auf Beglaubigung der Übereinstimmung der übermittelten Daten mit dem Inhalt des Handelsregisters und den zum Handelsregister eingereichten Dokumenten (Abs. 3), auf Erteilung von Ausdrucken oder Abschriften (Abs. 4) oder auf Bescheinigungen nach Abs. 5 zu stellen. Die Einsichtnahme in die beim Unternehmensregister zur dauerhaften Hinterlegung eingestellten Daten (§ 326 Abs. 2 HGB)20 erfolgt nur auf Antrag durch Übermittlung einer Kopie, Abs. 6 Satz 3.
VII. Kosten 10 Seit Geltung des DiRUG ist auch die Online-Einsichtnahme kostenfrei, da § 1 Abs. 2 Satz 1
Nr. 4 JVKostG a.F. gestrichen wurde. Zuvor war allein die Einsichtnahme auf der Geschäftsstelle nach § 90 KostO a.F. kostenfrei. Der Gesetzgeber ist damit den Vorgaben von Art. 19 Abs. 2 der Gesellschaftsrechtsrichtlinie gefolgt, nach denen der Zugang zu Informationen des Europäischen Systems der Registervernetzung kostenlos sein muss. 11 Für Ausdrucke, Abschriften und Negativtestate fallen Gebühren gem. § 3 Abs. 2 GNotKG
und der Anlage 1 zum GNotKG (KV GNotKG) an. Die Beglaubigung eines elektronischen Auszugs nach § 9 Abs. 3 Satz 1 HGB ist nach § 4 Abs. 1 JVKostG gebührenpflichtig. Gem. § 22 Abs. 1 GNotKG, § 14 Abs. 2 JVKostG ist der Antragsteller der gebührenpflichten Handlung zugleich Kostenschuldner. Die Einsichtnahme in das Unternehmensregister ist kostenfrei.
§ 9a HGB Übertragung der Führung des Unternehmensregisters; Verordnungsermächtigung (1) 1Das Bundesministerium der Justiz wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates einer juristischen Person des Privatrechts die Aufgaben nach § 8b Abs. 1 zu übertragen. 2Der Beliehene erlangt die Stellung einer Justizbehörde des Bundes. 3Zur Erstellung von Beglaubigungen führt der Beliehene ein Dienstsiegel; nähere Einzelheiten hierzu können in der Rechtsverordnung nach Satz 1 geregelt werden. 4Die Dauer der Beleihung ist zu befristen; sie soll fünf Jahre nicht unterschreiten; Kündigungsrechte aus wichtigem Grund sind vorzusehen. 5Eine juristische Person des Privatrechts darf nur beliehen werden, wenn sie grundlegende Erfahrungen mit der Veröffentlichung von kapitalmarktrechtlichen Informationen und gerichtlichen Mitteilungen, insbesondere Handelsregisterdaten, hat und ihr eine ausreichende technische und finanzielle Ausstattung zur Verfügung steht, die die Gewähr für den langfristigen und sicheren Betrieb des Unternehmensregisters bietet. (2) 1Das Bundesministerium der Justiz wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Einzelheiten der Datenübermittlung zwischen den Behörden der Länder und dem Unternehmensregister einschließlich Vorgaben über Datenformate zu regeln. 2Abweichungen von den Verfahrensregelungen durch Landesrecht sind ausgeschlossen. (3) 1Das Bundesministerium der Justiz wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates die technischen Einzelheiten zu Aufbau und Führung des 20 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 9 HGB Rz. 21.
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Übertragung der Führung; Verordnungsermächtigung | Rz. 1 § 9a HGB
Unternehmensregisters, die technischen Einzelheiten zur Anmeldung und Identifikation von Nutzern des Unternehmensregisters, Einzelheiten der Datenübermittlung einschließlich Vorgaben über Datenformate, die nicht unter Absatz 2 fallen, Einzelheiten der Prüfung der übermittelten Daten, Löschungsfristen für die im Unternehmensregister gespeicherten Daten, Überwachungsrechte der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht gegenüber dem Unternehmensregister hinsichtlich der Übermittlung, Einstellung, Verwaltung, Verarbeitung und des Abrufs kapitalmarktrechtlicher Daten einschließlich der Zusammenarbeit mit amtlich bestellten Speicherungssystemen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder anderer Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum im Rahmen des Aufbaus eines europaweiten Netzwerks zwischen den Speicherungssystemen, die Zulässigkeit sowie Art und Umfang von Auskunftsdienstleistungen mit den im Unternehmensregister gespeicherten Daten, die über die mit der Führung des Unternehmensregisters verbundenen Aufgaben nach diesem Gesetz hinausgehen, zu regeln. 2Soweit Regelungen getroffen werden, die kapitalmarktrechtliche Daten berühren, ist die Rechtsverordnung nach Satz 1 im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen zu erlassen. 3Die Rechtsverordnung nach Satz 1 hat dem schutzwürdigen Interesse der Unternehmen am Ausschluss einer zweckändernden Verwendung der im Register gespeicherten Daten angemessen Rechnung zu tragen. I. Beleihung der Führung des Unternehmensregisters (Abs. 1) . . . . . . .
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II. Verordnungsermächtigungen (Abs. 2, Abs. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Schrifttum: Clausnitzer/Blatt, Das neue elektronische Handels- und Unternehmensregister, GmbHR 2006, 1303; Drygala/Grobe, Die geplante Regelung der Onlinegründung von Gesellschaften mit beschränkter Haftung – die Hälfte einer halben Lösung, GmbHR 2020, 985.
I. Beleihung der Führung des Unternehmensregisters (Abs. 1) Die heutige Fassung der Bestimmung geht auf das EHUG1 zurück. Die Norm enthält ver- 1 schiedene Verordnungsermächtigungen. Nach Abs. 1 ist das BMJ dazu ermächtigt, per Verordnung die Führung des Unternehmensregisters (§ 8b HGB) auf eine juristische Person des Privatrechts zu übertragen, wovon das BMJ auch Gebrauch gemacht hat.2 Die Wahrnehmung der Aufgaben erfolgt durch die Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH,3 da diese den Anforderungen von § 9a Abs. 1 Satz 5 HGB gerecht wird.4 Da das Unternehmensregister ein öffentliches Register darstellt und die juristische Person des Privatrechts die nach § 8b HGB geregelten Aufgaben als Teil der Justizverwaltung des Bundes wahrnimmt, ist sie als Beliehene mit der Betreuung des Unternehmensregisters vertraut.5 Die damit verbundenen Verpflichtungen nach § 8b Abs. 4 HGB machen es ferner erforderlich, dass der Beliehenen das Recht zur Führung des Dienstsiegels verliehen wird.6
1 Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister v. 10.11.2006 (BGBl. I 2006, 2553). 2 Vgl. VO über die Übertragung und Führung des Unternehmensregisters und die Einreichung von Dokumenten beim Betreiber des elektronischen Bundesanzeigers v. 15.12.2006 (BGBl. I 2007, 3202 f.), deren Geltung durch Art. 1 VO vom 14.1.2015 (BGBl. I 2015, 16) bis zum 31.12.2026 verlängert wurde. 3 Kritisch zur Übertragung Clausnitzer/Blatt, GmbHR 2006, 1303, 1304. 4 Vgl. Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 9a HGB Rz. 3. 5 Ausführlich Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 9a HGB Rz. 2 ff. 6 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 9a HGB Rz. 6. Grobe | 667
§ 9a HGB Rz. 2 | Handelsregister; Unternehmensregister 2 Die Beleihung ist nach § 9a Abs. 1 Satz 2 HGB befristet, wobei der Zeitraum von fünf Jahren
nicht unterschritten werden sollen. Kontroll- und Aufsichtsbehörde gegenüber dem Betreiber des Unternehmensregisters ist das BMJ, vgl. § 16 Abs. 2 URV.
II. Verordnungsermächtigungen (Abs. 2, Abs. 3) 3 Abs. 2 sieht die Möglichkeit des Erlasses einer Verordnung über die Datenermittlung an
das Unternehmensregister vor. Das BMJ hat von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht.7 Da durch das Unternehmensregister Informationen zentralisiert zur Verfügung gestellt werden sollen, ist es erforderlich, nur eine einheitliche Zulieferung von Daten zuzulassen.8 Die Verordnung legt somit die zu verwendeten Dateiformate fest; Abweichungen durch die Länder sollen nicht möglich sein.9 Das Unternehmensregister gewährt über sog. Indexdaten Zugriff auf die Bestände des Handelsregisters bzw. der Insolvenzgerichte.10 4 Abs. 3 ermöglicht die Ermächtigung des BMJ zur Schaffung einer Verordnung zu Einzelhei-
ten über Aufbau und Führung des Unternehmensregisters. Auch hiervon hat das BMJ Gebrauch gemacht.11 Sofern nicht bereits Bestimmungen von Abs. 2 einschlägig sind, betrifft die Ermächtigung nach Abs. 3 technische Einzelheiten zu Aufbau und Führung des Unternehmensregisters,12 insbesondere auch Löschungsfristen hinsichtlich der im Unternehmensregister gespeicherten Daten, vgl. § 12 Abs. 2 URV. Ferner betrifft die Ermächtigung die Datenermittlung. Ferner muss die Verordnung Bestimmungen zu kapitalmarktrechtlichen Daten und der Beteiligung der BaFin enthalten. Das DiRUG13 hat dazu beigetragen, dass die Verordnung um die europarechtlichen Anforderungen an die Online-Gründung von Gesellschaften14, der Online-Einreichung von Unterlagen und der Online-Eintragung von Zweigniederlassungen ergänzt wird.
§ 9b HGB Europäisches System der Registervernetzung (1) 1Folgende Informationen und Unterlagen, soweit sie Kapitalgesellschaften betreffen oder Zweigniederlassungen von Kapitalgesellschaften, die dem Recht eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum unterliegen, sind auch über das Europäische Justizportal zugänglich: 1. Eintragungen im Handelsregister, 2. Registerbekanntmachungen, 3. zum Handelsregister eingereichte Dokumente, 4. Unterlagen der Rechnungslegung nach § 325 sowie
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VO über das Unternehmensregister (URV) v. 26.2.2007 (BGBl. I 2007, 217 ff.). Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 9a HGB Rz. 4. Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 9a HGB Rz. 3. Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 9a HGB Rz. 3. VO über das Unternehmensregister (URV) v. 26.2.2007 (BGBl. I 2007, 217 ff.), zuletzt geändert durch Gesetz vom 19.6.2023 (BGBl. I 2023 Nr. 154). 12 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 9a HGB Rz. 5. 13 DiRUG v. 5.7.2021 (BGBl. I 2021, 3338). 14 Zum Hintergrund Drygala/Grobe, GmbHR 2020, 985.
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§ 9a HGB Rz. 2 | Handelsregister; Unternehmensregister 2 Die Beleihung ist nach § 9a Abs. 1 Satz 2 HGB befristet, wobei der Zeitraum von fünf Jahren
nicht unterschritten werden sollen. Kontroll- und Aufsichtsbehörde gegenüber dem Betreiber des Unternehmensregisters ist das BMJ, vgl. § 16 Abs. 2 URV.
II. Verordnungsermächtigungen (Abs. 2, Abs. 3) 3 Abs. 2 sieht die Möglichkeit des Erlasses einer Verordnung über die Datenermittlung an
das Unternehmensregister vor. Das BMJ hat von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht.7 Da durch das Unternehmensregister Informationen zentralisiert zur Verfügung gestellt werden sollen, ist es erforderlich, nur eine einheitliche Zulieferung von Daten zuzulassen.8 Die Verordnung legt somit die zu verwendeten Dateiformate fest; Abweichungen durch die Länder sollen nicht möglich sein.9 Das Unternehmensregister gewährt über sog. Indexdaten Zugriff auf die Bestände des Handelsregisters bzw. der Insolvenzgerichte.10 4 Abs. 3 ermöglicht die Ermächtigung des BMJ zur Schaffung einer Verordnung zu Einzelhei-
ten über Aufbau und Führung des Unternehmensregisters. Auch hiervon hat das BMJ Gebrauch gemacht.11 Sofern nicht bereits Bestimmungen von Abs. 2 einschlägig sind, betrifft die Ermächtigung nach Abs. 3 technische Einzelheiten zu Aufbau und Führung des Unternehmensregisters,12 insbesondere auch Löschungsfristen hinsichtlich der im Unternehmensregister gespeicherten Daten, vgl. § 12 Abs. 2 URV. Ferner betrifft die Ermächtigung die Datenermittlung. Ferner muss die Verordnung Bestimmungen zu kapitalmarktrechtlichen Daten und der Beteiligung der BaFin enthalten. Das DiRUG13 hat dazu beigetragen, dass die Verordnung um die europarechtlichen Anforderungen an die Online-Gründung von Gesellschaften14, der Online-Einreichung von Unterlagen und der Online-Eintragung von Zweigniederlassungen ergänzt wird.
§ 9b HGB Europäisches System der Registervernetzung (1) 1Folgende Informationen und Unterlagen, soweit sie Kapitalgesellschaften betreffen oder Zweigniederlassungen von Kapitalgesellschaften, die dem Recht eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum unterliegen, sind auch über das Europäische Justizportal zugänglich: 1. Eintragungen im Handelsregister, 2. Registerbekanntmachungen, 3. zum Handelsregister eingereichte Dokumente, 4. Unterlagen der Rechnungslegung nach § 325 sowie
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VO über das Unternehmensregister (URV) v. 26.2.2007 (BGBl. I 2007, 217 ff.). Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 9a HGB Rz. 4. Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 9a HGB Rz. 3. Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 9a HGB Rz. 3. VO über das Unternehmensregister (URV) v. 26.2.2007 (BGBl. I 2007, 217 ff.), zuletzt geändert durch Gesetz vom 19.6.2023 (BGBl. I 2023 Nr. 154). 12 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 9a HGB Rz. 5. 13 DiRUG v. 5.7.2021 (BGBl. I 2021, 3338). 14 Zum Hintergrund Drygala/Grobe, GmbHR 2020, 985.
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Europäisches System der Registervernetzung | § 9b HGB
5. eine Verschmelzungs-, Spaltungs- oder Formwechselbescheinigung nach § 316 Absatz 1 Satz 4, § 329 Satz 3 oder § 343 Absatz 1 Satz 4 des Umwandlungsgesetzes. 2Hierzu übermitteln die Landesjustizverwaltungen die Daten des Handelsregisters und die das Unternehmensregister führende Stelle übermittelt die Daten der Rechnungslegungsunterlagen jeweils an die zentrale Europäische Plattform nach Artikel 22 Absatz 1 der Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (ABl. L 169 vom 30.6.2017, S. 46), die zuletzt durch die Richtlinie (EU) 2019/2121 (ABl. L 321 vom 12.12.2019, S. 1; L 20 vom 24.1.2020, S. 24) geändert worden ist, soweit die Übermittlung für die Eröffnung eines Zugangs zu den Originaldaten über den Suchdienst auf der Internetseite des Europäischen Justizportals erforderlich ist. 3Die Zugänglichmachung der Informationen und Unterlagen über das Europäische Justizportal erfolgt nach Maßgabe der Bestimmungen der Durchführungsverordnung (EU) 2021/1042 der Kommission vom 18.6.2021 mit Durchführungsbestimmungen zur Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf technische Spezifikationen und Verfahren für das System der Registervernetzung und zur Aufhebung der Durchführungsverordnung (EU) 2020/2244 der Kommission (ABl. L 225 vom 25.6.2021, S. 7). (2) 1Das Registergericht, bei dem das Registerblatt einer Kapitalgesellschaft oder Zweigniederlassung einer Kapitalgesellschaft im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 geführt wird, nimmt am Informationsaustausch zwischen den Registern über die zentrale Europäische Plattform teil. 2Den Kapitalgesellschaften und Zweigniederlassungen von Kapitalgesellschaften im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 ist zu diesem Zweck eine einheitliche europäische Kennung zuzuordnen. 3Das Registergericht übermittelt nach Maßgabe der folgenden Absätze an die zentrale Europäische Plattform die Informationen und Unterlagen über 1. die Eintragung der Eröffnung, Einstellung oder Aufhebung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft, 2. die Eintragung der Auflösung der Gesellschaft und die Eintragung über den Schluss der Liquidation oder Abwicklung oder über die Fortsetzung der Gesellschaft, 3. die Löschung der Gesellschaft, 4. die Verschmelzungs-, Spaltungs- oder Formwechselbescheinigung nach § 316 Absatz 1 Satz 4, § 329 Satz 3 oder § 343 Absatz 1 Satz 4 des Umwandlungsgesetzes, das Wirksamwerden einer grenzüberschreitenden Umwandlung sowie die Eintragung der aus einer grenzüberschreitenden Spaltung hervorgehenden, neuen Gesellschaft oder die Eintragung der grenzüberschreitenden Spaltung zur Aufnahme im Register der übernehmenden Gesellschaft, 5. die Eintragung der Errichtung der Zweigniederlassung und die Eintragung der Aufhebung der Zweigniederlassung sowie 6. die Änderung folgender Daten der Gesellschaft oder der Zweigniederlassung: a) der Firma der Gesellschaft oder der Zweigniederlassung, b) des Sitzes der Gesellschaft oder der Geschäftsanschrift der Zweigniederlassung, c) der Rechtsform der Gesellschaft, d) der Eintragungsnummer der Gesellschaft oder der Zweigniederlassung, e) der Personen, die als gesetzlich vorgesehenes Gesellschaftsorgan oder als Mitglieder eines solchen Organs befugt sind, die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten, oder die an der Verwaltung, Beaufsichtigung oder Kontrolle der Gesellschaft teilnehmen. 4 Die Übermittlung der Informationen und Unterlagen erfolgt nach Maßgabe der Bestimmungen der Durchführungsverordnung (EU) 2021/1042.
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§ 9b HGB Rz. 1 | Handelsregister; Unternehmensregister (3) 1Die Landesjustizverwaltungen bestimmen das elektronische Informations- und Kommunikationssystem, über das die Daten aus dem Handelsregister zugänglich gemacht (Absatz 1) und im Rahmen des Informationsaustauschs zwischen den Registern übermittelt und empfangen werden (Absatz 2), und sie sind, vorbehaltlich der Zuständigkeit der das Unternehmensregister führenden Stelle nach Absatz 1 Satz 2, für die Abwicklung des Datenverkehrs nach den Absätzen 1 und 2 zuständig. 2§ 9 Absatz 1 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend. (4) 1Die das Unternehmensregister führende Stelle übermittelt nach den Vorgaben der Durchführungsverordnung (EU) 2021/1042 eine Änderung der Unterlagen der Rechnungslegung, die eine Kapitalgesellschaft mit Sitz im Inland offengelegt hat (§ 325 Absatz 1b Satz 1), unverzüglich an die zentrale Europäische Plattform, wenn die Kapitalgesellschaft eine Zweigniederlassung errichtet hat, die dem Recht eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum unterliegt. 2Empfängt die das Unternehmensregister führende Stelle über das Europäische System der Registervernetzung Daten zu einer Änderung der Unterlagen der Rechnungslegung einer Kapitalgesellschaft, die dem Recht eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum unterliegt und die eine inländische Zweigniederlassung errichtet hat, so bestätigt die registerführende Stelle den Eingang der Daten über das Europäische System der Registervernetzung. I. Hintergrund der Regelung (Abs. 1) . . . . . II. Beteiligung am Informationsaustausch (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Durchführung (Abs. 3 und Abs. 4) . . . . .
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Schrifttum: J. Schmidt, Upgrading digital company law – Der Kommissionsentwurf für die DigiRL II, NZG 2023, 593; Stiegler, Die Regelung zur europäischen Registervernetzung im deutschen Recht, NotBZ 2015, 329; Terbrack, Das gläserne Unternehmen? – Die Umsetzung der europaweiten Verknüpfung von Handelsregistern in das deutsche Recht, DStR 2015, 236.
I. Hintergrund der Regelung (Abs. 1) 1 Die Regelung will der zunehmenden Bedeutung länderübergreifender Unternehmenstätig-
keit im Binnenmarkt Rechnung tragen.1 Öffentlichkeit, Registergerichte und andere behördliche Stellen sollen einen besseren Zugang zu grenzüberschreitenden Unternehmensinformationen erhalten.2 Die entsprechenden Informationen können über das Justizportal http:// e-justice.europa.eu abgerufen werden. Neben der Verfügbarkeit in allen Amtssprachen kann ein Mindestsatz an Informationen über Unternehmen kostenlos abgerufen werden.3 Dazu zählen Firma, Rechtsform, Sitz und Registernummer der Gesellschaft.4 Abs. 1 Satz enthält eine Aufzählung über die zur Verfügung stehenden Informationen: Eintragungen im Handelsregister (Nr. 1), Registerbekanntmachungen (Nr. 2), zum Handelsregister eingereichte Dokumente (Nr. 3), Unterlagen der Rechnungslegung nach § 325 (Nr. 4) sowie eine Verschmelzungs-, Spaltungs- oder Formwechselbescheinigung nach § 316 Absatz 1 Satz 4, § 329 Satz 3 oder § 343 Absatz 1 Satz 4 des Umwandlungsgesetzes (Nr. 5). Die Mitgliedstaaten kön-
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Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 9b HGB Rz. 1. Stiegler, NotBZ 2015, 329; Terbrack, DStR 2015, 236. Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 9b HGB Rz. 1. Siehe Art. 19 Abs. 2 Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts.
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Europäisches System der Registervernetzung | Rz. 4 § 9b HGB
nen weitergehende Informationen kostenlos zur Verfügung stellen. Da die Funktion von Unternehmensregistern je nach Mitgliedstaat einer unterschiedlichen Bedeutung zukommen kann, sollen die Informationen auch Hinweise über ihre Verbindlichkeit nach dem nationalen Recht enthalten.5 Den europäischen Hintergrund bildet die Gesellschaftsrechtsrichtlinie,6 die zuletzt durch die Digitalisierungsrichtlinie7 geändert und ergänzt wurde. Die Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben und die Änderung des § 9b HGB erfolgte mit Wirkung zum 1.8.2022 durch das DiRUG.8 Die Bestimmungen betreffen nur Kapitalgesellschaften, was zu Recht kritisiert wird.9 Denn 2 auch im Zusammenhang mit Personengesellschaften besteht auf dem europäischen Binnenmarkt ein Interesse an hinreichender Information.10 Dies gilt insbesondere für die „Mischform“ GmbH & Co. KG. Hier existieren Informationen zur Komplementär-GmbH, aber keine zur am Markt auftretenden KG.11 Dies ist eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung. Die Europäische Kommission hat am 29.3.2023 einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Ausweitung des Einsatzes digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht (DigiRL II-E)12 vorgelegt.13 Geplant ist u.a. eine Ausweitung der Publizitätsvorschriften auf die Personenhandelsgesellschaften (oHG, KG), nicht jedoch auf andere Rechtsformen wie Genossenschaften oder die deutsche GbR.14 Einzureichen sind nach Abs. 1 Satz 1 alle Unterlagen, die die Anmeldung betreffen sowie die 3 sonstigen Schriftstücke, die von den Beteiligten verpflichtend einzureichen sind. Nach Abs. 1 Satz 2 übermitteln die Landesjustizverwaltungen die Daten des Handelsregisters und die das Unternehmensregister führende Stelle übermittelt die Daten der Rechnungslegungsunterlagen jeweils an die zentrale Europäische Plattform.
II. Beteiligung am Informationsaustausch (Abs. 2) Abs. 2 normiert die Pflicht zur Teilnahme am Informationsaustausch der Registergerichte. 4 Die Gesellschaften erhalten nach Abs. 2 Satz 2 eine einheitliche europäische Kennung, die neben den nationalen Registernummern steht und allein der Registervernetzung dient. Damit soll eine zuverlässige Zuordnung zu den jeweiligen Gesellschaften ermöglicht werden.15 Eine Pflicht zur Angabe auf Geschäftsbriefen besteht hingegen nicht. Der in Abs. 2 Satz 3 befindliche Katalog der zu übermittelnden Informationen wurde mit Wirkung zum 1.8.2022 um die Nr. 5 und 6 erweitert; mit Wirkung zum 1.3.2023 wurde Nr. 4 überarbeitet.
5 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 9b HGB Rz. 1. 6 Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts; zur Rechtslage vor der Zusammenfassung einzelner Richtlinien s. Müther in BeckOK/HGB, Stand: 1.8.2022, § 9b HGB Rz. 2. 7 Richtlinie (EU) 2019/1151 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2019 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 im Hinblick auf den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht. 8 DiRUG v. 5.7.2021 (BGBl. I 2021, 3338). 9 Stiegler, NotBZ 2015, 329, 333; Terbrack, DStR 2015, 236, 237. 10 DIHK-Stellungnahme v. 30.4.2014, S. 2. 11 Stiegler, NotBZ 2015, 329, 333. 12 Vorschlag für eine Richtlinie des EP und des Rates zur Änderung der RL 2009/102/EG und (EU) 2017/1132 in Bezug auf die Ausweitung des Einsatzes digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht, COM (2023) 177. 13 Dazu J. Schmidt, NZG 2023, 593 ff. 14 J. Schmidt, NZG 2023, 593, 595. 15 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 9b HGB Rz. 5. Grobe | 671
§ 9b HGB Rz. 5 | Handelsregister; Unternehmensregister
III. Durchführung (Abs. 3 und Abs. 4) 5 Abs. 3 regelt die Durchführung der Registervernetzung. Den Ländern obliegt es, das Infor-
mationssystem zur Übermittlung festzulegen. Die Ermächtigung folgt aus § 387 Abs. 6 FamFG (vormals § 9b Abs. 4 HGB a.F.). Die Weitergabe der Informationen richtet sich nach der EU-Durchführungsverordnung (EU) 2021/104216. 6 Nach Abs. 4 ist die das Unternehmensregister führende Stelle verpflichtet, auch Änderungen
hinsichtlich der Rechnungslegungsunterlagen weiterzuleiten bzw. den Eingang einer mitgeteilten Änderung durch eine ausländische Stelle zu bestätigen. Dies folgt aus der Anpassung von Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 und 6.
§ 9c HGB Informationsaustausch über disqualifizierte Personen über das Europäische System der Registervernetzung (1) 1Die das Unternehmensregister führende Stelle ist die zuständige Stelle für die Beantwortung eines über die zentrale Europäische Plattform gemäß § 9b Absatz 1 Satz 2 eingehenden Ersuchens eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum nach Artikel 13i der Richtlinie (EU) 2017/1132 um Informationen, die relevant sind für die Disqualifikation einer Person 1. als Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung gemäß § 6 Absatz 2 Satz 2 Nummer 2 und 3 des Gesetzes über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung oder 2. als Mitglied des Vorstands einer Aktiengesellschaft gemäß § 76 Absatz 3 Satz 2 Nummer 2 und 3 des Aktiengesetzes. 2Auf Anfrage eines Registergerichts führt die zuständige Stelle ein Ersuchen nach Artikel 13i der Richtlinie (EU) 2017/1132 gegenüber anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum durch und leitet die erhaltenen Antworten an das anfragende Registergericht weiter. (2) Die zuständige Stelle erhält zum Zweck der Beantwortung eines Ersuchens die für die Beantwortung erforderliche Auskunft aus dem Bundeszentralregister nach § 57a Absatz 4 des Bundeszentralregistergesetzes und aus dem Gewerbezentralregister nach § 150c Absatz 3 der Gewerbeordnung. (3) Die Beantwortung und die Durchführung eines Ersuchens erfolgen gemäß den Bestimmungen der Durchführungsverordnung (EU) 2020/2244 sowie einer nach Absatz 6 erlassenen Verordnung. (4) 1Die Beantwortung eines Ersuchens ist beschränkt auf die Angabe gemäß Artikel 13i Absatz 4 Satz 1 der Richtlinie (EU) 2017/1132,
16 Durchführungsverordnung (EU) 2021/1042 der Kommission vom 18.6.2021 mit Durchführungsbestimmungen zur Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf technische Spezifikationen und Verfahren für das System der Registervernetzung und zur Aufhebung der Durchführungsverordnung (EU) 2020/2244 der Kommission, ABl. L 225 vom 25.6.2021, S. 7–51.
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Informationsaustausch über disqualifizierte Personen | Rz. 1 § 9c HGB
1. ob die betroffene Person disqualifiziert ist a) gemäß § 6 Absatz 2 Satz 2 Nummer 2 und 3 des Gesetzes über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung als Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung oder b) gemäß § 76 Absatz 3 Satz 2 Nummer 2 und 3 des Aktiengesetzes als Mitglied des Vorstands einer Aktiengesellschaft oder 2. ob entsprechende Informationen im Bundeszentralregister oder Gewerbezentralregister enthalten sind. 2 Weitergehende Informationen über eine Disqualifikation der betroffenen Person werden durch die das Unternehmensregister führende Stelle über die zentrale Europäische Plattform nicht übermittelt. (5) 1Die zuständige Stelle darf die von einem ersuchenden Mitgliedstaat, von einem Registergericht oder nach Absatz 2 übermittelten personenbezogenen Daten der betroffenen Personen für die Zwecke der Beantwortung und der Durchführung eines Ersuchens verarbeiten. 2Die personenbezogenen Daten der betroffenen Personen sind von der zuständigen Stelle unverzüglich zu löschen, sobald und soweit diese nicht mehr für die Beantwortung oder die Durchführung des Ersuchens erforderlich sind. (6) Durch Rechtsverordnung nach § 9a Absatz 3 können auch die erforderlichen Bestimmungen in Bezug auf die Beantwortung und die Durchführung der Ersuchen durch die zuständige Stelle getroffen werden, einschließlich der Bestimmungen über 1. Inhalt, Frist, Form und Umfang der Beantwortung der Ersuchen, 2. die technischen Einzelheiten zum Empfang, zur Verarbeitung und zur Weitergabe der erforderlichen Daten für die Beantwortung und die Durchführung der Ersuchen, 3. die technischen Vorgaben zur Speicherung, Löschung, Berichtigung und Verarbeitung von Daten über die betroffenen Personen durch die zuständige Stelle, 4. die Prüfung der vom Bundeszentralregister oder vom Gewerbezentralregister erhaltenen Daten im Hinblick auf die Erfüllung der Voraussetzungen einer Disqualifikation gemäß § 6 Absatz 2 Satz 2 Nummer 2 und 3 des Gesetzes über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung oder gemäß § 76 Absatz 3 Satz 2 Nummer 2 und 3 des Aktiengesetzes, 5. die Voraussetzungen, Formalien, Fristen und Inhalte der Durchführung der Ersuchen. I. Hintergrund der Norm . . . . . . . . . . . . . . . II. Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Geltung für die GmbH & Co. KG . . . . . .
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I. Hintergrund der Norm Die Norm regelt den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten, ob eine Person 1 als Geschäftsführer einer GmbH oder Vorstand einer Aktiengesellschaft nach den deutschen Bestimmungen zur Inhabilität ausgeschlossen ist. Die Regelung setzt Vorgaben der Digitalisierungsrichtlinie1 um und ist im Zuge des DiRUG2 mit Wirkung zum 1.8.2022 in Kraft getreten. 1 Richtlinie (EU) 2019/1151 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2019 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 im Hinblick auf den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht. 2 Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie (DiRUG) vom 21.7.2021, BGBl. I 2021, 3338. Grobe | 673
§ 9c HGB Rz. 2 | Handelsregister; Unternehmensregister
II. Regelungsinhalt 2 Nach Abs. 1 ist für die Bearbeitung der Anfragen das Unternehmen zuständig, das auch das
elektronische Unternehmensregister führt, da dieses bereits an das Europäische System der Registervernetzung angebunden ist, § 9b Abs. 1 Satz 2 HGB.3 Die Zuständigkeit besteht sowohl für Anfragen aus dem Ausland als auch für die Informationsgesuche deutscher Registergerichte. Dadurch ist eine Kontaktaufnahme der Registergerichte mit den jeweils zuständigen ausländischen Stellen nicht erforderlich. 3 Die Weitergabe beschränkt sich nach Abs. 1 zum einen nur auf diejenigen Informationen,
die nach deutschem Recht einen Inhabilitätsgrund darstellen und zum anderen nur auf organschaftliche Vertreter von Kapitalgesellschaften, vgl. Art. 13 Abs. 1 Satz 3 GesR-RL. 4 Durch Abs. 2 wird die zuständige Stelle ermächtigt, Informationen gegenüber dem Bundes-
zentral- und Gewerbezentralregister abzufragen. Bundeszentral- und Gewerbezentralregister müssen dabei eine umfassende Auskunft erteilen.4 Die gewonnenen Informationen werden durch die zuständige Stelle fachlich bewertet, damit nur diejenigen Informationen an die ausländische Stelle weitergegeben werden, die sich auf die deutschen Inhabilitätsvorschriften beziehen.5 5 Abs. 3 bestimmt, dass sich das Auskunftsverfahren nach der Durchführungsverordnung
zur GesR-Richtlinie richtet. 6 Abs. 4 legt den inhaltlichen Umfang der Auskunft fest. Dabei sind ausschließlich die Inha-
bilitätsvorschriften aus dem GmbH- (§ 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 und 3 GmbHG) und Aktienrecht (§ 76 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 AktG) maßgeblich. Das Ersuchen enthält allein die Auskunft, ob die betroffene Person als disqualifiziert angesehen wird; über Dauer oder genauere Gründe erfolgt hingegen keine Auskunft.6 Ebenfalls nicht von der Auskunft umfasst sind Informationen darüber, ob die betroffene Person unbeschränkt geschäftsfähig ist oder unter Betreuung steht, § 9c Abs. 4 Satz 2 HGB. Beabsichtigt der Auskunft ersuchende Mitgliedstaat weitere Informationen, stehen ihm nur die Instrumente der internationalen Rechtshilfe zur Verfügung.7 7 Abs. 5 enthält Bestimmungen zum Datenschutz. Die erhobenen Daten sind nach Erledigung
des Abfrageersuchens zu löschen. Sie dürfen weder vorübergehend noch dauerhaft gespeichert werden, selbst wenn davon auszugehen ist, das entsprechende weitere Anfragen erwartet werden.8 8 Nach Abs. 6 wird das BMJ zum Erlass einer Verordnung ermächtigt, die Näheres zu den
formalen Anforderungen zu Durchführung und Beantwortung eines Ersuchens sowie technischen Einzelheiten regelt. Da nach § 8b Abs. 5 HGB die Führung des Unternehmensregisters auch den Informationsaustausch nach § 9c HGB erfasst, bietet es sich an, die Bestimmungen in die Unternehmensregisterverordnung aufzunehmen.9
3 Vgl. RegE DiRUG, S. 102. 4 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 9c HGB Rz. 5; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/ Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 9c HGB Rz. 5. 5 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 9c HGB Rz. 5; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/ Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 9c HGB Rz. 6. 6 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 9c HGB Rz. 7. 7 Vgl. RegE DiRUG, S. 104; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 9c HGB Rz. 7. 8 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 9c HGB Rz. 8; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/ Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 9c HGB Rz. 7 f.; umfassend Koch/Harnos in Staub, § 9c HGB Rz. 17 ff. 9 Ebenso Müther in BeckOK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 9c HGB Rz. 9.
674 | Grobe
Bekanntmachung der Eintragungen; Registerbekanntmachungen | Rz. 1 § 10 HGB
III. Geltung für die GmbH & Co. KG Obschon die Regelung sich nur auf die organschaftlichen Vertreter von Kapitalgesellschaften 9 bezieht, somit das Recht der Personengesellschaften dem Grunde nach nicht tangiert, erlangt die Bestimmung für Personengesellschaft bei der Mischform der GmbH & Co. KG Bedeutung. Denn hier gelten auch die Inhabilitätsregeln für den Geschäftsführer der Komplementär-GmbH.
§ 10 HGB Bekanntmachung der Eintragungen; Registerbekanntmachungen (1) 1Die Eintragungen in das Handelsregister sowie Registerbekanntmachungen nach Absatz 3 werden durch ihre erstmalige Abrufbarkeit über das nach § 9 Absatz 1 bestimmte elektronische Informations- und Kommunikationssystem bekannt gemacht. 2§ 9 Absatz 1 Satz 4 und 5 gilt entsprechend. (2) Die Eintragungen in das Handelsregister und die eingereichten Dokumente, die gemäß § 9 der unbeschränkten Einsichtnahme unterliegen, sind unverzüglich nach der Eintragung in das Handelsregister zum Abruf über das nach § 9 Absatz 1 bestimmte elektronische Informations- und Kommunikationssystem bereitzustellen. (3) Das Registergericht kann in den gesetzlich bestimmten Fällen in dem nach § 9 Absatz 1 bestimmten elektronischen Informations- und Kommunikationssystem sonstige oder zusätzliche Tatsachen bekannt machen (Registerbekanntmachungen). (4) 1Eine Eintragung gilt mit dem Ablauf des Tages der Eintragung und eine Registerbekanntmachung gilt mit dem Ablauf des Tages der Registerbekanntmachung als bekannt gemacht. 2Dies gilt nicht, wenn der Nachweis erbracht wird, dass der Abruf der Eintragung oder der Registerbekanntmachung 1. bereits zu einem früheren Zeitpunkt möglich war oder 2. erstmalig erst zu einem späteren Zeitpunkt möglich war. I. Hintergrund der Norm . . . . . . . . . . . . . . . II. Inhalt der Eintragung; Mitteilung . . . . . . III. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 5 7
IV. Zeitpunkt und Wirkung von Eintragung und Registerbekanntmachung . . . . . . . . .
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Schrifttum: Lieder, Die Publizität des Handelsregisters nach dem DiRUG, DNotZ, 2021, 830; J. Schmidt, DiRUG-RefE: Ein Digitalisierungs-Ruck für das deutsche Gesellschafts- und Registerrecht, ZIP 2021, 112; J. Schmidt, DiRUG – Auf dem Weg in ein digitale(re)s Gesellschafts- und Registerrecht, NZG 2021, 849.
I. Hintergrund der Norm Die Formen der Bekanntmachung haben sich mit fortschreitender Digitalisierung in den 1 letzten Jahrzehnten gewandelt.1 So war es bis Mitte 2022 erforderlich, dass die Eintragung 1 Dazu Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 10 HGB Rz. 1; vgl. auch Lieder, DNotZ 2021, 830, 831. Grobe | 675
§ 10 HGB Rz. 1 | Handelsregister; Unternehmensregister durch Anmeldung oder von Amts wegen, zum einen, um den von der Eintragung Betroffenen zu binden, zum anderen, um den Anforderungen des Handelsregisters an die geforderte Publizität zu genügen, bekannt gemacht werden musste.2 § 10 HGB hat aufgrund des Gesetzes zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie3 zum 1.8.2022 zuletzt eine umfassende Neugestaltung erfahren: Während nach der Vorgängernorm (§ 10 HGB a.F.) die Eintragungen durch das in dem von der Landesjustizverwaltung bestimmten elektronischen Informations- und Kommunikationssystem in der zeitlichen Folge ihrer Eintragung nach Tagen geordnet bekannt gemacht wurden, werden nach der Neufassung gem. Abs. 1 Satz 1 die Eintragungen in das Handelsregister als auch die Registerbekanntmachungen nach Abs. 3 durch ihre erstmalige Abrufbarkeit über das elektronische Informations- und Kommunikationssystem bekanntgemacht, vgl. § 9 Abs. 1 HGB.4 2 Registerbekanntmachungen erfassen Bekanntmachungen von sonstigen oder zusätzlichen
Tatsachen in den gesetzlich bestimmten Fällen, Abs. 3.5 Das entsprechende Verfahren zu den Registerbekanntmachungen wird in der HRV geregelt. 3 Abs. 4 enthält eine widerlegbare Vermutungsregelung zur Frage des Bekanntmachungszeit-
punkts von Eintragungen und Registerbekanntmachungen. 4 Auch nach der gesetzlichen Neufassung knüpfen die Rechtswirkungen an Eintragung und
Bekanntmachung an, vgl. § 15 Abs. 1 und Abs. 2 HGB. Gleiches gilt für die Eintragungen nach § 25 Abs. 2 und § 28 Abs. 2 HGB. Bei einer fehlerhaft eingetragenen Tatsache besteht die Gefahr, dass der eingetragene Rechtsträger gegenüber dem Dritten an diese Rechtslage gebunden ist. Ferner beziehen sich Vorschriften anderer Gesetze auf § 10 HGB, insbesondere § 4 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3 SpruchG6 oder §§ 393 ff. FamFG7.
II. Inhalt der Eintragung; Mitteilung 5 Da nach der Neufassung des § 10 HGB die Bekanntmachung mit dem erstmaligen Abruf
erfolgt, entspricht ihr Inhalt der Eintragung der Tatsache. Dieser Umstand hat sich auch auf verschiedene Sonderbestimmungen ausgewirkt, vgl. § 162 Abs. 2 HGB a.F., § 175 Satz 2 HGB a.F. 6 Die Eintragung ist den Beteiligten mitzuteilen, § 383 Abs. 1 FamFG, damit diese über die
Richtigkeit und Vollständigkeit befinden können. Sie ist keine Voraussetzung für die Wirksamkeit der Eintragung, § 8a Abs. 1 HGB bzw. § 381 Abs. 2 Satz 2 FamFG. Fehlt sie allerdings, können sich amtshaftungsrechtliche Ansprüche ergeben.8 Wurde der Eintragungsantrag durch einen Bevollmächtigten gestellt, ist dieser Empfänger der Eintragungsmitteilung.9 Auf die Übersendung kann verzichtet werden, § 383 Abs. 1 FamFG. Das Registergericht hat in geeigneten Fällen nach § 36 Satz 2 HRV darauf hinzuweisen.
2 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 10 HGB Rz. 2. 3 DiRUG v. 5.7.2021 (BGBl. I 2021, 3338); s. Lieder, DNotZ 2021, 830; J. Schmidt, ZIP 2021, 112; J. Schmidt, NZG 2021, 849, 850. 4 Dazu J. Schmidt, ZIP 2021, 112, 118 f. 5 J. Schmidt, ZIP 2021, 112, 118. 6 Dazu Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 10 HGB Rz. 3a. 7 Vgl. Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 10 HGB Rz. 3a, 13. 8 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 10 HGB Rz. 10. 9 Zu § 15 GBO OLG Stuttgart v. 15.10.1973 – 8 W 205/73, NJW 1974, 705.
676 | Grobe
Bekanntmachung der Eintragungen; Registerbekanntmachungen | Rz. 10 § 10 HGB
III. Verfahren Die Bekanntmachung erfolgt von Amts wegen. Ein zusätzlicher Antrag ist nicht erforderlich, 7 da die Eintragung allein mit ihrer erstmaligen Abrufbarkeit zugleich bekannt gemacht wird.10 Ein Verzicht auf Bekanntmachung ist nicht möglich.11 Eine genauere Ausgestaltung des Verfahrens enthalten §§ 32, 33 HRV n.F. Nach § 32 HRV 8 ist die Eintragung unverzüglich zum Abruf über das elektronische Informations- und Kommunikationssystem bereitzustellen und damit bekanntzumachen. § 33 HRV regelt die Registerbekanntmachungen nach § 10 Abs. 3 HGB. Diese sind eine unmittelbare Folge des Wegfalls der Bekanntmachung als eigenständiges Publizitätsmedium und sind ein neues Publizitätsinstrument, das es ermöglicht, die vom im Gesetz vorgesehenen Informationen zu veröffentlichen.12 Ihre personengesellschaftsrechtliche Relevanz ist gering; entsprechende Veröffentlichungspflichten existieren im Kapitalgesellschaftsrecht (wie bspw. § 106 AktG oder § 52 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 GmbHG). Registerbekanntmachungen werden in der zeitlichen Folge ihrer Bekanntmachung für jedes Registerblatt gesondert als Veröffentlichung zum Abruf zur Verfügung gestellt, § 33 Abs. 1 HRV. Zuständig ist entweder der Richter selbst, sofern die Vornahme der Registerbekanntmachung nicht per Verfügung auf den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle übertragen wurde, § 33 Abs. 2 Satz 1 HRV. Der Wortlaut der Bekanntmachung ist besonders zu verfügen, § 33 Abs. 2 Satz 2 HRV, wobei nach § 33 Abs. 3 HRV darauf zu achten ist, dass die Registerbekanntmachung knapp gefasst und leicht verständlich ist. Nach § 33 Abs. 4 HRV ist das Gericht und ggf. der Tag der betreffenden Eintragung anzugeben. Dabei soll möglichst das Muster in Anlage 3 verwendet werden, § 33 Abs. 5 HRV. Nach § 34a HRV sind bei den europarechtlichen Unternehmensformen wie SE und EWIW die Bekanntmachungen zusätzlich im Amtsblatt der Europäischen Union vorzunehmen.
IV. Zeitpunkt und Wirkung von Eintragung und Registerbekanntmachung Abs. 4 Satz 1 enthält die widerlegbare Vermutung, dass eine Eintragung sowie eine Register- 9 bekanntmachung mit dem Tag des Ablaufs ihrer Eintragung als bekannt gemacht gelten. Der Tag der Eintragung ist zu vermerken, § 27 Abs. 4 HRV. Der Zeitpunkt der Abrufbarkeit kann, muss aber nicht angegeben werden, § 27 Abs. 5 HRV. Die Vernutung nach Abs. 4 Satz 1 greift nicht, wenn der Nachweis erbracht wird, dass der 10 Abruf der Eintragung oder der Registerbekanntmachung entweder bereits zu einem früheren Zeitpunkt (Nr. 1) oder erstmalig erst zu einem späteren Zeitpunkt (Nr. 2) möglich war. Hierbei ist derjenige beweisbelastet, der sich entweder auf die frühere oder spätere Abrufbarkeit beruft. Als Nachweis dient hierbei der Registerausdruck mit Abrufvermerk, wobei hinsichtlich der früheren Abrufbarkeit der genauere Zeitpunkt nicht nachgewiesen werden muss.13 Ein späterer Abruf kann nur aufgrund einer elektronischen Aufzeichnung nach § 27 Abs. 5 HRV nachgewiesen werden.14
10 Lieder, DNotZ 2021, 830, 831 f.; J. Schmidt, ZIP 2021, 112, 118. 11 Merkt in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 10 HGB Rz. 1; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 10 HGB Rz. 8. 12 Koch/Harnos in Staub, § 10 HGB Rz. 12. 13 RegE DiRUG, S. 108. 14 RegE DiRUG, S. 108; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 10 HGB Rz. 9b. Grobe | 677
§ 10a HGB Rz. 1 | Handelsregister; Unternehmensregister
§ 10a HGB Anwendung der Verordnung (EU) 2016/679 (1) 1Das Auskunftsrecht nach Artikel 15 Absatz 1 und das Recht auf Erhalt einer Kopie nach Artikel 15 Absatz 3 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) (ABl. L 119 vom 4.5.2016, S. 1; L 314 vom 22.11.2016, S. 72) wird dadurch erfüllt, dass die betroffene Person Einsicht in das Handelsregister und in die zum Handelsregister eingereichten Dokumente nehmen kann. 2Eine Information der betroffenen Person über konkrete Empfänger, gegenüber denen die im Register, in Registerbekanntmachungen oder in zum Register einzureichenden Dokumenten enthaltenen personenbezogenen Daten offengelegt werden, erfolgt nicht. (2) Hinsichtlich der im Handelsregister, in Registerbekanntmachungen oder in zum Handelsregister einzureichenden Dokumenten enthaltenen personenbezogenen Daten kann das Recht auf Berichtigung nach Artikel 16 der Verordnung (EU) 2016/679 nur unter den Voraussetzungen ausgeübt werden, die in den §§ 393 bis 395 und §§ 397 bis 399 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit sowie der Rechtsverordnung nach § 387 Absatz 2 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit für eine Löschung oder Berichtigung vorgesehen sind. (3) Das Widerspruchsrecht gemäß Artikel 21 der Verordnung (EU) 2016/679 findet in Bezug auf die im Handelsregister, in Registerbekanntmachungen oder in zum Handelsregister einzureichenden Dokumenten enthaltenen personenbezogenen Daten keine Anwendung. I. Hintergrund der Norm . . . . . . . . . . . . . . . II. Recht auf Auskunft (Abs. 1 i.V.m. Art. 15 DSGVO) . . . . . . . .
1 2
III. Recht auf Berichtigung (Abs. 2 i.V.m. Art. 16 DSGVO) . . . . . . . . IV. Ausschluss des Widerspruchsrechts (Abs. 3 i.V.m. Art. 21 DSGVO) . . . . . . . .
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I. Hintergrund der Norm 1 Die Norm1 behandelt das Verhältnis des Registerrechts zu den Bestimmungen der Daten-
schutzgrundverordnung (DSGVO). Eine solche Klärung ist erforderlich, da im Handelsregister auch personenbezogene Daten verarbeitet werden, die von der DSGVO geschützt sind. Der Gesetzgeber hat Anpassungen in § 9 HRV vorgenommen, um den Anforderungen des Datenschutzes bei Registersachen gerecht zu werden.2 Eine umfassende Geheimhaltung privater Daten findet dennoch nicht statt.3 Nach Art. 23 DSGVO steht es dem nationalen Gesetzgeber frei, von den Grundregeln der DSGVO abzuweichen, wenn besondere Gründe vorliegen. Zu diesen Gründen zählt der Gesetzgeber vorliegend die Leichtigkeit und Verlässlichkeit der öffentlichen Register, auf die der Rechtsverkehr angewiesen ist.4 Die Bestim-
1 Vgl. Art. 7 des Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften vom 17.7.2017, BGBl. I 2017, 2541; zuletzt geändert mit Wirkung zum 1.8.2022 durch DiRUG v. 5.7.2021 (BGBl. I 2021, 3338). 2 Wollenschläger, NZG 2023, 690 ff. 3 Wollenschläger, NZG 2023, 690, 692 ff. 4 Vgl. BT-Drucks. 18/12611, 67; Art. 23 Abs. 1 Buchst. 2 DSGVO, Erwägungsgrund 73 DSGVO.
678 | Grobe
Offenlegung in der Amtssprache eines Mitgliedstaats der EU | § 11 HGB
mung gilt für das Partnerschafts- (§ 5 Abs. 2 PartGG), das Gesellschafts- (§ 707b Nr. 2 BGB) als auch für das Genossenschaftsregister.5
II. Recht auf Auskunft (Abs. 1 i.V.m. Art. 15 DSGVO) Nach Abs. 1 wird das durch Art. 15 DSGVO gewährte Recht auf Auskunft dadurch erfüllt, 2 dass die betroffene Person Einsicht in das Handelsregister und in die dort eingereichten Dokumente nehmen kann. Weitergehende Informationen über konkrete Empfänger erfolgen hingegen nicht, Abs. 1 Satz 2. Entgegen vereinzelter Stimmen6 beschränkt hier das Gesetz nur den Anwendungsbereich von Art. 15 DSGVO,7 da der Gesetzeswortlaut gerade kein ausdrückliches Verbot wie in Abs. 3 enthält.
III. Recht auf Berichtigung (Abs. 2 i.V.m. Art. 16 DSGVO) Nach Art. 16 DSGVO steht der betroffenen Person ein Recht zur Berichtigung unrichtiger 3 personenbezogener Daten zu. Dieses Berichtigungsrecht wird durch Abs. 2 aufgrund der registerrechtlichen Besonderheiten (bspw. der Publizitätswirkung des Handelsregisters) angepasst. Personenbezogene Daten können unter den Voraussetzungen des § 395 FamFG berichtigt werden. Ob dies im Sinne einer Löschung erfolgen kann, ist aufgrund der registerrechtlichen Besonderheiten zweifelhaft.8 Schreibfehler können bereits nach § 17 HRV jederzeit berichtigt werden.9 Überwiegend werden die weiteren Bestimmungen der genannten §§ 393 ff. FamFG nicht einschlägig sein.10
IV. Ausschluss des Widerspruchsrechts (Abs. 3 i.V.m. Art. 21 DSGVO) Art. 21 DSGVO regelt das Recht der betroffenen Person, der Verarbeitung ihrer personenbe- 4 zogenen Daten zu widersprechen. Abs. 3 schließt dieses Widerspruchsrecht ausdrücklich aus, da ein solches mit dem System des Handelsregisters nicht zu vereinbaren ist.11
§ 11 HGB Offenlegung in der Amtssprache eines Mitgliedstaats der Europäischen Union (1) 1Die zum Handelsregister einzureichenden Dokumente sowie der Inhalt einer Eintragung können zusätzlich in jeder Amtssprache eines Mitgliedstaats der Europäischen Uni-
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Vgl. BT-Drucks. 18/12611, 67; § 1 GenRegV. So hingegen Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 10a HGB Rz. 2. Ebenso Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 10a HGB Rz. 4. BGH v. 3.2.2015 – II ZB 12/14, ZIP 2015, 1064 = GmbHR 2015, 751; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 10a HGB Rz. 3. 9 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 10a HGB Rz. 5; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 10a HGB Rz. 3. 10 So bereits Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 10a HGB Rz. 3. 11 Dazu Wollenschläger, NZG 2023, 690, 691 f.; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 10a HGB Rz. 4. Grobe | 679
Offenlegung in der Amtssprache eines Mitgliedstaats der EU | § 11 HGB
mung gilt für das Partnerschafts- (§ 5 Abs. 2 PartGG), das Gesellschafts- (§ 707b Nr. 2 BGB) als auch für das Genossenschaftsregister.5
II. Recht auf Auskunft (Abs. 1 i.V.m. Art. 15 DSGVO) Nach Abs. 1 wird das durch Art. 15 DSGVO gewährte Recht auf Auskunft dadurch erfüllt, 2 dass die betroffene Person Einsicht in das Handelsregister und in die dort eingereichten Dokumente nehmen kann. Weitergehende Informationen über konkrete Empfänger erfolgen hingegen nicht, Abs. 1 Satz 2. Entgegen vereinzelter Stimmen6 beschränkt hier das Gesetz nur den Anwendungsbereich von Art. 15 DSGVO,7 da der Gesetzeswortlaut gerade kein ausdrückliches Verbot wie in Abs. 3 enthält.
III. Recht auf Berichtigung (Abs. 2 i.V.m. Art. 16 DSGVO) Nach Art. 16 DSGVO steht der betroffenen Person ein Recht zur Berichtigung unrichtiger 3 personenbezogener Daten zu. Dieses Berichtigungsrecht wird durch Abs. 2 aufgrund der registerrechtlichen Besonderheiten (bspw. der Publizitätswirkung des Handelsregisters) angepasst. Personenbezogene Daten können unter den Voraussetzungen des § 395 FamFG berichtigt werden. Ob dies im Sinne einer Löschung erfolgen kann, ist aufgrund der registerrechtlichen Besonderheiten zweifelhaft.8 Schreibfehler können bereits nach § 17 HRV jederzeit berichtigt werden.9 Überwiegend werden die weiteren Bestimmungen der genannten §§ 393 ff. FamFG nicht einschlägig sein.10
IV. Ausschluss des Widerspruchsrechts (Abs. 3 i.V.m. Art. 21 DSGVO) Art. 21 DSGVO regelt das Recht der betroffenen Person, der Verarbeitung ihrer personenbe- 4 zogenen Daten zu widersprechen. Abs. 3 schließt dieses Widerspruchsrecht ausdrücklich aus, da ein solches mit dem System des Handelsregisters nicht zu vereinbaren ist.11
§ 11 HGB Offenlegung in der Amtssprache eines Mitgliedstaats der Europäischen Union (1) 1Die zum Handelsregister einzureichenden Dokumente sowie der Inhalt einer Eintragung können zusätzlich in jeder Amtssprache eines Mitgliedstaats der Europäischen Uni-
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Vgl. BT-Drucks. 18/12611, 67; § 1 GenRegV. So hingegen Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 10a HGB Rz. 2. Ebenso Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 10a HGB Rz. 4. BGH v. 3.2.2015 – II ZB 12/14, ZIP 2015, 1064 = GmbHR 2015, 751; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 10a HGB Rz. 3. 9 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 10a HGB Rz. 5; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 10a HGB Rz. 3. 10 So bereits Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 10a HGB Rz. 3. 11 Dazu Wollenschläger, NZG 2023, 690, 691 f.; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 10a HGB Rz. 4. Grobe | 679
§ 11 HGB Rz. 1 | Handelsregister; Unternehmensregister on übermittelt werden. 2Auf die Übersetzungen ist in geeigneter Weise hinzuweisen. 3§ 9 ist entsprechend anwendbar. (2) Im Fall der Abweichung der Originalfassung von einer eingereichten Übersetzung kann letztere einem Dritten nicht entgegengehalten werden; dieser kann sich jedoch auf die eingereichte Übersetzung berufen, es sei denn, der Eingetragene weist nach, dass dem Dritten die Originalfassung bekannt war. I. Bedeutung und Hintergrund der Norm . II. Einreichung in fremder Sprache (Abs. 1)
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III. Wirkung der Publizität (Abs. 2) . . . . . . .
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Schrifttum: Nedden-Boeger, Das neue Registerrecht, FGPrax 2007, 1; Paefgen, Handelsregisterpublizität und Verkehrsschutz im Lichte des EHUG, ZIP 2008, 1653.
I. Bedeutung und Hintergrund der Norm 1 Die Regelung dient der Umsetzung von Europarecht: Art. 21 GesR-RL1 ermöglicht die frei-
willige2 Offenlegung der Dokumente in einer der Amtssprachen der Europäischen Union. Die Unternehmen können dazu nicht nach § 14 HGB gezwungen werden. Da § 184 GVG als Gerichtssprache die deutsche Sprache bestimmt, war die Normierung einer Ausnahme wie sie § 11 HGB nun enthält erforderlich. Der nationale Gesetzgeber hat den Anwendungsbereich in verschiedenerlei Hinsicht erweitert: Zum einen erfasst die Regelung auch Personenhandelsgesellschaften, die eingetragene GbR (§ 707b Nr. 2 BGB) und Einzelkaufleute.3 Zum anderen erfasst die Norm nicht nur die Amtssprachen der Europäischen Union, sondern die aller Mitgliedstaaten.4 Ob der Wortlaut damit noch als richtlinienkonform angesehen werden kann, wird angezweifelt5, da Art. 21 Abs. 2 Unterabs. 1 der Gesellschaftsrechtsrichtlinie nur von „Amtssprachen der Union“ spricht und damit etwas völlig anderes darstellt als die Amtssprachen der EU-Mitgliedstaaten.6 Auswirkungen hat dies bspw. für das Luxemburgische, das keine Amtssprache der Union ist.7 Da § 325 HGB auf § 11 HGB verweist, können auch die Unterlagen der Rechnungslegung in fremder Sprache eingereicht werden. Abs. 2 enthält eine Bestimmung zum Vertrauensschutz, falls die Originalfassung von einer eingereichten Kopie abweicht.
1 Vgl. Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts; zuvor Art. 4 Abs. 2 und 4 der Publizitätsrichtlinie – RL 2009/101/EG. 2 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 11 HGB Rz. 1. 3 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 11 HGB Rz. 1; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 11 HGB Rz. 2. 4 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 11 HGB Rz. 1; erfasst sind damit die folgenden Sprachen: Dänisch, Deutsch, Englisch, Estnisch, Finnisch, Griechisch, Irisch, Italienisch, Lettisch, Litauisch, Maltesisch, Niederländisch, Polnisch, Portugiesisch, Schwedisch, Slowakisch, Slowenisch, Spanisch, Tschechisch und Ungarisch; die von der Richtlinie eröffnete Möglichkeit, jede Sprache zuzulassen, wurde nicht genutzt; vgl. Art. 21 Abs. 3 GesR-RL. 5 Koch/Harnos in Staub, § 11 HGB Rz. 6. 6 Koch/Harnos in Staub, § 11 HGB Rz. 6. 7 Darauf verweisend Koch/Harnos in Staub, § 11 HGB Rz. 7.
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Offenlegung in der Amtssprache eines Mitgliedstaats der EU | Rz. 6 § 11 HGB
II. Einreichung in fremder Sprache (Abs. 1) Die Norm eröffnet die Möglichkeit, auch fremdsprachige Fassungen einzureichen. Erfasst 2 sind sowohl Übersetzungen als auch Originaldokumente,8 wobei als Originalfassung i.S.v. § 11 HGB allein die deutsche Fassung gilt.9 Beglaubigte Übersetzungen nach § 142 ZPO sind hingegen nicht erforderlich.10 Die Übersetzungsmöglichkeit erfasst ferner die Übersetzung der Registereintragungen.11 Das Registergericht führt keine Inhaltskontrolle durch.12 Allein offensichtliche Fehler in 3 den Dokumenten können zurückgewiesen werden.13 Die Einreichung einer fehlerhaften fremdsprachlichen Fassung führt allerdings nicht zu einem Eintragungshindernis.14 Nach Abs. 1 Satz 2 ist auf die Übersetzung in geeigneter Form hinzuweisen. Ferner besteht 4 hinsichtlich der fremdsprachlichen Fassungen nach Abs. 1 Satz 3 ein Einsichtsrecht.15
III. Wirkung der Publizität (Abs. 2) § 11 Abs. 2 HGB ergänzt die sich auf Eintragung und Bekanntmachung beziehende Publizi- 5 tätswirkung des § 15 HGB um die Publizitätswirkung der Übersetzung. Die Regelung entspricht den Vorgaben von Art. 21 Abs. 4 GesR-RL und dient dem abstrakten Vertrauensschutz,16 da es nicht darauf ankommt, ob der schutzwürdige Dritte Kenntnis von der Übersetzung hatte.17 Der die Übersetzung freiwillig einreichende Unternehmensträger kann sich auf die Unrichtigkeit der Übersetzung nicht berufen, Abs. 2 Satz 1. Anderes gilt dagegen grundsätzlich für den Dritten, Abs. 2 Halbs. 2, es sei denn, dass der Unternehmensträger darlegt und beweist, dass der Dritte von der Originalfassung positive Kenntnis hatte. Bloße fahrlässige Unkenntnis reicht hierbei nicht.18 Positive Kenntnis des Dritten von der Originalfassung meint nicht allein die Kenntnis ihrer 6 bloßen Existenz.19 Eine solche Interpretation widerspricht dem zugrunde liegenden Grundsatz des abstrakten Vertrauensschutzes.20 Maßgeblich ist vielmehr, dass dem Dritten der inhaltliche Unterschied zwischen der Übersetzung und der Originalfassung bekannt war.21 8 Insbesondere bei der Eintragung von Zweigniederlassungen ausländischer Unternehmungen, Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 11 HGB Rz. 2. 9 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 11 HGB Rz. 3. 10 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 11 HGB Rz. 4; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 11 HGB Rz. 5. 11 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 11 HGB Rz. 2; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 11 HGB Rz. 2. 12 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 11 HGB Rz. 2; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 11 HGB Rz. 4; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 11 HGB Rz. 7. 13 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 11 HGB Rz. 7; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 11 HGB Rz. 2. 14 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 11 HGB Rz. 2. 15 Dazu Koch/Harnos in Staub, § 11 HGB Rz. 10. 16 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 11 HGB Rz. 9; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 11 HGB Rz. 4; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 11 HGB Rz. 10. 17 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 11 HGB Rz. 9. 18 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 11 HGB Rz. 6; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 11 HGB Rz. 9. 19 So allerdings Schaub in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 11 HGB Rz. 10. 20 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 11 HGB Rz. 6.1. 21 Nedden-Boeger, FGPrax 2007, 1, 3; Paefgen, ZIP 2008, 1653, 1659; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 11 HGB Rz. 10; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 11 HGB Rz. 6.1; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 11 HGB Rz. 11. Grobe | 681
§ 12 HGB Rz. 1 | Handelsregister; Unternehmensregister
§ 12 HGB Anmeldungen zur Eintragung und Einreichungen (1) 1Anmeldungen zur Eintragung in das Handelsregister sind elektronisch in öffentlich beglaubigter Form einzureichen. 2Die öffentliche Beglaubigung mittels Videokommunikation gemäß § 40a des Beurkundungsgesetzes ist zulässig. 3Die gleiche Form ist für eine Vollmacht zur Anmeldung erforderlich. 4Anstelle der Vollmacht kann die Bescheinigung eines Notars nach § 21 Absatz 3 der Bundesnotarordnung eingereicht werden. 5Rechtsnachfolger eines Beteiligten haben die Rechtsnachfolge soweit tunlich durch öffentliche Urkunden nachzuweisen. (2) 1Dokumente sind elektronisch in einem maschinenlesbaren und durchsuchbaren Datenformat einzureichen. 2Ist eine Urschrift oder eine einfache Abschrift einzureichen oder ist für das Dokument die Schriftform bestimmt, genügt die Übermittlung einer elektronischen Aufzeichnung; ist ein notariell beurkundetes Dokument oder eine öffentlich beglaubigte Abschrift einzureichen, so ist ein mit einem einfachen elektronischen Zeugnis (§ 39a des Beurkundungsgesetzes) versehenes Dokument zu übermitteln. I. II. III. 1. 2.
Allgemeines zur Anmeldung . . . . . . . . . Inhalt der Anmeldung . . . . . . . . . . . . . . . Form der Anmeldung, Widerruf Öffentliche Beglaubigung . . . . . . . . . . . . . Öffentliche Beglaubigung mittels Videokommunikation (Abs. 1 Satz 2) . . . . . . . .
1 3 7 9
3. Widerruf der Anmeldung . . . . . . . . . . . . IV. Vertretung (Abs. 1 Satz 3 und 4) . . . . . . V. Nachweis der Rechtsnachfolge (Abs. 1 Satz 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Einreichung elektronischer Dokumente (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Schrifttum: Bormann/Stelmaszcyk, Digitalisierung des Gesellschaftsrechts nach dem EU-Company Law Package – Zum neuen EU-Rechtsrahmen für die Online-Gründung von Kapitalgesellschaften, NZG 2019, 601; Lieder, Digitalisierung des Europäischen Unternehmensrechts – Online-Gründung, Online-Einreichung, Online-Zweigniederlassung, NZG 2018, 1081; Müther, Anm. zu OLG München, Beschluß vom 15.11.2005 – 31 Wx 56/05, Rpfleger 2006, 126; Sikora/Schwab, Das EHUG in der notariellen Praxis, MittBayNot 2007, 1.
I. Allgemeines zur Anmeldung 1 Die Anmeldung ist ein Fachterminus des Registerverfahrens und ist als Antrag zu verste-
hen.1 Eine Anmeldung ist erforderlich, da Eintragungen im Handelsregister grundsätzlich nicht von Amts wegen erfolgen (Ausnahme: Eintragungen von Löschungen gem. § 31 Abs. 2 Satz 2 HGB, § 393 FamFG, § 394 FamFG, § 397 FamFG)2. Neben der Anmeldung zur Eintragung im Handelsregister können sonstige Dokumente (wie bspw. Urkunden) eingereicht werden. Demzufolge ist zwischen Anmeldung und Einreichung zu differenzieren.3 2 § 12 HGB regelt die Formanforderungen an die Anmeldung. So sieht die Bestimmung wei-
terhin das Erfordernis der öffentlichen Beglaubigung vor. Diese Entscheidung des Gesetzgebers ist auf ein tradiertes Verständnis zurückzuführen, wonach die Mitwirkung des Notars erforderlich sei und dieser eine sog. „Gatekeeper“-Funktion ausübe.4 Vereinzelt werden zurecht diesbezüglich Bedenken geäußert, die im von notariellen Stellungnahmen geprägten 1 2 3 4
Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 12 HGB Rz. 1. Beispiele bei Koch/Harnos in Staub, § 8 HGB Rz. 78. Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 12 HGB Rz. 1. Bormann/Stelmaszcyk, NZG 2019, 601, 609; Lieder, NZG 2018, 1081, 1088.
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Anmeldungen zur Eintragung und Einreichungen | Rz. 6 § 12 HGB
Schrifttum die Ausnahme bilden.5 Der Notar ist gem. § 4 BeurkG verpflichtet zu prüfen, ob Gründe bestehen, die für die Versagung der Amtstätigkeit sprechen. Hierunter fallen erkennbar unerlaubte und unredliche Zwecke. Ferner verlangt § 378 Abs. 3 Satz 1 FamFG, dass der Notar die Eintragungsfähigkeit der anzumeldenden Tatsache prüft.6
II. Inhalt der Anmeldung Das Gesetz bestimmt in den meisten Fällen, wann ein Anmeldetatbestand vorliegt. Für 3 Handelsgesellschaften folgt ein solcher hinsichtlich der inländischen Geschäftsanschrift aus § 106 HGB, § 162 HGB, § 31 Abs. 1 HGB. Die Anmeldung bildet die Grundlage für die Eintragung und ist allein maßgeblich, selbst wenn zudem die Übermittlung von strukturierten Daten nach § 8a HGB erfolgt, die von der Anmeldung abweichen.7 Ein genauer Wortlaut der Anmeldung existiert nicht, da das Gesetz keine spezielle Formulie- 4 rung vorschreibt.8 Der Eintragungsgegenstand ist in der Anmeldung der Sache nach zu bezeichnen.9 Maßgeblich ist, dass ihr Inhalt klar und bestimmt ist. Widersprüchliche Ausführungen dürfen nicht gegeben sein.10 Allerdings ist die Anmeldung nach §§ 133, 157 BGB auszulegen. Im Zweifel ist die Anmeldung so auszulegen, dass sie erfolgreich ist.11 Die Formulierung der Eintragung liegt im Ermessen des Registergerichts.12 Aus dem jeweiligen Anmeldetatbestand folgt, wer zur Anmeldung berechtigt und verpflich- 5 tet ist. Der Einzelkaufmann ist selbst berechtigt und verpflichtet, §§ 29, 31 HGB. Bei Personenhandelsgesellschaften sind grundsätzlich alle Gesellschafter zur Anmeldung verpflichtet, § 106 Abs. 7 Satz 1 HGB.13 Etwas anderes gilt bei der Eintragung der Prokura. Hier wird die Personengesellschaft nur durch die vertretungsberechtigten Gesellschafter vertreten.14 Bei Kapitalgesellschaften erfolgt die Vertretung gegenüber dem Registergericht durch die Organe.15 Bei Personenhandels- und Kapitalgesellschaften ist die unechte Gesamtvertretung, sowohl hinsichtlich der Anmeldung als auch bei Grundlagengeschäften, zulässig.16 Der Umfang der Vertretungsmacht richtet sich nach der organschaftlichen Vertretungsmacht und beinhaltet auch Registeranmeldungen.17 Sind die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse kraft Amtes auf einen Verwalter (Insol- 6 venz- und Nachlassverwalter, Testamentsvollstrecker) übergegangen, so ist dieser zur Vor-
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So insbesondere Drygala/Grobe, GmbHR 2021, 985 ff. Dazu ausführlich Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 12 HGB Rz. 4. Sikora/Schwab, MittBayNot 2007, 1, 3; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 12 HGB Rz. 20. Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 12 HGB Rz. 7; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 12 HGB Rz. 21. Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 12 HGB Rz. 7. KG v. 30.11.2018 – 22 W 69/18, NZG 2019, 143 = GmbHR 2019, 182; KG v. 5.9.2018 – 22 W 53/18, NZG 2018, 1263 = GmbHR 2018, 1205; OLG Düsseldorf v. 12.2.2014 – 3 Wx 31/14, NZG 2014, 1066 = GmbHR 2014, 373. KG v. 30.11.2018 – 22 W 69/18, NZG 2019, 143, 144 = GmbHR 2019, 182; dazu auch Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 12 HGB Rz. 7. BGH v. 19.3.2007 – II ZB 19/06, NJW 2007, 3287, 3288 = GmbHR 2007, 704; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 12 HGB Rz. 22. Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 12 HGB Rz. 12. RG v. 22.12.1931 – II B 30/31, RGZ 134, 303, 307; Merkt in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 53 HGB Rz. 1. Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 12 HGB Rz. 12. Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 12 HGB Rz. 14 f. Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 12 HGB Rz. 8; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 12 HGB Rz. 14 f., 16. Grobe | 683
§ 12 HGB Rz. 6 | Handelsregister; Unternehmensregister nahme der Registeranmeldungen berechtigt.18 Für den Insolvenzverwalter gilt die Besonderheit, dass seine Anmeldepflicht nur so weit reicht, wie die anmeldepflichtige Tatsache die Insolvenzmasse betrifft.19 Tatsachen, die hingegen den Unternehmensträger betreffen (Anmeldung bestellter/abberufener Geschäftsführer, Änderung der Firma, Erhöhung des Stammkapitals etc.), können nicht vom Insolvenzverwalter zum Handelsregister angemeldet werden. Zuständig ist hier weiterhin das Vertretungsorgan des Unternehmensträgers.20
III. Form der Anmeldung, Widerruf 1. Öffentliche Beglaubigung 7 Nach Abs. 1 Satz 1 sind Anmeldungen zur Eintragung in das Handelsregister elektronisch in
öffentlich beglaubigter Form einzureichen. Diese Formvorschrift dient der Richtigkeitsgewähr der zur Eintragung angemeldeten Tatsachen.21 Durch die öffentliche Beglaubigung soll die Feststellung der Identität gesichert werden.22 Bestehen Zweifel an der Identität, hat der Notar die Beglaubigung abzulehnen.23 Ist die Identitätsfeststellung hingegen gesichert, da das Verfahren dem Gleichwertigkeitserfordernis24 gerecht wird, kann die Beglaubigung auch durch eine ausländische Beurkundungsperson (bspw. schweizerischer Notar) erfolgen.25 Zuzugeben ist allerdings, dass es in praktischer Hinsicht schwierig sein kann, alle Einreichungen über einen ausländischen Notar erledigen zu lassen, der nicht über den Zugriff auf die technischen Systeme verfügt.26 8 Um dem Erfordernis der öffentlichen Beglaubigung gerecht zu werden, ist die Erklärung in
schriftlicher Form abzufassen und mit einem Beglaubigungsvermerk zu versehen, § 129 BGB i.V.m. §§ 39, 40 BeurkG. Nach § 40 Abs. 3 BeurkG muss der Beglaubigungsvermerk auch die Person bezeichnen, welche die Unterschrift vollzogen oder anerkannt hat. In dem Vermerk soll ferner angegeben werden, ob die Unterschrift vor dem Notar vollzogen oder anerkannt worden ist. Die Urkunde ist zu siegeln, mit der Unterschrift der Urkundsperson zu versehen und soll Tag und Ort der Ausstellung enthalten. Die öffentliche Beglaubigung kann auch durch die notarielle Beurkundung ersetzt werden, § 129 Abs. 3 BGB.
2. Öffentliche Beglaubigung mittels Videokommunikation (Abs. 1 Satz 2) 9 Nach Abs. 1 Satz 2 ist die öffentliche Beglaubigung mittels Videokommunikation gem.
§ 40a BeurkG zulässig. Die Regelung ist durch das DiRUG in § 12 eingefügt worden und sah in ihrer ursprünglichen Form eine abschließende Aufzählung vor, nach der Anmeldungen für Personenhandelsgesellschaften nicht erfasst waren.27 Diese Lücke wurde durch das 18 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 12 HGB Rz. 18. 19 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 12 HGB Rz. 49; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 12 HGB Rz. 18. 20 OLG Zweibrücken v. 12.12.2013 – 4 U 39/13, NZG 2014, 472 = ZIP 2014, 588; Koch/Harnos in Staub, § 12 HGB Rz. 13; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 12 HGB Rz. 49. 21 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 12 HGB Rz. 9. 22 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 12 HGB Rz. 23. 23 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 12 HGB Rz. 9. 24 Dazu Koch/Harnos in Staub, § 12 HGB Rz. 82. 25 OLG Karlsruhe v. 20.4.2022 – 1 W 25/22, ZIP 2022, 1544; OLG Celle v. 1.8.2022 – 9 W 62/22, GmbHR 2023, 560; OLG Celle v. 28.12.2022 – 9 W 104/22, GmbHR 2023, 559; vgl. auch KG v. 3.3.2022 – 22 W 92/21, NZG 2022, 926 Rz. 10. 26 Darauf hinweisend Koch/Harnos in Staub, § 12 HGB Rz. 82. 27 Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie (DiRUG) vom 5.7.2021, BGBl. I 2021, 3338.
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Anmeldungen zur Eintragung und Einreichungen | Rz. 12 § 12 HGB
DiREG geschlossen, indem die öffentliche Beglaubigung mittels Videokommunikation für alle Anmeldungen möglich ist.28 Gem. § 707b Nr. 2 BGB gilt dies auch im Hinblick auf die im Gesellschaftsregister eingetragene GbR (eGbR). Nach § 40a BeurkG, auf den die Regelung verweist, soll eine qualifizierte elektronische Signatur nur beglaubigt werden, wenn sie in Gegenwart des Notars oder mittels des von der Bundesnotarkammer nach § 78p BNotO betriebenen Videokommunikationssystems anerkannt worden ist.
3. Widerruf der Anmeldung Die Anmeldung kann bis zum Vollzug der Eintragung widerrufen werden. Die Vorschriften 10 zur Anfechtung von Willenserklärung sind nicht anzuwenden; eine Anfechtung kann jedoch gem. § 140 BGB analog in einen Widerruf umgedeutet werden.29 Erfolgt der Widerruf später, ist er unbeachtlich.30 Der Widerruf bedarf nicht der Form des § 12 HGB. Sind mehrere Beteiligte gemeinschaftlich zur Anmeldung verpflichtet und widerrufen alle, liegt eine Rücknahme der Anmeldung vor.31 Der Widerruf des Widerrufs ist als Neuanmeldung auszulegen und erfordert die Form des § 12 HGB.32 Hat ein Notar den Eintragungsantrag gestellt, ist der Rücknahmeantrag nur mit Dienstsiegel wirksam, § 24 Abs. 3 Satz 2 BNotO.
IV. Vertretung (Abs. 1 Satz 3 und 4) Die Zulässigkeit der Vertretung bei der Anmeldung folgt aus § 12 Abs. 1 Satz 3 und 4 HGB 11 sowie aus § 10 Abs. 2 HGB, § 378 FamFG. Das Registergericht hat die Existenz der Vollmacht und die Wirksamkeit der Vertretung zu prüfen.33 Kettenbevollmächtigungen sind zulässig.34 Deutsche Notare sind nach § 378 Abs. 2 FamFG im Anmeldeverfahren zur Stellung eines Eintragungsantrags für den zur Anmeldung Verpflichteten ermächtigt, wenn sie die zur Eintragung erforderlichen Erklärungen beurkundet haben.35 § 378 Abs. 2 FamFG berechtigt den Notar weder zur Antragstellung oder Beschwerde im eigenen Namen. Legt er Beschwerde ohne genaueren Hinweis auf den Beschwerdeberechtigten ein, ist die Erklärung mittels Auslegung als Beschwerdeeinlegung im Namen des Berechtigten anzusehen.36 Bei einem Notar ist das Vorliegen einer Verfahrensvollmacht zu vermuten.37 In inhaltlicher Hinsicht sollte aus der Vollmacht hervorgehen, dass die Abgabe von Anmel- 12 deerklärungen erfasst ist. Die entsprechenden Erscheinungsformen können vielfältig sein. Sofern keine anderen Gründe gegen ihre Zulässigkeit sprechen, genügt eine Generalvollmacht den Anforderungen.38 Der Nachweis der Vertretungsbefugnis des Prokuristen folgt aus der Registereintragung.39 Die Prokura nach §§ 48, 49 HGB ist nur dann zulässig, wenn 28 Gesetz zur Ergänzung der Regelungen zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie (DiREG) vom 21.7.2021, BGBl. I 2021, 1146. 29 BayObLG v. 9.11.1989 – 3 Z 17/89, BayObLG v. 9.11.1989 – BReg 3 Z 17/89, DB 1990, 168. 30 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 12 HGB Rz. 13. 31 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 12 HGB Rz. 9. 32 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 12 HGB Rz. 13. 33 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 12 HGB Rz. 14. 34 OLG Frankfurt v. 27.2.2014 – 20 W 548/11 NJW-RR 2014, 1503; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 12 HGB Rz. 14. 35 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 12 HGB Rz. 22. 36 OLG Karlsruhe v. 31.1.2011 – 11 Wx 2/11, GmbHR 2011, 308; OLG Nürnberg v. 18.4.2011 – 12 W 631/11, FGPrax 2011, 194 = GmbHR 2011, 582. 37 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 12 HGB Rz. 24. 38 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 12 HGB Rz. 28. 39 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 12 HGB Rz. 18. Grobe | 685
§ 12 HGB Rz. 12 | Handelsregister; Unternehmensregister die Anmeldung den laufenden Geschäftsbetrieb eines Handelsgewerbes erfasst.40 Nicht vom Umfang der Prokura erfasst sind die Anmeldung des Ausscheidens des GmbH-Geschäftsführers41 zum Handelsregister sowie die Anmeldung der geänderten Geschäftsanschrift der GmbH.42 13 In formeller Hinsicht verlangt die Vollmacht die öffentliche Beglaubigung. Eine beglaubigte
Abschrift der öffentlich beglaubigten Vollmacht genügt, wenn diese als aktuell anzusehen ist.43 Aus § 172 Abs. 2 BGB folgt die Pflicht von Amts wegen zur Prüfung, ob das Registergericht vom Fortbestand der Vollmacht ausgehen darf. Liegen keine konkreten Anhaltspunkte vor, kann das Gericht nicht vom Widerruf der Vollmacht ausgehen.44 Weder die Veränderung der Vertretungsverhältnisse noch das Ausscheiden des erteilenden Vertretungsorgans sind solche Anhaltspunkte.45 Abs. 1 Satz 3 findet keine Anwendung auf Fälle der gesetzlichen Vertretungsmacht. Davon ist auch die organschaftliche Vertretungsmacht erfasst. Die unechte Gesamtvertretung ist daher ebenfalls als Fall der gesetzlichen Vertretungsmacht anzusehen.46 Bei der gesetzlichen Vertretung eines Minderjährigen oder eines Betreuten sind neben den familien- bzw. betreuungsgerichtlichen Besonderheiten (Genehmigung) die §§ 181, 1795 BGB hinreichend zu berücksichtigen.47 14 Ausnahmsweise ist eine Vertretung dann nicht möglich, wenn es sich um sog. höchstpersön-
liche Erklärungen handelt. Darunter sind alle Erklärungen gefasst, die strafbewehrt sind oder mit denen besondere zivilrechtliche Folgen – wie etwa eine Schadensersatzpflicht – verbunden sind.48 Neben verschiedenen Bestimmungen aus dem Kapitalgesellschafts- (§ 8 Abs. 2 und 3 GmbHG, § 37 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AktG) und Umwandlungsrecht (§§ 140, 146 UmwG) ist aus personengesellschaftsrechtlicher Perspektive von Bedeutung, ob die negative Abfindungsversicherung49 beim Kommanditistenwechsel im Wege der Einzelrechtsnachfolge eine höchstpersönliche Erklärung darstellt. Da die Erklärung weder strafbewehrt noch mit besonderen zivilrechtlichen Folgen verbunden ist, liegt keine höchstpersönliche Erklärung vor.50 Notare sind nicht berechtigt, höchstpersönliche Erklärungen abzugeben.51 15 Nach Abs. 1 Satz 4 kann anstelle der Vollmacht die Bescheinigung eines Notars nach § 21
Abs. 3 BNotO eingereicht werden. Diese Vollmachtbescheinigung ersetzt die Vorlage der Vollmacht gegenüber dem Registergericht und steht den Beteiligten wahlweise zur Verfügung.52 Den Notar trifft hinsichtlich der vorgelegten Vollmacht eine Prüfungspflicht. Inwiefern auch die Form der öffentlichen Beglaubigung eingehalten werden muss, ist nicht eindeutig, wird aber trotz fehlender gesetzlicher Regelung gefordert.53
40 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 12 HGB Rz. 40. 41 OLG Düsseldorf v. 16.3.2012 – 3 Wx 296/11, NZG 2012,1223 = GmbHR 2012, 690. 42 OLG Karlsruhe v. 7.8.2014 – 11 Wx 17/14, NJW-RR 2015, 94 = GmbHR 2014, 1046; KG v. 4.5.2016 – 22 W 128/15, DB 2016, 1430 = GmbHR 2016, 821. 43 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 12 HGB Rz. 17. 44 BayObLG v. 25.3.1975 – BReg. 2 Z 10/75, DB 1975, 1162. 45 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 12 HGB Rz. 17. 46 Vgl. Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 12 HGB Rz. 14 ff.; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 12 HGB Rz. 20. 47 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 12 HGB Rz. 21. 48 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 12 HGB Rz. 15. 49 BGH v. 19.9.2005 – II ZB 11/04, NJW-RR 2006, 107 = ZIP 2005, 2257. 50 Müther, Rpfleger 2006, 126; a.A. KG v. 28.4.2009 – 1 W 389/08, FGPrax 2009, 177 = ZIP 2009, 1571. 51 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 12 HGB Rz. 23; a.A. Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 12 HGB Rz. 47. 52 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 12 HGB Rz. 51; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 12 HGB Rz. 17. 53 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 12 HGB Rz. 17.
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Anmeldungen zur Eintragung und Einreichungen | Rz. 19 § 12 HGB
V. Nachweis der Rechtsnachfolge (Abs. 1 Satz 5) Nach Abs. 1 Satz 5 haben Rechtsnachfolger eines Beteiligten die Rechtsnachfolge soweit tun- 16 lich durch öffentliche Urkunden nachzuweisen. Die Norm verfolgt den Zweck, dass nur berechtigte Personen Anmeldungen zum Handelsregister vornehmen sollen.54 Erfasst sind alle Arten der Rechtsnachfolge, d.h. sowohl Gesamt- als auch Einzelrechtsnachfolge.55 Da das Registergericht selbst nicht zur Nachprüfung der Rechtsnachfolge verpflichtet ist56, erfolgt der Nachweis der Berechtigung durch öffentliche Urkunden gem. § 415 Abs. 1 ZPO. Die Art des Beweises wird damit beschränkt. Öffentliche Urkunden i.S.v. § 415 Abs. 1 ZPO sind nur solche, die von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form aufgenommen sind. Für den Inhalt der Urkunde gelten §§ 415, 418 ZPO. Das öffentlich elektronische Dokument hat gem. § 371a Abs. 2 ZPO die Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde. Neben dem Erbschein gilt das eröffnete öffentliche Testament als öffentliche Urkunde i.S.v. § 415 Abs. 1 ZPO. Die Dokumente sind gem. § 12 Abs. 2 Satz 1 HGB in elektronische Form – d.h. in elektronischer beglaubigter Abschrift – einzureichen. Aus dem Wortlaut der Bestimmung („soweit tunlich“) folgt, dass unter bestimmten Umstän- 17 den von einem Nachweis durch öffentliche Urkunden abgesehen werden kann. Eine Bezugnahme auf die Nachlassakten ist dann möglich, wenn sich die Rechtsnachfolge aus diesen ergibt und sie von demselben Gericht geführt werden.57 Eine weitere Ausnahme vom Urkundenbeweis ist bei „unverhältnismäßigen Kosten“ möglich. So ist die Vorlage des privatschriftlichen Testaments in Verbindung mit der eidesstattlichen Versicherung als ausreichend erachtet worden.58
VI. Einreichung elektronischer Dokumente (Abs. 2) Während Abs. 1 das Einreichen von Anmeldungen behandelt, erfasst Abs. 2 Dokumente, die 18 zusammen mit der Anmeldung, aber unabhängig von dieser eingereicht werden müssen.59 Die Dokumente sind elektronisch einzureichen. Dabei muss es sich um ein Datenformat handeln, das maschinenlesbar und durchsuchbar ist. Eine papierschriftliche Einreichung ist nicht mehr möglich.60 Hinsichtlich der einzureichenden Dokumente ist zwischen den einfachen elektronischen Aufzeichnungen nach Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 und den elektronischen Dokumenten i.S.v. § 39a BeurkG nach Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 zu unterscheiden. Es genügt die Übermittlung einer elektronischen Aufzeichnung, wenn eine Urschrift oder 19 eine Abschrift einzureichen oder für das Dokument die Schriftform bestimmt ist, Abs. 2 Satz 2 Alt. 1. Die elektronische Aufzeichnung wird entweder durch Scan61, durch Erstellen einer originären elektronischen Abschrift62 oder durch Abschreiben i.S.v. § 257 Abs. 3 Satz 1
54 55 56 57 58 59 60 61 62
Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 12 HGB Rz. 25. Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 12 HGB Rz. 52. OLG Düsseldorf v. 9.6.2017 – 3 Wx 90/16, NJW-RR 2018, 166, 167. Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 12 HGB Rz. 56. OLG München v. 24.3.2015 – 31 Wx 105/15, MittBayNot 2016, 258, 259. OLG Frankfurt v. 22.2.2013 – 20 W 550/11, ZIP 2013, 1226. Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 12 HGB Rz. 31. Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 12 HGB Rz. 34. Dafür Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 12 HGB Rz. 34; kritisch Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 12 HGB Rz. 59. Grobe | 687
§ 12 HGB Rz. 19 | Handelsregister; Unternehmensregister Nr. 1 HGB erzeugt. Eine Überprüfung der Echtheit ist nach Auffassung des Gesetzgebers im elektronischen Handelsregister nicht mehr erforderlich.63 20 Um den Anforderungen nach Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 zu entsprechen müssen das notariell beur-
kundete Dokument (Willenserklärung, Beglaubigung etc.) bzw. die öffentlich beglaubigte Abschrift gem. § 39a BeurkG durch den Notar elektronisch signiert werden.64 21 Die Regelung ist vor allem für Kapitalgesellschaften von Relevanz.65 Für die Personengesell-
schaften nur im Hinblick auf die GmbH & Co. KG.
§ 13 HGB Zweigniederlassungen von Unternehmen mit Sitz im Inland (1) 1Die Errichtung einer Zweigniederlassung ist von einem Einzelkaufmann oder einer juristischen Person beim Gericht der Hauptniederlassung, von einer Handelsgesellschaft beim Gericht des Sitzes der Gesellschaft, unter Angabe des Ortes und der inländischen Geschäftsanschrift der Zweigniederlassung und des Zusatzes, falls der Firma der Zweigniederlassung ein solcher beigefügt wird, zur Eintragung anzumelden. 2In gleicher Weise sind spätere Änderungen der die Zweigniederlassung betreffenden einzutragenden Tatsachen anzumelden. (2) Das zuständige Gericht trägt die Zweigniederlassung auf dem Registerblatt der Hauptniederlassung oder des Sitzes unter Angabe des Ortes sowie der inländischen Geschäftsanschrift der Zweigniederlassung und des Zusatzes, falls der Firma der Zweigniederlassung ein solcher beigefügt ist, ein, es sei denn, die Zweigniederlassung ist offensichtlich nicht errichtet worden. (3) Die Absätze 1 und 2 gelten entsprechend für die Aufhebung der Zweigniederlassung. I. Hintergrund der Norm . . . . . . . . . . . . . . II. Begriff und Bedeutung der Zweigniederlassung 1. Abgrenzung zu Hauptniederlassung und Sitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Merkmale der Zweigniederlassung . . . . .
1
4 7
3. Rechtliche Stellung der Zweigniederlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 III. Registerpublizität bei Zweigniederlassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 IV. Aufhebung der Zweigniederlassung und andere Veränderungen (Abs. 3) . . 18
I. Hintergrund der Norm 1 § 13 HGB regelt die Registereintragung von Zweigniederlassungen inländischer Unter-
nehmen. Davon abzugrenzen sind die Vorschriften über die Zweigniederlassungen ausländischer Unternehmen (§§ 13e–13g HGB). Da es sich um zwei unterschiedliche Regelungenmaterien handelt, ist eine sich gegenseitig ergänzende Auslegung nicht möglich.1
63 BT-Drucks. 16/960, 45; zum Nichterfordernis einer weiteren Erklärung des einreichenden Notars über die Echtheit s. OLG Düsseldorf v. 20.3.2019 – 3 Wx 20/18, ZIP 2019, 1530 = GmbHR 2019, 890 m. Anm. Wachter. 64 OLG Düsseldorf v. 22.1.2020 – 3 Wx 52/19, ZIP 2020, 1616 = GmbHR 2020, 779. 65 Vgl. Koch/Harnos in Staub, § 12 HGB Rz. 71 ff. 1 Siehe Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13 HGB Rz. 1.
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Zweigniederlassungen von Unternehmen mit Sitz im Inland | Rz. 6 § 13 HGB
Die Regelung erfasst nur inländische Zweigniederlassungen von inländischen Unterneh- 2 men. Die Erfassung inländischer Zweigniederlassungen von ausländischen Unternehmen regeln die §§ 13d–13g HGB. Entgegen der früheren Rechtslage ermöglicht § 13a HGB nun auch die Eintragung europäischer Zweigniederlassungen inländischer Kapitalgesellschaften.2 Die §§ 13 ff. HGB betreffen das registerrechtliche Verfahren von Zweigniederlassungen, nicht 3 hingegen ihre materiell-rechtlichen Anforderungen. Wie eine Zweigniederlassung entsteht und vergeht, beruht allein auf tatsächlichen Aspekten. Die Wirkung der Eintragung in das Handelsregister ist folglich deklaratorischer Natur.3
II. Begriff und Bedeutung der Zweigniederlassung 1. Abgrenzung zu Hauptniederlassung und Sitz Das Gesetz verwendet den Begriff der Niederlassung an unterschiedlichster Stelle: So enthal- 4 ten die §§ 13, 13h HGB die Bezeichnung Zweig- sowie Hauptniederlassung als auch den Begriff des Sitzes. § 29 spricht von der Handelsniederlassung. §§ 29, 31 Abs. 1, § 50 Abs. 3, § 86b Abs. 3 Satz 1, § 126 Abs. 3 HGB sowie § 21 ZPO verwenden ferner den Begriff der Niederlassung. Insbesondere im letzteren Fall ist auf den ersten Blick nicht erkennbar, ob es sich dabei um die Haupt- oder die Zweigniederlassung handelt. Im Wege der Auslegung ist hier Licht ins Dunkel zu bringen. Das Gesetz definiert nicht, was eine Zweigniederlassung ist. Ihre Voraussetzung ergibt sich 5 aus dem Verhältnis zur Hauptniederlassung – ihrem scheinbar natürlichen Gegenbegriff.4 Die Begriffe Hauptniederlassung und Sitz sind im rechtlichen Sinne das Gleiche.5 Der Begriff der Handelsniederlassung nach § 29 HGB ist mit dem der Hauptniederlassung gleichzusetzen.6 Maßgeblich zur Bestimmung, ob eine Haupt- oder Zweigniederlassung vorliegt, sind die tatsächlichen Verhältnisse, nicht gesellschaftsvertragliche Regelungen.7 Für Einzelkaufmann und grundsätzlich auch für Personenhandelsgesellschaften (§ 706 Satz 1 BGB) ist die Hauptniederlassung an dem Ort, wo der räumliche Mittelpunkt des Unternehmens liegt8, d.h. wo sich der Geschäftsleitung befindet.9 Seit dem MoPeG ist es jedoch auch den Personengesellschaften nach § 706 Satz 2 BGB gestattet, einen Vertragssitz festzulegen. Diese Möglichkeit war bisher für den Kapitalgesellschaften vorbehalten: Der Sitz der Gesellschaft kann dann durch Gesellschaftsvertrag und Satzung bestimmt werden.10 Auf das tatsächliche Wirken kommt es nicht an.11 Der Zweigniederlassung fehlt die Eigenschaft des räumlichen Mittelpunkts des Unterneh- 6 mens. Damit ist jedoch noch keine zufriedenstellende Abgrenzung gegeben. Ein Kaufmann 2 Zur vorherigen Rechtslage siehe OLG Düsseldorf v. 26.10.2009 – 3 Wx 142/09, NJW-RR 2010, 107, 108; Melchior, GmbHR 2013, 853, 855. 3 OLG München v. 2.5.2006 – 31 Wx 9/06, NZG 2006, 513 = ZIP 2006, 1049; Koch/Harnos in Staub, § 13 HGB Rz. 55; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 13 HGB Rz. 1. 4 So Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13 HGB Rz. 1. 5 Koch/Harnos in Staub, § 13 HGB Rz. 11; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 13 HGB Rz. 6. 6 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13 HGB Rz. 2. 7 BGH v. 27.5.1957 – II ZR 317/55, WM 1957, 999. 8 Koch/Harnos in Staub, § 13 HGB Rz. 14; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13 HGB Rz. 15. 9 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 13 HGB Rz. 7. 10 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 13 HGB Rz. 30 f.; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13 HGB Rz. 2. 11 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 13 HGB Rz. 30; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13 HGB Rz. 2. Grobe | 689
§ 13 HGB Rz. 6 | Handelsregister; Unternehmensregister oder eine Personenhandelsgesellschaft kann das Unternehmen auch in der Art organisieren, dass Läden an mehreren Orten betrieben werden.12 Diese Läden können dann als Zweigniederlassung angesehen werden, wenn sie über eine zum bloßen Verkauf hinausgehende Selbstständigkeit verfügen.13 Fehlt diese hingegen, handelt es sich um bloße Unterabteilungen der Hauptniederlassung. Eine Zweigniederlassung erfordert das Vorhandensein eines weiteren Geschäftsmittelpunkts, der nicht nur vorübergehend besteht und von dem aus für das Unternehmen wesentliche Geschäfte selbstständig vorgenommen werden.14 Ferner muss die Zweigniederlassung eine entsprechende sachliche und personelle Organisationsstruktur aufweisen.15
2. Merkmale der Zweigniederlassung 7 Aus diesen Überlegungen ergeben sich folgende Merkmale für die Bestimmung der Zweig-
niederlassung: Die Zweigniederlassung muss räumlich von der Hauptniederlassung getrennt sein und die Geschäfte der Gesellschaft bzw. des Kaufmanns nicht nur vorübergehend im Rahmen des Unternehmens mit einer gewissen sachlichen und organisatorischen Selbstständigkeit tätigen.16 8 Die räumliche Trennung ist eng zu verstehen. Eine Zweigniederlassung in den Räumlichkei-
ten der Hauptniederlassung ist nicht möglich. Jedoch ist es möglich, dass die Zweigniederlassung in derselben Gemeinde errichtet wird.17 9 Organisatorische und sachliche Selbstständigkeit sind dann gegeben, wenn die Zweignie-
derlassung nicht nur Hilfs- und Ausführungsgeschäfte der Hauptniederlassung durchführt.18 Erfasst sind daher Geschäfte, die sowohl Teilbereiche der Hauptniederlassung betreffen als auch Geschäfte, die gar nicht von der Hauptniederlassung vorgenommen werden, sofern sie vom Unternehmensgegenstand gedeckt sind.19 Ob es erforderlich ist, das die Zweigniederlassung über eine eigene Bankverbindung und eine gesonderte Buchführung verfügt, wird aufgrund der zunehmenden unternehmensinternen Zentralisierung hinterfragt.20 Zumindest kann davon ausgegangen werden, dass das Vorliegen dieser Umstände die Existenz einer Zweigniederlassung indiziert.21 Wesentlich ist hingegen, dass die Leitung der Zweigniederlassung zur Vertretung dieser nach außen berechtigt ist. Dies kann entweder durch Erteilung einer Handlungsvollmacht (§ 54 HGB) oder der sog. Filialprokura gem. § 50 Abs. 3 HGB erfolgen.22 Dass der Leiter der Niederlassung weisungsgebunden ist, spricht nicht gegen die Selbstständigkeit der Zweigniederlassung.23 Ferner darf die Zweigniederlassung nicht bloß vorübergehend existieren, sondern muss für eine gewisse Dauer errichtet sein.24
12 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 13 HGB Rz. 8. 13 Koch/Harnos in Staub, § 13 HGB Rz. 30; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13 HGB Rz. 3. 14 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13 HGB Rz. 5. 15 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 13 HGB Rz. 9. 16 Koch/Harnos in Staub, § 13 HGB Rz. 30; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13 HGB Rz. 3; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 13 HGB Rz. 10. 17 Koch/Harnos in Staub, § 13 Rz. 27; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13 HGB Rz. 4. 18 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13 HGB Rz. 5. 19 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13 HGB Rz. 5. 20 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 13 HGB Rz. 14; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13 HGB Rz. 42. 21 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13 HGB Rz. 5. 22 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13 HGB Rz. 44. 23 Koch/Harnos in Staub, § 13 HGB Rz. 26; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13 HGB Rz. 43. 24 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13 HGB Rz. 3.
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Zweigniederlassungen von Unternehmen mit Sitz im Inland | Rz. 14 § 13 HGB
3. Rechtliche Stellung der Zweigniederlassung Obwohl der Zweigniederlassung eine gewisse Selbstständigkeit zugestanden wird, bleibt sie 10 weiterhin Teil des Unternehmens. Ihr fehlt daher grundsätzlich rechtliche Selbstständigkeit und insbesondere Rechtsfähigkeit.25 Folgerichtig ist sie auch nicht insolvenzfähig.26 Ausnahmen davon ergeben sich aus dem Gesetz: So kann die Firma der Zweigniederlassung 11 von der Firma der Hauptniederlassung abweichen, § 13 Abs. 1 HGB. Inwiefern dadurch eine beschränkte Gestaltbarkeit der Firma einhergeht, ist fraglich. Zumindest dürfte ein Hinweis auf die Firma des Unternehmens erforderlich sein, § 18 Abs. 2 HGB. Ferner ergeben sich prozessuale Besonderheiten. Nach § 21 ZPO kann das Unternehmen am 12 Ort der Niederlassung verklagt werden. Erfasst sind dabei sowohl Haupt- als auch Zweigniederlassung.27 Da die Firma der Zweigniederlassung abweichen kann, kann das Unternehmen ebenfalls unter der Firma der Zweigniederlassung klagen und verklagt werden, sofern die geltend gemachten Ansprüche der Zweigniederlassung zuzuordnen sind.28
III. Registerpublizität bei Zweigniederlassungen Die Errichtung der Zweigniederlassung stellt einen tatsächlichen Vorgang dar, der dem 13 Rechtsverkehr durch Eintragung im Handelsregister publik zu machen ist. Nach Abs. 1 Satz 1 ist die Errichtung der Zweigniederlassung von einem Einzelkaufmann oder einer juristischen Person (nach § 33 HGB) beim Gericht der Hauptniederlassung, von einer Handelsgesellschaft beim Gericht des Sitzes der Gesellschaft, unter Angabe des Ortes und der inländischen Geschäftsanschrift der Zweigniederlassung und des Zusatzes, falls der Firma der Zweigniederlassung ein solcher beigefügt wird, zur Eintragung anzumelden. Die Anmeldungspflicht kann im Wege des § 14 HGB durchgesetzt werden. Die Bestimmung gilt nur für inländische Zweigniederlassungen und kann nicht auf Zweigniederlassungen im Ausland entsprechend angewendet werden.29 Eine Ausnahme dazu bildet der im Wege des DiRUG neugeschaffene § 13a HGB, wonach Zweigniederlassungen nach dem Recht anderer EU-Mitgliedstaaten oder aus dem EWR-Raum im Handelsregister eingetragen werden.30 Anmeldepflichtig sind der Einzelkaufmann sowie bei Personen- und Kapitalgesellschaften 14 die vertretungsberechtigten Gesellschafter. Auch die unechte Gesamtvertretung als gesetzliche Vertretungsmacht berechtigt zur Anmeldung der Zweigniederlassung.31 Dies gilt hingegen nicht für eine Anmeldung durch den Prokuristen.32 Jedoch kann ein Vertreter zur Anmeldung nach § 12 HGB bevollmächtigt werden.33
25 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13 HGB Rz. 23. 26 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13 HGB Rz. 7. 27 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 13 HGB Rz. 20; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13 HGB Rz. 9. 28 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13 HGB Rz. 10. 29 OLG Düsseldorf v. 26.10.2009 – 3 Wx 142/09, NJW-RR 2010, 107; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13 HGB Rz. 14. 30 Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie (DiRUG) vom 5.7.2021, BGBl. I 2021, 3338. 31 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 13 HGB Rz. 42; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13 HGB Rz. 13. 32 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 13 HGB Rz. 42; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13 HGB Rz. 13; a.A. Koch/Harnos in Staub, § 13 HGB Rz. 59; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13 HGB Rz. 48. 33 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13 HGB Rz. 13. Grobe | 691
§ 13 HGB Rz. 15 | Handelsregister; Unternehmensregister 15 Die Anmeldung erfolgt beim Gericht der Hauptniederlassung und muss den Umstand der
Errichtung der Zweigniederlassung enthalten. Weicht die Firma von derjenigen der Hauptniederlassung ab, ist die Angabe der Firma der Zweigniederlassung mitanzugeben. Hinsichtlich der Firmierung gelten die allgemeinen Grundsätze.34 16 Das Registergericht hat die Anmeldung zu prüfen. Neben den formellen Voraussetzungen
erfolgt eine Prüfung der Errichtung der Zweigniederlassung in materiell-rechtlicher Hinsicht (Missbrauchskontrolle). So wird eine Eintragung nach § 13 Abs. 2 HGB a.E. dann nicht vollzogen, wenn die „Zweigniederlassung offensichtlich nicht errichtet worden“ ist. 17 Nach Abs. 1 Satz 2 finden die Regelungen des Satz 1 auf spätere Änderungen der die Zweig-
niederlassungen betreffenden einzutragenden Tatsachen Anwendung. Darunter fallen Veränderungen im Hinblick auf den Ort der Zweigniederlassung, die Firma, die inländische Geschäftsanschrift und die Filialprokura. Zuständig ist das Gericht der Hauptniederlassung. Die Anmeldungen haben durch den Einzelkaufmann bzw. die Vertretungsorgane in vertretungsberechtigter Anzahl zu erfolgen.35
IV. Aufhebung der Zweigniederlassung und andere Veränderungen (Abs. 3) 18 Nach Abs. 3 gelten die Regelungen von Abs. 1 und 2 auch für die Aufhebung der Zweignie-
derlassung. Andere Veränderungen wie die Verlegung der Zweigniederlassung als auch ihre Umwandlung zur Hauptniederlassung werden durch das Gesetz hingegen nicht geregelt.36 Dass sie dennoch zulässig sind, wird nicht bezweifelt. Allerdings stellt sich die Frage, welche Anmeldevoraussetzungen gelten. 19 Die Eintragung der in Abs. 3 geregelten Aufhebung wirkt deklaratorisch. Die Pflicht zur An-
meldung obliegt den Vertretungsorganen in vertretungsberechtigter Zahl bzw. dem Einzelkaufmann. Auf die Pflicht zur Anmeldung ist § 14 HGB anwendbar. Zuständig ist das Gericht der Hauptniederlassung. 20 Hinsichtlich der Verlegung der Zweigniederlassung finden entweder die Vorschriften über
die Aufhebung und Errichtung der Zweigniederlassung nach § 13 HGB oder die den Fall der Verlegung der Hauptniederlassung nach § 13h HGB Anwendung. Obschon die überwiegende Auffassung die Anwendung der allgemeinen Vorschrift des § 13 Abs. 1 HGB befürwortet, ist aus rechtspraktischer Sicht die von Müther vorgeschlagene Analogie zu § 13h HGB überzeugend.37 Zuständig ist das Gericht der Hauptniederlassung. Wird eine Zweigniederlassung in eine Hauptniederlassung umgewandelt, ist ebenfalls § 13h HGB entsprechend heranzuziehen.38
34 35 36 37
Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13 HGB Rz. 15. Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13 HGB Rz. 17. Dazu auch Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13 HGB Rz. 19, 20. Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13 HGB Rz. 19; a.A. Koch/Harnos in Staub, § 13 HGB Rz. 68; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13 HGB Rz. 72. 38 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13 HGB Rz. 20.
692 | Grobe
Europäische Zweigniederlassungen von Kapitalgesellschaften | Rz. 3 § 13a HGB
§ 13a HGB Europäische Zweigniederlassungen von Kapitalgesellschaften mit Sitz im Inland (1) In Bezug auf Zweigniederlassungen, die dem Recht eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum unterliegen und die von einer Kapitalgesellschaft mit Sitz im Inland errichtet wurden, gelten die folgenden Vorschriften. (2) Die Landesjustizverwaltungen stellen sicher, dass die Daten der Zweigniederlassungen, die im Rahmen des Europäischen Systems der Registervernetzung gemäß § 9b empfangen werden, an dasjenige Registergericht weitergeleitet werden, das für die Gesellschaft zuständig ist. (3) Das zuständige Registergericht bestätigt den Eingang der Daten über das Europäische System der Registervernetzung gemäß § 9b und trägt unverzüglich von Amts wegen die folgenden gemäß Absatz 2 erhaltenen Daten zu der Zweigniederlassung oder deren Änderung in das Registerblatt der Gesellschaft ein: 1. Errichtung, Aufhebung oder Löschung der Zweigniederlassung, 2. Firma der Zweigniederlassung, 3. Geschäftsanschrift der Zweigniederlassung einschließlich des Staates, 4. Eintragungsnummer und einheitliche europäische Kennung der Zweigniederlassung. Nach der Regelung sollen die Zweigniederlassungen im EU-Raum bzw. in einem Land des 1 EWR-Abkommens inländischer Kapitalgesellschaften im Handelsregister vermerkt werden.1 Inwiefern eine Einbeziehung von Personenhandelsgesellschaften beabsichtigt ist, bleibt abzuwarten. An verschiedenen Stellen des Vorschlags für eine Richtlinie zur Ausweitung des Einsatzes digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht (DigiRL II-E) wird eine solche auf Personenhandelsgesellschaften befürwortet.2 Im Gegensatz zu inländischen Zweigniederlassungen war dies bisher für Zweigniederlassungen im Ausland nicht erforderlich. Die Regelung erfüllt damit die europarechtlichen Vorgaben, die eine Vernetzung und Zurverfügungstellung der Informationen zu den Gesellschaften beabsichtigt, vgl. § 9b HGB. Die Informationen können nur dann weitergegeben werden, wenn die Zweigniederlassung auch im Ausland eingetragen ist.3 Abs. 2 enthält die Verpflichtung der Landesjustizverwaltungen, dass die eingehenden Infor- 2 mationen zu den Zweigniederlassungen an die zuständigen Registergerichte weiterzuleiten sind. Das zuständige Registergericht hat den Eingang der Informationen zu bestätigen und die Eintragung von Amts wegen vorzunehmen. Abs. 3 listet die Inhalte auf, die hinsichtlich der Zweigniederlassung einzutragen sind. Erfasst 3 sind damit die wesentlichen Informationen zur Zweigniederlassung wie ihr Bestehen, die Firma und die Geschäftsanschrift. Nicht erforderlich ist die Eintragung der Vertretungsverhältnisse.
§§ 13b–13c HGB (aufgehoben) Aufgehoben durch das Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG) vom 10.11.2006, BGBl. I 2006, 2553. 1 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13a HGB Rz. 1. 2 Vgl. J. Schmidt, NZG 2023, 593, 595 ff. 3 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13a HGB Rz. 2. Grobe | 693
Europäische Zweigniederlassungen von Kapitalgesellschaften | Rz. 3 § 13a HGB
§ 13a HGB Europäische Zweigniederlassungen von Kapitalgesellschaften mit Sitz im Inland (1) In Bezug auf Zweigniederlassungen, die dem Recht eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum unterliegen und die von einer Kapitalgesellschaft mit Sitz im Inland errichtet wurden, gelten die folgenden Vorschriften. (2) Die Landesjustizverwaltungen stellen sicher, dass die Daten der Zweigniederlassungen, die im Rahmen des Europäischen Systems der Registervernetzung gemäß § 9b empfangen werden, an dasjenige Registergericht weitergeleitet werden, das für die Gesellschaft zuständig ist. (3) Das zuständige Registergericht bestätigt den Eingang der Daten über das Europäische System der Registervernetzung gemäß § 9b und trägt unverzüglich von Amts wegen die folgenden gemäß Absatz 2 erhaltenen Daten zu der Zweigniederlassung oder deren Änderung in das Registerblatt der Gesellschaft ein: 1. Errichtung, Aufhebung oder Löschung der Zweigniederlassung, 2. Firma der Zweigniederlassung, 3. Geschäftsanschrift der Zweigniederlassung einschließlich des Staates, 4. Eintragungsnummer und einheitliche europäische Kennung der Zweigniederlassung. Nach der Regelung sollen die Zweigniederlassungen im EU-Raum bzw. in einem Land des 1 EWR-Abkommens inländischer Kapitalgesellschaften im Handelsregister vermerkt werden.1 Inwiefern eine Einbeziehung von Personenhandelsgesellschaften beabsichtigt ist, bleibt abzuwarten. An verschiedenen Stellen des Vorschlags für eine Richtlinie zur Ausweitung des Einsatzes digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht (DigiRL II-E) wird eine solche auf Personenhandelsgesellschaften befürwortet.2 Im Gegensatz zu inländischen Zweigniederlassungen war dies bisher für Zweigniederlassungen im Ausland nicht erforderlich. Die Regelung erfüllt damit die europarechtlichen Vorgaben, die eine Vernetzung und Zurverfügungstellung der Informationen zu den Gesellschaften beabsichtigt, vgl. § 9b HGB. Die Informationen können nur dann weitergegeben werden, wenn die Zweigniederlassung auch im Ausland eingetragen ist.3 Abs. 2 enthält die Verpflichtung der Landesjustizverwaltungen, dass die eingehenden Infor- 2 mationen zu den Zweigniederlassungen an die zuständigen Registergerichte weiterzuleiten sind. Das zuständige Registergericht hat den Eingang der Informationen zu bestätigen und die Eintragung von Amts wegen vorzunehmen. Abs. 3 listet die Inhalte auf, die hinsichtlich der Zweigniederlassung einzutragen sind. Erfasst 3 sind damit die wesentlichen Informationen zur Zweigniederlassung wie ihr Bestehen, die Firma und die Geschäftsanschrift. Nicht erforderlich ist die Eintragung der Vertretungsverhältnisse.
§§ 13b–13c HGB (aufgehoben) Aufgehoben durch das Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG) vom 10.11.2006, BGBl. I 2006, 2553. 1 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13a HGB Rz. 1. 2 Vgl. J. Schmidt, NZG 2023, 593, 595 ff. 3 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13a HGB Rz. 2. Grobe | 693
§ 13d HGB Rz. 1 | Handelsregister; Unternehmensregister
§ 13d HGB Sitz oder Hauptniederlassung im Ausland (1) Befindet sich die Hauptniederlassung eines Einzelkaufmanns oder einer juristischen Person oder der Sitz einer Handelsgesellschaft im Ausland, so haben alle eine inländische Zweigniederlassung betreffenden Anmeldungen, Einreichungen und Eintragungen bei dem Gericht zu erfolgen, in dessen Bezirk die Zweigniederlassung besteht. (2) Die Eintragung der Errichtung der Zweigniederlassung hat auch den Ort und die inländische Geschäftsanschrift der Zweigniederlassung zu enthalten; ist der Firma der Zweigniederlassung ein Zusatz beigefügt, so ist auch dieser einzutragen. (3) Im übrigen gelten für die Anmeldungen, Einreichungen, Eintragungen, Bekanntmachungen und Änderungen einzutragender Tatsachen, die die Zweigniederlassung eines Einzelkaufmanns, einer Handelsgesellschaft oder einer juristischen Person mit Ausnahme von Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien und Gesellschaften mit beschränkter Haftung betreffen, die Vorschriften für Hauptniederlassungen oder Niederlassungen am Sitz der Gesellschaft sinngemäß, soweit nicht das ausländische Recht Abweichungen nötig macht. I. Hintergrund der Norm . . . . . . . . . . . . . . . 1 II. Zweigniederlassung eines ausländischen Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 III. Firma der Zweigniederlassung . . . . . . . . . 10
IV. Anmeldung und Eintragung im Handelsregister (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . 14 V. Rechtsverweisung nach Abs. 3 . . . . . . . . . 17
Schrifttum: Bayer/J. Schmidt, BB-Gesetzgebungs- und Rechtsprechungsreport zum Europäischen Unternehmensrecht 2018/19 – Teil II, BB 2019, 2178; Freitag/Korch, Gedanken zum Brexit – Mögliche Auswirkungen im Internationalen Gesellschaftsrecht, ZIP 2016, 1361; Hammen, Niederlassungsfreiheit englischer Limited Companies mit Verwaltungssitz in Deutschland nach dem Brexit, Der Konzern 2017, 513; Kindler, Neue Offenlegungspflichten für Zweigniederlassungen ausländischer Kapitalgesellschaften – Zur Umsetzung der Elften gesellschaftsrechtlichen Richtlinie der EG in deutsches Recht, NJW 1993, 3301; Lieder/Bialluch, Brexit-Prophylaxe durch das 4. UmwG-ÄndG – Zum deutschen Vorstoß im Recht der grenzüberschreitenden Verschmelzung, NJW 2019, 805; Mäsch/Gausing/Peters, Deutsche Ltd., PLC und LLP: Gesellschaften mit beschränkter Lebensdauer?, Rpfleger 2017, 601; J. Schmidt, Auswirkungen des Brexits im Bereich des Gesellschaftsrechts, ZIP 2019, 1093.
I. Hintergrund der Norm 1 Die §§ 13d–13g HGB enthalten Publizitätsvorschriften für Zweigniederlassungen ausländischer
Unternehmensträger. Während inländische Unternehmensträger bereits im deutschen Handelsregister eingetragen sind, fehlt eine solche Eintragung von ausländischen Unternehmensträgern, die eine inländische Zweigniederlassung errichten wollen.1 Die §§ 13d ff. HGB sollen diesen Mangel kompensieren. Während § 13d HGB als Grundnorm für alle in Betracht kommenden Unternehmensträger (Einzelkaufleute, Personenhandelsgesellschaften, Kapitalgesellschaften) fungiert, enthalten die §§ 13e–13g HGB ergänzende Bestimmungen für Kapitalgesellschaften (§ 13e HGB) sowie im Besonderen für die AG (§ 13f HGB) als auch für die GmbH (§ 13g HGB). Bei §§ 13d ff. HGB handelt es sich – mit Ausnahme von § 13d Abs. 3 HGB – nicht um Kollisionsnormen, die die Anwendbarkeit von Recht regeln, sondern um sog. fremdenrechtliche Sachnormen.2 1 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13d HGB Rz. 7. 2 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13d HGB Rz. 1; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 13d HGB Rz. 6.
694 | Grobe
Sitz oder Hauptniederlassung im Ausland | Rz. 5 § 13d HGB
Die Regelungen sind mit dem Europarecht vereinbar, da sie ausländische Unternehmungen 2 nicht diskriminieren und das Verfahren europarechtlich gerechtfertigt ist.3 Die §§ 13d ff. HGB dienen vielmehr der Umsetzung von Artt. 29 ff. der GesRRL.4 Unter Umständen kann das Gericht verpflichtet sein, sich mit dem ausländischen Recht des 3 Unternehmensträgers auseinanderzusetzen, § 26 FamFG. Dies folgt aus dem Gesellschaftsstatut und gilt in Hinblick auf die Unternehmensorganisation, die Vertretungsbefugnisse und die Haftungsbestimmungen.5
II. Zweigniederlassung eines ausländischen Unternehmens Für die Bestimmung des Begriffs der Zweigniederlassung eines ausländischen Unterneh- 4 mens sind die Ausführungen des § 13 HGB zur Zweigniederlassung eines inländischen Unternehmens maßgeblich (vgl. § 13 HGB Rz. 4 ff.). So stellt eine Zweigniederlassung einen räumlich getrennten Teil des Unternehmens dar, der dann als errichtet gilt, wenn für eine gewisse Dauer ein Geschäftsbetrieb besteht, der in personeller und sachlicher Weise organisatorisch selbstständig ist.6 Sie ist keine Rechtsperson7, sondern folgt in dieser Hinsicht dem Recht des Unternehmensträgers.8 Folglich handelt es sich bei der Errichtung allein um einen tatsächlichen Vorgang9, der sich nicht von dem der Errichtung nach § 13 HGB unterscheidet und auch mit dem europarechtlichen Begriff der Zweigniederlassung in Einklang steht. Die Eintragung der inländischen Zweigniederlassung nach § 13d HGB hat allein deklaratorischen Charakter.10 Aus § 13e Abs. 5 HGB folgt ferner, dass auch mehrere Niederlassungen eines ausländischen Unternehmens im Inland errichtet werden können. Hier müssen die materiell-rechtlichen sowie verfahrensrechtlichen Anforderungen bei der jeweiligen Zweigniederlassung erfüllt sein.11 Nach § 13 Abs. 1 HGB findet die Regelung nur Anwendung, wenn der Unternehmensträger 5 der inländischen Zweigniederlassung eine ausländische Hauptniederlassung als Einzelkaufmann oder juristische Person betreibt oder der Sitz der Handelsgesellschaft im Ausland liegt. Für die Einordnung als Einzelkaufmann mit Hauptniederlassung im Ausland sind die Bestimmungen nach §§ 1 ff. HGB maßgeblich.12 Der Unternehmensträger muss einen nach Art und Umfang in kaufmännischer Weise eingerichteten Gewerbebetrieb betreiben oder in eine mit dem Handelsregister vergleichbaren Register eingetragen sein.13 Die Nationalität des Einzelkaufmanns ist unerheblich.14 Ferner kann ein ausländischer Unternehmensträger auch eine juristische Person sein. Erfasst sind nach § 13d HGB diejenigen juristischen Personen, die nicht bereits als Handelsgesellschaft (wie bspw. eine Kapitalgesellschaft) angesehen werden.15 Eine Handelsgesellschaft i.S.d. § 13d HGB ist entweder eine Personenhandelsgesellschaft oder eine Kapitalgesellschaft. Im Hinblick auf den ausländischen Unterneh-
3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13d HGB Rz. 1. Siehe RL (EU) 2017/1132 vom 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts. Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13d HGB Rz. 4. Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13d HGB Rz. 5. Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 13d HGB Rz. 12. Koch/Harnos in Staub, § 13d HGB Rz. 20. Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13d HGB Rz. 6. OLG München v. 2.5.2006 – 31 Wx 9/06, NZG 2006, 513 = ZIP 2006, 1049; KG v. 18.11.2003 – 1 W 444/02, NZG 2004, 49, 50 = ZIP 2003, 2297. Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 13d HGB Rz. 12. Kindler, NJW 1993, 3301, 3303; Koch/Harnos in Staub, § 13d HGB Rz. 12. Kindler in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2021, IntGesR, Rz. 202 f. Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13d HGB Rz. 8. Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13d HGB Rz. 9. Grobe | 695
§ 13d HGB Rz. 5 | Handelsregister; Unternehmensregister mensträger ist von besonderer Bedeutung, ob dieser auch nach deutschem Rechtsverständnis als Kapitalgesellschaft angesehen werden kann. 6 Ob und inwiefern eine ausländische Gesellschaft als Kapitalgesellschaft im Sinne des natio-
nalen Rechts anzusehen ist, ist anhand eines Vergleichs mit den Merkmalen der hiesigen Kapitalgesellschaften festzustellen.16 Neben der Bezeichnung durch das ausländische Recht sind Kriterien wie Vermögens- und Haftungsverfassung17 sowie die Organisationsstruktur heranzuziehen.18 Nicht von Bedeutung ist hingegen die Höhe des Mindestkapitals.19 Zudem bedarf es keiner vollständigen und genauen Übereinstimmung mit den Merkmalen der nationalen Rechtsform.20 7 Da nur Zweigniederlassungen von solchen Unternehmensträgern im Handelsregister ein-
getragen werden dürfen, die ihren Sitz im Ausland haben, ist festzustellen, ob der Rechtsträger besteht und als ausländischer Unternehmensträger im Sinne der Norm gilt.21 Welche Rechtsordnung dafür maßgeblich ist, bestimmt das Gesellschaftsstatut und damit das internationale Gesellschaftsrecht als Teilgebiet des Internationalen Privatrechts. Grundsätzlich kommt nach Auffassung des BGH dabei die sog. Sitztheorie zur Anwendung.22 Nach dieser ist das Recht zur Bestimmung der Rechtsform maßgeblich, das an dem tatsächlichen Verwaltungssitz der Gesellschaft gilt.23 Danach liegt eine ausländische Gesellschaft i.S.d. § 13d HGB nur vor, wenn der Rechtsträger seinen Verwaltungssitz im Ausland hat und dort als wirksam errichtet angesehen wird.24 Liegt der Verwaltungssitz jedoch in Deutschland, weil es sich bei der anzumeldenden Zweigniederlassung um den tatsächlichen Verwaltungssitz handelt, ist allein deutsches Recht maßgeblich und der Anwendungsbereich von §§ 13d ff. HGB nicht eröffnet.25 Die Gesellschaft wird dann so lange als Personenhandelsgesellschaft behandelt, bis die Voraussetzungen zur Errichtung einer Kapitalgesellschaft nach deutschem Recht vorliegen.26 8 Ausnahmsweise gilt die Sitztheorie dann nicht, wenn das nationale Registergericht aus an-
deren Gründen verpflichtet ist, die Existenz der Gesellschaft aufgrund des ausländischen Rechts anzuerkennen.27 So findet die Gründungstheorie28 und nicht die Sitztheorie Anwendung, wenn es sich um eine Gesellschaft aus einem EU-Mitgliedstaat oder aus dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) handelt, da für diese die Niederlassungsfreiheit gilt.29 Nach der Gründungstheorie ist die Rechtsordnung maßgeblich, nach deren Recht die Gesellschaft gegründet wurde. Wurde eine Gesellschaft in einem EU Mitgliedstaat gegründet und führt sie ihre Geschäfte ausschließlich über die Zweigniederlassung, darf eine Eintragung der Zweigniederlassung selbst dann nicht verweigert werden, wenn sie im Gründungsstaat keiner
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Kindler in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2021, IntGesR, Rz. 207. Kindler in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2021, IntGesR, Rz. 208. Koch/Harnos in Staub, § 13d HGB Rz. 14. Koch/Harnos in Staub, § 13d HGB Rz. 14. BayObLG v. 18.7.1985 – BReg 3 Z 62/85, DNotZ 1986, 174 = GmbHR 1985, 335; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13d HGB Rz. 11. OLG Zweibrücken v. 26.3.2003, NZG 2003, 537 = ZIP 2003, 849; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13d HGB Rz. 12. BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06, BGHZ 178, 192 = GmbHR 2009, 138 m. Anm. Wachter; BGH v. 8.10.2009 – IX ZR 227/06, ZIP 2009, 2385. Dazu Kindler in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2021, IntGesR, Rz. 423 ff. Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13d HGB Rz. 15. Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13d HGB Rz. 15. OLG Hamburg v. 30.3.2007 – 11 U 231/94, NZG 2007, 597 = GmbHR 2007, 763 m. Anm. Ringe. Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13d HGB Rz. 18. Zum Hintergrund der Gründungstheorie s. Kindler in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2021, IntGesR, Rz. 362 ff. Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13d HGB Rz. 18 ff.
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Sitz oder Hauptniederlassung im Ausland | Rz. 12 § 13d HGB
Geschäftstätigkeit mehr nachgeht.30 Gleiches gilt im Hinblick auf Gesellschaften aus den Staaten des EWR. Das Berufen auf die Niederlassungsfreiheit ist für Gesellschaften, die nach dem Recht des Vereinigten Königreichs gegründet wurden, infolge des Brexit nicht mehr möglich.31 Hier führt die Anwendung der Sitztheorie dazu, dass die Gesellschaft nach deutschem Recht eingestuft wird und somit entweder als oHG oder GbR einzuordnen ist.32 Für die Zweigniederlassung führt dies, da sie ihren Status als Zweigniederlassung verliert, zur Amtslöschung nach § 395 FamFG aus dem Handelsregister.33 Ferner findet die Sitztheorie dann keine Anwendung, wenn die Anerkennung der auslän- 9 dischen Gesellschaft auf einem völkerrechtlichen Vertrag beruht.34 Eine solche Vereinbarung existiert in der Form des Freundschafts-, Schifffahrts- und Handelsvertrags vom 29.10.1954 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten.35
III. Firma der Zweigniederlassung Die Firma des ausländischen Unternehmensträgers als auch die Firma der inländischen 10 Zweigniederlassung gehören zum Prüfungsgegenstand des inländischen Registergerichts.36 Allerdings bestehen Unterschiede hinsichtlich des jeweiligen Prüfungsmaßstabs. Bei Einzelkaufleuten bestimmt sich die Firma nach dem Personalstatut. Bei Kapital- und Personenhandelsgesellschaften kommen die Sachnormen des Gesellschaftsstatuts zur Anwendung.37 Das Registergericht hat zunächst die Zulässigkeit der ausländischen Firma des Unterneh- 11 mensträgers nach ausländischem Recht zu prüfen. Hierbei genügt grundsätzlich, dass die Firma eine Eintragung in das staatlich geführte Handelsregister durch die aufgrund des ausländischen Satzungssitzes zuständige ausländische Stelle erfahren hat.38 Anschließend hat das Registergericht die Zulässigkeit der Firma der Zweigniederlassung zu 12 prüfen. Obwohl das Recht der Zweigniederlassung im Grundsatz dem Recht des Unternehmensträgers folgt, orientiert sich das Firmenstatut der Zweigniederlassung nach dem Recht am Ort der Zweigniederlassung.39 Dies folgt aus Sinn und Zweck der §§ 13d ff. HGB, wonach die inländische Zweigniederlassung eines ausländischen Unternehmens wie eine Hauptniederlassung zu behandeln ist.40 Folglich sind die firmenrechtlichen Grundsätze nach §§ 17 ff. HGB zu berücksichtigen. So darf die Firma der inländischen Zweigniederlassung nicht den Grundsatz der Firmenwahrheit und Firmenklarheit verletzen.41 Kommt es den30 EuGH v. 9.3.1999 – C-212/97, NJW 1999, 2027, 2028 = GmbHR 1999, 474 – Centros. 31 Dazu Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 2178, 2187; J. Schmidt, ZIP 2019, 1093, 1097; Lieder/Bialluch, NJW 2019, 805, 806; a.A. Hammen, Der Konzern 2017, 513 ff.; für einen zumindest vorübergehenden Bestandsschutz Freitag/Korch, ZIP 2016, 1361, 1363 ff. 32 So Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1178, 1187; J. Schmidt, ZIP 2019, 1093, 1097; Lieder/Bialluch, NJW 2019, 805, 806. 33 Mäsch/Gausing/Peters, Rpfleger 2017, 601, 607. 34 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13d HGB Rz. 23. 35 Vgl. BGBl. II 1956, 487. 36 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 13d HGB Rz. 19. 37 OLG Frankfurt v. 19.2.2008 – 20 W 263/07, FGPrax 2008, 165; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 13d HGB Rz. 19; a.A. Kindler, NJW 2003, 1073, 1079; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13d HGB Rz. 19. 38 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 13d HGB Rz. 20. 39 KG v. 11.9.2007 – 1 W 81/07, GmbHR 2008, 146; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 13d HGB Rz. 21; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13d HGB Rz. 32. 40 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 13d HGB Rz. 20. 41 BayObLG v. 21.3.1986 – BReg 3 Z 148/85, ZIP 1986, 840 = BayObLGZ 1986, 61, 64 = GmbHR 1986, 305; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 13d HGB Rz. 21. Grobe | 697
§ 13d HGB Rz. 12 | Handelsregister; Unternehmensregister noch zu einem solchen Verstoß, ist die Eintragung der Zweigniederlassung abzulehnen.42 Darin ist zumindest dann kein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit gegeben, wenn die firmenrechtlichen Vorschriften in nicht diskriminierender Weise angewendet werden und der Eingriff gerechtfertigt ist.43 13 Die inländische Zweigniederlassung hat den Rechtsformzusatz des ausländischen Unterneh-
mensträgers in ihrer Firma anzugeben.44 Ergänzende Zusätze sind nicht erforderlich. Gleiches gilt für einen möglichen Zusatz in der Firma, dass es sich um die Zweigniederlassung handelt.45 Erläuternde Zusätze können für den Rechtsverkehr irreführend sein und sind deshalb unzulässig.46
IV. Anmeldung und Eintragung im Handelsregister (Abs. 2) 14 Zur Anmeldung der Zweigniederlassung berechtigt ist bei ausländischen einzelkaufmän-
nischen Unternehmen der Einzelkaufmanns selbst; bei ausländischen Gesellschaften sind die jeweiligen Vertretungsorgane anmeldebefugt.47 Die nach § 13d HGB bestehende Anmeldepflicht kann durch Androhung und Festsetzung eines Zwangsgeldes durchgesetzt werden.48 Für die Anmeldung der Zweigniederlassung und die Einreichung von Unterlagen ist nach § 13d Abs. 1 HGB das Registergericht zuständig, in dessen Bezirk die Zweigniederlassung errichtet wurde. Bei mehreren Zweigniederlassungen ist § 13e Abs. 5 HGB entsprechend heranzuziehen. 15 Die Anmeldung zur Errichtung der Zweigniederlassung hat nach Abs. 2 Ort, inländische Ge-
schäftsanschrift sowie die Firma zu enthalten. Ferner ist die Anmeldung in deutscher Sprache durchzuführen und muss den Vorgaben des § 12 entsprechen. Dies folgt aus dem Umstand, dass das deutsche Verfahrensrecht als lex fori maßgeblich ist.49 Die Anmeldung muss öffentlich beglaubigt sein, wobei auch eine Auslandsbeglaubigung möglich ist, sofern die im Ausland erfolgte Beglaubigung mit der öffentlichen Beglaubigung eines deutschen Notars gleichwertig ist.50 16 Der Prüfungsmaßstab des Gerichts ist umfassend51 und mit der Überprüfung einer inländi-
schen Hauptniederlassung vergleichbar.52 So ist der Nachweis der Existenz des Unternehmens zu führen.53 Die Vorlage eines Beschlusses zur Errichtung der Niederlassung ist jedoch nicht erforderlich.54 Ferner ist die Zulässigkeit der Firmierung (s. Rz. 10 ff.) zu prüfen. 42 So OLG München v. 1.7.2010 – 31 Wx 88/10, NZG 2011, 157 = GmbHR 2010, 1156; OLG Frankfurt v. 19.2.2008 – 20 W 263/07, FGPrax 2008, 165; Koch/Harnos in Staub, § 13d HGB Rz. 72; kritisch Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 13d HGB Rz. 21. 43 Dazu ausführlich Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13d HGB Rz. 34 f. 44 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13d HGB Rz. 36. 45 OLG Düsseldorf v. 22.2.2017 – 3 Wx 145/16, NZG 2017, 624. 46 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13d HGB Rz. 36; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 13d HGB Rz. 23. 47 KG v. 18.11.2003 – 1 W 444/02, NZG 2004, 49, 50 = ZIP 2003, 2297; Merkt in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 13d HGB Rz. 5; Koch/Harnos in Staub, § 13d HGB Rz. 56; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13d HGB Rz. 39. 48 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13d HGB Rz. 17. 49 BGH v. 7.5.2007 – II ZB 7/06, BGHZ 172, 200, 204 f. = ZIP 2007, 1306; Koch/Harnos in Staub, § 13d HGB Rz. 47. 50 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13d HGB Rz. 41. 51 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13d HGB Rz. 19. 52 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13d HGB Rz. 47. 53 Dazu Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13d HGB Rz. 18. 54 OLG Düsseldorf v. 21.2.2006 – 3 Wx 210/05, NZG 2006, 317 f. = GmbHR 2006, 548.
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Zweigniederlassungen von Kapitalgesellschaften mit Sitz im Ausland | § 13e HGB
V. Rechtsverweisung nach Abs. 3 Nach Abs. 3 gelten für die Anmeldungen, Einreichungen, Eintragungen, Bekanntmachungen 17 und Änderungen einzutragender Tatsachen, die die Zweigniederlassung eines Einzelkaufmanns, einer Handelsgesellschaft oder einer juristischen Person mit Ausnahme von Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien und Gesellschaften mit beschränkter Haftung betreffen, die Vorschriften für Hauptniederlassungen oder Niederlassungen am Sitz der Gesellschaft sinngemäß, soweit nicht das ausländische Recht Abweichungen nötig macht. So sind insbesondere im Vergleich zum deutschen Recht strengere Anforderungen des ausländischen Rechts an die Form maßgeblich und im Registerverfahren zu berücksichtigen.55 Der Prüfungsmaßstab des Registergerichts orientiert sich an den Vorgaben zur inländischen Hauptniederlassung. Somit erhält der Rechtsverkehr alle erforderlichen Informationen über das ausländische Unternehmen.56 §§ 13e–13g HGB enthalten spezielle Vorschriften für die Zweigniederlassung ausländischer Kapitalgesellschaften.
§ 13e HGB Zweigniederlassungen von Kapitalgesellschaften mit Sitz im Ausland (1) Für Zweigniederlassungen von Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit Sitz im Ausland gelten ergänzend zu § 13d die folgenden Vorschriften. (2) 1Die Errichtung einer Zweigniederlassung einer Aktiengesellschaft ist durch den Vorstand, die Errichtung einer Zweigniederlassung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist durch die Geschäftsführer zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. 2Bei der Anmeldung ist das Bestehen der Gesellschaft als solcher nachzuweisen. 3Die Anmeldung hat auch eine inländische Geschäftsanschrift und den Gegenstand der Zweigniederlassung zu enthalten. 4Daneben kann eine Person, die für Willenserklärungen und Zustellungen an die Gesellschaft empfangsberechtigt ist, mit einer inländischen Anschrift zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet werden; Dritten gegenüber gilt die Empfangsberechtigung als fortbestehend, bis sie im Handelsregister gelöscht und die Löschung bekannt gemacht worden ist, es sei denn, dass die fehlende Empfangsberechtigung dem Dritten bekannt war. 5In der Anmeldung sind ferner anzugeben 1. das Register, bei dem die Gesellschaft geführt wird, und die Nummer des Registereintrags, sofern das Recht des Staates, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat, eine Registereintragung vorsieht; 2. die Rechtsform der Gesellschaft; 3. die Personen, die befugt sind, als ständige Vertreter für die Tätigkeit der Zweigniederlassung die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten, unter Angabe ihrer Befugnisse; 4. wenn die Gesellschaft nicht dem Recht eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum unterliegt, das Recht des Staates, dem die Gesellschaft unterliegt.
55 KG v. 18.11.2003 – 1 W 444/02, NZG 2004, 49, 50 = ZIP 2003, 2297. 56 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13d HGB Rz. 54. Grobe | 699
Zweigniederlassungen von Kapitalgesellschaften mit Sitz im Ausland | § 13e HGB
V. Rechtsverweisung nach Abs. 3 Nach Abs. 3 gelten für die Anmeldungen, Einreichungen, Eintragungen, Bekanntmachungen 17 und Änderungen einzutragender Tatsachen, die die Zweigniederlassung eines Einzelkaufmanns, einer Handelsgesellschaft oder einer juristischen Person mit Ausnahme von Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien und Gesellschaften mit beschränkter Haftung betreffen, die Vorschriften für Hauptniederlassungen oder Niederlassungen am Sitz der Gesellschaft sinngemäß, soweit nicht das ausländische Recht Abweichungen nötig macht. So sind insbesondere im Vergleich zum deutschen Recht strengere Anforderungen des ausländischen Rechts an die Form maßgeblich und im Registerverfahren zu berücksichtigen.55 Der Prüfungsmaßstab des Registergerichts orientiert sich an den Vorgaben zur inländischen Hauptniederlassung. Somit erhält der Rechtsverkehr alle erforderlichen Informationen über das ausländische Unternehmen.56 §§ 13e–13g HGB enthalten spezielle Vorschriften für die Zweigniederlassung ausländischer Kapitalgesellschaften.
§ 13e HGB Zweigniederlassungen von Kapitalgesellschaften mit Sitz im Ausland (1) Für Zweigniederlassungen von Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit Sitz im Ausland gelten ergänzend zu § 13d die folgenden Vorschriften. (2) 1Die Errichtung einer Zweigniederlassung einer Aktiengesellschaft ist durch den Vorstand, die Errichtung einer Zweigniederlassung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist durch die Geschäftsführer zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. 2Bei der Anmeldung ist das Bestehen der Gesellschaft als solcher nachzuweisen. 3Die Anmeldung hat auch eine inländische Geschäftsanschrift und den Gegenstand der Zweigniederlassung zu enthalten. 4Daneben kann eine Person, die für Willenserklärungen und Zustellungen an die Gesellschaft empfangsberechtigt ist, mit einer inländischen Anschrift zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet werden; Dritten gegenüber gilt die Empfangsberechtigung als fortbestehend, bis sie im Handelsregister gelöscht und die Löschung bekannt gemacht worden ist, es sei denn, dass die fehlende Empfangsberechtigung dem Dritten bekannt war. 5In der Anmeldung sind ferner anzugeben 1. das Register, bei dem die Gesellschaft geführt wird, und die Nummer des Registereintrags, sofern das Recht des Staates, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat, eine Registereintragung vorsieht; 2. die Rechtsform der Gesellschaft; 3. die Personen, die befugt sind, als ständige Vertreter für die Tätigkeit der Zweigniederlassung die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten, unter Angabe ihrer Befugnisse; 4. wenn die Gesellschaft nicht dem Recht eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum unterliegt, das Recht des Staates, dem die Gesellschaft unterliegt.
55 KG v. 18.11.2003 – 1 W 444/02, NZG 2004, 49, 50 = ZIP 2003, 2297. 56 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13d HGB Rz. 54. Grobe | 699
§ 13e HGB Rz. 1 | Handelsregister; Unternehmensregister (3) 1Die in Absatz 2 Satz 5 Nr. 3 genannten Personen haben jede Änderung dieser Personen oder der Vertretungsbefugnis einer dieser Personen zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. 2Wenn die Gesellschaft nicht dem Recht eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum unterliegt, gelten für die gesetzlichen Vertreter der Gesellschaft in Bezug auf die Zweigniederlassung § 76 Absatz 3 Satz 2 bis 4 des Aktiengesetzes sowie § 6 Absatz 2 Satz 2 bis 4 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung entsprechend. (3a) 1An die in Absatz 2 Satz 5 Nr. 3 genannten Personen als Vertreter der Gesellschaft können unter der im Handelsregister eingetragenen inländischen Geschäftsanschrift der Zweigniederlassung Willenserklärungen abgegeben und Schriftstücke zugestellt werden. 2 Unabhängig hiervon können die Abgabe und die Zustellung auch unter der eingetragenen Anschrift der empfangsberechtigten Person nach Absatz 2 Satz 4 erfolgen. (4) Die in Absatz 2 Satz 5 Nr. 3 genannten Personen oder, wenn solche nicht angemeldet sind, die gesetzlichen Vertreter der Gesellschaft haben die Eröffnung oder die Ablehnung der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder ähnlichen Verfahrens über das Vermögen der Gesellschaft zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. (5) 1Errichtet eine Gesellschaft mehrere Zweigniederlassungen im Inland, so brauchen die Satzung oder der Gesellschaftsvertrag sowie deren Änderungen nach Wahl der Gesellschaft nur zum Handelsregister einer dieser Zweigniederlassungen eingereicht zu werden. 2In diesem Fall haben die nach Absatz 2 Satz 1 Anmeldepflichtigen zur Eintragung in den Handelsregistern der übrigen Zweigniederlassungen anzumelden, welches Register die Gesellschaft gewählt hat und unter welcher Nummer die Zweigniederlassung eingetragen ist. (6) Die Landesjustizverwaltungen stellen sicher, dass die Daten einer Kapitalgesellschaft mit Sitz im Ausland, die im Rahmen des Europäischen Systems der Registervernetzung (§ 9b) empfangen werden, an das Registergericht weitergeleitet werden, das für eine inländische Zweigniederlassung dieser Gesellschaft zuständig ist. (7) 1Das zuständige Registergericht bestätigt den Eingang der Daten über das Europäische System der Registervernetzung. 2Sofern zum Zeitpunkt des Dateneingangs bei dem Registergericht keine Anmeldung in Bezug auf die mitgeteilten Tatsachen vorliegt, fordert es die Gesellschaft zur unverzüglichen Anmeldung der geänderten Tatsachen auf. I. Hintergrund der Norm . . . . . . . . . . . . . . . II. Errichtung einer Zweigniederlassung von AG und GmbH mit Sitz im Ausland (Abs. 1, 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Stellung des ständigen Vertreter nach Abs. 3, 3a und 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Mehrere Zweigniederlassungen (Abs. 5) 11 V. Empfangene Daten im Rahmen des Europäischen Systems der Registervernetzung (Abs. 6, 7) . . . . . . . . . . . . . . . . 13
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Schrifttum: J. Schmidt, DiRUG-RefE: Ein Digitalisierungs-Ruck für das deutsche Gesellschafts- und Registerrecht, ZIP 2021, 112; Stelmaszczyk/Kienzle, GmbH digital – Online-Gründung und Online-Verfahren für Registeranmeldungen nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zum DiRUG, ZIP 2021, 765.
I. Hintergrund der Norm 1 § 13e HGB stellt eine Ergänzung der Grundnorm § 13d HGB dar und enthält Sonderrege-
lungen zur Errichtung einer Zweigniederlassung durch eine ausländische Kapitalgesellschaft. § 13e HGB sowie § 13f HGB, der weitere Sonderbestimmungen für die AG enthält, sind ent700 | Grobe
Zweigniederlassungen von Kapitalgesellschaften mit Sitz im Ausland | Rz. 5 § 13e HGB
sprechend auf die KGaA anzuwenden.1 Die Vorschrift enthält einerseits in Abs. 2 bis 4 verschiedene Anmeldepflichten, die eine umfassende Publizität gewährleisten. Andererseits ermöglicht Abs. 5 Verfahrenserleichterungen bei mehreren inländischen Zweigniederlassungen ausländischer Kapitalgesellschaften. Ferner enthalten Abs. 6 und 7 Bestimmungen zur Verknüpfung der Daten zur inländischen Zweigniederlassung ausländischer Kapitalgesellschaften mit dem Europäischen System der Registervernetzung.
II. Errichtung einer Zweigniederlassung von AG und GmbH mit Sitz im Ausland (Abs. 1, 2) § 13e Abs. 1 HGB enthält Bestimmungen für Zweigniederlassungen von Aktiengesellschaften 2 und Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit Sitz im Ausland. Ob der Anwendungsbereich für die ausländische Kapitalgesellschaft von § 13e HGB erfasst ist, hat grundsätzlich durch einen Vergleich mit den Rechtsformen des nationalen Rechts zu erfolgen (sog. Substitution).2 Allerdings ist hierbei zwischen Gesellschaften aus anderen europäischen Mitgliedstaaten bzw. EWR-Vertragsstaaten und Gesellschaften aus Drittstaaten zu unterscheiden. Erstere sind aufgrund der Niederlassungsfreiheit durch die Registergerichte in ihrer rechtlichen Existenz anzuerkennen, wenn sie nach dem Recht des jeweiligen Mitgliedstaates wirksam gegründet wurden und weiterhin existieren.3 Für Kapitalgesellschaften mit Sitz in einem Drittstaat ist eine rechtsvergleichende Qualifizierung anhand der wesentlichen Merkmale einer Kapitalgesellschaft vorzunehmen, wobei gem. Art. 36 GesRRL die Vergleichbarkeit der ausländischen Gesellschaft mit einem Gesellschaftstyp eines EU Mitgliedstaats genügt.4 Dennoch erfordert die Anwendung des § 13e HGB eine Qualifizierung der Rechtsform der 3 ausländischen Kapitalgesellschaft dahingehend, ob es sich bei der Gesellschaft um eine mit der deutschen AG oder GmbH vergleichbare ausländische Rechtsform handelt5, wobei eine Entsprechung in Grundzügen genügt.6 Bei Gesellschaften aus EU-Staaten kann auf der in Anhang I GesRRL aufgeführte Katalog zur Bestimmung herangezogen werden.7 Bei der Anmeldung ist nach Abs. 2 Satz 2 das Bestehen der Gesellschaft als solcher nach- 4 zuweisen. Erfasst ist damit zunächst der Nachweis, dass die Gesellschaft nach ihrem Heimatrecht wirksam entstanden ist, wobei die landesrechtlichen Besonderheiten zu berücksichtigen sind.8 Fehlt ein dem Handelsregister vergleichbares Institut, ist der Nachweis des Bestehens durch die Gründungsurkunde zu belegen.9 Die Registergerichte sind von Amts wegen verpflichtet, die Echtheit der Urkunde zu prüfen.10 Verpflichtet zur Anmeldung sind für die Aktiengesellschaft der Vorstand, für die GmbH der 5 Geschäftsführer, § 13e Abs. 2 Satz 1 HGB. Maßgeblich ist dabei, welches Organ nach dem ausländischem Recht eine mit Vorstand und Geschäftsführer vergleichbare Stellung ausübt.11 Es sind nicht alle Mitglieder des Organs verpflichtet, die Eintragung gemeinsam vorzuneh-
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Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 13e HGB Rz. 4. Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13e HGB Rz. 4. Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13e HGB Rz. 9. Siehe Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13e HGB Rz. 12 sowie die Beispiele in Rz. 13 und 14. Koch, AktG, § 13e HGB Rz. 2. Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13e HGB Rz. 10. Begr. RegE. BT-Drucks.12/3908, S. 15; J. Koch/Harnos in Staub, § 13e HGB Rz. 10 ff. Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13e HGB Rz. 22. Koch, AktG, § 13e HGB Rz. 4. Koch, AktG, § 13e HGB Rz. 4. Koch, AktG, § 13e HGB Rz. 3. Grobe | 701
§ 13e HGB Rz. 5 | Handelsregister; Unternehmensregister men, sondern es genügt ein Handeln der Organmitglieder in vertretungsberechtigter Zahl.12 Grundsätzlich ist auch eine rechtsgeschäftliche Vertretung möglich (bspw. durch einen Prokuristen), sofern es sich um keine höchstpersönlichen Verpflichtungen handelt, die nur durch einen organschaftlichen Vertreter bewirkt werden können.13 Ständige Vertreter nach § 13e Abs. 2 Satz 5 Nr. 3 HGB sind nicht zur Anmeldung berechtigt.14 6 In der Anmeldung anzugeben ist der Umstand, dass eine Zweigniederlassung errichtet wurde
(§ 13e Abs. 2 Satz 1 HGB) sowie deren inländische Geschäftsanschrift und der Gegenstand der Zweigniederlassung, § 13e Abs. 2 Satz 3 HGB. Ferner kann gem. § 13e Abs. 2 Satz 4 HGB ein zusätzlicher Empfangsberechtigter bestellt werden. Ob zudem auch der Unternehmensgegenstand der ausländischen Kapitalgesellschaft anzugeben ist, ist umstritten15, jedoch zu befürworten. 7 Gemäß Abs. 2 Satz 5 sind ferner anzugeben das Register, bei dem die Gesellschaft geführt
wird, und die Nummer des Registereintrags, sofern das Recht des Staates, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat, eine Registereintragung vorsieht, Abs. 2 Satz 5 Nr. 1; die Rechtsform der ausländischen Gesellschaft in deren Landessprache, Abs. 2 Satz 5 Nr. 2; die Personen, die befugt sind, als ständige Vertreter für die Tätigkeit der Zweigniederlassung die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten, unter Angabe ihrer Befugnisse, Abs. 2 Satz 5 Nr. 3; das Recht des Staates, dem die Gesellschaft unterliegt, die Gesellschaft nicht dem Recht eines EU-Mitgliedstaates oder eines anderen EWR-Vertragsstaates unterliegt, Abs. 2 Satz 5 Nr. 4.
III. Die Stellung des ständigen Vertreter nach Abs. 3, 3a und 4 8 Nach Abs. 3 Satz 1 sind Änderungen der Personen der ständigen Vertreter (Abs. 2 Satz 5
Nr. 3) oder ihrer Vertretungsbefugnis zur Eintragung im Handelsregister anzumelden. Die Anmeldungen können durch die ständigen Vertreter erfolgen; ist der letzte ständige Vertreter ausgeschieden, sind entsprechende Anmeldungen durch die Leitungsorgane der Kapitalgesellschaft vorzunehmen.16 Nach Abs. 3a können an die ständigen Vertreter unter der im Handelsregister eingetragenen inländischen Geschäftsanschrift der Zweigniederlassung Willenserklärungen abgegeben und Schriftstücke zugestellt werden. Unabhängig hiervon können die Abgabe und die Zustellung auch unter der eingetragenen Anschrift der empfangsberechtigten Person nach Abs. 2 Satz 4 erfolgen. 9 Gemäß Abs. 3 Satz 2 gelten die Inhabilitätsregelungen nach § 76 Abs. 3 Satz 2 bis 4 AktG
sowie § 6 Abs. 2 Satz 2–4 GmbHG für die gesetzlichen Vertreter der ausländischen Kapitalgesellschaft, die nicht dem Recht eines anderen EU-Mitgliedstaats bzw. EWR-Vertragsstaates unterliegt.17 Die Regelung ist systemfremd und weist keinen Bezug zum ständigen Vertreter auf.18 Sie zielt darauf ab, mögliche Umgehungen der Bestellungshindernisse durch Wahl eines ausländischen Verwaltungssitzes zu verhindern.19 Die Ausnahme für Kapitalgesellschaf12 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13e HGB Rz. 16. 13 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13e HGB Rz. 8; ähnlich Koch, AktG, § 13e HGB Rz. 3. 14 Koch/Harnos in Staub, § 13e HGB Rz. 17; Koch, AktG, § 13e HGB Rz. 3. 15 Dafür Koch, AktG, § 13e HGB Rz. 5; Merkt in Hopt, § 13e HGB Rz. 2; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13e HGB Rz. 34 f.; a.A. OLG Düsseldorf v. 21.2.2006 – 3 Wx 210/05, NZG 2006, 317, 318 = GmbHR 2006, 548; OLG Frankfurt v. 29.12.2005 – 20 W 315/05, FGPrax 2006, 126, 127; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 13e HGB Rz. 10. 16 Koch/Harnos in Staub, § 13e HGB Rz. 8. 17 Zum Hintergrund der Regelung s. Koch/Harnos in Staub, § 13e HGB Rz. 39 f. 18 Koch, AktG, § 13e HGB Rz. 8a. 19 Koch, AktG, § 13e HGB Rz. 8a.
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Zweigniederlassungen von Kapitalgesellschaften mit Sitz im Ausland | Rz. 13 § 13e HGB
ten anderer EU-Mitgliedstaaten bzw. EWR-Vertragsstaaten ist auf Art. 13i GesRRL zurückzuführen, wonach Bestellungshindernisse aufgrund des gegenseitigen Austausches von Informationen bereits die Bestellung von Geschäftsleitern verhindern würden und erhöhte Anforderungen bei der Anmeldung nicht mehr erforderlich seien.20 Diesbezüglich werden erhebliche Bedenken geäußert, da die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind, die Inhabilität durch andere Mitgliedstaaten anzuerkennen.21 Abs. 4 verpflichtet die ständigen Vertreter, die Eröffnung oder die Ablehnung der Eröffnung 10 eines Insolvenzverfahrens oder ähnlichen Verfahrens über das Vermögen der Gesellschaft zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. Die Regelung verfolgt den Zweck, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens der ausländischen Kapitalgesellschaft auch für das inländische Registergericht bekannt zu machen.22 Fehlt es an einem ständigen Vertreter, trifft die Pflicht zur Anmeldung die gesetzlichen Vertreter der Kapitalgesellschaft.
IV. Mehrere Zweigniederlassungen (Abs. 5) Betreibt eine ausländische Kapitalgesellschaft mehrere Zweigniederlassungen im Inland, so 11 besteht die Pflicht, bei jedem Registergericht, in dessen Bezirk eine Zweigniederlassung errichtet wurde, eine entsprechende Anmeldung vorzunehmen, vgl. § 13d HGB. § 13e Abs. 5 HGB stellt in dieser Hinsicht eine Verfahrenserleichterung dar, die es den ausländischen Kapitalgesellschaften ermöglicht, ein Hauptregistergericht zu wählen, bei dem Satzung oder Gesellschaftsvertrag sowie deren Änderungen einzureichen sind, Abs. 5 Satz 1. Die sonstigen Anmeldepflichten der anderen Zweigniederlassungen bestehen fort.23 Um die Option zu nutzen, müssen die Anmeldepflichtigen der Gesellschaft nach Abs. 5 Satz 2 12 zur Eintragung bei den übrigen Registergerichten anmelden, bei welchem Registergericht Satzung bzw. Gesellschaftsvertrag eingereicht und unter welcher Nummer die Zweigniederlassung dort eingetragen ist. Wurde eine Zweigniederlassung bereits errichtet, ohne diese nach § 13e Abs. 5 HGB zu privilegieren, besteht die Möglichkeit, dieses Wahlrecht auch nachträglich auszuüben.24 Ferner besteht ein Wahlrecht für die Einreichung von Rechnungslegungsunterlagen nach § 325a Abs. 1 Satz 2 HGB.
V. Empfangene Daten im Rahmen des Europäischen Systems der Registervernetzung (Abs. 6, 7) Nach Abs. 6 haben die Landesjustizverwaltungen sicher zu stellen, dass die Daten einer Kapi- 13 talgesellschaft mit Sitz im Ausland, die im Rahmen des Europäischen Systems der Registervernetzung (§ 9b) empfangen werden, an das Registergericht weitergeleitet werden, das für eine inländische Zweigniederlassung dieser Gesellschaft zuständig ist. Die Regelung ist die Parallelnorm zu § 13a Abs. 2 HGB, der die Datenweitergabe für europäische Zweigniederlassungen deutscher Kapitalgesellschaften regelt. Die Bestimmungen stellen wesentliche Komponenten dar, ein europäisches System zur Registervernetzung zu etablieren.25
20 Vgl. RegBegr. DiRUG BT-Drucks. 19/28177, 98. 21 Ausführlich Koch/Harnos in Staub, § 13e HGB Rz. 40; ferner J. Schmidt, ZIP 2021, 112, 122; Stelmaszczyk/Kienzle, ZIP 2021, 765, 776. 22 RegBegr. BT-Drucks. 12/3908, 16. 23 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 13e HGB Rz. 24. 24 Siehe auch Koch, AktG, § 13e HGB Rz. 10. 25 Ausführlich Koch/Harnos in Staub, § 9b HGB Rz. 1 ff. Grobe | 703
§ 13e HGB Rz. 14 | Handelsregister; Unternehmensregister 14 Nach Abs. 7 hat das zuständige Registergericht den Eingang der Daten über das Europäische
System der Registervernetzung zu bestätigen. Liegt zum Zeitpunkt des Dateneingangs bei dem Registergericht keine Anmeldung in Bezug auf die mitgeteilten Tatsachen vor, fordert es die Gesellschaft zur unverzüglichen Anmeldung der geänderten Tatsachen auf. Die Vorschrift ist durch das DiRuG mit Wirkung zum 1.8.2022 eingefügt worden26 und enthält in dem Erfordernis zur Anmeldung eine wesentliche Abweichung im Vergleich zu § 13a Abs. 3 HGB, die für europäische Zweigniederlassungen deutscher Kapitalgesellschaften gilt.27 Die Pflicht zur Anmeldung kann durch die Verhängung von Zwangsgeld nach § 14 HGB durchgesetzt werden.28
§ 13f HGB Zweigniederlassungen von Aktiengesellschaften mit Sitz im Ausland (1) Für Zweigniederlassungen von Aktiengesellschaften mit Sitz im Ausland gelten ergänzend die folgenden Vorschriften. (2) 1Der Anmeldung ist die Satzung in öffentlich beglaubigter Abschrift und, sofern die Satzung nicht in deutscher Sprache erstellt ist, eine beglaubigte Übersetzung in deutscher Sprache beizufügen. 2Die Vorschriften des § 37 Abs. 2 und 3 des Aktiengesetzes finden Anwendung. 3§ 37 Absatz 2 des Aktiengesetzes ist nicht anzuwenden auf Aktiengesellschaften, die dem Recht eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum unterliegen. 4Soweit nicht das ausländische Recht eine Abweichung nötig macht, sind in die Anmeldung die in § 23 Abs. 3 und 4 des Aktiengesetzes vorgesehenen Bestimmungen und Bestimmungen der Satzung über die Zusammensetzung des Vorstandes aufzunehmen; erfolgt die Anmeldung in den ersten zwei Jahren nach der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister ihres Sitzes, sind auch die Angaben über Festsetzungen nach den §§ 26 und 27 des Aktiengesetzes und der Ausgabebetrag der Aktien sowie Name und Wohnort der Gründer aufzunehmen. 5Der Anmeldung ist die für den Sitz der Gesellschaft ergangene gerichtliche Bekanntmachung beizufügen. (3) Die Eintragung der Errichtung der Zweigniederlassung hat auch die Angaben nach § 39 des Aktiengesetzes sowie die Angaben nach § 13e Abs. 2 Satz 3 bis 5 zu enthalten. (4) 1Änderungen der Satzung der ausländischen Gesellschaft sind durch den Vorstand zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. 2Für die Anmeldung gelten die Vorschriften des § 181 Abs. 1 und 2 des Aktiengesetzes sinngemäß, soweit nicht das ausländische Recht Abweichungen nötig macht. (5) 1Im übrigen gelten die Vorschriften der §§ 81, 263 Satz 1, § 266 Abs. 1 und 2, § 273 Abs. 1 Satz 1 des Aktiengesetzes sinngemäß, soweit nicht das ausländische Recht Abweichungen nötig macht. 2§ 81 Absatz 3 des Aktiengesetzes ist nicht anzuwenden auf Aktiengesellschaften, die dem Recht eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum unterliegen.
26 DiRUG v. 5.7.2021, BGBl. I 3338. 27 Kritisch Koch, AktG, § 13e HGB Rz. 12; Koch/Harnos in Staub, § 13e HGB Rz. 49. 28 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13e HGB Rz. 24.
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Zweigniederlassungen von AGs mit Sitz im Ausland | Rz. 2 § 13f HGB
(6) Für die Aufhebung einer Zweigniederlassung gelten die Vorschriften über ihre Errichtung sinngemäß. (7) Die Vorschriften über Zweigniederlassungen von Aktiengesellschaften mit Sitz im Ausland gelten sinngemäß für Zweigniederlassungen von Kommanditgesellschaften auf Aktien mit Sitz im Ausland, soweit sich aus den Vorschriften der §§ 278 bis 290 des Aktiengesetzes oder aus dem Fehlen eines Vorstands nichts anderes ergibt. I. Anwendungsbereich der Regelung . . . . .
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II. Anmeldung und Eintragung . . . . . . . . . .
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Schrifttum: Hoger, Offene Rechtsfragen zur Eintragung der inländischen Zweigniederlassung einer Kapitalgesellschaft mit Sitz im Ausland, NZG 2015, 1219.
I. Anwendungsbereich der Regelung Die Norm ergänzt die Vorschriften zur Anmeldung einer Zweigniederlassung nach §§ 13d, 1 13e HGB für die Aktiengesellschaft mit Sitz im Ausland. Erfasst sind die Aktiengesellschaften, die ihren Sitz tatsächlich im Ausland haben. Sofern die ausländische Rechtsordnung, nach der die Gesellschaft gegründet wurde, einen reinen Gründungssitz zulässt, sind von der Norm auch diejenigen Gesellschaften erfasst, die über einen faktischen Inlandssitz verfügen.1 Nach Abs. 7 gelten die Vorschriften auch für Zweigniederlassungen ausländischer Gesellschaften, die mit der deutschen Kommanditgesellschaften auf Aktien vergleichbar sind, mit der Folge, dass auch die §§ 13d, 13e HGB Anwendung finden.2 Ob im jeweiligen Einzelfall eine Aktiengesellschaft oder eine KGaA im Sinne der Norm vor- 2 liegt und somit der Anwendungsbereich des § 13f HGB eröffnet ist, muss anhand eines Vergleichs zwischen ausländischer Rechtsform und deutscher Aktiengesellschaft bzw. KGaA erfolgen.3 Maßgeblich ist dabei, ob die wesentlichen Merkmale beider Rechtsformen übereinstimmen. Dies wird bei Gesellschaften, die dem europäischen Gemeinschaftsrecht unterliegen, bereits dann zu bejahen sein, wenn sie anhand europarechtlicher Vorgaben als vergleichbar anzusehen sind.4 Bei nicht europäischen Gesellschaften wird allein auf die wesentlichen Merkmale der deutschen Aktiengesellschaft bzw. KGaA abgestellt. Für die Aktiengesellschaft sind das die körperliche Organisationsstruktur, die eigene Rechtspersönlichkeit und die Zerteilung des Grundkapitals in Aktien.5 Als nicht wesentliches Merkmal gelten hingegen die dualistische Organisationsstruktur mit Vorstand und Aufsichtsrat, die beschränkte Haftung, die Existenz eines festen Grundkapitals als auch das Vorhandensein von Aktienurkunden.6 Hinsichtlich der KGaA sind die ihr immanenten Besonderheiten zu berücksichtigen, wobei die Vertretung durch einen persönlich haftenden Gesellschafter statt eines Vorstands im Mittelpunkt steht.7 Mangels eines Vorstands findet § 13e Abs. 3 Satz 2 HGB auch keine Anwendung.
1 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 13f HGB Rz. 1. 2 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 13f HGB Rz. 32; Merkt in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 13f HGB Rz. 1. 3 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13f HGB Rz. 2. 4 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13f HGB Rz. 2. 5 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13e HGB Rz. 5. 6 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13e HGB Rz. 5. 7 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13f HGB Rz. 3. Grobe | 705
§ 13f HGB Rz. 3 | Handelsregister; Unternehmensregister
II. Anmeldung und Eintragung 3 § 13f Abs. 2 HGB erweitert die in § 13e Abs. 2 HGB niedergelegte Pflicht zum einen um die
weiteren Unterlagen, die mit der Anmeldung einzureichen und zum anderen um die Angaben, die in der Anmeldung aufzunehmen sind. Die Erstanmeldung erfordert die Abschrift der Satzung, § 13f Abs. 2 Satz 1 HGB, und darüber hinaus eine beglaubigte Übersetzung, wenn die Satzung nicht in deutscher Sprache abgefasst ist. Nach Abs. 2 Satz 2 ist die Versicherung der Vorstände nach § 37 Abs. 2 AktG ebenfalls in der Anmeldung anzuführen, es sei denn, es handelt sich um eine Zweigniederlassung einer Aktiengesellschaft, die dem Recht eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Mitgliedstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum unterliegt, § 13f Abs. 2 Satz 3 HGB. Die Versicherung ist durch die notwendigen Anmelder abzugeben.8 Ferner sind der Anmeldung die Angaben nach § 23 Abs. 3 und Abs. 4 AktG beizufügen. Die dadurch aufgeworfene Frage, ob der Umfang der Angaben mit dem Europarecht zu vereinbaren ist,9 hat sich infolge des Brexit und der Aufhebung des Vorlagebeschlusses durch den BGH erledigt.10 Nach Abs. 2 Satz 4 Halbs. 2 sind auch die Angaben über Festsetzungen nach den §§ 26, 27 AktG und der Ausgabebetrag der Aktien sowie Name und Wohnort der Gründer aufzunehmen, wenn die Anmeldung in den ersten zwei Jahren nach der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister ihres Sitzes erfolgt. Nach Abs. 2 Satz 5 ist die für den Sitz der Gesellschaft ergangene gerichtliche Bekanntmachung beizugeben. 4 Gemäß Abs. 3 hat die Eintragung der Errichtung der Zweigniederlassung die Angaben nach
§ 39 AktG und die Angaben nach § 13e Abs. 2 Satz 3–5 HGB zu enthalten. 5 Nach Abs. 4 Satz 1 sind auch Änderungen der Satzung der ausländischen Gesellschaft durch
den Vorstand zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. Nach der Rechtsprechung fällt darunter auch der Formwechsel von einer AG in eine GmbH.11 Nach Satz 2 gelten für die Anmeldung die Vorschriften des § 181 Abs. 1 und 2 AktG sinngemäß, soweit nicht das ausländische Recht Abweichungen nötig macht. 6 Abs. 5 Satz 1 bestimmt, dass Änderungen bei den Vorstandsmitgliedern – auch im Hinblick
auf ihre Vertretungsbefugnis – anzumelden sind, § 81 AktG. Ferner verweist Satz 1 auf die Pflicht zur Anmeldung der Auflösung der Gesellschaft (§ 263 AktG), die Pflicht zur Anmeldung der Abwickler und ihrer Vertretungsbefugnis (§ 266 AktG) sowie auf die Pflicht zur Anmeldung der Vollbeendigung (§ 273 Abs. 1 Satz 1 AktG). Dies gilt nur, sofern nicht das ausländische Recht Abweichungen nötig macht. Nach Abs. 5 Satz 2 müssen neue Vorstandsmitglieder die Versicherung nach § 81 Abs. 3 AktG nicht abgeben, wenn es sich um die Zweigniederlassung einer Aktiengesellschaft handelt, die dem Recht eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum unterliegen.
7 Nach Abs. 6 sind die Vorschriften über die Errichtung einer Zweigniederlassung sinngemäß
auf die Aufhebung der Zweigniederlassung als actus contrarius anzuwenden.
8 So die Rechtsprechung, s. KG v. 18.11.2003 – 1 W 444/02, NZG 2004, 49, 50 = GmbHR 2004, 116 m. Anm. Mildner/Kleinert = ZIP 2003, 2297; ebenfalls befürwortend Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13f HGB Rz. 7; a.A. Hoger, NZG 2015, 1219. 9 Siehe BGH v. 14.5.2019 – II ZB 25/17, NZG 2019, 775 = GmbHR 2019, 821 m. Anm. Meilicke = ZIP 2019, 1277 zu § 13g HGB und den Angaben zum Stammkapital. 10 BGH v. 16.2.2021 – II ZB 25/17, NZG 2021, 702; Knaier, GmbHR 2021, 486. 11 Vgl. KG v. 19.1.2012 – 25 W 66/11, Rpfleger 2012, 447.
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Zweigniederlassungen von GmbHs mit Sitz im Ausland | Rz. 1 § 13g HGB
§ 13g HGB Zweigniederlassungen von Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit Sitz im Ausland (1) Für Zweigniederlassungen von Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit Sitz im Ausland gelten ergänzend die folgenden Vorschriften. (2) 1Der Anmeldung ist der Gesellschaftsvertrag in öffentlich beglaubigter Abschrift und, sofern der Gesellschaftsvertrag nicht in deutscher Sprache erstellt ist, eine beglaubigte Übersetzung in deutscher Sprache beizufügen. 2Die Vorschriften des § 8 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 und 4 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung sind anzuwenden. 3§ 8 Absatz 3 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung ist nicht anzuwenden auf Gesellschaften, die dem Recht eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum unterliegen. 4Wird die Errichtung der Zweigniederlassung in den ersten zwei Jahren nach der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister ihres Sitzes angemeldet, so sind in die Anmeldung auch die nach § 5 Abs. 4 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung getroffenen Festsetzungen aufzunehmen, soweit nicht das ausländische Recht Abweichungen nötig macht. (3) Die Eintragung der Errichtung der Zweigniederlassung hat auch die Angaben nach § 10 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung sowie die Angaben nach § 13e Abs. 2 Satz 3 bis 5 zu enthalten. (4) 1Änderungen des Gesellschaftsvertrages der ausländischen Gesellschaft sind durch die Geschäftsführer zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. 2Für die Anmeldung gelten die Vorschriften des § 54 Abs. 1 und 2 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung sinngemäß, soweit nicht das ausländische Recht Abweichungen nötig macht. (5) 1Im übrigen gelten die Vorschriften der §§ 39, 65 Abs. 1 Satz 1, § 67 Abs. 1 und 2, § 74 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung sinngemäß, soweit nicht das ausländische Recht Abweichungen nötig macht. 2§ 39 Absatz 3 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung ist nicht anzuwenden auf Gesellschaften, die dem Recht eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum unterliegen. (6) Für die Aufhebung einer Zweigniederlassung gelten die Vorschriften über ihre Errichtung sinngemäß. I. Anwendungsbereich der Regelung . . . . .
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II. Anmeldung und Eintragung . . . . . . . . . .
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Schrifttum: Hoger, Offene Rechtsfragen zur Eintragung der inländischen Zweigniederlassung einer Kapitalgesellschaft mit Sitz im Ausland, NZG 2015, 1219.
I. Anwendungsbereich der Regelung Die Norm ergänzt die Vorschriften zur Anmeldung einer Zweigniederlassung nach §§ 13d, 1 13e HGB für die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) mit Sitz im Ausland. Sie entspricht im Wesentlichen dem § 13f HGB, der die Bestimmungen zur Aktiengesellschaft enthält. Erfasst sind die GmbH, die ihren Sitz tatsächlich im Ausland haben. Sofern die ausländische Rechtsordnung, nach der die Gesellschaft gegründet wurde, einen reinen GrünGrobe | 707
§ 13g HGB Rz. 1 | Handelsregister; Unternehmensregister dungssitz zulässt, sind von der Norm auch diejenigen Gesellschaften erfasst, die über einen faktischen Inlandssitz verfügen.1 2 Ob im jeweiligen Einzelfall eine GmbH im Sinne der Norm vorliegt und somit der Anwen-
dungsbereich des § 13g HGB eröffnet ist, muss anhand eines Vergleichs zwischen ausländischer Rechtsform und deutscher GmbH erfolgen.2 Maßgeblich ist dabei, ob die wesentlichen Merkmale der Rechtsformen übereinstimmen. Dies wird bei Gesellschaften, die dem europäischen Gemeinschaftsrecht unterliegen, bereits dann zu bejahen sein, wenn sie anhand europarechtlicher Vorgaben als vergleichbar anzusehen sind.3 Bei nicht europäischen Gesellschaften wird allein auf die wesentlichen Merkmale der deutschen GmbH abgestellt. Hierbei genügt es, dass die Rechtsform der UG (haftungsbeschränkt) entspricht, da es sich bei dieser ebenfalls um eine GmbH handelt.4 Wesentlich sind die körperliche Organisationsstruktur und die eigene Rechtspersönlichkeit. In Abgrenzung der Aktiengesellschaft (vgl. § 13f HGB Rz. 2) ist die Größe des Gesellschafterkreises und die Einschränkung der Fungibilität der Gesellschaftsanteile im Vergleich zu Aktien von Relevanz.5
II. Anmeldung und Eintragung 3 § 13g Abs. 2 HGB erweitert die in § 13e Abs. 2 HGB niedergelegte Pflicht zum einen um
die weiteren Unterlagen, die mit der Anmeldung einzureichen und zum anderen um die Angaben, die in der Anmeldung aufzunehmen sind. Die Erstanmeldung erfordert die Abschrift des Gesellschaftsvertrags, § 13g Abs. 2 Satz 1 HGB, und darüber hinaus eine beglaubigte Übersetzung, wenn dieser nicht in deutscher Sprache abgefasst ist. Ist die Übersetzung fehlerhaft oder ungenau, ist eine Zurückweisung der Anmeldung nicht ohne weiteres gerechtfertigt.6 Sieht das ausländische Recht die Gründung einer Gesellschaft durch Einreichung eines Gesellschaftsvertrags in einfacher elektronischer Form vor, so genügt hier eine beglaubigte Abschrift. Nicht erforderlich ist die Vorlage des in dem Gesellschaftsvertrag oder in der Gründungsurkunde in Bezug genommenen Mustergesellschaftsvertrags.7 Sofern es sich nicht aus anderen Unterlagen ergibt, § 8 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG, sind der Anmeldung diejenigen Unterlagen vorzulegen, aus denen die Bestellung der Geschäftsführer ersichtlich ist. Einer Vorlage der Bekanntmachung wie dies § 13f Abs. 2 Satz 5 HGB fordert, bedarf es nicht. 4 Nach Abs. 2 Satz 2 ist die Versicherung der Geschäftsführer nach § 8 Abs. 3 GmbHG eben-
falls in der Anmeldung anzuführen, es sei denn, es handelt sich um eine Zweigniederlassung einer GmbH, die dem Recht eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Mitgliedstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum unterliegt, § 13g Abs. 2 Satz 3 HGB. Die Versicherung ist durch die notwendigen Anmelder abzugeben.8
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Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13g HGB Rz. 1. Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13g HGB Rz. 2. Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13g HGB Rz. 2. Siehe BT-Drucks. 16/6140, 76. Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13e HGB Rz. 6. Vgl. OLG Hamm v. 12.2.2008 – 15 W 359/07, NZG 2008, 949 = GmbHR 2008, 545 = ZIP 2008, 1120. 7 OLG Frankfurt v. 8.8.2017 – 20 W 229/14, NZG 2017, 1431 = ZIP 2018, 686; BGH v. 15.6.2021 – II ZB 25/17, FGPrax 2021, 156 = GmbHR 2021, 1087 m. Anm. Knaier = ZIP 2021, 1488; OLG Hamm v. 4.1.2011 – 15 W 270/10, NJW-RR 2011, 396 = GmbHR 2011, 310 = ZIP 2011, 867; OLG Zweibrücken v. 28.2.2008 – 3 W 36/08, DNotZ 2008, 795 = GmbHR 2009, 147. 8 So die Rechtsprechung, s. KG v. 18.11.2003 – 1 W 444/02, NZG 2004, 49, 50 = GmbHR 2004, 116 m. Anm. Mildner/Kleinert = ZIP 2003, 2297 = NJW-RR 2004, 331; ebenfalls befürwortend Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13f HGB Rz. 7; a.A. Hoger, NZG 2015, 1219.
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Zweigniederlassungen von GmbHs mit Sitz im Ausland | Rz. 9 § 13g HGB
Eine Eigenbelehrung genügt nicht.9 Die Anmeldung hat die inländische Geschäftsanschrift und die (abstrakte und konkrete)10 Vertretungsbefugnis der Geschäftsführer zu enthalten, § 8 Abs. 4 GmbHG. Die Möglichkeit der Eintragung der Befreiung des Verbots des Selbstkontrahierens nach § 181 BGB ist nur dann gegeben, wenn das ausländische Recht eine entsprechende Bestimmung vorsieht.11 Eine Eintragung wird man jedoch als möglich anerkennen müssen, wenn der organschaftliche Vertreter zugleich ständiger Vertreter ist, da dann die Bevollmächtigung auf deutschem Recht beruht.12 Die Anmeldung hat ferner die Angaben nach § 10 GmbHG zu enthalten. Darunter fallen 5 Firma, Sitz, Gegenstand, Höhe des Stammkapitals, Datum des Abschlusses des Gesellschaftsvertrages, Angaben zu den Geschäftsführern einschließlich der Vertretungsbefugnis, Bestimmungen über die Zeitdauer der Gesellschaft oder zu genehmigtem Kapital. Die aufgrund der Pflicht zur Angabe des Stammkapitals aufgeworfene Frage, ob der damit erzeugte Umfang mit dem Europarecht vereinbar ist13, hat sich infolge des Brexit und durch Aufhebung des Vorlagebeschlusses durch den BGH in Luft aufgelöst.14 Wird die Errichtung der Zweigniederlassung in den ersten zwei Jahren nach der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister ihres Sitzes angemeldet, so sind in die Anmeldung auch Angaben zu etwaigen Sacheinlagen oder Sachübernahmen (§ 5 Abs. 4 GmbHG) zu machen, soweit nicht das ausländischen Recht Abweichungen nötig macht, Abs. 2 Satz 5. Gemäß Abs. 3 hat die Eintragung der Errichtung der Zweigniederlassung die Angaben 6 nach § 10 GmbHG und die Angaben nach § 13e Abs. 2 Satz 3–5 HGB zu enthalten. Nach Abs. 4 Satz 1 sind auch Änderungen des Gesellschaftsvertrags der ausländischen Ge- 7 sellschaft durch den Geschäftsführer zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. Nach Satz 2 gelten für die Anmeldung die Vorschriften des § 54 Abs. 1 und 2 GmbHG sinngemäß, soweit nicht das ausländische Recht Abweichungen nötig macht. Abs. 5 Satz 1 bestimmt, dass Änderungen bei den Geschäftsführern – auch im Hinblick auf 8 ihre Vertretungsbefugnis – anzumelden sind, § 39 GmbHG. Ferner verweist Satz 1 auf die Pflicht zur Anmeldung der Auflösung der Gesellschaft (§ 65 GmbHG), die Pflicht zur Anmeldung der Liquidatoren und ihrer Vertretungsbefugnis (§ 67 GmbHG) sowie auf die Pflicht zur Anmeldung der Vollbeendigung (§ 74 GmbHG). Dies gilt nur, sofern nicht das ausländische Recht Abweichungen nötig macht. Nach Abs. 5 Satz 2 müssen neue Geschäftsführer die Versicherung nach § 39 Abs. 3 GmbHG nicht abgeben, wenn es sich um die Zweigniederlassung einer GmbH handelt, die dem Recht eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum unterliegen. Nach Abs. 6 sind die Vorschriften über die Errichtung einer Zweigniederlassung sinngemäß auf 9 die Aufhebung der Zweigniederlassung als actus contrarius anzuwenden. Die Liquidation der Zweigniederlassung ist nicht erforderlich. Es kommt auf die tatsächliche Aufgabe der Zweigniederlassung an.15 Vermögenslosigkeit der Zweigniederlassung führt nicht zu ihrer Löschung.16
9 OLG Frankfurt v. 8.8.2017 – 20 W 229/14, ZIP 2018, 686. 10 OLG Karlsruhe v. 29.6.2010 – 11 Wx 35/10, GmbHR 2011, 1324; OLG Celle v. 1.12.2006 – 9 W 91/ 06, ZIP 2007, 71 = GmbHR 2007, 203 m. Anm. Wachter. 11 OLG Frankfurt v. 19.2.2008 – 20 W 263/07, FGPrax 2008, 165 = GmbHR 2009, 214 zur Ltd. 12 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13e HGB Rz. 14. 13 Siehe BGH v. 14.5.2019 – II ZB 25/17, NZG 2019, 775 = GmbHR 2019, 821 m. Anm. Meilicke = ZIP 2019, 1277. 14 Vgl. BGH v. 16.2.2021 – II ZB 25/17, NZG 2021, 702 = GmbHR 2021, 486 m. Anm. Knaier = ZIP 2021, 566. 15 LG Krefeld v. 26.4.2006 – 11 T 4/06, NZG 2006, 676 = GmbHR 2006, 884. 16 OLG Frankfurt v. 17.5.2010 – 20 W 163/10, GmbHR 2011, 433. Grobe | 709
§ 13h HGB Rz. 1 | Handelsregister; Unternehmensregister
§ 13h HGB Verlegung des Sitzes einer Hauptniederlassung im Inland (1) Wird die Hauptniederlassung eines Einzelkaufmanns oder einer juristischen Person oder der Sitz einer Handelsgesellschaft im Inland verlegt, so ist die Verlegung beim Gericht der bisherigen Hauptniederlassung oder des bisherigen Sitzes anzumelden. (2) 1Wird die Hauptniederlassung oder der Sitz aus dem Bezirk des Gerichts der bisherigen Hauptniederlassung oder des bisherigen Sitzes verlegt, so hat dieses unverzüglich von Amts wegen die Verlegung dem Gericht der neuen Hauptniederlassung oder des neuen Sitzes mitzuteilen. 2Der Mitteilung sind die Eintragungen für die bisherige Hauptniederlassung oder den bisherigen Sitz sowie die bei dem bisher zuständigen Gericht aufbewahrten Urkunden beizufügen. 3Das Gericht der neuen Hauptniederlassung oder des neuen Sitzes hat zu prüfen, ob die Hauptniederlassung oder der Sitz ordnungsgemäß verlegt und § 30 beachtet ist. 4Ist dies der Fall, so hat es die Verlegung einzutragen und dabei die ihm mitgeteilten Eintragungen ohne weitere Nachprüfung in sein Handelsregister zu übernehmen. 5Die Eintragung ist dem Gericht der bisherigen Hauptniederlassung oder des bisherigen Sitzes mitzuteilen. 6Dieses hat die erforderlichen Eintragungen von Amts wegen vorzunehmen. (3) 1Wird die Hauptniederlassung oder der Sitz an einen anderen Ort innerhalb des Bezirks des Gerichts der bisherigen Hauptniederlassung oder des bisherigen Sitzes verlegt, so hat das Gericht zu prüfen, ob die Hauptniederlassung oder der Sitz ordnungsgemäß verlegt und § 30 beachtet ist. 2Ist dies der Fall, so hat es die Verlegung einzutragen. I. Hintergrund und Überblick . . . . . . . . . . . II. Verlegung von Hauptniederlassung oder Sitz (Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verlegung der Hauptniederlassung nach Abs. 2 in einen anderen Gerichtsbezirk .
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IV. Verlegung der Hauptniederlassung nach Abs. 3 innerhalb des Gerichtsbezirks . . . 11 V. Grenzüberschreitende Verlegung der Hauptniederlassung oder des Sitzes . . . . 12
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Schrifttum: Heckschen/Knaier, Größte Reform des Umwandlungsrechts – nicht nur Richtlinienumsetzung! (Teil I), GmbHR 2022, 501; Heckschen/Knaier, Größte Reform des Umwandlungsrechts – nicht nur Richtlinienumsetzung! (Teil II), GmbHR 2022, 613; J. Schmidt, Der UmRUG-Referentenentwurf: grenzüberschreitende Umwandlungen 2.0 – und vieles mehr, Teil 1, NZG 2022, 579; J. Schmidt, Der UmRUG-Referentenentwurf: grenzüberschreitende Umwandlungen 2.0 – und vieles mehr, Teil 2, NZG 2022, 635; Wollin, Der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie (UmRUG-E), ZIP 2022, 989.
I. Hintergrund und Überblick 1 § 13h HGB stellt eine Norm des Registerverfahrens dar und regelt diesbezüglich die Ver-
legung der Hauptniederlassung eines Kaufmanns oder einer juristischen Person (§ 33 HGB) und die Verlegung des Sitzes einer Handelsgesellschaft im Inland1. Der Ort der Niederlassung bzw. des Sitzes sind eintragungspflichtige Tatsachen, die inhaltlich korrekt sein müssen und deshalb bei einer Verlegung zu aktualisieren sind.2 So knüpft insbesondere die Pflicht zur Prüfung der Unterscheidbarkeit der Firma nach § 30 HGB an den Ort der Haupt-
1 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13h HGB Rz. 5. 2 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13h HGB Rz. 2.
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Verlegung des Sitzes einer Hauptniederlassung im Inland | Rz. 5 § 13h HGB
niederlassung bzw. den Sitz an.3 Wie eine Sitzverlegung zu erfolgen hat, wird nicht von § 13h HGB geregelt; dies richtet sich nach dem jeweiligen Recht des Rechtsträgers.4 Aus § 13h HGB folgt allerdings, dass eine fehlerhafte Sitzverlegung nicht einzutragen ist.5 Die Norm unterscheidet zwischen der Verlegung der Hauptniederlassung und der Verlegung des Sitzes, da die Regelung an den registergerichtlichen Gerichtsstand anknüpft und dieser bei Einzelkaufleuten, Handelsgesellschaften und Kapitalgesellschaften unterschiedlich sein kann.6 Während Abs. 2 den Fall erfasst, dass aufgrund der Verlegung ein Wechsel der Registerzuständigkeit erfolgt, enthält Abs. 3 Bestimmungen bei Verlegungen innerhalb des Gerichtsbezirks. § 45 AktG enthält eine Spezialregelung für die Verlegung des Sitzes der AG und KGaA. Der 2 § 13h HGB findet auf die Verlegung der inländischen Zweigniederlassung eines ausländischen Rechtsträgers entsprechende Anwendung.7
II. Verlegung von Hauptniederlassung oder Sitz (Abs. 1) Nach Abs. 1 ist die Verlegung der Hauptniederlassung eines Einzelkaufmanns oder einer ju- 3 ristischen Person nach § 33 HGB oder der Sitz einer Handelsgesellschaft im Inland beim Gericht der bisherigen Hauptniederlassung oder des bisherigen Sitzes anzumelden. Maßgeblich ist allein die auf den tatsächlichen Verhältnissen beruhende tatsächliche Verlegung8; vertragliche Bestimmungen zur Verlegung spielen keine Rolle und betreffen nur das Innenverhältnis der Gesellschaft.9 Die Pflicht zur Anmeldung der Verlegung der Hauptniederlassung bzw. des Sitzes kann nach § 14 HGB zwangsweise herbeigeführt werden.10 Die Eintragung wirkt deklaratorisch. Auf die Kapitalgesellschaften kann dies nicht übertragen werden. Für AG, GmbH und 4 KGaA erfordert die Sitzverlegung gem. § 23 Abs. 3 Nr. AktG bzw. § 3 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG eine Änderung der Satzung bzw. des Gesellschaftsvertrages dar. Zur Wirksamkeit bedarf sie der Eintragung ins Handelsregister, § 45 Abs. 2 Satz 5, § 181 Abs. 3 AktG, § 54 Abs. 3 GmbHG. Die Anmeldung der Verlegung der Hauptniederlassung erfolgt durch den Einzelkaufmann 5 als Unternehmensträger; ein Prokurist ist zur Anmeldung nicht berechtigt.11 Die Sitzverlegung von Personenhandelsgesellschaften ist durch alle Gesellschafter gemeinsam vorzunehmen, § 108 HGB. Für juristische Personen nach § 33 HGB ist der Vorstand in vertretungsberechtigter Zahl zur Anmeldung berechtigt.12 Für GmbH und AG sind der Geschäftsführer (§ 78 GmbHG) bzw. der Vorstand in vertretungsberechtigter Zahl (§ 181 Abs. 1 Satz 1 AktG) zur Anmeldung verpflichtet.
3 Vgl. Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 13h HGB Rz. 6. 4 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13h HGB Rz. 4; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 13h HGB Rz. 1. 5 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13h HGB Rz. 4. 6 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13h HGB Rz. 6. 7 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13h HGB Rz. 1. 8 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13h HGB Rz. 1. 9 Vgl. BGH v. 27.5.1957 – II ZR 317/55, WM 1957, 999; BGH v. 18.12.1968 – I ZR 130/66, BB 1969, 329. 10 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 13h HGB Rz. 4. 11 So auch Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13h HGB Rz. 6; Merkt in Hopt, § 13h HGB Rz. 2. 12 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 13h HGB Rz. 4. Grobe | 711
§ 13h HGB Rz. 6 | Handelsregister; Unternehmensregister
III. Verlegung der Hauptniederlassung nach Abs. 2 in einen anderen Gerichtsbezirk 6 Abs. 2 regelt das Verfahren über die Verlegung der Hauptniederlassung bzw. des Sitzes,
wenn durch die Verlegung ein Wechsel der Zuständigkeit des Registergerichts erfolgt. Das bisher zuständige Gericht ist verpflichtet, die nach Abs. 1 erfolgte Anmeldung zur Verlegung auf ihre formelle Ordnungsmäßigkeit zu prüfen.13 Während dabei die Berechtigung zur Vertretung des Rechtsträgers vom Prüfprogramm des Ausgangsgerichts umfasst ist, gehört die Prüfung der sachlichen Richtigkeit der Verlegung in den Zuständigkeitsbereich des neuen Registergerichts.14 Das bisherig zuständige Registergericht hat nach positiver Prüfung die Verlegung unverzüglich von Amts wegen dem Gericht der neuen Hauptniederlassung oder des neuen Sitzes mitzuteilen, Abs. 2 Satz 1. Da die GmbH für die Verlegung des statutarischen Sitzes eine Änderung des Gesellschaftsvertrags bedarf, beinhaltet die Anmeldung zum Handelsregister den Beschluss der Gesellschafterversammlung über die Sitzverlegung.15 Nach Satz 2 sind der Mitteilung die Eintragungen für die bisherige Hauptniederlassung oder den bisherigen Sitz sowie die bei dem bisher zuständigen Gericht aufbewahrten Urkunden beizufügen. Stellt das Ausgangsgericht im Rahmen der formellen Prüfung Mängel fest, so hat es eine Zwischenverfügung nach § 382 Abs. 4 FamFG zu erlassen und dem Anmeldenden aufzugeben, den Mangel innerhalb einer gesetzten Frist zu beseitigen.16 Wird der Mangel nicht innerhalb der Frist behoben, ist die Anmeldung zurückzuweisen.17 7 Das Registergericht der neuen Hauptniederlassung bzw. des neuen Sitzes hat nach Abs. 2
Satz 3 die Verlegung auf ihre Ordnungsmäßigkeit zu prüfen und muss dabei insbesondere auf die Unterscheidbarkeit der Firma nach § 30 HGB eingehen. Während es an die bereits erfolgte Prüfung des Ausgangsgerichts gebunden und damit zur Ablehnung der Übernahme des Verfahrens nicht berechtigt ist, ist es hinsichtlich der Frage, ob die Eintragung der Sitzverlegung erfolgt von der Auffassung des Ausgangsgerichts unabhängig.18 Bei Einzelkaufleuten und Personenhandelsgesellschaften zählt die tatsächliche Verlegung zum Prüfungsumfang.19 Hingegen ist bei der GmbH die formelle und sachliche Ordnungsmäßigkeit der Änderung des Gesellschaftsvertrags maßgeblich (dazu bereits Rz. 3 und Rz. 4). 8 Das neue Gericht kann eine Zwischenverfügung erlassen und den Eintragungsantrag zurück-
weisen, wenn es im Rahmen der Prüfung feststellt, dass die Verlegung nicht ordnungsgemäß erfolgt ist oder die Unterscheidbarkeit der Firma nach § 30 HGB nicht gegeben ist.20 Die Zuständigkeit des Ausgangsgerichts erwächst erst dann, wenn eine rechtskräftige Abweisung der Verlegung durch das neue Gericht erfolgt ist.21 In diesem Fall sind die Akten an das Ausgangsgericht zu übersenden. 9 Sind keine Beanstandungen gegeben, hat das neue Registergericht die Verlegung einzutragen
und dabei die ihm mitgeteilten Eintragungen ohne weitere Nachprüfung in sein Handelsregister zu übernehmen, Abs. 2 Satz 4. Daraus folgt, dass die Prüfungskompetenz des neuen Registergerichts beschränkt ist und keine Möglichkeit gegeben ist, die Eintragung der Verlegung aus sonstigen – außerhalb von § 13h Abs. 2 HGB liegenden – Gründen zu versagen.
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Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 13h HGB Rz. 5. OLG Köln v. 3.10.1983 – 2 Wx 26/83, BB 1984, 1065 f. Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13h HGB Rz. 18. Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13h HGB Rz. 25. Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13h HGB Rz. 25. Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 13h HGB Rz. 6. Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 13h HGB Rz. 1. OLG Köln v. 22.7.2004 – 2 Wx 23/04, NZG 2005, 87, 88 = GmbHR 2005, 236; Müther in BeckOK/ HGB, Stand: 15.1.2023, § 13h HGB Rz. 13; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13h HGB Rz. 30. 21 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13h HGB Rz. 30.
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Verlegung des Sitzes einer Hauptniederlassung im Inland | Rz. 14 § 13h HGB
Bestehen Bedenken hinsichtlich der Eintragung, ist ein Amtslöschungsverfahren nach §§ 392, 395 FamFG zu betreiben.22 Nach Abs. 2 Satz 5 hat das neue Registergericht dem Ausgangsgericht die Eintragung der 10 Verlegung der Hauptniederlassung bzw. des Sitzes mitzuteilen. Das Ausgangsgericht hat gem. Abs. 2 Satz 6 von Amts wegen der erforderlichen Eintragungen (Löschung) vorzunehmen.
IV. Verlegung der Hauptniederlassung nach Abs. 3 innerhalb des Gerichtsbezirks Nach Abs. 3 hat das Gericht zu prüfen, ob die Hauptniederlassung oder der Sitz ordnungs- 11 gemäß verlegt und § 30 HGB (Unterscheidbarkeit der Firma) beachtet ist, wenn die Hauptniederlassung oder der Sitz an einen anderen Ort innerhalb des Gerichtsbezirks der bisherigen Hauptniederlassung oder des bisherigen Sitzes verlegt wird. Die Norm gleicht den Anforderungen von § 13h Abs. 2 Satz 3 HGB. Ein Wechsel der Zuständigkeit des Registergerichts erfolgt nach Abs. 3 nicht.
V. Grenzüberschreitende Verlegung der Hauptniederlassung oder des Sitzes Am 1.3.2023 ist das UmRUG23 in Kraft getreten und hat tiefgreifende Veränderungen her- 12 vorgebracht, die auch im Rahmen Verlegung der Hauptniederlassung bzw. des Sitzes von erheblicher Bedeutung sind. Betroffen sind diesbezüglich allerdings vor allem Kapitalgesellschaften. Möchte ein Einzelkaufmann seine Hauptniederlassung in das Ausland verlegen, ist allein 13 der tatsächliche Akt maßgeblich. Wird das inländische Geschäft aufgegeben, so ist das Erlöschen der Firma als eintragungspflichtige und nach § 14 HGB durch Zwangsgeld durchsetzbare Tatsache nach § 31 Abs. 2 HGB anzumelden.24 Als ultima ratio kann das Löschen von Amts wegen nach § 31 Abs. 2 Satz 2 HGB, § 393 FamFG erfolgen.25 Für die Verlegung der Hauptniederlassung eines Einzelkaufmanns aus dem Ausland gilt das vorher Gesagte entsprechend. Die Inlandsfirma ist nach § 29 HGB anzumelden. Hinsichtlich der Verlegung des Sitzes von Personenhandelsgesellschaften ist aufgrund des 14 MoPeG und der Neuregelung des Sitzes der Gesellschaft nach § 706 BGB i.V.m. § 105 Abs. 3 HGB bzw. § 161 Abs. 2 HGB eine Annäherung an die Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften erfolgt, vgl. § 706 BGB Rz. 2. So regelt § 706 BGB nicht nur den Verwaltungssitz, sondern ermöglicht es der Gesellschaft, einen Vertragssitz nach Satz 2 festzulegen. Die früher vorherrschende Auffassung, nach der die Sitzverlegung zur Auflösung der Gesellschaft führt, ist in Anbetracht von Art. 54 AEUV nicht mit der Niederlassungsfreiheit zu vereinbaren. Insbesondere die Möglichkeit zur Wahl eines Vertragssitzes macht eine Sonderbehandlung von Personengesellschaften obsolet (ausführlich dazu § 706 BGB Rz. 6 ff., 19 ff.). 22 OLG München v. 15.12.2010 – 31 Wx 199/10, FGPrax 2011, 92; Koch/Harnos in Staub, § 13h HGB Rz. 18. 23 Gesetz zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie und zur Änderung weiterer Gesetze vom 22.2.2023, BGBl. I 2023, Nr. 51; vgl. die Stellungnahmen zum Entwurf bei Heckschen/Knaier, GmbHR 2022, 501 ff.; Heckschen/Knaier, GmbHR 2022, 613 ff.; J. Schmidt, NZG 2022, 579 ff.; J. Schmidt, NZG 2022, 635 ff.; Wollin, ZIP 2022, 989 ff. 24 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13h HGB Rz. 36. 25 Koch/Harnos in Staub, § 13h HGB Rz. 26. Grobe | 713
§ 13h HGB Rz. 15 | Handelsregister; Unternehmensregister 15 Bei der Verlegung des Sitzes von Kapitalgesellschaften ist zu differenzieren: Erfolgt die Ver-
legung in einen Drittstaat, so kann die Sitzverlegung nicht im Handelsregister eingetragen werden, da das bisherige Personalstatut endet.26 Der Verlegungsbeschluss führt, entgegen der Auffassung der Rechtsprechung27, nicht zur Auflösung der Gesellschaft, sondern ist als nichtig gem. § 241 Nr. 3 AktG analog28 anzusehen. Dies entspricht am ehesten dem Anliegen der Gesellschafter und ist auch mangels entgegenstehender öffentlicher Interessen allein maßgeblich. 16 Hinsichtlich der Verlegung in einen EU-Mitgliedstaat bzw. EWR-Vertragsstaat sind die Be-
sonderheiten der Niederlassungsfreiheit und die Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie durch das UmRUG zu berücksichtigen. Maßgeblich ist die Art der Sitzverlegung: Bei einer „echten“ Sitzverlegung29 (d.h. bei Wahrung von Identität und Rechtsform der Gesellschaft) folgt aus Art. 49, 54 AEUV nicht ohne weiteres, dass der Fortbestand der Gesellschaft in ihrer bisherigen Form aufgrund der Niederlassungsfreiheit zu gewährleisten ist. Infolge der Cartesio-Entscheidung30 des EuGH ist es Sache der Mitgliedstaaten, welche Voraussetzungen an die Rechtsfähigkeit durch die Rechtsordnung festgesetzt werden.31 Für die „unechte“, d.h. formwechselnde Sitzverlegung sind seit 1.3.2023 die §§ 333 ff. UmwG, die den grenzüberschreitenden Formwechsel regeln, zu berücksichtigen. Bereits zuvor waren nach der Vale-Entscheidung32 des EuGH die Verlegung des Satzungssitzes unter Übergang in eine Rechtsform des Zuzugsstaates durch die Niederlassungsfreiheit gedeckt.33 Der grenzüberschreitende Formwechsel ist nun umfassend gesetzlich geregelt. Nach § 342 Abs. 1 UmwG hat das Vertretungsorgan der Gesellschaft das Vorliegen der Voraussetzungen für den grenzüberschreitenden Formwechsel zur Eintragung in das Register, in dem der formwechselnde Rechtsträger eingetragen ist, anzumelden. Nach § 343 Abs. 1 UmwG hat das Ausgangsgericht innerhalb von drei Monaten nach der Anmeldung zu prüfen, ob die Voraussetzungen vorliegen und gem. Abs. 1 Satz 2 eine entsprechende Eintragung im Handelsregister vorzunehmen, wobei nach § 343 Abs. 1 Satz 3 UmwG der Vermerk erfolgen muss, dass der grenzüberschreitende Formwechsel unter den Voraussetzungen des Rechts desjenigen Staates wirksam wird, in den die Gesellschaft ihren Sitz verlegt. Nach § 343 Abs. 1 Satz 4 UmwG stellt das Gericht von Amts wegen eine Formwechselbescheinigung aus. Im Anschluss hat das Vertretungsorgan der formwechselnden Gesellschaft gem. § 345 Abs. 1 UmwG die Gesellschaft neuer Rechtsform bei dem zuständigen Gericht zur Eintragung in das für die Rechtsform maßgebende Register anzumelden. Die vom Ausgangsgericht ausgestellte Formwechselbescheinigung wird über das Europäische System der Registervernetzung an das neue Registergericht übermittelt, § 345 Abs. 1 Satz 3 UmwG. Sie wird als Nachweis der ordnungsgemäßen Erledigung der vorangehenden Verfahren und Formalitäten nach dem Recht desjenigen Staates, dem die formwechselnde Gesellschaft unterliegt, anerkannt. Ohne die Formwechselbescheinigung kann der grenzüberschreitende Formwechsel nicht in das Register eingetragen werden.
26 Koch/Harnos in Staub, § 13h HGB Rz. 30. 27 BGH v. 11.7.1957 – II ZR 318/55, BGHZ 25, 134 144 = NJW 1957, 1433; BayObLG v. 7.5.1992 – 3Z BR 14/92, BayObLGZ 1992, 113, 116 = GmbHR 1992, 529; OLG Hamm v. 30.4.1997 – 15 W 91/97, GmbHR 1997, 848 = ZIP 1997, 1696 f.; OLG Hamm v. 1.2.2001 – 15 W 390/00, FGPrax 2001, 123. 28 Überzeugend Koch/Harnos in Staub, § 13h HGB Rz. 31. 29 Dazu Koch/Harnos in Staub, § 13h HGB Rz. 32. 30 EuGH v. 16.12.2008 – C-210/06, Slg. 2008, I-9641, 9664 = NJW 2009, 569 = ZIP 2009, 24 (Cartesio). 31 Vgl. Koch/Harnos in Staub, § 13h HGB Rz. 32. 32 EuGH v. 12.7.2012 – C-378/10, NJW 2012, 2715 Rz. 30 ff., 39 = GmbHR 2012, 860 (Vale). 33 Ausführlich Koch/Harnos in Staub, § 13h HGB Rz. 33. m.w.N.
714 | Grobe
Festsetzung von Zwangsgeld | Rz. 2 § 14 HGB
§ 14 HGB [Festsetzung von Zwangsgeld] 1
Wer seiner Pflicht zur Anmeldung oder zur Einreichung von Dokumenten zum Handelsregister nicht nachkommt, ist hierzu von dem Registergericht durch Festsetzung von Zwangsgeld anzuhalten. 2Das einzelne Zwangsgeld darf den Betrag von fünftausend Euro nicht übersteigen. I. Hintergrund der Norm . . . . . . . . . . . . . . . II. Anmelde- und Einreichungspflichten . . .
1 2
III. Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 IV. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
Schrifttum: Ammon, Die Anmeldung zum Handelsregister, DStR 1993, 1025; Heinemann, Anm. zu OLG Köln, Beschluss vom 19. 7. 2013 – 2 Wx 170/13, DNotZ 2014, 390.
I. Hintergrund der Norm Die Norm bezweckt die Umsetzung bestimmter registerrechtlicher Verpflichtungen. Das zur 1 Umsetzung dieser Pflichten vorgesehene Zwangsgeld hat keinen Strafcharakter, sondern dient allein der Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten.1 Die Festsetzung von Zwangsgeld stellt daher ein Beugemittel dar.2 Die Vorschrift ermöglicht durch Androhung von Zwangsgeld die Zuverlässigkeit und Vollständigkeit des Handelsregisters und ergänzt damit die materiell-rechtlich beschaffene Vorschrift des § 15 HGB. Ist der verfolgte Zweck – d.h. die Erfüllung der Anmelde- und Einreichungspflicht – erreicht, ist die Festsetzung des Zwangsgeldes aufzuheben.3
II. Anmelde- und Einreichungspflichten § 14 HGB differenziert nach Pflichten zur Anmeldung und Pflichten zur Einreichung von 2 Dokumenten beim Handelsregister, die bei Nichtbefolgung ein Zwangsgeld auslösen können. Auf andere Anmelde- und Einreichungspflichten findet die Vorschrift keine Anwendung.4 Während das Gesetz vereinzelt Bestimmungen vorsieht, die eine Pflicht nach § 14 HGB ausdrücklich anordnen (§ 37a Abs. 4, § 79 Abs. 1 GmbHG) oder nicht (§ 79 Abs. 2 GmbHG), tritt erschwerend hinzu, dass einige Bestimmungen keine ausdrücklichen Regelungen zur Festsetzung eines Zwangsgeldes vorsehen. Nach allgemeinem Verständnis ist auch in solchen Fällen von einer mit einem Zwangsgeld bedrohten Verpflichtung auszugehen, wenn der Charakter der Pflicht öffentlich-rechtlicher Natur und nicht nur zivilrechtlicher Natur ist.5 Eine öffentlich-rechtliche Pflicht zur Anmeldung besteht für rechtsbekundende (deklaratorische) Umstände, weil bei diesen Rechtswirklichkeit und Registereintragung auseinanderfallen (siehe dazu bereits § 8 HGB). Bei konstitutiven Eintragungen ist in den normierten Fällen die Nichtanwendbarkeit von § 14 HGB angeordnet. Im Übrigen besteht kein Registerzwang, da die gewünschte Rechtsfolge ohne Eintragung nicht eintritt.6 1 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 14 HGB Rz. 1; Ammon, DStR 1993, 1025, 1031. 2 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 14 HGB Rz. 2. 3 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 14 HGB Rz. 1; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 14 HGB Rz. 2. 4 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 14 HGB Rz. 2. 5 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 14 HGB Rz. 2. 6 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 14 HGB Rz. 8. Grobe | 715
§ 14 HGB Rz. 2 | Handelsregister; Unternehmensregister Sind allein zivilrechtliche Folgen mit der fehlenden Eintragung verbunden, wie etwa bei § 25 Abs. 2 HGB, findet § 14 HGB ferner keine Anwendung.7 3 Für den Einzelkaufmann stellen die Anmeldepflicht zur Erstanmeldung (§ 29 HGB) sowie
zur Änderung der Firma nach § 31 HGB rechtsbekundende Tatsachen dar, so dass § 14 HGB zur Anwendung kommt. Als rechtsbegründende Anmeldungen nicht erfasst sind hingegen die § 2 Satz 2, § 3 Abs. 2 HGB. 4 Gleiches gilt hinsichtlich der oHG für ihr Bestehen nach § 105 Abs. 1, § 106 HGB, für Ände-
rungen der Firma nach § 106 Abs. 6 HGB, für das Auflösen der Gesellschaft nach § 141 Abs. 1 HGB sowie nach § 106 Abs. 6 HGB für das Ausscheiden eines Gesellschafters aus der Gesellschaft.8 Sind Liquidatoren bestellt, ist dies, ihr Wechsel sowie die Vertretungsbefugnis anmeldepflichtig, § 147 HGB.9 Auch die Vollbeendigung nach § 150 HGB ist erfasst. Nicht von der Anmeldepflicht betroffen und damit auch kein Fall des § 14 HGB ist die oHG, die infolge § 107 Abs. 1 HGB angemeldet wird.10 Bei diesem Fall ist die Eintragung rechtsbegründend. Für die KG gelten diese Ausführungen entsprechend, insbesondere auch in Hinblick auf Ein- und Austritt eines Kommanditisten.11 5 Für die Kapitalgesellschaften besteht eine Pflicht i.S.d. § 14 HGB für die Anmeldungen der
Geschäftsleiter (§ 39 Abs. 1 GmbHG, § 81 AktG), ferner für die Auflösung (§ 65 GmbHG, § 263 Satz 1 AktG), die Liquidatoren (§ 67 GmbHG, § 266 Abs. 1 AktG) sowie der Vollbeendigung (§ 74 Abs. 1 GmbHG, § 273 Abs. 1 Satz 1 AktG). Bei Unternehmensverträgen ist die Beendigung nach § 298 AktG anmeldepflichtig.12 6 Neben den rechtsformspezifischen Anmeldepflichten existieren sonstige Anmeldepflich-
ten, die unter § 14 HGB fallen können. So besteht eine Pflicht zur Anmeldung (und damit auch eine Pflicht nach § 14 HGB) hinsichtlich der Befreiung vom Verbot nach § 181 BGB.13 Diese Pflicht folgt nicht aus dem Gesetz, sondern ist aufgrund des öffentlich-rechtlichen Charakters der Pflicht allgemein anerkannt. Von § 14 HGB erfasst ist ferner die Pflicht zur Angabe einer geänderten Geschäftsanschrift in einem EU-Mitgliedstaat.14 Bei Zweigniederlassungen sind Errichtung, Verlegung und Aufhebung der Zweigniederlassung anmeldepflichtig. Bei der Prokura sind Erteilung, Änderungen und Erlöschen rechtsbekundende Tatsachen, so dass es sich auch hierbei um Anmeldepflichten nach § 14 HGB handelt.15 7 Die Pflicht zur Einreichung von Dokumenten ist losgelöst von der Pflicht zur Anmeldung zu
betrachten. So liegt eine Pflicht zur Einreichung nicht schon gerade deshalb vor, weil die Dokumente im Zusammenhang mit der Anmeldung eingereicht werden müssen.16 Da die Anmeldung nicht ohne etwaige Unterlagen vollzogen werden kann, genügt dies als Druckmittel.17 Von § 14 HGB erfasst ist die Pflicht zu Einreichung der Gesellschafterliste nach § 40 GmbHG. Daneben bestehen vor allem Einreichungspflichten aus dem Aktiengesetz, insbe-
7 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 14 HGB Rz. 8. 8 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 14 HGB Rz. 5. 9 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 14 HGB Rz. 8; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 14 HGB Rz. 5. 10 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 14 HGB Rz. 5. 11 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 14 HGB Rz. 6. 12 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 14 HGB Rz. 11. 13 Dazu Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 14 HGB Rz. 7. 14 KG v. 31.5.2016 – 22 W 17/16, GmbHR 2016, 823 = ZIP 2016, 2121; OLG Düsseldorf v. 12.11.2014 – 3 Wx 152, 153/13, NJW-RR 2015, 421 = GmbHR 2015, 195; OLG Hamburg v. 27.1.2011 – 11 W 4/11, GmbHR 2011, 828. 15 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 14 HGB Rz. 19. 16 So Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 14 HGB Rz. 13. 17 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 14 HGB Rz. 13.
716 | Grobe
Festsetzung von Zwangsgeld | Rz. 11 § 14 HGB
sondere § 99 Abs. 5 Satz 3, §§ 106, 132, 145 Abs. 6 Satz 4, § 248 Abs. 1 Satz 2, § 260 Abs. 3 Satz 1, § 275 Abs. 4 Satz 2 AktG.
III. Adressaten Das Zwangsgeld nach § 14 HGB kann nur gegenüber denjenigen Personen verhängt werden, 8 die zur Anmeldung und Einreichung verpflichtet sind. So ist der Einzelkaufmann nach § 29 HGB verpflichtet, seine Firma sowie den Ort seiner Handelsniederlassung samt inländischer Geschäftsanschrift anzumelden. Bei der oHG sind die vertretungsberechtigten Gesellschafter gem. § 106 Abs. 7 Satz 1 HGB verpflichtet, die Anmeldungen zu bewirken. Bei der KG trifft diese Pflicht zur Mitwirkung nicht nur die vertretungsberechtigten (Komplementäre), sondern auch die beschränkt haftenden Gesellschafter (Kommanditisten), § 161 Abs. 2 i.V.m. § 106 Abs. 7 HGB.18 Sind mehrere Personen verpflichtet, kann das Zwangsgeld nur gegenüber denjenigen verhängt werden, die ihre Pflicht nicht wahrgenommen haben.19 Auch gegenüber dem Rechtsnachfolger einer verpflichteten Person kann ein Zwangsgeld verhängt werden, vgl. § 106 Abs. 7 Satz 2 HGB, § 141 Abs. 2 HGB. Bei Kapitalgesellschaften richtet sich das Zwangsgeld an die organschaftlichen Vertreter.20 Der Adressatenkreis des Zwangsgelds erweitert sich auf die Mitglieder des Aufsichtsrats, sofern dieser bei der Anmeldung mitwirkt.21 Bei Eröffnung eines Insolvenzverfahrens trifft die Anmeldepflicht den Insolvenzverwalter, so dass auch dieser nach § 14 HGB betroffen sein kann.22 Strittig ist, ob der zur Einreichung der Gesellschaftsliste nach § 40 Abs. 2 GmbHG ver- 9 pflichtete Notar auch mit einem Zwangsgeld belegt werden kann.23 Dies wird man – trotz einiger anderslautender Stimmen – bejahen müssen, da nicht ersichtlich ist, warum dem Notar eine Sonderstellung zukommen soll.24 Die Stellung als zur Anmeldung Bevollmächtigter genügt hingegen nicht, um auch als Ad- 10 ressat eines Zwangsgelds in Betracht zu kommen.25 Weder der Prokurist noch der besondere Vertreter einer ausländischen Zweigniederlassung oder ein Verfahrensbevollmächtigter können daher Adressaten eines Zwangsgeldes nach § 14 HGB sein.
IV. Verfahren Die sachliche und örtliche Zuständigkeit für die Einleitung des Verfahrens liegt beim sog. 11 Sitzgericht.26 Darunter fällt das Registergericht, bei welchem der Unternehmensträger im Handelsregister eingetragen ist. Funktional zuständig ist der Rechtspfleger, § 3 Nr. 2 Buchst. d RpflG. Ist ein Doppelsitz gegeben, liegt eine Gleichrangigkeit der Registergerichte vor.27 Das Sitzgericht ist auch hinsichtlich Zweigniederlassungen zuständig.28 18 BGH v. 21.7.2020 – II ZB 26/19, GmbHR 2020, 1067 = ZIP 2020, 1658; OLG Schleswig v. 20.1.2010 – 2 W 182/09, NZG 2010, 957, 958; Merkt in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 14 HGB Rz. 1. 19 KG v. 17.12.2021 – 22 W 78/21, BeckRS 2021, 50283. 20 Merkt in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 14 HGB Rz. 2. 21 BayObLG v. 25.4.1968 – BReg. 2 Z 56/67, BB 1968, 727. 22 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 14 HGB Rz. 22. 23 Zum Streitstand s. Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 14 HGB Rz. 10; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 14 HGB Rz. 14. 24 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 14 HGB Rz. 10; a.A. Heinemann, DNotZ 2014, 390, 392; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 14 HGB Rz. 22. 25 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 14 HGB Rz. 21. 26 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 14 HGB Rz. 19. 27 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 14 HGB Rz. 19. 28 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 14 HGB Rz. 19. Grobe | 717
§ 14 HGB Rz. 12 | Handelsregister; Unternehmensregister 12 Das Zwangsgeldverfahren ist in §§ 388 ff. FamFG geregelt. Es ist von Amts wegen durch-
zuführen. Erlangt das Registergericht glaubhafte Kenntnis von einem Sachverhalt, der Maßnahmen nach § 14 HGB rechtfertigt, hat es dem Beteiligten unter Androhung eines Zwangsgelds aufzugeben, innerhalb einer bestimmten Frist seiner gesetzlichen Verpflichtung nachzukommen oder die Unterlassung mittels Einspruchs zu rechtfertigen, § 388 Abs. 1 FamFG. In diesem Stadium nicht erforderlich ist der volle Nachweis des Sachverhalts.29 Dies ist erst im Einspruchsverfahren von Relevanz. Auf die Möglichkeit des Einspruchs ist der Beteiligte hinzuweisen.30 Erfolgt gegenüber dem Beteiligten keine Aufforderung, Androhung oder Fristsetzung, ist das Verfahren nichtig. Es kann dann auch nicht mehr weiterverfolgt (in Form der Zwangsgeldfestsetzung) werden. 13 Nach § 390 FamFG kann durch Einspruch gegen die Verfügung, die durch die Zwangsgeld-
androhung gerügte Unterlassung gerechtfertigt werden, vgl. § 390 FamFG. Berechtigt dazu sind die Adressaten der Einleitungsverfügung sowie die in ihren Rechten betroffene Gesellschaft.31 Ist der Einspruch begründet, wird die Einleitungsverfügung durch das Gericht aufgehoben. Ist er hingegen unbegründet, wird er verworfen und das Zwangsgeld festgesetzt, § 390 Abs. 4 Satz 1 FamFG. Nach § 390 Abs. 4 Satz 2 FamFG kann das Gericht, wenn die Umstände es rechtfertigen, von der Festsetzung eines Zwangsgelds absehen oder ein geringeres als das angedrohte Zwangsgeld festsetzen. Bei Verwerfung des Einspruchs hat das Gericht zugleich eine erneute Aufforderung nach § 388 FamFG zu erlassen, § 390 Abs. 5 FamFG. 14 Der Betroffene kann den Beschluss, durch den das Zwangsgeld festgesetzt oder der Einspruch
verworfen wird, mit der Beschwerde anfechten, § 391 Abs. 1 FamFG. Nach § 391 Abs. 2 FamFG kann bei einer Festsetzung des Zwangsgelds nach § 389 FamFG die Beschwerde nicht darauf gestützt werden, dass die Androhung des Zwangsgelds nicht gerechtfertigt gewesen sei.32 15 Bei Ablehnung der Einleitung eines Verfahrens ist der zum Verfahren Anregende nach § 24
Abs. 2 FamFG zu bescheiden. Ihm steht es dann zu, den Beschluss im Wege der Beschwerde anzugreifen, sofern er nach § 59 FamFG beschwerdebefugt ist.33 Bei Erfolg der Beschwerde hat das Beschwerdegericht die Sache an das Registergericht zurückzuweisen, weil es selbst nicht in der Lage ist, ein Zwangsgeldverfahren durchzuführen.34
§ 15 HGB [Publizität des Handelsregisters] (1) Solange eine in das Handelsregister einzutragende Tatsache nicht eingetragen und bekanntgemacht ist, kann sie von demjenigen, in dessen Angelegenheiten sie einzutragen war, einem Dritten nicht entgegengesetzt werden, es sei denn, daß sie diesem bekannt war. (2) 1Ist die Tatsache eingetragen und bekanntgemacht worden, so muß ein Dritter sie gegen sich gelten lassen. 2Dies gilt nicht bei Rechtshandlungen, die innerhalb von fünfzehn 29 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 14 HGB Rz. 11; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 14 HGB Rz. 28. 30 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 14 HGB Rz. 11. 31 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 14 HGB Rz. 39. 32 Dazu Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 14 HGB Rz. 14. 33 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 14 HGB Rz. 21. 34 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 14 HGB Rz. 21.
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§ 14 HGB Rz. 12 | Handelsregister; Unternehmensregister 12 Das Zwangsgeldverfahren ist in §§ 388 ff. FamFG geregelt. Es ist von Amts wegen durch-
zuführen. Erlangt das Registergericht glaubhafte Kenntnis von einem Sachverhalt, der Maßnahmen nach § 14 HGB rechtfertigt, hat es dem Beteiligten unter Androhung eines Zwangsgelds aufzugeben, innerhalb einer bestimmten Frist seiner gesetzlichen Verpflichtung nachzukommen oder die Unterlassung mittels Einspruchs zu rechtfertigen, § 388 Abs. 1 FamFG. In diesem Stadium nicht erforderlich ist der volle Nachweis des Sachverhalts.29 Dies ist erst im Einspruchsverfahren von Relevanz. Auf die Möglichkeit des Einspruchs ist der Beteiligte hinzuweisen.30 Erfolgt gegenüber dem Beteiligten keine Aufforderung, Androhung oder Fristsetzung, ist das Verfahren nichtig. Es kann dann auch nicht mehr weiterverfolgt (in Form der Zwangsgeldfestsetzung) werden. 13 Nach § 390 FamFG kann durch Einspruch gegen die Verfügung, die durch die Zwangsgeld-
androhung gerügte Unterlassung gerechtfertigt werden, vgl. § 390 FamFG. Berechtigt dazu sind die Adressaten der Einleitungsverfügung sowie die in ihren Rechten betroffene Gesellschaft.31 Ist der Einspruch begründet, wird die Einleitungsverfügung durch das Gericht aufgehoben. Ist er hingegen unbegründet, wird er verworfen und das Zwangsgeld festgesetzt, § 390 Abs. 4 Satz 1 FamFG. Nach § 390 Abs. 4 Satz 2 FamFG kann das Gericht, wenn die Umstände es rechtfertigen, von der Festsetzung eines Zwangsgelds absehen oder ein geringeres als das angedrohte Zwangsgeld festsetzen. Bei Verwerfung des Einspruchs hat das Gericht zugleich eine erneute Aufforderung nach § 388 FamFG zu erlassen, § 390 Abs. 5 FamFG. 14 Der Betroffene kann den Beschluss, durch den das Zwangsgeld festgesetzt oder der Einspruch
verworfen wird, mit der Beschwerde anfechten, § 391 Abs. 1 FamFG. Nach § 391 Abs. 2 FamFG kann bei einer Festsetzung des Zwangsgelds nach § 389 FamFG die Beschwerde nicht darauf gestützt werden, dass die Androhung des Zwangsgelds nicht gerechtfertigt gewesen sei.32 15 Bei Ablehnung der Einleitung eines Verfahrens ist der zum Verfahren Anregende nach § 24
Abs. 2 FamFG zu bescheiden. Ihm steht es dann zu, den Beschluss im Wege der Beschwerde anzugreifen, sofern er nach § 59 FamFG beschwerdebefugt ist.33 Bei Erfolg der Beschwerde hat das Beschwerdegericht die Sache an das Registergericht zurückzuweisen, weil es selbst nicht in der Lage ist, ein Zwangsgeldverfahren durchzuführen.34
§ 15 HGB [Publizität des Handelsregisters] (1) Solange eine in das Handelsregister einzutragende Tatsache nicht eingetragen und bekanntgemacht ist, kann sie von demjenigen, in dessen Angelegenheiten sie einzutragen war, einem Dritten nicht entgegengesetzt werden, es sei denn, daß sie diesem bekannt war. (2) 1Ist die Tatsache eingetragen und bekanntgemacht worden, so muß ein Dritter sie gegen sich gelten lassen. 2Dies gilt nicht bei Rechtshandlungen, die innerhalb von fünfzehn 29 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 14 HGB Rz. 11; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 14 HGB Rz. 28. 30 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 14 HGB Rz. 11. 31 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 14 HGB Rz. 39. 32 Dazu Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 14 HGB Rz. 14. 33 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 14 HGB Rz. 21. 34 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 14 HGB Rz. 21.
718 | Grobe
Publizität des Handelsregisters | § 15 HGB
Tagen nach der Bekanntmachung vorgenommen werden, sofern der Dritte beweist, daß er die Tatsache weder kannte noch kennen mußte. (3) Ist eine einzutragende und bekannt gemachte Tatsache unrichtig eingetragen, so kann sich ein Dritter demjenigen gegenüber, in dessen Angelegenheit die Tatsache einzutragen war, auf die eingetragene Tatsache berufen, es sei denn, dass er die Unrichtigkeit kannte. (4) Für den Geschäftsverkehr mit einer in das Handelsregister eingetragenen Zweigniederlassung eines Unternehmens mit Sitz oder Hauptniederlassung im Ausland ist im Sinne dieser Vorschriften die Eintragung und Bekanntmachung durch das Gericht der Zweigniederlassung entscheidend. (5) Die Absätze 1 bis 3 sind nicht anzuwenden im Hinblick auf die im Registerblatt einer Kapitalgesellschaft eingetragenen Informationen über eine Zweigniederlassung der Gesellschaft im Ausland. I. Bedeutung der Norm; Überblick . . . . . . II. Grundsatz: Publizitätswirkung bei richtiger Eintragung und Bekanntmachung nach Abs. 2 1. Tatbestand von Abs. 2 Satz 1 . . . . . . . . . . 2. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 15-Tage-Frist nach Abs. 2 Satz 2 . . . . . . . 4. Das Verhältnis zur allgemeinen Rechtsscheinhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Negative Publizität des Handelsregisters nach Abs. 1 1. Schutzzweck der Regelung; Grundlegendes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zum Begriff der einzutragenden Tatsache 3. In Angelegenheit des Betroffenen . . . . . . 4. Kenntnis des Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Positive Publizität des Handelsregisters nach Abs. 3 1. Hintergrund der Regelung . . . . . . . . . . . . 2. Einzutragende Tatsachen . . . . . . . . . . . . . 3. Unrichtige Eintragung und Bekanntmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Veranlassung der Eintragung . . . . . . . . . . 5. Kenntnis des Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zweigniederlassung und Doppelsitz (Abs. 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Einschränkung der Anwendbarkeit bei einer Zweigniederlassung der Gesellschaft im Ausland (Abs. 5) . . . . .
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Schrifttum: Bachmann, ECLR – Grundtendenzen der Reform geschlossener Gesellschaften in Europa – Dargestellt am Beispiel des britischen Reformprozesses und der Europäischen Privatgesellschaft, ZGR 2001, 351; Baumann, Strukturfragen des Handelsrechts, AcP 184 (1984), 45; Behnke, Das neue Minderjährigenhaftungsbeschränkungsgesetz, NJW 1998, 3078; Beuthien, Sinn und Grenzen der Rechtsscheinhaftung nach § 15 Abs. 3 HGB, in FS Reinhardt, 1972, S. 199; Bock, Der Harmonisierungserfolg der Publizitätsrichtlinie, 2016; Canaris, Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971; Canaris, Handelsrecht, 2006; Dreher, Schutz Dritter nach § 15 HGB bei Geschäftsunfähigkeit eines Geschäftsführers oder Vorstandsmitglieds?, DB 1991, 533; Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, 5. Aufl., 2019; Hager, Das Handelsregister, Jura 1992, 57; P. Hofmann, Das Handelsregister und seine Publizität, JA 1980, 264; A. Hueck, Gilt § 15 Abs. 1 HGB auch beim Erlöschen und bei der Änderung nicht eingetragener, aber eintragungspflichtiger Rechtsverhältnisse?, AcP 118 (1920), 350; John, Fiktionswirkung oder Schutz typisierten Vertrauens durch das Handelsregister, ZHR 140 (1976), 236; Klostermann, Die „Rosinentheorie“ des BGH, 1986; Kreutz, Die Bedeutung von Handelsregistereintragung und Handelsregisterbekanntmachung im Gesellschaftsrecht, Jura 1982, 626; Lieb, Probleme des neuen Kaufmannsbegriffs, NJW 1999, 35; Liebscher, Gesellschafterhaftung bei Umwandlung einer GmbH in eine GbR, ZGR 2017, 389; Lieder, Die Bedeutung des Vertrauensschutzes für die Digitalisierung des Gesellschaftsrechts, NZG 2020, 81; Lieder, Die Publizität des Handelsregisters nach dem DiRUG, DNotZ 2021, 830; Linke, Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie (DiRUG), NZG 2021, 309; Noack, Amtliche Unternehmenspublizität und digitale Medien, in FS Ulmer, 2003, S. 1245; von Olshausen, Neuerungen im System der handelsrechtlichen Rechtsscheingrundsätze, BB 1970, 137; von Olshausen, Rechtschein und „Rosinentheorie“, AcP 189 (1989), 223; Paefgen, Handelsregisterpublizität und Verkehrsschutz im Lichte des EHUG, ZIP 2008, 1653; Reinicke, Sein und Schein bei § 15 I HGB, JZ 1985, 272; Ries/Schulte, Umstrittene Eintragungsfähigkeit beGrobe | 719
§ 15 HGB Rz. 1 | Handelsregister; Unternehmensregister stimmter Veränderungen in das Handelsregister, GmbHR 2013, 345; Sandberger, Die handelsrechtliche Register-Rechtsscheinhaftung nach der Neufassung des § 15 HGB, JA 1973, 215; Schilken, Abstrakter und konkreter Vertrauensschutz im Rahmen des § 15 HGB, AcP 187 (1987), 1; K. Schmidt, Unternehmensrecht I, 6. Aufl. 2014; Schmidt-Kessel, Das Gemeinschaftsrecht des Handelsregisters, GPR 2006, 6; Tebben, Registerpublizität nach der Digitalisierungsrichtlinie: Die Handelsregisterbekanntmachung ist tot, es lebe § 15 HGB, in FS Hopt, 2020, S. 1237, 1251; Teichmann, Der Schutz des Rechtsverkehrs nach § 15 Abs. 3 HGB, in FS K. Schmidt, 2019, Bd. II, S. 471; Wedemann, Divergenzen bei der Ausgestaltung der Handelsregister in Europa Herausforderungen de lege lata, Entwicklungsperspektiven de lege ferenda, in FS Seibert, 2019, S. 1073; Zimmer, § 15 Abs. 2 HGB und die allgemeine Rechtsscheinhaftung, 1997.
I. Bedeutung der Norm; Überblick 1 § 15 HGB stellt die wohl wichtigste Norm im Handelsregisterrecht dar, da sie an die im
Handelsregister vorgenommenen bzw. nichtvorgenommenen Eintragungen materiell-rechtliche Folgen knüpft.1 Damit soll der Informationsfunktion des Handelsregisters Rechnung getragen werden.2 Denn die im Handelsregister eingetragenen Tatsachen können sich in der Rechtswirklichkeit ändern und somit fehlerhaft werden. Zwar kann die Pflicht zur Anmeldung und regelmäßigen Aktualisierung der einzutragenden Tatsachen durch die Verhängung eines Zwangsgelds nach § 14 HGB hoheitlich durchgesetzt werden. Jedoch ist dies zur Erfüllung der Registerpflicht unzureichend. Der Gesetzgeber hat durch die Wirkungen von § 15 Abs. 1 und Abs. 3 HGB einen Anreiz für die Anmeldepflichtigen geschaffen, ständig für die Richtigkeit der Angaben im Register zu sorgen.3 2 Geschützt wird dadurch der Rechtsverkehr, der auf die Angaben im Handelsregister ver-
traut, obwohl keine Pflicht dazu besteht, als Dritter auch wirklich das Register eingesehen zu haben. Niemand lässt sich bspw. im Vertrauen auf die Registerlage von einem Gesellschafter überfahren. Man spricht deshalb von einem sog. abstrakten Vertrauensschutz.4 3 § 15 HGB regelt verschiedene Sachverhalte. Den registerrechtlichen Normalfall enthält § 15
Abs. 2 Satz 1 HGB: Wurde danach die Tatsache eingetragen und bekannt gemacht, so muss ein Dritter sie gegen sich gelten lassen, es sei denn, es liegen Rechtshandlungen vor, die innerhalb von fünfzehn Tagen nach der Bekanntmachung vorgenommen werden und der Dritte beweisen kann, dass er die Tatsache weder kannte noch kennen musste. Daneben regelt § 15 Abs. 1 HGB den Fall der sog. negativen Publizität: Ist eine einzutragende Tatsache nicht im Handelsregister eingetragen und bekannt gemacht, so kann der Dritte auf diesen fehlenden Publizitätsakt vertrauen, es sei denn, dass ihm die Tatsache bekannt war. Dagegen regelt § 15 Abs. 3 HGB den Fall der sog. positiven Publizität des Handelsregisters. Danach ist das Vertrauen des Dritten auch dann geschützt, wenn eine Tatsache fehlerhaft eingetragen und bekannt gemacht wurde. Nach § 15 Abs. 4 HGB gelten diese Grundsätze auch für Zweigniederlassungen ausländischer Gesellschaften, wobei die Publizitätsakte des Gerichts der Zweigniederlassung maßgeblich sind. Nach dem durch das DiRUG neu eingefügten § 15 Abs. 5 HGB sind die Abs. 1–3 im Hinblick auf die im Registerblatt einer Kapitalgesellschaft eingetragenen Informationen über eine Zweigniederlassung der Gesellschaft im Ausland nicht anzuwenden. 4 Eine vergleichbare Regelung fand sich bereits im ADHGB.5 Zudem wurde § 15 HGB durch
europarechtliche Vorgaben beeinflusst.6 Durch das EHUG erfuhr das Handelsregister im 1 2 3 4 5 6
Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 1. Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 1; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 15 HGB Rz. 1. K. Schmidt, Unternehmensrecht I § 14 Rz. 19; Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 1. Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 15 HGB Rz. 2. Dazu ausführlich Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 4. Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 6 ff.
720 | Grobe
Publizität des Handelsregisters | Rz. 6 § 15 HGB
Jahr 2006 eine wesentliche Modernisierung, die auch den Online-Zugriff auf die Registerdaten ermöglichte.7 Die letzte große Registerreform, die auch Auswirkungen auf § 15 HGB hatte, erfolgte durch das DiRUG8 im Jahr 20219, indem der Gesetzgeber die Bekanntmachung als eigenständiges Publizitätsmedium abschaffte.10 Obwohl damit die Streichung der Bekanntmachung als Merkmal nahegelegen hätte und auch von Teilen der Literatur11 befürwortet wurde, entschied sich der Gesetzgeber, den Begriff der Bekanntmachung neu zu definieren. So heißt es nun in § 10 Abs. 1 Satz 1 HGB, dass die Eintragungen in das Handelsregister durch ihre erstmalige Abrufbarkeit über das nach § 9 Abs. 1 HGB bestimmte elektronische Informations- und Kommunikationssystem bekannt gemacht werden. Die inhaltlichen Auswirkungen beschränkten sich daher allein auf § 15 Abs. 3 HGB, wonach es auf die fehlerhafte Eintragung und die darauf bezogene Kenntnis ankommt. Ebenfalls wurde § 15 Abs. 5 HGB neu durch das DiRUG eingefügt. Eine besonders hervorzuhebende Neuerung erfolgte mit Wirkung zum 1.1.2024 durch das MoPeG.12 Gemäß § 707a Abs. 3 BGB finden die Vorschriften des § 15 HGB auf die eingetragene Gesellschaft bürgerlichen Rechts (eGbR) entsprechende Anwendung.
II. Grundsatz: Publizitätswirkung bei richtiger Eintragung und Bekanntmachung nach Abs. 2 1. Tatbestand von Abs. 2 Satz 1 Nach Abs. 2 Satz 1 muss ein Dritter eine Tatsache gegen sich gelten lassen, wenn diese ein- 5 getragen und bekannt gemacht worden ist. Der damit umschriebene registerrechtliche Normalfall ist grundsätzlich selbsterklärend. Dennoch ist mit ihm eine weitere Aussage verbunden: Eintragung und Bekanntmachung zerstören das Vertrauen, welches Dritte aus anderen Quellen möglicherweise erhalten haben.13 Der Dritte ist nicht mehr in der Lage, sich auf § 15 Abs. 1 HGB hinsichtlich der betreffenden Tatsache zu berufen.14 Maßgeblich für das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen ist hierfür der Zeitpunkt, an dem der Dritte etwaige Rechte herleiten will.15 Voraussetzung ist zunächst, dass es sich um eine wahre Tatsache handelt, da § 15 Abs. 2 6 HGB nicht das Vertrauen in unrichtige Tatsachen schützt. Die Regelung ist zudem nicht auf unzulässige Eintragungen anzuwenden.16 Zudem muss es sich nach h.M. um eine einzutragende, nicht nur um eine eintragungsfähige17, Tatsache handeln.18 Für bloße eintragungsfähige Tatsachen sind die abschließenden Sonderregelungen gem. § 25 Abs. 2, § 28 Abs. 2 7 Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG) v. 10.11.2006, BGBl. I 2006, 2553. 8 Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie (DiRUG) v. 25.6.2021, BGBl. I 2021, 2123. 9 Dazu Lieder, DNotZ 2021, 830 ff. 10 Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 11. 11 Bock, Der Harmonisierungserfolg der Publizitätsrichtlinie, 2016, S. 656; Wedemann in FS Seibert, 2019, S. 1073, 1084; Lieder, NZG 2020, 81, 87. 12 Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) v. 10.8.2021, BGBl. I 2021, 3436. 13 Canaris, HandelsR, 2006, § 5 Rz. 35; Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 74; Müther in BeckOK/ HGB, Stand: 15.1.2023, § 15 HGB Rz. 18. 14 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 15 HGB Rz. 21. 15 RGZ 102, 197, 199; Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 81. 16 BGH v. 14.5.2019 – II ZR 299/17, NZG 2019, 861 Rz. 33 = ZIP 2019, 1374; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 15 HGB Rz. 33; Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 75. 17 Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 76. 18 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 15 HGB Rz. 36; Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 76; Noack in FS Ulmer, 2003, S. 1245, 1260 f.; Tebben in FS Hopt, 2020, S. 1237, 1251. Grobe | 721
§ 15 HGB Rz. 6 | Handelsregister; Unternehmensregister HGB maßgeblich.19 Nicht von Bedeutung ist, ob die Eintragung auf Antrag oder von Amts wegen erfolgt ist.20 Seit Geltung des DiRUG hat sich zudem der Streit, ob es sich um eine bekanntmachungspflichtige Tatsache handeln muss, erledigt.21 § 15 Abs. 2 HGB erfasst sowohl Primär- als auch Sekundärtatsachen sowie konstitutive Tatsachen.22 7 Trotz der inhaltlichen Neugestaltung des Bekanntmachungsmerkmals ist auch nach dem
DiRUG für die Anwendung des § 15 Abs. 2 HGB erforderlich, dass Eintragung und Bekanntmachung – Letzteres im Sinne des neuen Verständnisses der erstmaligen Abrufbarkeit – kumulativ gegeben sein müssen.23
2. Rechtsfolge 8 Eintragung und Bekanntmachung einer Tatsache führen dazu, dass der Dritte diese gegen
sich gelten lassen muss. Daraus folgt, dass der Dritte sich nicht auf eine fiktive Rechtslage aufgrund eines Rechtsscheins berufen kann.24 § 15 Abs. 2 HGB vernichtet diesen Rechtsschein und statuiert zugleich eine Informationsobliegenheit des Dritten. Denn dieser handelt auf eigenes Risiko, wenn er den Blick ins Handelsregister nicht wagt.25 Dem Anmeldepflichtigen steht nach h.M. ein Wahlrecht zu, ob sich dieser auf die eingetragene Tatsache beruft oder nicht.26 Dem ist zu widersprechen. Sinn und Zweck eines solchen Wahlrechts sind nicht erkennbar. Der Anmeldepflichtige kann sich auf die wahre Rechtslage berufen, wenn diese ordnungsgemäß bekannt gemacht wurde. Ihm steht es aber nicht zu, sich gegenüber dem Dritten auf eine fiktive Rechtslage zu berufen.27 Der umgekehrte Fall, dass sich der Anmeldepflichtige auf die wahre, aber nicht eingetragene Rechtslage beruft, ist vom Anwendungsbereich des § 15 Abs. 2 HGB, der nur für wahre Tatsachen gilt, nicht erfasst.28 Das Berufen auf eine fiktive Rechtslage kann allein aufgrund einer Vereinbarung mit dem Dritten erfolgen29; außerhalb dessen schützt die allgemeine Rechtsscheinhaftung die Interessen des Dritten.30 Da § 15 Abs. 2 HGB eine Schutznorm zugunsten des Kaufmanns ist, kann dieser auf sie verzichten. Dies erscheint auch aufgrund der geringeren Schutzbedürftigkeit im Wege von AGB möglich zu sein.31
3. 15-Tage-Frist nach Abs. 2 Satz 2 9 Nach Abs. 2 Satz 2 tritt die Wirkung des Abs. 2 Satz 1 nicht bei Rechtshandlungen ein, die
innerhalb von fünfzehn Tagen nach der Bekanntmachung vorgenommen wurden und der Dritte beweist, dass er die Tatsache weder kannte noch kennen musste. Diese sog. Schon-
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Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 15 HGB Rz. 36; Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 76. Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 15 HGB Rz. 36. Dazu Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 79. Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 80. Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 81. Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 82; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 15 HGB Rz. 38. Krebs in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 15 HGB Rz. 63; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 15 HGB Rz. 38. Roth in Koller/Kindler/Roth/Drüen, 9. Aufl. 2019, Rz. 20; Merkt in Hopt, § 15 HGB Rz. 13. Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 84. So allerdings Merkt in Hopt, § 15 HGB Rz. 13. Krebs in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 15 HGB Rz. 71; ebenso Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 84. Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 84. Ähnlich Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 85.
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Publizität des Handelsregisters | Rz. 11 § 15 HGB
frist hat einen europarechtlichen Hintergrund.32 Sie beginnt gem. § 10 Abs. 1 i.V.m. § 9 Abs. 1 HGB mit der Bekanntmachung, d.h. mit der erstmaligen Abrufbarkeit im elektronischen Informations- und Kommunikationssystem. Der Dritte muss beweisen, dass er die Tatsache weder kannte noch kennen musste. Während 10 das Merkmal der positiven Kenntnis keine Probleme bereitet, gilt dies hingegen nicht für die Anforderungen, wann der Dritte die Tatsache kennen musste.33 Kennenmüssen setzt die Pflicht voraus, dass der Dritte aufgrund der gegebenen Umstände oder seiner Stellung dazu angehalten war, eine Information aus dem Handelsregister einzusehen und dieser Pflicht nicht nachkam. Wann eine entsprechende Obliegenheit zum Blick ins Handelsregister besteht, erfordert eine weitere Differenzierung, nämlich hinsichtlich der Anforderungen zwischen Kaufleuten und Privatpersonen.34 Zu Recht gilt hier für Erstere ein höherer Sorgfaltsmaßstab (vgl. § 347 HGB) als für Letztere.35 Ein Kaufmann hat grundsätzlich Eintragungen im Handelsregister zur Kenntnis zu nehmen.36 Dabei ist ferner zu berücksichtigen, dass sich die Zugangsmöglichkeiten zum Handelsregister in den letzten Jahrzehnten erheblich gewandelt haben und gegenwärtig zu jeder Zeit ein Online-Zugriff möglich ist. Die administrativen Hürden haben sich folglich gesenkt. Insofern ist dem Einwand zuzustimmen, dass Kaufleute sich nur auf § 15 Abs. 2 Satz 2 HGB berufen können, wenn sie nachweisen können, dass eine Störung des Internetzugangs vorlag, wobei ein Mangel am Empfangsgerät einen Sorgfaltspflichtverstoß darstellt.37 Bei Privatpersonen besteht bei Alltagsgeschäften hingegen keine Pflicht zum Blick ins Handelsregister.38 Dagegen kann auch nicht eingewendet werden, dass eine solche Differenzierung der richtlinienkonformen Auslegung der Norm wiederspreche.39 Zwar wollen einige Stimmen unabhängig vom Adressatenkreis darauf abstellen, ob die Kenntniserlangung gänzlich unmöglich war oder nicht.40 Eine Bestimmung, die an der (Un-)Möglichkeit der Kenntniserlangung anknüpft, findet sich in Art. 16 Abs. 5 Unterabs. 2 GesRRL. Allerdings lässt diese Auffassung außer Acht, dass die „Möglichkeit der Kenntnisnahme“ nicht mit dem Begriff des „Kennenmüssen“ gleichzusetzen ist41 und daher der Anwendungsbereich der europarechtskonformen Auslegung nicht eröffnet ist.42
4. Das Verhältnis zur allgemeinen Rechtsscheinhaftung Es ist sowohl in Rechtsprechung als auch Schrifttum anerkannt, dass die allgemeine Rechts- 11 scheinhaftung in bestimmten Fällen zur Anwendung kommen kann und von § 15 Abs. 2 Satz 1 HGB nicht vollkommen ausgeschlossen wird.43 Maßgeblich ist der im jeweiligen Einzelfall geschaffene Vertrauenstatbestand, der je nach Schwere es unangebracht erscheinen lassen kann, dass sich der Dritte aufgrund der Wirkung von § 15 Abs. 2 Satz 1 HGB auf diesen nicht berufen kann.44 Der BGH lässt eine Ausnahme von § 15 Abs. 2 Satz 1 HGB 32 Dazu Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 15 HGB Rz. 25. 33 Zum Streitstand Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 87 ff.; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 15 HGB Rz. 39 ff. 34 Canaris, HandelsR, 24. Aufl. 2006, § 5 Rz. 33; Paefgen, ZIP 2008, 1653, 1655 f.; Merkt in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 15 HGB Rz. 14. 35 Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 89. 36 BGH v. 8.5.1972 – II ZR 170/69, NJW 1972, 1418, 1419; Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 87. 37 Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 90. 38 Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 87; Merkt in Hopt, § 15 HGB Rz. 14. 39 Krebs in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 15 HGB Rz. 76 f. 40 So Krebs in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 15 HGB Rz. 76 f.; Bachmann, ZGR 2001, 351, 377. 41 Canaris, HandelsR, 24. Aufl. 2006, § 5 Rz. 32; dem zustimmend Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 89. 42 Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 89. 43 Ausführlich der Überblick bei Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 91 ff. 44 Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 91. Grobe | 723
§ 15 HGB Rz. 11 | Handelsregister; Unternehmensregister dann zu, wenn eine ständige Geschäftsbeziehung zwischen den Parteien besteht und das Berufen auf den Registerinhalt nach § 242 BGB rechtsmissbräuchlich wäre.45 Ferner hat der BGH eine Ausnahme für das Vorliegen einer fehlerhaften Firmierung statuiert, da ein Verstoß gegen firmenrechtliche Pflichten einen besonderen Vertrauenstatbestand schaffe.46 12 Das Schrifttum hat sich dem BGH in verschiedenerlei Hinsicht angeschlossen. Während der
vom BGH verfolgte Ansatz bei der Verwendung einer irreführenden Firmierung einhellig auf breite Zustimmung getroffen ist, gilt dies nicht im Hinblick auf den Missbrauchseinwand nach § 242 BGB. Zwar ist auch dieser Ansatz in Teilen auf Zustimmung gestoßen47, jedoch in geringerem Ausmaß. Hervorzuheben sind hierbei zwei Ansätze: Zum einen wird darauf abgestellt, ob der Rechtsschein vor oder nach Eintragung und Bekanntmachung gesetzt wurde.48 Wurde er vorher gesetzt, so wird er von dem neuen Publizitätsakt verdrängt. Wurde er hingegen erst nach Eintragung und Bekanntmachung gesetzt, so soll § 15 Abs. 2 Satz 1 HGB keine Anwendung finden. Zum anderen soll § 15 Abs. 2 Satz 1 HGB dann im Wege der teleologischen Reduktion ausgeschlossen sein, wenn ein Vertrauenstatbestand geschaffen wurde, der über die bloße Praktizierung der Rechtslage hinausgeht, wobei das Bestehen einer ständigen Geschäftsbeziehung oder die bloße mündliche Mitteilung über die Vertretungsverhältnisse genügen soll.49 13 Die besseren Argumente sprechen für den vom BGH vertretenen Missbrauchseinwand.50
Der zeitlich differenzierende Ansatz wirkt trotz seiner Orientierung an Eintragung und Bekanntmachung willkürlich. Er lässt außer Acht, dass der Anmeldepflichtige gehalten ist, den auf den Rechtsschein vertrauenden Dritten über den Umstand der Änderung aufzuklären. Ferner dürfe der Dritte aufgrund seiner Informationsobliegenheit nicht ohne weiteres auf den gesetzten Rechtsschein vertrauen, da ein Blick in Handelsregister heutzutage einfach über einen Online-Zugang ermöglicht wird. Gegen die Ausweitung der teleologischen Reduktion auf besondere Vertrauenstatbestände spricht die damit einhergehende Einschränkung der mit § 15 Abs. 2 Satz 1 HGB verbundenen Erleichterungsfunktion.51
III. Negative Publizität des Handelsregisters nach Abs. 1 1. Schutzzweck der Regelung; Grundlegendes 14 Nach § 15 Abs. 1 HGB kann eine in das Handelsregister einzutragende Tatsache von demje-
nigen, in dessen Angelegenheiten sie einzutragen war, einem Dritten gegenüber nicht entgegengesetzt werden, solange sie nicht eingetragen und bekannt gemacht ist. Etwas anderes gilt, wenn sie dem Dritten – aufgrund anderer Quellen – bereits bekannt war. § 15 Abs. 1 HGB regelt die sog. negative Publizität und damit das sog. „Schweigen des Handelsregisters“.52 Die Norm knüpft damit an das Fehlen der Eintragung einer Tatsache an. Da die Tatsache nicht durch das Register publik geworden ist, wirkt die bisherige Rechtslage fort.53 Ab45 BGH v. 8.5.1972 – II ZR 170/69, NJW 1972, 1418, 1419; zuletzt BGH v. 5.10.2004 – VI ZR 255/03, NJW 2005, 217, 218. 46 BGH v. 18.3.1974 – II ZR 167/72, BGHZ 62, 216, 233 = NJW 1974, 1191. 47 Bachmann, ZGR 2001, 351, 379 f.; Noack in FS Ulmer, 2003, S. 1245, 1259 f. 48 So Krebs in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 15 HGB Rz. 82 f.; Zimmer, § 15 Abs. 2 HGB und die allgemeine Rechtsscheinhaftung, 1997, S. 94 ff., 122 ff. 49 Canaris, HandelsR, 24. Aufl. 2006, § 5 Rz. 38 ff. 50 So bereits Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 97 f. 51 Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 95. 52 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 15 HGB Rz. 6; Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 31. 53 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 15 HGB Rz. 16; Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 31.
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Publizität des Handelsregisters | Rz. 18 § 15 HGB
zugrenzen ist die negative Publizität von der positiven Publizität des § 15 Abs. 3 HGB. Die fehlerhafte Eintragung ist, da eine Handlung vorgenommen wurde, nach § 15 Abs. 3 HGB zu behandeln, nicht nach § 15 Abs. 1 HGB. Maßgeblich für die Anwendung der Regelung ist nicht der Zeitpunkt, in dem die einzutra- 15 gende Tatsache entgegen gehalten wird, sondern der Zeitpunkt, der die Grundlage zur Herleitung des Rechts bildet.54
2. Zum Begriff der einzutragenden Tatsache Eine einzutragende Tatsache erfordert das Vorliegen einer Anmeldepflicht. Eine solche er- 16 gibt sich entweder ausdrücklich aus dem Gesetz oder wurde von der Rechtsprechung als ungeschriebene Anmeldepflicht statuiert (vgl. dazu bereits § 8 HGB Rz. 15 ff.). Eine solche ungeschriebene Anmeldepflicht existiert bei der Eintragung zur Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB.55 Unstreitig ist, dass deklaratorische Eintragungen vom Anwendungsbereich des § 15 Abs. 1 17 HGB erfasst sind. Im Schrifttum lange Zeit umstritten war hingegen, ob dies auch für konstitutive Eintragungen gilt.56 Die Bedeutung des Streits war und ist von geringer Natur. Vor Geltung des DiRUG wurde die Frage im Zusammenhang des Zeitraums zwischen Eintragung und Bekanntmachung problematisiert.57 Da mit dem DiRUG die Bekanntmachung als eigenständiges Publizitätsmedium entfallen ist, jedoch nicht aus dem Gesetzestext beseitigt, sondern als erstmalige Abrufbarkeit neu definiert wurde, besteht zumindest zwischen Eintragung und Bekanntmachung weiterhin eine zeitliche Lücke, so dass der Streit grds. in dogmatischer Hinsicht fortwirkt, während er in der Praxis weiter an Bedeutung verloren hat.58 Richtigerweise findet § 15 Abs. 1 HGB auch auf konstitutive Eintragungen Anwendung. Der wohl bekannteste Streit im Rahmen von § 15 Abs. 1 HGB behandelt die Frage, ob die 18 Norm auch dann Anwendung findet, wenn die Voreintragung bereits ausgeblieben ist. So wird von Teilen des Schrifttums vorgebracht, dass § 15 Abs. 1 HGB auf den nicht eingetragenen Widerruf der Prokura gem. § 53 HGB keine Anwendung finden könnte, wenn bereits die Erteilung der Prokura nicht im Handelsregister eingetragen wurde.59 In diesem Fall sei das Handelsregister nicht mehr fehlerhaft, sondern entspreche der materiellen Rechtslage. Verkannt wird von dieser Auffassung allerdings, dass ein schutzwürdiger Dritter auch außerhalb des Registers von der Erteilung der Prokura Kenntnis erlangt haben könnte.60 Der Schutz über eine allgemeine Rechtsscheinhaftung, wie sie von der eben angeführten Auffassung teilweise vertreten wird61, genügt dem Standard des § 15 Abs. 1 HGB nicht. Daher ist der h.M. zu folgen, die § 15 Abs. 1 HGB auch dann anwendet, wenn die Voreintragung der betreffenden eintragungsfähigen Tatsache nicht erfolgt ist.62 Nur in eng umrissenen Ausnah54 Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 63. 55 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 15 HGB Rz. 7. 56 Dazu Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 15 HGB Rz. 8; Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 33 f. 57 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 15 HGB Rz. 19. 58 Ausführlich Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 33 ff. 59 Baumann, AcP 184 (1984), 45, 62; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 152; A. Hueck, AcP 118 (1920), 350 ff.; John, ZHR 140 (1976), 236 ff.; Schilken, AcP 187 (1987), 1, 7 f.; Schall in Heidel, § 15 HGB Rz. 27 ff. 60 Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 45. 61 John, ZHR 140 (1976), 236 ff.; Schilken, AcP 187 (1987), 1, 7 f. 62 So schon bereits RGZ 15, 33, 35 ff.; dem folgend BGH v. 24.6.1965 – III ZR 219/63, BB 1965, 968; BGH v. 21.12.1970 – II ZR 258/67, BGHZ 55, 267, 272; BGH v. 21.3.1983 – II ZR 113/82, WM 1983, Grobe | 725
§ 15 HGB Rz. 18 | Handelsregister; Unternehmensregister mekonstellationen ist von einer Anwendung des § 15 Abs. 1 HGB bei fehlender Voreintragung abzusehen. Dies wird insbesondere dann anzunehmen sein, wenn bspw. die erteilte Prokura nur wenige Stunden oder Tage später wieder widerrufen wird und damit ein reines Internum geblieben ist.63 Als Orientierung zur Bestimmung eines Zeitraums kann hierbei die 15-Tage-Frist des § 15 Abs. 2 HGB herangezogen werden. 19 Nicht von § 15 Abs. 1 HGB erfasst sind allerdings solche Tatsachen, die weder eintragungs-
fähig sind, noch diejenigen, die zwar eintragungsfähig, aber weder anmeldepflichtig sind oder für die Tatsache keine konstitutive Wirkung entfalten.64 Ferner ist der Ausschluss von Primärtatsachen, dem eine Differenzierung zwischen Primär- und Sekundärtatsachen zugrunde liegt, wie er teilweise in der Literatur vorgeschlagen wird65, abzulehnen, da sie keinen Anklang im Gesetzestext gefunden hat.66 20 Bevor der Begriff der Bekanntmachung durch das DiRUG einer neuen Definition zugeführt
wurde, war streitig, ob § 15 Abs. 1 HGB auch dann Anwendung findet, wenn entweder nur die Eintragung oder nur die Bekanntmachung der Tatsache an sich erfolgt ist.67 Nach der Neufassung des § 10 HGB liegt die Bekanntmachung mit der erstmaligen Abrufbarkeit der Eintragung vor. Ohne die Bekanntmachung bleibt die Eintragung ein reines Internum, das auch nicht über einen anderen Weg nach außen dringen kann.68 Damit ist das Merkmal der Bekanntmachung nicht bedeutungslos geworden, sondern weiterhin für die Wahrnehmung im Rechtsverkehr maßgeblich. Da nach dem neuen Verständnis die Bekanntmachung als erstmalige Abrufbarkeit der Eintragung definiert wird und damit beide Merkmale eng miteinander verknüpft sind, ist der früher diskutierte Fall, dass nur die Bekanntmachung vorliegt, gar nicht mehr denkbar.69 Demnach findet § 15 Abs. 1 HGB nur Anwendung, wenn Eintragung und Bekanntmachung erfolgt sind. Eine Aufspaltung ist weder möglich noch in irgendeiner Weise vorteilhaft.70
3. In Angelegenheit des Betroffenen 21 Adressat der Regelung ist derjenige, in dessen Angelegenheiten die Eintragung der Tatsachen
vorzunehmen war. Erfasst sind damit die jeweiligen Rechtsträger wie eingetragene Kaufleute, Personenhandelsgesellschaften sowie Kapitalgesellschaften71, aber auch einzelne Gesellschafter selbst, wenn die Eintragung sie selbst betrifft und versäumt wurde, auf die Eintragung des Ausscheidens hinzuwirken.72 Verpflichtet sich die Gesellschaft zwischen Austritt und dessen Eintragung, haftet der Gesellschafter nach § 15 Abs. 1, § 126 HGB. Von § 15 Abs. 1 HGB ebenfalls erfasst ist der Gesamtrechtsnachfolger.73 In diesem Zusammenhang
63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73
651 f. = ZIP 1983, 822; BGH v. 11.11.1991 – II ZR 287/90, BGHZ 116, 37, 44 f. = GmbHR 1992, 34.; KG v. 23.12.2011 – 25 W 52/11p, DNotZ 2012, 388; OLG Köln v. 3.6.2015 – 2 Wx 117/15, FGPrax 2015, 165, 166; aus dem Schrifttum Koch/Harnos in GK-HGB, Staub, § 15 HGB Rz. 44 f.; Merkt in Hopt, § 15 HGB Rz. 11; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 15 HGB Rz. 21; K. Schmidt, UnternehmensR I, § 14 Rz. 27 ff.; Ries/Schulte, GmbHR 2013, 345 f. Dazu Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 46. Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 38. Lieb, NJW 1999, 35, 36; Sandberger, JA 1973, 215. Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 41. Dazu Canaris, HandelsR, 24. Aufl. 2006, § 5 Rz. 11; Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 50. Lieder, DNotZ 2021, 830, 835. Ähnlich Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 50. Umfassend Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 50. Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 15 HGB Rz. 10. Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 15 HGB Rz. 10; Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 51. Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 52.
726 | Grobe
Publizität des Handelsregisters | Rz. 24 § 15 HGB
kann es auch zu Überschneidungen mit der Erbenhaftung kommen, wenn das Ausscheiden des verstorbenen oHG-Gesellschafters nicht nach § 106 Abs. 6 und 7 HGB eingetragen wird.74 Umstritten ist, ob § 15 Abs. 1 HGB auch bei nicht vollgeschäftsfähigen Personen Anwen- 22 dung findet.75 Dies ist mit der h.M. zu bejahen.76 Es kommt bei § 15 Abs. 1 HGB gerade nicht darauf an, dass Nichteintragung und Nichtbekanntmachung auf einem Veranlassungsoder Zurechnungstatbestand fußen. Die Norm beruht auf dem Organisationsrisiko des Unternehmens, das auch von einem Geschäftsunfähigen zu tragen ist.77
4. Kenntnis des Dritten Die nicht eingetragene und nicht bekannt gemachte Tatsache kann einem Dritten nach § 15 23 Abs. 1 HGB grundsätzlich nicht entgegengesetzt werden, es sei denn, dass sie dem Dritten bekannt war. Der Anwendungsbereich der Norm ist daher nur für Personen eröffnet, die von der einzutragenden Tatsache selbst nicht betroffen sind.78 Ausgeschlossen sind damit der zur Anmeldung verpflichtete Rechtsträger oder der Gesellschafter79 und insgesamt alle (auch die übrigen) Personen, die in einem mitgliedschaftlichen oder organschaftlichen Verhältnis zum Rechtsträger stehen.80 Eine Ausnahme ist allein für den Fall anzunehmen, bei dem ein Gesellschafter wie ein Dritter mit der Gesellschaft kontrahiert und daher einem Dritten gleichgestellt ist.81 Der Dritte darf von der Tatsache keine positive Kenntnis haben. In diesem Fall ist er nicht 24 mehr schutzbedürftig. § 15 Abs. 1 HGB enthält daher eine widerlegbare Vermutung, keine Fiktion.82 Die widerlegbare Vermutung ermöglicht es dem Anmeldepflichtigen, einen Gegenbeweis zu führen.83 Grundsätzlich ist der Dritte nicht verpflichtet, Nachforschungen anzustellen. Positive Kenntnis i.S.v. § 15 Abs. 1 HGB ist nicht mit dem Kennenmüssen nach § 122 Abs. 2 BGB gleichzusetzen.84 Selbst Schlussfolgerungen auf die einzutragende Tatsache sind nicht als positive Kenntnis anzusehen.85 Der Dritte muss sich allerdings die positive Kenntnis anderer nach den allgemeinen Grundsätzen der Wissenszurechnung zugutehalten lassen (§ 166 BGB).86 74 Ausführlich Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 52 f. 75 Zum Streitstand Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 55. 76 BGH v. 1.7.1991 – II ZR 292/90, BGHZ 115, 78, 80 = ZIP 1991, 1002; Merkt in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 15 HGB Rz. 6; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 15 HGB Rz. 23; K. Schmidt, UnternehmensR I, § 14 Rz. 38; Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 55; a.A. Behnke, NJW 1998, 3078, 3081 f.; Dreher, DB 1991, 533, 535 f.; Hager, Jura 1992, 57, 60 f. 77 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 15 HGB Rz. 11; Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 55. 78 Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 56. 79 Krebs in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 15 HGB Rz. 46; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 15 HGB Rz. 41. 80 OLG Dresden v. 10.7.2001 – 2 U 632/01, NZG 2001, 1141; Krebs in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 15 HGB Rz. 46; Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 56. 81 RGZ 81, 17, 21; Krebs in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 15 HGB Rz. 46 f.; Merkt in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 15 HGB Rz. 7; Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 57; a.A. Gehrlein in Ebenroth/ Boujong/Joost/Strohn, § 15 HGB Rz. 10; Hager, Jura 1992, 57, 61. 82 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 15 HGB Rz. 25; Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 58. 83 John, ZHR 140 (1976), 236, 240 f.; Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 58. 84 Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 59. 85 Krebs in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 15 HGB Rz. 50; zur Zulassung eines prima-facie-Beweises Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 59. 86 Merkt in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 15 HGB Rz. 7; Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 59. Grobe | 727
§ 15 HGB Rz. 25 | Handelsregister; Unternehmensregister 25 Nach § 15 Abs. 1 HGB unwiderleglich vermutet wird, dass der Dritte von dem Registerinhalt
keine Kenntnis gehabt habe bzw., dass die Kenntnis für sein Handeln nicht kausal gewesen sei.87
5. Rechtsfolge 26 Liegen die Voraussetzungen von § 15 Abs. 1 HGB vor, kann sich der Anmeldepflichtige ge-
genüber dem Dritten nicht auf die nicht eingetragene und nicht bekannt gemachte Tatsache berufen. Die Regelung ist als Einwendungsausschluss konzipiert.88 Davon erfasst sind jedoch nur diejenigen Tatsachen, die sich aus dem Register ergeben. Nicht erfasst ist die Geschäfts(un)fähigkeit des Vertretungsorgans.89 Fehlt diese, erlischt auch die Vertretungsbefugnis. Während der Einwand der fehlenden Vertretungsmacht (§ 177 BGB) nicht von der Gesellschaft gegenüber dem Dritten gem. § 15 Abs. 1 HGB entgegengehalten werden kann, gilt etwas anderes im Hinblick auf die Unwirksamkeit der Willenserklärung nach § 105 BGB wegen fehlender Geschäftsfähigkeit.90 Die Handelsregistereintragung kann den Mangel der Geschäftsunfähigkeit nicht überwinden.91 Allerdings ist in der Rechtsprechung in solchen Fällen anerkannt, die Grundsätze der allgemeinen Rechtsscheinhaftung heranzuziehen.92 27 Während der Belastete sich nicht auf die nicht eingetragene Tatsache berufen kann, steht
dem Dritten in Hinblick auf § 15 Abs. 1 HGB ein Wahlrecht zu. Dieser kann zwischen zwei alternativen Rechtsfolgen wählen: Der Dritte kann sich zum einen auf den Vertrauenstatbestand nach § 15 Abs. 1 HGB oder zum anderen auf die tatsächliche Rechtslage berufen.93 Fraglich ist, ob § 15 Abs. 1 HGB auch gegenüber denjenigen wirkt, die ihre Rechte vom Dritten ableiten.94 Richtigerweise kann dies nur dann gelten, wenn der Dritte sein Wahlrecht ausgeübt hat und somit keine Rechtsunsicherheit besteht.95 28 Sehr umstritten ist, ob sich der Dritte sowohl auf die Rechtslage nach § 15 Abs. 1 HGB als
auch auf die wahre Rechtslage berufen kann. Diese – unter der Bezeichnung „Rosinentheorie“96 bekannt gewordene – Konstellation hat der BGH in seiner Entscheidung aus dem Jahr 1975 bejaht.97 In concreto ging es um zwei Komplementäre, die laut Handelsregister nur gemeinsam zur Vertretung der KG befugt waren. In der Folge schied ein Komplementär aus der Gesellschaft aus, wobei die entsprechende Eintragung im Handelsregister unterblieb. Ein Dritter schloss mit der KG nach Ausscheiden des Komplementärs einen Vertrag und nahm nach erfolgloser Aufforderung der KG den ausgeschiedenen Komplementär nach § 161 Abs. 2, § 126 HGB in Anspruch. Der BGH bejahte eine Haftung des ausgeschiedenen Kom87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97
Dazu Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 61; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 15 HGB Rz. 26. Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 64; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 15 HGB Rz. 27. Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 15 HGB Rz. 32. Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 71. Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 15 HGB Rz. 32. BGH v. 1.7.1991 – II ZR 292/90, BGHZ 115, 78, 81 = ZIP 1991, 1002; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 15 HGB Rz. 32. Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 15 HGB Rz. 15; Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 65. Dazu Canaris, HandelsR, 24. Aufl. 2006, § 5 Rz. 23. Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 66. Die Bezeichnung entstammt dem kritischen Schrifttum und ist nicht auf den BGH selbst zurückzuführen. BGH v. 1.12.1975 – II ZR 62/75, BGHZ 65, 309 ff.; zustimmend K. Schmidt, UnternehmensR I, § 14 Rz. 57 ff.; Kreutz, Jura 1982, 626, 637; von Olshausen, AcP 189 (1989), 223, 239 ff.; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 15 HGB Rz. 16; Merkt in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 15 HGB Rz. 6; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 15 HGB Rz. 29 ff.; Krebs in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 15 HGB Rz. 58; Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 67 ff.
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Publizität des Handelsregisters | Rz. 31 § 15 HGB
plementärs und führte aus, dass der Vertrag zwischen der KG und dem Dritten wirksam (unter Heranziehung der tatsächlichen Rechtslage) begründet wurde und aufgrund der fehlenden Eintragung des Ausscheidens gem. § 15 Abs. 1 HGB die vermeintliche Rechtslage heranzuziehen sei. Die Entscheidung ist nicht ohne Kritik geblieben98. Dem BGH ist dennoch vollumfassend zuzustimmen, weil aufgrund der Heranziehung des Meistbegünstigungsprinzips am ehesten dem Schutz des Rechtsverkehrs entsprochen werden kann.
IV. Positive Publizität des Handelsregisters nach Abs. 3 1. Hintergrund der Regelung Ist eine einzutragende und bekannt gemachte Tatsache unrichtig eingetragen, so kann sich 29 ein Dritter demjenigen gegenüber, in dessen Angelegenheit die Tatsache einzutragen war, auf die eingetragene Tatsache berufen, es sei denn, dass er die Unrichtigkeit kannte, § 15 Abs. 3 HGB. Während § 15 Abs. 1 HGB das „Schweigen“ des Handelsregisters behandelt (negative Publizität), regelt § 15 Abs. 3 HGB das „Reden“ des Handelsregisters (positive Publizität). § 15 Abs. 3 HGB hat seinen Ursprung auf europäischer Ebene.99 Die Umsetzung des nationalen Gesetzgebers ging über die Mindestanforderungen des europäischen Richtliniengebers hinaus. So erfasst die deutsche Regelung nicht nur Kapitalgesellschaften, sondern alle Rechtsträger.100 § 15 Abs. 3 HGB wurde infolge des DiRUG inhaltlich angepasst. Damit wurde insbesondere 30 dem Umstand Rechnung getragen, dass die Bekanntmachung nicht mehr als eigenständiges Publizitätsmedium gilt, sondern gem. § 10 HGB als erstmalige Abrufung der Eintragung definiert wird. Aufgrund der damit verbundenen Kopplung von Eintragung und Bekanntmachung ist eine unrichtige Bekanntmachung nur noch dann denkbar, wenn bereits eine unrichtige Eintragung erfolgt ist.101 Maßgeblich für die Anwendung der Norm ist der Zeitpunkt des Vorgangs, der die Grundlage zur Herleitung des Rechts bildet.102
2. Einzutragende Tatsachen Wie § 15 Abs. 1 HGB erfordert auch § 15 Abs. 3 HGB das Vorliegen einer einzutragenden 31 Tatsache. Erfasst sind damit anmeldepflichtige Tatsachen oder eintragungsfähige Tatsachen mit konstitutiver Wirkung.103 Die Norm gilt hingegen nicht für eintragungsfähige Tatsachen ohne konstitutive Wirkung.104 Jedoch können in diesen Fällen die Grundsätze der allgemeinen Rechtsscheinhaftung greifen.105
98 Kritisch insbesondere Canaris, HandelsR, 2006, § 5 Rz. 26; John, ZHR 140 (1976), 236, 253 ff.; Klostermann, Die „Rosinentheorie“ des BGH, 1986; Reinicke, JZ 1985, 272 ff. 99 Zum europäischen Hintergrund umfassend Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 100 ff. 100 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 15 HGB Rz. 31. 101 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 15 HGB Rz. 31. 102 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 15 HGB Rz. 71; Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 116. 103 Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 105. 104 BGH v. 18.10.2016 – II ZR 314/15, NJW 2017, 559 Rz. 13 = ZIP 2017, 14; OLG Bremen v. 1.10.2015 – 5 U 21/14, NZG 2016, 185 Rz. 33 = GmbHR 2015, 1321; Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 105. 105 BGH v. 18.10.2016 – II ZR 314/15, NJW 2017, 559 Rz. 13 = ZIP 2017, 14; Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 105. Grobe | 729
§ 15 HGB Rz. 32 | Handelsregister; Unternehmensregister
3. Unrichtige Eintragung und Bekanntmachung 32 Infolge des DiRUG haben sich einige Probleme, die aufgrund der Zweiaktigkeit von Eintra-
gung und Bekanntmachung bestanden, in Luft aufgelöst.106 Dies gilt insbesondere für die Frage, ob § 15 Abs. 3 HGB a.F. dann Anwendung finden sollte, wenn auf einer zugrunde liegenden unrichtigen Eintragung eine richtige Bekanntmachung folgte.107 33 Maßgeblich für das nach § 15 Abs. 3 HGB geschützte Vertrauen ist das Vorliegen einer un-
richtig eingetragenen und bekannt gemachten Tatsache. Unrichtig ist die Eintragung, wenn sie im Zeitpunkt der erstmaligen Abrufbarkeit (Bekanntmachung) nicht mit der wahren Sach- und Rechtslage übereinstimmt.108
4. Veranlassung der Eintragung 34 Umstritten ist, ob es für die Anwendung des § 15 Abs. 3 HGB erforderlich ist, dass die feh-
lerhafte Bekanntmachung der Tatsache von dem Betroffenen veranlasst wurde.109 Obwohl es sich dabei um eine, in der Praxis nicht wirklich relevante Frage handelt110, hat sich ein umfassendes Schrifttum entwickelt. Die Gegner der Heranziehung eines Veranlassungsmerkmals stellen einerseits auf den Wortlaut der Norm ab, der gerade keine Veranlassung voraussetzt und anderseits auf den Zweck der Vorschrift als Regelung des abstrakten Verkehrsschutzes.111 Sollte es danach zu einer Eintragung und Bekanntmachungen eines völlig Unbeteiligten kommen, hat dieser die Möglichkeit, einen möglichen Schaden im Wege der Amtshaftung nach § 839 BGB geltend zu machen. Nach der h.M. ist allerdings das ungeschriebene Merkmal der Veranlassung erforderlich.112 Danach kann § 15 Abs. 3 HGB nur dann eine rechtliche Wirkung zu Lasten des betroffenen entfalten, wenn dieser einen Eintragungsantrag gestellt hat oder dieser Vorgang ihm zumindest zuzurechnen ist. Für die h.M. spricht, dass es nur sehr schwer überzeugen kann, einen völlig Unbeteiligten aufgrund fehlerhafter Eintragung und Bekanntmachung nach § 15 Abs. 1 HGB einer persönlichen, unbeschränkten und vor allem nicht vorher erkennbaren Haftung auszusetzen. Daneben kann auch der Wortlaut für das Erfordernis der Veranlassung angeführt werden, da nur solche Tatsachen erfasst sind, die in Angelegenheiten der Gesellschaft einzutragen sind.113 Insofern ist mit der h.M. das Merkmal der Veranlassung heranzuziehen.
106 Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 108; zu einzelnen Sonderfällen Lieder, DNotZ 2021, 830, 840 ff. 107 Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 108; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 15 HGB Rz. 37. 108 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 15 HGB Rz. 35. 109 Ausführlich zum Streitstand Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 109 ff. 110 Siehe etwa OLG Brandenburg v. 21.6.2012 – 5 U 66/11, ZIP 2012, 2103 ff.; vertiefend Teichmann in FS K. Schmidt, 2019, Bd. II, S. 471 ff.; ferner Tebben in FS Hopt, 2020, S. 1237, 1247 f. 111 Krebs in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 15 HGB Rz. 87 ff.; P. Hofmann, JA 1980, 264, 270; Schmidt-Kessel, GPR 2006, 6, 13 f.; Teichmann in FS K. Schmidt, 2019, Bd. II, S. 471, 478 ff. 112 OLG Brandenburg v. 21.6.2012 – 5 U 66/11, ZIP 2012, 2103, 2104 f.; Merkt in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 15 HGB Rz. 19; Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 110; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 15 HGB Rz. 61 ff.; Canaris, HandelsR, 24. Aufl. 2006, § 5 Rz. 51 f.; Canaris, Vertrauenshaftung, 1971, S. 162 ff.; Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 5 Rz. 27; Beuthien in FS Reinhardt, 1972, S. 199, 200 f.; Lieder, DNotZ 2021, 830, 843 f.; Liebscher, ZGR 2017, 389, 403 ff.; von Olshausen, BB 1970, 137, 140 ff.; Schilken, AcP 187 (1987), 1, 14 ff. 113 Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 110.
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Publizität des Handelsregisters | Rz. 38 § 15 HGB
Ob deshalb die Regelung auch auf nicht voll geschäftsfähige Personen Anwendung findet, 35 ist wiederum streitig.114 Da die h.M. im Rahmen von § 15 Abs. 3 HGB auf das Merkmal der Veranlassung abstellt und damit ein Zurechnungskriterium schafft, soll § 15 Abs. 3 HGB keine Anwendung finden, weil Zurechnungsfähigkeit als Ausgangspunkt Geschäftsfähigkeit voraussetze.115 Die h.M. schafft damit innerhalb von § 15 HGB einen Widerspruch, da im Rahmen von § 15 Abs. 1 HGB die mangende Geschäftsfähigkeit nicht zur Unanwendbarkeit der Regelung führt, bei § 15 Abs. 3 HGB hingegen schon. Überzeugender ist es hingegen, auf das auch im Rahmen von § 15 Abs. 1 HGB bestehende Organisationsrisiko abzustellen. Auch dieses bildet die Grundlage bei § 15 Abs. 3 HGB, da das Kriterium der Veranlassung vorliegend als verschuldensunabhängig anzusehen ist.116
5. Kenntnis des Dritten § 15 Abs. 3 HGB findet dann keine Anwendung, wenn der Dritte die Unrichtigkeit der Tatsache 36 positiv kannte. Bloßes Kennenmüssen bzw. (grob) fahrlässige Unkenntnis genügen nicht.117 Dass der Dritte keine Kenntnis hatte, wird widerlegbar vermutet, so dass der zur Anmeldung Verpflichtete zum Führen eines Gegenbeweises berechtigt ist.118 Geschützt wird das abstrakte Vertrauen im geschäftlichen Verkehr.119
6. Rechtsfolge Auch im Rahmen der Rechtsfolge von § 15 Abs. 3 HGB steht dem Dritten ein Wahlrecht 37 zu.120 So kann sich der Dritte zum einen auf die im Handelsregister eingetragene Tatsache berufen. Zum anderen kann er darauf verzichten und auf die tatsächliche Rechtslage gelten lassen. Insofern gelten die gleichen Grundsätze zur Rechtsfolge wie bei § 15 Abs. 1 HGB.
V. Zweigniederlassung und Doppelsitz (Abs. 4) Seit dem EHUG beschränkt sich der Anwendungsbereich von Abs. 4 auf Unternehmen mit 38 Hauptniederlassung oder Sitz im Ausland.121 Danach ist für den Geschäftsverkehr mit einer in das Handelsregister eingetragenen Zweigniederlassung eines Unternehmens mit Sitz oder Hauptniederlassung im Ausland die Eintragung und Bekanntmachung durch das Gericht der Zweigniederlassung maßgeblich. Liegt ein Doppelsitz vor, genügt es, dass sich der Dritte auf die Angaben eines Registers beruft.122 Er ist nicht gehalten, herauszufinden, zu welcher Niederlassung eine engere Beziehung besteht.123
114 Dazu Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 15 HGB Rz. 39 f.; Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 114. 115 Merkt in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 15 HGB Rz. 19; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 15 HGB Rz. 66; Canaris, HandelsR, 24. Aufl. 2006, § 5 Rz. 54; von Olshausen, BB 1970, 137, 142 f. 116 Ebenso Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 114. 117 Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 115; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 15 HGB Rz. 68. 118 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 15 HGB Rz. 69. 119 Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 115; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 15 HGB Rz. 70; K. Schmidt, UnternehmensR I, § 14 Rz. 93; Bürck, AcP 171 (1971), 328, 336 f. 120 Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 117. 121 Zur Vorgeschichte der Regelung Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 122. 122 So bereits Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 122; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 15 HGB Rz. 47. 123 Dafür aber Merkt in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 15 HGB Rz. 25. Grobe | 731
§ 15 HGB Rz. 39 | Handelsregister; Unternehmensregister
VI. Einschränkung der Anwendbarkeit bei einer Zweigniederlassung der Gesellschaft im Ausland (Abs. 5) 39 Der durch das DiRUG neu eingefügte Abs. 5 reagiert auf einen mit dem Europäischen Sys-
tem der Registervernetzung behafteten Makel: Die über dieses System gem. § 9b HGB i.V.m. § 13a HGB übertragenen Daten werden nicht durch das Registergericht auf ihre Korrektheit geprüft.124 Deshalb schränkt der Gesetzgeber den Anwendungsbereich der Publizitätswirkung von § 15 Abs. 1 bis Abs. 3 HGB entsprechend ein.125 Ein Verstoß gegen europarechtliche Vorgaben ist diesbezüglich nicht erkennbar.126
§ 15a HGB Öffentliche Zustellung 1
Ist bei einer juristischen Person, die zur Anmeldung einer inländischen Geschäftsanschrift zum Handelsregister verpflichtet ist, der Zugang einer Willenserklärung nicht unter der eingetragenen Anschrift oder einer im Handelsregister eingetragenen Anschrift einer für Zustellungen empfangsberechtigten Person oder einer ohne Ermittlungen bekannten anderen inländischen Anschrift möglich, kann die Zustellung nach den für die öffentliche Zustellung geltenden Vorschriften der Zivilprozessordnung erfolgen. 2 Zuständig ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk sich die eingetragene inländische Geschäftsanschrift der Gesellschaft befindet. 3§ 132 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bleibt unberührt. I. Normzweck; Anwendungsbereich . . . . . . II. Unmöglichkeit des Zugangs . . . . . . . . . . .
1 5
III. Öffentliche Zustellung . . . . . . . . . . . . . . .
7
Schrifttum: Ehinger, Auswirkungen des MoMiG auf die Praxis der GmbH & Co. KG, BB 2006, 2701; Seibert, GmbH-Reform – Der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen – MoMiG, ZIP 2006, 1157; Steffek, Zustellungen und Zugang von Willenserklärungen nach dem Regierungsentwurf zum MoMiG – Inhalt und Bedeutung der Änderungen für GmbHs, AGs und ausländische Kapitalgesellschaften, BB 2007, 2077; Stenzel, Handelsregistereintragung von c/o-Adressen, NZG 2011, 851.
I. Normzweck; Anwendungsbereich 1 Die durch das MoMiG eingefügte Vorschrift war eine Reaktion auf die Vielzahl sog. Firmen-
bestattungen.1 Bei diesen war eine geordnete Abwicklung der Gesellschaften nicht mehr möglich, weil die Geschäftsleitung bei Insolvenzreife abberufen und nicht nachbesetzt und/ oder das Geschäftslokal aufgegeben wurde.2
124 RegE, BT-Drucks. 19/28177, 100; Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 123. 125 RegE, BT-Drucks. 19/28177, 100. 126 Siehe dazu ausführlich Koch/Harnos in Staub, § 15 HGB Rz. 123; kritisch hingegen Linke, NZG 2021, 309, 315. 1 Vgl. BT-Drucks. 16/6140, 53; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 15a HGB Rz. 1. 2 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 15a HGB Rz. 2.
732 | Grobe
Öffentliche Zustellung | Rz. 6 § 15a HGB
Die Norm erfasst nur Erklärungen, deren Empfänger als juristische Person zur Anmeldung 2 einer inländischen Geschäftsanschrift zum Handelsregister verpflichtet ist.3 Dazu zählen die GmbH (§ 8 Abs. 4 Nr. 1 GmbHG), die AG (§ 37 Abs. 3 Nr. 1 AktG), die KGaA (§ 278 Abs. 3 AktG) sowie die SE (§ 3 SEAG). Keine Anwendung findet die Regelung daher auf Einzelkaufleute und Personenhandelsgesellschaften4 (oHG, KG), aber auch auf Vereine, juristische Personen nach § 33 HGB sowie Genossenschaften. Ebenfalls keine Anwendung findet die Regelung auf die eGbR, da bereits die Verweisung in § 707a Abs. 3 BGB als auch in § 707b BGB nicht den § 15a HGB erfasst. Auf die Komplementärin einer Kapitalgesellschaft & Co. KG findet die Norm grundsätzlich 3 auch Anwendung,5 es sei denn, dass eine natürliche Person als persönlich haftender Gesellschafter daneben agiert.6 Die Regelung findet auch auf Zweigniederlassungen inländischer Kapitalgesellschaften An- 4 wendung, wobei aufgrund des ultima-ratio-Charakters der Norm zuvor eine Zustellung unter der Anschrift der Hauptniederlassung bzw. anderer Zweigniederlassungen zu versuchen ist.7 Auf Zweigniederlassungen ausländischer Gesellschaften findet die Norm nur dann Anwendung, wenn die ausländische Gesellschaftsform einer deutschen Gesellschaftsform entspricht und § 15a HGB auf diese Anwendung findet.8
II. Unmöglichkeit des Zugangs Der Zugang der Willenserklärung muss unmöglich sein. Dies ist nach § 15a HGB dann der 5 Fall, wenn der Zugang einer Willenserklärung nicht unter der eingetragenen Anschrift oder einer im Handelsregister eingetragenen Anschrift einer für Zustellungen empfangsberechtigten Person oder einer ohne Ermittlungen bekannten anderen inländischen Anschrift möglich ist. Die Anforderungen an die Unerreichbarkeit entsprechen denen aus § 185 Nr. 2 ZPO.9 Der ultima-ratio-Charakter der Regelung erfordert eine genaue Prüfung, ob der Versuch einer Zustellung nicht doch möglich erscheint. Gegen eine solche Zustellmöglichkeit spricht nicht bereits, dass es sich um eine c/o-Anschrift handelt.10 Anderes gilt dann, wenn gar keine Anschrift ersichtlich ist.11 Was unter der Variante einer „ohne Ermittlungen bekannte(n) Anschrift“ zu verstehen ist, 6 wird auch unter Hinzuziehung der Gesetzesbegründung nicht deutlich. Diese spricht allein davon, dass die im Handelsregister eingetragenen Anschriften maßgeblich sind.12 Zu Recht wird daran kritisiert, dass die Variante nach diesem Verständnis keinen eigenen Anwendungsbereich habe.13 Vielmehr sind auch solche Anschriften erfasst, die der anderen Seite aufgrund des Kontakts aus Geschäftsbriefen14 oder aus E-Mails (Signatur) mit der Gesellschaft bekannt 3 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 15a HGB Rz. 3. 4 Vgl. OLG Schleswig v. 14.11.2011 – 2 W 48/11, GmbHR 2012, 800. 5 BT-Drucks. 16/6140, 50; Ehinger, BB 2006, 2701, 2703; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 15a HGB Rz. 2. 6 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 15a HGB Rz. 9; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 15a HGB Rz. 4. 7 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 15a HGB Rz. 3. 8 BT-Drucks. 16/6140, 53; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 15a HGB Rz. 7. 9 Steffek, BB 2007, 2077. 10 Stenzel, NZG 2011, 851. 11 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 15a HGB Rz. 4. 12 BT-Drucks. 16/6140, 53. 13 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 15a HGB Rz. 12; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 15a HGB Rz. 5. 14 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 15a HGB Rz. 5. Grobe | 733
§ 15a HGB Rz. 6 | Handelsregister; Unternehmensregister sind, d.h. wenn sie vollständig sind und somit für eine Zustellung genügen. Von der Norm nicht erfasst sind ausländische Anschriften.15
III. Öffentliche Zustellung 7 Zuständig für die öffentliche Zustellung ist nach § 15a Satz 2 HGB das AG, in dessen Bezirk
sich die im Handelsregister eingetragene inländische Geschäftsanschrift der Gesellschaft befindet. Ob unter dieser Adresse ein Geschäftslokal betrieben wird, ist hinsichtlich der öffentlichen Zustellung nicht von Relevanz.16 8 Die öffentliche Zustellung erfolgt nach § 185 ZPO durch öffentliche Bekanntmachung. Diese
erfordert den Aushang einer Benachrichtigung an der Gerichtstafel oder die Veröffentlichung der Benachrichtigung in einem elektronischen Informations- und Kommunikationssystem, das im Gericht öffentlich zugänglich ist, § 186 Abs. 1 ZPO. 9 Der Zugang der Willenserklärung wird durch die erfolgte öffentliche Zustellung fingiert.
Dies folgt aus § 15a Satz 3 HGB i.V.m. § 132 Abs. 1 BGB. Die Gesellschaft muss den Zugang auch dann gegen sich gelten lassen, wenn die in das Handelsregister eingetragene Anschrift falsch ist.17 Dies folgt aus § 15 HGB, da es sich bei der Geschäftsanschrift um eine einzutragende und bekannt zu machende Tatsache handelt.18 10 Erfolgte die öffentliche Zustellung aufgrund falscher Angaben des Antragstellers und war
dies für das bewirkende Gericht nicht erkennbar, ist die Zustellung dennoch als wirksam anzusehen.19 Wurde die öffentliche Zustellung mit unrichtigen Angaben bewirkt, bestehen Ansprüche aus Deliktsrecht.20
§ 16 HGB [Entscheidung des Prozessgerichts] (1) 1Ist durch eine rechtskräftige oder vollstreckbare Entscheidung des Prozeßgerichts die Verpflichtung zur Mitwirkung bei einer Anmeldung zum Handelsregister oder ein Rechtsverhältnis, bezüglich dessen eine Eintragung zu erfolgen hat, gegen einen von mehreren bei der Vornahme der Anmeldung Beteiligten festgestellt, so genügt zur Eintragung die Anmeldung der übrigen Beteiligten. 2Wird die Entscheidung, auf Grund deren die Eintragung erfolgt ist, aufgehoben, so ist dies auf Antrag eines der Beteiligten in das Handelsregister einzutragen. (2) Ist durch eine rechtskräftige oder vollstreckbare Entscheidung des Prozeßgerichts die Vornahme einer Eintragung für unzulässig erklärt, so darf die Eintragung nicht gegen den Widerspruch desjenigen erfolgen, welcher die Entscheidung erwirkt hat.
15 BT-Drucks. 16/6140, 51; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 15a HGB Rz. 22; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 15a HGB Rz. 12; OLG Saarbrücken v. 18.12.2012 – 4 U 310/11, NJWRR 2013, 679. 16 Seibert, ZIP 2006, 1157, 1166; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 15a HGB Rz. 23. 17 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 15a HGB Rz. 7; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 15a HGB Rz. 15. 18 Ebenso Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 15a HGB Rz. 14. 19 BGH v. 19.12.2001 – VIII ZR 282/00, BGHZ 149, 311 = NJW 2002, 827. 20 BGH v. 6.10.1971 – VIII ZR 165/69, BGHZ 57, 108 = NJW 1971, 2226; strenger hingegen Schultzky in Zöller, 34. Aufl. 2022, § 186 ZPO Rz. 10: Unwirksamkeit der Zustellung.
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§ 15a HGB Rz. 6 | Handelsregister; Unternehmensregister sind, d.h. wenn sie vollständig sind und somit für eine Zustellung genügen. Von der Norm nicht erfasst sind ausländische Anschriften.15
III. Öffentliche Zustellung 7 Zuständig für die öffentliche Zustellung ist nach § 15a Satz 2 HGB das AG, in dessen Bezirk
sich die im Handelsregister eingetragene inländische Geschäftsanschrift der Gesellschaft befindet. Ob unter dieser Adresse ein Geschäftslokal betrieben wird, ist hinsichtlich der öffentlichen Zustellung nicht von Relevanz.16 8 Die öffentliche Zustellung erfolgt nach § 185 ZPO durch öffentliche Bekanntmachung. Diese
erfordert den Aushang einer Benachrichtigung an der Gerichtstafel oder die Veröffentlichung der Benachrichtigung in einem elektronischen Informations- und Kommunikationssystem, das im Gericht öffentlich zugänglich ist, § 186 Abs. 1 ZPO. 9 Der Zugang der Willenserklärung wird durch die erfolgte öffentliche Zustellung fingiert.
Dies folgt aus § 15a Satz 3 HGB i.V.m. § 132 Abs. 1 BGB. Die Gesellschaft muss den Zugang auch dann gegen sich gelten lassen, wenn die in das Handelsregister eingetragene Anschrift falsch ist.17 Dies folgt aus § 15 HGB, da es sich bei der Geschäftsanschrift um eine einzutragende und bekannt zu machende Tatsache handelt.18 10 Erfolgte die öffentliche Zustellung aufgrund falscher Angaben des Antragstellers und war
dies für das bewirkende Gericht nicht erkennbar, ist die Zustellung dennoch als wirksam anzusehen.19 Wurde die öffentliche Zustellung mit unrichtigen Angaben bewirkt, bestehen Ansprüche aus Deliktsrecht.20
§ 16 HGB [Entscheidung des Prozessgerichts] (1) 1Ist durch eine rechtskräftige oder vollstreckbare Entscheidung des Prozeßgerichts die Verpflichtung zur Mitwirkung bei einer Anmeldung zum Handelsregister oder ein Rechtsverhältnis, bezüglich dessen eine Eintragung zu erfolgen hat, gegen einen von mehreren bei der Vornahme der Anmeldung Beteiligten festgestellt, so genügt zur Eintragung die Anmeldung der übrigen Beteiligten. 2Wird die Entscheidung, auf Grund deren die Eintragung erfolgt ist, aufgehoben, so ist dies auf Antrag eines der Beteiligten in das Handelsregister einzutragen. (2) Ist durch eine rechtskräftige oder vollstreckbare Entscheidung des Prozeßgerichts die Vornahme einer Eintragung für unzulässig erklärt, so darf die Eintragung nicht gegen den Widerspruch desjenigen erfolgen, welcher die Entscheidung erwirkt hat.
15 BT-Drucks. 16/6140, 51; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 15a HGB Rz. 22; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 15a HGB Rz. 12; OLG Saarbrücken v. 18.12.2012 – 4 U 310/11, NJWRR 2013, 679. 16 Seibert, ZIP 2006, 1157, 1166; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 15a HGB Rz. 23. 17 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 15a HGB Rz. 7; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 15a HGB Rz. 15. 18 Ebenso Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 15a HGB Rz. 14. 19 BGH v. 19.12.2001 – VIII ZR 282/00, BGHZ 149, 311 = NJW 2002, 827. 20 BGH v. 6.10.1971 – VIII ZR 165/69, BGHZ 57, 108 = NJW 1971, 2226; strenger hingegen Schultzky in Zöller, 34. Aufl. 2022, § 186 ZPO Rz. 10: Unwirksamkeit der Zustellung.
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Entscheidung des Prozessgerichts | Rz. 4 § 16 HGB I. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ersetzung der Anmeldung nach Abs. 1 Satz 1 1. Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . 2. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Aufhebung der Entscheidung (Abs. 1 Satz 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 IV. Unzulässigkeit der Eintragung (Abs. 2) 1. Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . 11 2. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
Schrifttum: Reichert/Winter, Die „Abberufung“ und Ausschließung des geschäftsführenden Gesellschafters der Publikums-Personengesellschaft, BB 1988, 981; Vollmer, Die Wirkungen rechtskräftiger Schiedssprüche bei gesellschaftsrechtlichen Gestaltungsklagen, BB 1984, 1774.
I. Normzweck Die Regelung von § 16 HGB behandelt Sonderfragen zur Bindungswirkung von Prozessent- 1 scheidungen in Registerverfahren. Grundsätzlich haben Entscheidungen des Prozessgerichts keine Bindungswirkung für das Registergericht.1 Allerdings kann sich aus dem Gegenstand der Entscheidung eine Bindungswirkung für das Registergericht ergeben. Dies gilt bspw. für die Verurteilung zur Abgabe einer Registeranmeldung nach § 894 ZPO oder für (stattgebende2) Gestaltungsurteile.3 § 16 Abs. 1 HGB regelt den Fall der Eintragung nach Anmeldung, bei der mehrere Beteiligte 2 zur Anmeldung verpflichtet sind. Folglich ist der Anwendungsbereich nicht eröffnet, wenn die Anmeldepflicht nur eine Person trifft.4 Nach § 16 Abs. 2 HGB kann die Entscheidung des Prozessgerichts über die Unzulässigkeit 3 der Vornahme einer Eintragung durch die anschließende Geltendmachung eines Widerspruchs gegenüber dem Registergericht die Eintragungen in das Handelsregister verhindern. Nicht erforderlich ist, dass der Kläger zugleich Beteiligter des Registerverfahrens ist.5
II. Ersetzung der Anmeldung nach Abs. 1 Satz 1 1. Tatbestandsvoraussetzungen § 16 Abs. 1 HGB erfasst den Sonderfall, dass mehrere Personen gemeinsam die Anmeldung 4 zum Handelsregister vornehmen müssen und nicht alle Verpflichteten die Anmeldung erklärt haben. In diesem Fall liegt kein ordnungsgemäßer Eintragungsantrag vor, so dass die Eintragung unzulässig ist.6 Um dieser Situation zu begegnen, kann die für die Registereintragung erforderliche Anmeldung durch eine Entscheidung des Prozessgerichts ersetzt werden. Insofern stellt § 16 Abs. 1 HGB eine Ergänzung der registerrechtlichen Instrumentarien zur Erfüllung der Anmeldepflicht dar. Weigern sich alle Anmeldepflichten, die Eintragung zu veranlassen, ist als Beugemittel die Verhängung eines Zwangsgeldes nach § 14 HGB sachgerecht.7
1 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 16 HGB Rz. 16; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 4 ff. 2 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 6. 3 Ausführlich dazu Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 4 ff. 4 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 2; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 1. 5 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 14. 6 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 10. 7 Koch/Harnos in Staub, § 16 HGB Rz. 13; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 11. Grobe | 735
§ 16 HGB Rz. 5 | Handelsregister; Unternehmensregister 5 Um die Anmeldungserklärung zu ersetzen, hat das Prozessgericht die Mitwirkungspflicht
des Anmeldepflichtigen oder das Bestehen eines eintragungspflichten Rechtsverhältnis festzustellen. Für die Feststellung genügen Leistungs- oder Gestaltungsurteil8; einer Feststellungsklage nach § 256 ZPO bedarf es nicht.9 6 Mitwirkungspflichten bestehen sowohl in öffentlich-rechtlicher als auch in privatrecht-
licher Form: Der Anmeldepflichtige unterliegt zum einen einer (öffentlich-rechtlichen) Pflicht gegenüber dem Handelsregister zur Eintragung. Diese Pflicht kann durch das Registergericht nach § 14 HGB zwangsweise durchgesetzt werden. Zum anderen unterliegt der Anmeldepflichtige einer privatrechtlichen Mitwirkungspflicht gegenüber den anderen Mitwirkenden, wenn diese ebenfalls zur Anmeldung gesetzlich verpflichtet sind. Diese privatrechtliche Mitwirkungspflicht ist im Rahmen von § 16 Abs. 1 HGB von Relevanz. Zu diesen privatrechtlichen Mitwirkungspflichten gehören § 106 Abs. 7, §§ 141, 142 Abs. 3, §§ 147, 151 Abs. 1, § 152 Abs. 1, Abs. 2, § 175 HGB. Weigert sich von mehreren Verpflichteten nur einer, die Anmeldung zu erklären, kann diesem gegenüber nach § 14 ein Zwangsgeld verhängt werden.10 7 Die weitere in § 16 Abs. 1 HGB aufgeführte Variante der Feststellung eines eintragungs-
pflichtigen Rechtsverhältnisses macht eine gesonderte Klage auf Mitwirkung bei der Anmeldung entbehrlich.11 8 § 16 HGB setzt eine rechtskräftige oder vollstreckbare Entscheidung des Prozessgerichts vo-
raus. Damit weicht die Bestimmung von der vollstreckungsrechtlichen Regelung nach § 894 ZPO nach unten ab, wonach die Erklärung als abgegeben gilt, sobald das Urteil die Rechtskraft erlangt hat. Nach § 16 Abs. 1 HGB können demzufolge auch vorläufig vollstreckbare Entscheidungen12 sowie einstweilige Verfügungen die Anmeldung ersetzen.13 Bei Letzterer hat das Registergericht zu prüfen, dass die Monatsfrist nach § 929 Abs. 2, § 936 ZPO noch nicht abgelaufen ist.14 Allerdings berechtigen nicht alle sonstigen Vollstreckungstitel i.S.d. § 794 Abs. 1 ZPO zur Ersetzung der Anmeldung nach § 16 Abs. 1 HGB. So sind Prozessvergleiche, notarielle Urkunden und Schiedssprüche nicht von § 16 Abs. 1 HGB erfasst. Während dies bei Prozessvergleich und notarieller Urkunde aus dem fehlenden Entscheidungscharakter folgt15, scheiden Schiedssprüche selbst – obwohl sie nach § 1055 ZPO die Wirkung eines rechtskräftigen Urteils haben – wegen ihrer fehlenden Eigenschaft als Vollstreckungstitel aus.16 Erst die rechtskräftige Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruches nach § 794 Abs. 1 Nr. 4a ZPO kann nach § 16 Abs. 1 HGB die Anmeldungserklärung ersetzen.17
8 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 10. 9 Koch/Harnos in Staub, § 16 HGB Rz. 16; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 12. 10 BayObLG v. 4.4.1978 – BReg. 1 Z 15/78, MittBayNot 1978, 115, 116; Koch/Harnos in Staub, § 16 HGB Rz. 13; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 8. 11 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 15. 12 Ist das Urteil nur gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar, ist die Sicherheitsleistung vor Eintragung nachzuweisen, s. Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 18. 13 Der Vollzug der einstweiligen Verfügung ist vor Eintragung nachzuweisen, Koch/Harnos in Staub, § 16 HGB Rz. 14. 14 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 23. 15 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 19. 16 Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 6. 17 BayObLG v. 24.2.1984 – BReg. 3 Z 197/83, Rpfleger 1984, 239 = GmbHR 1985, 86; Koch/Harnos in Staub, § 16 HGB Rz. 15; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 6; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 16 HGB Rz. 18; a.A. Vollmer, BB 1984, 1774, der die Notwendigkeit einer Vollstreckbarerklärung verneint.
736 | Grobe
Entscheidung des Prozessgerichts | Rz. 10 § 16 HGB
2. Rechtsfolge Die stattgebende Entscheidung des Prozessgerichts ersetzt die Anmeldeerklärung des Beklag- 9 ten. Eine etwaige Weisungskompetenz des Prozessgerichts gegenüber dem Registergericht auf Vornahme der Eintragung besteht allerdings nicht.18 Die anderen Anmeldeverpflichteten sind berechtigt, unter Vorlage der Entscheidung die Eintragung zu beantragen.19 Liegt dem Registergericht die vollstreckbare, den Anforderungen des § 16 Abs. 1 HGB entsprechende Entscheidung vor, ist die Eintragung vorzunehmen. Das Ermessen des Registergerichts ist insofern beschränkt. Die Möglichkeit, das Eintragungsverfahren bis zum Eintritt der Rechtskraft auszusetzen, besteht nicht.20 Etwas anderes gilt jedoch für den Fall, dass das Registergericht von Tatsachen Kenntnis erlangt, die dem Prozessgericht bei der Entscheidung nicht bekannt waren. In diesem Fall ist das Registergericht an die noch nicht rechtskräftige Entscheidung des Prozessgerichts nicht gebunden.21 Hat das Gericht aufgrund des § 16 Abs. 1 HGB die Eintragung vorgenommen, hat nach § 18 Satz 1 HRV ein Vermerk zu erfolgen; er entfällt, wenn der Betroffene seiner Anmeldepflicht selbst nachgekommen ist.22
III. Aufhebung der Entscheidung (Abs. 1 Satz 2) Nach § 16 Abs. 1 Satz 2 HGB ist die Aufhebung der Entscheidung des Prozessgerichts, die 10 die Grundlage für die Eintragung nach § 16 Abs. 1 Satz 1 HGB bildete, auf Antrag eines Beteiligten ebenfalls im Handelsregister zu vermerken. Die Regelung berücksichtigt damit die durch § 16 Abs. 1 Satz 1 HGB geschaffene Unsicherheit, aufgrund einer vorläufig vollstreckbaren Entscheidung des Prozessgerichts eine Eintragung herbeigeführt zu haben.23 Für die Aufhebungsentscheidung genügt ebenfalls, dass sie vorläufig vollstreckbar ist.24 § 16 Abs. 1 Satz 2 HGB findet nur Anwendung, wenn die Eintragung aufgrund der Ersetzung nach § 16 Abs. 1 Satz 1 HGB erfolgte. Im Fall, dass der Betroffene selbst die Anmeldung noch erklärt hat, gilt § 16 Abs. 1 Satz 2 HGB nicht.25 Strittig ist, wie sich die Aufhebung auf die Eintragung unmittelbar auswirkt. Vereinzelt wird davon ausgegangen, dass die frühere Eintragung ihre Wirksamkeit verliert.26 Überzeugender und der Struktur des Registerrechts eher entsprechend sind die Möglichkeiten, eine Löschung durch Anmeldung oder von Amts wegen herbeizuführen.27 Da die Aufhebung der Entscheidung sowohl den Inhalt als auch die Vollstreckbarkeit betreffen kann, ist der Antrag auf Eintragung der Aufhebung ebenfalls begründet, wenn die vorläufige Vollstreckbarkeit nach § 717 Abs. 1 ZPO aufgehoben wird.
18 Koch/Harnos in Staub, § 16 HGB Rz. 22; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 21; a.A. Reichert/Winter, BB 1988, 981, 991. 19 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 20. 20 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 22. 21 Koch/Harnos in Staub, § 16 HGB Rz. 9. 22 Koch/Harnos in Staub, § 16 HGB Rz. 25; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 24. 23 Vgl. Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 25. 24 Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 16 HGB Rz. 11. 25 Koch/Harnos in Staub, § 16 HGB Rz. 26. 26 Müller in Ensthaler, 8. Aufl. 2015, § 16 HGB Rz. 6. 27 Koch/Harnos in Staub, § 16 HGB Rz. 28; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 13; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 25. Grobe | 737
§ 16 HGB Rz. 11 | Handelsregister; Unternehmensregister
IV. Unzulässigkeit der Eintragung (Abs. 2) 1. Tatbestandsvoraussetzungen 11 § 16 Abs. 2 HGB bildet die Grundlage für den vorbeugenden Rechtsschutz im Registerver-
fahren.28 Voraussetzung dafür ist, dass der klagende Dritte eine Prozessentscheidung über die Unzulässigkeit der Eintragung des Anmeldenden erwirkt hat.29 Darunter ist die Geltendmachung eines materiellen Anspruchs des Dritten gegen den Anmeldenden zu verstehen, der auf die Nichtvornahme der Anmeldung abzielt.30 Mögliche Streitkonstellationen betreffen bspw. das Firmenrecht und den unzulässigen Gebrauch nach § 37 Abs. 2 HGB31 oder das Anfechtungsrecht32 des Aktionärs nach § 245 AktG. Der klagende Dritte muss im Rahmen des Abs. 2 nicht Beteiligter des Registerverfahrens sein.33 12 Von § 16 Abs. 2 HGB sind nicht nur diejenigen Prozessentscheidungen erfasst, die bereits in
Rechtskraft erwachsen sind. Die Regelung erfasst auch vorläufig vollstreckbare Entscheidungen und sogar einstweilige Verfügungen.34 13 Wird der Klage des Dritten auf Nichtvornahme der Anmeldung stattgegeben, ist er nach
§ 16 Abs. 2 HGB berechtigt, einen Widerspruch gegen die Eintragung des Anmeldenden zu erklären, der vom Registergericht berücksichtigt werden muss.35 Ein Formerfordernis besteht nicht, so dass auch konkludent der Widerspruch durch Einreichung der Entscheidung erklärt werden kann.36
2. Rechtsfolge 14 § 16 Abs. 2 HGB ermöglicht es, den im Nachgang des Prozesses erhobenen Widerspruch des
obsiegenden Klägers im Rahmen des Registerverfahrens zu berücksichtigen.37 Eine entsprechende Anwendung auf den umgekehrten Fall der Klageabweisung um einen im Registerverfahren beachtlichen Anspruch des Gegners auf Eintragung herzuleiten, ist nicht möglich.38 15 Der Widerspruch des Klägers verhindert die Eintragung im Handelsregister, soweit das Re-
gistergericht an die Entscheidung des Prozessgerichts gebunden ist. Liegt eine solche Bindung vor, hat das Registergericht die Rechtmäßigkeit der Entscheidung nicht zu prüfen.39 Fehlt es an der Bindungswirkung, kann das Gericht nach pflichtgemäßen Ermessen entscheiden.40 In diesem Fall ist auch eine Aussetzung des Registerverfahrens nach § 21 FamFG möglich.41
28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41
Koch/Harnos in Staub, § 16 HGB Rz. 33; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 28. Zur Tenorierung Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 16 HGB Rz. 13. Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 28. Koch/Harnos in Staub, § 16 HGB Rz. 33; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 28. LG Heilbronn v. 8.9.1971, AG 1971, 372; Koch/Harnos in Staub, § 16 HGB Rz. 33. Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 3. Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 30. Müther in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 16 HGB Rz. 15. Koch/Harnos in Staub, § 16 HGB Rz. 34; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 16. Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 18. Dazu vertiefend Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 34. Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 32. Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 32. Koch/Harnos in Staub, § 16 HGB Rz. 36; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 32.
738 | Grobe
Begriff der OHG; Anwendbarkeit des BGB | § 105 HGB
Ist die Eintragung bereits erfolgt, kann der Widerspruch seine Wirkung nicht mehr entfal- 16 ten.42 Die ergangene Entscheidung des Prozessgerichts über die Unzulässigkeit der Eintragung berechtigt auch nicht zur Löschung der Eintragung.43 Allerdings kann der Kläger entweder ein Amtslöschungsverfahren anregen oder gegen den Anmeldenden einen Anspruch auf Löschung der Eintragung gerichtlich durchsetzen.44
Offene Handelsgesellschaft (§§ 105–152) Errichtung der Gesellschaft (§§ 105–107)
§ 105 HGB Begriff der offenen Handelsgesellschaft; Anwendbarkeit des Bürgerlichen Gesetzbuchs (1) Eine Gesellschaft, deren Zweck auf den Betrieb eines Handelsgewerbes unter gemeinschaftlicher Firma gerichtet ist, ist eine offene Handelsgesellschaft, wenn bei keinem der Gesellschafter die Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern beschränkt ist. (2) Die offene Handelsgesellschaft kann Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen. (3) Auf die offene Handelsgesellschaft finden, soweit in diesem Abschnitt nichts anderes vorgeschrieben ist, die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Gesellschaft entsprechende Anwendung. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Regelungsgegenstand und -zweck; Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Merkmale einer OHG (Abs. 1) 1. OHG als Gesellschaft im engeren Sinne . 2. Gesellschaftszweck: Betrieb eines Handelsgewerbes unter gemeinschaftlicher Firma a) Gewerbebegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 3
6
b) Handelsgewerbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gemeinsame Firma . . . . . . . . . . . . . . . 3. Keine Haftungsbeschränkung . . . . . . . . . III. Rechtsfähigkeit der OHG (Abs. 2); Kaufmannseigenschaft . . . . . . . . . . . . . . IV. Entsprechende Anwendung des GbR-Rechts (Abs. 3) . . . . . . . . . . . . . . . .
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Schrifttum: Fleischer, Rechtsquellen des OHG-Rechts und Reichweite der OHG-Regeln, DStR 2020, 2137; Fleischer, Ein Rundflug über das OHG-Recht im Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, BB 2021, 386; Fleischer, Zur Rechtsnatur der OHG und ihres Gesellschaftsvertrags, NZG 2021, 949. Vgl. ferner das Schrifttum zu § 705 BGB.
42 Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 32. 43 Koch/Harnos in Staub, § 16 HGB Rz. 35; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 13; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 33. 44 Koch/Harnos in Staub, § 16 HGB Rz. 35; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 16 HGB Rz. 33. Grobe und Koch/Harnos | 739
§ 105 HGB Rz. 1 | Offene Handelsgesellschaft
I. Regelungsgegenstand und -zweck; Entwicklung 1 § 105 HGB eröffnet das zweite Buch des HGB, in dem die Personenhandelsgesellschaften –
also die offene Handelsgesellschaft (OHG, §§ 105–152 HGB im ersten Abschnitt) und die Kommanditgesellschaft (KG; §§ 161–179 HGB im zweiten Abschnitt) – sowie die stille Gesellschaft (§§ 230–236 HGB im dritten Abschnitt) geregelt sind. Dabei gelten die Vorschriften des ersten Abschnitts unmittelbar für lediglich ca. 23.000 offene Handelsgesellschaften. Ihre praktische Relevanz darf aber trotz der verhältnismäßig schwachen und zugleich rückläufigen Verbreitung der Rechtsform der OHG nicht unterschätzt werden. §§ 105–152 HGB finden nämlich gem. § 161 Abs. 2 HGB auch auf die ca. 291.000 Kommanditgesellschaften entsprechende Anwendung (s. § 161 HGB Rz. 30 ff.).1 Diese Verweisungstechnik führt dazu, dass die OHG als Grundform der Personenhandelsgesellschaft bezeichnet werden kann.2 Der an der Spitze des ersten Abschnitts stehende § 105 HGB enthält eine Definition der OHG (Abs. 1 und Rz. 3 ff.), eine deklaratorische Aussage zur Rechtsfähigkeit der OHG (Abs. 2 und Rz. 17 ff.) und einen Verweis auf die Vorschriften des GbR-Rechts in §§ 705 ff. BGB (Abs. 3 und Rz. 20 ff.). 2 Mit dem MoPeG gingen keine Änderungen des § 105 Abs. 1 HGB einher. Geändert wurde
hingegen § 105 Abs. 2 HGB, der in der Fassung vor dem MoPeG das OHG-Recht für kleingewerbliche Gesellschaften und Vermögensverwaltungsgesellschaften öffnete. Diese Regelung findet sich nunmehr in § 107 Abs. 1 Satz 1 HGB (s. dazu § 107 HGB Rz. 2 ff.). An ihre Stelle sollte nach dem Mauracher Entwurf,3 dem Referentenentwurf4 und dem Regierungsentwurf5 des MoPeG der Verweis auf das GbR-Recht treten; § 105 Abs. 3 HGB sollte ersatzlos entfallen. Auf die Beschlussvorlage des Rechtsausschusses hin6 wurde in § 105 Abs. 2 HGB die Rechtsfähigkeit der Personenhandelsgesellschaften klargestellt.7 Der Verweis auf das GbR-Recht ist in § 105 Abs. 3 HGB geblieben, wurde aber im Vergleich zur Gesetzesfassung vor dem MoPeG um das Wort „entsprechend“ ergänzt (s. dazu Rz. 20).
II. Merkmale einer OHG (Abs. 1) 1. OHG als Gesellschaft im engeren Sinne 3 Nach § 105 Abs. 1 HGB ist die OHG eine Gesellschaft, deren Zweck auf den Betrieb eines
Handelsgewerbes unter gemeinschaftlicher Firma gerichtet ist (dazu Rz. 6 ff.), wenn bei kei-
1 Zur Verbreitung der OHG, KG und anderen Gesellschaftsformen vgl. Bayer/Lieder/Hoffmann, GmbHR 2023, 777 Rz. 6. Anders war das zahlenmäßige Verhältnis der OHG und KG noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts, vgl. Wiedemann, Gesellschaftsrecht II, 2004, § 9 I 5: 27.000 OHG und 1.600 KG im Jahr 1907. 2 Zur EWIV als europäischer Spielart der OHG vgl. etwa Haas/Wöstmann in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 105 HGB Rz. 161 ff. 3 Gesetzesentwurf einer Expertenkommission zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts vom April 2020, abrufbar unter https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/News/PM/0420 20_Entwurf_Mopeg.pdf?__blob=publicationFile&v=3. 4 Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) v. 19.11.2020, abrufbar unter https://www.bmj.de/Shared Docs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_Personengesellschaftsrecht.pdf?__blob=publica tionFile&v=1. 5 BT-Drucks. 19/2763. 6 Der Rechtsausschuss dürfte sich am Vorschlag Bachmanns im Rahmen der Sachverständigenanhörung orientiert haben, vgl. Bachmann, Stellungnahme i.R.d. Sachverständigenanhörung v. 18.1.2021, S. 13. 7 Vgl. Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 19/31105, 8.
740 | Koch/Harnos
Begriff der OHG; Anwendbarkeit des BGB | Rz. 5 § 105 HGB
nem der Gesellschafter die Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern beschränkt ist (dazu Rz. 15 f.). Aus dieser Definition folgt, dass eine OHG die allgemeinen Merkmale einer Gesellschaft aufweisen muss: Die Gesellschafter8 müssen einen Gesellschaftsvertrag abgeschlossen, einen gemeinsamen Zweck vereinbart und Förderpflichten übernommen haben. Weil die OHG eine Gesellschaft im engeren Sinne ist, die strukturell auf der GbR aufbaut (s. dazu § 705 BGB Rz. 4), gelten hinsichtlich des (grds. formlosen) Gesellschaftsvertrags – der einen schuldrechtlichen und organisationsrechtlichen Charakter aufweist (§ 705 BGB Rz. 19)9 – die Ausführungen in § 705 BGB Rz. 7 ff., hinsichtlich der Förderpflichten die Erläuterungen in § 705 BGB Rz. 44 ff. entsprechend.10 Wie die GbR wird die OHG mit dem Abschluss des Gesellschaftsvertrags im Innenverhält- 4 nis errichtet (§ 705 BGB Rz. 6). Im Außenverhältnis entsteht sie nach Maßgabe des § 123 Abs. 1 HGB, sobald sie im Handelsregister eingetragen ist oder wenn sie mit Zustimmung sämtlicher Gesellschafter am Rechtsverkehr teilnimmt, soweit sich aus § 107 Abs. 1 HGB nichts anderes ergibt (im Einzelnen § 123 HGB Rz. 8 ff.).11 Besonderheiten gelten, wenn ein Einzelkaufmann eine OHG gründet und dabei sein einzelkaufmännisches Unternehmen als Einlage in die Gesellschaft einbringt. In einem solchen Fall greift § 28 HGB ein:12 Vorbehaltlich einer abweichenden Vereinbarung (s. § 28 Abs. 2 HGB13) haftet die OHG gem. § 28 Abs. 1 Satz 1 HGB für alle im Betrieb des Geschäfts entstandenen Verbindlichkeiten des (ehemaligen) Einzelkaufmanns.14 Überdies ist die Schuldnerschutzvorschrift des § 28 Abs. 1 Satz 2 HGB zu beachten.15 Zur Entstehung der OHG durch identitätswahrende Umwandlung einer kleingewerblichen GbR s. Rz. 12. Zur identitätswahrenden Umwandlung einer KG in eine OHG s. Rz. 16. Zum Formwechsel nach dem UmwG s. § 214 UmwG Rz. 1 ff. Wie in der GbR obliegen den Gesellschaftern einer OHG mitgliedschaftliche Verwaltungs- 5 und Vermögenspflichten; ihnen stehen zudem Verwaltungs- und Vermögensrechte zu (dazu im Überblick § 705 BGB Rz. 56).16 Freilich ist die mitgliedschaftliche Rechtsstellung der OHG-Gesellschafter zum Teil anders ausgestaltet als im GbR-Recht (zu den Parallelen und Unterschieden s. noch Rz. 20 ff.). Die OHG-Gesellschafter müssen zudem die mitgliedschaftliche Treupflicht (§ 705 BGB Rz. 57 ff.) und den Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 705 BGB Rz. 65 ff.) beachten. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Wettbewerbsverbot – anders als in der GbR (§ 705 BGB Rz. 61) – nicht aus der Treupflicht hergeleitet werden muss, sondern in §§ 117, 118 HGB näher ausgestaltet ist (zum Tatbestand des Wettbewerbsverbots s. § 117 HGB Rz. 8 ff.; zu den Folgen der Verbotsverletzung § 118 HGB Rz. 5 ff.).
8 Wer ein OHG-Gesellschafter sein kann, richtet sich nach denselben Grundsätzen wie im GbR-Recht; vgl. dazu § 705 BGB Rz. 7 ff.; s. ferner Haas/Wöstmann in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/ Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 105 HGB Rz. 82 ff.; Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 105 HGB Rz. 325 ff. 9 Hierzu etwa Fleischer, NZG 2021, 949, 953 ff. 10 Zum Gesellschaftsvertrag einer OHG s. auch Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 105 HGB Rz. 51 ff. 11 Zu dieser Unterscheidung vor dem MoPeG etwa Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 105 HGB Rz. 25; Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 162 ff. 12 Zum Anwendungsbereich des § 28 HGB, insb. zu den diskutierten Analogien vgl. Ries in Röhricht/ von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 28 HGB Rz. 5 ff. mit Ausführungen zu den Tatbestandsvoraussetzungen in Rz. 13 ff. 13 Dazu etwa Ries in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 28 HGB Rz. 35 ff. 14 Zu den Rechtsfolgen des § 28 Abs. 1 Satz 1 HGB, insb. zum gesetzlichen Schuldbeitritt der OHG, vgl. Ries in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 28 HGB Rz. 28 ff. 15 Statt vieler Ries in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 28 HGB Rz. 34, § 25 HGB Rz. 33 ff. 16 Vgl. etwa Haas/Wöstmann in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 105 HGB Rz. 93 ff. Koch/Harnos | 741
§ 105 HGB Rz. 6 | Offene Handelsgesellschaft
2. Gesellschaftszweck: Betrieb eines Handelsgewerbes unter gemeinschaftlicher Firma a) Gewerbebegriff 6 Die OHG ist eine auf die Bedürfnisse des Handelsverkehrs zugeschnittene Form der GbR.
Anders als die GbR darf sie nicht jeden beliebigen Zweck verfolgen (zur Zweckoffenheit der GbR vgl. § 705 BGB Rz. 31), sondern die Gesellschafter müssen gem. § 105 Abs. 1 HGB den Betrieb eines Handelsgewerbes bezwecken (zum Unterschied zwischen Gesellschaftszweck, Unternehmensgegenstand und Gesellschaftsinteresse s. § 705 BGB Rz. 35 ff.). Damit knüpft § 105 Abs. 1 HGB an die Kaufmannsdefinition des § 1 HGB an (zur Kaufmannseigenschaft der OHG und der Gesellschafter s. noch Rz. 19). Demnach muss die Gesellschaft ein Gewerbe betreiben.17 Nach tradierter Ansicht,18 an der auch der MoPeG-Gesetzgeber ausweislich der Materialien ausdrücklich festhalten wollte,19 erfasst der handelsrechtliche Gewerbegriff20 jede selbständige (Rz. 7), planmäßige (Rz. 7), entgeltliche (Rz. 8), nach außen in Erscheinung tretende Tätigkeit (Rz. 9) mit Ausnahme der freien Berufe (Rz. 10).21 Im Schrifttum zu § 1 HGB hat sich inzwischen die Auffassung durchgesetzt, dass die im Rahmen des Gewerbebetriebs verfolgte Tätigkeit nicht erlaubt sein muss.22 Im gesellschaftsrechtlichen Kontext ist indes zu beachten, dass die Vereinbarung eines gesetzeswidrigen Gesellschaftszwecks an § 134 BGB scheitert (§ 705 BGB Rz. 31) und dass in solchen Fällen die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft nach der hier vertretenen, wenn auch umstrittenen Auffassung nicht eingreift (vgl. § 705 BGB Rz. 25 mit weiterführenden Ausführungen zum Meinungsstreit). 7 Unter Selbständigkeit ist eine rechtliche, nicht eine wirtschaftliche gemeint; sie liegt bei
auch bei konzernierten Gesellschaften vor.23 Die Planmäßigkeit ist gegeben, wenn die Gesellschaftstätigkeit auf eine gewisse Dauer angelegt ist. Damit kommen Gelegenheitsgesellschaften nicht als OHG in Betracht.24 Nach überkommener Auffassung müssen die Gesellschafter eine unbestimmte Vielzahl von Geschäften anstreben,25 was namentlich in Fällen von Arbeitsgemeinschaften zur gemeinsamen Durchführung von Bauprojekten (ARGE) zur Konsequenz hätte, dass ARGE nicht in der Rechtsform der OHG betrieben werden könnten.26 Neue Rechtsprechung und Schrifttum tendieren hingegen dazu, die ARGE als ein plan17 Zur OHG als Betreiber des Gewerbes Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 105 HGB Rz. 57. 18 Die moderne Definition des Gewerbes, die namentlich Karsten Schmidt geprägt hat (zum HGB als „Außenprivatrecht der Unternehmen“ vgl. K. Schmidt in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, Vor § 1 HGB Rz. 5 ff.), ist rechtspolitisch vorzugswürdig (vgl. etwa Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 105 HGB Rz. 22a), kann aber de lege lata in der Praxis nicht angewendet werden (s. etwa im Kontext der Ausklammerung freier Berufe aus dem Gewerbebegriff K. Schmidt in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 1 HGB Rz. 32). 19 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 105. 20 Zum Gewerbebegriff jenseits des Handelsrechts Ries in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 1 HGB Rz. 19 ff. 21 Statt vieler Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 105 HGB Rz. 19. 22 Ries in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 1 HGB Rz. 57. 23 Vgl. Ries in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 1 HGB Rz. 25. Zum Konzernrecht der Personengesellschaft Tröger in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 4001 ff. 24 Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 105 HGB Rz. 15. 25 So noch etwa Ries in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 1 HGB Rz. 27 ff. 26 So auch in der Tat die Einordnung in der älteren Rechtsprechung des BGH, der sich allerdings mit der Planmäßigkeit der ARGE nicht auseinandersetzt und die ARGE ohne Umschweife als eine GbR qualifiziert, vgl. BGH v. 15.10.1973 – II ZR 149/71, BGHZ 61, 338, 342 ff. = NJW 1974, 451; BGH v. 17.3.1975 – VIII ZR 245/73, BGHZ 64, 122 ff. = NJW 1975, 1121; BGH v. 24.1.1983 – VIII ZR 353/81, BGHZ 86, 300, 307 = NJW 1983, 1114 = ZIP 1983, 438; BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/
742 | Koch/Harnos
Begriff der OHG; Anwendbarkeit des BGB | Rz. 10 § 105 HGB
mäßiges Vehikel und damit als eine OHG zu qualifizieren. Dabei verweisen sie zu Recht auf den Umstand, dass ein von der ARGE verwirklichtes Bauprojekt in der Regel umfangreich ist und dessen Abschluss mehrere Jahre in Anspruch nehmen kann.27 Die ehemals herrschende Auffassung stellte sich auf den Standpunkt, dass ein Gewerbe- 8 betrieb eine Gewinnerzielungsabsicht erfordert.28 Nunmehr hat sich die überzeugende Gegenansicht durchgesetzt, die lediglich die Entgeltlichkeit der Tätigkeit als eine Voraussetzung des Gewerbebegriffs ansieht.29 Deshalb kommt die OHG als eine Rechtsform für karitative Unternehmen in Betracht.30 Auch Abschreibungsgesellschaften und – jedenfalls aus zivilrechtlicher Perspektive – öffentliche Unternehmen31 können als OHG betrieben werden.32 Indes ist bei Unternehmen mit Staatsbeteiligung zu beachten, dass etliche öffentlichrechtlichen Vorgaben eine Haftungsbeschränkung zugunsten des staatlichen Gesellschafters vorschreiben (s. etwa § 65 Abs. 1 Nr. 2 BHO, § 65 Abs. 1 Nr. 2 LHO NRW, § 108 Abs. 1 Nr. 3 GO NRW), die bei der OHG gerade nicht gewährleistet ist (Rz. 15 ff.). Das letzte positive Merkmal des Gewerbebegriffs ist die Offenheit: Das Unternehmen muss 9 als Anbieter von Leistungen am Markt in Erscheinung treten.33 Daher können Einkaufsund Entwicklungsgemeinschaften nicht als OHG organisiert sein.34 Nimmt man die Voraussetzung der Offenheit ernst, genügt die bloße Verwaltung eigenen Vermögens nicht, um die Kaufmannseigenschaft zu erlangen.35 Allerdings haben Vermögensverwaltungsgesellschaften gem. § 107 Abs. 1 Satz 1 HGB die Möglichkeit, die Rechtsform der OHG qua Handelsregistereintragung anzunehmen (Einzelheiten in § 107 HGB Rz. 20 ff.). Nach herkömmlicher Auffassung, die der geltenden Rechtslage nach wie vor zugrunde liegt, 10 betreiben die Angehörigen freier Berufe kein Gewerbe.36 Schließen sie sich zu einer Gemeinschaftspraxis oder einer Sozietät zusammen, können sie das freiberufliche Unterneh-
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29 30 31 32 33 34 35 36
00, BGHZ 146, 341 ff. = NJW 2001, 1056 = ZIP 2001, 330; Ries in Röhricht/von Westphalen/Haas/ Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 1 HGB Rz. 30 a.E.; C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, Vor § 705 BGB Rz. 44. Vgl. Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 105 HGB Rz. 48; Wertenbruch in Ebenroth/ Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 105 HGB Rz. 29 ff. Siehe ferner BGH v. 21.1.2009 – Xa ARZ 273/08, der augenscheinlich auf Umstände des Einzelfalls abstellen will; in diese Richtung wohl auch Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 105 HGB Rz. 203. Für eine Einordnung als GbR aber offenbar Roßkopf/Hoffmann, ZPG 2023, 14, 15. Von einer „berufsmäßig fließende[n] Einnahmequelle“ sprach noch RG v. 23.4.1907 – VII 261/06, RGZ 66, 48, 51 und RG v. 5.7.1910 – VII 252/10, RGZ 74, 150; an die Terminologie des RG anknüpfend BGH v. 7.7.1960 – VIII ZR 215/59, BGHZ 33, 321, 324 f. = NJW 1961, 725, der zugleich den Begriff der Gewinnerzielungsabsicht verwendete; vgl. ferner BGH v. 18.1.1968 – VII ZR 101/65, BGHZ 49, 258, 260 = NJW 1968, 639; BGH v. 2.7.1985 – X ZR 77/84, BGHZ 95, 155, 157 = NJW 1985, 3063. Vgl. OLG Dresden v. 20.11.2001 – 2 U 1928/01, NZG 2003, 124 f.; Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 105 HGB Rz. 49; Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 105 HGB Rz. 20; Ries in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 1 HGB Rz. 48 ff. Zur gemeinnützigen OHG Wedemann, NZG 2016, 645, 649 f. A.A. Haas/Wöstmann in Röhricht/ von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 105 HGB Rz. 16 a.E.; Ries in Röhricht/ von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 1 HGB Rz. 49. Hierzu im Einzelnen Ries in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 1 HGB Rz. 51 ff. Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 105 HGB Rz. 49. Einzelheiten bei Ries in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 1 HGB Rz. 33. Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 105 HGB Rz. 50. Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 105 HGB Rz. 54. Ausf. hierzu Ries in Röhricht/ von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 1 HGB Rz. 34 ff.; s. ferner Roßkopf/Hoffmann, ZPG 2023, 14, 15; C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, Vor § 705 BGB Rz. 47. Ries in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 1 HGB Rz. 58 ff.; Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 105 HGB Rz. 206 ff. Koch/Harnos | 743
§ 105 HGB Rz. 10 | Offene Handelsgesellschaft men in der Rechtsform der GbR oder PartG betreiben (s. bereits § 705 BGB Rz. 32, § 705 BGB Rz. 38). Überdies eröffnet ihnen § 107 Abs. 1 Satz 2 HGB, der im Zuge des MoPeG neu eingeführt wurde, auf der gesellschaftsrechtlichen Ebene den Weg zur Gründung einer OHG (Einzelheiten in § 107 HGB Rz. 24 ff.). b) Handelsgewerbe 11 Betreibt die Gesellschaft ein Gewerbe, ist sie nur dann ipso iure als eine OHG zu qualifizie-
ren, wenn das Unternehmen nach Art und Umfang37 einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, vgl. § 1 Abs. 2 HGB. Dem Wortlaut des § 1 Abs. 2 HGB lässt sich entnehmen, dass die Erforderlichkeit einer kaufmännischen Einrichtung vermutet wird, wenn ein Gewerbebetrieb vorliegt.38 Nach herrschender Auffassung, die sich auf die Autorität der Gesetzesmaterialien zum Handelsrechtsreformgesetz 1998 berufen kann,39 gilt die Vermutung des § 1 Abs. 2 HGB aber nicht im handelsregisterrechtlichen Verfahren, weil dort nach § 26 FamFG der Amtsermittlungsgrundsatz herrsche.40 Dies überzeugt nicht: Aus § 26 FamFG folgt lediglich, dass im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit der Beibringungsgrundsatz nicht gilt. Die Vorschrift regelt aber nicht die Beweislastgrundsätze.41 Kann das Registergericht im Rahmen der Amtsermittlung nicht aufklären, ob das Unternehmen nach Art oder Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert (non liquet), spricht nichts dagegen, die Gesellschaft im Hinblick auf die Vermutung des § 1 Abs. 2 HGB auch im registerrechtlichen Verfahren als eine Ist-OHG zu qualifizieren.42 12 Das Merkmal des Umfangs adressiert die quantitative, das Merkmal der Art die qualitative
Seite des Unternehmens.43 Bei der Gesamtwürdigung des Unternehmenszuschnitts spielen in quantitativer Hinsicht eine Rolle: der Umsatz, das Anlagekapital, das Ausmaß der Fremdfinanzierung, die Anzahl der Niederlassungen oder die Beschäftigtenzahl. In qualitativer Hinsicht ist abzustellen auf die Vielzahl und Vielgestaltigkeit der im Unternehmen abgeschlossenen Geschäfte, die Inanspruchnahme und Gewährung von Krediten, die Kundenund Lieferantenbeziehungen, das Abrechnungswesen oder das Ausmaß der Arbeitsteilung. Maßgeblich ist ferner die Erforderlichkeit einer kaufmännischen Buchführung. Überdies ist zu berücksichtigen, dass es genügt, wenn die Gesellschafter den Gewerbebetrieb nach objektiven Kriterien auf den Umfang eines kaufmännischen Unternehmens angelegt haben, auch wenn die Gesellschaft den vollen Geschäftsbetrieb im Zeitpunkt der Errichtung noch nicht aufgenommen hat.44 Erforderlich ist jedoch, dass eine kaufmännische Einrichtung klar und alsbald notwendig sein wird.45 Denkbar ist ferner, dass die Gesellschaft ursprünglich eine 37 Diese Voraussetzungen müssen also kumulativ vorliegen, vgl. nur Ries in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 1 HGB Rz. 100. 38 Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 105 HGB Rz. 55; Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 105 HGB Rz. 20 a.E. 39 Siehe Begr. RegE HRefG, BT-Drucks. 13/8444, 48. 40 So Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 105 HGB Rz. 55 a.E.; Wertenbruch in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 105 HGB Rz. 32. 41 Freilich ist zu beachten, dass im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht von der Beweislast, sondern von der Feststellungslast die Rede ist; zur Terminologie s. etwa Prütting in Prütting/Helms, 6. Aufl. 2023, § 37 FamFG Rz. 22. 42 Zur Geltung der allgemeinen Beweislastregeln in Verfahren mit Amtsermittlungsgrundsatz vgl. Harnos in FS Heidel, 2021, S. 475, 483 (im Zusammenhang mit Sonderprüfung und Klagezulassungsverfahren nach §§ 142 ff., 148 AktG). 43 Vgl. hierzu und zum Folgenden Ries in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 1 HGB Rz. 102 ff. 44 Haas/Wöstmann in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 105 HGB Rz. 16. 45 BGH v. 17.6.1953 – II ZR 205/52, BGHZ 10, 91, 96 = NJW 1953, 1217.
744 | Koch/Harnos
Begriff der OHG; Anwendbarkeit des BGB | Rz. 14 § 105 HGB
kleingewerbliche GbR ist und im Laufe ihrer Tätigkeit durch organisches Wachstum die Kriterien des § 1 Abs. 2 HGB erfüllt. In einem solchen Fall wandelt sie sich identitätswahrend in eine OHG um,46 womit gem. § 106 Abs. 1 HGB eine Pflicht der Gesellschafter zur Handelsregisteranmeldung einhergeht (§ 106 HGB Rz. 3 ff.). Ist die GbR im Gesellschaftsregister eingetragen (§§ 707 ff. BGB), handelt es sich um einen Statuswechsel nach § 106 Abs. 3–5 HGB (s. dazu § 106 HGB Rz. 16 ff.). Erfüllt das Unternehmen die Kriterien des § 1 Abs. 2 HGB nicht, betreibt es also nur ein 13 Kleingewerbe, können die Gesellschafter durch Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister gem. § 107 Abs. 1 Satz 1 HGB für das Rechtskleid einer OHG optieren (Einzelheiten in § 107 HGB Rz. 18). Schrumpft das Unternehmen zu einem Kleingewerbebetrieb, bleibt die Gesellschaft eine OHG, wenn sie im Handelsregister eingetragen ist.47 In einem solchen Fall steht den Gesellschaftern aber die Möglichkeit eines Statuswechsels offen, dessen registerrechtliche Voraussetzungen in § 707c Abs. 3, 4 BGB geregelt sind (dazu § 707c BGB Rz. 12 ff.). Ist die OHG trotz der Eintragungspflicht aus § 106 Abs. 1 HGB nicht im Handelsregister eingetragen, wandelt sie sich ipso iure identitätswahrend in eine GbR um, sobald sie nach Art oder Umfang keinen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert.48 Betreibt die Gesellschaft weder ein Gewerbe noch die Vermögensverwaltung i.S.d. § 107 Abs. 1 Satz 1 HGB noch eine freiberufliche Tätigkeit i.S.d. § 107 Abs. 1 Satz 2 HGB, verliert sie auch dann den Status einer OHG, wenn sie im Handelsregister eingetragen bleibt. § 5 HGB, der seinem Wortlaut nach ein Gewerbe voraussetzt, findet keine Anwendung.49 Allerdings ist eine solche Gesellschaft als eine Schein-OHG zu behandeln50 (zur Scheingesellschaft vgl. § 705 BGB Rz. 96 ff.; zur Geltung dieser Grundsätze auch im OHG-Recht s. Rz. 22). c) Gemeinsame Firma Missverständlich ist die Formulierung des § 105 Abs. 1 HGB insoweit, als die Regelung bei 14 unbefangener Betrachtung den Anschein erweckt, dass die Firmenführung eine zwingende Voraussetzung einer OHG ist. Nach inzwischen allgemeiner Auffassung handelt es sich um die Rechtsfolge der Qualifikation als eine OHG: Wie jeder Kaufmann muss auch die OHG nach Maßgabe der §§ 17 ff. HGB eine Firma führen,51 die nach § 106 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a HGB in der Anmeldung zur Eintragung in das Handelsregister anzugeben ist (s. § 106 HGB Rz. 8). Mit der Bezugnahme auf die Firma will § 105 Abs. 1 HGB die OHG von der stillen Gesellschaft abgrenzen.52 Haben sich die Gesellschafter nicht auf eine Firma geeinigt, können sie die OHG also dennoch errichten. Die OHG wird aber wegen § 106 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a HGB nicht in das Handelsregister eingetragen. Da die Handelsregisteranmeldung nach § 106 Abs. 1 HGB eine Gesellschafterpflicht ist (§ 106 HGB Rz. 3 ff.), die mit den Instrumenten des § 14 HGB durchgesetzt werden kann (s. § 14 HGB Rz. 1 ff.),53 obliegt es den 46 Zur identitätswahrenden Umwandlung statt vieler Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 105 HGB Rz. 7. 47 Haas/Wöstmann in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 105 HGB Rz. 17. 48 Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 105 HGB Rz. 56; Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 105 HGB Rz. 7. 49 Haas/Wöstmann in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 105 HGB Rz. 22. Vgl. ferner BGH v. 19.5.1960 – II ZR 72/59, BGHZ 32, 307, 313 f.; s. ferner BGH v. 6.7.1981 – II ZR 38/81, ZIP 1981, 1088, 1089; BAG v. 17.2.1987 – 3 AZR 197/85, ZIP 1987, 1446, 1447; Ries in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 5 HGB Rz. 15 ff. 50 Vgl. hierzu Haas/Wöstmann in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 105 HGB Rz. 23, 79 ff.; Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 105 HGB Rz. 680 ff. 51 Zum Firmenrecht der Personenhandelsgesellschaften Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 172 ff. 52 Statt vieler Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 105 HGB Rz. 59 ff. 53 Hierzu Koch/Harnos in Staub, 6. Aufl. 2023, § 14 HGB Rz. 1 ff. Koch/Harnos | 745
§ 105 HGB Rz. 14 | Offene Handelsgesellschaft Gesellschaftern, den Gesellschaftsvertrag um eine Regelung über die Firma zu ergänzen. Die damit verbundene Vertragsänderung kann ggf. unter Berufung auf die mitgliedschaftliche Treupflicht erzwungen werden (zu dieser Dimension der Treupflicht s. § 705 BGB Rz. 62).
3. Keine Haftungsbeschränkung 15 Schließlich setzt § 105 Abs. 1 HGB bei unbefangener Betrachtung voraus, dass bei keinem
der Gesellschafter die Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern beschränkt ist. Wie beim Erfordernis der Firmenführung (Rz. 14) handelt es sich auch hier um eine missverständliche Formulierung: Die unbeschränkte persönliche Gesellschafteraußenhaftung ist keine Voraussetzung einer OHG, sondern die – in §§ 126–128 HGB näher geregelte – Rechtsfolge. 16 Nach allgemeiner Auffassung will das Gesetz durch die Formulierung „wenn bei keinem der
Gesellschafter die Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern beschränkt ist“ die Abgrenzung zwischen OHG und KG zum Ausdruck bringen.54 Eine Personenhandelsgesellschaft, deren manche Gesellschafter nicht unbeschränkt persönlich im Außenverhältnis haften (Kommanditisten, s. § 161 HGB Rz. 11 ff.), ist keine OHG, sondern nach § 161 Abs. 1 HGB eine KG (s. noch § 161 HGB Rz. 3). Scheidet der letzte Kommanditist aus der KG aus und verbleiben mindestens zwei Komplementäre in der Gesellschaft, wandelt sich die KG identitätswahrend in eine OHG um.55 Dies gilt auch dann, wenn der letzte Kommanditist durch Änderung des Gesellschaftsvertrags zu einem voll haftenden Gesellschafter wird56 sowie wenn der letzte Komplementär ausscheidet und die verbleibenden Kommanditisten die werbende Tätigkeit fortsetzen.57 Ein umgekehrter Fall der identitätswahrenden Umwandlung einer OHG in eine KG tritt ein, wenn ein OHG-Gesellschafter aufgrund einer Vertragsänderung zu einem Kommanditisten wird58 oder wenn ein weiterer Gesellschafter als Kommanditist in die Gesellschaft aufgenommen wird.59 In den vorgenannten Umwandlungsfällen ist der Rechtsformzusatz in der Firma gem. § 19 HGB anzupassen.60 Überdies sind die Änderungen nach Maßgabe der § 106 Abs. 6, § 162 Abs. 2 HGB zur Eintragung in das Han54 Vgl. nur Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 105 HGB Rz. 24. 55 Siehe nur Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 105 HGB Rz. 92; Mock in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 161 HGB Rz. 65. In einem solchen Fall ist es denkbar, dass ein wichtiger Grund für die Auflösung der Gesellschaft nach § 138 Abs. 1 Nr. 3, § 139 Abs. 1 HGB vorliegt; vgl. dazu Oetker in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 161 HGB Rz. 9. Scheidet der Kommanditist aus einer zweigliedrigen KG aus, erlischt die Gesellschaft nach § 161 Abs. 2, § 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 712a Abs. 1 Satz 1 BGB; ihr Vermögen geht im Zeitpunkt des Ausscheidens des Kommanditisten gem. § 161 Abs. 2, § 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 712a Abs. 1 Satz 1 BGB im Wege der Gesamtrechtsnachfolge den Komplementär über. § 161 Abs. 2, § 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 712a BGB greifen auch im umgekehrten Fall des Ausscheidens eines Komplementärs aus einer zweigliedrigen KG ein: Die Gesellschaft erlischt und der Kommanditist wird ihr Gesamtrechtsnachfolger; zur Rechtslage vor dem MoPeG Oetker in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 161 HGB Rz. 10. 56 Haas/Wöstmann in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 105 HGB Rz. 59. 57 Vgl. BGH v. 23.11.1978 – II ZR 20/78, NJW 1979, 1705, 1706. Werden die Kommanditisten nach dem Ausscheiden des letzten Komplementärs nicht werbend tätig, ist die Gesellschaft ipso iure aufgelöst und zu liquidieren; s. Oetker in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 161 HGB Rz. 10. 58 Hierzu gehört namentlich der Fall des § 131 Abs. 1 HGB, also wenn ein Gesellschaftererbe die Umwandlung des ererbten Anteils in die Kommanditbeteiligung verlangt und die übrigen Gesellschafter diesem Ansinnen entsprechen; vgl. dazu § 131 HGB Rz. 5 ff. mit vertiefenden Ausführungen zum Änderungsvertrag in § 131 HGB Rz. 8 ff. Zur Rechtslage vor dem MoPeG BayObLG v. 29.1.2003 – 3Z BR 5/03, ZIP 2003, 1443, 1444: Vertrag zwischen Erben und übrigen Gesellschaftern. 59 Siehe nur Mock in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 161 HGB Rz. 41. 60 Vgl. BayObLG v. 20.9.1967 – BReg. 2 Z 53/67, JR 1968, 263, 264.
746 | Koch/Harnos
Begriff der OHG; Anwendbarkeit des BGB | Rz. 18 § 105 HGB
delsregister anzumelden.61 Dabei handelt es sich um keinen Statuswechsel i.S.d. § 707c BGB, § 106 Abs. 3–5 HGB, weil die Gesellschaft im Handelsregister verbleibt – wenn auch unter einer anderen Rechtsform.62
III. Rechtsfähigkeit der OHG (Abs. 2); Kaufmannseigenschaft Nach § 105 Abs. 2 HGB kann die OHG Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen. Bei 17 Lichte besehen wurde § 124 Abs. 1 HGB a.F., der vor dem MoPeG die Rechts- und Parteifähigkeit der OHG regelte,63 in einer modifizierten Fassung in § 105 Abs. 2 HGB verschoben. § 105 Abs. 2 HGB stellt nunmehr die Rechtsfähigkeit der OHG klar,64 die sich freilich bereits aus § 705 Abs. 2 Var. 1 BGB i.V.m. § 105 Abs. 3 HGB ergibt: Eine OHG ist gem. § 105 Abs. 1 HGB ihrem – im Gesellschaftsvertrag festgelegten (s. § 705 BGB Rz. 30) – Zweck nach auf den Betrieb eines Handelsgewerbes ausgerichtet, muss also notwendig als Anbieter von Leistungen am Markt offen in Erscheinung treten; anderenfalls ist der handelsrechtliche Gewerbebegriff nicht erfüllt (s. Rz. 9). Damit muss die OHG nach dem gemeinsamen Willen aller Gesellschafter am Rechtsverkehr teilnehmen,65 so dass sie die Definition der rechtsfähigen Gesellschaft in § 705 Abs. 2 Var. 1 BGB erfüllt. Vor diesem Hintergrund ist § 105 Abs. 2 HGB aus einer dogmatischen Perspektive überflüssig,66 aber dennoch unschädlich, weil er immerhin eine Signalwirkung erzeugt, dass Personenhandelsgesellschaften rechtsfähig sind.67 Die OHG kann dieselben Rechtspositionen einnehmen wie sonstige rechtsfähige Verbände.68 18 Namentlich ist sie grundrechtsfähig,69 markenrechtsfähig,70 grundbuchfähig,71 mitgliedsfähig72 und insolvenzfähig73 (vgl. § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO). Zwar sagt § 105 Abs. 1 HGB – anders als § 124 Abs. 1 HGB a.F. – nicht ausdrücklich, dass eine OHG „vor Gericht klagen und verklagt werden“ kann, jedoch folgt die Parteifähigkeit der OHG aus § 50 Abs. 1 ZPO, der an die Rechtsfähigkeit anknüpft.74 Ferner kann die OHG Ämter wie organschaftlicher Vertreter bzw. Liquidator einer Personengesellschaft, Testamentsvollstrecker oder WEG-Verwalter bekleiden, allerdings nicht als Mitglied eines AG-Vorstands, GmbH-Geschäftsführer, Prokurist oder Insolvenzverwalter agieren.75 Die letztgenannte Einschränkung sollte freilich nicht zum Anlass genommen werden, die OHG als bloß teilrechtsfähig zu bezeichnen. Wie bereits im 61 Handelt es sich um eine Umwandlung einer OHG in eine KG, erlangt sie erst mit der Handelsregistereintragung Wirksamkeit im Außenverhältnis; im Innenverhältnis entsteht die KG mit der Vertragsänderung, vgl. BayObLG v. 20.9.1967 – BReg. 2 Z 53/67, JR 1968, 263, 264. 62 Wertenbruch/Alm, ZPG 2023, 201, 205. 63 Statt vieler M. Roth in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 124 HGB Rz. 1 ff. 64 Von einer Klarstellung spricht ausdrücklich der Rechtsausschuss, vgl. Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 19/31105, 8. 65 Vgl. Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 105 HGB Rz. 13: Personenhandelsgesellschaften seien notwendig Außengesellschaften; s. ferner Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 105 HGB Rz. 6. 66 A.A. Bachmann, Stellungnahme i.R.d. Sachverständigenanhörung v. 18.1.2021, S. 13. Vgl. auch bereits zum Mauracher Entwurf Bachmann, NZG 2020, 613, 617 f. 67 Siehe auch Sanders/Henssler in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 105 HGB Rz. 243. 68 Überblick bei Sanders/Henssler in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 105 HGB Rz. 253 ff. 69 BVerfG v. 2.9.2002 –1 BvR 1103/03, NJW 2002, 3533 = ZIP 2002, 2214. 70 BPatG v. 20.8.2004 – 25 W (pat) 232/03, GRUR 2004, 1030, 1031. 71 BGH v. 4.12.2008 – V ZB 74/08, BGHZ 179, 102 Rz. 10 ff. = ZIP 2009, 66. 72 Sanders/Henssler in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 105 HGB Rz. 278. 73 Speziell dazu Haas/Wöstmann in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 105 HGB Rz. 12. 74 Vgl. dazu statt vieler Althammer in Zöller, 34. Aufl. 2022, § 50 ZPO Rz. 16a; Haas/Wöstmann in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 105 HGB Rz. 11. 75 Zur Amtsfähigkeit Haas/Wöstmann in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 105 HGB Rz. 10; Sanders/Henssler in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 105 HGB Rz. 277. Koch/Harnos | 747
§ 105 HGB Rz. 18 | Offene Handelsgesellschaft GbR-Recht erläutert, sollte der Begriff der Teilrechtsfähigkeit im gesellschaftsrechtlichen Kontext aufgegeben werden (ausf. § 705 BGB Rz. 73); dies gilt auch für die Figur der Gesamthand (§ 705 BGB Rz. 91).76 Wie die GbR ist die OHG keine juristische Person (ausf. § 705 BGB Rz. 88 ff.).77 19 Die OHG als solche ist gem. § 6 Abs. 1 HGB Kaufmann. Nach der tradierten Rechtspre-
chung, dem ein Teil des Schrifttums nach wie vor folgt, sind auch die Gesellschafter als Kaufleute zu qualifizieren,78 was aber im Hinblick auf die Trennung zwischen der Gesellschaft als eigenständigem Rechtssubjekt und den Gesellschaftern als Mitgliedern nicht überzeugt.79 Es kommt jedoch in Betracht, einzelne Vorschriften, die für Kaufleute gelten, auf OHG-Gesellschafter analog anzuwenden. Hierzu zählen etwa § 109 Abs. 1 Nr. 3 GVG (Bestellung der Gesellschafter zu ehrenamtlichen KfH-Richtern)80 oder die Gerichtsstandregelungen in § 29 Abs. 2, § 38 Abs. 1 ZPO.81 Ferner ist es denkbar, §§ 349, 350 HGB auf die Bürgschaft eines Gesellschafters zugunsten der OHG analog anzuwenden.82
IV. Entsprechende Anwendung des GbR-Rechts (Abs. 3) 20 Nach § 105 Abs. 3 HGB finden auf die OHG die Vorschriften des BGB über die GbR ent-
sprechende Anwendung, soweit in §§ 105 ff. HGB nichts anderes vorgeschrieben ist.83 Im Zuge des MoPeG hat der Gesetzgeber das Merkmal „entsprechend“ hinzugefügt, um § 105 Abs. 3 HGB von einer Rechtsgrundverweisung in eine Rechtsanalogie84 umzuwandeln und die verbleibenden Strukturunterschiede zwischen GbR und OHG hervorzuheben.85 Ob eine solche Ergänzung tatsächlich erforderlich war, erscheint zweifelhaft. Der Zusatz hebt die Differenzen zwischen GbR und OHG ohne Not zu stark hervor86 und dürfte ohnehin keine Änderungen für die praktische Rechtsanwendung nach sich ziehen. Gleichwohl erlauben es die Unterschiede zur GbR, die OHG als eine eigenständige Rechtsform und nicht nur als eine Rechtsformvariante der GbR zu qualifizieren.87
76 Zur Rechtsnatur der OHG vor dem MoPeG s. Fleischer, NZG 2021, 949, 950 ff. 77 Vor dem MoPeG auch Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 105 HGB Rz. 6. 78 BGH v. 16.2.1961 – III ZR 71/60, BGHZ 34, 293, 296 f.; BGH v. 2.6.1966 – VII ZR 292/64, BGHZ 45, 282, 284; BGH v. 22.9.2005 – IX ZB 55/04, GmbHR 2005, 1610 = ZIP 2005, 2070; so auch Ries in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 1 HGB Rz. 75. Der Abschluss des Gesellschaftsvertrags ist für die OHG-Gesellschafter jedenfalls kein Handelsgeschäft i.S.d. § 383 Abs. 1 HGB, s. Fleischer, NZG 2021, 949, 956. 79 So die h.M. im Schrifttum, s. nur Haas/Wöstmann in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 105 HGB Rz. 14; Wertenbruch in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 105 HGB Rz. 182 ff. 80 Siehe Wertenbruch in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 105 HGB Rz. 187. 81 Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 105 HGB Rz. 216. A.A. Wertenbruch in Ebenroth/ Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 105 HGB Rz. 188. 82 Sehr str., wie hier C. Schäfer in Staub, 5. Aufl. 2009, § 105 HGB Rz. 83. A.A. Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 105 HGB Rz. 217; Wertenbruch in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 105 HGB Rz. 186 a.E. 83 Zu den Rechtsquellen des OHG-Rechts s. Fleischer, DStR 2020, 2137 ff. 84 Von einer Verweisungsanalogie spricht Fleischer, BB 2021, 386, 387. 85 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 222. 86 Zutr. Fleischer, BB 2021, 386, 387: Man solle die Strukturunterschiede zwischen OHG und GbR nicht überbetonen. 87 Zur Unterscheidung zwischen eigenständiger Rechtsform und Rechtsformvariante s. Lieder in FS 25 Jahre DNotI, 2018, S. 503, 504 ff.
748 | Koch/Harnos
Begriff der OHG; Anwendbarkeit des BGB | Rz. 24 § 105 HGB
Zu den BGB-Vorschriften, die auf die OHG entsprechende Anwendung finden,88 zählen na- 21 mentlich: § 706 BGB über den Verwaltungs- und Vertragssitz (§ 706 BGB Rz. 1 ff.),89 § 709 BGB über die Beitragspflichten, § 710 BGB über das Mehrbelastungsverbot, §§ 711, 711a BGB über die Übertragung von Gesellschaftsanteilen und Gesellschafterrechten, §§ 712, 712a BGB über das Ausscheiden der Gesellschafter (s. § 130 HGB Rz. 1 und § 138 HGB Rz. 23), § 713 BGB über das Gesellschaftsvermögen (§ 108 HGB Rz. 1), § 715a BGB über die Notgeschäftsführungsbefugnis, § 715b BGB über die actio pro societate (s. § 116 HGB Rz. 2), § 716 Abs. 1–3 BGB über den Aufwendungsersatz sowie die Vorschuss- und Herausgabepflicht (s. § 716 BGB Rz. 1), § 717 BGB über die Informationsordnung (s. § 717 BGB Rz. 6). Überdies finden auf die OHG die allgemeinen Grundsätze und die ungeschriebenen Insti- 22 tute des Gesellschaftsrechts Anwendung. Hierzu zählen etwa die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft90 (§ 705 BGB Rz. 21 ff.), die mitgliedschaftliche Treupflicht (§ 705 BGB Rz. 57 ff.), der Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 705 BGB Rz. 65 ff.) oder die Haftung der Gesellschafter einer Scheingesellschaft91 (§ 705 BGB Rz. 96 ff.). Eine Parallelregelung zum Recht der BGB-Gesellschaft findet sich in § 108 HGB (Gestal- 23 tungsfreiheit im Innenverhältnis; s. dazu § 108 HGB Rz. 1), in § 123 HGB in Bezug auf das Entstehen der Gesellschaft im Außenverhältnis (§ 123 HGB Rz. 1) und in §§ 126–128 HGB hinsichtlich der persönlichen Außenhaftung der Gesellschafter (zum weitgehenden Gleichlauf mit §§ 721–721b BGB vgl. § 126 HGB Rz. 2).92 Anders als vor dem MoPeG sind die Vorschriften über das Ausscheiden des Gesellschafters in §§ 723–729 BGB, §§ 130–137 HGB weitgehend aneinander angeglichen (s. § 130 HGB Rz. 1). Teilweise Parallelen bestehen zwischen dem Registerrecht der GbR (§§ 707–707d BGB) und 24 den Vorgaben in § 106 HGB, der die Anmeldung zum Handelsregister (Abs. 2, 6 und 7; vgl. § 106 HGB Rz. 7 ff. und § 106 HGB Rz. 24 ff.) und den Statuswechsel (Abs. 3–5 und § 106 HGB Rz. 16 ff.) regelt. Freilich sind die OHG-Gesellschafter gem. § 106 Abs. 1 HGB zu einer Handelsregisteranmeldung verpflichtet (§ 106 HGB Rz. 3 ff.), während die Eintragung einer GbR in das Gesellschaftsregister fakultativ ist (§ 707 BGB Rz. 2; zur Eintragungsoption nach § 107 Abs. 1 HGB s. § 107 HGB Rz. 8 ff.). Zum Teil parallel ausgestaltet sind die Regelungen zur Auflösung und Liquidation der Gesellschaft in §§ 728–739 BGB, §§ 138–152 HGB (s. § 138 HGB Rz. 3).93 Ein Unterschied zwischen Zivil- und Handelsrecht liegt aber namentlich darin, dass die Auflösungskündigung eines GbR-Gesellschafters aus wichtigem Grund gem. § 731 BGB nach den Gesetzesmaterialien gegenüber der Gesellschaft erfolgt94 (str., a.A. § 731 BGB Rz. 6: Kündigung gegenüber allen Gesellschaftern), während ein OHG-Gesellschafter nach § 139 Abs. 1 Satz 1 HGB – vorbehaltlich einer anderweitigen gesellschaftsvertraglichen 88 Vgl. auch den Überblick zum MoPeG-RefE bei Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 105 HGB Rz. 170; s. ferner Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 105 HGB Rz. 321 ff. 89 Zu Sitz und Sitzwahlfreiheit im Kontext der OHG Fleischer, BB 2021, 386, 388. Zur Geltung des § 706 BGB auch für die OHG s. nur Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 126. 90 Im OHG-Kontext statt vieler Haas/Wöstmann in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 105 HGB Rz. 63 ff. 91 Für die OHG etwa Haas/Wöstmann in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 105 HGB Rz. 79 ff. 92 Zur (regelungstechnisch überzeugenderen, s. Lieder, ZGR-Sonderheft 23 [2021], 169, 189 f.) Konzeption des Mauracher Entwurfs, der das Baukastenprinzip des Personengesellschaftsrechts konsequent verfolgte und sich um Vermeidung von Normredundanzen bemühte, und dem Umschwung des Regierungsentwurfs, der – in Reaktion auf die (unberechtigte) Kritik aus dem Schrifttum (s. nur Bachmann, NZG 2020, 612 f.; Fleischer, ZGR-Sonderheft 23 [2021], 1, 16 f.) – Wiederholungen im Normenbestand in Kauf nahm, vgl. Fleischer, BB 2021, 386 f. m.w.N. zur rechtspolitischen Diskussion. 93 Vgl. hierzu auch Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 105 HGB Rz. 324. 94 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 179. Koch/Harnos | 749
§ 105 HGB Rz. 24 | Offene Handelsgesellschaft Regelung (s. § 139 HGB Rz. 19 ff.) – eine Auflösungsklage erheben muss und die OHG durch gerichtliche Entscheidung aufgelöst wird (s. § 138 HGB Rz. 1 ff.). 25 Abweichend vom GbR-Recht wurden im OHG-Recht ausgestaltet: das Beschluss(mängel)
recht in §§ 109–115 HGB (dazu überblicksartig § 109 HGB Rz. 1 ff. und § 110 HGB Rz. 1 ff.),95 die Verzinsungspflicht (s. einerseits § 716 Abs. 4 BGB und § 716 BGB Rz. 44 f., andererseits § 119 HGB und § 119 HGB Rz. 1 ff.), die Gewinnermittlung, -verwendung und -verteilung96 (s. einerseits § 718 BGB und § 718 BGB Rz. 1 ff., andererseits §§ 120–122 HGB, die trotz des Verweises auf § 709 Abs. 3 BGB in § 120 Abs. 1 Satz 2 HGB das GbR-Recht überlagern; Überblick in § 720 BGB Rz. 2 ff.) sowie die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse (s. einerseits §§ 715, 720 BGB, andererseits §§ 116, 124 HGB; zu den Unterschieden s. § 116 HGB Rz. 1 ff. und § 124 HGB Rz. 3).
§ 106 HGB Anmeldung zum Handelsregister; Statuswechsel (1) Die Gesellschaft ist bei dem Gericht, in dessen Bezirk sie ihren Sitz hat, zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. (2) Die Anmeldung muss enthalten: 1. folgende Angaben zur Gesellschaft: a) die Firma, b) den Sitz und c) die Geschäftsanschrift in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union; 2. folgende Angaben zu jedem Gesellschafter: a) wenn der Gesellschafter eine natürliche Person ist: dessen Namen, Vornamen, Geburtsdatum und Wohnort; b) wenn der Gesellschafter eine juristische Person oder rechtsfähige Personengesellschaft ist: deren Firma oder Namen, Rechtsform, Sitz und, soweit gesetzlich vorgesehen, zuständiges Register und Registernummer; 3. die Angabe der Vertretungsbefugnis der Gesellschafter; 4. die Versicherung, dass die Gesellschaft nicht bereits im Gesellschafts- oder im Partnerschaftsregister eingetragen ist. (3) Ist die Gesellschaft bereits im Gesellschafts- oder im Partnerschaftsregister eingetragen, hat die Anmeldung im Wege eines Statuswechsels dort zu erfolgen. (4) 1Das Gericht soll eine Gesellschaft, die bereits im Gesellschafts- oder im Partnerschaftsregister eingetragen ist, in das Handelsregister nur eintragen, wenn 1. der Statuswechsel zu dem anderen Register nach Absatz 3 angemeldet wurde, 2. der Statuswechselvermerk in das andere Register eingetragen wurde und 3. das für die Führung des anderen Registers zuständige Gericht das Verfahren an das für die Führung des Handelsregisters zuständige Gericht abgegeben hat. 2 § 707c Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist entsprechend anzuwenden. 3Absatz 2 bleibt im Übrigen unberührt.
95 Siehe etwa Fleischer, BB 2021, 386, 388 ff. 96 Überblicksartig Fleischer, BB 2021, 386, 390.
750 | Koch/Harnos
Anmeldung zum Handelsregister; Statuswechsel | Rz. 1 § 106 HGB
(5) 1Die Eintragung der Gesellschaft hat im Fall des Absatzes 4 die Angabe des für die Führung des Gesellschafts- oder des Partnerschaftsregisters zuständigen Gerichts, den Namen und die Registernummer, unter der die Gesellschaft bislang eingetragen ist, zu enthalten. 2Das Gericht teilt dem Gericht, das das Verfahren abgegeben hat, von Amts wegen den Tag der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister und die neue Registernummer mit. 3Die Ablehnung der Eintragung teilt das Gericht von Amts wegen dem Gericht, das das Verfahren abgegeben hat, mit, sobald die Entscheidung rechtskräftig geworden ist. (6) Wird die Firma der Gesellschaft geändert, der Sitz der Gesellschaft an einen anderen Ort verlegt, die Geschäftsanschrift geändert, scheidet ein Gesellschafter aus oder tritt ein neuer Gesellschafter ein oder ändert sich die Vertretungsbefugnis eines Gesellschafters, ist dies ebenfalls zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. (7) 1Anmeldungen sind vorbehaltlich der Sätze 2 und 3 von sämtlichen Gesellschaftern zu bewirken. 2Scheidet ein Gesellschafter durch Tod aus, kann die Anmeldung ohne Mitwirkung der Erben erfolgen, sofern einer solchen Mitwirkung besondere Hindernisse entgegenstehen. 3Ändert sich nur die Geschäftsanschrift der Gesellschaft, ist die Anmeldung von der Gesellschaft zu bewirken. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Regelungsgegenstand und -zweck; Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anmeldepflicht (Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . III. Anmeldepflichtige Angaben (Abs. 2) 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Angaben zur Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . 3. Angaben zu Gesellschaftern . . . . . . . . . . . 4. Vertretungsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Versicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Ungeschriebene Eintragungspflicht und Eintragungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Statuswechsel (Abs. 3–5) 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anmeldung des Statuswechsels und Verfahren beim Ausgangsregister . . . . . .
1 3 7 8 11 13 14 15 16
3. Eintragungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . 4. Eintragungsinhalt und Registerkommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Anmeldung der Änderungen (Abs. 6) . VI. Anforderungen an die Anmeldung (Abs. 7) 1. Person der Anmeldenden a) Regel: Anmeldung durch sämtliche Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausnahmen für Gesellschafterwechsel durch Tod und Änderung der Geschäftsanschrift . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sonstige formelle Vorgaben . . . . . . . . . . .
18 21 24
26 28 30
17
Schrifttum: Fleischer, Ein Rundflug über das OHG-Recht im Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, BB 2021, 386; M. Noack/Göbel, Die eingetragenen Personengesellschaft zwischen Rechtsformwahl und Rechtsformzwang, GmbHR 2021, 569; Wertenbruch/ Alm, Der Statuswechsel zwischen Personengesellschaften nach dem MoPeG, ZPG 2023, 201. Vgl. ferner das Schrifttum zu § 705 BGB und § 105 HGB.
I. Regelungsgegenstand und -zweck; Entwicklung § 106 HGB enthält Regelungen zum Registerrecht der offenen Handelsgesellschaft (OHG). 1 Die Vorschrift ist im Kontext der §§ 8 ff. HGB zu lesen. Ergänzende Vorgaben zur Registeranmeldung im Zusammenhang mit der Auflösung und Liquidation finden sich in §§ 141, 147, 150 HGB (dazu § 141 HGB Rz. 1 ff., § 147 HGB Rz. 1 ff. und § 150 HGB Rz. 1 ff.). Wie die registerrechtlichen Regelungen im ersten Buch des HGB dient § 106 HGB der Publizität Koch/Harnos | 751
§ 106 HGB Rz. 1 | Offene Handelsgesellschaft und damit dem Schutz des Rechtsverkehrs, der im öffentlichen Interesse liegt (zum Zweck des Registerrechts s. § 8 HGB Rz. 1 ff.).1 § 106 Abs. 1 HGB statuiert eine Pflicht zur Anmeldung2 der OHG zur Eintragung in das Handelsregister (dazu Rz. 3 ff.). Den Inhalt der Anmeldung legt § 106 Abs. 2 HGB fest (dazu Rz. 7 ff.). In § 106 Abs. 3–5 HGB ist der sog. Statuswechsel geregelt (dazu Rz. 16 ff. und § 707c BGB Rz. 1 ff.). § 106 Abs. 6 HGB beschäftigt sich mit der Anmeldung von Änderungen (dazu Rz. 24 f.), § 106 Abs. 7 HGB mit Personen, die an der Anmeldung mitzuwirken haben (dazu Rz. 26 ff.). Zu sonstigen Vorgaben an die Anmeldung s. Rz. 30. 2 Vor dem MoPeG waren die in § 106 HGB enthaltenen Vorschriften im Gesetz verstreut: Die
Anmeldepflicht war in § 106 Abs. 1 HGB a.F. geregelt, die anmeldepflichtigen Tatsachen waren in § 106 Abs. 2 HGB a.F. aufgezählt; diese Regelungen entsprechen im Wesentlichen dem geltenden § 106 Abs. 1, 2 HGB (zu den Unterschieden s. Rz. 10).3 Welche Änderungen zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden waren, ergab sich vor dem MoPeG aus §§ 107, 143 Abs. 2 HGB a.F. Von wem die Anmeldung zu bewirken war, folgte bislang aus §§ 108, 143 Abs. 3 HGB a.F.4 Mit der Neufassung des § 106 Abs. 6 und 7 HGB hat der Gesetzgeber diese Regelungen gebündelt und dadurch zur Rechtsklarheit beigetragen. Gänzlich neu sind die Regelungen über den Statuswechsel in § 106 Abs. 3–5 HGB, die wegen der Einführung des Gesellschaftsregisters (§§ 707 ff. BGB) erforderlich geworden sind und die durch § 707c BGB ergänzt werden (§ 707c BGB Rz. 1 ff.).5
II. Anmeldepflicht (Abs. 1) 3 Nach § 106 Abs. 1 HGB ist die Gesellschaft bei dem Gericht, in dessen Bezirk sie ihren Sitz
hat, zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. Die Vorschrift statuiert eine öffentlich-rechtliche Pflicht, die mit den Instrumenten des § 14 HGB durchgesetzt werden kann (Zwangsgeld; hierzu § 14 HGB Rz. 1 ff.). Eine solche Pflicht folgt bereits aus § 29 HGB, weil die OHG als eine Handelsgesellschaft nach § 6 Abs. 1 HGB denselben Vorschriften unterliegt wie ein Kaufmann. Sie gilt nur für Anmeldungen, die in einer deklaratorischen Eintragung münden sollen, also wenn es um die Anmeldung einer Ist-OHG i.S.d. § 105 Abs. 1 HGB geht (dazu § 105 HGB Rz. 3 ff.).6 In Fällen, in denen die Gesellschaft nach § 107 Abs. 1 HGB mit konstitutiver Wirkung in das Handelsregister eingetragen wird (kleingewerbliche Unternehmen, Vermögensverwaltungsgesellschaften und Zusammenschlüsse der Angehörigen freier Berufe als Kann-OHG, s. § 105 HGB Rz. 9, 10, 13 und § 107 HGB Rz. 18 ff.), würde eine mit öffentlich-rechtlichen Mitteln erzwingbare Anmeldepflicht die Rechtsformwahlfreiheit der Gesellschafter konterkarieren (zur privatrechtlichen Anmeldepflicht s. noch Rz. 6).7
1 Ausf. hierzu Koch/Harnos in Staub, 6. Aufl. 2023, § 8 HGB Rz. 1 ff. 2 Zur Rechtsnatur der Handelsregisteranmeldung statt vieler Koch/Harnos in Staub, 6. Aufl. 2023, § 12 HGB Rz. 3 ff.; zur Befristung, Bedingung und Widerruf der Anmeldung s. § 12 HGB Rz. 10 ff.; Koch/Harnos in Staub, 6. Aufl. 2023, § 12 HGB Rz. 18 f. Wird eine nach § 106 Abs. 1 HGB erforderliche Anmeldung widerrufen, kann sie vom Registergericht nach § 14 HGB erzwungen werden, s. Haas/Wöstmann in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 106 HGB Rz. 5. 3 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 222; Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 106 HGB Rz. 34. 4 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 223; Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 108 HGB Rz. 19. 5 Siehe Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 37. 6 Zum deklaratorischen Charakter der Eintragung einer Ist-OHG statt vieler Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 106 HGB Rz. 51. 7 Vgl. dazu auch Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 12.
752 | Koch/Harnos
Anmeldung zum Handelsregister; Statuswechsel | Rz. 6 § 106 HGB
Adressaten des § 106 Abs. 1 HGB sind alle Gesellschafter (s. § 106 Abs. 7 Satz 1 HGB und 4 Rz. 26 f.), nicht aber die OHG selbst.8 Die Anmeldepflicht entsteht nach herrschender Auffassung mit der Aufnahme der Geschäftstätigkeit i.S.d. § 123 Abs. 1 HGB.9 Freilich können die Gesellschafter die OHG bereits dann zur Eintragung in das Handelsregister anmelden, wenn sie den Gesellschaftsvertrag abgeschlossen haben und die Gesellschaft im Innenverhältnis errichtet wurde (zur Unterscheidung zwischen Errichtung im Innenverhältnis und Entstehung im Außenverhältnis s. § 105 HGB Rz. 4).10 Beendet ist die Anmeldepflicht aus § 106 Abs. 1 HGB erst mit der Vollbeendigung der OHG, nicht schon mit ihrer Auflösung (zur Unterscheidung zwischen Auflösung und Liquidation s. § 138 HGB Rz. 1 f.).11 Über die Anmeldepflicht hinaus legt § 106 Abs. 1 HGB fest, bei welchem Gericht die Anmel- 5 dung einzureichen ist.12 Örtlich Zuständig ist das Gericht, in dessen Bezirk die OHG ihren Sitz hat. Haben die Gesellschafter nach § 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 706 Satz 2 BGB einen Vertragssitz festgelegt (dazu § 706 BGB Rz. 12 ff.; zur Geltung des § 706 BGB im OHG-Recht s. § 105 HGB Rz. 21), ist dieser für § 106 Abs. 1 HGB maßgeblich (zur Bedeutung des Sitzes in registerrechtlichen Angelegenheiten s. § 706 BGB Rz. 3); anderenfalls richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach dem Verwaltungssitz (dazu § 706 BGB Rz. 4 ff.; zur Möglichkeit der Gesellschafter, keinen Vertragssitz festzulegen, s. § 706 BGB Rz. 16). Sachlich Zuständig ist nach § 23a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GVG das AG. Funktional Zuständig ist nach § 3 Nr. 2 Buchst. d RPflG der Rechtspfleger. Zu den Anforderungen an die Anmeldung s. noch Rz. 26 ff. Neben die öffentlich-rechtliche Pflicht aus § 106 Abs. 1 HGB tritt die gesellschaftsvertragli- 6 che Pflicht der Gesellschafter, an der Anmeldung der Gesellschaft zur Eintragung in das Handelsregister mitzuwirken.13 Eine solche Pflicht kommt nicht nur in Fällen der deklaratorischen Eintragung einer Ist-OHG in Betracht. Vielmehr kann sie auch dann entstehen, wenn ein kleingewerbliches Unternehmen, eine Vermögensverwaltungsgesellschaft oder ein Zusammenschluss der Angehörigen freier Berufe nach dem Willen der Gesellschafter als eine Kann-OHG gem. § 107 Abs. 1 HGB mit konstitutiver Wirkung in das Handelsregister eingetragen werden soll.14 Die gesellschaftsvertragliche Anmeldepflicht kann mit privatrechtlichen Mitteln durchgesetzt werden (Leistungsklage; Feststellungsklage).15
8 Vgl. Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 106 HGB Rz. 8, § 108 HGB Rz. 5. 9 Haas/Wöstmann in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 106 HGB Rz. 3; Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 106 HGB Rz. 9; Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 14. 10 Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 106 HGB Rz. 10; Haas/Wöstmann in Röhricht/ von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 106 HGB Rz. 3. 11 Born in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 106 HGB Rz. 6; Haas/Wöstmann in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 106 HGB Rz. 4. 12 Erfolgt die Anmeldung bei unzuständigem Gericht, ist sie zurückzuweisen, vgl. BayObLG v. 1.10.1970 – BReg. 2 Z 36/70, BayObLGZ 1970, 235 = NJW 1971, 147; Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 18. 13 Zum Nebeneinander der öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Anmeldepflicht Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 11 f. 14 Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 106 HGB Rz. 9, 12; Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 106 HGB Rz. 9. 15 Zu den statthaften Klagen s. Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 11 a.E. Koch/Harnos | 753
§ 106 HGB Rz. 7 | Offene Handelsgesellschaft
III. Anmeldepflichtige Angaben (Abs. 2) 1. Überblick 7 Welchen Inhalt die Anmeldung haben muss, ergibt sich aus § 106 Abs. 2 HGB. Die Vor-
schrift unterscheidet zwischen Angaben zur Gesellschaft (Nr. 1 und Rz. 8 ff.), Anhaben zu den Gesellschaftern (Nr. 2 und Rz. 11 f.), Angaben zur Vertretungsmacht (Nr. 3 und Rz. 13) sowie der Versicherung, dass die Gesellschaft nicht bereits im Gesellschafts- oder im Partnerschaftsregister eingetragen ist (Nr. 4 und Rz. 14). Sonstige Angaben können zur Eintragung in das Handelsregister grundsätzlich nur dann angemeldet werden, wenn sich ihre Eintragungsfähigkeit aus einer gesetzlichen Regelung jenseits des § 106 Abs. 2 HGB ergibt (sog. Enumerationsprinzip).16 Fälle der ungeschriebenen Eintragungsfähigkeit sind wegen der strengen Formalisierung des Registerrechts nur ausnahmsweise denkbar und im Wege eines Analogieschlusses zu entwickeln. Dabei kommt eine Analogie lediglich dann in Betracht, wenn für die Eintragung ein unabweisbares Bedürfnis besteht (hierzu Rz. 15).17 Die registergerichtliche Prüfung der Anmeldung bezieht sich zum einen auf die Formalia (§ 12 HGB), zum anderen auf die inhaltliche Richtigkeit nach Maßgabe des § 26 FamFG.18
2. Angaben zur Gesellschaft 8 Nach § 106 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a HGB ist die Firma der Gesellschaft anzumelden. Dabei hat
das Registergericht zu prüfen, ob die in der Anmeldung angegebene Firma den firmenrechtlichen Grundsätzen entspricht19 und mit der tatsächlich verwendeten Firma übereinstimmt.20 9 Die Anmeldung hat ferner nach § 106 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b HGB eine Angabe zum Sitz der
Gesellschaft zu enthalten. Im Schrifttum wird insoweit die Auffassung vertreten, dass stets der Vertragssitz (§ 706 Satz 2 BGB i.V.m. § 105 Abs. 3 HGB) anzugeben ist.21 Dies trifft nicht zu. Wie bereits in § 706 BGB Rz. 16 erläutert, haben die Gesellschafter einer eingetragenen Personengesellschaft die Möglichkeit, auf die Bestimmung des Vertragssitzes zu verzichten22 und den Verwaltungssitz in das Handelsregister eintragen zu lassen. Von einer solchen Möglichkeit gehen auch die MoPeG-Gesetzesmaterialien aus.23
16 Zum registerrechtlichen Enumerationsprinzip etwa Koch/Harnos in Staub, 6. Aufl. 2023, § 8 HGB Rz. 31. 17 Hierzu und zu den (noch selteneren) Fällen einer ungeschriebenen Anmeldepflicht ausf. Born in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 106 HGB Rz. 20; Haas/Wöstmann in Röhricht/ von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 106 HGB Rz. 62; Koch/Harnos in Staub, 6. Aufl. 2023, § 8 HGB Rz. 45 ff. 18 Haas/Wöstmann in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 106 HGB Rz. 19. 19 Zum Firmenrecht der Personenhandelsgesellschaften Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 172 ff. 20 Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 21. 21 So augenscheinlich Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 106 HGB Rz. 33; Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 23 a.E. Für die eGbR auch Servatius, 2023, § 707 BGB Rz. 13; ohne eine solche Einschränkung aber Krafka in BeckOGK/BGB, Stand: 1.2.2023, § 707 BGB Rz. 30. 22 So auch Böhringer/Melchior, NotBZ 2022, 361, 363; M. Noack, BB 2021, 643, 644 f.; implizit ferner Hoffmann/Horn, RabelsZ 86 (2022), 65, 80 (im kollisionsrechtlichen Kontext); a.A. Servatius, 2023, § 706 BGB Rz. 1, 6, § 707 BGB Rz. 13. 23 Vgl. zum gleichlautenden § 707 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b BGB Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/ 27635, 129. Wie hier C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 706 BGB Rz. 8; wohl auch Haas/Wöstmann in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 106 HGB Rz. 7.
754 | Koch/Harnos
Anmeldung zum Handelsregister; Statuswechsel | Rz. 12 § 106 HGB
Schließlich haben die Gesellschafter nach § 106 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c HGB die Geschäfts- 10 anschrift anzugeben, die – abweichend von der Rechtslage vor dem MoPeG24 – nicht im Inland liegen muss. Vielmehr genügt eine Geschäftsanschrift in einem EU-Mitgliedstaat.25 Damit soll die Möglichkeit der Zustellung von Dokumenten an die Gesellschaft gesichert werden.26 Es spricht viel dafür, dass die Geschäftsanschrift losgelöst vom Verwaltungs- und/oder Vertragssitz der Gesellschaft innerhalb der EU frei gewählt werden kann.27 Die Angaben zur Geschäftsanschrift müssen grundsätzlich aus Straße, Hausnummer, Ort und Postleitzahl bestehen;28 bei einer ausländischen Anschrift ist auch der EU-Mitgliedstaat anzugeben.
3. Angaben zu Gesellschaftern § 106 Abs. 2 Nr. 2 HGB regelt die notwendigen Angaben zu Gesellschaftern. Ist ein Gesell- 11 schafter eine natürliche Person, so ist gem. § 106 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a HGB dessen Name, Vorname, Geburtsdatum und Wohnort in der Handelsregisteranmeldung anzugeben.29 Mit dem Namen ist der bürgerliche Name und – im Fall eines Kaufmanns – nicht die Firma gemeint.30 Eine zusätzliche Angabe der Firma wird in Rechtsprechung und Schrifttum für zulässig gehalten,31 was im Hinblick auf das Enumerationsprinzip des Registerrechts (Rz. 7) nicht selbstverständlich ist, jedoch im Ergebnis unbedenklich erscheint. Die Angabe des Vornamens bezieht sich auf den Rufnamen.32 Zulässig ist aber auch die Angabe eines Künstlernamens oder Pseudonyms, soweit sie in amtlichen Urkunden festgehalten sind und Verkehrsgeltung haben.33 Mit dem Wohnort ist nicht der Wohnsitz i.S.d. §§ 7 ff. BGB gemeint, sondern der Ort des dauernden Aufenthalts, an dem der Gesellschafter erreichbar ist.34 Handelt es sich beim Gesellschafter um eine rechtsfähige Personenvereinigung, sind gem. 12 § 106 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b HGB anzugeben: deren Firma oder Namen, Rechtsform, Sitz und, soweit gesetzlich vorgesehen, zuständiges Register und Registernummer.35 Dem Registergericht obliegt insoweit eine Prüfung nach § 26 FamFG.36 24 § 106 Abs. 2 Nr. 2 HGB a.F. lautete: „Die Anmeldung hat zu enthalten: (…) 2. die Firma der Gesellschaft, den Ort, an dem sie ihren Sitz hat, und die inländische Geschäftsanschrift; (…)“. 25 Zum unionsrechtlichen Hintergrund der Änderung (Niederlassungsfreiheit, Art. 49, 54 AEUV) s. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 129 f. 26 Für die eGbR zum gleichlautenden § 707 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c BGB Begr. RegE MoPeG, BTDrucks. 19/27635, 129; Krafka in BeckOGK/BGB, Stand: 1.2.2023, § 707 BGB Rz. 31. 27 Zum Problem Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 24. Für ein berechtigtes Interesse an einer solchen Gestaltung C. Schäfer in C. Schäfer, GbR/PartG, 9. Aufl. 2023, § 706 BGB Rz. 10. 28 Zum gleichlautenden § 707 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c BGB Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 129; s. ferner Haas/Wöstmann in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 106 HGB Rz. 10. 29 Ist der (künftige) Gesellschafter noch nicht geboren, wird er nicht in das Handelsregister eingetragen, s. OLG Celle v. 30.1.2018 – 9 W 13/18, ZIP 2018, 685 f. (zur Schenkung eines Kommanditanteils an ungeborene Leibesfrucht); s. ferner Notz/Zinger in BeckOGK/HGB, Stand: 1.4.2023, § 162 HGB Rz. 10. 30 Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 25. 31 Vgl. BayObLG v. 16.2.1973 – BReg 2 Z 4/73, BayObLGZ 1973, 46 f.; Haas/Wöstmann in Röhricht/ von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 106 HGB Rz. 11 m.w.N. 32 Haas/Wöstmann in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 106 HGB Rz. 11. 33 Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 26. Zur Partnerschaft OLG Frankfurt v. 18.11.2002 – 20 W 319/02, NJW 2002, 364. 34 Haas/Wöstmann in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 106 HGB Rz. 11; Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 27. 35 Einzelheiten bei Haas/Wöstmann in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 106 HGB Rz. 12 f.; Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 28. 36 Zum gleichlautenden § 707 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b BGB Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 130. Koch/Harnos | 755
§ 106 HGB Rz. 13 | Offene Handelsgesellschaft
4. Vertretungsmacht 13 Nach § 106 Abs. 2 Nr. 3 HGB ist in der Anmeldung die Vertretungsbefugnis der Gesellschaf-
ter anzugeben. Dies gilt nach allgemeiner Ansicht auch dann, wenn sich die Vertretungsmacht nach der gesetzlichen default rule des § 124 Abs. 1 HGB richtet (Einzelvertretungsmacht; s. dazu § 124 HGB Rz. 15 f.).37 In einem solchen Fall genügt die Angabe „Jeder [für die KG: persönlich haftende] Gesellschafter vertritt einzeln“.38 Bei einer kautelarjuristischen Modifikation der Vertretungsbefugnisse (dazu § 124 HGB Rz. 17 ff.) ist die konkrete gesellschaftsvertragliche Regelung anzugeben.39 Dies gilt auch für die Befreiung vom Verbot des Selbstkontrahierens nach § 181 BGB.40 Allerdings erstreckt sich die Anmeldepflicht des § 106 Abs. 2 Nr. 3 HGB nach h.M. nicht auf die Ermächtigung i.S.d. § 124 Abs. 2 Satz 2 HGB.41 Es erscheint aber unbedenklich, die Ermächtigung als eine eintragungsfähige Tatsache zu behandeln.42 Nicht eintragungsfähig sind hingegen Angaben zu rechtsgeschäftlichen Generalvollmachten und zur Geschäftsführungsbefugnis.43
5. Versicherung 14 Schließlich schreibt § 106 Abs. 2 Nr. 4 HGB vor, dass die Anmeldung eine Versicherung ent-
halten muss, dass die Gesellschaft nicht bereits im Gesellschafts- oder im Partnerschaftsregister eingetragen ist. Diese Regelung ist im Kontext des Statuswechsels zu lesen (§ 106 Abs. 3–5 HGB, § 707c BGB und Rz. 16 ff., § 707c BGB Rz. 1 ff.). Sie bezweckt die Einhaltung des geordneten Verfahrens, das der Gesetzgeber mit der Einführung des Statuswechsels implementieren wollte (ausf. § 707c BGB Rz. 1 ff.).44
6. Ungeschriebene Eintragungspflicht und Eintragungsfähigkeit 15 Wie bereits in Rz. 7 erläutert, ist es in Ausnahmefällen denkbar, den Katalog des § 106 Abs. 2,
6 HGB im Wege eines Analogieschlusses durch ungeschriebene eintragungspflichtige und eintragungsfähige Tatsachen zu erweitern. Eine ungeschriebene Eintragungspflicht ist zu bejahen bei: Änderungen der Personalia der Gesellschafter; Fortsetzungsbeschluss; Rechtsnachfolgevermerk.45 Für eintragungsfähig wird im Lichte des § 24 Abs. 4 HRV der Unter37 Siehe nur Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 131 (zum gleichlautenden § 707 Abs. 2 Nr. 3 BGB); Haas/Wöstmann in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 106 HGB Rz. 15. 38 Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 106 HGB Rz. 33; Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 29. 39 Born in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 106 HGB Rz. 17; Sanders in BeckOGK/ HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 29. 40 Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 106 HGB Rz. 33; Haas/Wöstmann in Röhricht/ von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 106 HGB Rz. 15. Ausf. dazu aus registerrechtlicher Perspektive Koch/Harnos in Staub, 6. Aufl. 2023, § 8 HGB Rz. 54 ff., 62. 41 Born in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 106 HGB Rz. 18; Fleischer in MünchKomm/ HGB, 5. Aufl. 2022, § 106 HGB Rz. 34; Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 29. 42 A.A. wohl M. Roth in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 106 HGB Rz. 13. 43 Allg. M., s. nur Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 106 HGB Rz. 26 (zur Vollmacht); Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 35 (zu Angaben hinsichtlich des Innenverhältnisses). 44 Hierzu Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 131, 222; Hermanns in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 2 Rz. 9; Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 106 HGB Rz. 35; Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 30. 45 Siehe etwa Born in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 106 HGB Rz. 22; Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 31.
756 | Koch/Harnos
Anmeldung zum Handelsregister; Statuswechsel | Rz. 16 § 106 HGB
nehmensgegenstand gehalten (zur Unterscheidung zwischen Gesellschaftszweck und Unternehmensgegenstand s. § 705 BGB Rz. 35 ff.),46 was indes wegen des Enumerationsprinzips nicht gänzlich unbedenklich ist und von einer verbreiteten Gegenauffassung abgelehnt wird.47 Gleichwohl ist die gerichtliche Hinwirkungspflicht aus § 24 Abs. 4 HRV ein systematisches Argument dafür, die tradierte Ansicht aufzugeben und die Eintragungsfähigkeit des Unternehmensgegenstands zu bejahen. Zu weit ginge aber die Annahme einer ungeschriebenen Eintragungspflicht, die mit Instrumenten des § 14 HGB durchsetzbar ist.48 Zur Befreiung vom Verbot des Selbstkontrahierens, Ermächtigung nach § 124 Abs. 2 Satz 2 HGB und Geschäftsführungsbefugnis s. Rz. 13.49
IV. Statuswechsel (Abs. 3–5) 1. Überblick § 106 Abs. 3–5 HGB regelt den sog. Statuswechsel, also den Fall, in dem eine in einem Regis- 16 ter eingetragene (und damit zugleich rechtsfähige) Personengesellschaft (Ausgangsrechtsform im Ausgangsregister) ihre Rechtsform wechselt und die Zielrechtsform ebenfalls eine rechtsfähige Personengesellschaft ist, die aber in einem anderen Register (Zielregister) eingetragen wird (zur Legaldefinition des Statuswechsels in § 707c Abs. 1 BGB und sonstigen Begrifflichkeiten s. § 707c BGB Rz. 4).50 Die Vorschriften des § 106 Abs. 3–5 HGB beziehen sich auf den Statuswechsel aus dem Gesellschafts- oder Partnerschaftsregister in das Handelsregister.51 Materiell-rechtlich geht es also um die identitätswahrende Umwandlung einer eingetragenen GbR52 oder einer Partnerschaft in eine Personenhandelsgesellschaft (OHG, KG).53 Für diese Fälle des Rechtsformwechsels regelt § 106 Abs. 3 HGB die Anmeldepflicht (dazu Rz. 17), § 106 Abs. 4 HGB die Voraussetzungen der Eintragung im Handelsregister (dazu Rz. 18 ff.) und § 106 Abs. 5 HGB den Eintragungsinhalt sowie die Registerkommunikation (dazu Rz. 21 ff.). Der umgekehrte Fall einer identitätswahrenden Umwandlung von Personenhandelsgesellschaft in eine andere rechtsfähige Personengesellschaft wird registerrechtlich in § 107 Abs. 3 HGB, § 707c Abs. 3 und 4 BGB, § 4 Abs. 4 PartGG geregelt. Zum
46 Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 34. Für eine Eintragungspflicht augenscheinlich C. Schäfer in Staub, 5. Aufl. 2009, § 106 HGB Rz. 24; Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 106 HGB Rz. 36. 47 Gegen die Eintragungsfähigkeit des Unternehmensgegenstands RG v. 3.5.1934 – 1 b X 121/34, JW 1934, 1730 f.; Koch/Harnos in Staub, 6. Aufl. 2023, § 8 HGB Rz. 51; Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 106 HGB Rz. 30 (der aber in Rz. 28 auf § 24 Abs. 4 HRV eingeht); M. Roth in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 106 HGB Rz. 2. 48 Dafür aber C. Schäfer in Staub, 5. Aufl. 2009, § 106 HGB Rz. 24; Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 106 HGB Rz. 36. 49 Zu weiteren Fällen vgl. die Aufzählung bei Born in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 106 HGB Rz. 21 f.; Koch/Harnos in Staub, 6. Aufl. 2023, § 8 HGB Rz. 50 f. 50 Vgl. Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 37. 51 Zum Anwendungsbereich s. auch Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 42. 52 Nicht eingetragene GbR unterfallen den Regelungen über den Statuswechsel nicht, s. Servatius, 2023, § 707c BGB Rz. 4; Wertenbruch/Alm, ZPG 2023, 201, 203. Sie sind entweder nach Maßgabe des § 106 Abs. 1, 6 HGB (wenn das gewerbliche Unternehmen zu einem Handelsgewerbe gewachsen und dadurch ipso iure eine OHG geworden ist; dazu § 105 HGB Rz. 12) oder des § 107 Abs. 1 HGB (wenn die Gesellschafter einer kleingewerblichen GbR, einer Vermögensverwaltungsgesellschaft oder eines Zusammenschlusses der Angehörigen freier Berufe für das Rechtskleid der OHG optieren; dazu § 107 HGB Rz. 18 ff.) zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden; s. dazu Wertenbruch/Alm, ZPG 2023, 201, 203 f. 53 Vgl. dazu etwa Haas/Wöstmann in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 106 HGB Rz. 22. Koch/Harnos | 757
§ 106 HGB Rz. 16 | Offene Handelsgesellschaft Zweck der Regelungen über den Statuswechsel s. § 707c BGB Rz. 1.54 Zu den materiell-rechtlichen Grundlagen des Statuswechsels vgl. § 707c BGB Rz. 3.
2. Anmeldung des Statuswechsels und Verfahren beim Ausgangsregister 17 Aus § 106 Abs. 3 HGB folgt, dass der Statuswechsel beim Ausgangsregister anzumelden ist
(zum Folgenden s. § 707c BGB Rz. 5).55 Örtlich zuständig ist das Registergericht am Ort, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat (Ausgangsregister); eine Anmeldung beim Zielregister – also dem Handelsregister – ist entbehrlich.56 Sachlich zuständig ist gem. § 23a Abs. 1 Nr. 2 GVG das AG.57 Zur Verweisung bei Anmeldung bei einem unzuständigen Gericht gem. § 3 Abs. 1 Satz 1 FamFG s. § 707c BGB Rz. 5. Zur Form und zu den weiteren Modalitäten der Anmeldung, die nach § 106 Abs. 7 Satz 1 HGB durch alle Gesellschafter zu bewirken ist (s. noch Rz. 26 f.), vgl. § 707c BGB Rz. 6. Zum weiteren Verfahren beim Ausgangsregister, das nach § 106 Abs. 4 Satz 2 HGB entsprechend § 707c Abs. 2 BGB erfolgt, s. § 707c BGB Rz. 7 ff. (insb. Eintragung des Statuswechselvermerks und ggf. des Vorläufigkeitsvermerks sowie Abgabe des Verfahrens von Amts wegen an das Zielregister);58 diese Ausführungen gelten gem. § 1 Abs. 4 PartGG auch für die Partnerschaft.59
3. Eintragungsvoraussetzungen 18 Hat das Ausgangsregister nach einer (Plausibilitäts-)Prüfung festgestellt, dass die prozedura-
len und materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Statuswechsels erfüllt sind,60 und das Verfahren vom Amts wegen an das Handelsregister als Zielregister abgegeben (s. hierzu § 707c BGB Rz. 12), ordnet § 106 Abs. 4 Satz 1 HGB an, wann das Gericht die Gesellschaft in das Handelsregister eintragen soll: wenn der Statuswechsel zu dem Ausgangsregister angemeldet wurde (Nr. 1), der Statuswechselvermerk in das Ausgangsregister eingetragen wurde (Nr. 2) und das für die Führung des Ausgangsregisters zuständige Gericht das Verfahren an das für die Führung des Handelsregisters zuständige Gericht abgegeben hat (Nr. 3). 19 Sind die Vorgaben des § 106 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1–3 HGB nicht erfüllt oder liegen die mate-
riell-rechtlichen Voraussetzungen des Statuswechsels nicht vor, hat das Zielregister die Eintragung abzulehnen und seine Entscheidung dem Ausgangsregister mitzuteilen, damit dieses die Löschung des Statuswechselvermerks veranlassen kann.61 Trägt das für die Führung des Handelsregisters zuständige Gericht den Statuswechsel dennoch ein, bleibt die Eintragung wirksam.62 Die Verletzung der zwingenden Soll-Ordnungsvorschrift kann aber Amtshaf-
54 Hierzu auch Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 38. 55 Zum klarstellenden Charakter dieser Regelung Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 222; Wertenbruch/Alm, ZPG 2023, 201, 204. 56 Siehe nur Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 39 f. Zum System einer einmaligen Anmeldung s. auch bereits § 707c BGB Rz. 5. 57 Vgl. Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 40. 58 Zum Verfahren nach § 106 Abs. 4 Satz 2 HGB i.V.m. § 707c Abs. 2 BGB vgl. auch Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 223; Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 43 f. Zum deklaratorischen Charakter des § 106 Abs. 4 Satz 2 HGB s. Wertenbruch/Alm, ZPG 2023, 201, 207. 59 Vgl. auch Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 223. 60 Hierzu im Einzelnen Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 42. 61 Zu einem solchen Szenario Krafka in BeckOGK/BGB, Stand: 1.2.2023, § 707c BGB Rz. 18. 62 Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 46 a.E.
758 | Koch/Harnos
Anmeldung zum Handelsregister; Statuswechsel | Rz. 23 § 106 HGB
tungsansprüche gegen den Entscheidungsträger des Registergerichts gem. § 839 BGB, Art. 34 GG nach sich ziehen.63 § 106 Abs. 4 Satz 3 HGB ordnet an, dass § 106 Abs. 2 HGB im Übrigen unberührt bleibt. 20 Daraus folgt, dass die Anmeldung zur Eintragung der OHG im Zielregister die allgemeinen Angaben enthalten muss (dazu Rz. 7 ff.).64 Haben sich die Verhältnisse der Gesellschaft (etwa die Firma oder die Vertretungsmacht der Gesellschafter) im Zuge des Rechtsformwechsels geändert, müssen die Gesellschafter diese Änderungen nach § 106 Abs. 6 HGB zur Eintragung im Gesellschaftsregister anmelden.65
4. Eintragungsinhalt und Registerkommunikation Mit welchem Inhalt die Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister erfolgt, ergibt sich 21 aus § 106 Abs. 5 Satz 1 HGB. Danach hat die Eintragung der Personenhandelsgesellschaft zu enthalten: (1) die Angabe des für die Führung des Gesellschafts- oder des Partnerschaftsregisters zuständigen Gerichts, (2) den Namen und (3) die Registernummer, unter der die Gesellschaft bislang eingetragen ist. Diese Informationen sind für den Rechtsverkehr insoweit relevant, als sie kenntlich machen, dass im Handelsregister als dem Zielregister ein Rechtsformwechsel nachvollzogen wird.66 § 106 Abs. 5 Satz 2 und 3 HGB regelt den Informationsfluss zwischen den beteiligten Regis- 22 tern. Nach § 106 Abs. 5 Satz 2 BGB teilt das Gericht, das für die Führung des Handelsregisters zuständig ist und den Statuswechsel eingetragen hat, dem Ausgangsregister von Amts wegen den Tag der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister und die neue Registernummer mit;67 das Ausgangsregister kann das Registerblatt schließen.68 Ist für das Ausgangs- und Zielregister dasselbe Gericht örtlich und derselbe Rechtspfleger funktional zuständig, erscheint die Mitteilung nach § 106 Abs. 5 Satz 2 HGB entbehrlich.69 Hat das Gericht, das für die Führung des Handelsregisters zuständig ist, die Eintragung des 23 Statuswechsels abgelehnt,70 richtet sich die Registerkommunikation nach § 106 Abs. 5 Satz 3 HGB. Danach hat das Zielregister von Amts wegen dem Ausgangsregister die Ablehnung mitzuteilen, sobald die Ablehnungsentscheidung rechtskräftig geworden ist. Verfügt das Ausgangsregister über diese Information, kann es den Statuswechselvermerk gem. § 707c Abs. 2 Satz 5 BGB löschen.71 Ein solches Szenario kann insbesondere dann eintreten, wenn der Gesellschaftszweck weder im Betrieb eines (Handels-)Gewerbes noch in der Verwaltung eigenen Vermögens noch in der berufsrechtlich zulässigen gemeinsamen Ausübung eines freien Berufs liegt.72
63 Holzer, ZNotP 2020, 239, 244. 64 Vgl. Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 46; für die eGbR s. Servatius, 2023, § 707c BGB Rz. 16 a.E. Rechtsformübergreifend Wertenbruch/Alm, ZPG 2023, 201, 206. 65 Wertenbruch/Alm, ZPG 2023, 201, 206; für die eGbR s. Krafka in BeckOGK/BGB, Stand: 1.2.2023, § 707c BGB Rz. 10. 66 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 138, 223; Holzer, ZNotP 2020, 239, 244; Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 47; Servatius, 2023, § 707c BGB Rz. 17. 67 Siehe hierzu Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 223. 68 Wertenbruch/Alm, ZPG 2023, 201, 207. 69 Vgl. Heckschen/Knaier in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 229t. 70 Zur Prüfung durch das Zielregister s. Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 46. 71 Vgl. Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 48. 72 Siehe Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 223. Koch/Harnos | 759
§ 106 HGB Rz. 24 | Offene Handelsgesellschaft
V. Anmeldung der Änderungen (Abs. 6) 24 Gemäß § 106 Abs. 6 HGB sind auch nachträgliche Änderungen der Verhältnisse bei einer
Personenhandelsgesellschaft zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. Wie § 106 Abs. 1 HGB dient die Vorschrift der Publizität und damit dem Schutz des Rechtsverkehrs (s. bereits Rz. 1), der sich auf die Aktualität des Registerbestands verlassen können soll.73 Sie gilt im Liquidationsstadium und greift auch dann ein, wenn die Eintragung der ursprünglichen Tatsache unterblieben ist.74 Die Anmeldepflicht entsteht erst, wenn die Änderung auf materiell-rechtlicher Ebene eingetreten ist oder mit der Eintragung eintritt, nicht aber bei künftigen Änderungen.75 Zu den Anforderungen an die Anmeldung s. Rz. 26 ff. Örtlich zuständig ist das Registergericht am Sitz der Gesellschaft;76 speziell für die Sitzverlegung folgt dies aus § 13h HGB.77 25 Der Katalog des § 106 Abs. 6 HGB korrespondiert mit den Vorgaben in § 106 Abs. 2 HGB
und erstreckt sich auf: die Firmenänderung,78 die Sitzverlegung (dazu § 706 BGB Rz. 6 ff. [Verlegung des Verwaltungssitzes], § 706 BGB Rz. 19 ff. [Verlegung des Vertragssitzes]),79 die Änderung der Geschäftsanschrift (s. hierzu noch Rz. 29),80 den Gesellschafterwechsel (speziell zum Ausscheiden eines Gesellschafters durch Tod s. noch Rz. 28)81 und die Änderung der Vertretungsbefugnisse.82
VI. Anforderungen an die Anmeldung (Abs. 7) 1. Person der Anmeldenden a) Regel: Anmeldung durch sämtliche Gesellschafter 26 § 106 Abs. 7 HGB bestimmt die anmeldepflichtigen Personen und gilt ausweislich seiner sys-
tematischen Stellung für alle Fälle der Anmeldung nach § 106 HGB.83 Nach § 106 Abs. 7 Satz 1 HGB sind im Ausgangspunkt sämtliche Gesellschafter anmeldepflichtig. Die Vorgabe soll zum einen die Ordnungsgemäßheit der Anmeldung sicherstellen und dadurch die Publizitätsfunktion des Handelsregisters fördern sowie das Vertrauen des Rechtsverkehrs stärken. Zum anderen schafft § 106 Abs. 7 Satz 1 HGB die verfahrensrechtliche Grundlage für die positive Publizitätswirkung des Registers nach § 15 Abs. 3 HGB, weil etwaige unrichtige Eintragungen den Gesellschaftern und damit auch der Gesellschaft zugerechnet werden kön73 Vgl. BGH v. 21.7.2020 – II ZB 26/19, GmbHR 2020, 1067 Rz. 20 = ZIP 2020, 1658 (zu § 107 HGB a.F.); Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 50. 74 Haas/Wöstmann in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 106 HGB Rz. 29 f.; Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 50. 75 Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 51. 76 Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 51. 77 Ausf. dazu Koch/Harnos in Staub, 6. Aufl. 2023, § 13h HGB Rz. 1 ff.; s. ferner Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 51. 78 Zur registergerichtlichen Prüfung etwa Born in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 107 HGB Rz. 5. 79 Vgl. Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 53. 80 Siehe Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 106 HGB Rz. 9; Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 54 f. 81 Im Einzelnen Born in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 107 HGB Rz. 7 ff.; Haas/ Wöstmann in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 106 HGB Rz. 33 ff.; Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 56 ff. 82 Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 106 HGB Rz. 14 f.; Haas/Wöstmann in Röhricht/ von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 106 HGB Rz. 37. 83 Zum Anwendungsbereich s. nur Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 82.
760 | Koch/Harnos
Anmeldung zum Handelsregister; Statuswechsel | Rz. 29 § 106 HGB
nen.84 Im Kontext des § 107 Abs. 1 HGB wird zudem die Warnfunktion der gemeinschaftlichen Anmeldung, die in einer Handelsregistereintragung mit konstitutiver Wirkung münden soll (s. § 107 HGB Rz. 36), hervorgehoben.85 Damit die materiell-rechtlichen Wirkungen etwaiger Änderungen der Gesellschaftsverhältnisse nicht durch das Registerrecht konterkariert werden, können die anmeldewilligen Gesellschafter die Mitwirkung der sonstigen Gesellschafter unter Berufung auf die mitgliedschaftliche Treupflicht erzwingen (zu positiven Mitwirkungs- und Zustimmungspflichten kraft Loyalitätsgebots s. § 705 BGB Rz. 62 und § 707 BGB Rz. 33).86 An der Anmeldung müssen alle Gesellschafter mitwirken, also auch solche, die weder ge- 27 schäftsführungs- noch vertretungsbefugt sind.87 Es ist allerdings nach herrschender Ansicht nicht erforderlich, dass die Gesellschafter die Anmeldung gleichzeitig abgeben.88 Vertretung ist möglich;89 rechtsgeschäftliche Vollmacht bedarf nach § 12 Abs. 1 Satz 3 HGB der öffentlich beglaubigten Form (s. auch Rz. 30). Da sich die Anmeldepflicht an die Gesellschafter richtet, können nur diese und nicht auch die Gesellschaft mit den Zwangsmitteln des § 14 HGB belegt werden.90 Allerdings ist die Gesellschaft befugt, Rechtsmittel einzulegen.91 b) Ausnahmen für Gesellschafterwechsel durch Tod und Änderung der Geschäftsanschrift § 106 Abs. 7 Satz 2 HGB greift ein, wenn ein Gesellschafter durch Tod ausscheidet. In einem 28 solchen Fall müssen grundsätzlich die Erben an der Anmeldung mitwirken,92 und zwar auch dann, wenn sie nicht in die Gesellschafterstellung einrücken;93 für den Nachweis der Erbfolge gilt § 12 Abs. 1 Satz 5 HGB (dazu § 12 HGB Rz. 16). Eine Mitwirkung der Erben ist nach § 106 Abs. 7 Satz 2 HGB entbehrlich, sofern einer solchen Mitwirkung besondere Hindernisse entgegenstehen. Dies ist etwa der Fall, wenn die Erben unerreichbar sind oder nicht alsbald ermittelt werden können.94 Erben, in deren Person kein solches Hindernis vorliegt, müssen an der Anmeldung mitwirken.95 § 106 Abs. 7 Satz 3 HGB modifiziert die Grundregel des § 106 Abs. 7 Satz 1 HGB für den 29 Fall einer Änderung der Geschäftsanschrift (vgl. dazu Rz. 25). Abweichend von § 106 Abs. 7 84 Siehe nur BGH v. 21.7.2020 – II ZB 26/19, GmbHR 2020, 1067 Rz. 20 = ZIP 2020, 1658 (zu § 108 Satz 1 HGB a.F.); Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 108 HGB Rz. 2; Haas/Wöstmann in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 106 HGB Rz. 49 a.E. 85 Statt vieler Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 108 HGB Rz. 2. 86 Ausf. dazu Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 63; im Kontext der GbR John, NZG 2022, 243, 244. 87 Im Einzelnen Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 66; s. ferner Haas/Wöstmann in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 106 HGB Rz. 49. 88 Siehe nur Haas/Wöstmann in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 106 HGB Rz. 43. 89 Ausf. Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 108 HGB Rz. 19 ff.; Haas/Wöstmann in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 106 HGB Rz. 53 ff.; Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 67 ff. 90 Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 73. 91 Haas/Wöstmann in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 106 HGB Rz. 43. 92 Zur Anmeldungpflicht bei Anordnung der Testamentsvollstreckung s. Haas/Wöstmann in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 106 HGB Rz. 51. 93 Vgl. Haas/Wöstmann in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 106 HGB Rz. 50; Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 75. 94 Mock in Röhricht/von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 141 HGB Rz. 13. 95 Für den gleichlautenden § 707 Abs. 4 Satz 2 BGB Hermanns in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 2 Rz. 19. Koch/Harnos | 761
§ 106 HGB Rz. 29 | Offene Handelsgesellschaft Satz 1 HGB genügt die Anmeldung durch die Gesellschaft. Es müssen also nicht sämtliche, sondern nur vertretungsbefugte Gesellschafter an der Anmeldung mitwirken.96 Aus § 106 Abs. 7 Satz 3 HGB folgt zugleich, dass die Zwangsinstrumente des § 14 HGB gegen die Gesellschaft als solche eingesetzt werden können. Die Erleichterung des § 106 Abs. 7 Satz 3 HGB gilt aber nicht für die Sitzverlegung (dazu § 706 BGB Rz. 6 ff. [Verlegung des Verwaltungssitzes], § 706 BGB Rz. 19 ff. [Verlegung des Vertragssitzes]), die nach der Grundregel des § 106 Abs. 7 Satz 1 HGB durch sämtliche Gesellschafter angemeldet werden muss (s. Rz. 26 f.).97 Zu Erleichterung nach § 222 Abs. 3 UmwG s. § 222 UmwG Rz. 8.
2. Sonstige formelle Vorgaben 30 Für Handelsregisteranmeldungen nach § 106 HGB gelten ansonsten die allgemeinen regis-
terrechtlichen Vorgaben: Sie sind nach § 12 Abs. 1 Satz 1 BGB elektronisch in öffentlich beglaubigter Form einzureichen; die Beglaubigung im Wege der Videokommunikation ist nach § 12 Abs. 1 Satz 2 HGB zulässig (hierzu § 12 HGB Rz. 9).98 Ausweislich des § 12 Abs. 1 Satz 3 HGB können auch Stellvertreter die Anmeldung bewirken, wobei die Vollmacht ebenfalls der öffentlich beglaubigten Form bedarf (s. § 12 HGB Rz. 11 ff.; zur notariellen Bescheinigung nach § 21 Abs. 3 BNotO, die nach § 12 Abs. 1 Satz 4 HGB die Vollmacht ersetzt, vgl. § 12 HGB Rz. 15).99
§ 107 HGB Kleingewerbliche, vermögensverwaltende oder freiberufliche Gesellschaft; Statuswechsel (1) 1Eine Gesellschaft, deren Gewerbebetrieb nicht schon nach § 1 Abs. 2 Handelsgewerbe ist oder die nur eigenes Vermögen verwaltet, ist offene Handelsgesellschaft, wenn die Firma des Unternehmens in das Handelsregister eingetragen ist. 2Dies gilt auch für eine Gesellschaft, deren Zweck die gemeinsame Ausübung Freier Berufe durch ihre Gesellschafter ist, soweit das anwendbare Berufsrecht die Eintragung zulässt. (2) 1Die Gesellschaft ist berechtigt, aber nicht verpflichtet, die Eintragung nach den für die Eintragung einer offenen Handelsgesellschaft geltenden Vorschriften herbeizuführen. 2Ist die Eintragung erfolgt, ist eine Fortsetzung als Gesellschaft bürgerlichen Rechts nur im Wege eines Statuswechsels zulässig. (3) 1Wird eine offene Handelsgesellschaft zur Eintragung in das Gesellschaftsregister angemeldet, trägt das Gericht ihre Fortsetzung als Gesellschaft bürgerlichen Rechts ein, sofern nicht die Voraussetzung des § 1 Abs. 2 eingetreten ist. 2Im Übrigen findet § 707c Abs. 2 Satz 2 bis 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechende Anwendung. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436).
96 Sanders in BeckOGK/HGB, Stand: 1.1.2023, § 106 HGB Rz. 74. 97 Hermanns in C. Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 2 Rz. 20. 98 Zur Erstreckung der Videobeglaubigung auf Personengesellschaften im Zuge des DiREG v. 15.7.2022 (BGBl. I 2021, 1146) vgl. Koch/Harnos in Staub, 6. Aufl. 2023, § 12 HGB Rz. 29. 99 Ausf. hierzu Koch/Harnos in Staub, 6. Aufl. 2023, § 12 HGB Rz. 36 ff.
762 | Koch/Harnos und Markworth
Kleingewerbliche Gesellschaft; Statuswechsel | Rz. 1 § 107 HGB I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kleingewerbliche, vermögensverwaltende und freiberufliche Gesellschaften (Abs. 1, Abs. 2 Satz 1) 1. Grundlagen a) Verhältnis zu § 2 HGB . . . . . . . . . . . . . b) Gesetzeshistorie und -erweiterung . . . c) Wahlrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Voreintragung der eintragungswilligen Gesellschaft; Eintragung ohne Antrag . 2. Bedeutungsgehalt a) Übergreifend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Speziell: Möglichkeit der Eintragung von Freiberuflergesellschaften aa) Rechtspolitische Auseinandersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) PartG (mbB) und (GmbH & Co.) KG – Vor- und Nachteile . . . . . . . . 3. Eintragungsvoraussetzungen a) Kleingewerbliche Gesellschaften . . . . . b) Land- und forstwirtschaftliche Betriebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vermögensverwaltende Gesellschaften d) Freiberufliche Gesellschaften aa) Anwendungsbereich des Abs. 1 Satz 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Berufsrechtsvorbehalt . . . . . . . . . . (1) Berufsrecht der Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
2 3 5 6 7
10 13 16 18 19 20
24 25 28
(2) Berufsrechtliche Eintragungsvoraussetzungen für Anwaltsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . (3) Berufsrechtliche Eintragungsvoraussetzungen für Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfergesellschaften . . . . . . . . . (4) Prüfung durch die Berufsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Geltung der für die Eintragung einer OHG maßgeblichen Vorschriften (Abs. 2 Satz 1) . . . . . . . . 4. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Statuswechsel in die eGbR (Abs. 2 Satz 2, Abs. 3) 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bedeutungsgehalt im Vergleich zum alten Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anwendungsbereich a) Fortsetzung als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (Abs. 2 Satz 2) . . . . . . . . b) Kein Handelsgewerbe i.S.v. § 1 Abs. 2 HGB (Abs. 3 Satz 1) . . . . . . 4. Modalitäten des Statuswechsels a) Anmeldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Prüfung der Voraussetzungen des Abs. 3 Satz 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Eintragung des Statuswechsels (Abs. 3 Satz 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Weiterer registerrechtlicher Vollzug (Abs. 3 Satz 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
31 32 33 36
39 40
42 44 45 47 50 51 52
Schrifttum: Bachmann, Zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG), NZG 2020, 612; Fleischer, Ein Rundflug über das OHG-Recht im Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, BB 2021, 386; Heckschen, Der sog. „Mauracher Entwurf“ – ein positiver Schritt zur Reform des Personengesellschaftsrechts, NZG 2020, 761; Lieder/Hilser, Die Reform des Personengesellschaftsrechts – Implikationen für Dogmatik und notarielle Praxis, NotBZ 2021, 401; Markworth, Anwaltssozietäten und Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, AnwBl. Online 2021, 82; Noack, Die Gesellschaftsregisterverordnung, ZPG 2023, 95; Noack/Göbel, Die eingetragene Personengesellschaft zwischen Rechtsformwahl und Rechtsformzwang, GmbHR 2021, 569; Nolting, Gesetzliche Hürden für die Rechtsanwalts-GmbH & Co. KG, ZPG 2023, 176; Uwer, Die Öffnung der Personenhandelsgesellschaft für Freiberufler in berufsrechtlicher Perspektive, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 87; Wertenbruch, Gesellschaftsvertrag und Entstehung der rechtsfähigen GbR iSd § 705 Abs. 2 Var. 1 BGB nF, ZPG 2023, 1; Wertenbruch/Alm, Der Statuswechsel zwischen Personengesellschaften nach MoPeG, ZPG 2023, 201.
I. Überblick Der durch das MoPeG neu gefasste § 107 HGB behandelt zwei unverbundene Sachverhalte. 1 In Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 geht es um die Eintragung kleingewerblicher, vermögensverwaltender und freiberuflicher Gesellschaften in das Handelsregister. Ihnen wird so der
Markworth | 763
§ 107 HGB Rz. 1 | Offene Handelsgesellschaft Zugang zu OHG und KG eröffnet (Rz. 2 ff.). Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 betreffen die Rückkehr zur Gesellschaft bürgerlichen Rechts im Wege des Statuswechsels (Rz. 38 ff.).
II. Kleingewerbliche, vermögensverwaltende und freiberufliche Gesellschaften (Abs. 1, Abs. 2 Satz 1) 1. Grundlagen a) Verhältnis zu § 2 HGB 2 Abs. 1 Satz 1 bildet eine gesellschaftsrechtliche Parallelregelung zu § 2 HGB. Im Hinblick
auf kleingewerbliche Unternehmen wird durch Abs. 1 Satz 1 nur die Anwendung des § 2 HGB (Grundnorm) auf die OHG und (über § 161 Abs. 2 HGB) die KG klargestellt.1 Da auf Handelsgesellschaften gem. § 6 Abs. 1 HGB die für Kaufleute geltenden Regelungen anwendbar sind, ist die erste Variante des Abs. 1 Satz 1 (Gesellschaft, deren Gewerbebetrieb nicht schon nach § 1 Abs. 2 HGB Handelsgewerbe ist) deshalb nach der Gesetzessystematik entbehrlich, wohingegen die zweite Variante (Gesellschaft, die nur eigenes Vermögen verwaltet) und Abs. 1 Satz 2 (Gesellschaft, deren Zweck die gemeinsame Ausübung freier Berufe durch ihre Gesellschafter ist) eigenständige Tatbestände bilden. b) Gesetzeshistorie und -erweiterung 3 Abs. 1 Satz 1 wiederholt wortlautgleich den im Zuge des Handelsrechtsreformgesetzes vom
22.6.19982 eingeführten § 105 Abs. 2 HGB a.F. Kleinbetrieben war die Wahl einer Personenhandelsgesellschaft ursprünglich verschlossen, da sie als risikoreich angesehen wurden. Diese Restriktion sah der Gesetzgeber des Handelsrechtsreformgesetzes als nicht mehr zeitgemäß an. Zudem sah er die Öffnung als praktisch notwendig an. Für Kleinbetriebe besteht zwar auch die Möglichkeit, in Form einer Kapitalgesellschaft, speziell einer GmbH, tätig zu werden, die GmbH könne ihnen aber – so die Einschätzung des Gesetzgebers – nicht in jedem Fall als Ersatz für die fehlende OHG/KG empfohlen werden.3 Auch rein vermögensverwaltenden Gesellschaften war vor dem Handelsrechtsreformgesetz 1998 die Wahl von OHG und KG verschlossen. Denn die reine Vermögensverwaltung wurde und wird bis heute nicht als Gewerbe angesehen.4 § 105 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 HGB a.F. stellte die Vermögensverwaltung dem Gewerbe gleich.5 Dahinter stand das Anliegen, die regional unterschiedlichen Eintragungsgepflogenheiten der Registergerichte im Hinblick auf vermögensverwaltende Gesellschaften zu vereinheitlichen und die Praxis einer sich daran orientierenden Sitzwahl („forum-shopping“) zu unterbinden. Zudem sollte die Rechtssicherheit für Gesellschaften, deren Zweck auf das gemeinsame Halten eines Vermögensgegenstands beschränkt ist, verbessert werden.6 Denn selbst insofern sie einmal eingetragen worden waren, sahen sich diese Gesell-
1 Vgl. K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 2 HGB Rz. 8; Fleischer in MünchKomm/HGB, § 105 HGB Rz. 68: klarstellende Bedeutung; Tröger in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 116 (Stand: 84. EL September 2022). 2 BGBl. I 1998, 1474. 3 Begr. RegE HRefG, BT-Drucks. 13/8444, 39 f.; vgl. auch Lieder in Oetker, § 105 HGB Rz. 2. 4 Vgl. BGH v. 19.5.1960 – II ZR 72/59, NJW 1960, 1664 f.; BGH v. 19.2.1990 – II ZR 42/89, NJW-RR 1990, 798, 799 = ZIP 1990, 505; Fleischer in MünchKomm/HGB, § 105 HGB Rz. 66; Henssler in Henssler/Strohn, § 105 HGB Rz. 32; Roth in Hopt, § 105 HGB Rz. 13. 5 Roth in Hopt, § 105 HGB Rz. 13. 6 Tröger in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 116a (Stand: 84. EL September 2022).
764 | Markworth
Kleingewerbliche Gesellschaft; Statuswechsel | Rz. 6 § 107 HGB
schaften vor der Gesetzesreform einer ständigen Löschungsgefahr ausgesetzt.7 Nach der Reform konnten bereits eingetragene Altgesellschaften nach überwiegender Auffassung ohne einen erneuten Antrag stellen zu müssen und sich einer Prüfung durch die Registergerichte unterwerfen zu müssen, eingetragen bleiben.8 Schließlich sollte großen Vermögensverwaltungsgesellschaften ein sachgerechtes Haftungsmodell zur Verfügung gestellt werden. Fonds mit einer Vielzahl unerfahrener Kleinanlegern sollte ermöglicht werden, sich als (Publikums-)KG zu organisieren, um die GbR-Gesellschafter treffende unbegrenzte Verlustausgleichspflicht gem. § 735 BGB a.F. zu vermeiden.9 Dieser Gesetzeszweck hat über die Jahre an Bedeutung verloren. Seit Einführung des Kapitalanlagegesetzbuchs (KAGB) gilt für geschlossene Immobilienfonds ein Rechtsformzwang (§ 139 KAGB), angesichts dessen der gesellschaftsrechtlichen Fondstrukturierung – abseits steuerlicher Erwägungen – Grenzen gesetzt sind. Im Lichte dessen ist fragliche, weshalb der Regelungsgehalt des § 105 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 HGB a.F. im Zuge des MoPeG nunmehr ohne vertiefte Diskussionen über seinen Regelungszweck in Abs. 1 Satz 1 übernommen wurde. Durch Einführung des Abs. 1 Satz 2 werden die Personenhandelsgesellschaften im Zuge des 4 MoPeG noch weitergehend für nicht kaufmännische Zwecke geöffnet. Danach können sich auch Gesellschaften, deren Zweck die gemeinsame Ausübung Freier Berufe durch ihre Gesellschafter ist, in das Handelsregister eintragen lassen, soweit das einschlägige Berufsrecht dies zulässt (Berufsrechtsvorbehalt) (Rz. 25 ff.). Insofern enthält § 107 HGB die bedeutsamste inhaltliche Veränderung, welche das Handelsrecht durch das MoPeG erfahren hat.10 Die Eintragung wirkt in den Fällen des Abs. 1 konstitutiv (vgl. § 123 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 HGB). Die Gesellschaft wird erst durch die Eintragung zur Handelsgesellschaft. Wegen der Verweisung in § 161 Abs. 2 HGB gilt § 107 HGB auch für die Kommanditgesellschaft. c) Wahlrecht Die Eintragung einer kleingewerblichen, vermögensverwaltenden oder freiberuflichen Ge- 5 sellschaft ist nach Abs. 2 Satz 1 freiwillig, also eine bloße Handlungsoption der Gesellschafter (Eintragungswahlrecht). Infolge der nunmehr ausdrücklichen Betonung der Freiwilligkeit der Eintragung konnte der frühere Verweis auf § 2 Satz 2 HGB in § 105 Abs. 2 Satz 2 HGB a.F. entfallen.11 d) Voreintragung der eintragungswilligen Gesellschaft; Eintragung ohne Antrag War die Gesellschaft bereits in das Gesellschafts- oder Partnerschaftsregister eingetragen, 6 so setzt die Eintragung in das Handelsregister einen Statuswechsel voraus. Dieser richtet sich nach § 707c BGB. Ist eine Gesellschaft, deren Zweck die gemeinsame Ausübung Freier Berufe durch ihre Gesellschafter ist, in das Partnerschaftsregister voreingetragen, muss ebenfalls ein Statuswechsel stattfinden (vgl. auch § 4 Abs. 4 PartGG). Wird eine Gesellschaft in das Handelsregister eingetragen, ohne dass dies gem. Abs. 2 Satz 1 beantragt wurde, gilt allein § 5 HGB.
7 Begr. RegE HRefG, BT-Drucks. 13/8444, 40 f. 8 Tröger in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 116a (Stand: 84. EL September 2022). 9 Begr. RegE HRefG, BT-Drucks. 13/8444, 41. 10 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 110, 220; ähnlich Wertenbruch in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 10 Rz. 1: „herausragendes MoPeG-Novum“; Fleischer, BB 2021, 386, 387. 11 Vgl. dazu noch Tröger in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 116 (Stand: 84. EL September 2022). Markworth | 765
§ 107 HGB Rz. 7 | Offene Handelsgesellschaft
2. Bedeutungsgehalt a) Übergreifend 7 Praktische Bedeutung hat Abs. 1 vor allem insofern er kleingewerblichen, land- und forstwirt-
schaftlich tätigen, vermögensverwaltenden und freiberuflichen Gesellschaften ermöglicht, eine KG (§ 161 Abs. 2 HGB i.V.m. § 105 Abs. 2 HGB) zu werden.12 Damit wird ein Weg zu einer Haftungsbeschränkung der Gesellschafter (§§ 171, 172, 176 Abs. 1 HGB), die im Rahmen der GbR nicht gestattet ist, zugelassen.13 Vor allem können die in der Vorschrift adressierten Gesellschaften über Abs. 1 auch die Form einer Kapitalgesellschaft und Co. KG (speziell eine GmbH & Co. KG und UG & Co. KG) erlangen und so eine Beschränkung der im Personengesellschaftsrecht standardmäßig vorgesehenen Gesellschaftervollhaftung (§§ 721 ff. BGB, §§ 126 ff. HGB) für die Gesellschaftsverbindlichkeiten erreichen.14 Zulässig ist insbesondere auch die sog. Einheitsgesellschaft. Bei dieser sind zwar natürliche Personen als Kommanditisten an der KG beteiligt und gründen zugleich als Gesellschafter die Komplementär-Kapitalgesellschaft, bringen ihre Geschäftsanteile an der Komplementärin jedoch dann als Sacheinlage in die KG ein.15 Insofern wird durch Abs. 1 Satz 2 im Ergebnis ein vollständiger Ausschluss der persönlichen Gesellschafterhaftung im Kleid einer Personengesellschaft gewährleistet. Damit ist eine noch weitergehende Haftungsbeschränkung möglich, als sie für Angehörige der Freien Berufe vor dem MoPeG durch die Wahl einer PartG mbB erreichbar war. 8 Als Personenhandelsgesellschaften registrierte Gesellschaften unterliegen den HGB-Regelun-
gen über Kaufleute. Als vorteilhaft kann insofern aus Gesellschaftersicht etwa das detaillierte Beschlussmängelrecht der §§ 110 ff. HGB erscheinen.16 Darüber hinaus vermögen Personenhandelsgesellschaften Prokura zu erteilen.17 Die Prokura ist als Vertretungsform typisiert und nimmt außerdem an der Registerpublizität teil. Daneben steht den Handelsgesellschaften die Erteilung von Handlungsvollmachten offen.18 Demgegenüber kann eine, das Vertrauen der Geschäftspartner stärkende und die Legitimation vereinfachende Publizität der Rechts- und Vertretungsverhältnisse der Gesellschaft, welche vor dem MoPeG als weiterer erstrebenswerter Vorteil einer Handelsregistereintragung galt,19 heute bereits durch die Eintragung in das Gesellschaftsregister als eGbR erreicht werden (vgl. § 707 Abs. 2 Nr. 2, 3 BGB), ohne dass man sich dem gesamten Kaufmannsregime unterwerfen müsste. 9 Die infolge der Umwandlung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts in eine Personenhan-
delsgesellschaft eintretende Geltung des Handelsrechts kann aus Gesellschaftersicht ebenso gut als Belastung angesehen werden. Handelsgesellschaften unterliegen etwa den Vorschriften über Handelsgeschäfte20 und damit der Rügeobliegenheit nach § 377 HGB. Zudem geht mit der Eintragung in das Handelsregister grundsätzlich eine Buchführungs- und Bilanzierungspflicht sowie die Pflicht zur Erstellung eines Jahresabschlusses (§§ 238 ff. HGB) einher. Die Erstellung einer Einnahmeüberschussrechnung genügt nach der Eintragung nicht
12 13 14 15 16 17 18 19 20
Roth in Hopt, § 105 HGB Rz. 12. Fleischer in MünchKomm/HGB, § 105 HGB Rz. 67. Fleischer in MünchKomm/HGB, § 105 HGB Rz. 67. Vgl. Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 3979 ff. (Stand: 83. EL April 2022); Wertenbruch in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 10 Rz. 29 ff. Vgl. zu Einzelheiten beim Rechtsformwechsel: Pieronczyk, ZIP 2022, 1033. Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 163; Fleischer in MünchKomm/HGB, § 105 HGB Rz. 67. Fleischer in MünchKomm/HGB, § 105 HGB Rz. 67. Vgl. Fleischer in MünchKomm/HGB, § 105 HGB Rz. 67. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 110.
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mehr (insbesondere kommt § 241a HGB nur bei Einzelkaufleuten zur Anwendung21). Bei einer Kapitalgesellschaft & Co. KG sind sogar zwei Jahresabschlüsse (auf Ebene der KG und auf Ebene der Kapitalgesellschaft) zu erstellen. Daneben sind Personenhandelsgesellschaften, sofern sie die Voraussetzungen des § 264a HGB erfüllen, zur Erstellung eines Anhangs (§ 264 Abs. 1 Satz 1 HGB) sowie eines Lageberichts (§§ 289 ff. HGB), zur Durchführung einer Abschlussprüfung gem. §§ 316 ff. HGB und zur Rechnungslegungspublizität gem. § 325 HGB verpflichtet.22 Im Hinblick auf Personenhandelsgesellschaften, bei denen kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist (Rz. 7), greift schließlich grundsätzlich die besondere Insolvenzantragspflicht des § 15a Abs. 1 Satz 1, 3 InsO, welche nach § 15a Abs. 4–6 InsO strafbewehrt ist.23 Äußerstenfalls kann ihre Missachtung zu einer persönlichen Insolvenzverschleppungshaftung gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO führen.24 b) Speziell: Möglichkeit der Eintragung von Freiberuflergesellschaften aa) Rechtspolitische Auseinandersetzung Die Trennung zwischen kaufmännischen und nicht kaufmännischen Personengesellschaften 10 war rechtspolitisch lange umstritten, wurde aber vom Gesetzgeber des Handelsrechtsreformgesetzes 1998 (Rz. 3) bestätigt. Dies schloss eine analoge Anwendung des § 105 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 HGB a.F. auf Freiberuflergesellschaften aus.25 Anders als in Österreich, wo seit 200526 die Rechtsformen der OHG und KG „für jeden erlaubten Zweck“ zur Verfügung stehen (vgl. § 105 Satz 3 UGB),27 herrschte in Deutschland lange weitgehend ein rechtspolitischer Stillstand. Es gab aber insbesondere vehemente Forderungen, den Angehörigen der Freien Berufe eine eigene, voll haftungsbeschränkende Rechtsform zur Verfügung zu stellen. Denn mit den – u.a. Anwälten – zur Verfügung stehenden Kapitalgesellschaftsform AG und GmbH hatten sich die Freien Berufe nicht anfreunden können. Zudem wurde gefordert, den durch die europäische Niederlassungsfreiheit ermöglichten Rückgriff auf die britische (und die amerikanische) LLP einzudämmen (Stichwort: „Law made in Germany“).28 In Reaktion darauf wurde 2013 die Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung (PartG mbB) als Rechtsformvariante der „regulären“ Partnerschaftsgesellschaft (PartG) eingeführt,29 welche sich in der Folgezeit fest im Rechtsmarkt etablierte.30 Bei näherem Hinsehen handelte es sich bei der PartG mbB aber eher um ein die fortbestehenden Schwächen des (Personen-) Gesellschaftsrechts nur notdürftig verdeckendes Feigenblatt.31
21 Vgl. zur durch das MoPeG befeuerten Reformdiskussion AK Bilanzrecht Hochschullehrer, ZIP 2021, S3, S24. 22 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 110. 23 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 110; näher zum Zusammenspiel mit § 19 InsO Wertenbruch in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 10 Rz. 14. 24 Wertenbruch in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 10 Rz. 14. 25 Vgl. Roth in Hopt, § 105 HGB Rz. 13; a.A. K. Schmidt, NJW 1998, 2161, 2165. 26 Vgl. das Bundesgesetz über besondere zivilrechtliche Vorschriften für Unternehmen (Unternehmensgesetzbuch = UGB), öBGBl. I 2005/120; hierzu etwa Krejci, ZHR 170 (2006), 113. 27 Vgl. zu ähnlichen Entwicklungen in Belgien und den Niederlanden: Fleischer/Cools, ZGR 2019, 463, 484 ff., 487 ff.; Fleischer, BB 2021, 386, 387. 28 Dazu Henssler/Markworth, NZG 2015, 1, 2. 29 Vgl. das Gesetz zur Einführung einer Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung und zur Änderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte, Patentanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer v. 15.7.2013, BGBl. I 2013, 2386. 30 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 110; K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 46. 31 Näher Henssler/Markworth, NZG 2015, 1, 2. Markworth | 767
§ 107 HGB Rz. 11 | Offene Handelsgesellschaft 11 Das MoPeG hat an der Trennung zwischen kaufmännischer und nicht kaufmännischer Per-
sonengesellschaft im Grundsatz festgehalten. § 107 Abs. 1 Satz 2 HGB, wonach auch Gesellschaften, deren Zweck die Ausübung Freier Berufe durch ihre Gesellschafter ist, in das Handelsregister eingetragen werden dürfen, sofern das jeweils anwendbare Berufsrecht dies zulässt, ist als Ausnahmeregelung konzipiert.32 Der Gesetzgeber hat insofern eine Empfehlung des 71. Deutschen Juristentags aufgenommen.33 Ziel war es, so den Freien Berufen insbesondere der Zugang zur Rechtsform einer Kapitalgesellschaft und Co. KG zu eröffnen (vgl. bereits Rz. 7).34 Zudem ging es darum, eine aus der Rechtsprechung des BGH resultierende Ungleichbehandlung verschiedener Berufsgruppen zu beseitigeb:35 Nach der durch die Rechtsprechung gestützten sog. Schwerpunkttheorie konnten Gesellschaften grundsätzlich nur dann in das Handelsregister eingetragen werden, wenn eine gewerbliche Tätigkeit den Schwerpunkt der Aktivitäten der Gesellschaft ausmachte bzw. für sie wesentlich und prägend war. Dabei waren nicht so sehr die gesellschaftsvertraglichen Bestimmungen, sondern vielmehr die konkret von der Gesellschaft ausgeübten Tätigkeiten entscheidend. Freiberuflergesellschaften mussten also überwiegend Treuhandtätigkeiten nachkommen, um nach § 105 Abs. 1 HGB a.F. in der Rechtsform einer KG betrieben werden zu können. Schon bei einer gleichrangigen freiberuflichen Tätigkeit schied die Eintragungsfähigkeit aus.36 Problematisch war hieran, dass der BGH punktuelle Ausnahmen von der Schwerpunkttheorie anerkannt hatte. So wurde den (bundesgesetzlich geregelten) Wirtschaftsprüfern und Steuerprüfern unter bestimmten Voraussetzungen unabhängig vom Betätigungsschwerpunkt die Berufsausübung in der Rechtsform einer Personenhandelsgesellschaft zugebilligt. Der BGH begründete dies damit, dass § 27 Abs. 2, § 28 Abs. 1 Satz 2 WPO a.F. und § 49 Abs. 2, § 50 Abs. 2 Satz 3 StBerG a.F. als leges specialis anzusehen seien.37 Speziell Rechtsanwälten versagte er diese Sonderbehandlung jedoch aus nicht nachvollziehbaren Gründen.38 Erst infolge des MoPeG ist gewährleistet, dass die wirtschaftsberatenden Freien Berufe rechtlich wieder gleich behandelt werden. Abgesehen davon, befreit das MoPeG die Registergerichte von der Aufgabe, bei eintragungswilligen Gesellschaften, in denen (verschiedene) Freie Berufe in Kombination mit gewerblichen Tätigkeiten ausgeübt werden, den Tätigkeitsschwerpunkt ermitteln zu müssen, um so die Eintragungsfähigkeit festzustellen.39 Diese Prüfungen überschritten den herkömmlichen Kompetenzbereich der Registergerichte. Zudem kam es infolge der Prüfpraxis zu einer bundesweit unterschiedlichen Behandlung freiberuflicher Berufsausübungsgesellschaften und einer entsprechenden selektiven Sitzwahl dieser Gesellschaften (Forum Shopping). Seit dem MoPeG ist die Eintragungsfähigkeit von einheitlichen Regeln abhängig, was ein Forum Shopping ausschließt. Weiterhin obliegt die Überprüfung der (berufsrechtlichen) Zugangshürden nunmehr schwerpunktmäßig den für die Berufsaufsicht zuständigen Stellen (also etwa den Anwaltskammern). Dies entlastet die Registergerichte und sorgt für sachnähere Prüfungen. Ziel des MoPeG war es schließlich
32 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 105. 33 Vgl. Beschluss 30 des 71. Deutschen Juristentages in Verhandlungen des 71. Deutschen Juristentages, Band II/2, 2017, O 224. 34 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 110. 35 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 105, 224. 36 BGH v. 15.7.2014 – II ZB 2/13, BGHZ 202, 92, NJW 2015, 61 Rz. 8 = GmbHR 2014, 1194 m. Anm. Römermann; BGH v. 18.7.2011 – AnwZ (Brfg) 18/10, NJW 2011, 3036 Rz. 9 ff.; BGH v. 2.6.1999 – VIII ZR 220/98, NJW 1999, 2967, 2968 = ZIP 1999, 1393; BayObLG v. 21.3.2002 – 3Z BR 57/02, NZG 2002, 718, 719 = ZIP 2002, 1032. 37 Vgl. BGH v. 15.7.2014 – II ZB 2/13, BGHZ 202, 92 = NJW 2015, 61 Rz. 10 ff. = GmbHR 2014, 1194 m. Anm. Römermann; BGH v. 18.7.2011 – AnwZ (Brfg) 18/10, NJW 2011, 3036 Rz. 17 ff. = GmbHR 2011, 1036. 38 BGH v. 18.7.2011 – AnwZ (Brfg) 18/10, NJW 2011, 3036 Rz. 11 ff. = GmbHR 2011, 1036; Verfassungsbeschwerde als unzulässig verworfen durch BVerfG v. 6.12.2011 – 1 BvR 2280/11, NJW 2012, 993 = GmbHR 2012, 341 m. Anm. Römermann. 39 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 224.
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auch, gesetzessystematische Unstimmigkeiten in Bezug auf die Haftung bei einer Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung zu beseitigen.40 Es bleibt unklar, was der Gesetzgeber sich darunter konkret vorgestellt hat. Es ist vielmehr so, dass die spezifische Fassung, welche die durch das MoPeG eingeführten Neuregelungen haben, neue Unstimmigkeiten schaffen (Rz. 14). Anders als es die Gesetzeshistorie hätte erwarten lassen (Rz. 11), wurde die PartG mbB 12 durch das MoPeG nicht abgeschafft. Vielmehr wurde punktuell sogar noch versucht, ihre Attraktivität zu erhöhen, insbesondere indem ihr Namensrecht liberalisiert wurde (vgl. § 2 Abs. 1 PartGG n.F. im Vergleich zur Gesetzeslage vor dem MoPeG).41 Infolgedessen ist es nunmehr den Rechtsanwendern überlassen, Vor- und Nachteile des Wechsels in die Personenhandelsgesellschaften gewissenhaft abzuwägen (Rz. 16 f.). bb) Bewertung Aus rechtspolitischer Sicht ist der skizzierte Reformweg (Rz. 11 f.) in mehrerlei Hinsicht kri- 13 tikwürdig.42 Insbesondere ist zu bemängeln, dass die auf eine gänzliche Aufhebung der Trennung von kaufmännischen und nicht-kaufmännischen Personengesellschaften abzielenden Reformvorschläge vorschnell zugunsten der „absolut systemwidrige[n]“43 Lösung, eine freiberufliche offene Handelsgesellschaft einzuführen, außer Acht gelassen wurden. Es wäre sinnvoll gewesen, die beinah als einmalig zu charakterisierende Chance, eine „große“ Reform nach österreichischem Vorbild (Rz. 10) anzustoßen, zu ergreifen.44 Denn angesichts des erheblichen, durch die Personengesellschaftsreform ausgelösten Umsetzungsbedarfs erscheint es unwahrscheinlich, dass der Reformprozess alsbald erneut aufgenommen wird. Problematisch ist bei rechtspolitischer Betrachtung weiterhin, dass die Definition der für An- 14 gehörige der Freien Berufe geltenden Zugangshürden zu den Personenhandelsgesellschaften mit Abs. 1 Satz 2 vollständig den Berufsrechtsgesetzgebern überantwortet wurde.45 Zum einen ergibt sich hieraus die Gefahr, dass der Zugang für Freie Berufe, die durch die Landesgesetzgeber reguliert werden (etwa Architekten und Ingenieure), deutschlandweit unterschiedlich ausgestaltet wird und so ein Flickenteppich unterschiedlicher Regelungen entsteht.46 Dadurch geraten die landesrechtlich geregelten Freien Berufe gegenüber den auf Bundesebene regulierten Berufen (Rechtsanwälte, Steuerberater etc.) ins Hintertreffen (Rz. 26). Zum anderen ist die sich hier zentral stellende Frage, welcher „Preis“ für eine Beschränkung der persönlichen Gesellschafterhaftung zu zahlen sein soll, dem Gesellschaftsrecht zuzuordnen. Aus diesem Grund sollte sie auch allgemein-gesellschaftsrechtlich diskutiert und beantwortet werden. Die in Abs. 1 Satz 2 Formulierung legt nahe, dass der Gesellschaftsrechtsgetzgeber des MoPeG die Ausübung eines Freien Berufs in der Rechtsform einer Personenhandelsgesellschaft für grundsätzlich unproblematisch erachtet. Dann wäre es konsequent gewesen, sofern er den Zugang zu den Handelsgesellschaften allgemein eröffnet hätte, indem § 107 Abs. 1 Satz 2 HGB in Anlehnung an § 1 Abs. 3 PartGG formuliert 40 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 105, 110. 41 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 110. 42 Vgl. auch K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 45; Heckschen, NZG 2020, 761, 766; a.A. DAV-Handelsrechtsausschuss, NZG 2020, 1133 Rz. 107; Bachmann, NZG 2020, 612, 618 (aus „gesellschaftsrechtlicher Sicht […] nichts einzuwenden“). 43 Heckschen, NZG 2020, 761, 766. 44 Vgl. Henssler in Henssler/Prütting, § 59b BRAO Rz. 74; K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 45; a.A. Fleischer, BB 2021, 386, 387. 45 Vgl. K. Schmidt, ZHR 180 (2016), 411, 418; Heckschen, NZG 2020, 761, 766; Bachmann, NZG 2020, 612, 618. 46 Henssler in Henssler/Prütting, § 59b BRAO Rz. 72 ff.; Heckschen, NZG 2020, 761, 766; Markworth, AnwBl. Online 2021, 82, 86; Lieder/Hilser, NotBZ 2021, 401, 406. Markworth | 769
§ 107 HGB Rz. 14 | Offene Handelsgesellschaft worden wäre.47 Die unterschiedlichen Berufsrechtsgesetzgeber (auf Bundes- und Landesebene) hätten dann immer noch die Möglichkeit gehabt, die Wahl einer Personenhandelsgesellschaft von der Erfüllung besonderer Voraussetzungen abhängig zu machen oder vollständig auszuschließen.48 15 Kritikwürdig ist schließlich auch das für Angehörige der Freien Berufe nunmehr eröffnete
Wahlrecht zwischen PartG mbB und Kapitalgesellschaft und Co. KG. Der ursprüngliche Beweggrund dafür, die PartG einzuführen, war es, den Freien Berufen eine „Schwestergesellschaft“ zur OHG zur Verfügung zu stellen, da ihnen die Personenhandelsgesellschaften verschlossen waren. Im Lichte dessen betrachtet, ist die PartG seit dem MoPeG überflüssig. Insbesondere die Fortexistenz der PartG mbB stellt nunmehr eine ungerechtfertigte Privilegierung der Freien Berufe dar. Denn ihnen steht nach der neuen Rechtslage plötzlich eine größere Auswahl haftungsbeschränkter Rechtsformen zur Verfügung, als Gewerbetreibenden.49 Konsequent wäre es gewesen, wie es auch der 71. DJT gefordert hat,50 die PartG (inklusive der PartG mbB) nach Öffnung der KG für alle Freien Berufe abzuschaffen und Altgesellschaften (unter Gewährung großzügiger Übergangsfristen) umzuflaggen.51 Der derzeitigen Ungleichbehandlung sollte jedenfalls dadurch entgegengewirkt werden, dass die verbleibenden Unterschiede zwischen PartG mbB und Personenhandelsgesellschaften im Hinblick auf Besteuerung und Rechnungslegungspflichten aufgelöst werden. Eine erwägenswerte Alternativlösung bestünde darin, die PartG auch für Nicht-Freiberufler zu öffnen.52 Noch abschließend zu diskutieren ist auch die Zukunft der Gewerbesteuerpflichtigkeit der Freien Berufe. Insofern der Gesetzgeber andeutet, dass Freiberuflergesellschaften, welche als Personenhandelsgesellschaften organisiert sind, künftig gewerbesteuerpflichtig sein könnten, bedarf es mittelfristig einer grundlegenden Reform der Gewerbesteuer. Die Steuer sollte künftig allen Berufen auferlegt werden, also selbst solchen, denen der Weg in die GmbH & Co. KG verschlossen bleiben wird (z.B. Notaren). cc) PartG (mbB) und (GmbH & Co.) KG – Vor- und Nachteile 16 Anders als die PartG, wird die KG im Berufsrecht der Rechtsanwälte als haftungsbeschränkte
Rechtsform behandelt. Aus diesem Grund ist sie zwingend durch die zuständige Rechtsanwaltskammer zuzulassen und unterliegt einer erhöhten Versicherungspflicht (§ 59f Abs. 1 Satz 2, § 59o Abs. 1, 3 BRAO).53 17 Da der Gesetzgeber sich dagegen entschieden hat, die PartG im Zuge des MoPeG abzuschaf-
fen, stehen GmbH & Co. KG und PartG mbB nunmehr in einem Konkurrenzverhältnis. Die Gesetzesmaterialien zum MoPeG gehen davon aus, dass die Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung (PartG mbB), obschon den Freien Berufen der Zugang zu den Personenhandelsgesellschaften eröffnet wurde, „nicht gegenstandslos“ werde.54 Die Fra-
47 So der Vorschlag bei Markworth, AnwBl. Online 2021, 82, 86. 48 Henssler in Henssler/Prütting, § 59b BRAO Rz. 73. 49 Bachmann, NZG 2020, 612, 618; Markworth, AnwBl. Online 2021, 82, 85; a.A. Heckschen, NZG 2020, 761, 767. 50 Vgl. Beschluss 31a des 71. Deutschen Juristentages in Verhandlungen des 71. Deutschen Juristentages, Band II/2, 2017, O 224. 51 K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 46: „Der Ordnung im gemeinsamen Haus der Personengesellschaften steht die Beibehaltung einer provisorischen Sonderrechtsform […] nicht gut zu Gesicht“; a.A. Tröger in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 118b (Stand: 84. EL September 2022); Fleischer, BB 2021, 386, 387; Lieder/Hilser, NotBZ 2021, 401, 406. 52 Bachmann, NZG 2020, 612, 618. 53 Vgl. Henssler in Henssler/Prütting, § 59b BRAO Rz. 77. 54 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 110.
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Kleingewerbliche Gesellschaft; Statuswechsel | Rz. 17 § 107 HGB
ge, in welchem Umfang Angehörige Freier Berufe von der Möglichkeit Gebrauch machen werden, sich anstelle einer PartG mbB in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft und Co. KG zu organisieren, sieht der Gesetzgeber als offen an.55 Vorteil der Kapitalgesellschaft & Co. KG ist, dass sie einen vollständigen Ausschluss der persönlichen Gesellschafterhaftung ermöglicht. So kann auch die persönliche Gesellschafterhaftung z.B. gegenüber Mitarbeitern und Vermietern ausgeschlossen werden.56 Demgegenüber bleiben in der PartG mbB außerberufliche Verbindlichkeiten der Gesellschaft von der Haftungsbeschränkung unberührt. Die Gesellschafter haften für solche Verbindlichkeiten weiterhin in voller Höhe persönlich.57 Bei Wahl einer GmbH & Co. KG in Kauf zu nehmen ist aber eine graduell erhöhte Streitanfälligkeit. Denn infolge der doppelstöckigen Konstruktion und des Zusammentreffens kapitalund personengesellschaftsrechtlicher Wertungen stellen sich hier tendenziell mehr bislang noch nicht abschließend gerichtlich geklärte Rechtsfragen.58 Insbesondere werden sich, zumindest in der Anfangszeit nach Inkrafttreten des MoPeG, Unklarheiten im Hinblick auf die berufsrechtliche Behandlung doppelstöckiger Gesellschaftskonstrukte zeigen und es wird einige Zeit brauchen, bis sich allseits anerkannte Lösungen etabliert haben. Zudem verursacht die Gründung einer GmbH – als Komplementärin der KG – im Vergleich zur PartG mbB höhere Kosten.59 Als nachteilig kann es überdies angesehen werden, dass mit der Wahl einer Personenhandelsgesellschaft eine Verpflichtung zur Entrichtung von Gewerbesteuer einhergeht bzw. einhergehen kann (§ 2 Abs. 1 GewStG [i.V.m. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG], § 5 Abs. 1 GewStG).60 Insofern kommt es darauf an, inwiefern als gewerblich einzustufende Teilumsätze auf die gesamte Tätigkeit der Gesellschaft abfärben (vgl. § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG). Bei einer GmbH & Co. KG werden die Einkünfte der Gesellschaft gem. § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG (unabhängig von der konkreten Tätigkeit) jedenfalls dann gewerblich geprägt, sofern es keine natürliche Person gibt, die als Komplementär fungiert oder ansonsten zur Geschäftsführung befugt ist.61 Darüber hinaus färbt eine in der Gesellschaft teilweise ausgeübte gewerbliche Tätigkeit immer dann auf die Gesamtgesellschaft ab, wenn einer der Gesellschafter (als Steuerpflichtiger) nicht als Angehöriger eines Freien Berufs einzustufen ist.62 Im Ergebnis führt dieser Umstand dazu, dass sich die Gewerbesteuerpflicht einer Freiberufler-GmbH & Co. KG nach geltendem Recht nicht umgehen lässt. Denn die mitunternehmerische Beteiligung der GmbH wird der Beteiligung eines Nicht-Freiberuflers gleichgestellt.63 Der konkrete Gewerbesteuerbetrag ist abhängig von dem in der jeweiligen Gemeinde geltenden Gewerbesteuerhebesatz.64 Sofern die in der Gesellschaft tätigen Freiberufler – wie es dem Regelfall entsprechen dürfte – Kommanditisten sind, wird ihnen der auf sie entfallende Gewinnanteil an der GmbH & Co. KG nach dem Transparenzprinzip persönlich zugerechnet und unterliegt ihrem persönlichen Einkommensteuersatz. Die durch die Gesellschaft entrichtete Gewerbesteuer wird dabei, um sie auszugleichen, pauschaliert angerechnet, da sie nicht das zu versteuernde Einkommen der Gesellschafter mindert. Die Anrechnung erfolgt für jeden Gesellschafter anteilig und auf diejenigen Einkommensteuerteile, die auf die Einkünfte des Gesell-
55 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 110. 56 Vgl. Wertenbruch in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 10 Rz. 13; Heckschen, NZG 2020, 761, 766. 57 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 224. 58 Markworth, AnwBl. Online 2021, 82, 86. 59 Henssler in Henssler/Prütting, § 59b BRAO Rz. 80. 60 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 110. 61 Vgl. dazu DAV-Handelsrechtsausschuss, NZG 2020, 1133 Rz. 108; AK Bilanzrecht Hochschullehrer, ZIP 2021, S3, S25. 62 AK Bilanzrecht Hochschullehrer, ZIP 2021, S3, S25. 63 BFH v. 8.4.2008 – VIII R 73/05, NJW 2008, 3165; vgl. auch AK Bilanzrecht Hochschullehrer, ZIP 2021 = GmbHR 2008, 948, S3, S25. 64 Vgl. AK Bilanzrecht Hochschullehrer, ZIP 2021, S3, S25. Markworth | 771
§ 107 HGB Rz. 17 | Offene Handelsgesellschaft schafters aus Gewerbebetrieb entfallen (§ 35 Abs. 1 Nr. 2 EStG).65 Für Freiberufler-Kommanditisten kann es sich bei diesem Modell vorteilhaft auswirken, dass sie ihre Gewinne und Verluste aus der KG steuerlich eingeschränkt mit anderen Einkünften verrechnen dürfen. Allerdings darf der Verlustanteil eines Kommanditisten weder mit anderen Einkünften aus Gewerbebetrieb noch mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten ausgeglichen werden, soweit ein negatives Kapitalkonto des Kommanditisten entsteht oder sich erhöht. Im Hinblick auf die PartG mbB besteht – zumindest theoretisch – noch die Gefahr, dass sie sich unfreiwillig in eine GbR oder OHG umwandelt, sofern die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1, 2 PartGG nicht mehr erfüllt sind. Dazu kann es etwa kommen, weil der Anteil an freiberuflich tätigen Gesellschaftern im Vergleich zur Anzahl der Angestellten zu gering wird (sog. Leverage-Effekt). Ein anderer möglicher Auslöser kann sein, dass die Berufsausübungsgesellschaft zu viel Auftragsarbeit als Subunternehmerin für eine ausländische Partnergesellschaft erbringt oder einen (zu) hohen Legal-Tech-Einsatz aufweist. In der Praxis ist die Gefahr einer aus den genannten Gründen resultierenden unfreiwilligen Umwandlung aber als äußerst gering einzuschätzen.66 In die Wahlentscheidung zwischen PartG mbB und GmbH & Co. KG einzubeziehen sind darüber hinaus die allgemeinen Nach- bzw. Vorteile des Wechsels in eine Personenhandelsgesellschaft (Rz. 8 f.). Ein entscheidender Faktor kann insbesondere die etwaige Publizitätspflicht der GmbH & Co. KG sein.67 Auch § 15a Abs. 1 InsO ist auf die PartG mbB nicht analog anwendbar.68 Schließlich kann aus der mit der Wahl einer KG einhergehenden Bilanzierungspflicht eine steuerliche Einmalbelastung folgen, da die Berufsausübungsgesellschaft dann nicht erst die Honorareingänge, sondern – abhängig von den allgemeinen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung – bereits die entsprechenden Forderungen gewinnerhöhend verbuchen muss. Alles in allem erscheint die Wahl einer Kapitalgesellschaft & Co. KG nur unter Haftungsgesichtspunkten klar vorteilhaft. Die Praxis sollte den Wechsel in Betracht ziehen, wenn sich im Rahmen einer präzisen Abwägung unter Einbeziehung aller genannten Gesichtspunkte ergibt, dass den Gesellschaftern in einer PartG mbB Haftungsrisiken drohen würden, die so unkalkulierbar sind, dass man sie unter allen Umständen vermeiden sollte.69
3. Eintragungsvoraussetzungen a) Kleingewerbliche Gesellschaften 18 Abs. 1 Satz 1 ermöglicht es kleingewerblichen GbR,70 also Gesellschaften, deren Gewerbe-
betrieb nicht bereits nach § 1 Abs. 2 HGB Handelsgewerbe ist, durch konstitutive Handelsregistereintragung die Möglichkeit, identitätswahrend die Rechtsform einer Handelsgesellschaft (OHG oder KG) anzunehmen. Die Regelung bildet das gesellschaftsrechtliche Pendant zu § 2 HGB, wonach ein kleingewerbliches Unternehmen nach Eintragung seiner Firma in das Handelsregister als Handelsgewerbe gilt (Rz. 2). Vor dem MoPeG stand es Gesellschaften, die nach der Registereintragung kleingewerblich blieben, offen, sich freiwillig wieder aus dem Handelsregister löschen zu lassen (§ 105 Abs. 2 Satz 2 HGB a.F. i.V.m. § 2 Satz 3 HGB). Diese Option besteht nunmehr nicht mehr (Rz. 39 ff.). Einzelunternehmen eröffnet 65 AK Bilanzrecht Hochschullehrer, ZIP 2021, S3, S25; s. auch Wertenbruch in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 10 Rz. 16. 66 Vgl. näher Grunewald, ZIP 2021, 1795; skeptischer Henssler in FS Bergmann, 2018, S. 321; Wertenbruch in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 10 Rz. 18; Wertenbruch, ZIP 2021, 1194. 67 A.A. Wertenbruch in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 10 Rz. 19 f. 68 Vgl. Begr. RegE PartG 2013, BT-Drucks. 17/10487, 14. 69 Zur Ausgestaltung einer GmbH & Co. KG für Anwaltskanzleien aus Praktikersicht Blunk/Hasenstab/Schröder, AnwBl. 2019, 150. 70 Fleischer in MünchKomm/HGB, § 105 HGB Rz. 68.
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Kleingewerbliche Gesellschaft; Statuswechsel | Rz. 20 § 107 HGB
Abs. 1 Satz 1 keine Eintragungsoption.71 Gesellschaften, die kein Gewerbe betreiben, haben das Eintragungswahlrecht ebenfalls nicht.72 Auch § 5 HGB ist auf diese Gesellschaften nicht anwendbar.73 Ob eine Gesellschaft gewerblich tätig ist, bestimmt sich nach dem zu § 105 Abs. 1 HGB entwickelten Schwerpunktprinzip. In der Folge ist es ausgeschlossen, dass freiberufliche Gesellschaften unter Umgehung des Berufsrechtsvorbehalt in Abs. 1 Satz 2 in das Handelsregister eingetragen werden, weil ihre überwiegende freiberufliche Tätigkeit „hinweggedacht“ wird und sie sich auf Abs. 1 Satz 1 berufen.74 Eine Gesellschaft wird auch nicht etwa deshalb eintragungsfähig, weil eine in ihr untergeordnet ausgeübte (Treuhand-)Tätigkeit für sich gesehen ein Kleingewerbe i.S.d. Abs. 1 Satz 1 darstellt.75 „Zwittergesellschaften“ soll der Weg in das Handelsregister nach der Gesetzessystematik erkennbar verschlossen sein. Die skizzierten Einschränkungen spielen nach dem MoPeG praktisch vor allem noch eine Rolle für Freiberufler, deren Berufsrecht ihnen nicht gem. Abs. 1 Satz 2 die Möglichkeit eröffnet, die Rechtsform einer Personenhandelsgesellschaft zu wählen. Bedeutsam sind die Einschränkungen darüber hinaus für Gesellschaften, in denen sonstige Dienstleistungen angeboten werden. Denn auch sie unterfallen trotz untergeordneter Kleingewerblichkeit weder Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 noch Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 (Rz. 22). b) Land- und forstwirtschaftliche Betriebe In Gesellschaftsform betriebene Land- und Forstwirtschaft kann gem. § 3 Abs. 1 HGB nicht 19 bereits auf der Grundlage von § 1 HGB den Status eines Handelsgewerbes erlangen. Dem Verweis von § 3 Abs. 2 HGB auf § 2 HGB lässt sich aber entnehmen, dass ein land- und forstwirtschaftlicher Betrieb in das Handelsregister eingetragen werden darf, sofern er einen nach Art und Umfang in kaufmännischer Weise eingerichteten Gewerbetrieb erfordert.76 Auch für land- und forstwirtschaftliche GbR besteht daher gem. Abs. 1 Satz 1 die Möglichkeit, die Rechtsform einer Personenhandelsgesellschaft zu wählen und sich als solche in das Handelsregister eintragen zu lassen. Dies lässt sich dem Gesetzeswortlaut zwar nicht ausdrücklich entnehmen,77 folgt aber aus dem Verweis von § 3 Abs. 2 HGB auf § 2 HGB, welcher das allgemeine Pendant zu Abs. 1 Satz 1 bildet (Rz. 2). Dies war bereits vor dem MoPeG anerkannt.78 Es sind keine Gesichtspunkte ersichtlich, weshalb diese Rechtsauffassung nach dem MoPeG keinen Bestand mehr haben könnte. Vor dem MoPeG wurde vereinzelt eine Gegenauffassung vertreten, der zufolge es auf Abs. 1 Satz 1 angesichts von § 3 Abs. 2 HGB schon gar nicht ankommt.79 Der insofern bestehende Streit wirkte sich in der Vergangenheit (nur) bei der Frage aus, ob es auch für land- und forstwirtschaftliche Unternehmen eine „Rückfahrkarte“ aus dem Register gebe. Da die Möglichkeit der freiwilligen Löschung aus dem Handelsregister entfallen ist (Rz. 39 ff.), hat der Streit heute keine Bedeutung mehr. c) Vermögensverwaltende Gesellschaften Vermögensverwaltungsgesellschaften sind auch ohne vollkaufmännischen Betrieb eintra- 20 gungsfähig.80 Der Begriff der Vermögensverwaltung wird im Gesetz nicht definiert. An71 72 73 74 75 76 77 78
Wertenbruch in E/B/J/S, § 105 HGB Rz. 35. Roth in Hopt, § 105 HGB Rz. 12. Roth in Hopt, § 105 HGB Rz. 12. Henssler/Markworth, NZG 2015, 1, 4. Arens, DStR 2011, 1825, 1826. Fleischer in MünchKomm/HGB, § 105 HGB Rz. 69. Vgl. zur berechtigten rechtspolitischen Kritik: K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 46. Dazu Henssler in Henssler/Strohn, § 105 HGB Rz. 24; Roth in Hopt, § 105 HGB Rz. 12; Fleischer in MünchKomm/HGB, § 105 HGB Rz. 69. 79 Lieder in Oetker, § 105 HGB Rz. 30; Wertenbruch in E/B/J/S, § 105 HGB Rz. 45. 80 Begr. RegE HRefG, BT-Drucks. 13/8444, 41. Markworth | 773
§ 107 HGB Rz. 20 | Offene Handelsgesellschaft erkannte Beispiele für (eigen-)vermögensverwaltende Gesellschaften sind Fondsgesellschaften (vgl. Rz. 3), Gesellschaften zur Immobilienverwaltung und sonstige Objektgesellschaften, Besitzgesellschaften bei einer Betriebsaufspaltung, insofern sie nicht schon ein Handelsgewerbe betreiben, sowie Holdinggesellschaften.81 Zudem sind die Komplementär-Personengesellschaften von doppelstöckigen GmbH & Co. KG (eine GmbH & Co. KG als Komplementärin einer GmbH & Co. KG) unter Abs. 1 Satz 1 zu fassen.82 Einzelunternehmen, die eigenes Vermögen verwalten, stehen Vermögensverwaltungsgesellschaften nicht gleich. Denn der Gesetzgeber hat es nicht für erforderlich gehalten, das Handelsrecht auch für sie zu öffnen.83 Vor dem MoPeG stand es vermögensverwaltenden Gesellschaften offen, sich nach der Eintragung freiwillig auch wieder aus dem Handelsregister löschen zu lassen (§ 105 Abs. 2 Satz 2 HGB a.F. i.V.m. § 2 Satz 3 HGB). Diese Option besteht nicht mehr (Rz. 39 ff.). 21 Der Normwortlaut stellt klar, dass die Eintragungsmöglichkeit nur besteht, sofern „eigenes“
Vermögen verwaltet wird. Die Fremdvermögensverwaltung erfüllt den Tatbestand nicht.84 Sie wird aber ohnehin zumeist gem. § 105 Abs. 1 HGB als gewerblich einzustufen sein,85 weshalb die allgemeinen Regeln zur Anwendung kommen. Eine geringfügige Fremdverwaltung neben der Eigenvermögensverwaltung lässt das Eintragungswahlrecht hingegen unberührt (Rz. 23).
22 Völlig unbedeutende und wirtschaftlich nicht über den alltäglichen privaten Bereich he-
rausreichende Betätigungen sind nicht unter die Verwaltung eigenen Vermögens zu fassen. Dies ergibt sich aus der Gesetzesbegründung zum alten § 105 HGB a.F.86, der in Abs. 1 aufgegriffen wird (Rz. 2). Die Rechtsprechung hat sich bislang nicht dazu äußern müssen, inwiefern sie diese Auffassung teilt. Sie konnte die Reichweite des Eintragungswahlrechts für vermögensverwaltende Gesellschaften noch offen lassen.87 In der Literatur wird gegen diese Meinung vorgebracht, dass der Normwortlaut keine Einschränkung nahelege. Zudem drohe Rechtsunsicherheit, insofern der Anwendungsbereich des Eintragungswahlrechts durch eine Erheblichkeitsschwelle eingeschränkt werde, da die Schwelle Abgrenzungsschwierigkeiten bedinge.88 Aus diesen Gründen vertritt die Gegenauffassung, dass Abs. 1 Satz 1 kein bestimmtes Mindestvermögen aufseiten der eintragungswilligen Gesellschaft voraussetze.89 Selbst eine (ausschließlich) der Verwaltung eines privat selbst genutzten Grundstücks dienende (Ehegatten-Grundstücks-)Gesellschaft sei als OHG eintragungsfähig.90 Die praktische Bedeutung der zuletzt angesprochenen Option dürfte unabhängig von der Frage nach ihrer Existenz gering sein.91 Richtigerweise ist der Begriff der Eigenvermögensverwaltung eng zu verstehen. Hierfür spricht neben der Normhistorie die Gesetzessystematik, die nahelegt, rein private Sachverhalte als nicht vom Regelungsbereich des durch den Gewerbebegriff gepräg-
81 Begr. RegE HRefG, BT-Drucks. 13/8444, 40; Fleischer in MünchKomm/HGB, § 105 HGB Rz. 71; Roth in Hopt, § 105 HGB Rz. 13. 82 Henssler in Henssler/Strohn, § 105 HGB Rz. 34; Wertenbruch in E/B/J/S, § 105 HGB Rz. 39. 83 Begr. RegE HRefG, BT-Drucks. 13/8444, 41; OLG München v. 22.7.2008 – 31 Wx 88/07, NZG 2008, 780, 782 = ZIP 2009, 810; Roth in Hopt, § 105 HGB Rz. 13. 84 Fleischer in MünchKomm/HGB, § 105 HGB Rz. 73; Roth in Hopt, § 105 HGB Rz. 13. 85 Fleischer in MünchKomm/HGB, § 105 HGB Rz. 73; Roth in Hopt, § 105 HGB Rz. 13. 86 Begr. RegE HRefG, BT-Drucks. 13/8444, 41. 87 Offengelassen durch OLG München v. 6.11.2008 – 31 Wx 76/08, NJW-RR 2009, 152, 153 = GmbHR 2008, 1264 m. Anm. Werner = ZIP 2009, 524. 88 Fleischer in MünchKomm/HGB, § 105 HGB Rz. 72; Roth in Hopt, § 105 HGB Rz. 13; Wertenbruch in E/B/J/S, § 105 HGB Rz. 38. 89 Wertenbruch in E/B/J/S, § 105 HGB Rz. 38. 90 Fleischer in MünchKomm/HGB, § 105 HGB Rz. 72; Wertenbruch in E/B/J/S, § 105 HGB Rz. 38; a.A. Tröger in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 117, 117c (Stand: 84. EL September 2022). 91 Vgl. Begr. RegE HRefG, BT-Drucks. 13/8444, 41; Wertenbruch in E/B/J/S, § 105 HGB Rz. 38.
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Kleingewerbliche Gesellschaft; Statuswechsel | Rz. 24 § 107 HGB
ten HGB erfasst anzusehen. Zu fordern ist, angelehnt an die Definition des Gewerbebegriffs, jedenfalls, dass die eintragungswillige Gesellschaft die Eigenvermögensverwaltung in einem berufsmäßigen Umfang wahrnimmt.92 Eintragungsvoraussetzung sind daher richtigerweise ein planmäßiges Vorgehen bei der Verwaltung und, dass sie eine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung hat. Dabei sind auch noch nicht realisierte Zielsetzungen zu berücksichtigen, insofern objektive Anhaltspunkte ihre Realisierung nahelegen.93 Hingegen kommt es darauf, ob eine Konsortial- oder Pool-Gesellschaft bloße Innengesellschaft ist, hier nicht an.94 Denn ob eine Gesellschaft als Innen- oder Außengesellschaft zu qualifizieren ist, hängt allein vom Gesellschafterwillen ab. Bereits in der gemeinschaftlichen Stellung des Antrags auf Eintragung in das Handelsregister kommt insofern der Wille zum Ausdruck, in die Außengesellschaft übergehen zu wollen. Reine Dienstleistungsgesellschaften wurden bereits nicht von § 105 Abs. 2 Alt. 2 HGB a.F. erfasst, da Dienstleistungen begrifflich etwas anderes ist, als die Vermögensverwaltung.95 Im Lichte des Abs. 1 Satz 2 hat der speziell mit Blick auf Freiberuflergesellschaften geführte Streit darüber, ob die OHG angesichts von § 105 Abs. 2 Alt. 2 HGB in der alten Fassung des Handelsrechtsreformgesetzes (Rz. 3) zu einer „Auffanggesellschaft“ geworden sei,96 an Bedeutung verloren. Für das Eintragungswahlrecht nach Abs. 1 Satz 1 spielt es keine Rolle, ob eine eigenver- 23 mögenverwaltende Gesellschaft noch anders zu qualifizierende Tätigkeiten, wie eine Fremdverwaltung oder eine andere nichtgewerbliche Betätigung, ausübt, solange sie dies in einem geringfügigen, unwesentlichen Umfang tut.97 Auch Mischformen, z.B. einer Holdinggesellschaft, die neben der Anteilsverwaltung Konzernleitungsaufgaben wahrnimmt,98 steht damit die Eintragung in das Handelsregister offen. Zwar eröffnet Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 seinem Wortlaut nach die Eintragungsmöglichkeit für Gesellschaften, die „nur“ eigenes Vermögen verwalten, die Formulierung soll aber, wie sich aus der Systematik schließen lässt, allein klarstellen, dass die Handelsregistereintragung ansonsten ein gewerbliches Handeln voraussetzt.99 Die Abgrenzung, ob das Eintragungswahlrecht trotz einer nicht als Eigenvermögensverwaltung einzustufenden Nebenbetätigung der Gesellschaft noch besteht, hat anhand einer Gesamtbetrachtung zu erfolgen.100 d) Freiberufliche Gesellschaften aa) Anwendungsbereich des Abs. 1 Satz 2 Abs. 1 Satz 2 eröffnet Gesellschaften, deren Zweck die gemeinsame Ausübung Freier Berufe 24 durch ihre Gesellschafter ist, die Möglichkeit zur Eintragung in das Handelsregister. Damit ein Zusammenschluss von Freiberuflern eintragungsfähig ist, muss er danach zunächst auf
92 Henssler in Henssler/Strohn, § 105 HGB Rz. 34. 93 Vgl. Tröger in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 117 (Stand: 84. EL September 2022). 94 A.A. Tröger in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 117b (Stand: 84. EL September 2022). 95 Vgl. Tröger in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 117b (Stand: 84. EL September 2022). 96 Vgl. Wertenbruch in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 10 Rz. 4. 97 Fleischer in MünchKomm/HGB, § 105 HGB Rz. 74; Roth in Hopt, § 105 HGB Rz. 13; Tröger in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 117a (Stand: 84. EL September 2022). 98 Fleischer in MünchKomm/HGB, § 105 HGB Rz. 74. 99 Tröger in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 117a (Stand: 84. EL September 2022). 100 Vgl. Henssler in Henssler/Strohn, § 105 HGB Rz. 35. Markworth | 775
§ 107 HGB Rz. 24 | Offene Handelsgesellschaft einer gesellschaftsvertraglichen Basis beruhen.101 Wird ein Zusammenschluss trotz fehlender vertraglicher Grundlage in das Handelsregister eingetragen, droht den vermeintlichen Gesellschaftern die Scheingesellschafterhaftung. In der Praxis werden Scheingesellschaften häufig etwa durch einen Arbeitgeber und seine Angestellten begründet. Die Registereintragung des vermeintlichen Zusammenschlusses fungiert dann als Rechtsscheintatbestand. Die Gesellschafter müssen ihre freiberufliche Tätigkeit aktiv in der Gesellschaft ausüben (Gebot aktiver Tätigkeit). Bürogemeinschaften (vgl. die Legaldefinition in § 59q BRAO) oder andere Gesellschaften, deren Zweck sich in der gemeinsamen Benutzung von Räumen, Gegenständen und Personal erschöpft (etwa Labor- und Apparategemeinschaften), können sich nicht eintragen lassen.102 Dem unglücklich gewählten Wortlaut zum Trotz, steht es der Eintragung nicht entgegen, wenn die eintragungswillige Gesellschaft neben natürlichen Personen auch andere (Personen- oder Kapital-)gesellschaften als Gesellschafter hat, obschon Gesellschaften nicht zu einer eigenständigen Berufsausübung in der Lage sind. Dies ergibt sich schon daraus, dass der Gesetzgeber mit Abs. 1 Satz 2 das erklärte Ziel verfolgt, den Freien Berufen die Wahl einer Kapitalgesellschaft & Co. KG zu ermöglichen (Rz. 7, 11). Den Gesetzesmaterialien zufolge folgt das Verständnis des Begriffs der Freien Berufe § 1 Abs. 2 PartGG.103 § 1 Abs. 2 PartGG enthält in Satz 2 eine nicht abschließende Aufzählung von Katalogberufen. Demzufolge ist insbesondere Notaren die Berufsausübung in einer Personenhandelsgesellschaft versperrt, da das Notaramt kein Freier Beruf ist.104 Dies gilt im Falle einer öffentlichen Bestellung auch für Vermessungsingenieure. Anders ist es aber, insofern sie sich unter den allgemeinen Begriff der Ingenieure subsumieren lassen, wobei allerdings der in Abs. 1 Satz 2 verankerte Berufsrechtsvorbehalt (Rz. 25 ff.) zu beachten ist.105 Anwaltsnotare dürfen in einer Personenhandelsgesellschaft nur als Rechtsanwälte geführt werden.106 Apothekern ist es bereits nach § 8 Satz 1 ApoG erlaubt, zusammen eine Apotheke in der Rechtsform einer OHG zu betreiben. Die Regelung geht Abs. 1 Satz 2 als lex specialis vor. Angesichts des Gesetzeswortlauts („nur“) ist Apothekern insbesondere die Wahl einer GmbH & Co. KG versagt. Im Hinblick auf einzelne Berufe lässt sich die Frage, ob sie noch zum Kreis der vom PartGG erfassten Freien Berufe zählen, nicht klar beantworten. Die Einordnung einiger Berufe ist umstritten.107 Für Abs. 1 Satz 2 spielt dies aber nur bedingt eine Rolle. Denn umstritten ist – jedenfalls teilweise – nur, ob ein Beruf als Freier Beruf oder als gewerblich einzuordnen ist.108 Wenn dem so ist, bedarf es, wenn es um die Eintragung in das Handelsregister geht, keiner abschließenden Entscheidung. Denn selbst bei Verneinung der Freiberuflichkeit ergibt sich die Möglichkeit zur Eintragung in das Handelsregister dann bereits aus den allgemeinen Grundsätzen. bb) Berufsrechtsvorbehalt 25 Das MoPeG hat die Personenhandelsgesellschaften nicht generell für alle Freien Berufe geöff-
net. Abs. 1 Satz 1 ermächtigt vielmehr lediglich die einzelnen Berufsrechtsgesetzgeber dazu, den Freien Berufen die Handelsrechtsformen zur Verfügung zu stellen. Die Eintragung einer Gesellschaft in das Handelsregister, deren Zweck die gemeinsame Ausübung Freier Berufe 101 102 103 104 105 106
Vgl. Hirtz in Henssler/Strohn, § 1 PartGG Rz. 38. Vgl. Hirtz in Henssler/Strohn, § 1 PartGG Rz. 37. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 110, 224. Vgl. Begr. RegE PartGG, BT-Drucks. 12/6152, 10. Vgl. Begr. RegE PartGG, BT-Drucks. 12/6152, 10. Str., vgl. Begr. RegE PartGG, BT-Drucks. 12/6152, 10; OLG Celle v. 30.5.2007 – Not 5/07, NJW 2007, 2929, 2930; Hirtz in Henssler/Strohn, § 1 PartGG Rz. 27; a.A. Henssler in Henssler, § 1 PartGG Rz. 82; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 1 PartGG Rz. 49. 107 Näher Begr. RegE PartGG, BT-Drucks. 12/6152, 10; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 1 PartGG Rz. 33 ff.; Hirtz in Henssler/Strohn, § 1 PartGG Rz. 17 ff. 108 Dazu Schäfer in MünchKomm/BGB, § 1 PartGG Rz. 16 ff., 47.
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Kleingewerbliche Gesellschaft; Statuswechsel | Rz. 26 § 107 HGB
durch ihre Gesellschafter ist, ist also von der berufsrechtlichen Zulässigkeit abhängig. Anders als es die Gesetzesbegründung zum MoPeG ausdrückt,109 steht nicht die Errichtung einer offenen Handelsgesellschaft zur Ausübung Freier Berufe selbst unter dem Vorbehalt der Erlaubnis durch das anwendbare Berufsrecht. Vielmehr bestimmt das Berufsrecht nur über die Eintragungsfähigkeit. Die Entstehung einer Freiberuflergesellschaft als Personenhandelsgesellschaft ist von der Eintragung abhängig. Diese wirkt also konstitutiv. Damit wurde in § 107 HGB ein ähnlicher Weg gewählt wie bei der PartG mbB: Gemäß § 8 Abs. 4 PartGG ist die berufsrechtliche Regelung der Haftpflichtversicherung Voraussetzung für den Zugang zur PartG mbB. Durch die Einschränkung wollte der Gesetzgeber sicherstellen, dass die zuständigen Landes- 26 oder Bundesgesetzgeber die Wahl einer Handelsgesellschaft von der Wahrung berufsspezifischer Schutzbelange abhängig machen können.110 Bei Berufen, deren Berufsrecht – anders als dasjenige z.B. von Rechtsanwälten und Patentanwälten, Notaren, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern – nicht der Regelungskompetenz des Bundesgesetzgebers unterliegt, sondern in die Zuständigkeit der Länder fällt, kommt es auf die Regelungen desjenigen Bundeslands, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat, an.111 Praktisch stellt der gewählte Regelungsweg insbesondere solche Freien Berufe vor Probleme, die überhaupt nicht über ein eigenständiges Berufsgesetz verfügen oder auf Landesebene reguliert werden.112 Zur letztgenannten Gruppe zählen namentlich eine Reihe von Heilberufen sowie Architekten und Bauingenieure.113 Sie sind darauf angewiesen, dass der Landesgesetzgeber ihres Bundeslands den durch das MoPeG eröffneten neuen Möglichkeiten schnell durch eine Berufsrechtsänderung Rechnung trägt. Hier entsteht mithin auf Landesebene ein hoher Regelungsaufwand. Die erforderlichen Gesetzesänderungen werden sich, sofern man die Erfahrungen mit der PartG mbB zugrundelegt, über einen langen Zeitraum hinziehen. Zu erwarten ist, dass die Handelsgesellschaften zunächst nur dem „erlauchten“ Kreis der rechts- und wirtschaftsberatenden Berufe zur Verfügung stehen werden.114 Bislang gänzlich unregulierte Freiberuflergruppen können ohnehin kaum darauf hoffen, dass ein neues Berufsgesetz initiiert wird, nur um den Anforderungen des Abs. 1 Satz 2 Rechnung zu tragen. Aus der Sicht eintragungswilliger Gesellschaften bietet sich eine Sitzverlegung in ein Bundesland, in dem bereits auf Abs. 1 Satz 2 geantwortet wurde, an („forum shopping“). Bei einer nach der Handelsregistereintragung erfolgenden Sitzverlegung in ein Bundesland (noch) ohne berufsrechtliche Zulassung der Handelsgesellschaften wird hingegen ein Rechtsform(rück-)wechsel erforderlich.115 Bevor die berufsrechtlichen Voraussetzungen geschaffen wurden, kann etwa der Erbe des Anteils eines Personengesellschafters seinen Verbleib in der Gesellschaft nicht davon abhängig machen, dass die Gesellschaft bürgerlichen Rechts nach Maßgabe des § 724 BGB in eine Kommanditgesellschaft umgewandelt und er Kommanditist wird. Dem Erben verbleibt dann nur die Möglichkeit, aus der Gesellschaft auszuscheiden.116
109 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 224. 110 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 110. 111 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 3992 (Stand: 83. EL April 2022). 112 Vgl. auch Henssler in Henssler/Prütting, § 59b BRAO Rz. 72 ff. 113 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 224; Henssler in Henssler/Prütting, § 59b BRAO Rz. 73. 114 Henssler in Henssler/Prütting, § 59b BRAO Rz. 73; vgl. auch Henssler/Markworth, NZG 2015, 1, 2. 115 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 3994 (Stand: 83. EL April 2022); Wertenbruch in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 10 Rz. 36. 116 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 171. Markworth | 777
§ 107 HGB Rz. 27 | Offene Handelsgesellschaft 27 Die Berufsgesetzgeber können frei darüber bestimmen, von welchen Voraussetzungen die
Eintragungsfähigkeit abhängig gemacht wird.117 Der MoPeG-Gesetzgeber begründet die berufsrechtliche Handlungsfreiheit mit dem aus der Vielgestaltigkeit der Freien Berufe folgenden Schutzbedarf.118 Der Zugang zu den Personenhandelsgesellschaften darf insbesondere nicht nur von der im PartGG schon vorgesehenen Pflicht, eine Berufshaftpflichtversicherung zu unterhalten, abhängig gemacht werden. Vielmehr sollen Bund und Länder dazu in der Lage sein, den Zugang zu den Personenhandelsgesellschaften zusätzlich, z.B. durch Vorgaben für die Kapitalbeteiligung von Personen, die nicht Berufsträger sind, zu beschränken. Denn nur mit solchen Zusatzbeschränkungen könne bei bestimmten Berufen die fachliche Unabhängigkeit der Berufsausübung gesichert werden.119 (1) Berufsrecht der Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer 28 Das Berufsrecht der wirtschaftsberatenden Berufe (Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirt-
schaftsprüfer) lässt die Eintragung in das Handelsregister bereits seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften v. 7.7.2021 („Große BRAO-Reform“) i.S.v. Abs. 1 Satz 2 berufsrechtlich zu. Für Rechtsanwälte ergibt sich dies aus § 59b Abs. 2 Nr. 1 BRAO, für Steuerberater aus § 49 StBerG und für Wirtschaftsprüfer aus § 27 WPO. Für die vom Gesetz erfassten Berufe ist dabei auch die „Einheits-GmbH & Co. KG“ zugelassen, in der die KG selbst alle Anteile an der Komplementär-GmbH hält.120 29 Die genannten, bereits seit dem 1.8.2022 geltenden berufsrechtlichen Regelungen sind als le-
ges speciales gegenüber den noch bis zum 1.1.2024 geltenden §§ 105, 161 Abs. 2 HGB, welche die Eintragung in das Handelsregister grundsätzlich vom Betrieb eines Handelsgewerbes i.S.v. § 1 HGB abhängig machen, ausgestaltet. Rechtsanwälte und Patentanwälte können aus diesem Grund bereits jetzt die Rechtsform einer GmbH & Co. KG wählen. Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern stand diese Möglichkeit bereits zuvor offen (Rz. 11).121 (2) Berufsrechtliche Eintragungsvoraussetzungen für Anwaltsgesellschaften 30 Gesellschafter einer anwaltlichen Personenhandelsgesellschaft dürfen gem. § 59c Abs. 1
BRAO alle Personen sein, die in der Gesellschaft einen Freien Beruf i.S.v. § 1 Abs. 2 PartGG ausüben, sofern die gesellschaftliche Verbindung mit dem Beruf des Rechtsanwalts, insbesondere seiner Stellung als unabhängigem Organ der Rechtspflege, vereinbar ist und das Vertrauen in seine Unabhängigkeit nicht gefährden kann. In der Anwalts-Kapitalgesellschaft & Co. KG müssen sowohl die Gesellschafter und Geschäftsführer der Komplementärgesellschaft als auch die Kommanditisten die Voraussetzungen des § 59c BRAO erfüllen (§ 59i Abs. 1 Satz 2 BRAO). Die Möglichkeiten der Fremdorganschaft sind dementsprechend beschränkt.122 Hierauf kommt es insbesondere bei Gründung einer anwaltlichen Einheits-GmbH & Co. KG an.123 Bei einer „& Co. KG“-Konstruktion muss auch die Kapitalgesellschaft als anwaltliche Berufsausübungsgesellschaft zugelassen sein (§ 59i Abs. 1 Satz 1 Vgl. Bachmann, NZG 2020, 612, 618: „Der Ball liegt […] im Feld der Berufsrechtler.“ Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 110, 224. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 110, 224. Zur Ausgestaltung der anwaltlichen Einheitsgesellschaft vgl. Henssler in Henssler/Prütting, § 59b BRAO Rz. 88 ff. 121 Näher Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 3980 f. (Stand: 83. EL April 2022); a.A. Nolting, ZPG 2023, 176, 177 ff. 122 Vgl. auch Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 3984 (Stand: 83. EL April 2022). 123 Vgl. Wertenbruch in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 10 Rz. 31. 117 118 119 120
778 | Markworth
Kleingewerbliche Gesellschaft; Statuswechsel | Rz. 32 § 107 HGB
BRAO). Wie sich aus der Formulierung des § 59b Abs. 1 BRAO („zur gemeinschaftlichen Ausübung ihres Berufs“) ergibt, gilt bei Anwaltshandelsgesellschaften zudem das sog. Gebot der aktiven Mitarbeit. Es findet nicht nur auf die anwaltlichen, sondern auf alle Gesellschafter unabhängig von ihrer Profession Anwendung. Reine Kapitalbeteiligungen an anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaften sind also weiterhin nicht gestattet. Allerdings stellt das Gebot der aktiven Mitarbeit keine allzu hohe Hürde dar. So reichen etwa schon Vortragstätigkeiten, rein akquisitorische oder geschäftsführende Aufgaben aus, damit ein Berufsträger ihm genügt.124 Zur Absicherung des Gebots sind die Gesellschaftsanteile anwaltlicher Berufsausübungsgesellschaften vinkuliert (§ 59i Abs. 2 Satz 1 BRAO) und dürfen nicht für Rechnung Dritter gehalten werden (§ 59i Abs. 3 Satz 1 BRAO). Dritte dürfen nicht am Gesellschaftsgewinn beteiligt sein (§ 59i Abs. 3 Satz 2 BRAO) und nur stimmberechtigte Gesellschafter zur Ausübung von Gesellschafterrechten bevollmächtigt werden (§ 59i Abs. 5 BRAO). Die Gesellschaft bedarf schließlich einer eigenen Berufshaftpflichtversicherung (§ 59o BRAO) und grundsätzlich der Zulassung durch die Rechtsanwaltskammer (§ 59f Abs. 1 Satz 1 BRAO). (3) Berufsrechtliche Eintragungsvoraussetzungen für Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfergesellschaften Die interprofessionelle Zusammenarbeit ist für Steuerberater und Steuerbevollmächtigte 31 gem. § 50 Abs. 1 StBerG parallelen Restriktionen unterworfen, wie sie für Rechtsanwälte gelten. Bei der Steuerberater-Kapitalgesellschaft & Co. KG gelten insbesondere auch im Hinblick auf die Kommanditisten und die Geschäftsführung der Komplementärgesellschaft besondere Regeln (§ 55a Abs. 1 Satz 2 StBerG). Zu sonstigen Beschränkungen hinsichtlich der Gesellschafterstellung in Steuerberatungsgesellschaften vgl. § 55a Abs. 2–5 StBerG. Die Pflicht zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung folgt aus § 55f StBerG. Bei anerkannten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften in der Rechtsform einer Personenhandelsgesellschaft müssen unter den persönlich haftenden Gesellschafter und in der Geschäftsführung Berufsangehörige bzw. EU-/EWR-Abschlussprüfer oder Wirtschaftsprüfungsgesellschaften bzw. EU-/EWR-Abschlussprüfungsgesellschaften die Mehrheit ausmachen (§§ 27, 28 Abs. 1 Satz 1, 2 WPO). Zu weiteren Anerkennungsvoraussetzungen, speziell bei interprofessioneller Berufsausübung vgl. §§ 44b, 28 Abs. 2–7 WPO. (4) Prüfung durch die Berufsaufsicht Die Prüfung, ob eine Gesellschaft die für die Eintragung in das Handelsregister erforderli- 32 chen berufsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt, obliegt aufgrund ihrer Amtsermittlungspflichten (§ 26 FamFG) den für die Führung der Handelsregister zuständigen Gerichten.125 Das Statuswechselverfahren selbst wird durch den Berufsrechtsvorbehalt also nicht tangiert, betroffen ist allein die Zulässigkeit der Eintragung als OHG oder KG im Handelsregister als Zielregister.126 Das für die Führung des Handelsregisters zuständige Gericht darf sich bei der Prüfung, ob die Eintragung einer freiberuflichen Gesellschaft berufsrechtlich zulässig ist, auf die Einschätzung einer dafür besonders befugten berufsrechtlichen Institution (insbesondere einer Berufskammer) verlassen. Denn die Gesetzesmaterialien zum MoPeG bringen ausdrücklich zum Ausdruck, dass die Prüfung inhaltlich den für die Berufsaufsicht zuständigen Stellen auferlegt sein soll.127 Insbesondere ist bei der Ausübung verschiedener Freier Berufe in einer Partnerschaftsgesellschaft oder der Ausübung Freier Berufe in Kombination mit gewerblichen Tätigkeiten keine eigene registergerichtliche Prüfung des Tätigkeitsschwerpunkts
124 125 126 127
Vgl. Begr. RegE BRAO-Reform, BT-Drucks. 19/27670, 131, 175. Noack, ZPG 2023, 95, 101. Wertenbruch, ZPG 2023, 201, 204. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 110; vgl. auch Noack, ZPG 2023, 95, 101. Markworth | 779
§ 107 HGB Rz. 32 | Offene Handelsgesellschaft mehr erforderlich.128 Den Berufsrechtsgesetzgebern steht ein Gestaltungsspielraum zu, wie sich die Konformitätsprüfung des Wechsels in die Personenhandelsgesellschaft vollziehen soll und welche Form an die Registergerichte übermittelte Konformitätsbescheinigungen haben sollen. Bei verkammerten Berufen erscheint es sinnvoll, vorzusehen, dass die Berufskammern die Dokumente der Gesellschaft (insbesondere den Gesellschaftsvertrag) prüfen und eine beim zuständigen Registergericht vorzulegende Konformitätsbescheinigung ausstellen.129 Sofern sich die berufsrechtlichen Voraussetzungen auf eine (durch Zeugnisse nachzuweisende) fachliche Qualifikation/Zulassung beschränken sollten, ist der Prüfaufwand aber so gering, dass er auch gänzlich den Registergerichten überantwortet werden kann.130 Um Verzögerungen zu vermeiden, bietet es sich für die Gesellschafter an, bei der Anmeldung zum Handelsregister eigeninitiativ nähere Angaben zum Unternehmensgegenstand zu machen (vgl. § 24 Abs. 4 HRV).131 e) Geltung der für die Eintragung einer OHG maßgeblichen Vorschriften (Abs. 2 Satz 1) 33 Gemäß Abs. 2 Satz 1 gelten auch für Gesellschaften, die nicht schon wegen des Betriebes
eines Handelsgewerbes, das einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, offene Handelsgesellschaft sind, sondern diesen Status erst kraft – nicht verpflichtender – Eintragung erlangen, die Regelungen für die Eintragung einer OHG. Die Vorschrift entspricht § 2 Satz 2 HGB a.F. i.V.m. § 105 Abs. 2 Satz 2 HGB a.F. Die Gesetzesbegründung verweist insofern allein auf § 106 Abs. 2 HGB,132 richtigerweise ist angesichts des eindeutigen Normwortlauts aber der gesamte § 106 HGB entsprechend zu berücksichtigen. Die Anmeldung zur Eintragung in das Handelsregister muss demnach gem. § 106 Abs. 7 Satz 1 HGB grundsätzlich von sämtlichen Gesellschaftern bewirkt werden (Grundlagengeschäft). Sie hat gem. § 12 Abs. 1 Satz 2 HGB elektronisch in öffentlich beglaubigter Form zu erfolgen.133 34 Voraussetzung der Anmeldung im Innenverhältnis ist ein Gesellschafterbeschluss. Dieser
muss grundsätzlich einstimmig gefasst werden (§ 714 BGB, falls nicht der Gesellschaftsvertrag in zulässiger Weise eine Mehrheitsentscheidung vorsieht (§ 708 BGB).134 Dies folgt mittelbar aus der Qualifikation der Anmeldung als nicht von der allgemeinen Geschäftsführungsbefugnis umfasstes Grundlagengeschäft (Rz. 34). Wurde ein wirksamer Gesellschafterbeschlusses gefasst, sind die Gesellschafter zur Mitwirkung bei der Eintragung in das Handelsregister verpflichtet.135 Wird die Gesellschaft in das Handelsregister eingetragen, obschon kein wirksamer Gesellschafterbeschluss existiert, so gilt § 5 HGB.136 35 Die Anmeldung muss die in § 106 Abs. 2 HGB aufgeführten anzumeldenden Tatsachen ent-
halten. Gemäß § 106 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b HGB sind bei Personengesellschaften deren Namen, Rechtsform, Sitz und, soweit es sich um eine eingetragene Personengesellschaft handelt, das zuständige Register und die Registernummer anzugeben. Ist die Gesellschaft bereits im Gesellschafts- oder Partnerschaftsregister eingetragen, soll sie zudem gem. § 106 128 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 224. 129 Wertenbruch/Alm, ZPG 2023, 201, 204. 130 Dafür Tröger in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 118d (Stand: 84. EL September 2022); Wertenbruch in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 10 Rz. 11, um unnötige Verfahrensverkomplizierungen zu vermeiden. 131 Noack, ZPG 2023, 95, 101. 132 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 224. 133 Lieder/Hilser, NotBZ 2021, 401, 402. 134 Vgl. Roth in Hopt, § 105 HGB Rz. 14; Wertenbruch in E/B/J/S, § 105 HGB Rz. 36. 135 Wertenbruch in E/B/J/S, § 105 HGB Rz. 36; Schön, DB 1998, 1169, 1175. 136 Roth in Hopt, § 105 HGB Rz. 12.
780 | Markworth
Kleingewerbliche Gesellschaft; Statuswechsel | Rz. 38 § 107 HGB
Abs. 4 HGB nur in das Handelsregister eingetragen werden, wenn der Statuswechsel zum Gesellschaftsregister angemeldet wurde, der Statuswechselvermerk gem. § 707c Abs. 2 Satz 1 BGB (vgl. § 1 Abs. 4 PartGG zur entsprechenden Anwendung auf die Partnerschaftsgesellschaft) eingetragen wurde und das Verfahren von dem für die Führung des Gesellschaftsoder Partnerschaftsregisters zuständigen Gericht an das Handelsregister abgegeben wurde. Die weiteren Einzelheiten des Eintragungsverfahrens ergeben sich aus dem nach der Verweisung in § 106 Abs. 4 Satz 2 HGB entsprechend anwendbaren § 707c Abs. 2 BGB.
4. Rechtsfolgen Sofern es die Eintragungsfähigkeit bejaht, trägt das Handelsregistergericht die Gesellschaft in 36 einem neuen Registerblatt ein. Bei einem Statuswechsel teilt das Gericht sodann von Amts wegen dem für die Führung des Gesellschaftsregisters zuständigen Gericht den Tag der Eintragung und die neue Registernummer mit (§ 106 Abs. 5 Satz 2 HGB). Dieses trägt sodann den Vollzug des Statuswechsels ein und schließt das alte Registerblatt.137 Durch die Eintragung im Handelsregister erlangt die Gesellschaft im Verhältnis zu Dritten (dem Rechtsverkehr) den rechtssubjektiven Status einer Personenhandelsgesellschaft.138 Die Eintragung wirkt mithin konstitutiv, wohingegen sie bei GbR und eGbR, die ein Handelsgewerbe betreiben (sog. Ist-OHG), eine rein deklaratorische Wirkung hat.139 Insofern wird § 123 Abs. 1 Satz 2 HGB modifiziert, wonach eine Personenhandelsgesellschaft im Verhältnis zu Dritten grundsätzlich bereits entsteht, wenn sie mit Zustimmung sämtlicher Gesellschafter am Rechtsverkehr teilnimmt.140 Bis zum Vollzug der Registermaßnahme kann die Gesellschaft zwar bereits als GbR, eGbR oder PartG im Verhältnis zu Dritten entstanden sein, erst infolge der Eintragung wird die Gesellschaft aber zur echten Handelsgesellschaft. Das gilt selbst dann, wenn der Gesellschaftsvertrag bereits vorsieht, dass die Gesellschafter eine Handelsgesellschaft gründen.141 Nach der Eintragung handelt es sich bei der Gesellschaft nicht etwa bloß um eine Fiktiv-Handelsgesellschaft.142 Im Interesse der Sicherheit und Leichtigkeit des Rechtsverkehrs entfaltet die Registereintragung die negativen und positiven Publizitätswirkungen nach § 15 HGB. Sofern eine (kleingewerbliche) Gesellschaft nach der freiwilligen Eintragung in das Handels- 37 register die Schwelle zum Handelsgewerbe überschreitet und damit gem. § 1 Abs. 2 HGB eintragungspflichtig wird, besteht sie als Personenhandelsgesellschaft fort, ohne dass es eines neuerlichen Registereintrags bedürfte. Die Schwellenüberschreitung hat aber zur Folge, dass ein Statuswechsel in das Gesellschaftsregister gem. Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 (Rz. 42) ausgeschlossen ist. Denn die Gesellschaft wäre auch außerhalb des Registers automatisch von einer GbR zu einer Personenhandelsgesellschaft (zur OHG) geworden. Abs. 1 schützt in Ausübung des Wahlrechts eingetragene kleingewerbliche, vermögensver- 38 waltende und freiberufliche Gesellschaften vor einer nachträglichen Amtslöschung aus dem Handelsregister. Eine Gesellschaft bleibt nach Abs. 1 auch dann OHG oder KG, sofern ihre Tätigkeit zunächst ein Handelsgewerbe umfasst hat, nachträglich aber auf ein Kleingewerbe herabsinkt oder allein noch eine Vermögensverwaltung beinhaltet.143
137 Vgl. zum Verfahrensablauf im Einzelnen Noack, ZPG 2023, 95, 100 f. 138 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 224. 139 Roth in Hopt, § 105 HGB Rz. 12; Wertenbruch in E/B/J/S, § 105 HGB Rz. 37; Wertenbruch/Alm, ZPG 2023, 201, 203 f. 140 Vgl. dazu Wertenbruch, ZPG 2023, 1, 5 f. 141 Nolting, ZPG 2023, 176, 177. 142 Roth in Hopt, § 105 HGB Rz. 12. 143 Lieder in Oetker, § 105 HGB Rz. 31. Markworth | 781
§ 107 HGB Rz. 39 | Offene Handelsgesellschaft
III. Statuswechsel in die eGbR (Abs. 2 Satz 2, Abs. 3) 1. Überblick 39 Gesellschaften, welche nach ihrer Eintragung nicht ohnehin die Voraussetzungen des § 1
Abs. 2 HGB erfüllt haben und deshalb Handelsgesellschaften bleiben müssen, können das Handelsregister nur im Wege eines Statuswechsels in das Gesellschaftsregister verlassen. Dies geschieht, indem sie zu einer eingetragenen Gesellschaft bürgerlichen Rechts werden (Abs. 2 Satz 2). Die nach § 105 Abs. 2 Satz 2 HGB a.F. i.V.m. § 2 Satz 3 HGB bestehende Möglichkeit einer freiwilligen Firmenlöschung und Rückkehr zur Nichttransparenz gibt es nach neuem Recht nicht mehr (Rz. 39 ff.). Abs. 3 bringt zum Ausdruck, dass die Eintragung im Rahmen des Statuswechselverfahrens eine Prüfung durch das Registergericht voraussetzt und verweist für das Verfahren ansonsten auf die für die GbR geltenden Maßgaben (§ 707c Abs. 2 Sätze 2–5 BGB) (Rz. 45 ff.).
2. Bedeutungsgehalt im Vergleich zum alten Recht 40 Abs. 2 Satz 2 schließt eine gewillkürte Löschung freiwillig im Handelsregister eingetragener,
kleingewerblicher, vermögensverwaltender und freiberuflicher Gesellschaften aus.144 Nach früherer Rechtslage wurden kleingewerbliche und vermögensverwaltende Gesellschaften, die sich freiwillig in das Handelsregister hatten eintragen lassen, auf Antrag wieder aus dem Register gelöscht, sofern sie nicht zwischenzeitlich die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 HGB erfüllt hatten (§ 105 Abs. 2 Satz 2 HGB a.F. i.V.m. § 2 Sätze 2 und 3 HGB a.F.). Die optionale Eintragung in das Handelsregister war also mit einer „Rückfahrkarte“ versehen.145 Diese Rückfahrkarte ist mit dem MoPeG entfallen, da der Verweis auf § 2 Satz 3 HGB nicht mehr existiert. Zweck der Streichung ist es, die Gesellschafter an ihre einmal getroffene Eintragungsentscheidung zu binden.146 Die Gesellschafter von einmal eingetragenen Gesellschaften können durchaus gute Gründe dafür haben, wieder zum Status der Nichteintragung zurückkehren zu wollen. So können etwa nach einem Personenwechsel (etwa durch Erbfolge) neu in die Gesellschaft gerückten Gesellschafter ein Interesse daran haben, ihre Identität nicht der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.147 Der Gesetzgeber hat die Gewährleistung von Verkehrsschutz aber höher gewichtet als die potentiellen Gesellschafterinteressen.148 So soll verhindert werden, dass es zu liquidationslosen, stillen „Firmenbestattungen“ kommt.149 Denn damit ginge die mit dem Gesellschaftsregister bezweckte Transparenz über den Bestand der Gesellschafter, die für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft unbeschränkt persönlich haften, zum Nachteil des Gesellschaftsgläubigers verloren.150 Im Lichte der Gesetzesänderung müssen sich anmeldungswillige Gesellschafter einer gründlichen Selbstprüfung unterziehen.151 Vorschnelle Registereintragungen bloßer Innengesellschaften oder Gelegenheitsgesellschaften sollten unterbleiben.
144 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 133. 145 Vgl. K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 32. 146 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 133; zustimmend K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 32, 33; kritisch: DAV-Handelsrechtsausschuss, NZG 2020, 1133 Rz. 18 ff. 147 So DAV-Handelsrechtsausschuss, NZG 2020, 1133 Rz. 20. 148 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 133. 149 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 133. 150 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 133; a.A. DAV-Handelsrechtsausschuss, NZG 2020, 1133 Rz. 20: die Gesellschafterhaftung werde ja selbst nicht berührt. 151 K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 32.
782 | Markworth
Kleingewerbliche Gesellschaft; Statuswechsel | Rz. 45 § 107 HGB
Die Rückkehr in die Form der BGB-Gesellschaft setzt einen Statuswechsel in Form des 41 Wechsels vom Handels- in das neu geschaffene Gesellschaftsregister voraus. Nach der Eintragung in das Gesellschaftsregister gilt für die dann in das Rechtskleid einer eGbR gekleidete Gesellschaft § 707a Abs. 4 BGB. Die Löschung einer in das Gesellschaftsregister eingetragenen GbR ist nach dieser Regelung nur nach den allgemeinen Vorschriften gestattet. Voraussetzung der vollständigen Tilgung aus dem (Gesellschafts-)Register ist demnach, dass die Gesellschaft erlischt. Dies ist im Regelfall nach Beendigung der Liquidation der Fall (§ 738 BGB), es sei denn, dass ausnahmsweise Auflösung und Vollbeendigung zusammenfallen.152 An einem Statuswechsel kann die GbR überhaupt nur bei einer Registrierung teilnehmen.153 Schlussendlich entfaltet die Eintragung der ehemaligen Personenhandelsgesellschaft in das Gesellschaftsregister damit eine Bindungswirkung. Die Gesellschaft vermag zwar nach Maßgabe des Abs. 3 ihre Kaufmannseigenschaft wieder abzustreifen, indem sie auf Betreiben der Gesellschafter hin im Wege des Statuswechsels in das Gesellschaftsregister migriert, es besteht aber nicht mehr die Möglichkeit, die Gesellschaft vollumfänglich aus den Registern streichen zu lassen, also zum Status der völligen Nicht-Transparenz zurückzukehren.154
3. Anwendungsbereich a) Fortsetzung als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (Abs. 2 Satz 2) Der Regelungssystematik legt nahe, dass Abs. 2 und 3 nur den Statuswechsel von kleinge- 42 werblichen, vermögensverwaltenden und freiberuflichen Personenhandelsgesellschaften in die (eingetragene) Gesellschaft bürgerlichen Rechts betreffen. Tatsächlich erfassen die Regelungen, über fakultativ in das Handelsregister eingetragene Gesellschaften (vgl. Abs. 2 Satz 1) hinaus, aber auch Gesellschaften, welche zunächst ein Handelsgewerbe i.S.v. § 1 Abs. 2 HGB aufwiesen, aber dann zum Kleingewerbe herabgeschrumpft sind. Denn auch solchen herabgeschrumpften Gesellschaften muss eine Flucht in die Intransparenz durch freiwillige Firmenlöschung gem. § 2 Satz 3 HGB versagt sein. Für freiberufliche Personenhandelsgesellschaften, welche im Wege des Statuswechsels in 43 die PartG wechseln wollen, gilt Abs. 3 gem. § 4 Abs. 4 PartGG entsprechend. b) Kein Handelsgewerbe i.S.v. § 1 Abs. 2 HGB (Abs. 3 Satz 1) Gemäß Abs. 3 Satz 1 ist die Eintragung des Statuswechsels im Handelsregister davon abhän- 44 gig, dass die Gesellschaft kein Handelsgewerbe i.S.v. § 1 Abs. 2 HGB betreibt. Dies rührt daher, dass die Gesellschafter bei Existenz eines Handelsgewerbes nach § 106 Abs. 1 HGB verpflichtet sind, die Gesellschaft zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. Das Erfordernis eines kaufmännisch eingerichteten Geschäftsbetriebs steht also dem Abstreifen der Kaufmannseigenschaft durch einen Wechsel in das Gesellschaftsregister entgegen.155
4. Modalitäten des Statuswechsels a) Anmeldung Die für den Statuswechsel erforderliche Anmeldung – elektronisch in öffentlich beglaubig- 45 ter Form (§ 12 Abs. 1 Satz 2 HGB)156 – hat stets (nur) zu demjenigen Register zu erfolgen, 152 153 154 155 156
Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 133. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 109. Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 225. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 225. Lieder/Hilser, NotBZ 2021, 401, 402. Markworth | 783
§ 107 HGB Rz. 45 | Offene Handelsgesellschaft in dem die Gesellschaft bereits eingetragen ist.157 § 106 Abs. 3 HGB gilt insofern entsprechend.158 Eine Gesellschaft, die bereits im Handelsregister eingetragen ist, muss also beim Handelsregister angemeldet werden, sofern sie in das Gesellschaftsregister (zur eGbR) wechseln will.159 Dadurch soll sichergestellt werden, dass die bislang eingetragene und die im Gesellschaftsregister einzutragende Gesellschaft identisch sind und die Eintragungen im abgebenden und im aufnehmenden Register in der gebotenen Abfolge erfolgen. So sollen Doppeleintragungen vermieden werden. Zudem soll gewährleistet werden, dass sich der Rechtsverkehr auf die Registerlage verlassen kann.160 Eine (Zweit-)Anmeldung beim aufnehmenden Gesellschaftsregister ist daneben nicht erforderlich.161 Die Eintragung in das Gesellschaftsregister ist bei Voreintragung im Handelsregister erst dann zulässig, wenn das Verfahren vom Handelsregister, bei dem die Gesellschaft bislang eingetragen war, an das für die Führung des Gesellschaftsregisters zuständige Gericht abgegeben wird (vergleiche § 707c Abs. 3 BGB, § 106 Abs. 4 HGB).162 Damit ist der Statuswechsel für die wechselnde Gesellschaft einfacher ausgestaltet als mit einem Registerwechsel einhergehende Formwechsel nach dem Umwandlungsgesetz (vgl. insofern § 198 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 i.V.m. Satz 3 UmwG). Um den skizzierten Verfahrensweg abzusichern, muss bei der Anmeldung einer Gesellschaft zur Eintragung in das Gesellschaftsregister versichert werden, dass eine anderweitige Voreintragung im Handelsregister nicht besteht (§ 707 Abs. 2 Nr. 4 BGB). 46 Die Anmeldung zum Statuswechsel muss durch alle Gesellschafter erfolgen (Grundlagen-
geschäft). Im Innenverhältnis setzt sie einen grundsätzlich einstimmig zu fassenden Gesellschafterbeschluss voraus, falls nicht der Gesellschaftsvertrag (zulässigerweise) eine Mehrheitsentscheidung vorsieht.163 b) Prüfung der Voraussetzungen des Abs. 3 Satz 1 47 Die Prüfung, ob der Betrieb eines Handelsgewerbes i.S.v. § 1 Abs. 2 HGB der Fortführung
der Gesellschaft als eGbR entgegensteht (Rz. 44), obliegt dem für die Führung des Handelsregisters zuständigen Gericht. Dies legt bereits der Normwortlaut nahe.164 Damit weicht die handelsrechtliche Regelung vom für die GbR geltenden § 707c Abs. 2 BGB ab. Für die GbR gilt, dass in das abgebende Register nur der Statuswechselvermerk, verbunden mit dem Vermerk, dass die Eintragung erst mit der Eintragung der Gesellschaft im aufnehmenden Register wirksam wird, einzutragen ist (§ 707c Abs. 2 Sätze 1 und 2 BGB), wohingegen die eigentliche Prüfung der Statuswechselvoraussetzungen dem Gericht obliegt, das für die Führung des aufnehmenden Registers (= des Gesellschaftsregisters) zuständig ist.165 48 Darüber hinaus soll das für die Führung des Handelsregisters zuständige Gericht verpflichtet
sein, die Eintragungsfähigkeit der statuswechselnden Gesellschaft nach allgemeinen Maßstäben zu prüfen. Der Eintragung kann insbesondere entgegenstehen, dass die gemeinsame Ausübung Freier Berufe durch die Gesellschafter in der Rechtsform der GbR berufsrechtlich unzulässig ist.166 Insofern gelten die allgemeinen Ausführungen zur Prüfung der Berufsrechtskonformität (Rz. 32) entsprechend.
157 158 159 160 161 162 163 164 165 166
Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 131. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 222. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 131. Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 137. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 137. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 131. Vgl. Wertenbruch/Alm, ZPG 2023, 201, 206; zum alten Recht Roth in Hopt, § 105 HGB Rz. 14. Vgl. auch Noack/Göbel, GmbHR 2021, 569 Rz. 22. Vgl. auch Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 138. Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 138.
784 | Markworth
Kleingewerbliche Gesellschaft; Statuswechsel | Rz. 52 § 107 HGB
Sofern die Gesellschaft das Handelsregister nicht durch einen Wechsel in das Gesellschafts- 49 register verlassen darf, weil die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 HGB vorliegen oder Hindernisse allgemeiner Art (Rz. 48) entgegenstehen, lehnt das Gericht die Eintragung gem. § 382 Abs. 3 FamFG ab.167 c) Eintragung des Statuswechsels (Abs. 3 Satz 1) Sofern ein Statuswechsel angemeldet wird, hat das Gericht gemäß Abs. 3 Satz 1 die Fortset- 50 zung der Gesellschaft als Gesellschaft bürgerlichen Rechts in das Register einzutragen (Statuswechselvermerk). Die Vorschrift adressiert insofern, obschon dies der Wortlaut nicht eindeutig zum Ausdruck bringt, das Gericht, welches für die Führung des abgebenden Registers, also des Handelsregisters, zuständig ist. Dies ergibt sich aus der allgemeinen Verfahrensvorgabe zum Statuswechsel in § 707c Abs. 2 Satz 1 BGB, die in Abs. 3 wiederholt wird. Denn die Anmeldung des Statuswechsels erfolgt noch beim Handelsregister (Rz. 45). Das Verfahren wird erst nach Eintragung des Statuswechselvermerks von Amts wegen an das Gesellschaftsregister abgegeben (vgl. Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 707c Abs. 2 Satz 3 BGB).168 d) Weiterer registerrechtlicher Vollzug (Abs. 3 Satz 2) Im Hinblick auf den registerrechtlichen Vollzug des Statuswechsels verweist Abs. 3 Satz 2 auf 51 § 707c Abs. 2 Sätze 2–5 BGB. Der Statuswechselvermerk ist danach mit dem Vermerk zu versehen, dass die Wechseleintragung erst mit der Eintragung der Gesellschaft in dem anderen Register wirksam wird, sofern die beiden Eintragungen nicht am selben Tag erfolgen (§ 707c Abs. 2 Satz 2 BGB). Aus dem Verweis auf § 707c Abs. 2 Satz 3 BGB ergibt sich, dass das für die Führung des Handelsregisters zuständige Gericht das Statuswechselverfahren nach Eintragung des Statuswechselvermerks i.S.v. Abs. 3 Satz 1 von Amts wegen an das für die Führung des Gesellschaftsregisters zuständige Gericht abgibt, ohne dass es noch einer Anmeldung beim aufnehmenden Register durch die Gesellschafter bedürfte.169 Nach Vollzug des Statuswechsels trägt das Ausgangsgericht den Tag ein, an dem die Gesellschaft in dem anderen Register eingetragen worden ist (§ 707c Abs. 2 Satz 4 BGB). Ist die Eintragung der Gesellschaft in dem anderen Register rechtskräftig abgelehnt worden oder wird die Anmeldung zurückgenommen, wird der Statuswechselvermerk von Amts wegen gelöscht (§ 707c Abs. 2 Satz 5 BGB). Aus rechtspolitischer Sicht ist zu kritisieren, dass Abs. 3 Satz 2 nicht auch auf § 707c Abs. 2 Satz 1 BGB (Statuswechselvermerk) verweist, da so der höchst missverständlich formulierte (Rz. 50) Abs. 3 Satz 1 hätte entfallen können.
5. Rechtsfolgen Der Begriff des Statuswechsel bezeichnet ein durch das MoPeG neu geschaffenes Rechtsinsti- 52 tut für den registerrechtlichen Vollzug des Rechtsformwechsels einer eingetragenen Personengesellschaft in eine andere Personengesellschaft.170 Dem Rechtsinstitut kommt im Rahmen des § 107 HGB eine Doppelnatur zu: Einerseits hat die Eintragung der Gesellschaft in das Gesellschaftsregister eine konstitutive Wirkung, da sie einen freiwilligen Rechtsformwechsel bewirkt.171 Andererseits wird registerrechtlich der sich im materiellen Recht vollzie-
167 168 169 170 171
Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 225. Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 137. Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 137. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 110. Noack/Göbel, GmbHR 2021, 569 Rz. 12. Markworth | 785
§ 107 HGB Rz. 52 | Offene Handelsgesellschaft hende Rechtsformwechsel nachvollzogen.172 Die Gesellschaft ist dann nur noch in das Gesellschaftsregister eingetragen, eine Doppeleintragung wird vermieden.173 Infolge des Statuswechsels wandelt sich die OHG identitätswahrend und ex nunc in eine eingetragene Gesellschaft bürgerlichen Rechts.174 Die Gesellschaft bleibt in der Folge Trägerin ihres Aktivund Passivvermögens,175 verliert aber ihre Kaufmannseigenschaft.176 Der Rechtsformwechsel spielt sich außerhalb des Umwandlungsgesetzes ab. § 190 Abs. 2 UmwG stellt insofern klar, dass die Vorschriften des Umwandlungsgesetzes nicht für Änderungen der Rechtsform, die in anderen Gesetzen vorgesehen oder zugelassen sind, gelten. 53 Grundsätzlich wird durch den Statuswechsel die Identität der Gesellschafter gewahrt.177 In-
folge des Statuswechsels kommt es jedoch gem. §§ 721 ff. BGB zur vollen persönlichen Haftung aller Gesellschafter für die Gesellschaftsverbindlichkeiten, selbst wenn ein Gesellschafter vor dem Wechsel die Stellung eines Kommanditisten innehatte und deshalb nur beschränkt auf die im Handelsregister eingetragene Haftsumme gehaftet hat.
Rechtsverhältnis der Gesellschafter untereinander und der Gesellschafter zur Gesellschaft (§§ 108–122)
§ 108 HGB Gestaltungsfreiheit Von den Vorschriften dieses Titels kann durch den Gesellschaftsvertrag abgewichen werden, soweit im Gesetz nichts anderes bestimmt ist. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Systematik des ersten Abschnitts . . . . . . . Von der Fiktion zur verbandsrechtlichen Rechtsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Handelsgesellschaftsrechtliche Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Mitgliedschaft in der Personenhandelsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. 1. 2. 3. 4.
1 2 3 4 5 6
1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Handelsrechtliche Mitgliedsrechte“ . . . . a) Verwaltungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vermögensrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. „Handelsrechtliche Mitgliedspflichten“ . a) Beitragspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wettbewerbsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verzinsungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . .
8 9 10 14 18 19 21 23
7
Schrifttum: Fleischer, Zur Rechtsnatur der OHG und ihres Gesellschaftsvertrags, NZG 2021, 949; Risse/ Höfling, Leitplankentheorie statt Bestimmtheitsgrundsatz und Kernbereichslehre, NZG 2017, 1131; Wertenbruch, Zum Stimmrecht der Komplementärin in GmbH & Co. KG und Einheits-GmbH & Co. KG nach MoPeG, NZG 2022, 939; Wertenbruch, Das MoPeG – die Reform des Rechts der Personengesellschaften, JZ 2023, 78.
172 173 174 175 176 177
Noack/Göbel, GmbHR 2021, 569 Rz. 1, 3. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 110. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 110. Noack/Göbel, GmbHR 2021, 569 Rz. 2. Vgl. Lieder in Oetker, § 105 HGB Rz. 33. Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 138.
786 | Markworth und Könen
Gestaltungsfreiheit | Rz. 3 § 108 HGB
I. Allgemeines Ebenso wie § 708 BGB betont § 108 HGB den Grundsatz der Gestaltungs- und Formfreiheit 1 des Gesellschaftsvertrages einer oHG (§ 708 BGB Rz. 6 ff.).1 Die Gestaltungsfreiheit ermöglicht es – entsprechend des privatautonomen Entschlusses, einen personengesellschaftsrechtlichen Verband zu gründen – die Rechtsbeziehung auf der Grundlage der Gleichordnung zu anderen in Selbstbestimmung und Selbstverantwortung zu gestalten (§ 708 BGB Rz. 45 ff.). Dem Willen der Gesellschafter ist danach stets Vorrang vor den gesetzlichen Bestimmungen über die innere Struktur der Gesellschaft einzuräumen. § 108 HGB kommt keine über § 708 BGB hinausgehende Bedeutung zu, die Regelung dient lediglich der Klarstellung, dass die innenrechtlichen Bestimmungen des HGB ebenfalls grundsätzlich dispositiv sind, sofern mitgliedschaftliche Rechte nicht eine zwingende Geltung erfordern, weil § 708 BGB sich lediglich auf das diesem folgende Kapitel bezieht. Die klarstellende Funktion bezieht sich insbesondere auf die Regelungen des Beschlussmängelrechts, weil solche Regelungen im BGB fehlen.2
1. Überblick Die Gestaltungsfreiheit erstreckt sich nach der Gesetzessystematik auf sämtliche Bestimmungen 2 im ersten Abschnitt über die oHG zum zweiten Titel über das Rechtsverhältnis der Gesellschafter untereinander und der Gesellschafter zur Gesellschaft. Abweichende Bestimmungen gegenüber dem BGB ergeben sich mit Blick auf die Formalisierung der Beschlussfassung (§ 109 HGB) und die Beschlussmängel (§§ 110–115 HGB),3 die Geschäftsführung (§ 116 HGB), die wettbewerbliche Betätigung der Gesellschafter (§§ 117 f. HGB), Zinsen (§ 119 HGB) sowie das gesellschaftsrechtliche Bilanzrecht4 zur Dokumentation mitgliedschaftlicher Wertrechte (§§ 120–122 HGB). Mangels eigener Regelung im HGB und als allgemeiner Ausdruck der Sozietätskonstruktion sowie mitgliedschaftlicher Rechte finden über § 105 Abs. 3 HGB die §§ 709–713, 715a, 715b, 716, 717 BGB unmodifiziert auf die oHG Anwendung. Schranken der Vertragsfreiheit können sich gesellschaftsrechtlich und allgemein privatrechtlich ergeben (§ 708 BGB Rz. 107 ff., 119 f.).5 Absolute gesellschaftsrechtliche Schranken ergeben sich aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz, der Treuepflicht6 sowie den aus der Mitgliedschaft erwachsenen Minderheitenrechten (§ 708 BGB Rz. 113). Unentziehbar sind die mitgliedschaftlichen Schutzrechte (§ 708 BGB Rz. 31, 43, 47, 113) sowie der Bestand mitgliedschaftlicher Rechte (zu den beweglichen Schranken der Gestaltungsfreiheit § 708 BGB Rz. 116 f.).
2. Normzweck Die der Klarstellung dienende Regelung des § 108 HGB bringt zum Ausdruck, dass auch die 3 innenrechtlichen Bestimmungen des HGB der Gestaltungsfreiheit unterliegen, die nicht im zweiten Kapitel über das Recht der GbR geregelt sind. Anders als die GbR ist die oHG zwar nicht durch eine besondere Vielgestaltigkeit gekennzeichnet, weil sich der Gesellschaftszweck einer oHG in erster Linie auf den Betrieb eines Handelsgewerbes unter gemeinschaftlicher Fir1 Vgl. Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 108 HGB Rz. 2; Wertenbruch, NZG 2022, 939, 941 ff.; Wertenbruch, JZ 2023, 78, 86. 2 Vgl. RegE MoPeG, S. 265 f. 3 Vgl. K. Schmidt, ZHR 187 (2023), 107 ff. 4 Vgl. Könen, RFamU 2023, 220. 5 Vgl. Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 108 HGB Rz. 6 ff. 6 Vgl. Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 108 HGB Rz. 20 ff. Könen | 787
§ 108 HGB Rz. 3 | Offene Handelsgesellschaft ma richtet. Die Rechtssubjektivität der oHG ist aber in gleicher Weise auf den privatautonomen Entschluss der Gesellschafter zurückzuführen, unter gemeinschaftlicher Zweckverfolgung als Personenverband berechtigt und verpflichtet zu werden. In Anbetracht dessen sind die Verbandsverfassung sowie der Gesellschaftszweck Produkt privatautonomer Entscheidung. Insoweit obliegt es den Gesellschaftern, frei zu entscheiden, in welchem Umfang sie sich der Verbandsherrschaft unterwerfen. Zwingende Bestimmungen sind nur erforderlich hinsichtlich der Anforderungen, die die Rechtsordnung zur Zweckverfolgung als rechtsfähiger Personenverband aufstellt (Sozietätskonstruktion; § 708 BGB Rz. 35 ff.), bzw. sofern zwingende mitgliedschaftliche Interessen eine Beschränkung der Verbandsherrschaft erfordern (§ 708 BGB Rz. 111 ff.), sowie zum Schutz der Gesellschaftsgläubiger vor verbandsspezifischen Gefahren (§ 708 BGB Rz. 45, 110).
3. Systematik des ersten Abschnitts 4 Der zweite Titel über das Innenverhältnis der oHG befindet sich im unmittelbaren Anschluss
an die Voraussetzungen der Gründung einer oHG im zweiten Buch des HGB. Die §§ 109– 122 HGB gewährleisten eine – gegenüber den §§ 708–718 BGB speziellere – Regelersatzordnung, die dem besonderen Gesellschaftsweck der Personengesellschaften des Handelsrechts, der Schnelllebigkeit des Handelsverkehrs sowie dem damit regelmäßig verbundenen höheren Professionalisierungsgrad Rechnung trägt.
4. Von der Fiktion zur verbandsrechtlichen Rechtsfähigkeit 5 Auch wenn einzelne Bestimmungen des HGB kaum eine Änderung durch das MoPeG erfah-
ren haben, ist bei der Auslegung der HGB-Vorschriften der dem MoPeG zugrunde liegende Leitbildwandel über die Rechtsnatur der Personenaußengesellschaft zu berücksichtigen. Während die Möglichkeit der oHG, Träger von Rechten und Pflichten sein zu können, ursprünglich auf einer Fiktion durch § 124 HGB a.F. beruhte, erkennen die §§ 705 ff. BGB sowie §§ 105 ff. HGB kraft Gesetzes die Rechtsfähigkeit der Personenverbände deswegen an, weil sie mit dem konstituierenden Verbandszweck auf der Grundlage einer Sozietätskonstruktion mindestens zweier gesellschaftsvertraglich verbundener Mitgliedschaften mit einem eigenen Vermögen am Rechtsverkehr teilnehmen (§ 708 BGB Rz. 11 ff.).7 Zwar hat die auf diese Weise verstandene Rechtsfähigkeit der Personenverbände bereits zuvor mit § 14 Abs. 2 BGB sowie § 11 InsO gesetzliche Anerkennung erfahren, die Regelungen des MoPeG stellen diesbezüglich aber ein aktualisiertes gesetzgeberisches Bekenntnis dar, welches – gerade bei unverändertem Wortlaut einzelner Bestimmungen – zu berücksichtigen ist.
5. Handelsgesellschaftsrechtliche Besonderheiten 6 Aus der spezielleren normsystematischen Stellung folgt, dass die §§ 109–122 HGB vorrangig
gegenüber den §§ 709–718 BGB zur Lückenfüllung des Gesellschaftsvertrages heranzuziehen sind, nach § 105 Abs. 3 BGB im Übrigen aber auf die §§ 709–718 BGB zurückzugreifen ist. Umgekehrt bedeutet die Regelung im HGB indes nicht, dass eine Anwendung dieser Bestimmungen auf die GbR ausgeschlossen ist. So ist das gesellschaftsrechtliche BGB darauf ausgerichtet, der Vielgestaltigkeit personengesellschaftlicher Verbandsformen Rechnung tragen zu können, gerade wenn deren Organisationsverfassung und Realstruktur wenig professionalisiert ist. Sofern aber etwa die Beitragsvereinbarungen auf eine Einlagenleistung gerichtet und die Geschäftstätigkeit eine umfangreichere Bilanzierung erfordert, kann es gerade 7 Vgl. Fleischer, NZG 2021, 949, 950; Bauermeister/Grobe, ZGR 2022, 733, 742 ff.
788 | Könen
Gestaltungsfreiheit | Rz. 10 § 108 HGB
dem hypothetischen Gesellschafterwillen entsprechen, die Bestimmungen des HGB ergänzend heranzuziehen.8
II. Mitgliedschaft in der Personenhandelsgesellschaft Bereits die wechselseitige Umwandlungsmöglichkeit von GbR und oHG außerhalb des Um- 7 wandlungsgesetzes verdeutlicht, dass nicht nur die Mitgliedschaft im Personenverband die identische bleibt, sondern dass mit dieser auch die gleichen mitgliedschaftlichen Rechte und Pflichten verbunden sind (§ 708 BGB Rz. 15 ff.).9 Daraus ergibt sich auch, dass weder HGBnoch BGB-Bestimmungen ein abschließender Geltungsanspruch zukommen kann, in der Weise, dass diese ausschließlich auf die jeweilige Rechtsform Anwendung finden. Noch deutlicher wird dies hinsichtlich der innenrechtlichen Bestimmungen, die nur deswegen lückenfüllend heranzuziehen sind, weil die Gesellschafter eine ausdrückliche oder konkludente Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag versäumt haben. Auf welche Regelersatzordnung zurückzugreifen ist, ist vor diesem Hintergrund mit Blick auf die konkrete Gesellschaftsstruktur vorzunehmen, weil sich daran der mutmaßliche Gesellschafterwille orientiert.
1. Grundlagen Insbesondere hinsichtlich der allgemeinen Mitgliedsrechte ergeben sich vor diesem Hinter- 8 grund keine Unterschiede zum Recht der GbR (§ 708 BGB Rz. 42 ff.), so dass sich die Kommentierung im Folgenden auf die speziellen „handelsrechtlichen Mitgliedsrechte“, wie sie in den §§ 109–122 HGB zum Ausdruck kommen, beschränkt. Hinsichtlich der mitgliedschaftlichen Verwaltungs- und Vermögensrechte sehen die §§ 109–122 HGB indes einige Besonderheiten vor, die dem gesteigerten Professionalisierungsgrad der Personenverbände des Handelsrechts geschuldet sind, weil die Verbandstätigkeit diesbezüglich schnelllebiger ist und ein gesteigertes Maß kurzfristiger Rechtssicherheit mit sich bringt (§§ 109–116 HGB). Ebenso werden in Anbetracht des stets wirtschaftlichen Gesellschaftszwecks die wirtschaftlichen Interessen der Gesellschaft sowie der Gesellschafter stärker herausgestellt (§§ 117–122 HGB). Zuletzt ergeben sich entsprechende Wertungen unter Berücksichtigung eines wirtschaftlichen Verbandszwecks aber bereits aus den allgemeinen Mitgliedsrechten, insbesondere aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz sowie der Treuepflicht.
2. „Handelsrechtliche Mitgliedsrechte“ Handelsrechtliche Besonderheiten hinsichtlich der Mitgliedsrechte und -pflichten ergeben 9 sich normativ mit Blick auf die Formalisierung der Beschlussfassung und Beschlussmängel, die Geschäftsführung, die wettbewerbliche Betätigung der Gesellschafter sowie die Dokumentation mitgliedschaftlicher Wertrechte.10 a) Verwaltungsrechte Die mitgliedschaftlichen Organrechte an einem Personenverband werden – in Abgrenzung 10 zu Wert- und Schutzrechten – überwiegend als Verwaltungsrechte bezeichnet (§ 708 BGB Rz. 42 ff.). Die mitgliedschaftlichen Teilhabemöglichkeiten an der Bildung des Gesellschafts-
8 Vgl. Hennrichs in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 11 Rz. 3 ff. 9 Vgl. zum Statuswechsel, Schollmeyer in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 12 Rz. 50 ff. 10 Vgl. Schäfer in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 6 Rz. 66 ff. Könen | 789
§ 108 HGB Rz. 10 | Offene Handelsgesellschaft willens werden für die GbR mit den §§ 714, 715 Abs. 1, Abs. 2 BGB dahingehend unterschieden, dass die Willensbildung über gewöhnliche Geschäfte, die der Verfolgung des Gesellschaftszwecks dienen, durch die Geschäftsführung erfolgen kann, während die Willensbildung zu außergewöhnlichen Geschäften sowie über Entscheidungen, die die Grundlage der Gesellschaft betreffen, durch gemeinschaftliche Willensbildung aller Gesellschafter in der Gesellschafterversammlung zu erfolgen hat (§ 715 BGB Rz. 13). Einer Störung der Kompetenzordnung wird durch die §§ 715a, 715b BGB begegnet. Mit den §§ 109, 116 Abs. 1, Abs. 2 HGB vollzieht das HGB diese Kompetenzordnung nach.11 Sonderregelungen finden sich in § 116 Abs. 2 HGB hinsichtlich eines Prokuristen. Im Unterschied zur GbR legt § 116 Abs. 3 HGB mit Blick auf die Bedürfnisse des Handelsverkehrs an einer Einzelvertretungsbefugnis sowie schneller Entscheidungsfindung die Einzelgeschäftsführung als normativen Standard fest. § 116 Abs. 4 HGB eröffnet gleichwohl die Möglichkeit, eine Gesamtgeschäftsführung vorzusehen, dies aber nur in der Weise, dass die Einzelgeschäftsführung unter den Vorbehalt einer Zustimmung durch die Mitgeschäftsführer gestellt ist. Entziehung und Kündigung der Geschäftsführung sind wieder grundsätzlich derjenigen des BGB nachempfunden, mit der Ausnahme, dass die Geschäftsführungsbefugnis – vorbehaltlich abweichender Vereinbarung – nur im Wege der Gestaltungsklage entzogen werden kann. 11 Mit § 109 HGB wird die Beschlussfassung durch das Organ der Gesellschafterversamm-
lung nach § 714 BGB für solche Gesellschaftsgestaltungen konkretisiert, in denen eine formalisierte Beschlussfassung dem hypothetischen Gesellschafterwillen entspricht (§ 709 BGB Rz. 45).12 In Anbetracht der Tatsache, dass eine wirtschaftliche Zweckverfolgung sowie die damit verbundenen wirtschaftlichen Interessen eine Formalisierung der verbandsrechtlichen Willensbildung nahelegen, bestimmt § 109 HGB ein formalisiertes Beschlussverfahren zum normativen Standard. Im Rahmen von Beschlüssen der Personengesellschaften des Handelsrechts ist dieses Formalisierungsbedürfnis darüber hinaus ein notwendiges für die Funktionsfähigkeit des Beschlussmängelrechts nach dem Anfechtungsmodell der §§ 110– 115 HGB.13 Eine Regelung zu diesbezüglichen Minderheitsrechten sieht § 109 HGB indes nicht vor, so dass es diesbezüglich eines Rückgriffs auf allgemeine minderheitsschützende Verbandsgrundsätze bedarf (§ 709 BGB Rz. 46). 12 Mit dem handelsrechtlichen Beschlussmängelrecht der §§ 110–115 HGB kommt ebenfalls
ein Formalisierungsbedürfnis der Gesellschafter bei wirtschaftlicher Zweckverfolgung normativ zum Ausdruck. Anders als im Recht der GbR sieht das Regelungsregime der §§ 110–115 HGB als normativen Standard ein dem aktienrechtlichen Anfechtungsmodell nachgebildetes Beschlussmängelrecht vor. Während nach dem sog. Feststellungsmodell des BGB-Gesellschaftsrechts die Rechtswidrigkeit eines Beschlusses dessen Nichtigkeit zur Folge hat, haben Gesellschafterbeschlüsse im Rahmend des HGB-Beschlussmängelrechts – nach Art der Fehlerhaftigkeit des Beschlusses sowie der dadurch betroffenen Mitgliedsrechte – entweder die Nichtigkeit oder die bloße fristgebundene Anfechtbarkeit zur Folge.14 13 Sowohl die Formalisierung des Beschlussverfahrens als auch das Beschlussmängelrecht sind
für die oHG-Gesellschafter dispositiv, so dass sie sich privatautonom der BGB-Regelungsordnung unterwerfen können. Umgekehrt haben die BGB-Gesellschafter die Möglichkeit, ausdrücklich oder konkludent für die Formalisierung des Beschlussverfahrens sowie das Anfechtungsmodell zu optieren.15 Findet sich im Gesellschaftsvertrag der GbR keinerlei diesbe11 Vgl. Schäfer in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 6 Rz. 35 ff. 12 Siehe dazu eingehend die Kommentierung zu § 109 HGB; vgl. Schäfer in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 5 Rz. 12 ff., 23 ff. 13 Vgl. Schäfer in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 5 Rz. 39 ff.; K. Schmidt, ZHR 187 (2023), 107 ff. 14 Vgl. Schäfer in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 5 Rz. 42 ff., 51 ff. 15 Vgl. Schäfer in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 5 Rz. 39 ff., 144 ff.
790 | Könen
Gestaltungsfreiheit | Rz. 17 § 108 HGB
zügliche ausdrückliche Bestimmungen, kann die ergänzende Auslegung des Gesellschaftsvertrages in Anbetracht des konkreten Gesellschaftszwecks oder der Realstruktur des Verbandes zu einer Lückenfüllung des Vertrages anhand der Regelungen der §§ 109–115 HGB führen (§ 708 BGB Rz. 105 f., § 709 BGB Rz. 45 ff.).16 b) Vermögensrechte Die wirtschaftliche Zweckverfolgung eines Verbandes gebietet neben einer gesteigerten For- 14 malisierung der verbandsrechtlichen Willensbildung auch, dass den wirtschaftlichen Interessen der Gesellschaft sowie der Gesellschafter in gesteigertem Maße entsprochen wird. Während dem wirtschaftlichen Interesse der Gesellschaft durch die konkretisierte Treuepflicht der Gesellschafter Rechnung getragen wird, dass diese sich nicht gleichermaßen wirtschaftlich betätigen (§§ 117 f. HGB) und Zinsen nach dem Maßstab des § 119 Abs. 2 HGB zu berechnen sind, sowohl hinsichtlich unbefugter Entnahmen als auch hinsichtlich rückständiger Einlagen, kommt das wirtschaftliche Gesellschafterinteresse in einem erhöhten Zinssatz für Gesellschaftsaufwendungen (§ 119 Abs. 1 HGB) sowie in einer formalisierten Buchführung normativ zum Ausdruck (§§ 120–122 HGB).17 Das gesteigerte Interesse der Gesellschaft an der Dokumentation wirtschaftlicher Vorgänge 15 wird dadurch befriedigt, dass die Geschäftsführung nach § 120 Abs. 1 HGB zur Aufstellung eines Jahresabschlusses nach § 242 Abs. 3 HGB verpflichtet ist, wobei für jeden Gesellschafter ein Anteil am Gewinn und Verlust der Gesellschaft nach Maßgabe des festen Kapitalanteils I gem. § 709 Abs. 3 BGB zu ermitteln ist (§ 709 BGB Rz. 20 ff.). Sowohl die Pflicht zum Jahresabschluss als auch die Pflicht zur Gewinnermittlung sind gesellschaftsrechtliche Pflichten der Geschäftsführung. Voraussetzung für die Entstehung eines Gewinnanspruchs sowie die Gewinnauszahlung nach § 122 HGB ist demgegenüber lediglich die Feststellung des Jahresabschlusses durch die Gesellschaftergesamtheit nach § 121 HGB.18 Dies ergibt sich notwendig aus der innergesellschaftlichen Kompetenzordnung, im Rahmen derer die Geschäftsführung nur solche Geschäfte vornehmen darf, die gewöhnlicherweise der Verfolgung des Verbandszwecks dienen, die Durchbrechung der Vermögenstrennung, in der eine Liquiditätsausschüttung mündet, kann indes nur durch alle Gesellschafter erfolgen. § 120 Abs. 2 HGB regelt daneben die Pflicht der Gesellschaft, für jeden Gesellschafter Kapi- 16 talkonten zu führen. Nach der gesetzlichen Konzeption der § 709 Abs. 3 BGB, § 120 Abs. 1, Abs. 2 HGB setzt dies mindestens zwei Kapitalkonten – ein festes Kapitalkonto I und ein variables Kapitalkonto II – voraus (§ 120 HGB Rz. 20). § 122 Satz 2 HGB stellt den Auszahlungsanspruch der Gesellschafter unter den Vorbehalt, 17 dass die Auszahlung nicht zum offenbaren Schaden der Gesellschaft gereicht oder der Gesellschafter seiner Einlagenpflicht noch nicht nachgekommen ist. Dementsprechend sind Gewinnentnahmen durch einzelne Gesellschafter unzulässig, wenn die Gesellschaft damit in den Zustand materieller Insolvenz gebracht würde. Dieser Anspruchsausschluss folgt aus der Treuepflicht der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft und den Mitgesellschaftern. Es ist dem Gesellschafter indes unbenommen, seine Gesellschafterstellung oder die Gesellschaft als solche zu kündigen, sofern diesbezüglich die tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 130, 132 HGB gegeben sind. Var. 2 verwehrt dem Gesellschafter einen Gewinnauszahlungsanspruch ebenfalls dann, wenn der Gesellschaft ein aufrechenbarer Anspruch auf Einlagenleistung gegenübersteht, ohne dass es diesbezüglich einer Aufrechnungserklärung durch 16 Vgl. Grunewald in FS Hafer, 2021, S. 371, 375; hinsichtlich der Gestaltungswirkungen problematisierend, Schäfer in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 5 Rz. 41 ff. 17 Vgl. Könen, RFamU 2023, 220. 18 Siehe aber zum damit verbundenen, überhöhten Ausweis des Eigenkapitals, Schäfer in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 6 Rz. 72. Könen | 791
§ 108 HGB Rz. 17 | Offene Handelsgesellschaft die Gesellschaft bedarf. Diese Regelung beruht auf der Tatsache, dass die Beitragspflicht zwar regelmäßig, aber nicht notwendig auf die Zahlung von Geld gerichtet ist, und daher das Druckmittel des § 122 HGB leerliefe, weil eine Aufrechnungslage nicht begründet werden könnte.
3. „Handelsrechtliche Mitgliedspflichten“ 18 Besondere Mitgliedspflichten sieht das HGB als Folge der wirtschaftlichen Zweckverfol-
gung hinsichtlich der Beitragspflicht, der wirtschaftlichen Betätigung der Gesellschafter sowie der Verzinsungspflicht des Gesellschafters vor. a) Beitragspflichten 19 Indem § 119 Abs. 2 HGB darauf abstellt, dass der Gesellschaft liquide Geldmittel dadurch
vorenthalten werden, dass der vereinbarte Beitrag nicht zur rechten Zeit eingezahlt wurde, wird deutlich, dass die Beitragsleistung in der oHG regelmäßig auf Geld gerichtet ist. Ferner folgt aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz, dass die Beitragspflichten der Mitgesellschafter wertmäßig bezifferbar sein müssen, wenn einzelne Beitragsleistungen auf Geld gerichtet sind. Im Übrigen – auch dadurch, dass nach § 709 Abs. 3 Satz 1 BGB vorrangig auf die vereinbarte Anteilsquote abzustellen ist – folgt aus der Neukonzeption des HGB, dass die Beitragspflicht im Belieben der Gesellschafter steht, sofern diese dem Gleichbehandlungsgrundsatz genügen (§ 709 BGB Rz. 45 ff., 49 ff.). 20 Demgegenüber wird der Begriff der Einlage nur noch im Recht der KG in §§ 167, 169, 171,
172 HGB verwendet, um die Hafteinlage des Kommanditisten zu beschreiben. Gleichwohl entspricht es dem Willen der Gesellschafter, auf Geld gerichtete Beiträge als Einlage zu bezeichnen (§ 709 BGB Rz. 6). Noch mehr als dies im Falle des festen Kapitalanteils I i.S.v. § 709 Abs. 3 BGB angezeigt ist, erscheint die gesonderte Behandlung von auf Geld gerichteten Einlagen angezeigt, wenn die Gesellschaft verpflichtet ist, ein variables Kapitalkonto II zu führen, auf dem die Gewinn- und Verlustbeteiligung nach dem Schlüssel des § 709 Abs. 3 BGB dem Kapitalanteil II gut- oder abzuschreiben ist (§ 709 BGB Rz. 20 ff.). Eine dem Gleichbehandlungsgrundsatz entsprechende Kontoführung kommt nur in Betracht, wenn auf dem variablen Kapitalkonto II ebenfalls Gewinnauszahlungen und stehen gelassene Gewinne sowie geleistete bzw. noch nicht geleistete Einlagen verbucht werden.19 b) Wettbewerbsverbot 21 Mit den §§ 117 f. HGB wird den wirtschaftlichen Belangen der Gesellschaft in der Weise
Rechnung getragen, dass sich ein Gesellschafter – vorbehaltlich der Einwilligung der übrigen Gesellschafter – grundsätzlich nicht in dem Handelszweig der Gesellschaft betätigen darf.
22 § 118 HGB verkörpert das Rechtsfolgenregime einer Verletzung des Wettbewerbsverbots,
nach dem die Gesellschaft Schadensersatz verlangen oder – im Rahmen schuldrechtlicher Möglichkeiten – eine Geschäftsübertragung mitsamt der wechselseitigen Vertragsansprüche verfolgen kann. c) Verzinsungspflicht
23 § 119 Abs. 2 HGB regelt die Verzinsungspflicht des Gesellschafters nach den Maßstäben des
HGB, ohne dass der Gesellschafter selbst als Kaufmann gehandelt haben muss. 19 Vgl. zur Annahme freier Verfügbarkeit stehen gelassener Gewinne, Schäfer in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 6 Rz. 73.
792 | Könen
Beschlussfassung | Rz. 1 § 109 HGB
§ 109 HGB Beschlussfassung (1) Die Beschlüsse der Gesellschafter werden in Versammlungen gefasst. (2) 1Die Versammlung kann durch jeden Gesellschafter einberufen werden, der die Befugnis zur Geschäftsführung hat. 2Die Einberufung erfolgt durch formlose Einladung der anderen Gesellschafter unter Ankündigung des Zwecks der Versammlung in angemessener Frist. (3) Gesellschafterbeschlüsse bedürfen der Zustimmung aller stimmberechtigten Gesellschafter. (4) Hat nach dem Gesellschaftsvertrag die Mehrheit der Stimmen zu entscheiden, ist die Gesellschafterversammlung beschlussfähig, wenn die anwesenden Gesellschafter oder ihre Vertreter ohne Rücksicht auf ihre Stimmberechtigung die für die Beschlussfassung erforderlichen Stimmen haben. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. 1. 2. II. 1.
Grundlagen Regelungsgegenstand und Normzweck . . Abweichende Vereinbarungen . . . . . . . . . Versammlungserfordernis (Abs. 1) Versammlung als Zusammenkunft der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vereinbarung des Umlaufverfahrens . . . . III. Einberufung (Abs. 2) 1. Einberufungsrecht geschäftsführungsbefugter Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . .
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2. „Noteinberufungsrecht“ sonstiger Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Modalitäten der Einberufung . . . . . . . . . 4. Besonderheiten bei Vollversammlungen beziehungsweise bei Zustimmung sämtlicher Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Abstimmungsprinzip und Beschlussfähigkeit (Abs. 3 und 4) 1. Zustimmungsprinzip als gesetzlicher Regelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beschlussfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Schrifttum: Bayer/Rauch, Beschlussmängel im neuen Recht der Personengesellschaften nach dem MoPeG, DB 2021, 2609 ff.; Heckschen, Virtuelle Gesellschafterversammlungen Spannende Aufgabe für die Gestaltungspraxis, GmbHR 2023, 105 ff.; Heckschen/Hilser, Die virtuelle Gesellschafterversammlung – Anforderungen an eine Funktionsäquivalenz zur Präsenzversammlung unter Berücksichtigung von kommunikationswissenschaftlichen Erkenntnissen, ZIP 2022, 670 ff.; Otte, Auswirkungen des MoPeG auf die anwaltliche Gestaltungs- und Beratungspraxis, ZIP 2021, 2162 ff.; Schäfer, Beschlussfassung und Beschlussanfechtung in der Personenhandelsgesellschaft nach dem MoPeG-RegE, ZIP 2021, 1527 ff.; Tröger/Happ, Unzulängliche Institutionenbildung im Beschlussmängelrecht der Personengesellschaft, NZG 2021, 133 ff.; Tröger/Happ, Beschlussmängelrecht nach dem MoPeG: Bestandsaufnahme, Kritik und Fortentwicklung, ZIP 2021, 2059 ff.
I. Grundlagen 1. Regelungsgegenstand und Normzweck § 109 HGB ist durch MoPeG umfassend neu gefasst worden. Inhaltlich enthält § 109 HGB 1 Teile der Regelung, die bislang in § 119 HGB verortet waren. Bisheriger § 109 HGB findet sich nunmehr in § 108 HGB. In der Sache bildet § 109 HGB Parallelvorschrift zu § 714 BGB und basiert wie dieser auf Einsicht, dass Willensbildung der Gesellschafter durch Beschluss erfolgt (§ 714 BGB Rz. 2, 4). § 714 BGB beschränkt sich in seinem Aussagegehalt allerdings Holle | 793
§ 109 HGB Rz. 1 | Offene Handelsgesellschaft darauf, festzuschreiben, dass Gesellschafterbeschlüsse vorbehaltlich einer abweichenden Vereinbarung der Gesellschafter der Zustimmung aller stimmberechtigten Gesellschafter bedürfen (§ 714 BGB Rz. 2). § 109 HGB macht in seinen Abs. 1, 2 und 4 weitergehende Vorgaben. Insgesamt bezweckt Norm, allgemeine Regelungen über Voraussetzungen der Beschlussfassung aufzustellen und Beschlussverfahren bei den Personenhandelsgesellschaften auf diese Weise in gewissem Umfang zu formalisieren.1 Im Vergleich zur GbR höhere Regelungsdichte rechtfertigt Gesetzgeber mit Einführung eines Beschlussmängelrechts, das vorsieht, dass fehlerhafte Beschlüsse in Bestandskraft erwachsen können, wenn sie nicht binnen einer bestimmten Frist angefochten werden. Gesetzgeber erkennt insoweit zutreffend, dass dies erforderlich macht, Beschluss „in einer Weise festzuhalten, die Unsicherheiten über dessen Zustandekommen und Ergebnis möglichst vermeidet“ und meint nun, „eine gewisse Formalisierung des Beschlussverfahrens“ könne diese Unsicherheit nehmen.2 Das trifft im Ausgangspunkt zu, wobei Gesetzgeber die zur Beseitigung von Unsicherheiten über das Beschlussergebnis erforderliche3 und nach hiesiger Auffassung zur Komplettierung des Beschlusstatbestands ohnehin notwendige (§ 714 BGB Rz. 17, 21 ff.) Beschlussfeststellung aber gerade ungeregelt lässt.4 Auch hätte es Formalisierung in Form eines Versammlungszwangs dort nicht bedurft, wo Beschluss ohnehin der Zustimmung jedes Gesellschafters bedarf, da ohnehin nicht anfechten kann, wer Beschluss zugestimmt hat (s. noch § 111 HGB Rz. 4).5 2 Abs. 1 schreibt vor, dass Beschlüsse der Gesellschafter in Versammlungen zu fassen sind und
macht einheitliche Zusammenkunft damit zur Voraussetzung der Willensbildung. Der Gesetzgeber ließ sich insoweit von dem Gedanken leiten, dass insbesondere bei Personenhandelsgesellschaften zumeist Mehrheitsbeschlüsse vorgesehen und sich gebotene Einbeziehung sämtlicher Gesellschafter sowie fundierte Entscheidungsfindung herkömmlicherweise am besten dadurch sicherstellen lassen, dass sich sämtliche Gesellschafter zur gemeinsamen Beratung und anschließender Beschlussfassung zusammenfinden. Abs. 2 macht nähere Vorgaben zur Einberufung der Versammlungen und soll insbesondere sicherstellen, dass die Gesellschafter den Zweck der Zusammenkunft absehen und hierauf aufbauend ihre Teilnahme ausloten und sich gegebenenfalls auch vorbereiten können. Abs. 3 enthält Regel, wonach Gesellschafterbeschlüsse der Zustimmung aller stimmberechtigten Gesellschafter bedürfen. Leitbild wird dann allerdings anders als im Recht der GbR schon durch Gesetz wieder abgeschwächt, indem Abs. 4 für Fall, dass sich Gesellschafter auf Mehrheitsbeschlüsse verständigt haben, Vorgaben zur Beschlussfähigkeit aufstellt. Dadurch, dass Abs. 4 zur Ermittlung der Beschlussfähigkeit auf anwesende Gesellschafter oder ihre Vertreter abstellt, bringt Vorschrift zugleich zum Ausdruck, dass Stimmrechtsvertretung bei den Personenhandelsgesellschaften im Ausgangspunkt denkbar ist. Zu den weiteren Voraussetzungen einer Vertretung schweigt das Gesetz.6 Insoweit gelten für das Recht der GbR aufgestellte Grundsätze entsprechend (§ 714 BGB Rz. 42 ff.). 3 § 109 HGB ist einzige Regelung im Recht der Personenhandelsgesellschaften, die sich Moda-
litäten der Beschlussfassung annimmt. §§ 110 ff. HGB enthalten lediglich Vorschriften zum Umgang mit Beschlussmängeln, setzen den Vorgang der Beschlussfassung als solchen also bereits voraus. Mit den in Rz. 1 und 2 skizzierten Vorgaben geht § 109 HGB zwar über Vorgaben des § 714 BGB hinaus, bildet Vorgang der Beschlussfassung aber auch nur rudimentär ab. Soweit § 109 HGB keine Regelungen enthält, gelten allgemeine Grundsätze (s. hierzu § 714 BGB Rz. 8 ff.).
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Vgl. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 225. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 225. Vgl. dann auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 226. Siehe RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 226; vgl. auch Schäfer, ZIP 2021, 1527, 1529. So treffend auch Schäfer, ZIP 2021, 1527, 1529; vgl. auch Bayer/Rauch, DB 2021, 2609, 2612. Vgl. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 227.
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Beschlussfassung | Rz. 7 § 109 HGB
2. Abweichende Vereinbarungen § 109 HGB ist dispositiv. Gesellschafter können zu allen Modalitäten des § 109 HGB abwei- 4 chende Regelungen vereinbaren.7 Sofern Mehrheitsbeschlüsse vorgesehen sind, ist es allerdings unzulässig, Einladungserfordernis umfänglich aufzuheben.
II. Versammlungserfordernis (Abs. 1) 1. Versammlung als Zusammenkunft der Gesellschafter Nach § 109 Abs. 1 HGB haben Gesellschafter Beschlüsse vorbehaltlich abweichender Verein- 5 barung (Rz. 4) in Versammlungen zu fassen. Was hierunter zu verstehen ist, entwickelt Gesetzgeber anhand Überlegung, dass Versammlung im Regelfall durch Möglichkeit zur Rede und direkten Widerrede im Kreis der Versammlungsteilnehmer optimale Willensbildung und Entscheidungsfindung bei gleichmäßiger Informationsversorgung gewährleiste.8 Dementsprechend sei für Versammlung lediglich notwendig, dass Gesellschafter zu bestimmtem Zweck zusammengerufen werden.9 Das ist im Kern zutreffend und wirft im Übrigen Frage auf, warum Gesetzgeber im Recht der GbR auf „optimale Willensbildung und Entscheidungsfindung“ als gesetzlichem Regelfall verzichtet hat (s. auch § 714 BGB Rz. 7). Nicht erforderlich ist, dass Zusammenkunft in Präsenz an bestimmtem Ort erfolgt. Rede und 6 direkte Widerrede im Kreis der Versammlungsteilnehmer bei gleichmäßiger Informationsversorgung sind im Grundsatz auch dann gewährleistet, wenn Beschlüsse im Rahmen einer virtuellen Versammlung und damit insbesondere im Rahmen einer Telefon- oder Videokonferenz gefasst werden.10 Gesetz lässt derartige Formate also ausdrücklich zu,11 wobei in der Literatur allerdings zu Recht darauf hingewiesen worden ist, dass eine Abwendung vom Präsenzformat durchaus zu Einbußen bei der Kommunikation und dementsprechend bei der Meinungsbildung führen kann.12 Angesichts allgemeiner Zweckrichtung des § 109 HGB, Beschlussverfahren in gewissem Um- 7 fang zu formalisieren, um Unsicherheiten über Zustandekommen und Ergebnis von Beschlüssen möglichst zu vermeiden, ist Frage aufgeworfen worden, ob auch Zusammenkunft wie etwa Gesellschafterausflug ausreichen kann, um von Versammlung i.S.d. § 109 Abs. 1 HGB auszugehen.13 Da § 109 Abs. 1 HGB keinerlei sonstige Vorgaben zur Ausgestaltung der Versammlung macht und explizit auch bloße telefonische Zusammenkünfte ausreichen sollen, sollte man an Art und Weise der Zusammenkunft keine weiteren Anforderungen stellen.14 Aus Zusammenspiel mit Abs. 2 und dessen Zweck, Gesellschafter zu ermöglichen, seine Teilnahme abzuwägen und sich gegebenenfalls vorzubereiten, folgt allerdings, dass Einladung für Gesellschafter erkennbar machen muss, dass Zweck, zu dem Gesellschafter zusammengerufen werden auch darin liegt, über Angelegenheiten, die Gesellschaft betreffen, eine Entscheidung herbeizuführen. Fehlt es hieran, ist Beschlussfassung anlässlich einer Zu-
7 Vgl. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 226; in Bezug auf Abs. 1 Bayer/Rauch, DB 2021, 2609, 2612. 8 RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 226. 9 RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 226. 10 Eingehender und kritisch zur Funktionsäquivalenz präsenter und virtueller Zusammenkünfte Heckschen, GmbHR 2023, 105 Rz. 14, 22 ff.; Heckschen/Hilser, ZIP 2022, 670, 674 f. 11 Explizit auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 226; vgl. auch Schäfer, ZIP 2021, 1527, 1528; Tröger/Happ, NZG 2021, 133, 134; Tröger/Happ, ZIP 2021, 2059, 2063. 12 Heckschen, GmbHR 2023, 105 Rz. 14, 22 ff.; Heckschen/Hilser, ZIP 2022, 670, 674 f. 13 Vgl. Grunewald in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 28. 14 Zurückhaltender Grunewald in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 28. Holle | 795
§ 109 HGB Rz. 7 | Offene Handelsgesellschaft sammenkunft mit anderer Zielsetzung nur dann zulässig, wenn alle Gesellschafter sich hiermit entweder im Vorfeld der Beschlussfassung oder dadurch einverstanden erklären, dass sie einstimmig den Beschluss fassen.15
2. Vereinbarung des Umlaufverfahrens 8 Nicht vom Versammlungsbegriff umfasst ist Durchführung eines sog. Umlaufverfahrens, da
es insoweit an gleichzeitiger Zusammenkunft der Gesellschafter fehlt, die die Möglichkeit zur Rede und Gegenrede bereithält. Versammlungserfordernis des § 109 Abs. 1 HGB ist jedoch dispositiv (Rz. 4). Gesetzgeber erlaubt es Gesellschaftern daher, vorzusehen, dass Beschlüsse im Umlaufverfahren gefasst werden:16 Gesellschaftern bleibe es unbenommen, „eine vereinfachte Form der Beschlussfassung zum Beispiel im Umlaufverfahren auf schriftlichen Wege zu vereinbaren.“17 Bestimmte Anforderungen an eine solche Vereinbarung würden ansonsten nicht gestellt.18 Bezugnahme auf „schriftlichen Wege“ könnte dahin zu deuten sein, dass Umlaufverfahren auf schriftlichem Wege vereinbart werden muss.19 Das wäre zu eng: Gesellschafterbeschlüsse bedürfen vorbehaltlich abweichender Regelung durch Gesellschafter nicht der Schriftform, so dass nicht einzusehen wäre, dass Entscheidung, man wolle im Umlaufverfahren Beschluss fassen, schriftlich erfolgen muss.20 Absehen von sonstigen „bestimmten Anforderungen“ an Vereinbarung des Umlaufverfahrens ist wiederum missverständlich. Denn als Vereinbarung wird man – parallel zu § 48 Abs. 2 GmbHG – im Ausgangspunkt tatsächlich nur eine von sämtlichen Gesellschaftern konsentierte Ermächtigung zur schriftlichen Beschussfassung ansehen können.21 Votieren Gesellschafter nämlich für Möglichkeit schriftlicher Beschussfassung, hat das zur Folge, dass keine „optimale Willensbildung und Entscheidungsfindung bei gleichmäßiger Informationsversorgung“ mehr gewährleistet ist.22 Erforderlich ist Einverständnis auch der nicht stimmberechtigten Gesellschafter.23 Auch bedarf es entsprechenden Konsenses sämtlicher Gesellschafter unabhängig davon, ob Umlaufverfahren mit Blick auf einzelnen Beschlussgegenstand ad hoc vorgesehen oder allgemein im Gesellschaftsvertrag geregelt wird. Eine von sämtlichen Gesellschaftern konsentierte Ermächtigung, auf schriftlichem Wege Beschluss zu fassen, kann dann freilich vorsehen, dass über Möglichkeit, schriftlich Beschluss zu fassen, im Wege eines Mehrheitsbeschlusses entschieden wird.24 Umgekehrt wird man Implementierung des Umlaufverfahrens durch Mehrheitsbeschluss für den Fall zulassen können, dass Umlaufverfahren nur durchgeführt werden kann, wenn sämtliche Gesellschafter in Bezug auf konkret angekündigte Beschlussgegenstände damit einverstanden sind.25 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24
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Gleichsinnig Grunewald in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 28. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 226. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 226. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 226. So interpretierend jedenfalls Grunewald in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 29; Schäfer, ZIP 2021, 1527, 1528 f.; anders Bayer/Rauch, DB 2021, 2609, 2612. So auch Grunewald in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 29; Schäfer, ZIP 2021, 1527, 1528 f. Vgl. auch Schäfer, ZIP 2021, 1527, 1529. Vgl. auch Heckschen, GmbHR 2023, 105 Rz. 14; Schäfer, ZIP 2021, 1527 1529. Siehe mit Blick auf § 48 Abs. 2 GmbHG auch OLG Düsseldorf v. 13.7.1989 – 8 U 187/88, 8 U 31/ 89, ZIP 1989, 1554, 1556. Vgl. mit Blick auf § 48 Abs. 2 GmbHG etwa Altmeppen, 11. Aufl. 2023, § 48 GmbHG Rz. 51: Die Satzung kann die Zulässigkeit des schriftlichen Verfahrens erleichtern, die Durchführung vereinfachen, und zwar nach herrschende Meinung selbst so weit, dass durch Mehrheitsentscheidung das in § 48 Abs. 2 GmbHG noch gesicherte Individualrecht auf eine Präsenzversammlung ausgeschaltet wird. Die diesbezügliche Satzungsänderung muss allerdings einstimmig erfolgen. Schäfer, ZIP 2021, 1527, 1528 mit Fn. 13.
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Beschlussfassung | Rz. 11 § 109 HGB
III. Einberufung (Abs. 2) 1. Einberufungsrecht geschäftsführungsbefugter Gesellschafter Mit Blick auf Einberufung der Gesellschafterversammlung hatte Regierungsentwurf vorgese- 9 hen, dass jedem Gesellschafter Recht hierfür zusteht.26 Rechtsausschuss hat dies dahin modifiziert, dass Einberufungsrecht vom Gesetz nunmehr nur Gesellschaftern zugesprochen wird, die zur Geschäftsführung befugt sind.27 Das ist im Ausgangspunkt überzeugend, da andernfalls bei Gesellschaften mit großem Gesellschafterkreis chaotische Zustände gedroht hätten.28
2. „Noteinberufungsrecht“ sonstiger Gesellschafter Gesetz verhält sich nicht zu Frage, inwieweit nicht geschäftsführungsbefugte Gesellschafter 10 Gesellschafterversammlung einberufen können. Den nicht geschäftsführungsbefugten Gesellschaftern die Möglichkeit zur Einberufung vollständig zu nehmen, wäre problematisch, da Teilnahme an Willensbildung Bestandteil des Mitgliedschaftsrechts ist und diese auch impliziert, erforderliche Willensbildung veranlassen zu können.29 Verweis auf Recht zur Notgeschäftsführung nach § 715a BGB wird Gesellschaftern meist nicht weiterhelfen, da geschäftsführungsbefugte Gesellschafter regelmäßig nicht „verhindert“ sein werden, sondern Einberufung schlicht als nicht notwendig erachten werden.30 Den nicht geschäftsführungsbefugten Gesellschaftern Möglichkeit zur Einberufung generell abzusprechen, wäre nicht sachgerecht, da Gesellschaftern andernfalls kein Mittel zur Verfügung stünde, gegen pflichtwidrige Nichteinberufung vorzugehen. Statt sie auf treuepflichtgestützte Klage auf Einberufung zu verweisen, ist es naheliegend, nicht geschäftsführungsbefugten Gesellschaftern bei Vorliegen eines wichtigen Grundes entsprechend § 50 Abs. 3 GmbHG Selbsthilferecht zuzusprechen.31 Regierungsbegründung hatte dies für den Fall, dass Gesellschaftsvertrag das Recht zur Einberufung ausschließlich den geschäftsführungsbefugten Gesellschaftern zuspricht, auch noch so vorgesehen.32 Recht, die Gesellschafterversammlung aus wichtigem Grund einzuberufen, kann durch Gesellschaftsvertrag nicht ausgeschlossen werden.33
3. Modalitäten der Einberufung Einberufung muss Zweck der Versammlung ankündigen. Damit ist ausweislich Regierungs- 11 begründung gemeint, dass Einladung eine Tagesordnung angeben muss, deren Detailierungsgrad vom Beschlussgegenstand abhängt.34 Unter Tagesordnung ist hierbei aber keine formale Mitteilung dergestalt zu verstehen, dass Anliegen, mit denen sich die Versammlung befassen soll, jedes für sich in bestimmter Reihung wiedergegeben werden. Maßgeblich ist insoweit allein Zweck der Einberufung, Gesellschafter über Zusammenkunft zu informieren
26 RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 226. 27 Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, BT-Drucks. 19/30942, 76. 28 So auch Bayer/Rauch, DB 2021, 2609, 2612; Grunewald in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 30; Schäfer, ZIP 2021, 1527, 1529. 29 So auch noch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 226. 30 So auch Grunewald in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 30. 31 Ebenso etwa Bayer/Rauch, DB 2021, 2609, 2612; Grunewald in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 30; Otte, ZIP 2021, 2162, 2167; Schäfer, ZIP 2021, 1527, 1529. 32 RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 226. 33 Statt aller Enzinger in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 119 HGB Rz. 49. 34 RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 226. Holle | 797
§ 109 HGB Rz. 11 | Offene Handelsgesellschaft und ihnen Möglichkeit zu geben, ihre Teilnahme auszuloten sowie sich gegebenenfalls zu einzelnen Beschlussgegenständen vorzubereiten.35 Einladung muss für jeden Gesellschafter daher nur erkennbar werden lassen, über welche Angelegenheiten auf der Versammlung Beschluss gefasst werden soll, wobei hierfür sämtliche Umstände heranzuziehen sind, die für Gesellschafter aus der Einladung sowie Begleitumständen erkennbar sind.36 Bei komplizierten und weitreichenden Beschlüssen (insbesondere bei Gesellschaftsvertragsänderungen) muss wesentlicher Beschlussinhalt dargestellt werden.37 12 Die Gesellschafter sind in angemessener Frist einzuladen. Frist ist angemessen, wenn sie ih-
ren Zweck erfüllt, Gesellschaftern zu ermöglichen, sich auf Versammlung ausreichend vorzubereiten.38 Dieser Zeitraum kann je nach Beschlussgegenstand variieren.39 Als grobe Richtschnur wird man in Anlehnung an § 51 Abs. 1 Satz 2 GmbHG von Ladungsfrist von mindestens einer Woche auszugehen haben.40 13 Hinsichtlich des Ortes und der Zeit der Versammlung macht Gesetz keine Angaben. Fest-
legung des Ortes und der Zeit muss aber allen Gesellschaftern Teilnahme ermöglichen und darf diese nicht überrumpeln.41 Eine besondere Form sieht das Gesetz für Einberufung ebenfalls nicht vor.42 Insoweit ist Gesellschafter nicht schutzbedürftig, da es im Zweifelsfall der Gesellschaft obliegt, nachzuweisen, dass sie Gesellschafter ordnungsgemäß geladen hat.43 14 Die Einberufung ist an sämtliche Gesellschafter zu richten. Denn jeder Gesellschafter – also
auch der, der kein Stimmrecht hat – muss zu Beschlussvorschlag Stellung nehmen können.44 Auch dann, wenn Beschluss nicht der Zustimmung jedes Gesellschafters bedarf, weil Gesellschafter Geltung des Mehrheitsprinzips vereinbart haben oder Stimmverbote eingreifen, müssen Gesellschafter also sicherstellen, dass jedem Gesellschafter Teilnahme möglich ist.
15 Skizzierte Modalitäten der Einberufung gelten der Sache nach auch dann, wenn nicht zu Ver-
sammlung eingeladen wird, sondern Beschlussfassung im Umlaufverfahren vorgesehen ist. Insbesondere muss Zweck der Abstimmung in diesen Fällen für Gesellschafter hinreichend erkennbar werden.
4. Besonderheiten bei Vollversammlungen beziehungsweise bei Zustimmung sämtlicher Gesellschafter 16 Erfordernis, dass sämtliche Gesellschafter von hierfür zuständigen Personen unter Angabe
des Zwecks mit angemessener Frist zu einer Beschlussfassung einzuladen sind, dient Schutz
35 Vgl. auch BGH v. 14.11.1994 – II ZR 160/93, NJW 1995, 1353, 1356 = ZIP 1995, 738; strenger Enzinger in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 119 HGB Rz. 49; Freitag in Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn, 4. Aufl. 2020, § 119 HGB Rz. 56. 36 Siehe auch BGH v. 14.11.1994 – II ZR 160/93, NJW 1995, 1353, 1356 = ZIP 1995, 738. 37 Enzinger in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 119 HGB Rz. 49; Freitag in Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 119 HGB Rz. 56. 38 Vgl. auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 226; BGH v. 14.11.1994 – II ZR 160/93, NJW 1995, 1353, 1355 f. = ZIP 1995, 738. 39 Vgl. auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 226. 40 Freitag in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 119 HGB Rz. 56; Otte, ZIP 2021, 2162, 2167. 41 Vgl. auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 226; Enzinger in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 119 HGB Rz. 49. 42 Anders augenscheinlich Otte, ZIP 2021, 2162, 2166. 43 RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 226. 44 Vgl. BGH v. 17.1.2023 – II ZR 76/21, NZG 2023, 564 Rz. 30; Grunewald in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 2.
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Beschlussfassung | Rz. 19 § 109 HGB
der Gesellschafter. Dieses Schutzes bedarf es nicht, wenn dieser auf andere Weise erreicht wird. Solche Zweckerreichung ist bei Einladung durch nicht geschäftsführungsbefugten Gesellschafter ohne wichtigen Grund anzunehmen, wenn sämtliche Gesellschafter Einladung gefolgt sind.45 Gleiches gilt, wenn Versammlung an ungewöhnlichem Ort einberufen wurde. Fehlt es hingegen an Angaben zum Zweck der Versammlung oder war Einberufungsfrist zu knapp bemessen, kann alleine aus Teilnahme sämtlicher Gesellschafter nicht auf Zweckerreichung geschlossen werden. Denn allein Teilnahme eines Gesellschafters sagt nichts darüber aus, ob für Gesellschafter vom Gesetz vorgesehene Möglichkeit bestand, sich hinreichend auf die Beschlussfassung vorzubereiten. Unzureichende Angaben des Versammlungszwecks sowie zu kurz bemessene Einberufungsfrist können daher erst dann als unbeachtlich eingestuft werden, wenn Einvernehmen aller Gesellschafter mit der Abhaltung der Gesellschafterversammlung zum Zwecke der Beschlussfassung besteht.46 Allseitiges Einvernehmen über die Umstände der Beschlussfassung bringen Gesellschafter jedenfalls zum Ausdruck, wenn sie einstimmig und ohne den formalen Mangel zu rügen, Beschluss fassen.47
IV. Abstimmungsprinzip und Beschlussfähigkeit (Abs. 3 und 4) 1. Zustimmungsprinzip als gesetzlicher Regelfall Wortgleich mit § 714 BGB sieht § 109 Abs. 3 HGB vor, dass Gesellschafterbeschlüsse Zustim- 17 mung aller stimmberechtigten Gesellschafter bedürfen. Wie § 714 BGB ist Vorgabe jedoch dispositiv (Rz. 4), so dass Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag oder ad hoc anderes Prinzip für Abstimmung vorsehen und insbesondere einfache (50+x) oder qualifizierte Mehrheitsbeschlüsse (2/3, 3/4, 90 % etc.) vorsehen können. Gerade bei Personenhandelsgesellschaften erweist sich Mehrheitsprinzip regelmäßig als sachgerecht, weil es erleichterte und flexiblere Entscheidungsfindung und damit eine erhöhte Handlungsfähigkeit der Gesellschaft ermöglicht (§ 714 BGB Rz. 86). Mit Blick auf Einführung des Mehrheitsprinzips sowie Kontrolle von Mehrheitsentscheidungen gelten die gleichen Grundsätze wie im Rahmen des § 714 BGB (§ 714 BGB Rz. 88 ff., 94 ff.).
2. Beschlussfähigkeit § 109 Abs. 4 HGB enthält Vorgabe zur Beschlussfähigkeit der Gesellschafterversammlung. 18 Vorschrift macht also nicht etwa Vorgabe zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen Beschlussantrag als angenommen oder abgelehnt anzusehen ist, sondern setzt Ebene zuvor an. Sie bestimmt, unter welchen Voraussetzungen Gesellschafter überhaupt imstande sind, bindenden Beschluss zu fassen.48 § 109 Abs. 4 HGB knüpft Beschlussfähigkeit an vereinbartes Mehrheitserfordernis: Für Be- 19 schlussfähigkeit müssen genügend Gesellschafter anwesend oder vertreten sein, um mit de-
45 Grunewald in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 31; strenger BGH v. 13.5.2014 – II ZR 250/12, BGHZ 201, 216 Rz. 12 = NZG 2014, 945 = ZIP 2014, 1422, wonach Widerspruch gegen die Durchführung der Versammlung Einladungsmangel heilende Universalversammlung ausschließt. 46 BGH v. 19.1.2009 – II ZR 98/08, NZG 2009, 385 Rz. 2 = ZIP 2009, 562. 47 Siehe auch BGHZ 59, 369, 373 = NJW 1973, 235; BGH v. 19.1.2009 – II ZR 98/08, NZG 2009, 385 Rz. 2 = ZIP 2009, 562. 48 Eingehender etwa Baltzer, Beschluss als rechtstechnisches Mittel organschaftlicher Funktion, 1965, S. 79 ff.; Skauradszun, Beschluss als Rechtsgeschäft, 2020, S. 68 f. Holle | 799
§ 109 HGB Rz. 19 | Offene Handelsgesellschaft ren Stimmen nach den vertraglichen Mehrheitserfordernissen Beschluss fassen zu können.49 Der Sache nach verstetigt § 109 Abs. 4 HGB daher Verständigung der Gesellschafter auf das Mehrheitsprinzip als Abstimmungsprinzip zur Geltung des Mehrheitsprinzips auch als Regelung für Beschlussfähigkeit. Dies wird mitunter kritisiert, weil Mehrheitsklausel nicht ohne weiteres Quorum für anwesende Stimmen entnommen werden könne.50 Dahinter steht freilich mehr die Überlegung, hinreichende gesellschaftsinterne Öffentlichkeit und Legitimation des Beschlusses sicherzustellen.51 Es soll verhindert werden, dass lediglich ein kleiner Teil der Gesellschafter für sämtliche Gesellschafter verbindliche Entscheidungen fasst. 20 Anders als bei Abstimmung kommt es für Ermittlung der Beschlussfähigkeit nicht auf Stimm-
berechtigung an, so dass für Ermittlung der Beschlussfähigkeit auch Stimmen derjenigen Gesellschafter mitzuzählen sind, denen für konkreten Beschlussgegenstand kein Stimmrecht zusteht. Dies rechtfertigt Gesetzgeber damit, dass bereits Teilnahme und Beratung auch nicht stimmberechtigter Gesellschafter angemessene Erörterung und damit erhöhte Richtigkeitsgewähr des Beschlusses gewährleistet.52 Sonderproblem besteht, wenn (von Stimmverbot betroffener) Mehrheitsgesellschafter Beschlussfassung boykottiert, indem er dieser gezielt fernbleibt.53 Sofern man § 109 Abs. 4 HGB nicht dahin interpretieren möchte, dass Vorschrift lediglich Hinzurechnung von Gesellschaftern ohne Stimmberechtigung verlangt,54 wird man Lösung im Gedanken eines treuwidrigen Boykotts suchen und Berufung auf § 109 Abs. 4 HGB versagen müssen.55 21 Ausweislich des Wortlauts greift Vorgabe des § 109 Abs. 4 HGB nur ein, wenn als Abstim-
mungsprinzip das Mehrheitsprinzip vereinbart wurde („Hat nach dem Gesellschaftsvertrag die Mehrheit der Stimmen zu entscheiden, […]“).Gesetzgeber ging davon aus, dass sich unter Geltung der gesetzlichen Regel des § 109 Abs. 3 HGB (Zustimmungsprinzip) von selbst verstehe, dass in Versammlung alle Gesellschafter anwesend oder vertreten sein müssen.56 In Literatur wird insoweit kritisiert, Gesetzgeber habe Konstellation übersehen, dass ein oder mehrere Gesellschafter nicht an der Gesellschafterversammlung teilnehmen, Beschluss dann aber im Nachgang zustimmen.57 Anders als § 714 BGB begnügt sich § 109 HGB allerdings nicht mit Anordnung der Beschlussfassung als solcher ohne weitere Auskunft darüber zu geben, in welchem zeitlichen Rahmen Beschlussfassung zu erfolgen hat, sondern gibt vor, dass Beschlüsse im Rahmen von Versammlungen zu fassen sind.58 Zu nachgelagerten Stimmabgaben kann es daher nur kommen, wenn sämtliche Gesellschafter sich hiermit einverstanden erklären. Ist solche Konstellation gegeben, besteht kein Bedürfnis, Regelung des § 109 Abs. 4 HGB zur Beschlussfähigkeit anzuwenden, da sämtliche Gesellschafter Vorgehen konsentiert haben müssen.59
49 Vgl. auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 227. 50 Grunewald in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 34; Schäfer, ZIP 2021, 1527, 1529. 51 Vgl. auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 227. 52 RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 227. 53 Vgl. Bayer/Rauch, DB 2021, 2609, 2612 f. 54 So Bayer/Rauch, DB 2021, 2609, 2613. 55 Vgl. insoweit OLG Hamburg v. 9.11.1990 – 11 U 92/90, NJW-RR 1991, 673, 674; KG v. 5.7.2016 – 22 W 114/15, NJW-RR 2016, 1320 Rz. 22 = ZIP 2016, 1383; LG Münster v. 24.1.2018 – 026 O 52/ 17, BeckRS 2018, 1217 Rz. 24 f. 56 RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 226 f. 57 Grunewald in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 33. 58 So im Ergebnis auch Schäfer, ZIP 2021, 1527, 1529: Interpretation des Versammlungserfordernisses dahin, dass es nicht ausreicht, dass Beschlussfassung überhaupt in Versammlung erfolgt, vielmehr sollen auch sämtliche Stimmen in der Versammlung abgegeben werden müssen. 59 So im Ergebnis auch Grunewald in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 33.
800 | Holle
Anfechtbarkeit und Nichtigkeit von Gesellschafterbeschlüssen | § 110 HGB
Gesellschaftsverträge sehen häufig vor, dass es zur Annahme eines Beschlussantrags Mehr- 22 heit der abgegebenen Stimmen bedarf. „Erforderliche“ Mehrheit ist dann stets relativ, die abgegebenen Ja-Stimmen müssen lediglich die abgegebenen Nein-Stimmen überwiegen. Wie sich relatives Mehrheitserfordernis auf § 109 Abs. 4 HGB auswirkt, wird unterschiedlich beurteilt. Teile der Literatur wollen gleichwohl auf im Vertrag abstrakt festgelegte Mehrheitsquote abstellen.60 Dafür spricht, dass § 109 Abs. 4 HGB bei relativen Mehrheitsklausen andernfalls praktisch keinen Anwendungsbereich hätte, weil von Mehrstimmrechten, Stimmverboten und nachfolgenden Stimmabgaben abgesehen sowieso Anwesenheit einer entsprechenden Zahl von Gesellschaftern erforderlich wäre.61 Andererseits signalisieren Gesellschafter durch Abstellen auf Mehrheit der abgegebenen Stimmen gerade, Entscheidung nur der Abstimmenden Gesellschafter zu akzeptieren: Wenn schon Stimmenthaltungen unberücksichtigt bleiben sollen, so muss dies erst recht für nicht stimmberechtigte Gesellschafter gelten.62 In der Regel wird man daher davon ausgehen können, dass § 109 Abs. 4 HGB durch Abstellen auf Mehrheit der abgegebenen Stimmen konkludent abbedungen wird.63
§ 110 HGB Anfechtbarkeit und Nichtigkeit von Gesellschafterbeschlüssen (1) Ein Beschluss der Gesellschafter kann wegen Verletzung von Rechtsvorschriften durch Klage auf Nichtigerklärung angefochten werden (Anfechtungsklage). (2) 1Ein Gesellschafterbeschluss ist von Anfang an nichtig, wenn er 1. durch seinen Inhalt Rechtsvorschriften verletzt, auf deren Einhaltung die Gesellschafter nicht verzichten können, oder 2. nach einer Anfechtungsklage durch Urteil rechtskräftig für nichtig erklärt worden ist. 2Die Nichtigkeit eines Beschlusses der Gesellschafter kann auch auf andere Weise als durch Klage auf Feststellung der Nichtigkeit (Nichtigkeitsklage) geltend gemacht werden. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Neuordnung des Beschlussmängelrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 II. Systematik und Normzweck des § 110 HGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 III. Anfechtbarkeit (Abs. 1) 1. Gesetzes- oder Rechtsverletzung . . . . . . . 9 2. Kausalitäts- und Relevanzbetrachtung bei Verfahrensfehlern . . . . . . . . . . . . . . . . 13 3. Bloße Anfechtbarkeit auch bei gewichtigen Einberufungsmängeln . . . . . 16 60 61 62 63
IV. Nichtigkeit (Abs. 2) 1. Beschlussnichtigkeit durch Rechtsverletzung (Abs. 2 Satz 1 Nr. 1) a) Inhaltlicher Verstoß gegen Rechtsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 b) Fehlende Disponibilität verletzter Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2. Beschlussnichtigkeit infolge Anfechtungsurteils (Abs. 2 Satz 1 Nr. 1) . . . . . . . . . . . . 22
Grunewald in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 35. Grunewald in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 35. So auch Schäfer, ZIP 2021, 1527, 1529. Schäfer, ZIP 2021, 1527, 1529; im Ergebnis auch Bayer/Rauch, DB 2021, 2609, 2612; Otte, ZIP 2021, 2162, 2167. Holle | 801
Anfechtbarkeit und Nichtigkeit von Gesellschafterbeschlüssen | § 110 HGB
Gesellschaftsverträge sehen häufig vor, dass es zur Annahme eines Beschlussantrags Mehr- 22 heit der abgegebenen Stimmen bedarf. „Erforderliche“ Mehrheit ist dann stets relativ, die abgegebenen Ja-Stimmen müssen lediglich die abgegebenen Nein-Stimmen überwiegen. Wie sich relatives Mehrheitserfordernis auf § 109 Abs. 4 HGB auswirkt, wird unterschiedlich beurteilt. Teile der Literatur wollen gleichwohl auf im Vertrag abstrakt festgelegte Mehrheitsquote abstellen.60 Dafür spricht, dass § 109 Abs. 4 HGB bei relativen Mehrheitsklausen andernfalls praktisch keinen Anwendungsbereich hätte, weil von Mehrstimmrechten, Stimmverboten und nachfolgenden Stimmabgaben abgesehen sowieso Anwesenheit einer entsprechenden Zahl von Gesellschaftern erforderlich wäre.61 Andererseits signalisieren Gesellschafter durch Abstellen auf Mehrheit der abgegebenen Stimmen gerade, Entscheidung nur der Abstimmenden Gesellschafter zu akzeptieren: Wenn schon Stimmenthaltungen unberücksichtigt bleiben sollen, so muss dies erst recht für nicht stimmberechtigte Gesellschafter gelten.62 In der Regel wird man daher davon ausgehen können, dass § 109 Abs. 4 HGB durch Abstellen auf Mehrheit der abgegebenen Stimmen konkludent abbedungen wird.63
§ 110 HGB Anfechtbarkeit und Nichtigkeit von Gesellschafterbeschlüssen (1) Ein Beschluss der Gesellschafter kann wegen Verletzung von Rechtsvorschriften durch Klage auf Nichtigerklärung angefochten werden (Anfechtungsklage). (2) 1Ein Gesellschafterbeschluss ist von Anfang an nichtig, wenn er 1. durch seinen Inhalt Rechtsvorschriften verletzt, auf deren Einhaltung die Gesellschafter nicht verzichten können, oder 2. nach einer Anfechtungsklage durch Urteil rechtskräftig für nichtig erklärt worden ist. 2Die Nichtigkeit eines Beschlusses der Gesellschafter kann auch auf andere Weise als durch Klage auf Feststellung der Nichtigkeit (Nichtigkeitsklage) geltend gemacht werden. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Neuordnung des Beschlussmängelrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 II. Systematik und Normzweck des § 110 HGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 III. Anfechtbarkeit (Abs. 1) 1. Gesetzes- oder Rechtsverletzung . . . . . . . 9 2. Kausalitäts- und Relevanzbetrachtung bei Verfahrensfehlern . . . . . . . . . . . . . . . . 13 3. Bloße Anfechtbarkeit auch bei gewichtigen Einberufungsmängeln . . . . . 16 60 61 62 63
IV. Nichtigkeit (Abs. 2) 1. Beschlussnichtigkeit durch Rechtsverletzung (Abs. 2 Satz 1 Nr. 1) a) Inhaltlicher Verstoß gegen Rechtsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 b) Fehlende Disponibilität verletzter Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2. Beschlussnichtigkeit infolge Anfechtungsurteils (Abs. 2 Satz 1 Nr. 1) . . . . . . . . . . . . 22
Grunewald in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 35. Grunewald in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 35. So auch Schäfer, ZIP 2021, 1527, 1529. Schäfer, ZIP 2021, 1527, 1529; im Ergebnis auch Bayer/Rauch, DB 2021, 2609, 2612; Otte, ZIP 2021, 2162, 2167. Holle | 801
§ 110 HGB Rz. 1 | Offene Handelsgesellschaft 3. Weitergehende Geltendmachung der Nichtigkeit (Abs. 2 Satz 2) . . . . . . . . . . . . 24 4. Keine Flexibilisierung der Nichtigkeitsrechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
V. Weitere Fallgruppen fehlerhafter Beschlüsse 1. Tatbestandlich unvollendeter Beschluss . 28 2. Wirkungsloser Beschluss . . . . . . . . . . . . . 29 3. Schwebend unwirksamer Beschluss . . . . 30
Schrifttum: Bayer/Möller, Beschlussmängelklagen de lege lata und de lege ferenda, NZG 2018, 801 ff.; Bayer/Rauch, Beschlussmängel im neuen Recht der Personengesellschaften nach dem MoPeG, DB 2021, 2609 ff.; Drescher, Beschlussmängelrecht, ZGR-Sonderheft 23, 2020, 115 ff.; Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 38 II 2 (im Erscheinen); Koch, Empfiehlt sich eine Reform des Beschlussmängelrechts im Gesellschaftsrecht?, Gutachten F zum 72. Deutschen Juristentag, 2018; Koch, Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit? – Auf der Suche nach einem rechtsformübergreifenden Sortiermechanismus, ZHR 182 (2018), 378 ff.; Lieder, Modernisierung des Personengesellschaftsrechts – Der Regierungsentwurf des MoPeG in der rechtspolitischen Analyse, ZRP 2021, 34 ff.; M. Noack, Adieu „Feststellungsmodell“, bonjour „Anfechtungsmodell“ – über den Systemwechsel im Beschlussmängelrecht der Personengesellschaften, ZIP 2020, 1382 ff.; Otte, Beschlussmängelstreitigkeiten in Personengesellschaften nach dem Mauracher Entwurf für ein Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, ZIP 2020, 1743 ff.; Pieronczyk, Folgen des Rechtsformwechsels zwischen GbR und oHG für Beschlussmängelklagen nach dem MoPeG, ZIP 2022, 1033 ff.; Schäfer, Grundzüge eines Beschussmängelrechts für die Personengesellschaft, Festschrift für Karsten Schmidt zum 80. Geburtstag, Band II, 2019, S. 323 ff.; Schäfer, Beschlussfassung und Beschlussanfechtung in der Personenhandelsgesellschaft nach dem MoPeG-RegE, ZIP 2021, 1527 ff.; K. Schmidt, Beschlussmängel und Beschlussmängelstreitigkeiten nach der Modernisierung des Personengesellschaftsrechts – Reformgesetzgebung und Rechtsfortbildung im Dialog, ZHR 187 (2023), 107 ff.; Tröger/Happ, Unzulängliche Institutionenbildung im Beschlussmängelrecht der Personengesellschaft, NZG 2021, 133 ff.; Tröger/Happ, Beschlussmängelrecht nach dem MoPeG: Bestandsaufnahme, Kritik und Fortentwicklung, ZIP 2021, 2059 ff.
I. Neuordnung des Beschlussmängelrechts 1 Bislang galt sowohl im Recht der GbR als auch im Recht der Personenhandelsgesellschaften,
dass sämtliche Fehler eines Beschlusses grundsätzlich dazu führen, dass die mit ihm anvisierten Rechtsfolgen von Anfang an, endgültig und von einer Geltendmachung unabhängig nicht eintreten (§ 714 BGB Rz. 118 ff.). Auch Mängel, die allein das formale Zustandekommen eines Beschlusses betreffen, sowie die Missachtung disponibler inhaltlicher Vorgaben führten danach grundsätzlich zur Nichtigkeit des Beschlusses, die von jedermann zeitlich unbegrenzt geltend gemacht werden konnte.1 Eingeschränkt wurde die Nichtigkeitsrechtsfolge lediglich bei als bloße Ordnungsvorschriften deklarierten Vorgaben sowie mithilfe eines Verweises auf eine Verwirkung und etwaige Treuebindungen (§ 714 BGB Rz. 121 f., 124 ff.). Ein besonderes Verfahren zur gerichtlichen Geltendmachung von Beschlussmängeln war nicht vorgesehen. Wer sich auf die Nichtigkeit des Beschlusses oder die Unrichtigkeit des festgestellten Beschlussergebnisses berief, konnte gegen diejenigen Gesellschafter, die der Feststellung widersprachen, allgemeine Feststellungsklage gem. § 256 ZPO erheben (§ 714 BGB Rz. 127 ff.). Natürliche Folge dieser „Regelungsleere“ war, dass eine Klage unbefristet erhoben werden konnte und keine Differenzierung nach der Schwere des Beschlussmangels vorzunehmen war. 2 Weil bei Beschlüssen einerseits ein gesteigertes Interesse an Rechtssicherheit besteht, da sie
in eine Handlungsorganisation und damit in ein regelmäßig dynamisches Gebilde hineinwirken und hierbei zumeist eine Vielzahl eingegliederter Personen binden, jedenfalls Mehrheitsbeschlüsse andererseits aber besonders fehler- und streitanfällig sind (eingehender § 714 BGB Rz. 119), erweist sich skizzierter Rechtszustand als wenig befriedigend. Grundsätzliche 1 Vgl. etwa Grunewald in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 9.
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Anfechtbarkeit und Nichtigkeit von Gesellschafterbeschlüssen | Rz. 5 § 110 HGB
und gemeinsame Interessenlage der Gesellschafter geht dahin, dass Fehler bei Entscheidungsfindung nicht zeitlich unbeschränkt und vor allem nicht von jedermann geltend gemacht werden können. Insbesondere bei größeren Gesellschaften, die im kaufmännischen Verkehr aktiv sind, wurde es als wenig praxistauglich empfunden, dass selbst kleinste Beschlussfehler fortwährend beanstandet werden konnten.2 Aktienrecht vermeidet solchen Zustand, indem es in den §§ 241 ff. AktG eigenständiges Beschlussmängelrecht vorsieht, nach dem formelle und materielle Beschlussfehler grundsätzlich nur von den Aktionären und innerhalb einer eng begrenzten Frist im Rahmen einer Anfechtungsklage geltend gemacht werden können. Weil analoge Heranziehung dieser Regelungen auf die Personengesellschaften von der herrschenden Meinung stets verworfen wurde,3 behalf sich die Kautelarpraxis zumeist mit Klauseln über die rechtzeitige Geltendmachung von Beschlussmängeln (vgl. auch § 714 BGB Rz. 130).4 Verfasser des Mauracher-Entwurfs haben skizzierte Rechts- und Interessenlage zum Anlass 3 genommen, ein am Aktienrecht orientiertes Anfechtungsklagemodell für sämtliche Personengesellschaften vorzuschlagen (vgl. §§ 714a–714e BGB-Mauracher-Entwurf). Gesetzgeber des MoPeG ist dem nicht umfänglich gefolgt.5 In §§ 110 ff. HGB hat er nur für die Personenhandelsgesellschaften eigenständiges Beschlussmängelrecht geschaffen, sich hierbei dann allerdings am Mauracher-Entwurf und dessen Anleihen an den §§ 241–249 AktG orientiert.6 Wesentliche Charakteristik des neuen Beschlussmängelrechts ist demnach die Unterscheidung zwischen Mängeln, die bereits aus sich heraus zur Nichtigkeit eines Beschlusses führen, und Mängeln, die den Beschluss erst dann unwirksam machen, wenn sie innerhalb einer bestimmten Frist wirksam angefochten werden (§ 110 HGB). Diese Anfechtung kann nicht durch eine einfache Erklärung erfolgen, sondern nur im Wege der Erhebung einer Gestaltungsklage (113 HGB). Anfechtungsbefugt ist jeder Gesellschafter (§ 111 HGB). Die Klage ist innerhalb von drei Monaten ab der Bekanntgabe des Beschlusses zu erheben (§ 112 HGB). Sowohl Anfechtungs- als auch Nichtigkeitsklage sind gegen die Gesellschaft zu richten (§ 113 Abs. 2 Satz 1 HGB) und ein stattgebendes Urteil wirkt für und gegen alle Gesellschafter, auch wenn sie nicht Partei sind (§ 113 Abs. 6 HGB). Wendet sich ein Gesellschafter gegen einen Beschluss, mit dem ein Beschlussvorschlag abgelehnt wurde, kann er seinen Antrag auf Nichtigerklärung des ablehnenden Beschlusses mit dem Antrag verbinden, dass der Beschluss festgestellt wird, der bei Annahme des Beschlussvorschlags rechtmäßig gefasst worden wäre (sog. positive Beschlussfeststellungsklage). Gesetzgeber hat darauf verzichtet, Übergangsregelung für Anfechtungsmodell vorzusehen.7 4 Eine Feststellungsklage, die wegen eines Beschlussmangels, der zukünftig die Fehlerfolge der Anfechtbarkeit begründet, noch vor Inkrafttreten des MoPeG am 1.1.2024 gegen die anderen Gesellschafter erhoben worden ist, kann nicht wegen eines Versäumnisses der Klagefrist abgewiesen werden, da dem geltend gemachten Beschlussmangel zum maßgeblichen Zeitpunkt der Beschlussfassung die Fehlerfolge der Nichtigkeit anhaftet.8 Auch soll eine allgemeine Feststellungsklage gegen die anderen Gesellschafter die statthafte Klageart bleiben und keine Umstellung der Klage gegen die Gesellschaft erforderlich sein.9 Wegen der im Gesetz sowie in der Regierungsbegründung unmissverständlich zum Aus- 5 druck gebrachten Zweiteilung können §§ 110 ff. HGB nicht analog auf die GbR angewandt
2 3 4 5 6 7 8 9
Vgl. auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 227. Statt aller BGH v. 7.6.1999 – II ZR 278/98, NJW 1999, 3113, 3114. Vgl. auch insoweit RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 227. Zu Recht kritisch etwa Lieder, ZRP 2021, 34, 35; K. Schmidt, ZHR 187 (2023), 107, 114 f. Vgl. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 111, 227. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 228. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 228. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 228. Holle | 803
§ 110 HGB Rz. 5 | Offene Handelsgesellschaft werden.10 Den Gesellschaftern einer GbR bleibt es allerdings möglich, Anwendung der §§ 110 ff. HGB auf ihre Gesellschaft zu vereinbaren (§ 714 BGB Rz. 131)11 oder ihr individuelles Regelungskonzept zumindest an diese Vorschriften anzulehnen.12 Umgekehrt sind §§ 110 ff. HGB dispositiv, so dass die Gesellschafter von Personenhandelsgesellschaften vereinbaren können, dass §§ 110 ff. HGB auf ihre Gesellschaft keine Anwendung finden sollen.13 Ausreichend wäre insofern eine Bestimmung, die für sämtliche Beschlussstreitigkeiten die Erhebung der allgemeinen Feststellungsklage gegen die widersprechenden Gesellschafter vorsieht.14 Vorbehaltlich abweichender Regelungen im Gesellschaftsvertrag finden auf ihre Gesellschaft dann die für GbR allgemein geltenden Grundsätze Anwendung. Fehlt eine Regelung im Gesellschaftsvertrag, können Probleme auftreten, wenn eine Gesellschaft unerkannt die Rechtsform gewechselt hat und dies erst im Zuge der Beschlussmängelklage offenbar wird.15
II. Systematik und Normzweck des § 110 HGB 6 Im Zuge der Einführung eines Beschlussmängelrechts für Personenhandelsgesellschaft ist
§ 110 HGB umfassend neu gefasst worden. Bisher in § 110 Abs. 1 HGB enthaltene Regelung zum Ersatz von Aufwendungen und Verlusten findet sich nunmehr über Verweisung des § 105 Abs. 3 HGB in § 716 Abs. 1 HGB. In § 110 Abs. 2 HGB geregelte Verzinsungspflicht ist in § 119 Abs. 1 HGB gewandert. § 110 HGB bildet in seiner jetzigen Fassung insofern Kernstück des für die Personenhandelsgesellschaften neu geregelten Beschlussmängelrechts als Norm, die grundlegende Unterscheidung zwischen Mängeln, die aus sich heraus zur Nichtigkeit des Beschlusses führen und Mängeln, die erst dann diese Wirkung zeitigen, wenn sie im Wege einer fristgebundenen Anfechtungsklage geltend gemacht werden, festschreibt. 7 Im Aufbau des § 110 HGB gibt Abs. 1 zunächst allgemein vor, dass Beschluss wegen Verlet-
zung von Rechtsmängeln durch Klage auf Nichtigerklärung angefochten werden kann. In Abs. 2 Satz 1 legt Vorschrift dar, dass Beschluss entweder aus sich heraus nichtig ist (Nr. 1) oder Anfechtungsklage zur Nichtigkeit des Beschusses führt (Nr. 2). Abs. 2 Satz 2 stellt klar, dass Nichtigkeit eines Beschlusses auch auf andere Weise als durch Klage auf Feststellung der Nichtigkeit geltend gemacht werden kann. Skizzierte Reihung, die Anfechtbarkeit der Nichtigkeit voranstellt, ist missverständlich und allein Umstand geschuldet, dass Anfechtbarkeit in Praxis größeres Gewicht zukommt.16 Tatsächlich ist Beschlussmängelrecht nämlich so konzipiert, dass sich beide Fehlerfolgen gegenseitig ausschließen.17 Dabei ist es dann aber die Anfechtbarkeit, die sich negativ von der Nichtigkeit abgrenzt,18 so dass Weg zur Anfechtbarkeit erst offen steht, wenn nicht ohnehin Nichtigkeit des Beschlusses gegeben ist. Gedank10 Ebenso Grunewald in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 40; Liebscher in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 69; für eine analoge Anwendung aber Tröger/Happ, ZIP 2021, 2059, 2069 f.; in Bezug auf Mehrheitsbeschlüsse in BGB-Außengesellschaften K. Schmidt, ZHR 187 (2023), 107, 117; für die eingetragene GbR Claußen/Pieronczyk, NZG 2021, 620, 628. 11 RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 111. 12 Vgl. auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 228: Vorbild; eingehender Liebscher in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 144 ff. 13 RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 111; Liebscher in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 152; Schäfer, ZIP 2021, 1527, 1533. 14 Schäfer, ZIP 2021, 1527, 1533; weitergehend Liebscher in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 152 f. 15 S. hierzu eingehend Pieronczyk, ZIP 2022, 1033, 1036 ff.; vgl. auch Tröger/Happ, ZIP 2021, 2059, 2066 f. 16 Siehe auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 228. 17 Siehe auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 228. 18 Vgl. auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 228.
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Anfechtbarkeit und Nichtigkeit von Gesellschafterbeschlüssen | Rz. 11 § 110 HGB
lich ist Nichtigkeit nach Abs. 2 daher vorab zu prüfen und in Abs. 1 ist Einschränkung hineinzulesen, dass Beschluss der Gesellschafter nur dann durch Klage auf Nichtigerklärung angefochten werden kann, wenn er nicht ohnehin nichtig ist. Da sowohl Anfechtungs- als auch Nichtigkeitsklage darauf abzielen, Beschluss die Rechtsgeltung abzusprechen, liegt allerdings einheitlicher Streitgegenstand vor, so dass sich Einschränkung für Kläger nicht auswirkt, weil Gericht sowohl Anfechtungs- als auch Nichtigkeitsgründe zu prüfen hat (§ 113 HGB Rz. 12). Nicht explizit von § 110 HGB geregelt ist Umgang mit tatbestandlich fehlerhaften Be- 8 schlüssen, mit Beschlüssen, die sich nicht auf eine einschlägige Beschlussfassungskompetenz zurückführen lassen sowie mit zustimmungspflichtigen Beschlüssen (§ 714 BGB Rz. 111, 112 ff., 115 ff.). Rechtsfolgen dieser Beschlussfehler sind entlang allgemeiner Beschlussdogmatik sowie der Wertungen des § 110 HGB zu entwickeln.
III. Anfechtbarkeit (Abs. 1) 1. Gesetzes- oder Rechtsverletzung § 110 Abs. 1 HGB normiert als einzige Voraussetzung für eine Anfechtbarkeit eines Gesell- 9 schafterbeschlusses, dass dieser Rechtsvorschriften verletzt. Ausweislich Regierungsbegründung meint Gesetz mit Rechtsvorschriften jede Rechtsnorm sowie Gesellschaftsvertrag.19 Das ist insofern missverständlich, als Gesellschafter auch losgelöst vom Gesellschaftsvertrag mit Blick auf einzelne oder sämtliche Beschlussfassungen bestimmte Modalitäten vereinbaren können. Deren Missachtung steht einer Verletzung des Gesellschaftsvertrags gleich, so dass mit den Rechtsvorschriften letztlich jede Rechtsnorm sowie sämtliche Vereinbarungen der Gesellschafter gemeint sind, unabhängig davon, ob die zuletzt genannten im Gesellschaftsvertrag ausdrücklich festgehalten sind oder nur anlässlich einzelner Beschlussfassungen getroffen wurden. Ausgehend vom Wortlaut des Gesetzes müsste des Weiteren jede Abweichung von gesetzli- 10 chen oder gesellschaftsvertraglichen Vorschriften zur Anfechtbarkeit des Beschusses führen. Da Anfechtbarkeit trotz ihrer systematischen Stellung in Abs. 1 nur als „Auffangregelung“ bei solchen Beschlussfehlern eingreift, die nicht bereits aus sich heraus zur Folge haben, dass Beschluss keine Rechtswirkungen zeitigt (zur missverständlichen Reihung des § 110 HGB s. bereits Rz. 7), wäre solche Lesart jedoch verfehlt. Als Anfechtungsgrund scheiden vielmehr sämtliche Verstöße gegen gesetzliche oder vereinbarte Vorgaben aus, die gem. § 110 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HGB zur Nichtigkeit des Beschlusses führen. Gleiches gilt bei Beschlussfehlern, die zur Folge haben, dass der Tatbestand des Beschlusses unvollendet bleibt (Rz. 28), sowie dann, wenn es an der Beschlussfassungskompetenz fehlt, das Kollektiv nicht beschlussfähig war oder eine Beschlussfassungskompetenz gegenständlich überschritten wurde (Rz. 29). Denn auch insoweit ist der Beschluss bereits aus sich heraus rechtlich wirkungslos. Als Anfechtungsgrund bleiben übrig die Missachtung sämtlicher Rechtsnormen sowie Ver- 11 einbarungen der Gesellschafter, auf deren Einhaltung die Gesellschafter verzichten können (arg. e contr. § 110 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HGB) und die weder das tatbestandliche Hervorbringung eines Beschlusses, das Vorhandensein einer Beschlussfassungskompetenz, die Beschlussfähigkeit sowie die gegenständliche Einhaltung der maßgeblichen Beschlussfassungskompetenz betreffen. Mit Blick hin zu den Nichtigkeitsgründen wird auf diese Weise gewährleistet, dass Dispositionsbefugnis, ob gegen den Beschluss Anfechtungsklage erhoben wird, mit der Dispositionsbefugnis über das materielle Recht korrespondiert.20 19 RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 228. 20 Vgl. auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 229. Holle | 805
§ 110 HGB Rz. 11 | Offene Handelsgesellschaft Tatbestandlich unvollständiger Beschluss ist aus sich heraus nicht existent, so dass sich bei diesem Anfechtbarkeit konzeptionell ebenfalls verbietet. Fehlt es an Beschlussfassungskompetenz, Beschlussfähigkeit oder gegenständlicher Einhaltung maßgeblicher Beschlussfassungskompetenz, wäre Anfechtbarkeit ebenfalls nicht sachgerecht. Denn Gesellschafter haben ihre privatautonome Entscheidungsmacht in diesen Fällen von vornherein nicht (fehlende Beschlussfassungskompetenz) oder nicht in diesem Umfang (gegenständliche Überschreitung der Beschlussfassungskompetenz) dem sich so zusammenfindenden Kollektiv (Beschlussfähigkeit) anheimgestellt. Dementsprechend wäre es auch nicht gerechtfertigt, von ihnen zu verlangen, sich solcher Entscheidung des Kollektivs aktiv im Wege der Anfechtungsklage erwehren zu müssen. 12 Skizzierte rechtliche Einhegung der Anfechtungsgründe darf nicht darüber hinwegtäuschen,
dass in der Praxis der Großteil der Beschlussfehler lediglich zur Anfechtbarkeit des Beschlusses führen wird.21 Weil das Beschlussverfahren weitgehend formlos ausgestaltet ist, werden Verfahrensmängel in aller Regel nur Anfechtbarkeit des Beschlusses zur Folge haben. Jedenfalls die Missachtung sämtlicher Vereinbarungen der Gesellschafter, die die Einberufung und Durchführung der Beschlussfassung über § 109 HGB hinaus näher ausgestalten sollen, hat lediglich die Anfechtbarkeit des Beschlusses zur Folge.22 Gleiches gilt für die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (§ 705 BGB Rz. 65 ff.) sowie für Treuepflichtverstöße (§ 705 BGB Rz. 57 ff.).23
2. Kausalitäts- und Relevanzbetrachtung bei Verfahrensfehlern 13 § 110 Abs. 1 HGB unterscheidet nicht danach, ob ein Mangel das Zustandekommen oder
den Inhalt des Beschlusses betrifft. Vorschrift enthält sich auch zur Frage, inwieweit Verfahrensfehler auf Beschlussfassung von Einfluss sein muss, um Anfechtbarkeit zu begründen. Würde man den Gesetzeswortlaut konsequent anwenden, hätte dies eine Verschärfung der Beschlusskontrolle zur Folge.24 Bislang (§ 714 BGB Rz. 121) galt die Regel, dass Verfahrensfehler unbeachtlich bleiben, wenn ausgeschlossen werden kann, dass das Zustandekommen des Beschlusses durch den Fehler beeinflusst ist, wenn sich der Verfahrensfehler also etwa nur auf eine Stimme auswirkt, die für Ergebnis der Abstimmung nicht erheblich ist, oder ein Zählfehler bei der Beschlussfeststellung auf Annahme oder Ablehnung des Beschlussantrags ohne Einfluss ist.25 Bei Verstößen gegen gesellschaftsvertragliche Regelungen über Form, Frist und Inhalt der Einberufung einer Gesellschafterversammlung sollte Nichtigkeit nur entfallen, wenn der Verstoß ungeeignet ist, die Teilnahme eines Gesellschafters oder die Vorbereitung auf die Tagesordnungspunkte zu vereiteln oder zu erschweren26 beziehungsweise diese tatsächlich nicht vereitelt oder erschwert hat.27 21 22 23 24 25
Insoweit zutreffend RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 228. Vgl. auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 228. Vgl. auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 229. So treffend Grunewald in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 48. BGH v. 16.10.2012 – II ZR 251/10, NZG 2013, 57 Rz. 47 = GmbHR 2013, 197; BGH v. 11.3.2014 – II ZR 24/13, NZG 2014, 621 Rz. 13 = GmbHR 2014, 705. 26 BGH v. 10.10.1983 – II ZR 213/82, ZIP 1984, 59, 61; BGH v. 14.11.1994 – II ZR 160/93, NJW 1995, 1353, 1355 f. = GmbHR 1995, 589; BGH v. 11.3.2014 – II ZR 24/13, NZG 2014, 621 Rz. 13 = GmbHR 2014, 705; vgl. zu den Anforderungen an die Ladung zur Gesellschafterversammlung weiter BGH v. 13.2.2006 – II ZR 200/04, NZG 2006, 349 Rz. 13 = GmbHR 2006, 538 m. Anm. Stuppi; BGH v. 20.6.1994 – II ZR 103/93, ZIP 1994, 1523, 1525. 27 BGH v. 10.10.1983 – II ZR 213/82, ZIP 1984, 59, 61; BGH v. 16.10.2012 – II ZR 251/10, NZG 2013, 57 Rz. 47; BGH v. 11.3.2014 – II ZR 24/13, NZG 2014, 621 Rz. 13 = GmbHR 2014, 705; BGH v. 10.10.1983 – II ZR 213/82, ZIP 1984, 59, 61.
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Anfechtbarkeit und Nichtigkeit von Gesellschafterbeschlüssen | Rz. 17 § 110 HGB
Ausweislich der Regierungsbegründung sollte die Frage, inwieweit ein Verfahrensfehler für die 14 Beschlussfassung kausal oder relevant sein muss, um eine Anfechtbarkeit zu begründen, bewusst der weiteren Entwicklung durch die Rechtsprechung überlassen werden.28 Insoweit ist zu erwarten, dass die Rechtsprechung ihre bisherige Linie fortzeichnen wird, wobei hierbei vollständige Parallele zur Rechtsprechung im Aktien- und GmbH-Recht anzustreben ist.29 Inhaltliche Fehler wie namentlich Verstöße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz oder 15 die Treuepflicht führen stets zur Anfechtbarkeit des Beschlusses.30 Soweit Beschluss inhaltsbezogene Vorgaben verletzt, lässt sich Rechtswidrigkeit der mit dem Beschluss getroffenen Regelung nicht in Ursache und Wirkung zerlegen.31 Hier wirkt sich Verstoß immer im Beschlussergebnis aus.
3. Bloße Anfechtbarkeit auch bei gewichtigen Einberufungsmängeln Ebenfalls bewusst offen gelassen hat Gesetzgeber, ob bei besonders gewichtigen Einberu- 16 fungsmängeln, die das Teilnahmerecht des Gesellschafters berühren, anstelle der Anfechtbarkeit die Nichtigkeit oder Unwirksamkeit des Beschlusses in Betracht kommt.32 Ausgehend von Grundsatz, dass Anfechtbarkeit überall dort sachgerecht ist, wo Gesellschafter dispositionsbefugt sind und einzelner Gesellschafter seine privatautonome Entscheidungsmacht auf Beschlussverfahren delegiert hat, fällt Antwort nicht eindeutig aus.33 Zugunsten einer Nichtigkeit ließe sich argumentieren, dass einzelner Gesellschafter sich seiner Entscheidungsmacht nur unter der Voraussetzung begeben hat, dass er ordnungsgemäß geladen ist, dementsprechend an der gemeinsamen Entscheidung teilhaben und sich auf diese vorbereiten kann. Für bloße Anfechtbarkeit spricht allerdings, dass Recht des Gesellschafters zur Teilhabe dadurch geschützt bleibt, dass § 112 Abs. 2 HGB die Frist für die Erhebung der Anfechtungsklage an Bekanntgabe des Beschlusses knüpft. Gesellschafter, der wegen eines Einberufungsmangels an der Beschlussfassung nicht teilgenommen hat und deswegen keine Kenntnis von dieser hat, läuft daher nicht Gefahr, mit seinem Recht präkludiert zu werden, solange er keine Kenntnis von der Beschlussfassung hat.34 Ficht Gesellschafter Beschluss trotz Kenntnis nicht an, arrangiert er sich mit ihm, zumal er Versammlung auch von vornherein hätte fernbleiben können.35
IV. Nichtigkeit (Abs. 2) 1. Beschlussnichtigkeit durch Rechtsverletzung (Abs. 2 Satz 1 Nr. 1) a) Inhaltlicher Verstoß gegen Rechtsvorschriften Mit § 110 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HGB statuiert Gesetz, dass Beschluss dann aus sich heraus 17 nichtig ist, wenn er durch seinen Inhalt Rechtsvorschriften verletzt, auf deren Einhaltung Ge-
28 RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 228. 29 Ebenso Grunewald in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 48 Rz. 49; vgl. ferner Schäfer, ZIP 2021, 1527, 1531. 30 Treffend Grunewald in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 48 Rz. 50. 31 So schon Schäfer in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2021, § 243 AktG Rz. 32. 32 Vgl. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 228 f. 33 Für Nichtigkeit etwa Drescher, ZGR-Sonderheft 23, 2020, 115, 131; Schäfer, ZIP 2021, 1527, 1531; mit Blick auf die GmbH auch BGH v. 24.3.2016 – IX ZB 32/15, NZG 2016, 552 Rz. 21 = ZIP 2016, 817; für Anfechtbarkeit Bayer/Rauch, DB 2021, 2609, 2613 f. 34 Treffend insoweit RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 229; ferner Bayer/Rauch, DB 2021, 2609, 2614. 35 Treffend Bayer/Rauch, DB 2021, 2609, 2614. Holle | 807
§ 110 HGB Rz. 17 | Offene Handelsgesellschaft sellschafter nicht verzichten können. Begriff der Rechtsvorschrift soll hierbei wie im Rahmen des Abs. 1 zu verstehen sein. Darunter sollen also jede Rechtsnorm sowie jede Vereinbarung der Gesellschafter fallen (vgl. Rz. 9).36 Einbeziehung von Verstößen gegen bloße Vereinbarungen der Gesellschafter läuft allerdings insofern leer, als Vereinbarungscharakter gerade impliziert, dass Gesellschafter auf Vorgabe verzichten können. Begriff der Nichtigkeit ist wie auch ansonsten dahin zu verstehen, dass betreffender Beschluss von Anfang und gegenüber jedermann unwirksam ist.37 18 Vorgabe, dass Beschluss durch seinen Inhalt Rechtsvorschriften verletzen muss, ist dahin zu
verstehen, dass rechtswidrige Maßnahmen im Vorfeld der Beschlussfassung Beschluss nicht nichtig machen sollen.38 Als Beispiel wird in der Literatur etwa ein Beschluss über Investitionsentscheidungen genannt, die durch Schmiergeldzahlungen ermöglicht wurden.39 Verweis auf Inhalt ist also nicht dahin zu verstehen, dass Verstöße gegen Verfahrens- und Formvorschriften nie zur Nichtigkeit eines Beschlusses führen.40 Allerdings wird es sich bei Verfahrens- und Formvorschriften vielfach um Vorgaben handeln, auf deren Einhaltung die Gesellschafter verzichten können, so dass Nichtigkeit als Rechtsfolge einer Missachtung von Verfahrens- und Formvorschriften zumeist an dieser weiteren Voraussetzung scheitern wird. b) Fehlende Disponibilität verletzter Vorgaben 19 Indem § 110 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HGB einen Verstoß gegen Vorschriften fordert, auf deren
Einhaltung Gesellschafter nicht verzichten können, bezweckt Gesetz, dass Beschlussnichtigkeit an die durch das zwingende Recht gezogenen Grenzen anknüpft.41 Aus sich heraus von Anfang unwirksam sein soll also nur ein solcher Beschluss, der für Gesellschafter zwingendes Recht missachtet. Eine weitergehende Aufzählung zwingender Vorschriften wollte und konnte Gesetzgeber nicht leisten.42 Ob Vorschrift zum zwingenden Recht gehört, ist daher anhand des Normzwecks durch Auslegung zu ermitteln,43 wobei Auslegung insbesondere dann komplex wird, wenn es um ungeschriebenes Recht geht.44 20 Vorschriften sind für die Gesellschafter jedenfalls immer dann zwingend, wenn sie schutz-
würdige Belange der Gesellschaftsgläubiger oder sonstiger Dritter betreffen.45 Denn wie sämtlichen Privatrechtssubjekten steht es Gesellschaftern nicht frei, über Schutz ihrer Gläubiger oder sonstiger Dritter zu disponieren. Beschlussnichtigkeit ist bei drittschützenden Vorschriften auch deswegen zwingend, weil Dritte sich ihrerseits nicht im Wege der Anfechtungsklage gegen Beschluss schützen können.46 Insgesamt dürfte Aspekt des Drittschutzes bei Personengesellschaften aufgrund der persönlichen Haftung der Gesellschafter und dem damit verbundenen Fehlen von Regeln zur Kapitalaufbringung und -erhaltung aber eher geringe Rolle spielen. 21 Ebenso endet die Dispositionsbefugnis der Gesellschafter auch dort, wo in unverzichtbaren
Kernbereich der Mitgliedschaft von Gesellschaftern eingegriffen wird.47 Frage, ob Verstoß
36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47
RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 229. Vgl. auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 229. Grunewald in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 48 Rz. 42. Grunewald in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 48 Rz. 42. Treffend Grunewald in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 48 Rz. 42. Vgl. auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 229. Siehe RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 229. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 229. Vgl. auch Grunewald in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 48 Rz. 43. Vgl. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 229. Relativierend indes Schäfer, ZIP 2021, 1527, 1530 f.: „sinnvoll“. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 229.
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Anfechtbarkeit und Nichtigkeit von Gesellschafterbeschlüssen | Rz. 25 § 110 HGB
gegen zwingendes Recht vorliegt, ist insoweit eng mit Diskussion darüber verknüpft, welche Rechte zum unverzichtbaren Kernbereich der Mitgliedschaft zu zählen sind. Regierungsbegründung nennt unter Verweis auf Literatur das Kontroll-, Informations- und Kündigungsrecht, das Recht auf Teilnahme an der Gesellschafterversammlung einschließlich des Redeund Antragsrechts und das Klagerecht gegen fehlerhafte Gesellschafterbeschlüsse (s. eingehender auch § 714 BGB Rz. 97 ff.).48 Sofern diese Rechte einem Gesellschafter vollständig entzogen werden, ist Nichtigkeit des zugrunde liegenden Beschlusses ohne weiteres gegeben.49
2. Beschlussnichtigkeit infolge Anfechtungsurteils (Abs. 2 Satz 1 Nr. 1) § 110 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 HGB ist § 241 Nr. 5 AktG nachgebildet und gibt vor, dass auch 22 solcher Beschluss von Anfang an nichtig ist, der nach Anfechtungsklage durch Urteil rechtskräftig für nichtig erklärt worden ist. Ähnlich wie im Rahmen des § 241 Nr. 5 AktG kann man die Frage aufwerfen, ob Nichtigkeitsfolge aus § 110 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 HGB oder schon aus § 110 Abs. 1 HGB folgt und in § 110 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 HGB nur klargestellt wird.50 Praktische Unterschiede ergeben sich aus dieser Diskussion jedenfalls nicht.51 Unabhängig von skizzierter Frage, handelt es sich bei stattgebendem Anfechtungsurteil je- 23 denfalls um Gestaltungsurteil und bei der Anfechtungsklage mithin um eine Gestaltungsklage.52 Stattgebendes Anfechtungsurteil gestaltet Rechtslage, indem es Beschluss mit Eintritt seiner Rechtskraft mit Wirkung für und gegen jedermann rückwirkend vernichtet.53 Von § 113 Abs. 6 HGB grenzt sich § 110 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 HGB dadurch ab, dass § 113 Abs. 6 HGB materielle Rechtskraftwirkung des stattgebenden Anfechtungsurteils festschreibt, während § 110 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 HGB materielle Gestaltungswirkung regelt.54
3. Weitergehende Geltendmachung der Nichtigkeit (Abs. 2 Satz 2) § 110 Abs. 2 Satz 2 HGB regelt, dass die Nichtigkeit eines Beschlusses auch auf andere Weise 24 als durch Klage auf Feststellung der Nichtigkeit geltend gemacht werden kann. Vorschrift verleiht damit Einsicht Ausdruck, dass nichtiger Rechtsakt aus sich heraus keine Rechtswirkungen zeitigt und grundsätzlich jedem freisteht, sich hierauf zu berufen. Nichtigkeit eines Beschlusses kann daher insbesondere auch im Wege der Einrede geltend gemacht werden, etwa wenn gegen Gesellschafter oder außenstehende Dritte Rechte auf der Grundlage des nichtigen Beschlusses geltend gemacht werden sollen.55
4. Keine Flexibilisierung der Nichtigkeitsrechtsfolge Mit Blick auf aktienrechtliches Beschussmängelrecht ist zuletzt intensiv diskutiert worden, 25 inwieweit es zweckmäßig ist, Nichtigkeit als Rechtsfolge erfolgreicher Beschlussanfechtung
48 49 50 51 52 53
RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 229; vgl. auch Koch, ZHR 182 (2018), 378, 404. Siehe auch Grunewald in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 48 Rz. 43. Vgl. mit Blick auf § 241 Nr. 5 AktG etwa Koch, 17. Aufl. 2023, § 241 AktG Rz. 22. Vgl. auch insoweit Koch, 17. Aufl. 2023, § 241 AktG Rz. 22. Vgl. auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 230. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 230; Grunewald in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 48 Rz. 47. 54 So explizit auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 230; vgl. ferner Bayer/Rauch, DB 2021, 2609, 2614. 55 Vgl. auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 230. Holle | 809
§ 110 HGB Rz. 25 | Offene Handelsgesellschaft aufzuweichen.56 Als alternative Rechtsfolgen erfolgreicher Beschlussanfechtung werden dort insbesondere Beschlussaufhebung mit Wirkung lediglich ex nunc57 sowie gänzliches Absehen von der Kassation des Beschlusses58 gehandelt. Dahinter steht berechtigter Gedanke, dass selbst Erfordernis, Beschlussfehler durch fristgebundene Anfechtungsklage geltend machen zu müssen, dort über Ziel hinausschießt, wo vergleichsweise geringe Rechtsverletzung vorliegt, die Folgen der Beschlussaufhebung für beteiligte Akteure aber gravierend sind. 26 Für Recht der Personengesellschaften sah Gesetzgeber des MoPeG keinen Anlass, Rechtsfol-
gen einer erfolgreichen Beschlussanfechtung zu flexibilisieren.59 Das gelte umso mehr, als Lockerung des Sanktionsmechanismus für rechtswidrige Beschlüsse geeignet wäre, Fehlanreize für rechtswidriges Verhalten zu setzen.60 Etwaigen unverhältnismäßigen Folgen einer rückwirkenden Beschlussanfechtung könne bei der konkreten Rechtsausübung mithilfe der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht Rechnung getragen werden.61 27 Festlegung des Gesetzgebers ist insofern nachvollziehbar, als jedenfalls idealtypische Personen-
gesellschaft personalistisch strukturiert ist und über einen im Vergleich zur Aktiengesellschaft überschaubaren Kreis möglicher Kläger verfügt. Auch werden Folgen einer Rückabwicklung bei Personengesellschaften tendenziell weniger ausufernd sein, so dass es insgesamt widersprüchlich wäre, Aktienrecht hier vorauszueilen. Fehlanreize für rechtswidriges Verhalten würde Lockerung allerdings nur dann setzen, wenn für Gesellschafter stets vorhersehbar wäre, dass die gemilderten Rechtsfolgen eintreten. Auch Verweis auf diffuses Institut der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht lässt weitgehend im Dunkeln, inwiefern von dieser Abhilfe erwartet werden kann. Weitaus tragfähiger dürfte insofern Heranziehung der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft sein, die sich jedenfalls auf Strukturänderungen sowie Personalentscheidung auf Organebene ausdehnen lassen, um Rückabwicklungsschwierigkeiten entgegenzutreten.62
V. Weitere Fallgruppen fehlerhafter Beschlüsse 1. Tatbestandlich unvollendeter Beschluss 28 Tatbestandlich fehlerhafter Beschluss lässt sich nicht unmittelbar § 110 HGB zuordnen (zu
den Voraussetzungen s. bereits § 714 BGB Rz. 113 f.). Bleibt schon der Tatbestand eines Be56 Vgl. vor allem J. Koch, Gutachten F zum 72. Deutschen Juristentag, 2018, S. 44 ff., 89 ff., 104 f.; in Bezug auf Hauptversammlungsbeschlüsse Arbeitskreis Beschlussmängelrecht, AG 2008, 617, 619, 621 ff.; Bayer/Möller, NZG 2018, 801, 805; Buchs, Flexibilisierung der Beschlussmängelfolgen, 2020, S. 277 ff.; Habersack/Stilz, ZGR 2010, 710, 729, 732; Harbarth, AG 2018, 637, 642 f.; J. Koch in FS E. Vetter, 2019, S. 317, 320 ff.; Lieder, NZG 2018, 1321, 1322 ff.; Mülbert, NJW 2018, 2771, 2772 ff.; Noack, JZ 2018, 824, 828 ff.; C. Schäfer, Der Konzern 2018, 413, 415 f.; Schatz, Der Missbrauch der Anfechtungsbefugnis durch den Aktionär und die Reform des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts, 2012, S. 288 ff.; grundsätzlich aufgeschlossen auch Bayer/Fiebelkorn, ZIP 2012, 2181, 2186; Fleischer, AG 2012, 765, 781 f.; in Bezug auf Aufsichtsratsbeschlüsse Harbarth in FS Seibert, 2019, S. 291, 303; kritisch Grigoleit, AG 2018, 645, 654 f., 658 f.; Grunewald, NZG 2009, 967, 968; für den Bereich der Personengesellschaften zurückhaltend auch C. Schäfer, Der Konzern 2018, 413, 418; C. Schäfer in FS K. Schmidt zum 80. Geburtstag, Bd. II, 2019, S. 323, 334; für das Vereinsrecht skeptisch Fluck, npoR 2019, 146, 152. 57 Insoweit auch Grigoleit, AG 2018, 645, 655. 58 Arbeitskreis Beschlussmängelrecht, AG 2008, 617, 619, 622; kritisch Grigoleit, AG 2018, 645, 654 f., 658 f. 59 RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 229; beipflichtend etwa Schäfer, ZIP 2021, 1527, 1531. 60 RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 229. 61 RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 229. 62 Eingehender Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 38 II 2 (im Erscheinen).
810 | Holle
Anfechtbarkeit und Nichtigkeit von Gesellschafterbeschlüssen | Rz. 29 § 110 HGB
schlusses unvollständig, ist dieser als solcher nicht bewirkt.63 Es liegt kein mangelhafter, sondern überhaupt kein Beschluss vor.64 Wie beim Vertrag wäre vorzufindender Rechtszustand mit Begriffen anfechtbarer, nichtiger oder unwirksamer Beschluss nicht präzise umschrieben. In Abgrenzung zu Konstellationen, in denen Beschluss zwar zustande gekommen, als solcher aber mangelbehaftet ist, muss vielmehr von sog. Nichtbeschluss gehandelt werden.65 Ähnlich wie vom nichtigen Beschluss gehen vom tatbestandlich fehlerhaften Beschluss von Anfang an und gegenüber jedermann keinerlei Rechtswirkungen aus. Auch wenn tatbestandlich fehlerhafter Beschluss aus dogmatischer Sicht nicht mit nichtigem Beschluss gleichgesetzt werden kann, spricht nichts dagegen, ihn ansonsten den Regelungen zu unterstellen, die für nichtige Beschlüsse gelten.
2. Wirkungsloser Beschluss Ebenfalls nicht unmittelbar als anfechtbar oder nichtig einstufen lassen sich Konstellationen, 29 in denen Gesellschaftern die Regelungskompetenz fehlt (§ 714 BGB Rz. 115). Das ist immer anzunehmen, wenn es entweder vollkommen einer Beschlussfassungskompetenz ermangelt oder eine solche zwar vorhanden ist, das beschließende Kollektiv aber nicht beschlussfähig war oder Beschluss seinem Gegenstand nach nicht mehr von der Beschlussfassungskompetenz gedeckt ist (eingehender § 714 BGB Rz. 116 f.). In diesen Fällen gilt die Regel, dass ein Rechtsakt nur dort rechtliche Anerkennung finden kann, wo eine entsprechende Regelungskompetenz besteht, das heißt, den handelnden Akteuren die Befähigung gegeben ist, in der gewählten Art und Weise rechtlich erhebliche Wirkungen zu erzeugen. Ausdruck findet diese Erkenntnis vor allem darin, dass die Wirksamkeit eines Mehrheitsbeschlusses davon abhängig ist, dass dieser sich seinem Gegenstand nach unter eine einschlägige Beschlussfassungskompetenz subsumieren lässt.66 Mangelt es etwa an einer Regelung im Gesellschaftsvertrag, die sich dahin auslegen lässt, dass auch Vertragsänderungen im Wege eines (Mehrheits-)Beschlusses zulässig sind, so führt das dazu, dass ein (Mehrheits-)Beschluss, dessen Gegenstand es ist, gesellschaftsvertragliche Grundlagen zu ändern, von vornherein keine Wirkung gegenüber irgendwem entfaltet.67 Da Rechtsfolgen wirkungsloser Beschlüsse denjenigen nichtiger Beschlüsse gleichen, sind auch diese den Regelungen zu unterstellen, die für nichtige Beschlüsse gelten. 63 Grundlegend zur Unterscheidung zwischen Tatbestand und Wirksamkeit in Bezug auf den Vertrag Leenen, AcP 188 (1988), 381, 385 ff.; im Ausgangspunkt auch schon vgl. ferner etwa Neuner, BGB AT, 12. Aufl. 2020, § 28 Rz. 1; im Beschlusskontext betonend Häublein in Staudinger (2018), § 23 WEG Rz. 20; Skauradszun, Beschluss als Rechtsgeschäft, 2020, S. 65. 64 Treffend und explizit mit Blick auf Beschluss Buchs, Flexibilisierung der Beschlussmängelfolgen, 2020, S. 43; Casper, Die Heilung nichtiger Beschlüsse im Kapitalgesellschaftsrecht, 1998, S. 47 f.; Casper in Bork/C. Schäfer, 4. Aufl. 2019, § 47 GmbHG Rz. 4; Eberspächer, Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen nach § 241 Nr. 3 AktG, 2009, S. 26; allgemein Gernhuber, Bürgerliches Recht, 3. Aufl. 1991, S. 48. 65 Weitgehend entsprechendes Begriffsverständnis etwa bei Buchs, Flexibilisierung der Beschlussmängelfolgen, 2020, S. 43; Casper, Die Heilung nichtiger Beschlüsse im Kapitalgesellschaftsrecht, 1998, S. 46 ff.; Casper in Bork/C. Schäfer, 4. Aufl. 2019, § 47 GmbHG Rz. 4; Eberspächer, Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen nach § 241 Nr. 3 AktG, 2009, S. 133; C. Schäfer in MünchKomm/ AktG, 5. Aufl. 2021, § 241 AktG Rz. 11. 66 Vgl. BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rz. 14 = NJW 2015, 859 = ZIP 2014, 2231; C. Schäfer, ZGR 2013, 237, 244 f. 67 Der II. Zivilsenat etikettiert die Einsicht, dass ein Beschluss nur Rechtswirkungen zeitigen kann, wenn er sich innerhalb des durch eine Beschlussfassungskompetenz gesteckten Rahmens hält, als Erfordernis einer „formellen Legitimation“, bei deren Fehlen der Beschluss „formell“ nicht wirksam gefasst ist; vgl. implizit BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rz. 16 = NJW 2015, 859 = ZIP 2014, 2231. Holle | 811
§ 110 HGB Rz. 30 | Offene Handelsgesellschaft
3. Schwebend unwirksamer Beschluss 30 Ebenfalls nicht in Kategorien der nichtigen oder lediglich anfechtbaren Beschlüsse einpassen
lassen sich Konstellationen, in denen in unentziehbare Mitgliedschaftsrechte eingegriffen wird. Derartige Beschlüsse können nicht gem. § 110 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HGB als nichtig eingestuft werden, da die Gesellschafter insoweit durchaus dispositionsbefugt sind. Auch würde Nichtigkeit Gesellschaftern Möglichkeit nehmen, dass betroffener Gesellschafter individuelle Zustimmung in den Eingriff in sein unentziehbares Mitgliedschaftsrecht noch erteilt.68 Würde man von anfechtbarem Beschluss ausgehen, würde erforderliche individuelle Zustimmung mit bloßem Verstreichenlassen der Anfechtungsfrist gleichgesetzt.69 Um Gesellschaftern einerseits Dispositionsbefugnis vollständig zu erhalten und andererseits Schutz des betroffenen Gesellschafters durch Erfordernis aktiver Zustimmung umfänglich aufrecht zu erhalten, ist daher davon auszugehen, dass ein Beschluss bei Fehlen einer erforderlichen individuellen Zustimmung weder nichtig noch anfechtbar ist, sondern schwebend unwirksam.70
§ 111 HGB Anfechtungsbefugnis; Rechtsschutzbedürfnis (1) Anfechtungsbefugt ist jeder Gesellschafter, der oder dessen Rechtsvorgänger im Zeitpunkt der Beschlussfassung der Gesellschaft angehört hat. (2) Ein Verlust der Mitgliedschaft nach dem Zeitpunkt der Beschlussfassung lässt das Rechtsschutzbedürfnis des Rechtsvorgängers unberührt, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Führung des Rechtsstreits hat. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Regelungsgegenstand und Normzweck II. Anfechtungsbefugnis (Abs. 1) 1. Gesellschafterstellung im Zeitpunkt der Beschlussfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausschluss der Anfechtungsbefugnis bei Zustimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Anfechtungsbefugnis des Rechtsnachfolgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtsschutzbedürfnis bei Verlust der Mitgliedschaft (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . .
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Schrifttum: Bayer/Rauch, Beschlussmängel im neuen Recht der Personengesellschaften nach dem MoPeG, DB 2021, 2609 ff.; M. Noack, Adieu „Feststellungsmodell“, bonjour „Anfechtungsmodell“ – über den Systemwechsel im Beschlussmängelrecht der Personengesellschaften ZIP 2020, 1382 ff.; Otte, Beschlussmängelstreitigkeiten in Personengesellschaften nach dem Mauracher Entwurf für ein Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, ZIP 2020, 1743 ff.
68 Vgl. auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 230. 69 Siehe auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 230. 70 So dann auch Begr. RegE eines Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG), BT-Drucks. 19/27635, 230; Grunewald in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 46.
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Anfechtungsbefugnis; Rechtsschutzbedürfnis | Rz. 3 § 111 HGB
I. Regelungsgegenstand und Normzweck § 111 HGB ist durch das MoPeG umfänglich neu gefasst worden. Die bisher in § 111 HGB 1 a.F. geregelte Verzinsungspflicht ist inhaltlich unverändert in § 119 Abs. 2 HGB verschoben worden. In seiner aktuellen Fassung führt § 111 Abs. 1 HGB nunmehr den aus dem Aktienrecht (§ 245 AktG) entnommenen Begriff der Anfechtungsbefugnis in das Gesetz ein. Sie umschreibt den Kreis derjenigen Personen, die imstande sein sollen, einen Gesellschafterbeschluss anzufechten. Aus dogmatischer Sicht handelt es sich bei der Anfechtungsbefugnis um ein materiell-rechtliches Verwaltungsrecht, das auf der Mitgliedschaft in der Gesellschaft aufbaut und dem Gesellschafter dazu dient, auf die Willensbildung der Gesellschaft Einfluss zu nehmen.1 Dementsprechend grenzt sich Anfechtungsbefugnis von allgemeinem Feststellungsinteresse i.S.d. § 256 Abs. 1 ZPO ab,2 das nicht auf der Mitgliedschaft aufbaut, sondern allein ein rechtliches Interesse am Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses voraussetzt und damit weiter gefasst ist und insbesondere auch außenstehende Dritte einbeziehen kann. § 111 Abs. 2 HGB behandelt das Rechtsschutzbedürfnis bei Verlust der Mitgliedschaft. § 111 findet auf die Nichtigkeitsklage (§ 114 Satz 1 HGB) sowie auf die positive Beschlussfeststellungsklage (§ 115 Satz 2 HGB) entsprechende Anwendung.
II. Anfechtungsbefugnis (Abs. 1) 1. Gesellschafterstellung im Zeitpunkt der Beschlussfassung Gesetz knüpft die Befugnis zur Anfechtung alleine an die Stellung als Gesellschafter im Zeit- 2 punkt der Beschlussfassung. Maßgeblich ist tatsächliche Gesellschafterstellung; darauf, ob Gesellschafter im Handelsregister als solcher eingetragen ist, kommt es nicht an.3 Gesellschafter, der durch konkreten Beschluss seine Stellung als Gesellschafter verliert, ist im Zeitpunkt der Beschlussfassung noch Gesellschafter. Im Fall einer Treuhand ist allein Treuhänder Gesellschafter.4 Keine Rolle spielt, in welchem Umfang Gesellschafter an Gesellschaft beteiligt ist und ob er stimmberechtigt war.5 Ebenso wenig kommt es darauf an, ob Gesellschafter durch Beschluss individuell betroffen ist.6 Gesellschafter ist es daher unbenommen, nicht im eigenen Interesse, sondern im Interesse der Gesellschaft oder eines anderen Gesellschafters Anfechtungsklage zu erheben. Gewillkürte Prozessstandschaft ist zulässig, sofern Prozessstandschafter wie etwa Nießbraucher eigenes schutzwürdiges Interesse vorweisen kann.7 Testamentsvollstrecker ist anfechtungsbefugt, sofern er zur Wahrnehmung von Gesellschafterrechten befugt ist.8 Besonderheiten ergeben sich in GmbH & Co. KG (eingehend § 161 HGB Rz. 51 ff.).9 Mit Begründung, dass Beschlussverfahren im Recht der Personenhandelsgesellschaften nicht 3 in gleicher Weise formalisiert zu werden brauche wie im Aktienrecht, hat Gesetzgeber es in Abweichung zum Aktienrecht auch nicht für erforderlich gehalten, dass Gesellschafter einzelne Verfahrensschritte gerügt hat, dem Beschluss widersprochen hat oder überhaupt zur Abstimmung erschienen ist.10 Das ist in der Sache überzeugend. Beides hängt allerdings 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Vgl. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 230; Noack, ZIP 2020, 1382, 1385. Siehe auch Liebscher in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 76. Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 111 HGB Rz. 11. BGH v. 26.6.2018 – II ZR 205/16, NJW 2018, 3014 Rz. 20 = ZIP 2018, 1492 (GmbH). Vgl. auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 230. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 230. Otte/Dietlein in BeckOGK/UmwG, Stand: 15.10.2022, § 111 HGB Rz. 17. Vertiefend Otte/Dietlein in BeckOGK/UmwG, Stand: 15.10.2022, § 111 HGB Rz. 22. Vertiefend Otte/Dietlein in BeckOGK/UmwG, Stand: 15.10.2022, § 111 HGB Rz. 18 ff. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 230. Holle | 813
§ 111 HGB Rz. 3 | Offene Handelsgesellschaft nicht unmittelbar mit der Frage der Formalisierung des Beschlussverfahrens zusammen, sondern kann allein mit Anliegen gerechtfertigt werden, Beschlusshygiene zu fördern, Rechtssicherheit noch weiter zu erhöhen (Rüge-, Widerspruchs- und Anwesenheitserfordernis) sowie Verbreitung missbräuchlicher Anfechtungsklagen vorzubeugen (Anwesenheitserfordernis). Für all das mag man bei Personengesellschaften kein Erfordernis sehen, zumal jede Einschränkung der Anfechtungsbefugnis Rechtsschutzmöglichkeiten der Gesellschafter weiter beschneidet.
2. Ausschluss der Anfechtungsbefugnis bei Zustimmung 4 Nach Wortlaut des Gesetzes ist Gesellschafter auch dann anfechtungsbefugt, wenn er Be-
schlussvorschlag zugestimmt hat. Aus dogmatischer Sicht ist diese Festlegung keinesfalls selbstverständlich, weil Recht zur Beschlussanfechtung gerade Umstand kompensieren soll, dass einzelner Gesellschafter bei Beschlussfassung überstimmt werden kann und sich gegebenenfalls Willen der anderen Gesellschafter zu beugen hat.11 Sofern Selbstbestimmung des einzelnen Gesellschafters gewahrt bleibt, bedarf es parallel zum Vertrag nicht zwangsläufig weitergehenden Rechts des einzelnen Gesellschafters, sich einem Rechtsakt zu erwehren, den er selbst konsentiert hat. Im GmbH-Recht ist daher einhellig anerkannt, dass Zustimmung zu in Rede stehendem Beschluss Anfechtungsbefugnis generell ausschließt,12 sofern sie in Kenntnis des Beschlussfehlers erfolgt13 beziehungsweise solange Stimmabgabe nicht gem. §§ 119 ff. BGB angefochten wird.14 Zur Begründung verweist man auf Grundsatz volenti non fit iniuria15 oder auf Rechtsgedanken des venire contra factum proprium16. Erste Stellungnahmen gehen zu Recht dahin, diese Grundsätze auf § 111 Abs. 1 HGB zu übertragen. Danach muss gelten, dass sich einzelner Abstimmende wie beim Vertrag in den Grenzen der §§ 119 ff. BGB an seiner Entscheidung festhalten lassen muss.17 Anfechtungsbefugnis auch derjenigen Gesellschafter, die Beschlussvorschlag zugestimmt haben, ließe sich – wie im Aktienrecht – allenfalls dann rechtfertigen, wenn man Art Polizeifunktion jedes Gesellschafters annähme. Solcher Gedanke mag im Aktienrecht greifbar sein, wo man Kollektiv der Aktionäre rationale Apathie unterstellen mag. Im Personengesellschaftsrecht liegt solcher Gedanke aber wie schon im GmbH-Recht fern.18
3. Anfechtungsbefugnis des Rechtsnachfolgers 5 Nach § 111 Abs. 1 HGB anfechtungsbefugt ist auch der Rechtsnachfolger eines Gesellschaf-
ters, sofern er Gesellschafter nachfolgt, der im Zeitpunkt der Beschlussfassung Gesellschaft angehört hat. Greift ein Gesellschafter einen Beschluss an, der vor dem Zeitpunkt seiner Mitgliedschaft gefasst wurde, ist er nach § 111 Abs. 1 HGB also nur unter der Voraussetzung
11 Eingehend Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 32 II 4 (im Erscheinen). 12 Konstatierend auch BGH v. 21.6.2010 – II ZR 24/09, NZG 2010, 943 Rz. 37: „Für die GmbH ist anerkannt, dass ein Gesellschafter nicht anfechtungsbefugt ist, der im Sinne des ergangenen Beschlusses abgestimmt hat (…).“ 13 So etwa Raiser/C. Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2020, Anh. § 47 GmbHG Rz. 154. 14 Hierfür etwa Bayer in Lutter/Hommelhoff, 21. Aufl. 2023, Anh. § 47 GmbHG Rz. 60. 15 Puszkajler in Saenger/Inhester, 3. Aufl. 2016, Anh. § 47 GmbHG Rz. 89. 16 Altmeppen, 11. Aufl. 2023, Anh. § 47 GmbHG Rz. 81; Raiser/C. Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2020, Anh. § 47 GmbHG Rz. 154. 17 Ähnlicher Gedankengang bei Fehrenbach, Der fehlerhafte Gesellschafterbeschluss in der GmbH, 2011, S. 329 mit Fn. 1735. 18 Ebenso Otte/Dietlein in BeckOGK/UmwG, Stand: 15.10.2022, § 111 HGB Rz. 4.
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Klagefrist | § 112 HGB
anfechtungsbefugt, dass er der Gesellschaft in Rechtsnachfolge beitritt und sein Rechtsvorgänger der Beschlussfassung beigewohnt hat. Tritt ein Gesellschafter der Gesellschaft indes ohne Rechtsnachfolge bei oder tritt er der Gesellschaft zwar in Rechtsnachfolge bei, hat sein Rechtsvorgänger der Gesellschaft im Zeitpunkt der Beschlussfassung aber noch nicht angehört, ist er nicht anfechtungsbefugt.19 In Fällen der Vor- und Nacherbschaft sind sowohl der Vor- als auch der Nacherbe Rechtsnachfolger.20 Soweit mehrere Personen die Rechtsnachfolge antreten, sind sie jeweils für sich anfechtungsberechtigt.21 Bei mehrfacher Rechtsnachfolge dürfte man die Vorgabe, wonach der Rechtsvorgänger der Beschlussfassung beigewohnt haben muss, dahin zu deuten haben, dass der Rechtsnachfolger des Rechtsnachfolgers nicht anfechtungsbefugt ist, weil sein Rechtsvorgänger nicht an fraglicher Beschlussfassung teilgenommen hat.22 Wertungsmäßig vermag das nicht zu überzeugen, muss als gesetzliches Datum aber wohl hingenommen werden.23 Von Anfechtungsbefugnis des Rechtsnachfolgers abzugrenzen ist Anfechtungsbefugnis desje- 6 nigen Gesellschafters, der Anteil im Anschluss an Beschlussfassung an Rechtsnachfolger abtritt. § 111 Abs. 1 HGB verhält sich insoweit allein zur Anfechtungsbefugnis des Rechtsnachfolgers. Mit Blick auf Anfechtungsbefugnis eines Gesellschafters, der seinen Gesellschaftsanteil abtritt, gilt § 111 Abs. 2 HGB.
III. Rechtsschutzbedürfnis bei Verlust der Mitgliedschaft (Abs. 2) § 111 Abs. 1 HGB knüpft Befugnis zur Anfechtung an Stellung als Gesellschafter im Zeit- 7 punkt der Beschlussfassung und an Stellung als Rechtsnachfolger. Altgesellschafter könnte demgemäß nur dann einen Anfechtungsprozess (anstelle eines Rechtsnachfolgers) führen, wenn man § 265 ZPO heranzieht, er seine Mitgliedschaft also erst nach Klageerhebung verloren hat und berechtigtes Interesse vorweisen kann. § 111 Abs. 2 HGB erweitert die Anfechtungsbefugnis nun dergestalt, dass Altgesellschafter generell anfechtungsbefugt bleibt, wenn er berechtigtes Interesse an Führung des Rechtsstreits hat.24 Es kommt also nicht darauf an, dass Altgesellschafter Anfechtungsklage bereits vor seinem Ausscheiden aus Gesellschaft erhoben hat. Alleinentscheidend ist, dass er ein berechtigtes Interesse an der Führung des Rechtsstreits hat. Ein solches soll ausweislich der Regierungsbegründung etwa anzunehmen sein, wenn ein Gesellschafter den Beschluss über seine Ausschließung angreift oder der betreffende Beschluss Auswirkungen auf die Werthaltigkeit seines Anteils beziehungsweise die Höhe seiner Abfindung haben kann.25
§ 112 HGB Klagefrist (1) 1Die Anfechtungsklage ist innerhalb von drei Monaten zu erheben. 2Eine Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag, welche eine kürzere Frist als einen Monat vorsieht, ist unwirksam.
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Vgl. auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 230. Otte/Dietlein in BeckOGK/UmwG, Stand: 15.10.2022, § 111 HGB Rz. 14. Otte/Dietlein in BeckOGK/UmwG, Stand: 15.10.2022, § 111 HGB Rz. 14. Vgl. auch Bayer/Rauch, DB 2021, 2609, 2615. Hadernd auch Bayer/Rauch, DB 2021, 2609, 2615. Vgl. auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 230. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 230. Holle | 815
Klagefrist | § 112 HGB
anfechtungsbefugt, dass er der Gesellschaft in Rechtsnachfolge beitritt und sein Rechtsvorgänger der Beschlussfassung beigewohnt hat. Tritt ein Gesellschafter der Gesellschaft indes ohne Rechtsnachfolge bei oder tritt er der Gesellschaft zwar in Rechtsnachfolge bei, hat sein Rechtsvorgänger der Gesellschaft im Zeitpunkt der Beschlussfassung aber noch nicht angehört, ist er nicht anfechtungsbefugt.19 In Fällen der Vor- und Nacherbschaft sind sowohl der Vor- als auch der Nacherbe Rechtsnachfolger.20 Soweit mehrere Personen die Rechtsnachfolge antreten, sind sie jeweils für sich anfechtungsberechtigt.21 Bei mehrfacher Rechtsnachfolge dürfte man die Vorgabe, wonach der Rechtsvorgänger der Beschlussfassung beigewohnt haben muss, dahin zu deuten haben, dass der Rechtsnachfolger des Rechtsnachfolgers nicht anfechtungsbefugt ist, weil sein Rechtsvorgänger nicht an fraglicher Beschlussfassung teilgenommen hat.22 Wertungsmäßig vermag das nicht zu überzeugen, muss als gesetzliches Datum aber wohl hingenommen werden.23 Von Anfechtungsbefugnis des Rechtsnachfolgers abzugrenzen ist Anfechtungsbefugnis desje- 6 nigen Gesellschafters, der Anteil im Anschluss an Beschlussfassung an Rechtsnachfolger abtritt. § 111 Abs. 1 HGB verhält sich insoweit allein zur Anfechtungsbefugnis des Rechtsnachfolgers. Mit Blick auf Anfechtungsbefugnis eines Gesellschafters, der seinen Gesellschaftsanteil abtritt, gilt § 111 Abs. 2 HGB.
III. Rechtsschutzbedürfnis bei Verlust der Mitgliedschaft (Abs. 2) § 111 Abs. 1 HGB knüpft Befugnis zur Anfechtung an Stellung als Gesellschafter im Zeit- 7 punkt der Beschlussfassung und an Stellung als Rechtsnachfolger. Altgesellschafter könnte demgemäß nur dann einen Anfechtungsprozess (anstelle eines Rechtsnachfolgers) führen, wenn man § 265 ZPO heranzieht, er seine Mitgliedschaft also erst nach Klageerhebung verloren hat und berechtigtes Interesse vorweisen kann. § 111 Abs. 2 HGB erweitert die Anfechtungsbefugnis nun dergestalt, dass Altgesellschafter generell anfechtungsbefugt bleibt, wenn er berechtigtes Interesse an Führung des Rechtsstreits hat.24 Es kommt also nicht darauf an, dass Altgesellschafter Anfechtungsklage bereits vor seinem Ausscheiden aus Gesellschaft erhoben hat. Alleinentscheidend ist, dass er ein berechtigtes Interesse an der Führung des Rechtsstreits hat. Ein solches soll ausweislich der Regierungsbegründung etwa anzunehmen sein, wenn ein Gesellschafter den Beschluss über seine Ausschließung angreift oder der betreffende Beschluss Auswirkungen auf die Werthaltigkeit seines Anteils beziehungsweise die Höhe seiner Abfindung haben kann.25
§ 112 HGB Klagefrist (1) 1Die Anfechtungsklage ist innerhalb von drei Monaten zu erheben. 2Eine Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag, welche eine kürzere Frist als einen Monat vorsieht, ist unwirksam.
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Vgl. auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 230. Otte/Dietlein in BeckOGK/UmwG, Stand: 15.10.2022, § 111 HGB Rz. 14. Otte/Dietlein in BeckOGK/UmwG, Stand: 15.10.2022, § 111 HGB Rz. 14. Vgl. auch Bayer/Rauch, DB 2021, 2609, 2615. Hadernd auch Bayer/Rauch, DB 2021, 2609, 2615. Vgl. auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 230. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 230. Holle | 815
§ 112 HGB Rz. 1 | Offene Handelsgesellschaft (2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem der Beschluss dem anfechtungsbefugten Gesellschafter bekanntgegeben worden ist. (3) 1Für die Dauer von Vergleichsverhandlungen über den Gegenstand des Beschlusses oder die ihm zugrunde liegenden Umstände zwischen dem anfechtungsbefugten Gesellschafter und der Gesellschaft wird die Klagefrist gehemmt. 2Die für die Verjährung geltenden §§ 203 und 209 des Bürgerlichen Gesetzbuchs sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass die Klagefrist frühestens einen Monat nach dem Scheitern der Vergleichsverhandlungen endet. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Regelungsgegenstand und Normzweck 1 II. Anfechtungsfrist (Abs. 1) 1. Dreimonatige Klagefrist (Abs. 1 Satz 1) a) Materiell-rechtliche Ausschlussfrist . . 3 b) Fristwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 2. Abweichende Vereinbarung der Klagefrist (Abs. 1 Satz 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 III. Fristlauf und -berechnung (Abs. 2) 1. Fristbeginn mit Bekanntgabe des Beschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
2. IV. 1. 2.
Weitergehende Regelungsmöglichkeiten Fristhemmung (Abs. 3) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleichsverhandlungen (Abs. 3 Satz 1) a) Meinungsaustausch . . . . . . . . . . . . . . . b) Gegenstand der Verhandlungen . . . . . c) Personenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ende und Wirkung der Hemmung (Abs. 3 Satz 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Schrifttum: Bayer/Rauch, Beschlussmängel im neuen Recht der Personengesellschaften nach dem MoPeG, DB 2021, 2609 ff.; Drescher, Beschlussmängelrecht, ZGR-Sonderheft 23, 2020, 115 ff.; M. Noack, Adieu „Feststellungsmodell“, bonjour „Anfechtungsmodell“ – über den Systemwechsel im Beschlussmängelrecht der Personengesellschaften ZIP 2020, 1382 ff.; Otte, Beschlussmängelstreitigkeiten in Personengesellschaften nach dem Mauracher Entwurf für ein Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, ZIP 2020, 1743 ff.; Schäfer, Beschlussfassung und Beschlussanfechtung in der Personenhandelsgesellschaft nach dem MoPeG-RegE, ZIP 2021, 1527 ff.; Wertenbruch, Die fristwahrende „demnächst“-Zustellung der Anfechtungsklage nach §§ 246 Abs. 1 AktG, 167 ZPO, FS Heidel, 2021, S. 751 ff.
I. Regelungsgegenstand und Normzweck 1 § 112 HGB regelte bislang Wettbewerbsverbot. Im Rahmen des MoPeG hat Gesetzgeber
Wettbewerbsverbot inhaltlich unverändert in § 117 HGB verschoben, um in § 112 HGB Platz für Vorgaben zur Klagefrist bei Anfechtungsklage zu schaffen. Regelung ist im neuen Beschlussmängelregime von zentraler Bedeutung, weil sie Zeitraum bestimmt, innerhalb dessen Gesellschafter Anfechtungsklage erheben muss und damit zugleich festlegt, ab welchem Zeitpunkt Beschluss nicht mehr angefochten werden kann und damit Rechtssicherheit über die Wirksamkeit eines Beschlusses eintritt.1 Konzeptionell knüpft § 112 HGB an aktienrechtliche Regelung zur Anfechtungsfrist in § 246 Abs. 1 AktG an, so dass diese Regelung zur dogmatischen Ausdeutung des § 112 HGB herangezogen werden kann. Inhaltlich weicht § 112 HGB allerdings beträchtlich von § 246 Abs. 1 AktG ab. 2 § 112 HGB regelt Anfechtungsfrist und damit spiegelbildlich korrespondierend Wirksam-
werden eines Beschusses in drei Stufen: Abs. 1 sieht für Klageerhebung zunächst starre Frist von drei Monaten vor. Abs. 2 regelt Fristbeginn, wobei dieser nicht wie im Aktienrecht starr 1 Vgl. auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 230.
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Klagefrist | Rz. 5 § 112 HGB
an Zeitpunkt der Beschlussfassung anknüpft, sondern an Tag, an dem Beschluss anfechtungsbefugtem Gesellschafter jeweils bekanntgegeben worden ist. Abs. 3 sorgt für noch weitergehende Flexibilisierung, indem er bestimmt, dass Klagefrist für Dauer von Vergleichsverhandlungen über Gegenstand des Beschlusses oder die ihm zugrunde liegenden Umstände zwischen dem anfechtungsbefugten Gesellschafter und der Gesellschaft gehemmt ist und Klagefrist frühestens einen Monat nach Scheitern der Vergleichsverhandlungen endet. Regelungen des § 112 HGB sind dispositiv.2 Durch Vorgabe einer Untergrenze von einem Monat bringt § 112 Abs. 1 HGB dies für Klagefrist implizit zum Ausdruck. Abweichungen von § 112 HGB können mit vertraglich bestimmter Mehrheit im Gesellschaftsvertrag geregelt oder ad-hoc – auch noch nach der betreffenden Beschlussfassung – entsprechend vereinbart werden.3 Rechtsinstitut der Verwirkung bleibt neben § 112 HGB anwendbar, so dass ein Gesellschafter einen Beschluss trotz fehlender Bekanntgabe ausnahmsweise dann nicht mehr anfechten kann, wenn er von dem Beschluss sonstwie Kenntnis erlangt hat und dennoch keine Klage erhebt.4
II. Anfechtungsfrist (Abs. 1) 1. Dreimonatige Klagefrist (Abs. 1 Satz 1) a) Materiell-rechtliche Ausschlussfrist § 112 Abs. 1 Satz 1 HGB schreibt dreimonatige Klagefrist vor. Hierbei handelt es sich um 3 materiell-rechtliche Frist.5 Verspätete Klage ist deshalb nicht unzulässig, sondern unbegründet.6 Vorschriften der ZPO über Fristen sind nicht anwendbar. Klagefrist kann also nicht nach § 224 ZPO verlängert werden.7 Auch gibt es keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach §§ 233 ff. ZPO.8 Weil es nicht um die Zulässigkeit der Klage oder sonst um das Verfahren geht, ist ferner § 538 Abs. 2 Nr. 1, 3 ZPO weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar.9 Weiter handelt es sich bei Dreimonatsfrist um Ausschluss- oder Präklusionsfrist und nicht 4 um Verjährungsfrist.10 Deshalb gibt es keine Hemmung nach §§ 203 ff. BGB.11 Fristversäumnis begründet keine Einrede gem. § 214 BGB. Vielmehr lässt sie Anfechtungsbefugnis kraft Gesetzes entfallen. Klage ist deshalb auch dann abweisungsreif, wenn sich beklagte Gesellschaft nicht auf Fristablauf beruft. Das gilt auch noch in Revisionsinstanz.12 b) Fristwahrung Anfechtungsfrist ist gewahrt, wenn Anfechtungsklage spätestens am letzten Tag der Frist 5 durch Zustellung der Klageschrift erhoben wird (§ 253 Abs. 1 ZPO). § 167 ZPO ist anwendbar, so dass auch rechtzeitige Einreichung der Klageschrift bei Gericht genügt, sofern Zustel-
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Vgl. auch Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 112 HGB Rz. 9. Vgl. auch Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 112 HGB Rz. 11. Ebenso Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 112 HGB Rz. 12, 22. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 230 f. RG v. 4.12.1928 – II 226/28, RGZ 123, 204, 207 (AG). RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 231. Vgl. RG v. 4.12.1928 – II 226/28, RGZ 123, 204, 207 (AG). Vgl. RG v. 4.12.1928 – II 226/28, RGZ 123, 204, 207 (AG). RG v. 21.6.1929 – II 550/1928, RGZ 125, 143, 155 f. (Gen). RG v. 22.7.1938 – VII 47/38, RGZ 158, 137, 140. RG v. 21.6.1929 – II 550/1928, RGZ 125, 143, 155 (Gen); BGH v. 15.6.1998 – II ZR 40–97, NJW 1998, 3344, 3345 (GmbH). Holle | 817
§ 112 HGB Rz. 5 | Offene Handelsgesellschaft lung demnächst erfolgt.13 Zustellungsverzögerungen durch unvollständige Anschriften oder verspätete Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses und dergleichen gehen zu Lasten des Anfechtungsklägers.14 Wenn Zustellung zunächst infolge eines Versehens der Geschäftsstelle unterbleibt, kann sie wirksam nachgeholt werden.15 6 Obwohl § 113 Abs. 1 HGB ausschließliche Zuständigkeit des LG begründet, in dessen Bezirk
Gesellschaft ihren Sitz hat, genügt für Fristwahrung grundsätzlich auch eine Klageeinreichung vor einem unzuständigen Gericht. Dieser Fall ist jedoch nicht gegeben, wenn an zuständiges LG gerichtete Klage fälschlich beim AG eingereicht wird.16 Unschädlich ist, wenn Beschluss des § 281 ZPO erst nach Ablauf der Monatsfrist ergeht.17 Materiell-rechtlicher Charakter der Anfechtungsfrist steht solcher Sichtweise nicht entgegen, weil Ausschlussfrist gerade durch Prozesshandlung gewahrt werden soll und daher insoweit auch prozessuale Grundsätze gelten müssen.18 7 Ausgehend vom Wortlaut des § 112 Abs. 1 HGB wird Anfechtungsfrist nur durch Klage-
erhebung gewahrt. Fraglich ist, ob auch Antrag auf Prozesskostenhilfe Frist wahren kann. Im Aktienrecht wird dies mittlerweile von herrschender Lehre bejaht,19 im GmbH-Recht ebenfalls, teilweise allerdings unter Voraussetzung, dass Anfechtungsfrist nicht statutarisch festgelegt wurde.20 Man wird abwarten müssen, wie sich Meinungsbild bei Personengesellschaften justiert.21 Auch wenn es durchaus sachgerecht wäre, Antrag auf Prozesskostenhilfe ausreichen zu lassen, ist Praxis daher zu raten, Fristwahrung nicht an Antrag auf Prozesskostenhilfe zu stützen. 8 Pauschale Anfechtung eines Gesellschafterbeschlusses ohne weitere Begründung genügt
nicht zur Fristwahrung. Vielmehr müssen Anfechtungsgründe binnen der Anfechtungsfrist in ihrem wesentlichen tatsächlichen Kern dargelegt werden.22 Außerhalb der Anfechtungsfrist nachgeschobene Anfechtungsgründe bleiben dementsprechend unbeachtlich.23
2. Abweichende Vereinbarung der Klagefrist (Abs. 1 Satz 2) 9 Nach § 112 Abs. 1 Satz 2 HGB ist Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag, welche kürzere Frist
als einen Monat vorsieht, unwirksam. Vorschrift bringt damit einerseits zum Ausdruck, dass Gesellschafter Klagefrist durch Vereinbarung abweichend regeln können. Andererseits setzt sie solcher Vereinbarung aber auch Untergrenze dergestalt, dass Anfechtungsfrist nicht
13 BGH v. 10.11.1954 – II ZR 299/53, BGHZ 15, 177, 180 = NJW 1955, 178 (Gen); BGH v. 23.5.1960 – II ZR 89/58, BGHZ 32, 318, 322 = NJW 1960, 1447 (Gen); BGH v. 27.5.1974 – II ZR 109/72, NJW 1974, 1557 f. (AG); ausführliche Konkretisierung bei Wertenbruch in FS Heidel, 2021, S. 751 ff.: bis zu 14 Tagen. 14 BGH v. 8.2.2011 – II ZR 206/08, NZG 2011, 506 Rz. 13 = ZIP 2011, 637 (AG). 15 OLG München v. 28.7.2010 – 7 AktG 2/10, ZIP 2011, 1147, 1148 (AG). 16 LG Hannover v. 29.5.1992 – 23 0 64 u. 77/91, ZIP 1992, 1236, 1238 (AG). 17 Vgl. zum Finanzvertrag BGH v. 6.2.1961 – III ZR 13/60, BGHZ 34, 230, 234 f. = NJW 1961, 1014; zu § 23 Abs. 4 WEG BGH v. 17.9.1998 – V ZB 14/98, BGHZ 139, 305, 306 ff. = NJW 1998, 3648. 18 Vgl. auch OLG Dresden v. 1.12.1998 – 7 W 426/98, NZG 1999, 403, 404 (AG). 19 Eingehend zum Meinungsbild im Aktienrecht Koch, 17. Aufl. 2023, § 246 AktG Rz. 25. 20 Vgl. Altmeppen, 11. Aufl. 2023, Anh. § 47 GmbHG Rz. 104 m.w.N. 21 Antrag auf Prozesskostenhilfe ausreichen lassend Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 112 HGB Rz. 29. 22 Vgl. etwa BGH v. 23.2.2021 – II ZR 65/19, BGHZ 229, 27 Rz. 96 = NZG 2021, 782 = ZIP 2021, 738 (AG). 23 Eingehender Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 112 HGB Rz. 32; Koch, 17. Aufl. 2023, § 246 AktG Rz. 26.
818 | Holle
Klagefrist | Rz. 11 § 112 HGB
unter Schwelle eines Monats herabgesenkt werden kann. Frist von vier Wochen ist demnach zu kurz bemessen.24 Gesellschafter sollten im Blick haben, dass Gesetzgeber Klagefrist für das Recht der Per- 10 sonenhandelsgesellschaften bewusst großzügiger bemessen hat als im Aktienrecht.25 Er begründet dies damit, dass Beschlüssen von Personenhandelsgesellschaftern weniger Breitenwirkung zukommt als solchen der Aktionäre. Bei der eher auf Vertrauensbasis gegründeten Personengesellschaft sei der gesellschaftsinternen Abklärung und Verständigung tendenziell mehr Gewicht beizumessen als der schnellen Herbeiführung rechtsklarer Umstände.26 Insoweit sei vor allem zu bedenken, dass die Auswirkungen einer Anfechtungsklage auf das Verhältnis der Gesellschafter untereinander häufig erheblich sein werden und die Vertrauensgrundlage zwischen den Gesellschaftern nachhaltig in Mitleidenschaft ziehen können.27 Erwägungen sind durchaus zutreffend, so dass Gesellschafter nicht unüberlegt zu kürzerer Frist greifen sollten. Allerdings ist gesetzliche Fixierung der Frist damit auch ganz auf idealtypische Personenhandelsgesellschaft in Form einer Arbeits- und Haftungsgemeinschaft mit überschaubarem Gesellschafterkreis zugeschnitten. Bei größeren Publikumspersonengesellschaften kann Verkürzung der Frist in Anlehnung an einmonatige Frist im Aktienrecht daher durchaus sachgerecht sein. Abgesehen hiervon gilt es zu bedenken, dass Klagefrist für die Dauer von Vergleichsverhandlungen über Gegenstand des Beschlusses oder die ihm zugrunde liegenden Umstände ohnehin gehemmt ist.
III. Fristlauf und -berechnung (Abs. 2) 1. Fristbeginn mit Bekanntgabe des Beschlusses Wann Frist zur Erhebung einer Anfechtungsklage zu laufen beginnt, regelt § 112 Abs. 2 11 HGB. Vorschrift ist von dem Gedanken getragen, dass in § 112 Abs. 1 HGB geregelte Anfechtungsfrist ihren Zweck, Rechtssicherheit über die Wirksamkeit eines Beschlusses zu erzeugen, nur erreichen kann, wenn sich der Beginn der Anfechtungsfrist für alle Beteiligten hinreichend klar bestimmen lässt. Die Frist wie im Aktienrecht (§ 246 Abs. 1 AktG) mit der Beschlussfassung beginnen zu lassen, erachtete Gesetzgeber als nicht zweckmäßig. Bei den verschiedenen Arten, in denen eine Beschlussfassung möglich ist, könne ungewiss sein, wann der Beschluss gefasst ist.28 Stattdessen macht das Gesetz den Beginn der Anfechtungsfrist nun von der Bekanntgabe des Beschlusses an den anfechtungsbefugten Gesellschafter abhängig. Solches Bekanntgabeerfordernis erübrigt sich nicht etwa, wenn man mit hier vertretener Auffassung davon ausgeht, dass Beschlussergebnis festgestellt werden muss, um Beschluss tatbestandlich hervorzubringen (§ 714 BGB Rz. 17 ff., 21 ff.). Denn die Feststellung des Beschlussergebnisses hat grundsätzlich gegenüber der Gesellschaft zu erfolgen. Mit ihr geht nicht denknotwendig einher, dass jeder Gesellschafter – insbesondere die bei Beschlussfassung nicht anwesenden Gesellschafter – von dem Beschluss Kenntnis erlangen kann. Geht man hingegen mit tradierter Auffassung davon aus, dass es zur tatbestandlichen Hervorbringung keiner Feststellung des Beschlussergebnisses bedarf, so wird eine solche zumindest zur Voraussetzung für das Eingreifen des Anfechtungsregimes.29 Denn ohne Bekanntgabe des Beschlusses beginnt Anfechtungsfrist nicht zu laufen und Bekanntgabe führt wiederum da-
24 25 26 27 28 29
Vgl. BGH v. 21.3.1988 – II ZR 308/87, BGHZ 104, 66, 70 ff. = NJW 1988, 1844 = ZIP 1988, 703. Vgl. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 231. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 231. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 231. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 231. Vgl. dann auch Schäfer, ZIP 2021, 1527, 1531 f. Holle | 819
§ 112 HGB Rz. 11 | Offene Handelsgesellschaft zu, dass Anfechtungsklage inhaltlicher Bezugspunkt und Beschluss damit „festgestelltes“ Ergebnis gegeben wird.30 12 In welchem Zeitpunkt ein Beschluss dem anfechtungsbefugten Gesellschafter bekannt gege-
ben wurde und Frist damit zu laufen beginnt, richtet sich nach § 130 Abs. 1 BGB.31 Maßgeblich für Fristbeginn ist also Tag, an dem Beschluss anfechtungsbefugtem Gesellschafter zugegangen ist. Eine besondere Form ist hierfür nicht vorgesehen, wobei Gesellschaft aber zu empfehlen ist, Bekanntgabe zu dokumentieren.32 Gegenüber den bei Beschlussfassung anwesenden oder vertretenen Gesellschaftern wird es durch Beschlussfeststellung regelmäßig bei der Beschlussfassung selbst zur Bekanntgabe kommen.33 Bei abwesenden Gesellschaftern wird Bekanntgabe regelmäßig durch Übersendung des Beschlussprotokolls erfolgen.34 Dabei hat jeder Gesellschafter grundsätzlich selbst für seine Erreichbarkeit Sorge zu tragen.35 Gesellschaft darf insoweit auf ihr mitgeteilte Angaben vertrauen und muss grundsätzlich keine weiteren Erkundigungen einholen, wobei das auch dann gelten soll, wenn Brief an einen Gesellschafter als Postrückläufer wieder zurückkommt.36 Dabei soll bei Versand im Inland von einer Zustellungsdauer von zwei Tagen und bei Versand ins Ausland von vier Tagen nach Aufgabe zur Post auszugehen sein.37 Befindet sich ein Gesellschafter in einer Zwangslage – etwa weil ihm seitens der Gesellschaft widerrechtlich gedroht wurde, keine Klage zu erheben – wird davon ausgegangen, dass Anfechtungsfrist nicht mit Bekanntgabe beginnt, sondern erst, wenn Zwangslage endet.38 13 Tag der Bekanntgabe wird gem. § 187 Abs. 1 BGB bei Fristberechnung nicht mitgerechnet.
Fristende ist nach § 188 Abs. 2 BGB zu bestimmen. Fällt Fristende auf einen Sonntag, Feiertag oder Sonnabend, läuft Frist erst mit dem Ende des nächsten Werktags ab (§ 193 BGB).39 14 Gemäß § 111 Abs. 1 HGB ist auch Rechtsnachfolger eines Gesellschafters, der Gesellschaft
im Zeitpunkt der Beschlussanfechtung angehörte, anfechtungsbefugt. Wortlaut des § 112 Abs. 2 HGB verlangt für Fristbeginn, dass der Beschluss dem „anfechtungsbefugten Gesellschafter“ bekanntgegeben worden ist. Hiernach läge es nahe, auf Beschlussbekanntgabe beim Rechtsnachfolger abzustellen. Hierdurch würde die Bestandskraft eines Beschlusses durch Rechtsnachfolge allerdings hinausgeschoben. Dass dies vom Gesetzgeber so beabsichtigt war, ist wenig wahrscheinlich. Erste Stellungnahmen gehen dahin, dass es insoweit bei der Bekanntgabe des Beschlusses gegenüber dem Rechtsvorgänger bleiben muss.40 Auf Beschlussbekanntgabe gegenüber dem Rechtsnachfolger ist für Fristbeginn nur dann abzustellen, wenn Bekanntgabe gegenüber dem Rechtsvorgänger unterblieben ist.
30 Vgl. auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 231. 31 RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 231; Liebscher in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 84; zu den Problemen bei unklarer Erbfolge eingehender Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 112 HGB Rz. 18. 32 So auch Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 112 HGB Rz. 21. 33 Ebenso Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 112 HGB Rz. 15; Schäfer, ZIP 2021, 1527, 1532; vgl. auch Drescher, ZGR-Sonderheft 23, 2020, 115, 133. 34 Vgl. abermals auch Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 112 HGB Rz. 15. 35 Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 112 HGB Rz. 19. 36 Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 112 HGB Rz. 19 unter Verweis auf Liebscher in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2023, § 51 GmbHG Rz. 15. 37 Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 112 HGB Rz. 19 unter Verweis auf Altmeppen, 11. Aufl. 2023, § 51 GmbHG Rz. 3. 38 So auch Bayer/Rauch, DB 2021, 2609, 2616; Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 112 HGB Rz. 20. 39 Ausführlicher Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 112 HGB Rz. 25 ff. 40 Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 112 HGB Rz. 4, 17.
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Klagefrist | Rz. 17 § 112 HGB
2. Weitergehende Regelungsmöglichkeiten § 112 Abs. 2 HGB ist insofern dispositiv, als es Gesellschaftern freisteht, Zugangserleichte- 15 rungen zu vereinbaren und Beginn der Anfechtungsfrist abweichend zu regeln.41 So kann es sich etwa anbieten, für Fristbeginn auf Bekanntmachung des Beschlusses in einem von der Gesellschaft zur Information der Gesellschafter bereit gehaltenen Medium (Homepage, gesellschaftsinterner Newsletter) zu verweisen. § 112 Abs. 1 Satz 2 HGB setzt abweichenden Regelungen zum Fristbeginn allerdings insofern eine Grenze, als die Frist zur Anfechtung insgesamt nicht weniger als einen Monat ab Bekanntgabe des Beschlusses betragen darf. Unzulässig wäre daher etwa die Übernahme des § 246 Abs. 1 AktG, der eine Anfechtungsfrist von einem Monat ab dem Tag der Beschlussfassung vorsieht, weil die Anfechtungsfrist hierdurch für nicht anwesende Gesellschafter, die erst später informiert werden, auf weniger als einen Monat verkürzt würde.42
IV. Fristhemmung (Abs. 3) 1. Grundlagen § 112 Abs. 3 HGB schreibt vor, dass der Lauf der Klagefrist für die Dauer von Vergleichsver- 16 handlungen gehemmt ist. Mit solchem Hemmungstatbestand heben sich personengesellschaftsrechtliche Beschlussanfechtungsregelungen von ihrem aktienrechtlichen Vorbild ab. Das ist sachgerecht, weil bei Personengesellschaften wegen deren personalistischer Struktur ungleich größeres Interesse an außergerichtlicher Streitvermeidung und -schlichtung besteht als bei Aktiengesellschaft.43 Diesem Interesse würde nicht Rechnung getragen, wenn Gesellschafter unabhängig von außergerichtlichem Bemühen zur Streitbeilegung binnen dreier Monate in eine gerichtliche Auseinandersetzung gezwungen würden, um ihrem Recht auf Beschlussanfechtung nicht verlustig zu gehen. Eigenständige gesetzliche Regelung der Hemmung war deswegen geboten, weil allgemeine Vorschriften zur Fristhemmung während Verhandlungen (§§ 203, 209 BGB) auf Klagefrist als materiell-rechtliche Ausschlussfrist jedenfalls keine direkte Anwendung finden.44 Bei der Ausgestaltung des § 112 Abs. 3 HGB hat sich Gesetzgeber ansonsten allerdings am Konzept der §§ 203, 209 BGB orientiert, so dass für Einzelfragen gegebenenfalls dort geltende Grundsätze herangezogen werden können.45 Vorschrift des § 112 Abs. 3 HGB setzt voraus, dass Vergleichsverhandlungen auch tatsächlich 17 geführt werden. Für § 112 Abs. 3 HGB nicht ausreichend, losgelöst von dieser Vorschrift aber gleichwohl möglich (s. Rz. 2),46 ist bloße Verlängerungsvereinbarung dergestalt, dass sich Gesellschaft mit Gesellschafter darauf verständigt, dass Anfechtungsfrist ruhen soll beziehungsweise gehemmt ist.47 Auch § 112 Abs. 3 HGB ist dispositiv.48 Gesellschafter können Hemmung der Anfechtungsfrist im Gesellschaftsvertrag ganz ausschließen oder auch deren Voraussetzungen abweichend vom Gesetz regeln.49 Eingetretene Hemmung wirkt auch zugunsten eines Rechtsnachfolgers, ihr Fortdauern setzt dann allerdings voraus, dass Hem41 Vgl. auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 231; Liebscher in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 84. 42 So auch Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 112 HGB Rz. 23. 43 Wegen angeblich fehlender Konturen und Rechtssicherheit kritisch Otte, ZIP 2020, 1743, 1748. 44 Vgl. auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 231; M. Noack, ZIP 2020, 1382, 1387. 45 Siehe auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 231; Liebscher in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 86. 46 Vgl. auch Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 112 HGB Rz. 42. 47 Ebenso Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 112 HGB Rz. 34. 48 Siehe auch Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 112 HGB Rz. 35, 54. 49 Siehe auch Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 112 HGB Rz. 35, 54. Holle | 821
§ 112 HGB Rz. 17 | Offene Handelsgesellschaft mungstatbestand von der Person des Rechtsnachfolgers aufrechterhalten wird, dieser also die Verhandlungen weiterführt oder hiervon losgelöst in neue Verhandlungen eintritt.50
2. Vergleichsverhandlungen (Abs. 3 Satz 1) a) Meinungsaustausch 18 Hemmung der Anfechtungsfrist setzt zunächst das Führen von Vergleichsverhandlungen vo-
raus. Das erfordert einen Meinungsaustausch, auf Grund dessen davon ausgegangen werden kann, dass gegenständliche Frage unter Beteiligten noch nicht endgültig geklärt ist. Perspektivisch kommt es dabei stets darauf an, welchen Eindruck das in Rede stehende Verhalten auf die gegenüberstehende Person macht. Unerheblich ist, welche Bedeutung einer der Beteiligten selbst seinem Verhalten zugemessen hat.51 19 Nicht erforderlich ist, dass Verhandlungspartner seine Vergleichsbereitschaft geäußert hat52
oder dass Meinungsaustausch als „Verhandlung“ bezeichnet worden ist.53 Auch Verwenden von Textbausteinen schließt Annahme von Verhandlungen nicht aus.54 Entscheidend ist, dass sich aus Verhalten zumindest konkludent ergibt, man sei grundsätzlich zu einer einverständlichen Regelung bereit.55 Beim Gegenüber muss der Eindruck erweckt werden, man befasse sich inhaltlich mit dem Sachverhalt, so dass ein weiteres Vorgehen einstweilen nicht geboten erscheint.56 Verhandlung liegt daher auch vor, wenn eine der Parteien spätere Rückmeldung auf einen einigermaßen substantiierten Vorschlag in Aussicht stellt, namentlich wenn sie erklärt, es müsse vor einer Entscheidung noch eine nähere Prüfung stattfinden, wobei diese Prüfung auch auf einen Rechtsanwalt ausgelagert sein kann.57 Die Voraussetzungen einer Verhandlung sollen selbst dann noch gegeben sein, wenn eine Seite pauschale Vorwürfe zurückweist, sich aber unter der Voraussetzung, dass andere Seite den zugrunde liegenden Sachverhalt im Detail schildert, anbietet, zur Aufklärung des Sachverhalts beizutragen.58 Gleiches gilt, wenn sich eine Seite zwar auf eine Verfristung beruft, gleichzeitig aber bereit ist, dem Gegenüber die zur (vermeintlichen) Verfristung führenden Umstände darzulegen.59 Nicht ausreichend ist es aber, wenn eine Partei auf Anfrage lediglich mit einer formularmäßigen Eingangsbestätigung reagiert.60 b) Gegenstand der Verhandlungen
20 Der Bezugspunkt etwaiger Verhandlungen müssen der Gegenstand des Beschlusses oder die
ihm zugrunde liegende Umstände sein. Genaues Verhältnis dieser beiden Varianten bleibt dunkel. Gesetzgeber folgert aus ihrer Kombination jedenfalls, dass Verhandlungen nicht auf
50 51 52 53 54 55 56 57
Ebenso Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 112 HGB Rz. 53. Vgl. mit Blick auf § 203 BGB Grothe in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2021, § 203 BGB Rz. 5. BGH v. 26.10.2006 – VII ZR 194/05, NJW 2007, 587 Rz. 10 (§ 203 BGB). Grothe in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2021, § 203 BGB Rz. 6. Grothe in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2021, § 203 BGB Rz. 6. Grothe in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2021, § 203 BGB Rz. 6. Grothe in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2021, § 203 BGB Rz. 6. BGH v. 26.1.1988 – VI ZR 120/87, NJW-RR 1988, 730 f.; Grothe in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2021, § 203 BGB Rz. 6. 58 BGH v. 8.5.2001 – VI ZR 208/00, NJW-RR 2001, 1168, 1169 (§ 203 BGB). 59 BGH v. 13.5.1997 – VI ZR 181/96, NJW 1997, 3447, 3448 f.; Grothe in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2021, § 203 BGB Rz. 7. 60 BGH v. 26.9.2006 – VI ZR 124/05, NJW 2007, 64 Rz. 5; BGH v. 26.1.1988 – VI ZR 120/87, NJWRR 1988, 730, 731.
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Klagefrist | Rz. 24 § 112 HGB
den Streitgegenstand eines späteren Prozesses beschränkt bleiben müssten.61 In Bezug auf einen Ausschließungsbeschluss sollen beispielsweise auch Verhandlungen über ein einvernehmliches Ausscheiden des betroffenen Gesellschafters genügen.62 Der Gegenstand des Beschlusses wird herkömmlicherweise durch den dem jeweiligen Be- 21 schluss zugrunde liegenden Beschlussantrag umrissen, erfasst also einerseits den Sachverhalt, der durch den Beschluss geregelt werden soll und andererseits die mit dem Beschlussantrag hierzu konkret unterbreitete Lösung. Hiervon ausgehend würde erst Einbeziehung der dem Beschluss zugrunde liegenden Umstände zu einer Erweiterung des Verhandlungsgegenstands dergestalt führen, dass losgelöst von dem im Beschlussantrag konkret unterbreiteten Lösungsvorschlag sämtliche Verhandlungen einbezogen sind, die den zu regelnden Sachverhalt betreffen und zu dem Beschluss daher eine gewisse Sachnähe aufweisen.63 Ebenso müssen allerdings auch Verhandlungen über formale Umstände der Beschlussfassung zum Verhandlungsgegenstand gezählt werden. Solche Umstände liegen letztlich ebenfalls dem Beschluss „zugrunde“, wobei dieses Tatbestandsmerkmal hierdurch eine etwas widersprüchliche Deutung erlangt, weil es einerseits den mit Beschluss zu regelnden Sachverhalt einbeziehen soll und andererseits die formalen Umstände der Beschlussfassung. Ausgehend vom Sinn und Zweck des Hemmungstatbestands wird man im Ergebnis jedenfalls immer schon dann von einer Fristhemmung ausgehen müssen, wenn die laufenden Verhandlungen geeignet sind, eine gerichtliche Klärung der Wirksamkeit des Beschlusses zu erübrigen.64 c) Personenkreis An den Verhandlungen müssen die zukünftigen Prozessparteien beteiligt sein. Die Verhand- 22 lungen müssen daher unter Beteiligung des Anfechtungsklägers und der Gesellschaft stattfinden. Dabei kann Prozessparteien das Verhalten Dritter nach allgemeinen Grundsätzen rechtsgeschäftlicher oder organschaftlicher Vertretung zugerechnet werden.65 Sofern Verhandlungen daher im Gesellschafterkreis geführt werden, kommt es darauf an, ob sie Gesellschaft zugerechnet werden können, inwieweit die Diskussionsteilnehmer also vertretungsbefugt sind. Keine Rolle spielt, von welcher Seite aus Verhandlungen angestoßen werden. Verhandlun- 23 gen liegen also auch vor, wenn die Gesellschaft mit der Mitteilung an einen Gesellschafter herantritt, sie werde die Umstände der Beschlussfassung noch einmal prüfen. Sofern ein Gesellschafter an die Gesellschaft herantritt, ist zu bedenken, dass Reaktion der Gesellschaft im Regelfall erst nach Ablauf einer angemessenen Frist zu erwarten ist, innerhalb derer sämtliche Gesellschafter informiert und gegebenenfalls ein ermächtigender Gesellschafterbeschluss zur Führung von Vergleichsverhandlungen eingeholt werden können.66
3. Ende und Wirkung der Hemmung (Abs. 3 Satz 2) § 112 Abs. 3 Satz 2 HGB verweist für das Ende der Hemmung auf § 203 BGB, modifiziert 24 diese Regelung aber insoweit, als Klagefrist frühestens einen Monat nach Scheitern der Vergleichsverhandlungen endet. Gemäß § 203 Satz 1 BGB endet Hemmung daher, sobald eine
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RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 232. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 232. Vgl. auch Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 112 HGB Rz. 47. So treffend Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 112 HGB Rz. 48. Vgl. auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 232. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 232. Holle | 823
§ 112 HGB Rz. 24 | Offene Handelsgesellschaft Partei Fortsetzung der Verhandlungen verweigert. Erforderlich ist, dass eine Partei unmissverständlich zu verstehen gibt, dass sie Verhandlungen nicht weiter fortsetzen möchte und Begehren des Gegenübers zurückweist („doppeltes Nein“).67 Dass die Klagefrist frühestens einen Monat nach dem Scheitern der Vergleichsverhandlungen endet, soll Gesellschafter davor bewahren, vom Ende der Hemmung überrascht zu werden, und ihm gewisse Überlegungsfrist sichern.68 Verbleibt nach Ende der Hemmung noch Frist von mehr als einem Monat, kommt es auf diese Vorgabe nicht an.69 25 Hinsichtlich der Wirkung der Hemmung verweist § 112 Abs. 3 Satz 2 HGB auf § 209 BGB,
so dass der Zeitraum, während dessen Anfechtungsfrist gehemmt ist, in Anfechtungsfrist nicht einzurechnen ist. Da die Zeit der Hemmung keine Frist i.S.d. §§ 186 ff. BGB ist, finden die dort genannten Vorgaben keine Anwendung.70 Die Hemmung beginnt daher bereits mit dem Tag, an dem der Hemmungsgrund eingetreten ist, und sie endet mit dem Tag seines Wegfalls. Die Anzahl der Tage, während derer die Anfechtungsfrist gehemmt war, ist sodann auf das Datum zu addieren, an dem Anfechtungsfrist ursprünglich abgelaufen wäre. § 191 BGB findet keine Anwendung.71
§ 113 HGB Anfechtungsklage (1) Zuständig für die Anfechtungsklage ist ausschließlich das LG, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat. (2) 1Die Klage ist gegen die Gesellschaft zu richten. 2Ist außer dem Kläger kein Gesellschafter zur Vertretung der Gesellschaft befugt, wird die Gesellschaft von den anderen Gesellschaftern gemeinsam vertreten. (3) 1Die Gesellschaft hat die Gesellschafter unverzüglich über die Erhebung der Klage und die Lage des Rechtsstreits zu unterrichten. 2Ferner hat sie das Gericht über die erfolgte Unterrichtung in Kenntnis zu setzen. 3Das Gericht hat auf eine unverzügliche Unterrichtung der Gesellschafter hinzuwirken. (4) 1Die mündliche Verhandlung soll nicht vor Ablauf der Klagefrist stattfinden. 2Mehrere Anfechtungsprozesse sind zur gleichzeitigen Verhandlung und Entscheidung zu verbinden. (5) Den Streitwert bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Bedeutung der Sache für die Parteien, nach billigem Ermessen. (6) Soweit der Gesellschafterbeschluss durch rechtskräftiges Urteil für nichtig erklärt worden ist, wirkt das Urteil für und gegen alle Gesellschafter, auch wenn sie nicht Partei sind. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436).
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Anschaulich Ellenberger in Grüneberg, 82. Aufl. 2023, § 203 BGB Rz. 4. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 232. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 232. Vgl. Grothe in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2021, § 209 Rz. 4. Ausführlich mit Beispiel Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 112 HGB Rz. 52 f.
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§ 112 HGB Rz. 24 | Offene Handelsgesellschaft Partei Fortsetzung der Verhandlungen verweigert. Erforderlich ist, dass eine Partei unmissverständlich zu verstehen gibt, dass sie Verhandlungen nicht weiter fortsetzen möchte und Begehren des Gegenübers zurückweist („doppeltes Nein“).67 Dass die Klagefrist frühestens einen Monat nach dem Scheitern der Vergleichsverhandlungen endet, soll Gesellschafter davor bewahren, vom Ende der Hemmung überrascht zu werden, und ihm gewisse Überlegungsfrist sichern.68 Verbleibt nach Ende der Hemmung noch Frist von mehr als einem Monat, kommt es auf diese Vorgabe nicht an.69 25 Hinsichtlich der Wirkung der Hemmung verweist § 112 Abs. 3 Satz 2 HGB auf § 209 BGB,
so dass der Zeitraum, während dessen Anfechtungsfrist gehemmt ist, in Anfechtungsfrist nicht einzurechnen ist. Da die Zeit der Hemmung keine Frist i.S.d. §§ 186 ff. BGB ist, finden die dort genannten Vorgaben keine Anwendung.70 Die Hemmung beginnt daher bereits mit dem Tag, an dem der Hemmungsgrund eingetreten ist, und sie endet mit dem Tag seines Wegfalls. Die Anzahl der Tage, während derer die Anfechtungsfrist gehemmt war, ist sodann auf das Datum zu addieren, an dem Anfechtungsfrist ursprünglich abgelaufen wäre. § 191 BGB findet keine Anwendung.71
§ 113 HGB Anfechtungsklage (1) Zuständig für die Anfechtungsklage ist ausschließlich das LG, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat. (2) 1Die Klage ist gegen die Gesellschaft zu richten. 2Ist außer dem Kläger kein Gesellschafter zur Vertretung der Gesellschaft befugt, wird die Gesellschaft von den anderen Gesellschaftern gemeinsam vertreten. (3) 1Die Gesellschaft hat die Gesellschafter unverzüglich über die Erhebung der Klage und die Lage des Rechtsstreits zu unterrichten. 2Ferner hat sie das Gericht über die erfolgte Unterrichtung in Kenntnis zu setzen. 3Das Gericht hat auf eine unverzügliche Unterrichtung der Gesellschafter hinzuwirken. (4) 1Die mündliche Verhandlung soll nicht vor Ablauf der Klagefrist stattfinden. 2Mehrere Anfechtungsprozesse sind zur gleichzeitigen Verhandlung und Entscheidung zu verbinden. (5) Den Streitwert bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Bedeutung der Sache für die Parteien, nach billigem Ermessen. (6) Soweit der Gesellschafterbeschluss durch rechtskräftiges Urteil für nichtig erklärt worden ist, wirkt das Urteil für und gegen alle Gesellschafter, auch wenn sie nicht Partei sind. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436).
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Anschaulich Ellenberger in Grüneberg, 82. Aufl. 2023, § 203 BGB Rz. 4. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 232. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 232. Vgl. Grothe in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2021, § 209 Rz. 4. Ausführlich mit Beispiel Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 112 HGB Rz. 52 f.
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Anfechtungsklage | Rz. 2 § 113 HGB I. Regelungsgegenstand und Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundlagen 1. Prozessparteien; Nebenintervention a) Kläger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beklagte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Nebenintervention . . . . . . . . . . . . . . . 2. Klageart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsschutzbedürfnis, Missbrauch und Abmahnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Streitgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Dispositionsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . 6. Schiedsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gerichtliche Zuständigkeit (Abs. 1) . . IV. Passivlegitimation (Abs. 2) 1. Gesellschaft als Klagegegner (Abs. 2 Satz 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Vertretung der Gesellschaft im Prozess (Abs. 2 Satz 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Unterrichtung der Gesellschafter (Abs. 3) 1. Hintergrund der Regelung . . . . . . . . . . 2. Gesellschafterbezogene Unterrichtungspflicht der Gesellschaft (Satz 1) . . . . . . . 3. Gerichtsbezogene Informationspflicht der Gesellschaft (Satz 2) . . . . . . . . . . . . 4. Gerichtliche Hinwirkung (Satz 3) . . . . 5. Unterrichtung weiterer Personen . . . . . 6. Rechtsfolgen bei unzureichender Unterrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Mündliche Verhandlung und Verbindungszwang (Abs. 4) . . . . . . . . VII. Streitwert (Abs. 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Rechtskraft (Abs. 6) . . . . . . . . . . . . . . .
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Schrifttum: Bayer/Rauch, Beschlussmängel im neuen Recht der Personengesellschaften nach dem MoPeG, DB 2021, 2609 ff.; Bork, Das Anerkenntnis im aktienrechtlichen Beschlußanfechtungsverfahren, ZIP 1992, 1205 ff.; Jobst, Schiedsgerichtliche Beilegung von Beschlussmängelstreitigkeiten in Personengesellschaften nach dem MoPeG – Zugleich Besprechung von BGH, Beschluss vom 23.9.2021 – I ZB 13/21, ZIP 2022, 125, ZIP 2022, 884 ff.; Liebscher/Günthner, Die Schiedsfähigkeit von im Feststellungsstreit auszutragenden Beschlussmängelstreitigkeiten im Lichte des MoPeG, ZIP 2022, 713 ff.; M. Noack, Adieu „Feststellungsmodell“, bonjour „Anfechtungsmodell“ – über den Systemwechsel im Beschlussmängelrecht der Personengesellschaften, ZIP 2020, 1382 ff.; M. Noack, Lösungsansätze zur Bewältigung negativer Kostenverteilungseffekte bei Beschlussmängelstreitigkeiten nach dem MoPeG, ZIP 2023, 1169 ff.; Otte, Beschlussmängelstreitigkeiten in Personengesellschaften nach dem Mauracher Entwurf für ein Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, ZIP 2020, 1743 ff.; Schäfer, Beschlussfassung und Beschlussanfechtung in der Personenhandelsgesellschaft nach dem MoPeG-RegE, ZIP 2021, 1527 ff.; K. Schmidt, Beschlussmängel und Beschlussmängelstreitigkeiten nach der Modernisierung des Personengesellschaftsrechts – Reformgesetzgebung und Rechtsfortbildung im Dialog, ZHR 187 (2023), 107 ff.; Schwab, Das Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005.
I. Regelungsgegenstand und Normzweck § 113 HGB regelt die prozessualen Modalitäten der Anfechtungsklage. Die Vorschrift ist 1 durch das MoPeG neu gefasst worden. Die bislang in § 113 HGB geregelten Rechtsfolgen bei Verletzung des Wettbewerbsverbots sind inhaltlich unverändert in § 118 HGB verschoben worden. § 113 HGB ist inhaltlich stark an § 246 AktG angelehnt.1 Abs. 1 enthält Vorgaben zur Gerichtszuständigkeit, Abs. 2 regelt Passivlegitimation. Abs. 3 statuiert Verpflichtung, sämtliche Gesellschafter über die Erhebung einer Anfechtungsklage und die Lage des Rechtsstreits zu unterrichten. Abs. 4 ordnet an, mehrere Anfechtungsprozesse zu verbinden. Abs. 5 enthält Regelung zum Streitwert. Abs. 6 widmet sich der Rechtskraftwirkung eines Anfechtungsurteils. § 113 HGB gilt entsprechend für die Nichtigkeitsklage (§ 114 HGB) und die positive Beschlussfeststellungsklage (§ 115 HGB). § 113 HGB bezweckt im Wesentlichen, Rechtssicherheit herzustellen. Passivlegitimation der 2 Gesellschaft (Abs. 2), Bündelung der Klagen vor einem LG (Abs. 1, 4) sowie Erstreckung der Rechtskraft eines stattgebenden Anfechtungsurteils (Abs. 6) auf alle Gesellschafter sollen ein1 Ausführlicher Vergleich bei Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 113 HGB Rz. 3. Holle | 825
§ 113 HGB Rz. 2 | Offene Handelsgesellschaft heitliches und abschließendes Urteil über die Wirksamkeit des Beschlusses gewährleisten. Weitergehende Regelungen sind der Natur der Anfechtungsklage als Gestaltungsklage geschuldet: Unterrichtungspflicht (Abs. 3) soll Klagebeteiligung ermöglichen, Vorgaben zur Streitwertberechnung (Abs. 5) Umstand Rechnung tragen, dass Rechtssache nicht allein das wirtschaftliche Interesse des Klägers zum Gegenstand hat.
II. Grundlagen 1. Prozessparteien; Nebenintervention a) Kläger 3 Kläger einer Anfechtungsklage kann nur sein, wem nach § 111 HGB Anfechtungsbefugnis
zukommt. Da es sich bei der Anfechtungsbefugnis um ein materiell-rechtliches Verwaltungsrecht handelt (§ 111 HGB Rz. 1), ist eine Klage bei fehlender Anfechtungsbefugnis nicht als unzulässig, sondern als unbegründet abzuweisen. Die Klägereigenschaft i.S.d. § 113 HGB ist von Amts wegen zu prüfen, weil von ihr besondere Verfahrensregeln des § 113 HGB abhängen. Eine Prüfung hat in jeder Lage des Verfahrens zu erfolgen, also auch in der Revisionsinstanz.2 Mehrere Anfechtungskläger sind Streitgenossen, und zwar notwendige Streitgenossen gem. § 62 Fall 1 ZPO (prozessrechtlich notwendige Streitgenossenschaft), weil Rechtskraft des Anfechtungsurteils gem. § 113 Abs. 6 HGB für und gegen alle Anfechtungsbefugten wirkt und Gericht deshalb Gesellschafterbeschluss nur einheitlich gegenüber allen Klägern für nichtig erklären kann.3 Dass einzelne Kläger mangels Anfechtungsbefugnis (§ 111 Abs. 1 HGB) oder wegen Fristüberschreitung (§ 112 HGB) abgewiesen werden können und damit Prozessergebnisse nicht notwendig identisch sind, steht einer notwendigen Streitgenossenschaft nicht entgegen.4 b) Beklagte 4 Beklagte einer Anfechtungsklage ist die Gesellschaft. (§ 113 Abs. 2 Satz 1 HGB). Gemäß
§ 56 Abs. 1 ZPO sind Mängel der Parteifähigkeit, der Prozessfähigkeit, der Legitimation eines gesetzlichen Vertreters und der erforderlichen Ermächtigung zur Prozessführung vom Gericht von Amts wegen zu berücksichtigen und machen die Klage unzulässig. c) Nebenintervention 5 Nebenintervention (§ 66 Abs. 1 ZPO) ist sowohl auf Seiten des Anfechtungsklägers als auch
auf Seiten der beklagten Gesellschaft möglich. Nebenintervention setzt gem. § 66 Abs. 1 ZPO rechtl. Interesse am Obsiegen der unterstützten Partei voraus, welches allerdings nicht von Amts wegen zu prüfen ist, sondern gem. § 71 ZPO nur auf Antrag im Rahmen eines Zwischenstreits.5 Es liegt wegen Gestaltungswirkung sowie Rechtskrafterstreckung (§ 113 Abs. 6 HGB) stets vor, wenn der Streithelfer Gesellschafter ist. Dass der Gesellschafter auch die weiteren Voraussetzungen der §§ 111, 112 HGB erfüllt, ist nicht erforderlich. Ein Beitritt kann also auch noch nach Ablauf der Anfechtungsfrist des § 112 HGB erklärt werden.6 Allerdings ist auch der Nebenintervenient mit einem solchen Vorbringen präkludiert, das beim 2 Vgl. auch BGH v. 25.2.1965 – II ZR 287/63, BGHZ 43, 261, 266 = NJW 1965, 1378 (GmbH). 3 Vgl. etwa BGH v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 Rz. 55 = NJW 2009, 2207 = ZIP 2009, 460 (AG). 4 KG v. 9.6.2008 – 2 W 101/07, ZIP 2009, 1223, 1226 (AG). 5 BGH v. 18.10.1962 – V BLw 20/62, BGHZ 38, 110, 111 = NJW 1963, 860. 6 Vgl. auch Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 113 HGB Rz. 31.
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Anfechtungsklage | Rz. 8 § 113 HGB
Anfechtungskläger unter die Ausschlusswirkung des § 112 HGB fällt.7 Dritte können nur ausnahmsweise ein rechtl. Interesse haben, etwa als Partei eines Unternehmens- oder Verschmelzungsvertrags, wenn der Zustimmungsbeschluss der Gesellschafterversammlung angefochten wird, bei einem greifbaren Regressrisiko, oder als besonderer Vertreter, dessen persönliche Rechtsstellung von dem Beschluss berührt wird.8 Der Nebenintervenient wird gem. §§ 61, 69 ZPO Streitgenosse der Hauptpartei; denn das 6 Anfechtungsurteil wirkt für und gegen ihn. Ein Beitritt auf Seiten des Klägers hat für Gesellschafter wenig Sinn. Denn eine Nebenintervention hilft nicht gegen eine Verfahrensbeendigung durch eine Prozesserklärung des Klägers, z.B. durch Klagerücknahme gem. § 269 ZPO oder durch Erklärungen gem. §§ 91a, 306 ZPO oder durch Zurücknahme des Rechtsmittels (§§ 516, 565 ZPO). Der Streithelfer des Berufungsklägers muss auch den Ablauf der Berufungsfrist (§ 517 Halbs. 1 ZPO) gegen sich gelten lassen. Eine Nebenintervention auf Seiten der beklagten Gesellschaft kann für einen Gesellschafter demgegenüber sinnvoll sein, wenn er den Beschluss verteidigen möchte und die Verteidigung durch die Gesellschaft nicht hinreichend gewährleistet sieht. Insoweit wirken Handlungen der Hauptpartei wie Geständnis oder Anerkenntnis (§ 288 bzw. § 307 ZPO) gem. § 61 ZPO auch nicht zum Nachteil des Streitgenossen. Die Gesellschaft kann den Beschluss daher nicht gegen den Streithelfer durch Prozesshandlung preisgeben. Auch §§ 62, 66 Abs. 2 ZPO sind anzuwenden, so dass der Nebenintervenient eine Säumnislage ausschließen und auch Rechtsmittel einlegen kann. Möglich bleibt allerdings, dass die beklagte Gesellschaft ein gegen sie ergangenes Anfechtungsurteil durch Zurücknahme ihres Rechtsmittels (§§ 516, 565 ZPO) rechtskräftig werden lässt. Mit Blick auf die Kostenentscheidung wird im Aktien- sowie im GmbH-Recht keine Kostenparallelität angenommen (§ 100 Abs. 2 ZPO).9 Dasselbe gilt bei echtem Prozessvergleich; auch Anwendung des § 91a ZPO kommt hier nicht in Betracht.10
2. Klageart Anfechtungsklage ist Gestaltungsklage (§ 110 HGB Rz. 23)11 Kläger begehrt eine Änderung 7 der materiellen Rechtslage. Ein vorläufig wirksamer Gesellschafterbeschluss soll wegen eines Mangels mit Rechtskraft des Urteils ungültig werden. Das stattgebende Anfechtungsurteil beseitigt den Beschluss mit Wirkung ex tunc.12
3. Rechtsschutzbedürfnis, Missbrauch und Abmahnung Für eine Anfechtungsklage ist wie für jede Klage ein Rechtsschutzbedürfnis erforderlich. Die- 8 ses ist bei Vorliegen der Anfechtungsbefugnis aber im Regelfall gegeben, auch wenn die Klage dem Gesellschafter keinen Nutzen bringt.13 Eine Übertragung des Gesellschaftsanteils nach dem Zeitpunkt der Beschlussfassung lässt das Rechtsschutzbedürfnis des Rechtsvorgängers gem. § 111 Abs. 2 HGB unberührt, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Führung des Rechtsstreits hat (ausführlich § 111 HGB Rz. 7). Rechtsschutzbedürfnis besteht grund-
7 Vgl. in Bezug auf die AG OLG Stuttgart v. 2.12.2014 – 20 AktG 1/14, AG 2015, 163, 170 = ZIP 2015, 1120. 8 Vgl. auch Austmann, ZHR 158 (1994), 495, 502 f., 507. 9 BGH v. 18.6.2007 – II ZB 23/06, NZG 2007, 789 Rz. 7 ff. = ZIP 2007, 1337 (AG). 10 BGH v. 15.9.2014 – II ZB 22/13, AG 2014, 813 Rz. 6 ff. = ZIP 2014, 1995 (AG). 11 Vgl. auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 230. 12 Vgl. abermals auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 230. 13 Vgl. auch BGH v. 27.4.2009 – II ZR 167/07, NJW 2009, 2300 Rz. 13 = ZIP 2009, 1158 (AG); BGH v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 Rz. 13 = NJW 2013, 1535 = ZIP 2013, 720 (AG). Holle | 827
§ 113 HGB Rz. 8 | Offene Handelsgesellschaft sätzlich auch bei Anfechtung ablehnender Beschlüsse, weil Gesellschafter Rechtmäßigkeit der Ablehnung sowohl in inhaltlicher wie verfahrensmäßiger Beziehung nachprüfen lassen dürfen. Ebenso besteht Rechtsschutzbedürfnis, wenn gleichzeitig mit Anfechtungsklage eine Klage gem. § 115 HGB auf Feststellung des zutreffenden Beschlussergebnisses erhoben wird. Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn der Beschluss überholt ist und keine Wirkung mehr entfalten kann.14 9 Ein Missbrauch des Anfechtungsrechts führt nicht zum Wegfall des Rechtsschutzbedürfnis-
ses, sondern zum Verlust der materiell-rechtlichen Anfechtungsbefugnis. Missbrauch kann anzunehmen sein, wenn Kläger nicht Wohl der Gesellschaft oder berechtigte eigene Interessen im Auge hat, sondern die Gesellschaft erpressen oder ihr nur schaden will. Rechtsmissbrauch kann auch vorliegen, wenn Klage völlig unverhältnismäßig ist. 10 Keine Klagevoraussetzung ist eine Abmahnung der Gesellschaft. Eine Abmahnung der Ge-
sellschaft vor Klageerhebung ist allerdings im Hinblick auf § 93 ZPO zumindest eine Obliegenheit des Anfechtenden. Insoweit ist eine Veranlassung der Klageerhebung zu verneinen, wenn die übrigen Gesellschafter den Beschluss auf Aufforderung des Anfechtungsklägers aufgehoben hätten15 und dem Gesellschafter aus der Abmahnung und dem Hinausschieben der Klage auch keine Nachteile drohten.16 Zugleich kann aus Treuepflicht echte Verpflichtung zur Abmahnung erwachsen, deren Missachtung einen Schadensersatzanspruch der Gesellschaft begründen kann, wenn der angefochtene Beschluss bei Kenntnis der Anfechtungsabsicht nicht ausgeführt worden wäre.
4. Streitgegenstand 11 Streitgegenstand der Anfechtungsklage ist das Begehren des Klägers, die Nichtigkeit des von
ihm bezeichneten Beschlusses wegen des von ihm vorgebrachten Sachverhalts mit Wirkung für und gegen jedermann zu klären.17 Der Streitgegenstand der Anfechtungsklage wird danach durch die jeweils geltend gemachten Beschlussmängelgründe als Teil des zugrunde liegenden Lebenssachverhalts bestimmt.18 Folge hiervon ist, dass nach klageabweisendem Urteil theoretisch eine erneute Klage zulässig wäre, wenn sie auf einen anderen Anfechtungsgrund gestützt würde. Eine im Aktienrecht vertretene Gegenauffassung strebt eine erweiterte Präklusionswirkung des abweisenden Sachurteils an und will den Streitgegenstand daher allein an dem Begehren ausrichten, die Nichtigkeit des Beschlusses mit Wirkung für und gegen jedermann zu klären. Auf eine Konkretisierung des Sachverhaltskomplexes soll es also nicht ankommen.19 Eine solche Konzeption löst sich indes ohne größere Not vom vorherrschenden zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff und ist jedenfalls für das Personengesellschaftsrecht abzulehnen. Folgt man dem am zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff ausgerichteten Verständnis, ist ein Nachschieben eines in seinem Kern neuen Anfechtungs- und Nichtigkeitsgrundes in den Prozess ebenso wie ein entsprechendes Auswechseln von Anfechtungs14 Vgl. BGH v. 15.12.2003 – II ZR 194/01, BGHZ 157, 206, 210 = NJW 2004, 1165 = ZIP 2004, 310: (Neuvornahme); BGH v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 Rz. 10 ff. = NJW 2013, 1535 = ZIP 2013, 720: AR-Wahlanfechtung trotz Amtsniederlegung. 15 OLG Naumburg v. 22.10.1997 – 7 W 34/97, NJW-RR 1998, 1195 f. = GmbHR 1998, 744 (GmbH). 16 OLG Frankfurt v. 30.3.1992 – 5 W 4/92, AG 1993, 185, 186 (AG). 17 H.M. im Aktien- und GmbH-Recht, vgl. etwa BGH v. 7.12.2009 – II ZR 63/08, NZG 2010, 618 Rz. 3 (AG); BGH v. 8.2.2011 – II ZR 206/08, NZG 2011, 506 Rz. 10 (AG); vgl. mit Blick auf §§ 110 ff. HGB etwa M. Noack, ZIP 2020, 1382, 1384 f. 18 BGH v. 7.12.2009 – II ZR 63/08, NZG 2010, 618 Rz. 3 (AG); BGH v. 8.2.2011 – II ZR 206/08, NZG 2011, 506 Rz. 10 = ZIP 2011, 637 (AG). 19 Ehmann in Grigoleit, 2. Aufl. 2020, § 246 AktG Rz. 5; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2017, § 246 AktG Rz. 93 ff.
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Anfechtungsklage | Rz. 13 § 113 HGB
und Nichtigkeitsgründen eine Klageänderung i.S.v. § 263 ZPO und setzt damit Sachdienlichkeit voraus.20 Solange jedenfalls die Klagefrist noch nicht abgelaufen ist, ist es mit der Prozessökonomie in Einklang zu bringen, das Nachschieben beziehungsweise Auswechseln eines Anfechtungsgrundes zuzulassen, weil damit der sachliche Streit zwischen den Parteien endgültig ausgeräumt und neuer Prozess vermieden werden kann.21 Mit dem Begehren, Nichtigkeit eines Beschlusses wegen eines vorgebrachten Sachverhalts 12 mit Wirkung für und gegen jedermann zu klären, verfolgen Anfechtungs- und die Nichtigkeitsklage dasselbe Ziel. Die Streitgegenstände beider Klagen sind daher identisch.22 Jeder Klageantrag schließt daher sowohl Nichtigerklärung im Wege der Anfechtungsklage (§ 113 HGB) als auch Feststellung der Nichtigkeit im Wege der Nichtigkeitsklage (§ 114 HGB) mit ein und umfasst alle Mängel des vorgetragenen Lebenssachverhalts, welche die Anfechtbarkeit oder die Nichtigkeit des konkreten Beschlusses begründen.23 Wird nur auf Feststellung der Nichtigkeit geklagt, kann das Gericht also auch Anfechtungsgründe prüfen und umgekehrt. Das Gericht ist zu einer solchen Prüfung auch nicht nur befugt, sondern verpflichtet, weil die Anwendung des § 113 HGB oder des § 114 HGB eine reine Rechtsfrage ist.24 Das gilt auch in der Revisionsinstanz, wenn das Berufungsurteil nur den einen oder den anderen Gesichtspunkt aufgegriffen hat.25 Weil sich die Streitgegenstände beider Klage decken, ist der Übergang von der Nichtigkeits- zur Anfechtungsklage oder umgekehrt bei unverändertem Sachverhalt auch keine Klageänderung. Zugleich steht einer Anfechtungsklage das Prozesshindernis der Rechtshängigkeit entgegen, wenn derselbe Sachverhalt schon Gegenstand einer Nichtigkeitsklage ist und umgekehrt. Ein Teilurteil über Nichtigkeits- oder Anfechtungsgründe oder über einen Teil der Kläger ist unzulässig.26 Die anwaltliche Praxis, Nichtigkeitsund Anfechtungsgründe durch Haupt- und Eventualantrag in den Prozess einzuführen, ist entbehrlich, aber weiterhin zulässig und auch kostenrechtlich unschädlich, weil eine solche Antragshäufung keinen Grund für eine Festsetzung eines höheren Regelstreitwerts ergibt (Rz. 40). Mit Blick auf die Präklusionswirkung eines Urteils führt der zweigliedrige Streitgegenstands- 13 begriff in Kombination mit dem Umstand, dass sich die Streitgegenstände von Anfechtungsund Nichtigkeitsklage decken, zu folgenden Konsequenzen: Stattgebendes Anfechtungsoder Nichtigkeitsurteil steht erneuter Befassung des Gerichts wegen Gestaltungswirkung und Rechtskrafterstreckung entgegen, und zwar auch dann, wenn Klageart gewechselt wird.27 Abweisendes Prozessurteil entfaltet keine Rechtskraft, so dass neue Klage unter allgemei20 Vgl. M. Noack, ZIP 2020, 1382, 1385. 21 So überzeugend M. Noack, ZIP 2020, 1382, 1385. 22 Heute ganz h.M., s. etwa BGH v. 17.2.1997 – II ZR 41/96, BGHZ 134, 364, 366 f. = NJW 1997, 1510 = GmbHR 1997, 655 (GmbH); BGH v. 20.11.2018 – II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 Rz. 68 = NZG 2019, 269 = ZIP 2019, 316 (GmbH); BGH v. 26.1.2021 – II ZR 391/18, NZG 2021, 831 Rz. 21 = ZIP 2021, 459 (GmbH). 23 Vgl. BGH v. 17.2.1997 – II ZR 41/96, BGHZ 134, 364, 366 f. = NJW 1997, 1510 = ZIP 1997, 732 (GmbH); BGH v. 20.11.2018 – II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 Rz. 68, NZG 2019, 269 = ZIP 2019, 316 (GmbH); BGH v. 26.1.2021 – II ZR 391/18, NZG 2021, 831 Rz. 21 = GmbHR 2021, 366 (GmbH). 24 BGH v. 17.2.1997 – II ZR 41/96, BGHZ 134, 364, 366 f. = NJW 1997, 1510 = GmbHR 1997, 655 (GmbH); BGH v. 20.11.2018 – II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 Rz. 68 = NZG 2019, 269 = ZIP 2019, 316 (GmbH); BGH v. 26.1.2021 – II ZR 391/18, NZG 2021, 831 Rz. 21 = GmbHR 2021, 366 (GmbH). 25 BGH v. 17.2.1997 – II ZR 41/96, BGHZ 134, 364, 366 f. = NJW 1997, 1510 = ZIP 1997, 732 (GmbH); BGH v. 20.11.2018 – II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 Rz. 68 = NZG 2019, 269 = ZIP 2019, 316 (GmbH); BGH v. 26.1.2021 – II ZR 391/18, NZG 2021, 831 Rz. 21 = ZIP 2021, 459 (GmbH). 26 BGH v. 1.3.1999 – II ZR 305/97, NJW 1999, 1638 f. = ZIP 1999, 580 (AG). 27 Vgl. BGH v. 17.2.1997 – II ZR 41/96, BGHZ 134, 364, 367 = NJW 1997, 1510 = ZIP 1997, 732 (GmbH); BGH v. 20.11.2018 – II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 Rz. 68 = NZG 2019, 269 = ZIP 2019, 316 (GmbH). Holle | 829
§ 113 HGB Rz. 13 | Offene Handelsgesellschaft nen Prozessvoraussetzungen zulässig bleibt. Abweisendem Sachurteil kommt Rechtskraftwirkung zu, soweit konkreter Kläger Sachverhalt, der zur Nichtigkeit führen soll, in Prozess eingeführt hat.28 Zulässig bleibt dagegen Klage, die auf anderen Sachverhalt gestützt wird.
5. Dispositionsgrundsatz 14 Mit Blick auf die Prozessführung durch die Parteien gilt das allgemeine Verfahrensrecht und
daher auch der Dispositionsgrundsatz. Das ist hinzunehmen, birgt aber Risiken, weil es ein kollusives Zusammenwirken zwischen Anfechtungskläger und geschäftsführungs- und vertretungsberechtigten Gesellschaftern ermöglicht, das Wirkungen erzielen kann, die auf Beseitigung des Beschlusses hinauslaufen, obwohl geschäftsführungs- und vertretungsberechtigte Gesellschafter diesen Erfolg außerhalb des Prozesses nicht herbeiführen könnten. So kann eine Klage trotz bestehender Unbegründetheit etwa durchdringen, wenn die vertretungsberechtigten Gesellschafter unzutreffende Tatsachen zugestehen (mangelndes Bestreiten § 138 Abs. 3 ZPO oder gar Geständnis § 288 ZPO), ein Klageanerkenntnis (§ 307 ZPO) abgeben (str.)29 oder Versäumnisurteil gegen die Gesellschaft ergehen lassen (§ 331 ZPO).30 Um die Verteidigung des angegriffenen Beschlusses sicherzustellen, können einzelne Gesellschafter dem Verfahren auf Seite der Gesellschaft als Nebenintervenient beitreten. Ein solcher Beitritt ist den Gesellschaftern jedenfalls dann anzuraten, wenn sie an Aufrechterhaltung des Beschlusses ein besonderes Interesse haben und die Gefahr sehen, dass den vertretungsberechtigten Gesellschafter eine Beseitigung des Beschlusses gelegen kommt. 15 Der Abschluss eines Vergleichs, der die vom Kläger erstrebte Nichtigkeit des Beschlusses im
Wege der Vereinbarung bewirken soll, ist nicht möglich, weil die Gestaltungswirkung des Urteils nicht privatautonom durch Parteien herbeigeführt werden kann. Zulässig sind dagegen Vergleiche, die den Beschluss als solchen unberührt lassen, etwa wenn sich der Anfechtungskläger zur Rücknahme der Klage verpflichtet. Inwieweit die Gesellschaft im Gegenzug die Prozesskosten übernehmen darf, hängt von den Umständen ab und unterliegt einer Missbrauchsprüfung.31 Nicht zulässig ist ein Vergleich, durch den sich die Gesellschaft verpflichtet, den Beschluss nicht auszuführen, es sei denn, die Gesellschafter stimmen dem durch Beschluss zu.32
6. Schiedsfähigkeit 16 Gesellschafter können vereinbaren, dass Beschlussmängelstreitigkeiten vor Schiedsgerichten
auszutragen sind (§ 714 BGB Rz. 132 f.).33 Wegen umfassender Gestaltungs- und Rechts28 Vgl. BGH v. 17.2.1997 – II ZR 41/96, BGHZ 134, 364, 367 = NJW 1997, 1510 = ZIP 1997, 732 (GmbH); BGH v. 20.11.2018 – II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 Rz. 68 = ZIP 2019, 316 = NZG 2019, 269 (GmbH). 29 Die Möglichkeit eines Anerkenntnisses wird teilweise in Abrede gestellt, vgl. etwa OLG München v. 27.3.1996 – 7 U 6037/95, NJW-RR 1997, 988 f. = GmbHR 1996, 451 (GmbH); Volhard, ZGR 1996, 55, 69 ff.; von der Zulässigkeit eines Anerkenntnisses ausgehend etwa OLG Düsseldorf v. 20.12.2018 – 6 U 215/16, AG 2019, 348, 350 ff. (AG); Bork, ZIP 1992, 1205 ff.; Göz/Buken, NZG 2019, 1046 ff.; Kindler in FS Krieger, 2020, S. 475 ff.; offen lassend BGH v. 13.3.1975 – II ZR 114/73, NJW 1975, 1273 (GmbH). 30 Vgl. auch Bork, ZIP 1992, 1205, 1207. 31 Eingehender Feltkamp, Anfechtungsklage und Vergleich, 1991, 49 ff. 32 Noack in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, Anh. § 47 GmbHG Rz. 175. 33 BGH v. 6.4.2017 – I ZB 23/16, NZG 2017, 657 Rz. 23 ff. = ZIP 2017, 1024 (Schiedsfähigkeit III); BGH v. 23.9.2021 – I ZB 13/21, NZG 2022, 264 Rz. 14 ff. = GmbHR 2022, 356 (Schiedsfähigkeit IV).
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Anfechtungsklage | Rz. 19 § 113 HGB
kraftwirkung müssen im Einklang mit den Entscheidungen Schiedsfähigkeit III und Schiedsfähigkeit IV hierbei jedoch die zum GmbH-Recht entwickelten Grundsätze34 Anwendung finden,35 um sicherzustellen, dass Wirkung eines Urteils unter allen Gesellschaftern auch im Schiedsverfahren auf legitimer Grundlage fußt.36 Soll Klagemodell der §§ 110 ff. HGB ins Schiedsverfahren überführt werden, einem statt- 17 gebenden Schiedsspruch also umfassende Gestaltungs- und Rechtskraftwirkung beigemessen werden, müssen vier Voraussetzungen gegeben sein: (1) alle Gesellschafter müssen der Schiedsklausel zugestimmt haben; (2) jeder Gesellschafter muss an der Auswahl und Bestellung der Schiedsrichter mitwirken können oder die Auswahl musste durch eine neutrale Stelle erfolgen; (3) alle Gesellschafter müssen durch die Geschäftsführung von der Einleitung und dem Verlauf des Schiedsverfahrens informiert werden und sich als Nebenintervenient daran beteiligen können; (4) sämtliche Beschlussmängelklagen, die denselben Klagegegenstand betreffen, müssen bei demselben Schiedsgericht konzentriert sein.37
III. Gerichtliche Zuständigkeit (Abs. 1) § 113 Abs. 1 HGB weist die Zuständigkeit für Entscheidung über eine Anfechtungsklage aus- 18 schließlich dem LG zu, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat. Die Vorschrift enthält insofern eine ausschließliche Regelung sowohl der örtlichen als auch der sachlichen Zuständigkeit. Ein anderweitiger Gerichtsstand kann gem. §§ 38, 40 Abs. 2 ZPO weder durch einzelvertragliche Vereinbarung noch durch rügelose Einlassung begründet werden.38 Im Zusammenspiel mit Abs. 4 Satz 2 erreicht § 113 Abs. 1 HGB, dass mehrere Anfechtungsklagen vor einem Gericht gebündelt werden können. Das dient der Prozessökonomie, indem es Ressourcen bei einem Gericht zusammenlegt und zugleich gewährleistet, dass kein Verfahrensstillstand eintritt, weil Gerichte bis zu einer Entscheidung des jeweils anderen Gerichts zuwarten.39 Vor allem aber wird so mit Blick auf die in Abs. 6 angeordnete Rechtskraftwirkung vermieden, dass divergierende Entscheidungen ergehen können.40 Die Zuständigkeitskonzentration beim LG mitsamt der hiermit für Parteien einhergehenden 19 Konsequenzen (Anwaltszwang, § 78 ZPO) sah Gesetzgeber deswegen als zweckmäßig an, weil sie die Möglichkeit eröffnet, die Entscheidung auf Kammern für Handelssachen zu verlagern.41 Anders als im Aktienrecht (vgl. § 246 Abs. 3 Satz 2 AktG) ist die funktionelle Zuständigkeit der Handelskammern allerdings keine ausschließliche. Die originäre Zuständigkeit liegt bei der Zivilkammer (§ 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. k ZPO). Die Parteien können den Rechtstreit aber auf Antrag vor die Kammer für Handelssachen bringen (§§ 96, 98 GVG).42 Hat nur einer von mehreren Klägern entsprechenden Antrag gestellt, hat Zivilkam-
34 BGH v. 6.4.2009 – II ZR 255/08, BGHZ 180, 221 = NJW 2009, 1962 = ZIP 2009, 1003 (Schiedsfähigkeit II). 35 BGH v. 6.4.2017 – I ZB 23/16, NZG 2017, 657 Rz. 26 = ZIP 2017, 1024 (Schiedsfähigkeit III); BGH v. 23.9.2021 – I ZB 13/21, NZG 2022, 264 Rz. 14 ff. = ZIP 2022, 125 (Schiedsfähigkeit IV). 36 Vgl. auch Jobst, ZIP 2022, 884, 888 f.; Liebscher/Günthner, ZIP 2022, 713, 719 f.; K. Schmidt, ZHR 187 (2023), 107, 121. 37 Vgl. BGH v. 6.4.2009 – II ZR 255/08, BGHZ 180, 221 Rz. 20 = NZG 2009, 620 = ZIP 2009, 1003 (Schiedsfähigkeit II); BGH v. 6.4.2017 – I ZB 23/16, NZG 2017, 657 Rz. 25 = ZIP 2017, 1024 (Schiedsfähigkeit III); BGH v. 23.9.2021 – I ZB 13/21, NZG 2022, 264 Rz. 15 = ZIP 2022, 125 (Schiedsfähigkeit IV). 38 Liebscher in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 100. 39 RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 232. 40 RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 232. 41 RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 232 f. 42 Vgl. auch Liebscher in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 101. Holle | 831
§ 113 HGB Rz. 19 | Offene Handelsgesellschaft mer darauf hinzuwirken, dass Gesellschaft einen entsprechenden Verweisungsantrag stellt, um die in § 113 Abs. 4 Satz 2 HGB vorgesehene Verbindung beider Verfahren zu ermöglichen.43 Nicht aus dem Aktienrecht übernommen und daher nicht greifbar ist die Möglichkeit, dass Landesregierungen die Zuständigkeit für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten innerhalb eines OLG-Bezirks bei einzelnen LG noch weitergehend konzentrieren (vgl. § 246 Abs. 3 Satz 3 AktG i.V.m. § 148 Abs. 2 Satz 3 AktG).44 20 Die örtliche Zuständigkeit kann sich gem. § 105 Abs. 2 HGB i.V.m. dem neu eingeführten
§ 706 Satz 2 BGB aus dem von Gesellschaftern vereinbarten Vertragssitz oder aus dem Verwaltungssitz ergeben. Ist ein Vertragssitz vereinbart worden, kommt es auf den Verwaltungssitz nicht an. Abzustellen ist insofern allein auf die Vereinbarung der Gesellschafter und nicht auf die deklaratorische Sitzanmeldung zum Handelsregister.45 Ändert sich der Sitz der Gesellschaft nach der Klageerhebung, ist eine Verweisung des Rechtsstreits an das LG zu beantragen, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren neuen Sitz hat.46
IV. Passivlegitimation (Abs. 2) 1. Gesellschaft als Klagegegner (Abs. 2 Satz 1) 21 Gemäß § 113 Abs. 2 Satz 1 HGB ist die Anfechtungsklage gegen die Gesellschaft und nicht
etwa gegen die einzelnen Gesellschafter zu richten. Das ist aus dogmatischer Sicht sachgerecht, weil der Beschluss dazu bestimmt ist, für das Organ Gesellschafterversammlung zu wirken und in einem ersten Schritt dieser sowie in einem zweiten Schritt der Gesellschaft daher zugerechnet wird.47 Obendrein wird die Geltendmachung von Beschlussfehlern technisch erheblich vereinfacht, wenn diese nicht gegenüber den zur Willensbildung berufenen Gesellschaftern zu erfolgen hat, sondern einzig gegenüber der Gesellschaft als Beschlussträger.48 Bei großen Beschlusskreisen ließe sich die Geltendmachung von Beschlussfehlern gegenüber den übrigen zur Willensbildung berufenen Personen jedenfalls nur schwer umsetzen.49 Werden sowohl die Gesellschaft als auch die Gesellschafter verklagt, ist die Klage gegen die Gesellschafter mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Das Rechtsschutzziel wird wegen der Regelung des § 113 Abs. 6 HGB bereits durch die Klage gegen die Gesellschaft erreicht.50 22 Der Gesetzgeber erkennt, dass Passivlegitimation der Gesellschaft zur Folge hat, dass ein mit
seiner Klage obsiegender Gesellschafter gleichwohl die Prozesskosten proportional zu seiner 43 44 45 46 47
So auch Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 113 HGB Rz. 8. Eingehender Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 113 HGB Rz. 15 ff. Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 113 HGB Rz. 11. Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 113 HGB Rz. 9. Treffend daher RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 233, 236; in diesem Sinne ferner etwa Mi. Becker, Verwaltungskontrolle durch Gesellschafterrechte, 1997, S. 498; Casper, ZHR 163 (1999), 54, 72; Eberspächer, Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen nach § 241 Nr. 3 AktG, 2009, S. 88; Fluck, Fehlerhafte Vereinsbeschlüsse, 2017, S. 172; Koch, Gutachten F zum 72. Deutschen Juristentag, 2018, S. 87. 48 Praktische Erwägungen als (einen) Grund für eine Geltendmachung von Beschlussfehlern gegenüber dem Beschlussträger anerkennend etwa Mi. Becker, Verwaltungskontrolle durch Gesellschafterrechte, 1997, S. 473 f.; Eberspächer, Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen nach § 241 Nr. 3 AktG, 2009, S. 88; Joost, ZGR 1984, 71, 93 f.; Rehbinder, ZGR 1983, 92, 106 f.; Schwab, Das Prozessrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005, S. 294 ff. 49 Deutlich Schwab, Prozessrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005, S. 295: Geltendmachung von Beschlussfehlern gegenüber der Gesellschaft als letztendlicher Beschlussträger „unausweichlich“. 50 Treffend Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 113 HGB Rz. 21.
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Anfechtungsklage | Rz. 25 § 113 HGB
Beteiligung als Teil der betrieblichen Aufwendungen zu tragen hat.51 Das wird insbesondere bei kleiner Anzahl von Gesellschaftern teilweise als ungerecht empfunden.52 Ob und unter welchen Voraussetzungen ein materieller Kostenerstattungsanspruch in Betracht kommt, hat der Gesetzgeber der Klärung durch die Rechtsprechung überlassen. Die Literatur verweist insoweit auf eine Geschäftsführung ohne Auftrag53 und die Treuepflicht als denkbare Grundlagen eines entsprechenden Anspruchs.54 Schlussendlich entspricht es allerdings nur mehr dem Wesen einer finanziellen Beteiligung am Beschlussträger, dass Nutzen und Kosten grundsätzlich sozialisiert werden. In der Momentaufnahme scheint zwar derjenige, der Beschlussfehler geltend macht, benachteiligt. Ex ante trifft aber alle Personen, die an dem Beschlussträger finanziell beteiligt sind, in gleicher Weise das systemische Risiko, dass die Kosten, die im Zusammenhang mit der Willensbildung entstanden sind, auf sie rückverlagert werden.55
2. Vertretung der Gesellschaft im Prozess (Abs. 2 Satz 2) Um zu verhindern, dass sich im Prozess die gleichen Personen gegenüberstehen, sieht § 113 23 Abs. 2 Satz 2 HGB vor, dass die Gesellschaft von den anderen Gesellschaftern gemeinsam vertreten wird, wenn außer dem Kläger kein Gesellschafter zur Vertretung der Gesellschaft befugt ist. Handelt es sich um eine große Zahl anderer Gesellschafter, können diese aus Vereinfachungsgründen analog § 46 Nr. 8 GmbHG nach dem ansonsten für ihre Beschlüsse geltenden Abstimmungsprinzip einen besonderen Vertreter bestellen,56 wobei der Kläger nicht stimmberechtigt ist.57 Kann die Vertretung der Gesellschaft im Prozess nicht sichergestellt werden, kann ein Gesellschafter beim Gericht beantragen, dass dieses analog § 57 Abs. 1 ZPO einen Prozessvertreter bestellt.58 Nicht explizit geregelt ist der Fall, dass der Kläger gemeinsam mit anderen geschäftsführen- 24 den Gesellschaftern gesamtvertretungsbefugt ist und diese die Gesellschaft ohne den Kläger daher nicht wirksam vertreten können. In diesen Konstellationen ist ein analoger Rückgriff auf § 116 Abs. 4 HGB der Anwendung des § 113 Abs. 2 Satz 2 HGB vorzuziehen, so dass anstelle sämtlicher Gesellschafter die übrigen vertretungsbefugten Gesellschafter die Gesellschaft im Prozess vertreten können.59
V. Unterrichtung der Gesellschafter (Abs. 3) 1. Hintergrund der Regelung § 113 Abs. 3 HGB enthält eine doppelte Verpflichtung der Gesellschaft: Erstens soll sie die 25 Gesellschafter unverzüglich über die Erhebung der Klage und die Lage des Rechtsstreits unterrichten (Satz 1). Zweitens hat sie das Gericht über die erfolgte Unterrichtung in Kenntnis zu setzen (Satz 2). Zugleich hält die Vorschrift aber auch das mit der Beschlussmängelstrei51 52 53 54 55 56 57 58 59
RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 233. Vgl. etwa M. Noack, ZIP 2020, 1382, 1385. M. Noack, ZIP 2023, 1169, 1171. M. Noack, ZIP 2020, 1382, 1385; M. Noack, ZIP 2023, 1169, 1172 f. Hierauf verweisend auch Fehrenbach, Der fehlerhafte Gesellschafterbeschluss in der GmbH, 2011, S. 345; J. Koch, Gutachten F zum 72. Deutschen Juristentag, 2018, S. 87; anders dann aber Fehrenbach, WM 2020, 2049, 2056. Implizit RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 233. Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 113 HGB Rz. 25. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 233. Ebenso Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 113 HGB Rz. 25. Holle | 833
§ 113 HGB Rz. 25 | Offene Handelsgesellschaft tigkeit befasste Gericht dazu an, auf eine unverzügliche Unterrichtung der Gesellschafter hinzuwirken (Satz 3). In der Summe soll damit dem Umstand Rechnung getragen werden, dass ein stattgebendes Urteil wegen seiner Gestaltungswirkung für und gegen sämtliche Gesellschafter wirkt und § 113 Abs. 6 HGB obendrein die Rechtskraft auf sämtliche Gesellschafter erstreckt. Weil niemand ein Urteil gegen sich hinnehmen muss, ohne die Möglichkeit zu haben, sich über den Prozess zu informieren oder sich an diesem zu beteiligen, muss sichergestellt sein, dass sämtliche Gesellschafter über Rechtsstreit informiert werden und sich gegebenenfalls als streitgenössischer Nebenintervenient an diesem beteiligen können. Beteiligung als streitgenössischer Nebenintervenient kann sowohl auf Kläger- als auch auf Beklagtenseite erfolgen, wobei Beteiligung sowohl auf Kläger- als auch auf Beklagtenseite noch möglich ist, wenn Klagefrist abgelaufen ist. Von einer Befristung der Beteiligungsmöglichkeit wie sie im Aktienrecht in § 246 Abs. 4 Satz 2 AktG vorgesehen ist, hat Gesetzgeber bewusst abgesehen,60 so dass auch Benachrichtigung nicht ab irgendeinem Zeitpunkt obsolet wird, sondern bis zu ihrer Erfüllung und gegebenenfalls auch noch in nächster Instanz fortgilt.61
2. Gesellschafterbezogene Unterrichtungspflicht der Gesellschaft (Satz 1) 26 Die Pflicht zur Unterrichtung der Gesellschafter trifft die Gesellschaft. Innerhalb der Gesell-
schaft sind die geschäftsführungsbefugten Gesellschafter für die Unterrichtung zuständig. Das gilt auch dann, wenn es der einzig geschäftsführungsbefugte Gesellschafter ist, der Anfechtungsklage erhoben hat, weil andere Gesellschafter Klage überhaupt zur Kenntnis nehmen müssen, um die Gesellschaft (vgl. § 113 Abs. 2 Satz 2 HGB) und sich in dem Rechtsstreit zu positionieren.62 Zu unterrichten sind sämtliche Gesellschafter unabhängig davon, ob sie bei der Beschlussfassung stimmberechtigt waren oder an dieser teilgehabt haben.63 27 Die Unterrichtung hat unverzüglich, das heißt ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 Satz 1
BGB) zu erfolgen. Der Gesellschaft wird man insoweit analog § 246 Abs. 3 Satz 5 AktG zwar die Möglichkeit zugestehen können, die eingereichte Klage bereits vor Zustellung einzusehen64 und sich von der Geschäftsstelle Auszüge und Abschriften erteilen zu lassen. Da es sich hierbei aber nur um eine Option auf Seiten der Gesellschaft handelt, wird man eine unverzügliche Unterrichtung schlussendlich an der Zustellung der Klage an die Gesellschaft auszurichten haben. Für die Unterrichtung der Gesellschafter ist keine bestimmte Form vorgesehen, zum Zwecke eines Nachweises bietet es sich freilich an, die Unterrichtung in Textform vorzunehmen.65 28 Inhaltlich bezieht sich die Unterrichtung auf den Umstand der Klageerhebung sowie die
Lage des Rechtsstreits. Entscheidend ist insoweit, dass jedem Gesellschafter ein Zugang zum Verfahren eröffnet wird, der ihn in die Lage versetzt, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob er sich am Rechtsstreit beteiligen möchte oder nicht.66 Benachrichtigungspflicht umfasst daher Gericht, Termin, Parteien, Aktenzeichen, angegriffenen Beschluss, Klageantrag und Begründung.67 Zumeist wird es sich anbieten, den Gesellschaftern die gesamte Klageschrift zu übersenden.68 Nicht erforderlich ist, dass die Gesellschaft in der Benachrichtigung eigene Einschätzung der Sach- und Rechtslage abgibt und insbesondere zu den Erfolgs60 61 62 63 64 65 66 67 68
RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 234. Vgl. Liebscher in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 98 mit Fn. 165. Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 113 HGB Rz. 34. Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 113 HGB Rz. 35. Vgl.auch Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 113 HGB Rz. 36. Ebenso Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 113 HGB Rz. 37. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 233. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 233. Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 113 HGB Rz. 39.
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Anfechtungsklage | Rz. 30 § 113 HGB
aussichten der Klage Stellung bezieht.69 § 113 Abs. 3 Satz 1 HGB intendiert keine fortlaufende Pflicht zur Unterrichtung, da sich benachrichtigter Gesellschafter ab erstmaliger Unterrichtung ohne weiteres selbst weitergehende Kenntnis verschaffen kann.70 Persönlich haftende nicht-geschäftsführende Gesellschafter können nach § 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 717 Abs. 1 BGB Einsicht in Prozessakte nehmen. Kommanditisten haben Einsichtsrecht nach § 166 Abs. 1 Satz 2 HGB. Eine neuerliche Pflicht zur Unterrichtung besteht lediglich dann, wenn die Klage erweitert wird oder sich ihr Streitgegenstand ändert.71
3. Gerichtsbezogene Informationspflicht der Gesellschaft (Satz 2) Neben der gesellschafterbezogenen Unterrichtungspflicht betreffend Klageerhebung und 29 Lage des Rechtsstreits trifft die Gesellschaft die Pflicht, das Gericht über die besagte Unterrichtung der Gesellschafter in Kenntnis zu setzen. Diese Verpflichtung ist im Zusammenhang mit Satz 3 zu sehen, der dem Gericht die Kontrolle über die ordnungsgemäße Unterrichtung der Gesellschafter zuweist. Hinsichtlich Form, Zeitpunkt und Inhalt der Unterrichtung des Gerichts enthält das Gesetz keine Vorgaben. Ausreichend ist daher, wenn die Gesellschaft gegenüber dem Gericht im Anschluss an die Information der Gesellschafter mündlich erklärt, die Gesellschafter gemäß Satz 1 informiert zu haben.72
4. Gerichtliche Hinwirkung (Satz 3) Mit § 113 Abs. 3 Satz 3 HGB weist das Gesetz dem Gericht die Aufgabe zu, auf ordnungs- 30 gemäße Information der Gesellschafter hinzuwirken. Ausweislich der Regierungsbegründung hat es hierzu im Freibeweis zu kontrollieren, ob die Gesellschaft ihrer Unterrichtungspflicht nachgekommen ist, und die Unterrichtung gegebenenfalls selbst zu veranlassen.73 Sofern die Gesellschaft ihrer Mitteilungspflicht gegenüber dem Gericht nicht nachkommt, wird man das Gericht daher als gehalten ansehen müssen, sich aktiv nach der Unterrichtung der Gesellschafter zu erkundigen. Kommt die Gesellschaft ihrer Erklärungspflicht gegenüber dem Gericht nach und erklärt, alle Gesellschafter ordnungsgemäß unterrichtet zu haben, kann sich das Gericht im Regelfall hierauf verlassen.74 Gibt es jedoch Anlass, an der ordnungsgemäßen Information der Gesellschafter zu zweifeln, soll das Gericht gehalten sein, sich etwaige Unterlagen vorlegen zu lassen, aus denen sich die Unterrichtung der Gesellschafter ergibt, und diese mit ausgewiesenem Gesellschafterbestand abzugleichen.75 Kann sich das Gericht nicht von einer ordnungsgemäßen Information der Gesellschafter überzeugen, hat es für deren Unterrichtung Sorge zu tragen, wobei es die Gesellschaft hierzu zu nochmaliger Unterrichtung anhalten oder aber die Unterrichtung unmittelbar selbst vornehmen kann.76 Da es an einer § 407 Abs. 1 Satz 1 AktG vergleichbaren Regelung fehlt, hat das Gericht keine Möglichkeit, die Gesellschaft für Verstöße gegen die Unterrichtungspflicht zu sanktionieren.77 69 RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 233. 70 Vgl. auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 233. 71 RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 233; Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 113 HGB Rz. 40. 72 Vgl. auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 234. 73 Begr RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 234. 74 So RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 234. 75 RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 234. 76 Liebscher in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 98; zurückhaltend gegenüber einer Verpflichtung des Gerichts, die Gesellschafter unmittelbar selbst zu unterrichten Otte/ Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 113 HGB Rz. 45. 77 Siehe auch Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 113 HGB Rz. 46. Holle | 835
§ 113 HGB Rz. 31 | Offene Handelsgesellschaft
5. Unterrichtung weiterer Personen 31 Ausgehend von dem Grundsatz, dass niemand ein Urteil gegen sich hinnehmen muss, ohne
die Möglichkeit zu haben, sich über den Prozess zu informieren oder sich an diesem zu beteiligen, kann das Erfordernis bestehen, neben den Gesellschaftern noch andere Personen über den Rechtsstreit zu informieren, sofern diese sich ausnahmsweise trotz fehlender Gesellschafterstellung als streitgenössischer Nebenintervenient an diesem beteiligen können (zu denkbaren Konstellationen Rz. 5). Insoweit wird man die Gesellschaft sowie das Gericht für gehalten ansehen müssen, auch solche Personen gemäß den Vorgaben des § 113 Abs. 3 HGB zu informieren.
6. Rechtsfolgen bei unzureichender Unterrichtung 32 Das Gesetz regelt nicht, welche Rechtsfolgen eintreten, wenn nur unzureichend über die Er-
hebung der Klage und Lage des Rechtsstreits unterrichtet wurde. Ausgangspunkt muss insoweit sein, dass unzureichende Unterrichtung grundsätzlich nicht zum Nachteil des Unterrichtungsadressaten gereichen darf. Läuft Prozess noch und kann Unterrichtungsadressat glaubhaft machen, dass er keine hinreichende Kenntnis hatte, kann er mit Blick auf die Einhaltung von Notfristen (Rechtsmittel- oder Rechtsbehelfsfristen) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen.78 Gegebenenfalls ist es geboten, die mündliche Verhandlung gem. § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wieder zu eröffnen, damit ein Gesellschafter als Nebenintervenient seinen Standpunkt darlegen kann.79 33 Die Rechtsfolgen unzureichender Unterrichtung nach Abschluss des Prozesses sind wenig
geklärt. Die Regierungsbegründung deutet insoweit lediglich an, dass eine Verletzung der Unterrichtungspflicht Schadensersatzanspruch gegen die Gesellschaft begründen kann,80 wobei dieser gegebenenfalls auch auf Rückgängigmachung des Beschlusses gerichtet sein kann.81 Weitergehenden Schutz des nicht informierten Gesellschafters dergestalt, dass das Urteil nicht gegen ihn wirkt, ist dogmatisch kaum begründbar und liefe gesetzgeberischer Intention zuwider, mit Beschlussmängelrecht für mehr Rechtssicherheit zu sorgen.82
VI. Mündliche Verhandlung und Verbindungszwang (Abs. 4) 34 § 113 Abs. 4 HGB ist § 246 Abs. 3 Satz 4 und 6 AktG nachgebildet. Die Vorschrift soll wegen
der Gestaltungswirkung erga omnes sowie der Rechtserstreckung einer stattgebenden Anfechtungsklage sicherstellen, dass keine divergierenden Entscheidungen mit Blick auf die Kassation eines Beschlusses ergehen.83 Kern der Regelung ist die Anordnung, mehrere Anfechtungsprozesse zu verbinden (Satz 2). Dem schickt das Gesetz die Vorgabe voraus, dass die mündliche Verhandlung nicht vor Ablauf der Klagefrist stattfinden soll (Satz 1). Hierdurch will das Gesetz erreichen, dass Prozesse grundsätzlich schon vor dem ersten Verhandlungster-
78 RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 234; Liebscher in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 98. 79 Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 113 HGB Rz. 41. 80 RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 234; Liebscher in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 98. 81 Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 113 HGB Rz. 43. 82 Ebenso Liebscher in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 98; Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 113 HGB Rz. 42 (dort auch zu der Möglichkeit, analog § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO Nichtigkeitsklage zu erheben). 83 Vgl. auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 234.
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Anfechtungsklage | Rz. 37 § 113 HGB
min verbunden werden können. Anders als § 246 Abs. 3 Satz 4 AktG ist § 113 Abs. 4 Satz 1 HGB allerdings als bloße Soll-Vorschrift ausgestaltet. Hiermit wollte der Gesetzgeber Verfahrensverzögerungen entgegenwirken. Denn nach dem Regelungskonzept des § 147 ZPO setzt eine gemeinsame Entscheidung auch eine gemeinsame Verhandlung voraus, so dass der Termin zur mündlichen Verhandlung nach § 279 ZPO oder äquivalent die Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens nach § 276 ZPO erst nach dem Ablauf der Klagefrist erfolgen könnte.84 Nach Satz 1 soll die mündliche Verhandlung frühestens einen Tag nach Ablauf der Klagefrist 35 stattfinden. Die Ausgestaltung als Soll-Vorschrift erlaubt dem Gericht, in Ausnahmefällen von dieser Vorgabe abzuweichen. In der Praxis dürfte die Verhandlung zumeist ohnehin nicht innerhalb von drei Monaten realisierbar sein.85 Bedeutung kann Charakter als SollVorschrift wohl vor allem in Fällen erlangen, in denen der Beschluss einem Gesellschafter gegenüber verspätet bekanntgegeben wurde, so dass dieser den Beschluss auch drei Monate nach der „offiziellen“ Bekanntgabe noch anfechten kann. Wird der Anfechtungsprozess hinzuverbunden, ist das rechtliche Gehör im Wege der Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach § 156 Abs. 1 Nr. 1, 2 ZPO nachzuholen.86 § 113 Abs. 4 Satz 1 HGB hindert das Gericht nicht, mehrere Anfechtungsklagen bereits vor Ablauf der Klagefrist gem. § 113 Abs. 4 Satz 2 HGB zusammenzuführen.87 Die Vorgabe des § 113 Abs. 4 Satz 2 HGB, mehrere Anfechtungsprozesse zu verbinden, ist 36 zwingend. Anders als nach § 147 ZPO besteht kein Ermessen.88 Ausgehend vom Zweck des § 113 Abs. 4 Satz 2 HGB, widersprechende Entscheidungen über die Gültigkeit desselben Beschlusses zu verhindern, greift die Vorschrift immer dann ein, wenn derselbe Beschluss angegriffen wird; auf den konkreten Anfechtungsgrund kommt es nicht an.89 Dagegen gilt § 147 ZPO, wenn verschiedene Beschlüsse angefochten werden, und zwar auch bei rechtlicher Abhängigkeit des einen von dem anderen.90 Unterlassende Prozessverbindung ist gegebenenfalls vom Berufungsgericht nachzuholen.91 Vor der Prozessverbindung sind Beschlussmängelklagen gebührenrechtlich selbständig. Die hieraus entstandenen Kosten bleiben auch nach Prozessverbindung bestehen.92 Nicht bedacht hat der Gesetzgeber den Fall, dass eine der Anfechtungsklagen vor der Kam- 37 mer für Handelssachen erhoben wird, während die andere bei der Zivilkammer eingereicht wird. Da eine Verbindung von Seiten des Gerichts hier nicht möglich ist,93 kann dem Verbindungszwang nur dadurch Rechnung getragen werden, dass die Parteien eines der beiden Prozesse aufgefordert werden, einen Verweisungsantrag zu stellen. Weil Gesetz nicht vorsieht, dass der Antrag einer Partei auf Verhandlung vor der Kammer für Handelssachen unbeachtet bleiben darf, ist die Aufforderung an die vor der Zivilkammer streitenden Parteien zu richten, so dass der Rechtsstreit schlussendlich einheitlich vor Kammer für Handelssachen ausgetragen werden kann.94
84 85 86 87 88 89 90 91 92
Vgl. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 234. Eingehender Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 113 HGB Rz. 48. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 234. Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 113 HGB Rz. 49. Ausdrücklich auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 234. Siehe im Kontext des § 246 Abs. 3 Satz 6 AktG Koch, 17. Aufl. 2023, § 246 AktG Rz. 39. OLG Stuttgart v. 23.1.1995 – 5 U 117/94, AG 1995, 283 (AG). Mit Blick auf das Aktienrecht Koch, 17. Aufl. 2023, § 246 AktG Rz. 39. BGH v. 8.2.2011 – II ZR 206/08, NZG 2011, 506 Rz. 13 = ZIP 2011, 637 (AG); BGH v. 14.5.2013 – II ZB 12/12, NJW 2013, 2824 Rz. 17 = ZIP 2013, 1445. 93 Statt aller Fritsche in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl. 2020, § 147 ZPO Rz. 1. 94 Ausführlich Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 113 HGB Rz. 52. Holle | 837
§ 113 HGB Rz. 38 | Offene Handelsgesellschaft
VII. Streitwert (Abs. 5) 38 § 113 Abs. 5 HGB regelt den Gebühren- und den Rechtsmittelstreitwert. Die Vorschrift ist
inhaltlich an § 247 Abs. 1 Satz 1 AktG angelehnt. Bezweckt ist, angemessene Regelstreitwerte sicherzustellen, indem abweichend von allgemeinen Grundsätzen der Streitwertbemessung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 3 ZPO nicht allein auf das klägerisches Interesse an der Beschlussvernichtung abgestellt wird, sondern auf die Bedeutung der Sache für beide Parteien. Hintergrund ist, dass das Urteil, mit dem Beschluss für nichtig erklärt wird, infolge der Wirkung erga omnes sowie der Rechtskrafterstreckung nicht nur das Interesse des klagenden Gesellschafters, sondern auch die gegebenenfalls bedeutenderen Interessen der Gesellschaft und der anderen Gesellschafter berührt.95 Würde allein auf klägerisches Interesse abgestellt, wäre Streitwert der Höhe nach durch wahren wirtschaftlichen Wert der Beteiligung des Gesellschafters begrenzt und würde Gesamtgewicht der Angelegenheit auch für die Gesellschaft unter Umständen nicht gerecht. Das mit der Regelung des Abs. 5 für klagenden Gesellschafter einhergehende erhöhte Kostenrisiko erachtet der Gesetzgeber wegen der Gestaltungswirkung erga omnes sowie der Rechtskrafterstreckung als hinnehmbar.96 Von einer Streitwertkappung nach dem Vorbild des § 247 Abs. 1 Satz 2 AktG hat Gesetzgeber abgesehen, weil die Ermessensausübung genügend Raum lasse, unbillige Härten für den Kläger abzufedern.97 39 Für die Streitwertbemessung ist von der Bedeutung der Sache für die Parteien auszugehen.
Der Wert des Interesses des klagenden Gesellschafters hängt von dem wirtschaftlichen Erfolg ab, den er mit der Vernichtung des Beschlusses für sich anstrebt. Der Wert des Interesses der beklagten Gesellschaft sowie der übrigen Gesellschafter hängt umgekehrt vom wirtschaftlichen Wert der Aufrechterhaltung des Beschlusses ab. Nicht maßgeblich ist, wie fehlerhaft der Beschluss ist beziehungsweise welche oder wie viele Anfechtungsgründe vorliegen.98 Gewichtung der Interessen ist Ermessenssache des Gerichts, wobei kein Interesse generell das andere überwiegt.99 Mit Ausnahme von Kleinstbeteiligungen wird man als Obergrenze der Streitwert-Festsetzung den wahren wirtschaftlichen Wert der Beteiligung des Klägers anzusetzen haben.100 Zur Orientierung kann auf die Rechtsprechung zurückgegriffen werden, die allgemein bei gesellschaftsrechtlichen Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen § 247 Abs. 1 Satz 1 AktG entsprechend anwendet. 40 Bei Mehrheit angegriffener Beschlüsse ist der Streitwert grundsätzlich für jeden Antrag ge-
sondert festzusetzen und Gesamtstreitwert gem. § 5 Halbs. 1 ZPO, § 39 Abs. 1 GKG erst durch Zusammenrechnung zu bilden, sofern keine wirtschaftliche Identität vorliegt.101 Eine Zusammenrechnung ist gem. § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG auch für Haupt- und Hilfsanträge geboten, wenn eine Entscheidung über den Hilfsantrag ergeht.102 Wenn sie denselben Gegenstand betreffen, ist der höhere Wert maßgebend.103 Das ist insb. dann anzunehmen, wenn mit dem Hauptantrag Nichtigkeitsklage, hilfsweise Anfechtungsklage erhoben wird.104
95 96 97 98 99 100 101
Vgl. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 234 f. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 235. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 235. BGH v. 11.7.1994 – II ZR 58/94, NJW-RR 1995, 225, 226 = ZIP 1994, 1355 (AG). Vgl. auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 235. Vgl. BGH v. 4.11.2014 – II ZB 15/13, NZG 2015, 321 Rz. 7 = ZIP 2015, 424 (KG). Vgl. BGH v. 6.4.1992 – II ZR 249/90, NJW-RR 1992, 1122 f. (AG); OLG Frankfurt v. 21.6.2001 – 5 W 4/01, AG 2002, 562 (AG). 102 Mit Blick auf die Aktiengesellschaft Koch, 17. Aufl. 2023, § 247 AktG Rz. 6. 103 Mit Blick auf die Aktiengesellschaft Koch, 17. Aufl. 2023, § 247 AktG Rz. 6. 104 Mit Blick auf die Aktiengesellschaft Koch, 17. Aufl. 2023, § 247 AktG Rz. 6.
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Anfechtungsklage | Rz. 42 § 113 HGB
Streitwertfestsetzung gestaltet sich einfach, wenn der Beschluss ein Rechtsgeschäft zum Ge- 41 genstand hat, das zahlenmäßig beziffert werden kann. Bei Dauerschuldverhältnissen ist die vereinbarte Vertragslaufzeit einzubeziehen.105 Ansonsten lassen sich folgende Grundsätze formulieren: Streitwert eines Ausschließungsbeschlusses bemisst sich nach dem Verkehrswert der Beteiligung, wobei darunter liegende Abfindung regelmäßig nicht mindernd zu berücksichtigen ist.106 Betrifft der Beschluss die Entziehung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis, ist das jeweilige Interesse an Leitungsmacht maßgeblich,107 wobei die Gerichte in der Vergangenheit zumeist einen Streitwert von 10.000 bis 50.000 € als angemessen erachtet haben.108 Das Interesse eines Gesellschafter-Geschäftsführers, weiterhin Geschäftsführer der Gesellschaft zu sein und damit die Lenkungs- und Leitungsmacht in der Hand zu behalten, wird durch den Wert seines Gesellschaftsanteils begrenzt; das Interesse des sich gegen seinen Ausschluss wehrenden Gesellschafter-Geschäftsführers liegt also nicht deshalb über dem Wert seines Geschäftsanteils, weil er gleichzeitig die Geschäftsführerfunktion ausübt bzw. ausgeübt hat.109 Bei gleichzeitiger Kündigung des Anstellungsverhältnisses beträgt der Gebührenstreitwert gem. § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG das Dreifache und der Zuständigkeitsstreitwert das 3,5-Fache der Jahresvergütung (§ 9 Abs. 1 ZPO).110 Im Verfahren einstweiliger Verfügung rechtfertigt die Vorläufigkeit grundsätzlich, den Streitwert auf ein Drittel des Streitwerts in der Hauptsache zu reduzieren.111
VIII. Rechtskraft (Abs. 6) Nach § 113 HGB wirkt das Urteil, das den Gesellschafterbeschluss für nichtig erklärt, für 42 und gegen alle Gesellschafter, auch wenn sie nicht Partei sind. Gemeint ist die materielle Rechtskraftwirkung.112 Sie ist von der materiellen Gestaltungswirkung zu unterscheiden, die sich aus der Natur der Anfechtungsklage als Gestaltungsklage ergibt und dazu führt, dass ein erfolgreich angefochtener Beschluss gegenüber jedermann nichtig ist. Anders als es in der Regierungsbegründung anklingt, folgt die Gestaltungswirkung nicht etwa daraus, dass „die Gesellschaft als Beklagte verpflichtet ist, den ihr zurechenbaren rechtswidrigen Zustand, den die Gesellschafter mit dem Beschluss geschaffen haben, umfassend zu beseitigen“,113 sondern unmittelbar aus der Anordnung in § 110 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 HGB.114 Die Rechtskrafterstreckung unterscheidet sich von der Gestaltungswirkung im Praktischen zunächst dadurch, dass sie eine weitere Beschlussmängelklage wegen entgegenstehender Rechtskraft unzulässig macht, während die Gestaltungswirkung als materiell-rechtliche Wirkung lediglich zur Un105 Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 113 HGB Rz. 58. 106 BGH v. 30.4.2001 – II ZR 328/00, NJW 2001, 2638 = ZIP 2001, 1734 (GmbH); BGH v. 8.12.2008 – II ZR 39/08, NZG 2009, 518 Rz. 2 (GmbH); BGH v. 24.6.2014 – II ZR 29/13, BeckRS 2014, 13952 Rz. 2 (GmbH); BGH v. 4.11.2014 – II ZB 15/13, NZG 2015, 321 Rz. 7 = ZIP 2015, 424 (KG); BGH v. 12.11.2019 – II ZR 262/18, BeckRS 2019, 31898 Rz. 4 (KG). 107 BGH v. 28.5.1990 – II ZR 245/89, NJW-RR 1990, 1123, 1124 (GmbH); BGH v. 21.5.2013 – II ZR 110/12, BeckRS 2013, 10083 Rz. 2 (GmbH); BGH v. 4.11.2014 – II ZB 15/13, NZG 2015, 321 Rz. 7 = GmbHR 2015, 367 (KG). 108 Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 113 HGB Rz. 61. 109 BGH v. 28.6.2011 – II ZR 127/10, NZG 2011, 911 (GmbH); BGH v. 2.3.2009 – II ZR 59/08, GmbHR 2009, 995 Rz. 4 (GmbH); BGH v. 4.11.2014 – II ZB 15/13, NZG 2015, 321 Rz. 7 = ZIP 2015, 424 (KG). 110 BGH v. 9.6.2005 – III ZR 21/04, NJW-RR 2006, 213, 214 (Handelskammer); BGH v. 21.5.2013 – II ZR 110/12, BeckRS 2013, 10083 Rz. 2 (GmbH); BGH v. 12.4.2016 – II ZR 297/15, NZG 2016, 868 (GmbH). 111 Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 113 HGB Rz. 63. 112 RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 235. 113 RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 235. 114 Treffend indes RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 230; Bayer/Rauch, DB 2021, 2609, 2614. Holle | 839
§ 113 HGB Rz. 42 | Offene Handelsgesellschaft begründetheit einer nachfolgenden Klage führt.115 Der eigentliche beschlussbezogene Mehrwert subjektiver Rechtskrafterstreckung im Falle stattgebender Urteile liegt indes in einer noch weitergehenden Gewähr der Einheitlichkeit der Willensbildung innerhalb der Gesellschaft:116 Stellt man allein auf die Gestaltungswirkung ab, bliebe diese insoweit gefährdet, als die Berücksichtigungsfähigkeit der Gestaltungswirkung in nachfolgenden gerichtlichen Auseinandersetzungen davon abhinge, dass diese von Parteien in den Prozess eingebracht wird. Widersprechende Entscheidungen blieben also weiterhin möglich. Eine subjektive Rechtskrafterstreckung beugt dieser – zumindest theoretischen – Gefahr divergierender Entscheidungen vor. Denn eine entgegenstehende Rechtskraft unterliegt nicht dem Beibringungsgrundsatz, sondern ist vom Gericht als negative Prozessvoraussetzung von Amts wegen zu berücksichtigen.117 43 § 113 Abs. 6 HGB setzt der materiellen Rechtskraftwirkung Grenzen: Sie greift nur bei statt-
gebenden Urteilen. Bei Anfechtungsklagen spielt Einhegung wegen der zu beachtenden Klagefrist zumeist keine praktische Rolle.118 Eine Einbeziehung abweisender Urteile hat der Gesetzgeber mit Blick auf das Recht auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG verworfen.119 Diese Entscheidung ist hinzunehmen, überzeugt allerdings schon deshalb nicht, weil der Gesetzgeber wenige Zeilen später zulässt, was seit langem im Aktien- und GmbH-Recht praktiziert wird: Eine Anfechtungsklage, mit der geltend gemacht wird, es sei wegen einer fehlerhaften Ermittlung des Abstimmungsergebnisses zu Unrecht ein negativer Beschluss festgestellt worden, kann mit einer Klage auf Feststellung des zutreffenden Beschlussergebnisses verbunden werden (sog. positive Beschlussfeststellungsklage, § 115 Satz 1 HGB).120 Eine solche Klage soll der Anfechtungsklage in ihrer Erga-omnes-Wirkung und bei der Rechtskrafterstreckung gleichen (vgl. § 115 Satz 2 HGB).121 Neuerliche Klagen gegen den gerichtlich festgestellten Beschluss wären danach ausgeschlossen, soweit sie mit der Vernichtung des Beschlusses auf das kontradiktorische Gegenteil abzielten. Insofern wird davon ausgegangen, dass rechtliches Gehör dadurch gewährleistet ist, dass sämtliche Beschlussmängel im Beschlussfeststellungsprozess angebracht werden können (§ 115 HGB Rz. 21). Zwingend ist Verneinung der subjektiven Rechtskrafterstreckung für den Fall der Abweisung der Anfechtungsklage daher nicht.122 44 Eine weitere Begrenzung der materiellen Rechtskraftwirkung liegt darin, dass diese nur den
Kreis der Gesellschafter adressiert. Erfasst werden hierbei auch der Nicht-mehr-Gesellschafter, der seine Anfechtungsklage nach § 111 Abs. 2 HGB fortführen kann,123 sowie der Gesellschafter, der der Gesellschaft erst nach Eintritt der Rechtskraft beitritt.124 Ausgenommen bleiben daher schlussendlich externe Dritte. Aufgrund der materiellen Gestaltungswirkung eines stattgebenden Anfechtungsurteils können diese der Gesellschaft eine erfolgreiche Beschlussanfechtung gleichwohl entgegenhalten.125 115 Siehe Bayer/Rauch, DB 2021, 2609, 2614; Ebbing, NZG 1998, 281, 285; C. Schäfer in MünchKomm/ AktG, 5. Aufl. 2021, § 248 AktG Rz. 13, 26; Schulte, AG 1988, 67, 69. 116 Treffend zum Folgenden schon Fehrenbach, Der fehlerhafte Gesellschafterbeschluss in der GmbH, 2011, S. 350 f. 117 Siehe etwa BGH v. 19.11.2003 – VIII ZR 60/03, BGHZ 157, 47, 50 = NJW 2004, 1252; BGH v. 16.1.2008 – XII ZR 216/05, NJW 2008, 1227 Rz. 9; Musielak in Musielak/Voit, 20. Aufl. 2023, § 322 ZPO Rz. 9. 118 Vgl. auch M. Noack, ZIP 2020, 1382, 1388. 119 RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 235. 120 Siehe RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 236 (vgl. § 115 HGB). 121 Vgl. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 236: „Die Verbindung zur kombinierten Feststellungsklage führt dann dazu, dass insgesamt die für die Anfechtungsklage geltenden Vorschriften (…) entsprechende Anwendung finden.“ 122 Als „wenig sinnvoll“ ablehnend Buchs, Flexibilisierung der Beschlussmängelfolgen, 2020, S. 365. 123 Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 113 HGB Rz. 68. 124 Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 113 HGB Rz. 69. 125 Siehe auch Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 113 HGB Rz. 69.
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Nichtigkeitsklage | Rz. 2 § 114 HGB
§ 114 HGB Nichtigkeitsklage 1
Erhebt ein Gesellschafter Nichtigkeitsklage gegen die Gesellschaft, sind die §§ 111 und 113 entsprechend anzuwenden. 2Mehrere Nichtigkeits- und Anfechtungsprozesse sind zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung zu verbinden.
In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Regelungsgegenstand und Normzweck II. Grundlagen 1. Prozessparteien; Nebenintervention a) Kläger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beklagte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Nebenintervention . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Klageart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Rechtsschutzinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . III. Entsprechende Anwendung der §§ 111 und 113 HGB (Satz 1) 1. Verweis auf § 111 HGB . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verweis auf § 113 HGB . . . . . . . . . . . . . . . IV. Prozessverbindung (Satz 2) . . . . . . . . . . V. Entsprechende Anwendung . . . . . . . . . .
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Schrifttum: M. Noack, Adieu „Feststellungsmodell“, bonjour „Anfechtungsmodell“ – über den Systemwechsel im Beschlussmängelrecht der Personengesellschaften, ZIP 2020, 1382 ff.; Otte, Beschlussmängelstreitigkeiten in Personengesellschaften nach dem Mauracher Entwurf für ein Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, ZIP 2020, 1743 ff.; Schäfer, Beschlussfassung und Beschlussanfechtung in der Personenhandelsgesellschaft nach dem MoPeG-RegE, ZIP 2021, 1527 ff.
I. Regelungsgegenstand und Normzweck § 114 HGB ist durch MoPeG umfassend neu gefasst worden. Bislang in § 114 Abs. 1 HGB 1 enthaltene Regelung zur Geschäftsführung findet sich inhaltlich unverändert in § 116 Abs. 1 HGB, Vorgabe in § 114 Abs. 2 HGB a.F. wurde als überflüssig befunden und ersatzlos gestrichen. § 114 HGB regelt nunmehr sog. Nichtigkeitsklage, wobei sich Vorschrift an § 249 AktG orientiert.1 Die Nichtigkeitsklage ist das prozessuale Instrument, um klären zu lassen, ob ein Beschluss 2 von Anfang an gem. § 110 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HGB nichtig ist. Anders als die Anfechtungsklage zielt die Nichtigkeitsklage also nicht darauf ab, einen vorläufig wirksamen Beschluss für nichtig erklären zu lassen, sondern ist auf die Feststellung einer bereits aus sich heraus gegebenen Nichtigkeit gerichtet. Der Gesetzgeber sah es gleichwohl als zweckmäßig an, für ein solches Begehren eine eigene Klageart bereitzustellen. Wie schon mit der Anfechtungsklage nach § 113 HGB bezweckt er mit ihr Rechtsklarheit und -sicherheit, indem er die Wirkungen des Nichtigkeitsurteils über die Prozessparteien hinaus auch für und gegen alle Gesellschafter eintreten lässt. Konzeptionell bewerkstelligt Gesetz dies mittels eines weitgehenden Verweises auf die Regelungen zur Anfechtungsklage (Satz 1), wodurch zugleich die Anforderungen gelten, die dort zum Schutz der Gesellschafter aufgestellt werden, die nicht unmittelbar als Kläger oder Beklagte am Prozess beteiligt sind. Weil die Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen nicht fristgebunden ist, bleiben einzig die Regelungen zur Anfechtungsfrist von dem Verweis ausgenommen. Da die Nichtigkeit Verstöße gegen indisponible Vorschriften zum Gegenstand hat, kann eine Frist zur Erhebung der Nichtigkeitsklage auch
1 Vgl. auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 235. Holle | 841
§ 114 HGB Rz. 2 | Offene Handelsgesellschaft nicht im Gesellschaftsvertrag vereinbart werden.2 Denkbar bleibt eine Verwirkung, wobei diese aber allenfalls gegenüber dem jeweiligen Gesellschafter eintritt.3 Eine Heilung nichtiger Beschlüsse ist anders als im Aktienrecht (§ 242 AktG) nicht vorgesehen und kann auch weder von Gesellschaftern vorgesehen noch durch (deklaratorische) Eintragung des Beschlusses im Handelsregister herbeigeführt werden.4 Satz 2 spricht aus, was aus einheitlichem Streitgegenstand von Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage sowie aus verfahrensrechtlicher Angleichung folgt, nämlich dass mehrere Nichtigkeits- und Anfechtungsprozesse zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung zu verbinden sind.5 3 Auch wenn anders als in § 249 Abs. 1 Satz 2 AktG eine ausdrückliche Klarstellung fehlt, in-
tendiert § 114 HGB nicht, die Geltendmachung der Nichtigkeit durch Klage vorzuschreiben oder die Klagebefugnis zu beschränken. Die Nichtigkeitsklage ist lediglich als zusätzliches Verfahren zur Geltendmachung der Nichtigkeit zu begreifen, das mit den anfechtungsbefugten Gesellschaftern nur einem begrenzten Personenkreis offen steht, diesem dann aber eben ermöglicht, die Klarstellung der Nichtigkeit mit Wirkung für und gegen alle Gesellschafter zu erreichen. Soweit der Kläger dem von Nichtigkeitsklage erfassten Personenkreis angehört – er also anfechtungsbefugt ist – kann er die Nichtigkeit von Gesellschafterbeschlüssen allerdings nur in Form der Nichtigkeitsklage geltend machen und nicht etwa auch auf die allgemeine Feststellungsklage gem. § 256 Abs. 1 ZPO zurückgreifen.6 Auch die Feststellungklage eines Gesellschafters gegen den anderen ist unzulässig, soweit wegen der Möglichkeit der Nichtigkeitsklage kein Feststellungsinteresse besteht.7 Außenstehende Dritte können die Nichtigkeit eines Gesellschafterbeschlusses hingegen mit der gewöhnlichen – inter partes wirkenden – Feststellungsklage gem. § 256 Abs. 1 ZPO geltend machen, sofern sie ein Feststellungsinteresse haben.8 Die Geltendmachung der Nichtigkeit auf andere Weise als durch Klage steht jeder Person offen, also auch denjenigen, die zum Kreis derer gehören, die Nichtigkeitsklage erheben können. In Betracht kommt insbesondere eine auf die Nichtigkeit des Beschlusses gestützte Rechtsverteidigung, wenn aus dem Beschluss Rechte hergeleitet werden sollen.9 Die Gesellschaft kann sich auch selbst auf die Nichtigkeit berufen.
II. Grundlagen 1. Prozessparteien; Nebenintervention a) Kläger 4 Anders als § 249 Abs. 1 Satz AktG stellt Gesetz für Stellung als Kläger nicht auf Gesellschaf-
terstellung ab, sondern knüpft Stellung als Kläger einer Nichtigkeitsklage mittels des Verweises auf § 111 HGB allein an Vorliegen einer Anfechtungsbefugnis. Die Klägereigenschaft i.S.d. § 114 HGB ist von Amts wegen zu prüfen, weil von ihr die besonderen Verfahrens-
2 Treffend Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 114 HGB Rz. 22. 3 Eingehender Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 114 HGB Rz. 23 m.w.N. 4 Vertiefend Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 114 HGB Rz. 34 f.; großzügiger Grunewald in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 55 mit Fn. 89. 5 Vgl. mit Blick auf das Aktienrecht, dem eine entsprechende Muss-Vorgabe fehlt, Koch, 17. Aufl. 2023, § 249 AktG Rz. 20. 6 BGH v. 23.2.1978 – II ZR 37/77, BGHZ 70, 384, 388 = NJW 1978, 1325 (Gen); Schäfer, ZIP 2021, 1527, 1532. 7 OLG Hamburg v. 31.5.1995 – 11 U 183/94, ZIP 1995, 1513, 1514 f. = GmbHR 1995, 734 (GmbH). 8 Eingehender Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 114 HGB Rz. 29 ff. 9 Vgl. etwa RG v. 20.1.1928 – II 281/27, RGZ 120, 28, 31 (AG).
842 | Holle
Nichtigkeitsklage | Rz. 8 § 114 HGB
regeln des § 113 HGB abhängen. Die Prüfung hat in jeder Lage des Verfahrens zu erfolgen, also auch in der Revisionsinstanz.10 Erlangt ein klagender Dritter im Laufe des Prozesses im Wege der Rechtsnachfolge die 5 Befugnis zur Anfechtung (§ 111 Abs. 1 HGB), ist dessen einfache Feststellungsklage fortan den für die Nichtigkeitsklage geltenden Regelungen zu unterwerfen.11 Die Voraussetzungen des § 113 HGB müssen also eingehalten werden. b) Beklagte Die Nichtigkeitsklage ist gegen die Gesellschaft zu erheben (§ 114 Satz 1 HGB i.V.m. § 113 6 Abs. 2 HGB). Es gelten die gleichen Grundsätze wie im Rahmen der Anfechtungsklage (§ 113 HGB Rz. 4). c) Nebenintervention Eine Nebenintervention ist nach den zur Anfechtungsklage dargestellten Regeln möglich 7 (§ 113 HGB Rz. 5 f.). Die Gesellschafter können dem Verfahren also sowohl auf Kläger- als auch auf Beklagtenseite beitreten.
2. Klageart Die Nichtigkeitsklage ist nach herrschender Meinung ungeachtet ihrer Besonderheiten eine 8 Feststellungsklage.12 Das scheint insofern konsequent, als mit ihr die Klärung erstrebt wird, ob der Beschluss von Anfang an gem. § 110 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HGB nichtig ist. Anders als die Anfechtungsklage zielt die Nichtigkeitsklage also nicht darauf ab, einen vorläufig wirksamen Beschluss für nichtig erklären zu lassen, sondern ist auf Feststellung einer bereits aus sich heraus gegebenen Nichtigkeit gerichtet. Gleichwohl ist mit Gegenauffassung auch der Nichtigkeitsklage die Eigenschaft als Gestaltungsklage zuzusprechen.13 Andernfalls bliebe die Nichtigkeitsklage in ihren Wirkungen hinter der Anfechtungsklage zurück. Eine Einstufung als Feststellungsklage hätte kraft der Verweisung auf § 113 Abs. 6 HGB zwar ebenfalls Rechtskraftwirkung für und gegen sämtliche Gesellschafter zur Folge, nicht aber Gestaltungswirkung gegenüber Dritten. Die herrschende Meinung im Aktien- und GmbH-Recht, die eine entsprechende Gestaltungswirkung zwar annimmt, gleichwohl aber von einer Feststellungsklage ausgeht, ist insoweit wenig konsistent.14
10 Vgl. auch BGH v. 25.2.1965 – II ZR 287/63, BGHZ 43, 261, 266 = NJW 1965, 1378 (GmbH). 11 OLG Stuttgart v. 10.1.2001 – 20 U 91/99, NZG 2001, 277, 278 = ZIP 2001, 650 (AG). 12 Vgl. schon von Tuhr, BGB AT I, 1957, S. 518; ferner etwa RG v. 24.9.1942 – II 50/42, RGZ 170, 83, 87 f. (Gen); BGH v. 27.10.1951 – II ZR 44/50, NJW 1952, 98 (AG); BGH v. 23.5.1960 – II ZR 89/58, BGHZ 32, 318, 322 = NJW 1960, 1447 (Gen); A. Hueck, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit von Generalversammlungsbeschlüssen bei Aktiengesellschaften, 1924, S. 234; Hüffer, ZGR 2001, 833, 853; Schulte, AG 1988, 67, 72. 13 Vgl. vor allem K. Schmidt, JZ 1988, 729 ff.; ferner K. Schmidt in FS Stimpel, S. 217, 224, 239; zuletzt K. Schmidt, ZHR 187 (2023), 107, 118; beipflichtend etwa Mi. Becker, Verwaltungskontrolle durch Gesellschafterrechte, 1997. S. 425; Eberspächer, Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen nach § 241 Nr. 3 AktG, 2009, S. 90 f.; Kindl, ZGR 2000, 166, 172 f.; Noack, Fehlerhafte Beschlüsse in Gesellschaften und Vereinen, 1989, S. 92 ff.; Noack, JZ 2018, 824, 831; Paefgen, ZIP 2004, 145, 149; sympathisierend C. Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002, S. 379. 14 Eingehend Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 35 II, III (im Erscheinen). Holle | 843
§ 114 HGB Rz. 9 | Offene Handelsgesellschaft
3. Rechtsschutzinteresse 9 Geht man von einer Gestaltungsklage aus, setzt die Nichtigkeitsklage eine Gestaltungsbefug-
nis voraus, geht man von einer Feststellungsklage aus, bedarf es jedenfalls eines Feststellungsinteresses. Beides folgt schon aus der Mitgliedschaft und wird durch § 111 HGB näher ausziseliert. Erforderlich ist weiter ein allgemeines Rechtsschutzbedürfnis, das jedoch auch durch § 111 Abs. 2 HGB näher konkretisiert wird und ansonsten nur in Ausnahmefällen fehlen kann, etwa bei mangelfreier Wiederholung des nichtigen Beschlusses.15 Unterstellt man Eigenschaft als Gestaltungsklage, wird man rechtsmissbräuchliche Klage parallel zur Anfechtungsklage als unbegründet ansehen müssen, geht man von Feststellungsklage aus, ist Klage schon unzulässig.16
III. Entsprechende Anwendung der §§ 111 und 113 HGB (Satz 1) 1. Verweis auf § 111 HGB 10 Wegen des Verweises auf § 111 HGB kann Nichtigkeitsklage nur von solchen Personen er-
hoben werden, die anfechtungsbefugt sind. Nichtigkeitsklage kann also von einem Gesellschafter erhoben werden, der oder dessen Rechtsvorgänger bei der Beschlussfassung der Gesellschaft angehört hat. Frühere Gesellschafter können Nichtigkeitsklage erheben beziehungsweise eine bereits erhobene Nichtigkeitsklage fortführen, wenn sie daran ein berechtigtes Interesse haben.17 Dass Personen, die zeitlich nach der Beschlussfassung und außerhalb einer Rechtsnachfolge Gesellschafter geworden sind, vom Kreis der Kläger ausgeschlossen sind, überzeugt nicht, ist als gesetzliches Datum aber hinzunehmen. Zur Konstellation, dass ein klagender Dritter im Laufe des Prozesses im Wege der Rechtsnachfolge die Befugnis zur Anfechtung erlangt, s. Rz. 5.
2. Verweis auf § 113 HGB 11 Nichtigkeitsklage ist vor dem LG zu erheben, in dessen Bezirk Gesellschaft ihren Sitz hat
(§ 114 Satz 1 HGB i.V.m. § 113 Abs. 1 HGB). Wie bei der Anfechtungsklage geht es darum, Verfahren zu konzentrieren und widersprüchliche Entscheidungen zu vermeiden. Da die Nichtigkeit gem. § 110 Abs. 2 Satz 2 HGB auch auf andere Weise geltend gemacht werden kann, kann diese allerdings Gegenstand auch in Verfahren vor anderen Gerichten sein. Bei gleichzeitiger Anhängigkeit bietet es sich an, das Verfahren nach § 148 ZPO auszusetzen und die Entscheidung über die Nichtigkeitsklage abzuwarten.18 12 Die Nichtigkeitsklage ist gegen Gesellschaft zu erheben (§ 114 Satz 1 HGB i.V.m. § 113
Abs. 2 HGB). Insoweit kann umfänglich auf die bei der Anfechtungsklage geltenden Grundsätze verwiesen werden § 113 HGB Rz. 21 ff. 13 Auch bei der Erhebung einer Nichtigkeitsklage ist die Gesellschaft verpflichtet, (1) die Gesell-
schafter unverzüglich über die Erhebung der Klage und die Lage des Rechtsstreits zu unterrichten (§ 114 Satz 1 HGB i.V.m. § 113 Abs. 3 Satz 2 HGB) sowie (2) das Gericht über die erfolgte Unterrichtung in Kenntnis zu setzen (§ 114 Satz 1 HGB i.V.m. § 113 Abs. 3 Satz 2 15 BGH v. 27.9.1956 – II ZR 144/55, BGHZ 21, 354, 356 = NJW 1956, 1753 (AG). 16 Vgl. OLG Frankfurt v. 19.2.1991 – 5 U 5/86, ZIP 1991, 657, 658 (AG); OLG Stuttgart v. 10.1.2001 – 20 U 91/99, NZG 2001, 277, 278 = ZIP 2001, 650 (AG); OLG Stuttgart v. 23.1.2002 – 20 U 54/01, NZG 2003, 1170, 1171 (AG). 17 Vgl. auch Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 114 HGB Rz. 9. 18 Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 114 HGB Rz. 12.
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Nichtigkeitsklage | Rz. 17 § 114 HGB
HGB). Das Gericht ist gehalten, auf eine unverzügliche Unterrichtung der Gesellschafter hinzuwirken (§ 114 Satz 1 HGB i.V.m. § 113 Abs. 3 Satz 3 HGB). Hintergrund ist der Umstand, dass auch ein Nichtigkeitsurteil für und gegen alle Gesellschafter wirkt und sie daher die Möglichkeit haben müssen, dem Verfahren auf Seiten des Klägers oder der beklagten Gesellschaft als streitgenössischer Nebenintervenient beizutreten. Wie schon bei der Anfechtungsklage gelten entsprechende Unterrichtungspflichten zudem mit Blick auf Personen, die sich trotz fehlender Gesellschafterstellung als streitgenössischer Nebenintervenient am Prozess beteiligen können (zu denkbaren Konstellationen § 113 HGB Rz. 5). § 114 Satz 1 HGB verweist auch auf § 113 Abs. 4 HGB, so dass das befasste Gericht die 14 mündliche Verhandlung nicht vor Ablauf der Anfechtungsfrist stattfinden lassen soll. Die Nichtigkeitsklage selbst ist zwar nicht fristgebunden. Der Verweis auf § 113 Abs. 4 Satz 1 HGB bleibt aber deswegen sinnvoll, weil über etwaige Anfechtungsklagen wegen des identischen Klageziels gemeinsam mit der Nichtigkeitsklage verhandelt werden kann. Das Abwarten bis zum Ablauf der Anfechtungsfrist gewährleistet, dass nach einer Verfahrensverbindung nicht neu verhandelt werden muss.19 Der Verweis auf § 113 Abs. 4 Satz 2 HGB läuft indes ins Leere, weil § 114 Satz 2 HGB so formuliert ist, dass er nicht nur vorgibt, Nichtigkeitsprozess und Anfechtungsprozess zu verbinden, sondern auch Appell enthält, mehrere Anfechtungsprozesse und mehrere Nichtigkeitsprozesse zu einem einheitlichen Prozess zusammenzuführen. Der Streitwert der Nichtigkeitsklage ist ebenso zu bemessen wie bei der Anfechtungsklage 15 (§ 114 Satz 1 HGB i.V.m. § 113 Abs. 5 HGB). Eine Verbindung von Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage führt nicht zu einer Erhöhung des Streitwerts, weil Streitgegenstand und Klageziel beider Klagen deckungsgleich sind.20 Nach § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG ist allein Bedeutung des streitgegenständlichen Gesellschafterbeschlusses für den Kläger sowie die Gesellschaft einschließlich der anderen Gesellschafter maßgeblich.21 Auf die Art und die Anzahl der geltend gemachten Anfechtungs- und Nichtigkeitsgründe kommt es nicht an.22 § 114 Satz 1 HGB i.V.m. § 113 Abs. 6 HGB bewirkt eine Erstreckung der materiellen 16 Rechtskraft eines stattgebenden Nichtigkeitsurteils auf sämtliche Gesellschafter. Darüber hinaus entspricht es aber nahezu einhelliger Auffassung, dass ein stattgebendes Nichtigkeitsurteil darüber hinaus Wirkung erga omnes erzielt,23 das heißt, neben den Gesellschaftern auch sonstige Dritte an die Wirkungen des Urteils gebunden sind, was nur mit Verständnis als Gestaltungsurteil stringent erklärbar ist (Rz. 8). Materielle Rechtskrafterstreckung und Gestaltungswirkung beziehen sich nicht auf ein klageabweisendes Urteil, so dass insoweit von einer Wirkung inter partes ausgegangen werden muss.24 Ein abweisendes Nichtigkeitsurteil steht erneuter Klageerhebung durch anderen Gesellschafter daher nicht entgegen.
IV. Prozessverbindung (Satz 2) § 114 Satz 2 HGB enthält die Vorgabe, mehrere Nichtigkeits- und Anfechtungsprozesse zur 17 gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung zu verbinden. Die Vorschrift dehnt den in § 113 Abs. 4 Satz 2 HGB für mehrere Anfechtungsklagen angeordneten Verbindungszwang auf die Kombination von Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage(n) aus. Das ist wegen der Identität der Streitgegenstände von Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage möglich und wegen 19 20 21 22 23 24
Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 114 HGB Rz. 15. Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 114 HGB Rz. 17. Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 114 HGB Rz. 17. BGH v. 11.7.1994 – II ZR 58/94, NJW-RR 1995, 225, 226 = ZIP 1994, 1355 (AG). Statt aller BGH v. 13.10.2008 – II ZR 112/07, NZG 2008, 912 Rz. 8 = ZIP 2008, 2215 (GmbH). Anders Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 114 HGB Rz. 20. Holle | 845
§ 114 HGB Rz. 17 | Offene Handelsgesellschaft der Gestaltungswirkung erga omnes sowie der Rechtskrafterstreckung eines stattgebenden Urteils auch geboten, um sicherzustellen, dass keine divergierenden Entscheidungen mit Blick auf die Kassation eines Beschlusses ergehen. Verbindungszwang gilt auch dann, wenn (nicht fristgebundene) Nichtigkeitsklage zu einem Zeitpunkt erhoben wird, in dem Anfechtungsverfahren prozessual weiter fortgeschritten ist.25 Für gewöhnliche Feststellungsklagen untereinander oder im Verhältnis zur Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage gilt nicht § 114 Satz 2 HGB, sondern § 147 ZPO.26
V. Entsprechende Anwendung 18 §§ 111–113 HGB regeln die prozessualen Modalitäten der Geltendmachung von Anfech-
tungsgründen i.S.d. § 110 Abs. 1 HGB. § 114 HGB erklärt §§ 111 und 113 HGB für entsprechend anwendbar, wenn Gesellschafter sich auf die Nichtigkeit eines Gesellschafterbeschlusses beruft. Gemeint ist Nichtigkeit i.S.d. § 110 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HGB. Das von § 114 HGB verfolgte Anliegen, Rechtsklarheit und -sicherheit herzustellen und Wirkungen des Urteils über die Prozessparteien hinaus mit Wirkung erga omnes eintreten zu lassen, greift aber auch bei tatbestandlich unvollendeten (§ 110 HGB Rz. 28) sowie ohne Regelungskompetenz gefassten Beschlüssen (§ 110 HGB Rz. 29), so dass § 114 HGB in diesen Konstellationen entsprechend anzuwenden ist.27 Beschlüsse, die in unentziehbare Mitgliedschaftsrechte eingreifen, sind schwebend unwirksam, solange der betroffene Gesellschafter diesen nicht zugestimmt oder seine Zustimmung verweigert hat (§ 110 HGB Rz. 30). Eine Klage auf Feststellung der schwebenden Unwirksamkeit generell analog § 114 HGB zu behandeln und ihr damit Wirkung erga omnes zukommen zu lassen, schösse wegen der fehlenden Endgültigkeit des festzustellenden Zustands über das Ziel hinaus.28 Anderes kann aber gelten, wenn der Träger des unentziehbaren Mitgliedschaftsrechts selbst Klage gegen den Beschluss erhebt. Dann muss davon ausgegangen werden, dass er durch die Klageerhebung seine Zustimmung zu dem Eingriff in sein Mitgliedschaftsrecht versagt. Sein Rechtsschutzbegehren zielt dementsprechend auf die endgültige Unwirksamkeit des Beschlusses ab, so dass eine Analogie zu § 114 HGB sachgerecht ist.29 19 Verkompliziert ist die Problematik beim Fehlen einer Beschlussfeststellung. In diesen Fällen
hängt die prozessuale Einkleidung davon ab, ob man die Beschlussfeststellung mit der hier vertretener Auffassung als Bestandteil des Beschlusstatbestands begreift oder ob man in dieser im Einklang mit der herkömmlichen Auffassung nur eine Voraussetzung für die Anwendung des Klagemodells der §§ 111 ff. HGB erblickt (§ 714 BGB Rz. 21 ff.). Zählt man die Beschlussfeststellung zum Tatbestand, führt deren Fehlen zur Anwendbarkeit des § 114 HGB, wobei aber auch isolierte Gestaltungsklage mit dem Begehren denkbar ist, das Gericht möge das Beschlussergebnis aussprechen und hierdurch die Beschlussfeststellung selbst vornehmen und den Beschluss letztlich tatbestandlich komplettieren (§ 115 HGB Rz. 27). Tradierter Auffassung nach kommt ein Beschluss indes auch bei Fehlen der Beschlussfeststellung tatbestandlich zustande. Nur unterbleibt eine inhaltliche Fixierung, so dass das Beschlussergebnis im Wege der Feststellungsklage zu klären wäre.30 Unabhängig davon, welches Verständnis man dem Beschluss zugrunde legt, greift jedenfalls das Anliegen, Rechtsklarheit
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Einschränkend Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 114 HGB Rz. 27 f. Koch, 17. Aufl. 2023, § 249 AktG Rz. 20. Gleichsinnig Liebscher in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 114. Ähnlich Koch, 17. Aufl. 2023, § 249 AktG Rz. 21. Andeutend auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 236 f.; ferner Liebscher in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 115; M. Noack, ZIP 2020, 1382, 1384; Schäfer, ZIP 2021, 1527, 1533. 30 Vgl. Liebscher in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 114.
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Verbindung von Anfechtungs- und Feststellungsklage | § 115 HGB
und -sicherheit herzustellen und die Wirkungen des Urteils über die Prozessparteien hinaus mit Wirkung erga omnes eintreten zu lassen. Einheitliche Lösung ist daher in analoger Anwendung des § 115 HGB zu suchen, der hiesiger Auffassung nach eine Gestaltungsklage abbildet (§ 115 HGB Rz. 7, 27) und daher auch eine tatbestandliche Vervollständigung des Beschlusses ohne weiteres zu leisten imstande ist. Auf den ersten Blick erwägenswert ist, das Fristerfordernis des § 112 HGB bei der Klage auf Beschlussfeststellung heranzuziehen, weil die Beschlussfassung als solche disponibel ist und das mit Fristerfordernis verfolgte Anliegen, zeitnah Rechtsicherheit über den Bestand eines Beschlusses zu erreichen, durchaus Platz greift.31 Das Problem liegt aber darin, dass es mit der Beschlussfeststellung an dem Umstand fehlt, an den im Regelfall die für den Fristbeginn maßgebliche Unterrichtung über den Beschluss geknüpft wird.32
§ 115 HGB Verbindung von Anfechtungs- und Feststellungsklage 1Wendet
sich ein Gesellschafter gegen einen Beschluss, mit dem ein Beschlussvorschlag abgelehnt wurde, kann er seinen Antrag auf Nichtigerklärung des ablehnenden Beschlusses mit dem Antrag verbinden, dass ein Beschluss festgestellt wird, der bei Annahme des Beschlussvorschlags rechtmäßig gefasst worden wäre. 2Auf die Feststellungsklage finden die für die Anfechtungsklage geltenden Vorschriften entsprechende Anwendung.
In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Regelungsgegenstand und Normzweck II. Grundlagen 1. Prozessparteien; Nebenintervention a) Kläger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beklagte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Nebenintervention . . . . . . . . . . . . . . . 2. Klageart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsschutzinteresse . . . . . . . . . . . . . . . III. Verbindung von Anfechtungs- und Beschlussfeststellungsklage (Satz 1) . . IV. Entsprechende Anwendung der §§ 111 und 113 HGB (Satz 2) 1. Verweis auf § 111 HGB . . . . . . . . . . . . . 2. Verweis auf § 112 HGB . . . . . . . . . . . . . 3. Verweis auf § 113 HGB . . . . . . . . . . . . . V. Sonderprobleme bei der positiven Beschlussfeststellungsklage 1. Keine Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage gegen festgestellten Beschluss . . 2. Kein Erfordernis einer Leistungsklage auf positive Stimmabgabe . . . . . . . . . . .
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VI. Einfache Beschlussfeststellungsklage 1. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Modalitäten der Klage a) Prozessparteien; Nebenintervention aa) Kläger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Beklagte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Nebenintervention . . . . . . . . . . . . b) Klageart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zuständiges Gericht . . . . . . . . . . . . . . d) Keine Klagefrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Rechtsschutzinteresse . . . . . . . . . . . . . f) Verbindungszwang . . . . . . . . . . . . . . . g) Unterrichtungspflichten . . . . . . . . . . . h) Streitwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Urteilswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Herkömmliche Feststellungsklage 1. Anwendungsbereich a) Unwirksame Beschlüsse . . . . . . . . . . . b) Klagen Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Modalitäten der Klage a) Prozessparteien; Nebenintervention aa) Kläger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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31 Dafür Otte, ZIP 2020, 1743, 1747. 32 Siehe auch Liebscher in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 114. Holle | 847
§ 115 HGB Rz. 1 | Offene Handelsgesellschaft bb) Beklagte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Nebenintervention . . . . . . . . . . . . b) Zuständiges Gericht . . . . . . . . . . . . . . c) Keine Klagefrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Feststellungsinteresse . . . . . . . . . . . . .
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e) Kein Verbindungszwang; keine Unterrichtungspflichten . . . . . . . . . . . 44 f) Streitwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 g) Urteilswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . 47
Schrifttum: Bayer/Rauch, Beschlussmängel im neuen Recht der Personengesellschaften nach dem MoPeG, DB 2021, 2609 ff.; Drescher, Fehlen und Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses für eine Beschlussmängelklage, FS Stilz, 2014, S. 125 ff.; Emde, Der Angriff eines Mitgesellschafters gegen die Beschlussfeststellungsklage, ZIP 1998, 1475 ff.; Heer, Die positive Beschlussfeststellungsklage im Aktienrecht – Voraussetzungen und besondere Problemstellungen, ZIP 2012, 803 ff.; Schäfer, Beschlussfassung und Beschlussanfechtung in der Personenhandelsgesellschaft nach dem MoPeG-RegE, ZIP 2021, 1527 ff.; K. Schmidt, Geklärte und offene Probleme der „positiven Beschlußfeststellungsklage“, AG 1980, 169 ff.; K. Schmidt, Rechtsschutz des Minderheitsgesellschafters gegen rechtswidrige ablehnende Beschlüsse, Bemerkungen zum Urteil des BGH vom 20. 1. 1986, NJW 1986, 2018 ff.; K. Schmidt, Beschlussmängel und Beschlussmängelstreitigkeiten nach der Modernisierung des Personengesellschaftsrechts – Reformgesetzgebung und Rechtsfortbildung im Dialog, ZHR 187 (2023), 107 ff.; Schwab, Das Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963; Zöllner, Zur positiven Beschlußfeststellungsklage im Aktienrecht (und anderen Fragen des Beschlußrechts), ZGR 1982, 623 ff.
I. Regelungsgegenstand und Normzweck 1 § 115 HGB ist durch MoPeG umfassend neu gefasst worden. Die bislang in § 115 HGB ent-
haltenen beiden Absätze zur Geschäftsführung durch mehrere Gesellschafter finden sich inhaltlich unverändert in § 116 Abs. 3 und Abs. 4 HGB. In seiner geltenden Fassung regelt § 115 HGB die „Verbindung von Anfechtungs- und Feststellungsklage“. Gemeint ist die sog. positive Beschlussfeststellungsklage, die im Aktien- und GmbH-Recht schon bislang anerkannt war, mit § 115 HGB nun aber erstmalig eine gesetzliche Regelung gefunden hat.1 Satz 1 umschreibt den Gegenstand der positiven Beschlussfeststellungsklage. Satz 2 erklärt die für die Anfechtungsklage geltenden Vorschriften für entsprechend anwendbar. 2 Die positive Beschlussfeststellungsklage schließt die Lücke, die bleibt, wenn zu Unrecht –
etwa wegen eines Zählfehlers oder wegen fehlerhaft angenommener Mehrheitsverhältnisse – festgestellt worden ist, dass ein Beschlussvorschlag abgelehnt wurde. Die unzutreffende Feststellung macht den Beschluss anfechtbar und er muss auch angefochten werden, wenn er nicht unangreifbar werden soll.2 Um dem wahren Beschlussergebnis zur Geltung zu verhelfen, hilft eine Anfechtungsklage für sich genommen aber nicht weiter, da sie das festgestellte Ergebnis nur aus der Welt schafft, nicht aber zur Folge hat, dass das Gegenteil als beschlossen gilt. Gesellschafter auf erneute Beschlussfassung zu verweisen, geht nicht an, weil nicht ausgemacht ist, dass die Mehrheit für den Antrag ein zweites Mal zustande kommt3 und eine erneute Beschlussfassung den Beschluss auch nur mit Wirkung ex nunc in die Welt setzen kann. Um das Rechtsschutzsystem zu komplettieren und dem tatsächlich Beschlossenen zur Geltung zu verhelfen, muss der Anfechtungsantrag deshalb um den Feststellungsantrag ergänzt werden können, dass der Beschluss mit näher dem bezeichneten Inhalt zustande gekommen ist. Bei der Annahme eines Beschlussantrags ist die Beschlussfeststellungsklage ob-
1 Allgemeiner zur positiven Beschlussfeststellungsklage Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 36 (im Erscheinen). 2 Treffend RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 236. 3 Vgl. insoweit auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 236.
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Verbindung von Anfechtungs- und Feststellungsklage | Rz. 7 § 115 HGB
solet, weil die insoweit begehrte Feststellung, dass der Beschluss keine Rechtswirkungen zeitigt, schon im Anfechtungsurteil eingeschlossen ist.4 § 115 HGB regelt mit der positiven Beschlussfeststellungsklage nur die Kombination einer 3 Beschlussfeststellungsklage mit einer Anfechtungsklage. Nicht unmittelbar vom Regelungsbereich des § 115 HGB umfasst ist die Konstellation, dass die Beschlussfeststellung unterblieben beziehungsweise streitig ist. Es ist jedoch sachgerecht, auch für eine solche Klage § 115 HGB heranzuziehen und damit die für die Anfechtungsklage geltenden Vorschriften anzuwenden (Rz. 23).
II. Grundlagen 1. Prozessparteien; Nebenintervention a) Kläger Die positive Beschlussfeststellungsklage zeichnet sich durch die Kombination von Anfech- 4 tungs- und Beschlussfeststellungsklage aus, so dass als Kläger nur Personen in Betracht kommen, die anfechtungsbefugt sind. Die Klägereigenschaft i.S.d. § 115 HGB ist von Amts wegen zu prüfen, weil von ihr die besonderen Verfahrensregeln des § 113 HGB abhängen. Die Prüfung hat in jeder Lage des Verfahrens zu erfolgen, also auch in Revisionsinstanz.5 b) Beklagte Die positive Beschlussfeststellungsklage ist gegen die Gesellschaft zu erheben (§ 115 Satz 2 5 HGB i.V.m. § 113 Abs. 2 HGB). Es gelten die gleichen Grundsätze wie im Rahmen der Anfechtungsklage (§ 113 HGB Rz. 4). c) Nebenintervention Eine Nebenintervention ist nach den zur Anfechtungsklage dargestellten Regeln möglich 6 (§ 113 HGB Rz. 5 f.). Gesellschafter können dem Verfahren also sowohl auf Kläger- als auch auf Beklagtenseite beitreten.
2. Klageart Nach teilweise vertretener Auffassung handelt es sich bei der positiven Beschlussfeststel- 7 lungsklage ungeachtet ihrer Besonderheiten um eine Feststellungsklage.6 Ausgehend vom tradierten Beschlussverständnis, wonach die Beschlussfeststellung nicht zum Tatbestand des Beschlusses zählt, scheint das konsequent: Die Anfechtungsklage kassiert eine fehlerhafte Beschlussfeststellung und das Gericht kann daraufhin feststellen, wie der Beschluss richtig lautet. Wenig stringent wäre dann allerdings Annahme, besagte Feststellungsklage zementiere das Beschlussergebnis mit Wirkung erga omnes, so dass mitunter – und ausgehend vom tradierten Beschlussverständnis – zu Recht eine Gestaltungsklage angenommen wird.7 Die Dis-
4 Vgl. auch BGH v. 13.1.2003 – II ZR 173/02, NZG 2003, 284, 285 = ZIP 2003, 435 (GmbH): Gleichwohl erhobene Feststellungsklage ist unzulässig. 5 Vgl. auch BGH v. 25.2.1965 – II ZR 287/63, BGHZ 43, 261, 266 = NJW 1965, 1378 (GmbH). 6 Vgl. BGH v. 13.3.1980 – II ZR 54/78, BGHZ 76, 191, 198 f. = NJW 1980, 1465 (AG). 7 Vgl. etwa Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt, 2. Aufl. 1996, S. 247; K. Schmidt, AG 1980, 169, 170; K. Schmidt, NJW 1986, 2018, 2020; K. Schmidt, Mehrseitige GestalHolle | 849
§ 115 HGB Rz. 7 | Offene Handelsgesellschaft kussion erübrigt sich, wenn man mit der hier vertretenen Auffassung davon ausgeht, dass die Beschlussfeststellung den Tatbestand des Beschlusses komplettiert (§ 714 BGB Rz. 21 ff.). Dann kann die Kombination von Anfechtungs- und Feststellungsklage nur dahin verstanden werden, dass die „Feststellungsklage“ den Beschlusstatbestand wieder komplettiert, damit den Rechtsakt neuerlich erschafft und somit Gestaltungsklage ist.8
3. Rechtsschutzinteresse 8 Geht man von einer Gestaltungsklage aus, setzt eine positive Beschlussfeststellungsklage eine
Gestaltungsbefugnis voraus, geht man von einer Feststellungsklage aus, bedarf es jedenfalls eines Feststellungsinteresses. Beides folgt schon aus Mitgliedschaft und wird durch § 111 HGB näher geregelt. Erforderlich ist weiter ein allgemeines Rechtsschutzbedürfnis, das jedoch auch durch § 111 Abs. 2 HGB konkretisiert wird und ansonsten nur in Ausnahmefällen fehlen kann. Geht man von einer Gestaltungsklage aus, wird man rechtsmissbräuchliche Klage parallel zur Anfechtungsklage als unbegründet ansehen müssen, geht man von Feststellungsklage aus, ist Klage schon unzulässig.9 9 § 115 Satz 1 HGB spricht davon, dass der Kläger seine Anfechtungsklage mit einer Beschluss-
feststellungsklage verbinden „kann“. Tatsächlich ist eine Verbindung zwingend, sofern es dem Kläger darum geht, die Geltung des wahren Beschlussergebnisses zu erreichen. Für eine isolierte Anfechtungsklage fehlt dann das Rechtsschutzbedürfnis, weil der Kläger mit ihr nur mehr die Kassation des festgestellten Beschlusses erreichen kann, nicht aber zugleich die Geltung des wahren Beschlussergebnisses.10 Umgekehrt wäre aber auch für eine isolierte Feststellungsklage das Rechtsschutzbedürfnis zu verneinen, da der fehlerhaft festgestellte Beschluss weiter in der Welt wäre.11 Das Prozessgericht hat gegebenenfalls nach § 139 Abs. 1 ZPO auf die Erweiterung des Antrags hinzuwirken.12
III. Verbindung von Anfechtungs- und Beschlussfeststellungsklage (Satz 1) 10 § 115 Satz 1 HGB regelt, dass ein Gesellschafter, der sich gegen einen ablehnenden Beschluss
wendet, seinen Antrag auf Nichtigerklärung des ablehnenden Beschlusses mit dem Antrag verbinden kann, dass ein Beschluss festgestellt wird, der bei Annahme des Beschlussvorschlags rechtmäßig gefasst worden wäre. Der Regelungsgehalt des Satzes 1 erschöpft sich damit in bloßer Klarstellung. Denn die Verbindung von Anfechtungsklage und Klage auf Feststellung des zutreffenden Beschussergebnisses wird zur Komplementierung des beschlussmängelrechtlichen Rechtsschutzsystems schon lange vorausgesetzt (Rz. 2).13
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tungsprozesse bei Personengesellschaften, 1992, S. 104; K. Schmidt, ZHR 187 (2023), 107, 119; Schwab, Das Prozessrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005, S. 339 f. Eingehend Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 36 II 2, 3 (im Erscheinen). Vgl. OLG Frankfurt v. 19.2.1991 – 5 U 5/86, ZIP 1991, 657, 658 (AG); OLG Stuttgart v. 10.1.2001 – 20 U 91/99, NZG 2001, 277, 278 = ZIP 2001, 650 (AG); OLG Stuttgart v. 23.1.2002 – 20 U 54/01, NZG 2003, 1170, 1171 (AG). Vgl. Drescher in FS Stilz, 2014, S. 125, 127 f. Drescher in FS Stilz, 2014, S. 125, 128. Drescher in FS Stilz, 2014, S. 125, 128. Vgl. K. Schmidt, ZHR 187 (2023), 107, 119.
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Verbindung von Anfechtungs- und Feststellungsklage | Rz. 14 § 115 HGB
Das Hinzutreten positiver Beschlussfeststellungklage zur Anfechtungsklage wird im Aktien- 11 und GmbH-Recht als zulässige Klagehäufung qualifiziert.14 Satz 1 macht dahingehende Einordnung im Recht der Personenhandelsgesellschaften durch explizit genannte Kombinationsmöglichkeit obsolet. In der Sache handelt es sich bei der Kombination beider Klagen aber weiterhin um Klagehäufung i.S.d. § 260 ZPO. In dem wohl eher theoretischen Fall, dass der Ablehnung des Beschussantrags ein Nichtig- 12 keitsgrund anhaftet, kann auch eine daraufhin erhobene Nichtigkeitsklage mit einer positiven Beschlussfeststellungsklage verbunden werden.15
IV. Entsprechende Anwendung der §§ 111 und 113 HGB (Satz 2) 1. Verweis auf § 111 HGB Wegen des Verweises auf § 111 HGB kann die Kombination von Anfechtungs- und Feststel- 13 lungsklage nur von solchen Personen erhoben werden, die anfechtungsbefugt sind. Die positive Feststellungsklage kann also von einem Gesellschafter erhoben werden, der oder dessen Rechtsvorgänger bei der Beschlussfassung der Gesellschaft angehört hat (§ 111 Abs. 1 HGB). Frühere Gesellschafter können positive Beschlussfeststellungsklage erheben beziehungsweise bereits erhobene positive Beschlussfeststellungsklage fortführen, wenn sie daran ein berechtigtes Interesse haben (§ 111 Abs. 2 HGB). Nicht erforderlich ist, dass der klagende Gesellschafter derjenige Gesellschafter ist beziehungsweise der Rechtsnachfolger des Gesellschafters ist, der den abgelehnten Beschlussantrag gestellt hat.16
2. Verweis auf § 112 HGB Kläger hat gem. § 115 Satz 2 HGB die Klagefrist nach § 112 HGB zu beachten. Die Klagefrist 14 gilt wegen des einheitlichen Rechtsschutzziels dabei sowohl für die Erhebung der Anfechtungs- als auch für die Erhebung der Beschlussfeststellungsklage. Mit Blick auf den Aspekt der Rechtssicherheit muss man es aber als ausreichend erachten, wenn der Anfechtungsantrag fristgemäß erhoben wird. Der Kläger kann seine Klage auch nach Ablauf der Anfechtungsfrist noch um den Antrag ergänzen, das richtige Beschlussergebnis festzustellen. Insoweit auf die Einhaltung der Anfechtungsfrist zu pochen, wäre nicht gerechtfertigt, da der Beschluss durch den Anfechtungsantrag ohnehin Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens ist.17 Sofern eine Nichtigkeitsklage mit der Klage auf Beschlussfeststellung verbunden wird, ist § 112 HGB nicht heranzuziehen, da die Nichtigkeit aus sich heraus besteht, zeitlich unbegrenzt geltend gemacht werden kann und beides konterkariert würde, wenn die Klage auf Feststellung des zutreffenden Beschlussergebnisses an eine Frist geknüpft würde.18
14 BGH v. 26.10.1983 – II ZR 87/83, BGHZ 88, 320, 329 = NJW 1984, 489 = GmbHR 1984, 93 (GmbH); OLG Köln v. 14.6.2018 – 18 U 36/17, BeckRS 2018, 17085 Rz. 58 (GmbH). 15 Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 115 HGB Rz. 17. 16 Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 115 HGB Rz. 10. 17 Anders aber Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 115 HGB Rz. 11; K. Schmidt, AG 1980, 169, 170; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963, S. 411; Zöllner, ZGR 1982, 623, 628, 629 f.; weniger eindeutig K. Schmidt, NJW 1986, 2018, 2020: Positive Beschlussfeststellungsklage kann „nur im Zusammenhang mit der befristeten Anfechtungsklage erhoben werden“. 18 Gleichsinnig Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 115 HGB Rz. 17. Holle | 851
§ 115 HGB Rz. 15 | Offene Handelsgesellschaft
3. Verweis auf § 113 HGB 15 Die positive Beschlussfeststellungklage ist vor dem LG zu erheben, in dessen Bezirk die Ge-
sellschaft ihren Sitz hat (§ 115 Satz 2 HGB i.V.m. § 113 Abs. 1 HGB). Wie bei der isolierten Anfechtungsklage geht es darum, das Verfahren zu konzentrieren und widersprüchliche Entscheidungen zu vermeiden (§ 113 HGB Rz. 18). 16 Die positive Beschlussfeststellungklage ist gegen die Gesellschaft zu erheben (§ 115 Satz 2
HGB i.V.m. § 113 Abs. 2 HGB). Insoweit kann auf die bei der Anfechtungsklage geltenden Grundsätze verwiesen werden § 113 HGB Rz. 21 ff. 17 Auch bei der Erhebung einer positiven Beschlussfeststellungklage ist die Gesellschaft ver-
pflichtet, (1) die Gesellschafter unverzüglich über die Erhebung der Klage und die Lage des Rechtsstreits zu unterrichten (§ 115 Satz 2 HGB i.V.m. § 113 Abs. 3 Satz 1 HGB) sowie (2) das Gericht über die erfolgte Unterrichtung in Kenntnis zu setzen (§ 115 Satz 2 HGB i.V.m. § 113 Abs. 3 Satz 2 HGB). Das Gericht ist gehalten, auf eine unverzügliche Unterrichtung der Gesellschafter hinzuwirken (§ 115 Satz 2 HGB i.V.m. § 113 Abs. 3 Satz 3 HGB). Hintergrund ist der Umstand, dass sowohl die Anfechtungs- beziehungsweise Nichtigkeitsklage sowie die positive Beschlussfeststellungsklage für und gegen alle Gesellschafter wirken und diese daher die Möglichkeit haben müssen, dem Verfahren auf Seiten des Klägers oder der beklagten Gesellschaft als streitgenössischer Nebenintervenient beizutreten. Wie schon bei der Anfechtungsklage gelten entsprechende Unterrichtungspflichten zudem mit Blick auf Personen, die sich trotz fehlender Gesellschafterstellung als streitgenössischer Nebenintervenient am Prozess beteiligen können (zu denkbaren Konstellationen § 113 HGB Rz. 5). Die Informationspflicht nach § 115 Satz 2 HGB i.V.m. § 113 Abs. 3 Satz 1 HGB erstreckt sich dabei auch auf den Umstand, dass neben der Beschlussanfechtung begehrt ist, das wahre Beschlussergebnis festzustellen. 18 Mehrere Anfechtungs-, Nichtigkeits- und Beschlussfeststellungsklagen sind einheitlich zu ver-
handeln und zu entscheiden (§ 115 Satz 2 HGB i.V.m. § 113 Abs. 4 Satz 2 HGB). Auch soll das Gericht die mündliche Verhandlung nicht vor Ablauf der Anfechtungsfrist stattfinden lassen (§ 115 Satz 2 HGB i.V.m. § 113 Abs. 4 Satz 1 HGB), um möglichst zu gewährleisten, dass nach einer Verfahrensverbindung nicht neu verhandelt werden muss. 19 Der Streitwert der positiven Beschlussfeststellungsklage ist zu bemessen wie bei der Anfech-
tungsklage (§ 115 Satz 2 HGB i.V.m. § 113 Abs. 5 HGB). Die Kombination von Anfechtungs- und positiver Beschlussfeststellungsklage führt in der Regel nicht zur Erhöhung des Streitwerts, weil der Kläger ein einheitliches Klageziel verfolgt.19 20 § 115 Satz 2 HGB i.V.m. § 113 Abs. 6 HGB bewirkt die Erstreckung der materiellen Rechts-
kraft eines stattgebenden Urteils auf sämtliche Gesellschafter. Darüber hinaus entspricht es nahezu einhelliger Auffassung, dass neben dem kassatorischen Anfechtungsurteil auch das stattgebende Feststellungsurteil Wirkung erga omnes erzielt,20 das heißt, neben den Gesellschaftern auch sonstige Dritte an die Beschlussfeststellung des Gerichts gebunden sind, was nur mit einem Verständnis als Gestaltungsurteil stringent erklärbar ist (Rz. 7). Die Feststellung wirkt auf Zeitpunkt der Beschlussfassung zurück (Ex-tunc-Wirkung).21 Materielle Rechtskrafterstreckung und Gestaltungswirkung beziehen sich nicht auf klageabweisendes Urteil, so dass insoweit von einer Wirkung inter partes ausgegangen werden muss. Eine neuerliche Klage wird aber im Regelfall am Ablauf der Anfechtungsfrist scheitern.
19 Vgl. Vatter in BeckOGK/AktG, Stand: 1.1.2023, § 247 AktG Rz. 13. 20 Statt aller Schäfer in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2021, § 248 AktG Rz. 28. 21 Schäfer in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2021, § 248 AktG Rz. 28.
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Verbindung von Anfechtungs- und Feststellungsklage | Rz. 21 § 115 HGB
V. Sonderprobleme bei der positiven Beschlussfeststellungsklage 1. Keine Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage gegen festgestellten Beschluss Spezielles Problem positiver Beschlussfeststellungsklage ist die Frage, ob ein gerichtlich fest- 21 gestellter Beschluss neuerlich im Wege der Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage angegriffen werden kann. Im WEG-Recht wird die Möglichkeit neuerlichen Angriffs jedenfalls für den Fall erstmaliger Beschlusskomplettierung durch das Gericht bejaht.22 Im Gesellschaftsrecht wird sie indes überwiegend und zu Recht verworfen.23 Sie ist vor dem Hintergrund, dass das Beschlussmängelrecht von dem Bestreben geleitet sein muss, möglichst zeitnah Rechtssicherheit darüber zu erlangen, ob und mit welchem Inhalt ein Beschluss gefasst wurde, wenig sachgerecht.24 Konsequenz hieraus ist freilich, dass anfechtungsberechtigten Gesellschaftern abverlangt wird, etwaige Anfechtungsgründe im Wege streitgenössischer Nebenintervention auf Seiten der beklagten Gesellschaft im Rahmen des Beschlussfeststellungsprozesses vorzutragen, um diesen nicht verlustig zu gehen.25 Das an sich zu gewährende Recht, gegen den gerichtlich festgestellten Beschluss Anfechtungsklage zu erheben, kann unter Verweis auf das Recht zur streitgenössischen Nebenintervention im Beschlussfeststellungsprozess also soweit versagt werden, wie der dortige Streitgegenstand den Vortrag entsprechender Mängel zugelassen hätte. Mit Blick auf Beschlussfehler, die zur Inexistenz, Wirkungslosigkeit oder Nichtigkeit des Beschlusses führen, können die vom Beschluss materiell-rechtlich betroffenen Personen grundsätzlich darauf vertrauen, nicht mit einem rechtsgültigen Beschluss konfrontiert zu werden, solange ihnen nicht die Möglichkeit gegeben war, derartige Fehler geltend zu machen. Einem Übergehen solcher Beschlussfehler ist dadurch vorzubeugen, dass das Gericht dazu angehalten ist, solchen Beschlussfehlern von Amts wegen nachzugehen.26
22 Vgl. etwa AG Hamburg-Blankenese v. 17.9.2008 – 539 C 27/08, ZMR 2008, 1001, 1002; Elzer, ZMR 2008, 1004, 1005 f.; H. Müller, NZM 2003, 222, 224 f.; wohl auch Deckert, ZMR 2003, 153, 157 f. mit Fn. 31; Riecke/von Rechenberg, MDR 2002, 309, 310; anders Abramenko, ZMR 2004, 789, 790 ff., der – in Anlehnung an die Vorgehensweise im Gesellschaftsrecht – annimmt, dass Anfechtungsgründe im Beschlussfeststellungsverfahren geltend zu machen sind; wieder anders Ma. Becker, ZWE 2002, 93, 96 f., wonach das mit dem Beschlussfeststellungsbegehren befasste Gericht von sich aus Nichtigkeits- und Anfechtungsgründe zu berücksichtigen hat. 23 Vgl. vor allem BGH v. 13.3.1980 – II ZR 54/78, BGHZ 76, 191, 200 = NJW 1980, 1465 (AG); K. Schmidt, AG 1980, 169, 171 f.; für die Möglichkeit eines sich anschließenden Anfechtungsprozesses aber Bauschatz, NZG 2002, 317, 319 ff. Zöllner, ZGR 1982, 623, 631 will Anfechtungsgründe im Beschlussfeststellungsprozess von Amts wegen berücksichtigt wissen, soweit die für sie maßgeblichen Tatsachen in den Prozess eingeführt sind; folgend Heer, ZIP 2012, 803, 807 f. 24 Vgl. auch BGH v. 13.3.1980 – II ZR 54/78, BGHZ 76, 191, 200 = NJW 1980, 1465 (AG): Es wäre mit „der Rechtssicherheit unvereinbar, wenn der gerichtlich festgestellte positive Beschluß wiederum angefochten und dann nachträglich vernichtet werden könnte“; K. Schmidt, AG 1980, 169, 171: Dringendes praktisches Bedürfnis, „die Beschlußfassung in einem einzigen Gestaltungsrechtsstreit definitiv auf alle formellen und materiellen Anfechtungsgründe hin zu prüfen“; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963, S. 413: Möglichkeit gesonderten Anfechtungsverfahrens wäre völlig unpraktisch und würde die Dauer der Rechtsunsicherheit, die bereits bei gewöhnlichen Anfechtungsprozessen keineswegs kurz ist, ins Unabsehbare verlängern. 25 Siehe auch BGH v. 13.3.1980 – II ZR 54/78, BGHZ 76, 191, 201 = NJW 1980, 1465 (AG): „allen Interessen gerecht werdende Lösung“; vgl. ferner etwa Emde, ZIP 1998, 1475, 1476 ff.; Heer, ZIP 2012, 803, 804; K. Schmidt, AG 1980, 169, 171 f.; M. Schwab, Das Prozessrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005, S. 360 ff. 26 Treffend K. Schmidt, AG 1980, 169, 171; M. Schwab, Das Prozessrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005, S. 361; Zöllner, ZGR 1982, 623, 630. Holle | 853
§ 115 HGB Rz. 22 | Offene Handelsgesellschaft
2. Kein Erfordernis einer Leistungsklage auf positive Stimmabgabe 22 Weiteres Sonderproblem stellt sich, wenn der Kläger seine Klage auf positive Beschlussfest-
stellung auf positive Stimmpflichten stützt, wenn einzelne Gesellschafter also treuwidrig mit „Nein“ gestimmt, sich der Stimme enthalten oder der Abstimmung gar ganz ferngeblieben sind, obwohl sie kraft Treuepflicht verpflichtet gewesen wären, dem Beschlussantrag zuzustimmen. In diesen Konstellationen wird teilweise davon ausgegangen, dass der klagende Gesellschafter zusätzlich die dissentierenden Gesellschafter mittels Leistungsklage auf positive Stimmabgabe verklagen muss.27 Hierdurch wird zwar dem Umstand Rechnung getragen, dass individuelle Stimmpflichten in Rede stehen, und synchron hierzu eine individuelle Beteiligung betroffener Personen am Prozess sichergestellt. Das Anliegen des § 115 HGB, die Anfechtungs- und Beschlussfeststellungsklage zu bündeln und mit Wirkung für und gegen alle Gesellschafter zu versehen, spricht jedoch dafür, dass das Gericht die positive Stimmabgaben dissentierender Gesellschafter bei entsprechender Stimmpflicht fingieren kann und eine zusätzliche Leistungsklage daher obsolet ist.28 Sich an dem Prozess zu beteiligen, wird damit zwar zur Obliegenheit der betroffenen Gesellschafter, was aber schon deswegen hingenommen werden kann, weil ein Gesellschafter bei Beschlussmängelklagen nach §§ 110 ff. HGB auch ansonsten stets Gefahr läuft, mit von ihm so nicht gewolltem und bislang so nicht festgestelltem Beschlussergebnis konfrontiert zu werden. Eine Beschlussfeststellung unter Zuhilfenahme fingierter Stimmen lässt sich auch dogmatisch ohne weiteres annehmen, wenn man mit der hier vertretenen Auffassung davon ausgeht, dass das Gericht den zutreffenden Beschluss mit gestaltender Wirkung in die Welt setzen kann und nicht lediglich darauf beschränkt ist, das vorgefundene Beschlussergebnis festzustellen.
VI. Einfache Beschlussfeststellungsklage 1. Ausgangslage 23 Die in §§ 113 ff. HGB vorgesehenen Klagen verdrängen die herkömmliche Klagearten nur
innerhalb ihres Anwendungsbereichs. Bedeutung erlangt insoweit namentlich der Umstand, dass § 115 HGB mit der positiven Beschlussfeststellungsklage nur die Kombination einer Beschlussfeststellungsklage mit der Anfechtungsklage regelt. Nicht unmittelbar vom Regelungsbereich des § 115 HGB umfasst ist die Konstellation, dass die Beschlussfeststellung unterblieben beziehungsweise streitig ist und daher einer gerichtliche Klärung begehrt wird. Erst Recht nicht geregelt ist die Konstellation, dass Streit darüber besteht, ob überhaupt ein Beschluss gefasst wurde. Ausgehend vom herkömmlichen Beschlussverständnis muss eine entsprechende gerichtliche Klärung in sämtlichen Konstellationen im Ausgangspunkt auf Feststellung lauten, da der Beschluss auch ohne Beschlussfeststellung tatbestandlich hervorgebracht, Frage etwaiger Beschlussfeststellung zu beurteilen ist oder Beschluss als solcher in Frage steht.29 Nach dem hier vertretenen Verständnis muss eine Klage bei fehlender Beschlussfeststellung auf Vollendung des Tatbestands gerichtet sein und kann ihrer Natur nach
27 Vgl. etwa Fischer, BB 2013, 2819, 2823; Noack in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, Anh. § 47 GmbHG Rz. 192; Wertenbruch in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2023, Anh. § 47 GmbHG Rz. 447; 28 So auch BGH v. 5.11.1984 – II ZR 111/84, NJW 1985, 974 = ZIP 1985, 407 (KG); BGH v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, NJW 2010, 65 Rz. 17 = ZIP 2009, 2289 (OHG); wohl auch Drescher in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2023, § 47 GmbHG Rz. 262. 29 Vgl. dann auch etwa Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 115 HGB Rz. 22 f., 27 f.; Schäfer, ZIP 2021, 1527, 1532.
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Verbindung von Anfechtungs- und Feststellungsklage | Rz. 26 § 115 HGB
daher nur eine Gestaltungsklage sein.30 Lediglich bei streitiger Beschlussfeststellung sowie bei Streit darüber, ob überhaupt ein Beschluss gefasst wurde, wäre eine Feststellungsklage denkbar. Unterschiedliche Ansätze wirken sich allerdings nicht aus, da die Regierungsbegründung erkennen lässt, dass eine einheitliche Feststellung wie bei §§ 113, 114, 115 HGB anzustreben ist.31 Hierfür aufgezeigter Weg entsprechender Anwendung des § 113 HGB und namentlich der dort in Abs. 6 geregelten Rechtskrafterstreckung versandete aber wieder auf halber Strecke zur angestrebten Gleichstellung mit den §§ 113 ff. HGB, wenn man nicht auch Gestaltungswirkung mit der von dieser ausgehenden Wirkung erga omnes annähme. Unabhängig vom dogmatischen Verständnis des Beschlusses ist daher davon auszugehen, dass sämtliche Beschlussstreitigkeiten von den Gesellschaftern gegenüber der Gesellschaft grundsätzlich mit Wirkung erga omnes und dementsprechend im Wege der Gestaltungsklage auszutragen sind.32
2. Modalitäten der Klage a) Prozessparteien; Nebenintervention aa) Kläger Die Beschlussfeststellungsklage zielt wie sonstige aus dem Gesellschafterkreis erhobene Be- 24 schlussklagen auf die verbindliche Klärung der Beschlusslage im Gesellschafterkreis ab. Der Kreis der Kläger kann daher ebenso gezogen werden, wie bei den im Gesetz geregelten Beschlussklagen. Als Kläger kommt daher in Betracht, wer anfechtungsbefugt ist. Die Beschlussfeststellungsklage kann also von einem Gesellschafter erhoben werden, der oder dessen Rechtsvorgänger bei der Beschlussfassung der Gesellschaft angehört hat (§ 111 Abs. 1 HGB). Frühere Gesellschafter können Beschlussfeststellungsklage erheben beziehungsweise eine bereits erhobene Beschlussfeststellungsklage fortführen, wenn sie daran ein berechtigtes Interesse haben (§ 111 Abs. 2 HGB). Die Klägereigenschaft ist von Amts wegen zu prüfen, weil von ihr die besonderen Verfahrensregeln des § 113 HGB abhängen. Die Prüfung hat in jeder Lage des Verfahrens zu erfolgen, also auch in der Revisionsinstanz.33 bb) Beklagte Die Beschlussfeststellungsklage ist gegen die Gesellschaft zu erheben (§ 113 Abs. 2 HGB). Es 25 gelten die gleichen Grundsätze wie im Rahmen der Anfechtungsklage (§ 113 HGB Rz. 4). cc) Nebenintervention Eine Nebenintervention ist nach den zur Anfechtungsklage dargestellten Regeln möglich 26 (§ 113 HGB Rz. 5 f.). Gesellschafter können dem Verfahren also sowohl auf Kläger- als auch auf Beklagtenseite beitreten.
30 Eingehend Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 36 II 2, 3 (im Erscheinen). 31 Vgl. RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 236; begrüßend Schäfer, ZIP 2021, 1527, 1532. 32 Vgl. auch Bayer/Rauch, DB 2021, 2609, 2615: Prozessualer Gleichklang von Anfechtungs-, Nichtigkeits- und Feststellungsklage. 33 Vgl. auch BGH v. 25.2.1965 – II ZR 287/63, BGHZ 43, 261, 266 = NJW 1965, 1378 (GmbH). Holle | 855
§ 115 HGB Rz. 27 | Offene Handelsgesellschaft b) Klageart 27 Ausgehend vom tradierten Beschlussverständnis handelt es sich bei Beschlussfeststellungs-
klage ungeachtet ihrer Besonderheiten um eine Feststellungsklage,34 weil das Gericht lediglich auszusprechen hat, wie es Rechtslage sieht. Wegen Gleichklang mit sonstigen Beschlussklagen anzustrebende Wirkung erga omnes lässt sich mit Charakter als Feststellungsklage aber nicht stringent begründen, sondern drängt zur Annahme einer Gestaltungsklage.35 Steht eine fehlende Beschlussfeststellung in Rede, erübrigt sich eine Diskussion, wenn man mit der hier vertretenen Auffassung davon ausgeht, dass die Beschlussfeststellung den Tatbestand des Beschlusses komplettiert (vgl. schon Rz. 7).36 c) Zuständiges Gericht 28 Beschlussfeststellungklage ist vor der LG zu erheben, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren
Sitz hat (§ 115 Satz 2 HGB i.V.m. § 113 Abs. 1 HGB). Wie bei sonstigen aus dem Gesellschafterkreis heraus erhobenen Beschlussklagen geht es darum, das Verfahren zu konzentrieren und widersprüchliche Entscheidungen zu vermeiden. d) Keine Klagefrist 29 Problematisch ist das Erfordernis einer Klagefrist analog § 112 HGB. Da die Beschlussfest-
stellung streitig ist oder fehlt, wird es im Regelfall an einer einheitlichen Bekanntgabe und damit an einem geeigneten Anknüpfungspunkt für den Lauf einer Klagefrist fehlen. Der Gesetzgeber gibt daher zu erkennen, dass er eine zeitliche Befristung allenfalls über das Rechtsinstitut der Verwirkung wünscht.37 e) Rechtsschutzinteresse 30 Geht man von Gestaltungsklage aus, setzt eine Beschlussfeststellungsklage eine Gestaltungs-
befugnis voraus, geht man von einer Feststellungsklage aus, bedarf es jedenfalls eines Feststellungsinteresses. Beides folgt schon aus der Mitgliedschaft und wird durch § 111 HGB näher geregelt. Erforderlich ist weiter ein allgemeines Rechtsschutzbedürfnis, das jedoch auch durch § 111 Abs. 2 HGB konkretisiert wird und ansonsten nur in Ausnahmefällen fehlen kann. Geht man von einer Gestaltungsklage aus, wird man eine rechtsmissbräuchliche Klage parallel zur Anfechtungsklage als unbegründet ansehen müssen, geht man von einer Feststellungsklage aus, ist die Klage schon unzulässig.38 f) Verbindungszwang 31 Mehrere Beschlussfeststellungsklagen sind einheitlich zu verhandeln und zu entscheiden
(§ 113 Abs. 4 Satz 2 HGB). § 113 Abs. 4 Satz 1 HGB lässt sich indes nicht heranziehen, da keine Klagefrist zu beachten ist.
34 Vgl. etwa Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 115 HGB Rz. 22 f., 27 f. 35 Insofern konsequent Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 115 HGB Rz. 27 f. 36 Vgl. Holle, Der privatrechtliche Beschluss, Funktionsvoraussetzungen, Tatbestand, Fehlerfolgen, § 36 II 2 (im Erscheinen). 37 RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 236. 38 Vgl. OLG Frankfurt v. 19.2.1991 – 5 U 5/86, ZIP 1991, 657, 658 (AG); OLG Stuttgart v. 10.1.2001 – 20 U 91/99, NZG 2001, 277, 278 = ZIP 2001, 650 (AG); OLG Stuttgart v. 23.1.2002 – 20 U 54/01, NZG 2003, 1170, 1171 (AG).
856 | Holle
Verbindung von Anfechtungs- und Feststellungsklage | Rz. 35 § 115 HGB
g) Unterrichtungspflichten Bei Erhebung einer Beschlussfeststellungklage ist die Gesellschaft verpflichtet, (1) die Gesell- 32 schafter unverzüglich über die Erhebung der Klage und die Lage des Rechtsstreits zu unterrichten (§ 113 Abs. 3 Satz 1 HGB) sowie (2) das Gericht über die erfolgte Unterrichtung in Kenntnis zu setzen (§ 113 Abs. 3 Satz 2 HGB). Das Gericht ist gehalten, auf eine unverzügliche Unterrichtung der Gesellschafter hinzuwirken (§ 113 Abs. 3 Satz 3 HGB). Denn das Beschlussfeststellungsurteil wirkt für und gegen alle Gesellschafter, so dass sie die Möglichkeit haben müssen, dem Verfahren auf Seiten des Klägers oder der beklagten Gesellschaft als streitgenössischer Nebenintervenient beizutreten. Wie schon bei der Anfechtungsklage gelten entsprechende Unterrichtungspflichten zudem mit Blick auf Personen, die sich trotz fehlender Gesellschafterstellung als streitgenössischer Nebenintervenient am Prozess beteiligen können (zu denkbaren Konstellationen § 113 HGB Rz. 5). h) Streitwert Für die Streitwertbemessung gilt § 113 Abs. 5 HGB, so dass das Gericht diesen unter Be- 33 rücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Bedeutung der Sache für die Parteien, nach billigem Ermessen zu bestimmen hat. i) Urteilswirkungen Die Rechtskraft eines stattgebenden Urteils erstreckt sich gem. § 113 Abs. 6 HGB auf sämtli- 34 che Gesellschafter. Darüber hinaus entfaltet das Urteil als Gestaltungsurteil Wirkung erga omnes, das heißt, neben den Gesellschaftern sind auch sonstige Dritte an die Feststellungen des Gerichts gebunden. Die Feststellung wirkt auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung zurück (Ex-tunc-Wirkung). Materielle Rechtskrafterstreckung und Gestaltungswirkung beziehen sich nicht auf klageabweisendes Urteil, so dass insoweit von einer Wirkung inter partes ausgegangen werden muss. Eine neuerliche Klage wird aber im Regelfall an Verwirkung scheitern.
VII. Herkömmliche Feststellungsklage 1. Anwendungsbereich a) Unwirksame Beschlüsse Beschlüsse, die in unentziehbare Mitgliedschaftsrechte eingreifen, sind schwebend unwirk- 35 sam, solange der betroffene Gesellschafter diesen nicht zugestimmt oder seine Zustimmung verweigert hat (§ 110 HGB Rz. 30). Klagt der Träger des unentziehbaren Mitgliedschaftsrechts selbst gegen Beschluss, muss davon ausgegangen werden, dass er durch die Klageerhebung seine Zustimmung zum dem Eingriff in sein Mitgliedschaftsrecht versagt.39 Sein Rechtsschutzbegehren zielt folglich auf die endgültige Unwirksamkeit des Beschlusses ab, so dass Analogie zu § 114 HGB sachgerecht ist.40 Klagt eine andere Person als der Träger des unentziehbaren Mitgliedschaftsrechts oder lediglich einer von mehreren Trägern des unentziehbaren Mitgliedschaftsrechts, deren Zustimmung noch aussteht, schösse analoge Anwendung des § 114 HGB und damit eine Wirkung erga omnes wegen fehlender Endgül-
39 Siehe auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 236 f. 40 So auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 236 f. Holle | 857
§ 115 HGB Rz. 35 | Offene Handelsgesellschaft tigkeit des festzustellenden Zustands über das Ziel hinaus.41 In diesen Fällen ist eine einfache Feststellungsklage i.S.d. § 256 Abs. 1 ZPO statthaft. b) Klagen Dritter 36 Eine einfache Feststellungsklage ist auch dann statthaft, wenn eine Person, die nicht zum
Kreis der anfechtungsbefugten Personen i.S.d. § 111 HGB zählt, ein Interesse an der Klärung der Beschlusslage und damit ein Feststellungsinteresse i.S.d. § 256 Abs. 1 ZPO hat.42
2. Modalitäten der Klage a) Prozessparteien; Nebenintervention aa) Kläger 37 Als Kläger einer herkömmlichen Feststellungsklage kommen zunächst sämtliche Personen
in Betracht, die nicht anfechtungsbefugt i.S.d. § 111 HGB sind, jedoch ein rechtliches Interesse i.S.d. § 256 Abs. 1 ZPO an der Beschlusslage vorweisen können. Bei Beschlüssen, die in unentziehbare Mitgliedschaftsrechte von Gesellschaftern eingreifen und daher noch deren Zustimmung bedürfen, kommen auch gem. § 111 HGB anfechtungsberechtigte Gesellschafter als Kläger einer einfachen Feststellungsklage in Betracht, wenn sie entweder nicht Träger des unentziehbaren Mitgliedschaftsrechts sind oder lediglich einer von mehreren Trägern des unentziehbaren Mitgliedschaftsrechts, deren Zustimmung noch aussteht (vgl. Rz. 35). 38 Erlangt klagender Dritter im Laufe des Prozesses im Wege der Rechtsnachfolge Befugnis
zur Anfechtung (§ 111 Abs. 1 HGB), so ist dessen einfache Feststellungsklage (§ 256 Abs. 1 ZPO) fortan den nach § 113 HGB geltenden Regelungen zu unterwerfen.43 Die Voraussetzungen des § 113 HGB müssen also eingehalten werden. Gleiches gilt, wenn der Kläger lediglich einer von mehreren Trägern des unentziehbaren Mitgliedschaftsrechts war, deren Zustimmung noch ausstand, sonstige Gesellschafter Zustimmung mittlerweile aber gegeben oder verweigert haben. bb) Beklagte 39 Die Feststellungsklage ist gegen die Gesellschaft zu richten, da dieser der streitgegenständli-
che Beschluss zuzurechnen wäre.44 Da die Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO nur inter partes wirkt und für eine Rechtskrafterstreckung nach § 113 Abs. 6 HGB kein generelles Bedürfnis besteht (Rz. 35, 36) und erst Recht für Gestaltungswirkung erga omnes keine Grundlage gegeben ist, kann eine Bindung der einzelnen Gesellschafter an das Urteil nur dadurch erzielt werden, dass diese mitverklagt werden.45 cc) Nebenintervention 40 Eine Nebenintervention auf Seiten des Klägers oder der beklagten Gesellschaft ist mangels
Rechtskrafterstreckung und Gestaltungswirkung nur ausnahmsweise nach allgemeinen Regeln möglich. 41 42 43 44 45
Ähnlich Koch, 17. Aufl. 2023, § 249 AktG Rz. 21; anders wohl Schäfer, ZIP 2021, 1527, 1532 f. Vgl. auch Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 115 HGB Rz. 21, 24. OLG Stuttgart v. 10.1.2001 – 20 U 91/99, NZG 2001, 277, 278 = ZIP 2001, 650 (AG). Vgl. auch RegBegr. MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 236; Schäfer, ZIP 2021, 1527, 1532. Insofern konsequent Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 115 HGB Rz. 27 f.; anders wohl Schäfer, ZIP 2021, 1527, 1532.
858 | Holle
Verbindung von Anfechtungs- und Feststellungsklage | Rz. 47 § 115 HGB
b) Zuständiges Gericht Die Zuständigkeit für die einfache Feststellungsklage folgt den allgemeinen Regeln.46 Hieraus 41 wird sich zumeist kein Unterschied zu sonstigen Beschlussklagen ergeben,47 die gem. § 113 Abs. 1 HGB vor dem LG zu erheben sind, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat (§ 115 Satz 2 HGB i.V.m. § 113 Abs. 1 HGB). Sofern der Streitwert den Betrag von 5000 € übersteigt, ist nämlich gleichfalls das LG zuständig und die örtliche Zuständigkeit gerade des LG am Sitz der Gesellschaft ergibt sich sowohl aus § 12 ZPO als auch aus § 29 ZPO.48 c) Keine Klagefrist Die Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO kennt keine Klagefrist. Eine zeitliche Befris- 42 tung kann aber über das Rechtsinstitut der Verwirkung eintreten.49 d) Feststellungsinteresse Bei Feststellungsklagen von Gesellschaftern setzt das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche 43 Feststellungsinteresse voraus, dass der Beschluss das Mitgliedschaftsrecht des Gesellschafters berührt, indem er seinen Rechtskreis schmälert beziehungsweise dessen Pflichtenkreis erweitert.50 Das Feststellungsinteresse ist also nicht unmittelbar mit der Anfechtungsbefugnis nach § 111 HGB oder gar der Gesellschafterstellung gleichzusetzen.51 Bei Feststellungsklagen Dritter muss das Feststellungsinteresse im Einzelfall dargelegt werden. e) Kein Verbindungszwang; keine Unterrichtungspflichten Da eine einfache Feststellungsklage die Beschlusslage nicht mit Wirkung für und gegen alle 44 Gesellschafter klärt, sondern nur zwischen den Prozessparteien, besteht kein zwingendes Bedürfnis, mehrere Feststellungsklagen einheitlich zu verhandeln und zu entscheiden. § 113 Abs. 4 HGB ist nicht anwendbar. Aus dem gleichen Grund besteht auch kein Bedürfnis, die Unterrichtungspflichten des 45 § 113 Abs. 3 HGB bei Feststellungsklage analog zur Anwendung zu bringen. f) Streitwert Der Streitwert der Feststellungsklage bemisst sich nach den herkömmlichen Grundsätzen. 46 Die Anwendung des § 113 Abs. 5 HGB, der der Rechtskrafterstreckung und der Gestaltungswirkung eines stattgebenden Anfechtungsurteils Rechnung tragen soll, ist nicht veranlasst. g) Urteilswirkungen Das Feststellungsurteil nach § 256 Abs. 1 ZPO wirkt nur unter den Prozessparteien. Für 47 eine Rechtskrafterstreckung analog § 113 Abs. 6 HGB besteht kein Bedürfnis und für eine Gestaltungswirkung erga omnes wegen der Natur als Feststellungsklage keine Grundlage.52
46 47 48 49 50 51 52
Vgl. auch Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 115 HGB Rz. 32. So schon Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 115 HGB Rz. 32. Vgl. auch Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 115 HGB Rz. 32. Otte/Dietlein in BeckOGK/HGB, Stand: 15.10.2022, § 115 HGB Rz. 29. Liebscher in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 112. Liebscher in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 112. Anders wohl Schäfer, ZIP 2021, 1527, 1532. Holle | 859
§ 116 HGB | Offene Handelsgesellschaft
§ 116 HGB Geschäftsführungsbefugnis (1) Zur Führung der Geschäfte der Gesellschaft sind alle Gesellschafter berechtigt und verpflichtet. (2) ¹Die Befugnis zur Geschäftsführung erstreckt sich auf alle Geschäfte, die der gewöhnliche Betrieb des Handelsgewerbes der Gesellschaft mit sich bringt; zur Vornahme von Geschäften, die darüber hinausgehen, ist ein Beschluss aller Gesellschafter erforderlich. ²Zur Bestellung eines Prokuristen bedarf es der Zustimmung aller geschäftsführungsbefugten Gesellschafter, es sei denn, dass mit dem Aufschub Gefahr für die Gesellschaft oder das Gesellschaftsvermögen verbunden ist. ³Der Widerruf der Prokura kann von jedem der zur Erteilung oder zur Mitwirkung bei der Erteilung befugten Gesellschafter erfolgen. (3) ¹Die Geschäftsführung steht vorbehaltlich des Absatzes 4 allen Gesellschaftern in der Art zu, dass jeder von ihnen allein zu handeln berechtigt ist. ²Das gilt im Zweifel entsprechend, wenn nach dem Gesellschaftsvertrag die Geschäftsführung mehreren Gesellschaftern zusteht. ³Widerspricht ein geschäftsführungsbefugter Gesellschafter der Vornahme des Geschäfts, muss dieses unterbleiben. (4) Steht nach dem Gesellschaftsvertrag die Geschäftsführung allen oder mehreren Gesellschaftern in der Art zu, dass sie nur gemeinsam zu handeln berechtigt sind, bedarf es für jedes Geschäft der Zustimmung aller geschäftsführungsbefugten Gesellschafter, es sei denn, dass mit dem Aufschub Gefahr für die Gesellschaft oder das Gesellschaftsvermögen verbunden ist. (5) ¹Die Befugnis zur Geschäftsführung kann einem Gesellschafter auf Antrag der anderen Gesellschafter ganz oder teilweise durch gerichtliche Entscheidung entzogen werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. ²Ein wichtiger Grund ist insbesondere eine grobe Pflichtverletzung des Gesellschafters oder die Unfähigkeit des Gesellschafters zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung. (6) ¹Der Gesellschafter kann seinerseits die Geschäftsführung ganz oder teilweise kündigen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. ²§ 671 Absatz 2 und 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist entsprechend anzuwenden. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. 1. 2. 3. 4. II. III. 1. 2. IV. 1.
Allgemeines Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gestaltbarkeit der Geschäftsführung . . . Geschäftsführungsrecht und -pflicht (Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gegenstände der Geschäftsführung (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gewöhnlicher Betrieb des Handelsgeschäfts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Darüber hinausgehende Geschäfte . . . . . Arten der Geschäftsführungsbefugnis (Abs. 3 und 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einzelgeschäftsführung (Abs. 3 Satz 1) .
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1 2 3 5 9 10 12 13 14 15
2. Gemeinschaftliche Geschäftsführung (Abs. 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Widerspruchsrecht (Abs. 3 Satz 3) . . . 1. Wesen und Funktion des Widerspruchsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unterrichtungspflicht . . . . . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Widerspruchsbefugnis . . . . . . . . . . . . b) Ausübung des Widerspruchs . . . . . . . c) Erheblichkeit des Widerspruchs . . . . d) Unerheblichkeit des Widerspruchs . . e) Rechtzeitigkeit des Widerspruchs . . . 3. Wirkungen des Widerspruchs . . . . . . . . 4. Abdingbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28
Geschäftsführungsbefugnis | Rz. 2 § 116 HGB VI. Entzug der Geschäftsführungsbefugnis (Abs. 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendbarkeit und Gegenstand . . . . . . 2. Verfahren zur Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gerichtliche Entscheidung; keine Entziehung kraft Beschlusses . . . . . . .
29 30 31
b) Keine Entziehung kraft Beschlusses . c) Teleologische Reduktion bei Publikumsgesellschaften . . . . . . . . . . d) Wirkungen; Gestaltungsklage . . . . . . VII. Kündigung aus wichtigem Grund (Abs. 6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33 34 35 36
32
Schrifttum: Altmeppen, Mängel und Widersprüche des Regierungsentwurfs zum MoPeG am Beispiel des Ausschlusses eines Gesellschafters und der Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis, ZIP 2021, 213; Meier, Verfügungen über das gesamte Vermögen bei Personengesellschaften, DNotZ 2020, 246.
I. Allgemeines 1. Überblick Die Regelung fasst den Normenbestand der §§ 114–117 HGB a.F. unter einem einheitlichen 1 Regelungsregime über die Geschäftsführung zusammen.1 Gleichzeitig vollzieht § 116 Abs. 1, Abs. 2 HGB i.V.m. § 109 HGB die personengesellschaftsrechtliche Kompetenzordnung der §§ 714, 715 Abs. 1, Abs. 2 BGB nach. Danach wird hinsichtlich der mitgliedschaftlichen Teilhabe an der Bildung des Gesellschaftswillens dahingehend unterschieden, dass die Willensbildung über gewöhnliche Geschäfte, die der Verfolgung des Gesellschaftszwecks dienen, durch die Geschäftsführung wahrgenommen werden kann, während die Willensbildung zu außergewöhnlichen Geschäften sowie über Entscheidungen, die die Grundlage der Gesellschaft betreffen, durch gemeinschaftliche Willensbildung aller Gesellschafter in der Gesellschafterversammlung zu erfolgen hat. Einer Störung der Kompetenzordnung wird durch die §§ 715a, 715b BGB begegnet. § 116 HGB nimmt hinsichtlich dieser Kompetenzordnung Konkretisierungen vor, die dem mutmaßlichen Interesse der Gesellschafter entsprechen, wenn der Gesellschaftszweck auf eine wirtschaftliche Verbandstätigkeit im Handelsverkehr gerichtet ist. Über § 161 Abs. 2 HGB sowie § 6 Abs. 3 Satz 2 PartGG findet die Bestimmung auf KG und PartG entsprechende Anwendung.
2. Systematik Die Vorschrift regelt neben der Geschäftsführungsbefugnis und -pflicht aller Gesellschafter 2 (Abs. 1) den Gegenstand der Geschäftsführung (Abs. 2) und differenziert insoweit zwischen Maßnahmen, die der gewöhnliche Betrieb des Handelsgeschäfts der Gesellschaft mit sich bringt, sowie darüber hinausgehenden Geschäften.2 § 116 Abs. 2 Satz 2 HGB begründet mit Blick auf die weitreichende Verpflichtungsbefugnis des Prokuristen eine Entscheidungskompetenz der Gesellschafterversammlung, während das Rückholrecht nach Abs. 2 Satz 3 jedem persönlich haftenden Gesellschafter zukommt. Mit Abs. 3 Satz 1 legt die Bestimmung den Grundsatz der Einzelgeschäftsführung jedes nach Abs. 4 geschäftsführungsbefugten Gesellschafters fest, der hinsichtlich solcher Maßnahmen durchbrochen wird, die keinen Aufschub dulden. Abs. 3 Satz 2 sieht eine Auslegungsregel vor für den Fall gesellschaftsvertraglicher Disposition der Geschäftsführung auf mehrere Gesellschafter. Abs. 3 Satz 3 bestimmt ein Widerspruchsrecht anderer geschäftsführungsbefugter Gesellschafter. Abs. 4 statuiert die Mög-
1 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 237. 2 Vgl. Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 116 HGB Rz. 3 ff., 8 ff., 67 ff. Könen | 861
§ 116 HGB Rz. 2 | Offene Handelsgesellschaft lichkeit, eine gemeinschaftliche oder mehrheitliche Geschäftsführung zu regeln, versehen mit der Möglichkeit einer Durchbrechung wegen einer Notgeschäftsführung. Eines Rückgriffs auf § 715 Abs. 3 BGB bedarf es insoweit nicht. Im Falle einer Störung der innergesellschaftlichen Willensbildung finden die §§ 715a, 715b BGB Anwendung. Die Abs. 5 und Abs. 6 sind der Geschäftsführungsordnung der GbR nachempfunden. Abs. 5 regelt die Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis aus wichtigem Grund, während Abs. 6 ein spiegelbildliches Kündigungsrecht der Geschäftsführer regelt. Abweichend zum Recht der GbR soll die Geschäftsführungsbefugnis nur auf Antrag durch gerichtliche Entscheidung, nicht durch Beschluss der anderen Gesellschafter entzogen werden können.
3. Normzweck 3 Mit § 116 HGB soll die Kompetenzordnung der §§ 714, 715 BGB hinsichtlich der Bedürf-
nisse des Handelsverkehrs konkretisiert werden. Eine unterschiedliche Abgrenzung der Kompetenzen von Geschäftsführung und Gesellschafterversammlung kommt insoweit nicht in Betracht, weil über die Mitwirkungsrechte an der Gesellschafterversammlung vor dem Hintergrund persönlicher Haftung nur privatautonom entschieden werden kann. Demgegenüber folgt der Kompetenzbereich der Geschäftsführung aus der privatautonomen Unterwerfung unter den Gesellschaftszweck. 4 Der mutmaßliche Wille der Gesellschafter ist bei einer wirtschaftlichen Zweckverfolgung
im Handelsverkehr vornehmlich auf eine Einzelgeschäftsführung gerichtet, weil die Geschäftspartner erwarten, dass die oHG durch jeden persönlich haftenden Gesellschafter kurzfristig vertreten werden kann und dieser insoweit auch ermächtigt ist, die verbandsrechtliche Willensbildung allein auszuüben.
4. Gestaltbarkeit der Geschäftsführung 5 Im Rahmen der innergesellschaftlichen Kompetenzordnung ist die Geschäftsführung vom
Kompetenzbereich der Gesellschafterversammlung abzugrenzen.3 Während sich die Gesellschafter durch die Vereinbarung des Gesellschaftszwecks hinsichtlich ihrer mitgliedschaftlichen Wertbeteiligung der verbandsrechtlichen Fremdbestimmung durch die Gesellschaftsorgane unterworfen haben, wird durch den Gesellschaftszweck die Reichweite der Verbandsherrschaft zugleich beschränkt. Hinsichtlich solcher Maßnahmen, die die gewöhnliche Geschäftstätigkeit überschreiten sowie solcher, die die Grundlagen des Verbandes betreffen, müssen die Gesellschafter ihren privatautonomen Willen auf andere Art und Weise als durch die Vereinbarung des Gesellschaftszwecks artikulieren. Die Geschäftsführungsbefugnis ist daher ein unentziehbares Recht, die Teilhabe an der Gesellschafterversammlung ein unverzichtbares.4 Einer weitergehenden Fremdbestimmung können sich die Gesellschafter dadurch unterwerfen, dass sie für Entscheidungen der Gesellschafterversammlung eine Mehrheitsklausel vereinbaren. 6 Dieser durch die Kompetenz der Gesellschafterversammlung gezogene äußere Rahmen un-
terliegt nicht der gesellschaftsvertraglichen Gestaltbarkeit; es handelt sich um ein unverzichtbares Recht.5 Davon zu unterscheiden ist die Gestaltbarkeit der personellen Geschäftsfüh-
3 Vgl. Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 116 HGB Rz. 67 ff.; Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 254 ff. (Stand: 7/2020). 4 Schäfer in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 6 Rz. 16 f. 5 Schäfer in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 6 Rz. 16.
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Geschäftsführungsbefugnis | Rz. 11 § 116 HGB
rung sowie der gegenständlichen Geschäftsführungsbefugnis innerhalb des Bereichs der Geschäftsführung.6 Gestaltbar ist das Pflichtrecht des § 116 Abs. 1 HGB,7 wonach im Ausgangspunkt alle Gesellschafter zur Führung der Geschäfte befugt und verpflichtet sind. Dies betrifft insbesondere die personelle Besetzung des Geschäftsführungsorgans sowie die Art der Entscheidungsfindung des Gesellschaftsorgans hinsichtlich Einzel- bzw. Gesamtgeschäftsführungsbefugnis (§ 116 Abs. 3 und Abs. 4 HGB). Gestaltbar ist ferner der durch § 116 Abs. 2 HGB beschriebene gegenständliche Bereich der Geschäftsführungsbefugnis. Teilweise der Gestaltbarkeit unterliegen die handelsrechtlichen Bestimmungen über die Ent- 7 ziehung bzw. die Kündigung der Geschäftsführungsbefugnis nach § 116 Abs. 5 und Abs. 6 HGB. Dies betrifft insbesondere das gerichtliche Verfahren zur Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis, das keinen Verkehrsschutz bezweckt, sondern der innergesellschaftlichen Verteilung der Klagelast dient.8 Demgegenüber unterliegt die Möglichkeit, Dauerrechtsbeziehungen aus wichtigem Grund auflösen zu können nicht der privatautonomen Gestaltbarkeit. Im Falle einer Störung der innergesellschaftlichen Willensbildung finden die §§ 715a, 715b 8 BGB Anwendung, ohne dass diese einer weitergehenden Gestaltbarkeit unterliegen als bei der GbR.
II. Geschäftsführungsrecht und -pflicht (Abs. 1) Dem Pflichtrecht des § 116 Abs. 1 HGB kommt keine gegenüber § 715 BGB eigenständige 9 Bedeutung zu (§ 715 BGB Rz. 5 ff.).
III. Gegenstände der Geschäftsführung (Abs. 2) § 116 Abs. 2 HGB konkretisiert den Regelungsgehalt des § 715 Abs. 2 BGB mit Blick auf den 10 besonderen Gesellschaftszweck der Personengesellschaften des Handelsrechts dahingehend, dass sich die Befugnis zur Geschäftsführung auf alle Geschäfte bezieht, „die der gewöhnliche Betrieb des Handelsgewerbes der Gesellschaft mit sich bringt“, anstelle derjenigen Geschäfte, „die die Teilnahme der Gesellschaft am Rechtsverkehr gewöhnlich mit sich bringt“. Ungeachtet dieser tatbestandlichen Einschränkung kann damit keine Beschränkung der Geschäftsführungsbefugnis gegenüber der GbR verbunden sein, weil der Betrieb des Handelsgewerbes die Teilnahme am Rechtsverkehr voraussetzt. Im Übrigen verfolgt § 116 Abs. 2 HGB die gleiche Abgrenzungsfunktion zum Kompetenzbereich der Gesellschafterversammlung wie § 715 Abs. 2 BGB, indem darüberhinausgehende Geschäfte der Zustimmung der Gesellschafterversammlung bedürfen (§ 715 BGB Rz. 26 ff.).9 § 116 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 HGB sehen Sonderregelungen für die Bestellung eines Proku- 11 risten und den Widerruf einer Prokura vor.10 Satz 2 weist die Befugnis zur Bestellung eines Prokuristen der Gesellschafterversammlung zu, weil damit dessen weitreichende Verpflich-
6 Vgl. Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 275 ff. (Stand: 7/2020). 7 Vgl. Schäfer in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 6 Rz. 34 ff., 68 f. 8 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 237. 9 Vgl. Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 116 HGB Rz. 64 ff., 78 ff.; Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 261a ff. (Stand: 7/2020). 10 Vgl. Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 260 ff. (Stand: 7/2020). Könen | 863
§ 116 HGB Rz. 11 | Offene Handelsgesellschaft tungsbefugnis zu Lasten der Gesellschaft nach § 49 HGB verbunden ist. Zwar erstreckt sich diese lediglich auf Rechtshandlungen, die der Betrieb eines Handelsgewerbes mit sich bringt, so dass eine privatautonome Legitimation bereits durch die Unterwerfung unter die verbandsrechtliche Mehrheitsherrschaft naheliegt. Allerdings ist der Prokurist nicht der mitgliedschaftlichen Treuepflicht unterworfen und haftet Gesellschaftsgläubigern nicht nach § 126 HGB, so dass dessen Tätigkeit für die nichtgeschäftsführungsbefugten gefahrgeneigter ist. Ferner erstreckt sich eine Prokura nicht nur auf Handelsgeschäfte, die vom Gesellschaftszweck gedeckt sind, sondern auf jegliches Rechtsgeschäft, das der Betrieb „eines Handelsgewerbes“ mit sich bringt. Vor diesem Hintergrund ist die erneute Aktivierung des Willens der Gesellschafterversammlung unerlässlich. Der Widerruf obliegt nach Satz 3 hingegen jedem persönlich haftenden Gesellschafter.
1. Gewöhnlicher Betrieb des Handelsgeschäfts 12 Die Geschäftsführungsbefugnis nach § 116 Abs. 2 HGB erstreckt sich nur auf gewöhnliche
Handelsgeschäfte, die der konkrete Gesellschaftszweck der Gesellschaft mit sich bringt, was eine Gesamtwürdigung erforderlich macht.11
2. Darüber hinausgehende Geschäfte 13 Demgegenüber ist ein Gesellschafterbeschluss der Gesellschafterversammlung erforderlich
für sämtliche ungewöhnlichen Maßnahmen, die nicht regelmäßig wiederkehren, daher Ausnahmecharakter haben und mit denen sich der Gesellschafter nicht schon durch die Unterwerfung unter den Verbandszweck einverstanden erklärt hat.12
IV. Arten der Geschäftsführungsbefugnis (Abs. 3 und 4) 14 In Anbetracht der gesellschaftsvertraglichen Gestaltungshoheit der Gesellschaftergesamt-
heit über die Art und Weise der innergesellschaftlichen Willensbildung im Rahmen gewöhnlicher Geschäfte, die der Verfolgung des Verbandszwecks dienen, haben die Gesellschafter die Wahl zwischen einer Einzelgeschäftsführungsbefugnis, gemeinschaftlicher Geschäftsführung ausgewählter Gesellschafter sowie einer Gesamtgeschäftsführungsbefugnis.13 § 116 Abs. 3 Satz 1 HGB bestimmt die Einzelgeschäftsführung zum normativen Standard, weil diese – parallel zur Vertretungsbefugnis – am besten den Erwartungen des Handelsverkehrs an einer zügigen Entscheidungsfindung der Gesellschaft entsprechen.
11 Vgl. BGH v. 13.1.1954 – II ZR 6/53, BB 1954, 143; s. BGH v. 12.6.1997 – IX ZR 172/96, WM 1997, 1431; BGH v. 11.2.1980 – II ZR 41/79, BGHZ 76, 160, 162 f. = NJW 1980, 1463 = GmbHR 1981, 186; RG v. 22.10.1938 – II 58/38, RGZ 158, 302, 308 ff.; RG v. 21.4.1888 – I 68/88, RGZ 20, 190, 194; OLG Hamm v. 28.10.2015 – 8 U 73/15, ZIP 2016, 1071, 1074 = GmbHR 2016, 423; Jickeli in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 116 HGB Rz. 22 ff.; Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 116 HGB Rz. 67 ff.; Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 258 (Stand: 7/2020). 12 Vgl. BGH v. 13.1.1954 – II ZR 6/53, BB 1954, 143; BGH v. 11.2.1980 – II ZR 41/79, BGHZ 76, 160, 162 f. = NJW 1980, 1463 = GmbHR 1981, 186; Jickeli in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 116 HGB Rz. 31 ff.; Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 116 HGB Rz. 8 ff., 72 ff.; Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 259, 261 ff. mit Bsp. in Rz. I 259a (Stand: 7/2020). 13 Vgl. Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 116 HGB Rz. 94 ff.
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Geschäftsführungsbefugnis | Rz. 19 § 116 HGB
1. Einzelgeschäftsführung (Abs. 3 Satz 1) Nach § 116 Abs. 3 HGB ist im Ausgangspunkt jeder Geschäftsführer ermächtigt, den Gesell- 15 schaftswillen zu bilden und damit innenrechtlich eine hinreichende Befugnis zu begründen, die Gesellschaft auf der Grundlage dieses individuell gebildeten Gesellschaftswillens gegenüber Dritten zu verpflichten.14 Satz 2 ergänzt diese Ordnung der gesellschaftlichen Willensbildung im Organ der Geschäftsführung um eine Zweifelsregelung, wonach eine Einzelgeschäftsführung durch die Organwalter auch dann gewollt ist, wenn die Geschäftsführung nach dem Gesellschaftsvertrag „mehreren Gesellschaftern zusteht“.
2. Gemeinschaftliche Geschäftsführung (Abs. 4) Vereinbaren die Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft eine Gesamtgeschäftsfüh- 16 rungsbefugnis,15 optieren sie für die Geschäftsführungsordnung der GbR nach § 715 Abs. 3 BGB (§ 715 BGB Rz. 30 ff.), einschließlich der Notgeschäftsführungsbefugnis durch die übrigen Geschäftsführer (§ 715 BGB Rz. 37 ff.).
V. Widerspruchsrecht (Abs. 3 Satz 3) § 116 Abs. 3 Satz 3 HGB statuiert ein Widerspruchsrecht jedes einzelnen Geschäftsführers 17 gegenüber einer Einzelgeschäftsführungsmaßnahme eines anderen. Auf diese Weise werden Konflikte, die aus divergierenden Willensäußerungen innerhalb des Geschäftsführungsorgans der Gesellschaft resultieren, dahingehend aufgelöst, dass die Geschäftsführungsmaßnahme zu unterbleiben hat.16
1. Wesen und Funktion des Widerspruchsrechts Aus § 116 Abs. 3 Satz 3 HGB folgt, dass ein widersprechender Wille der Organwalter – in 18 Einklang mit der Wertung der §§ 139, 154 BGB – dazu führt, dass die Gesellschaft gar keinen Willen bildet. Das Willensbildungsversagen des Gesellschaftsorgans der Geschäftsführung setzt voraus, dass der – einer Einzelgeschäftsführung entgegenstehende – Wille eines anderen Organwalters von diesem im Wege des Widerspruchs geltend gemacht wird. Die Wahrnehmung der Widerspruchsbefugnis erfordert es wiederum, dass die übrigen Organwalter von jeder ausgeübten Willensbildung für die Gesellschaft in Kenntnis gesetzt werden. a) Zweck Ohne die Regelung eines entsprechenden Widerspruchsrechts drohte regelmäßig dadurch 19 ein widersprüchliches Gesellschaftsverhalten, dass eine ungewollte Willensbildung durch einen Einzelgeschäftsführer durch diejenige eines anderen wieder umgekehrt werden könnte. Mit dem Widerspruchsrecht kommt zum Ausdruck, dass eine ordnungsgemäße Willensbil14 Vgl. Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 116 HGB Rz. 94 ff.; Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 255 ff. (Stand: 7/2020). 15 Vgl. Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 116 HGB Rz. 116 ff.; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 277 ff. (Stand: 7/2020). 16 Vgl. BGH v. 8.7.1985 – II ZR 4/85, NJW 1986, 844 = ZIP 1985, 1134; Haas/Mohamed in Röhricht/ Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 116 HGB Rz. 99 ff. Könen | 865
§ 116 HGB Rz. 19 | Offene Handelsgesellschaft dung des Verbandes gerade nicht erfolgt, wenn die Mitglieder eines mehrköpfigen Gremiums unterschiedlicher Auffassung über die Zweckmäßigkeit einer Maßnahme sind. Mit der Anordnung, die Geschäftsführung zu unterlassen, wird vermieden, dass sich ständig widersprechende Willensbildungsakte wechselseitig außer Kraft setzen. b) Unterrichtungspflicht 20 Das Widerspruchsrecht des § 116 Abs. 3 Satz 3 HGB setzt voraus, dass sich die Einzel-
geschäftsführer wechselseitig von der Willensbildung für die Gesellschaft in Kenntnis setzen (§ 715 BGB Rz. 43 ff.).17 Die Verletzung der Unterrichtungspflicht stellt die Verletzung einer Geschäftsführerpflicht dar. Diese kann Anknüpfungspunkt für Schadensersatzansprüche der Gesellschaft sowie Grundlage für den Entzug der Geschäftsführungsbefugnis sein.
2. Voraussetzungen 21 Voraussetzung für das Unterlassen der Geschäftsführungsmaßnahme nach § 116 Abs. 3 Satz 3
HGB ist die pflichtgemäße Ausübung eines Widerspruchs durch einen geschäftsführungsbefugten Gesellschafter, weil der Widerspruch selbst Geschäftsführungsmaßnahme ist.18 a) Widerspruchsbefugnis 22 Die Widerspruchsbefugnis setzt voraus, dass die Gesellschafter die Einzelgeschäftsführungs-
befugnis im Rahmen eines mehrköpfigen Geschäftsführungsorgans nicht abbedungen haben. Im Rahmen einer Gesamtgeschäftsführungsbefugnis ist auch der Widerspruch gemeinsam auszuüben.19 Das Widerspruchsrecht kann im Einzelfall sowohl im Rahmen als auch gegenüber einer Notgeschäftsführungsbefugnis wahrgenommen werden, wenn hinsichtlich des Widerspruchsrechts die Voraussetzungen der Notgeschäftsführung vorliegen, weil der Widerspruch selbst Geschäftsführungsmaßnahme ist. Eine Wahrnehmung des Widerspruchsrechts im Wege der Notgeschäftsführung setzt aber voraus, dass außer dem handelnden Geschäftsführer keine anderen Geschäftsführer erreichbar sind und, dass ohne die Geltendmachung des Widerspruchs ein Schaden für die Gesellschaft zu befürchten, weil anderenfalls die innergesellschaftliche Kompetenzordnung unterlaufen würde. Bezogen auf den Notgeschäftsführungsgrund eines Schadens für das Gesellschaftsvermögen, ist es zum Schutz der Kompetenzordnung erforderlich, ausnahmsweise eine erhebliche Vermögensschädigung zu verlangen. Ist die Geschäftsführungsbefugnis gegenständlich beschränkt, erstreckt sich auch das Widerspruchsrecht nur auf diesen Bereich.20 b) Ausübung des Widerspruchs 23 Die Ausübung des Widerspruchs erfolgt dadurch, dass einer der einzelgeschäftsführungs-
befugten Gesellschafter innerhalb des Geschäftsführungsorgans seinen ablehnenden Willen gegenüber der Geschäftsführungsmaßnahme in der Weise zum Ausdruck bringt, dass er seinerseits einen (entgegenstehenden) Gesellschaftswillen als Einzelgeschäftsführer gebildet hat. 17 BGH v. 19.4.1971 – II ZR 159/68, NJW 1971, 1613; Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 116 HGB Rz. 106. 18 Vgl. BGH v. 19.4.1971 – II ZR 159/68, NJW 1971, 1613; Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 264 (Stand: 7/2020). 19 Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 264 (Stand: 7/ 2020). 20 M.w.N. Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 264 (Stand: 7/2020).
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Geschäftsführungsbefugnis | Rz. 27 § 116 HGB
Erforderlich ist der Zugang beim handlungswilligen Geschäftsführer vor Ausführung der Geschäftsführungsmaßnahme (§ 715 BGB Rz. 47).21 c) Erheblichkeit des Widerspruchs Die Ausübung des Widerspruchs unterliegt keiner Zweckmäßigkeitskontrolle. So führt jeg- 24 licher Widerspruch im Gesellschaftsinteresse dazu, dass die Maßnahme zu unterbleiben hat (§ 715 BGB Rz. 48). Ausreichend ist die entgegenstehende Willensbildung für die Gesellschaft. Bereits der formale Dissens innerhalb des Willensbildungsorgans begründet die Unwirksamkeit des Gesellschaftswillens im Innenverhältnis. Auch ein irgendwie gelagerter Widerspruchsausschluss eines Geschäftsführers kommt grundsätzlich nicht in Betracht, da ein Interessenkonflikt des Widersprechenden kaum zu befürchten ist. Einer Begründung des Widerspruchs bedarf es grundsätzlich nicht (§ 715 BGB Rz. 47).22 d) Unerheblichkeit des Widerspruchs Da eine Rechtmäßigkeitskontrolle des Widerspruchs nicht erfolgt und eine Zweckmäßigkeit 25 erst recht nicht zu beurteilen ist, kommt eine Pflichtwidrigkeit des Widerspruchs grundsätzlich nicht in Betracht. Ein Geschäftsführer kann allerdings auf der Grundlage seiner mitgliedschaftlichen Treuepflicht von der Ausübung seines Widerspruchsrechts ausgeschlossen sein. Ebenso kann ein willkürlicher Widerspruch, der jeglicher gesellschaftsrechtlicher Grundlage entbehrt, weil er sich nur als schikanöses Verhalten gegenüber dem anderen Geschäftsführer darstellt oder weil offenkundig Individualinteressen verfolgt werden anstelle des Gesellschaftsinteresses, eine Unbeachtlichkeit des Widerspruchs zur Folge haben (§ 715 BGB Rz. 48 f.).23 Auch insoweit ist aber zu berücksichtigen, dass der Beurteilungsspielraum des Widersprechenden nur beschränkt gerichtlich überprüfbar ist.24 Grundsätzlich gilt insoweit, dass es in der Kompetenz der Gesellschafterversammlung liegt, die personelle Zusammensetzung der Geschäftsführung zu ändern, wenn die Organwalter nicht mehr zu einer konstruktiven Zusammenarbeit in Lage sind, weil sie sie wechselseitig die Geschäftsführung für die Gesellschaft durch die Erhebung von Widersprüchen unterbinden. e) Rechtzeitigkeit des Widerspruchs Der Widerspruch ist unverzüglich i.S.v. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB zu erklären. Der Widerspruch 26 kann nur vor der Durchführung einer Geschäftsführungsmaßnahme erklärt werden.25
3. Wirkungen des Widerspruchs Ein formell ordnungsgemäßer Widerspruch bewirkt, dass eine Willensbildung für die Ge- 27 sellschaft nicht zustande kommt und eine innenrechtliche Berechtigung des Organwalters nicht mehr gegeben ist. Im Innenverhältnis hat die Geschäftsführungsmaßnahme in der Fol21 Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 116 HGB Rz. 104 ff.; Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 265, 265b (Stand: 7/2020). 22 BGH v. 24.1.1972 – II ZR 3/69, NJW 1972, 862, 863; Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 265 f. (Stand: 7/2020); weitergehend, Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 116 HGB Rz. 109. 23 Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 264a, 266b (Stand: 7/2020). 24 BGH v. 11.1.1988 – II ZR 192/87, ZIP 1988, 848. 25 BGH v. 11.1.1988 – II ZR 192/87, NJW-RR 1988, 995, 996 = ZIP 1988, 843. Könen | 867
§ 116 HGB Rz. 27 | Offene Handelsgesellschaft ge eines Widerspruchs zu unterbleiben.26 Auf diese Weise kommt die Gleichberechtigung der geschäftsführungsbefugten Gesellschafter zum Ausdruck,27 ohne auf das in der Einzelgeschäftsführungsbefugnis zum Ausdruck kommende Beschleunigungsinteresse verzichten zu müssen.28 Ein Widerspruch gegen einen Widerspruch ist nicht möglich.29 Ein Durchschlagen auf die Vertretungsmacht kommt hingegen nicht in Betracht, weil der Rechtsverkehr hinsichtlich des internen Willensbildungsverfahrens der Geschäftsführung keinen Einblick erhält.30 Eine Einschränkung ist nur möglich, wenn der Dritte Kenntnis von dem Widerspruch hat. Missachtet ein geschäftsführungsbefugter Gesellschafter einen beachtlichen Widerspruch, sind Schadensersatzansprüche wegen pflichtwidriger Geschäftsführung möglich.
4. Abdingbarkeit 28 Da das Widerspruchsrecht lediglich ein formales Korrektiv zur Einzelgeschäftsführung im In-
teresse der Funktionsfähigkeit des Geschäftsführungsorgans darstellt und der Kompetenzbereich der Gesellschafterversammlung dadurch nicht beeinträchtigt wird, sind mitgliedschaftliche Schutzrechte durch seinen Entzug nicht berührt. Das Widerspruchsrecht ist daher vollständig dispositiv (§ 715 BGB Rz. 52). Teilweise wird hingegen – sogar gegenüber einem entgegenstehenden Beschluss auf der Grundlage einer gesellschaftsvertraglichen Mehrheitsklausel – ein Widerspruchsrecht aus wichtigem Grund angenommen.31 Ein solches ließe sich normativ auf die Regelung des § 715a BGB stützen, weil der Widerspruch selbst Geschäftsführungsmaßnahme ist. Problematisch ist aber die damit bewirkte Durchbrechung der innergesellschaftlichen Kompetenzordnung. Dem widerspruchswilligen obliegt es daher grundsätzlich, den Weg über das Beschlussmängelrecht zu bestreiten und gegebenenfalls Schadensersatz geltend zu machen („dulde und liquidiere“). Leidglich in außergewöhnlichen Situationen kann ein unverzügliches Unterbinden der innergesellschaftlichen Willensbildung unerlässlich sein.
VI. Entzug der Geschäftsführungsbefugnis (Abs. 5) 29 Der Entzug der Geschäftsführung bzw. deren gegenständliche oder personelle Beschränkung
kommen nach der Regelung des § 116 Abs. 5 BGB nur im Wege der gemeinschaftlich zu erhebenden Gestaltungsklage durch die anderen Gesellschafter in Betracht.32
1. Anwendbarkeit und Gegenstand 30 Besonderheiten gegenüber § 715 Abs. 5 BGB bestehen im Rahmen von § 116 Abs. 5 HGB
nur hinsichtlich des Verfahrens zur Entziehung bzw. Beschränkung der Geschäftsführungsbefugnis (§ 715 BGB Rz. 53 ff.). 26 Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 116 HGB Rz. 110. 27 BGH v. 8.7.1985 – II ZR 4/85, NJW 1986, 844 = ZIP 1985, 1134. 28 Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 262 (Stand: 7/ 2020). 29 M.w.N., Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 264b (Stand: 7/2020). 30 BGH v. 10.3.1955 – II ZR 309/53, BGHZ 16, 394, 398; Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 116 HGB Rz. 115. 31 Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 268 (Stand: 7/ 2020). 32 Vgl. Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 116 HGB Rz. 126 ff.
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Geschäftsführungsbefugnis | Rz. 33 § 116 HGB
2. Verfahren zur Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis § 116 Abs. 5 HGB gestaltet das Verfahren über die Entziehung bzw. Beschränkung der Ge- 31 schäftsführungsbefugnis in der Weise abweichend von § 715 Abs. 5 BGB, dass an die Stelle eines Beschlusses der Gesellschafterversammlung ein gerichtliches Gestaltungsurteil zu treten hat.33 Vor dem Hintergrund, dass auch die Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis durch Beschluss „meist zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit dem von der Entziehung betroffenen, gegen die Wirksamkeit des Beschlusses klagenden Gesellschafter darüber, ob ein Entziehungsgrund vorlag“, führen wird, bedeutet § 116 Abs. 5 HGB in der Sache keinen wesentlichen zusätzlichen Aufwand für die Betroffenen. Das Erfordernis der Gestaltungsklage soll nach der Gesetzesbegründung lediglich bewirken, dass die Klagelast auf die Gesellschaftergesamtheit verlagert wird.34 Aus diesen Erwägungen folgt, dass dem Verfahrenserfordernis auch keine verkehrsschützende Bedeutung zukommt, sondern lediglich eine Entlastungsfunktion zugunsten des von der Entziehung betroffenen Geschäftsführers. Das Klageerfordernis ist vollständig dispositiv.35 a) Gerichtliche Entscheidung; keine Entziehung kraft Beschlusses Mit diesem dispositiven Leitbild des § 116 Abs. 5 HGB soll die Klagelast sachgerecht verteilt 32 werden und den anderen Gesellschaftern soll mit dem Gestaltungsklageerfordernis die Rechtsunsicherheit über den Kreis der geschäftsführungsbefugten Gesellschafter genommen werden.36 b) Keine Entziehung kraft Beschlusses Anhand des Gestaltungsklageerfordernisses wird deutlich, dass eine Entziehung bzw. Be- 33 schränkung der Geschäftsführungsbefugnis auf der Grundlage eines schlichten Gesellschafterbeschlusses nach dem mutmaßlichen Gesellschafterwillen nicht in Betracht kommen soll. Gleichwohl stellt sich die Frage, inwiefern die „anderen Gesellschafter“ im Wege eines verfassungsdurchbrechenden Beschlusses ad hoc auf das Klageerfordernis verzichten können. So könnte sich aus § 715 Abs. 3 BGB ergeben, dass der betroffene Gesellschafter insoweit einem Stimmrechtsausschluss unterliegt, weil er von einem Interessenkonflikt betroffen ist. Indes kommt die Annahme eines derartigen Stimmrechtsausschlusses nicht in Betracht, weil sich die Gesellschaftergesamtheit – indem sie das Klageerfordernis gerade nicht abbedingen – ausdrücklich dahingehend positioniert hat, die Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis unter einen Klagevorbehalt zu stellen. Eine Verfassungsdurchbrechung – unter Annahme eines Stimmrechtsausschlusses – kommt vor diesem Hintergrund schon deshalb nicht in Betracht, weil die Gesellschaftergesamtheit den geschäftsführungsbefugten Gesellschaftern mit dem Klageerfordernis ein Sonderrecht nach § 35 BGB gewährt hat, das nur mit der Zustimmung des betroffenen Gesellschafters wieder entzogen werden kann. Das Klageerfordernis ist aus Sicht des betroffenen Gesellschafters ein durch die Gesamtheit der anderen Gesellschafter unentziehbares Minderheitenrecht.
33 Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 116 HGB Rz. 139 ff. 34 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 237; Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/ Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 116 HGB Rz. 129; kritisch gegen die damit verbundene Darlegungs- und Beweislast Altmeppen, ZIP 2021, 213, 218. 35 Vgl. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 237. 36 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 237. Könen | 869
§ 116 HGB Rz. 34 | Offene Handelsgesellschaft c) Teleologische Reduktion bei Publikumsgesellschaften 34 In Anbetracht der Tatsache, dass § 116 Abs. 5 HGB die Klagelast für die Entziehung bzw.
Beschränkung der Geschäftsführungsbefugnis auf die Gesellschaftergesamtheit verlagert, setzt dies deren gemeinschaftliches Tätigwerden voraus, wozu diese auch auf der Grundlage der gesellschaftlichen Treuepflicht wechselseitig verpflichtet sein können. Angesichts des Regelungszwecks des § 116 Abs. 5 HGB, lediglich die Klagelast von dem Geschäftsführer auf die Gesellschaftergesamtheit verlagern zu wollen, ohne aber gleichzeitig die Durchsetzbarkeit einer Beschränkung der Geschäftsführungsbefugnis durch die insoweit kontrollbefugte Gesellschafterversammlung zu erschweren, ist die Regelung für solche Gesellschaftsgestaltungen teleologisch zu reduzieren, in denen eine Klage der anderen Gesellschafter regelmäßig nicht anzunehmen ist – namentlich bei Publikumsgesellschaften. d) Wirkungen; Gestaltungsklage 35 Das Urteil über die Reichweite bzw. den Ausschluss von der Geschäftsführung wirkt gestal-
tend gegenüber allen Gesellschaftern.
VII. Kündigung aus wichtigem Grund (Abs. 6) 36 § 116 Abs. 6 HGB sieht gegenüber § 715 Abs. 6 BGB keinerlei abweichende inhaltliche Rege-
lung der Kündigungsmöglichkeit der Geschäftsführerstellung vor (§ 715 BGB Rz. 68 ff.).37
§ 117 HGB Wettbewerbsverbot (1) Ein Gesellschafter darf ohne Einwilligung der anderen Gesellschafter weder in dem Handelszweig der Gesellschaft Geschäfte machen noch an einer anderen gleichartigen Gesellschaft als persönlich haftender Gesellschafter teilnehmen. (2) Die Einwilligung zur Teilnahme an einer anderen Gesellschaft gilt als erteilt, wenn den anderen Gesellschaftern bei Eingehung der Gesellschaft bekannt ist, dass der Gesellschafter an einer anderen Gesellschaft als persönlich haftender Gesellschafter teilnimmt, und gleichwohl die Aufgabe dieser Beteiligung nicht ausdrücklich vereinbart wird. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. 1. 2. 3. 4. II. 1.
Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Abweichende Vereinbarung . . . . . . . . . . 6 Wettbewerbsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Normadressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 a) Anspruchsinhaber . . . . . . . . . . . . . . . . 10
b) Anspruchsgegner . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verbotsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gegenständlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Geschäfte und Geschäftschancen . bb) Handelszweig der Gesellschaft . . . cc) Teilnahme als persönlich haftender Gesellschafter an gleichartiger Handelsgesellschaft . . . . . . . . . . . . b) Räumlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11 12 13 14 15 16 17
37 Vgl. Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 116 HGB Rz. 130 ff.
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§ 116 HGB Rz. 34 | Offene Handelsgesellschaft c) Teleologische Reduktion bei Publikumsgesellschaften 34 In Anbetracht der Tatsache, dass § 116 Abs. 5 HGB die Klagelast für die Entziehung bzw.
Beschränkung der Geschäftsführungsbefugnis auf die Gesellschaftergesamtheit verlagert, setzt dies deren gemeinschaftliches Tätigwerden voraus, wozu diese auch auf der Grundlage der gesellschaftlichen Treuepflicht wechselseitig verpflichtet sein können. Angesichts des Regelungszwecks des § 116 Abs. 5 HGB, lediglich die Klagelast von dem Geschäftsführer auf die Gesellschaftergesamtheit verlagern zu wollen, ohne aber gleichzeitig die Durchsetzbarkeit einer Beschränkung der Geschäftsführungsbefugnis durch die insoweit kontrollbefugte Gesellschafterversammlung zu erschweren, ist die Regelung für solche Gesellschaftsgestaltungen teleologisch zu reduzieren, in denen eine Klage der anderen Gesellschafter regelmäßig nicht anzunehmen ist – namentlich bei Publikumsgesellschaften. d) Wirkungen; Gestaltungsklage 35 Das Urteil über die Reichweite bzw. den Ausschluss von der Geschäftsführung wirkt gestal-
tend gegenüber allen Gesellschaftern.
VII. Kündigung aus wichtigem Grund (Abs. 6) 36 § 116 Abs. 6 HGB sieht gegenüber § 715 Abs. 6 BGB keinerlei abweichende inhaltliche Rege-
lung der Kündigungsmöglichkeit der Geschäftsführerstellung vor (§ 715 BGB Rz. 68 ff.).37
§ 117 HGB Wettbewerbsverbot (1) Ein Gesellschafter darf ohne Einwilligung der anderen Gesellschafter weder in dem Handelszweig der Gesellschaft Geschäfte machen noch an einer anderen gleichartigen Gesellschaft als persönlich haftender Gesellschafter teilnehmen. (2) Die Einwilligung zur Teilnahme an einer anderen Gesellschaft gilt als erteilt, wenn den anderen Gesellschaftern bei Eingehung der Gesellschaft bekannt ist, dass der Gesellschafter an einer anderen Gesellschaft als persönlich haftender Gesellschafter teilnimmt, und gleichwohl die Aufgabe dieser Beteiligung nicht ausdrücklich vereinbart wird. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. 1. 2. 3. 4. II. 1.
Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Abweichende Vereinbarung . . . . . . . . . . 6 Wettbewerbsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Normadressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 a) Anspruchsinhaber . . . . . . . . . . . . . . . . 10
b) Anspruchsgegner . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verbotsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gegenständlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Geschäfte und Geschäftschancen . bb) Handelszweig der Gesellschaft . . . cc) Teilnahme als persönlich haftender Gesellschafter an gleichartiger Handelsgesellschaft . . . . . . . . . . . . b) Räumlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11 12 13 14 15 16 17
37 Vgl. Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 116 HGB Rz. 130 ff.
870 | Könen
Wettbewerbsverbot | Rz. 3 § 117 HGB c) Zeitlich (Gesellschaftsangehörigkeit) . d) Nachvertragliches Wettbewerbsverbot III. Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erteilte Einwilligung (Abs. 1) . . . . . . . . . a) Gesellschafterbeschluss . . . . . . . . . . . .
18 19 20 21 22
b) Zustimmungserklärung . . . . . . . . . . . . c) Form und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fingierte Einwilligung (Abs. 2) . . . . . . . IV. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23 24 25 26
Schrifttum: Armbrüster, Grundlagen und Reichweite von Wettbewerbsverboten im Personengesellschaftsrecht, ZIP 1997, 261; Fleischer, Das gesetzliche Wettbewerbsverbot im Personengesellschaftsrecht, WM 2020, 1897; Fleischer, Die Geschäftschancenlehre im Recht der BGB-Gesellschaft – von der corporate opportunities zur partnership opportunities doctrine, NZG 2013, 331.
I. Allgemeines Die §§ 117 f. HGB tragen dem Interesse der Gesellschaft Rechnung, dass die Verfolgung des 1 wirtschaftlichen Verbandszwecks nicht dadurch erschwert wird, dass ein Gesellschafter sich im Handelszweig der Gesellschaft als Privatperson oder Gesellschafter einer anderen Personengesellschaft wirtschaftlich betätigt und dabei z.B. auf Insiderinformationen zurückgreift, die er im Rahmen der Ausübung seiner mitgliedschaftlichen Verwaltungsrechte erlangt hat. Die Vorschriften über das Wettbewerbsverbots sind damit spezialgesetzliche Ausprägungen der mitgliedschaftlichen Loyalitätspflicht der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft, die im Falle einer Konkurrenztätigkeit ihre mitgliedschaftliche Förderpflicht verletzen würden.1 Über § 161 Abs. 2 HGB sowie § 6 Abs. 3 Satz 2 PartGG finden die §§ 117 f. HGB auf KG und PartG entsprechende Anwendung.
1. Überblick § 117 Abs. 1 HGB stellt die wirtschaftliche Betätigung eines Gesellschafters im Handelszweig 2 der Gesellschaft unter den Vorbehalt der Einwilligung der anderen Gesellschafter. Auf diese Weise wird deutlich, dass es sich bei der Frage der Konkurrenztätigkeit um eine durch die Gesellschafterversammlung zu entscheidende handelt; der betroffene Gesellschafter ist im Rahmen der Einwilligung nicht stimmberechtigt, weil er einem Interessenkonflikt unterliegt. Das Wettbewerbsverbot besteht sowohl hinsichtlich der Tätigkeit als Privatperson als auch bezüglich einer Gesellschaftertätigkeit in einer gleichartigen Gesellschaft als persönlich haftender Gesellschafter, weil sich insoweit die Gefahr, dass der Gesellschafter Kenntnisse aus seiner mitgliedschaftlichen Gesellschaftsteilhabe in gleicher Weise verwirklichen kann. Ausgenommen vom Wettbewerbsverbot sind Gesellschaftsbeteiligungen im Rahmen derer sich die mitgliedschaftliche Teilhabe in einer schlichten Wertbeteiligung erschöpft. Der Ausschluss von der Geschäftsführung steht der Geltung des § 117 HGB indes nicht entgegen, weil der Gesellschafter sich auf der Grundlage seiner Informationsrechte, Vorteile beschaffen kann. § 117 Abs. 2 HGB regelt die Fiktion der Einwilligung für solche Gesellschaftsbeteiligungen 3 eines Gesellschafters, die zum Zeitpunkt der Vereinbarung des Verbandszwecks bereits bestanden haben. Diese Fiktion ist nicht auf die individuelle wirtschaftliche Betätigung eines Gesellschafters zu übertragen, weil dieser – anders als im Rahmen einer Gesellschaftsbeteiligung – keine Vermutung für die künftige wirtschaftliche Betätigung innewohnt, auf die der Gesellschafter vertrauen könnte. Vielmehr folgt aus der Vereinbarung des eigenen Verbands-
1 Vgl. BGH v. 5.12.1983 – II ZR 242/82, BGHZ 89, 162, 165 = NJW 1984, 1351 = GmbHR 1984, 203; BGH v. 4.12.2001 – X ZR 167/99, NJW 2002, 1046, 1047; Armbrüster, ZIP 1997, 261; Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 117 HGB Rz. 2. Könen | 871
§ 117 HGB Rz. 3 | Offene Handelsgesellschaft zwecks regelmäßig die Erwartung, der Gesellschafter werde seine wirtschaftliche Betätigung durch die der Gesellschaft ersetzen.
2. Normzweck 4 Die Regelung dient dem Interesse der Gesellschaft, dass der Gesellschaftszweck durch alle Ge-
sellschafter im Rahmen der vereinbarten Beitragspflichten gefördert und nicht durch eine Konkurrenztätigkeit gefährdet wird. Sie ist damit Ausdruck der allgemeinen mitgliedschaftlichen Förder- und Loyalitätspflicht.2 Insoweit kommt den §§ 117 f. HGB die Funktion als relativ unentziehbares Schutzrecht der Gesellschaft zu. Gleichzeitig dienen die §§ 117 f. HGB der Vermeidung der typisierten Gefahrenlagen, dass ein Gesellschafter im Rahmen seiner mitgliedschaftlichen Verbandsteilhabe an Informationen aus dem Gesellschaftsbereich gelangt und diese zur Verfolgung individueller Interessen – bei gleichzeitiger Verletzung der Loyalitäts- und Förderpflicht – zweckentfremdet.3 Ungeachtet der gesetzlichen Regelung ist die Rechtsnatur des Wettbewerbsverbots nicht als gesetzlich zu qualifizieren. Das Wettbewerbsverbot hat seine rechtliche Grundlage vielmehr in den vertraglichen innenrechtlichen Rechtsbeziehungen und ist damit dispositiv. Das Wettbewerbsverbot wurzelt ausschließlich in der mitgliedschaftlichen Verbundenheit, wie diese aus einem privatautonomen Zusammenschluss kraft gesellschaftsvertraglicher Vereinbarung eines gemeinsamen Verbandszwecks resultiert.
3. Anwendungsbereich 5 § 117 HGB beansprucht neben der oHG nach § 161 Abs. 2 HGB auch für die persönlich
haftenden Gesellschafter der KG Geltung. Eine entsprechende Anwendung auf die GbR ist insofern geboten, wie eine wirtschaftliche Betätigung zur gewöhnlichen Gesellschaftstätigkeit gehört. Eine wirtschaftliche Konkurrenztätigkeit der Gesellschaft ist den Gesellschaftern schon aufgrund der mitgliedschaftlichen Treue- und Loyalitätspflicht untersagt und Geschäftschancen sind in Anbetracht der Förderpflicht für die Gesellschaft wahrzunehmen.4 Vor dem Hintergrund, dass § 117 HGB lediglich deren Konkretisierung dient, können die §§ 117 f. HGB entsprechend zugrunde gelegt werden.
4. Abweichende Vereinbarung 6 In Anbetracht der Eigenschaft des Wettbewerbsverbots als Schutzrecht der Gesellschaft kann
es grundsätzlich nur auf der Grundlage des Entschlusses aller Gesellschafter abweichend ausgestaltet werden.5 Dies betrifft Inhalt und Umfang des Wettbewerbsverbots. Eine antizipierte Freistellung jeglicher Konkurrenztätigkeit der Gesellschafter ist vor diesem Hintergrund problematisch. So bestimmt die konkrete Ausgestaltung der Konkurrenztätigkeit die Intensität
2 Vgl. BGH v. 5.12.1983 – II ZR 242/82, BGHZ 89, 162, 165 = NJW 1984, 1351 = GmbHR 1984, 203; BGH v. 4.12.2001 – X ZR 167/99, NJW 2002, 1046, 1047 = ZIP 2002, 479; Fleischer, WM 2020, 1897, 1898 f. 3 Vgl. BGH v. 16.3.1961 – II ZR 14/59, WM 1961, 629, 631 f.; BGH v. 5.12.1983 – II ZR 242/82, BGHZ 89, 162, 166 = NJW 1984, 1351 = GmbHR 1984, 203. 4 Vgl. BGH v. 3.5.1988 – KZR 17/87, NJW 1988, 2737, 2738 = GmbHR 1988, 334; zur mehrstufigen Beteiligung, BGH v. 5.12.1983 – II ZR 242/82, BGHZ 89, 162, 165 = NJW 1984, 1351; vgl. Fleischer, NZG 2013, 331; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 470 (Stand: 9/2022). 5 Vgl. Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 117 HGB Rz. 23 ff.
872 | Könen
Wettbewerbsverbot | Rz. 11 § 117 HGB
des Verstoßes gegen die mitgliedschaftliche Förderpflicht. § 117 Abs. 1 HGB bringt mit dem Einwilligungserfordernis zum Ausdruck, dass jede wirtschaftliche Betätigung einem Einzelfreistellungserfordernis durch die Gesellschaftergesamtheit unterliegt. Demgegenüber bestehen hinsichtlich einer Erweiterung des Wettbewerbsverbots auf Berei- 7 che, die (noch) nicht dem Handelszweig der Gesellschaft unterliegen, keine Bedenken, weil es sich dabei um einen Bereich handelt, über den der Gesellschafter privatautonom bestimmen kann. Allerdings bedarf auch eine Erweiterung der Einwilligung aller Gesellschafter.6 Sofern für Beschlüsse der Gesellschafterversammlung eine Mehrheitsklausel vereinbart ist, ist im Rahmen der Wirksamkeitskontrolle zu berücksichtigen, dass es sich bei der Ausweitung des Verbots wirtschaftlicher Betätigung als Privatperson um einen Bereich handelt, hinsichtlich dessen sich der Gesellschafter gerade noch nicht der Verbandsherrschaft unterworfen hat. Die anzustellende Angemessenheitsprüfung erfordert daher dringende Belange der Gesellschaft, gegenüber der die Gesellschaftsinteressen im Einzelfall zurückzutreten haben.
II. Wettbewerbsverbot Das Wettbewerbsverbot erstreckt sich auf sämtliche wirtschaftliche Betätigung im Han- 8 delszweig der Gesellschaft, weil der Gesellschafter mit der Vereinbarung des Gesellschaftszwecks die berechtigte Erwartung der Gesellschaftergesamtheit hervorgerufen hat, dass er in dessen Bereich seine individuellen Interessen dem verbandsrechtlichen Kollektivinteresse in der Weise unterordne, dass er sich voll in die gemeinschaftliche Zweckverfolgung einbringe, ohne dabei wirtschaftlichen Interessenkonflikten zu unterliegen.
1. Normadressaten Als Ausdruck der mitgliedschaftlichen Förder- und Loyalitätspflicht begründet § 117 Abs. 1 9 HGB einen Unterlassungsanspruch der Gesellschaft gegenüber jedem unternehmerisch beteiligten Gesellschafter.7 Schlichte Kapitalbeteiligungen begründen demgegenüber keine durch die §§ 117 f. HGB zu kompensierende Gefahrenlage. a) Anspruchsinhaber Anspruchsinhaber des Unterlassungsanspruchs ist die Gesellschaft selbst, weil die §§ 117 f. 10 HGB dem Schutz ihrer wirtschaftlichen Interessen dienen. b) Anspruchsgegner Anspruchsgegner des Wettbewerbsverbots sind sämtliche unternehmerisch beteiligten Gesell- 11 schafter. Eine Erstreckung des Wettbewerbsverbots auf Geschäftsleiter oder Vertreter der Gesellschafter kommt in Anbetracht der mitgliedschaftlichen Grundlage des Wettbewerbsverbots nach umstrittener Auffassung nicht in Betracht.8 So handelt es sich bei dem Wettbewerbsverbot lediglich um eine gesetzliche Konkretisierung des mutmaßlichen Gesellschafterwillens im Rahmen eines rechtsgeschäftlichen Zusammenschlusses als Personenverband. 6 Vgl. insbesondere zum nachvertraglichen Wettbewerbsverbot, Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 117 HGB Rz. 24 ff. 7 Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 117 HGB Rz. 5 ff. 8 BGH v. 9.3.2009 – II ZR 170/07, BGHZ 180, 105 = WM 2009, 1138 Rz. 10 m.w.N. = GmbHR 2009, 881; vgl. Weller, ZHR 175 (2011), 110, 133 ff.; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 448 (Stand: 9/2022). Könen | 873
§ 117 HGB Rz. 11 | Offene Handelsgesellschaft Gleichwohl haben die Gesellschafter mutmaßlich ein Interesse daran, das Wettbewerbsverbot jedenfalls auf solche Dritte zu erstrecken, die Geschäftsleiter eines Gesellschafters sind. Der Gesellschafter kann daher aufgrund seiner eigenen Loyalitätspflicht gehalten sein, ein solches Wettbewerbsverbot mit seinen Geschäftsleitern zu vereinbaren. Zwar liegt dies in letzter Konsequenz in seiner Verantwortung, die wettbewerbliche Tätigkeit des Geschäftsleiters kann aber im Einzelfall geeignet sein, eine Schadensersatzpflicht des Gesellschafters zu begründen, wenn sich die Tätigkeit des Geschäftsleiters wie eines des Gesellschafters darstellt.9
2. Verbotsumfang 12 Das Wettbewerbsverbot erstreckt sich auf sämtliche wirtschaftliche Betätigung im Handels-
zweig der Gesellschaft.10 Mit Blick auf die berechtigten Gesellschafterinteressen, kann das Wettbewerbsverbot nur so weit reichen, wie dies die berechtigten Gesellschaftsinteressen verlangen. a) Gegenständlich 13 In gegenständlicher Hinsicht ergibt sich die Reichweite aus dem verfolgten Gesellschafts-
zweck.11 aa) Geschäfte und Geschäftschancen 14 Vor dem Hintergrund, dass sich die Gesellschafter zur bestmöglichen Förderung des Ver-
bandszwecks verpflichtet haben, hat der Gesellschafter eine eigene Geschäftstätigkeit zu unterlassen, aber auch Geschäftschancen für die Gesellschaft wahrzunehmen, sofern sich diese in zumutbarer Weise für ihn ergeben.12 bb) Handelszweig der Gesellschaft 15 Der Handelszweck der Gesellschaft ist weit zu verstehen. Die Wettbewerbstätigkeit hat daher
auch dann zu unterbleiben, wenn diese in Handelszweigen erfolgt, die für die Gesellschaft – in Verfolgung des Gesellschaftszwecks – in zumutbarer Weise erschlossen werden können.13 Bei Zweifeln kann der Gesellschafter das Geschäft zunächst als eigenes führen und dann im Rahmen § 118 HGB der Gesellschaft andienen. cc) Teilnahme als persönlich haftender Gesellschafter an gleichartiger Handelsgesellschaft
16 § 117 HGB erfasst nicht nur die persönliche wirtschaftliche Tätigkeit, sondern auch die Be-
tätigung als persönlich haftender Gesellschafter einer gleichartigen Handelsgesellschaft, weil sich insofern das gleiche typisierte Risiko droht, zu realisieren – maßgeblich ist die funktional gleichwertige Rechtsmacht eines Gesellschafters, so dass bei atypischer Gesellschafts-
9 Vgl. Hoffmann-Becking, ZHR 175 (2011), 597, 598 f. 10 Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 117 HGB Rz. 9 ff. 11 BGH v. 27.6.1957 – II ZR 37/56, WM 1957, 1128, 1129; BGH v. 21.2.1978 – KZR 6/77, BGHZ 70, 331, 332 f. = NJW 1978, 1001. 12 BGH v. 4.12.2012 – II ZR 159/10, NZG 2013, 216 Rz. 20 m.w.N. = ZIP 2013, 361. 13 Vgl. BGH v. 21.2.1978 – KZR 6/77, BGHZ 70, 331, 333 = NJW 1978, 1001; Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 117 HGB Rz. 12 f.
874 | Könen
Wettbewerbsverbot | Rz. 21 § 117 HGB
gestaltung auch Kommanditisten und stille Gesellschafter dem Wettbewerbsverbot unterfallen können.14 b) Räumlich Das Wettbewerbsverbot erstreckt sich auf denjenigen räumlichen Markt, auf dem die Gesell- 17 schaft ihre Geschäftstätigkeit in der Vergangenheit ausgeübt hat, aber auch auf solche Bereiche, auf die die Geschäftstätigkeit in zumutbarer Weise ausgeweitet werden kann.15 c) Zeitlich (Gesellschaftsangehörigkeit) In Anbetracht der Tatsache, dass das Wettbewerbsverbot an die mitgliedschaftliche Treue- 18 pflicht anknüpft, besteht diese grundsätzlich nur für die Zeit der Gesellschaftsangehörigkeit.16 d) Nachvertragliches Wettbewerbsverbot Grundsätzlich endet mit wirksamem Austritt aus der Gesellschaft auch die privatautonome 19 Unterwerfung unter die Verbandsherrschaft. Aufgrund der engen Verbundenheit im Laufe einer Mitgliedschaft kommt aber insbesondere eine Fortwirkung von Treuepflichten auch über den Zeitpunkt des Austritts in Betracht. Sieht der Gesellschaftsvertrag etwa Schweigepflichten vor, können diese über die Gesellschaftszugehörigkeit hinaus fortwirken. Auch Auskunftspflichten können über die Gesellschaftszugehörigkeit hinaus bestehen. Ungeachtet der mitgliedschaftlichen Grundlage können Loyalitätspflichten daher über die Zeit der Gesellschaftsangehörigkeit hinausreichen. Eine derartige Nachwirkung findet ihre Grenze jedoch bei den berechtigten Interessen des Ausgeschiedenen. Nachwirkungen des mitgliedschaftlichen Verhältnisses kommen daher nur so weit in Betracht, wie sie z.B. mit einem (wichtigen) Ausschließungsgrund vereinbar sind. So kann dem Mitglied auch nichts im Wege nachwirkender (Treue-)Pflichten auferlegt werden, was er sich durch den Austritt berechtigterweise ersparen wollte.
III. Einwilligung In Anbetracht der geschützten Gesellschaftsinteressen kommt eine wirtschaftliche Konkur- 20 renztätigkeit nur in Betracht, sofern die anderen Gesellschafter einwilligen oder eine Einwilligung nach Abs. 2 fingiert wird.17
1. Erteilte Einwilligung (Abs. 1) Vor dem Hintergrund, dass es sich bei dem Wettbewerbsverbot um ein Schutzrecht der Ge- 21 sellschaft handelt, bedarf es einer Einwilligung der Gesellschaft. § 117 Abs. 1 HGB bringt zum Ausdruck, dass die diesbezügliche Willensbildung nicht im Willensbildungsorgan der
14 Vgl. BGH v. 5.12.1983 – II ZR 242/82, BGHZ 89, 162, NJW 1984, 1351 = GmbHR 1984, 203. 15 Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 117 HGB Rz. 13. 16 Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 117 HGB Rz. 7 f. 17 Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 117 HGB Rz. 16 ff. Könen | 875
§ 117 HGB Rz. 21 | Offene Handelsgesellschaft Geschäftsführung zu erfolgen hat, sondern in der Gesellschafterversammlung.18 Die Einwilligung ist Beschlussgegenstand i.S.v. § 109 HGB, weil es sich gerade nicht um eine gewöhnliche Tätigkeit zur Verfolgung des Verbandszwecks handelt, sondern um eine Entscheidung, die die Zweckverfolgung auf der Grundlage des Gesellschaftsvertrages selbst betrifft. a) Gesellschafterbeschluss 22 Der betroffene Gesellschafter unterliegt im Rahmen des Beschlusses der Gesellschafterver-
sammlung nach § 117 Abs. 1 HGB einem Stimmverbot, weil mit dieser Bestimmung ein hinreichender Interessenkonflikt des Gesellschafters anerkannt ist. Die Beschlussfassung über die Zustimmung hat nach § 109 HGB zu erfolgen. b) Zustimmungserklärung 23 In Anbetracht des Beschlusserfordernisses hat die verbandsrechtliche Willensbildung im for-
mellen Verfahren nach § 109 HGB zu erfolgen. Eine darüberhinausgehende Erklärung gegenüber dem betroffenen Gesellschafter ist nicht erforderlich. c) Form und Inhalt 24 Der Gesellschafterbeschluss hat den Bereich der Geschäftstätigkeit durch den betroffenen
Gesellschafter genau in der Weise zu bezeichnen, wie die Konkurrenztätigkeit von dem Wettbewerbsverbot ausgenommen sein soll.
2. Fingierte Einwilligung (Abs. 2) 25 Bei der Einwilligungsfiktion des § 117 Abs. 2 HGB handelt es sich um eine eng auszulegende
Sondervorschrift, die insbesondere nicht auf eine Konkurrenztätigkeit des Gesellschafters als Individuum zu übertragen ist.19
IV. Rechtsfolgen 26 Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das Wettbewerbsverbot richten sich nach dem spezi-
ellen Rechtsfolgenregime des § 118 HGB.
§ 118 HGB Verletzung des Wettbewerbsverbots (1) ¹Verletzt ein Gesellschafter die ihm nach § 117 obliegende Verpflichtung, kann die Gesellschaft Schadensersatz fordern. ²Sie kann stattdessen von dem Gesellschafter verlangen, dass er die für eigene Rechnung gemachten Geschäfte als für Rechnung der Gesellschaft eingegangen gelten lasse und die aus Geschäften für fremde Rechnung bezogene Vergütung herausgebe oder seinen Anspruch auf die Vergütung abtrete. 18 Zur teilweise umstrittenen Rechtsnatur m.w.N., Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/ Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 117 HGB Rz. 17. 19 Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 117 HGB Rz. 20 f.
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§ 117 HGB Rz. 21 | Offene Handelsgesellschaft Geschäftsführung zu erfolgen hat, sondern in der Gesellschafterversammlung.18 Die Einwilligung ist Beschlussgegenstand i.S.v. § 109 HGB, weil es sich gerade nicht um eine gewöhnliche Tätigkeit zur Verfolgung des Verbandszwecks handelt, sondern um eine Entscheidung, die die Zweckverfolgung auf der Grundlage des Gesellschaftsvertrages selbst betrifft. a) Gesellschafterbeschluss 22 Der betroffene Gesellschafter unterliegt im Rahmen des Beschlusses der Gesellschafterver-
sammlung nach § 117 Abs. 1 HGB einem Stimmverbot, weil mit dieser Bestimmung ein hinreichender Interessenkonflikt des Gesellschafters anerkannt ist. Die Beschlussfassung über die Zustimmung hat nach § 109 HGB zu erfolgen. b) Zustimmungserklärung 23 In Anbetracht des Beschlusserfordernisses hat die verbandsrechtliche Willensbildung im for-
mellen Verfahren nach § 109 HGB zu erfolgen. Eine darüberhinausgehende Erklärung gegenüber dem betroffenen Gesellschafter ist nicht erforderlich. c) Form und Inhalt 24 Der Gesellschafterbeschluss hat den Bereich der Geschäftstätigkeit durch den betroffenen
Gesellschafter genau in der Weise zu bezeichnen, wie die Konkurrenztätigkeit von dem Wettbewerbsverbot ausgenommen sein soll.
2. Fingierte Einwilligung (Abs. 2) 25 Bei der Einwilligungsfiktion des § 117 Abs. 2 HGB handelt es sich um eine eng auszulegende
Sondervorschrift, die insbesondere nicht auf eine Konkurrenztätigkeit des Gesellschafters als Individuum zu übertragen ist.19
IV. Rechtsfolgen 26 Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das Wettbewerbsverbot richten sich nach dem spezi-
ellen Rechtsfolgenregime des § 118 HGB.
§ 118 HGB Verletzung des Wettbewerbsverbots (1) ¹Verletzt ein Gesellschafter die ihm nach § 117 obliegende Verpflichtung, kann die Gesellschaft Schadensersatz fordern. ²Sie kann stattdessen von dem Gesellschafter verlangen, dass er die für eigene Rechnung gemachten Geschäfte als für Rechnung der Gesellschaft eingegangen gelten lasse und die aus Geschäften für fremde Rechnung bezogene Vergütung herausgebe oder seinen Anspruch auf die Vergütung abtrete. 18 Zur teilweise umstrittenen Rechtsnatur m.w.N., Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/ Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 117 HGB Rz. 17. 19 Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 117 HGB Rz. 20 f.
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Verletzung des Wettbewerbsverbots | Rz. 1 § 118 HGB
(2) Über die Geltendmachung dieser Ansprüche beschließen die anderen Gesellschafter. (3) ¹Die Ansprüche nach Absatz 1 verjähren in drei Monaten von dem Zeitpunkt an, in welchem die anderen Gesellschafter von dem Abschluss des Geschäfts oder von der Teilnahme des Gesellschafters an der anderen Gesellschaft Kenntnis erlangt haben oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen mussten. ²Sie verjähren ohne Rücksicht auf diese Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in fünf Jahren von ihrer Entstehung an. (4) Das Recht der anderen Gesellschafter, den betreffenden Gesellschafter auszuschließen oder die Auflösung der Gesellschaft zu verlangen, wird durch diese Vorschriften nicht berührt. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Abweichende Regelung . . . . . . . . . . . . . . 4 Rechtsfolgen der Verletzung des Wettbewerbsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1. Schadensersatz und „Eintrittsrecht“ (Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 a) Schadensersatz (Satz 1) . . . . . . . . . . . . 7 b) „Eintrittsrecht“ (Satz 2) . . . . . . . . . . . . 8 c) Elektive Konkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . 12 d) Weitere Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . 15
I. 1. 2. 3. II.
aa) Auskunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesellschafterbeschluss (Abs. 2) . . . . . . a) Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verjährung (Abs. 3) a) Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fristberechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Drei Monate . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Fünf Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ausschließung; Auflösung (Abs. 4) . . . .
16 17 18 19 20 21 23 24 27 29
Schrifttum: Fleischer, Das gesetzliche Wettbewerbsverbot im Personengesellschaftsrecht, WM 2020, 1897; Paefgen, Das Ausschließungsverschulden im Personengesellschaftsrecht, ZIP 1990, 839; Pöschke, Die elektive Konkurrenz, JZ 2010, 349.
I. Allgemeines § 118 HGB begründet ein spezielles Rechtsfolgenregime für die Verletzung des handels- 1 rechtlichen Wettbewerbsverbots nach § 117 HGB, indem die betroffenen mitgliedschaftlichen Interessen von Gesellschaft und Gesellschaftern hinsichtlich des vermögensmäßigen Ausgleichs – grundsätzlich abschließend, aber gleichwohl dispositiv – gegeneinander abgewogen werden. Die Regelung im HGB beruht darauf, dass es im Falle wirtschaftlicher Betätigung eines Gesellschafters ganz regelmäßig zu einem Konflikt mit der Förder- und Loyalitätspflicht eines wirtschaftlichen Gesellschaftszwecks kommen kann. Nach der gesetzlichen Wertung ist eine entsprechende Interessenkollision, aufgrund derer der Gesellschafter in aller Regel seine mitgliedschaftliche Förder- und Loyalitätspflicht verletzt, immer dann zu befürchten, wenn der Gesellschafter im selben Handelszweig tätig wird, wie die Gesellschaft. Hintergrund ist die Tatsachen, dass in dieser Konstellation Angebot und Nachfrage auf demselben Markt miteinander kollidieren. Dadurch entspricht es einem rationalen Gesellschafterverhalten, die wirtschaftliche Zweckverfolgung für sich als Privatperson zu betreiben anstatt für die Gesellschaft, weil er die erzielbare Rendite nicht entsprechend der Anteilsquote über seine mitgliedschaftliche Wertbeteiligung teilen muss. Nach § 117 Abs. 2 HGB spricht die Tatsache, dass ein Gesellschafter bereits im Vorfeld in einer anderen Gesellschaft eine vergleichbare wirtschaftliche Zweckverfolgung betrieben hat, dafür, dass die Gesellschaftergesamtheit diesen Interessenkonflikt auch künftig hinnehmen möchte. Vor dem HinterKönen | 877
§ 118 HGB Rz. 1 | Offene Handelsgesellschaft grund, dass die durch §§ 117 f. HGB zu bewältigenden Interessenkonflikte bei jeder wirtschaftlichen Zweckverfolgung aufkommen können, sind die Bestimmungen auf Gesellschaften bürgerlichen Rechts, die auf eine wirtschaftliche Zweckverfolgung ausgerichtet sind, entsprechend anzuwenden. Über § 161 Abs. 2 HGB sowie § 6 Abs. 3 Satz 2 PartGG finden die §§ 117 f. HGB auf KG und PartG entsprechende Anwendung. Die Anwendung auf die unternehmenstragende Außen-GbR entspricht dem hypothetischen Gesellschafterinteresse.1
1. Überblick 2 § 118 Abs. 1 Satz 1 HGB statuiert klarstellend, dass die Gesellschaft Ersatz derjenigen Schä-
den verlangen kann, die aus der Verletzung des Wettbewerbsverbots nach § 117 Abs. 1 HGB resultieren. Wahlweise kann sie auch nach § 118 Abs. 1 Satz 2 HGB von dem Gesellschafter verlangen, wirtschaftlich so gestellt zu werden, als habe er das Geschäft für sie vorgenommen (sog. Eintrittsrecht).2 § 118 Abs. 2 HGB weist die Befugnis, darüber zu bestimmen, inwiefern das Recht der Gesellschaft geltend gemacht wird, den anderen Gesellschaftern zu, wodurch die Möglichkeit einer Gesellschafterklage insoweit ausgeschlossen ist, weil ein Geschäftsführungsversagen nicht zu befürchten ist. § 118 Abs. 3 BGB bestimmt eine dreimonatige Verjährungsfrist ab Kenntnisnahme bzw. großfahrlässiger Unkenntnis der anderen Gesellschafter von der Wettbewerbstätigkeit sowie eine Verjährungshöchstfrist von fünf Jahren seit Anspruchsentstehung. § 118 Abs. 4 HGB stellt klar, dass die vermögenmäßige Kompensation der Gesellschaftsinteressen keine Auswirkungen auf die innergesellschaftliche Kompetenzordnung sowie die mitgliedschaftlichen Interessen der anderen Gesellschafter hat.
2. Normzweck 3 § 118 HGB gewährleistet die vermögensmäßige Kompensation der Gesellschaftsinteressen
im Falle eines Verstoßes gegen das mitgliedschaftliche Wettbewerbsverbot des § 117 HGB. Gleichzeitig weist die Regelung aber die Kompetenz zur Geltendmachung dieser Ansprüche ausschließlich der Gesellschafterversammlung zu, im Rahmen derer der betroffene Gesellschafter mit seinem Stimmrecht ausgeschlossen ist. Flankiert wird die Beurteilungshoheit durch eine sehr kurze dreimonatige Verjährungsfrist, um den innergesellschaftlichen Rechtsfrieden schnellstmöglich wiederherzustellen. Nur bezogen auf die Vermögensinteressen der Gesellschaft ist § 118 HGB abschließend, über die Auswirkungen der unzulässigen Wettbewerbstätigkeit auf die Zusammensetzung der Geschäftsführung sowie die Fortführung der gemeinschaftlichen Zweckverfolgung ist im Rahmen der gewöhnlichen innergesellschaftlichen Kompetenzordnung zu befinden. In Anbetracht der Tatsache, dass die Gesellschaft ein Eintrittsrecht geltend machen kann, ohne dass ihr der Nachweis eines Schadens gelingen muss, wirkt § 118 HGB auch präventiv und hat gewissen Sanktionscharakter.3
3. Abweichende Regelung 4 Zwar gewährleistet § 118 HGB hinsichtlich der Vermögensinteressen der Gesellschaft im Falle
eines Wettbewerbsverstoßes einen ausgewogenen Interessenausgleich. Als Regelung des Innenrechts ist die Bestimmung gleichwohl dispositiv und kann durch einen abweichenden Kon-
1 Vgl. Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 118 HGB Rz. 6. 2 Vgl. BGH v. 6.12.1962 – KZR 4/62, BGHZ 38, 306, 309 = NJW 1963, 646. 3 Vgl. BGH v. 6.12.1962 – KZR 4/62, BGHZ 38, 306, 309 = NJW 1963, 646.
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Verletzung des Wettbewerbsverbots | Rz. 8 § 118 HGB
fliktlösungsmechanismus ausgetauscht werden; unentziehbare Minderheitspositionen sind insoweit nicht betroffen, da die Verletzung von Mitgliedspflichten ohnehin Schadensersatz nach § 280 Abs. 1 BGB auslösen kann. Eine Außenwirkung kommt der Regelung nicht zu.4
II. Rechtsfolgen der Verletzung des Wettbewerbsverbots § 118 HGB bestimmt das Rechtsfolgenregime bei Verletzung des mitgliedschaftlichen Wett- 5 bewerbsverbots. Neben der Möglichkeit von Schadensersatz (Abs. 1 Satz 1) kann die Gesellschaft alternativ von dem Gesellschafter verlangen, so gestellt zu werden, als hätte er das Geschäft für die Gesellschaft vorgenommen (Abs. 1 Satz 2). Die Ausübung des Wahlrechts sowie die Entscheidung über die Inanspruchnahme des Gesellschafters obliegen der Gesellschafterversammlung (Abs. 2), wobei die Ansprüche einer kurzen dreimonatigen Verjährung ab Kenntnisnahme bzw. grob fahrlässiger Unkenntnis unterliegen, höchstens jedoch nach fünf Jahren seit Anspruchsentstehung verjähren (Abs. 3). Klarstellend hebt Abs. 4 die Ausschließungsmöglichkeit des Gesellschafters durch die Gesellschafterversammlung ohne Stimmrecht des betroffenen Gesellschafters hervor.
1. Schadensersatz und „Eintrittsrecht“ (Abs. 1) § 118 Abs. 1 HGB gewährt der Gesellschaft eine Wahlmöglichkeit, den gegen § 117 HGB 6 verstoßenden Gesellschafter entweder auf Schadensersatz (Satz 1) in Anspruch zu nehmen oder von diesem verlangen zu können, dass er die auf eigene Rechnung vorgenommenen Geschäfte als für Rechnung der Gesellschaft eingegangen gelten lässt und die aus Geschäften für fremde Rechnung bezogene Vergütung herausgibt und diesbezügliche Ansprüche abtritt (Satz 2). a) Schadensersatz (Satz 1) Der Schadensersatzanspruch der Gesellschaft nach § 118 Abs. 1 Satz 1 HGB knüpft an die 7 Verletzung der mitgliedschaftlichen Loyalitäts- und Förderpflicht an und konkretisiert diese dahingehend, dass jede Wettbewerbstätigkeit im Handelszweig der Gesellschaft eine Verletzung der Loyalitäts- und Förderpflicht darstellt. Sanktioniert wird auf diese Weise nicht ein Unterlassen in der Weise, dass der Gesellschafter seiner Förderpflicht nicht nachgekommen ist, sondern die Verletzung des Gebots, sich in seinem Privatverhalten der Gesellschaft und den Gesellschaftern gegenüber loyal zu verhalten, wozu es insbesondere gehört, nicht eine Wettbewerbstätigkeit auszuüben. Pflichtverletzung i.S.d. § 117 HGB ist die Ausübung der Wettbewerbstätigkeit im Handelszweig der Gesellschaft. Die Schadensersatzpflicht setzt ein Verschulden nach § 276 BGB voraus und erstreckt sich insbesondere auf den entgangenen Gewinn.5 b) „Eintrittsrecht“ (Satz 2) Nach § 118 Abs. 1 Satz 2 HGB kann die Gesellschaft von dem Gesellschafter verlangen, dass 8 dieser ihr in bestmöglicher Weise diejenige Rechtsposition einräumt, die er durch die Verletzung des Wettbewerbsverbots erlangt hat. Der Anspruch der Gesellschaft kann sich in An-
4 BGH v. 5.12.1983 – II ZR 242/82, BGHZ 89, 162, 171 = NJW 1984, 1351 = GmbHR 1984, 203; Haas/ Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 118 HGB Rz. 4 f. 5 Vgl. Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 118 HGB Rz. 9 Könen | 879
§ 118 HGB Rz. 8 | Offene Handelsgesellschaft betracht der berechtigten Verkehrsinteressen hinsichtlich künftiger Leistungspflichten nur in den Grenzen der §§ 398 ff., §§ 414 f. BGB bewegen. Daher regelt § 118 Abs. 1 Satz 2 HGB auch lediglich, dass die gemachten Geschäfte als für Rechnung der Gesellschaft eingegangen zu gelten haben sollen. Insbesondere in Anbetracht des § 415 BGB hat das „Eintrittsrecht“ der Gesellschaft schlicht innenrechtliche Wirkung und ist in § 118 HGB systematisch zutreffend verortet.6 Verbunden mit dem innenrechtlichen Eintrittsrecht der Gesellschaft ist die Berechtigung des Gesellschafters, von der Gesellschaft Erstattung seiner Aufwendungen nach § 716 BGB verlangen zu können. 9 Die Verpflichtung des Gesellschafters, der Gesellschaft eine Rechtsposition einzuräumen, die
diese so stellt, als dass die getätigten Geschäfte, welche der Gesellschafter unter Verstoß gegen § 117 HGB auf eigene Rechnung vorgenommen hat, als solche der Gesellschaft gelten, korrespondiert mit dem Anspruch der Gesellschaft, erlangte Vergütungen herauszugeben und offene Vergütungsansprüche abzutreten. Unerheblich ist, ob die Gesellschaft das Geschäft ebenso vorgenommen hätte. 10 Bei dem Herausgabeanspruch der Gesellschaft nach § 118 Abs. 1 Satz 2 Var. 2 HGB handelt
es sich um einen Rechtsfolgenverweis in das Recht der ungerechtfertigten Bereicherung. Aus der damit verbundenen Abschöpfungsfunktion folgt, dass sich das Eintrittsrecht im Falle eines verbotswidrigen Beteiligungserwerbs auf die Abschöpfung derjenigen Vorteile beschränkt, die sich aus dem von der Gesellschaft getätigten Konkurrenzgeschäft ergeben.7 11 Hat der Gesellschafter noch keine Vergütung erhalten, ist das Eintrittsrecht auf Abtretung
der Vergütungsansprüche nach § 118 Abs. 1 Satz 2 Var. 3 HGB gerichtet. Auch die Abtretungsverpflichtung erlangt keine Außenwirkung gegenüber Dritten. Dieser verliert seine schuldnerschützenden Rechte aus den §§ 404 ff. BGB selbst dann nicht, wenn er Kenntnis von dem Wettbewerbsverstoß des Gesellschafters hat, weil der Abtretungsanspruch noch die Ausübung des Wahlrechts durch die Gesellschafterversammlung nach § 118 Abs. 2 HGB voraussetzt. Nur im Falle einer diesbezüglichen Kenntnis kann es dem Schuldner verwehrt sein, die Leistung an den Gesellschafter zu bewirken. c) Elektive Konkurrenz 12 § 118 Abs. 1 HGB gewährt der Gesellschaft ein Wahlrecht, welches – wie die Inanspruchnah-
me als solche – nach Abs. 2 in die Entscheidungskompetenz der Gesellschafterversammlung fällt. Die Wahlmöglichkeit nach § 118 Abs. 1 HGB ist nicht als Wahlschuld i.S.v. § 263 BGB zu qualifizieren mit der Folge, dass eine nach Abs. 2 einmal getroffene Wahl verbindlich wäre.8 Hintergrund ist, dass dem Eintrittsrecht keine Außenwirkung zukommt und sich auch erst später herausstellen kann, dass der Gesellschafter hinsichtlich der konkret vorgenommenen Geschäfte nicht in der Lage ist, das Eintrittsrecht der Gesellschaft zu verwirklichen etwa, weil Abtretungsverbote vereinbart sind. Auch aus der Entscheidungskompetenz der Gesellschafterversammlung folgt diesbezüglich keine abweichende Beurteilung, weil weder
6 Vgl. BGH v. 5.12.1983 – II ZR 242/82, BGHZ 89, 162, 171 = NJW 1984, 1353 = GmbHR 1984, 203; Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 118 HGB Rz. 10. 7 Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 113 HGB Rz. 16; Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 118 HGB Rz. 12; für eine Totalabschöpfung der aus der Gesellschafterstellung resultierenden Vorteile, BGH v. 6.12.1963 – KZR 4/62, BGHZ 38, 306, 308 f.; A. Hueck, Das Recht der OHG, 4. Aufl., § 13 II (S. 200, 202 und Fn. 25); Roth in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 113 HGB Rz. 3. 8 Str., vgl. Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 113 HGB Rz. 31; Habersack in Habersack/ Schäfer, 2. Aufl. 2018, § 113 HGB Rz. 10; differenzierend Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 463 (Stand: 9/2022).
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Verletzung des Wettbewerbsverbots | Rz. 16 § 118 HGB
Gesellschaft noch Gesellschafter ein berechtigtes Interesse an verbindlicher Festlegung haben könnten. Unzumutbare Dispositionen werden gerade nicht getroffen. Die Gesellschafterversammlung ist daher befugt, die Wahl nach § 118 Abs. 1 HGB nachträglich in eine andere Richtung auszuüben.9 Die mitgliedschaftliche Treuepflicht gewährleistet einen hinreichenden Schutz des Gesellschafters, dass die Gesellschaft nicht in unzumutbarer Weise von einem einmal ausgeübten Wahlrecht wieder abweicht. § 118 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 HGB stehen daher nach vorzugswürdigem Verständnis in 13 einem Verhältnis elektiver Konkurrenz.10 Je formalisierter das Beschlussverfahren geregelt und je größer der Gesellschafterbestand ist, desto unwahrscheinlicher ist es aber, dass ein Wahlrecht erneut ausgeübt wird. Eine erneute Ausübung des Wahlrechts ist schließlich in Anbetracht der kurzen Verjährungsfrist nach § 118 Abs. 3 HGB kaum zu erwarten. Die Formulierung von § 118 Abs. 1 Satz 2 HGB ist insoweit missverständlich, dass die Ge- 14 sellschaft die Herausgabe der Vergütung „oder“ die Abtretung des Vergütungsanspruchs verlangen können soll. Die damit angelegte Alternativität kann nur in der Weise gelten, dass der Herausgabeanspruch im Wege der Abtretung des Anspruchs in den Fällen geltend gemacht werden kann, in denen die Vergütung noch nicht geleistet wurde. Das Alternativverhältnis ist damit kein pauschales, sondern hinsichtlich jedes einzelnen Vergütungsanspruchs zu beurteilen. Hat etwa eine Teilzahlung der Vergütung bereits stattgefunden, kann sowohl Herausgabe als auch Abtretung verlangt werden, in Abhängigkeit von der jeweiligen Teilleistung. d) Weitere Rechtsfolgen Während die Elektivität des Anspruchs bedingt, dass Schadensersatz nicht neben dem Ein- 15 trittsrecht verlangt werden kann und der Schadensersatz sich regelmäßig im entgangenen Gewinn nach § 252 BGB erschöpft, hat die Ausübung des Einstandsrechts zur Folge, dass die Geschäfte des Gesellschafters im Innenverhältnis auch als solche der Gesellschaft behandelt werden sollen. Dies bedingt, dass der Gesellschafter gegebenenfalls einen Aufwendungsersatzanspruch nach § 716 BGB hat, den er den Ansprüchen aus § 118 Abs. 1 HGB als Druckmittel entgegenhalten (§ 273 BGB) bzw. sogar gegen diese aufrechnen kann. aa) Auskunft Sowohl die Ausübung des Wahlrechts als auch die inhaltliche Bezifferung des Anspruchs auf 16 Schadensersatz bzw. das Einstandsrecht setzten voraus, dass die Gesellschaft hinreichende Informationen über die konkret vorgenommene Geschäftstätigkeit des Gesellschafters erhält. Aus der gesetzlichen Konkretisierung der mitgliedschaftlichen Förder- und Loyalitätspflicht folgt daher unmittelbar ein Auskunftsanspruch der Gesellschaft. Erst wenn die Gesellschaft eine Entscheidung auf hinreichender Tatsachengrundlage treffen kann, ist eine Kenntnis i.S.v. § 118 Abs. 3 HGB anzunehmen. Problematisch ist, inwiefern es auch auf die Kenntnis der konkret zugeflossenen Vorteile ankommt.11 Dafür spricht aber, dass die Gesellschaft anderenfalls keine hinreichende Tatsachengrundlage für die Ausübung ihres Wahlrechts erhält. Gleichwohl folgt aus der Treuepflicht der Gesellschaft, dass sie sich aktiv um eine schnelle Informationsbeschaffung bemühen muss.12
9 A.A. unter Verweis auf die Befriedungsfunktion, Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 113 HGB Rz. 5. 10 Vgl. Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 113 HGB Rz. 30; Pöschke, JZ 2010, 349, 352 f. 11 OLG München v. 10.6.2010 – 23 U 5456/09; kritisch, Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 113 HGB Rz. 26. 12 So i.E. auch Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 113 HGB Rz. 26. Könen | 881
§ 118 HGB Rz. 17 | Offene Handelsgesellschaft bb) Unterlassen 17 Ungeachtet des Wortlauts von § 118 HGB ist der Gesellschafter gerade zum Unterlassen ver-
pflichtet.13 Die Ausübung des Wahlrechts durch die Gesellschaft kann dazu führen, dass der Gesellschafter verpflichtet ist, begonnene Geschäfte weiterzuführen, wenn anderenfalls ein größerer Schaden bzw. ein höherer Ertrag für die Gesellschaft zu erwarten ist. Die Loyalitätspflicht erstarkt auf diese Weise zu einer Handlungspflicht, die wettbewerbswidrige Geschäftstätigkeit fortzuführen.
2. Gesellschafterbeschluss (Abs. 2) 18 § 118 Abs. 2 HGB weist die Entscheidung über die Inanspruchnahme des Gesellschafters der
Kompetenz der Gesellschafterversammlung sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht zu. Es obliegt daher ihr, über die Fragen der Inanspruchnahme sowie der Ausübung des Wahlrechts im Wege des Gesellschafterbeschlusses ohne Mitwirkung des betroffenen Gesellschafters zu entscheiden.14 Das Beschlusserfordernis erstreckt sich auch auf die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs, weil § 118 HGB die Entscheidungskompetenz bezüglich der mit § 117 HGB verbundenen Rechtsfolgen der Gesellschafterversammlung zuerkennt.15 a) Reichweite 19 Zwar handelt es sich bei der Frage, inwiefern Gesellschafter durch die Gesellschaft in An-
spruch genommen werden, um eine Tätigkeit, die sich unter die Verfolgung des Verbandszwecks subsumieren ließe, so dass eine Entscheidungskompetenz der übrigen Geschäftsführer nahe läge. Der Vorbehalt des Abs. 2 soll es der Gesellschafterversammlung aber gerade ermöglichen, von der Inanspruchnahme abzusehen, während die Geschäftsführung zu einer Inanspruchnahme regelmäßig verpflichtet wäre. Die Kompetenz ist Spiegelbild der § 117 HGB zugrunde liegenden Befugnis der Gesellschaftergesamtheit, darüber zu befinden, inwiefern ein Gesellschafter zur wirtschaftlichen Wettbewerbstätigkeit befugt ist, obwohl diese im Ausgangspunkt mit der gemeinsamen Zweckförderung kollidiert. Daran wird deutlich, dass die Frage, inwiefern die Gesellschafter hinsichtlich ihrer privaten Entfaltung ihren eigenen Herrschaftsanspruch zurücknehmen, eine über die Grundlagen der Gesellschaft ist. Schließlich ist die Entscheidung darüber, inwiefern die Gesellschaft ihr Wahlrecht als Schadensersatzanspruch ausübt oder als Einstandsrecht derart weitreichend, dass es sich jedenfalls nicht um ein gewöhnliches Geschäft zur Verfolgung des Verbandszwecks handelt. b) Verfahren 20 Mit der Zuweisung der Entscheidungskompetenz über die Geltendmachung der Ansprüche
aus § 118 Abs. 1 HGB an die Gesellschafterversammlung geht einher, dass diese das vereinbarte formelle Beschlussverfahren bzw. die Regelung des § 109 HGB beachten muss. Dies setzt grundsätzlich die rechtzeitige Einberufung der Gesellschafterversammlung in dem dafür vorgesehenen Kommunikationsmedium voraus. Die Gesellschafterversammlung muss 13 BGH v. 22.6.1972 – II ZR 67/70, WM 1972, 1229, 1230; Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 118 HGB Rz. 7. 14 Vgl. BGH v. 27.6.1957 – II ZR 15/56, WM 1957, 1128, 1130; BGH v. 16.2.1981 – II ZR 168/79, BGHZ 80, 69, 76 = NJW 1981, 1512 = GmbHR 1981, 189; Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 118 HGB Rz. 18. 15 Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 118 HGB Rz. 18; a.A. Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 113 HGB Rz. 59; Roth in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 113 HGB Rz. 9.
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Verletzung des Wettbewerbsverbots | Rz. 23 § 118 HGB
in der Weise hinreichend vorbereitet sein, dass die Gesellschafterversammlung in die Lage versetzt wird, über die Inanspruchnahme sowie über die Ausübung des Wahlrechts entscheiden zu können. Dies setzt voraus, dass die Geschäftsführung im Vorfeld hinreichende Informationen von dem Gesellschafter zusammengetragen hat. Die diesbezügliche Verpflichtung obliegt – wie die Einberufung der Gesellschafterversammlung – den übrigen Geschäftsführern. Ist der gegen das Wettbewerbsverbot verstoßende Gesellschafter der einzige Geschäftsführer, findet die Regelung des § 715a BGB über die Notgeschäftsführung Anwendung. Die einzuhaltenden formellen Voraussetzungen über die Herbeiführung einer Entscheidung durch die Gesellschafterversammlung stehen in Konflikt mit der kurzen Verjährungsfrist des § 118 Abs. 3 HGB. Das nach § 118 Abs. 2 HGB im Wege des Beschlusses ausgeübte Wahlrecht ist durch die Geschäftsführung gegenüber dem wettbewerbswidrig handelnden Gesellschafter umzusetzen, indem dieser von dem Beschlussergebnis im Wege empfangsbedürftiger Willenserklärung in Kenntnis zu setzen ist.
3. Verjährung (Abs. 3) a) Gegenstand Gegenstand der besonderen Verjährungsbestimmung des § 118 Abs. 3 HGB ist der Anspruch 21 aus § 118 Abs. 1 HGB, wahlweise von dem Gesellschafter Schadensersatz oder die Gewährung der Eintrittsmöglichkeit verlangen zu können. Umgekehrt setzt die Verjährung die Ausübung des Wahlrechts auch nicht voraus. In Anbetracht des ausdrücklichen Verweises sowie mit Blick auf die Entscheidungskompetenz der Gesellschafterversammlung erstreckt sich die Verjährung nicht auf „Annexansprüche“, wie Unterlassen und Auskunft. Ebenfalls unberührt von § 118 Abs. 3 HGB ist die Möglichkeit der anderen Gesellschafter, den Gesellschafter aus der Gesellschaft auszuschließen oder die Gesellschaft aufzulösen. Zwar können die Gesellschafter auch insoweit ein Interesse beanspruchen zügig Rechtssicherheit zu erhalten, in Anbetracht der Bedeutung für den dauerhaften Bestand der Gesellschaft kommt eine kurze Verjährung wie in § 118 Abs. 3 HGB indes nicht in Betracht. Der Anspruch der Gesellschaft auf Schadensersatz wegen einer Verletzung des Wettbewerbs- 22 verbots nach § 117 HGB sowie das wahlweise auszuübende Eintrittsrecht verjähren nach § 118 Abs. 3 HGB innerhalb von drei Monaten ab Kenntnisnahme bzw. grob fahrlässiger Unkenntnis der „anderen Gesellschafter“. Ungeachtet der Tatsache, dass es sich bei dem Anspruch aus § 118 Abs. 1 HGB um einen Anspruch der Gesellschaft handelt, ist für den Verjährungsbeginn nicht auf die Gesellschaftskenntnis abzustellen. Auf diese Weise wird vermieden, dass die Bestimmung des § 166 BGB entsprechende Anwendung findet und gewährleistet, dass tatsächlich die entscheidungsbefugte Gesellschaftergesamtheit hinreichende Kenntnis erlangt. Die Höchstfrist für die Verjährung beträgt fünf Jahre. Unterlassungsansprüche unterliegen nicht der Verjährung des § 118 Abs. 3 HGB.16 Dies ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut als auch aus der Tatsache, dass der Regelungszweck nach Beschleunigung bei auf Dauer angelegtem „verbotenem“ Wettbewerbsverhalten nicht greift.17 b) Fristberechnung Die dreimonatigen bzw. fünfjährigen Verjährungsfristen weisen unterschiedliche Anknüp- 23 fungspunkte auf. Während sich die dreimonatige Frist (§ 118 Abs. 3 Satz 1 HGB) nach dem
16 Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 113 HGB Rz. 60; Haas/Mohamed in Röhricht/ Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 118 HGB Rz. 23. 17 Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 113 HGB Rz. 60; Haas/Mohamed in Röhricht/ Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 118 HGB Rz. 23. Könen | 883
§ 118 HGB Rz. 23 | Offene Handelsgesellschaft Zeitpunkt bestimmt, ab dem die anderen Gesellschafter hinreichende Kenntnis haben, knüpft die fünfjährige Frist (§ 118 Abs. 3 Satz 2 HGB) an die Entstehung des Anspruchs aus Abs. 1 an.18 aa) Drei Monate 24 Die Fristberechnung des dreimonatigen Verjährungszeitraums richtet sich nach § 187, § 188
Abs. 2, Abs. 3, § 200 Satz 1 BGB, Hinsichtlich des dreimonatigen Verjährungsbeginns ist der Regelungszweck des § 118 Abs. 3 HGB in besonderem Maße heranzuziehen. Die Vorschrift dient der Gewährleistung eines kurzfristigen innergesellschaftlichen Rechtsfriedens. Danach sollen die innergesellschaftlichen Beziehungen nicht über Gebühr mit der Unsicherheit belastet werden, inwiefern eine Verletzung des Wettbewerbsverbots hingenommen wird oder die diesbezüglichen Ansprüche geltend gemacht werden. Gleichzeitig ist aber zu berücksichtigen, dass die – durch die Gesellschafterversammlung zu treffende – wichtige Entscheidung, von der das innergesellschaftliche Auskommen der Gesellschafter sowie der Geschäftsführer abhängt, nicht leichtfertig getroffen wird, sondern auf möglichst vollständiger Tatsachengrundlage. Dies ist im Interesse sowohl der Gesellschaft als auch des betroffenen Gesellschafters, weil der dauerhafte Fortbestand der gemeinsamen Zweckverfolgung davon abhängen kann. In Anbetracht dieser Wertung kann die Verjährung nicht bereits mit dem ersten Anzeichen einer verbotswidrigen Tätigkeit angenommen werden, sondern erst, wenn die Gesellschafter über hinreichende Informationen verfügen. Problematisch ist daran allerdings, dass dieser Zeitpunkt schwer zu bestimmen ist. Eine hinreichende Kenntnis der anderen Gesellschafter ist anzunehmen, wenn diese hinreichende Informationen über die Art sowie den wirtschaftlichen Umfang der Gesellschaftertätigkeit haben,19 um einerseits beurteilen zu können, inwiefern eine Tätigkeit im Handelszweig der Gesellschaft vorgelegen hat und um andererseits abwägen zu können, inwiefern die Ansprüche nach § 118 Abs. 1 Satz 1 bzw. Satz 2 HGB überhaupt geltend gemacht werden sollen. 25 Ein zusätzlicher Schutz davor, dass die Verjährung nicht vorschnell eintritt, wird dadurch ge-
währleistet, dass § 118 Abs. 3 HGB nicht auf die Kenntnis der Gesellschaft abstellt, die über § 166 HGB analog ggf. vorschnell anzunehmen wäre, sondern auf die Kenntnis der anderen Gesellschafter. Dieser Mechanismus führt insbesondere in Gesellschaften mit großem Gesellschafterbestand dazu, dass eine Kenntnis aller anderen Gesellschafter frühestens mit Einberufung der Gesellschafterversammlung sowie den Tagesordnungspunkten zur Entscheidung nach § 118 Abs. 1, Abs. 2 HGB eintreten wird, so dass die Geschäftsführung Zeit hat, diese vorzubereiten, indem sie Informationen zum Wettbewerbsverstoß von dem Gesellschafter beschafft, ohne dass bereits die Verjährung droht. Auf diese Weise wird in solchen Gesellschaften gewährleistet, dass der Regelungszweck des § 118 Abs. 1, Abs. 2 HGB nicht dadurch leerläuft, dass die Ansprüche vor der Möglichkeit einer Entscheidungsfindung durch die Gesellschafterversammlung bereits verjährt sind. 26 Mit Blick auf die Entscheidungskompetenz der Gesellschafterversammlung ist die kurze
Verjährungsfrist problematisch, wenn die anderen Gesellschafter auf andere Art und Weise von dem Wettbewerbsverstoß Kenntnis erlangt haben, aber die Entscheidungsfindung an ein formalisiertes Verfahren anknüpft und die Einberufung der Gesellschafterversammlung kurzfristig nicht möglich erscheint. Bei großen Gesellschaften kann auch der Aufwand einer kurzfristigen Gesellschafterversammlung außer Verhältnis zur Inanspruchnahme des Gesellschafters stehen, wodurch der Gesellschaftsanspruch vereitelt werden könnte. Im Einzelfall kann es dem Gesellschafter aufgrund der mitgliedschaftlichen Treuepflicht verwehrt sein,
18 Vgl. Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 118 HGB Rz. 25. 19 Vgl. OLG München v. 10.6.2010 – 23 U 5456/09; kritisch Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 113 HGB Rz. 26.
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Verzinsungspflicht | § 119 HGB
sich auf die Verjährung zu berufen. Die Verjährungsfrist kann – je nach Realstruktur eines Personenverbandes – großzügiger geregelt werden. bb) Fünf Jahre Die fünfjährige Verjährungsfrist knüpft gem. § 118 Abs. 3 Satz 2 HGB – anders als die drei- 27 monatige Frist – nicht an die Kenntnis der Gläubiger, sondern die Entstehung des Anspruchs aus § 118 Abs. 1 HGB an. Der Anspruch muss nicht auf der Grundlage einer Wahlrechtsausübung in seiner konkreten Gestalt als Schadensersatzanspruch oder Einstandsrecht entstanden sein, vielmehr bezieht sich die Verjährungsfrist auf das Recht der Gesellschaft, nach Abs. 1 die Wahl zwischen Schadensersatz und Einstandsrecht wählen zu können. Die Fristberechnung bestimmt sich nach §§ 187, 189 Abs. 2 BGB.
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4. Ausschließung; Auflösung (Abs. 4) § 118 Abs. 4 HGB stellt klar, dass weder der Anspruch nach Abs. 1 in materiell-rechtlicher 29 Hinsicht eine verdrängende Wirkung entfalten kann noch, dass sich die Verjährung gem. Abs. 3 auf konkurrierende Ansprüche erstreckt. So können die Gesellschafter bei Vorliegen der Voraussetzungen sowohl die Mitgliedschaft kündigen als auch die Gesellschaft auflösen.20 Insbesondere im Falle einer gesellschaftsvertraglichen Mehrheitsklausel haben die Gesell- 30 schafter – aber auch der betroffene Gesellschafter – die Möglichkeit, einen positiven Beschluss der Gesellschafterversammlung anzufechten, auf dessen Grundlage die Geltendmachung des Anspruchs aus § 118 Abs. 1 HGB beschlossen wurde. Eine Anfechtung des Beschlusses über die Ablehnung ist demgegenüber faktisch ausgeschlossen, weil regelmäßig Verjährung i.S.v. § 118 Abs. 3 Satz 1 HGB eingetreten sein wird.
§ 119 HGB Verzinsungspflicht (1) Schuldet die Gesellschaft nach Maßgabe von § 716 Absatz 4 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs dem Gesellschafter die Verzinsung von Aufwendungen und Verlusten, richtet sich deren Höhe nach § 352 Absatz 2. (2) ¹Ein Gesellschafter, der der Gesellschaft liquide Geldmittel dadurch vorenthält, dass er seinen vereinbarten Beitrag nicht zur rechten Zeit einzahlt oder eingenommenes Geld der Gesellschaft nicht zur rechten Zeit an die Gesellschaftskasse abliefert oder unbefugt Geld aus der Gesellschaftskasse für sich entnimmt, hat der Gesellschaft Zinsen von dem Tag an zu entrichten, an welchem die Zahlung oder die Ablieferung hätte geschehen sollen oder die Herausnahme des Geldes erfolgt ist. ²Die Geltendmachung eines weiteren Schadens ist nicht ausgeschlossen. § 352 HGB (1) ¹Die Höhe der gesetzlichen Zinsen, mit Ausnahme der Verzugszinsen, ist bei beiderseitigen Handelsgeschäften fünf vom Hundert für das Jahr. ²Das gleiche gilt, wenn für eine Schuld aus einem solchen Handelsgeschäfte Zinsen ohne Bestimmung des Zinsfußes versprochen sind. 20 Vgl. Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 118 HGB Rz. 27 f. Könen | 885
Verzinsungspflicht | § 119 HGB
sich auf die Verjährung zu berufen. Die Verjährungsfrist kann – je nach Realstruktur eines Personenverbandes – großzügiger geregelt werden. bb) Fünf Jahre Die fünfjährige Verjährungsfrist knüpft gem. § 118 Abs. 3 Satz 2 HGB – anders als die drei- 27 monatige Frist – nicht an die Kenntnis der Gläubiger, sondern die Entstehung des Anspruchs aus § 118 Abs. 1 HGB an. Der Anspruch muss nicht auf der Grundlage einer Wahlrechtsausübung in seiner konkreten Gestalt als Schadensersatzanspruch oder Einstandsrecht entstanden sein, vielmehr bezieht sich die Verjährungsfrist auf das Recht der Gesellschaft, nach Abs. 1 die Wahl zwischen Schadensersatz und Einstandsrecht wählen zu können. Die Fristberechnung bestimmt sich nach §§ 187, 189 Abs. 2 BGB.
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4. Ausschließung; Auflösung (Abs. 4) § 118 Abs. 4 HGB stellt klar, dass weder der Anspruch nach Abs. 1 in materiell-rechtlicher 29 Hinsicht eine verdrängende Wirkung entfalten kann noch, dass sich die Verjährung gem. Abs. 3 auf konkurrierende Ansprüche erstreckt. So können die Gesellschafter bei Vorliegen der Voraussetzungen sowohl die Mitgliedschaft kündigen als auch die Gesellschaft auflösen.20 Insbesondere im Falle einer gesellschaftsvertraglichen Mehrheitsklausel haben die Gesell- 30 schafter – aber auch der betroffene Gesellschafter – die Möglichkeit, einen positiven Beschluss der Gesellschafterversammlung anzufechten, auf dessen Grundlage die Geltendmachung des Anspruchs aus § 118 Abs. 1 HGB beschlossen wurde. Eine Anfechtung des Beschlusses über die Ablehnung ist demgegenüber faktisch ausgeschlossen, weil regelmäßig Verjährung i.S.v. § 118 Abs. 3 Satz 1 HGB eingetreten sein wird.
§ 119 HGB Verzinsungspflicht (1) Schuldet die Gesellschaft nach Maßgabe von § 716 Absatz 4 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs dem Gesellschafter die Verzinsung von Aufwendungen und Verlusten, richtet sich deren Höhe nach § 352 Absatz 2. (2) ¹Ein Gesellschafter, der der Gesellschaft liquide Geldmittel dadurch vorenthält, dass er seinen vereinbarten Beitrag nicht zur rechten Zeit einzahlt oder eingenommenes Geld der Gesellschaft nicht zur rechten Zeit an die Gesellschaftskasse abliefert oder unbefugt Geld aus der Gesellschaftskasse für sich entnimmt, hat der Gesellschaft Zinsen von dem Tag an zu entrichten, an welchem die Zahlung oder die Ablieferung hätte geschehen sollen oder die Herausnahme des Geldes erfolgt ist. ²Die Geltendmachung eines weiteren Schadens ist nicht ausgeschlossen. § 352 HGB (1) ¹Die Höhe der gesetzlichen Zinsen, mit Ausnahme der Verzugszinsen, ist bei beiderseitigen Handelsgeschäften fünf vom Hundert für das Jahr. ²Das gleiche gilt, wenn für eine Schuld aus einem solchen Handelsgeschäfte Zinsen ohne Bestimmung des Zinsfußes versprochen sind. 20 Vgl. Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 118 HGB Rz. 27 f. Könen | 885
§ 119 HGB Rz. 1 | Offene Handelsgesellschaft (2) Ist in diesem Gesetzbuche die Verpflichtung zur Zahlung von Zinsen ohne Bestimmung der Höhe ausgesprochen, so sind darunter Zinsen zu fünf vom Hundert für das Jahr zu verstehen. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verzinsung von Aufwendungen und Verlusten (Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verzinsung von Geldeinlagen und Gesellschaftsgeld (Abs. 2 Satz 1) . . . . . . 1. Normadressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. 1. 2. II.
1 2 4 5 6 7
2. Geldeinlage (Var. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesellschaftsgeld (Var. 2 und 3) . . . . . . . a) Eingenommenes Gesellschaftsgeld (Var. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unbefugte Entnahmen (Var. 3) . . . . . 4. Verzinsungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Schadensersatz (Abs. 2 Satz 2) . . . . . . . .
9 11 12 13 14 16
I. Allgemeines 1 Die Vorschrift stellt eine handelsrechtliche Spezialvorschrift zu § 716 Abs. 4 Satz 2 BGB zur
Verzinsung der gegenseitigen Ansprüche aus dem Gesellschaftsverhältnis dar. Die Regelung des § 119 HGB ist insgesamt dispositiv. Über § 161 Abs. 2 HGB sowie § 6 Abs. 3 Satz 2 PartGG findet die Bestimmung auf KG und PartG entsprechende Anwendung.
1. Überblick 2 § 119 Abs. 1 HGB nimmt den Aufwendungsersatzanspruch des Gesellschafters gegen die Ge-
sellschaft aus § 716 Abs. 1 BGB in Bezug und unterwirft diesen hinsichtlich der Verzinsungspflicht aus § 256 BGB – mit Ausnahme der Verzugszinsen – der handelsrechtlichen Verzinsungshöhe aus § 352 Abs. 2 HGB ohne Rücksicht darauf, ob es sich bei dem Gesellschaftsvertrag bzw. der Geschäftsbesorgung des Gesellschafters für die Gesellschaft um ein Handelsgeschäft handelt.1 3 Spiegelbildlich normiert § 119 Abs. 2 HGB die Verzinslichkeit eines Anspruchs der Gesellschaft
gegen den Gesellschafter, der daraus resultiert, dass der Gesellschafter seiner Pflicht zu Einlagenleistung nicht rechtzeitig nachkommt, dass der Gesellschafter entnommenes Geld nicht rechtzeitig an die Gesellschaft abgeliefert hat oder dass dieser unbefugt Geld aus der Gesellschaftskasse entnommen hat, ohne dass Verzug eingetreten sein muss, wobei ein weiterer Schadensersatz nicht ausgeschlossen wird. Die Aufzählung der verzinslichen Ansprüche des § 119 Abs. 2 HGB ist abschließend und bildet nicht die Grundlage für einen allgemeinen Rechtssatz.2
2. Normzweck 4 In Anbetracht der Tatsache, dass die innergesellschaftlichen Ansprüche bereits der Verzinsungs-
pflicht des § 256 BGB unterliegen, besteht die eigenständige Bedeutung einer Regelung der Verzinsungspflicht für Aufwendungen in der oHG darin, dass auf diese Weise der erhöhte Zinssatz des § 352 Abs. 2 HGB einschlägig wird. Als Folge des Verweises auf § 716 Abs. 4 Satz 2 BGB 1 Vgl. Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 119 HGB Rz. 28. 2 Bergmann in E/B/J/S, 4. Aufl. 2020, § 111 HGB Rz. 2.
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Verzinsungspflicht | Rz. 8 § 119 HGB
erstreckt sich die Verzinsungspflicht auf Aufwendungen und Verluste. § 119 HGB verkörpert den für den kaufmännischen Verkehr typischen Gedanken, dass Kaufleute Geld, welches sie zur freien Verfügbarkeit haben, auch gewinnbringend anlegen, ebenso dann, wenn der Gesellschafter der oHG selbst nicht Kaufmann ist.3 Indem § 119 Abs. 2 HGB die Voraussetzungen des Verzugs für entbehrlich erachtet, soll der Gesellschafter für Vorenthaltungen von Geld sanktioniert werden, die eigentlich der Gesellschaft zustehen. Auf diese Weise kommt § 119 Abs. 2 HGB mittelbar gläubigerschützende Wirkung zu. Auch wenn die Anreizwirkung des Abs. 2 Elemente der realen Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung aufweist, sind sie nicht in der Weise verkehrsschützend, dass sie der gesellschaftsvertraglichen Gestaltungsfreiheit entzogen wären. Gleichwohl wird die Vermögenstrennung mit der Verzinsungspflicht akzentuiert.
II. Verzinsung von Aufwendungen und Verlusten (Abs. 1) Gegenständlich bezieht sich die handelsrechtliche Verzinsungspflicht des § 119 Abs. 1 HGB 5 auf Aufwendungen und Verluste i.S.v. § 716 Abs. 4 Satz 2, Abs. 1 BGB (s. § 716 BGB Rz. 44 f.) mit dem einzigen Unterschied, dass sich die Zinshöhe nach § 352 Abs. 2 HGB bestimmt. Die Verzinsung beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem Aufwendung vorgenommen wurden bzw. die Verluste sich bei dem Gesellschafter realisiert haben. Normadressat ist die Gesellschaft als Schuldnerin des Ersatzanspruchs nach § 716 Abs. 1 BGB. Mit Ausnahme von Verzugszinsen beträgt die Zinshöhe fünf Prozent.
III. Verzinsung von Geldeinlagen und Gesellschaftsgeld (Abs. 2 Satz 1) Der Gestaltungsfreiheit zugänglich regelt § 119 Abs. 2 Satz 1 HGB eine besondere Verzin- 6 sungspflicht – ohne dass es auf das Vorliegen der Verzugsvoraussetzungen ankommt – in drei abschließenden Fallgestaltungen.4 Auf diese Weise soll der Gesellschafter angehalten werden, der Gesellschaft nicht – der gesellschaftlichen Vereinbarung zuwider – Liquidität vorzuenthalten. Erfasst werden rückständige Einlagen, eingenommenes Gesellschaftsgeld und unzulässige Entnahmen aus der Gesellschafskasse. Dem Tatbestandsmerkmal der Gesellschaftskasse kommt insoweit eine bildhafte – bereits § 111 HGB a.F. zugrunde liegende – Inbezugnahme des Gesellschaftsvermögens i.S.v. § 713 BGB zu.5
1. Normadressaten Die Verzinsungspflicht nach § 119 Abs. 2 HGB richtet sich gegen denjenigen Gesellschafter, 7 welcher der Gesellschaft nach einer der drei Varianten des § 119 Abs. 2 Satz 1 HGB vereinbarungswidrig Liquidität vorenthält, unabhängig davon, ob ihm eine Verfügungsbefugnis über Vermögensgegenstände der Gesellschaft zukommt. Gläubiger des Zinsanspruchs ist die Gesellschaft. In Anbetracht der Tatsache, dass es sich bei 8 der Verzinsungspflicht um einen gesellschaftlichen Sozialanspruch handelt, kann der Anspruch im Wege der Gesellschafterklage nach § 715b BGB geltend gemacht werden, wenn
3 Bergmann in E/B/J/S, 4. Aufl. 2020, § 110 HGB Rz. 35, § 111 HGB Rz. 1; Fleischer in MünchKomm/ HGB, 5. Aufl. 2022, § 111 HGB Rz. 2; Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 111 HGB Rz. 2; Schäfer in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2018, § 111 HGB Rz. 1. 4 Vgl. Bergmann in E/B/J/S, 4. Aufl. 2020, HGB § 111 HGB Rz. 2; Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 111 HGB Rz. 10; Lieder in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 111 HGB Rz. 5; Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 119 HGB Rz. 32 ff. 5 Vgl. Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 111 HGB Rz. 26. Könen | 887
§ 119 HGB Rz. 8 | Offene Handelsgesellschaft die innergesellschaftliche Kompetenzordnung aufgrund eines Interessenkonflikts der Geschäftsführung versagt.
2. Geldeinlage (Var. 1) 9 Liquide Geldmittel werden der Gesellschaft zinsbewährt vorenthalten, wenn ein Gesellschaf-
ter seiner auf Einlagenleistung gerichteten Beitragspflicht nicht nachkommt, unabhängig davon, ob diese originär oder später vereinbart wurde. Hintergrund ist der Umstand, dass dieses der Gesellschaft mit Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag – funktional, die Zuständigkeit der Rechte noch nicht betreffend – als Gesellschaftsvermögen zugewiesen wird. Erfasst werden Bar- und Buchgeld sowie „geldnahe Mittel“,6 die sich jederzeit in Bargeld umwandeln lassen (d.h. alle „liquiden Gesellschaftskapitalien“).7 Nicht erfasst wird der zweckwidrige Einsatz sonstiger Gesellschaftsmittel sowie nicht auf die Bildung einer Einlage gerichtete Beitragsleistungen. Aus der Tatbestandsmäßigkeit des Vorenthaltens folgt, dass sich die Regelung auf sämtliche beitragspflichtigen Gesellschafter bezieht, ohne dass diesen eine tatsächliche Zugriffsmöglichkeit auf das Gesellschaftsvermögen zukommen muss. Die Regelung ist Ausdruck der Tatsache, dass die Personenaußengesellschaft bereits mit Vereinbarung des Verbandszwecks und der mit diesem verbundenen Förderpflichten als Rechtssubjekt konstituiert wird und die Gesellschaft dem Gesellschafter fortan – auf der Grundlage kollektiver Willensbildung – mit einem eigenen Willen und Interessen gegenübertritt. 10 Zwar kommt der Verzinsungspflicht mittelbar gläubigerschützende Wirkung zu, indem sie ei-
nen Anreiz zur Tilgung der Beitragsverbindlichkeiten setzt, gleichwohl nimmt sie keine gegenüber der persönlichen Gesellschafterhaftung eigenständige verkehrsschützende Bedeutung ein, so dass die Gesellschafter in ihrer Gesamtheit die Verzinsungspflicht der Einlagen abbedingen und damit den gesetzlichen Anreiz zur Kapitalaufbringung außer Kraft setzen können. Die Verzinsungspflicht kommt auch im Falle des Wiederauflebens einer Einlage in Betracht.8
3. Gesellschaftsgeld (Var. 2 und 3) 11 Die Varianten zwei (eingenommenes Gesellschaftsgeld) und drei (unbefugt entnommenes Ge-
sellschaftsgeld) verfolgen gleichermaßen den Zweck, die Vermögenstrennung zwischen Personenverband und Gesellschaftern aufrechtzuerhalten. Anders als die Verzinsung der Beitragspflicht kommt ihnen nicht ein Anreiz hinsichtlich der Kapitalaufbringung zu, sondern sie schaffen einen Anreiz dahingehend, das Gesellschaftsvermögen zu erhalten. Während die Beitragspflichten kraft privatautonomer Entscheidung jedes einzelnen Gesellschafters der Gesellschaft zugewiesen werden, handelt es sich bei eingenommenem Gesellschaftsgeld bzw. unbefugt entnommenen Geldmitteln um solche Vermögenspositionen, die der Gesellschaft Kraft ihrer Stellung als Rechtssubjekt im Geschäftsverkehr funktional zugewiesen werden – entweder weil diese aus einer Verbindlichkeit berechtigt wurde oder weil ihr Geldmittel dinglich als Gesellschaftsvermögen zugewiesen sind. Die lediglich interne Umbuchung auf ein Gesellschafterdarlehenskonto soll nicht ausreichen, eine Verzinsungspflicht zu begründen.9 Allerdings erhält der Gesellschafter mit dem Ausweis auf eine Darlehens- bzw. Forderungskonto mittelfristig eine nicht mehr zweckgebundene Verwendungsmöglichkeit des Geldes, jedenfalls mit Feststellung des Jahresabschlusses, wodurch seine Kreditwürdigkeit gesteigert wird. Da der 6 Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 111 HGB Rz. 8. 7 Flechtheim in Düringer/Hachenburg, 3. Aufl. 1932, § 111 HGB Rz. 4. 8 Bergmann in E/B/J/S, 4. Aufl. 2020, § 111 HGB Rz. 8; Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 111 HGB Rz. 18. 9 Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 111 HGB Rz. 23, 26; Roth in Hopt, 42. Aufl. 2023, § 111 HGB Rz. 1.
888 | Könen
Verzinsungspflicht | Rz. 16 § 119 HGB
Gesellschafter das Geld gleichermaßen anlegen kann, anstelle es der Gesellschaft als Fremdkapital zur Verfügung zu stellen, könnte auch die Umbuchung auf ein Gesellschafterprivatkonto als unbefugte Vorenthaltung zu qualifizieren sein. Vor dem Hintergrund, dass die Umbuchung aber erst mit Feststellung des Jahresabschlusses für Gesellschaft und Gesellschafter verbindlich und die Vermögenstrennung insoweit vollzogen wird, kommt eine Verzinsungspflicht erst ab diesem Zeitpunkt in Betracht. Die Feststellung des Jahresabschlusses stellt aber sodann eine Maßnahme der Gesellschaftergesamtheit dar, so dass die damit verbundenen Wirkungen nicht als Vorenthaltung durch den Gesellschafter qualifiziert werden können. a) Eingenommenes Gesellschaftsgeld (Var. 2) Die besondere Verzinsungspflicht des § 119 Abs. 2 Satz 1 Var. 2 HGB gilt für solche Geld- 12 mittel, die ein Gesellschafter eingenommen hat, obwohl diese funktional der Gesellschaft bzw. deren Gesellschaftsvermögen zugewiesen waren, etwa indem eine Verbindlichkeit gegenüber der Gesellschaft durch Zahlung an einen Geschäftsführer mit Wirkung gegen die Gesellschaft getilgt werden sollte. In Anbetracht der verbandsrechtlichen Vermögenstrennung zwischen Gesellschafts- und Gesellschaftervermögen berechtigt die tatsächliche Sachherrschaft über Vermögensbestandteile des Gesellschaftsvermögens nicht zur eigenmächtigen Verwendung. Vielmehr ist jegliches Gesellschaftsvermögen so lange zweckgebunden, bis die Gesellschafter in ihrer Gesamtheit Abweichendes verfügen. b) Unbefugte Entnahmen (Var. 3) Genauso wenig wie die tatsächliche Sachherrschaft zu einer Änderung der funktionalen Ver- 13 mögenszuordnung führen kann, ist die innenrechtliche Zugriffsmöglichkeit auf Vermögensbestandteile der Gesellschaft geeignet, die verbandsrechtliche Vermögenstrennung zu durchbrechen. Auch insoweit bleibt das Gesellschaftsvermögen für die Förderung des Gesellschaftszwecks zweckgebunden. Entnimmt ein Gesellschafter vereinbarungswidrig Geldmittel aus dem Gesellschaftsvermögen, bleibt dieses in Anbetracht der verbandsrechtlichen Vermögenstrennung funktional der Gesellschaft zugewiesen, was eine unmittelbare Verzinsungspflicht rechtfertigt.
4. Verzinsungspflicht Liquide Geldmittel, die auf der Grundlage des Gesellschaftsvertrages – als Verbandsverfas- 14 sung – der Gesellschaft als eigenständiges Gesellschaftsvermögen zugewiesen sind, sind nach § 119 Abs. 1 Satz 1 a.E. HGB von dem Zeitpunkt der Vorenthaltung zu verzinsen. Die Verzinsung ist auf dem Kapitalkonto II zu verbuchen.10 In Anbetracht der spezialgesetzlichen Regelung der Verzinsungspflicht im HGB richtet sich 15 die Zinshöhe nach § 352 Abs. 2 HGB und beträgt damit fünf Prozent.
IV. Schadensersatz (Abs. 2 Satz 2) § 119 Abs. 2 Satz 1 HGB bestimmt lediglich den Mindestschaden, der dem Gesellschaftsver- 16 mögen als Ersatzanspruch funktional für gesellschaftsvertragswidrige Vorenthaltungen von Liquidität zugewiesen wird.11 Weitergehende Ansprüche der Gesellschaft in Anbetracht der 10 Vgl. Bergmann in E/B/J/S, 4. Aufl. 2020, § 111 HGB Rz. 25. 11 Zu weitergehenden Rechtsfolgen im Einzelfall, Haas/Mohamed in Röhricht/Graf von Westphalen/ Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 119 HGB Rz. 49. Könen | 889
§ 119 HGB Rz. 16 | Offene Handelsgesellschaft Vorenthaltung sind daher nicht ausgeschlossen, der Anspruch aus § 119 Abs. 2 Satz 1 HGB ist aber im Wege der Vorteilsanrechnung zu berücksichtigen.
§ 120 HGB Ermittlung von Gewinn- und Verlustanteilen (1) ¹Die geschäftsführungsbefugten Gesellschafter sind gegenüber der Gesellschaft zur Aufstellung des Jahresabschlusses (§ 242 Absatz 3) verpflichtet. ²Sie haben dabei für jeden Gesellschafter nach Maßgabe von § 709 Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs den Anteil am Gewinn oder Verlust zu ermitteln. (2) Der einem Gesellschafter zukommende Gewinn wird dem Kapitalanteil des Gesellschafters zugeschrieben; der auf einen Gesellschafter entfallende Verlust wird davon abgeschrieben. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. 1. 2. II. 1. 2.
III. 1.
Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Aufstellung des Jahresabschlusses (Abs. 1 Satz 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Verweis auf § 242 Abs. 3 HGB . . . . . . . . . 6 Aufstellung des Jahresabschlusses . . . . . . 7 a) Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 b) Unabhängigkeit von interner Geschäftsverteilung . . . . . . . . . . . . . . . 9 Gewinn- und Verlustermittlung (Abs. 1 Satz 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
2. Ergebnisermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anteilsquote, § 709 Abs. 3 Satz 1 BGB b) Hilfsweise Beitragsquote, § 709 Abs. 3 Satz 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Höchsthilfsweise Kopfteile, § 709 Abs. 3 Satz 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gesetzliche Zuschreibung zum variablen Kapitalanteil II (Abs. 2) . . . . 1. Rechtsnatur des (variablen) Kapitalanteils II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine gesetzlichen Vorgaben für die buchungstechnische Verwendung . . . . . . 3. Gesellschafterkonten . . . . . . . . . . . . . . . . .
12 14 15 16 17 18 19 20
Schrifttum: Grunewald, Gewinnfeststellung und Gewinnverwendung in GmbH und KG, ZIP 2023, 885; Könen, Die Spaltung des Kapitalanteils durch das MoPeG und das gesellschaftsrechtliche Bilanzinnenrecht der Personenverbände, RFamU 2023, 220.
I. Allgemeines 1 Die §§ 120–122 HGB sind gemeinsam mit § 709 Abs. 3 BGB Ausdruck des gesellschafts-
rechtlichen Bilanzrechts, indem sie in besonderer Weise die Vermögenstrennung zwischen Gesellschaftsvermögen und Gesellschaftervermögen hervorheben.1 Einerseits sichern die Vorschriften die verbandsrechtliche Vermögenstrennung in der Weise ab, dass über eine gesellschaftsrechtliche Vereinbarung hinaus ein Zugriff Einzelner auf das Gesellschaftsvermögen nur im Rahmen eines privatautonomen Aushandlungsprozesses mit der Gesellschaft in Betracht kommt. Andererseits gewährleisten die §§ 120 ff. HGB die mitgliedschaftsvermittelte Teilhabe der Gesellschafter an den Gesellschaftsgewinnen, dies jedoch erst nach Feststellung des Jahresabschlusses durch die Gesellschaftergesamtheit. 1 Könen, RFamU 2023, 220.
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Ermittlung von Gewinn- und Verlustanteilen | Rz. 4 § 120 HGB
1. Überblick § 120 Abs. 1 Satz 1 HGB regelt die Verpflichtung der Geschäftsführer zur Aufstellung des 2 Jahresabschlusses nach § 242 Abs. 3 HGB, wofür diese nach Maßgabe des festen Kapitalanteils I – wie er § 709 Abs. 3 BGB zugrunde liegt (§ 709 BGB Rz. 20 ff.) – für jeden Gesellschafter den Anteil an Gewinn und Verlust zu bestimmen (§ 120 Abs. 1 Satz 2 HGB) und auf deren variablem Kapitalkonto II zu verbuchen haben (§ 120 Abs. 2 HGB). Ein vermögensrechtlicher Anspruch der Gesellschafter ist mit keiner dieser Aufgaben der Geschäftsführung verbunden, weil anderenfalls die alleinige Kompetenz der Gesellschafterversammlung, die verbandsrechtliche Vermögenstrennung durchbrechen zu können, missachtet würde. Die Pflichten nach § 120 HGB sind rein innenrechtlicher Art gegenüber der Gesellschaft. Einzelne Gesellschafter haben lediglich im Rahmen der Gesellschafterversammlung die Möglichkeit, auf die Erfüllung der Geschäftsführungsaufgaben hinzuwirken. Im Übrigen ist die Erfüllung bilanzrechtlicher Aufgaben der Geltendmachung des Anspruchs auf Gewinnauszahlung nach § 122 HGB in der Weise vorgelagert, dass die Gesellschaft sich zum Zwecke der Feststellung des Jahresabschlusses gem. § 121 HGB um eine hinreichende Berechnungsgrundlage bemühen muss. Über § 161 Abs. 2 HGB findet die Bestimmung auch auf die KG Anwendung.
2. Normzweck Konsequenz der Rechtssubjektivität der Personenaußengesellschaft ist, dass den einzelnen 3 Gesellschaftern gerade kein freier Zugriff auf Vermögensbestandteile der Gesellschaft zukommt. Außerhalb der §§ 120–122 HGB kann der einzelne Gesellschafter Vermögensbestandteile des Gesellschaftsvermögen nur dadurch erlangen, dass er mit dieser in einen privatautonomen Aushandlungsprozess eintritt und einen wertäquivalenten Vermögensaustausch vereinbart (§ 713 BGB Rz. 9).2 Die Vermögenstrennung ist von der Gründung bis zur Vollbeendigung bzw. bis zum Austritt eines Gesellschafters eine konsequente und kann nur durch eine Vereinbarung der Gesellschaftergesamtheit aufgehoben werden, was jedoch gleichzeitig mit einer Aushöhlung der verbandsrechtlichen Rechtssubjektivität verbunden ist. Mit der Neuregelung der §§ 120–122 HGB wird dem personengesellschaftlichen Leitbild der 4 Vollausschüttung von Gesellschaftsgewinnen an die Gesellschafter Rechnung getragen (§ 709 BGB Rz. 33).3 Auf diese Weise wird dem nicht eingetragenen Idealverein nach § 54 BGB, der im Rahmen des numerus clausus der Rechtsformen zur Inanspruchnahme einer institutionellen Haftungsbeschränkung strukturell nicht auf Gewinnausschüttung gerichtet sein darf,4 eine Gesellschaftsform gegenübergestellt, bei der nach dem mutmaßlichen Gesellschafterwillen genau das der Fall ist, dies jedoch um den Preis der persönlichen Gesellschafterhaftung (§ 708 BGB Rz. 63). Im Rahmen der §§ 120 ff. HGB wird aber gleichzeitig heraus2 Sog. vertragliches „Äquivalenzprinzip“, wobei sich das ausgleichende Äquivalenz für eine Vermögenseinbuße anhand subjektiver, objektiver sowie funktionaler Kriterien zu bestimmen hat, Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 172 ff.; vgl. Olzen in Staudinger, 2015, Einleitung zum Schuldrecht Rz. 66 ff.; Brinkmann, Kreditsicherheiten an beweglichen Sachen und Forderungen, S. 259 ff.; Medicus/Petersen, BGB AT, 11. Aufl. 2016, § 17 Rz. 177; 478 f., 866 („vertraglich gewollte Äquivalenz“); Neuner, BGB AT, 12. Aufl. 2020, § 10 Rz. 33 ff. 3 Vgl. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 238 f.; Hennrichs in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 11 Rz. 16. 4 BGH v. 16.5.2017 – II ZB 7/16, BGHZ 215, 69 = NJW 2017, 1943 Rz. 19 = ZIP 2017, 1021; BGH v. 11.9.2018 – II ZB 11/17, NZG 2018, 1392, 1393 = ZIP 2018, 2165; OLG Stuttgart v. 11.1.2022 – 8 W 233/21, NZG 2022, 1017; dies verkennend, OLG Celle v. 6.10.2021 – 9 W 99/21, ZIP 2021, 2485 (Rechtsmittel nicht zugelassen, Verfassungsbeschwerde anhängig), Könen in BeckOGK/BGB, Stand: 1.9.2022, § 43 BGB Rz. 10 ff. Könen | 891
§ 120 HGB Rz. 4 | Offene Handelsgesellschaft gestellt, dass es nach dem mutmaßlichen Willen der Gesellschaftergesamtheit gerade kein berechtigtes Alimentationsinteresse einzelner Gesellschafter gibt, gerichtet auf gewinnunabhängige Entnahmen. In Anbetracht dieses Leitbildes der Vollausschüttung ist eine der Gewinnfeststellung vorausgehende, formalisierte Entscheidung über die Gewinnverwendung nicht erforderlich, weil Gesellschafterinteressen insoweit grundsätzlich nicht betroffen sind, so dass die diesbezügliche Entscheidungskompetenz entbehrlich wird. Daran anknüpfend wird die innergesellschaftliche Kompetenzordnung klar herausgestellt, indem es alleinige Aufgabe der Gesellschafterversammlung ist, die Gewinnfeststellung verbindlich vorzunehmen; erst mit dieser wird die Vermögenstrennung zulässigerweise aufgeweicht, indem ein Zahlungsanspruch der Gesellschafter begründet wird.
II. Aufstellung des Jahresabschlusses (Abs. 1 Satz 1) 5 § 120 Abs. 1 Satz 1 HGB verpflichtet die Geschäftsführung gegenüber der Gesellschaft zur
Aufstellung des Jahresabschlusses.5 Bei Nichtaufstellung des Jahresabschlusses durch die Geschäftsführung kommen in Anbetracht der Zurechnung nach § 31 BGB Schadensersatzansprüche der Gesellschafter gegen die Gesellschaft in Betracht, weil die Verzögerung der Aufstellung des Jahresabschlusses dazu führt, dass sich auch die Gewinnansprüche nach § 122 HGB verzögern.6
1. Verweis auf § 242 Abs. 3 HGB 6 Von der Verpflichtung zur Aufstellung des Jahresabschlusses sind in Anbetracht des Verwei-
ses auf § 242 Abs. 3 HGB – dieser ist geprägt durch die 4. (Jahresabschluss), 7. (Konzernabschluss) und 8. (Abschlussprüfer) Gesellschaftsrechtliche Richtlinie (2013/34/EU bzw. 2914/56/EU) – Bilanz sowie Gewinn- und Verlustrechnung erfasst. Ungeachtet des Verweises in § 242 Abs. 3 HGB ist § 120 Abs. 1 HGB abzugrenzen von der öffentlich-rechtlichen Pflicht zu Aufstellung des Jahresabschlusses. Als rein innenrechtliche Bestimmung dient § 120 Abs. 1 HGB aber weder der Transparenz, der Publizität noch der Niederlassungsfreiheit. Vielmehr gewährleistet § 120 Abs. 1 HGB, dass die Gesellschaft ihrer Verpflichtung nach den §§ 121, 122 HGB gegenüber den Gesellschaftern nachkommen kann.7
2. Aufstellung des Jahresabschlusses 7 Die Aufstellung des Jahresabschlusses erfasst die Erstellung einer Bilanz sowie einer Gewinn-
und Verlustrechnung für die Gesellschaft einschließlich des bilanzrechtlichen Bewertungsermessens.8 a) Rechtsnatur 8 § 120 Abs. 1 Satz 1 HGB erweitert die öffentlich-rechtlichen Pflichten der geschäftsführen-
den Gesellschafter um eine gesellschaftsrechtliche Pflichten im Rahmen des gesellschaftsrechtlichen Bilanzrechts.
5 Grunewald, ZIP 2023, 885 ff.; Mock in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 120 HGB Rz. 4 ff. 6 Grunewald, ZIP 2023, 885, 886. 7 Vgl. Grunewald, ZIP 2023, 885, 886. 8 Mock in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 120 HGB Rz. 10.
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Ermittlung von Gewinn- und Verlustanteilen | Rz. 13 § 120 HGB
b) Unabhängigkeit von interner Geschäftsverteilung Die Verpflichtung aus § 120 Abs. 1 Satz 1 HGB richtet sich an alle geschäftsführungsbefugten 9 Gesellschafter, unabhängig von der innerorganschaftlichen Geschäfts- und Kompetenzverteilung.
III. Gewinn- und Verlustermittlung (Abs. 1 Satz 2) § 120 Abs. 1 Satz 2 HGB konkretisiert die gesellschaftsrechtliche Pflicht zur Aufstellung eines 10 Jahresabschlusses um die anteilige Gewinn- und Verlustermittlung für jeden einzelnen Gesellschafter.
1. Rechtsnatur Der Gewinn- und Verlustermittlung durch die Geschäftsführung kommt keine konstitutive 11 Wirkung zu, weil mit der Neukonzeption des personengesellschaftsrechtlichen Bilanzrechts sich die Anteilsquote kraft Gesetzes nach einem festen Kapitalanteil I bestimmt und einem – ebenfalls gesetzlich vorgesehenen – variablen Kapitalanteil II gut- bzw. abgeschrieben werden; der Auszahlungsanspruch ergibt sich daher – vorbehaltlich abweichender Beschlussfassung über die Gewinnverwendung – verbindlich unmittelbar mit der Feststellung des Jahresabschlusses (§ 709 BGB Rz. 23 ff.).9 Dem Vorgang der Verbuchung auf dem Kapitalkonto II durch die Geschäftsführung kommt insoweit nur eine notwendige Hilfs- und Dokumentationsfunktion zu.
2. Ergebnisermittlung Die Ergebnisermittlung ist nach der Neukonzeption der §§ 120–122 HGB i.V.m. § 709 Abs. 3 12 BGB ein schlichtes Gesellschaftsinternum und dient der Gesellschaft lediglich als Vorbereitung der Ergebnisfeststellung nach § 121 HGB. Hintergrund ist der Umstand, dass der Kapitalanteil der Gesellschafter insgesamt zwar immer noch ein variabler ist, dieser sich aber kraft Gesetzes aus einem festen Kapitalanteil I sowie einem variablen Kapitalanteil II zusammensetzt und die Gewinn- und Verlustbeteiligung sich nach dem gesetzlichen Leitbild nicht mehr an dem variablen Kapitalanteil insgesamt bestimmt, sondern anhand des festen Kapitalanteils I, wie er auf der Grundlage von § 709 Abs. 3 BGB zu bestimmen ist (§ 709 BGB Rz. 23 ff., 26 ff.).10 Dies bedeutet, dass Gewinn- und Verlustbeteiligung sich – sofern keine abweichende gesellschaftsvertragliche Regelung getroffen ist – nach einem kapitalistischen Verteilungsschlüssel bestimmen, ohne dass es einer vorausgehenden Ergebnisermittlung mehr bedarf. Diese ist der verbindlichen Feststellung des Jahresabschlusses durch die Gesellschaftsversammlung – ohne dass es eines weiteren Umsetzungsaktes bedarf – als schlichte Geschäftsführungstätigkeit buchhalterischer Art lediglich vorgeschaltet. In Anbetracht der Tatsache, dass die Anteilsquote eine feste ist und sich der Gewinnanspruch kraft Gesetzes danach beurteilt, sind mitgliedschaftliche Rechtspositionen nicht betroffen, die einer Mitwirkung der Gesellschafterversammlung bedürfen würden. Im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Pflicht, die Bilanz sowie eine Gewinn- und Verlust- 13 rechnung aufzustellen, müssen die Geschäftsführer den auf jeden Gesellschafter entfallenden Jahresgewinn ermitteln und auf dem variablen Kapitalkonto II gutschreiben; entsprechend
9 Könen, RFamU 2023, 220. 10 Vgl. Hennrichs in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 11 Rz. 7. Könen | 893
§ 120 HGB Rz. 13 | Offene Handelsgesellschaft sind Gesellschaftsverluste von dem variablen Kapitalanteil II abzuschreiben. Für die interne Buchführung hat das novellierte gesellschaftsrechtliche Bilanzrecht zur Folge, dass die Geschäftsführung für jeden Gesellschafter mindestens zwei Gesellschafterkonten zu führen hat. Um daneben Eigen- und Fremdkapital sachgerecht abbilden zu können, besteht die Möglichkeit, ein oder mehrere zusätzliche Gesellschafterkonten zu führen, ohne dass dies gesetzlich vorgegeben wäre. a) Anteilsquote, § 709 Abs. 3 Satz 1 BGB 14 Primär beurteilt sich der feste Kapitalanteil I gem. § 709 Abs. 3 Satz 1 BGB nach der verein-
barten Gesellschaftsbeteiligung (§ 709 BGB Rz. 21 ff.), wobei die Gestaltbarkeit Rechtfertigungsanforderungen durch den gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz unterliegt (§ 709 BGB Rz. 3, 9). b) Hilfsweise Beitragsquote, § 709 Abs. 3 Satz 2 BGB 15 Hilfsweise bestimmt sich die Gewinn- und Verlustbeteiligung nach dem anteiligen Wert der
Beitragsleistung, wobei dieser in Anbetracht des § 709 Abs. 3 Satz 2 BGB den Regelfall darstellt, wenngleich sich dessen Regelungsgehalt – in Anbetracht hinreichender Erklärungszeichen über vereinbarte Beteiligungsverhältnisse – regelmäßig in einer Klarstellung erschöpft (§ 709 BGB Rz. 2 f., § 708 BGB Rz. 73). c) Höchsthilfsweise Kopfteile, § 709 Abs. 3 Satz 3 BGB 16 Höchsthilfsweise kommt nach der gesetzlichen Konzeption des § 709 Abs. 3 Satz 3 BGB zwar
eine Aufteilung der mitgliedschaftlichen Wertbeteiligung nach Kopfteilen in Betracht. In Anbetracht der regelmäßig auf geldwerte Einlagenleistung gerichteten Beitragspflicht der Gesellschafter einer oHG dürfte diese Variante für die Personengesellschaften des Handelsrechts keine praktische Bedeutung erlangen (§ 708 BGB Rz. 73 f., § 709 BGB Rz. 3).
IV. Gesetzliche Zuschreibung zum variablen Kapitalanteil II (Abs. 2) 17 Mit der Novellierung der §§ 120 bis 122 HGB hat sich nichts an der Tatsache geändert, dass
die mitgliedschaftliche Wertbeteiligung der Gesellschafter einer Personenaußengesellschaft in einem variablen Kapitalanteil niederschlagen muss (§ 709 BGB Rz. 20 ff.).11 Das gesetzliche Leitbild hat sich aber – entsprechend der bisherigen Praxis im Rahmen eines sog. Drei-Konten-Modells – dahingehend geändert, dass sich die Gewinn- und Verlustbeteiligung nicht mehr anhand eines einzigen variablen Kapitalanteils bestimmt, sondern dass der Kapitalanteil kraft Gesetzes getrennt in Form eines festen und eines variablen Kapitalanteils geführt wird (§ 709 BGB Rz. 23 ff., 30). Während sich die Gewinn- und Verlustbeteiligung nach dem die Anteilsquote ausweisenden Kapitalanteil I bestimmt, werden Gewinne und Verluste nach § 120 Abs. 2 HGB dem variablen Kapitalanteil II gutgeschrieben bzw. von diesem abgeschrieben. Der Geschäftsführung obliegt es, ein entsprechendes Kapitalkonto II zu führen.
1. Rechtsnatur des (variablen) Kapitalanteils II 18 Der gesetzliche variable Kapitalanteil II ist ebenso wie der variable Kapitalanteil I eine Rech-
nungsziffer, die mit buchführungsmäßiger Genauigkeit Aufschluss über die mitgliedschaft11 Vgl. Hennrichs in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 11 Rz. 7.
894 | Könen
Ermittlung von Gewinn- und Verlustanteilen | Rz. 20 § 120 HGB
liche Wertbeteiligung geben soll (§ 709 BGB Rz. 28). Anders als nach den §§ 120–122 HGB a.F. ist aber der diesen Vorschriften zugrunde liegende Kapitalanteil II nicht mehr Maßstab für die Kapitaldividende bzw. ein – abgeschafftes – gewinnunabhängiges Entnahmerecht. An deren Stelle tritt ein an die Anteilsquote anknüpfender gesetzlicher Verteilungsschlüssel. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass es im Rahmen der Auseinandersetzung zu einer Verrechnung der Kapitalanteile kommt. Dadurch, dass die Berechnungsgrundlage für Gewinne und Verluste mit der Anknüpfung an § 709 Abs. 3 BGB zu einer unveränderlichen Größe wird, sind buchungstechnische Maßnahmen hinsichtlich des variablen Kapitalanteils II nicht mehr durch eine verbandsrechtliche Fremdbestimmung gekennzeichnet. Unmittelbare Auswirkungen für die mitgliedschaftlichen Wertrechte treten erst mit der Feststellung des Jahresabschlusses ein. Diese ist daher unentziehbar der Kompetenz der Gesellschafterversammlung zugewiesen.
2. Keine gesetzlichen Vorgaben für die buchungstechnische Verwendung Vor dem Hintergrund, dass § 122 HGB – anknüpfend an die Anteilsquote – das Prinzip der 19 Vollausschüttung zugrunde legt,12 hat die buchungstechnisch ausgewiesene Verwendung der Gesellschaftsgewinne auf den Gesellschafterkonten durch die Geschäftsführung keine Auswirkungen auf die automatische Zuweisung der Gewinn- und Verlustanteile nach § 120 Abs. 2 HGB. Ein Beschluss über die Ergebnisverwendung ist vor diesem Hintergrund nicht erforderlich.
3. Gesellschafterkonten Mit der Buchführungspflicht der Geschäftsführung nach § 120 Abs. 2 HGB i.V.m. § 709 20 Abs. 3 BGB geht einher, dass diese verpflichtet ist, mindestens zwei Gesellschafterkonten für jeden Gesellschafter zu führen. Der Ausweis von Eigen- und Fremdkapital wird dadurch ermöglicht, dass darüber hinaus entnommene Gewinne auf einem dritten Forderungs- oder Darlehenskonto verbucht werden (§ 709 BGB Rz. 30).13 Anderenfalls werden stehengelassene Gewinnansprüche der Gesellschafter mit der nächsten Feststellung des Jahresabschlusses so lange dauerhaft im Gesellschaftsvermögen gebunden, bis die Gesellschaftergesamtheit eine Sonderausschüttung vereinbart.14 Demgegenüber wird teilweise vertreten, dass eine weitergehende Zweckbindung der Gesellschaftsgewinne auf dem variablen Kapitalkonto II nach neuem Recht dauerhaft nicht in Betracht kommt.15 Der Anspruch gem. § 122 HGB bleibe als (einfache) Gläubigerforderung bestehen.16 Indes bedeutet das Prinzip der Vollausschüttung gerade nicht, dass die Gesellschafter Zugriff auf das gesamte Gesellschaftsvermögen erhalten. Der Zahlungsanspruch der Gesellschafter nach § 122 HGB erstreckt sich nur auf die anteiligen Gewinne der jüngsten Abrechnungsperiode zum Bilanzstichtag. Das Stehenlassen von Gewinnen – ohne Umbuchung auf ein Forderungskonto – führt daher auch nach neuem Recht dazu, dass diese dauerhaft bis zum Ausscheiden bzw. bis zur Liquidation der Gesellschaft zweckgebunden dem Gesellschaftsvermögen zugewiesen werden.17
12 Vgl. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 238 f.; Grunewald, ZIP 2023, 885, 886. 13 Vgl. zu weiteren Gesellschafterkonten, Mock in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 120 HGB Rz. 28 ff. 14 Könen, RFamU 2023, 220, 224 ff. 15 Blaum in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 2238 (Stand: 4/2021); Schäfer in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 6 Rz. 73. 16 Mock in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 123 HGB Rz. 12. 17 Könen, RFamU 2023, 220, 224 ff. Könen | 895
§ 121 HGB Rz. 1 | Offene Handelsgesellschaft
§ 121 HGB Feststellung des Jahresabschlusses Über die Feststellung des Jahresabschlusses entscheiden die Gesellschafter durch Beschluss. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. 1. 2. II. 1.
Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Feststellung des Jahresabschlusses . . . . Gesellschaftsrechtliche Pflicht; Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 2 3 4
2. 3. 4. III.
Normadressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Beschlusserfordernis und -verfahren . . . 8 Keine Frist zur Aufstellung . . . . . . . . . . . 10 Wirkungen und Beschlussmängel . . . . . 11
5
Schrifttum: Könen, Die Spaltung des Kapitalanteils durch das MoPeG und das gesellschaftsrechtliche Bilanzinnenrecht der Personenverbände, RFamU 2023, 220.
I. Allgemeines 1 § 121 HGB bringt in Abgrenzung zu § 120 HGB zum Ausdruck, dass die Feststellung des
nach § 120 HGB durch die Geschäftsführung aufgestellten Jahresabschlusses originär und unentziehbar der Gesellschafterversammlung obliegt. Über § 161 Abs. 2 HGB findet die Bestimmung auch auf die KG Anwendung.
1. Normzweck 2 § 121 HGB gewährleistet die Kompetenz der Gesellschafterversammlung zur Feststellung
des Jahresabschlusses.1 Mit der Feststellung des Jahresabschlusses durch die Gesellschafterversammlung geht einher, dass der Jahresabschluss insgesamt, d.h. hinsichtlich des Jahresergebnisses sowie der dafür maßgeblichen Bilanzansätze und deren Bewertung, unstreitig gestellt wird. Auf diese Weise wird der Jahresabschluss Grundlage der Gewinnansprüche der Gesellschafter nach § 122 HGB.
2. Entwicklung 3 Die §§ 121, 122 HGB ersetzen die Bestimmungen der §§ 121, 122 HGB a.F. über die Ergeb-
nisverwendung. In Anbetracht des normativen Grundsatzes der Vollausschüttung2 sowie der Anknüpfung der Gewinn- und Verlustbeteiligung an den festen Kapitalanteil I i.S.v. § 120 Abs. 1 HGB i.V.m. § 709 Abs. 3 BGB sind diese obsolet geworden (§ 709 BGB Rz. 20 ff.). Dies betrifft insbesondere das gewinnunabhängige Entnahmerecht zur Sicherung eines Alimentationsinteresses.3
1 Vgl. Grunewald, ZIP 2023, 885, 886 ff. 2 Vgl. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 240. 3 Vgl. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 238 ff.
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Feststellung des Jahresabschlusses | Rz. 6 § 121 HGB
II. Feststellung des Jahresabschlusses Die Feststellung des gesamten Jahresabschlusses i.S.v. § 242 Abs. 3 HGB erfolgt durch Be- 4 schluss der Gesellschafterversammlung. Auf diese Weise wird der durch die Gesellschaft aufgestellte Jahresabschluss gebilligt und im Verhältnis zur Gesellschaft sowie zu den Mitgesellschaftern für verbindlich erklärt.
1. Gesellschaftsrechtliche Pflicht; Rechtsnatur Die Feststellung des Jahresabschlusses ist sowohl Recht als auch Pflicht der Gesellschaft, 5 wobei diese durch das Organ der Gesellschafterversammlung handelt. Das Recht auf Durchführung der Feststellung des Jahresabschlusses ist gleichzeitig unverzichtbare Rechtsposition jeden Mitglieds,4 welches spiegelbildlich wiederum zur Mitwirkung in der Gesellschafterversammlung verpflichtet ist. Die Feststellung des Jahresabschlusses ist grundsätzlich gegen die Gesellschaft geltend zu machen; dies betrifft in erster Linie die Pflicht der Geschäftsführung eine entsprechende Gesellschafterversammlung vorzubereiten und einzuberufen. Eine Beschlussfassung kommt aber auch im Umlaufverfahren in Betracht. Weigert sich ein Gesellschafter, an der Beschlussfassung mitzuwirken, kann diese durch die Gesellschaft sowie die anderen Gesellschafter auf dem Klagewege – gestützt auf die Verletzung der mitgliedschaftlichen Förderpflicht – erwirkt werden. Unklar ist die Rechtsnatur der Feststellung des Jahresabschlusses.5 Während teilweise ein 6 abstraktes Schuldanerkenntnis angenommen wird,6 gilt die Feststellung des Jahresabschlusses überwiegend als kausales Schuldanerkenntnis bzw. als ein Feststellungsvertrag eigener Art.7 Dafür spricht, dass die Gesellschafter im Rahmen von § 121 HGB nur über den aufgestellten Jahresabschluss zu befinden haben und sich auf diese Weise den daran anknüpfenden gesellschaftsrechtlichen Bindungen unterwerfen.8 Dabei geht es um die Feststellung ihrer Ansprüche gegen die Gesellschaft zum Bilanzstichtag sowie um die Festlegung der Rechnungsgrundlage für das Folgejahr. Davon losgelöste neue Verbindlichkeiten sollen hingegen nicht begründet werden. Gegen einen Vertragscharakter spricht indes, dass die Entscheidungsbefugnis der Gesellschafterversammlung als Organ der Gesellschaft zugewiesen ist, so dass nach vorzugswürdiger Auffassung von einem organisationsrechtlichen Charakter des Feststellungsbeschlusses auszugehen ist, mit dem die Grundlage für Ansprüche der Gesellschafter gegen die Gesellschaft geschaffen wird.9 Doch auch bei dieser Qualifikation ist die Rechtsnatur des Beschlusses als mehrseitiges Rechtsgeschäft zu würdigen (§ 709 BGB Rz. 38), so dass dem Feststellungsbeschluss ungeachtet seiner organisationsrechtlichen Wirkung rechtsgeschäftliche Elemente innewohnen.
4 Einschränkend für den Kommanditisten, Grunewald, ZIP 2023, 885, 887. 5 Vgl. Dettke, Gewinnthesaurierung und Minderheitenschutz in der Personenhandelsgesellschaft als Konzernobergesellschaft, 2017, S. 147 ff. 6 BGH v. 11.1.1960 – II ZR 69/59. 7 Vgl. BGH v. 3.11.1975 – II ZR 87/74; Ehricke in E/B/J/S, 4. Aufl. 2020, § 120 HGB Rz. 36a; a.A. Mock in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 121 HGB Rz. 7. 8 Ehricke in E/B/J/S, 4. Aufl. 2020, § 120 HGB Rz. 36a f. 9 Habersack in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 781 BGB Rz. 22; Priester in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 120 HGB Rz. 56 f., 59. Könen | 897
§ 121 HGB Rz. 7 | Offene Handelsgesellschaft
2. Normadressaten 7 Mit § 121 HGB wird die Gesellschaft – vermittelt durch die Gesellschafterversammlung als
ihr oberstes Willensbildungsorgan – berechtigt und verpflichtet, den Jahresabschluss verbindlich festzustellen.10
3. Beschlusserfordernis und -verfahren 8 Mit dem Beschlusserfordernis wird auf das formalisierte Beschlussverfahren nach § 109
HGB Bezug genommen.11 Eines darüber hinausgehenden Formerfordernisses bedarf es nicht. 9 Mehrheitsklauseln sind grundsätzlich zulässig, wobei zu berücksichtigen ist, dass mit der
Schaffung einer Grundlage für Auszahlungsansprüche zentrale mitgliedschaftliche Rechtspositionen betroffen sind. Der Feststellungsbeschluss unterliegt den Bestimmungen über das Beschlussmängelrecht.
4. Keine Frist zur Aufstellung 10 Zwar sind die Gesellschafter zur Fassung des Beschlusses verpflichtet, das Gesetz sieht aber
keine Frist zur Fassung des Beschlusses vor. „In Anlehnung an § 42a Absatz 2 GmbHG erscheint im Regelfall die dort genannte Frist von acht Monaten, bei kleinen Gesellschaften im Sinne § 267 Absatz 1 HGB elf Monaten, sachgerecht“.12
III. Wirkungen und Beschlussmängel 11 „Die rechtliche Wirkung des Feststellungsbeschlusses geht dahin, den Jahresabschluss zwi-
schen den Gesellschaftern für verbindlich zu erklären und dadurch nicht nur das Jahresergebnis, sondern auch die dafür maßgeblichen Bilanzansätze sowie deren Bewertung unstreitig zu stellen“.13 Mit der Feststellung des Jahresabschlusses ist dieser gegenüber der Gesellschaft und den Gesellschaftern verbindlich und die Gesellschafter können den Gewinnauszahlungsanspruch nach § 122 HGB geltend machen. Die Feststellung des Jahresabschlusses führt in Anbetracht der Regelung des § 122 HGB zu einer Durchbrechung der verbandsrechtlichen Vermögenstrennung, weil die Gesellschafter individuellen Zugriff auf ihre Gewinnanteile erhalten, sofern die Gesellschafter nicht gleichfalls einen Beschluss über die Gewinnverwendung in der Form einer Gewinnthesaurierung fassen. 12 Beschlussmängel können nach den §§ 110 ff. HGB geltend gemacht werden.14
10 Vgl. Grunewald, ZIP 2023, 885, 887 f. 11 Vgl. Mock in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 121 HGB Rz. 15 ff. 12 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 240; Mock in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/ Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 121 HGB Rz. 9, zu den Folgen der Fristüberschreitung, Rz. 14; Wertenbruch, NZG 2018, 1121, 1124. 13 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 240. 14 Grunewald, ZIP 2023, 885, 888; Mock in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 121 HGB Rz. 13.
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Gewinnauszahlung | Rz. 2 § 122 HGB
§ 122 HGB Gewinnauszahlung ¹Jeder Gesellschafter hat aufgrund des festgestellten Jahresabschlusses Anspruch auf Auszahlung seines ermittelten Gewinnanteils. ²Der Anspruch kann nicht geltend gemacht werden, soweit die Auszahlung zum offenbaren Schaden der Gesellschaft gereicht oder der Gesellschafter seinen vereinbarten Beitrag trotz Fälligkeit nicht geleistet hat. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. 1. 2. II. 1. 2. 3.
Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Gewinnauszahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Prinzip der Vollausschüttung (Satz 1) . . . 7 Leistungsverweigerung (Satz 2) . . . . . . . . 9 a) Offenbarer Schaden . . . . . . . . . . . . . . . 10
b) Nichtleistung des Gesellschafterbeitrages trotz Fälligkeit . . . . . . . . . . . 11 4. Weicher Kapitalschutz im Personenverband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 III. Eingeschränktes Beschlusserfordernis über die Verwendung des Jahresergebnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
Schrifttum: Grunewald, Gewinnfeststellung und Gewinnverwendung in GmbH und KG, ZIP 2023, 885; Könen, Die Spaltung des Kapitalanteils durch das MoPeG und das gesellschaftsrechtliche Bilanzinnenrecht der Personenverbände, RFamU 2023, 220.
I. Allgemeines § 122 Satz 1 HGB nimmt eine zentrale Rolle im novellierten gesellschaftsrechtlichen Bilanz- 1 recht ein, indem jeder Gesellschafter auf der Grundlage des festgestellten Jahresabschlusses einen vermögenswerten Zahlungsanspruch – vorbehaltlich des Satzes 2 – gegen die Gesellschaft geltend machen kann. Mit § 122 HGB ist an die Stelle der „wenig praxistauglich[en]“ Entnahmerechte das Prinzip der Vollausschüttung getreten.1 Bereits mit Feststellung des Jahresabschlusses wird die verbandsrechtliche Vermögenstrennung aufgeweicht. Insoweit ist fraglich, inwiefern eine derart beschränkte Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens auf Beitragsleistungen tatsächlich dem mutmaßlichen Gesellschafterwillen in einer oHG entspricht. Über § 161 Abs. 2 HGB findet die Bestimmung auch auf die Komplementäre in der KG Anwendung. § 169 HGB sieht Modifikationen für den Kommanditisten vor.
1. Überblick Die Wirkungsweise des novellierten § 122 Satz 1 HGB ist schlicht. Sobald der Jahresabschluss 2 festgestellt ist, erhält jeder Gesellschafter einen Anspruch auf Auszahlung der seinem Kapitalanteil II (§ 709 BGB Rz. 20 ff.) mit dem Bilanzstichtag gutgeschriebenen Gewinne. Fällig wird dieser Anspruch mit Geltendmachung durch den Gesellschafter.2 Demgegenüber ist Satz 2 Ausdruck der mitgliedschaftlichen Treuepflicht, dass Ansprüche gegenüber der Gesell-
1 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 240. 2 Vgl. Mock in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 123 HGB Rz. 5. Könen | 899
§ 122 HGB Rz. 2 | Offene Handelsgesellschaft schaft nicht geltend gemacht werden können, wenn damit eine willkürliche Schädigung der Gesellschaft verbunden ist.
2. Normzweck 3 Mit § 122 HGB wird die mitgliedschaftliche Wertbeteiligung auf ein allgemeines Prinzip
reduziert.3 Dieses besteht darin, dass das Gesellschaftsvermögen dauerhaft grundsätzlich nur hinsichtlich solcher Vermögensgegenstände gebunden sein soll, die im Rahmen der Beitragspflicht erbracht werden, sofern die Gesellschafter nicht Gewinne über den nächsten Bilanzstichtag hinaus auf dem Kapitalkonto II stehen lassen (§ 120 HGB Rz. 20).4 Darüber hinaus ist die oHG vom Prinzip der Vollausschüttung geprägt und gleichzeitig durch dieses beschränkt.5 Ein gewinnunabhängiges Entnahmerecht zur Befriedigung eines Alimentationsinteresses existiert nach dem gesetzlichen Leitbild gerade nicht.6 Ausgehend von diesem Grundsatz obliegt es der Gesellschafterversammlung, Gewinnthesaurierungen zu vereinbaren.7 Ein Beschluss über die Gewinnverwendung ist nur in diesem Fall erforderlich.
II. Gewinnauszahlung 4 Aus den §§ 121, 122 HGB, § 711a Satz 2 BGB folgt, dass sich die mitgliedschaftliche Wert-
beteiligung mit Feststellung des Jahresabschlusses durch die Gesellschafterversammlung hinsichtlich der Gesellschaftsgewinne zu einem verfügungsfähigen Zahlungsanspruch gegen die Gesellschaft konkretisiert. Fällig wird dieser Anspruch mit Geltendmachung durch den Gesellschafter.
1. Rechtsnatur 5 Anders als die mitgliedschaftliche Wertbeteiligung handelt es sich bei dem Anspruch aus
§ 122 Satz 1 HGB um einen echten Zahlungsanspruch. Dieser ist mit Entstehung nicht mehr untrennbar mit der Mitgliedschaft verbunden, so dass die Gesellschafter frei sind, über den entstandenen Anspruch zu disponieren (vgl. § 711a Satz 2 BGB). 6 Machen die Gesellschafter den Zahlungsanspruch aber nicht geltend – möglich ist eine Um-
buchung auf ein Darlehenskonto – führt dies dazu, dass die Gewinnansprüche auf dem Kapitalkonto II stehen bleiben und mit der nächsten Feststellung des Jahresabschlusses dauerhaft in der Gesellschaft zweckgebunden bleiben (s. § 120 HGB Rz. 20).8
3 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 240; vgl. Mock in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/ Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 123 HGB Rz. 3a. 4 Könen, RFamU 2023, 220, 224 ff.; a.A. Blaum in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 2238 (Stand: 4/2021); Schäfer in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 6 Rz. 73. 5 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 240. 6 Vgl. Mock in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 123 HGB Rz. 2. 7 Vgl. Grunewald, ZIP 2023, 885, 886 ff., 890. 8 Könen, RFamU 2023, 220, 224 ff.; a.A. Blaum in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 2238 (Stand: 4/2021); Schäfer in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 6 Rz. 73.
900 | Könen
Gewinnauszahlung | Rz. 11 § 122 HGB
2. Prinzip der Vollausschüttung (Satz 1) Von dem § 122 HGB zugrunde liegenden Prinzip der Vollausschüttung (sog. „Vollausschüt- 7 tungshypothese“9) können die Gesellschafter im Wege des Gesellschafterbeschlusses in der Weise abweichen, dass sie Gewinnrückstellungen vereinbaren. Der Anspruch auf Gewinnauszahlung wird fällig mit Geltendmachung durch den Gesell- 8 schafter bzw. mit Umbuchung auf ein Gesellschafter-Darlehenskonto. Demgegenüber führt die Tatsache, dass Gesellschafter einen Gewinnanspruch nicht geltend machen, dazu, dass dieser dauerhaft zweckgebunden in der Gesellschaft verbleibt (§ 120 HGB Rz. 20).10
3. Leistungsverweigerung (Satz 2) § 122 Satz 2 HGB bestimmt nach der Gesetzesbegründung ein Leistungsverweigerungsrecht 9 der Gesellschaft, sofern der Auszahlungsanspruch zum offenbaren Schaden der Gesellschaft gereicht oder der Gesellschafter seinen Beitrag noch nicht gezahlt hat.11 Vor dem Hintergrund, dass § 122 Satz 2 HGB aber die mitgliedschaftliche Treuepflicht des Gesellschafters konkretisiert, ist dieser bereits gehindert, den Zahlungsanspruch geltend zu machen, ohne dass die Gesellschaft ein Leistungsverweigerungsrecht geltend machen müsste.12 Der Wortlaut („kann nicht geltend gemacht werden“) trägt dieses Auslegungsverständnis. Anderenfalls bestünde im Falle von Interessenkonflikten die Gefahr, dass die Gesellschaftseinrede treuwidrig nicht erhoben würde. a) Offenbarer Schaden Der Auszahlungsanspruch gereicht zum offenbaren Schaden der Gesellschaft, sofern diese 10 durch die Entnahme entweder in eine wirtschaftliche Krise geraten würde oder dringende Investitionen getätigt werden müssen. Anhand dessen wird deutlich, dass die Einschränkung des Zahlungsanspruchs eine normative Ausprägung der mitgliedschaftlichen Treuepflicht darstellt. Letztlich ermöglicht § 122 Satz 2 Var. 1 HGB eine Verpflichtung zur Leistung von Sanierungsbeiträgen, wie sie nach dem Grundsatz „Sanieren oder Ausscheiden“13 möglich ist, sofern eine diesbezügliche Erwartung der Gesellschaft nicht im Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen ist.14 In gleichem Maße kann § 122 Satz 2 Var. 1 HGB den Gesellschafter nicht hindern, seine Mitgliedschaft zu kündigen und den Abfindungsanspruch geltend zu machen. b) Nichtleistung des Gesellschafterbeitrages trotz Fälligkeit § 122 Satz 2 Var. 2 HGB gewährt der Gesellschaft wertungsmäßig eine Einrede der „Auf- 11 rechenbarkeit“, dies jedoch über das Bestehen einer Aufrechnungslage hinaus und ohne, dass sie diese geltend machen muss. Während die Gesellschaft bei Bestehen einer Aufrech9 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 240; Grunewald, ZIP 2023, 885, 886; Hennrichs in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 11 Rz. 16. 10 Könen, RFamU 2023, 220, 224 ff.; a.A. Blaum in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 2238 (Stand: 4/2021); Schäfer in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 6 Rz. 73. 11 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 240; vgl. Mock in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/ Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 123 HGB Rz. 15 ff. 12 A.A. unter gleichzeitiger Annahme, dass eine Rückforderung ausgeschlossen sei, Mock in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, 6. Aufl. 2023, § 123 HGB Rz. 17, 19. 13 Vgl. BGH v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, BGHZ 183, 1 = NZG 2009, 1347 = ZIP 2009, 2289. 14 Vgl. BGH v. 25.1.2011 – II ZR 122/09, NZG 2011, 510 Rz. 21 = ZIP 2011, 768; BGH v. 9.6.2015 – II ZR 420/13, NJW 2015, 2882 Rz. 17 = ZIP 2015, 1626. Könen | 901
§ 122 HGB Rz. 11 | Offene Handelsgesellschaft nungslage ohne weiteres die auf Geld gerichtete Beitragspflicht gegenüber dem Gewinnanspruch zur Aufrechnung stellen kann, fehlt es bei anderen, nicht geldwerten Beitragsleistungen an einer Gleichwertigkeit der Ansprüche, mithin an einer hinreichenden Aufrechnungslage. Ein Zurückbehaltungsrecht nach § 320 BGB scheidet demgegenüber aus, weil Beitragspflicht und Gewinnanspruch nicht in einem synallagmatischen Austauschverhältnis stehen. Eine Anwendung des § 273 BGB kommt in Betracht. 12 § 122 Satz 2 Var. 2 HGB geht indes über die Wirkung eines Zurückbehaltungsrechts hinaus,
weil es dem Gesellschafter bereits verwehrt ist, den Zahlungsanspruch geltend zu machen. Die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts durch die Gesellschaft ist daher nicht erforderlich. Durch § 122 Satz 2 Var. 2 HGB wird daher verhindert, dass ein geschäftsführungsbefugter Gesellschafter Gewinn entnimmt, bevor er nicht seiner Beitragsleistung nachgekommen ist, ohne dass es auf den Interessenkonflikt ankommt, dem der gleiche Gesellschafter unterläge, wenn er ein Zurückbehaltungsrecht der Gesellschaft geltend machen müsste. Übersteigende Gewinne können ausgezahlt werden.
4. Weicher Kapitalschutz im Personenverband 13 Anhand der §§ 121, 122 HGB kommt der weiche Kapitalschutz im Personenverband zum
Ausdruck (§ 713 BGB Rz. 9 f.). Dies bedeutet, dass jegliche Durchbrechung der verbandsrechtlichen Zweckbindung der Aktivierung des Gesellschafterwillens der Gesellschaftergesamtheit bedarf. Ohne Gesellschafterbeschluss bliebe das Gesellschaftsvermögen – über das Gewinnbezugsrecht des § 122 HGB hinaus – dauerhaft in der Gesellschaft zweckgebunden. Nach dem gesetzlichen Leitbild kommen in der werbenden Gesellschaft zudem grundsätzlich nur gewinnabhängige Entnahmen in Betracht. Darüberhinausgehende Entnahmen aus dem Gesellschaftsvermögen bedürfen der Zustimmung aller Gesellschafter. Eine Entscheidung auf der Grundlage einer Mehrheitsklausel dürfte diesbezüglich nicht in Betracht kommen, weil solche Zugriffe auf das Gesellschaftsvermögen der eigentlichen Zweckförderung zuwiderlaufen und sich die Mehrheitsklausel nur auf eine solche beziehen kann. 14 Ferner wird anhand von § 122 HGB deutlich, dass der einzelne Gesellschafter individuell
keinerlei Zugriff auf das Gesellschaftsvermögen erhält. Vielmehr muss dieser stets mit der Gesellschaft in einen privatautonomen Aushandlungsprozess eintreten, wobei sich diese im marktwirtschaftlichen System für jeden Zugriff auf Vermögensbestandteile des Gesellschaftsvermögens ein vermögenswertes Äquivalent gewähren lassen wird (§ 713 BGB Rz. 9).15
III. Eingeschränktes Beschlusserfordernis über die Verwendung des Jahresergebnisses 15 Zwar ist § 122 HGB durch das Prinzip der Vollausschüttung geprägt, aus den §§ 121, 122
HGB ergibt sich aber, dass die Gesellschafterversammlung über die Verwendung des Jahresergebnisses gleichfalls Beschluss fassen kann, so dass ein Auszahlungsanspruch gar nicht entstünde.16
15 Sog. vertragliches „Äquivalenzprinzip“, wobei sich das ausgleichende Äquivalenz für eine Vermögenseinbuße anhand subjektiver, objektiver sowie funktionaler Kriterien zu bestimmen hat, Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 172 ff.; vgl. Olzen in Staudinger, 2015, Einleitung zum Schuldrecht Rz. 66 ff.; Brinkmann, Kreditsicherheiten an beweglichen Sachen und Forderungen, S. 259 ff.; Medicus/Petersen, BGB AT, 11. Aufl. 2016, § 17 Rz. 177, 478 f., 866 („vertraglich gewollte Äquivalenz“); Neuner, BGB AT, 12. Aufl. 2020, § 10 Rz. 33 ff. 16 Vgl. Grunewald, ZIP 2023, 885, 886 ff., 890.
902 | Könen
Entstehung der Gesellschaft im Verhältnis zu Dritten | Rz. 2 § 123 HGB
Die Gewinnthesaurierung durch Gesellschafterbeschluss ist zu unterscheiden von dem pri- 16 vatautonomen Stehenlassen von Gesellschaftergewinnen auf dem Kapitalkonto II (§ 120 HGB Rz. 20).
Rechtsverhältnis der Gesellschaft im Verhältnis zu Dritten (§§ 123–129)
§ 123 HGB Entstehung der Gesellschaft im Verhältnis zu Dritten (1) 1Im Verhältnis zu Dritten entsteht die Gesellschaft, sobald sie im Handelsregister eingetragen ist. 2Dessen ungeachtet entsteht die Gesellschaft schon dann, wenn sie mit Zustimmung sämtlicher Gesellschafter am Rechtsverkehr teilnimmt, soweit sich aus § 107 Absatz 1 nichts anderes ergibt. (2) Eine Vereinbarung, dass die Gesellschaft erst zu einem späteren Zeitpunkt entstehen soll, ist Dritten gegenüber unwirksam. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Entstehung im Verhältnis zu Dritten (Abs. 1) 1. Voraussetzungen a) Eintragung im Handelsregister (Satz 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Teilnahme am Rechtsverkehr mit Zustimmung sämtlicher Gesellschafter (Satz 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Rechtsfolgen a) Infolge der Entstehung „im Verhältnis zu Dritten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vor der Entstehung „im Verhältnis zu Dritten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwingendes Recht (Abs. 2) . . . . . . . . . . . IV. Prozessuales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Grundlagen Die Vorschrift ordnet an, dass die Gesellschaft „im Verhältnis zu Dritten“ erst mit der Ein- 1 tragung im Handelsregister (Abs. 1 Satz 1) oder – vorbehaltlich der Notwendigkeit einer solchen Eintragung nach § 107 Abs. 1 HGB – mit der vorherigen Teilnahme am Rechtsverkehr mit Zustimmung aller Gesellschafter (Abs. 1 Satz 2) „entsteht“. Damit hat das MoPeG das tradierte Regelungsmodell des § 123 HGB im Kern beibehalten und mit § 719 BGB überdies in das Recht der rechtsfähigen GbR übertragen (s. § 719 BGB Rz. 1). Der Gesetzgeber hat jedoch den vormaligen Streit, ob für die Entstehung durch Teilnahme am Rechtsverkehr die Zustimmung sämtlicher Gesellschafter erforderlich ist, im Sinne der Erforderlichkeit eines solchen Einvernehmens entschieden.1 Durch die Übertragung des Regelungsmodells auf die rechtsfähige GbR ergibt sich jedoch nunmehr ein Rechtsfolgenregime, das von demjenigen der herrschenden Auffassung zum alten Recht abweicht (Rz. 14 ff.). Die Regelung steht in engem Regelungszusammenhang erstens mit § 705 Abs. 1 BGB, wo- 2 nach die Gesellschaft bereits durch den Abschluss des Gesellschaftsvertrags errichtet wird
1 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 241. Könen und Ceesay | 903
§ 123 HGB Rz. 2 | Offene Handelsgesellschaft (§ 105 HGB Rz. 4, § 705 BGB Rz. 74), zweitens mit § 705 Abs. 2 Alt. 1 BGB, wonach die Gesellschaft bereits rechtsfähig ist, wenn sie nach dem gemeinsamen Willen der Gesellschafter am Rechtsverkehr teilnehmen „soll“ (§ 705 BGB Rz. 76 ff.), drittens mit § 105 Abs. 1 HGB, wonach die Gesellschaft bereits OHG „ist“, wenn ihr Zweck auf den Betrieb eines Handelsgewerbes unter gemeinschaftlicher Firma gerichtet ist, und viertens, wonach auch eine kleingewerbliche, vermögensverwaltende oder freiberufliche Gesellschaft eine OHG „ist“, wenn ihre Firma in das Handelsregister eingetragen ist. Aus diesem systematischen Zusammenhang erschließt sich, dass mit der Entstehung der Gesellschaft „im Verhältnis zu Dritten“ wie bei § 719 BGB (s. § 719 BGB Rz. 2) ausschließlich die Anwendung der Vorschriften aus Titel 3 über das Rechtsverhältnis der OHG zu Dritten – und damit insbesondere die Vertretungs- und Haftungsanordnung der §§ 124, 126 ff. HGB – gemeint ist.2 So kommen insbesondere die Vorschriften aus Titel 2 über das Innenverhältnis unabhängig von § 123 Abs. 1 HGB zur Anwendung.3 3 In der Sache dient § 123 Abs. 1 Satz 2 HGB daher dem Schutz der Gesellschafter vor den
Konsequenzen der unbeschränkten Haftung der Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft. Da das gesetzliche Normalstatut der OHG die Gesellschafter gem. § 124 Abs. 1 HGB mit Einzelvertretungsmacht ausstattet, auf die der Rechtsverkehr nach § 15 Abs. 1 HGB vorbehaltlich abweichender Eintragung und Bekanntmachung vertrauen darf, hat das Regelungsmodell hier eine deutlich größere Relevanz als in der GbR (vgl. § 719 BGB Rz. 3). Gleichzeitig wird die mangelnde Entstehung der OHG im „Verhältnis zu Dritten“ nicht mehr dadurch konterkariert, dass die OHG-Gesellschafter gleich Gesellschaftern einer rechtsfähigen GbR wie OHG-Gesellschafter haften, wie es vor dem MoPeG von der überwiegenden Auffassung vertreten wurde.4 Denn nunmehr entsteht auch die GbR „im Verhältnis zu Dritten“ gem. § 719 Abs. 1 BGB erst mit einvernehmlicher Teilnahme am Rechtsverkehr, so dass vor dem einvernehmlichen Geschäftsbeginn die Gesellschaft als auch als GbR als Zurechnungsobjekt des Handelns ihrer Gesellschafter und damit gleichermaßen eine Haftung der Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft ausscheidet (s. § 719 BGB Rz. 9 f.). 4 Umgekehrt dient § 123 Abs. 2 HGB dem Verkehrsschutz, wenn er die Entstehung der Ge-
sellschaft „im Verhältnis zu Dritten“ nach Maßgabe des § 123 Abs. 1 HGB der Disposition der Gesellschafter entzieht (Rz. 17).
5 Wenngleich § 123 Abs. 1 HGB regelt, unter welchen Voraussetzungen die Vorschriften aus
Titel 3 zur Anwendung gelangen, trifft er keine Regelung für die Zeit vor der Entstehung „im Verhältnis zu Dritten“. Wie bei § 719 BGB gewährleisten in dieser Situation Rechtsscheingrundsätze den Schutz des Rechtsverkehrs, wenn sich mehrere, aber eben nicht sämtliche Gesellschafter über die Teilnahme am Rechtsverkehr einig sind; die Anwendung jener Rechtsscheingrundsätze darf jedoch nicht dazu führen, dass das Einstimmigkeitsprinzip des § 123 Abs. 1 HGB unterlaufen wird (Rz. 15). 6 Da der Gesetzgeber das Regelungsmodell des § 123 HGB bewusst in das Recht der GbR über-
tragen und zugleich wegen der Begründung der punktuellen Änderungen des § 123 HGB ausdrücklich auf die Erläuterung zu § 719 BGB Bezug genommen hat,5 ist § 123 HGB in seiner neuen Fassung im Einklang mit § 719 BGB auszulegen.
2 Vgl. auch Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 162: Zeitpunkt, ab dem die rechtsfähige GbR „mit allen Konsequenzen aus ihrer Rechtsfähigkeit auch den Vorschriften über die Vertretung und Haftung unterliegt“. 3 Vgl. auch Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 162 („Davon zu unterscheiden ist der rechtsgeschäftliche Verkehr innerhalb des Gesellschaftskreises“). 4 Siehe etwa Bartlitz, NZG 2020, 1094, 1096; Boesche in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 123 HGB Rz. 18; Henssler in BeckOGK/HGB, § 123 HGB Rz. 52 (Stand: 15.2.2022). 5 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 161, 241.
904 | Ceesay
Entstehung der Gesellschaft im Verhältnis zu Dritten | Rz. 10 § 123 HGB
Über § 161 Abs. 2 HGB gilt die Vorschrift gleichermaßen für die Kommanditgesellschaft. 7 Sie wird hier jedoch durch § 176 Abs. 1 HGB ergänzt, wonach die konsentierenden Kommanditisten für die bis zur Eintragung begründeten Verbindlichkeiten der Gesellschaft unbeschränkt haften, es sei denn, dass dem Gläubiger die Beteiligung als Kommanditist bekannt war. Hieraus folgt, dass die Entstehung der KG gegenüber Dritten nicht von der Zustimmung der Kommanditisten abhängt; die Zustimmung der Kommanditisten entscheidet lediglich über den Umfang ihrer Haftung für die Gesellschaftsverbindlichkeiten (§ 176 HGB Rz. 8).6
II. Entstehung im Verhältnis zu Dritten (Abs. 1) 1. Voraussetzungen a) Eintragung im Handelsregister (Satz 1) Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 HGB entsteht die Gesellschaft im Verhältnis zu Dritten (dazu 8 Rz. 13) jedenfalls mit ihrer Eintragung im Handelsregister. Hierbei handelt es sich nicht lediglich um eine Vermutung des einvernehmlichen Geschäftsbeginns; vielmehr soll sich der Rechtsverkehr nach dem Willen des Gesetzgebers „unabhängig von Vertrauensschutzerwägungen“ auf die im Register „verlautbarte Existenz der Gesellschaft als Rechtssubjekt verlassen können“7. War etwa die Anmeldung durch einen Bevollmächtigten nach § 707 BGB noch nicht von allen Gesellschaftern gewollt, ändert auch die positive Kenntnis des Dritten vom fehlenden Einvernehmen nichts. Auf die Bekanntmachung kommt es – anders als bei § 15 Abs. 2 HGB – für die Anwendung des § 123 Abs. 1 Satz 1 HGB nicht an. b) Teilnahme am Rechtsverkehr mit Zustimmung sämtlicher Gesellschafter (Satz 2) Vorbehaltlich einer Eintragung im Handelsregister entsteht die Gesellschaft „im Verhältnis 9 zu Dritten“ (dazu Rz. 13) gem. § 123 Abs. 1 Satz 2 HGB erst, wenn sie am Rechtsverkehr teilnimmt (Rz. 10), und zwar mit Zustimmung sämtlicher Gesellschafter (Rz. 11). Ebenso wie sich aus dem Regelungszusammenhang ergibt, dass es bei § 123 Abs. 1 HGB lediglich um die Anwendung der Vorschriften aus Titel 3 über das Rechtsverhältnis der OHG zu Dritten geht (Rz. 2), versteht es sich, dass § 123 Abs. 1 Satz 2 HGB eine nach Titel 1 errichtete OHG meint, wenn die Vorschrift von Gesellschaft spricht. Für die GbR findet sich in § 719 BGB eine parallele Regelung. Aus diesem Grund hat auch die Einschränkung am Ende von § 123 Abs. 1 Satz 2 HGB, dass die Gesellschaft „im Verhältnis zu Dritten“ nur entsteht, soweit sich aus § 107 Abs. 1 HGB nichts anderes ergibt, lediglich deklaratorischen Charakter.8 Denn vor der gem. § 107 Abs. 2 HGB freiwilligen Eintragung handelt es sich bei den dort aufgeführten kleingewerblichen, vermögensverwaltenden und freiberuflichen Gesellschaften nach § 105 Abs. 1 HGB noch nicht um OHG, sondern GbR, so dass für sie die Eintragung als OHG konstitutiv ist (§ 107 HGB Rz. 18). Für die Teilnahme am Rechtsverkehr gelten dieselben Grundsätze wie bei § 719 Abs. 1 10 BGB, so dass schon die erste dem Gesellschaftszweck dienende Rechtshandlung gegenüber einem Dritten im Namen der Gesellschaft genügt, auch wenn es lediglich eine noch nicht bindende Vorbereitungshandlung ist (eingehend § 719 BGB Rz. 7). Dabei fällt unter § 123 HGB auch der Fall, dass das von der bereits nach § 719 BGB „im Verhältnis zu Dritten“ ent-
6 Zu dieser Modifikation des § 123 HGB durch § 176 Abs. 1 HGB siehe bereits Scholz, ZIP 2023, 665, 667 f. 7 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 162. 8 Vgl. Henssler in BeckOGK/HGB, § 123 HGB Rz. 46 (Stand: 15.2.2022). Ceesay | 905
§ 123 HGB Rz. 10 | Offene Handelsgesellschaft standenen GbR betriebene kleingewerbliche Unternehmen im Laufe zu einem Handelsgewerbe geworden ist.9 11 Damit die Gesellschaft „im Verhältnis zu Dritten“ durch Teilnahme am Rechtsverkehr
(Rz. 10) entsteht, muss diese Teilnahme mit Zustimmung sämtlicher Gesellschafter erfolgen. Hierfür kommt es wie bei § 719 Abs. 1 BGB auf das tatsächliche – ausdrückliche, konkludente oder auch stillschweigende – Einverständnis der Gesellschafter zu der Teilnahme am Rechtsverkehr an (§ 719 BGB Rz. 8). Dann spielt es auch keine Rolle, wenn im Gesellschaftsvertrag zuvor ein späterer Zeitpunkt für die Geschäftsaufnahme vereinbart wurde. Haben sich die Gesellschafter jedoch auf einen bestimmten Zeitpunkt für die Aufnahme der Geschäfte geeinigt, kann einem Gesellschaftsvertrag, der keine Gesamtvertretung durch alle Gesellschafter vorsieht, keine konkludente Einwilligung in die vorzeitige Geschäftsaufnahme durch die mit Vertretungsbefugnis ausgestatteten Gesellschafter entnommen werden. 12 Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 HGB entsteht die Gesellschaft „im Verhältnis zu Dritten“ allerdings
nur, wenn nicht § 107 Abs. 1 HGB entgegensteht. Danach werden kleingewerbliche, vermögensverwaltende und freiberufliche Gesellschaften sowie richtigerweise auch land- und forstwirtschaftliche Gesellschaften i.S.d. § 3 HGB (dazu § 107 HGB Rz. 19) überhaupt erst durch Eintragung zur OHG. Diese Einschränkung ist lediglich deklaratorisch, weil § 123 Abs. 1 HGB nur für nach Titel 1 errichtete OHG gilt (Rz. 9).
2. Rechtsfolgen a) Infolge der Entstehung „im Verhältnis zu Dritten“ 13 Liegen die Voraussetzungen des § 123 Abs. 1 BGB vor, ist die Gesellschaft „im Verhältnis zu
Dritten“ entstanden. Damit ist – wie sich aus der gesetzlichen Systematik ergibt – die Anwendung der Vorschriften aus Titel 3 über das Rechtsverhältnis der OHG zu Dritten gemeint (Rz. 2). Folglich richtet sich die Vertretung der noch nicht eingetragenen Gesellschaft bereits im ersten einvernehmlichen Tätigwerden („sobald“) nach § 124 HGB und die Haftung der Gesellschafter nach § 126 HGB. b) Vor der Entstehung „im Verhältnis zu Dritten“
14 Weder § 123 BGB noch eine andere Vorschrift trifft eine Regelung für die Zeit vor der Ent-
stehung der OHG „im Verhältnis zu Dritten“. Schon vor dem MoPeG hat die herrschende Meinung die Gesellschaft in dieser Zeit gegenüber Dritten nach den für die Außen-GbR geltenden Vorschriften behandelt.10 Das ist im Ausgangspunkt zutreffend. Infolge der Übertragung des Regelungsmodells des § 123 HGB auf die rechtsfähige GbR durch § 719 BGB muss jedoch die Gesellschaft generell als Zurechnungsobjekt des Handelns ihrer Gesellschafter ausscheiden, solange die Gesellschaft weder eingetragen ist noch die Teilnahme am Rechtsverkehr mit Zustimmung sämtlicher Gesellschafter erfolgt ist (zu dieser Rechtsfolge s. § 719 BGB Rz. 10). Das heißt, das Handeln der Gesellschafter oder anderer Vertreter kann die Gesellschaft weder gem. § 164 BGB unmittelbar berechtigen oder verpflichten noch ihr analog § 31 BGB zugerechnet werden.
15 Die Gesetzesmaterialien verweisen für den Fall, „dass sich mehrere, aber eben nicht sämtliche
Gesellschafter über die Teilnahme am Rechtsverkehr einig sind“, nämlich ausschließlich auf die Grundsätze der Scheingesellschaft, „bei der sich die Haftung ihrer vermeintlichen Gesell-
9 Vgl. Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 123 HGB Rz. 15. 10 Siehe nur Boesche in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 123 HGB Rz. 19; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 123 HGB Rz. 16.
906 | Ceesay
Entstehung der Gesellschaft im Verhältnis zu Dritten | Rz. 21 § 123 HGB
schafter nach allgemeinen Rechtsscheingrundsätzen beurteilt“.11 In der Tat steht in diesen Fällen eine Haftung derjenigen Gesellschafter als Scheingesellschafter analog § 126 BGB im Raum, die im Namen der nach außen noch nicht „entstandenen“ OHG gehandelt haben, und derjenigen, die sich mit dem Außenhandeln vor dem Beginn im Einvernehmen aller einverstanden erklärt haben, ohne persönlich nach außen in Erscheinung getreten zu sein (dazu § 719 BGB Rz. 11). Für die Gesellschafter, die sich mit dem vorfristigen Beginn nicht einverstanden erklärt hatten, kann die Rechtsscheinhaftung jedoch nicht an Maßnahmen, die der Vorbereitung des einvernehmlichen Geschäftsbeginns dienen, anknüpfen, da § 123 Abs. 1 HGB „die Geltung des verkehrsschützenden Außenrechts“12 bewusst unter den subjektiven Vorbehalt der Zustimmung sämtlicher Gesellschafter stellt (eingehend § 719 BGB Rz. 12). Daneben haften diejenigen Personen, welche die im Verhältnis zu Dritten noch nicht ent- 16 standene OHG vertreten haben, auch wenn es sich bei ihnen zugleich um ihre Gesellschafter handelt, nach allgemeinen vertretungsrechtlichen Grundsätzen analog § 179 BGB auf Erfüllung oder Schadensersatz (eingehend § 719 BGB Rz. 13).
III. Zwingendes Recht (Abs. 2) Nach § 123 Abs. 2 HGB ist eine Vereinbarung, dass die Gesellschaft erst zu einem späteren 17 Zeitpunkt entstehen soll, Dritten gegenüber unwirksam. Damit ist wie bei § 719 Abs. 2 BGB lediglich die Entstehung „im Verhältnis zu Dritten“ i.S.d. Abs. 1 gemeint (s. § 719 BGB Rz. 13). Da § 123 Abs. 2 HGB nur die Unwirksamkeit gegenüber Dritten anordnet, bleibt es den Ge- 18 sellschaftern unbenommen, die Geschäftsführungsbefugnis haftungsbewehrt dadurch zu beschränken, dass die vertretungsbefugten Gesellschafter gegenüber Kunden, Mandanten oder anderen Verkehrskreisen erst ab einem bestimmten Zeitpunkt auftreten sollen (§ 719 BGB Rz. 14).
IV. Prozessuales Entsprechend § 719 Abs. 1 BGB trifft die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der 19 Voraussetzungen des § 123 Abs. 1 HGB denjenigen, der die Gesellschaft selbst oder ihre Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft in Anspruch nehmen will (s. § 719 BGB Rz. 16). Im Falle des § 123 Abs. 1 Satz 2 HGB hilft ihm jedoch immerhin die Vermutung des § 1 Abs. 2 HGB, dass der von der Gesellschaft betriebene Gewerbebetrieb ein Handelsgewerbe ist („es sei denn“).13 Gleiches gilt für die Inanspruchnahme einzelner Gesellschafter als Scheingesellschafter (s. 20 Rz. 15). Bei einer Inanspruchnahme nach § 179 Abs. 1 BGB (s. Rz. 16) liegt die Darlegungs- und Be- 21 weislast hingegen bei dem in Anspruch genommenen Gesellschafter (eingehend § 719 BGB Rz. 18).
11 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 162 (zu § 719 BGB; die Begründung zu § 123 HGB verweist auf jene des § 719 BGB, s. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 241: „Wegen der Begründung wird auf die Erläuterung zu § 719 Absatz 1 BGB-E Bezug genommen.“). 12 So zu § 719 Abs. 2 BGB die Formulierung in Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 162. 13 Steitz in Henssler/Strohn, GesR, 5. Aufl. 2021, § 123 HGB Rz. 7. Ceesay | 907
§ 124 HGB | Offene Handelsgesellschaft
§ 124 HGB Vertretung der Gesellschaft (1) Zur Vertretung der Gesellschaft ist jeder Gesellschafter befugt, wenn er nicht durch den Gesellschaftsvertrag von der Vertretung ausgeschlossen ist. (2) 1Im Gesellschaftsvertrag kann vereinbart werden, dass alle oder mehrere Gesellschafter nur gemeinsam zur Vertretung der Gesellschaft befugt sein sollen. 2Die zur Gesamtvertretung befugten Gesellschafter können einzelne von ihnen zur Vornahme bestimmter Geschäfte oder bestimmter Arten von Geschäften ermächtigen. (3) 1Im Gesellschaftsvertrag kann vereinbart werden, dass die Gesellschafter, sofern nicht mehrere zusammen handeln, nur gemeinsam mit einem Prokuristen zur Vertretung der Gesellschaft berechtigt sein sollen. 2Absatz 2 Satz 2 und Absatz 6 sind in diesem Fall entsprechend anzuwenden. (4) 1Die Vertretungsbefugnis der Gesellschafter erstreckt sich auf alle Geschäfte der Gesellschaft einschließlich der Veräußerung und Belastung von Grundstücken sowie der Erteilung und des Widerrufs einer Prokura. 2Eine Beschränkung des Umfangs der Vertretungsbefugnis ist Dritten gegenüber unwirksam. 3Dies gilt insbesondere für die Beschränkung, dass sich die Vertretung nur auf bestimmte Geschäfte oder Arten von Geschäften erstreckt oder dass sie nur unter gewissen Umständen oder für eine gewisse Zeit oder an einzelnen Orten stattfinden soll. 4Hinsichtlich der Beschränkung auf den Betrieb einer von mehreren Niederlassungen der Gesellschaft ist § 50 Absatz 3 entsprechend anzuwenden. (5) Die Vertretungsbefugnis kann einem Gesellschafter in entsprechender Anwendung von § 116 Absatz 5 ganz oder teilweise entzogen werden, sofern im Gesellschaftsvertrag nichts anderes vereinbart ist. (6) Ist der Gesellschaft gegenüber eine Willenserklärung abzugeben, genügt die Abgabe gegenüber einem vertretungsbefugten Gesellschafter. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Grundlagen 1. Entstehungsgeschichte; Sinn und Zweck 2. Organschaftliche und rechtsgeschäftliche Vertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesetzlich vertretene Gesellschafter . . . . 4. Wissens- und Haftungszurechnung . . . . II. Dispositive Einzelvertretung (Abs. 1, Abs. 2) 1. Einzelvertretung (Normalstatut) . . . . . . . 2. Gestaltungsalternativen . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesamtvertreterermächtigung (Abs. 2 Satz 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gesamtvertretung mit einem Prokuristen (Abs. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . .
908 | Ceesay
1 6 10 14
15 17 22 23
IV. Sachlicher Umfang der Vertretungsmacht (Abs. 4) 1. Unbeschränkte und im Grundsatz unbeschränkbare Vertretungsmacht (Satz 1–3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beschränkung auf den Betrieb einer Niederlassung (Satz 4) . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verbleibende Schranken a) Grundlagengeschäfte . . . . . . . . . . . . . . b) Verbot von Selbstkontrahieren und Mehrfachvertretung (§ 181 BGB) . . . . c) Missbrauch der Vertretungsmacht . . . d) Minderjährige und betreute Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Entzug organschaftlicher Vertretungsmacht (Abs. 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Passivvertretung (Abs. 6) . . . . . . . . . . . .
29 32 34 35 42 46 48 59
Vertretung der Gesellschaft | Rz. 4 § 124 HGB Schrifttum: Bayer, Der Missbrauch der Vertretungsmacht unter besonderer Berücksichtigung des Handels- und Gesellschaftsrechts, FS E. Vetter, 2019, S. 51; Grigoleit, Zivilrechtliche Grundlagen der Wissenszurechnung, ZHR 181 (2017), 160; Jarbonegg, Zur Dogmatik der Mitwirkungspflicht bei Klagen aus §§ 117, 127 und 140 HGB, FS Koppensteiner, 2001, S. 105; Köhl, Der Prokurist in der unechten Gesamtvertretung, NZG 2005, 197; Lieder, Missbrauch der Vertretungsmacht und Kollusion, JuS 2014, 681; Osterloh-Konrad, Die Selbstorganschaft in der Personengesellschaft – Wesenszug oder Anachronismus?, ZGR 2019, 271; Rawert/Endres, Der falsus procurator und § 181 BGB, ZIP 2015, 2197; K. Schmidt, Ausschließungs- und Entziehungsklagen gegen den einzigen Komplementär, ZGR 2004, 227; K. Schmidt, Mehrseitige Gestaltungsprozesse bei Personengesellschaften, Studien und Thesen zur Prozessführung nach §§ 117, 127, 133, 140, 142 HGB, 1992; Scholz, Der Grundsatz der Selbstorganschaft in der Reform des Personengesellschaftsrechts, NZG 2020, 1044; Scholz, Missbrauch der Vertretungsmacht, Insichgeschäft und Erfüllung einer Verbindlichkeit. Zum Verhältnis von Missbrauch der Vertretungsmacht und § 181 BGB, ZfPW 2019, 297; Scholz, Delegierte Vertretungsmacht und Geschäfte mit organschaftlichen Vertretern. Zu Reichweite und Funktion von § 181 BGB im Kontext der organschaftlichen Vertretung, ZfPW 2023, 157.
I. Grundlagen 1. Entstehungsgeschichte; Sinn und Zweck Die Vorschrift regelt das Vertretungsrecht der OHG und fasst die vormaligen §§ 125–127 1 HGB a.F. ohne inhaltliche Änderungen zusammen.1 Im Zuge dieser Konsolidierung hat der Gesetzgeber wider Forderungen aus der Wissen- 2 schaft2 das Prinzip der zwingenden Selbstorganschaft beibehalten, so dass die organschaftliche – nach § 124 Abs. 4 HGB unbeschränkte und unbeschränkbare – Vertretungsmacht den Gesellschaftern vorbehalten ist und gesellschaftsfremden Dritten lediglich Vollmacht erteilt werden kann (Rz. 6 ff.). In seiner Struktur entspricht § 124 HGB der Parallelregelung in § 720 BGB. Im Unterschied 3 zur GbR räumt § 124 Abs. 1 HGB den Gesellschaftern in der OHG jedoch vorbehaltlich abweichender Regelungen im Gesellschaftsvertrag Einzelvertretungsbefugnis ein. Das Vertretungsregime des § 124 HGB versteht sich daher anders als jenes des § 720 BGB (s. § 720 BGB Rz. 3) nicht als Kompromiss zwischen Gesellschafter- und Verkehrsinteressen, sondern dient vorrangig – zumal im Zusammenspiel mit § 15, § 106 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 6 HGB – dem Verkehrsschutz, wobei sich diese Ungleichbehandlung nach dem Gesetzgeber aus den „spezifischen Bedürfnissen der Schnelligkeit und Einfachheit des Handelsverkehrs“ rechtfertigt.3 Gleichwohl eröffnet § 124 HGB den Gesellschaftern der OHG mit Blick auf den durch das Handelsregister gewährleisteten Verkehrsschutz weitergehende Möglichkeiten, die Vertretungsbefugnisse einzelner Gesellschafter zu beschränken, namentlich die Vertretungsbefugnis gem. § 124 Abs. 3 HGB an das Handeln mit einem Prokuristen zu knüpfen oder sie gem. § 124 Abs. 4 Satz 4 HGB in entsprechender Anwendung des § 50 Abs. 3 HGB auf den Betrieb einer von mehreren Niederlassungen zu begrenzen. Die Vertretungsbefugnisse der Gesellschafter sind gem. § 106 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 6 HGB ins 4 Handelsregister einzutragen. Das schließt den genauen Umfang einer Gesamtvertretungsbefugnis nach § 124 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 HGB ebenso mit ein wie eine Filialbeschrän-
1 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 241. 2 Eingehend m.w.N. und konkretem Vorschlag für die Zulassung fremdorganschaftlicher Strukturen auf Grundlage des „Mauracher Entwurfs“ Scholz, NZG 2020, 1044; für eine Abschaffung auch Lieder in Bergmann et al., Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, 2020, 169, 179 ff.; Osterloh-Konrad, ZGR 2019, 271, 298 ff. 3 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 151 i.V.m. 162. Ceesay | 909
§ 124 HGB Rz. 4 | Offene Handelsgesellschaft kung gem. § 124 Abs. 4 Satz 4 HGB und eine generelle Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB (§ 106 HGB Rz. 13). Eine Gesamtvertreterermächtigung nach § 124 Abs. 2 Satz 2 HGB ist hingegen weder eintragungspflichtig noch eintragungsfähig.4 5 Über § 161 Abs. 2 HGB gilt die Vorschrift auch für die Kommanditgesellschaft. Die Befug-
nis zur organschaftlichen Vertretung nach § 124 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 HGB ist jedoch ihren persönlich haftenden Gesellschaftern vorbehalten, da § 170 Abs. 1 HGB die Kommanditisten als solche von der Vertretung ausschließt (§ 170 HGB Rz. 1).
2. Organschaftliche und rechtsgeschäftliche Vertretung 6 Wie § 720 BGB regelt auch § 124 HGB ausschließlich die organschaftliche Vertretungs-
macht, deren Ausübung den §§ 164 ff. BGB folgt (§ 720 BGB Rz. 5). 7 Gleichermaßen liegt § 124 HGB das schon vor dem MoPeG anerkannte Prinzip der zwingen-
den Selbstorganschaft zugrunde (§ 720 BGB Rz. 6). Dieses verbietet es erstens, sämtliche Gesellschafter von der Vertretungsmacht auszuschließen, und zweitens, Nichtgesellschaftern organschaftliche Vertretungsmacht einzuräumen.5 Vor diesem Hintergrund ist auch die gemischte Gesamtvertretung mit einem Prokuristen gem. § 124 Abs. 3 HGB zu verstehen (Rz. 24 f.). 8 Überdies ist die organschaftliche Vertretungsmacht, soweit sie einzelnen Gesellschaftern ein-
geräumt wurde, zwar nicht höchstpersönlich, aber doch individuell unübertragbar und nicht delegationsfähig (§ 720 BGB Rz. 7). Davon macht § 124 Abs. 2 Satz 2 HGB eine bewusste Ausnahme, indem er die Gesamtvertreterermächtigung unter zur Gesamtvertretung berufenen Gesellschaftern gestattet (Rz. 22). 9 Weder die Unübertragbarkeit der organschaftlichen Vertretungsmacht noch das Prinzip der
zwingenden Selbstorganschaft stehen indessen einer Vertretung der Gesellschaft durch andere Personen als Gesellschafter auf Grundlage rechtsgeschäftlicher Vertretungsmacht entgegen.6 Nur muss die Gesellschaft bei Erteilung einer Vollmacht wiederum wirksam vertreten werden. Das erfordert im Ausgangspunkt die Ausübung organschaftlicher Vertretungsmacht durch die Gesellschafter gem. § 124 HGB; auf dieser Grundlage können dann aber auch nach allgemeinen Grundsätzen Untervollmachten erteilt werden.7
3. Gesetzlich vertretene Gesellschafter 10 Juristische Personen und rechtsfähige Personengesellschaften können nicht nur Gesell-
schafter sein (§ 705 BGB Rz. 7). Sie sind auch gleich natürlichen Personen gem. § 124 HGB zur organschaftlichen Vertretung berufen, wobei sie diese organschaftliche Befugnis durch ihre organschaftlichen Vertreter wahrnehmen (§ 720 BGB Rz. 9). 11 Auch Minderjährige können Gesellschafter sein (§ 705 BGB Rz. 8). Zur Ausübung sind je-
doch primär ihre gesetzlichen Vertreter berufen, die dabei nicht den Schranken der § 1643 i.V.m. §§ 1850 ff. BGB (§§ 1821 f. BGB a.F.) unterliegen (§ 720 BGB Rz. 10). Auch nach Vollendung des siebenten Lebensjahres kann der Minderjährige die Gesellschaft grundsätzlich 4 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 163 (zur Gesamtvertreterermächtigung nach § 720 Abs. 2 BGB). 5 BGH v. 20.5.2016 – V ZB 142/15, ZIP 2016, 1965 Rz. 13; BGH v. 5.10.1981 – II ZR 203/80, ZIP 1982, 578, 581; BGH v. 25.5.1964 – II ZR 42/62, BGHZ 41, 367, 369 = NJW 1964, 1624, 1624. 6 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 162 (zu § 720 BGB). 7 Vgl. K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 125 HGB Rz. 9.
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Vertretung der Gesellschaft | Rz. 16 § 124 HGB
nicht vertreten, sondern bedarf dafür nach §§ 107 ff. BGB der Zustimmung seiner gesetzlichen Vertreter; § 165 BGB kommt hier nicht zur Anwendung (s. § 720 BGB Rz. 11). Mit Genehmigung des Familiengerichts können die gesetzlichen Vertreter den minderjährigen Gesellschafter allerdings auch analog § 112 Abs. 1 Satz 1 BGB zur organschaftlichen Vertretung und Geschäftsführung der Gesellschaft ermächtigen (s. § 720 BGB Rz. 12). Wird für einen Gesellschafter ein Betreuer bestellt, tangiert dies weder die Gesellschafterstel- 12 lung des Betreuten noch seine organschaftliche Vertretungsbefugnis. Wenn der Aufgabenkreis des Betreuers die Angelegenheiten der Gesellschaft umfasst, erstreckt sich seine gesetzliche Vertretungsmacht gem. § 1823 BGB (§ 1902 BGB a.F.) auch auf die Wahrnehmung der organschaftlichen Vertretungsbefugnis (§ 720 BGB Rz. 13). Parallel kann jedoch grundsätzlich auch der betreute Gesellschafter selbst für die Gesellschaft handeln; nur bei Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts unterliegt sein eigenes Handeln den für minderjährige Gesellschafter geltenden Vorbehalten (§ 720 BGB Rz. 14). Wenn die Voraussetzungen für eine Betreuerbestellung gem. § 1814 Abs. 1 BGB (§ 1896 Abs. 13 1 BGB a.F.) an sich vorliegen, gebietet es die gesetzliche Subsidiarität der Betreuung gegenüber der Vorsorgevollmacht gem. § 1814 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 BGB (§ 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB a.F.), dem Vorsorgebevollmächtigten die gleiche Rechtsstellung wie einem Betreuer zuzuerkennen (§ 720 BGB Rz. 15). Solange der bürgerlich-rechtlich definierte Vorsorgefall noch nicht eingetreten ist, ändert auch die Zustimmung aller Gesellschafter nichts daran, dass die organschaftliche Vertretungsmacht nicht übertragen werden kann (§ 720 BGB Rz. 16).
4. Wissens- und Haftungszurechnung Für die Wissens- und Haftungszurechnung spielt die organschaftliche Vertretungsmacht 14 eine untergeordnete Rolle. Hier gelten vielmehr rechtsformübergreifend dieselben Grundsätze, so dass auf die Ausführungen zur GbR verwiesen werden kann, s. § 720 BGB Rz. 17 ff. (Wissenszurechnung), § 720 BGB Rz. 21 ff. (Haftungszurechnung).
II. Dispositive Einzelvertretung (Abs. 1, Abs. 2) 1. Einzelvertretung (Normalstatut) Gemäß § 124 Abs. 1 Halbs. 1 HGB ist grundsätzlich jeder Gesellschafter zur Vertretung der 15 Gesellschaft befugt – auch wenn es sich bei ihm um juristische Person (Rz. 10), einen Minderjährigen (Rz. 11) oder einen Betreuten (Rz. 12) handelt. Aus dem Umkehrschluss zu § 124 Abs. 2 Satz 1 HGB und § 720 Abs. 1 BGB ergibt sich, dass der Gesetzgeber dieser Anordnung den Grundsatz der Einzelvertretung in dem Sinne aufstellen wollte, dass die organschaftliche Vertretungsbefugnis (Rz. 6) von jedem Gesellschafter aktiv ohne Mitwirkung anderer Gesellschafter ausgeübt werden kann. Bei widersprechenden Erklärungen gilt nach § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB die zuerst zugegange- 16 ne, bei einem Widerrufsvorbehalt nach § 145 BGB hingegen die nächste und bei gleichzeitigem Zugang nach § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB keine von beiden.8
8 Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 125 HGB Rz. 5; Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 125 HGB Rz. 18. Ceesay | 911
§ 124 HGB Rz. 17 | Offene Handelsgesellschaft
2. Gestaltungsalternativen 17 Die in § 124 Abs. 1 Halbs. 1 HGB angeordnete Einzelvertretung ist dispositiv. Zum einen
erlaubt § 124 Abs. 1 Halbs. 2 BGB den gesellschaftsvertraglichen und damit von den Voraussetzungen eines Entzugs gem. § 124 Abs. 5 HGB unabhängigen Ausschluss der Vertretungsmacht. 18 Zum anderen kann nach § 124 Abs. 2 Satz 1 HGB gesellschaftsvertraglich vereinbart werden,
dass alle oder mehrere Gesellschafter nur gemeinsam zur Vertretung der Gesellschaft befugt sein sollen. Die Gestaltungsalternativen sind damit vielgestaltig und reichen von einer allseitigen Gesamtvertretung, wie sie § 720 Abs. 1 BGB für die GbR vorsieht, über die Gesamtvertretung mit einem oder mehreren bestimmten oder unbestimmten Gesellschaftern bis hin zur halbseitigen Gesamtvertretung, bei der einem Gesellschafter Einzelvertretungsbefugnis eingeräumt wird und die übrigen Gesellschafter zur Gesamtvertretung mit diesem Gesellschafter ermächtigt werden (§ 720 BGB Rz. 33). Die Ausübung der Gesamtvertretungsmacht erfordert nicht notwendig gleichzeitiges Handeln; allerdings muss v.a. bei formbedürftigen Rechtsgeschäften erkennbar werden, dass das Geschäft auf Grund der abgegebenen Erklärung(en) für die Gesellschaft zustande kommen soll (§ 720 BGB Rz. 27 f.). 19 Insbesondere bei Ausschluss der übrigen Gesellschafter von der Vertretungsmacht und bei
einer halbseitigen Gesamtvertretungsregelung kann es dazu kommen, dass die gesellschaftsvertragliche Vertretungsregelung undurchführbar wird, wenn der einzige einzelvertretungsbefugte Gesellschafter ausscheidet oder ihm die Vertretungsbefugnis nach § 124 Abs. 5 HGB entzogen wird. Die undurchführbare Vertretungsregelung paralysiert die Gesellschaft nicht, da der Grundsatz der Selbstorganschaft den Ausschluss aller Gesellschafter von der Vertretungsmacht verbietet (Rz. 7). Dann fällt das Vertretungsregime jedoch nicht auf das Normalstatut des § 124 Abs. 1 HGB zurück. Die Vertretungsbefugnisse der verbleibenden Gesellschafter müssen vielmehr durch (ergänzende) Vertragsauslegung ermittelt werden.9 Dabei gilt die Auslegungsregel, dass das Ausscheiden eines Gesellschafters die individuellen Vertretungsbefugnisse der übrigen Gesellschafter im Zweifel nicht erweitert.10 So erstarkt etwa eine halbseitige Gesamtvertretungsbefugnis nicht zur Einzelvertretungsmacht, da den übrigen Gesellschaftern eine solche Vertretungsbefugnis gerade nicht eingeräumt werden sollte.11 Gleichermaßen erstarkt die Gesamtvertretungsbefugnis eines Gesellschafters regelmäßig nicht zur Einzelvertretungsbefugnis, wenn neben ihm ausschließlich Gesellschafter verbleiben, die gesellschaftsvertraglich von der Vertretung ausgeschlossen sind.12 In der Konsequenz gilt damit im Zweifel allseitige Gesamtvertretung, bis eine neue gesellschaftsvertragliche Regelung getroffen ist. Das gilt ebenso, wenn infolge des Ausscheidens nur Gesellschafter verbleiben, die nach dem Gesellschaftsvertrag von der Vertretung ausgeschlossen sind.13 20 Von der Undurchführbarkeit der Vertretungsregelung ist die bloße Verhinderung von Ge-
sellschaftern zu unterscheiden, deren Mitwirkung an der Vertretung notwendig ist (§ 720 BGB Rz. 36, 29). 21 Will die Gesellschaft Klage gegen einen ihrer Gesellschafter erheben, ist zwar der Betroffe-
ne von der Vertretung der Gesellschaft ausgeschlossen.14 Unabhängig davon, ob der Aus9 K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 125 HGB Rz. 54; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 323a (Stand: 01/2022). 10 Vgl. BGH v. 25.5.1964 – II ZR 42/62, BGHZ 41, 367 = NJW 1964, 1624, 1625 („Zuwachs an Vertretungsmacht läge im Zweifel nicht im Sinne des Gesellschaftsvertrages, der die Einzelvertretung gerade ausgeschlossen hat“). 11 Vgl. BGH v. 25.5.1964 – II ZR 42/62, BGHZ 41, 367 = NJW 1964, 1624, 1625. 12 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 125 HGB Rz. 43. 13 BGH v. 11.7.1960 – II ZR 260/59, BGHZ 33, 105, 108 (juris Rz. 12). 14 BGH v. 7.6.2010 – II ZR 210/09, ZIP 2010, 2345 Rz. 11.
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Vertretung der Gesellschaft | Rz. 24 § 124 HGB
schluss des Betroffenen eine Vertretung der Gesellschaft nach der gesellschaftsvertraglichen Regelung verhindert,15 können die übrigen Gesellschafter jedoch analog § 46 Nr. 8 GmbHG einen besonderen Vertreter für den Prozess bestellen (§ 720 BGB Rz. 37, 30).
3. Gesamtvertreterermächtigung (Abs. 2 Satz 2) Nach § 124 Abs. 2 Satz 2 HGB können die zur Gesamtvertretung befugten Gesellschafter 22 einzelne von ihnen zur Vornahme bestimmter Geschäfte oder bestimmter Arten von Geschäften ermächtigen. Das entspricht § 720 Abs. 2 BGB, der seinerseits § 125 Abs. 2 Satz 2 HGB a.F. nachgebildet ist.16 Insofern kann auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden (§ 720 BGB Rz. 38 ff.). Insbesondere gilt für § 124 Abs. 2 Satz 2 HGB gleichermaßen, dass eine Gesamtvertreterermächtigung es – entgegen der Rechtsprechung des BGH17 – nicht ermöglicht, Geschäfte vorzunehmen, die bei Mitwirkung des Ermächtigenden an § 181 BGB scheitern würden (§ 720 BGB Rz. 41 ff.).
III. Gesamtvertretung mit einem Prokuristen (Abs. 3) Nach § 124 Abs. 3 Satz 1 HGB kann im Gesellschaftsvertrag vereinbart werden, dass die Ge- 23 sellschafter nur gemeinsam mit einem Prokuristen zur Vertretung der Gesellschaft berechtigt sein sollen. Hierfür hat sich die Bezeichnung gemischte Gesamtvertretung etabliert. Auch in dieser Konstellation wird die Gesellschaft organschaftlich vertreten. Zum einen gelten daher für die Ausübung der Gesamtvertretungsbefugnis dieselben Grundsätze wie bei einer Gesamtvertretung durch Gesellschafter (§ 720 BGB Rz. 27 f.). Zum anderen bestimmt sich der sachliche Umfang der Vertretungsmacht wie bei einer echten Gesamtvertretung nach § 124 Abs. 4 HGB und nicht nach §§ 49 f. HGB.18 Von der Bindung eines Gesellschafters an die Mitwirkung eines Prokuristen nach § 124 Abs. 3 Satz 1 HGB ist der umgekehrte Fall zu unterscheiden, in dem ein Prokurist an die Mitwirkung eines vertretungsbefugten Gesellschafters gebunden wird; hierbei handelt es sich um eine analog § 48 Abs. 2 HGB zulässige Form der Gesamtprokura.19 Nach dem Wortlaut des § 124 Abs. 3 Satz 1 HGB findet die Möglichkeit, eine gemischte Ge- 24 samtvertretung vorzusehen, ihre Grenze lediglich in der gemeinsamen Vertretung mit einem weiteren Gesellschafter („sofern nicht mehrere zusammen handeln“). Unstreitig steht jedoch die zwingende Selbstorganschaft (Rz. 7) einer Vertretungsregelung entgegen, die eine Vertretung ohne Mitwirkung eines Prokuristen ausschließt. Für den einzigen nicht von der Vertretung ausgeschlossenen Gesellschafter – insbesondere den einzigen Komplementär – kann daher keine gemischte Gesamtvertretung i.S.d. § 124 Abs. 3 Satz 1 HGB angeordnet werden.20 Ebenso wenig ist es möglich, alle zur Vertretung berufenen Gesellschafter an die Mit15 Vgl. BGH v. 24.2.1992 – II ZR 79/91, ZIP 1992, 760 = GmbHR 1992, 299 LS 1. 16 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 163. 17 BGH v. 6.3.1975 – II ZR 80/73, BGHZ 64, 72, 74 ff. = NJW 1975, 1117, 1118 f.; bestätigt durch BGH v. 8.10.1991 – XI ZR 1582 64/90, NJW 1992, 618, 618 = ZIP 1991, 1582, 1582 f.; dagegen mit eingehender Begründung und umfassenden Nachweisen bereits Scholz, ZfPW 2023, 157, 164 ff. 18 BGH v. 14.2.1974 – II ZB 6/73, BGHZ 62, 166, 170 = NJW 1974, 1194, 1194 f.; Habersack in Habersack/Schäfer, Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 125 HGB Rz. 61; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 326c (Stand: 01/2022). 19 BGH v. 14.2.1974 – II ZB 6/73, BGHZ 62, 166 LS 2; BGH v. 6.11.1986 – V ZB 8/86, BGHZ 99, 76 LS = GmbHR 1987, 301 LS. 20 BGH v. 6.2.1958 – II ZR 210/56, BGHZ 26, 330, 332 f. = juris Rz. 9; Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 125 HGB Rz. 15; Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 125 HGB Rz. 57. Ceesay | 913
§ 124 HGB Rz. 24 | Offene Handelsgesellschaft wirkung eines Prokuristen zu binden.21 Darin liegt der Kern der auf „mehrere“ Gesellschafter rekurrierenden Einschränkung in § 124 Abs. 3 Satz 1 HGB. 25 Weitere Einschränkungen der Gestaltungsfreiheit ergeben sich aus der Formulierung „so-
fern nicht mehrere zusammen handeln“ jedoch nicht. Insbesondere gibt es keinen überzeugenden Grund, die gemischte Gesamtvertretung ausschließlich als Erleichterung einer für Gesellschafter angeordneten Gesamtvertretung zu begreifen.22 Schon die notwendige Korrektur durch den Grundsatz der zwingenden Selbstorganschafft (Rz. 24) verdeutlicht, dass der Wortlaut nicht als Ausdruck einer klaren gesetzgeberischen Wertentscheidung verstanden werden kann. Zudem stellt § 124 Abs. 3 Satz 1 HGB im Gegensatz zu § 124 Abs. 2 Satz 2 HGB gar nicht explizit auf „zur Gesamtvertretung befugte Gesellschafter“ ab. Die innere Systematik des § 124 HGB spricht daher von vornherein dagegen, § 124 Abs. 3 HGB als Sonderregelung für die echte Gesamtvertretung zu verstehen. Angesichts der Publizität der Vertretungsverhältnisse gebieten auch Verkehrsschutzerwägungen keine restriktive Auslegung. Es ist daher z.B. möglich, neben einer Einzelvertretungsbefugnis für einen Gesellschafter für alle anderen eine gemischte Gesamtvertretung anzuordnen.23 26 Ebenso wie eine echte Gesamtvertretungsregelung kann auch eine gemischte Gesamtvertre-
tung undurchführbar werden. Zur Undurchführbarkeit kommt es nicht nur, wenn ein für die gemischte Gesamtvertretung notwendiger Gesellschafter oder Prokurist wegfällt, sondern auch, wenn infolge des Wegfalls eines sonstigen Gesellschafters die gemischte Gesamtvertretungsregelung mit dem Prinzip der zwingenden Selbstorganschaft kollidiert (s. Rz. 24). Wie bei einer echten Gesamtvertretungsregelung gilt auch hier die Auslegungsmaxime, dass das Ausscheiden eines Gesellschafters oder Prokuristen die individuellen Vertretungsbefugnisse der übrigen Gesellschafter im Zweifel nicht erweitert.24 Bei Wegfall des Prokuristen wandelt sich die gemischte Gesamtvertretungsbefugnis eines Gesellschafters mithin in eine Gesamtvertretungsbefugnis mit allen übrigen vertretungsberechtigten Gesellschaftern.25 So liegt es auch, wenn der einzige zur Vertretung ohne Mitwirkung eines Prokuristen befugte Gesellschafter wegfällt und die gemischte Gesamtvertretung so mit dem Prinzip der zwingenden Selbstorganschaft kollidieren würde; nur tritt die echte Gesamtvertretungsbefugnis der verbleibenden vertretungsbefugten Gesellschafter dann neben die – von dem Wegfall des Mitgesellschafters im Kern unberührte – gemischte Gesamtvertretungsbefugnis. Fällt hingegen der letzte Gesellschafter weg, dessen Vertretungsbefugnis an die Mitwirkung des Prokuristen gebunden war, endet auch die erweiterte Vertretungsbefugnis jenes Prokuristen. Die Prokura bleibt hiervon jedoch unberührt.
21 Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 125 HGB Rz. 15; Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 125 HGB Rz. 57; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 125 HGB Rz. 34. 22 So auch Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 126 HGB Rz. 58; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 125 HGB Rz. 34; a.A. Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 326a (Stand: 01/2022); ebenso, aber jeweils lediglich als obiter dictum BGH v. 6.11.1986 – V ZB 8/86, BGHZ 99, 76 78 ff. = juris Rz. 19; BGH v. 6.2.1958 – II ZR 210/56, BGHZ 26, 330, 332 f. = juris Rz. 9 = GmbHR 1987, 301. 23 Zu weiteren Gestaltungsvarianten s. K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 125 HGB Rz. 35 ff. 24 Vgl. BGH v. 25.5.1964 – II ZR 42/62, BGHZ 41, 367 = NJW 1964, 1624, 1625 („Zuwachs an Vertretungsmacht läge im Zweifel nicht im Sinne des Gesellschaftsvertrages, der die Einzelvertretung gerade ausgeschlossen hat“). 25 Noch weitergehend Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 127 HGB Rz. 10 (Erlöschen jeglicher Vertretungsbefugnis).
914 | Ceesay
Vertretung der Gesellschaft | Rz. 31 § 124 HGB
Nach § 124 Abs. 3 Satz 2 HGB kann auch im Rahmen einer gemischten Gesamtvertretung 27 eine Gesamtvertreterermächtigung i.S.d. § 124 Abs. 2 Satz 2 HGB (Rz. 22) erteilt werden. Das gilt in beide Richtungen, d.h. für Gesellschafter wie für Prokuristen. Handelt ein so ermächtigter Prokurist allein, richtet sich seine Vertretungsmacht – wie auch sonst bei der gemischten Gesamtvertretung (Rz. 23) – nach § 124 Abs. 4 HGB, und zwar unabhängig davon, ob der Prokurist erkennbar in Ausübung der Ermächtigung gehandelt hat. Denn nach § 164 Abs. 1 Satz 1 BGB muss lediglich das Handeln im Namen der Gesellschaft erkennbar werden. Darüber hinaus ordnet § 124 Abs. 3 Satz 2 HGB für die gemischte Gesamtvertretung die ent- 28 sprechende Anwendung von § 124 Abs. 6 HGB an, wonach für die Abgabe von Willenserklärungen gegenüber der Gesellschaft die Abgabe gegenüber einem vertretungsbefugten Gesellschafter genügt. Für den mit gemischter Gesamtvertretungsbefugnis ausgestatteten Gesellschafter hat § 124 Abs. 3 Satz 2 HGB insofern lediglich deklaratorischen Charakter. Der zur Mitwirkung berufene Prokurist erhält hierdurch jedoch passive Einzelvertretungsbefugnis im Umfang des § 124 Abs. 4 HGB.26
IV. Sachlicher Umfang der Vertretungsmacht (Abs. 4) 1. Unbeschränkte und im Grundsatz unbeschränkbare Vertretungsmacht (Satz 1–3) Nach § 124 Abs. 4 Satz 1 HGB erstreckt sich die Vertretungsbefugnis der Gesellschafter auf 29 alle Geschäfte der Gesellschaft. Hiervon ausgenommen sind lediglich Grundlagengeschäfte (Rz. 34). Zudem gelten die dispositiven Schranken des § 181 BGB auch für die Vertretung der Gesellschaft (Rz. 35 ff.). Darüber hinaus erklärt § 124 Abs. 4 Satz 2 HGB Beschränkungen des Umfangs jener Vertre- 30 tungsbefugnis gegenüber Dritten für unwirksam. Die Vertretungsmacht ist also im Grundsatz in jeder Hinsicht sachlich unbeschränkbar; § 124 Abs. 4 Satz 3 HGB hat daneben nur illustrativen Charakter. Allerdings erlaubt § 124 Abs. 4 Satz 4 HGB in Durchbrechung des Grundsatzes der Unbeschränkbarkeit die Beschränkung auf den Betrieb einer von mehreren Niederlassungen (Rz. 32 f.). Darüber hinaus zieht lediglich die Lehre vom Missbrauch der Vertretungsmacht eine Grenze, wenn Gesellschafter und Geschäftsgegner bewusst zum Nachteil der Gesellschaft zusammenwirken oder sich dem Geschäftsgegner aufdrängen musste, dass der Gesellschafter seine internen Beschränkungen überschreitet (Rz. 42 ff.). Ungeachtet ihrer mangelnden Außenwirkung bleiben Beschränkungen der Vertretungsbefugnis im Innenverhältnis als Grenzen der Geschäftsführungsbefugnis relevant,27 deren Überschreitung eine nach § 280 Abs. 1 BGB schadensersatzbewehrte Pflichtverletzung begründet (§ 116 HGB Rz. 9, § 715 BGB Rz. 24). Über die sonach unbeschränkte und unbeschränkbare Vertretungsmacht verfügen nicht nur 31 die zur Einzel- oder Gesamtvertretung nach § 124 Abs. 1, Abs. 2 HGB berufenen Gesellschafter. Für die gem. § 124 Abs. 3 HGB zur gemischten Gesamtvertretung berufenen Gesellschafter und Prokuristen gilt das Gleiche (Rz. 23), und zwar auch dann, wenn der Prokurist die Gesellschaft auf Grund einer Gesamtvertreterermächtigung nach § 124 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 HGB allein vertritt (Rz. 27).
26 Kilian in BeckOGK/HGB, § 125 HGB Rz. 104 (Stand: 1.10.2021); Köhl, NZG 2005, 197, 198. 27 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 126 HGB Rz. 20. Ceesay | 915
§ 124 HGB Rz. 32 | Offene Handelsgesellschaft
2. Beschränkung auf den Betrieb einer Niederlassung (Satz 4) 32 Nach § 124 Abs. 4 Satz 4 HGB ist hinsichtlich der Beschränkung auf den Betrieb einer von
mehreren Niederlassungen der Gesellschaft § 50 Abs. 3 HGB entsprechend anzuwenden. Dort heißt es, dass eine Beschränkung der Prokura auf den Betrieb einer von mehreren Niederlassungen des Geschäftsinhabers Dritten gegenüber wirksam ist, wenn die Niederlassungen – und sei es auch nur auf Grund eines Filialzusatzes (§ 50 Abs. 3 Satz 2 HGB) – unter verschiedenen Firmen betrieben werden. Insofern durchbricht § 124 Abs. 4 Satz 4 HGB den Grundsatz der sachlichen Unbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht (Rz. 30). 33 Allerdings begrenzt der Grundsatz der zwingenden Selbstorganschaft die Möglichkeit einer
Filialbeschränkung ebenso wie die Möglichkeit, Gesellschafter nach § 124 Abs. 3 Satz 1 HGB an die Mitwirkung von Prokuristen zu binden (Rz. 24).28 Für den einzigen nicht von der Vertretung ausgeschlossenen Gesellschafter – namentlich den einzigen Komplementär – kann daher keine Filialbeschränkung nach § 124 Abs. 4 Satz 4 HGB angeordnet werden. Ebenso wenig ist es möglich, die Vertretungsmacht aller zur Vertretung berufenen Gesellschafter auf den Betrieb einer Niederlassung zu beschränken.
3. Verbleibende Schranken a) Grundlagengeschäfte 34 Die sachlich unbeschränkte und unbeschränkbare Vertretungsmacht erstreckt sich auf alle
Geschäfte der Gesellschaft. Sie erfasst damit von vornherein nicht Vertrags- oder Statusangelegenheiten auf Gesellschafterebene, welche die Grundlagen der Gesellschaft betreffen.29 Diese Geschäfte unterliegen der Regelungskompetenz der Gesellschafterversammlung, d.h. der Entscheidung durch alle Gesellschafter ungeachtet ihrer individuellen Vertretungsbefugnisse (§ 709 BGB Rz. 36). b) Verbot von Selbstkontrahieren und Mehrfachvertretung (§ 181 BGB) 35 Die Anordnung der sachlich unbeschränkten Vertretungsmacht in § 124 Abs. 4 Satz 1 HGB
lässt das bürgerlich-rechtliche Verbot von Insichgeschäften, d.h. den Ausschluss der Vertretungsmacht für Insichgeschäfte,30 gem. § 181 BGB unberührt. Daher können auch die zur organschaftlichen Vertretung berufenen Gesellschafter die Gesellschaft grundsätzlich weder bei Rechtsgeschäften mit sich selbst (Selbstkontrahieren) noch bei solchen Rechtsgeschäften vertreten, bei denen sie zugleich als Vertreter eines Dritten handeln (Mehrfachvertretung), es sei denn, dass jene Rechtsgeschäfte ausschließlich in der Erfüllung einer Verbindlichkeit bestehen, der Gesellschaft lediglich einen rechtlichen Vorteil bringen31 oder dem Gesellschafter im Vorhinein gestattet wurden (Rz. 40). 36 Das gilt nicht nur im Falle der Einzelvertretung, sondern schließt auch die Gesamtvertre-
tung unter Mitwirkung des nach § 181 BGB von der Vertretung ausgeschlossenen Gesellschafters aus (s. § 720 BGB Rz. 50).32 Dagegen liegt kein Fall des § 181 BGB vor, wenn die Gesellschaft durch andere Gesellschafter vertreten wird und diese – wie nach dem Normal28 K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 125 HGB Rz. 19. 29 Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 126 HGB Rz. 3 f.; Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 126 HGB Rz. 12 ff. 30 BGH v. 29.11.1993 – II ZR 107/92, ZIP 1994, 129, 131 = GmbHR 1994, 122; BGH v. 8.10.1975 – VIII ZR 115/74, BGHZ 65, 123, 125 f. 31 BGH v. 27.9.1972 – IV ZR 225/69, BGHZ 59, 236 LS. 32 BGH v. 8.10.1991 – XI ZR 64/90, ZIP 1991, 1582, 1582 = GmbHR 1992, 107.
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Vertretung der Gesellschaft | Rz. 42 § 124 HGB
statut des § 124 Abs. 1 HGB – für eine wirksame Vertretung nicht auf die Mitwirkung des Gesellschafters angewiesen sind, der auf der anderen Seite des Geschäfts steht.33 Darüber hinaus gilt § 181 BGB richtigerweise grundsätzlich analog, wenn die Gesellschaft 37 bei einem Geschäft mit einem zur Vertretung berufenen Gesellschafter durch einen Bevollmächtigten vertreten wird; dabei kommt es für die Anwendung von § 181 BGB auch nicht darauf an, ob die Gesellschaft ohne Mitwirkung des Betroffenen hätte organschaftlich vertreten werden können (§ 720 BGB Rz. 51). Nach einer älteren Entscheidung des BGH soll sich aber eine Prokura „bei der für § 181 BGB 38 gebotenen generalisierenden und nicht auf die Interessenlage im Einzelfall abstellenden Betrachtungsweise nicht mit einer Untervollmacht vergleichen“ lassen, so dass die Vertretung durch einen Prokuristen selbst gegenüber dem einzigen vertretungsbefugten Gesellschafter nicht in den Anwendungsbereich des § 181 BGB fallen soll.34 Das ist verfehlt.35 Denn bei Prokuristen besteht gleichermaßen die abstrakte Gefahr, dass sie die Interessen der Gesellschaft nicht effektiv gegenüber einem ihrer Gesellschafter vertreten werden: Erstens unterliegen auch Prokuristen dem Weisungsrecht der Geschäftsführung aus § 106 GewO.36 Zweitens kann der Gesellschafter, demgegenüber der Prokurist die Gesellschaft vertritt, gem. § 116 Abs. 2 Satz 3 HGB sogar persönlich die Prokura widerrufen (dazu § 116 HGB Rz. 11).37 Drittens hätte dies bei gemischter Gesamtvertretungsbefugnis zur Folge, dass die rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht des Prokuristen weiterreichte als die organschaftliche Vertretungsbefugnis im Zusammenwirken mit dem Gesellschafter. Bei einem Verstoß gegen § 181 BGB kann das Geschäft nach § 177 Abs. 1 BGB durch die 39 übrigen organschaftlichen Vertreter genehmigt werden, wenn diese für eine wirksame Vertretung nicht auf die Mitwirkung des nach § 181 BGB ausgeschlossenen Gesellschafters angewiesen sind (§ 720 BGB Rz. 52). Der Gesellschafterversammlung steht es frei, den zur organschaftlichen Vertretung berufe- 40 nen Gesellschaftern das Selbstkontrahieren durch gesellschaftsvertragliche Regelung generell oder durch vertragsdurchbrechenden Beschluss für den Einzelfall zu gestatten (§ 720 BGB Rz. 53). Sowohl im Falle einer Befreiung von den Schranken des § 181 BGB als auch in den Fällen, in 41 denen das Geschäft ausschließlich in der Erfüllung einer Verbindlichkeit besteht, bleibt die Gesellschaft durch die Lehre vom Missbrauch der Vertretungsmacht (Rz. 42 ff.) effektiv geschützt (§ 720 BGB Rz. 54). c) Missbrauch der Vertretungsmacht Die gem. § 124 Abs. 4 HGB unbeschränkte und unbeschränkbare Vertretungsmacht dient 42 dem Verkehrsschutz, insofern potentielle Vertragspartner der OHG davor bewahrt werden, vor Abschluss des Vertrags prüfen zu müssen, ob die Vertretungsbefugnis beschränkt ist.38 Nach den tradierten Grundsätzen über den Missbrauch der Vertretungsmacht ist es dem Ge-
33 Scholz, ZfPW 2023, 157, 161. 34 BGH v. 13.6.1984 – VIII ZR 125/83, BGHZ 91, 334, 336 f. = ZIP 1984, 1358, 1358 f. = GmbHR 1985, 79. 35 Eingehend bereits Scholz, ZfPW 2023, 157, 167 f.; ebenso Bayer/Möller, FS Grunewald, 2021, 79, 85 f.; Belz in Rowedder/Pentz, 7. Aufl. 2022, § 35 GmbHG Rz. 59; Beurskens in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 37 GmbHG Rz. 62; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 21. Aufl. 2023, § 35 GmbHG Rz. 51. 36 Krebs in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 48 HGB Rz. 59. 37 Vgl. auch für die GmbH Beurskens in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 37 GmbHG Rz. 62. 38 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 163. Ceesay | 917
§ 124 HGB Rz. 42 | Offene Handelsgesellschaft schäftsgegner gleichwohl verwehrt, sich auf die unbeschränkte Vertretungsmacht zu berufen, wenn sein Vertrauen auf deren Unbeschränkbarkeit nicht schutzwürdig ist.39 An dieser Schutzwürdigkeit des Vertrauens fehlt es nach ständiger Rechtsprechung40 nicht nur, wenn Gesellschafter und Geschäftsgegner bewusst zum Nachteil der Gesellschaft zusammenwirken (Kollusion); es genügt bereits, dass sich dem Geschäftsgegner geradezu aufdrängen musste, dass der Gesellschafter seine gesellschaftsinternen Bindungen, d.h. seine Geschäftsführungsbefugnis, überschreitet (Evidenz). Hier gelten dieselben Grundsätze wie für den Missbrauch der nach § 720 Abs. 3 BGB unbeschränkten Vertretungsmacht (§ 720 BGB Rz. 55). 43 Gleichermaßen besteht infolge eines Missbrauchs der Vertretungsmacht gem. § 177 Abs. 1
BGB die Möglichkeit zur Genehmigung des schwebend unwirksamen Geschäfts durch die zur Vertretung berufenen Gesellschafter, und zwar entgegen ständiger Rechtsprechung auch in den Fällen der Kollusion (§ 720 BGB Rz. 56). 44 Die Lehre vom Missbrauch der Vertretungsmacht und § 181 BGB (Rz. 35 ff.) stellen von-
einander unabhängige Schranken der Vertretungsmacht dar. Entgegen einer neueren Linie in der Rechtsprechung41 ist es daher nicht gerechtfertigt, die Grundsätze über den Missbrauch der Vertretungsmacht bei einem Insichgeschäft mit Rücksicht auf die Wertungen des § 181 BGB zu beschränken (§ 720 BGB Rz. 57).42 45 Ebenso wenig wie ein Sonderrecht für Insichgeschäfte (Rz. 44) lässt sich eine generelle Be-
schränkung der Lehre vom Missbrauch der Vertretungsmacht in den Fällen der Erfüllung einer Verbindlichkeit der Gesellschaft begründen (§ 720 BGB Rz. 58).43 d) Minderjährige und betreute Gesellschafter 46 Soweit die organschaftliche Vertretungsbefugnis minderjähriger Gesellschafter durch ihre
gesetzlichen Vertreter ausgeübt wird, ist deren Befugnis zur Vertretung der Gesellschaft nicht durch § 1643 i.V.m. §§ 1850 ff. BGB (§§ 1821 f. BGB a.F.) beschränkt (Rz. 11). Das gilt ebenso, wenn der minderjährige Gesellschafter analog § 112 Abs. 1 Satz 1 BGB mit Zustimmung des Familiengerichts zur organschaftlichen Vertretung und Geschäftsführung der Gesellschaft ermächtigt wurde (§ 720 BGB Rz. 12). Soweit der Minderjährige ohne eine solche Ermächtigung selbst handelt, sind seine Erklärungen vor Vollendung des siebenten Lebensjahres nach § 105 Abs. 1 BGB nichtig und nach Vollendung des siebenten Lebensjahres nach §§ 107 ff. BGB von der Zustimmung seiner gesetzlichen Vertreter abhängig, sofern die Willenserklärung nicht für die Gesellschaft selbst lediglich rechtlich vorteilhaft bzw. neutral ist (§ 720 BGB Rz. 11). 47 Soweit die organschaftliche Vertretungsbefugnis eines betreuten Gesellschafters nach
§ 1823 BGB (§ 1902 BGB a.F.) durch den Betreuer ausgeübt wird, ist dessen Befugnis zur Vertretung der Gesellschaft ebenso wenig wie die Vertretungsbefugnis der gesetzlichen Vertreter minderjähriger Gesellschafter durch §§ 1848 ff. BGB (§§ 1821 f. i.V.m. § 1908i BGB a.F.) beschränkt (Rz. 12). Anders als der minderjährige Gesellschafter kann der betreute Ge39 Ständige Rspr., s. etwa BGH v. 18.10.2017 – I ZR 6/16, ZIP 2018, 214 LS, Rz. 22; BGH v. 19.6.2006 – II ZR 337/05, ZIP 2006, 1391 Rz. 2 f.; BGH v. 28.2.1966 – VII ZR 125/65, NJW 1966, 1911, 1911 (dort auch m.w.N. zur Rechtsprechung des RG). 40 Vgl. BGH v. 1.2.2012 – VIII ZR 307/10, NJW 2012, 1718 Rz. 21; BGH v. 13.11.1995 – II ZR 113/94, ZIP 1996, 68, 69. 41 BGH v. 29.10.2020 – IX ZR 212/19, ZIP 2021, 581 LS 1, Rz. 10; BGH v. 18.10.2017 – I ZR 6/16, ZIP 2018, 214 LS, Rz. 23 ff. 42 Eingehend Scholz, ZfPW 2019, 297, 302 ff.; zust. Bayer in FS E. Vetter, 2019, S. 51, 75 ff.; MaierReimer/Finkenauer in Erman, 16. Aufl. 2020, § 181 BGB Rz. 2; Schubert in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2021, § 164 BGB Rz. 102; Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, § 714 BGB Rz. 7b. 43 Eingehend Scholz, ZfPW 2019, 297, 310 ff.
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Vertretung der Gesellschaft | Rz. 52 § 124 HGB
sellschafter die Gesellschaft jedoch grundsätzlich selbst organschaftlich vertreten; nur wenn ein Einwilligungsvorbehalt nach § 1825 Abs. 1 BGB (§ 1903 Abs. 1 BGB a.F.) angeordnet ist, bedarf er der Zustimmung des Betreuers für die Abgabe von Willenserklärungen, welche für die Gesellschaft nicht lediglich rechtlich vorteilhaft bzw. neutral sind (§ 720 BGB Rz. 14).
V. Entzug organschaftlicher Vertretungsmacht (Abs. 5) Nach § 124 Abs. 5 HGB kann einem Gesellschafter die Vertretungsbefugnis in entsprechen- 48 der Anwendung von § 116 Abs. 5 HGB ganz oder teilweise entzogen werden. Danach kann etwa eine Einzelvertretungsbefugnis auf eine Gesamtvertretungsbefugnis oder eine Gesamtvertretungsbefugnis mit einem weiteren Gesellschafter auf eine Gesamtvertretungsbefugnis mit zwei weiteren Gesellschaftern beschränkt werden.44 Auch eine Gesamtvertretungsbefugnis mit einem Prokuristen kann nicht nur vollständig entzogen, sondern im Wege der teilweisen Entziehung auch in eine Gesamtvertretungsbefugnis mit einem weiteren Gesellschafter umgestaltet werden. Denn ausgehend vom Zweck der Vorschrift, die übrigen für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft persönlich haftbaren Gesellschafter zu schützen,45 muss es bei Vorliegen eines wichtigen Grundes auch möglich sein, die Ausübung der Vertretungsmacht „enger“ an die anderen Gesellschafter zu binden. Darüber hinaus ändert die Anordnung einer gemischten Gesamtvertretungsbefugnis i.S.d. § 124 Abs. 3 HGB nichts daran, dass die Prokura gem. § 50 Abs. 1, § 116 Abs. 2 Satz 3 HGB jederzeit von jedem geschäftsführungsbefugten Gesellschafter widerrufen werden kann. Im Falle eines solchen Widerrufs wandelt sich die gemischte Gesamtvertretungsbefugnis in eine echte Gesamtvertretungsbefugnis (Rz. 26). Die Möglichkeit zur Beschränkung nach § 124 Abs. 5 HGB besteht jedoch nur in den durch 49 § 124 Abs. 4 HGB gezogenen Grenzen. Auch bei Vorliegen eines wichtigen Grundes erlaubt die Vorschrift daher im Grundsatz keine sachliche Beschränkung der Vertretungsmacht; denkbar bleibt jedoch eine Filialbeschränkung, wenn die Voraussetzungen des § 124 Abs. 4 Satz 4 HGB erfüllt sind. Darüber hinaus kann auf Grund des Prinzips der zwingenden Selbstorganschaft weder dem 50 einzigen Komplementär noch allen Gesellschaftern die Vertretungsbefugnis entzogen werden.46 Sind jedoch noch weitere persönlich haftende Gesellschafter vorhanden, wird die gesellschaftsvertragliche Vertretungsregelung lediglich mit den in Rz. 20 dargestellten Konsequenzen undurchführbar, wenn dem bislang einzigen nicht von der Vertretungsbefugnis ausgeschlossenen Gesellschafter die Einzelvertretungsbefugnis entzogen wird.47 Dagegen ist die Möglichkeit zum Entzug der Vertretungsbefugnis gesellschaftsvertraglich 51 nicht abdingbar. Der Wortlaut („sofern im Gesellschaftsvertrag nichts anderes vereinbart ist“) legt zwar das Gegenteil nahe. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Formulierung jedoch lediglich klarstellen, dass das aus dem Verweis auf § 116 Abs. 5 HGB abgeleitete Erfordernis einer Gestaltungsklage (Rz. 53) abbedungen werden kann.48 Über den Verweis auf § 116 Abs. 5 HGB erfordert der Entzug der Vertretungsmacht einen 52 wichtigen Grund. Insofern gelten dieselben Grundsätze wie für den Entzug der Geschäfts-
44 Vgl. auch Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 164. 45 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 125 HGB Rz. 1. 46 BGH v. 25.5.1964 – II ZR 42/62, BGHZ 41, 367, 369 = NJW 1964, 1624, 1624; BGH v. 9.12.1968 – II ZR 33/67, BGHZ 51, 198 LS. 47 Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 127 HGB Rz. 1. 48 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 241. Ceesay | 919
§ 124 HGB Rz. 52 | Offene Handelsgesellschaft führungsbefugnis (§ 116 HGB Rz. 30 i.V.m. § 715 BGB Rz. 61 ff.), einschließlich der Möglichkeit, auf das Erfordernis des wichtigen Grundes gesellschaftsvertraglich zu verzichten49. 53 Ebenso wie für den Entzug der Geschäftsführungsbefugnis genügt für einen Entzug der Ver-
tretungsbefugnis nach § 124 Abs. 5 HGB – anders als in der GbR (§ 720 BGB Rz. 64) – ein Beschluss der Gesellschafterversammlung nicht. Vielmehr erfolgt der Entzug durch gerichtliche Entscheidung auf Antrag der anderen Gesellschafter, die dabei als notwendige Streitgenossen i.S.v. § 62 ZPO handeln, sich jedoch auch zur Klage in Prozessstandschaft ermächtigen können50. Weigern sich einzelne Gesellschafter mitzuwirken, ist ihre Zustimmung auch bei Vorliegen eines wichtigen Grundes nicht verzichtbar; sie kann aber ihrerseits eingeklagt und die Zustimmungsklage mit der Entziehungsklage verbunden werden.51 Die Kodifikation der actio pro socio in § 715b BGB hat an diesem prozessualen Rahmen nichts geändert, weil es sich bei der Entziehung der Vertretungsmacht nicht um einen „Anspruch der Gesellschaft gegen einen anderen Gesellschafter“ handelt.
54 Die Vertretungsbefugnis entfällt erst mit Rechtskraft des Urteils.52 Bis dahin können die Ver-
tretungsverhältnisse nach allgemeinen Grundsätzen durch einstweilige Verfügung vorläufig geregelt werden. Das gerichtliche Ermessen reicht dabei von einem vorläufigen Entzug der Vertretungsmacht über die vorläufige teilweise Entziehung bis zur Übertragung der Vertretungsmacht auf einen anderen Gesellschafter; in liquidationsähnlichen Sonderlagen ist sogar die Übertragung auf einen Nicht-Gesellschafter möglich.53 Verweigern einzelne Gesellschafter ihre Mitwirkung, bedarf es insofern keines weiteren Verfahrens; eine einstweilige Verfügung kann aber nur ergehen, wenn die dissentierenden Gesellschafter ebenfalls – als Antragsgegner – in das Verfahren einbezogen werden.54 55 Bei der vollständigen und der teilweisen Entziehung der Vertretungsbefugnis handelt es sich
prozessual um verschiedene Streitgegenstände, weil hierdurch der Gesellschaftsvertrag in anderer Weise umgestaltet wird und die Dispositionsmaxime insoweit engere Grenzen als § 140 BGB für die Umdeutung von Rechtsgeschäften zieht.55 Bevor eine Klage auf vollständigen Entzug der Vertretungsbefugnis aus diesem Grunde abgewiesen wird, kann jedoch § 139 Abs. 2 ZPO einen gerichtlichen Hinweis erfordern; für die Kläger empfiehlt es sich in jedem Fall, einen Hauptantrag auf vollständige bzw. weitergehende Entziehung mit einem Hilfsantrag auf teilweise Entziehung zu verbinden.56 56 Wie § 124 Abs. 5 HGB klarstellt, kann von dem Erfordernis einer Gestaltungsklage durch
gesellschaftsvertragliche Regelung abgewichen werden.57 Wie in der GbR (§ 720 Abs. 4 i.V.m. § 715 Abs. 5 BGB) ist dann lediglich ein Beschluss der Gesellschafterversammlung erforderlich, wobei der Betroffene als Richter in eigener Sache vom Stimmrecht ausgeschlossen ist
49 BGH v. 23.10.1972 – II ZR 31/70, NJW 1973, 651, 651; Roth in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 117 HGB Rz. 12. 50 K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 127 HGB Rz. 19. 51 Vgl. BGH v. 25.4.1983 – II ZR 170/82, ZIP 1983, 1066, 1066 = GmbHR 1983, 301 (zur gerichtlichen Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis). 52 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 127 HGB Rz. 24; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 344d (Stand: 01/2022). 53 BGH v. 11.7.1960 – II ZR 260/59, BGHZ 33, 105, 107 ff. = NJW 1960, 1997 f.; Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 127 HGB Rz. 19; Wertenbruch in Westermann/ Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 342 f. (Stand: 01/2022). 54 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 442b (Stand: 01/2022); K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 127 HGB Rz. 31; a.A. Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 127 HGB Rz. 20. 55 BGH v. 10.12.2001 – II ZR 139/00, ZIP 2002, 396, 397. 56 K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 127 HGB Rz. 22. 57 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 241.
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Vertretung der Gesellschaft | Rz. 62 § 124 HGB
(§ 720 BGB Rz. 30). Ob dieses Stimmverbot auch greift, wenn ein wichtiger Grund tatsächlich nicht vorliegt, ist nach dem Normalstatut der OHG insofern relevant, als das Fehlen eines wichtigen Grundes keinen Nichtigkeitsgrund nach § 110 Abs. 2 HGB darstellt; wäre der Betroffene schon bei dem begründeten Verdacht eines wichtigen Grundes vom Stimmrecht ausgeschlossen, läge die Anfechtungslast insoweit theoretisch bei ihm. Letztlich richtet sich die Anfechtungslast jedoch nach dem i.S.v. § 112 Abs. 2 HGB bekanntgegebenen – und damit implizit auch festgestellten58 – Beschlussinhalt, während es bei der gerichtlichen Überprüfung der Wirksamkeit des Gesellschafterbeschlusses ohnehin nur darauf ankommt, ob ein wichtiger Grund im Zeitpunkt der Beschlussfassung vorlag oder nicht59. Rechtfertigt der wichtige Grund zwar einen teilweisen, aber keinen vollständigen Entzug der Vertretungsmacht, kann der Beschluss gem. § 140 BGB entsprechend umgedeutet werden; dass es sich zivilprozessual um verschiedene Streitgegenstände handelt (Rz. 55), steht dem nicht entgegen (s. § 720 BGB Rz. 64). Auch während des Anfechtungsprozesses besteht die Möglichkeit einstweiligen Rechtsschutzes (Rz. 54).60 Wird infolge des Entzugs der Vertretungsbefugnis eine gesellschaftsvertragliche Vertre- 57 tungsregelung undurchführbar und nicht gleichzeitig angepasst, müssen die Vertretungsbefugnisse der verbleibenden Gesellschafter durch (ergänzende) Vertragsauslegung ermittelt werden (Rz. 19). Eine Kündigung bzw. Niederlegung der Vertretungsbefugnis hat der Gesetzgeber im Ge- 58 gensatz zu § 116 Abs. 6 BGB bewusst nicht vorgesehen, da die Vertretungsbefugnis eines Gesellschafters keine Tätigkeitspflicht begründet, deren Fortbestehen für ihn unzumutbar werden könnte.61 Weigert sich ein Gesellschafter, an der Vertretung der Gesellschaft mitzuwirken, kann dies jedoch einen wichtigen Grund darstellen, um ihm die Vertretungsbefugnis gem. § 124 Abs. 5 HGB zu entziehen.
VI. Passivvertretung (Abs. 6) Nach § 124 Abs. 6 HGB genügt die Abgabe gegenüber einem vertretungsbefugten Gesell- 59 schafter, wenn der Gesellschaft gegenüber eine Willenserklärung abzugeben ist. Das erleichtert im Interesse des Rechtsverkehrs den Zugang von Willenserklärungen im Falle einer Gesamtvertretungsregelung. Ebenso genügt nach § 124 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 6 HGB die Abgabe gegenüber einem 60 Prokuristen, an dessen Mitwirkung die Vertretungsbefugnis eines Gesellschafters nach § 125 Abs. 3 Satz 1 HGB gebunden wurde (Rz. 28). Besonderheiten ergeben sich einerseits bei minderjährigen Gesellschaftern: Sind diese nicht 61 analog § 112 Abs. 1 Satz 1 BGB mit Zustimmung des Familiengerichts zur organschaftlichen Vertretung und Geschäftsführung der Gesellschaft ermächtigt (§ 720 BGB Rz. 12), werden nur Erklärungen, die der Gesellschaft lediglich einen rechtlichen Vorteil bringen, gem. § 131 Abs. 2 Satz 1 BGB unmittelbar mit Zugang bei dem Minderjährigen für die Gesellschaft wirksam; im Übrigen bleibt der Zugang bei dem gesetzlichen Vertreter des minderjährigen Gesellschafter nach § 131 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 BGB erforderlich. Bei betreuten Gesellschaftern gilt § 124 Abs. 6 HGB hingegen grundsätzlich uneingeschränkt 62 (Rz. 12). Nur wenn ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet ist, gelten gem. § 131 Abs. 2 i.V.m. 58 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 231. 59 Vgl. BGH v. 4.4.2017 – II ZR 77/16, ZIP 2017, 1065 Rz. 14 = GmbHR 2017, 701. 60 Reichert/Winter, BB 1988, 981, 990 f.; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 127 HGB Rz. 27. 61 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 164 (zu § 720 BGB). Ceesay | 921
§ 124 HGB Rz. 62 | Offene Handelsgesellschaft § 1825 Abs. 1 Satz 2 BGB (§ 1903 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F.) die gleichen Grundsätze wie für minderjährige Gesellschafter (Rz. 61).
§ 125 HGB Angaben auf Geschäftsbriefen (1) 1Auf allen Geschäftsbriefen der Gesellschaft, gleichviel welcher Form, die an einen bestimmten Empfänger gerichtet werden, müssen die Firma und der Sitz der Gesellschaft, das Registergericht und die Nummer, unter der die Gesellschaft in das Handelsregister eingetragen ist, angegeben werden. 2Bei einer Gesellschaft, bei der kein Gesellschafter eine natürliche Person ist, sind auf den Geschäftsbriefen der Gesellschaft ferner die Firmen oder Namen der Gesellschafter anzugeben sowie für die Gesellschafter die nach § 35a des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung oder § 80 des Aktiengesetzes für Geschäftsbriefe vorgeschriebenen Angaben zu machen. 3Die Angaben nach Satz 2 sind nicht erforderlich, wenn zu den Gesellschaftern der Gesellschaft eine rechtsfähige Personengesellschaft gehört, bei der mindestens ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist. (2) 1Für Vordrucke und Bestellscheine ist § 37a Absatz 2 und 3 entsprechend anzuwenden. 2Für Zwangsgelder gegen die zur Vertretung der Gesellschaft befugten Gesellschafter oder deren organschaftliche Vertreter und die Liquidatoren ist § 37a Absatz 4 entsprechend anzuwenden. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. II. 1. 2. 3.
Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Geschäftsbriefe (Abs. 1) Anwendungsbereich: Geschäftsbriefe . . . 8 Angaben zur Gesellschaft (Satz 1) . . . . . . 12 Zusatzangaben über Gesellschafter bei Gesellschaften ohne natürliche Person als Gesellschafter (Satz 2) . . . . . . . . . . . . . 14
III. Vordrucke und Bestellscheine (Abs. 2 Satz 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 IV. Zwangsgeld (Abs. 2 Satz 2) . . . . . . . . . . . 20 V. Zivilrechtliche Rechtsfolgen . . . . . . . . . . 22
Schrifttum: Bredol, Angaben auf Geschäftsbriefen bei Handeln Dritter, NZG 2017, 611; Hoeren/Pfaff, Pflichtangaben im elektronischen Geschäftsverkehr aus juristischer und technischer Sicht, MMR 2007, 207.
I. Grundlagen 1 Die Vorschrift übernimmt § 125a HGB a.F. mit der Klarstellung,1 dass auf Geschäftsbriefen
nicht nur die Rechtsform, sondern die – gem. § 19 HGB den Rechtsformzusatz einschließende – Firma der Gesellschaft angegeben werden muss.2
1 Zur Notwendigkeit, die Firma der Gesellschaft anzugeben, bereits zuvor Habersack in Habersack/ Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 125a HGB Rz. 8; Hoffmann/Barlitz in Heymann, 3. Aufl. 2019, § 125a HGB Rz. 12; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 125a HGB Rz. 9. 2 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 241 f.
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Angaben auf Geschäftsbriefen | Rz. 5 § 125 HGB
Im Gegensatz zu den anderen Vorschriften des dritten Titels reicht die Entstehungsge- 2 schichte von § 125 HGB nicht auf die ursprüngliche Fassung des HGB (und weiter) zurück. Die Vorgängervorschrift, § 125a HGB a.F. (Rz. 1), wurde durch die GmbH-Novelle 1980 mit einer Reihe neuer Gläubigerschutzvorschriften für die GmbH & Co. KG eingeführt,3 beschränkte sich seinerzeit darauf, die für GmbH und AG geltenden Transparenzvorschriften im Interesse „der besseren Durchschaubarkeit“ auf OHG ohne natürliche Personen als Gesellschafter zu erstrecken.4 Ihren heutigen Regelungsgehalt erhielt die Vorschrift erst durch das Handelsrechtsreformgesetz, das mit § 37a HGB gleichzeitig eine allgemeine Pflicht, entsprechende Angaben zu machen, für alle Kaufleute eingeführt hat.5 Durch das EHUG wurde § 125a HGB a.F. wiederum im Gleichschritt mit § 37a HGB um die Formulierung „Geschäftsbriefe, gleichviel welcher Form,“ ergänzt,6 um die „Geltung des § 37a und vergleichbarer Vorschriften auch für Telefaxe, E-Mails etc., also ohne Unterscheidung nach der äußeren Form der Schreiben,“ klarzustellen.7 Anders als die Parallelregelungen in § 35a GmbHG und § 80 AktG geht § 125 HGB nicht auf 3 europäische Vorgaben der Publizitäts-RL in Gestalt von Art. 26 GesR-RL8 zurück.9 Im Zuge des EHUG hat der Gesetzgeber jedoch deutlich gemacht, dass ihm „eine einheitliche Regelung für alle nach deutschem Recht insoweit Verpflichteten […] aber unumgänglich und notwendig [erscheint]. Der Geschäftsverkehr soll sich nicht auf verschiedene Standards bei Personen, Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften einstellen müssen“.10 Vor diesem Hintergrund ist für eine gespaltene Auslegung kein Raum, so dass die gegebenenfalls auftretende Notwendigkeit, § 35a GmbHG, § 80 AktG richtlinienkonform auszulegen, sowohl § 37a HGB als auch § 125 HGB einschlösse.11 In der Sache dient die Vorschrift insgesamt der Information des Rechts- und Geschäftsver- 4 kehrs, indem sie jede Handelsgesellschaft dazu verpflichtet, den Informationsstandard zu erfüllen, dem alle Kaufleute gem. § 37a HGB unterliegen. Dabei stellt § 37a HGB zwar keine Auffangregelung dar; es folgt schon aus dem Verweis auf § 37a HGB in § 125 Abs. 2 HGB, dass für die OHG § 37a HGB nicht unmittelbar gilt. Aus der Entstehungsgeschichte folgt jedoch das eindeutige Gebot, die parallelen Regelungen in § 37a HGB, § 125 HGB, § 35a GmbHG, § 80 AktG etc. einheitlich auszulegen (Rz. 3). Die in § 125 Abs. 1 Satz 2 HGB verlangten Zusatzinformationen über mehrstöckige Gesell- 5 schaften dienen „der besseren Durchschaubarkeit“12 solcher Gesellschaften, verfolgen mithin primär ebenfalls einen Informationszweck. Die in § 125 Abs. 1 Satz 3 HGB geregelte Ausnahme für Gesellschaften, zu deren Gesellschaftern eine rechtsfähige Personengesellschaft gehört, bei der mindestens ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist, 3 Art. 2 Nr. 2 Gesetz zur Änderung des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung und anderer handelsrechtlicher Vorschriften vom 4.7.1980 (BGBl. I 1980, 836). 4 Begr. RegE GmbH-Novelle, BT-Drucks. 8/1347, 58. 5 Art. 2 Nr. 19, 28 Gesetz zur Neuregelung des Kaufmanns- und Firmenrechts und zur Änderung anderer handels- und gesellschaftsrechtlicher Vorschriften (Handelsrechtsreformgesetz – HRefG) vom 22.6.1998 (BGBl. I 1998, 1474). 6 Art. 1 Nr. 13, 16 Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG) vom 10.11.2006. 7 Begr. RegE EHUG, BT-Drucks. 16/960, 47 f. (zu § 37a HGB). 8 RL (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts, ABl. EU 2017 Nr. L 169, 46. 9 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 125a HGB Rz. 1; s. auch Begr. RegE EHUG, BT-Drucks. 16/960, 47 („EU-Publizitätsrichtlinie erfasst zwar nur Kapitalgesellschaften“). 10 Begr. RegE EHUG, BT-Drucks. 16/960, 47. 11 A.A. Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 125a HGB Rz. 1. 12 Vgl. Begr. RegE GmbH-Novelle, BT-Drucks. 8/1347, 58. Ceesay | 923
§ 125 HGB Rz. 5 | Offene Handelsgesellschaft illustriert indessen, dass die Sonderregelung des § 125 Abs. 1 Satz 2 HGB mit dem Rechtsformgebot des § 19 Abs. 2 HGB korrespondiert13 und den damit bezweckten Gläubigerschutz beim Kontrahieren mit effektiv haftungsbeschränkten Rechtsträgern14 in den Bereich der geschäftlichen Korrespondenz verlängert. 6 Für die Kommanditgesellschaft gilt § 125 HGB bereits über § 161 Abs. 2 HGB. Der aus-
drückliche Verweis in § 177a Satz 1 HGB für Kommanditgesellschaften, bei denen ein Kommanditist eine natürliche Person ist, erweitert lediglich den Anwendungsbereich von § 125 Abs. 1 Satz 2 HGB. Andernfalls würde die Kommanditistenstellung einer natürlichen Person nämlich die Anwendung von § 125 Abs. 1 Satz 2 HGB ausschließen und so den mit § 125 Abs. 1 Satz 2 HGB bezweckten Gläubigerschutz beim Kontrahieren mit haftungsbeschränkten Rechtsträgern (Rz. 5) gerade im Paradefall der GmbH & Co. KG konterkarieren. Die missverständliche Formulierung des § 177a HGB geht auf die Entstehungsgeschichte beider Vorschriften zurück, da § 125 HGB in seiner Ursprungsfassung ausschließlich für Gesellschaften ohne natürliche Personen als Gesellschafter galt (Rz. 2) und § 177a HGB mit der Erweiterung des § 125 HGB nicht entsprechend angepasst wurde (§ 177a HGB Rz. 7). Nach § 177a Satz 2 HGB brauchen die erweiterten Angaben nach § 125 Abs. 1 Satz 2 HGB nicht für die Kommanditisten gemacht werden. 7 Mit Blick auf den durch § 125 Abs. 1 Satz 2 HGB bezweckten und durch § 177a HGB bestä-
tigten Gläubigerschutz beim Kontrahieren mit effektiv haftungsbeschränkten Rechtsträgern (Rz. 5 f.) muss das Fehlen einer entsprechenden Regelung für die GbR ohne natürliche Personen als Gesellschafter als planwidrige Regelungslücke erscheinen. Deshalb ist § 125 Abs. 1 Satz 2, 3 HGB auf die Kapitalgesellschaft & Co. GbR entsprechend anzuwenden. Im Übrigen liegt das Fehlen einer mit § 125 HGB korrespondierenden Verpflichtung sowohl für die nicht eingetragene als auch für die eingetragene GbR jedoch auf einer Linie mit in der § 37a HGB zum Ausdruck gebrachten gesetzgeberischen Wertentscheidung, nur Kaufleute zu entsprechenden Angaben auf Geschäftsbriefen zu verpflichten.
II. Geschäftsbriefe (Abs. 1) 1. Anwendungsbereich: Geschäftsbriefe 8 Nach § 125 Abs. 1 Satz 1 HGB gelten die Pflichtangaben zur Gesellschaft für Geschäftsbriefe
der Gesellschaft, die an einen bestimmten Empfänger gerichtet werden. Der Informationszweck der Vorschrift verlangt ein weites Begriffsverständnis,15 so dass als Geschäftsbrief jede nach außen gerichtete Mitteilung mit Bezug zur Geschäftstätigkeit der Gesellschaft zu verstehen ist.16 Das schließt Rechnungen und Quittungen17 ebenso wie statusrelevante Schreiben an Arbeitnehmer ein, also insbesondere solche, die das Arbeitsverhältnis begründen, abändern oder beenden18. Dabei sind als Geschäftsbriefe der Gesellschaft sämtliche Mitteilun13 Vgl. auch Begr. RegE GmbH-Novelle, BT-Drucks. 8/1347, 58, wonach für die Ausnahme „die gleichen Gründe maßgebend“ sind wie für die Ausnahme von dem in § 19 Abs. 2 HGB aufgegangenen Rechtsformgebot. 14 Begr. RegE GmbH-Novelle, BT-Drucks. 8/1347, 57: „im Interesse des Gläubigerschutzes erforderlich, die firmenrechtliche Publizität zu verschärfen und schon in der Firma auf die Haftungsbeschränkung hinzuweisen“. 15 Vgl. RegE HRefG, BT-Drucks. 13/8444, 61 (zu § 37a HGB). 16 Siehe nur Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 37a HGB Rz. 10. 17 Vgl. RegE HRefG, BT-Drucks. 13/8444, 61 (zu § 37a HGB). 18 Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 37a HGB Rz. 10; s. auch Beurskens in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 35a GmbHG Rz. 6; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 21. Aufl. 2023, § 35a GmbHG Rz. 2.
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Angaben auf Geschäftsbriefen | Rz. 11 § 125 HGB
gen zu qualifizieren, bei denen der Erklärende – allen voran als Angestellter – innerhalb des Unternehmens steht; eine offene Stellvertretung durch unternehmensfremde Dritte, z.B. eine beauftragte Rechtsanwaltskanzlei, ist der Gesellschaft dagegen unabhängig vom Umfang der eingeräumten Vertretungsmacht nicht zuzurechnen.19 Auf die Form der Mitteilung kommt es nicht an („gleichviel welcher Form“), so dass na- 9 mentlich elektronische Mitteilungen grundsätzlich in den Anwendungsbereich fallen. Das ist für Fax und E-Mail unstreitig.20 Für SMS und andere Medien mit stark begrenzter Zeichenzahl – namentlich Tweets via Twitter – wird hingegen weithin eine teleologische Reduktion befürwortet.21 Für Messenger-Dienste ohne solche Begrenzungen (z.B. WhatsApp, Telegram, Facebook Messenger) wird dies hingegen anders gesehen.22 Tatsächlich spricht ausgehend vom Informationszweck des § 125 HGB einiges für eine teleologische Reduktion in den Fällen, in denen die Nachricht – unabhängig von der Zeichenzahl – mit einem Profil verknüpft ist, das die erforderlichen Angaben enthält. Auf Grund des Gebots, § 125 HGB im Einklang mit § 35a GmbHG, § 80 AktG auszulegen, und der unionsrechtlichen Überformung dieser Vorschriften (Rz. 3) steht indes jedwede einschränkende Auslegung unter dem Vorbehalt eines Vorabentscheidungsverfahrens gem. Art. 267 AEUV über die Auslegung von Art. 26 Abs. 1 GesR-RL. Zwar ergibt sich das Erfordernis, der Geschäftsbrief müsse an einen bestimmten Empfänger 10 gerichtet sein, wohl aus dem Begriff des Geschäftsbriefs selbst, so dass § 125 Abs. 1 Satz 1 HGB nicht grundsätzlich mit Art. 26 Abs. 1 GesR-RL, der eine solche Einschränkung nicht enthält, in Konflikt gerät.23 Deshalb fallen jedenfalls öffentliche Bekanntmachungen und Zeitungsanzeigen aus dem Anwendungsbereich heraus.24 Es ist jedoch zweifelhaft, ob man schlechterdings alle Schreiben an einen unbestimmten Empfängerkreis (einschließlich Werbeschriften und Postwurfsendungen) aus dem Anwendungsbereich ausschließen kann, ohne mit den Vorgaben der Richtlinie in Konflikt zu geraten.25 Jedenfalls haben Massendrucksachen mit individueller Adressierung einen bestimmten Empfänger für die Zwecke des § 125 HGB.26 Nach den Vorgaben aus Art. 26 Abs. 3 GesR-RL muss auch die Website der Gesellschaft die 11 Pflichtangaben für Geschäftsbriefe enthalten. Es ist jedoch unklar, ob sich daraus die Notwendigkeit einer richtlinienkonformen Auslegung der § 35a GmbHG, § 80 AktG und daraus das Gebot ableitet (Rz. 3), §§ 37a, 125 HGB entsprechend auszulegen.27 Denn es liegt nahe, dass der Gesetzgeber diese Vorgabe in § 5 TMG umgesetzt sah, so dass allenfalls diese Vor-
19 Eingehend Bredol, NZG 2017, 611, 612 f. 20 Zu § 37a HGB ausdrücklich Begr. RegE EHUG, BT-Drucks. 16/960, 47 f.; RegE HRefG, BT-Drucks. 13/8444, 61. 21 Hoeren/Pfaff, MMR 2007, 207, 208; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 21. Aufl. 2023, § 35a GmbHG Rz. 2; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 37a HGB Rz. 10; a.A. Beurskens in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 35a GmbHG Rz. 8; Spindler in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 80 AktG Rz. 19. 22 Krebs in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 37a HGB Rz. 7. 23 Vgl. in diesem Sinne zu § 80 AktG Begr. RegE Gesetz zur Durchführung der Ersten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts, BT-Drucks. V/ 3862, 13: „mit der Richtlinie vereinbar, da der Begriff der Briefe in Artikel 4 der Richtlinie, wie sich aus der Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung ergibt, eng auszulegen ist.“ 24 Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 37a HGB Rz. 10. 25 In diesem Sinne auch, wenngleich auf Basis einer gespaltenen Auslegung einen solchen Ausschluss im Rahmen von § 37a HGB bejahend Krebs in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 37a HGB Rz. 6. 26 Vgl. Krebs in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 37a HGB Rz. 6. 27 Dafür Krebs in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 37a HGB Rz. 6; Merkt in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 37a HGB Rz. 4; Schneider/Schneider in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 35a GmbHG Rz. 6. Ceesay | 925
§ 125 HGB Rz. 11 | Offene Handelsgesellschaft schrift richtlinienkonform ausgelegt werden müsste.28 Im Ergebnis besteht so zwar kein Zweifel an der Verpflichtung, entsprechende Angaben auf der Website vorzuhalten. Die gesellschafts- oder telemedienrechtliche Verortung determiniert jedoch sowohl das Rechtsfolgenregime bei Verstößen als auch die Frage, ob Gesellschaften, bei denen kein Gesellschafter eine natürliche Person ist, auf der Website die Zusatzangaben des § 125 Abs. 1 Satz 2 HGB machen müssen.
2. Angaben zur Gesellschaft (Satz 1) 12 Gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 HGB müssen auf Geschäftsbriefen der Gesellschaft (Rz. 8 ff.) die
Firma, Sitz, Registergericht und Registernummer der Gesellschaft angegeben werden. Die Angabe der Firma impliziert dabei im Zusammenspiel mit § 19 HGB die Angabe der Rechtsform.29 Dagegen gebietet die Angabe des Sitzes entsprechend der Differenzierung in § 106 Abs. 2 Nr. 1 HGB nicht zugleich die Angabe der Geschäftsanschrift. Deren Fehlen in der Liste der Pflichtangaben kann auch nicht als Redaktionsversehen qualifiziert werden, da der Geschäftsgegner die Geschäftsanschrift auf Grund der Pflichtangaben durch Einsichtnahme in das Handelsregister in Erfahrung bringen kann. 13 Die Frage, ob bei elektronischen Mitteilungen (Rz. 9) die Angabe eines Hyperlinks genügt,
der auf die Pflichtangaben – z.B. auf das Impressum der Website der Gesellschaft – verweist, ist richtigerweise zu verneinen, da der Inhalt der verlinkten Website jederzeit geändert werden kann.30
3. Zusatzangaben über Gesellschafter bei Gesellschaften ohne natürliche Person als Gesellschafter (Satz 2) 14 Über die Angaben nach § 125 Abs. 1 Satz 1 HGB hinaus („ferner“) verlangt § 125 Abs. 1
Satz 2 HGB, die Firmen oder Namen der Gesellschafter anzugeben. Die Firma schließt gem. § 19 HGB, § 4 GmbHG, § 5a Abs. 1 GmbHG, § 4 AktG den Rechtsformzusatz ein. Die Angabe des Namens des Gesellschafters kommt nur dort zum Zug, wo dieser – wie die rechtsfähige GbR – keine Firma führt.31 15 Darüber hinaus sind „für die Gesellschafter“ die Pflichtangaben nach § 35a GmbHG, § 80
AktG zu machen. Das ist insofern missverständlich, als der Verweis auf § 35a GmbHG, § 80 AktG nur für Gesellschafter gilt, die tatsächlich GmbH oder AG sind.32 Für eine OHG als Gesellschafterin müssen daher keine Angaben nach § 35a GmbHG gemacht werden. Es ist jedoch erkennbar, dass § 125 Abs. 1 Satz 2 HGB die rechtsformspezifischen Pflichtangaben für Geschäftsbriefe gleichsam verlängert, weshalb etwa für eine OHG die Angaben nach 28 Dafür Beurskens in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 35a GmbHG Rz. 5a; s. auch Stephan/ Tieves in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 35a GmbHG Rz. 34 f. 29 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 241 f. 30 Schneider/Schneider in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 35a GmbHG Rz. 7; Stephan/Tieves in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 35a GmbHG Rz. 28; a.A. Beurskens in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 35a GmbHG Rz. 8. 31 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 241 („Da tauglicher Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft auch eine rechtsfähige Personengesellschaft sein kann, sind des Weiteren die Ausnahmetatbestände des geltenden § 125a Absatz 1 Satz 3 HGB hieran entsprechend anzupassen.“). 32 Vgl. bereits Begr. RegE GmbH-Novelle, BT-Drucks. 8/1347, 58: „Gehören zu den Gesellschaftern der OHG Gesellschaften mbH oder Aktiengesellschaften, so sollen nach Satz 2 auf den Geschäftsbriefen der OHG zusätzlich die für diese Gesellschaften vorgeschriebenen Angaben gemacht werden.“
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Angaben auf Geschäftsbriefen | Rz. 18 § 125 HGB
§ 125 Abs. 1 Satz 1 HGB und für eine Genossenschaft die Angaben nach § 25a GenG gemacht werden müssen.33 Darüber hinaus müssen über Gesellschafter, für die es an einer entsprechenden Regelung mangelt (v.a. GbR, Verein und Stiftung), Angaben – soweit vorhanden – über den Sitz, Registergericht und Registernummer gemacht werden.34 Bei der Beteiligung einer Personengesellschaft ohne natürliche Person als persönlich haftenden Gesellschafter gebieten der Informations- und Schutzzweck des § 125 Abs. 1 Satz 2 HGB (Rz. 5) es wiederum, Angaben über deren Gesellschafter entsprechend § 125 Abs. 1 Satz 2 HGB zu machen. Das leitet sich für die Beteiligung einer solchen OHG oder KG bereits aus der Überlegung ab, dass § 125 Abs. 1 Satz 2 HGB lediglich die für den betreffenden Gesellschafter geltenden Pflichtangaben verlängert. Für die Beteiligung einer Kapitalgesellschaft & Co. GbR kann nichts anderes gelten, weil hier der Schutz der Gläubiger der OHG und nicht der GbR in Rede steht. Überdies gebietet der Schutzzweck des § 125 Abs. 1 Satz 2 HGB es ohnehin, ihn auf die Kapitalgesellschaft & Co. GbR entsprechend anzuwenden (Rz. 7). Solche ergänzenden Angaben zu den Gesellschaftern sind nach § 125 Abs. 1 Satz 2 HGB in- 16 des nur bei Gesellschaften, bei denen kein Gesellschafter eine natürliche Person ist, erforderlich. Davon nimmt § 125 Abs. 1 Satz 3 HGB zudem solche Gesellschaften aus, zu deren Gesellschaftern eine rechtsfähige Personengesellschaft gehört, bei der mindestens ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist. Entsprechend dem Schutzzweck der Vorschrift ist diese Ausnahme analog auf alle Konstellationen anzuwenden, in denen am Ende der Kette von Beteiligungen rechtsfähiger Personengesellschaften eine natürliche Person unbeschränkt persönlich für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft haftet, so dass die OHG keinen Rechtsformzusatz nach § 19 Abs. 2 HGB führen muss.35
III. Vordrucke und Bestellscheine (Abs. 2 Satz 1) Für Vordrucke und Bestellscheine verweist § 125 Abs. 2 Satz 1 HGB auf § 37a Abs. 2, 3 HGB. 17 Damit statuiert die Vorschrift für bestimmte Vordrucke im Rahmen einer bestehenden Geschäftsverbindung eine Ausnahme von den Pflichtangaben des § 125 Abs. 1 HGB (Rz. 18). Gleichzeitig stellt sie klar, dass die Angaben auf Bestellscheinen jedenfalls gemacht werden müssen (Rz. 19). Gemäß § 125 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 37a Abs. 2 HGB bedarf es der Angaben nach § 125 Abs. 1 18 HGB nicht bei Mitteilungen und Berichten, die im Rahmen einer bestehenden Geschäftsverbindung ergehen und für die üblicherweise – auch im konkreten Fall36 – Vordrucke verwendet werden, in denen lediglich die im Einzelfall erforderlichen besonderen Angaben eingefügt zu werden brauchen. Wie das Erfordernis, der Geschäftsbrief müsse an einen bestimmten Empfänger gerichtet sein (Rz. 10), trägt allerdings auch diese Ausnahme nur insoweit, wie sie dem Begriff des Geschäftsbriefs immanent ist, denn auch sie findet keine Entsprechung in Art. 26 GesR-RL (zur Notwendigkeit richtlinienkonformer Auslegung s. Rz. 3).37 Auf dieser
33 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 125a HGB Rz. 9. 34 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 125a HGB Rz. 9; K. Schmidt/ Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 125a HGB Rz. 11. 35 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 125a HGB Rz. 4; Roth in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 125a HGB Rz. 4; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 125a HGB Rz. 4; a.A. Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 1. 36 Merkt in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 37a HGB Rz. 5. 37 Vgl. auch Fleischer in BeckOGK/AktG, § 80 AktG Rz. 8 (Stand: 1.2.2022) (Vereinbarkeit „nur bei einer engen Auslegung“); Krebs in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 37a HGB Rz. 13 („möglicherweise richtlinienwidrig“). Ceesay | 927
§ 125 HGB Rz. 18 | Offene Handelsgesellschaft Überlegung gründet auch die entsprechende Regelung in § 80 Abs. 2 AktG.38 Vor diesem Hintergrund beschränkt sich die Ausnahme richtigerweise auf reine Informationsmitteilungen.39 Unabhängig von den europäischen Vorgaben impliziert das Erfordernis einer bestehenden Geschäftsverbindung jedenfalls, dass der Adressat die – aktuellen – Angaben gem. § 125 Abs. 1 HGB bereits erhalten hat.40 19 Im Einklang mit dieser restriktiven Auslegung des § 37a Abs. 2 HGB stellt § 125 Abs. 2 Satz 1
i.V.m. § 37a Abs. 3 HGB klar, dass Bestellscheine als Geschäftsbriefe gelten und von der Ausnahme nicht erfasst werden.
IV. Zwangsgeld (Abs. 2 Satz 2) 20 Nach § 125 Abs. 2 Satz 2 HGB ist für Zwangsgelder gegen die zur Vertretung der Gesellschaft
befugten Gesellschafter oder deren organschaftliche Vertreter und die Liquidatoren § 37a Abs. 4 HGB entsprechend anzuwenden. Das heißt, dass das Registergericht bei Verstößen gegen die Pflichten aus § 125 Abs. 1 HGB ein Zwangsgeld gegen die vertretungsbefugten Gesellschafter der Gesellschaft bzw. gegen die organschaftlichen Vertreter der an der Gesellschaft beteiligten juristischen Personen festsetzen kann. Dabei darf das einzelne Zwangsgeld gem. § 125 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 37a Abs. 4 Satz 2, § 14 Satz 2 HGB fünftausend Euro nicht übersteigen. 21 Dagegen eröffnet § 125 Abs. 2 Satz 2 HGB die Möglichkeit zur Zwangsgeldfestsetzung nicht
gegen die Gesellschaft.
V. Zivilrechtliche Rechtsfolgen 22 Hinsichtlich der zivilrechtlichen Rechtsfolgen von Verstößen gegen § 125 Abs. 1 HGB ist we-
niger zwischen den allgemeinen Pflichtangaben über die Gesellschaft gem. § 125 Abs. 1 Satz 1 HGB und den ergänzenden Pflichtangaben für effektiv haftungsbeschränkte Gesellschaften gem. § 125 Abs. 1 Satz 2 HGB als zwischen den Pflichtangaben für Gesellschaften innerhalb und außerhalb des Anwendungsbereichs des § 125 Abs. 1 Satz 2 HGB zu differenzieren: Für Gesellschaften außerhalb des Anwendungsbereichs von § 125 Abs. 1 Satz 2 HGB dienen die Pflichtangaben ausschließlich der Information des Rechtsverkehrs (Rz. 4). Unabhängig von der Qualifikation des § 125 Abs. 1 Satz 1 HGB als Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB41 wird das Unterlassen der Pflichtangaben daher kaum einmal zu einem Schaden oder anfechtungsrelevanten Irrtum führen. Lediglich im Rahmen von bestehenden Geschäftsverbindungen kann die unterlassene Mitteilung veränderter Informationen einen Rechtsschein begründen, der sich gegen § 15 Abs. 2 HGB durchsetzt.42 Angesichts der rudimentären Pflichtangaben (Rz. 12) kommt jedoch auch einer solchen Rechtsscheinhaftung nur beschränkte Bedeutung zu; allenfalls muss sich die Gesellschaft gem. § 17 ZPO noch an ihrem vormaligen Sitz verklagen lassen.
38 Begr. RegE Gesetz zur Durchführung der Ersten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts, BT-Drucks. V/3862, 13: „Es handelt sich insoweit um keine Briefe im Sinne des Artikels 4 der Richtlinie.“ 39 Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 19. 40 Krebs in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 37a HGB Rz. 13; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 20. 41 So die herrschende Meinung, s. nur K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 125a HGB Rz. 17 m.w.N. 42 Krebs in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 37a HGB Rz. 16.
928 | Ceesay
Persönliche Haftung der Gesellschafter | § 126 HGB
Für Gesellschaften im Anwendungsbereich von § 125 Abs. 1 Satz 2 HGB stellen bereits die 23 Pflichtangaben nach § 125 Abs. 1 Satz 1 HGB sicher, dass der Geschäftsgegner über die beschränkte Haftung in Kenntnis gesetzt wird. Denn mit der Information über die Firma geht die Offenlegung des die beschränkte Haftung kennzeichnenden Rechtsformzusatzes gem. § 19 Abs. 2 HGB einher. Daher müssen bei unterlassener Angabe der den entsprechenden Rechtsformzusatz einschließenden Firma die Rechtsprechungsgrundsätze über die Vertreterhaftung analog § 179 BGB beim Zeichnen ohne Rechtsformzusatz zur Anwendung gelangen.43 Da § 125 Abs. 1 Satz 2 HGB den mit § 19 Abs. 2 HGB bezweckten Gläubigerschutz beim Kontrahieren mit effektiv haftungsbeschränkten Rechtsträgern verlängert, liegt es auf den ersten Blick nahe, diese Rechtsprechung auch bei Verstößen gegen § 125 Abs. 1 Satz 2 HGB zur Anwendung zu bringen.44 Wurden jedoch die Angaben nach § 125 Abs. 1 Satz 1 HGB korrekt gemacht, ist die Haftungsbeschränkung bereits durch die den Rechtsformzusatz gem. § 19 Abs. 2 HGB einschließende Firma kenntlich gemacht. Unter diesen Umständen kann dem Vertretenden nicht vorgeworfen werden, einen Vertrauenstatbestand geschaffen zu haben, dass dem Geschäftsgegner zumindest eine natürliche Person unbeschränkt mit ihrem Privatvermögen haften würde.45 Solange die beschränkte Haftung deutlich gemacht wurde, bleibt es für Verstöße gegen § 125 Abs. 1 Satz 2 HGB dann ebenso wie für Verstöße gegen § 125 Abs. 1 Satz 1 HGB bei den für Gesellschaften außerhalb des Anwendungsbereichs des § 125 Abs. 1 Satz 2 HGB dargestellten Konsequenzen (Rz. 22).
§ 126 HGB Persönliche Haftung der Gesellschafter 1Die
Gesellschafter haften für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft den Gläubigern als Gesamtschuldner persönlich. 2Eine entgegenstehende Vereinbarung ist Dritten gegenüber unwirksam.
In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Grundlagen 1. Entstehungsgeschichte; Sinn und Zweck 1 2. Verhältnis zur Beschränkung der Minderjährigenhaftung (§ 1629a BGB) . . . . . . . . 5 II. Persönliche Haftung für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft (Satz 1) 1. Haftungsvoraussetzungen a) Gesellschaftsverbindlichkeit . . . . . . . . 11 b) Gesellschafterstellung . . . . . . . . . . . . . . 14 2. Haftungsmodalitäten a) Haftungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
3. 4.
III. IV.
b) Gesamtschuldnerische Haftung . . . . . c) Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forthaftung bei Ausscheiden . . . . . . . . . . Rückgriff gegenüber Gesellschaft und Mitgesellschaftern a) Rückgriff gegenüber der Gesellschaft b) Rückgriff gegenüber Mitgesellschaftern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abweichende Vereinbarungen (Satz 2) Prozessuales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21 23 25
28 31 38 40
Schrifttum: Der Regress gegen Mitgesellschafter bei Personenhandelsgesellschaften, FS Karsten Schmidt, 2009, S. 357; Fleischer, Zu den Haftungsmodalitäten des § 128 HGB: Rechtsgeschichte – Rechtsverglei43 Zuletzt BGH v. 13.1.2022 – III ZR 210/20, ZIP 2022, 481 Rz. 22 = GmbHR 2022, 351. 44 Siehe nur Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 125a HGB Rz. 7; Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 125a HGB Rz. 12. 45 Vgl. BGH v. 13.1.2022 – III ZR 210/20, ZIP 2022, 481 Rz. 22 = GmbHR 2022, 351. Ceesay | 929
Persönliche Haftung der Gesellschafter | § 126 HGB
Für Gesellschaften im Anwendungsbereich von § 125 Abs. 1 Satz 2 HGB stellen bereits die 23 Pflichtangaben nach § 125 Abs. 1 Satz 1 HGB sicher, dass der Geschäftsgegner über die beschränkte Haftung in Kenntnis gesetzt wird. Denn mit der Information über die Firma geht die Offenlegung des die beschränkte Haftung kennzeichnenden Rechtsformzusatzes gem. § 19 Abs. 2 HGB einher. Daher müssen bei unterlassener Angabe der den entsprechenden Rechtsformzusatz einschließenden Firma die Rechtsprechungsgrundsätze über die Vertreterhaftung analog § 179 BGB beim Zeichnen ohne Rechtsformzusatz zur Anwendung gelangen.43 Da § 125 Abs. 1 Satz 2 HGB den mit § 19 Abs. 2 HGB bezweckten Gläubigerschutz beim Kontrahieren mit effektiv haftungsbeschränkten Rechtsträgern verlängert, liegt es auf den ersten Blick nahe, diese Rechtsprechung auch bei Verstößen gegen § 125 Abs. 1 Satz 2 HGB zur Anwendung zu bringen.44 Wurden jedoch die Angaben nach § 125 Abs. 1 Satz 1 HGB korrekt gemacht, ist die Haftungsbeschränkung bereits durch die den Rechtsformzusatz gem. § 19 Abs. 2 HGB einschließende Firma kenntlich gemacht. Unter diesen Umständen kann dem Vertretenden nicht vorgeworfen werden, einen Vertrauenstatbestand geschaffen zu haben, dass dem Geschäftsgegner zumindest eine natürliche Person unbeschränkt mit ihrem Privatvermögen haften würde.45 Solange die beschränkte Haftung deutlich gemacht wurde, bleibt es für Verstöße gegen § 125 Abs. 1 Satz 2 HGB dann ebenso wie für Verstöße gegen § 125 Abs. 1 Satz 1 HGB bei den für Gesellschaften außerhalb des Anwendungsbereichs des § 125 Abs. 1 Satz 2 HGB dargestellten Konsequenzen (Rz. 22).
§ 126 HGB Persönliche Haftung der Gesellschafter 1Die
Gesellschafter haften für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft den Gläubigern als Gesamtschuldner persönlich. 2Eine entgegenstehende Vereinbarung ist Dritten gegenüber unwirksam.
In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Grundlagen 1. Entstehungsgeschichte; Sinn und Zweck 1 2. Verhältnis zur Beschränkung der Minderjährigenhaftung (§ 1629a BGB) . . . . . . . . 5 II. Persönliche Haftung für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft (Satz 1) 1. Haftungsvoraussetzungen a) Gesellschaftsverbindlichkeit . . . . . . . . 11 b) Gesellschafterstellung . . . . . . . . . . . . . . 14 2. Haftungsmodalitäten a) Haftungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
3. 4.
III. IV.
b) Gesamtschuldnerische Haftung . . . . . c) Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forthaftung bei Ausscheiden . . . . . . . . . . Rückgriff gegenüber Gesellschaft und Mitgesellschaftern a) Rückgriff gegenüber der Gesellschaft b) Rückgriff gegenüber Mitgesellschaftern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abweichende Vereinbarungen (Satz 2) Prozessuales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Schrifttum: Der Regress gegen Mitgesellschafter bei Personenhandelsgesellschaften, FS Karsten Schmidt, 2009, S. 357; Fleischer, Zu den Haftungsmodalitäten des § 128 HGB: Rechtsgeschichte – Rechtsverglei43 Zuletzt BGH v. 13.1.2022 – III ZR 210/20, ZIP 2022, 481 Rz. 22 = GmbHR 2022, 351. 44 Siehe nur Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 125a HGB Rz. 7; Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 125a HGB Rz. 12. 45 Vgl. BGH v. 13.1.2022 – III ZR 210/20, ZIP 2022, 481 Rz. 22 = GmbHR 2022, 351. Ceesay | 929
§ 126 HGB Rz. 1 | Offene Handelsgesellschaft chung – Rechtsökonomie, FS K. Schmidt, 2019, S. 325; Haas/Keller, Die örtliche und internationale Zuständigkeit für Ansprüche nach § 128 HGB, ZZP 126 (2013), 335; Habersack, Das neue Gesetz zur Beschränkung der Haftung Minderjähriger, FamRZ 1999, 1; Habersack, Der Regress bei akzessorischer Haftung, AcP 198 (1998), 152; Koechel, Zur Gesellschafterhaftung gem. § 128 S. 1 HGB für eine auf Abgabe einer Willenserklärung gerichtete Gesellschaftsverbindlichkeit, NZG 2020, 127; Sanders/Berisha, Der persönlich haftende Gesellschafter, NZG 2020, 1290; K. Schmidt, § 1629a BGB oder: über den Umgang mit einer rechtstechnisch misslungenen Vorschrift, FS Derleder, 2005, S. 601; K. Schmidt, Persönliche Gesellschafterhaftung in der Insolvenz, ZHR 174 (2010), 163; Scholz, Das Prozessrecht der akzessorischen Gesellschafterhaftung, ZZP 136 (2023), 221; Wiesner, Haftung ausgeschiedener OHG-Gesellschafter für öffentlich-rechtliche Gesellschaftsverbindlichkeiten, FS Hellwig, 2010, S. 413.
I. Grundlagen 1. Entstehungsgeschichte; Sinn und Zweck 1 Die Vorschrift ist die Zentralnorm im Normenkomplex der §§ 126–128 HGB, der das Re-
gime der akzessorischen Gesellschafterhaftung nach §§ 128, 129, 130 Abs. 1–3 HGB a.F. ohne Änderungen fortführt. Ergänzend stellt § 129 Abs. 2 HGB entsprechend § 129 Abs. 4 HGB a.F. klar, dass eine Zwangsvollstreckung gegen die Gesellschafter eines gegen diese persönlich gerichteten Vollstreckungstitels bedarf. 2 Während die Rechtsprechung vor dem MoPeG die §§ 128 ff. HGB a.F. für die GbR entspre-
chend herangezogen hatte,1 finden sich heute wortlautidentische Regelungen für die GbR in §§ 721–721b BGB. Mit deren Einführung sollte das Haftungsregime der Gesellschaft bürgerlichen Rechts „vollständig an dasjenige der offenen Handelsgesellschaft angeglichen“ werden.2 Daraus leitet sich das Gebot ab, die Regelungen einheitlich auszulegen. Hiervon ausgehend, kann für die Kommentierung des § 126 HGB weitgehend auf die Ausführungen zu § 721 BGB verwiesen werden. 3 Im Kern dient § 126 HGB dem Gläubigerschutz.3 Denn indem § 126 Satz 1 HGB die ge-
samtschuldnerische – unbeschränkte – Haftung der Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft anordnet und § 126 Satz 2 HGB entgegenstehende Vereinbarungen unter den Gesellschaftern gegenüber Dritten für unwirksam erklärt, sichert die Vorschrift den Kredit der Gesellschaft, gleicht die fehlende Kapitalsicherung der OHG aus und gewährleistet den Gleichlauf von Herrschaft und Haftung.4
4 In der Kommanditgesellschaft gilt § 126 HGB über § 161 Abs. 2 HGB jedenfalls für die per-
sönlich haftenden Gesellschafter, wie sich auch aus der Rechtsformdefinition der KG in § 161 Abs. 1 HGB ergibt („während bei dem anderen Teile der Gesellschafter eine Beschränkung der Haftung nicht stattfindet“). Für die Kommanditisten wird § 126 HGB dadurch modifiziert, dass ihre Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern gem. § 161 Abs. 1, §§ 171 f. HGB auf einen bestimmten Betrag beschränkt ist. Das lässt die Akzessorietät der Haftung unberührt, wirft aber die Frage auf, ob Kommanditisten – anders als OHG-Gesellschafter
1 Grundlegend BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341, 358 = ZIP 2001, 330, 335 f.; ferner BGH v. 3.4.2006 – II ZR 40/05, ZIP 2006, 994 Rz. 10. 2 Vgl. (zu § 721 BGB) Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 165. 3 BGH v. 14.2.1957 – II ZR 190/55, BGHZ 23, 302, 305; s. auch BGH v. 7.4.2003 – II ZR 56/02, BGHZ 154, 370, 373; Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 128 HGB Rz. 1; Hillmann in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 128 HGB Rz. 1; eingehend zu den verschiedenen Aspekten des Gläubigerschutzes durch die persönliche Gesellschafterhaftung zuletzt Sanders/Berisha, NZG 2020, 1290, 1293 ff. = ZIP 2003, 899. 4 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 165.
930 | Ceesay
Persönliche Haftung der Gesellschafter | Rz. 10 § 126 HGB
und Komplementäre (Rz. 18) – stets nur zur Leistung einer Geldzahlung verpflichtet sind (§ 171 HGB Rz. 37 ff.).
2. Verhältnis zur Beschränkung der Minderjährigenhaftung (§ 1629a BGB) Minderjährige können Gesellschafter sein (§ 705 BGB Rz. 8) und sind auch gleich volljähri- 5 gen Gesellschaftern zur organschaftlichen Geschäftsführung und Vertretung berufen, wenngleich sie zur Ausübung dieser Befugnis auf ihre gesetzlichen Vertreter angewiesen sind (§ 124 HGB Rz. 11). Für sie gilt auch keine Ausnahme von der Haftung für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft gem. § 126 Satz 1 HGB. Allerdings ändert die Haftungsbegründung aus § 126 Satz 1 HGB nichts an der Haftungs- 6 beschränkung des § 1629a BGB. Nach § 1629a Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BGB beschränkt sich die Haftung für Verbindlichkeiten, die die Eltern im Rahmen ihrer gesetzlichen Vertretungsmacht oder sonstige vertretungsberechtigte Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht durch Rechtsgeschäft oder eine sonstige Handlung mit Wirkung für das Kind begründet haben, auf den Bestand des bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandenen Vermögens des Kindes. Unter diese Verbindlichkeiten fällt auch die gem. § 126 Satz 1 HGB begründete Haftung als Gesellschafter (§ 721 BGB Rz. 6). In der Sache gibt § 1629a Abs. 1 Satz 1, 2 i.V.m. § 1990 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht dem minder- 7 jährigen, sondern erst dem volljährig gewordenen Gesellschafter die Möglichkeit, die Befriedigung eines Gesellschaftsgläubigers insoweit zu verweigern, als das bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandene Vermögen nicht ausreicht. Zu einem materiell-rechtlichen Anspruchsausschluss führt die Erhebung dieser Einrede allerdings nur, wenn das Volljährigkeitsvermögen unter Berücksichtigung gegen den Gesellschafter bereits erwirkter Titel (§ 1629a Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 1991 Abs. 3 BGB) erschöpft ist, ohne dass den Gesellschafter hierfür seit seiner Volljährigkeit ein Verschulden trifft (§ 1629a Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 1991 Abs. 1, § 1978 Abs. 1, 2 BGB).5 Im Übrigen hat die Einrede nur die Verurteilung unter dem Vorbehalt der Haftungsbeschränkung (vgl. § 780 Abs. 1 i.V.m. § 786 Abs. 1 ZPO) und damit zur Folge, dass der Gesellschafter zwar eine Zwangsvollstreckung in das bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandene Vermögen dulden muss, eine Zwangsvollstreckung in das neu erworbene Vermögen aber durch eine Vollstreckungsgegenklage abwehren kann (§§ 781, 785 i.V.m. § 786 Abs. 1 ZPO; s. dazu § 721 BGB Rz. 7). Die Haftungsbeschränkung nach § 1629a Abs. 1 BGB hängt nicht davon ab, ob der Gesell- 8 schafter das Recht aus § 132 Abs. 4 HGB ausübt, binnen drei Monaten nach Eintritt der Volljährigkeit die Mitgliedschaft zu kündigen (s. § 721 BGB Rz. 8). Mit der Möglichkeit, die Haftung für vor der Volljährigkeit begründete Verbindlichkeiten 9 gem. § 1629a Abs. 1 BGB auf das Volljährigkeitsvermögen zu beschränken, korrespondiert die Möglichkeit, die Vollstreckung wegen nach der Volljährigkeit begründeter Verbindlichkeiten in jenes Vermögen gem. § 783 i.V.m. § 786 Abs. 1 ZPO zu verhindern (§ 721 BGB Rz. 9). Aus § 1629a Abs. 3 BGB ergibt sich schließlich, dass die Rechte der Gläubiger gegen die ge- 10 samtschuldnerisch mithaftenden Gesellschafter von der Haftungsbeschränkung des § 1629a Abs. 1 BGB unberührt bleiben. Deren Regressansprüche gegen den volljährig gewordenen Gesellschafter unterliegen wiederum der Haftungsbeschränkung aus § 1629a Abs. 1 BGB.6 5 Vgl. BGH v. 5.4.2000 – IV ZR 145/98, juris Rz. 7; BGH v. 8.0.1961 – V ZR 137/59, juris Rz. 18; sog. Erschöpfungseinrede s. Horn in Erman, 16. Aufl. 2020, § 1990 BGB Rz. 5. 6 Coester in Staudinger, Neubearb. 2020, § 1629a BGB Rz. 40; Huber in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 1629a BGB Rz. 65. Ceesay | 931
§ 126 HGB Rz. 11 | Offene Handelsgesellschaft
II. Persönliche Haftung für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft (Satz 1) 1. Haftungsvoraussetzungen a) Gesellschaftsverbindlichkeit 11 Die Haftung nach § 126 Satz 1 HGB erfordert zunächst eine Gesellschaftsverbindlichkeit und
damit eine gem. § 123 HGB nach außen wirksame Gesellschaft. Vor dem in § 123 Abs. 1 HGB benannten Zeitpunkt kommt lediglich eine Haftung nach Rechtsscheingrundsätzen in Betracht (§ 123 HGB Rz. 14 f.). Das gilt erst recht, wenn eine OHG gar nicht wirksam entstanden ist, soweit nicht nach der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft trotz des Mangels von einer nach außen wie innen voll wirksamen Gesellschaft auszugehen ist (§ 105 HGB Rz. 22, § 705 BGB Rz. 21 ff.). 12 Ob die Forderung gegen die Gesellschaft rechtsgeschäftlich oder gesetzlich begründet wur-
de, ist für die Qualifikation als Gesellschaftsverbindlichkeit unerheblich (s. § 721 BGB Rz. 12). 13 Bei Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern muss indessen wie bei § 721 Satz 1 BGB
(§ 721 BGB Rz. 13) differenziert werden: Ansprüche aus Drittgeschäften sind Gesellschaftsverbindlichkeiten i.S.d. § 126 Satz 1 HGB.7 Erst recht gilt dies für Gesellschafterforderungen aus abgetretenem Recht, die ursprünglich in der Person eines Nicht-Gesellschafters begründet wurden.8 In beiden Fällen muss sich der Gesellschafter lediglich seinen eigenen Verlustanteil anrechnen lassen, wenn er seine Mitgesellschafter in Anspruch nimmt (Rz. 20). Dagegen fallen sog. Sozialverbindlichkeiten, insbesondere Aufwendungsersatzansprüche gem. § 716 Abs. 1 BGB i.V.m. § 105 Abs. 3 HGB (§ 716 BGB Rz. 13), aus dem Anwendungsbereich des § 126 Satz 1 HGB heraus, da andernfalls das Mehrbelastungsverbot des § 710 BGB i.V.m. § 105 Abs. 3 HGB umgangen würde.9 Abfindungsansprüche ausgeschiedener Gesellschafter sind indessen als Gesellschaftsverbindlichkeiten i.S.d. § 126 Satz 1 HGB zu qualifizieren (§ 135 HGB Rz. 5).10 b) Gesellschafterstellung 14 Die Haftung aus § 126 Satz 1 HGB trifft die Gesellschafter, d.h. die im Zeitpunkt der Be-
gründung der Gesellschaftsverbindlichkeit vorhandenen Gesellschafter der Gesellschaft. An dem Erfordernis der Gesellschafterstellung bei Begründung der Verbindlichkeit ändert auch § 137 HGB über die Nachhaftung ausgeschiedener Gesellschafter nichts (§ 721 BGB Rz. 15). 15 Später eintretende Gesellschafter haften nach § 127 Satz 1 HGB für die vor ihrem Eintritt
begründeten Verbindlichkeiten. 16 Nicht-Gesellschafter können lediglich als Scheingesellschafter haften (§ 721 BGB Rz. 17).
2. Haftungsmodalitäten a) Haftungsinhalt 17 Gemäß § 126 Satz 1 HGB haften die Gesellschafter den Gläubigern für die Verbindlichkeiten
der Gesellschaft primär und unmittelbar persönlich. Dabei haften zwar die Gesellschafter 7 BGH v. 8.10.2013 – II ZR 310/12, ZIP 2013, 2305 Rz. 18 m.w.N. 8 BGH v. 17.12.2001 – II ZR 382/99, ZIP 2002, 394, 396. 9 BGH v. 2.7.1962 – II ZR 204/60, BGHZ 37, 299, 301 f.; BGH v. 18.1.2010 – II ZR 31/09, ZIP 2010, 515 Rz. 7. 10 BGH v. 12.7.2016 – II ZR 74/14, ZIP 2016, 1627 Rz. 9.
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Persönliche Haftung der Gesellschafter | Rz. 23 § 126 HGB
untereinander als Gesamtschuldner für die Gesellschaftsverbindlichkeit. Für das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Gesellschafter gilt das jedoch nicht. Die Gesellschafter haften vielmehr akzessorisch für die Gesellschaftsschuld, d.h. die Gesellschafterhaftung hängt vollständig von der Entwicklung und dem Bestand der Gesellschaftsverbindlichkeit ab.11 Diese Akzessorietät wird durch § 128 HGB weiter konkretisiert. Heute besteht Einigkeit darüber, dass die Gesellschafter nach § 126 Satz 1 HGB im Einklang 18 mit dem akzessorischen Charakter der Haftung (Rz. 17) grundsätzlich zur Erfüllung und nicht lediglich zum Geldersatz verpflichtet sind, zwischen Leistungspflicht der Gesellschaft und ihrer Gesellschafter also inhaltliche Kongruenz besteht (§ 721 BGB Rz. 19). Von dem Grundsatz der Erfüllungshaftung müssen jedoch dort Ausnahmen gemacht wer- 19 den, wo die Leistungserbringung durch einen Gesellschafter sachlich nicht das Gleiche bewirken würde wie eine Leistung durch die Gesellschaft selbst. Das betrifft allen voran die Verpflichtungen der Gesellschaft zur Abgabe einer Willenserklärung und zur Vornahme unvertretbarer Handlungen sowie Unterlassungs- und Duldungspflichten der Gesellschaft. In diesen Fällen haften die Gesellschafter erst persönlich, wenn der Anspruch gegen die Gesellschaft selbst in einen Schadensersatzanspruch übergegangen ist (§ 721 BGB Rz. 20 ff.). Gesellschafterforderungen aus Drittgeschäften sind zwar Gesellschaftsverbindlichkeiten, für 20 welche die Mitgesellschafter gem. § 126 Satz 1 HGB als Gesamtschuldner haften (Rz. 13). Der Gesellschafter muss sich indes seinen eigenen Verlustanteil anrechnen lassen, wenn er die übrigen Gesellschafter in Anspruch nimmt.12 Diese Anrechnung können die Mitgesellschafter im Falle einer Abtretung gem. § 404 BGB auch einem Rechtsnachfolger entgegenhalten.13 Entgegen einem jüngeren BGH-Urteil14 muss sich der Gesellschafter seinen eigenen Verlustanteil auch anrechnen lassen, wenn ein Gesellschafter eine durch Abtretung erworbene Drittgläubigerforderung geltend machen will (§ 721 BGB Rz. 23). b) Gesamtschuldnerische Haftung Die Haftung der Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft ist akzessorisch 21 (Rz. 17). Gemäß § 126 Satz 1 HGB haften hingegen die Gesellschafter untereinander als Gesamtschuldner, so dass die §§ 421 ff. BGB insoweit zur Anwendung gelangen (§ 721 BGB Rz. 24 ff.). Das gilt auch dann, wenn der Forderungsinhaber selbst Gesellschafter ist.15 Dieser muss 22 sich lediglich seinen eigenen Verlustanteil anrechnen lassen, wenn er die übrigen gesamtschuldnerisch in Anspruch nimmt (Rz. 20). c) Verjährung Die Akzessorietät der Gesellschafterhaftung schließt die Verjährung des Anspruchs ein: Erst, 23 wenn die Gesellschaft erloschen ist, unterliegen Ansprüche gegen einen Gesellschafter aus Verbindlichkeiten der Gesellschaft gem. § 151 HGB einer eigenständigen Verjährungsfrist.16
11 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 165 (zu § 721 BGB), 168 (zu § 721b BGB); BGH v. 29.10.2015 – IX ZR 123/13, ZIP 2015, 2484 Rz. 8 = GmbHR 2016, 60; BGH v. 22.3.2011 – II ZR 249/09, NJW 2011, 2048 Rz. 9; BGH v. 11.12.1978 – II ZR 235/77, BGHZ 73, 217, 225. 12 BGH v. 1.12.1982 – VIII ZR 206/81, ZIP 1983, 51 LS 2. 13 BGH v. 1.12.1982 – VIII ZR 206/81, ZIP 1983, 51 LS 3. 14 BGH v. 17.12.2001 – II ZR 382/99, ZIP 2002, 394, 396. 15 BGH v. 8.10.2013 – II ZR 310/12, ZIP 2013, 2305 LS, Rz. 31 ff. 16 Dies gilt auch dann, wenn die Frist für die Verjährung der Gesellschaftsschuld kürzer ist, s. BGH v. 16.12.2021 – IX ZR 81/21, ZIP 2022, 217 Rz. 21. Ceesay | 933
§ 126 HGB Rz. 23 | Offene Handelsgesellschaft Bis dahin folgen Frist und Beginn der Verjährung der Gesellschafterhaftung aus § 126 Satz 1 HGB der Gesellschaftsverbindlichkeit.17 24 Gleichermaßen erstrecken sich auch Hemmung und Neubeginn der Verjährung der Gesell-
schaftsverbindlichkeit auf die Gesellschafterhaftung (§ 128 HGB Rz. 9).18 Umgekehrt gilt dies zwar nicht.19 Allerdings kann ein Gesellschafter nicht die Verjährung der Gesellschaftsverbindlichkeit einwenden, wenn der Gesellschaftsgläubiger ihm gegenüber verjährungshemmende Maßnahmen ergriffen hat (§ 128 HGB Rz. 17).20
3. Forthaftung bei Ausscheiden 25 Scheidet ein Gesellschafter nach Begründung der Gesellschaftsverbindlichkeit und damit
nach Begründung seiner Haftung gem. § 126 Satz 1 HGB (Rz. 14) aus, berührt dies die Haftung nicht unmittelbar. 26 Jedoch beschränkt § 137 HGB als Einwendung gegen die Inanspruchnahme aus § 126 Satz 1
HGB (§ 137 HGB Rz. 11) die Nachhaftung des Ausgeschiedenen auf fünf Jahre ab Kenntnisnahme des Gläubigers bzw. Eintragung des Ausscheidens in das Gesellschaftsregister. Diese Nachhaftungsbeschränkung wird bei § 137 HGB eingehend dargestellt. 27 Nach herrschender Auffassung haften ausgeschiedene Gesellschafter überdies nurmehr gelo-
ckert akzessorisch.21 Insbesondere soll eine rechtskräftige Verurteilung der Gesellschaft keine Bindungswirkung mehr entfalten, wenn der Gesellschafter schon bei Klageerhebung ausgeschieden war (§ 128 HGB Rz. 21).22 Auch verjährungshemmende Maßnahmen gegenüber der Gesellschaft sollen nicht mehr den Ablauf der Verjährungsfrist gegenüber ausgeschiedenen Gesellschaftern hemmen (§ 128 HGB Rz. 23).23 Ein solches Sonderrecht für ausgeschiedene Gesellschafter ist indessen abzulehnen (eingehend § 721b BGB Rz. 24 f.).
4. Rückgriff gegenüber Gesellschaft und Mitgesellschaftern a) Rückgriff gegenüber der Gesellschaft 28 Zwischen der Gesellschaft und den nach § 126 Satz 1 HGB für die Verbindlichkeiten der Ge-
sellschaft persönlich haftenden Gesellschaftern besteht – anders als zwischen den Gesellschaftern (Rz. 21) – keine Gesamtschuld (Rz. 17). Soweit ein Gesellschafter an einen Gesellschaftsgläubiger leistet, kann er gleichwohl nach § 716 Abs. 1 BGB i.V.m. § 105 Abs. 3 HGB bei der Gesellschaft Rückgriff nehmen, soweit er die Leistung nach den Umständen für erfor-
17 BGH v. 12.1.2010 – XI ZR 37/09, ZIP 2010, 319 Rz. 40 ff. 18 BGH v. 11.12.1978 – II ZR 235/77, BGHZ 73, 217 LS 2. 19 K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 129 HGB Rz. 9; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 969 (Stand: 01/2022); offengelassen in BGH v. 22.3.1988 – X ZR 64/87, BGHZ 104, 76, 81 f = ZIP 1988, 841. 20 BGH v. 22.3.1988 – X ZR 64/87, BGHZ 104, 76 LS = ZIP 1988, 841; bestätigt durch BGH v. 9.7.1998 – IX ZR 272/96, BGHZ 139, 214 LS 1= ZIP 1998, 1478. 21 Eingehend Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 15; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 129 HGB Rz. 16. 22 BGH v. 8.11.1965 – II ZR 223/64, BGHZ 44, 229 LS 2; bestätigt durch BGH v. 20.2.2018 – II ZR 272/16, BGHZ 217, 327 Rz. 26 = GmbHR 2018, 468. 23 BGH v. 10.5.2012 – IX ZR 125/10, BGHZ 193, 193 Rz. 77 = ZIP 2012, 1413.
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Persönliche Haftung der Gesellschafter | Rz. 34 § 126 HGB
derlich halten durfte (§ 716 BGB Rz. 13, 23).24 Damit korrespondiert nicht nur ein Vorschussanspruch gem. § 716 Abs. 2 BGB, sondern ebenso ein Freistellungsanspruch gegen die Gesellschaft (§ 716 BGB Rz. 5).25 Den eigenen Verlustanteil muss sich der Gesellschafter dabei in keinem Fall anrechnen lassen.26 Aus dieser Konzeption des Innenregresses folgt, dass es durch die Befriedigung nicht zu ei- 29 nem gesetzlichen Übergang der Forderung des Gläubigers und damit auch nicht zu einem Übergang von Sicherheiten gem. § 401, 413 BGB auf den Gesellschafter kommt (§ 721 BGB Rz. 35).27 Der Rückgriff des ausgeschiedenen Gesellschafters unterliegt indessen anderen Regeln 30 (§ 721 BGB Rz. 36). b) Rückgriff gegenüber Mitgesellschaftern Die Gesellschafter haften gem. § 126 Satz 1 HGB als Gesamtschuldner (Rz. 21). Ihr Ausgleich 31 richtet sich daher nach § 426 BGB.28 Daneben können Gesellschafter ihre Mitgesellschafter nicht gem. § 126 Satz 1 HGB für den Rückgriffsanspruch gegen die Gesellschaft (Rz. 28) in Anspruch nehmen (Rz. 13). Gemäß § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der von einem Gesellschaftsgläubiger in Anspruch 32 genommene Gesellschafter bei seinen Mitgesellschaftern Regress lediglich pro rata nehmen; die jeweilige Verlustbeteiligung ersetzt dabei das Kopfteilprinzip.29 Anders liegt es nur, wenn die Gesellschaftsverbindlichkeit, die der gesamtschuldnerischen Haftung zugrunde liegt, auf dem schuldhaften Verhalten einzelner Gesellschafter beruht.30 Gemäß § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB geht insoweit auch die Forderung des Gläubigers gegen die 33 Mitgesellschafter auf den leistenden Gesellschafter über. Zu einem Übergang akzessorischer Sicherungsrechte gem. §§ 401, 413 BGB kommt es dabei gleichwohl regelmäßig nicht, da diese typischerweise für die Gesellschaftsverbindlichkeit bestellt werden und diese infolge der Befriedigung des Gesellschaftsgläubigers nicht auf den leistenden Gesellschafter übergeht (Rz. 29). Nach ständiger Rechtsprechung haften die Gesellschafter untereinander allerdings nur sub- 34 sidiär, d.h. die Inanspruchnahme eines Mitgesellschafters setzt voraus, dass die Gesellschaft entweder nicht in der Lage oder nicht bereit ist, den ihr gegenüber bestehenden Aufwendungsersatzanspruch (Rz. 28) zu erfüllen.31 Dies ist jedoch schon dann gegeben, wenn die Gesellschaft auf Aufforderung nicht zahlt.32
24 BGH v. 29.9.2015 – II ZR 403/13, BGHZ 207, 54 Rz. 15; BGH v. 19.7.2011 – II ZR 300/08, ZIP 2011, 1657 Rz. 59; BGH v. 9.5.1963 – II ZR 124/61, BGHZ 39, 319, 323; BGH v. 2.7.1962 – II ZR 204/60, BGHZ 37, 299, 301 f. 25 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 166, wonach „jeder Gesellschafter von der Gesellschaft Freistellung verlangen und diese, wenn er zahlt, in Regress nehmen kann“. 26 BGH v. 17.12.2001 – II ZR 382/99, ZIP 2002, 394, 395. 27 BGH v. 19.7.2011 – II ZR 300/08, ZIP 2011, 1657 Rz. 59 f. 28 BGH v. 15.10.2007 – II ZR 136/06, ZIP 2007, 2313 Rz. 14; BGH v. 17.12.2001 – II ZR 382/99, ZIP 2002, 394, 396; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 416 (Stand: 01/2022). 29 BGH v. 17.12.2001 – II ZR 382/99, ZIP 2002, 394, 396; Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 128 HGB Rz. 49. 30 BGH v. 9.6.2008 – II ZR 268/07, ZIP 2008, 1915 LS. 31 BGH v. 15.10.2007 – II ZR 136/06, ZIP 2007, 2313 Rz. 17; BGH v. 17.12.2001 – II ZR 382/99, ZIP 2002, 394, 396 m.w.N. 32 BGH v. 17.12.2001 – II ZR 382/99, ZIP 2002, 394 LS 2. Ceesay | 935
§ 126 HGB Rz. 35 | Offene Handelsgesellschaft 35 Unter diesem Vorbehalt der Subsidiarität (Rz. 34) kann ein Gesellschafter von seinen Mit-
gesellschaftern nach allgemeinen Gesamtschuldgrundsätzen auch verlangen, ihren Verlustanteilen entsprechend an der Befriedigung des Gesellschaftsgläubigers mitzuwirken und ihn von einer Inanspruchnahme durch den Gesellschaftsgläubiger freizustellen, sofern die ernsthafte Möglichkeit seiner Inanspruchnahme besteht.33 36 Der Ausgleichsanspruch aus § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB verjährt als einheitlicher Anspruch, der
zunächst auf Mitwirkung, später auf Zahlung (Rz. 32, 35) gerichtet ist und bereits mit Begründung der Gesamtschuld entsteht, gem. §§ 195, 199 BGB unabhängig von der gem. § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB übergegangenen Forderung.34 Die Verjährung des übergegangenen Anspruchs folgt wiederum grundsätzlich der Verjährung der Gesellschaftsverbindlichkeit (Rz. 23 f.). 37 Auch wenn das Ausscheiden nichts an der in § 126 Satz 1 HGB angeordneten Gesamtschuld-
haftung ändert, haben sich für ausgeschiedene Gesellschafter in Rechtsprechung und herrschender Lehre Besonderheiten ausgebildet (§ 721 BGB Rz. 43).
III. Abweichende Vereinbarungen (Satz 2) 38 Gemäß § 126 Satz 2 HGB ist eine entgegenstehende Vereinbarung Dritten gegenüber unwirk-
sam. Damit sind Vereinbarungen unter den Gesellschaftern gemeint (§ 721 BGB Rz. 44). 39 Die Gesetzesmaterialien schließen die „Möglichkeit, individuell eine Haftungsbeschränkung
mit dem Gesellschaftsgläubiger zu vereinbaren“, zwar nicht aus.35 Eine solche haftungsbeschränkende Vereinbarung mit dem Gläubiger ist jedoch grundsätzlich nur individualvertraglich möglich (§ 721 BGB Rz. 45).
IV. Prozessuales 40 Den Gesellschaftsgläubiger trifft nach allgemeinen Grundsätzen die Darlegungs- und Be-
weislast für die Voraussetzungen der Haftung aus § 126 Satz 1 HGB, namentlich das Vorliegen einer Gesellschaftsverbindlichkeit (Rz. 11 ff.) und die Gesellschafterstellung des Anspruchsgegners (Rz. 14 ff.). Dabei ist die Beweisführung in mehrfacher Hinsicht erleichtert. Zum einen wirkt ein im Gesellschaftsprozess gegen die Gesellschaft ergangenes rechtskräftiges Urteil gem. § 128 Abs. 1 HGB auch insoweit gegen die Gesellschafter, als es ihnen die Einwendungen nimmt, die der Gesellschaft abgesprochen wurden.36 Zudem muss der Gläubiger auf Grund der Regelung des § 127 HGB nicht die Gesellschafterstellung bei Begründung der Gesellschaftsverbindlichkeit beweisen; vielmehr genügt der Nachweis der Gesellschafterstellung zu irgendeinem Zeitpunkt seither (§ 127 HGB Rz. 4). Ist hingegen streitig, ob eine Gesellschaftsverbindlichkeit erst nach dem Ausscheiden des Gesellschafters begründet wurde, bleibt es bei der Beweisbelastung des Gläubigers (§ 721 BGB Rz. 46). 41 Da die Gesellschafter zwar akzessorisch haften, ihnen aber nach § 128 HGB individuelle Ein-
wendungen zustehen können, besteht sowohl zwischen Gesellschaft und Gesellschafter als auch zwischen den Gesellschaftern eine einfache Streitgenossenschaft i.S.v. §§ 59 f. ZPO.37 BGH v. 15.10.2007 – II ZR 136/06, ZIP 2007, 2313 Rz. 14, 17. BGH v. 18.6.2009 – VII ZR 167/08, BGHZ 181, 310 = ZIP 2009, 1821 LS 1, Rz. 12 ff. Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 165. BGH v. 20.2.2018 – II ZR 272/16, BGHZ 217, 327 = ZIP 2018, 640 Rz. 23 m.w.N.; anders aber für den umgekehrten Fall (keine Rechtskrafterstreckung auf die Gesellschaft) BGH v. 22.3.2011 – II ZR 249/09, ZIP 2011, 1143 LS. 37 BGH v. 13.7.1970 – VIII ZR 230/68, BGHZ 54, 251 LS 1; BGH v. 10.3.1988 – IX ZR 194/87, juris Rz. 10; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 128 HGB Rz. 22. 33 34 35 36
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Haftung des eintretenden Gesellschafters | § 127 HGB
Dem Gläubiger steht daher frei, die gem. § 126 Satz 1 HGB haftenden Gesellschafter einzeln oder zusammen zu verklagen, und es ist ihm gleichfalls unbenommen, die Gesellschafter unabhängig von der Gesellschaft oder mit dieser gemeinsam zu verklagen. Da die Ansprüche gegen die Gesellschafter und die Gesellschaft wirtschaftlich identisch sind, führt eine streitgenossenschaftliche Inanspruchnahme nicht nach § 5 ZPO zu einer Streitwerterhöhung.38 Die gerichtliche Zuständigkeit für die Geltendmachung der akzessorischen Gesellschafter- 42 haftung folgt der Zuständigkeit der Klage gegen die Gesellschaft (§ 721 BGB Rz. 48).39 Das gilt auch für die Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen gem. §§ 94, 95 Abs. 1 Nr. 1 GVG.40 sofern für die Gesellschaftsverbindlichkeit indes kein ausschließlicher Gerichtsstand begründet ist, kann der Gesellschaftsgläubiger die Gesellschafter auch individuell an deren jeweiligen allgemeinen Gerichtsständen verklagen (§ 721 BGB Rz. 48). Die internationale Zuständigkeit für die Klage aus § 126 Satz 1 HGB gegen die Gesellschaf- 43 ter ist bis heute nicht abschließend geklärt (s. § 721 BGB Rz. 49). Wenngleich viel für die Annahme spricht, dass für die Gesellschafterhaftung nur der allgemeine internationale Gerichtsstand des Wohnsitzes gem. Art. 4 Brüssel Ia-VO eröffnet ist, besteht doch in den Grenzen von Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO immerhin die Möglichkeit, einen einheitlichen Prozess gegen Gesellschaft und Gesellschafter oder einen einheitlichen Prozess gegen mehrere Gesellschafter zu führen.41 Bei einer gesamtschuldnerischen Verurteilung haften mehrere Gesellschafter gem. § 100 44 Abs. 4 ZPO auch für die Kosten als Gesamtschuldner. Im Falle einer gemeinsamen Verurteilung mit der Gesellschaft wird die akzessorische Haftung der Gesellschafter für die Gesellschaftsverbindlichkeit dadurch zum Ausdruck gebracht, dass Gesellschaft und Gesellschafter sowohl in der Hauptsache als auch in den Kosten „wie Gesamtschuldner“ verurteilt werden.42 Für die Vollstreckung gegen die Gesellschafter genügt ein Titel gegen die Gesellschaft nicht; 45 gem. § 129 Abs. 2 HGB bedarf es eines Titels gegen diese (§ 129 HGB Rz. 6 ff.). Umgekehrt genügt nach § 129 Abs. 1 HGB ein Titel gegen die Gesellschafter – auch ein Titel gegen alle Gesellschafter – nicht, um in das Vermögen der Gesellschaft zu vollstrecken (§ 129 HGB Rz. 3 ff.).
§ 127 HGB Haftung des eintretenden Gesellschafters 1
Wer in eine bestehende Gesellschaft eintritt, haftet gleich den anderen Gesellschaftern nach Maßgabe der §§ 126 und 128 für die vor seinem Eintritt begründeten Verbindlich-
38 Scholz, ZZP 136 (2023), 221, 222 f.; vgl. auch BGH v. 25.11.2003 – VI ZR 418/02, NJW-RR 2004, 638, 639. 39 Eingehend Scholz, ZZP 136 (2023), 221, 223 ff. 40 Berkenbrock, JZ 1980, 21, 22; Lückemann in Zöller, 34. Aufl. 2022, § 95 GVG Rz. 2; Pabst in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl. 2022, § 95 GVG Rz. 8. 41 Eingehend Scholz, ZZP 136 (2023), 221, 225 ff. 42 Vgl. BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341, 358 = ZIP 2001, 330, 335 f., wonach im Urteilstenor kenntlich zu machen ist, dass zwischen den Ansprüchen „kein echtes Gesamtschuldverhältnis besteht, jedoch die [Gesellschaft] neben den ihrerseits untereinander gesamtschuldnerisch haftenden Gesellschafterinnen wie eine Gesamtschuldnerin verpflichtet ist“; a.A. Roth in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 128 HGB Rz. 39 („als Gesamtschuldner“). Ceesay | 937
Haftung des eintretenden Gesellschafters | § 127 HGB
Dem Gläubiger steht daher frei, die gem. § 126 Satz 1 HGB haftenden Gesellschafter einzeln oder zusammen zu verklagen, und es ist ihm gleichfalls unbenommen, die Gesellschafter unabhängig von der Gesellschaft oder mit dieser gemeinsam zu verklagen. Da die Ansprüche gegen die Gesellschafter und die Gesellschaft wirtschaftlich identisch sind, führt eine streitgenossenschaftliche Inanspruchnahme nicht nach § 5 ZPO zu einer Streitwerterhöhung.38 Die gerichtliche Zuständigkeit für die Geltendmachung der akzessorischen Gesellschafter- 42 haftung folgt der Zuständigkeit der Klage gegen die Gesellschaft (§ 721 BGB Rz. 48).39 Das gilt auch für die Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen gem. §§ 94, 95 Abs. 1 Nr. 1 GVG.40 sofern für die Gesellschaftsverbindlichkeit indes kein ausschließlicher Gerichtsstand begründet ist, kann der Gesellschaftsgläubiger die Gesellschafter auch individuell an deren jeweiligen allgemeinen Gerichtsständen verklagen (§ 721 BGB Rz. 48). Die internationale Zuständigkeit für die Klage aus § 126 Satz 1 HGB gegen die Gesellschaf- 43 ter ist bis heute nicht abschließend geklärt (s. § 721 BGB Rz. 49). Wenngleich viel für die Annahme spricht, dass für die Gesellschafterhaftung nur der allgemeine internationale Gerichtsstand des Wohnsitzes gem. Art. 4 Brüssel Ia-VO eröffnet ist, besteht doch in den Grenzen von Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO immerhin die Möglichkeit, einen einheitlichen Prozess gegen Gesellschaft und Gesellschafter oder einen einheitlichen Prozess gegen mehrere Gesellschafter zu führen.41 Bei einer gesamtschuldnerischen Verurteilung haften mehrere Gesellschafter gem. § 100 44 Abs. 4 ZPO auch für die Kosten als Gesamtschuldner. Im Falle einer gemeinsamen Verurteilung mit der Gesellschaft wird die akzessorische Haftung der Gesellschafter für die Gesellschaftsverbindlichkeit dadurch zum Ausdruck gebracht, dass Gesellschaft und Gesellschafter sowohl in der Hauptsache als auch in den Kosten „wie Gesamtschuldner“ verurteilt werden.42 Für die Vollstreckung gegen die Gesellschafter genügt ein Titel gegen die Gesellschaft nicht; 45 gem. § 129 Abs. 2 HGB bedarf es eines Titels gegen diese (§ 129 HGB Rz. 6 ff.). Umgekehrt genügt nach § 129 Abs. 1 HGB ein Titel gegen die Gesellschafter – auch ein Titel gegen alle Gesellschafter – nicht, um in das Vermögen der Gesellschaft zu vollstrecken (§ 129 HGB Rz. 3 ff.).
§ 127 HGB Haftung des eintretenden Gesellschafters 1
Wer in eine bestehende Gesellschaft eintritt, haftet gleich den anderen Gesellschaftern nach Maßgabe der §§ 126 und 128 für die vor seinem Eintritt begründeten Verbindlich-
38 Scholz, ZZP 136 (2023), 221, 222 f.; vgl. auch BGH v. 25.11.2003 – VI ZR 418/02, NJW-RR 2004, 638, 639. 39 Eingehend Scholz, ZZP 136 (2023), 221, 223 ff. 40 Berkenbrock, JZ 1980, 21, 22; Lückemann in Zöller, 34. Aufl. 2022, § 95 GVG Rz. 2; Pabst in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl. 2022, § 95 GVG Rz. 8. 41 Eingehend Scholz, ZZP 136 (2023), 221, 225 ff. 42 Vgl. BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341, 358 = ZIP 2001, 330, 335 f., wonach im Urteilstenor kenntlich zu machen ist, dass zwischen den Ansprüchen „kein echtes Gesamtschuldverhältnis besteht, jedoch die [Gesellschaft] neben den ihrerseits untereinander gesamtschuldnerisch haftenden Gesellschafterinnen wie eine Gesamtschuldnerin verpflichtet ist“; a.A. Roth in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 128 HGB Rz. 39 („als Gesamtschuldner“). Ceesay | 937
§ 127 HGB Rz. 1 | Offene Handelsgesellschaft keiten der Gesellschaft. 2Eine entgegenstehende Vereinbarung ist Dritten gegenüber unwirksam. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Haftung des eintretenden Gesellschafters (Satz 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Abweichende Vereinbarungen (Satz 2) . . 14 IV. Prozessuales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
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Schrifttum: Gerlach, Die Haftungsordnung der §§ 25, 28, 130 HGB, 1976; Scholz, Das Prozessrecht der akzessorischen Gesellschafterhaftung: Offene Fragen und zweifelhafte Gewissheiten, ZZP 136 (2023), 221; J. Vetter, Altschuldenhaftung auf fehlerhafter Vertragsgrundlage, 1995.
I. Grundlagen 1 Mit der Vorschrift hat der Gesetzgeber § 130 HGB a.F. ohne inhaltliche Änderungen über-
nommen.1 Lediglich der ohnehin nur deklaratorische Satzteil2 „ohne Unterschied, ob die Firma eine Änderung erleidet oder nicht“ wurde gestrichen.
2 Während die Rechtsprechung vor dem MoPeG § 130 HGB a.F. für die GbR entsprechend
herangezogen hatte,3 findet sich heute eine wortlautidentische Regelung für die GbR in § 721a BGB. Wie im gesamten Normkomplex der §§ 126 ff. HGB und §§ 721 ff. BGB (§ 126 HGB Rz. 2) gilt deshalb das Gebot einheitlicher Auslegung. Hiervon ausgehend, kann für die Kommentierung des § 127 HGB weitgehend auf die Ausführungen zu § 721a BGB verwiesen werden. 3 Indem § 127 Satz 1 HGB die akzessorische Gesellschafterhaftung des Eintretenden auf alle
Altverbindlichkeiten erstreckt, erweitert er das den Gesellschaftsgläubigern zur Verfügung stehende Haftungssubstrat. Dieser Gläubigerschutz „kompensiert den Einfluss, den [der eintretende Gesellschafter] auf das Gesellschaftsvermögen gewinnt, und wirkt einer Ausbeutung der Gesellschaftsgläubiger durch Vermögensverlagerungen, durch nachträgliche Veränderung der Risikostruktur der Gesellschaft oder durch eine exzessive Erhöhung der Schuldenlast entgegen.“4 4 Im Zusammenspiel mit § 126 Satz 1 HGB fungiert § 127 Satz 1 HGB so zugleich als Beweis-
erleichterung. Denn auf Grund der Haftung gem. § 127 Satz 1 HGB muss der Gesellschaftsgläubiger nicht die Gesellschafterstellung bei Begründung der Gesellschaftsverbindlichkeit beweisen; vielmehr genügt der Nachweis der Gesellschafterstellung zu irgendeinem Zeitpunkt seither (§ 126 HGB Rz. 40). Insofern befreit die Vorschrift die Gesellschaftsgläubiger davon, „den aktuellen Gesellschafterbestand zu überblicken und daneben zwischen Alt- und Neuverbindlichkeiten zu unterscheiden“.5 5 Anders als in der GbR wird die Haftung für Altverbindlichkeiten gem. § 127 Satz 1 HGB
durch § 28 HGB ergänzt, wonach bei Einbringung eines einzelkaufmännischen Unternehmens die Gesellschaft – und mit ihr gem. § 127 Satz 1 HGB ihre Gesellschafter – für alle im Betrieb des Geschäfts entstandenen Verbindlichkeiten des früheren Geschäftsinhabers haftet. 1 2 3 4 5
Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 242. K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 130 HGB Rz. 25. BGH v. 7.4.2003 – II ZR 56/02, BGHZ 154, 370, 373 f. = ZIP 2003, 899, 900 f. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 166 (zu § 721a BGB). Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 166 (zu § 721a BGB).
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Haftung des eintretenden Gesellschafters | Rz. 13 § 127 HGB
In der Kommanditgesellschaft gilt § 127 HGB über § 161 Abs. 2 HGB ebenso wie § 126 6 HGB für die persönlich haftenden Gesellschafter, wobei ein Eintritt i.S.d. § 127 Satz 1 HGB auch vorliegt, wenn ein Kommanditist nachträglich Komplementär wird.6 Die Haftung eintretender Kommanditisten ist dagegen in § 173, § 176 Abs. 2 HGB gesondert geregelt.
II. Haftung des eintretenden Gesellschafters (Satz 1) Gemäß § 127 Satz 1 HGB haftet derjenige, der in eine bestehende Gesellschaft eintritt, gleich 7 den anderen Gesellschaftern nach Maßgabe der §§ 126, 128 HGB für die vor seinem Eintritt begründeten Verbindlichkeiten der Gesellschaft. Funktional stellt die Vorschrift „sicher, dass auch der in eine Gesellschaft eintretende Gesellschafter für die zu diesem Zeitpunkt bereits begründeten Gesellschaftsverbindlichkeiten unbeschränkt persönlich haftet“7. Inhalt und Durchsetzung der Gesellschafterhaftung aus § 127 Satz 1 HGB entsprechen mithin vollständig der Haftung für Neuverbindlichkeiten gem. § 126 Satz 1 HGB. Weil der Eintretende gem. § 126 Satz 1 HGB zugleich für alle seit seinem Eintritt begründe- 8 ten Verbindlichkeiten, d.h. auch für alle Neuverbindlichkeiten haftet, spielt es insofern keine Rolle, wann eine Gesellschaftsverbindlichkeit begründet wurde. Die Frage, wann eine Gesellschaftsverbindlichkeit begründet wurde, wird erst relevant, wenn ein Gesellschafter ausscheidet und daher für nach seinem Ausscheiden begründete Verbindlichkeiten nicht mehr haftet (§ 721 BGB Rz. 14 f.). Dem Schutzzweck der Vorschrift (Rz. 3) entsprechend ist der Begriff des Eintritts weit zu 9 verstehen, so dass er jeden Fall der Erweiterung des Gesellschafterkreises um unbeschränkt haftende Gesellschafter erfasst, sei es durch Aufnahmevertrag (§ 105 HGB Rz. 21, § 711 BGB Rz. 15), Anteilsabtretung (§ 105 HGB Rz. 21, § 711 BGB Rz. 19), Universalsukzession (§ 105 HGB Rz. 21, § 711 BGB Rz. 20 ff.), Umwandlung der Kommandit- in eine Komplementärbeteiligung (Rz. 6) oder einen fehlerhaften Beitritt, der nach den Grundsätzen der fehlerhaften Gesellschaft einstweilen wirksam ist (§ 105 HGB Rz. 22, § 705 BGB Rz. 23).8 Um einen Fall des fehlerhaften Beitritts handelt es sich allerdings nicht bei einer fehlerhaf- 10 ten Anteilsübertragung (§ 721a BGB Rz. 8). Auch haftet der Scheingesellschafter nicht gem. § 127 Satz 1 HGB; dem Vertrauen des Ge- 11 sellschaftsgläubigers auf die mit der Gesellschafterstellung verknüpfte Haftung für Altverbindlichkeiten ist aber dadurch Rechnung zu tragen, dass die Zerstörung des Rechtsscheins im Prozess als Erledigung anerkannt wird (§ 721a BGB Rz. 9). Gemäß § 127 Satz 1 HGB ist die Haftung für Altverbindlichkeiten an keine weiteren Voraus- 12 setzungen als den Eintritt des Gesellschafters geknüpft (§ 721a BGB Rz. 10). Wird der eintretende Gesellschafter von dem Gesellschaftsgläubiger gem. § 127 Satz 1 HGB 13 in Anspruch genommen, kann der Gesellschafter genauso Rückgriff bei der Gesellschaft und den übrigen Gesellschaftern nehmen wie bei einer Inanspruchnahme aus einer nach dem Eintritt begründeten Verbindlichkeit. Von der Gesellschaft kann er mithin vollständige Freistellung verlangen (§ 126 HGB Rz. 28). Die Mitgesellschafter haften ihm dagegen ausschließlich entsprechend ihrer Verlustbeteiligung (§ 126 HGB Rz. 31 f.), wobei der Eintreten-
6 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 130 HGB Rz. 4; K. Schmidt/ Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 130 HGB Rz. 3. 7 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 166 (zu § 721a BGB). 8 Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 130 HGB Rz. 5 ff.; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 130 HGB Rz. 12 ff.; zur Anwendung auf den Erbfall ausdrücklich BGH v. 17.12.2013 – II ZR 121/12, ZIP 2014, 1221 Rz. 5 ff. Ceesay | 939
§ 127 HGB Rz. 13 | Offene Handelsgesellschaft de vorbehaltlich abweichender Vereinbarungen (Rz. 14) auch für Altverbindlichkeiten entsprechend seiner Verlustbeteiligung haftet.9
III. Abweichende Vereinbarungen (Satz 2) 14 Gemäß § 127 Satz 2 HGB ist eine entgegenstehende Vereinbarung Dritten gegenüber un-
wirksam. Damit sind wie bei § 126 Satz 2 HGB Vereinbarungen unter den Gesellschaftern gemeint.10 An der Wirksamkeit solcher Abreden im Innenverhältnis ändert § 127 Satz 2 HGB hingegen nichts (dazu § 721a BGB Rz. 12). 15 Ebenso wenig wie § 126 Satz 2 HGB beschränkt auch § 127 Satz 2 HGB die Möglichkeit,
individualvertraglich eine haftungsbeschränkende Vereinbarung mit dem Gläubiger zu schließen (§ 126 HGB Rz. 39). Das ist auch im Wege eines Vertrags zugunsten Dritter möglich (§ 721a BGB Rz. 13).
IV. Prozessuales 16 Die klageweise Durchsetzung der Haftung für Altverbindlichkeiten folgt – wie die Haftung
selbst (Rz. 7) – der Haftung für Neuverbindlichkeiten gem. § 126 Satz 1 HGB (§ 126 HGB Rz. 40 ff.). Dem Gesellschaftsgläubiger obliegt zwar die Darlegungs- und Beweislast für den Eintritt des in Anspruch Genommenen in die Gesellschaft. Da der Eintretende auch für Neuverbindlichkeiten haftet, genügt der Nachweis der Gesellschafterstellung zu irgendeinem Zeitpunkt seit Begründung der Verbindlichkeit. Die Frage, wann eine Gesellschaftsverbindlichkeit begründet wurde, wird nur relevant, wenn ein Gesellschafter ausgeschieden ist und behauptet, dass die Gesellschaftsverbindlichkeit erst nach seinem Ausscheiden begründet wurde (§ 126 HGB Rz. 40). Auf Grund des Verweises auf § 128 BGB wirkt ein rechtskräftiges Urteil gegen die Gesellschaft auch gegenüber dem Eintretenden einwendungshindernd (§ 721a BGB Rz. 14).
§ 128 HGB Einwendungen und Einreden des Gesellschafters (1) Wird ein Gesellschafter wegen einer Verbindlichkeit der Gesellschaft in Anspruch genommen, kann er Einwendungen und Einreden, die nicht in seiner Person begründet sind, insoweit geltend machen, als sie von der Gesellschaft erhoben werden können. (2) Der Gesellschafter kann die Befriedigung des Gläubigers verweigern, solange der Gesellschaft in Ansehung der Verbindlichkeit das Recht zur Anfechtung oder Aufrechnung oder ein anderes Gestaltungsrecht, dessen Ausübung die Gesellschaft ihrerseits zur Leistungsverweigerung berechtigen würde, zusteht. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436).
9 K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 130 HGB Rz. 22; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 919 (Stand: 01/2022). 10 K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 128 HGB Rz. 13.
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§ 127 HGB Rz. 13 | Offene Handelsgesellschaft de vorbehaltlich abweichender Vereinbarungen (Rz. 14) auch für Altverbindlichkeiten entsprechend seiner Verlustbeteiligung haftet.9
III. Abweichende Vereinbarungen (Satz 2) 14 Gemäß § 127 Satz 2 HGB ist eine entgegenstehende Vereinbarung Dritten gegenüber un-
wirksam. Damit sind wie bei § 126 Satz 2 HGB Vereinbarungen unter den Gesellschaftern gemeint.10 An der Wirksamkeit solcher Abreden im Innenverhältnis ändert § 127 Satz 2 HGB hingegen nichts (dazu § 721a BGB Rz. 12). 15 Ebenso wenig wie § 126 Satz 2 HGB beschränkt auch § 127 Satz 2 HGB die Möglichkeit,
individualvertraglich eine haftungsbeschränkende Vereinbarung mit dem Gläubiger zu schließen (§ 126 HGB Rz. 39). Das ist auch im Wege eines Vertrags zugunsten Dritter möglich (§ 721a BGB Rz. 13).
IV. Prozessuales 16 Die klageweise Durchsetzung der Haftung für Altverbindlichkeiten folgt – wie die Haftung
selbst (Rz. 7) – der Haftung für Neuverbindlichkeiten gem. § 126 Satz 1 HGB (§ 126 HGB Rz. 40 ff.). Dem Gesellschaftsgläubiger obliegt zwar die Darlegungs- und Beweislast für den Eintritt des in Anspruch Genommenen in die Gesellschaft. Da der Eintretende auch für Neuverbindlichkeiten haftet, genügt der Nachweis der Gesellschafterstellung zu irgendeinem Zeitpunkt seit Begründung der Verbindlichkeit. Die Frage, wann eine Gesellschaftsverbindlichkeit begründet wurde, wird nur relevant, wenn ein Gesellschafter ausgeschieden ist und behauptet, dass die Gesellschaftsverbindlichkeit erst nach seinem Ausscheiden begründet wurde (§ 126 HGB Rz. 40). Auf Grund des Verweises auf § 128 BGB wirkt ein rechtskräftiges Urteil gegen die Gesellschaft auch gegenüber dem Eintretenden einwendungshindernd (§ 721a BGB Rz. 14).
§ 128 HGB Einwendungen und Einreden des Gesellschafters (1) Wird ein Gesellschafter wegen einer Verbindlichkeit der Gesellschaft in Anspruch genommen, kann er Einwendungen und Einreden, die nicht in seiner Person begründet sind, insoweit geltend machen, als sie von der Gesellschaft erhoben werden können. (2) Der Gesellschafter kann die Befriedigung des Gläubigers verweigern, solange der Gesellschaft in Ansehung der Verbindlichkeit das Recht zur Anfechtung oder Aufrechnung oder ein anderes Gestaltungsrecht, dessen Ausübung die Gesellschaft ihrerseits zur Leistungsverweigerung berechtigen würde, zusteht. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436).
9 K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 130 HGB Rz. 22; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 919 (Stand: 01/2022). 10 K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 128 HGB Rz. 13.
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Einwendungen und Einreden des Gesellschafters | Rz. 5 § 128 HGB I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 II. Abgeleitete und persönliche Einwendungen und Einreden des Gesellschafters (Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . 5 1. Abgeleitete Einwendungen und Einreden der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 2. Persönliche Einwendungen und Einreden des Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
3. Besonderheiten bei Eintritt eines Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Besonderheiten bei Ausscheiden eines Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gestaltungseinrede (Abs. 2) . . . . . . . . . . IV. Prozessuales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18 19 25 31
Schrifttum: Brandes, Verjährung von Gesellschafts- und Gesellschafterschuld im Recht der Personengesellschaften, FS Stimpel, 1985, S. 105; Klimke, Einwendungsverzicht und Rechtskrafterstreckung bei Personengesellschaften. Zum Anwendungsbereich des § 129 Abs. 1 HGB, ZGR 2006, 540; Primaczenko, Die Einrede der Aufrechenbarkeit in § 770 Abs. 2 BGB und § 129 Abs. 3 HGB, JA 2007, 173; Schlüter, Die Einrede der Aufrechenbarkeit des oHG-Gesellschafters und des Bürgen, FS H. Westermann, 1974, 509; Scholz, Das Prozessrecht der akzessorischen Gesellschafterhaftung, ZZP 136 (2023), 221; Thole, Die Wirkungen der Feststellung von Gläubigerforderungen zur Insolvenztabelle gegenüber dem nach §§ 171, 172 Abs. 4 HGB haftenden Kommanditisten, ZGR 2019, 301; Weller, Zur Rechtskrafterstreckung zwischen der Gesellschaft bürgerlichen Rechts und ihren Gesellschaftern, ZZP 124 (2011), 491.
I. Grundlagen Mit der Vorschrift hat der Gesetzgeber § 129 Abs. 1–3 HGB a.F. mit punktuellen Klarstellun- 1 gen und Modifikationen übernommen.1 In § 721b BGB findet sich seit dem MoPeG eine wortlautidentische Regelung für die GbR. Wie im gesamten Normkomplex der §§ 126 ff. HGB und §§ 721 ff. BGB (§ 126 HGB Rz. 2) gilt deshalb das Gebot einheitlicher Auslegung. Hiervon ausgehend, kann für die Kommentierung des § 128 HGB weitgehend auf die Ausführungen zu § 721b BGB verwiesen werden. Wie § 721b BGB ist § 128 HGB Konsequenz der Akzessorietät der Gesellschafterhaftung 2 (dazu § 126 HGB Rz. 17) und formt diese Akzessorietät zugleich näher aus; zugleich geht aus der Formulierung des § 128 Abs. 1 HGB hervor, dass in der Person des Gesellschafters begründete Einwendungen von diesem „ohne Weiteres“ geltend gemacht werden können (§ 721b BGB Rz. 2). Wenngleich die Akzessorietät von Einreden und Einwendungen ein gewisses Maß an reflex- 3 haftem Gesellschafterschutz impliziert, hat jedenfalls § 128 Abs. 2 HGB eigenständigen gesellschafterschützenden Charakter (§ 721b BGB Rz. 3). In der Kommanditgesellschaft gilt § 128 HGB über § 161 Abs. 2 HGB sowohl für die per- 4 sönlich haftenden Gesellschafter als auch die Kommanditisten.2
II. Abgeleitete und persönliche Einwendungen und Einreden des Gesellschafters (Abs. 1) Nach § 128 Abs. 1 HGB kann ein Gesellschafter, der wegen einer Verbindlichkeit der Gesell- 5 schaft in Anspruch genommen wird, Einwendungen und Einreden, die nicht in seiner Person begründet sind, insoweit geltend machen, als sie von der Gesellschaft erhoben werden können. Er kann daher sowohl die abgeleiteten Einwendungen und Einreden der Gesellschaft 1 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 242; vgl. auch (zu § 721b BGB) Begr. RegE MoPeG, BTDrucks. 19/27635, 168. 2 BGH v. 20.2.2018 – II ZR 272/16, BGHZ 217, 327 = ZIP 2018, 640 Rz. 24 = GmbHR 2018, 468. Ceesay | 941
§ 128 HGB Rz. 5 | Offene Handelsgesellschaft (Rz. 6 ff.) als auch etwaige in seiner Person begründete Einwendungen und Einreden (Rz. 16 f.) geltend machen. Für ausgeschiedene Gesellschafter gelten insoweit – anders als für neu eingetretene (Rz. 18 f.) – Besonderheiten, die sich teilweise aus dem Gesetz ergeben und teilweise von der Rechtsprechung entwickelt wurden (Rz. 19 ff.).
1. Abgeleitete Einwendungen und Einreden der Gesellschaft 6 Der Gesellschafter kann nach § 128 Abs. 1 HGB gegen seine Inanspruchnahme für die Gesell-
schaftsverbindlichkeiten die Einwendungen und Einreden der Gesellschaft „insoweit geltend machen, als sie von der Gesellschaft erhoben werden können“. Das entspricht der Akzessorietät der Haftung aus § 126 Satz 1 HGB und stellt zugleich sicher, dass der Gesellschaftsgläubiger bei der Durchsetzung der Gesellschaftsverbindlichkeit gegenüber dem Gesellschafter weder besser noch schlechter als bei Inanspruchnahme der Gesellschaft steht.3 Insofern hat § 128 Abs. 1 HGB einerseits ermächtigende Funktion, soweit er den Gesellschafter zur Geltendmachung abgeleiteter Einwendungen und Einreden berechtigt (Rz. 7 ff.), und andererseits beschränkende Funktion, soweit Einwendungen und Einreden durch die Gesellschaft nicht mehr geltend gemacht werden können (Rz. 10). Hieraus leitet sich ab, dass ein rechtskräftiges Urteil im Gesellschaftsprozess für und gegen die Gesellschafter wirkt (Rz. 11 ff.).
7 Der Gesellschafter kann gem. § 128 Abs. 1 HGB jedwede Einrede und Einwendung der Ge-
sellschaft geltend machen, die auch die Gesellschaft selbst erheben könnte. Das gilt insbesondere für Verjährung (§ 214 BGB, dazu noch Rz. 9), Verwirkung (§ 242 BGB), Unmöglichkeit (§ 275 BGB), Erfüllung (§ 362 BGB), Erlass (§ 397 BGB, dazu noch Rz. 8), Stundung und pactum de non petendo sowie die Rechtskraft eines klagabweisenden Urteils (dazu noch Rz. 14).4 Mit Blick auf rechtshindernde und rechtsvernichtende Einwendungen bringt § 128 Abs. 1 HGB jedoch lediglich eine Selbstverständlichkeit zum Ausdruck.5 Denn infolge der Akzessorietät der Gesellschafterhaftung erlischt mit der Gesellschaftsverbindlichkeit bereits der Anspruch aus 126 Satz 1 HGB (§ 126 HGB Rz. 17). 8 Insofern steht § 128 Abs. 1 HGB namentlich einem isolierten Erlassvertrag mit der Gesell-
schaft entgegen, in dem sich der Gläubiger vorbehält, deren Gesellschafter in Anspruch zu nehmen (§ 721b BGB Rz. 7). 9 Gemäß § 128 Abs. 1 HGB kann sich der Gesellschafter auch auf die Verjährung der Gesell-
schaftsschuld berufen. Um die Verjährung der Gesellschaftsverbindlichkeit zu vermeiden, muss der Gesellschaftsgläubiger nach allgemeinen Grundsätzen verjährungshemmende Maßnahmen gegenüber der Gesellschaft – nicht nur gegenüber ihren Gesellschaftern – ergreifen. Gleichwohl kann sich ein Gesellschafter nicht auf die der Gesellschaft erwachsene Einrede der Verjährung berufen, wenn die Verjährung diesem Gesellschafter selbst gegenüber rechtzeitig gehemmt worden ist (§ 721b BGB Rz. 8).6 10 Ist eine Einrede oder Einwendung der Gesellschaft fortgefallen, so kann sie auch von ihren Ge-
sellschaftern nicht mehr erhoben werden. Daran hat sich durch die Streichung des Wortes „nur“ im Vergleich zu § 129 Abs. 1 HGB a.F. nichts geändert, weshalb namentlich auch ein Einwendungsverzicht der Gesellschaft zu Lasten ihrer Gesellschafter geht (§ 721b BGB Rz. 9).7 3 Vgl. (zu § 721b BGB) Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 168. 4 Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 3; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 129 HGB Rz. 4. 5 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 4; Markworth in BeckOGK/HGB, § 129 HGB Rz. 8 (Stand: 1.12.2021). 6 BGH v. 16.12.2021 – IX ZR 81/21, ZIP 2022, 217 Rz. 23; BGH v. 17.12.2015 – IX ZR 143/13, BGHZ 208, 227 Rz. 33 f.; BGH v. 22.3.1988 – X ZR 64/87, BGHZ 104, 76, 81 f. = ZIP 1988, 841, 841 f. 7 BGH v. 9.7.1998 – IX ZR 272/96, BGHZ 139, 214, 217 f. = ZIP 1998, 1478, 1480.
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Einwendungen und Einreden des Gesellschafters | Rz. 17 § 128 HGB
Aus denselben Gründen muss sich der Gesellschafter ebenso wie die Gesellschaft selbst die 11 Rechtskraft eines Urteils gegen die Gesellschaft entgegenhalten lassen.8 Ihm bleiben jedoch jene Einreden und Einwendungen, welche auch die Gesellschaft – v.a. nach § 767 Abs. 2 ZPO – weiterhin selbst geltend machen kann; diese kann er seiner Inanspruchnahme unmittelbar und unabhängig davon entgegenhalten, ob die Gesellschaft selbst Vollstreckungsabwehrklage erhebt (eingehend § 721b BGB Rz. 10). Diese Grundsätze gelten entsprechend für andere rechtskraftfähige Vollstreckungstitel, ins- 12 besondere Vollstreckungsbescheide.9 Bei nicht der Rechtskraft fähigen Vollstreckungstiteln – v.a. Prozessvergleichen und vollstreckbaren Urkunden – führt § 128 Abs. 1 HGB nicht zu einer Präklusion (§ 721b BGB Rz. 11). Darüber hinaus führt § 128 Abs. 1 HGB unabhängig von der Vollstreckbarkeit zu einer 13 Rechtskrafterstreckung, soweit die materielle Rechtskraft die Geltendmachung von Einwendungen und Einreden durch die Gesellschaft präkludiert. Das gilt etwa für die Rechtskraftwirkung der Insolvenztabelle.10 Umgekehrt kann sich der Gesellschafter ebenso wie die Gesellschaft auf die Rechtskraft ei- 14 nes klagabweisenden Urteils im Prozess des Gläubigers gegen die Gesellschaft berufen (§ 721b BGB Rz. 13) Keine Relevanz hat dagegen ein Urteil gegen einen Mitgesellschafter. Das ergibt sich ob der 15 Gesamtschuld der Gesellschafter (§ 126 HGB Rz. 21) unmittelbar aus § 425 Abs. 2 BGB. Da sich § 128 Abs. 1 HGB als Konsequenz der akzessorischen Haftung der Gesellschafter für die Schulden der Gesellschaft versteht (Rz. 2), die Gesellschaft aber nicht akzessorisch für die Schulden der Gesellschafter haftet, kommt es auch zu keiner mittelbaren Rechtskrafterstreckung in der Weise, dass das Urteil gegen einen Gesellschafter die Gesellschaft bindet, wodurch dann wiederum gem. § 128 Abs. 1 HGB die Einwendungen und Einreden der übrigen Gesellschafter determiniert würden.11
2. Persönliche Einwendungen und Einreden des Gesellschafters Aus der Formulierung des § 128 Abs. 1 HGB geht hervor, dass der Gesellschafter in seiner 16 Person begründete Einwendungen und Einreden stets geltend machen kann (Rz. 2). Das ist im Grunde eine Selbstverständlichkeit. So kann etwa der Gesellschaftsgläubiger dem einzelnen Gesellschafter die Forderung stunden oder erlassen, ohne zugleich auf die Durchsetzung gegenüber der Gesellschaft zu verzichten; unter den Gesellschaftern haben solche Tatsachen nur Einzelwirkung (§ 721b BGB Rz. 15). Die Gesellschafterhaftung ist auch hinsichtlich der Verjährung des Anspruchs aus § 126 17 Satz 1 HGB insoweit akzessorisch, als sich – vor dem Erlöschen der Gesellschaft – die Verjährungsfrist und der Fristbeginn nach der Gesellschaftsverbindlichkeit bestimmen (§ 126 HGB Rz. 23). Dagegen müssen verjährungshemmende Maßnahmen im Ausgangspunkt gegenüber der Gesellschaft ergriffen werden, um die Verjährung des Anspruchs gegen die Gesellschaft abzuwenden (Rz. 9), und gegenüber dem jeweiligen Gesellschafter ergriffen werden, um zu verhindern, dass die Verjährungseinrede in seiner Person entsteht. Gleichwohl 8 BGH v. 20.2.2018 – II ZR 272/16, BGHZ 217, 327 = ZIP 2018, 640 Rz. 23 = GmbHR 2018, 468; BGH v. 22.3.2011 – II ZR 249/09, ZIP 2011, 1143 Rz. 9; BGH v. 3.4.2006 – II ZR 40/05, ZIP 2006, 994 Rz. 15. 9 Vgl. BGH v. 3.11.2015 – II ZR 446/13, ZIP 2016, 211 Rz. 34; BGH v. 11.12.1995 – II ZR 220/94, ZIP 1996, 227, 228. 10 BGH v. 20.2.2018 – II ZR 272/16, BGHZ 217, 327 = ZIP 2018, 640 LS 2, Rz. 21 ff. 11 Eingehend BGH v. 22.3.2011 – II ZR 249/09, ZIP 2011, 1143 Rz. 7 ff. Ceesay | 943
§ 128 HGB Rz. 17 | Offene Handelsgesellschaft wirken verjährungshemmende Maßnahmen gegenüber der Gesellschaft auch gegenüber ihren Gesellschaftern (§ 721b BGB Rz. 16).12 Für verjährungshemmende Maßnahmen gegenüber Mitgesellschaftern gilt dies nicht (Rz. 16). Nur der Gesellschafter, demgegenüber verjährungshemmende Maßnahmen tatsächlich ergriffen wurden, kann sich nicht darauf berufen, dass der Gläubiger keine separaten verjährungshemmenden Maßnahmen gegenüber der Gesellschaft ergriffen hat (Rz. 9).
3. Besonderheiten bei Eintritt eines Gesellschafters 18 Da § 127 Satz 1 HGB ausdrücklich auf § 128 HGB verweist, lassen sich für den Eintretenden
keine Abweichungen von den dargestellten Grundsätzen rechtfertigen, so dass sich die Rechtskraft eines gegen die Gesellschaft ergangenen Urteils unabhängig von seiner fehlenden Einflussmöglichkeit auch auf den Eintretenden erstreckt (§ 721b BGB Rz. 17 f.).
4. Besonderheiten bei Ausscheiden eines Gesellschafters 19 Für den ausgeschiedenen Gesellschafter gilt zunächst die gesetzliche Nachhaftungsbegren-
zung des § 137 HGB. Danach haftet der Ausgeschiedene für bis zu seinem Ausscheiden begründete Gesellschaftsverbindlichkeiten nur, wenn sie vor Ablauf von fünf Jahren nach seinem Ausscheiden fällig sowie festgestellt, gerichtlich geltend gemacht oder anerkannt sind. 20 Darüber hinaus haben jedoch Rechtsprechung und Lehre nahezu einmütig ein Sonderrecht
für die Haftung ausgeschiedener Gesellschafter entwickelt, das seine Ableitungsbasis in der fehlenden Einflussmöglichkeit auf die Geschicke der Gesellschaft findet.13 Deshalb soll es bei den für amtierende Gesellschafter geltenden Grundsätzen bleiben, wenn ein persönlich haftender Gesellschafter nach der Umgestaltung der Gesellschaft in eine GmbH & Co. KG die Geschäfte als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH weiterführt.14 Für den in die Stellung eines Kommanditisten wechselnden Gesellschafter kann ungeachtet des Ausschlusses von Geschäftsführung (§ 164 HGB) und Vertretung (§ 170 Abs. 1 HGB) nichts anderes gelten, da § 128 Abs. 1 HGB auch für die Kommanditistenhaftung gilt (Rz. 4). Innerhalb der so gezogenen Grenzen gelten folgende Besonderheiten: 21 Erstens muss sich ein bereits bei Klageerhebung ausgeschiedener Gesellschafter den mit der
Rechtskraft eines Urteils gegen die Gesellschaft verbundenen Einwendungsausschluss (Rz. 11 ff.) nicht entgegenhalten lassen.15 Dagegen soll die Rechtskraft eines klagabweisenden Urteils gegen die Gesellschaft auch zugunsten eines ausgeschiedenen Gesellschafters wirken, weil der Gesellschafter nicht regresslos gestellt werden dürfe.16
12 BGH v. 11.12.1978 – II ZR 235/77, BGHZ 73, 217 LS 2. 13 Vgl. nur BGH v. 20.2.2018 – II ZR 272/16, BGHZ 217, 327 = ZIP 2018, 640 Rz. 26; BGH v. 8.11.1965 – II ZR 223/64, BGHZ 44, 229, 233 f. = GmbHR 2018, 468; Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 6; Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 15; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 967 (Stand: 01/2022); kritisch aber neuerdings Markworth in BeckOGK/HGB, § 129 HGB Rz. 36 (Stand: 1.12.2021). 14 BGH v. 22.9.1980 – II ZR 204/79, BGHZ 78, 114, 120 f. = ZIP 1980, 997, 999 = GmbHR 1981, 12; BGH v. 20.2.2018 – II ZR 272/16, BGHZ 217, 327 = ZIP 2018, 640 Rz. 27 = GmbHR 2018, 468. 15 BGH v. 20.2.2018 – II ZR 272/16, BGHZ 217, 327 = ZIP 2018, 640 Rz. 26; BGH v. 8.11.1965 – II ZR 223/64, BGHZ 44, 229, 233 f. = GmbHR 2018, 468. 16 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 15; K. Schmidt/ Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 129 HGB Rz. 17; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 967 (Stand: 01/2022).
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Einwendungen und Einreden des Gesellschafters | Rz. 29 § 128 HGB
Zweitens wirkt ein Verzicht der Gesellschaft auf Einwendungen und Einreden entgegen 22 § 128 Abs. 1 HGB (Rz. 10) nicht gegenüber dem Ausgeschiedenen.17 Drittens sollen verjährungshemmende Maßnahmen gegenüber der Gesellschaft entgegen 23 den zu § 128 Abs. 1 HGB geltenden Grundsätzen (Rz. 17) nicht zugleich die Verjährung der akzessorischen Gesellschafterhaftung hemmen.18 Ein solches Sonderrecht für ausgeschiedene Gesellschafter (Rz. 20–23) ist abzulehnen (§ 721b 24 BGB Rz. 24).19 Auch hinsichtlich der Verjährung können für Ausgeschiedene keine Sonderregeln gelten (§ 721b BGB Rz. 25).
III. Gestaltungseinrede (Abs. 2) Gemäß § 128 Abs. 2 HGB kann der Gesellschafter die Befriedigung des Gläubigers verwei- 25 gern, solange der Gesellschaft in Ansehung der Verbindlichkeit das Recht zur Anfechtung oder Aufrechnung oder ein anderes Gestaltungsrecht zusteht, dessen Ausübung die Gesellschaft ihrerseits zur Leistungsverweigerung berechtigen würde. Die Vorschrift gibt dem Gesellschafter eine Einrede gegen seine Inanspruchnahme aus § 721 Satz 1 BGB, aber nicht das Recht, das betreffende Gestaltungsrecht der Gesellschaft selbst auszuüben. Die Einrede des § 128 Abs. 2 HGB besteht, solange die Gesellschaft das entsprechende Ge- 26 staltungsrecht ausüben kann. Sie fällt mithin weg, wenn die Voraussetzungen für die Ausübung des Gestaltungsrechts nicht mehr vorliegen. Zu einem Wegfall kommt es aber auch, wenn die Gesellschaft auf die Ausübung des Gestaltungsrechts verzichtet (§ 721b BGB Rz. 27). Einem Wegfall des Gestaltungsrechts steht eine Präklusion gem. § 767 Abs. 2 ZPO gleich, 27 nachdem das Urteil gegen die Gesellschaft im Gesellschaftsprozess in Rechtskraft erwachsen ist. Denn nach gefestigter Rechtsprechung des BGH kommt es für den Einwendungsausschluss gem. § 767 Abs. 2 ZPO nicht nur darauf an, ob das Gestaltungsrecht bereits in der letzten mündlichen Verhandlung hätte ausgeübt werden können.20 Infolge der Präklusion zeitigt die Ausübung des Gestaltungsrechts auch keine materiell-rechtlichen Wirkungen mehr.21 Die Anfechtungseinrede steht dem Gesellschafter zu, wenn und solange (vgl. § 121 Abs. 1, 28 § 124, § 144 Abs. 1 BGB) die Gesellschaft selbst zur Anfechtung befugt ist. Bei einer arglistigen Täuschung steht dem Gesellschafter neben der Anfechtungseinrede des § 128 Abs. 2 HGB regelmäßig gem. § 128 Abs. 1 HGB die abgeleitete Einrede der Gesellschaft aus § 853 BGB zu, welche die Gesellschaft auch noch nach Ablauf der Anfechtungsfrist des § 124 Abs. 1 BGB erheben kann. Die Aufrechnungseinrede steht dem Gesellschafter zu, wenn (§§ 390, 394 BGB) und solange 29 die Gesellschaft mit einer Forderung gegen den Gläubiger gegen die Forderung des Gesellschaftsgläubigers aufrechnen kann. Das entsprach schon vor dem MoPeG der ganz herrschenden Meinung zu § 129 Abs. 3 HGB a.F., da die umgekehrte Formulierung („solange sich der Gläubiger durch Aufrechnung gegen eine fällige Forderung der Gesellschaft befriedigen kann“) auf einem Redaktionsversehen – nämlich der unbesehenen Übernahme des für 17 Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 9; Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 15; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 129 HGB Rz. 17. 18 Siehe nur Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 4 m.w.N. 19 Eingehend Scholz, ZZP 136 (2023), 221, 238 ff. 20 BGH v. 3.3.2020 – XI ZR 486/17, BGHZ 225, 44 = ZIP 2020, 1455 Rz. 13 m.w.N. 21 BGH v. 25.6.2019 – II ZR 170/17, Rz. 11 m.w.N. Ceesay | 945
§ 128 HGB Rz. 29 | Offene Handelsgesellschaft die subsidiäre Bürgenhaftung geltenden § 770 Abs. 2 BGB – beruhte.22 Ob der Gläubiger gegen die Gesellschaft aufrechnen könnte, spielt keine Rolle. Ebenso spielt es für § 128 Abs. 2 HGB keine Rolle, ob der Gesellschafter mit einer eigenen Forderung gegen den Gläubiger aufrechnen könnte. Unter den Voraussetzungen der §§ 387 ff. BGB kann der Gesellschafter jedoch den Gläubiger durch Aufrechnung befriedigen und umgekehrt der Gläubiger mit dem Anspruch aus § 126 Satz 1 HGB gegen eine Forderung des Gesellschafters aufrechnen.23 30 Darüber hinaus gibt § 128 Abs. 2 HGB dem Gesellschafter eine Einrede, solange der Gesell-
schaft in Ansehung der Verbindlichkeit ein anderes Gestaltungsrecht zusteht, dessen Ausübung die Gesellschaft ihrerseits zur Leistungsverweigerung berechtigen würde. Damit kann sich der Gesellschafter insbesondere auch auf ein von der Gesellschaft nicht ausgeübtes Rücktritts- oder Kündigungsrecht berufen.24
IV. Prozessuales 31 Die Vorschrift gilt nicht für rein prozessuale Einreden, gibt also weder dem Gesellschafter
den Einwand der Rechtshängigkeit der Gesellschaftsklage (§ 261 Abs. 3 ZPO) noch wirkt die rügelose Einlassung der Gesellschaft gegenüber dem Gesellschafter zuständigkeitsbegründend (§ 39 Satz 1 ZPO).25 32 Die materielle Rechtskraft eines Urteils gegen die Gesellschaft erstreckt sich über § 128
Abs. 1 HGB auch auf den Gesellschafter, so dass ihm im Haftungsprozess neben den Einwendungen, die der Gesellschaft noch verbleiben (Rz. 11), nurmehr persönliche Einwendungen (Rz. 16 ff.) sowie die Einrede des § 128 Abs. 2 HGB hinsichtlich solcher Gestaltungsrechte der Gesellschaft zustehen, die durch das rechtskräftige Urteil nicht präkludiert sind (Rz. 27). 33 Die materielle Rechtskraft eines Urteils gegen den Gesellschafter erstreckt sich nicht auf
die Gesellschaft (Rz. 14). Infolgedessen kann der Gesellschafter mittels Vollstreckungsabwehrklage jedoch gem. § 767 Abs. 2 ZPO nurmehr solche Einwendungen der Gesellschaft geltend machen, die nach der letzten mündlichen Verhandlung im Gesellschafterprozess entstanden sind. Der Einwand einer nachträglichen Verjährung der Gesellschaftsschuld ist dem Gesellschafter gleichwohl verwehrt, nachdem er sich bereits im Haftungsprozess nicht auf die Verjährung der Gesellschaftsschuld hätte berufen können, wenn der Gläubiger ihm gegenüber verjährungshemmende Maßnahmen ergriffen hat (Rz. 9).26 34 Nach allgemeinen Grundsätzen wird die Klage in den Fällen des § 128 Abs. 2 HGB als „der-
zeit unbegründet“ abgewiesen (§ 721b BGB Rz. 35). Da sich die Rechtskraft des Urteils im Gesellschafterprozess nicht auf die Gesellschaft erstreckt (Rz. 15), kann auch die Entscheidung über die Forderung der Gesellschaft bei Erhebung der Aufrechnungseinrede (Rz. 29) nicht gem. § 322 Abs. 2 ZPO in Rechtskraft erwachsen. Die Aufrechnungseinrede wirkt deshalb keinesfalls kostenerhöhend nach § 45 Abs. 3 GKG.
22 BGH v. 14.12.1964 – VIII ZR 119/63, BGHZ 42, 396, 397 f.; Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 12; Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 23; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 129 HGB Rz. 25. 23 K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 129 HGB Rz. 27. 24 Vgl. (zu § 721b BGB) Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 168. 25 Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 3; Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 5; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 129 HGB Rz. 5. 26 BGH v. 27.4.1981 – lI ZR 177/80, ZIP 1981, 861 LS; Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 9.
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Zwangsvollstreckung gegen die Gesellschaft oder ihre Gesellschafter | Rz. 3 § 129 HGB
§ 129 HGB Zwangsvollstreckung gegen die Gesellschaft oder gegen ihre Gesellschafter (1) Zur Zwangsvollstreckung in das Vermögen der Gesellschaft ist ein gegen die Gesellschaft gerichteter Vollstreckungstitel erforderlich. (2) Aus einem gegen die Gesellschaft gerichteten Vollstreckungstitel findet die Zwangsvollstreckung gegen die Gesellschafter nicht statt. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zwangsvollstreckung gegen die Gesellschaft (Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
III. Zwangsvollstreckung gegen die Gesellschafter (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . .
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3
Schrifttum: Scholz, Das Prozessrecht der akzessorischen Gesellschafterhaftung, ZZP 136 (2023), 221; Wertenbruch, Die Haftung von Gesellschaftern und Gesellschaftsanteilen in der Zwangsvollstreckung, 2000
I. Grundlagen In der Vorschrift sind die Regelungen der § 124 Abs. 2, § 129 Abs. 4 HGB a.F. aufgegangen.1 1 Für die rechtsfähige GbR findet sich in § 722 BGB eine wortlautidentische Regelung. In der Sache regelt die Vorschrift lediglich klarstellend, „ob und unter welchen Voraussetzungen ein Titel für eine Zwangsvollstreckung in das Gesellschaftsvermögen oder in das Privatvermögen eines oder mehrerer Gesellschafter taugt“.2 Ein eigenständiger zwangsvollstreckungsrechtlicher Regelungsgehalt lässt sich ihr daher nicht entnehmen.3 Daher gelten die Regelungen des § 129 HGB in der Kommanditgesellschaft über § 161 2 Abs. 2 HGB auch gleichermaßen.
II. Zwangsvollstreckung gegen die Gesellschaft (Abs. 1) Gemäß § 129 Abs. 1 HGB ist zur Zwangsvollstreckung in das Vermögen der Gesellschaft ein 3 gegen die Gesellschaft gerichteter Vollstreckungstitel erforderlich. Die Vorschrift impliziert bereits die Parteifähigkeit der OHG. Nach allgemeinen Grundsätzen folgt diese zudem aus § 50 ZPO i.V.m. § 105 Abs. 2 HGB. Die OHG ist gleichwohl gem. § 51 Abs. 1 ZPO prozessunfähig und wird daher im Prozess durch ihre gem. § 124 HGB zur organschaftlichen Vertretung berufenen Gesellschafter vertreten. Der allgemeine Gerichtsstand der Gesellschaft liegt gem. § 17 Abs. 1 Satz 1 ZPO an ihrem Sitz i.S.d. § 106 Abs. 1 HGB. Im Hinblick auf die akzessorische Gesellschafterhaftung gem. § 126 Satz 1 HGB können Gesellschaft und Gesellschafter als einfache Streitgenossen gemeinsam vor demselben Gericht verklagt werden (eingehend § 126 HGB Rz. 41 ff.).
1 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 242. 2 Vgl. (zu § 722 BGB) Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 168. 3 Scholz, ZZP 136 (2023), 221, 242. Ceesay | 947
§ 129 HGB Rz. 4 | Offene Handelsgesellschaft 4 Für die Zwangsvollstreckung in das Gesellschaftsvermögen bedarf es eines gegen die Gesell-
schaft gerichteten Vollstreckungstitels. Ein gegen alle Gesellschafter erwirkter Titel genügt nicht. Wird auf Grund eines gegen einen Gesellschafter erwirkten Titels in das Gesellschaftsvermögen vollstreckt, kann sich die Gesellschaft mithin grundsätzlich mittels Drittwiderspruchsklage gem. § 771 Abs. 1 ZPO zur Wehr setzen.4 5 Betreibt der Gläubiger die Zwangsvollstreckung jedoch wegen einer rechtskräftigen akzesso-
rischen Gesellschafterhaftung für eine Gesellschaftsverbindlichkeit gem. § 126 Satz 1 HGB, kann der Gläubiger der Gesellschaft – wie im umgekehrten Fall auch dem Gesellschafter (Rz. 9) – den auf § 242 BGB gestützten Einwand der Mithaftung für die titulierte Forderung entgegenhalten (§ 722 BGB Rz. 5).5
III. Zwangsvollstreckung gegen die Gesellschafter (Abs. 2) 6 Die Gesellschafter haften gem. §§ 126–128 HGB akzessorisch für die Verbindlichkeiten der
Gesellschaft. Im Hinblick auf diese akzessorische Gesellschafterhaftung können sie mit der Gesellschaft als einfache Streitgenossen gemeinsam vor demselben Gericht verklagt werden (eingehend § 126 HGB Rz. 41 ff.). 7 Wenngleich die Rechtskraft eines gegen die Gesellschaft ergangenen Urteils über den Ein-
wendungsausschluss des § 128 Abs. 1 HGB auch gegen die Gesellschafter wirkt (§ 128 HGB Rz. 11 ff.), findet die Zwangsvollstreckung gegen die Gesellschafter aus einem gegen die Gesellschaft gerichteten Vollstreckungstitel gem. § 129 Abs. 2 HGB nicht statt. Das ist nicht nur durch die formale Trennung der Vermögenssphären von rechtsfähiger Gesellschaft und rechtsfähigem Gesellschafter gerechtfertigt, sondern findet seine innere Rechtfertigung in der Möglichkeit der Gesellschafter, neben den abgeleiteten Einreden und Einwendungen der Gesellschaft gem. § 129 Abs. 1 HGB die in ihrer Person selbst begründeten Einreden und Einwendungen geltend zu machen. Deshalb kann auch ein gegen die Gesellschaft erwirkter Titel nicht nach § 727 ZPO auf die Gesellschafter umgeschrieben werden.6 Eine solche Titelumschreibung ist nur möglich, wenn nach Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters das Gesellschaftsvermögen gem. § 712a Abs. 1 Satz 2 BGB, § 105 Abs. 3 HGB auf den letzten verbleibenden Gesellschafter übergegangen ist, und auch dann erlaubt § 727 ZPO es lediglich, den Titel auf den letzten Gesellschafter umzuschreiben. 8 Für die Zwangsvollstreckung in das Privatvermögen eines Gesellschafters bedarf es daher
genauso eines gegen den Gesellschafter persönlich gerichteten Vollstreckungstitels wie eine Vollstreckung in das Gesellschaftsvermögen gem. § 129 Abs. 1 HGB einen gegen die Gesellschaft gerichteten Vollstreckungstitel erfordert. Wird auf Grund eines gegen die Gesellschaft erwirkten Titels in das Privatvermögen des Gesellschafters vollstreckt, kann sich der Gesellschafter mithin grundsätzlich mittels Drittwiderspruchsklage gem. § 771 Abs. 1 ZPO zur Wehr setzen. 9 Soweit der Gesellschafter allerdings gem. § 126 Satz 1 HGB akzessorisch für die titulierte Ge-
sellschaftsverbindlichkeit haftet, kann der Gesellschaftsgläubiger der Intervention des Gesellschafters nach ganz herrschender Auffassung den Einwand der Mithaftung entgegenhalten (§ 722 BGB Rz. 9). Es spricht viel dafür, dass Gleiches auch gilt, wenn ein Gesellschaftsgläubiger auf Grund eines gegen einen Gesellschafter erwirkten Titels in das Privatvermögen eines anderen Gesellschafters vollstreckt (§ 722 BGB Rz. 9).7 4 Habersack in Habersack/Schäfer, Das Recht der OHG, 2. Aufl. 2019, § 124 HGB Rz. 42. 5 Dazu bereits Scholz, ZZP 136 (2023) 221, 243 f. 6 Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 129 HGB Rz. 14; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 979 (Stand: 01/2022). 7 Dazu bereits Scholz, ZZP 136 (2023), 221, 244 f.
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Gründe für das Ausscheiden; Zeitpunkt des Ausscheidens | Rz. 1 § 130 HGB
Ausscheiden eines Gesellschafters (§§ 130–137)
§ 130 HGB Gründe für das Ausscheiden; Zeitpunkt des Ausscheidens (1) Folgende Gründe führen zum Ausscheiden eines Gesellschafters aus der Gesellschaft, sofern der Gesellschaftsvertrag für diese Fälle nicht die Auflösung der Gesellschaft vorsieht: 1. Tod des Gesellschafters; 2. Kündigung der Mitgliedschaft durch den Gesellschafter; 3. Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Gesellschafters; 4. Kündigung der Mitgliedschaft durch einen Privatgläubiger des Gesellschafters; 5. gerichtliche Entscheidung über Ausschließungsklage. (2) Im Gesellschaftsvertrag können weitere Gründe für das Ausscheiden eines Gesellschafters vereinbart werden. (3) Der Gesellschafter scheidet mit Eintritt des ihn betreffenden Ausscheidensgrundes aus, im Fall der Kündigung der Mitgliedschaft aber nicht vor Ablauf der Kündigungsfrist und im Fall der gerichtlichen Entscheidung über die Ausschließungsklage nicht vor Rechtskraft des stattgebenden Urteils. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausscheidensgründe Tod des Gesellschafters (Nr. 1) . . . . . . . . . Kündigung durch einen Gesellschafter (Nr. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Gesellschafters (Nr. 3)
I. II. 1. 2.
1 4 5
4. Kündigung durch Privatgläubiger und Ausschließung (Nr. 4, 5) . . . . . . . . . . . . . . 8 III. Abweichende Regelungen . . . . . . . . . . . . 9 IV. Zeitpunkt des Ausscheidens . . . . . . . . . . 11 V. Rechtsfolgen des Ausscheidens . . . . . . . 13
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Schrifttum: Siehe zu § 723 BGB.
I. Überblick Die §§ 130 ff. HGB betreffen das Ausscheiden eines Gesellschafters aus der Gesellschaft. Eine 1 grundlegende Änderung im Vergleich zur bisherigen Rechtslage bringt das MoPeG – anders als im Recht der GbR (§ 723 BGB Rz. 2) – nicht. Für die oHG gilt bereits seit der Handelsrechtsreform 1998 der Grundsatz der Verbandskontinuität,1 d.h. die in Abs. 1, 2 geregelten Gründe führen – wie nun auch in der GbR – zum Ausscheiden des betroffenen Gesellschafters statt zur Auflösung. Das MoPeG ordnet die bisherigen Regelungen jedoch neu an und trennt insbesondere die bislang ineinander verwobenen Regelungen zum Ausscheiden und zur Auflösung systematisch stimmig in zwei unterschiedliche Titel des HGB. Zudem wird
1 Begr. RegE HRefG, BT-Drucks. 13/8444, 41 f. Guntermann | 949
§ 130 HGB Rz. 1 | Offene Handelsgesellschaft das Kündigungsrecht des Gesellschafters weiter ausdifferenziert (Rz. 5, § 132 HGB Rz. 2). Neu ist auch, dass die §§ 130 ff. HGB nun eigenständige Regelungen zu den vermögensrechtlichen Rechtsfolgen des Ausscheidens enthalten (§§ 135, 136 HGB), für die das HGB bislang auf §§ 738, 739 BGB a.F. verwies. Für die mitgliedschaftlichen Folgen des Ausscheidens wurde die Verweisungstechnik hingegen beibehalten; über § 105 Abs. 3 HGB gelten die §§ 712, 712a BGB entsprechend. Wegen der weitgehenden Angleichung der §§ 723 ff. BGB und der §§ 130 ff. HGB hätte diese Regelungstechnik auch im Übrigen weitgehend angewendet werden können. Die selbstständige Regelung in den §§ 130 ff. HGB vermeidet jedoch Auslegungsprobleme und verdeutlicht verbleibende Unterschiede.2 2 § 130 HGB regelt die Gründe, die zum Ausscheiden aus der Gesellschaft führen (Abs. 1, 2)
und den Zeitpunkt des Ausscheidens (Abs. 3). Die Regelung entspricht im Wesentlichen § 131 Abs. 3 HGB a.F. und ist weitgehend identisch zu § 723 BGB. Abs. 1 stellt nun klar, dass die Regelung nur in den Rechtsfolgen dispositiv ist. Statt der Ausscheidensfolge können die Gesellschafter also lediglich vorsehen, dass die Gründe gem. Abs. 1 zur Auflösung der Gesellschaft führen. Dies dient insbesondere dem Schutz der Privatgläubiger des ausscheidenden Gesellschafters (§ 723 BGB Rz. 22). Darüber hinaus wurde die Reihenfolge der Ausscheidensgründe verändert. Die Möglichkeit, weitere Ausscheidensgründe im Gesellschaftsvertrag vorzusehen (§ 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 HGB a.F.) wurde in Abs. 2 verschoben (Rz. 10). Zudem wurde § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 HGB a.F., wonach auch ein Gesellschafterbeschluss zum Ausscheiden eines Gesellschafters führte, gestrichen, weil diese Norm zu Unklarheiten über ihre Bedeutung für § 140 HGB a.F. geführt hatte. Dass im Gesellschaftsvertrag vorgesehen werden kann, dass ein Gesellschafter statt durch Ausschließungsklage durch Beschluss der Gesellschafter ausgeschlossen werden kann, ist nun unmittelbar in § 134 Satz 1 HGB a.E. normiert (§ 134 HGB Rz. 2).3 Abs. 3 stellt klar, dass im Falle der Ausschließung eines Gesellschafters durch Ausschließungsklage (§ 134 HGB) dieser nicht vor dem Eintritt der Rechtskraft des Urteils aus der Gesellschaft ausscheidet.4 3 In der aufgelösten Gesellschaft gelten die Ausscheidensgründe gemäß Abs. 1 Nr. 15 und
Abs. 1 Nr. 36 nicht mehr, d.h. die Erben (in Erbengemeinschaft) und der insolvente Gesellschafter verbleiben in der Liquidationsgesellschaft. Die Austrittskündigung (Nr. 2), die Kündigung durch einen Privatgläubiger (Nr. 4) und die Ausschließungsklage (Nr. 5) sind dagegen noch nach der Auflösung möglich (§ 723 BGB Rz. 3). § 130 HGB gilt für die KG grundsätzlich entsprechend (§ 161 Abs. 2 HGB). § 177 HGB modifiziert § 130 Abs. 1 Nr. 1 HGB jedoch dahingehend, dass der Tod eines Kommanditisten vorbehaltlich einer abweichenden vertraglichen Regelung nicht zum Ausscheiden führt, sondern die Gesellschaft mit den Erben fortgesetzt wird. Zudem trifft § 179 HGB für den Fall der sog. vertikalen Simultaninsolvenz eine von Abs. 1 Nr. 3 abweichende Sonderregelung: die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des einzigen persönlich haftenden Gesellschafters führt in diesem Fall nicht zu dessen Ausscheiden aus der gem. § 138 Abs. 1 Nr. 2 HGB aufgelösten bzw. aufzulösenden Gesellschaft (Rz. 15). Die bislang für diesen Fall angenommene teleologische Reduktion von § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 HGB a.F. wird dadurch obsolet (§ 179 HGB Rz. 3). Für die Partnerschaft verweist § 9 Abs. 1 PartGG auf § 130 HGB.
2 3 4 5 6
Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 220 (zu Art. 49 MoPeG). Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 243. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 243. Michel in BeckOGK/HGB, Stand: 15.8.2022, § 130 HGB Rz. 47. Anders: Michel in BeckOGK/HGB, Stand: 15.8.2022, § 130 HGB Rz. 47.
950 | Guntermann
Gründe für das Ausscheiden; Zeitpunkt des Ausscheidens | Rz. 6 § 130 HGB
II. Ausscheidensgründe 1. Tod des Gesellschafters (Nr. 1) Zum Ausscheiden aus der Gesellschaft führt zum einen der Tod eines persönlich haftenden 4 Gesellschafters (Nr. 1) (§ 723 BGB Rz. 9). § 177 HGB trifft für den Fall des Todes eines Kommanditisten eine abweichende Regelung. Der Gesellschaftsanteil an einer oHG und der Anteil des Komplementärs an der KG sind mithin – vorbehaltlich einer abweichenden gesellschaftsvertraglichen Regelung – grundsätzlich nicht vererblich (§ 711 BGB Rz. 21). Für den Fall des Todes des einzigen persönlich haftenden Gesellschafters einer zweigliedrigen KG, der zum Erlöschen der KG und dem Übergang des Gesellschaftsvermögens auf den Kommanditisten führt (§ 161 Abs. 2, § 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 712a Abs. 1 BGB), wird teilweise erwogen, die Norm teleologisch zu reduzieren,7 da dem verbleibenden Kommanditisten andernfalls eine unbeschränkte Haftung für sämtliche Gesellschaftsschulden droht. Jedenfalls mit Blick auf die unterbliebene Änderung durch das MoPeG fehlt es jedoch an der planwidrigen Regelungslücke.8 Die Norm findet keine entsprechende Anwendung auf die Vollbeendigung einer Gesellschafter-Gesellschaft; die Folgen der Vollbeendigung sind vielmehr durch (ergänzende) Auslegung des Gesellschaftsvertrags zu ermitteln (§ 723 BGB Rz. 11).
2. Kündigung durch einen Gesellschafter (Nr. 2) Ebenfalls zum Ausscheiden führt die Kündigung durch einen Gesellschafter (Nr. 2). Der in 5 Nr. 2 ergänzten Klarstellung, dass es sich um die Kündigung der Mitgliedschaft handeln muss, hätte es für die oHG nicht bedurft. Anders als im Recht der GbR (§ 731 BGB) gibt es im Recht der oHG grundsätzlich keine Auflösungskündigung (zu gesellschaftsvertraglichen Abweichungen § 139 HGB Rz. 21). Die Auflösung erfolgt vielmehr durch ein der Auflösungsklage eines Gesellschafters stattgebendes Urteil (§ 139 HGB). Zu etwaigen Auslegungsschwierigkeiten für den Fall, dass der Gesellschafter die „Kündigung“ ausspricht (§ 723 BGB Rz. 13), kann es daher in der oHG grundsätzlich nicht kommen. Anders als nach bisheriger Rechtslage (§§ 132, 134 HGB a.F.) kann ein Gesellschafter die Mitgliedschaft nun nicht mehr bloß ordentlich kündigen (§ 132 Abs. 1 HGB). Durch das MoPeG wurde auch ein Recht zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund geschaffen (§ 132 Abs. 2, 3 HGB) (§ 132 HGB Rz. 7 ff.).9
3. Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Gesellschafters (Nr. 3) Ein Gesellschafter scheidet auch mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 27 InsO) 6 über sein Vermögen aus (Nr. 3). Die Regelung bezweckt den Schutz der Insolvenzgläubiger, die Zugriff auf den Abfindungsanspruch des insolventen Gesellschafters erhalten (§ 135 Abs. 1 Satz 1 HGB). Zudem werden die verbleibenden Gesellschafter vor der Fortsetzung unter Beteiligung des Insolvenzverwalters geschützt (§ 723 BGB Rz. 15). Die Norm gilt auch für die Insolvenz des vorletzten Gesellschafters einer Zwei-Personen-Gesellschaft.10 Die Gesellschaf-
7 8 9 10
Frey/v. Bredow, ZIP 1998, 1621 f. Mit Blick auf das HRefG schon: Klöhn in Henssler/Strohn, § 140 HGB Rz. 45. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 244. Kindler in Koller/Kindler/Roth/Drüen, 9. Aufl. 2019, § 131 HGB Rz. 23; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 131 HGB Rz. 76; Klöhn in Henssler/Strohn, § 131 HGB Rz. 52; für die zweigliedrige KG: BGH v. 15.3.2004 – II ZR 24/01, ZIP 2004, 1047, 1048 = GmbHR 2004, 952. Guntermann | 951
§ 130 HGB Rz. 6 | Offene Handelsgesellschaft ter können sich vor unerwünschten (Haftungs-)Folgen durch gesellschaftsvertragliche Gestaltung schützen.11 Für die Folgen der rechtskräftigen Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses, des Nachlassinsolvenzverfahrens und der Masselosigkeit gilt dasselbe wie im Recht der GbR (§ 723 BGB Rz. 16 ff.). 7 Nr. 3 gilt auch für die isolierte Insolvenz des einzigen persönlich haftenden Gesellschafters
einer KG (zu den Folgen für die Gesellschaft Rz. 15). Trifft seine Insolvenz mit der Insolvenz der Gesellschaft zusammen (sog. vertikale Simultaninsolvenz), bleibt der persönlich haftende Gesellschafter hingegen Gesellschafter der Liquidationsgesellschaft. Nr. 3 gilt nicht, vgl. § 179 HGB (zur vertikalen Simultaninsolvenz der KG und des einzigen Kommanditisten § 179 HGB Rz. 8 f.).12 Werden die Gesellschaft und ein oHG-Gesellschafter in engem zeitlichem Zusammenhang insolvent, spricht die ausdrückliche Regelung für die KG hingegen gegen die Nichtanwendung von Nr. 3 (§ 723 BGB Rz. 19). Auch die horizontale Simultaninsolvenz sämtlicher Gesellschafter ist ungeregelt (§ 179 HGB Rz. 10). Zur Vermeidung von Rechtsunsicherheiten können die Gesellschafter vereinbaren, dass die Gesellschafterinsolvenz zur Auflösung der Gesellschaft führen soll (Rz. 9).
4. Kündigung durch Privatgläubiger und Ausschließung (Nr. 4, 5) 8 Zum Ausscheiden eines Gesellschafters führt ferner die Kündigung der Mitgliedschaft
durch einen Privatgläubiger des Gesellschafters (Nr. 4 i.V.m. § 133 HGB) und die Ausschließung des Gesellschafters aus wichtigem Grund (Nr. 5 i.V.m. § 134 HGB).
III. Abweichende Regelungen 9 § 130 Abs. 1 HGB ist wie § 723 Abs. 1 BGB (§ 723 BGB Rz. 22) in seiner Rechtsfolge dis-
positiv, d.h. die Gesellschafter können vereinbaren, dass die dort genannten Gründe zur Auflösung der Gesellschaft führen sollen. Eine Klausel, wonach die Gesellschaft trotz Vorliegens eines Ausscheidensgrundes mit dem betroffenen Gesellschafter fortgesetzt wird, ist hingegen nicht zulässig. Dadurch soll verhindert werden, dass die Gläubiger des betroffenen Gesellschafters benachteiligt werden, indem sie keinen Zugriff auf den Abfindungsanspruch (§ 135 Abs. 1 Satz 1 BGB) bzw. den Anspruch auf das Liquidationsguthaben (§ 148 Abs. 6−8 HGB) erhalten (§ 723 BGB Rz. 22). 10 Darüber hinaus können die Gesellschafter weitere Gründe für das Ausscheiden eines Gesell-
schafters vereinbaren (Abs. 2). Die Gesetzesbegründung nennt beispielhaft Hinauskündigungsklauseln (§ 727 BGB Rz. 15, § 134 HGB Rz. 13).13 Die in Abs. 1 normierten Ausscheidensgründe sind dagegen – vorbehaltlich einer ausdrücklichen Anordnung in den in Bezug genommenen Vorschriften – in ihren Voraussetzungen nicht dispositiv (§ 723 BGB Rz. 23). Weitere Ausscheidensgründe im Gesellschaftsvertrag bedürfen, sofern sie zum unmittelbaren Ausscheiden des Gesellschafters führen, eines Mindestmaßes an Bestimmtheit. Zudem sind sie an §§ 134, 138 BGB zu messen (§ 723 BGB Rz. 23, § 134 HGB Rz. 13).
11 Vgl. etwa den Regelungsvorschlag von: K. Schmidt, ZIP 2008, 2337, 2342 f. 12 Vgl. zur Rechtslage vor dem MoPeG schon: K. Schmidt, ZIP 2010, 1621, 1626 f.; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 131 HGB Rz. 78; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 131 HGB Rz. 92; für den Fall des Verbleibs von mindestens zwei Gesellschaftern anders: BGH v. 8.5.2014 – I ZR 217/12, BGHZ 201, 129, 134 = GmbHR 2014, 871, 872. Zum RegE auch: M. Noack, BB 2021, 643, 646. 13 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27625, 243.
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Gründe für das Ausscheiden; Zeitpunkt des Ausscheidens | Rz. 14 § 130 HGB
IV. Zeitpunkt des Ausscheidens Abs. 3 regelt nach dem Vorbild von § 131 Abs. 3 Satz 2 HGB a.F. den Zeitpunkt des Aus- 11 scheidens des Gesellschafters. Vorbehaltlich einer abweichenden Regelung im Gesellschaftsvertrag scheidet der Gesellschafter mit Eintritt des ihn betreffenden Ausscheidensgrundes aus. Im Falle der Kündigung der Mitgliedschaft durch den Gesellschafter (Nr. 2) oder einen Privatgläubiger (Nr. 4) wird die Wirkung der Kündigungserklärung auf den Ablauf der jeweiligen Kündigungsfrist aufgeschoben. Für den Fall der Ausschließung eines Gesellschafters stellt Abs. 3 nun ausdrücklich klar, dass der auszuschließende Gesellschafter erst mit Rechtskraft des der Ausschließungsklage stattgebenden Urteils ausscheidet (zum Zeitpunkt des Ausscheidens bei der gesellschaftsvertraglich vorgesehenen Ausschließung durch Beschluss § 134 HGB Rz. 14).14 Bis dahin bleiben der Kündigende und der Auszuschließende vollwertige Gesellschafter ein- 12 schließlich sämtlicher Pflichten und Rechte, soweit sie ihnen nicht gem. § 116 Abs. 5, § 124 Abs. 5 HGB durch einstweilige Verfügung entzogen werden.15 Auch die persönliche Haftung des Gesellschafters (§§ 126, 127 HGB) bleibt bis zum Ausscheiden unberührt.16 Da das Ausscheiden mit Ablauf der Kündigungsfrist gewiss ist, kann der ausscheidende Gesellschafter jedoch auf der Grundlage seiner Treuepflicht in Einzelfällen gehalten sein, bestimmten Maßnahmen, die nach seinem Ausscheiden Wirkung entfalten, zuzustimmen oder sich insoweit der Stimme zu enthalten (§ 723 BGB Rz. 24). Für den Fall der Ausschließungsklage richten sich etwaige Zwischenwirkungen nach den Erfolgsaussichten der Ausschließungsklage. Je nachdem, kann sich im Einzelfall aus der Treuepflicht des Auszuschließenden oder der ausschließungswilligen Gesellschafter die Pflicht ergeben, bestimmte Maßnahmen vorerst zu unterlassen oder diesen umgekehrt zuzustimmen.
V. Rechtsfolgen des Ausscheidens Das Ausscheiden eines Gesellschafters ist gem. § 106 Abs. 6 HGB zur Eintragung in das 13 Handelsregister anzumelden. Die Anmeldung muss durch sämtliche Gesellschafter einschließlich des Ausgeschiedenen erfolgen, § 106 Abs. 7 Satz 1 HGB. Scheidet ein Gesellschafter durch Tod aus, kann die Anmeldung ohne Mitwirkung der Erben erfolgen, sofern einer solchen Mitwirkung besondere Hindernisse entgegenstehen, § 106 Abs. 7 Satz 2 HGB (§ 106 HGB Rz. 28). Die Eintragung ist nicht konstitutiv für das Ausscheiden. Allerdings gilt der ausgeschiedene Gesellschafter einem gutgläubigen Dritten gegenüber, weiterhin als Gesellschafter, § 15 Abs. 1 HGB (zu den haftungsrechtlichen Folgen: § 137 HGB Rz. 6). Mit dem Ausscheiden wächst der Gesellschaftsanteil des ausgeschiedenen Gesellschafters 14 den übrigen Mitgesellschaftern im Zweifel im Verhältnis ihrer Anteile zu (§ 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 712 Abs. 1 BGB). Zudem erwirbt der ausgeschiedene Gesellschafter einen Anspruch auf Abfindung (§ 135 Abs. 1 Satz 1 HGB). Reicht der Wert des Gesellschaftsvermögens zur Deckung der Verbindlichkeiten der Gesellschaft nicht aus, trifft ihn eine Fehlbetragshaftung (§ 136 HGB). Die persönliche Haftung des ausgeschiedenen Gesellschafters für bis zu seinem Ausscheiden begründete Verbindlichkeiten bleibt grundsätzlich unberührt. Das Ausscheiden setzt aber die fünfjährige Nachhaftungsfrist in Gang (§ 137 HGB). Die Gesellschaft hat den ausscheidenden Gesellschafter von der Haftung für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft zu
14 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 243. 15 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 140 HGB Rz. 46; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 140 HGB Rz. 83. 16 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 140 HGB Rz. 46. Guntermann | 953
§ 130 HGB Rz. 14 | Offene Handelsgesellschaft befreien bzw. für nicht fällige Verbindlichkeiten Sicherheit zu leisten (§ 135 Abs. 1 Satz 2 HGB). 15 Der Fortbestand der Gesellschaft wird durch das Ausscheiden eines Gesellschafters grund-
sätzlich nicht berührt. Scheidet hingegen der vorletzte Gesellschafter aus, erlischt die Gesellschaft ohne Liquidation (§ 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 712a Abs. 1 Satz 1 BGB) und das Gesellschaftsvermögen geht im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den verbleibenden Gesellschafter über (§ 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 712a Abs. 1 Satz 2 BGB) (vgl. im Einzelnen § 712a BGB Rz. 12).17 Zur Auflösung der KG führt zudem – vorbehaltlich einer abweichenden Regelung (z.B. Pflicht zur unverzüglichen Aufnahme eines neuen persönlich haftenden Gesellschafters18) – das Ausscheiden des einzigen persönlich haftenden Gesellschafters.19 Die Gesellschaft wird ohne Beteiligung des persönlich haftenden Gesellschafters als KG aufgelöst,20 sofern nicht nur ein Kommanditist verleibt und die KG infolgedessen liquidationslos erlischt (§ 161 Abs. 2, § 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 712a Abs. 1 Satz 1 BGB).21 Die Gesellschafter der Liquidationsgesellschaft können die Fortsetzung der werbenden Tätigkeit der Gesellschaft beschließen, die sich infolgedessen in eine oHG umwandelt.22
§ 131 HGB Fortsetzung mit dem Erben; Ausscheiden des Erben (1) Geht der Anteil eines verstorbenen Gesellschafters auf dessen Erben über, so kann jeder Erbe gegenüber den anderen Gesellschaftern antragen, dass ihm die Stellung eines Kommanditisten eingeräumt und der auf ihn entfallende Anteil des Erblassers als seine Kommanditeinlage anerkannt wird. (2) Nehmen die anderen Gesellschafter einen Antrag nach Absatz 1 nicht an, ist der Erbe befugt, seine Mitgliedschaft in der Gesellschaft ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zu kündigen. (3) 1Die Rechte nach den Absätzen 1 bis 2 können von dem Erben nur innerhalb von drei Monaten nach dem Zeitpunkt, zu dem er von dem Anfall der Erbschaft Kenntnis erlangt hat, geltend gemacht werden. 2Auf den Lauf der Frist ist § 210 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechend anzuwenden. 3Ist bei Ablauf der drei Monate das Recht zur Ausschlagung der Erbschaft noch nicht verloren, endet die Frist nicht vor dem Ablauf der Ausschlagungsfrist. (4) Scheidet innerhalb der Frist des Absatzes 3 der Erbe aus der Gesellschaft aus oder wird innerhalb der Frist die Gesellschaft aufgelöst oder dem Erben die Stellung eines Kommanditisten eingeräumt, so haftet er für die bis dahin entstandenen Gesellschaftsverbindlichkeiten nur nach Maßgabe der Vorschriften des bürgerlichen Rechts, welche die Haftung des Erben für die Nachlassverbindlichkeiten betreffen. 17 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 146. 18 Otte, ZIP 2021, 2162, 2169. 19 BGH v. 12.11.1952 – II ZR 260/51, BGHZ 8, 35, 37 f.; BayObLG v. 10.3.2000 – 3Z BR 385/99, ZIP 2000, 1214, 1215; Michel in BeckOGK/HGB, Stand: 15.7.2022, § 131 HGB Rz. 52; Lehmann-Richter in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 131 HGB Rz. 24; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 131 HGB Rz. 45 f. 20 Lehmann-Richter in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 131 HGB Rz. 24; Lorz in Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 131 HGB Rz. 30; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 131 HGB Rz. 46; Bergmann in Schäfer, Neues PersGesR, § 7 Rz. 74. 21 Lange/Kretschmann, ZEV 2021, 545, 547. Offen: Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 146. 22 Bergmann in Schäfer, Neues PersGesR, § 7 Rz. 74; Otte, ZIP 2021, 2162, 2169.
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§ 130 HGB Rz. 14 | Offene Handelsgesellschaft befreien bzw. für nicht fällige Verbindlichkeiten Sicherheit zu leisten (§ 135 Abs. 1 Satz 2 HGB). 15 Der Fortbestand der Gesellschaft wird durch das Ausscheiden eines Gesellschafters grund-
sätzlich nicht berührt. Scheidet hingegen der vorletzte Gesellschafter aus, erlischt die Gesellschaft ohne Liquidation (§ 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 712a Abs. 1 Satz 1 BGB) und das Gesellschaftsvermögen geht im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den verbleibenden Gesellschafter über (§ 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 712a Abs. 1 Satz 2 BGB) (vgl. im Einzelnen § 712a BGB Rz. 12).17 Zur Auflösung der KG führt zudem – vorbehaltlich einer abweichenden Regelung (z.B. Pflicht zur unverzüglichen Aufnahme eines neuen persönlich haftenden Gesellschafters18) – das Ausscheiden des einzigen persönlich haftenden Gesellschafters.19 Die Gesellschaft wird ohne Beteiligung des persönlich haftenden Gesellschafters als KG aufgelöst,20 sofern nicht nur ein Kommanditist verleibt und die KG infolgedessen liquidationslos erlischt (§ 161 Abs. 2, § 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 712a Abs. 1 Satz 1 BGB).21 Die Gesellschafter der Liquidationsgesellschaft können die Fortsetzung der werbenden Tätigkeit der Gesellschaft beschließen, die sich infolgedessen in eine oHG umwandelt.22
§ 131 HGB Fortsetzung mit dem Erben; Ausscheiden des Erben (1) Geht der Anteil eines verstorbenen Gesellschafters auf dessen Erben über, so kann jeder Erbe gegenüber den anderen Gesellschaftern antragen, dass ihm die Stellung eines Kommanditisten eingeräumt und der auf ihn entfallende Anteil des Erblassers als seine Kommanditeinlage anerkannt wird. (2) Nehmen die anderen Gesellschafter einen Antrag nach Absatz 1 nicht an, ist der Erbe befugt, seine Mitgliedschaft in der Gesellschaft ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zu kündigen. (3) 1Die Rechte nach den Absätzen 1 bis 2 können von dem Erben nur innerhalb von drei Monaten nach dem Zeitpunkt, zu dem er von dem Anfall der Erbschaft Kenntnis erlangt hat, geltend gemacht werden. 2Auf den Lauf der Frist ist § 210 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechend anzuwenden. 3Ist bei Ablauf der drei Monate das Recht zur Ausschlagung der Erbschaft noch nicht verloren, endet die Frist nicht vor dem Ablauf der Ausschlagungsfrist. (4) Scheidet innerhalb der Frist des Absatzes 3 der Erbe aus der Gesellschaft aus oder wird innerhalb der Frist die Gesellschaft aufgelöst oder dem Erben die Stellung eines Kommanditisten eingeräumt, so haftet er für die bis dahin entstandenen Gesellschaftsverbindlichkeiten nur nach Maßgabe der Vorschriften des bürgerlichen Rechts, welche die Haftung des Erben für die Nachlassverbindlichkeiten betreffen. 17 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 146. 18 Otte, ZIP 2021, 2162, 2169. 19 BGH v. 12.11.1952 – II ZR 260/51, BGHZ 8, 35, 37 f.; BayObLG v. 10.3.2000 – 3Z BR 385/99, ZIP 2000, 1214, 1215; Michel in BeckOGK/HGB, Stand: 15.7.2022, § 131 HGB Rz. 52; Lehmann-Richter in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 131 HGB Rz. 24; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 131 HGB Rz. 45 f. 20 Lehmann-Richter in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 131 HGB Rz. 24; Lorz in Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 131 HGB Rz. 30; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 131 HGB Rz. 46; Bergmann in Schäfer, Neues PersGesR, § 7 Rz. 74. 21 Lange/Kretschmann, ZEV 2021, 545, 547. Offen: Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 146. 22 Bergmann in Schäfer, Neues PersGesR, § 7 Rz. 74; Otte, ZIP 2021, 2162, 2169.
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Fortsetzung mit dem Erben; Ausscheiden des Erben | Rz. 2 § 131 HGB
(5) 1Der Gesellschaftsvertrag kann die Anwendung der Vorschriften der Absätze 1 bis 4 nicht ausschließen. 2Jedoch kann für den Fall, dass der Erbe sein Verbleiben in der Gesellschaft von der Einräumung der Stellung eines Kommanditisten abhängig macht, sein Gewinnanteil anders als der des Erblassers bestimmt werden. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Wahlrecht des Gesellschafter-Erben . . . 5 Abschluss eines Änderungsvertrages . . 8 Kündigungsrecht des GesellschafterErben (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 V. Haftung des Gesellschafter-Erben 1. Gesellschafts- und erbrechtliche Haftung 15
I. II. III. IV.
2. Rückwirkende Haftungsprivilegierung gem. Abs. 4 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 b) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 VI. Abweichende Regelungen im Gesellschaftsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
Schrifttum: Siehe zu § 724 BGB.
I. Überblick Für den Fall des Todes eines Gesellschafters, kann gesellschaftsvertraglich geregelt werden, 1 dass der Anteil des verstorbenen Gesellschafters abweichend von § 130 Abs. 1 Nr. 1 HGB auf seine Erben übergeht (§ 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 711 Abs. 2 BGB, zu den verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten s. § 711 BGB Rz. 22 ff.). War der Verstorbene persönlich haftender Gesellschafter, würden auch die Erben – und zwar gem. § 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 711 Abs. 2 Satz 2 HGB jeder für sich – sowohl für vor dem Tod begründete als auch nach dem Tod entstehende Verbindlichkeiten grundsätzlich unbeschränkt persönlich haften (§§ 126, 127 HGB). Die Möglichkeiten der erbrechtlichen Haftungsbeschränkung (§§ 1975 ff. BGB) greifen insoweit nicht. Der persönlichen Haftung könnte ein Erbe daher nur entgehen, indem er die Erbschaft insgesamt ausschlägt. Um dies zu vermeiden, räumt § 131 HGB dem Erben ein befristetes Wahlrecht ein: er kann seinen Verbleib in der Gesellschaft davon abhängig machen, dass ihm die Stellung eines Kommanditisten eingeräumt wird. Nehmen die übrigen Gesellschafter den dahingehenden Antrag (Rz. 9) nicht an, kann der Erbe die Mitgliedschaft fristlos kündigen (Abs. 2). Für den Fall der Umwandlung der Mitgliedschaft, das Ausscheiden des Erben und die Auflösung der Gesellschaft innerhalb der Frist wird die gesellschaftsrechtliche Haftung (zur erbrechtlichen Haftung Rz. 15 f.) für die Altschulden des Erblassers und die sog. Zwischenneuschulden (Rz. 15) mit Wirkung auf den Tod des Erblassers, d.h. rückwirkend, beschränkt (Abs. 4). Da die Möglichkeit der Umwandlung der Mitgliedschaft – das Einverständnis sämtlicher Gesellschafter vorausgesetzt – immer besteht, liegt die eigentliche Bedeutung von § 131 HGB in dieser haftungsrechtlichen Konsequenz (§ 724 BGB Rz. 1 f.). § 131 HGB entspricht im Wesentlichen § 139 HGB a.F. Abweichungen im Wortlaut von 2 Abs. 1–3 dienen grundsätzlich der Klarstellung. Eine inhaltliche Änderung mag jedoch auf den ersten Blick mit der Neufassung von Abs. 1 verbunden sein. Nach § 139 Abs. 1 HGB a.F. konnte der Gesellschafter-Erbe seinen Verbleib in der Gesellschaft nicht nur davon abhängig machen, dass ihm die Stellung eines Kommanditisten eingeräumt wird und der auf ihn entfallende Teil der Einlage des Erblassers als seine Kommanditeinlage anerkannt wird. Zusätzlich konnte der Erbe verlangen, dass ihm auch als Kommanditist sein bisheriger Gewinnanteil belassen wird. Nimmt man an, dass nur ein den Anforderungen des Abs. 1 entsprechender Antrag die Rechtsfolgen gem. Abs. 2–4 auslösen kann (Rz. 12), stellt sich nun die Frage, ob Guntermann | 955
§ 131 HGB Rz. 2 | Offene Handelsgesellschaft dies auch gilt, wenn der Erbe einen anderen (im Zweifel höheren) Gewinnanteil verlangt. Dafür könnte neben der Streichung sprechen, dass dem Antragsrecht des Gesellschafter-Erben immerhin durch § 138 Abs. 1 BGB und die Treuepflicht eine Grenze gezogen wird und es daher eines zusätzlichen Schutzes der übrigen Gesellschafter vor überhöhten Beteiligungsforderungen des Erben nicht bedarf. Allerdings lässt sich der Gesetzesbegründung, die darauf abstellt, dass § 131 Abs. 1 HGB „inhaltlich dem geltenden § 139 Abs. 1 HGB [entspreche]“,1 entnehmen, dass mit der Streichung gerade keine inhaltliche Änderung bezweckt war. Dafür spricht auch ein Gegenschluss zu Abs. 5 Satz 2. Wenn die Gesellschafter das Recht haben vorzusehen, dass für den Fall der Umwandlung in eine Kommanditbeteiligung der Gewinnanteil des Erben anders als der des Erblassers bestimmt wird (Rz. 22), folgt daraus, dass im gesetzlichen Regelfall der Gewinnanteil des Erben auch im Falle der Umwandlung in eine Kommanditbeteiligung dem Gewinnanteil des Erblassers entspricht und der Erbe insbesondere keinen höheren Gewinnanteil verlangen kann, wenn er die Rechtsfolgen gem. Abs. 2–4 auslösen will. Will man dies mit Blick auf die Streichung anders sehen, ist Abs. 5 Satz 2 jedenfalls dahingehend zu lesen, dass im Gesellschaftsvertrag nicht nur eine Änderung des Gewinnanteils verbindlich vorgesehen werden kann, sondern auch die zwingende Identität des Gewinnanteils mit demjenigen des Erblassers. 3 Für die GbR enthält § 724 BGB eine im Wesentlichen entsprechende Regelung, so dass die
für diese Norm geltenden Auslegungsgrundsätze auch zur Auslegung von § 131 HGB herangezogen werden können. Eine Abweichung betrifft jedoch die Reichweite der Disponibilität der Regelung. Während § 724 BGB in den Grenzen des § 138 Abs. 1 BGB vollständig disponibel ist (§ 724 BGB Rz. 34), können die Gesellschafter § 131 Abs. 1–4 HGB mit Ausnahme des dem Erben als Kommanditisten zustehenden Gewinnanteils (Abs. 5 Satz 2) jedenfalls nicht zu Ungunsten der Erben modifizieren (Abs. 5 Satz 1, Rz. 21). Dieser Unterschied erklärt sich dadurch, dass die § 724 BGB, § 131 HGB das Ergebnis einer Abwägung zwischen dem Haftungsvermeidungsinteresse des Erben und dem Interesse der übrigen Gesellschafter sind, die mit dem Wahlrecht einhergehenden Belastungen (Umwandlung in eine KG oder Abfindungspflicht) möglichst gering zu halten. In der GbR sind – anders als in der oHG – Konstellationen denkbar, in denen es zum Ausgleich der Interessen der Regelungen des § 724 BGB nicht zwingend bedarf, weil dem Gesellschafter-Erben per se keine unkalkulierbaren Haftungsrisiken drohen (§ 724 BGB Rz. 4, 34). Daher erscheint es dort sachgerecht, den Gesellschaftern die Entscheidung darüber zuzubilligen, was ihnen selbst und den jeweiligen Erben zuzumuten ist.2 4 § 131 HGB gilt für die oHG und gem. § 161 Abs. 2 HGB auch für die KG, soweit der Erb-
lasser persönlich haftender Gesellschafter war (Rz. 6). In der bereits vor dem Tod des Erblassers oder durch den Tod des Erblasser aufgelösten Gesellschaft besteht kein Wahlrecht gem. Abs. 1.3 Allerdings ist Abs. 4 entsprechend anzuwenden mit der Folge, dass die grundsätzlich unbeschränkte Haftung in der Liquidationsgesellschaft auf den Nachlass beschränkt werden kann (§ 724 BGB Rz. 5, 25).4 In der Partnerschaft findet § 131 HGB mit der Maßgabe Anwendung, dass dem Gesellschafter-Erben zwar das Wahlrecht zusteht, in der Partnerschaft zu verbleiben oder durch Kündigung auszuscheiden (Abs. 2).5 Die Umwandlung 1 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 243. 2 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 171. 3 BGH v. 6.7.1981 – II ZR 38/81, NJW 1982, 45, 46 = ZIP 1981, 1088; Lorz in Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn, § 139 HGB Rz. 99, 131; Klöhn in Henssler/Strohn, § 139 HGB Rz. 33; Kamanabrou in Oetker, § 139 HGB Rz. 63; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 128; anders: K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 62. 4 BGH v. 6.7.1981 – II ZR 38/81, ZIP 1981, 1088, 1090; BGH v. 21.9.1995 – II ZR 273/93, ZIP 1995, 1752; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 128; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 131 HGB Rz. 131. 5 Vgl. etwa: Schäfer in MünchKomm/BGB, § 9 PartGG Rz. 30 f.
956 | Guntermann
Fortsetzung mit dem Erben; Ausscheiden des Erben | Rz. 7 § 131 HGB
der Partnerschaft in eine KG und die Einräumung einer Kommanditistenstellung kann ein Partner dagegen nicht verlangen, § 9 Abs. 4 Satz 2 PartGG.
II. Wahlrecht des Gesellschafter-Erben Das Wahlrecht steht grundsätzlich jedem Erben zu, der aufgrund einer erbrechtlichen Nach- 5 folgeklausel (§ 711 BGB Rz. 22 ff.) in die gesellschaftsrechtliche Stellung des Erblassers einrückt (zur Geltung im Falle der Vor- und Nacherbschaft § 724 BGB Rz. 7). Sind mehrere Erben vorhanden, fällt jedem von ihnen ein eigener Gesellschaftsanteil (§ 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 711 Abs. 2 Satz 2 BGB) und damit auch ein eigenes Wahlrecht gem. Abs. 1 zu, das sie unabhängig voneinander ausüben können. Das Wahlrecht ist ein höchstpersönliches Recht, das auch im Falle der Testamentsvollstreckung, der Nachlassverwaltung und der Nachlassinsolvenz durch den Erben selbst ausgeübt wird (§ 724 BGB Rz. 7). Als Nachweis der Erbenstellung können die Gesellschafter nicht die Vorlage eines Erbscheins (§ 2365 BGB) verlangen (§ 724 BGB Rz. 7). Keine Anwendung findet das Wahlrecht, wenn der Erblasser Kommanditist war, da dann 6 kein Risiko der unbeschränkten Haftung droht, das durch das Wahlrecht ausgeglichen werden müsste.6 Nicht abschließend geklärt ist, ob diese Einschränkung auch dann gilt, wenn ein Kommanditist verstirbt, der vor seinem Tod mangels Eintragung gem. § 176 HGB persönlich haftete. Lässt der Erbe sich als Kommanditist eintragen (§ 106 Abs. 6, 7 HGB), würde dies grundsätzlich nichts an seiner persönlichen Haftung für die bis dahin begründeten Verbindlichkeiten (Alt- und Zwischenneuschulden, s. Rz. 15) ändern. Um ihn nicht schärfer haften zu lassen als den Erben eines persönlich haftenden Gesellschafters, erscheint es sachgerecht, § 131 HGB hier mit der Modifikation entsprechend anzuwenden, dass mit der Eintragung des Erben als Kommanditist innerhalb der Frist gem. Abs. 3 Satz 1 die gesellschaftsrechtliche Haftung rückwirkend entfällt.7 Davon unberührt bleiben die erbrechtliche Haftung und die Möglichkeit der erbrechtlichen Haftungsbeschränkung. Ebenso wenig anwendbar ist § 131 HGB, wenn der Erbe bereits persönlich haftender Ge- 7 sellschafter ist (§ 724 BGB Rz. 8). Einem Kommanditisten, der einen persönlich haftenden Gesellschafter beerbt, steht das Wahlrecht hingegen zu. Wegen der Einheitlichkeit der Mitgliedschaft wird seine gesamte Beteiligung zunächst zu derjenigen eines persönlich haftenden Gesellschafters, kann aber durch Ausübung des Wahlrechts wieder (rück-)umgewandelt werden.8 Lehnen die übrigen Gesellschafter seinen Antrag ab, kann er nach Maßgabe von Abs. 2 nur mit seinem ererbten Anteil aus der Gesellschaft ausscheiden.9 Beerbt ein Kommanditist den einzigen persönlich haftenden Gesellschafter, ist § 131 HGB nicht anwendbar. Vielmehr erlischt die KG ohne Liquidation (§ 161 Abs. 2, § 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 712a Abs. 1 Satz 1 BGB). Der Erbe kann seine Haftung in analoger Anwendung von § 27 Abs. 2 Satz 1 HGB begrenzen. Er haftet danach nur dann persönlich für die Verbindlichkeiten der Gesellschaften, wenn er nicht innerhalb von drei Monaten den Geschäftsbetrieb einstellt.10 Die 6 KG OLGE 27, 337, 338; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 77; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 65; anders: Kick, Die Haftung des Erben eines Personenhandelsgesellschafters, Diss. Tübingen 1997, S. 168 ff. 7 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 65; zustimmend: Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 77; Klöhn in Henssler/Strohn, § 139 HGB Rz. 34. 8 BayObLG v. 29.1.2003 – 3Z BR 5/03, ZIP 2003, 1443; Roth in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 139 HGB Rz. 37; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 139 HGB Rz. 98; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/ HGB, § 139 HGB Rz. 66. 9 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 70. 10 BGH v. 10.12.1990 – II ZR 256/89, BGHZ 113, 132, 134 f. = ZIP 1991, 96; Kamanabrou in Oetker, § 139 HGB Rz. 67; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 67. Guntermann | 957
§ 131 HGB Rz. 7 | Offene Handelsgesellschaft Haftung mit dem auf ihn übergegangenen Gesellschaftsvermögen (§ 161 Abs. 2, § 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 712a Abs. 1 Satz 2 BGB) bleibt davon ebenso unberührt11 wie die erbrechtliche Haftung.12
III. Abschluss eines Änderungsvertrages 8 Die Umwandlung der Mitgliedschaft in die Rechtsstellung eines Kommanditisten erfolgt
durch einen Vertrag des Gesellschafter-Erben mit sämtlichen Gesellschaftern. Der Vertrag ist auf die Änderung des Gesellschaftsvertrags (Änderung der Rechtsform und Änderung der fortbestehenden Mitgliedschaft in die Stellung eines Kommanditisten13) gerichtet.14 Dementsprechend stellt Abs. 1 im Vergleich zu dem insoweit missverständlichen § 139 HGB a.F. klar, dass die Ausübung des Wahlrechts durch ein Angebot auf Abschluss eines dahingehenden Änderungsvertrages erfolgt (zur Ausübung des Wahlrechts durch einen Minderjährigen § 724 BGB Rz. 10). Das Angebot kann formfrei unterbreitet werden.15 9 Der Erbe (zur Mehrheit von Erben § 724 BGB Rz. 7, 14) muss den Antrag innerhalb von
drei Monaten nach Kenntnis vom Anfall der Erbschaft unterbreiten, wenn die Ablehnung die Rechtsfolgen gem. Abs. 2, 4 haben soll. Für den Fristbeginn muss der Erbe wissen, dass der Erblasser verstorben ist und er aus dem ein oder anderen Grund zum Erben berufen ist. Den konkreten Berufungsgrund (z.B. ein bestimmtes Testament) muss der Erbe dagegen nicht kennen (§ 724 BGB Rz. 11). Bei Minderjährigen ist grundsätzlich die Kenntnis der gesetzlichen Vertreter maßgebend.16 Zudem findet § 210 BGB gem. Abs. 3 Satz 2 entsprechende Anwendung, d.h. der Ablauf der Frist wird bei einem geschäftsunfähigen oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkten Erben ohne gesetzlichen Vertreter bis zum Ablauf von drei Monaten nach dem Zeitpunkt gehemmt, in dem der Erbe unbeschränkt geschäftsfähig oder der Mangel der Vertretung behoben wird (§ 724 BGB Rz. 11). Ist bei Ablauf der drei Monate das Recht zur Ausschlagung der Erbschaft (§ 1942 Abs. 1, § 1944 BGB) noch nicht verloren, endet die Frist nicht vor dem Ablauf der Ausschlagungsfrist, Abs. 3 Satz 3. 10 Die Annahme des Angebots, die grundsätzlich durch sämtliche Gesellschafter erfolgen muss
(§ 724 BGB Rz. 14), ist auch noch nach Ablauf der Frist gem. Abs. 3 möglich. Eine daneben geltende Annahmefrist (§§ 147, 148 BGB) ist jedoch zu berücksichtigen (zu den Folgen der Fristversäumung § 724 BGB Rz. 14). 11 Die Konditionen der Umwandlung können im Änderungsvertrag frei bestimmt werden.
Wie in der GbR wird die Gestaltungsfreiheit der Gesellschafter durch § 131 HGB nicht eingeschränkt (§ 724 BGB Rz. 15). Die Gesellschafter könnten immerhin auch unabhängig von dem Erbfall die Umwandlung beschließen (Rz. 1). Lediglich das Kündigungsrecht gem. Abs. 2 ist an einen bestimmten Angebotsinhalt geknüpft (Rz. 12). Zur Bestimmung der Einlage des Gesellschafter-Erben und der ins Handelsregister einzutragenden Haftsumme gilt vorbehaltlich einer abweichenden Vereinbarung dasselbe wie in der GbR: Bezugsgröße sowohl für die Kommanditeinlage als auch die Haftsumme ist grundsätzlich der auf den Erben entfallende Teil des Buchwerts der Beteiligung des Erblassers, also der auf den Erblasser entfallende Kapitalanteil zzgl. ausstehender Einlagen und ungerechtfertigter Entnahmen. Bei nega11 BGH v. 10.12.1990 – II ZR 256/89, BGHZ 113, 132, 134 = ZIP 1991, 96, 98; BGH v. 15.3.2004 – II ZR 247/01, ZIP 2004, 1047 = GmbHR 2004, 952; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 139 HGB Rz. 101; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 72. 12 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 72. 13 BayObLG v. 29.1.2003 – 3Z BR 5/03, ZIP 2003, 1443, 1444. 14 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 171. 15 Schäfer, GbR/PartG, § 724 BGB Rz. 11. 16 Zu § 1944 BGB: BGH v. 16.1.2019 – IV ZB 20+21/18, MDR 2019, 297.
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Fortsetzung mit dem Erben; Ausscheiden des Erben | Rz. 16 § 131 HGB
tivem Kapitalanteil ist eine Haftsumme von einem EUR in das Handelsregister einzutragen (§ 724 BGB Rz. 16 f.).
IV. Kündigungsrecht des Gesellschafter-Erben (Abs. 2) Nehmen die anderen Gesellschafter einen Antrag nach Abs. 1 nicht an, kann der Erbe die Mit- 12 gliedschaft in der Gesellschaft außerordentlich fristlos kündigen. Das Kündigungsrecht wird jedoch nur ausgelöst durch ein Angebot, das den Anforderungen gem. Abs. 1 entspricht bzw. mit Blick auf Zweifelsfragen aus Sicht des Antragenden entsprechen soll (§ 724 BGB Rz. 18). Die Kündigung muss innerhalb der Frist gem. Abs. 3 (Rz. 9) und durch Erklärung gegen- 13 über der Gesellschaft (vgl. § 132 Abs. 1 HGB) erfolgen (zur Gesellschafterstellung während der Schwebelage § 724 BGB Rz. 18). § 131 Abs. 5 Satz 1 HGB gilt mit der Maßgabe entsprechend, dass die Frist gem. Abs. 3 während der Unzeit gehemmt ist (§ 724 BGB Rz. 19). Die Kündigung kann, damit sie fristgerecht erfolgt, mit dem Antrag gem. Abs. 1 verbunden werden (§ 724 BGB Rz. 20). Alternativ kann der Erbe den Gesellschaftern eine rechtzeitig endende Annahmefrist (§ 148 BGB) (Rz. 10) setzen. Im Anschluss an den als Ablehnung geltenden Fristablauf (§ 146 Var. 2, § 150 Abs. 1 BGB) bedarf es aber noch der fristgerechten Kündigungserklärung. Wird die formfrei mögliche Kündigung fristgemäß erklärt, scheidet der Gesellschafter-Erbe 14 gem. § 130 Abs. 1 Nr. 2 HGB mit Wirkung ex nunc aus der Gesellschaft aus. Ihm wird die Haftungsbeschränkung gem. Abs. 4 zuteil (Rz. 16 ff.) und es entsteht ein Abfindungsanspruch gem. § 135 Abs. 1 Satz 1 HGB.17 Ist die Frist überschritten, ohne dass die Kündigung erklärt wurde oder der Gesellschafter-Erbe die Umwandlung in eine KG beantragt hat, haftet der Gesellschafter-Erbe gesellschaftsrechtlich unbeschränkt (Rz. 15, § 724 BGB Rz. 28).
V. Haftung des Gesellschafter-Erben 1. Gesellschafts- und erbrechtliche Haftung Der in die Gesellschaft aufgrund einer Nachfolgeklausel (zur haftungsrechtlichen Folge wei- 15 terer Gestaltungen § 724 BGB Rz. 24) eintretende Erbe haftet einerseits erbrechtlich (§§ 1967 ff. BGB) für die Verbindlichkeiten des Erblassers (§§ 126, 127 HGB, sog. Altschulden) und die in der Schwebephase gem. Abs. 3 entstehenden Verbindlichkeiten (sog. Zwischenneuschulden) (§ 724 BGB Rz. 24). Daneben tritt eine gesellschaftsrechtliche Eigenhaftung für vor dem Tod begründete Verbindlichkeiten (§ 127 HGB) und die nach dem Tod neu entstehenden Verbindlichkeiten der Gesellschaft (§ 126 HGB). Dabei bleibt es, wenn die Frist gem. Abs. 3 ereignislos verstreicht. Es bleibt nur die Möglichkeit, die erbrechtliche Haftung auf den Nachlass zu beschränken (§§ 1975 ff. BGB).
2. Rückwirkende Haftungsprivilegierung gem. Abs. 4 a) Allgemeines Für den Fall, dass innerhalb der Frist gem. Abs. 3 der Erbe aus der Gesellschaft ausscheidet, 16 die Gesellschaft aufgelöst wird (zur Haftung bei Eintritt in eine zuvor oder durch den Tod 17 Hoffmann in FS Heidel, 2021, S. 79, 86; zur Wirksamkeit von Abfindungsklauseln gegenüber ausgeschiedenen Gesellschafter-Erben: Lange/Kretschmann, ZEV 2021, 545, 548; Lange, ErbR 2020, 378, 382. Guntermann | 959
§ 131 HGB Rz. 16 | Offene Handelsgesellschaft des Erblassers aufgelöste Gesellschaft Rz. 4) oder dem Erben die Stellung eines Kommanditisten eingeräumt wird, begründet Abs. 4 eine Haftungsprivilegierung. Die gesellschaftsrechtliche Eigenhaftung entfällt rückwirkend (zur fortgeltenden Kommanditistenhaftung aber Rz. 18). Die Haftung des Erben beschränkt sich grundsätzlich auf die erbrechtliche Haftung mit der Möglichkeit der erbrechtlichen Haftungsbeschränkung (zur Geltung von §§ 2059, 2062 BGB trotz der Sondererbfolge gem. § 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 711 Abs. 2 Satz 2 BGB s. § 724 BGB Rz. 28). Daneben ist eine Haftung aus Rechtsschein gem. § 15 Abs. 1 HGB möglich (zur möglichen Geltung der erbrechtlichen Beschränkung § 724 BGB Rz. 30 f., 33). Freilich muss der Erbe während der Schwebezeit zunächst nicht als neuer Gesellschafter eingetragen werden.18 Lediglich die Nichteintragung des Ausscheidens des Erblassers (§ 106 Abs. 5 HGB), der Auflösung (§ 141 HGB) bzw. der Umwandlung der Gesellschafterstellung (§ 162 HGB) können insoweit haftungsbegründend wirken.19 17 Mit Blick auf die möglicherweise eintretende rückwirkende Haftungsbeschränkung wird
dem Gesellschafter-Erben während der Schwebezeit das Recht zugebilligt, die Leistung aus seinem Privatvermögen zu verweigern (§ 724 BGB Rz. 27). Begleicht er dennoch während der Schwebezeit eine Gesellschaftsverbindlichkeit aus seinem Privatvermögen und tritt anschließend die Haftungsbeschränkung gem. Abs. 4 ein, hat er einen Aufwendungsersatzanspruch gegen die Gesellschaft gem. § 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 716 Abs. 1 BGB und, wenn es zu einer erbrechtlichen Haftungsbeschränkung kommt, gegen den Nachlass gem. § 1978 Abs. 3, § 1979 BGB.20 b) Einzelfälle 18 Wird innerhalb der Frist des Abs. 3 die Gesellschaft in eine KG umgewandelt und dem Ge-
sellschafter-Erben die Stellung eines Kommanditisten eingeräumt, beschränkt sich seine Haftung entgegen dem insoweit missverständlichen Wortlaut von Abs. 4 nicht auf die unberührt bleibende erbrechtliche Haftung (Rz. 16). Lediglich die unbeschränkte gesellschaftsrechtliche Eigenhaftung gem. §§ 126, 127 HGB wird ausgeschlossen. Der Gesellschafter-Erbe haftet aber als Kommanditist sowohl für Neuverbindlichkeiten (§§ 171, 172 HGB) als auch für Altverbindlichkeiten und Zwischenneuschulden (§ 173 HGB) (zur Haftsumme Rz. 11). § 176 Abs. 2 HGB findet keine Anwendung (§ 724 BGB Rz. 30). 19 Das Ausscheiden innerhalb der Frist führt dagegen dazu, dass der Erbe für Alt- und Zwi-
schenneuschulden nur noch erbrechtlich haftet. Zur Herbeiführung der Haftungsbeschränkung ist irrelevant, ob der Erbe durch Kündigung (Abs. 2) oder aus sonstigen Gründen ausscheidet. Auch die Anteilsveräußerung hat die Haftungsbeschränkung zur Folge (§ 724 BGB Rz. 32). 20 Wird die Gesellschaft nach dem Tod des Erblassers (zur Geltung von Abs. 4 für den Fall der
Auflösung durch den Tod des Erblassers Rz. 4) innerhalb der Frist gem. Abs. 3 aufgelöst, beschränkt sich die Haftung des Gesellschafter-Erben richtigerweise auch für Neuschulden nach der Auflösung gem. Abs. 4 auf die erbrechtliche Haftung gem. §§ 1967 ff. BGB (§ 724 BGB Rz. 33).
18 BGH v. 21.12.1970 – II ZR 258/67, BGHZ 55, 267 = NJW 1971, 1268, 1270; Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1318 f. (Stand: 71. EL Mai 2018); Stephan, NZG 2021, 1481, 1488. 19 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 130; Stephan, NZG 2021, 1481, 1488. 20 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 122; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 106; Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1313 (Stand: 71. EL Mai 2018); Emmerich, ZHR 150 (1986), 193, 197.
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Kündigung der Mitgliedschaft durch den Gesellschafter | § 132 HGB
VI. Abweichende Regelungen im Gesellschaftsvertrag Anders als § 724 BGB ist § 131 HGB grundsätzlich nicht disponibel (Rz. 3). Dies gilt jeden- 21 falls für gesellschaftsvertragliche Regelungen21 zu Lasten des Gesellschafter-Erben. Weder darf das Wahlrecht ausgeschlossen noch darf es ungünstiger ausgestaltet werden (z.B. durch eine Verkürzung der Frist gem. Abs. 3).22 Gleiches gilt für die Folgen des Wahlrechts. Weder darf dem Erben eine Kommanditbeteiligung mit zusätzlichen Einlagepflichten bzw. einer höheren Haftsumme zugewiesen werden23 noch darf der Gesellschaftsvertrag speziell für den Fall der Kündigung gem. Abs. 2 eine Abfindungsbeschränkung vorsehen.24 Möglich bleiben dagegen Bestimmungen, wonach der Gewinnanteil des Erben als Komman- 22 ditist anders, d.h. im Zweifel niedriger, als derjenige des Erblassers bestimmt werden darf, Abs. 5 Satz 2. Dadurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der Erbe als Kommanditist nicht zur Geschäftsführung verpflichtet ist (§ 164 Satz 2 HGB) und zudem nicht das volle Geschäftsrisiko trägt und daher eine abweichende Gewinnverteilung gerechtfertigt sein kann.25 Ebenso zulässig sind Regelungen zugunsten des durch Abs. 5 Satz 1 geschützten Erben, z.B. 23 ein Ausscheidensrecht unabhängig von der Unterbreitung und Ablehnung eines Antrags nach Abs. 1.26 Gleiches gilt für Klauseln, die für den Erbfall eine automatische Umwandlung in einen Kommanditanteil vorsehen oder dem Gesellschafter-Erben das Recht geben, die Umwandlung selbst herbeizuführen bzw. diese jedenfalls von den übrigen Gesellschaftern zu verlangen (sog. Umwandlungsklauseln).27 Vereinbarungen zum Nachteil der Gesellschaftsgläubiger (z.B. eine Verlängerung der Frist gem. Abs. 3) sind nicht zulässig.28
§ 132 HGB Kündigung der Mitgliedschaft durch den Gesellschafter (1) Ist das Gesellschaftsverhältnis auf unbestimmte Zeit eingegangen, kann ein Gesellschafter seine Mitgliedschaft unter Einhaltung einer Frist von sechs Monaten zum Ablauf des Geschäftsjahres gegenüber der Gesellschaft kündigen. (2) 1Ist für das Gesellschaftsverhältnis eine Zeitdauer vereinbart, ist die Kündigung der Mitgliedschaft durch einen Gesellschafter vor dem Ablauf dieser Zeit zulässig, wenn ein
21 Unberührt von Abs. 5 bleibt zudem die Testierfreiheit des Gesellschafters. Vgl. Klöhn in Henssler/ Strohn, § 139 HGB Rz. 182; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 142; Müller/Godron in BeckOGK/BGB, Stand: 15.4.2021, § 139 HGB Rz. 182. 22 Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 139 HGB Rz. 133; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 94; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 138; Kamanabrou in Oetker, § 139 HGB Rz. 92. 23 Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 139 HGB Rz. 133; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 94; anders: Klöhn in Henssler/Strohn, § 139 HGB Rz. 72. 24 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 94; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn, § 139 HGB Rz. 133; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 139. 25 Denkschrift in Schubert/Schmiedel/Krampe Materialien, Bd. II/2, 1988, 1032. 26 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 96; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 134. 27 Klöhn in Henssler/Strohn, § 139 HGB Rz. 74. Zu Klauselvarianten: Lorz in Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn, § 139 HGB Rz. 137 ff. 28 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 96; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn, § 139 HGB Rz. 136; Klöhn in Henssler/Strohn, § 139 HGB Rz. 73. Guntermann | 961
Kündigung der Mitgliedschaft durch den Gesellschafter | § 132 HGB
VI. Abweichende Regelungen im Gesellschaftsvertrag Anders als § 724 BGB ist § 131 HGB grundsätzlich nicht disponibel (Rz. 3). Dies gilt jeden- 21 falls für gesellschaftsvertragliche Regelungen21 zu Lasten des Gesellschafter-Erben. Weder darf das Wahlrecht ausgeschlossen noch darf es ungünstiger ausgestaltet werden (z.B. durch eine Verkürzung der Frist gem. Abs. 3).22 Gleiches gilt für die Folgen des Wahlrechts. Weder darf dem Erben eine Kommanditbeteiligung mit zusätzlichen Einlagepflichten bzw. einer höheren Haftsumme zugewiesen werden23 noch darf der Gesellschaftsvertrag speziell für den Fall der Kündigung gem. Abs. 2 eine Abfindungsbeschränkung vorsehen.24 Möglich bleiben dagegen Bestimmungen, wonach der Gewinnanteil des Erben als Komman- 22 ditist anders, d.h. im Zweifel niedriger, als derjenige des Erblassers bestimmt werden darf, Abs. 5 Satz 2. Dadurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der Erbe als Kommanditist nicht zur Geschäftsführung verpflichtet ist (§ 164 Satz 2 HGB) und zudem nicht das volle Geschäftsrisiko trägt und daher eine abweichende Gewinnverteilung gerechtfertigt sein kann.25 Ebenso zulässig sind Regelungen zugunsten des durch Abs. 5 Satz 1 geschützten Erben, z.B. 23 ein Ausscheidensrecht unabhängig von der Unterbreitung und Ablehnung eines Antrags nach Abs. 1.26 Gleiches gilt für Klauseln, die für den Erbfall eine automatische Umwandlung in einen Kommanditanteil vorsehen oder dem Gesellschafter-Erben das Recht geben, die Umwandlung selbst herbeizuführen bzw. diese jedenfalls von den übrigen Gesellschaftern zu verlangen (sog. Umwandlungsklauseln).27 Vereinbarungen zum Nachteil der Gesellschaftsgläubiger (z.B. eine Verlängerung der Frist gem. Abs. 3) sind nicht zulässig.28
§ 132 HGB Kündigung der Mitgliedschaft durch den Gesellschafter (1) Ist das Gesellschaftsverhältnis auf unbestimmte Zeit eingegangen, kann ein Gesellschafter seine Mitgliedschaft unter Einhaltung einer Frist von sechs Monaten zum Ablauf des Geschäftsjahres gegenüber der Gesellschaft kündigen. (2) 1Ist für das Gesellschaftsverhältnis eine Zeitdauer vereinbart, ist die Kündigung der Mitgliedschaft durch einen Gesellschafter vor dem Ablauf dieser Zeit zulässig, wenn ein
21 Unberührt von Abs. 5 bleibt zudem die Testierfreiheit des Gesellschafters. Vgl. Klöhn in Henssler/ Strohn, § 139 HGB Rz. 182; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 142; Müller/Godron in BeckOGK/BGB, Stand: 15.4.2021, § 139 HGB Rz. 182. 22 Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 139 HGB Rz. 133; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 94; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 138; Kamanabrou in Oetker, § 139 HGB Rz. 92. 23 Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 139 HGB Rz. 133; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 94; anders: Klöhn in Henssler/Strohn, § 139 HGB Rz. 72. 24 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 94; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn, § 139 HGB Rz. 133; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 139. 25 Denkschrift in Schubert/Schmiedel/Krampe Materialien, Bd. II/2, 1988, 1032. 26 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 96; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 139 HGB Rz. 134. 27 Klöhn in Henssler/Strohn, § 139 HGB Rz. 74. Zu Klauselvarianten: Lorz in Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn, § 139 HGB Rz. 137 ff. 28 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 139 HGB Rz. 96; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn, § 139 HGB Rz. 136; Klöhn in Henssler/Strohn, § 139 HGB Rz. 73. Guntermann | 961
§ 132 HGB Rz. 1 | Offene Handelsgesellschaft wichtiger Grund vorliegt. 2Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn ein anderer Gesellschafter eine ihm nach dem Gesellschaftsvertrag obliegende wesentliche Verpflichtung vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat oder wenn die Erfüllung einer solchen Verpflichtung unmöglich wird (3) Liegt ein wichtiger Grund im Sinne von Absatz 2 Satz 2 vor, so ist eine Kündigung der Mitgliedschaft durch einen Gesellschafter stets ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zulässig. (4) 1Ein Gesellschafter kann seine Mitgliedschaft auch kündigen, wenn er volljährig geworden ist. 2Das Kündigungsrecht besteht nicht, wenn der Gesellschafter bezüglich des Gegenstands der Gesellschaft zum selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts gemäß § 112 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ermächtigt war oder der Zweck der Gesellschaft allein der Befriedigung seiner persönlichen Bedürfnisse diente. 3Der volljährig Gewordene kann die Kündigung nur binnen drei Monaten von dem Zeitpunkt an erklären, in welchem er von seiner Gesellschafterstellung Kenntnis hatte oder haben musste. (5) 1Die Kündigung darf nicht zur Unzeit geschehen, es sei denn, dass ein wichtiger Grund für die unzeitige Kündigung vorliegt. 2Kündigt ein Gesellschafter seine Mitgliedschaft dennoch ohne einen solchen Grund zur Unzeit, hat er der Gesellschaft den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. (6) Eine Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag, welche das Kündigungsrecht nach den Absätzen 2 und 4 ausschließt oder diesen Vorschriften zuwider beschränkt, ist unwirksam. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. II. III. 1. 2.
Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kündigungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . Kündigungsrecht Ordentliche Kündigung (Abs. 1) . . . . . . . Außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund (Abs. 2, 3) . . . . . . . . . .
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3. Außerordentliche Kündigung wegen Volljährigkeit (Abs. 4) . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Kündigungsschranken . . . . . . . . . . . . . . V. Rechtsfolgen der Kündigung . . . . . . . . . VI. Abweichende Vereinbarungen . . . . . . . .
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Schrifttum: Siehe zu § 725 BGB
I. Überblick 1 § 132 HGB regelt die Kündigung der Mitgliedschaft durch einen Gesellschafter. Die Norm
unterscheidet zwischen der ordentlichen Kündigung der Mitgliedschaft in Gesellschaftsverhältnissen, die auf unbestimmte Zeit eingegangen sind (Abs. 1), und der außerordentlichen Kündigung (Abs. 2 und Abs. 4). Die Kündigung aus wichtigem Grund ist stets fristlos (Abs. 3), aber wie die ordentliche Kündigung grundsätzlich nicht zur Unzeit (Abs. 5) möglich. Gemäß Abs. 6 sind gesellschaftsvertragliche Regelungen, die das Recht zur außerordentlichen Kündigung beschränken, unwirksam. 2 § 132 HGB fasst den auf die §§ 132, 134 HGB a.F. verteilten Normenbestand zur Kündigung
der Mitgliedschaft zusammen1 und ergänzt ihn u.a. um verschiedene Regelungen, die sich vor dem MoPeG bereits aus dem Verweis in das BGB (§ 105 Abs. 3 HGB) ergaben. Abs. 1
1 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 244.
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Kündigung der Mitgliedschaft durch den Gesellschafter | Rz. 3 § 132 HGB
normiert das bislang aus § 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 723 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. folgende Recht zur ordentlichen Kündigung der Mitgliedschaft2 und ergänzt es um die bislang in § 132 HGB a.F. geregelte Kündigungsfrist. Auch eine Regelung zum außerordentlichen Kündigungsrecht des minderjährigen Gesellschafters nach dem Eintritt der Volljährigkeit, das sich bislang aus § 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 723 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2, Satz 4, 5 BGB a.F. ergab,3 wurde aus Gründen der Rechtsklarheit aufgenommen (Abs. 4) (Rz. 11 f.).4 Das Verbot der unzeitigen Kündigung, das bislang jedenfalls aus der gesellschafterlichen Treuepflicht folgte,5 ist nun in Abs. 5 geregelt (Rz. 13). § 134 HGB a.F., wonach ein Recht zur ordentlichen Kündigung auch dann bestand, wenn die Gesellschaft für die Lebenszeit eines Gesellschafters eingegangen war oder die Gesellschaft nach dem Ablauf der bestimmten Zeit stillschweigend fortgesetzt wurde, wurde demgegenüber mangels Regelungsbedarfs gestrichen (zur Begründung vgl. § 725 BGB Rz. 2, 7). Eine wesentliche Änderung betrifft das Recht zur außerordentlichen Kündigung der Mitgliedschaft aus wichtigem Grund. Vor dem MoPeG war umstritten, ob die Mitgliedschaft mit Blick auf den möglicherweise abschließenden Charakter der §§ 133, 140 HGB a.F. außerordentlich kündbar war.6 Auf nahezu einstimmige Empfehlung der Abteilung Wirtschaftsrecht des 71. Deutschen Juristentages7 hat der Gesetzgeber diese Frage nun durch Einfügung der Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 6 einer Klärung zugeführt.8 Die Regelung entspricht im Wesentlichen § 725 BGB. Die unterschiedliche Frist (drei vs. 3 sechs Monate) für die ordentliche Kündigung rechtfertigt sich daraus, dass die Gesellschafter der oHG gegebenenfalls einen längeren Zeitraum benötigen, um sich auf die Folgen des Ausscheidens, insbesondere den Abfluss der Abfindung aus dem Gesellschaftsvermögen und die Änderung der Gesellschafterstruktur einzustellen. Zudem ist die Frist in der oHG statt vom Ende des Kalenderjahres (§ 725 Abs. 1 BGB) vom Ablauf des Geschäftsjahres an zu berechnen. Die gewerblich tätige oHG muss anders als die GbR gem. §§ 240, 242 HGB über ein Geschäftsjahr verfügen, das schon aus bilanziellen Gründen als Bezugspunkt des Ausscheidens dienen sollte.9 In Bezug auf die Disponibilität der Regelung unterscheidet § 132 HGB sich indes nicht von § 725 BGB. Zwar ordnet § 725 Abs. 1, Halbs. 2 BGB anders als § 132 HGB ausdrücklich an, dass das Recht zur ordentlichen Kündigung mit einer Frist von sechs Monaten unter dem Vorbehalt einer abweichenden gesellschaftsvertraglichen Regelung bzw. dem Zweck der Gesellschaft steht. Aus dem Fehlen einer entsprechenden Regelung in § 132 HGB lässt sich indes nicht ableiten, dass in der GbR das Recht zur ordentlichen Kündigung disponibel ist, in der oHG hingegen nicht. Wie sich aus der Gesetzesbegründung entnehmen lässt, bezieht sich § 725 Abs. 1, Halbs. 2 BGB nur auf die Kündigungsfrist (§ 725 BGB Rz. 30).
2 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 132 HGB Rz. 2; Schäfer in Habersack/Schäfer, 2. Aufl. 2019, § 132 HGB Rz. 1. 3 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 132 HGB Rz. 5; Klöhn in Henssler/Strohn, § 132 HGB Rz. 20. 4 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 244. 5 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 132 HGB Rz. 20 f.; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 132 HGB Rz. 24 f. 6 Dafür etwa: OLG Celle v. 10.11.2010 – 9 U 65/10, NZG 2011, 261 f.; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 132 HGB Rz. 38; Stodolkowitz, NZG 2011, 1327; abweichend: Michel in BeckOGK/ HGB, Stand: 1.6.2022, § 133 HGB Rz. 6; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 133 HGB Rz. 2 f.; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 132 HGB Rz. 5. 7 Beschluss 23 in Verhandlungen des 71. DJT, 2016, Bd. II/2, O222. 8 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 244. 9 Sofern freiberufliche oHG (§ 107 Abs. 1 Satz 2 HGB) aus steuerlichen Gründen kein vom Kalenderjahr abweichendes Geschäftsjahr bilden können (Meilicke in Meilicke, PartGG, 3. Aufl. 2015, § 6 PartGG Rz. 25), besteht kein Unterschied zur GbR. Guntermann | 963
§ 132 HGB Rz. 3 | Offene Handelsgesellschaft Zudem hat § 725 Abs. 1, Halbs. 2 BGB lediglich Klarstellungsfunktion (§ 725 BGB Rz. 27). Dass das ordentliche Kündigungsrecht einschließlich der Kündigungsfrist in Abweichung zu § 723 Abs. 3 BGB a.F. (i.V.m. § 105 Abs. 3 HGB) nun der Abweichung durch gesellschaftsvertragliche Regelung unterliegt, folgt bereits aus § 725 Abs. 6 BGB e.c. (§ 725 BGB Rz. 27), dem § 132 Abs. 6 HGB entspricht. 4 In der aufgelösten Gesellschaft besteht das außerordentliche Kündigungsrecht nach Abs. 2
grundsätzlich fort. Es muss dem kündigenden Gesellschafter aber gerade unzumutbar sein, bis zur Vollbeendigung in der Gesellschaft zu verbleiben und an der Liquidation mitzuwirken (§ 144 Abs. 1 HGB).10 Das Kündigungsrecht gem. § 132 HGB besteht auch für die Gesellschafter einer KG (§ 161 Abs. 2 HGB). Das Kündigungsrecht des volljährig gewordenen Gesellschafters (Abs. 4) ist indes teleologisch zu reduzieren, wenn er eine Kommanditbeteiligung hält und die Einlage vollständig erbracht und nicht zurückgewährt worden ist und daher gem. § 171 Abs. 1, § 172 Abs. 4 HGB kein Haftungsrisiko besteht (Rz. 11).11 § 132 HGB gilt auch für die Partnerschaft (§ 9 Abs. 1 PartGG) und die stille Gesellschaft (§ 234 Abs. 1 HGB).
II. Kündigungserklärung 5 Die Kündigung erfolgt vorbehaltlich einer abweichenden gesellschaftsvertraglichen Regelung
(Rz. 15 ff.) durch formlose Erklärung gegenüber der Gesellschaft (Abs. 1). Dass die Kündigung eigentlich das Verhältnis der Gesellschafter zueinander betrifft, weil der Gesellschafter seine Stellung als Partei des Gesellschaftsvertrags aufgeben möchte, führt nicht zu einem von dem Gesetzeswortlaut abweichenden Erfordernis, die Kündigung gegenüber allen Mitgesellschaftern zu erklären (§ 725 BGB Rz. 4).12 Ausreichend ist der Zugang bei einem vertretungsberechtigten Gesellschafter (§ 124 Abs. 6 HGB). Aus der Erklärung muss sich jedenfalls im Wege der Auslegung ergeben, dass der Erklärende aus der Gesellschaft ausscheiden möchte (§ 725 BGB Rz. 6). Die Kündigung ist eine Willenserklärung i.S.d. §§ 104 ff. BGB (§ 725 BGB Rz. 5). Sie kann unter einer Bedingung erklärt werden, wenn die Bedingung nicht zu Ungewissheit über den Eintritt der Kündigungswirkungen führt (§ 725 BGB Rz. 4).13 Die Rücknahme der Kündigungserklärung ist nach ihrem Wirksamwerden nur noch mit Zustimmung sämtlicher Gesellschafter möglich (§ 725 BGB Rz. 4). Ficht der Kündigende seine Kündigungserklärung an, entfaltet die Anfechtung nach den Grundsätzen der fehlerhaften Gesellschaft keine Rückwirkung. Der Gesellschafter hat lediglich einen Anspruch auf Wiederaufnahme in die Gesellschaft mit Wirkung für die Zukunft (§ 725 BGB Rz. 5).14 Eine Teilkündigung ist nicht zulässig.15
10 Ebenso: Servatius, GbR, § 725 BGB Rz. 10. Anders: Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 723 BGB Rz. 5, 10. Für den Sonderfall der Kündigung einer Publikumsgesellschaft auch: BGH v. 30.1.2018 – II ZR 95/16, BGHZ 217, 237 = ZIP 2018, 721, 726. 11 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 244; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1652 (84. EL September 2022); zuvor schon: Klöhn in Henssler/ Strohn, § 132 HGB Rz. 20. 12 So aber: Michel in BeckOGK/HGB, Stand: 15.8.2022, § 132 HGB Rz. 10; für die GbR auch: Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 725 BGB Rz. 14 (mit Fn. 26). 13 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 132 HGB Rz. 11; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 132 HGB Rz. 18. 14 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 132 HGB Rz. 17. 15 BGH v. 22.5.1989 – II ZR 211/88, ZIP 1989, 1052, 1054 = GmbHR 1990, 25; Schäfer in Habersack/ Schäfer, § 132 HGB Rz. 12.
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Kündigung der Mitgliedschaft durch den Gesellschafter | Rz. 8 § 132 HGB
III. Kündigungsrecht 1. Ordentliche Kündigung (Abs. 1) Eine ordentliche Kündigung der Mitgliedschaft ist möglich, wenn das Gesellschaftsverhältnis 6 auf unbestimmte Zeit eingegangen ist. Eine auf Lebenszeit eingegangene bzw. nach dem Ablauf der für ihre Dauer bestimmten Frist stillschweigend fortgesetzte Gesellschaft (§ 134 HGB a.F.) wird dem nun nicht mehr gleichgestellt (Rz. 2, § 725 BGB Rz. 7). Die Kündigung kann nur mit einer Frist von sechs Monaten zum Ablauf des Geschäftsjahres erklärt werden (zu abweichenden Regelungen Rz. 16 ff.). Eine Verschiebung von einem Sonn- oder Feiertag auf den nächsten oder den vorangehenden Werktag (§ 193 BGB) kommt nicht in Betracht (§ 725 BGB Rz. 8).16 Eine verfristete Kündigung kann jedoch gegebenenfalls in eine Kündigung zum nächstmöglichen Termin ausgelegt bzw. umgedeutet werden.17 Die übrigen Gesellschafter können zudem auf die Wahrung der Kündigungsfrist verzichten (§ 725 BGB Rz. 8).
2. Außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund (Abs. 2, 3) Ist das Gesellschaftsverhältnis auf bestimmte Zeit eingegangen, ist eine ordentliche Kündi- 7 gung nach allgemeinen Grundsätzen ausgeschlossen. Stattdessen können die Gesellschafter sich vor dem Zeitablauf nur durch eine außerordentliche Kündigung von der Gesellschaft lösen. Dies ordnet Abs. 2 nun auch für die Personenhandelsgesellschaften an und führt dadurch die bislang umstrittene Frage nach der Zulässigkeit der außerordentlichen Austrittskündigung einer Klärung zu (Rz. 2). Die außerordentliche Kündigung setzt voraus, dass im Zeitpunkt der Kündigung ein wichtiger Grund vorliegt und dieser in der Kündigungserklärung angegeben wird (zum Nachschieben von Gründen § 725 BGB Rz. 11). Unter dieser Voraussetzung kann auch die Mitgliedschaft in einer auf unbestimmte Zeit eingegangenen Gesellschaft außerordentlich gekündigt werden. Hier muss der wichtige Grund jedoch so schwerwiegend sein, dass dem kündigenden Gesellschafter die Wahrung der Kündigungsfrist nicht zuzumuten ist (§ 725 BGB Rz. 10, 12). Kein (zusätzlicher) wichtiger Grund ist erforderlich in Fällen des fehlerhaften Beitritts zu einer Gesellschaft. Hier folgt das Kündigungsrecht entsprechend § 132 Abs. 2 HGB bereits aus dem fortbestehenden Mangel des Beitritts (zu Auflösungskündigung bei fehlerhafter Gesellschaft (§ 705 BGB Rz. 39).18 Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem kündigenden Gesellschafter unter Berücksichtigung 8 aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen eine Fortsetzung des Gesellschaftsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann, weil die Förderung des gemeinsamen Zwecks wegen wirtschaftlicher oder in der Person eines anderen Gesellschafters liegender Umstände dauerhaft schwer beeinträchtigt ist.19 Erforderlich ist eine eingehende Würdigung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalles.20 Abs. 2 Satz 2 nennt beispielhaft die vorsätzliche 16 Allgemein: BGH v. 17.2.2005 – III ZR 172/04, BGHZ 162, 175, 179 f. = MDR 2005, 798 = ZIP 2005, 716; anders offenbar: K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 132 HGB Rz. 15; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 132 HGB Rz. 13. 17 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 132 HGB Rz. 15; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn, § 132 HGB Rz. 14; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 132 HGB Rz. 19; Michel in BeckOGK/ HGB, Stand: 15.8.2022, § 132 HGB Rz. 24. 18 Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 725 BGB Rz. 48. 19 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 173; vgl. auch: BGH v. 21.11.2005 – II ZR 367/03, ZIP 2006, 127. 20 BGH v. 22.5.2012 – II ZR 2/11, ZIP 2012, 1500, 1502 f.; BGH v. 21.11.2005 – II ZR 367/03, ZIP 2006, 127, 128 f. Rz. 15; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 723 BGB Rz. 29. Guntermann | 965
§ 132 HGB Rz. 8 | Offene Handelsgesellschaft oder grob fahrlässige Verletzung wesentlicher gesellschaftsvertraglicher Pflichten durch einen anderen Gesellschafter oder die Unmöglichkeit der Erfüllung einer solchen Verpflichtung. Im Übrigen kann auf die im Rahmen von § 725 BGB geltenden Auslegungsgrundsätze (§ 725 BGB Rz. 12 f.) zurückgegriffen werden. 9 Die außerordentliche Kündigung muss auch verhältnismäßig sein.21 Steht die Pflichtverlet-
zung eines anderen Gesellschafters in Rede, kommt die außerordentliche Kündigung der Mitgliedschaft ebenso wie die klageweise Ausschließung des pflichtwidrig handelnden Gesellschafters (§ 134 HGB Rz. 6) nur in Betracht, wenn nicht bereits die Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht (§ 116 Abs. 5, § 124 Abs. 5 HGB) die Unzumutbarkeit beseitigt.22 Demgegenüber ist die Klage auf Auflösung der Gesellschaft (§ 139 HGB) lediglich ultima ratio, die nur verhältnismäßig ist, wenn weder der Austritt aus der Gesellschaft noch die Ausschließung ausreichen, um die Unzumutbarkeit zu beseitigen (§ 139 HGB Rz. 4).23 Jenseits der Verhältnismäßigkeitsprüfung besteht zwischen den verschiedenen Regelungen zum wichtigen Grund (§§ 132, 134, 139 HGB) kein Rangverhältnis, d.h. der wichtige Grund muss nicht jeweils unterschiedlich schwer wiegen. Die Unzumutbarkeit der unveränderten Fortsetzung wird lediglich aus unterschiedlichen Perspektiven beurteilt (§ 725 BGB Rz. 14). 10 Die Wahrung einer Kündigungsfrist ist im Falle der außerordentlichen Kündigung nicht er-
forderlich. Obwohl Abs. 3 nur die Regelbeispiele in Abs. 2 Satz 2 in Bezug nimmt, ist anzunehmen, dass sich Abs. 3 auch auf nicht unter Abs. 2 Satz 2 subsumierbare Fälle eines wichtigen Grundes bezieht. Von Abs. 3 erfasst wird sowohl die gesetzliche Kündigungsfrist gem. Abs. 1 als auch eine etwaige gesellschaftsvertragliche Kündigungsfrist.24 Auch die allgemeine Kündigungserklärungsfrist gem. § 314 Abs. 3 BGB gilt nicht. Allerdings kann ein längeres Zuwarten mit der Kündigungserklärung im Einzelfall gegen das Vorliegen eines wichtigen Grundes sprechen25 oder gar zu einer Verwirkung des Kündigungsrechts aus wichtigem Grund führen.26
3. Außerordentliche Kündigung wegen Volljährigkeit (Abs. 4) 11 Ein minderjähriger Gesellschafter kann seine Mitgliedschaft zudem außerordentlich kündi-
gen, wenn er volljährig geworden ist (Abs. 4 Satz 1). Das Kündigungsrecht beruht auf § 723 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2, Satz 4, 5 BGB a.F.27 und ist wie § 725 Abs. 4 BGB im Zusammenhang mit § 1629a BGB zu lesen. Das Kündigungsrecht soll wie die dort vorgesehene Haftungsbeschränkung für vor der Volljährigkeit begründete Verbindlichkeiten des Minderjährigen (dazu § 725 BGB Rz. 20) verhindern, dass der Minderjährige überschuldet in die Volljährigkeit startet (§ 725 BGB Rz. 17). Indem der Minderjährige das Recht erhält, die Mitgliedschaft zu kündigen, kann er die Haftung für Neuverbindlichkeiten ausschließen. Abs. 4 ist teleolo-
21 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 132 HGB Rz. 41. 22 OLG Koblenz v. 15.7.2014 – 3 U 1462/12, ZIP 2014, 2086; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/ HGB, § 132 HGB Rz. 41. 23 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 244. Vgl. auch: K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/ HGB, § 133 HGB Rz. 13; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 133 HGB Rz. 13; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1640h (84. EL September 2022). 24 Zu § 725 Abs. 3 BGB: Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 173. 25 BGH v. 11.7.1966 – II ZR 215/64, NJW 1966, 2160; BGH v. 14.6.1999 – II ZR 193/98, ZIP 1999, 1355; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 723 BGB Rz. 48. 26 Westermann in Erman, § 723 BGB Rz. 14; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 723 BGB Rz. 47; Habermeier in Staudinger, § 723 BGB Rz. 38. 27 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 244.
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Kündigung der Mitgliedschaft durch den Gesellschafter | Rz. 15 § 132 HGB
gisch zu reduzieren, wenn der volljährig Gewordene eine Kommanditbeteiligung hält und die Haftung gem. §§ 171, 172 HGB ausgeschlossen ist (Rz. 4). Das Kündigungsrecht entsteht mit dem Eintritt der Volljährigkeit. Es besteht nicht, wenn der 12 Gesellschafter bezüglich des Gegenstands der Gesellschaft zum selbstständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts gem. § 112 BGB ermächtigt war oder der Zweck der Gesellschaft allein der Befriedigung seiner persönlichen Bedürfnisse diente (vgl. § 1629a Abs. 2 BGB). Das Kündigungsrecht kann gem. Abs. 4 Satz 3 nur binnen drei Monaten ab dem Zeitpunkt erklärt werden, in welchem der volljährig Gewordene von seiner Gesellschafterstellung Kenntnis erlangt hat oder haben musste (zu den Folgen der Kündigung § 725 BGB Rz. 19 f.). Obgleich die Entbehrlichkeit einer Kündigungsfrist (Abs. 3) sich systematisch nur auf die Kündigung aus wichtigem Grund (Abs. 2) zu beziehen scheint, ist anzunehmen, dass die Kündigung gem. Abs. 4 fristlos erfolgen kann, um den volljährig Gewordenen möglichst umfassend zu schützen (§ 725 BGB Rz. 18).
IV. Kündigungsschranken Gemäß Abs. 5 Satz 1 darf die Kündigung grundsätzlich nicht zur Unzeit erfolgen. Das Ver- 13 bot der Kündigung zur Unzeit, das inhaltlich übereinstimmend in § 725 Abs. 3 BGB geregelt ist,28 stellt einen typischen Fall eines Verstoßes gegen die gesellschafterliche Treuepflicht dar.29 Es gilt für sämtliche Kündigungsgründe gem. Abs. 1, 2, 4.30 Darüber hinaus ist das Verbot auf die Kündigung des Gesellschaftererben nach § 131 Abs. 2 HGB zu erstrecken (§ 131 HGB Rz. 13). Ob die Kündigung unzeitig erfolgt, richtet sich danach, ob der gewählte Kündigungszeitpunkt für die Gesellschaft als Erklärungsgegnerin mit Nachteilen verbunden ist, die im Falle der Kündigung zu einem anderen Zeitpunkt nicht eingetreten wären (§ 725 BGB Rz. 21). Die unzeitige Kündigung kann im Einzelfall bei Vorliegen eines wichtigen Grundes zulässig sein. Das Interesse des kündigenden Gesellschafters an der Kündigung gerade zu diesem Zeitpunkt muss dazu das Interesse der Gesellschaft an der Kündigung zu einem anderen Zeitpunkt überwiegen.31 Erfolgt die Kündigung zur Unzeit, ohne dass ein wichtiger Grund vorliegt, bleibt die Wirk- 14 samkeit der Kündigung davon unberührt.32 Der kündigende Gesellschafter ist der Gesellschaft jedoch zum Ersatz des daraus resultierenden Schadens verpflichtet (Abs. 5 Satz 2) (zum ersatzfähigen Schaden § 725 BGB Rz. 22). Eine Schadensersatzpflicht besteht auch in Fällen, in denen die Kündigung rechtsmissbräuchlich oder aus anderen Gründen treuwidrig ist. Die rechtsmissbräuchliche Kündigung ist zudem unwirksam (§ 725 BGB Rz. 23 ff.).
V. Rechtsfolgen der Kündigung Der kündigende Gesellschafter scheidet mit Wirksamwerden der außerordentlichen frist- 15 losen Kündigung durch Zugang bei der Gesellschaft bzw. im Falle der ordentlichen Kündigung mit Ablauf der Kündigungsfrist aus der Gesellschaft aus, § 130 Abs. 3 HGB (zu den zwischenzeitlichen Rechten und Pflichten des kündigenden Gesellschafters § 130 HGB Rz. 12,
28 29 30 31
Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 244. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 173; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 132 HGB Rz. 24. Schäfer in MünchKomm/BGB, § 723 BGB Rz. 53. BGH v. 8.7.1976 – II ZR 34/75 Rz. 26, WM 1976, 1030; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 723 BGB Rz. 54. 32 Klöhn in Henssler/Strohn, § 132 HGB Rz. 12; Kamanabrou in Oetker, § 132 HGB Rz. 12; K. Schmidt/ Fleischer in MünchKomm/HGB, § 132 HGB Rz. 16. Guntermann | 967
§ 132 HGB Rz. 15 | Offene Handelsgesellschaft zur allseitigen Kündigung § 724 BGB Rz. 26). Der Abfindungsanspruch gem. § 135 BGB entsteht erst mit dem Ausscheiden. § 135 Abs. 2 HGB, der für die Ermittlung des Abfindungsanspruchs im Falle der Ausschließungsklage auf den Zeitpunkt der Klageerhebung abstellt, ist nicht entsprechend heranzuziehen, obgleich der Tatbestand des Ausscheidens wie im Falle der ordentlichen Kündigung (Erklärung, Ablauf der Kündigungsfrist) auch dort gestreckt verwirklicht wird (Klageerhebung, rechtskräftiges Urteil). Anders als im Falle der Ausschließung steht bei der Kündigung fest, wann der Gesellschafter ausscheiden wird. Daher sind die Beteiligten hier nicht vor der Zufälligkeit des Zeitpunkts der Rechtskraft und einer drohenden Prozessverzögerung zu schützen (§ 135 HGB Rz. 3). Allerdings ist die zwischenzeitliche Entziehung von Gesellschaftsvermögen, die gezielt zum Zwecke der Reduzierung des mit dem Ablauf der Kündigungsfrist entstehenden Abfindungsanspruchs erfolgt, treuwidrig. Der kündigende Gesellschafter kann in diesem Fall zum Schadensersatz berechtigt sein (§ 725 BGB Rz. 26).
VI. Abweichende Vereinbarungen 16 Gemäß § 723 Abs. 3 BGB a.F., der vor dem MoPeG gem. § 105 Abs. 3 HGB auch auf die
Kündigung der Mitgliedschaft in der oHG Anwendung fand,33 waren sowohl das ordentliche als auch – vorbehaltlich seiner Anerkennung (Rz. 2) – das außerordentliche Kündigungsrecht zwingend gewährleistet. Dadurch sollte der Gesellschafter vor einer zeitlich unbegrenzten Einschränkung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Kapazitäten34 bzw. vor einer fortdauernden Bindung an einen unzumutbar gewordenen Vertrag geschützt werden. § 132 Abs. 6 beschränkt wie § 725 Abs. 6 BGB die zwingende Geltung nun auf das Recht zur außerordentlichen Kündigung gem. Abs. 2 und Abs. 4. 17 Gesellschaftsvertragliche Regelungen, die das Recht zur ordentlichen Kündigung einschrän-
ken oder ausschließen, sind nur noch an § 138 Abs. 1 BGB zu messen. Im Rahmen der Sittenwidrigkeitsprüfung ist die Wertung des § 132 Abs. 6 BGB zu berücksichtigen.35 Die Annahme der Sittenwidrigkeit kommt daher nur in Ausnahmefällen in Betracht (§ 725 BGB Rz. 28). Zulässig können sowohl der Ausschluss als auch die Beschränkung des Rechts zur ordentlichen Kündigung sein. Gleiches gilt für die Modalitäten und die Folgen der Kündigung (§ 725 BGB Rz. 29 f.). 18 Das außerordentliche Kündigungsrecht gem. Abs. 2 und Abs. 4 kann hingegen weder aus-
geschlossen noch beschränkt werden, Abs. 6. Dies gilt nicht nur für gesellschaftsvertragliche Regelungen, sondern in entsprechender Anwendung auch für außergesellschaftsvertragliche Vereinbarungen (§ 725 BGB Rz. 31). Unzulässig ist nicht nur der Ausschluss des außerordentlichen Kündigungsrechts. Auch eine Kündigungsfrist oder die Eingrenzung der möglichen Kündigungsgründe kann nicht wirksam vereinbart werden (zu ausnahmsweise zulässigen Regelungen § 725 BGB Rz. 32). Regelungen, die gegen Abs. 6 verstoßen, sind nichtig.36 An ihre Stelle treten die gesetzlichen Bestimmungen.37
33 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 132 HGB Rz. 29, 32. 34 BGH v. 18.9.2006 – II ZR 137/04, ZIP 2006, 2316, 2317 Rz. 10; BGH v. 11.7.1968 – II ZR 179/66, BGHZ 50, 316, 322 = NJW 1968, 2003, 2004. 35 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 174. 36 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 132 HGB Rz. 39. Zu § 725 Abs. 6 BGB: Lübke in BeckOGK/BGB, Stand: 1.4.2023, § 723 BGB Rz. 99.1. 37 BGH v. 13.6.1994 – II ZR 259/92, ZIP 1994, 1180, 1182; Kamanabrou in Oetker, § 132 HGB Rz. 20; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 132 HGB Rz. 39.
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Kündigung der Mitgliedschaft durch einen Privatgläubiger | Rz. 2 § 133 HGB
§ 133 HGB Kündigung der Mitgliedschaft durch einen Privatgläubiger des Gesellschafters Hat ein Privatgläubiger eines Gesellschafters, nachdem innerhalb der letzten sechs Monate eine Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen des Gesellschafters ohne Erfolg versucht wurde, aufgrund eines nicht bloß vorläufig vollstreckbaren Schuldtitels die Pfändung des Anteils des Gesellschafters an der Gesellschaft erwirkt, kann er dessen Mitgliedschaft gegenüber der Gesellschaft unter Einhaltung einer Frist von sechs Monaten zum Ablauf des Geschäftsjahrs kündigen. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kündigungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 5
III. Kündigungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . .
7
Schrifttum: Siehe zu § 726 BGB.
I. Allgemeines § 133 HGB begründet das Recht der Privatgläubiger eines Gesellschafters, dessen Mitglied- 1 schaft gegenüber der Gesellschaft zu kündigen. Die Kündigung führt zum Ausscheiden des Gesellschafters (§ 130 Abs. 1 Nr. 4 HGB), soweit nicht im Gesellschaftsvertrag als Rechtsfolge die Auflösung der Gesellschaft vorgesehen ist. Dadurch erhalten die Privatgläubiger eines Gesellschafters eine indirekte Zugriffsmöglichkeit auf sein in der Mitgliedschaft gebundenes Vermögen, insbesondere seinen durch das Ausscheiden entstehenden Abfindungsanspruch (§ 135 HGB)1 bzw. seinen Anspruch auf den Liquidationserlös (§ 148 Abs. 8 HGB). Vorbehaltlich der Rechtsfolge der Kündigung (Auflösung statt Ausscheiden) ist die Regelung grundsätzlich nicht dispositiv (§ 130 HGB Rz. 9).2 Erleichterungen des Kündigungsrechts können jedoch vorgesehen werden.3 Die Norm entspricht inhaltlich weitgehend § 135 HGB a.F.4 Abweichungen im Wortlaut 2 stellen vor allem klar, was schon zu § 135 HGB a.F. überwiegend anerkannt war. Dies betrifft zum einen den Umstand, dass das Kündigungsrecht nur die Pfändung voraussetzt, nicht aber die Überweisung des Gesellschaftsanteils oder der daraus resultierenden Vermögensrechte (§ 857 Abs. 1, § 835 Abs. 1 ZPO).5 Die Pfändung muss sich zudem auf die Mitgliedschaft beziehen, die Pfändung des Abfindungsanspruchs genügt – entgegen dem insoweit missverständlichen Wortlaut von § 135 HGB a.F. – nicht.6 Eine inhaltliche Änderung betrifft 1 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 174. 2 Michel in BeckOGK/HGB, Stand: 15.7.2023, § 133 HGB Rz. 34; Klöhn in Henssler/Strohn, § 135 HGB Rz. 28. 3 Kamanabrou in Oetker, § 135 HGB Rz. 14; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 135 HGB Rz. 17. 4 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 245. 5 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 135 HGB Rz. 16; zu § 725 BGB a.F. auch: Habermeier in Staudinger, § 725 BGB Rz. 11; Westermann in Erman, § 725 BGB Rz. 2. 6 Michel in BeckOGK/HGB, Stand: 15.7.2023, § 135 HGB Rz. 18; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn, § 135 HGB Rz. 13; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 135 HGB Rz. 8; anders: K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 135 HGB Rz. 11. Guntermann | 969
§ 133 HGB Rz. 2 | Offene Handelsgesellschaft indes den Erklärungsgegner der Kündigung. Zu § 135 HGB a.F. wurde angenommen, dass die Kündigungserklärung sämtlichen Gesellschaftern zugehen muss, da sie das zwischen den Gesellschaftern bestehende Rechtsverhältnis zur Auflösung bringt.7 § 133 HGB verlangt indes die Kündigung gegenüber der Gesellschaft (Rz. 7) und stellt dadurch einen Gleichlauf zur Kündigung durch einen Gesellschafter her (§ 132 HGB Rz. 5). 3 Das BGB enthält für die rechtsfähige GbR in § 726 eine entsprechende Regelung. Unterschie-
de ergeben sich nur hinsichtlich der Kündigungsfrist, die der Privatgläubiger zu wahren hat. Sie beruhen wie die unterschiedliche Frist für die ordentliche Kündigung des Gesellschafters (§ 132 HGB Rz. 3) darauf, dass die Gesellschafter der oHG gegebenenfalls einen längeren Zeitraum benötigen, um sich auf die Folgen des Ausscheidens, insbesondere den Abfluss der Abfindung aus dem Gesellschaftsvermögen und die Änderung der Gesellschafterstruktur einzustellen. Die gewerblich tätige oHG muss zudem anders als die GbR gem. §§ 240, 242 HGB über ein Geschäftsjahr verfügen, das schon aus bilanziellen Gründen als Bezugspunkt des Ausscheidens dienen sollte. 4 § 133 HGB gilt auch in der aufgelösten Gesellschaft (§ 726 BGB Rz. 4). Zudem findet die
Norm Anwendung auf die Kündigung durch den Gläubiger eines Partners (§ 9 Abs. 1 PartGG) und auf die Kündigung durch den Gläubiger eines stillen Gesellschafters (§ 234 Abs. 1 HGB).
II. Kündigungsrecht 5 Das Kündigungsrecht steht jedem Privatgläubiger eines Gesellschafters zu. Sein Anspruch
muss mithin auf einer individuellen Rechtsbeziehung zum Gesellschafter beruhen. Es genügt nicht, wenn der Gesellschafter gem. §§ 126, 127 HGB für eine Gesellschaftsverbindlichkeit haftet.8 Das Kündigungsrecht steht auch Inhabern vertraglicher Pfandrechte an einem Gesellschaftsanteil zu, wenn der Pfandgläubiger gem. § 1277 BGB durch Zwangsvollstreckung in den Anteil Befriedigung sucht.9 Ferner ist das Kündigungsrecht analog § 133 HGB dem Testamentsvollstrecker sowie dem Nachlass(insolvenz-)verwalter zuzubilligen (§ 726 BGB Rz. 5). 6 Der Privatgläubiger muss gem. §§ 857, 829 ZPO die Pfändung des Gesellschaftsanteils (zur
Pfändung einzelner Vermögensrechte § 726 BGB Rz. 9) erwirkt haben. Die Pfändung wird mit Zustellung des Pfändungsbeschlusses an die Gesellschaft wirksam (§ 829 Abs. 2 ZPO), wobei die Zustellung an einen der vertretungsbefugten Gesellschafter genügt, § 124 Abs. 6 HGB (zu den Folgen der Pfändung § 726 BGB Rz. 7 f.). Die Pfändung muss aufgrund eines Schuldtitels erfolgt sein, der jedenfalls im Zeitpunkt der Kündigungserklärung nicht (mehr) bloß vorläufig vollstreckbar ist (§ 726 BGB Rz. 10). Zudem muss innerhalb der letzten sechs Monate (zur Fristberechnung § 726 BGB Rz. 12) eine Zwangsvollstreckung wegen einer Geldforderung in das bewegliche Vermögen des Gesellschafters (§§ 803 ff. ZPO) ohne Erfolg versucht worden sein (§ 726 BGB Rz. 11; zum nachträglichen Wegfall des Kündigungsgrun-
7 BGH v. 21.4.1986 – II ZR 198/85, BGHZ 97, 392, 395 = ZIP 1986, 776, 777; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 135 HGB Rz. 18; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 135 HGB Rz. 29; K. Schmidt/ Fleischer in MünchKomm/HGB, § 135 HGB Rz. 23. 8 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 174; Bergmann in Schäfer, § 7 Rz. 53; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 135 HGB Rz. 3. 9 Schöne in BeckOK/BGB, Stand: 1.5.2023, § 725 BGB Rz. 8; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 725 BGB Rz. 3; anders: Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 673c (Stand: 79. EL Januar 2021).
970 | Guntermann
Gerichtliche Entscheidung über Ausschließungsklage | Rz. 1 § 134 HGB
des § 726 BGB Rz. 15). Ein einziger Vollstreckungsversuch genügt,10 wobei es gleichgültig ist, ob der Kündigende selbst den Versuch unternommen hat oder ein Dritter.11 Nicht erforderlich ist, dass der Vollstreckungsversuch vor dem Erwirken der Anteilspfändung oder der Erlangung des zugrunde liegenden Schuldtitels erfolgt ist. Auf die Reihenfolge, in der die einzelnen Merkmale erfüllt werden, kommt es entgegen dem Wortlaut nicht an (§ 726 BGB Rz. 10).
III. Kündigungserklärung Die Kündigung ist gegenüber der Gesellschaft zu erklären. Ausreichend ist demnach die Er- 7 klärung gegenüber einem vertretungsbefugten Gesellschafter, § 124 Abs. 6 HGB. Die Kündigung kann nur mit einer Frist von sechs Monaten zum Ablauf des Geschäftsjahres erfolgen (zu abweichenden gesellschaftsvertraglichen Fristen § 726 BGB Rz. 1). Das Verbot der Kündigung zur Unzeit (§ 132 Abs. 5 HGB) gilt grundsätzlich nicht (§ 726 BGB Rz. 14).
§ 134 HGB Gerichtliche Entscheidung über Ausschließungsklage 1Tritt
in der Person eines Gesellschafters ein wichtiger Grund ein, kann auf Antrag der anderen Gesellschafter seine Ausschließung aus der Gesellschaft durch gerichtliche Entscheidung ausgesprochen werden, sofern im Gesellschaftsvertrag nichts anderes vereinbart ist. 2Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn der Gesellschafter eine ihm nach dem Gesellschaftsvertrag obliegende wesentliche Verpflichtung vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat oder wenn ihm die Erfüllung einer solchen Verpflichtung unmöglich wird. 3Der Klage steht nicht entgegen, dass nach der Ausschließung nur ein Gesellschafter verbleibt.
In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. II. 1. 2.
Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Voraussetzungen der Ausschließung Wichtiger Grund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerichtliche Entscheidung über die Ausschließung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 5 8
III. Ausschließung des vorletzten Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 IV. Abweichende Regelungen 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2. Ausschließung durch Gesellschafterbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
Schrifttum: Siehe zu § 727 BGB.
I. Allgemeines § 134 HGB betrifft die Ausschließung eines Gesellschafters aus der Gesellschaft. Die Norm 1 entspricht im Wesentlichen § 727 BGB und dient ebenfalls dem Ziel, den übrigen Gesell10 BGH v. 25.5.2009 – II ZR 60/08, ZIP 2009, 1863, 1864 Rz. 11 = GmbHR 2009, 1102; K. Schmidt/ Fleischer in MünchKomm/HGB, § 135 HGB Rz. 19. 11 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 174; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 135 HGB Rz. 19. Guntermann | 971
Gerichtliche Entscheidung über Ausschließungsklage | Rz. 1 § 134 HGB
des § 726 BGB Rz. 15). Ein einziger Vollstreckungsversuch genügt,10 wobei es gleichgültig ist, ob der Kündigende selbst den Versuch unternommen hat oder ein Dritter.11 Nicht erforderlich ist, dass der Vollstreckungsversuch vor dem Erwirken der Anteilspfändung oder der Erlangung des zugrunde liegenden Schuldtitels erfolgt ist. Auf die Reihenfolge, in der die einzelnen Merkmale erfüllt werden, kommt es entgegen dem Wortlaut nicht an (§ 726 BGB Rz. 10).
III. Kündigungserklärung Die Kündigung ist gegenüber der Gesellschaft zu erklären. Ausreichend ist demnach die Er- 7 klärung gegenüber einem vertretungsbefugten Gesellschafter, § 124 Abs. 6 HGB. Die Kündigung kann nur mit einer Frist von sechs Monaten zum Ablauf des Geschäftsjahres erfolgen (zu abweichenden gesellschaftsvertraglichen Fristen § 726 BGB Rz. 1). Das Verbot der Kündigung zur Unzeit (§ 132 Abs. 5 HGB) gilt grundsätzlich nicht (§ 726 BGB Rz. 14).
§ 134 HGB Gerichtliche Entscheidung über Ausschließungsklage 1Tritt
in der Person eines Gesellschafters ein wichtiger Grund ein, kann auf Antrag der anderen Gesellschafter seine Ausschließung aus der Gesellschaft durch gerichtliche Entscheidung ausgesprochen werden, sofern im Gesellschaftsvertrag nichts anderes vereinbart ist. 2Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn der Gesellschafter eine ihm nach dem Gesellschaftsvertrag obliegende wesentliche Verpflichtung vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat oder wenn ihm die Erfüllung einer solchen Verpflichtung unmöglich wird. 3Der Klage steht nicht entgegen, dass nach der Ausschließung nur ein Gesellschafter verbleibt.
In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. II. 1. 2.
Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Voraussetzungen der Ausschließung Wichtiger Grund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerichtliche Entscheidung über die Ausschließung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Ausschließung des vorletzten Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 IV. Abweichende Regelungen 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2. Ausschließung durch Gesellschafterbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
Schrifttum: Siehe zu § 727 BGB.
I. Allgemeines § 134 HGB betrifft die Ausschließung eines Gesellschafters aus der Gesellschaft. Die Norm 1 entspricht im Wesentlichen § 727 BGB und dient ebenfalls dem Ziel, den übrigen Gesell10 BGH v. 25.5.2009 – II ZR 60/08, ZIP 2009, 1863, 1864 Rz. 11 = GmbHR 2009, 1102; K. Schmidt/ Fleischer in MünchKomm/HGB, § 135 HGB Rz. 19. 11 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 174; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 135 HGB Rz. 19. Guntermann | 971
§ 134 HGB Rz. 1 | Offene Handelsgesellschaft schaftern ein Verteidigungsrecht gegen das störende Verhalten eines Mitgesellschafters einzuräumen und als präventiver Schutz vor künftigen Störungen zu dienen.1 Im Unterschied zur Rechtslage in der GbR erfolgt die Ausschließung hier jedoch durch (Gestaltungs-)Urteil (Rz. 8) statt durch Gesellschafterbeschluss (§ 727 BGB Rz. 8). Dieser Unterschied beruht auf einer angemessenen Verteilung der Klagelast.2 Das Gestaltungsklageerfordernis trägt der grundsätzlichen Einzelgeschäftsführungs- und Einzelvertretungsbefugnis in der oHG (§ 116 Abs. 3, § 124 Abs. 1 HGB) Rechnung und sorgt bei den verbleibenden Gesellschaftern für Rechtssicherheit über den Kreis der geschäftsführungs- und vertretungsberechtigten Gesellschafter für den Zeitraum bis zum Eintritt der Rechtskraft (§ 723 BGB Rz. 25).3 Die unterschiedlichen Anforderungen an die Ausschließung können insbesondere in nicht eingetragenen Gesellschaften relevant sein, bei denen nicht eindeutig ist, ob sie ein Handelsgewerbe betreiben (§ 1 Abs. 2 HGB). Ist die Gesellschaft eigentlich GbR, ist die Ausschließungsklage abzuweisen.4 Durch gesellschaftsvertragliche Regelung lässt sich freilich eine Angleichung herstellen (Rz. 14 ff.).5 2 Die Norm beruht im Wesentlichen auf § 140 Abs. 1 HGB a.F. § 140 Abs. 2 HGB a.F., der
für den Fall der Ausschließung den maßgeblichen Zeitpunkt für die Berechnung des Abfindungsanspruchs bestimmte, wurde dagegen – systematisch stimmig – in § 135 HGB verschoben.6 Zudem stellt Satz 1 a.E. die Disponibilität der Regelung nun ausdrücklich klar. Dabei handelt es sich um eine Folgeänderung zu der Streichung von § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 HGB a.F.7 Diese Regelung, wonach auch ein Beschluss der Gesellschafter zum Ausscheiden führen konnte, hatte nach ihrer Einführung durch das HRefG 1998 zu Unsicherheiten geführt, ob dadurch die Anforderungen des § 140 HGB a.F. von Gesetzes wegen herabgesetzt werden8 oder die Regelung lediglich klarstellt, dass die Gesellschafter durch Vereinbarung von § 140 HGB a.F. abweichen können (§ 130 HGB Rz. 2).9 Ihre Streichung und die ausdrückliche Anordnung in § 134 Satz 1 a.E. HGB führen zu einer Klarstellung im letztgenannten Sinne (Rz. 13).10 3 Mit der Ablösung der in § 140 Abs. 1 Satz 1 HGB a.F. enthaltenen Verweisung auf den wich-
tigen Grund i.S.v. § 133 HGB a.F. durch eine eigenständige Definition des wichtigen Grundes ist dagegen keine wesentliche Änderung verbunden. Insbesondere bringt die Änderung kein Rangverhältnis zum Ausdruck. Die Umstände, die den wichtigen Grund begründen, müssen für die Auflösung nicht gewichtiger sein als für die Ausschließung.11 Mit der Aufnahme der Definition ist jedoch die Klarstellung verbunden, dass im Rahmen von § 132 Abs. 2 HGB, § 134 HGB und § 139 Abs. 1 HGB die Unzumutbarkeit der unveränderten Fortsetzung aus unterschiedlichen Perspektiven beurteilt wird. Lediglich auf Ebene der Verhältnismäßigkeit lässt sich ein gewisses Stufenverhältnis ausmachen (Rz. 6). Insoweit gilt dasselbe wie im Recht der GbR (§ 725 BGB Rz. 14 f., § 727 BGB Rz. 4, 6).
1 Grunewald, Der Ausschluss aus Gesellschaft und Verein, Habil. Bonn 1987, S. 19 ff.; Schöne, Gesellschafterausschluss bei Personengesellschaften, Diss. Münster 1993, S. 17 ff. 2 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 170 f. 3 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 171 f. 4 OLG München v. 19.1.2022 – 7 U 3250/20, NZG 2022, 604. 5 Dies empfehlend: Wallimann, NZG 2022, 742, 747. 6 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 245. 7 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 245. 8 Vgl. etwa: Wiedemann in GS Lüderitz, 2000, S. 839, 849 f.; K. Schmidt, NJW 1998, 2161, 2166. 9 Begr. RegE HRefG, BT-Drucks. 13/8444, 65 f. Vgl. auch: Schäfer in Habersack/Schäfer, § 131 HGB Rz. 105. 10 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 243. 11 Kamanabrou in Oetker, § 140 HGB Rz. 6; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 140 HGB Rz. 4, 15; Kilian, WM 2006, 1567.
972 | Guntermann
Gerichtliche Entscheidung über Ausschließungsklage | Rz. 7 § 134 HGB
Die Norm gilt auch für die Ausschließung eines Gesellschafters aus der KG (§ 161 Abs. 2 4 HGB). Wird der einzige Komplementär ausgeschlossen und nicht zugleich ein neuer Komplementär bestimmt oder aufgenommen, führt die Ausschließung freilich zur Auflösung der KG.12 In der PartG gilt § 134 HGB entsprechend, § 9 Abs. 1 PartGG. Das Ausschließungsrecht besteht auch in der aufgelösten Gesellschaft (§ 727 BGB Rz. 3)13 sowie in der ZweiPersonen-Gesellschaft (Satz 3, Rz. 12).
II. Voraussetzungen der Ausschließung 1. Wichtiger Grund Die Ausschließung setzt einen wichtigen Grund in der Person des auszuschließenden Gesell- 5 schafters voraus. Maßgeblich ist, ob aus der Perspektive der verbleibenden Gesellschafter die Fortsetzung unter Beteiligung des auszuschließenden Gesellschafters noch zumutbar ist. Insoweit gilt dasselbe wie im Rahmen von § 727 Satz 1 BGB (§ 727 BGB Rz. 4 f.). § 134 Satz 2 HGB enthält auch ein § 727 Satz 2 BGB entsprechendes Regelbeispiel (§ 727 BGB Rz. 4). Darlegungs- und beweisbelastet sind grundsätzlich die Kläger der Ausschließungsklage.14 Wie in der GbR setzt der wichtige Grund zur Ausschließung des Gesellschafters in der oHG 6 zudem die Verhältnismäßigkeit der Ausschließung voraus. Als mildere Mittel können die Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis (§ 116 Abs. 5 HGB) und/oder der Vertretungsmacht (§ 124 Abs. 5 HGB) oder die zumutbare Änderung des Gesellschaftsvertrags in Betracht kommen.15 Demgegenüber kann die Ausschließung ihrerseits milderes Mittel im Verhältnis zur Auflösung der Gesellschaft (§ 139 Abs. 1 HGB) sein (§ 139 HGB Rz. 4, 7). Darlegungs- und beweisbelastet hinsichtlich solcher Umstände, die dem Vorliegen eines wichtigen Grundes entgegenstehen, ist der auszuschließende Gesellschafter.16 Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für das Vorliegen eines wichtigen Grundes ist die letz- 7 te mündliche Tatsachenverhandlung,17 d.h. ein Nachschieben von Gründen ist zulässig. Fällt der wichtige Grund zuvor weg (z.B. dauerhafte Genesung eines wegen ernsthafter Erkrankung ausgeschlossenen Gesellschafters), ist die Klage als unbegründet abzuweisen.18 Ein zwischenzeitliches Ausscheiden des auszuschließenden Gesellschafters aus anderem Grund führt in der Regel zur Erledigung der Klage.19 Geht sein Anteil auf einen Rechtsnachfolger über (im Wege der Einzel- oder Gesamtrechtsnachfolge), ist zu prüfen, ob auch in dessen Person ein Ausschließungsgrund vorliegt. Das Verhalten seines Rechtsvorgängers ist dem Rechtsnachfolger grundsätzlich nicht zuzurechnen.20 12 BGH v. 14.5.1952 – II ZR 40/51, BGHZ 6, 113, 116 = NJW 1952, 875; Kamanabrou in Oetker, § 140 HGB Rz. 5. 13 Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 140 HGB Rz. 4; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 140 HGB Rz. 8. 14 Klöhn in Henssler/Strohn, § 140 HGB Rz. 34; Lehmann-Richter in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 140 HGB Rz. 35. 15 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 140 HGB Rz. 28; Kamanabrou in Oetker, § 140 HGB Rz. 14 ff. 16 BGH v. 23.2.1981 – II ZR 229/79, BGHZ 80, 346 = ZIP 1981, 985, 986 = GmbHR 1981, 290; Lehmann-Richter in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 140 HGB Rz. 35. 17 BGH v. 15.9.1997 – II ZR 97/96, ZIP 1997, 1919, 1920; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 140 HGB Rz. 8. 18 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 140 HGB Rz. 8. 19 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 140 HGB Rz. 8; Schulte/Hushahn in MünchHdb. GesR I, § 74 Rz. 45. 20 BGH v. 14.10.1957 – II ZR 109/56, WM 1958, 49, 50; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 140 HGB Rz. 24. Guntermann | 973
§ 134 HGB Rz. 8 | Offene Handelsgesellschaft
2. Gerichtliche Entscheidung über die Ausschließung 8 Die Klage, mit dem die Ausschließung eines Gesellschafters begehrt wird, ist Gestaltungs-
klage, d.h. der auszuschließende Gesellschafter scheidet mit der Rechtskraft des Urteils aus der Gesellschaft aus (Rz. 11). Ist die Ausschließung des Gesellschafters nicht verhältnismäßig, weil mildere Mittel (z.B. die Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis) vorliegen (Rz. 6), kann das Gericht nicht von Amts wegen auf das mildere Mittel erkennen (§ 308 ZPO). Die Ausschließungsklage betrifft einen anderen Streitgegenstand, so dass sie nicht Minus, sondern Aliud zur Klage auf Anordnung der milderen Maßnahme ist.21 Ebenso betrifft die Auflösungsklage (§ 139 HGB) einen anderen Streitgegenstand als die Ausschließungsklage.22 Ein entsprechendes Urteil kann nur nach einer Klageänderung (§§ 263, 267 ZPO) ergehen oder für den Fall, dass die mildere Maßnahme hilfsweise beantragt wurde. Die Ausschließung kann nicht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes begehrt werden.23 9 Die Klage muss von sämtlichen Gesellschaftern erhoben werden, deren Ausschließung nicht
beantragt wird.24 Es handelt sich um einen Fall notwendiger Streitgenossenschaft, § 62 Abs. 1, Var. 2 ZPO.25 Die Mitwirkung eines Gesellschafters ist nur dann nicht erforderlich, wenn er verbindlich erklärt hat, dass er mit der Ausschließung einverstanden ist.26 Im Einzelfall kann sich aus der Treuepflicht eine Mitwirkungspflicht ergeben, wenn die Ausschließung aus Sicht der Gesellschafter dringend erforderlich und die Mitwirkung aus Sicht des Mitgesellschafters zumutbar ist.27 Insoweit gilt dasselbe wie in Bezug auf die Ausschließung eines GbR-Gesellschafters durch Gesellschafterbeschluss (§ 727 BGB Rz. 8). Die auf die Durchsetzung der Zustimmungspflicht gerichtete Klage kann mit der Ausschließungsklage verbunden werden.28 10 Beklagter ist der auszuschließende Gesellschafter. Sollen mehrere Gesellschafter ausgeschlos-
sen werden, ist die zwischen ihnen bestehende Streitgenossenschaft nach überwiegender Auffassung eine notwendige (§ 62 Abs. 1, Var. 2 ZPO), da für den Fall der Klageabweisung in Bezug auf einen der auszuschließenden Gesellschafter seine Zustimmung zur Ausschließung des anderen Beklagten fehlt.29 Die Zustimmung zu der Ausschließung der jeweils anderen Beklagten sollte daher jeweils hilfsweise geltend gemacht werden.30 11 Mit Rechtskraft des Urteils scheidet der auszuschließende Gesellschafter aus der Gesellschaft
aus (§ 130 Abs. 3 HGB) (zu den Folgen des Ausscheidens auch § 130 HGB Rz. 13 ff.). Sein Anteil an der Gesellschaft wächst den übrigen Gesellschaftern im Zweifel im Verhältnis ihrer
21 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 140 HGB Rz. 44. 22 Kamanabrou in Oetker, § 140 HGB Rz. 30; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 140 HGB Rz. 42. 23 Roth in Hopt, § 140 HGB Rz. 21; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 140 HGB Rz. 80; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 140 HGB Rz. 44. 24 Klöhn in Henssler/Strohn, § 140 HGB Rz. 28; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 140 HGB Rz. 36; Kamanabrou in Oetker, § 140 HGB Rz. 32. 25 BGH v. 25.10.2010 – II ZR 115/09, GmbHR 2011, 83, 85 = ZIP 2010, 2444; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 140 HGB Rz. 73. 26 BGH v. 17.12.2001 – II ZR 31/00, ZIP 2002, 710, 711; BGH v. 13.1.1958 – II ZR 136/56, NJW 1958, 418; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 140 HGB Rz. 37. 27 BGH v. 28.4.1975 – II ZR 16/73, BGHZ 64, 253 = NJW 1975, 1410, 1411 f.; Michel in BeckOGK/ HGB, Stand: 1.8.2022, § 134 HGB Rz. 36. 28 BGH v. 18.10.1976 – II ZR 98/75, BGHZ 68, 81 = NJW 1977, 1013; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 140 HGB Rz. 40. 29 BGH v. 28.4.1975 – II ZR 16/73, BGHZ 64, 253, 255 = NJW 1975, 1410 f.; Schäfer in Habersack/ Schäfer, § 140 HGB Rz. 41; Klöhn in Henssler/Strohn, § 140 HGB Rz. 29; anders: K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 140 HGB Rz. 74. 30 Kamanabrou in Oetker, § 140 HGB Rz. 35; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 140 HGB Rz. 74.
974 | Guntermann
Gerichtliche Entscheidung über Ausschließungsklage | Rz. 14 § 134 HGB
Anteile zu (§ 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 712 BGB). Der ausgeschlossene Gesellschafter hat einen Anspruch auf Abfindung (§ 135 Abs. 1 HGB), dem die Vermögenslage der Gesellschaft in dem Zeitpunkt zugrunde zu legen ist, in welchem die Ausschließungsklage erhoben wurde (§ 135 Abs. 2 HGB).
III. Ausschließung des vorletzten Gesellschafters Der Klage steht nicht entgegen, dass nach der Ausschließung nur ein Gesellschafter verbleibt 12 (Satz 3). Gemäß § 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 712a Abs. 1 BGB erlischt die Gesellschaft mit Eintritt der Rechtskraft ohne Liquidation und das Gesellschaftsvermögen geht im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den verbleibenden Gesellschafter über. War der verbleibende Gesellschafter Kommanditist, wird unterschiedlich beurteilt, ob ihm analog § 27 HGB die Möglichkeit zuzubilligen ist, der durch die Gesamtrechtsnachfolge grundsätzlich eintretenden unbeschränkten Haftung durch die Einstellung des Unternehmens innerhalb von drei Monaten zu entgehen. Dagegen spricht, dass dem verbleibenden Kommanditist genügend Zeit verbleibt, einen neuen persönlich haftenden Gesellschafter aufzunehmen.31
IV. Abweichende Regelungen 1. Allgemeines § 134 HGB ist dispositiv.32 Dies ergibt sich aus der ausdrücklichen Anordnung in Satz 1 a.E. 13 Das Ausschließungsrecht kann daher grundsätzlich abbedungen werden.33 Auch können im Gesellschaftsvertrag bestimmte Ausschließungsgründe festgelegt oder ausgeschlossen werden (§ 727 BGB Rz. 14).34 Wie in der GbR sind sog. Hinauskündigungsklauseln grundsätzlich wegen Sittenwidrigkeit nichtig, sofern nicht besondere Umstände die an keine Voraussetzungen geknüpfte Ausschließung rechtfertigen (§ 727 BGB Rz. 15).35 Zulässig sind dagegen Vereinbarungen über das Verfahren der Ausschließung (§ 727 BGB Rz. 14).
2. Ausschließung durch Gesellschafterbeschluss Die Gesellschafter können das Gestaltungsklageerfordernis durch die Ausschließung kraft 14 Gesellschafterbeschlusses ersetzen.36 Auch ein bloßer Mehrheitsbeschluss kann vorgesehen werden.37 Der auszuschließende Gesellschafter verfügt dabei nicht über ein Stimmrecht (§ 105 Abs. 2 HGB i.V.m. § 727 Satz 1 BGB, vgl. § 727 BGB Rz. 8 auch für den Fall des Ausschlusses mehrerer Gesellschafter).38 Im Einzelfall kann sich aus der Treuepflicht der Gesellschafter die (einklagbare)39 Pflicht einzelner Gesellschafter ergeben, dem Ausschließungsbeschluss zuzustimmen (§ 727 BGB Rz. 8). Fehlt eine Regelung zum Wirksamwerden der
31 Michel in BeckOGK/HGB, Stand: 1.8.2022, § 134 HGB Rz. 27.1. 32 Zu § 140 HGB a.F. schon: BGH v. 15.9.1997 – II ZR 97/96, ZIP 1997, 1919. 33 Kamanabrou in Oetker, § 140 HGB Rz. 40. Anders für die Publikumsgesellschaft: K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 140 HGB Rz. 89; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 140 HGB Rz. 52. 34 Roth in Hopt, § 140 HGB Rz. 28; Klöhn in Henssler/Strohn, § 140 HGB Rz. 44. 35 Kamanabrou in Oetker, § 140 HGB Rz. 46; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 140 HGB Rz. 61 ff. 36 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 245. 37 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 140 HGB Rz. 91; Kamanabrou in Oetker, § 140 HGB Rz. 41. 38 Altmeppen, ZIP 2021, 213, 215. 39 BGH v. 28.4.1975 – II ZR 16/73, BGHZ 64, 253, 256 = NJW 1975, 1410, 1412. Guntermann | 975
§ 134 HGB Rz. 14 | Offene Handelsgesellschaft Ausschließung, bedarf es dazu einer Mitteilung des Beschlusses an den auszuschließenden Gesellschafter, vgl. § 723 Abs. 3 BGB.40 15 Rechtsschutz gegen die Ausschließung kann der Gesellschafter in diesem Fall durch Anfech-
tungs- bzw. Nichtigkeitsklage (§ 113 HGB) erlangen, sofern der Beschluss hinreichend fixiert wurde und daher kein Streit über die Existenz und den Inhalt des Beschlusses besteht.41 Die Beweislast für das Vorliegen eines wichtigen Grundes zur Ausschließung trägt schon nach allgemeinen Grundsätzen die Gesellschaft, für die dieser Umstand im Anfechtungsprozess günstig ist.42 16 Anders als bei der GbR, bei der wegen der einheitlichen Nichtigkeitsfolge von Beschlussmän-
geln keine (vorläufige) Wirksamkeit des Ausschließungsbeschlusses anzuerkennen ist (§ 727 BGB Rz. 12), ist der anfechtbare Ausschließungsbeschluss in der oHG nach herkömmlicher Ansicht (vorläufig) wirksam.43 Erst das Urteil im Anfechtungsprozess führt gemäß § 110 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 HGB zur rückwirkenden Nichtigkeit des Beschlusses (§ 110 HGB Rz. 22 f.). Für die Folgen der rückwirkenden Vernichtung gilt dasselbe wie für den Fall eines materiell unwirksamen Ausschließungsbeschlusses in der GbR, dessen formelle Wirksamkeit erst durch Urteil beseitigt wird (§ 723 BGB Rz. 12). Der rückwirkend niemals ausgeschlossene Gesellschafter kann von den Gesellschaftern, die für den Ausschließungsbeschluss gestimmt haben, Schadensersatz wegen der zwischenzeitlichen Verweigerung seiner Gesellschafterrechte verlangen.44 Zwischenzeitliche Verfügungen über den vermeintlich angewachsenen Gesellschaftsanteil sind (schwebend) unwirksam (§ 185 BGB). Die (endgültige) Unwirksamkeit der Verfügung für den Fall der Genehmigungsverweigerung durch den nicht wirksam ausgeschlossenen Gesellschafter kann jedoch nach den Grundsätzen der fehlerhaften Gesellschaft nicht mit Wirkung ex tunc geltend gemacht werden.45 Wurden zwischenzeitlich Gesellschafterbeschlüsse ohne den vermeintlich ausgeschlossenen Gesellschafter gefasst, können etwaige Umsetzungshandlungen nach den Grundsätzen über die fehlerhafte Gesellschaft (§ 705 BGB Rz. 21 ff.) wirksam sein. Die Gesetzesbegründung verweist insoweit auf eine Klärung durch die Rechtsprechung.46 17 Der Ausschließungsbeschluss führt hingegen dann nicht zum sofortigen Ausscheiden des
Gesellschafters, wenn es an einer verbindlichen Feststellung des Beschlussinhalts fehlt und der Inhalt oder die Existenz des Ausschließungsbeschlusses streitig ist.47 Dann bleibt der auszuschließende Gesellschafter – wie in Fällen der Ausschließung durch Ausschließungsklage (§ 130 HGB Rz. 12) – vorerst Gesellschafter mit allen Rechten und Pflichten. Der Gesellschafter scheidet erst aus, wenn das zuständige Gericht rechtskräftig festgestellt hat, dass 40 BGH v. 17.12.1959 – II ZR 32/59, BGHZ 31, 295, 301 = NJW 1960, 625; BGH v. 21.6.2011 – II ZR 262/09, ZIP 2011, 1508, 1509; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 140 HGB Rz. 57; Bergmann in Schäfer, Neues PersGesR, § 7 Rz. 75. 41 Vgl. zur Fortgeltung des Feststellungsmodells in anderen Fällen: Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/ 27635, 236; dazu auch: Otte/Dietlein in BeckOGK/BGB, Stand: 15.10.2022, § 110 HGB Rz. 63 ff. 42 Otte, ZIP 2021, 2162, 2168; für das Vorliegen eines wichtigen Grundes im Rahmen der Anfechtungsklage gegen einen Abberufungsbeschluss in der GmbH auch: BGH v. 4.4.2017 – II ZR 77/16, GmbHR 2017, 701, 702; BGH v. 27.4.2009 – II ZR 167/07, ZIP 2009, 1158, 1161 f. Rz. 35; anders: Altmeppen, ZIP 2021, 213, 217; unklar (Gesellschaft oder übrige Gesellschafter): Michel in BeckOGK/HGB, Stand: 1.8.2022, § 134 HGB Rz. 64 f. 43 Michel in BeckOGK/HGB, Stand: 1.8.2022, § 134 HGB Rz. 64.1; Altmeppen, ZIP 2021, 213, 215 f. Stattdessen eine bloß prozedurale Wirksamkeit annehmend: Noack, DB 2014, 1851. 44 BGH v. 17.12.1959 – II ZR 32/59, BGHZ 31, 295, 302 = NJW 1960, 625, 626 f.; OLG Düsseldorf v. 22.3.1984 – U (Kart) 2/82, DB 1984, 1087; Habermeier in Staudinger, § 737 BGB Rz. 13. 45 BGH v. 20.7.2010 – XI ZR 465/07, BGHZ 186, 253 = ZIP 2010, 1590; Wertenbruch in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 105 HGB Rz. 364. 46 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 171. 47 Implizit auch: Otte, ZIP 2021, 2162, 2168.
976 | Guntermann
Ansprüche des ausgeschiedenen Gesellschafters | Rz. 1 § 135 HGB
der Ausschließungsbeschluss wirksam gefasst worden ist. Durch diese Differenzierung erhalten die Gesellschafter zugleich eine Handhabe, die vorläufige Wirksamkeit des Ausschließungsbeschlusses und damit einhergehende Schwierigkeiten in der Schwebephase vor der gerichtlichen Entscheidung zu verhindern, indem sie den Ausschließungsbeschluss durch gesellschaftsvertragliche Regelung von der verbindlichen Feststellung durch den Versammlungsleiter ausnehmen.48
§ 135 HGB Ansprüche des ausgeschiedenen Gesellschafters (1) 1Sofern im Gesellschaftsvertrag nichts anderes vereinbart ist, ist die Gesellschaft verpflichtet, den ausgeschiedenen Gesellschafter von der Haftung für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft zu befreien und ihm eine dem Wert seines Anteils angemessene Abfindung zu zahlen. 2Sind Verbindlichkeiten der Gesellschaft noch nicht fällig, kann die Gesellschaft dem Ausgeschiedenen Sicherheit leisten, statt ihn von der Haftung nach § 126 zu befreien. (2) Im Fall des § 134 ist für die Ermittlung des Abfindungsanspruchs die Vermögenslage der Gesellschaft in dem Zeitpunkt maßgebend, in welchem die Ausschließungsklage erhoben ist. (3) Der Wert des Gesellschaftsanteils ist, soweit erforderlich, im Wege der Schätzung zu ermitteln. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. II. 1. 2. 3.
Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Abfindungsanspruch Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Angemessenheit der Abfindung . . . . . . . . 8 Ermittlung des Abfindungsanspruchs . . . 11
4. 5. III. IV.
Gesamtabrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verlustausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertragliche Abfindungsvereinbarungen Sonstige Ansprüche des Ausgeschiedenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12 13 14 16
Schrifttum: Siehe zu § 728 BGB.
I. Allgemeines §§ 135–137 HGB regeln die wesentlichen vermögensrechtlichen Folgen des Ausscheidens 1 aus der Gesellschaft. Abs. 1 und Abs. 3 entsprechen im Wesentlichen § 738 Abs. 1 Satz 2, Satz 3, Abs. 2 BGB a.F., der vor dem MoPeG gem. § 105 Abs. 3 HGB auch auf Personenhandelsgesellschaften Anwendung fand. Das HGB enthält nun aus Gründen der Rechtsklarheit1 eigenständige, inhaltlich aber § 728 BGB entsprechende Regelungen. Die Anwachsung des Anteils des Ausscheidenden zu den verbleibenden Gesellschaftern (§ 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 738 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F.) ist nun in § 712 Abs. 1 BGB (i.V.m. § 105 Abs. 3 HGB) geregelt. Die in § 738 Abs. 1 Satz 2, Var. 1 BGB a.F. enthaltene Pflicht zur Rückgabe von Gegenständen, die der Ausscheidende der Gesellschaft zur Benutzung überlassen hat, wurde 48 Nolting, NJW 2022, 113, 118; Heckschen/Nolting, BB 2021, 2946, 2949. 1 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 245. Guntermann | 977
§ 135 HGB Rz. 1 | Offene Handelsgesellschaft gestrichen, da die Rückgabepflicht bereits aus der Vereinbarung folge, die der Nutzungsüberlassung zugrunde liegt (§ 728 BGB Rz. 1, 42).2 Darüber hinaus setzt die Neuregelung verschiedene Aspekte um, die sich bereits vor dem MoPeG aus der Rechtsfähigkeit der GbR und der bloß akzessorischen Gesellschafterhaftung ergaben, im Wortlaut von § 738 BGB a.F. aber keinen Ausdruck fanden (§ 728 BGB Rz. 1). Die Abfindungspflicht der Gesellschaft ist zugleich Ausdruck der weitgehenden rechtlichen Verselbstständigung der Gesellschaft auch im Innenverhältnis (vgl. auch § 725 BGB Rz. 2). 2 Eine wesentliche Änderung scheint die Bemessung der Abfindung zu betreffen. Statt das
fiktive Auseinandersetzungsguthaben kann der ausgeschiedene Gesellschafter nun eine angemessene Abfindung verlangen. Dadurch wird jedoch lediglich der Umkehrung des Verhältnisses von Auflösung und Ausscheiden in der GbR Rechnung getragen (§ 723 BGB Rz. 2, § 728 BGB Rz. 2). Für die Personenhandelsgesellschaften ist die Ablösung der Abfindung von der fiktiven Auseinandersetzung letztlich eine bereits seit dem HRefG 1998 überfällige Anpassung. Eine inhaltliche Änderung ist damit nicht verbunden. Ein ausscheidender Gesellschafter ist auch weiterhin grundsätzlich nach dem wahren Anteilswert abzufinden (Rz. 8, § 728 BGB Rz. 2, 14). 3 Abs. 2 entspricht § 140 Abs. 2 HGB a.F. Veränderungen im Wortlaut dienen lediglich der
Klarstellung. Die Norm verlagert für den Fall des Ausscheidens durch Ausschließungsklage (§ 134 HGB) den Zeitpunkt für die Ermittlung der Abfindung vor. Es ist nicht der Eintritt der Rechtskraft maßgebend, mit welcher der ausgeschlossene Gesellschafter aus der Gesellschaft ausscheidet (§ 130 Abs. 3 HGB), sondern die Erhebung der Ausschließungsklage (Rz. 9). Dies soll die Berechnung des Abfindungsguthabens von dem zufälligen Eintritt der Rechtskraft des Urteils unabhängig machen.3 Zudem sollen die Gesellschafter gegen vermögensrechtliche Nachteile einer Prozessverschleppung durch den beklagten Gesellschafter geschützt werden.4 Die Gesetzesbegründung stellt stattdessen auf den Schutz des ausscheidenden Gesellschafters vor einer Prozessverschleppung durch die beklagte Gesellschaft ab,5 verkennt dadurch aber das § 134 HGB zugrunde liegende und durch das MoPeG nicht veränderte Prozessrechtsverhältnis (§ 134 HGB Rz. 1, 8 ff.). Zugleich schützt die Rückbeziehung auf den Zeitpunkt der Klageerhebung den ausgeschlossenen Gesellschafter vor der Verwirklichung unternehmerischer Risiken während der Rechtshängigkeit der Ausschließungsklage.6 4 Entsprechend anzuwenden sind die §§ 135−137 HGB, wenn der vorletzte Gesellschafter aus
der Gesellschaft ausscheidet, § 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 712a Abs. 2 BGB. In diesem Fall richten sich die durch § 135 HGB begründeten Ansprüche gegen den verbleibenden Gesellschafter (§ 728 BGB Rz. 5, 7). In der PartG findet § 135 HGB ebenfalls Anwendung, § 9 Abs. 1 PartGG.
II. Abfindungsanspruch 1. Allgemeines 5 Nach Abs. 1 Satz 1, Var. 2 hat der ausgeschiedene Gesellschafter einen Anspruch auf eine
dem Wert seines Anteils angemessene Abfindung. Voraussetzung des Abfindungsanspruchs
2 Vgl. zu § 728 BGB: Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 175. 3 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 245. 4 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 140 HGB Rz. 49; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 140 HGB Rz. 36. 5 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 245. 6 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 140 HGB Rz. 49; Michel in BeckOGK/HGB, Stand: 1.11.2022, § 135 HGB Rz. 29.
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Ansprüche des ausgeschiedenen Gesellschafters | Rz. 8 § 135 HGB
ist das ersatzlose Ausscheiden eines Gesellschafters aus der fortbestehenden Gesellschaft (§ 728 BGB Rz. 6). Schuldnerin ist primär die Gesellschaft.7 Da der Abfindungsanspruch infolge des Ausscheidens ein echtes Gläubigerrecht darstellt, haften jedoch auch die übrigen Gesellschafter gem. § 126 HGB unbeschränkt persönlich (zu etwaigen Einschränkungen § 728 BGB Rz. 7).8 Der Abfindungsanspruch entsteht im Zeitpunkt des Ausscheidens (zur Berechnung Rz. 9). 6 Schon vor dem Ausscheiden besteht er jedoch als künftiges Recht und kann als solches abgetreten, besichert und gepfändet werden (§ 728 BGB Rz. 8). Wann der Abfindungsanspruch fällig wird, wird dagegen uneinheitlich beurteilt. Richtigerweise ergibt sich regelmäßig aus den Umständen (§ 271 Abs. 1, Var. 2 BGB), dass die Fälligkeit – vorbehaltlich einer gesellschaftsvertraglichen Regelung (§ 271 Abs. 1, Var. 1 BGB) – erst nach Ablauf einer für die Bemessung der Abfindungshöhe erforderlichen Zeitspanne eintreten soll (§ 728 BGB Rz. 9).9 Nach dem Eintritt der Fälligkeit kann der ausgeschiedene Gesellschafter unmittelbar auf Zahlung klagen, sofern er die Höhe des Abfindungsanspruchs substantiiert vortragen kann (zur Geltendmachung unstreitiger Mindestbeträge schon vor Fälligkeit § 728 BGB Rz. 10). Ebenfalls möglich ist die Verbindung einer Klage auf Aufstellung einer Abfindungsrechnung (Rz. 11) mit einer Zahlungsklage im Wege der Stufenklage (§ 254 ZPO).10 Der Abfindungsanspruch unterliegt der dreijährigen Regelverjährung gem. § 195 BGB.11 7 Der Verjährungsbeginn setzt die Anspruchsentstehung (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) sowie die Kenntnis bzw. die grob fahrlässige Unkenntnis des Gläubigers von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB) voraus. Die Verjährung beginnt nicht, solange dem ausgeschiedenen Gesellschafter die Erhebung einer Klage auf Abfindungszahlung nicht zumutbar ist.12 Der für die GbR anerkannten Fallgruppe einer rechtshängigen Klage des ausgeschlossenen Gesellschafters gegen den Ausschließungsbeschluss der übrigen Gesellschafter (§ 728 BGB Rz. 12) kommt in der Personenhandelsgesellschaft nur Bedeutung zu, wenn die Gesellschafter das Gestaltungsklageerfordernis durch die Ausschließung kraft Gesellschafterbeschluss ersetzt haben (§ 134 HGB Rz. 14 ff.). Erfolgt die Ausschließung durch Ausschließungsklage, entsteht der Abfindungsanspruch erst mit dem Ausscheiden des Gesellschafters durch rechtskräftiges Urteil (§ 130 Abs. 3 HGB), so dass ein paralleler Prozess über die Abfindung per se ausgeschlossen ist.
2. Angemessenheit der Abfindung Die Abfindung muss angemessen sein. Der ausgeschiedene Gesellschafter soll ein vollwerti- 8 ges Äquivalent für den durch das Ausscheiden bedingten Verlust der Mitgliedschaft erhalten (§ 728 BGB Rz. 13). Zu diesem Zweck ist grundsätzlich der wahre Wert der Mitgliedschaft heranzuziehen, der in der Regel indirekt aus dem Unternehmenswert ermittelt wird. Möglich ist aber nun auch eine direkte Anteilsbewertung (§ 728 BGB Rz. 13). Rein anteilsbezogene Faktoren sind grundsätzlich nicht zu berücksichtigen (§ 728 BGB Rz. 15). Eine gerichtliche Schätzung ist zulässig (Abs. 3).
7 BGH v. 15.5.1972 – II ZR 144/69, WM 1972, 1399, 1400; Roth in Hopt, § 131 HGB Rz. 48. 8 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 131 HGB Rz. 142; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 131 HGB Rz. 65; zur GbR auch: Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 175. 9 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 131 HGB Rz. 131; Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, § 131 HGB Rz. 42; Kamanabrou in Oetker, § 131 HGB Rz. 54. 10 Roth in Hopt, § 131 HGB Rz. 57; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 131 HGB Rz. 115. 11 BGH v. 8.7.2008 – XI ZR 230/07, ZIP 2008, 1762, 1763 Rz. 17. 12 BGH v. 4.7.2017 – XI ZR 562/15, ZIP 2017, 1610 Rz. 86. Guntermann | 979
§ 135 HGB Rz. 9 | Offene Handelsgesellschaft 9 Der Anteil des ausscheidenden Gesellschafters ist grundsätzlich zum Tag des Ausscheidens
zu bewerten. Eine Abweichung von diesem Grundsatz ist jedoch in Abs. 2 geregelt. Danach ist im Falle der Ausschließungsklage nicht die Rechtskraft des Urteils, sondern die Erhebung der Ausschließungsklage maßgebend. Die Klage ist in diesem Sinne grundsätzlich erhoben, sobald sämtliche Gesellschafter erstmalig am Prozess beteiligt sind (§ 134 HGB Rz. 9).13 Eine abweichende gerichtliche Festsetzung des Auseinandersetzungsstichtags kommt nur in Betracht, wenn die zur Ausschließung berechtigenden Umstände erst nach Rechtshängigkeit der Ausschließungsklage eintreten (§ 134 HGB Rz. 7).14 Dahinter steht der Gedanke, dass Abs. 2 auf den Zeitpunkt abstellt, in dem die Ausschließungsklage begründet war.15 Abweichende Vereinbarungen sind zulässig.16 10 Wird der Anteilswert indirekt aus dem Unternehmenswert abgeleitet, ist der Wert maß-
gebend, der sich bei einem Verkauf des lebensfähigen Unternehmens als Einheit – einschließlich der stillen Reserven und des good will – ergeben würde.17 Eine bestimmte Bewertungsmethode sieht Abs. 1 nicht vor (Prinzip der Methodenoffenheit). Die richtige Bewertungsmethode ist sachverhaltsspezifisch in Abhängigkeit von den Besonderheiten des Tätigkeitsbereichs der Gesellschaft auszuwählen.18 Bei unternehmenstragenden Gesellschaften wird in der Praxis regelmäßig die sog. Ertragswertmethode angewendet (§ 728 BGB Rz. 18). Bei der Ermittlung des künftigen Ertrags zu berücksichtigen sind auch schwebende Geschäfte, die vor Inkrafttreten des MoPeG unter § 740 BGB a.F. fielen (§ 728 BGB Rz. 19). Der Anteil des Gesellschafters am danach ermittelten Unternehmenswert bemisst sich – wie sich aus § 136 HGB ableiten lässt – vorbehaltlich einer abweichenden Vereinbarung nach dem im Zeitpunkt des Ausscheidens geltenden Gewinnverteilungsschlüssel (§ 120 Abs. 1 Satz 2 HGB i.V.m. § 709 Abs. 3 BGB) (§ 728 BGB Rz. 20).
3. Ermittlung des Abfindungsanspruchs 11 Zur Ermittlung des Abfindungsanspruchs hat die Gesellschaft eine Abfindungsrechnung
auf den Stichtag des Ausscheidens aufzustellen.19 Zur Aufstellung verpflichtet ist die Gesellschaft,20 wobei auch die Gesellschafter gem. § 126 HGB persönlich haften (zu etwaigen Mitwirkungspflichten des ausgeschiedenen Gesellschafters § 728 BGB Rz. 22).21 Wird die Abfindungsrechnung zwischen den Beteiligten durch Beschluss unter Beteiligung des Ausgeschiedenen festgestellt, entfaltet sie entsprechend § 779 BGB Bindungswirkung (§ 728 BGB Rz. 22). Weder die Aufstellung noch die Feststellung der Abfindungsrechnung sind je-
13 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 140 HGB Rz. 49; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 140 HGB Rz. 87. 14 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 140 HGB Rz. 50; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 140 HGB Rz. 87; abweichend (Zeitpunkt der Geltendmachung): Michel in BeckOGK/HGB, Stand: 1.11.2022, § 135 HGB Rz. 30. 15 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 140 HGB Rz. 50. 16 Michel in BeckOGK/HGB, Stand: 1.11.2022, § 140 HGB Rz. 31; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 140 HGB Rz. 87. 17 BGH v. 21.4.1955 – II ZR 227/53, BGHZ 17, 130, 136 = NJW 1955, 1025, 1027; BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 370 = ZIP 1992, 237, 240. 18 BGH v. 24.10.1990 – XII ZR 101/89, MDR 1991, 343; BGH v. 24.5.1993 – II ZR 36/92, ZIP 1993, 1160, 1162; Kopp, ZIP 2022, 875, 880 = GmbHR 1993, 505. 19 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 131 HGB Rz. 150; Michel in BeckOGK/HGB, Stand: 1.11.2022, § 135 HGB Rz. 32. 20 BGH v. 12.7.2016 – II ZR 74/14, ZIP 2016, 1627, 1628; Roth in Hopt, § 131 HGB Rz. 51; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 131 HGB Rz. 138. 21 BGH v. 22.9.2008 – II ZR 257/07, ZIP 2008, 2359, 2361; LG Heidelberg v. 6.11.2019 – 5 O 32/19, ZInsO 2020, 109, 114 Rz. 41; Kopp, ZIP 2022, 875, 881.
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Ansprüche des ausgeschiedenen Gesellschafters | Rz. 14 § 135 HGB
doch Voraussetzung für die Entstehung oder die Fälligkeit des Abfindungsanspruchs (Rz. 6). Gerichtlich durchsetzen kann der ausgeschiedene Gesellschafter den Anspruch auf Aufstellung der Abfindungsrechnung im Wege der Leistungsklage (zum Verhältnis zur Geltendmachung des Zahlungsanspruchs Rz. 6, zur Geltendmachung der Unrichtigkeit einzelner Bilanzposten § 728 BGB Rz. 22).22 Ein durchsetzbarer Anspruch auf Feststellung der Abfindungsrechnung steht dem ausgeschiedenen Gesellschafter dagegen nicht zu.23
4. Gesamtabrechnung Bei der Ermittlung des Abfindungsanspruchs sind neben dem anteiligen Unternehmenswert 12 sämtliche auf dem Gesellschaftsverhältnis beruhenden Ansprüche und Verbindlichkeiten als unselbstständige Rechnungsposten zu berücksichtigen (sog. Prinzip der Gesamtabrechnung). Sie können grundsätzlich nicht mehr selbstständig gemacht werden (sog. Durchsetzungssperre).24 Dadurch soll das Hin- und Herzahlen zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern vermieden und dadurch das zwischen ihnen bestehende Rechtsverhältnis rechtssicher beendet und befriedet werden.25 Eine Ausnahme vom Prinzip der Gesamtabrechnung gilt dann, wenn sich aus dem Sinn und Zweck der gesellschaftsvertraglichen Bestimmungen ergibt, dass die Einzelansprüche im Falle des Ausscheidens eines Gesellschafters ihre Selbständigkeit behalten sollten. Im Übrigen sind sämtliche nicht unternehmenswertbezogenen gegenseitigen Ansprüche aus dem Gesellschaftsverhältnis in die Gesamtabrechnung einzustellen (im Einzelnen § 728 BGB Rz. 23 ff.).
5. Verlustausgleich Ein Abfindungsanspruch ergibt sich nur, sofern das auf der Grundlage der Abfindungsrech- 13 nung ermittelte, um die Einlagen der anderen Gesellschafter und die übrigen Gesellschaftsverbindlichkeiten bereinigte Gesellschaftsvermögen einen Überschuss aufweist (§ 728 BGB Rz. 26). Reicht das Gesellschaftsvermögen nicht zur Deckung der Verbindlichkeiten der Gesellschaft aus, kann der ausgeschiedene Gesellschafter – vorbehaltlich einer abweichenden gesellschaftsvertraglichen Regelung – keine Abfindung verlangen.26 Er ist vielmehr gem. § 136 HGB zum Ausgleich des auf ihn entfallenden Fehlbetrags verpflichtet.27
III. Vertragliche Abfindungsvereinbarungen Der Abfindungsanspruch steht grundsätzlich zur Disposition der Gesellschafter.28 Dies 14 stellt Abs. 1 Satz 1, Halbs. 1 nun ausdrücklich klar. Die Abweichung kann ausdrücklich, aber auch konkludent vereinbart werden. Die vom BGH entwickelte zweistufige Wirksamkeitsprüfung gilt auch nach dem MoPeG fort (§ 728 BGB Rz. 29 ff.). Wird der Abfluss von Gesellschaftskapital durch die Abfindungsklausel schon bei ihrer Vereinbarung in einem Maße beschränkt, das vollkommen außer Verhältnis steht zu der Beschränkung, die erforderlich 22 23 24 25
Roth in Hopt, § 131 HGB Rz. 51; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 131 HGB Rz. 138. Schäfer in Schäfer, GbR/PartG, § 728 BGB Rz. 25. Schäfer in Habersack/Schäfer, § 131 HGB Rz. 143; Roth in Hopt, § 131 HGB Rz. 44, 48. BGH v. 3.4.2006 – II ZR 40/05, ZIP 2006, 994, 996; Schäfer in Habersack/Schäfer, § 131 HGB Rz. 143. 26 BGH v. 14.2.1974 – II ZR 83/72, NJW 1974, 899. 27 Zum fortgeltenden Alternativverhältnis: Bergmann in Schäfer, Neues PersGesR, § 7 Rz. 66. Vgl. auch: Kamanabrou in Oetker, § 131 HGB Rz. 47. 28 BGH v. 2.6.1997 – II ZR 81/96, BGHZ 135, 387 = ZIP 1997, 1453 = GmbHR 1997, 939. Guntermann | 981
§ 135 HGB Rz. 14 | Offene Handelsgesellschaft wäre, um im Interesse der verbleibenden Gesellschafter den Fortbestand und die Fortführung des Unternehmens zu sichern, ist die Klausel gem. § 138 Abs. 1 BGB nichtig (zu einzelnen Klauseln § 728 BGB Rz. 35 ff.).29 An ihrer Stelle gilt die gesetzliche Regelung (§ 728 BGB Rz. 30). Tritt dagegen erst im Zeitablauf nach Vertragsschluss ein grobes Missverhältnis zwischen dem vertraglichen Abfindungsbetrag und dem wirklichen Anteilswert auf, bleibt die Klausel wirksam. Ihr Inhalt ist aber im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung nach den Grundsätzen von Treu und Glauben unter angemessener Abwägung der Interessen der Gesellschaft und des ausscheidenden Gesellschafters und unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Falls entsprechend den veränderten Verhältnissen anzupassen (§ 728 BGB Rz. 31).30 15 Darüber hinaus kann eine Abfindungsklausel gem. § 138 Abs. 1 BGB wegen Gläubigerbe-
nachteiligung nichtig sein (§ 728 BGB Rz. 32).31 Ebenfalls unwirksam sind Abfindungsklauseln, die das Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund (§ 132 Abs. 2 HGB) oder wegen Volljährigkeit (§ 132 Abs. 4 HGB) mittelbar einschränken und daher unter das Verbot des § 132 Abs. 6 HGB zu subsumieren sind (§ 728 BGB Rz. 33).32 Für den Fall der ordentlichen Kündigung sieht das Gesetz hingegen keine Gestaltungsschranke vor. Stattdessen sind mittelbare Beschränkungen des Rechts zur ordentlichen Kündigung an § 138 Abs. 1 BGB zu messen. Die Nichtigkeit wird jedoch schon mit Blick auf die gesetzliche Wertung von § 132 Abs. 6 HGB nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen (§ 728 BGB Rz. 34).
IV. Sonstige Ansprüche des Ausgeschiedenen 16 Neben dem Abfindungsanspruch steht dem Ausgeschiedenen – vorbehaltlich einer abwei-
chenden Regelung im Gesellschaftsvertrag – ein Anspruch auf Befreiung von der Haftung für die Verbindlichkeiten der Gesellschaften zu, Abs. 1 Satz 1 (zur Beweislast § 728 BGB Rz. 39). Der Anspruch richtet sich gegen die Gesellschaft (zur Geltendmachung und Erfüllung § 728 BGB Rz. 39) und greift unabhängig davon, ob die Schuld bereits fällig ist.33 Ist sie noch nicht fällig, räumt Abs. 1 Satz 2 der Gesellschaft allerdings eine Ersetzungsbefugnis ein. Sie kann dem Ausgeschiedenen, statt ihn von der Haftung zu befreien, Sicherheit leisten (zu streitigen Verbindlichkeiten § 728 BGB Rz. 40).
17 § 738 Abs. 1 Satz 2, Var. 1, Satz 2 BGB a.F. räumte dem Ausgeschiedenen zudem einen An-
spruch auf Rückgabe der Gegenstände ein, die er der Gesellschaft zur Nutzung überlassen hat. Diese Regelung wurde nicht in § 135 HGB übernommen. Wie die Gesetzesbegründung zutreffend feststellt, ergibt sich ein solcher Anspruch jedoch bereits als Nebenpflicht (§§ 241, 242 BGB) aus der der Nutzungsüberlassung zugrunde liegenden Vereinbarung (Gesellschaftsvertrag oder gesonderte Nutzungsüberlassungsvereinbarung) (Rz. 1, § 728 BGB Rz. 42). Darüber hinaus steht dem Ausgeschiedenen entsprechend § 148 Abs. 5 HGB ein Anspruch auf Rückzahlung seiner Einlage zu (§ 728 BGB Rz. 43).
29 BGH v. 27.9.2011 – II ZR 279/09, ZIP 2011, 2357 Rz. 12 ff. = GmbHR 2012, 92. 30 BGH v. 20.9.1993 – II ZR 104/92, BGHZ 123, 281, 284 f. = ZIP 1993, 1611, 1612 f.; BGH v. 27.9.2011 – II ZR 279/09, ZIP 2011, 2357 Rz. 13 = GmbHR 2012, 92. 31 So bislang schon: BGH v. 12.6.1975 – II ZB 12/73, BGHZ 65, 22, 28 = NJW 1975, 1835, 1836; BGH v. 19.6.2000 – II ZR 73/99, BGHZ 144, 365, 366 f. = ZIP 2000, 1294, 1295 = GmbHR 2000, 822 (für die GmbH); Westermann in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1153 (Stand: 78. EL Oktober 2020). 32 BGH v. 24.9.1984 – II ZR 256/83, NJW 1985, 192, 193 = GmbHR 1985, 113; zur Beschränkung der Unwirksamkeitsfolge auf anfänglich unwirksame Klauseln: BGH v. 20.9.1993 – II ZR 104/92, ZIP 1993, 1611. 33 OLG Hamm v. 18.5.2011 – 8 U 173/10, juris.
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Haftung des ausgeschiedenen Gesellschafters für Fehlbetrag | Rz. 4 § 136 HGB
§ 136 HGB Haftung des ausgeschiedenen Gesellschafters für Fehlbetrag Reicht der Wert des Gesellschaftsvermögens zur Deckung der Verbindlichkeiten der Gesellschaft nicht aus, hat der ausgeschiedene Gesellschafter der Gesellschaft für den Fehlbetrag nach dem Verhältnis seines Anteils am Gewinn und Verlust aufzukommen. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
II. Fehlbetragshaftung des Ausscheidenden
4
Schrifttum: Siehe zu § 728a BGB.
I. Allgemeines § 136 HGB begründet die Pflicht des ausgeschiedenen Gesellschafters, einen im Rahmen der 1 Abfindungsrechnung (§ 135 HGB Rz. 11) ermittelten Fehlbetrag anteilig auszugleichen. Die Fehlbetragshaftung entspricht § 149 Satz 1 HGB für den Fall der Auflösung.1 Sie ist mit dem Mehrbelastungsverbot vereinbar, das nach dem Ausscheiden aus der Gesellschaft keine Anwendung mehr findet (vgl. auch § 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 710 Satz 2 BGB).2 Vor dem MoPeG ergab sich die Fehlbetragshaftung des ausgeschiedenen Gesellschafters aus 2 § 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 739 BGB (zu den Unterschieden zu § 739 BGB s. § 728a BGB Rz. 2).3 Aus Gründen der Rechtsklarheit wurde in das HGB eine § 728a BGB entsprechende Regelung aufgenommen.4 Die Fehlbetragshaftung greift auch bei Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters (§ 105 3 Abs. 3 HGB i.V.m. § 712a Abs. 2 BGB). Der Anspruch steht in diesem Fall dem verbleibenden Gesellschafter als Gesamtrechtsnachfolger der Gesellschaft (§ 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 712a Abs. 1 Satz 2 BGB) zu (§ 712a BGB Rz. 19). Keine Fehlbetragshaftung wird durch die Übertragung des Gesellschaftsanteils ausgelöst.5 § 136 HGB findet in der oHG und gem. § 161 Abs. 2 HGB grundsätzlich auch in der KG Anwendung. Eine Ausnahme gilt lediglich für einen ausgeschiedenen Kommanditisten. Sofern er die vereinbarte Einlage geleistet hat und ihm diese auch nicht zurückgewährt wurde, trifft ihn keine Fehlbetragshaftung, § 167 HGB. Gemäß § 9 Abs. 1 PartGG gilt § 136 HGB auch für das Ausscheiden eines Partners aus der Partnerschaft.
II. Fehlbetragshaftung des Ausscheidenden Die Fehlbetragshaftung setzt voraus, dass das Gesellschaftsvermögen zur Deckung der Ver- 4 bindlichkeiten der Gesellschaft einschließlich der Pflicht zur Rückzahlung der Einlagen an 1 Zu § 728a BGB: Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 176. 2 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 143. Vgl. Schäfer in Habersack/Schäfer, § 131 HGB Rz. 161. 3 Schäfer in Habersack/Schäfer, § 131 HGB Rz. 161; Michel in BeckOGK/HGB, Stand: 15.7.2022, § 131 HGB Rz. 143. 4 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 245. 5 OLG Hamm v. 6.3.1985 – 15 W 88/85, Rpfleger 1985, 289 f. Guntermann | 983
§ 136 HGB Rz. 4 | Offene Handelsgesellschaft die Gesellschafter (§ 148 Abs. 6 HGB) nicht ausreicht (§ 135 HGB Rz. 13).6 Der ausgeschiedene Gesellschafter ist an dem sich daraus ergebenden Fehlbetrag grundsätzlich nach dem Verhältnis seines Anteils am Gewinn und Verlust (§ 120 Abs. 1 Satz 2 HGB i.V.m. § 709 Abs. 3 BGB) zu beteiligen. Eine abweichende Regelung im Gesellschaftsvertrag ist möglich.7 Auf die Beschränkung der gesellschafterlichen Haftung im Außenverhältnis kann sich der ausgeschiedene Gesellschafter im Innenverhältnis dagegen nicht berufen.8 5 Der Anspruch auf Ausgleich des Fehlbetrags entsteht im Zeitpunkt des Ausscheidens. Vor-
behaltlich einer gesellschaftsvertraglichen Regelung (§ 271 Abs. 1, Var. 1 BGB) ergibt sich in der Regel aus den Umständen (§ 271 Abs. 1, Var. 2 BGB), dass die Fälligkeit erst nach Ablauf einer für die Bemessung der Anspruchshöhe erforderlichen Zeitspanne eintreten soll (§ 135 HGB Rz. 6).9 Die Erstellung einer Abfindungsbilanz setzt die Fälligkeit hingegen nicht voraus.10 Als Sozialverbindlichkeit kann die Fehlbetragshaftung auch im Wege der actio pro socio (§ 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 715b BGB) geltend gemacht werden (§ 728a BGB Rz. 5). 6 Der Anspruch der Gesellschaft unterliegt der dreijährigen Regelverjährung gem. § 195
BGB. Für die subjektiven Voraussetzungen gem. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB genügt es, wenn die Gesellschaft auch ohne exakte Berechnung wusste oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte wissen müssen, dass das Gesellschaftsvermögen zur Deckung der gemeinschaftlichen Schulden und der Einlagen nicht ausreicht.11 Die Nachhaftungsbegrenzung nach Ablauf von fünf Jahren gem. § 137 HGB findet keine entsprechende Anwendung (§ 728a BGB Rz. 6).12 7 Der ausgeschiedene Gesellschafter kann die Zahlung gem. § 273 BGB verweigern, bis etwai-
ge Gegenansprüche (z.B. Rückgabe von eingebrachten Gegenständen, Schuldbefreiung, Sicherheitsleistung) erfüllt werden (zur Beweislastverteilung § 728a BGB Rz. 7).13 Anders als § 149 (Satz 2) HGB sieht § 136 HGB keine Ausfallhaftung der verbleibenden Gesellschafter vor (§ 728a BGB Rz. 8).14
§ 137 HGB Nachhaftung des ausgeschiedenen Gesellschafters (1) 1Scheidet ein Gesellschafter aus der Gesellschaft aus, so haftet er für deren bis dahin begründete Verbindlichkeiten, wenn sie vor Ablauf von fünf Jahren nach seinem Ausscheiden fällig sind und
6 Michel in BeckOGK/HGB, Stand: 15.7.2022, § 131 HGB Rz. 143. 7 Bergmann in Schäfer, Neues PersGesR, § 7 Rz. 66. Zur praktischen Bedeutung: Miras, DStR 2011, 318, 320. 8 BGH v. 9.3.2009 – II ZR 131/08, ZIP 2009, 1008, 1009; KG v. 9.1.2009 – 14 U 46/07, NZG 2009, 1222. 9 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 131 HGB Rz. 115; anders („sofort“): Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, § 131 HGB Rz. 50. 10 BGH v. 19.7.2010 – II ZR 57/09, ZIP 2010, 1637, 1638. 11 BGH v. 19.7.2010 – II ZR 57/09, ZIP 2010, 1637, 1638; R. Koch in BeckOGK/BGB, Stand: 1.6.2023, § 728a BGB Rz. 10. 12 BGH v. 10.5.2011 – II ZR 227/09, NJW 2011, 2292, 2293 = ZIP 2011, 1362; BGH v. 19.7.2010 – II ZR 57/09, NJW-RR 2010, 1401, 1402 = ZIP 2010, 1637; anders: K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 131 HGB Rz. 115. 13 BGH v. 14.2.1974 – II ZR 83/72, NJW 1974, 899; Michel in BeckOGK/HGB, Stand: 15.7.2022, § 131 HGB Rz. 148. 14 Michel in BeckOGK/HGB, Stand: 15.7.2022, § 131 HGB Rz. 147.
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§ 136 HGB Rz. 4 | Offene Handelsgesellschaft die Gesellschafter (§ 148 Abs. 6 HGB) nicht ausreicht (§ 135 HGB Rz. 13).6 Der ausgeschiedene Gesellschafter ist an dem sich daraus ergebenden Fehlbetrag grundsätzlich nach dem Verhältnis seines Anteils am Gewinn und Verlust (§ 120 Abs. 1 Satz 2 HGB i.V.m. § 709 Abs. 3 BGB) zu beteiligen. Eine abweichende Regelung im Gesellschaftsvertrag ist möglich.7 Auf die Beschränkung der gesellschafterlichen Haftung im Außenverhältnis kann sich der ausgeschiedene Gesellschafter im Innenverhältnis dagegen nicht berufen.8 5 Der Anspruch auf Ausgleich des Fehlbetrags entsteht im Zeitpunkt des Ausscheidens. Vor-
behaltlich einer gesellschaftsvertraglichen Regelung (§ 271 Abs. 1, Var. 1 BGB) ergibt sich in der Regel aus den Umständen (§ 271 Abs. 1, Var. 2 BGB), dass die Fälligkeit erst nach Ablauf einer für die Bemessung der Anspruchshöhe erforderlichen Zeitspanne eintreten soll (§ 135 HGB Rz. 6).9 Die Erstellung einer Abfindungsbilanz setzt die Fälligkeit hingegen nicht voraus.10 Als Sozialverbindlichkeit kann die Fehlbetragshaftung auch im Wege der actio pro socio (§ 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 715b BGB) geltend gemacht werden (§ 728a BGB Rz. 5). 6 Der Anspruch der Gesellschaft unterliegt der dreijährigen Regelverjährung gem. § 195
BGB. Für die subjektiven Voraussetzungen gem. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB genügt es, wenn die Gesellschaft auch ohne exakte Berechnung wusste oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte wissen müssen, dass das Gesellschaftsvermögen zur Deckung der gemeinschaftlichen Schulden und der Einlagen nicht ausreicht.11 Die Nachhaftungsbegrenzung nach Ablauf von fünf Jahren gem. § 137 HGB findet keine entsprechende Anwendung (§ 728a BGB Rz. 6).12 7 Der ausgeschiedene Gesellschafter kann die Zahlung gem. § 273 BGB verweigern, bis etwai-
ge Gegenansprüche (z.B. Rückgabe von eingebrachten Gegenständen, Schuldbefreiung, Sicherheitsleistung) erfüllt werden (zur Beweislastverteilung § 728a BGB Rz. 7).13 Anders als § 149 (Satz 2) HGB sieht § 136 HGB keine Ausfallhaftung der verbleibenden Gesellschafter vor (§ 728a BGB Rz. 8).14
§ 137 HGB Nachhaftung des ausgeschiedenen Gesellschafters (1) 1Scheidet ein Gesellschafter aus der Gesellschaft aus, so haftet er für deren bis dahin begründete Verbindlichkeiten, wenn sie vor Ablauf von fünf Jahren nach seinem Ausscheiden fällig sind und
6 Michel in BeckOGK/HGB, Stand: 15.7.2022, § 131 HGB Rz. 143. 7 Bergmann in Schäfer, Neues PersGesR, § 7 Rz. 66. Zur praktischen Bedeutung: Miras, DStR 2011, 318, 320. 8 BGH v. 9.3.2009 – II ZR 131/08, ZIP 2009, 1008, 1009; KG v. 9.1.2009 – 14 U 46/07, NZG 2009, 1222. 9 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 131 HGB Rz. 115; anders („sofort“): Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, § 131 HGB Rz. 50. 10 BGH v. 19.7.2010 – II ZR 57/09, ZIP 2010, 1637, 1638. 11 BGH v. 19.7.2010 – II ZR 57/09, ZIP 2010, 1637, 1638; R. Koch in BeckOGK/BGB, Stand: 1.6.2023, § 728a BGB Rz. 10. 12 BGH v. 10.5.2011 – II ZR 227/09, NJW 2011, 2292, 2293 = ZIP 2011, 1362; BGH v. 19.7.2010 – II ZR 57/09, NJW-RR 2010, 1401, 1402 = ZIP 2010, 1637; anders: K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 131 HGB Rz. 115. 13 BGH v. 14.2.1974 – II ZR 83/72, NJW 1974, 899; Michel in BeckOGK/HGB, Stand: 15.7.2022, § 131 HGB Rz. 148. 14 Michel in BeckOGK/HGB, Stand: 15.7.2022, § 131 HGB Rz. 147.
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Nachhaftung des ausgeschiedenen Gesellschafters | Rz. 1 § 137 HGB
1. daraus Ansprüche gegen ihn in einer in § 197 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bezeichneten Art festgestellt sind oder 2. eine gerichtliche oder behördliche Vollstreckungshandlung vorgenommen oder beantragt wird; bei öffentlich-rechtlichen Verbindlichkeiten genügt der Erlass eines Verwaltungsakts. 2 Ist die Verbindlichkeit auf Schadensersatz gerichtet, haftet der ausgeschiedene Gesellschafter nach Satz 1 nur, wenn auch die zum Schadensersatz führende Verletzung vertraglicher oder gesetzlicher Pflichten vor dem Ausscheiden des Gesellschafters eingetreten ist. 3Die Frist beginnt, sobald der Gläubiger von dem Ausscheiden des Gesellschafters Kenntnis erlangt hat oder das Ausscheiden des Gesellschafters im Handelsregister eingetragen worden ist. 4Die §§ 204, 206, 210, 211 und 212 Absatz 2 und 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs sind entsprechend anzuwenden. (2) Einer Feststellung in einer in § 197 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bezeichneten Art bedarf es nicht, soweit der Gesellschafter den Anspruch schriftlich anerkannt hat. (3) 1Wird ein Gesellschafter Kommanditist, sind für die Begrenzung seiner Haftung für die im Zeitpunkt der Eintragung der Änderung in das Handelsregister begründeten Verbindlichkeiten die Absätze 1 und 2 entsprechend anzuwenden. 2Dies gilt auch, wenn er in der Gesellschaft oder einem ihr als Gesellschafter angehörenden Unternehmen geschäftsführend tätig wird. 3Seine Haftung als Kommanditist bleibt unberührt. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Enthaftung bei Ausscheiden (Abs. 1, Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erfasste Verbindlichkeiten . . . . . . . . . . . . 2. Fristlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fristwahrende Abwehr der Enthaftung . .
1 5 6 8 9
4. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Enthaftung bei Wechsel in die Kommanditistenstellung (Abs. 3) . . . . . IV. Abweichende Regelungen . . . . . . . . . . . . V. Folgen der Abwehr der Enthaftung . . .
11 13 16 17
Schrifttum: Siehe zu § 728b BGB.
I. Allgemeines Das Ausscheiden aus der Gesellschaft lässt die persönliche Haftung gem. §§ 126, 127 HGB 1 für Altverbindlichkeiten grundsätzlich ebenso unberührt (§ 126 HGB Rz. 25) wie der Wechsel in die Stellung eines Kommanditisten. Ohne die Nachhaftungsbegrenzung könnte der ausgeschiedene Gesellschafter bzw. der spätere Kommanditist daher noch Jahre nach dem Ausscheiden bzw. dem Wechsel der Gesellschafterstellung wegen unverjährter Altverbindlichkeiten der Gesellschaft z.B. aus Dauerschuldverhältnissen unbeschränkt persönlich in Anspruch genommen werden.1 Dem wirkt § 137 HGB entgegen. Der ausgeschiedene Gesellschafter und der spätere Kommanditist sollen nach Ablauf von fünf Jahren nach dem Ausscheiden bzw. dem Wechsel in die Kommanditistenstellung von der unbeschränkten persönlichen Haftung frei werden. Dies ist für das Ausscheiden insoweit sachgerecht, als der Gesellschafter im Anschluss weder auf die Gesellschaft Einfluss nehmen kann noch an etwaigen
1 Habersack in Habersack/Schäfer, § 160 HGB Rz. 3. Guntermann | 985
§ 137 HGB Rz. 1 | Offene Handelsgesellschaft Erträgen partizipiert.2 Für den Wechsel in die Kommanditistenstellung gilt Ähnliches mit Blick auf die nur eingeschränkte Möglichkeit des Kommanditisten, auf die Geschäftsführung Einfluss zu nehmen (§ 164 HGB). Damit bezweckt die Nachhaftungsbegrenzung mittelbar den Schutz mittelständischer Unternehmen. Ohne die Nachhaftungsbegrenzung würden Gesellschafter solcher Unternehmen eine persönliche Haftung kaum mehr übernehmen können.3 2 § 137 HGB entspricht inhaltlich weitgehend § 160 HGB a.F.,4 der durch das NachhBG 19945
in das HGB eingefügt wurde. Auf Empfehlung des Rechtsausschusses wurde die Norm noch kurz vor Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens um Abs. 1 Satz 2 ergänzt, wonach die Nachhaftung für Schadensersatzansprüche nur greift, wenn die haftungsbegründende Pflichtverletzung vor dem Ausscheiden eingetreten ist (Rz. 7). Für Verbindlichkeiten der Gesellschaft, die aus der Verletzung von Pflichten nach dem Ausscheiden entstehen, sei eine Nachhaftung des Ausgeschiedenen, der auf das Verhalten seiner ehemaligen Mitgesellschafter keinen Einfluss mehr hat, nicht sachgerecht.6 Tatsächlich wirft die Regelung aber neue Fragen auf und erscheint jedenfalls in ihrer Undifferenziertheit wenig sachgerecht (§ 728b BGB Rz. 3, 12 f.). Ein weiterer inhaltlicher Unterschied betrifft den gesetzlichen Beginn der Nachhaftungsfrist. Bereits zu § 160 Abs. 1 Satz 2 HGB a.F. war überwiegend anerkannt, dass die Nachhaftungsfrist entgegen dem Wortlaut nicht erst mit der Eintragung des Ausscheidens zu laufen beginnt, wenn der Gläubiger schon zuvor von dem Ausscheiden des Gesellschafters Kenntnis erlangt.7 Diese überzeugende Auffassung wurde nun in Abs. 1 Satz 3 übernommen (Rz. 8). 3 Im Falle einer Anteilsübertragung gilt die Norm entsprechend für den Veräußerer.8 Scheidet
ein Gesellschafter durch Tod aus (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 HGB), kommt § 137 HGB den Erben zugute (§ 724 BGB Rz. 22).9 Rücken die Erben in die Gesellschafterstellung ein, machen aber von ihrem Kündigungsrecht Gebrauch (§ 131 Abs. 2 HGB), gilt § 137 HGB nur für die erbrechtliche Haftung für Altschulden (§ 724 BGB Rz. 31). Die gesellschaftsrechtliche Eigenhaftung gem. §§ 126, 127 HGB entfällt gem. § 131 Abs. 4 HGB mit Rückwirkung auf den Erbfall (§ 131 HGB Rz. 16 ff.). Für das Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters gilt § 137 HGB entsprechend (§ 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 712a Abs. 2 BGB) (§ 712a BGB Rz. 19).10 4 In der KG gilt § 137 HGB sowohl für das Ausscheiden von Kommanditisten und persönlich
haftenden Gesellschaftern als auch für den Wechsel des persönlich haftenden Gesellschafters in die Stellung eines Kommanditisten (Abs. 3, zur entsprechenden Anwendung auf die Herabsetzung der Haftsumme Rz. 15). § 137 HGB gilt dagegen nicht für die GbR. Der bis2 BGH v. 27.9.1999 – II ZR 356/98, BGHZ 142, 324 = ZIP 1999, 1967, 1968 = GmbHR 1999, 1287 m. Anm. Emde. 3 Begr. RegE NachhBG, BT-Drucks. 12/1868, 7; Habersack in Habersack/Schäfer, § 160 HGB Rz. 3. 4 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 245. 5 Gesetz zur zeitlichen Begrenzung der Nachhaftung von Gesellschaftern v. 18.3.1994, BGBl. I 1994, 560. 6 Bericht Rechtsausschuss MoPeG, BT-Drucks. 19/31105, 7, 9. Vgl. zuvor Stellungnahme Heckschen im Rechtsausschuss des Bundestags v. 21.4.2021; vgl. zuvor schon: Heckschen, AnwBl. Online 2018, 116, 121 f. 7 BGH v. 4.5.2021 – II ZR 38/20, BGHZ 229, 358 = ZIP 2021, 1391; BGH v. 24.9.2007 – II ZR 284/ 05, BGHZ 174, 7, 10 = ZIP 2007, 2262, 2264; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften Rz. I 940 (Stand: 77. EL Juli 2020); K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/ HGB, § 160 HGB Rz. 26; Boesche in Oetker, § 160 HGB Rz. 5. 8 BGH v. 26.3.2019 – II ZR 413/18, ZIP 2019, 965, 967; Habersack in Habersack/Schäfer, § 160 HGB Rz. 12; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, § 160 HGB Rz. 21. 9 Klöhn in Henssler/Strohn, § 160 HGB Rz. 8; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, § 160 HGB Rz. 17. 10 Vgl. schon BGH v. 17.1.2012 – II ZR 197/10, ZIP 2012, 369, 370; BGH v. 27.9.1999 – II ZR 356/98, BGHZ 142, 324, 331 = ZIP 1999, 1967, 1969 = GmbHR 1999, 1287 m. Anm. Emde.
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Nachhaftung des ausgeschiedenen Gesellschafters | Rz. 7 § 137 HGB
lang in § 736 Abs. 2 BGB a.F. enthaltene Verweis auf § 160 HGB a.F. wurde durch eine eigenständige Regelung in § 728b BGB abgelöst, die mit den ersten beiden Absätzen von § 137 HGB im Wesentlichen übereinstimmt (§ 728b BGB Rz. 2). Eine § 137 Abs. 3 HGB entsprechende Regelung findet sich in § 707c Abs. 5 BGB. Für die Haftung eines aus der Partnerschaft ausscheidenden Gesellschafters verweisen § 9 Abs. 1 PartGG und § 10 Abs. 2 PartGG auf § 137 HGB. Für den Fall, dass die Partnerschaft einen Statuswechsel in eine Kommanditgesellschaft vollzieht, gilt dagegen § 728b BGB (§ 1 Abs. 4 PartGG i.V.m. § 705c Abs. 5 BGB).11
II. Enthaftung bei Ausscheiden (Abs. 1, Abs. 2) § 137 Abs. 1, 2 HGB führt zu einer doppelten Nachhaftungsbegrenzung.12 Der ausgeschie- 5 dene Gesellschafter haftet nur für Verbindlichkeiten, wenn sie vor Ablauf von fünf Jahren nach seinem Ausscheiden fällig werden. Zudem ist erforderlich, dass die Verbindlichkeit innerhalb der Frist in einer in § 197 Abs. 1 Nr. 3–5 BGB bezeichneten Art festgestellt worden ist oder eine gerichtliche oder behördliche Vollstreckungshandlung vorgenommen oder beantragt wurde.
1. Erfasste Verbindlichkeiten Die Nachhaftungsbegrenzung gilt nur für Verbindlichkeiten der Gesellschaft, für die der Ge- 6 sellschafter gem. §§ 126, 127 HGB haftet und die bis zum Zeitpunkt des Ausscheidens begründet wurden (sog. Altverbindlichkeiten). Eine Altverbindlichkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn die Rechtsgrundlage der Verbindlichkeit bis zum Ausscheiden gelegt worden ist, auch wenn die einzelnen daraus resultierenden Verpflichtungen erst später entstehen und fällig werden (vgl. im Einzelnen § 728b BGB Rz. 7 ff.).13 Maßgebend ist grundsätzlich, ob die jeweilige Rechtsgrundlage im Zeitpunkt des Ausscheidens (§ 130 Abs. 3 HGB) bestand. Die Eintragung des Ausscheidens in das Handelsregister (§ 106 Abs. 6 HGB) ist dagegen nur deklaratorisch und daher für die Nachhaftung unmaßgebend (§ 728b BGB Rz. 9).14 Für zwischen dem Ausscheiden und der Eintragung des Ausscheidens bzw. der Kenntnis des Gläubigers entstehende Verbindlichkeiten kann sich eine Nachhaftung jedoch aus Rechtsschein ergeben (§ 15 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 HGB) (§ 728b BGB Rz. 9).15 Auch insoweit findet § 137 HGB Anwendung. Für Schadensersatzverbindlichkeiten stellt Abs. 1 Satz 2 nun eine zusätzliche Voraussetzung 7 auf. Erforderlich ist, dass die zum Schadensersatz führende Verletzung vertraglicher oder gesetzlicher Pflichten vor dem Ausscheiden des Gesellschafters eingetreten ist (zu den Hintergründen § 728b BGB Rz. 11). Für die Haftung wegen der Verletzung gesetzlicher Pflichten (insbesondere gem. § 823 BGB) führt Abs. 1 Satz 2 zu sachgerechten Ergebnissen. Die Norm gibt im Grunde nur wieder, was schon zuvor anerkannt war.16 Für die Haftung wegen ver-
11 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 139. 12 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 177. 13 BGH v. 3.7.2020 – V ZR 250/19, ZIP 2020, 1704, 1705; BGH v. 17.1.2012 – II ZR 197/10, ZIP 2012, 369, 370; BGH v. 29.4.2002 – II ZR 330/00, BGHZ 150, 373, 376 = ZIP 2002, 1251, 1252. 14 Vgl. Temming in BeckOGK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 137 HGB Rz. 29; Boesche in Oetker, § 128 HGB Rz. 53. 15 Habersack in Habersack/Schäfer, § 160 HGB Rz. 9. 16 Temming in BeckOGK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 137 HGB Rz. 29; Boesche in Oetker, § 128 HGB Rz. 58. Guntermann | 987
§ 137 HGB Rz. 7 | Offene Handelsgesellschaft traglicher Pflichtverletzungen erscheint die Regelung dagegen kaum sachgerecht.17 Die Norm bedeutet eine empfindliche Einschränkung des Gläubigerrechts aus §§ 721, 721a BGB, die zum Schutz des ausgeschiedenen Gesellschafters nicht erforderlich erscheint (§ 728b BGB Rz. 12). Zudem führt die Regelung zu diversen Folgefragen hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs (§ 728b BGB Rz. 13), die eine gesellschaftsvertragliche Klärung erforderlich erscheinen lassen.
2. Fristlauf 8 Die fünfjährige Nachhaftungsfrist beginnt entgegen dem insoweit missverständlichen Wort-
laut von Abs. 1 Satz 1 („fünf Jahre nach seinem Ausscheiden“) nicht mit dem materiell-rechtlichen Ausscheiden durch den Eintritt des Ausscheidensgrundes (§ 130 Abs. 3 HGB), sondern erst mit der Kenntnis des Gläubigers von dem Ausscheiden oder der Eintragung des Ausscheidens in das Handelsregister (Abs. 1 Satz 3). Die Beweislast für die Kenntnis des Gläubigers trägt der ausgeschiedene Gesellschafter.18 Die Frist beginnt gem. § 187 Abs. 1 BGB am Folgetag des fristauslösenden Ereignisses und endet gem. § 188 Abs. 2 BGB an dem Datum des fristauslösenden Ereignisses fünf Jahre später.19 § 193 BGB findet Anwendung. Gemäß Abs. 1 Satz 4 sind die Regelungen zur Hemmung (§§ 204, 206, 210, 211 BGB) und zum Neubeginn der Verjährungsfrist (§ 212 Abs. 2, 3 BGB) entsprechend anzuwenden. Freilich dispensieren diese Regelungen nicht von dem Erfordernis der Fälligkeit der Verbindlichkeit innerhalb der Frist (Rz. 9).20
3. Fristwahrende Abwehr der Enthaftung 9 Die Gläubiger der Gesellschaft können die Enthaftung nur hinsichtlich solcher Ansprüche
abwehren, die vor Ablauf der Fünf-Jahres-Frist fällig werden. Maßgebend ist der Zeitpunkt, in dem der Gläubiger die Leistung von dem Gesellschafter verlangen kann (§ 271 BGB). Ist ausgeschlossen, dass ein Anspruch fristgemäß fällig wird, insbesondere eine außerordentliche Kündigung vor dem vereinbarten Fälligkeitstermin die Fälligkeit nicht vorverlagern kann, ist es sachgerecht anzunehmen, dass die Enthaftung schon mit dem Ausscheiden eintritt (§ 728b BGB Rz. 18). 10 Hinzutreten muss grundsätzlich eine der in Abs. 1 Satz 1 genannten Maßnahmen. Erforder-
lich ist mithin die Feststellung durch rechtskräftiges Urteil (§ 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB) (§ 728b BGB Rz. 19), durch vollstreckbaren Vergleich oder vollstreckbare Urkunde (§ 197 Abs. 1 Nr. 4 BGB) oder eine vollstreckbare Feststellung im Insolvenzverfahren (§ 197 Abs. 1 Nr. 5 BGB). Zur Abwehr der Enthaftung ebenfalls ausreichend sind die Vornahme oder Beantragung einer gerichtlichen oder behördlichen Vollstreckungshandlung (Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Halbs. 1). Dadurch wird es dem Gläubiger ermöglicht, die Enthaftung auch mithilfe eines nur vorläufig vollstreckbaren Titels abzuwenden.21 Bei öffentlich-rechtlichen (insbesondere
17 Ebenso: K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, § 160 HGB Rz. 61. Anders: Heckschen, AnwBl. 2021, 224, 227; Heckschen/Nolting, BB 2021, 2946, 2950; Lieder/Hilser, NotBZ 2021, 401, 410. 18 BGH v. 8.9.2016 – IX ZR 255/13, ZIP 2017, 287, 289 Rz. 22; Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, § 160 HGB Rz. 7. 19 K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, § 160 HGB Rz. 26; Hillmann in Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn, § 160 HGB Rz. 9. Habersack (in Habersack/Schäfer, § 160 HGB Rz. 16) stellt stattdessen für den Fristbeginn auf § 187 Abs. 2 Satz 1 BGB ab. 20 Klimke in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 160 HGB Rz. 13. 21 Habersack in Habersack/Schäfer, § 160 HGB Rz. 28.
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Nachhaftung des ausgeschiedenen Gesellschafters | Rz. 14 § 137 HGB
steuerrechtlichen) Verbindlichkeiten wird die Enthaftung auch durch den Erlass eines Verwaltungsaktes abgewehrt (Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Halbs. 2). Das Ergreifen einer Maßnahme nach Abs. 1 Satz 1 ist entbehrlich, wenn der Gesellschafter den Anspruch vor oder nach dem Ausscheiden schriftlich (§ 126 BGB bzw. § 126 Abs. 3, § 126a BGB) anerkennt (Abs. 2) (§ 728b BGB Rz. 20).
4. Rechtsfolgen Wird die Enthaftungswirkung nicht fristwahrend abgewehrt (Rz. 9 f.), wird der ausgeschie- 11 dene Gesellschafter nach Ablauf der Fünfjahresfrist von seiner Haftung für Altverbindlichkeiten (Rz. 6) im Außenverhältnis frei. Die dahingehenden Ansprüche der Gläubiger erlöschen (zum Schicksal von Sicherheiten § 728b BGB Rz. 22). Die Fünfjahresfrist ist mithin als Ausschlussfrist konzipiert,22 die als rechtsvernichtende Einwendung23 anders als die Verjährung von Amts wegen zu berücksichtigen ist. Erfüllt ein ehemaliger Mitgesellschafter eine vor dem Ausscheiden begründete Gesellschafts- 12 schuld vor dem Ablauf der Nachhaftungsfrist, kann er bei dem ausgeschiedenen Gesellschafter nur in den Grenzen des § 137 Regress nehmen. Dies gilt richtigerweise sowohl für den im Wege der cessio legis gem. § 426 Abs. 2 BGB auf ihn übergegangenen Anspruch der Gesellschaft als auch für den originären Regressanspruch aus § 426 Abs. 1 BGB, für den die Nachhaftungsbegrenzung freilich schon mit Blick auf die kürzere Verjährungsfrist kaum praktische Relevanz haben dürfte (s. im Einzelnen § 728b BGB Rz. 23 f.).
III. Enthaftung bei Wechsel in die Kommanditistenstellung (Abs. 3) Wird ein Gesellschafter Kommanditist, sind für die Begrenzung seiner Haftung für die im 13 Zeitpunkt der Eintragung der Änderung in das Handelsregister begründeten Verbindlichkeiten die Abs. 1 und 2 entsprechend anzuwenden (Abs. 3 Satz 1). Die Umwandlung der Mitgliedschaft wird dadurch dem Ausscheiden eines Gesellschafters gleichgestellt.24 Die Nachhaftungsbegrenzung betrifft indes nur die auch nach dem Wechsel in die Kommanditistenstellung fortbestehende unbeschränkte persönliche Haftung für Altverbindlichkeiten (Rz. 14). Die Haftung als Kommanditist, die gem. § 173 HGB auch die Haftung für Altverbindlichkeiten erfasst, bleibt dagegen unberührt (Abs. 3 Satz 3). Die Regelung soll dem Gesellschafter mithin nur das Risiko einer zeitlich unbegrenzten persönlichen Haftung für Altverbindlichkeiten nehmen, was mit Blick auf seine nach dem Wechsel in die Kommanditistenstellung deutlich verminderte Einflussmöglichkeit auf die Geschäftsführung auch sachgerecht erscheint (Rz. 1). Die Nachhaftungsbegrenzung setzt zunächst voraus, dass ein ehemals persönlich haftender 14 Gesellschafter durch Umwandlung seiner Rechtsstellung zum Kommanditisten wird. Unmaßgebend ist dagegen, ob er z.B. als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH in der Gesellschaft weiterhin geschäftsführend tätig wird (Abs. 3 Satz 2). Erfasst werden zum Zeitpunkt der Eintragung begründete Verbindlichkeiten. Dies ist insoweit missverständlich, als die unbeschränkte persönliche Haftung des Gesellschafters natürlich nicht erst mit der deklaratorischen Eintragung, sondern bereits mit dem Beschluss über den Wechsel in die
22 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27636, 177; Roth in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 160 HGB Rz. 3. 23 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 177; Habersack in Habersack/Schäfer, § 160 HGB Rz. 1; Boesche in Oetker, § 160 HGB Rz. 13. 24 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 139. Guntermann | 989
§ 137 HGB Rz. 14 | Offene Handelsgesellschaft Kommanditistenstellung endet.25 Für Verbindlichkeiten, die danach begründet werden, haftet er grundsätzlich nur nach Maßgabe von §§ 171, 172 HGB. Die Erstreckung der Nachhaftungsbegrenzung auf Verbindlichkeiten, die im Zeitraum zwischen Beschlussfassung und Eintragung begründet werden, ist gleichwohl sachgerecht, da sich hier eine unbeschränkte persönliche Haftung des Kommanditisten aus § 15 Abs. 1 HGB26 ergeben kann. Auch insoweit greift der Schutzweck von § 137 HGB. Umgekehrt ist die Nachhaftungsbegrenzung natürlich entgegen der insoweit missverständlichen Gesetzesbegründung zu § 707c Abs. 5 BGB27 nicht auf die Rechtsscheinhaftung beschränkt.28 Sie ist vielmehr insbesondere für die vor dem Umwandlungsbeschluss begründeten „echten“ Altverbindlichkeiten wesentlich, für die der vormals persönlich haftende Gesellschafter nach §§ 126, 127 HGB unbeschränkt persönlich einzustehen hat.29 Für den Beginn, den Ablauf und die Hemmung der Frist gelten die Ausführungen in Rz. 8 entsprechend. Zudem darf die Verbindlichkeit nicht fristwahrend im Sinne von Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 geltend gemacht worden sein (Rz. 9 f.). 15 Die Nachhaftungsbegrenzung nach Abs. 3 gilt entsprechend, wenn die für den Kommandi-
tisten in das Handelsregister eingetragene Haftsumme herabgesetzt wird. Die Herabsetzung der Haftsumme wirkt aus Sicht des Gläubigers wie ein teilweises Ausscheiden des Kommanditisten.30 Die dahingehende Regelungslücke erscheint weiterhin planwidrig, obgleich das MoPeG erst nach einer dahingehenden Entscheidung des BGH zu § 160 HGB a.F.31 beschlossen wurde.32 Mit Blick auf die zeitliche Nähe der Urteilsverkündung zu der Vorlage der Beschlussempfehlung durch den Rechtsausschuss33 ist davon auszugehen, dass die durch den BGH bestätigte Notwendigkeit der Erstreckung von § 160 Abs. 3 HGB a.F. (§ 137 Abs. 3 HGB) auf diesen Fall schlicht übersehen wurde. Für die zum Zeitpunkt der Eintragung der geänderten Haftsumme begründeten Verbindlichkeiten, haftet der Kommanditist mithin nach Maßgabe von §§ 171, 172 HGB und unter den Voraussetzungen von Abs. 1, 2 nur bis zum Ablauf von fünf Jahren in Höhe der alten Haftsumme. Dadurch wird die Geltung von § 174, Halbs. 2 HGB zeitlich begrenzt.34 Die Frist beginnt entsprechend Abs. 1 Satz 3 mit der Eintragung der Herabsetzung in das Handelsregister oder mit einer etwaigen früheren Kenntnis des Gläubigers von dem Herabsetzungsbeschluss.35 Ebenfalls entsprechend anzuwenden ist Abs. 3, wenn ein Kommanditist nach § 176 HGB zunächst unbeschränkt persönlich haftet und seine Haftung durch Eintragung beschränkt wird.36
25 Vgl. auch: K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, § 160 HGB Rz. 44. 26 BGH v. 4.3.1976 – II ZR 145, 75, BGHZ 66, 98, 101 = NJW 1976, 848, 849; K. Schmidt/Grüneberg in MünchKomm/HGB, § 176 HGB Rz. 23; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 3124 (Stand: 72. EL Oktober 2018); anders (§ 176 Abs. 2 HGB analog): Thiessen in Staub, § 176 HGB Rz. 122. 27 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 139. 28 Dazu: Hillmann in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 160 HGB Rz. 5; Klöhn in Henssler/Strohn, § 160 HGB Rz. 24. 29 Klimke in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 160 HGB Rz. 29; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, § 160 HGB Rz. 44. 30 BGH v. 4.5.2021 – II ZR 38/20, ZIP 2021, 1391 = GmbHR 2021, 987 m. Anm. Gehrlein. 31 BGH v. 4.5.2021 – II ZR 38/20, ZIP 2021, 1391 = GmbHR 2021, 987 m. Anm. Gehrlein; vgl. zuvor schon: OLG Frankfurt v. 7.5.2020 – 22 U 226/18, NZI 2021, 51, 52; OLG Hamburg v. 31.1.2020 – 11 U 90/19, ZIP 2020, 765, 766; OLG Stuttgart v. 30.10.2019 – 20 U 8/19, NJOZ 2020, 976. 32 Im Ergebnis auch: Temming in BeckOGK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 137 HGB Rz. 61 Fn. 146. 33 Beschlussempfehlung Rechtsausschuss MoPeG v. 22.6.2021, BT-Drucks. 19/30942. 34 BGH v. 4.5.2021 – II ZR 38/20, ZIP 2021, 1391 = GmbHR 2021, 987 m. Anm. Gehrlein. 35 So auch: BGH v. 4.5.2021 – II ZR 38/20, ZIP 2021, 1391 = GmbHR 2021, 987 m. Anm. Gehrlein. 36 Klimke in BeckOK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 160 HGB Rz. 27; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, § 160 HGB Rz. 50.
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Nachhaftung des ausgeschiedenen Gesellschafters | Rz. 18 § 137 HGB
IV. Abweichende Regelungen § 137 HGB ist abdingbar.37 Einerseits kann in den Grenzen von §§ 138, 242 BGB bzw. 16 §§ 307 ff. BGB zwischen dem ausgeschiedenen Gesellschafter und dem Gläubiger eine abweichende Vereinbarung getroffen werden (zur Geltung des Formerfordernisses nach Abs. 2 § 728b BGB Rz. 25). Auch die Gesellschaft und der Gläubiger können z.B. eine kürzere Nachhaftungsfrist vereinbaren (§ 728b BGB Rz. 25).38 Die Gesellschaft und der Gesellschafter können dagegen lediglich zugunsten des Gläubigers von § 137 HGB abweichen (z.B. durch eine Verlängerung der Nachhaftungsfrist).39
V. Folgen der Abwehr der Enthaftung Gelingt es dem Gläubiger die Enthaftung abzuwehren, kann er den ausgeschiedenen Gesell- 17 schafter wie vor seinem Ausscheiden in Anspruch nehmen. Umgekehrt kann der Gesellschafter wie vor seinem Ausscheiden Einwendungen gem. § 128 HGB geltend machen. Auch die Einrede der Verjährung bleibt von § 137 HGB unberührt.40 Der ausgeschiedene Gesellschafter kann von der Gesellschaft Befreiung verlangen (§ 135 Abs. 1 Satz 1, Var. 1. HGB). Befriedigt der ausgeschiedene Gesellschafter den Gläubiger, kann er bei der Gesellschaft und 18 seinen ehemaligen Mitgesellschaftern Regress nehmen. Im Verhältnis zur Gesellschaft folgt ein Regressanspruch nach dem Ausscheiden nicht mehr aus § 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 716 Abs. 1 BGB (§ 716 BGB Rz. 12) da das gesellschaftsrechtliche Innenverhältnis durch das Ausscheiden beendet wurde.41 Welche Anspruchsgrundlage stattdessen heranzuziehen ist, wird in Rechtsprechung und Literatur uneinheitlich beurteilt (§ 728b BGB Rz. 27). Ungeachtet der Anspruchsgrundlage ist der Regressanspruch im Rahmen der Gesamtabrechnung zu berücksichtigen und kann nicht isoliert geltend gemacht werden (Durchsetzungssperre) (§ 135 HGB Rz. 12).42 Gegenüber den ehemaligen Mitgesellschaftern folgen Regressansprüche einerseits aus § 426 Abs. 1, Abs. 2 BGB.43 Die ehemaligen Mitgesellschafter haften dafür richtigerweise nur pro rata (§ 728b BGB Rz. 28). Daneben haften die ehemaligen Mitgesellschafter gem. § 126 HGB gesamtschuldnerisch für die Regressverbindlichkeit der Gesellschaft.44
37 K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, § 160 HGB Rz. 41; Hillmann in Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn, § 160 HGB Rz. 19; Temming in BeckOGK/HGB, Stand: 15.1.2023, § 137 HGB Rz. 74 ff.; anders: Habersack in Habersack/Schäfer, § 160 HGB Rz. 6 f. 38 BGH v. 27.9.1999 – II ZR 356/98, BGHZ 142, 324, 330 f. = ZIP 1999, 1967, 1968 = GmbHR 1999, 1287 m. Anm. Emde. 39 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften Rz. I 943 (Stand: 77. EL Juli 2022). 40 Habersack in Habersack/Schäfer, § 160 HGB Rz. 34. 41 BGH v. 9.5.1963 – II ZR 124/61, BGHZ 39, 319, 323 ff. = NJW 1963, 1873, 1874 f.; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften Rz. I 404a (Stand: 74. EL Juni 2019); K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, § 128 HGB Rz. 65. 42 BGH v. 7.3.2005 – II ZR 194/03, ZIP 2005, 1068; K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, § 128 HGB Rz. 65. 43 BGH v. 2.7.1979 – II ZR 132/78, NJW 1980, 339, 340; BGH v. 20.10.1980 – II ZR 257/79, ZIP 1981, 73. 44 Schulte/Hushahn in MünchHdb GesR I, § 75 Rz. 79; anders (Sozialverbindlichkeit): K. Schmidt/Drescher in MünchKomm/HGB, § 128 HGB Rz. 66; Habersack in Habersack/Schäfer, § 128 HGB Rz. 50. Guntermann | 991
§ 138 HGB Rz. 1 | Offene Handelsgesellschaft
Auflösung der Gesellschaft (§§ 138–142)
§ 138 HGB Auflösungsgründe (1) Die Gesellschaft wird aufgelöst durch: 1. Ablauf der Zeit, für welche sie eingegangen wurde; 2. Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft; 3. gerichtliche Entscheidung über den Antrag auf Auflösung; 4. Auflösungsbeschluss. (2) 1Eine Gesellschaft, bei der kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist, wird ferner aufgelöst: 1. mit der Rechtskraft des Beschlusses, durch den die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt worden ist; 2. durch die Löschung wegen Vermögenslosigkeit nach § 394 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. 2Dies gilt nicht, wenn zu den persönlich haftenden Gesellschaftern eine andere rechtsfähige Personengesellschaft gehört, bei der mindestens ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist. (3) Im Gesellschaftsvertrag können weitere Auflösungsgründe vereinbart werden. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Auflösung, Liquidation und Beendigung der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Auflösungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zeitablauf (Abs. 1 Nr. 1) . . . . . . . . . . . . . . 2. Insolvenz der Gesellschaft oder eines Gesellschafters (Abs. 1 Nr. 2) . . . . . . . . . . 3. Auflösungsklage und gerichtliche Entscheidung (Abs. 1 Nr. 3) . . . . . . . . . . . 4. Auflösungsbeschluss (Abs. 1 Nr. 4) . . . . . 5. Masse- oder Vermögenslosigkeit (Abs. 2) 6. Weitere Auflösungsgründe . . . . . . . . . . . .
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a) Vertragliche Auflösungsgründe im Allgemeinen (Abs. 3) . . . . . . . . . . . . . . b) Auflösung bei Tod eines Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Eintritt oder Unmöglichkeit der Zweckerreichung . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Grenzüberschreitende Sitzverlegung . III. Folgen der Auflösung . . . . . . . . . . . . . . .
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Schrifttum: Bochmann, Gesellschafterwechsel, Ausscheiden und Auflösung im Mauracher Entwurf zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, ZGR-Sonderheft 23 2021, 221; Bork/Jacoby, Das Ausscheiden des einzigen Komplementärs nach § 131 Abs. 3 HGB, ZGR 2005, 611; Hillers, Personengesellschaft und Liquidation, 1987; Klein-Wiele, Verhältnismäßigkeit und ultima ratio handelsrechtlicher Gestaltungsklagen, 2016.
I. Auflösung, Liquidation und Beendigung der Gesellschaft 1 Das fünfte und das sechste Kapitel des zweiten Buchs des HGB regeln die Beendigung von
oHG (und KG, § 161 Abs. 2 HGB). In den §§ 138 ff. HGB ist die Auflösung der Gesellschaft 992 | Richter
Auflösungsgründe | Rz. 4 § 138 HGB
normiert, in den §§ 143 ff. HGB das sich regelmäßig anschließende Liquidationsverfahren. Durch die Auflösung wird die Gesellschaft in ihrer Existenz in der Regel noch nicht betroffen; vielmehr ändert sich bei Eintritt eines Auflösungsgrundes zunächst nur der Zweck der Gesellschaft, dieser ist nunmehr auf Abwicklung und Vollbeendigung gerichtet. Es kommt zu einer identitätswahrenden Umwandlung der werbenden in eine Liquidationsgesellschaft. Das Gesetz nennt in § 138 Abs. 1, Abs. 2 HGB einige Auflösungsgründe, lässt aber vor allem Raum für privatautonome Regelungen (Rz. 18). Aus den §§ 139 f. HGB ergeben sich Besonderheiten für die Auflösung durch gerichtliche Entscheidung (Rz. 10) und durch mehrheitlich gefassten (Gesellschafter-)Beschluss (Rz. 11). Die Eintragung der Gesellschaftsauflösung im Handelsregister wird über § 141 HGB abgesichert; § 142 HGB regelt schließlich die Fortsetzung der Gesellschaft durch erneute (wiederum identitätswahrende) Wandlung des Gesellschaftszwecks. An den Zeitpunkt der Auflösung schließt sich in aller Regel der Zeitraum der Gesellschafts- 2 abwicklung an, die gesetzestypisch durch Liquidation erfolgt. Für das Liquidationsverfahren macht das Gesetz in den §§ 143 ff. HGB umfangreiche Vorgaben, die jedoch zu großen Teilen dispositiv sind, so dass auch hier die Verfahrensherrschaft der Gesellschafter zu erkennen ist (§ 143 HGB Rz. 14). Erst nachdem die Gesellschaft vollständig abgewickelt wurde kommt es zu ihrem Erlöschen und damit zu ihrem endgültigen Ende. Durch die Gesetzesreform des MoPeG wurde das Handelsgesellschaftsrecht zwar umfassend 3 umstrukturiert, inhaltlich jedoch nur in einzelnen Aspekten verändert. Weil die Regelungen zur (rechtsfähigen) BGB-Gesellschaft durch das MoPeG grundlegend reformiert und hierbei dem Recht der oHG weitgehend angepasst wurde,1 entsprechen sich (auch) die Regelungen zu Auflösung, Liquidation und Beendigung der Personengesellschaften im Wesentlichen. Die §§ 729 ff., §§ 735 ff. BGB werden zu großen Teilen wortgleich in den §§ 138 ff., §§ 143 ff. HGB gespiegelt. Auf die naheliegende Möglichkeit, entsprechend § 105 Abs. 3 HGB umfassend auf das BGB-Recht zu verweisen, hat der (Reform-)Gesetzgeber nur selten zurückgegriffen; die doppelte Normierung „im Gleichlauf“ sollte dem Normverständnis dienen.2 Da das MoPeG für die Handelsgesellschaften weitestgehend keine substantiellen Änderungen mit sich bringt, kann für die Auslegung der §§ 138 ff., §§ 143 ff. HGB in weitem Umfang auf die Auslegungsergebnisse zu den §§ 131 ff., §§ 145 ff. HGB a.F. zurückgegriffen werden.3
II. Auflösungsgründe Mit dem Eintritt eines Auflösungsgrundes beginnt das Ende der oHG bzw. der KG; die (bis- 4 lang) werbende Gesellschaft wandelt sich zu einer Liquidationsgesellschaft und geht in die Abwicklungsphase über. § 138 Abs. 1 HGB nennt (wie zuvor § 131 Abs. 1 HGB a.F.) vier Umstände, die zur Auflösung führen: Wie bei der GbR auch führen hiernach Zeitablauf (Rz. 5), Insolvenzeröffnung (Rz. 6) und ein entsprechender Gesellschafterbeschluss (Rz. 11) zur Auflösung. An die Stelle der im BGB vorgesehenen Gesellschaftskündigung (§ 729 BGB Rz. 13) tritt bei der Personenhandelsgesellschaft die Möglichkeit der Auflösung durch gerichtliche Entscheidung (Rz. 10). Die Auflösung folgt zudem aus § 138 Abs. 2 HGB (bei Masse- oder Vermögenslosigkeit, Rz. 13), aber auch aus weiteren Umständen, insbesondere aus entsprechenden vertraglich festgelegten Gründen (Rz. 18 ff.).
1 Zahlreiche Vorschriften des Handelsrechts sollten „ihrem Regelungsgehalt nach in das neue Recht der Gesellschaft bürgerlichen Rechts überführt“ werden (Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 106). 2 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 106. 3 So auch bzgl. des neuen GbR-Rechts Noack in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 9 Rz. 1. Richter | 993
§ 138 HGB Rz. 5 | Offene Handelsgesellschaft
1. Zeitablauf (Abs. 1 Nr. 1) 5 Eine Gesellschaft muss nicht auf Dauer, sondern kann auch auf Zeit errichtet werden; diese
sich aus der Privatautonomie ergebende Möglichkeit wird von Abs. 1 Nr. 1 aufgenommen: Läuft die vereinbarte Gesellschaftsdauer („Höchst-“, nicht „Mindestfrist“, s. hierzu § 132 HGB Rz. 7 sowie § 729 BGB Rz. 8) ab oder wird der kalendarisch festgelegte Auflösungstermin erreicht, so kommt es unmittelbar zur Auflösung der Gesellschaft. Das Gleiche gilt, wenn es zu einem vorab festgelegten Ereignis kommt, dessen Eintreten feststand, aber zeitlich ungewiss war. Sollte das Eintreten des Ereignisses bereits an sich unsicher sein, unterfällt dies nicht Abs. 1 Nr. 1; eine solche Auflösungsbedingung, die nicht die Wirkung des § 158 Abs. 2 Halbs. 2 BGB hat,4 ist allerdings gleichwohl möglich und unmittelbar wirksam. Diese in der Privatautonomie fußende Möglichkeit ergibt sich nunmehr eindeutig aus § 138 Abs. 3 HGB (Rz. 18). Ist im Gesellschaftsvertrag ein Gesellschaftszweck vereinbart, dessen Eintritt im Nachhinein unmöglich oder erreicht wird, so stellt dies im Zweifel keine auflösende Bedingung, also keinen Auflösungsgrund dar (näher hierzu bei Rz. 25).
2. Insolvenz der Gesellschaft oder eines Gesellschafters (Abs. 1 Nr. 2) 6 Wird über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet, so folgt hieraus
gem. Abs. 1 Nr. 2 zwingend die unmittelbare Auflösung der Gesellschaft.5 Anknüpfungspunkt ist nicht schon die materielle Insolvenz, also der Eintritt eines Insolvenzgrundes, sondern erst die formelle Insolvenz, also der gerichtliche Insolvenzeröffnungsbeschluss nach § 27 InsO. Die gerichtliche Eröffnungsentscheidung muss – auch wegen § 138 Abs. 1 Nr. 2 HGB – unverzüglich ergehen, sobald Entscheidungsreife eingetreten ist.6 Das weitere Schicksal der aufgelösten Gesellschaft entscheidet sich im Insolvenzverfahren, richtet sich also nicht nach dem Liquidationsverfahren des HGB, sondern nach der Insolvenzordnung (§ 143 HGB Rz. 6). 7 Werden vor der Entscheidung über den Insolvenzantrag Maßnahmen zur vorläufigen Ver-
mögenssicherung veranlasst (im sog. „Eröffnungsverfahren“, § 21 InsO), stellt dies keinen Auflösungstatbestand dar; ebenso wenig führt die Einleitung und Durchführung eines Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG zur Gesellschaftsauflösung. Wird der Insolvenzantrag trotz Vorliegens eines Insolvenzgrundes wegen Masselosigkeit abgelehnt (§ 26 InsO), greift § 138 Abs. 1 Nr. 2 HGB ebenfalls nicht. Allerdings kommt es u.U. gem. Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 zur Auflösung der Gesellschaft, wenn diese keine natürliche Person als persönlich haftenden Gesellschafter hat (Rz. 13).
8 Die formelle Insolvenz eines Gesellschafters führt grundsätzlich nur zu dessen Ausscheiden
(§ 130 HGB Rz. 6) und lediglich dann zur Auflösung der solventen Gesellschaft, wenn dies (ausnahmsweise) im Gesellschaftsvertrag so vorgesehen ist (Rz. 18);7 eine von diesen Alternativen abweichende Vertragsgestaltung ist nach der (diesbezüglich wenig überzeugenden)8 Gesetzesänderung nicht mehr möglich. Das aus dem Handelsrecht bereits bekannte Regel4 Stürner in Jauernig, Anmerkungen zu §§ 723–728 Rz. 2; s. auch § 729 BGB Rz. 7. 5 Vgl. Schäfer in Staub, § 131 HGB Rz. 30 ff.; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 131 HGB Rz. 22 ff. 6 Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, 10. Aufl. 2020, Rz. 136; Richter, Verschleppte Eröffnung von Insolvenzverfahren, 2018, S. 268 ff. 7 Mittelbar kann sich die Auflösung zudem aus § 712a Abs. 1 BGB i.V.m. § 105 Abs. 3 HGB ergeben: Scheidet mit dem Insolvenzschuldner der vorletzte Gesellschafter aus, so dass nur ein einziger Gesellschafter verbleiben würde, so führt dieser Umstand zur Auflösung und sofortigen Vollbeendigung der Gesellschaft (Rz. 23, s. zur GmbH & Co. KG § 179 HGB Rz. 4). 8 Richter, ZIP 2023, 1222.
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Auflösungsgründe | Rz. 10 § 138 HGB
Ausnahme-Verhältnis zwischen Ausscheiden und Auflösung findet sich seit dem MoPeG auch im Recht der GbR (§ 730 BGB Rz. 1). Sollte eine entsprechende Auflösungsklausel vereinbart worden sein, sieht das Gesetz einige Sonderregelungen für das Liquidationsverfahren vor: Wenn im Insolvenzverfahren nicht die Eigenverwaltung gem. § 270 InsO angeordnet, sondern ein Insolvenzverwalter bestellt wird, so wird dessen besondere Stellung zum einen durch das Vetorecht des § 143 Abs. 2 HGB abgesichert: Eine vom gesetzlichen Liquidationsverfahren abweichende Art der Abwicklung (insbesondere die Gesellschaftsfortsetzung (§ 142 HGB Rz. 1), bedarf seiner Zustimmung (§ 143 HGB Rz. 35). Zum anderen nimmt der Verwalter die Liquidatorenstellung des Insolvenzschuldners ein (§ 144 Abs. 2 HGB) und ihm kommt das unentziehbare Recht zu, aus wichtigem Grund die gerichtliche Berufung und Abberufung von Liquidatoren zu beantragen (§ 145 HGB Rz. 5). Zudem besteht – unabhängig davon, in welcher Form das Insolvenzverfahren durchgeführt wird – mit der Insolvenzeröffnung ein Pflichtrecht der anderen (bislang geschäftsführenden) Gesellschafter zur Notgeschäftsführung aus § 730 Abs. 2, Abs. 1 Satz 4 BGB i.V.m. § 105 Abs. 3 HGB (§ 730 BGB Rz. 13). Für eine GmbH & Co. KG gilt im Grundsatz das Gesagte: Sollte die KG in die Insolvenz 9 fallen, wird diese gem. § 138 Abs. 1 Nr. 2 HGB aufgelöst; die formelle Insolvenz eines Gesellschafters führt gem. § 130 Abs. 1 Nr. 3 HGB zu dessen Ausscheiden, ohne dass dies im Ausgangspunkt Auswirkungen auf die KG hätte; dies gilt grundsätzlich auch bei der Insolvenz der beteiligten GmbH.9 Sollte diese jedoch, wie im Regelfall, die einzige persönlich haftende Gesellschafterin sein, kommt es typischerweise zur Situation der Doppelinsolvenz: Sowohl über das Vermögen der KG als auch über das Vermögen der haftungsbeschränkten Komplementärin wird das Insolvenzverfahren eröffnet; es kommt zur Auflösung der KG, aber nicht zum Ausscheiden der GmbH. Um eine koordinierte, einheitliche Abwicklung bzw. Sanierung der GmbH & Co. KG zu ermöglichen, wurde mit dem MoPeG die Sonderregelung des § 179 HGB gefasst, die nunmehr Klarheit für diese Konstellation schaffen sollte (§ 179 HGB Rz. 1).10 Sollte hingegen der seltene Ausnahmefall eintreten, in dem allein die (einzige) Komplementärin insolvent wird und deshalb ausscheidet, kann die KG als solche nicht fortbestehen; sie wird mangels persönlich haftender Gesellschafter aufgelöst (Rz. 23).11
3. Auflösungsklage und gerichtliche Entscheidung (Abs. 1 Nr. 3) Ist einem der Gesellschafter die Fortsetzung der Gesellschaft nicht zuzumuten, liegt also ein 10 wichtiger Grund vor, der die Beendigung der Gesellschaft (als ultima ratio) rechtfertigt, eröffnet das Gesetz dem betroffenen Gesellschafter die Möglichkeit, die Auflösung zu betreiben. Während eine GbR in diesem Fall vom Gesellschafter selbst durch außerordentliche Kündigung fristlos beendet werden kann (§ 731 BGB Rz. 1), sieht das HGB ein zweistufiges Verfahren vor: Ist die Gesellschaft „auflösungsreif“12, kann der betroffene Gesellschafter Auflösungsklage gem. § 139 Abs. 1 HGB erheben und so eine Auflösung durch gerichtliche Entscheidung erwirken, § 138 Abs. 1 Nr. 3 HGB (näher hierzu bei § 139 HGB Rz. 1).
9 Lorz in E/B/J/S, § 131 HGB Rz. 22. 10 Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zum MoPeG, BT-Drucks. 19/31105, 9; vgl. hierzu auch Schäfer, ZRI 2020, 20, 26 f. 11 Vgl. hierzu K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 131 HGB Rz. 48. Auch hier gilt, dass die KG ohne Liquidationsverfahren unmittelbar vollständig beendet wird, wenn durch das Ausscheiden der Komplementärin nur ein einziger Gesellschafter (hier der Kommanditist) verbleiben würde, vgl. Fn. 7; s. auch Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1612 (Stand: 84. EL 9/2022). 12 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 131 HGB Rz. 6. Richter | 995
§ 138 HGB Rz. 11 | Offene Handelsgesellschaft
4. Auflösungsbeschluss (Abs. 1 Nr. 4) 11 Die Gesellschaft wird ferner aufgelöst durch einen entsprechenden Beschluss der Gesell-
schafter. Sowohl die Errichtung als auch die Auflösung der Gesellschaft obliegt den beteiligten Gesellschaftern im Rahmen ihrer Privatautonomie, § 138 Abs. 1 Nr. 4 HGB stellt dies deklaratorisch klar.13 Der entsprechende Gesellschafterbeschluss, der sich auf Liquidation und Beendigung der Gesellschaft richtet, muss grundsätzlich keine bestimmte Form einhalten, selbst wenn sich im (anschließend zu liquidierenden) Gesellschaftsvermögen Immobilien, GmbH-Anteile o.Ä. befinden.14 Der Auflösungsbeschluss kann somit auch konkludent erfolgen, etwa durch Unternehmensveräußerung oder Einstellung des Geschäftsbetriebs.15 Allerdings muss unverkennbar deutlich werden, dass hiermit nicht nur eine Umstrukturierung der Gesellschaft (etwa durch Umwandlung in eine GbR), sondern eine endgültige Auseinandersetzung bewirkt werden sollte.16 Nach der wohl hL17 ist ein fehlerhafter, aber gleichwohl in Vollzug gesetzter Auflösungsbeschluss entsprechend den Grundsätzen der fehlerhaften Gesellschaft als wirksam zu behandeln (s. hierzu allerdings § 140 HGB Rz. 7). 12 Weil der Auflösungsbeschluss zu einem Wandel des Gesellschaftszwecks führt, also eine we-
sentliche Änderung des Gesellschaftsvertrags darstellt, muss die Entscheidung grundsätzlich einstimmig ergehen. Zwar kann gesellschaftsvertraglich diesbzgl. die Möglichkeit einer Mehrheitsentscheidung vorgesehen werden; in diesem Fall muss jedoch gem. § 140 HGB zwingend ein Mindestquorum von drei Viertel der abgegebenen Stimmen erreicht werden (näher hierzu bei § 140 HGB Rz. 2).
5. Masse- oder Vermögenslosigkeit (Abs. 2) 13 Der zwingende Auflösungsgrund des Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 steht in Zusammenhang mit Abs. 1
Nr. 2: Weder der Eintritt der materiellen Insolvenz noch die Stellung des Insolvenzantrags führen zur Auflösung der Gesellschaft, sondern grundsätzlich erst und nur die formelle Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Rz. 6). Stellt das Insolvenzgericht jedoch fest, dass zwar ein Insolvenzgrund vorliegt, aber nicht genügend Masse vorhanden ist, um die Verfahrenskosten zu decken, wird der Insolvenzantrag gem. § 26 Abs. 1 InsO abgewiesen. Es kommt also nach dem Grundsatz des § 138 Abs. 1 Nr. 2 HGB nicht zur Auflösung der Gesellschaft.18 14 Für die Gesellschaftsgläubiger ergibt sich hieraus in der Regel kein besonderes Schutzdefizit,
weil diese uneingeschränkt auf die persönlich haftenden Gesellschafter zurückgreifen können (§ 126 HGB Rz. 11, § 161 HGB Rz. 10).19 Diese Gesellschafterhaftung droht jedoch bei einer Gesellschaft, an der kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist, praktisch leerzulaufen; dies betrifft insbesondere die verbreitete GmbH & Co. KG. Eine solche
13 Vgl. zu diesem Aspekt der „negativen Vertragsfreiheit“ Schäfer in Staub, § 131 HGB Rz. 21. 14 Schäfer in Staub, § 131 HGB Rz. 25; Klöhn in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 131 HGB Rz. 15. 15 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 131 HGB Rz. 19; Schäfer in Staub, § 131 HGB Rz. 25; vgl. auch BGH v. 17.12.1959 – II ZR 81/59, NJW 1960, 434. 16 Schäfer in Staub, § 131 HGB Rz. 12, 25; Kindler in Koller/Kindler/Roth/Drüen, § 131 HGB Rz. 3. 17 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 131 HGB Rz. 21; Lehmann-Richter in BeckOK/ HGB, § 131 HGB Rz. 16 (Stand: 39. Ed. 15.1.2023); a.A. insb. Schäfer in Staub, § 131 HGB Rz. 56 ff.; Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002, S. 402 ff. 18 Für die Ausdehnung von § 138 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HGB de lege ferenda, aber gegen eine Analogie K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 131 HGB Rz. 33. 19 Vgl. jedoch den abweichenden Ansatz von Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 266 ff.
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Auflösungsgründe | Rz. 17 § 138 HGB
(„atypische“20) Gesellschaft wird vom Gesetzgeber mit Blick auf die Insolvenz ähnlich behandelt, wie die Kapitalgesellschaften:21 Insbesondere muss bei Eintritt der materiellen Insolvenz ein Eigenantrag gestellt werden (§ 15a Abs. 1 Satz 1, 3 InsO), so dass es im Falle der Verfahrenseröffnung zur Auflösung kommt (Rz. 6). Wird die Verfahrenseröffnung jedoch mangels Masse rechtskräftig abgelehnt, wird die kapitalistisch strukturierte Personenhandelsgesellschaft gem. § 138 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HGB aufgelöst (vgl. aber die Einschränkung in Satz 2, Rz. 16).22 Eine Gesellschaft, an der kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist 15 (insb. also die GmbH & Co. KG), wird zudem gem. § 138 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 HGB aufgelöst, wenn diese gem. § 394 Abs. 1, Abs. 4 FamFG wegen Vermögenslosigkeit aus dem Handelsregister gelöscht wurde.23 Der Umstand der Vermögenslosigkeit führt für sich genommen noch nicht zur Gesellschaftsauflösung; zum Schutz des Rechtsverkehrs wird er aber (bei der kapitalistisch strukturierten Gesellschaft) zum Anlass genommen, um von Amts wegen oder auf Antrag etwa der Finanzbehörden die Registerlöschung auszulösen. Voraussetzung ist jedoch, dass auch die persönlich haftenden Gesellschafter vermögenslos sind (§ 394 Abs. 4 Satz 2 FamFG). Verfügt die Gesellschaft tatsächlich über keinerlei Vermögen, so ist sie im Moment ihrer Löschung nicht nur aufgelöst, sondern es tritt sofortige Vollbeendigung ein. Sollte sich jedoch herausstellen, dass noch verteilbares Vermögen und damit Liquidationsbedarf vorhanden ist, so ist die Gesellschaft zwar gem. § 138 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 HGB aufgelöst, sie muss jedoch abgewickelt werden (s. § 143 Abs. 1 Satz 2 HGB), besteht also trotz Löschung bis zur Beendigung des Liquidationsverfahrens fort. Die beiden in § 138 Abs. 2 Satz 1 HGB genannten Auflösungsgründe stehen unter der ein- 16 heitlichen Einschränkung des Satz 2. Hiernach kommt es nicht zur beschriebenen Auflösung, wenn zu den persönlich haftenden Gesellschaftern eine andere rechtsfähige Personengesellschaft gehört, bei der mindestens ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist. Anders als diese gesetzliche Formulierung nahelegt, greift die Ausnahme nicht nur dann, wenn die haftende natürliche Person Gesellschafter auf zweiter Ebene ist („Gesellschafter-Gesellschafter“), sondern auch dann, wenn ein solcher Gesellschafter auf höherer Stufe beteiligt und letztlich haftpflichtig ist. Die Einschränkung des Satz 2 findet sich ebenfalls in § 394 Abs. 4 Satz 3 FamFG und entspricht auch der Regelung zur Insolvenzantragspflicht bei mehrstöckigen Gesellschaftskonstruktionen.24
6. Weitere Auflösungsgründe Neben den gesetzlich genannten Auflösungsgründen, die teils deklaratorisch (Abs. 1 Nr. 1, 17 Nr. 4) und teils zwingend (Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3, Abs. 2) sind, können auch weitere Umstände zur Auflösung der Gesellschaft führen. Die bislang problematische Frage, inwiefern die Auflösungsgründe des BGB anzuwenden seien,25 hat an Bedeutung verloren, weil durch das MoPeG eine weitgehende Angleichung zwischen BGB und HGB vorgenommen wurde (§ 729 BGB Rz. 3). Die verbleibenden Unterschiede betreffen insbesondere die Auflösung wegen ei20 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1616 (Stand: 84. EL 9/2022); vgl. auch die parallele (Neu-)Regelung bzgl. der „atypischen GbR“ § 729 BGB Rz. 21. 21 S. zur Parallelität etwa Schäfer in Staub, § 131 HGB Rz. 40; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1616 (Stand: 84. EL 9/2022). 22 Genauer zum Auflösungstatbestand K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 131 HGB Rz. 34. 23 Vgl. zum Löschungsverfahren Holzer in Prütting/Helms, 6. Aufl. 2023, § 394 FamFG Rz. 12 ff.; Klöhn in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 131 HGB Rz. 34 ff. 24 Steffek in Kübler/Prütting/Bork, 90. EL 2021, § 15a InsO Rz. 21. 25 S. hierzu Schäfer in Staub, § 131 HGB Rz. 43 f.; Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, § 131 HGB Rz. 21. Richter | 997
§ 138 HGB Rz. 17 | Offene Handelsgesellschaft nes wichtigen Grundes (Rz. 10, § 139 HGB Rz. 1) und wegen Eintritt oder Unmöglichkeit der Zweckerreichung (Rz. 25 ff.). In diesen Fällen ist ein Rückgriff auf das Recht der GbR ausgeschlossen,26 wobei eine Angleichung mittels vertraglicher Regelungen (Rz. 18) unproblematisch möglich ist. Die Auflösung kann auch außerhalb des Gesellschaftsrechts wirksam angeordnet werden.27 a) Vertragliche Auflösungsgründe im Allgemeinen (Abs. 3) 18 Der Gesellschaftsvertrag kann sehr weitgehend festlegen, welche Umstände zur Auflösung
führen sollen. Zwar können die Gesellschafter nicht über die zwingenden Gründe (§ 138 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3, Abs. 2 HGB) disponieren, sie können jedoch zusätzlich weitere Auflösungsgründe vereinbaren; dies folgt aus ihrer Privatautonomie und wird durch Abs. 3 klargestellt.28 Diese Gründe sollten wegen ihrer besonderen Bedeutung präzise formuliert werden. Bei entsprechender vertraglicher Ausgestaltung führt der Eintritt des festgelegten Umstandes grds. unmittelbar eo ipso zur sofortigen Gesellschaftsauflösung. So können etwa Umstände, die grds. lediglich zum Ausscheiden eines Gesellschafters führen (§ 130 HGB Rz. 4 ff.), mit Auflösungswirkung versehen werden.29 Wird hiernach an den Tod oder die Insolvenz eines Gesellschafters ausnahmsweise die Auflösung geknüpft, gelten einige Sonderregelungen (Rz. 8, Rz. 20). 19 Alternativ können auch Gründe festgelegt werden, die nicht unmittelbar zu einer Auflösung
führen, sondern lediglich dazu berechtigen, eine Auflösungskündigung vorzunehmen. In diesem Fall müsste keine Auflösungsklage gem. § 139 HGB erhoben werden, sondern die Gesellschaft könnte – dem Recht der GbR entsprechend (§ 729 BGB Rz. 13) – unmittelbar durch Kündigung aufgelöst werden. Im Gesellschaftsvertrag kann also nicht nur festgelegt werden, was als „wichtiger Grund“ gelten soll (§ 139 HGB Rz. 3), sondern auch, dass die Auflösung durch rechtsgeschäftliche Erklärung des kündigenden Gesellschafters herbeigeführt werden kann (§ 139 HGB Rz. 21). b) Auflösung bei Tod eines Gesellschafters 20 Der Tod eines Gesellschafters führt nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 HGB grds. nur zum Ausscheiden;
er kann jedoch auch gesellschaftsvertraglich zum Auflösungsgrund gemacht werden, wobei sowohl an den Tod eines bestimmten, aber auch das Versterben irgendeines Gesellschafters angeknüpft werden kann. Tritt diese vertragliche Auflösungsbedingung ein, so wandelt sich die oHG bzw. die KG in eine Liquidationsgesellschaft, an der nunmehr auch der Erbe (bzw. die Erbengemeinschaft) des Erblassers beteiligt ist. Dieser rückt als Mitglied der Liquidationsgesellschaft in die Vermögens- und Verwaltungsrechte des verstorbenen Gesellschafters ein.30 21 Für diese Konstellation sieht das Recht der GbR in § 730 Abs. 1 BGB eine besondere Rege-
lung vor, die einen geordneten Übergang von der werbenden zur abzuwickelnden Gesell26 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1623 (Stand: 84. EL 9/2022); § 139 HGB ist als vorrangige lex specialis zu § 731 BGB ausgestaltet; s. zur Nichtgeltung von § 729 Abs. 2 BGB im Handelsrecht Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 246. 27 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1624 ff. (Stand: 84. EL 9/2022); Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, § 131 HGB Rz. 21b. 28 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 246; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1629 (Stand: 84. EL 9/2022). 29 Diese Möglichkeit wird durch § 130 Abs. 1 HGB ausdrücklich betont: Die dort genannten Gründe führen nur dann zum Ausscheiden, „sofern der Gesellschaftsvertrag für diese Fälle nicht die Auflösung der Gesellschaft vorsieht“. 30 Schäfer in Staub, § 131 HGB Rz. 85.
998 | Richter
Auflösungsgründe | Rz. 23 § 138 HGB
schaft sicherstellen soll,31 die aber keine Entsprechung im HGB hat. Die Problem- und Interessenlage, die von § 730 BGB adressiert wird, besteht jedoch auch bei den Personenhandelsgesellschaften in gleicher Weise; die Norm ist deshalb auch hier über den Verweis des § 105 Abs. 3 HGB anzuwenden.32 Folglich besteht die Pflicht des Erben, den Tod des Erblassers unverzüglich anzuzeigen. Ihn trifft zudem unter bestimmten Voraussetzungen das Recht und die Pflicht, einstweilig die laufenden Geschäfte der Gesellschaft fortzuführen, wenn ansonsten die Gesellschaft oder ihr Vermögen gefährdet würde (vgl. hierzu sowie zu den Besonderheiten bei Erbengemeinschaften § 730 BGB Rz. 5 ff.). Ein solches „Pflichtrecht zur Notgeschäftsführung“33 besteht jedoch nur, wenn bereits dem Erblasser die Geschäftsführungsund Vertretungsbefugnis zustand; dessen Befugnisse werden – abweichend von § 146 Abs. 1 HGB – entsprechend § 730 Abs. 1 Satz 3 BGB als fortbestehend fingiert (§ 146 HGB Rz. 15).34 Entsprechend § 730 Abs. 1 Satz 4 BGB sind auch die Mitgesellschafter zur Notgeschäftsführung berechtigt und verpflichtet, insoweit als sie bereits zuvor zur Geschäftsführung und Vertretung berufen waren. Eine dem BGB-Recht entsprechende Regelung sieht das HGB hingegen für die Frage vor, wie die Anmeldung der Auflösung im Handelsregister erfolgen kann, wenn die Auflösung auf einer gesellschaftsvertraglichen Todesklausel basiert (§ 141 HGB Rz. 10). Das Pflichtrecht zur Notgeschäftsführung trifft die (Mit-)Gesellschafter auch dann, wenn 22 sich die Gesellschaftsauflösung nicht aus dem Tod, sondern aus der formellen Insolvenz eines Gesellschafters ergibt. Hierzu kommt es (nur), wenn die Gesellschafterinsolvenz durch den Gesellschaftsvertrag von einem Ausscheidens- zu einem Auflösungsgrund gemacht wurde (s. hierzu Rz. 8). In diesem Fall sind die besonderen Vorgaben des § 730 Abs. 1 Satz 4 BGB über den Verweis des dortigen Abs. 2 und des § 105 Abs. 3 HGB auf die Personenhandelsgesellschaften entsprechend anzuwenden (vgl. umfassend hierzu § 730 BGB Rz. 12 ff.): Mit der Insolvenzeröffnung haben die übrigen (bislang geschäftsführenden) Gesellschafter das Recht und die Pflicht unaufschiebbare Geschäfte vorzunehmen, wenn ansonsten eine Gesellschaftsschädigung drohen würde. Die sich aus dieser einstweiligen Fortführung eilbedürftiger Geschäfte u.U. ergebenden Ausgleichsansprüche können innerhalb des Insolvenzverfahrens des Mitgesellschafters (subsidiär) als Masseverbindlichkeit geltend gemacht werden (§ 118 Satz 1 InsO).35 c) Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters Das (Fort-)Bestehen einer Personengesellschaft setzt, wie ihre Gründung (§ 705 BGB Rz. 7), 23 voraus, dass an dieser eine Mehrheit von Gesellschaftern beteiligt sind. Scheidet der vorletzte Gesellschafter aus der Gesellschaft aus (oder werden alle Gesellschaftsanteile auf einen einzigen Gesellschafter übertragen, § 729 BGB Rz. 28), erlischt die Gesellschaft unmittelbar ohne Liquidation. Dies war bereits vor der Gesetzesreform des MoPeG anerkannt,36 wurde aber durch § 712a Abs. 1 BGB gesetzlich klargestellt. Die Norm findet über § 105 Abs. 3 HGB auch auf die oHG Anwendung;37 dies gilt, obwohl der Gesetzgeber ausdrücklich „von
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Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 178. S. bereits zur früheren Rechtslage Schäfer in Staub, § 131 HGB Rz. 86. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 178. Diese Fiktion gilt zwar ausdrücklich nur „abweichend von § 736b Abs. 1“ BGB; wegen der Anwendung über § 105 Abs. 3 HGB gilt die Regelung jedoch für die parallele Norm des § 146 Abs. 1 HGB entsprechend. 35 Weil sich diese Ansprüche primär gegen die Gesellschaft richten, kommt es hierzu nur ausnahmsweise, vgl. Ringstmeier in K. Schmidt, 20. Aufl. 2023, § 118 InsO Rz. 10 ff. 36 BGH v. 5.7.2018 – V ZR 10/18, ZIP 2018, 1826, 1827 f. Rz. 10; Roth in Hopt, § 131 HGB Rz. 7, 35; s. auch Begr. RegE HRefG, BT-Drucks. 13/8444, 66. 37 So ausdrücklich auch der Gesetzgeber, Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 146. Richter | 999
§ 138 HGB Rz. 23 | Offene Handelsgesellschaft einer eigenen gesetzlichen Regelung abgesehen“38 hat, gem. § 161 Abs. 2 HGB auch für die KG: Verbleibt nur ein einziger Gesellschafter, fehlt es – unabhängig davon, ob dieser Kommanditist oder Komplementär war – an der notwendigen Mehrgliedrigkeit; die Gesellschaft erlischt.39 Die vom Gesetzgeber bewusst offengelassene Frage,40 wie mit dem Ausscheiden des einzigen Komplementärs einer KG umzugehen ist,41 stellt sich insbesondere, wenn mehrere Kommanditisten „zurückbleiben“, da § 712a BGB hier ohnehin keine Anwendung findet. Für den praktisch wichtigsten Fall – das drohende Ausscheiden des einzigen persönlich haftenden Gesellschafters der KG wegen Insolvenz – sieht das Gesetz seit dem MoPeG eine bedeutende Sonderregelung vor (§ 179 HGB Rz. 1). 24 Die sofortige Vollbeendigung ohne Durchführung eines Abwicklungsverfahrens entspricht
u.U. nicht den Interessen der Gesellschafter, weshalb im Gesellschaftsvertrag eine abweichende Regelung vorgesehen werden kann: Durch vertragliche Festlegung können Ausscheidensgründe in Auflösungsgründe gewandelt werden (s. Rz. 18); sollte ein solcher Grund eintreten, bleiben die Gesellschafter an der (nun aufgelösten) Gesellschaft beteiligt und es kommt nicht unmittelbar zum Erlöschen, sondern zur ordentlichen Abwicklung.42 d) Eintritt oder Unmöglichkeit der Zweckerreichung 25 Während die GbR im gesetzlichen Normalfall eo ipso aufgelöst wird, sobald ihr Zweck er-
reicht oder die Zweckerreichung unmöglich wurde (§ 729 BGB Rz. 5), besteht dieser Automatismus bei den Personenhandelsgesellschaften grundsätzlich nicht: Die im BGB normierte (und auch dort kritisierte)43 automatische Gesellschaftsauflösung bei Eintritt oder Unmöglichkeit der Zweckerreichung kann, so auch der Gesetzgeber, zu erheblichen Unsicherheiten führen, „weil es sich nicht um fest umrissene, ohne Weiteres in Erscheinung tretende Tatbestände handelt, deren Verwirklichung klar und einfach festgestellt werden kann.“44 Wegen des im Handelsverkehr stärker ausgeprägten Interesses an Rechtssicherheit komme die Anordnung einer Auflösung ipso iure, wie sie § 729 Abs. 2 BGB vorsieht, im HGB nicht in Betracht; eine Anwendung über § 105 Abs. 3 HGB scheidet mithin aus.45 26 Wird die Erreichung des gesellschaftsvertraglich vereinbarten Zwecks (§ 105 HGB Rz. 6 ff.)
unmöglich, stellt dies u.U. – abhängig von den sonstigen Umständen des Einzelfalls – einen „wichtigen Grund“ i.S.d. § 139 Abs. 1 HGB vor, so dass eine Auflösungsklage möglich wäre (Rz. 10). Ob jedoch tatsächlich ein Festhalten am Vertrag angesichts der Unmöglichkeit der Zweckerreichung unzumutbar wäre, so dass eine Auflösung notwendig und eine weniger einschneidende Maßnahme (etwa eine Austrittskündigung) unzureichend wäre, lässt sich nicht allgemein beantworten;46 eingehend hierzu noch bei § 139 HGB Rz. 11.
38 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 146. 39 Für die Anwendung von § 712a BGB auch Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1627 (Stand: 84. EL 9/2022); vgl. auch Bork/Jacoby, ZGR 2005, 611, 625 ff. sowie Schäfer in Staub, § 131 HGB Rz. 113 f. 40 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 146; sehr kritisch diesbzgl. Lange/Kretschmann, ZEV 2021, 545, 547. 41 Eingehend hierzu Bork/Jacoby, ZGR 2005, 611, 625 ff.; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 131 HGB Rz. 46 ff., 56; Lorz in E/B/J/S, § 131 HGB Rz. 29 f.; s. auch Rz. 9. 42 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 147; K. Schmidt, ZIP 2008, 2337, 2342 ff.; Schäfer in Staub, § 131 HGB Rz. 10. 43 Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, Vor § 723 BGB Rz. 15; s. auch § 729 BGB Rz. 20. 44 RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 246; so zuvor auch Schäfer in Staub, § 131 HGB Rz. 44. 45 S. auch Noack in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 9 Rz. 36. 46 S. hierzu auch Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1654 (Stand: 84. EL 9/2022).
1000 | Richter
Auflösungsgründe | Rz. 29 § 138 HGB
Bzgl. der Frage, ob auch die Zweckerreichung in gleicher Weise eine Auflösung(sklage) be- 27 gründen kann, ist umstritten. Hierbei wird z.T. ganz grundsätzlich in Frage gestellt, dass eine Erreichung des gesellschaftlichen Zwecks bei einer (grds. auf Dauer ausgelegten, s. § 105 HGB Rz. 7) Handelsgesellschaften überhaupt möglich ist (hierzu noch bei § 139 HGB Rz. 11).47 Jedenfalls ist es möglich, gesellschaftsvertraglich einen bestimmten Umstand gem. § 138 Abs. 3 HGB (oder auch anknüpfend an Abs. 1 Nr. 1)48 als Auflösungsgrund zu definieren, auch wenn sich dieser mit dem Gesellschaftszweck deckt. e) Grenzüberschreitende Sitzverlegung Nach früherer Rechtslage wurde weitgehend vertreten, dass die grenzüberschreitende Ver- 28 legung des tatsächlichen Verwaltungssitz einer Personengesellschaft zur Gesellschaftsauflösung im Inland führte.49 Schon vor der Gesetzesreform wurde diese Sicht vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit bestritten.50 Auch der MoPeG-Gesetzgeber nahm sie kritisch wahr und führte im Recht der GbR das freie Sitzwahlrecht ein (§ 706 HGB Rz. 14), das über den Verweis des § 105 Abs. 3 HGB „auch und gerade“ auf die Personenhandelsgesellschaften Anwendung finden sollte.51 Damit können Personengesellschaften nunmehr den tatsächlichen Tätigkeitsschwerpunkt grenzüberschreitend verlegen, ohne zugleich den (Vertrags-)Sitz ändern und die Auflösung fürchten zu müssen.52 Die Verlegung auch des Vertragssitzes ins Ausland bei gleichzeitiger Beibehaltung der deutschen Rechtsform lässt § 706 Satz 2 BGB zwar nicht zu, so dass ein entsprechender Beschluss grds. als nichtig anzusehen, nicht aber in einen Auflösungsbeschluss umzudeuten ist.53 Eine Satzungssitzverlegung dürfte jedoch im Fall des (unions-)grenzüberschreitenden Formwechsels ohne Auflösung möglich sein.54
III. Folgen der Auflösung Durch den Eintritt eines Auflösungsgrundes wird die Gesellschaft in der Regel nicht unmit- 29 telbar beendet (vgl. jedoch § 143 HGB Rz. 8). Sie wandelt sich vielmehr zunächst (identitätswahrend) von einer werbenden Gesellschaft in eine Abwicklungsgesellschaft, deren Zweck nunmehr auf Abwicklung (i.d.R. durch Liquidation gem. §§ 143 ff. HGB) und anschließende Vollbeendigung gerichtet ist.55 Die Gesellschaftsauflösung ist eintragungspflichtige Tatsache, weshalb § 141 HGB eine entsprechende Anmeldepflicht der Gesellschafter statuiert (§ 141 HGB Rz. 1). Die Gesellschafter haben die Möglichkeit, die Fortsetzung der Gesellschaft zu beschließen, wenn sie auch den Auflösungsgrund (wenn möglich und notwendig, § 142 HGB Rz. 6) beseitigen. Es kommt in diesem Fall zu einer erneuten Zweckänderung und zur identitätswahrenden Rückumwandlung in eine werbende Gesellschaft, die ebenfalls eintragungspflichtig ist.
47 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 133 HGB Rz. 16; Klöhn in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 133 HGB Rz. 26; anders der Gesetzgeber in Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/ 27635, 246. 48 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1602a (Stand: 84. EL 9/2022). 49 Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, § 131 HGB Rz. 21b; Fleischer, DStR 2021, 430, 434. 50 Koch, ZHR 173 (2009), 101, 112 ff.; Schäfer in Staub, § 106 HGB Rz. 19. 51 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 126 f. 52 S. hierzu auch Heckschen, NZG 2020, 761, 763 f.; Fleischer, DStR 2021, 430, 434. 53 Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 496 f.; Lieder in Oetker, § 106 HGB Rz. 24; Paefgen in FS E. Vetter, 2019, S. 527, 536 f. 54 Schall, ZIP 2020, 1443, 1449; Fleischer in MünchKomm/HGB, Vor § 105 HGB Rz. 360 f. 55 Lorz in E/B/J/S, § 131 HGB Rz. 31; Schäfer in Staub, § 131 HGB Rz. 50. Richter | 1001
§ 138 HGB Rz. 30 | Offene Handelsgesellschaft 30 Dritte werden durch die Auflösung zunächst kaum berührt, insbesondere die Regelungen
zur persönlichen Haftung der Gesellschafter (§ 126 HGB, ggf. i.V.m. § 161 Abs. 2 HGB) gelten auch nach der Auflösung fort. Regelmäßig hat lediglich die Änderung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse (§ 146 HGB Rz. 1) unmittelbare Konsequenzen auch im Außenverhältnis.56 Deutlich gewichtigere Auswirkungen hat die Auflösung auf das gesellschaftsrechtliche Innenverhältnis: So können etwa die Gesellschafter ihre Forderungen aus dem Gesellschaftsverhältnis grds. nur im Rahmen der Gesamtliquidation geltend machen; umgekehrt können Sozialansprüche der Gesellschaft nur noch insoweit geltend gemacht werden, als die Leistung für die Liquidation notwendig ist (§ 143 HGB Rz. 19).57
§ 139 HGB Auflösung durch gerichtliche Entscheidung (1) 1Auf Antrag eines Gesellschafters kann aus wichtigem Grund die Auflösung der Gesellschaft durch gerichtliche Entscheidung ausgesprochen werden, wenn ihm die Fortsetzung der Gesellschaft nicht zuzumuten ist. 2Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn ein anderer Gesellschafter eine ihm nach dem Gesellschaftsvertrag obliegende wesentliche Verpflichtung vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat oder wenn die Erfüllung einer solchen Verpflichtung unmöglich wird. (2) Eine Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag, welche das Recht des Gesellschafters, die Auflösung der Gesellschaft aus wichtigem Grund zu verlangen, ausschließt oder Absatz 1 zuwider beschränkt, ist unwirksam. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Grundlagen und Anwendungsbereich . II. Wichtiger Grund als materielle Voraussetzung (Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . 1. Fristlose Beendigung der (Vertrags-)Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verhältnismäßigkeit der Gesellschaftsauflösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Konkrete wichtige Auflösungsgründe . . . III. Prozessuale Geltendmachung durch Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prozessrollen- und Beweislastverteilung . 2. Das Gericht und seine Entscheidung . . . IV. Vertragliche Gestaltung (Abs. 2) . . . . . .
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I. Grundlagen und Anwendungsbereich 1 § 139 HGB konkretisiert die in § 138 Abs. 1 Nr. 3 HGB angesprochene Gesellschaftsauf-
lösung durch gerichtliche Entscheidung, die durch eine entsprechende Auflösungsklage ausgelöst wird. § 139 HGB normiert damit das unentziehbare (Rz. 19) Recht der Gesellschafter, die gesellschaftliche Dauerrechtsbeziehung aus wichtigem Grund beenden zu können und stellt sich damit als besondere Form des allgemeinen Lösungsrechts aus § 314 BGB dar.1 Das entsprechende Recht der Gesellschafter einer GbR, die gesellschaftsvertragliche Bindung aufzulösen, ist im BGB zwar inhaltlich weitgehend parallel geregelt (§ 731 BGB Rz. 1); die Geltendmachung und Gesellschaftsauflösung erfolgt dort jedoch unmittelbar durch Gesell56 Schäfer in Staub, § 131 HGB Rz. 51. 57 Habersack in Staub, § 145 HGB Rz. 18. 1 Schäfer in Staub, § 133 HGB Rz. 1; Lorz in E/B/J/S, § 133 HGB Rz. 1.
1002 | Richter
Auflösung durch gerichtliche Entscheidung | Rz. 4 § 139 HGB
schaftskündigung, über die im Streitfall nachträglich prozessiert werden müsste. Für die Personenhandelsgesellschaften sieht das Gesetz demgegenüber im Interesse des Rechtsverkehrs sowie der Gesellschafter vor, dass die Auflösung aus wichtigem Grund nur durch eine Gestaltungsklage angestoßen und durch ein entsprechendes Urteil bewirkt werden kann.2 Möglich ist es allerdings, dass im Gesellschaftsvertrag ein Recht zur Auflösungskündigung vereinbart und ggf. die Klagenotwendigkeit bei Vorliegen eines bestimmten wichtigen Grundes abbedungen wird (Rz. 21, § 138 HGB Rz. 19). Kann die Gesellschaft aufgrund eines vertraglich normierten Kündigungsrechts (jederzeit 2 oder bei Vorliegen eines wichtigen Grundes) fristlos aufgelöst werden, besteht keine Notwendigkeit und damit kein Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage nach § 139 Abs. 1 HGB.3 Möglich ist die Auflösungsklage hingegen bei der fehlerhaften Gesellschaft, wenn diese in Vollzug gesetzt wurde, wobei die Fehlehrhaftigkeit regelmäßig einen wichtigen (Auflösungs-) Grund darstellt.4 Nach nunmehr wohl herrschender Meinung ist § 139 Abs. 1 HGB grundsätzlich auch auf die Liquidationsgesellschaft anwendbar: Auch wenn die Gesellschaft bereits aus anderem Grund aufgelöst wurde, ist – dem Prinzip der Doppelwirkungen im Recht entsprechend – die klageweise Geltendmachung des wichtigen Grundes möglich.5 Das hierbei notwendige Rechtsschutzbedürfnis entfällt lediglich dann, wenn die vorausgegangene Gesellschaftauflösung eindeutig und zwischen den Beteiligten unumstritten ist.6
II. Wichtiger Grund als materielle Voraussetzung (Abs. 1) Materielle Voraussetzung der gerichtlichen Auflösungsentscheidung ist nach § 139 Abs. 1 3 HGB das Vorliegen eines wichtigen Grundes sowie die Unzumutbarkeit der Gesellschaftsfortsetzung für den klagenden Gesellschafter. Das Gesetz beschreibt hiermit jedoch nicht zwei unterschiedliche, kumulativ zu prüfende Voraussetzungen; vielmehr ist die Frage nach einem wichtigen (Auflösungs-)Grund nur mit Blick auf die Zumutbarkeit zu beantworten: Nach den allgemeinen Grundsätzen (s. § 314 Abs. 1 BGB) liegt ein wichtiger, die außerordentliche, fristlose Beendigung des Vertragsverhältnis rechtfertigender Grund vor, wenn dem Betroffenen nicht zugemutet werden kann, dass das Dauerschuldverhältnis fortbesteht, wobei alle Einzelfallumstände und relevanten Interessen berücksichtigt und abgewogen werden müssen.7 Bei der Prüfung des wichtigen Auflösungsgrundes lassen sich gleichwohl zwei Elemente un- 4 terscheiden: Zum einen stellt sich die Frage, ob Umstände vorliegen, die eine sofortige Beendigung der bisherigen Beziehungen rechtfertigen (Rz. 5 f.). Da die Gesellschaftsauflösung und -liquidation jedoch grds. als ultima ratio angesehen wird, muss zum anderen geprüft werden, ob nicht eine weniger gravierende Maßnahme als (vorrangiges) Mittel der Konfliktlösung in Betracht kommt (Rz. 7 f.).
2 Vgl. Butzer/Knof in MünchHdb. GesR I, § 83 Rz. 22; Lorz in E/B/J/S, § 133 HGB Rz. 1. 3 Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, § 133 HGB Rz. 1; Schäfer in Staub, § 133 HGB Rz. 5. 4 BGH v. 24.1.1974 – II ZR 158/72, WM 1974, 318, 319; Schäfer in Staub, § 133 HGB Rz. 6; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1653 (Stand: 84. EL 9/ 2022); Lorz in E/B/J/S, § 133 HGB Rz. 5; s. aber K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 6 III 2, S. 149. 5 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 133 HGB Rz. 5. 6 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 133 HGB Rz. 5; folgend etwa OLG Stuttgart v. 27.1.2014 – 14 W 15/13, juris Rz. 10; Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, § 133 HGB Rz. 3; Lorz in E/B/J/S, § 133 HGB Rz. 5. 7 Allg. hierzu Böttcher in Erman, § 314 BGB Rz. 4 ff.; Gaier in MünchKomm/BGB, § 314 BGB Rz. 21 ff. Richter | 1003
§ 139 HGB Rz. 5 | Offene Handelsgesellschaft
1. Fristlose Beendigung der (Vertrags-)Beziehung 5 Für die Frage, wann eine fristlose Beendigung der gesellschaftsvertraglichen Beziehungen
möglich sein soll, nennt das Gesetz in Abs. 1 Satz 2 beispielhaft wichtige Gründe. Hiernach kann ein wichtiger Grund insbesondere dann angenommen werden, wenn ein anderer (als der die Auflösung betreibende) Gesellschafter seine gesellschaftsvertraglichen Pflichten vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat.8 Auch wenn die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtung für den Mitgesellschafter unmöglich geworden ist (etwa durch dauerhafte Arbeitsunfähigkeit) liegt – grds. unabhängig vom Verschulden – ein wichtiger Grund vor.9 Diese beispielhaft genannten Umstände rechtfertigen es, die gesellschaftsvertragliche Beziehung zwischen den Gesellschaftern fristlos zu beenden – allerdings nicht unbedingt durch Auflösung der Gesellschaft: Das Gesetz knüpft an diese (wortgleich beschriebenen) Umstände auch das Recht zur Austrittskündigung (§ 132 Abs. 2 Satz 2 HGB, s. hierzu § 132 HGB Rz. 7 f.) sowie die Möglichkeit, die Ausschließung eines (Mit-)Gesellschafters klageweise zu erwirken (§ 134 Satz 2 HGB, s. hierzu § 134 HGB Rz. 5 f.).10 Die Entscheidung zwischen diesen Möglichkeiten richtet sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Rz. 7 f.). 6 Die für die Auflösungsklage maßgeblichen Umstände betreffen das Verhältnis der Gesell-
schafter untereinander und deren gegenläufigen Interessen: Zu berücksichtigen sind etwa Art, Zweck und (bisherige sowie geplante) Dauer der Gesellschaft, etwaige (ordentliche) Kündigungsmöglichkeiten, die Bedeutung und die Intensität der persönlichen Zusammenarbeit der Gesellschafter und die Frage, wie sich die Gesellschafterbeziehungen voraussichtlich entwickeln werden.11 Allein die Tatsache, dass das persönliche Vertrauensverhältnis zwischen den Gesellschaftern zerstört ist,12 rechtfertigt nicht unbedingt die Gesellschaftsauflösung, wenn und weil mildere Mittel zur Lösung des Konflikts zur Verfügung stehen (s. zur Frage der Verhältnismäßigkeit Rz. 7). Keine Relevanz im Rahmen der Prüfung des § 139 Abs. 1 HGB haben gesellschaftsexterne Interessen, etwa von Arbeitnehmern, Gläubigern oder der Öffentlichkeit.13
2. Verhältnismäßigkeit der Gesellschaftsauflösung 7 Das zweite materiellrechtliche Element der Auflösungsklage ergibt sich aus dem Prinzip der
Verhältnismäßigkeit: Das Gesetz geht (nunmehr bei allen Personengesellschaften)14 vom Grundsatz der Verbandskontinuität aus und ordnet aus diesem Grunde die Auflösung und
8 Eingehend hierzu Schäfer in Staub, § 133 HGB Rz. 23 ff.; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1641 ff. (Stand: 84. EL 9/2022); Lorz in E/B/J/S, § 133 HGB Rz. 17 f. 9 S. hierzu Schäfer in Staub, § 133 HGB Rz. 28 ff.; Lorz in E/B/J/S, § 133 HGB Rz. 14; Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, § 133 HGB Rz. 14. 10 Zur weitgehend parallelen Regelung des § 731 Abs. 1 BGB stellt auch der Gesetzgeber klar, dass die Voraussetzungen der Auflösung aus wichtigem Grund „insoweit durchaus dieselben [sind] wie bei einer außerordentlichen Kündigung der Mitgliedschaft aus wichtigem Grund“ (Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 179). 11 Schäfer in Staub, § 133 HGB Rz. 11; Lorz in E/B/J/S, § 133 HGB Rz. 6 f. 12 Vgl. hingegen noch BGH v. 30.11.1951 – II ZR 109/51, BGHZ 4, 108; hierzu auch Kamanabrou in Oetker, § 133 HGB Rz. 6. 13 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 133 HGB Rz. 11; Schäfer in Staub, § 133 HGB Rz. 12. 14 Durch das MoPeG wurde der Grundsatz „Ausscheiden vor Auflösung“ auch im Recht der GbR normiert, s. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 107, 169; vgl. auch § 730 BGB Rz. 1, bzgl. der Auflösung aus wichtigem Grund § 731 BGB Rz. 5.
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Auflösung durch gerichtliche Entscheidung | Rz. 9 § 139 HGB
Abwicklung der Gesellschaft als ultima ratio ein.15 Kann man den Interessen der betroffenen Gesellschafter durch andere, weniger schwerwiegende Maßnahmen gerecht werden, so kommt eine Auflösung grundsätzlich nicht in Betracht. So sieht der Gesetzgeber insbesondere die Kündigung der Mitgliedschaft („allgemeines Austrittsrecht“, § 132 HGB Rz. 9 f.) als milderes Mittel gegenüber einer Auflösungsklage an.16 Je nach Konstellation wäre die Möglichkeit der Austrittskündigung deshalb vorrangig und stünde der Begründetheit einer Auflösungsklage entgegen; statt einer Auflösung könnte es etwa möglich sein, die Konfliktlage durch Ausschließung eines störenden Gesellschafters gem. § 134 HGB,17 durch die Entziehung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse (§ 116 HGB Rz. 29 f.)18 oder durch eine Anpassung des Gesellschaftsvertrags zu lösen.19 Die dargestellte Subsidiarität der Auflösung(sklage) wird zum Teil als unbedingter Nachrang 8 eingeordnet.20 Dies darf jedoch nicht zur der Annahme führen, dass sich der die Auflösung begehrende Gesellschafter stets auf alternative (Lösungs-)Möglichkeiten verweisen lassen müsse. Wie das Gesetz nunmehr ausdrücklich betont, ist die Gesellschaftsauflösung angebracht (und damit auch nicht subsidiär), wenn dem betroffenen Gesellschafter die Fortsetzung der Gesellschaft nicht zuzumuten ist. Dabei ist, so der Gesetzgeber, stets in Blick zu nehmen, welche konkreten Rechtsfolgen mit den jeweils möglichen Maßnahmen für die betroffenen Gesellschafter verbunden sind.21 Wenn nach umfassender Abwägung der drohenden (Rechts-)Folgen und der Interessen aller Beteiligten davon auszugehen ist, dass allein die vollständige Beendigung der Gesellschaft als effektive, zumutbare Maßnahme in Betracht kommt, ist die Auflösungsklage nicht nachrangig im Verhältnis zu anderen (ebenfalls möglichen) Lösungsmöglichkeiten.22 Zudem ist die grundsätzliche Subsidiarität dispositiv; der Nachrang kann also durch gesellschaftsvertragliche Regelung (ggf. unter bestimmten Voraussetzungen) abbedungen werden.
3. Konkrete wichtige Auflösungsgründe Als wichtigen Grund für die Auflösung (aber auch für Austritt, § 132 HGB Rz. 8, und Aus- 9 schluss, § 134 HGB Rz. 5) nennt das Gesetz beispielhaft die vorsätzliche oder grob fahrlässige Pflichtverletzung eines Gesellschafters und die Unmöglichkeit seiner Pflichterfüllung (Abs. 1 Satz 2, Rz. 5). Daneben kommt – bei Unzumutbarkeit der Gesellschaftsfortsetzung (Rz. 8) – eine Auflösung aus weiteren personenbezogenen Gründen in Betracht,23 bspw. bei tiefgreifender Zerrüttung des Vertrauensverhältnis der Gesellschafter,24 bei einem (objektiv begrün-
15 S. hierzu sowie zum Kontinuitätsprinzip Schäfer in Staub, § 131 HGB Rz. 2 ff., § 133 HGB Rz. 4, 13; umfassend, auch zur Entwicklung Klein-Wiele, Verhältnismäßigkeit und ultima ratio, 2016, S. 36 ff., 45 ff. 16 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 244. 17 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1640d ff. (Stand: 84. EL 9/2022); s. auch § 134 HGB Rz. 6. 18 S. hierzu bereits BGH v. 29.1.1968 – II ZR 126/66, JR 1969, 339, 341; Lorz in E/B/J/S, § 133 HGB Rz. 10. 19 S. auch die Einschätzung des Gesetzgebers zu der (insoweit parallelen) Regelung in § 731 Abs. 1 BGB, Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 179. 20 Lorz in E/B/J/S, § 133 HGB Rz. 12. 21 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 179 zur (insoweit parallelen) Regelung in § 731 Abs. 1 BGB. 22 Vgl. hierzu auch Butzer/Knof in MünchHdb. GesR I, § 83 Rz. 22. 23 Umfassend hierzu K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 133 HGB Rz. 19 ff. 24 BGH v. 21.11.2005 – II ZR 367/03, ZIP 2006, 127, 128 Rz. 13 (zur GbR); K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 133 HGB Rz. 27. Richter | 1005
§ 139 HGB Rz. 9 | Offene Handelsgesellschaft deten) Verdacht der Unredlichkeit25 oder (in Ausnahmefällen) bei einem Verhalten im Privatbereich, das sich unmittelbar gesellschaftsschädigend auswirkt.26 Vor der Reform des Personengesellschaftsrechts war umstritten, ob der Eintritt der Volljährigkeit eines zunächst minderjährigen Gesellschafters einen wichtigen Auflösungsgrund darstellt; dies war im Recht der GbR angeordnet und sollte nach Sicht des früheren Gesetzgebers auch auf das Handelsrecht ausstrahlen.27 Diese Sicht hatte deutliche Kritik ausgelöst, vorgeschlagen wurde, in diesem Fall (lediglich) ein Austrittsrecht anzuerkennen;28 der Streit hat sich mit dem MoPeG jedoch erübrigt: Nunmehr sieht § 132 Abs. 4 HGB für diese Konstellation ausdrücklich ein Recht zur Austrittskündigung vor (§ 132 HGB Rz. 11; s. zur GbR § 725 BGB Rz. 17). 10 Auch gesellschaftsbezogene Gründe können die Auflösung rechtfertigen. Wichtig ist ins-
besondere die Fehlerhaftigkeit einer in Vollzug gesetzten Gesellschaft (§ 705 BGB Rz. 29). Der dem Gesellschaftsvertrag anhaftende Mangel stellt in aller Regel einen wichtigen Grund i.S.d. § 139 Abs. 1 HGB dar; dies gilt nur dann nicht, wenn der Fehler zum Zeitpunkt der Auflösungsklage (in der letzten mündlichen Verhandlung) nicht mehr fortbesteht oder eine Geltendmachung ausnahmsweise treuwidrig ist.29 Dass die Fehlerhaftigkeit aber, wie z.T. angenommen,30 per se zur Begründetheit der Auflösungsklage führt, wird mit guten Gründen bestritten:31 Als Reaktion auf die Fehlerhaftigkeit kommt – je nach Fehler und Situation – u.U. auch eine Ausschließungsklage oder eine Austrittskündigung in Betracht. In diesem Fall ist, wie stets, zu prüfen, ob die (grds. nachrangige, Rz. 7) Gesellschaftsauflösung verhältnismäßig ist.32 11 Wird der Zweck, zu dem die Gesellschaft errichtet wurde, erreicht oder ist seine Erreichung
unmöglich geworden, so werden Personenhandelsgesellschaften – anders als die GbR, § 729 Abs. 2 BGB – nicht ipso iure aufgelöst (§ 138 HGB Rz. 25). Vielmehr können Zweckerreichung und -unmöglichkeit wichtige Auflösungsgründe i.S.d. § 139 Abs. 1 HGB darstellen, die im Klagewege geltend gemacht werden können.33 Zum Teil wird bestritten, dass bei den unter § 139 HGB fallenden Gesellschaften eine Zweckerreichung überhaupt eintreten kann; diese sei nur bei Gelegenheitsgesellschaften denkbar, die stets als GbR verfasst seien.34 Die
25 BGH v. 17.12.1960 – II ZR 32/59, BGHZ 31, 295; Schäfer in Staub, § 133 HGB Rz. 25. 26 BGH v. 9.11.1972 – II ZR 30/70, BB 1973, 61; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1647 ff. (Stand: 84. EL 9/2022); K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 133 HGB Rz. 34. 27 Begr. RegE MHbeG, BT-Drucks. 13/5624, 10. 28 S. hierzu Schäfer in Staub, § 133 HGB Rz. 31 ff.; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1652 (Stand: 84. EL 9/2022). Auch der MoPeG-Gesetzgeber ging offenbar davon aus, dass der Eintritt der Volljährigkeit im Handelsrecht auch vor der Reform lediglich ein Recht zur außerordentlichen Kündigung „mit der Folge des Ausscheidens“ begründet (Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 244). 29 Schäfer in Staub, § 105 HGB Rz. 336, 350; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 133 HGB Rz. 15; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1653 (Stand: 84. EL 9/2022). 30 BGH v. 24.10.1951 – II ZR 18/51, BGHZ 3, 285 Ls. 1; Klöhn in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 133 HGB Rz. 24; vgl. auch die Darstellung bei Klimke in BeckOK/HGB, § 105 HGB Rz. 237 (Stand: 39. Ed. 15.1.2023). 31 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 133 HGB Rz. 15; Fleischer in MünchKomm/HGB, § 105 HGB Rz. 508 f. 32 Fleischer in MünchKomm/HGB, § 105 HGB Rz. 508 f.; Lieder in Oetker/HGB, § 105 Rz. 117a. 33 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 246; BGH v. 12.5.1977 – II ZR 89/75, BGHZ 160, 162 ff.; Schäfer in Staub, § 133 HGB Rz. 35; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1654 (Stand: 84. EL 9/2022); zum Verhältnis zu § 275 BGB Sharei, NZG 2023, 200, 206 ff. 34 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 133 HGB Rz. 16; zustimmend Klöhn in Henssler/ Strohn, Gesellschaftsrecht, § 133 HGB Rz. 26.
1006 | Richter
Auflösung durch gerichtliche Entscheidung | Rz. 13 § 139 HGB
gegenteilige Sicht der herrschenden Meinung35 wird durch die Änderungen des MoPeG gestützt.36 Praktisch deutlich wichtiger ist jedoch ohnehin der Fall der Unerreichbarkeit des Gesellschaftszwecks. Eine Auflösungsklage kommt in Betracht, wenn die Zweckerreichung offenbar und dauerhaft unmöglich ist;37 notwendig ist zudem, dass es auch nicht möglich ist, den Gesellschaftszweck in zumutbarer Weise zu ändern und so Abhilfe zu schaffen.38 Wichtigster Fall ist die dauerhafte Unrentabilität der gesellschaftlichen Unternehmung; diese liegt nicht schon dann vor, wenn zeitweise Verluste verursacht werden, sondern erst, wenn bei objektiver Betrachtung langfristig nicht mit einer Gewinnerzielung gerechnet werden kann.39
III. Prozessuale Geltendmachung durch Klage Die gerichtliche Auflösungsentscheidung (Rz. 17) ergeht „auf Antrag eines Gesellschafters“, 12 der wichtige Grund wird also durch eine Gestaltungsklage geltend gemacht. Die Möglichkeit, die Auflösung durch einseitige (Kündigungs-)Erklärung herbeizuführen, besteht im Handelsrecht, anders als im Recht der GbR (§ 731 BGB Rz. 8), grds. nicht; eine gesellschaftsvertraglich abweichende Regelung ist jedoch unproblematisch möglich (Rz. 21). Eine Auflösungs- und eine Ausschließungsklage (§ 134 HGB Rz. 1) können gleichzeitig erhoben werden, wobei es häufig naheliegt, die Ausschließung hilfsweise zu beantragen; nicht selten wird die Auflösung bei einem möglichen Gesellschafterausschluss unverhältnismäßig erscheinen.40 Ein Wechsel von Auflösungs- zu Ausschließungsbegehren stellt eine Klageänderung dar; ebenso die vollständige Auswechselung des geltend gemachten „wichtigen Grundes“.41
1. Prozessrollen- und Beweislastverteilung Die Klägerrolle wird nach § 139 Abs. 1 Satz 1 HGB dem auflösungswilligen Gesellschafter 13 zugewiesen; Dritte oder ehemalige Gesellschafter sind nicht klagebefugt. Bei der KG können auch die Kommanditisten klagen; bei einer GmbH & Co. KG auch die GmbH, nicht aber deren Gesellschafter.42 Wird die Auflösungsklage von mehreren Gesellschaftern erhoben, liegt ein Fall notwendiger Streitgenossenschaft (§ 62 Abs. 1 Alt. 1 ZPO) vor.43 Mit der Klägerrolle wird dem auflösungswilligen Gesellschafter, anders als bei einer GbR, die Last aufgebürdet, ein Auflösungsurteil zu erwirken.44 Er trägt den allgemeinen Grundsätzen entspre35 Neben den in der vorvorherigen Fn. Genannten etwa Schäfer in Staub, § 133 HGB Rz. 35; Kindler in Koller/Kindler/Roth/Drüen, § 133 HGB Rz. 2. 36 Insbesondere die Tatsache, dass BGB und HGB nunmehr sehr weitgehend parallel ausgestaltet wurden und auch die GbR dem Leitbild der Dauer- und nicht der Gelegenheitsgesellschaft folgt (s. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 105, 107), spricht dafür, dass (hier wie dort) die Vereinbarung eines erreichbaren Zieles möglich ist und § 139 HGB deshalb u.U. einschlägig sein kann. 37 BGH v. 12.7.1982 – II ZR 157/81, BGHZ 84, 379, 381 = ZIP 1982, 1070 (zur GbR); Schäfer in Staub, § 133 HGB Rz. 35; Kindler in Koller/Kindler/Roth/Drüen, § 133 HGB Rz. 2. 38 Schäfer in Staub, § 133 HGB Rz. 35. 39 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 133 HGB Rz. 17; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1656 (Stand: 84. EL 9/2022); Schäfer in Staub, § 133 HGB Rz. 37. 40 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1658 f. (Stand: 84. EL 9/2022). 41 Klöhn in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 133 HGB Rz. 34; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 133 HGB Rz. 54. 42 Lorz in E/B/J/S, § 133 HGB Rz. 12; Schäfer in Staub, § 133 HGB Rz. 51. 43 BGH v. 15.6.1959 – II ZR 44/58, BGHZ 30, 195, 197 (allerdings für Alt. 2); Schäfer in Staub, § 133 HGB Rz. 51; Lehmann-Richter in BeckOK/HGB, § 131 HGB Rz. 22 (Stand: 39. Ed. 15.1.2023). 44 Noack in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, § 9 Rz. 36. Richter | 1007
§ 139 HGB Rz. 13 | Offene Handelsgesellschaft chend die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines wichtigen Grundes und grds. auch für die Verhältnismäßigkeit (Rz. 7) der Auflösung.45 Allerdings wird den Beklagten hinsichtlich der Frage, ob ein milderes, zumutbares Mittel vorliegt (Rz. 7), die sekundäre Darlegungslast auferlegt.46 14 Damit unterscheidet sich die prozessuale Lage bei einer Auflösungsklage diesbzgl. weniger
drastisch von der Situation einer zwischen den Gesellschaftern umstrittenen Auflösungskündigung bei einer GbR: Zwar kann dort der wichtige Grund gem. § 731 Abs. 1 Satz 1 BGB durch einfache Kündigungserklärung geltend gemacht und die Auflösung so eo ipso herbeigeführt werden; ist das Vorliegen des wichtigen Grundes oder die Verhältnismäßigkeit der Kündigung jedoch umstritten, so muss der die Auflösung behauptende Gesellschafter eine Feststellungsklage erheben. Wie bei einer Klage nach § 139 Abs. 1 HGB auch, trägt der auflösungswillige Kläger die Beweislast für die die Auflösung rechtfertigenden Umstände; hinsichtlich eines zur Verfügung stehenden milderen Mittels trifft jedoch die Beklagten u.U. die sekundäre Darlegungslast.47 15 Die Auflösungsklage ist gegen die Mitgesellschafter zu richten, so dass bei Beklagtenmehr-
heit ein Fall notwendiger Streitgenossenschaft (§ 62 Abs. 1 Alt. 2 ZPO) vorliegt.48 Die Gesellschaft selbst ist nur dann taugliche Beklagte, wenn dies im Gesellschaftsvertrag (als Prozessführungsermächtigung) so vorgesehen ist;49 insbesondere bei Publikumsgesellschaften ist eine derartige Gestaltung typisch und angeraten. Für derartige Konstellationen wird vielfach, wenn auch relativ zurückhaltend, für eine entsprechende Möglichkeit auch ohne vertragliche Regelung plädiert;50 überzeugend ist dies jedoch nur insoweit, als sich die Prozessführungsermächtigung durch (Vertrags-)Auslegung begründen lässt.51 Grundsätzlich sind alle Mitgesellschafter zu verklagen, die nicht selbst auf Klägerseite die Auflösung begehren, so dass der Prozess letztlich unter Beteiligung aller Gesellschafter zu führen wäre. Nach herrschender, aber bestrittener Meinung müssen jedoch solche Gesellschafter nicht verklagt und damit prozessual nicht beteiligt werden, die sich bereits außergerichtlich und bindend mit der Auflösung einverstanden erklärt haben.52
2. Das Gericht und seine Entscheidung 16 Die gerichtliche Zuständigkeit folgt – anders als bei der Anfechtungsklage (§ 110 Abs. 1,
§ 113 HGB) – den allgemeinen Regeln; es besteht keine ausschließliche Zuständigkeit. Während der Gesetzgeber das MoPeG zum Anlass nahm, um mit Blick auf die Beschlussanfech-
45 Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, § 133 HGB Rz. 17; Schäfer in Staub, § 133 HGB Rz. 5. 46 OLG Stuttgart v. 26.2.2014 – 14 U 14/13, juris Rz. 75; Klöhn in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 133 HGB Rz. 42. 47 So auch die Vorstellung des Gesetzgebers, Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 180. 48 BGH v. 15.6.1959 – II ZR 44/58, BGHZ 30, 197, 197; Schäfer in Staub, § 133 HGB Rz. 52; Althammer in Zöller, § 62 ZPO Rz. 20. 49 Schäfer in Staub, § 133 HGB Rz. 49 f.; Lorz in E/B/J/S, § 133 HGB Rz. 35; a.A. Schwab, Prozessrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2004, S. 633 ff. 50 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 133 HGB Rz. 52 m.w.N.; Lorz in E/B/J/S, § 133 HGB Rz. 35. 51 Mit Hinweis auf den Auslegungsweg auch Schäfer in Staub, § 133 HGB Rz. 50; s. auch die Kritik bei Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1632 (Stand: 84. EL 9/2022). 52 BGH v. 15.9.1997 – II ZR 97/96, ZIP 1997, 1919; Schäfer in Staub, § 133 HGB Rz. 53 f.; Klöhn in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 133 HGB Rz. 37; mit überzeugenden Gründen a.A. K. Schmidt, Mehrseitige Gestaltungsprozesse, 1992, S. 65 ff.; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 133 HGB Rz. 50.
1008 | Richter
Auflösung durch gerichtliche Entscheidung | Rz. 19 § 139 HGB
tung das LG am Gesellschaftssitz für ausschließlich zuständig zu erklären, weil dieses (und insbesondere die dortigen Kammern für Handelssachen) über ein entsprechendes Spezialwissen verfügte (§ 113 HGB Rz. 19),53 wurde für die Auflösungsklage nach § 139 HGB keine derartige Regelung vorgesehen. Sachlich zuständig ist mithin abhängig vom Streitwert das Amts- oder das LG (§§ 23, 71 GVG); der maßgebliche Streitwert richtet sich nach dem Interesse des Klägers an der Gesellschaftsauflösung, also i.d.R. nach seiner Beteiligung und ist nach gerichtlichem Ermessen gem. § 3 ZPO festzusetzen.54 Örtliche Zuständigkeit besteht sowohl am Gerichtstand der Gesellschaft (§ 22 ZPO) und der beklagten Mitgesellschafter (§ 12, 13 ZPO) als auch am Gerichtsstand des Erfüllungsortes (§ 29 ZPO).55 Anders als der Wortlaut von § 139 Abs. 1 Satz 1 HGB nahezulegen scheint (Auflösung „kann 17 […] ausgesprochen werden“), besteht hinsichtlich der Auflösungsentscheidung kein gerichtliches Ermessen;56 ist die Auflösungsklage zulässig und begründet (insb. Rz. 3 ff.), muss das Gericht die Auflösung der Gesellschaft aussprechen. Diese Entscheidung ergeht als Gestaltungsurteil, das im Moment der formellen Rechtskraft seine Auflösungswirkung entfaltet, ohne dass es einer weiteren (Vollstreckungs-)Handlung bedürfte.57 Neben der gestaltenden Auflösungswirkung entfaltet das Urteil zwischen den Parteien auch materielle Rechtskraft, so dass etwa das (Nicht-)Vorliegen der geltend gemachten Auflösungsgründe rechtskräftig festgestellt wird.58 Durch die rechtskräftige Auflösungsentscheidung wird ein endgültiger Zustand herbeige- 18 führt, so dass eine entsprechende Entscheidung mittels einstweiliger Verfügung, durch die die Hauptsache notwendig vorweggenommen würde, nicht möglich ist.59 Ggf. notwendig und auch zulässig ist es jedoch, zwischenzeitlich einstweilige („verfahrensbegleitende“) Regelungsverfügungen zum Schutz der Gesellschaft zu erlassen.60
IV. Vertragliche Gestaltung (Abs. 2) § 139 Abs. 2 HGB stellt klar, dass das Recht des Gesellschafters, aus wichtigem Grund die 19 Gesellschaftsauflösung verlangen zu können, nicht durch gesellschaftsvertragliche Regelung ausgeschlossen oder wider Abs. 1 beschränkt werden kann. Regelungen hinsichtlich der Frage, was einen wichtigen Grund ausmachen und wie dieser geltend zu machen sein soll, sind zwar möglich (Rz. 21). Auch kann (wenn auch nur deklaratorisch) ein Vorrang der Austrittskündigung vorgesehen werden. Liegen jedoch die materiellen Voraussetzungen für ein Auflösungsurteil vor (Rz. 3 ff.), ist also dem betroffenen Gesellschafter auch unter Beachtung möglicher milderer Mittel die Fortsetzung der Gesellschaft nicht zuzumuten, so hat er das unentziehbare Recht die Auflösung der Gesellschaft zu verlangen.61 Zur Verwirklichung dieses Rechts kann der Gesellschaftsvertrag einen einfacheren Weg als die Klage vorsehen, so
53 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 232 f.; hinter der Regelung des § 113 Abs. 1 HGB stehen jedoch zudem auch prozessökonomische Überlegungen sowie das Anliegen, divergierende Entscheidungen zu vermeiden. 54 OLG Köln v. 22.6.1982 – 2 W 79/82, ZIP 1982, 1006; Schäfer in Staub, § 133 HGB Rz. 59. 55 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 133 HGB Rz. 45; Schäfer in Staub, § 133 HGB Rz. 58. 56 RG v. 23.11.1928 – II 221/28, RGZ 122, 312, 314; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 133 HGB Rz. 58 m.w.N. 57 Schäfer in Staub, § 133 HGB Rz. 64 f.; Lorz in E/B/J/S, § 133 HGB Rz. 40. 58 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 133 HGB Rz. 64. 59 Schäfer in Staub, § 133 HGB Rz. 63; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 133 HGB Rz. 60. 60 S. hierzu mit möglichen Regelungsinhalten Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1660 (Stand: 84. EL 9/2022). 61 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1664 f. (Stand: 84. EL 9/2022). Richter | 1009
§ 139 HGB Rz. 19 | Offene Handelsgesellschaft dass ein Vorgehen nach § 139 Abs. 1 HGB nicht notwendig und die Auflösungsklage deshalb mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig wäre. Anderenfalls ist jedoch ein Vorgehen nach § 139 Abs. 1 HGB stets möglich. 20 Durch § 139 Abs. 2 HGB werden jedoch nur zukunftsbezogene Vertragsregelungen ein-
geschränkt; sind bereits Umstände eingetreten, die zur Auflösungsklage berechtigen, so bleibt es den Gesellschaftern weiterhin unbenommen, keinen Gebrauch von der Klagemöglichkeit zu machen. Ist die Klage bereits erhoben, steht § 139 Abs. 2 HGB einer Rücknahme oder einem Vergleich nicht im Wege.62 21 Von § 139 Abs. 2 HGB unberührt bleibt die Möglichkeit, die (formellen oder materiellen)
Hürden für eine Auflösung durch vertragliche Regelungen abzusenken. So kann etwa vertraglich geregelt werden, was als „wichtiger Grund“ i.S.d. § 139 Abs. 1 HGB zu verstehen ist, wenn hierdurch das Klagerecht erweitert und nicht entgegen Abs. 2 beschränkt wird.63 Umstände die im Normalfall lediglich eine Austrittskündigung tragen würden, können so zu Auflösungsgründen gemacht werden. Zudem können die prozessualen Voraussetzungen für die Durchsetzung des Auflösungsrechts durch vertragliche Gestaltung modifiziert werden. Statt der Klagenotwendigkeit kann etwa, angelehnt an das Recht der GbR (§ 731 BGB Rz. 1), die Möglichkeit einer Auflösungskündigung aus wichtigem Grund vorgesehen werden.64 Zulässig sind auch gestaltende Vorgaben zum gerichtlichen Verfahren, etwa zu der Prozessführungsbefugnis oder zur gerichtlichen Zuständigkeit (Rz. 16) sowie Schieds- und Mediationsklauseln.65
§ 140 HGB Auflösungsbeschluss Hat nach dem Gesellschaftsvertrag die Mehrheit der Stimmen zu entscheiden, muss ein Beschluss, der die Auflösung der Gesellschaft zum Gegenstand hat, mit einer Mehrheit von mindestens drei Viertel der abgegebenen Stimmen gefasst werden. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Auflösungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vertragliche Mehrheitsklausel . . . . . . . . . III. Bestimmung von Mehrheit und Stimmgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Folgen des (fehlerhaften) Auflösungsbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Auflösungsbeschluss 1 Die Gesellschafter können ihre gesellschaftsvertraglichen Beziehungen grds. frei gestalten
und deshalb auch die Beendigung der Gesellschaft durch Auflösungsvertrag oder -beschluss 62 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 133 HGB Rz. 67; Lorz in E/B/J/S, § 133 HGB Rz. 28 f., 42. 63 Klöhn in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 133 HGB Rz. 44. 64 BGH v. 30.3.1967 – II ZR 102/65, BGHZ 47, 293, 302; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 133 HGB Rz. 69; Lorz in E/B/J/S, § 133 HGB Rz. 46. 65 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 133 HGB Rz. 69; Kindler in Koller/Kindler/Roth/ Drüen, § 133 HGB Rz. 4.
1010 | Richter
§ 139 HGB Rz. 19 | Offene Handelsgesellschaft dass ein Vorgehen nach § 139 Abs. 1 HGB nicht notwendig und die Auflösungsklage deshalb mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig wäre. Anderenfalls ist jedoch ein Vorgehen nach § 139 Abs. 1 HGB stets möglich. 20 Durch § 139 Abs. 2 HGB werden jedoch nur zukunftsbezogene Vertragsregelungen ein-
geschränkt; sind bereits Umstände eingetreten, die zur Auflösungsklage berechtigen, so bleibt es den Gesellschaftern weiterhin unbenommen, keinen Gebrauch von der Klagemöglichkeit zu machen. Ist die Klage bereits erhoben, steht § 139 Abs. 2 HGB einer Rücknahme oder einem Vergleich nicht im Wege.62 21 Von § 139 Abs. 2 HGB unberührt bleibt die Möglichkeit, die (formellen oder materiellen)
Hürden für eine Auflösung durch vertragliche Regelungen abzusenken. So kann etwa vertraglich geregelt werden, was als „wichtiger Grund“ i.S.d. § 139 Abs. 1 HGB zu verstehen ist, wenn hierdurch das Klagerecht erweitert und nicht entgegen Abs. 2 beschränkt wird.63 Umstände die im Normalfall lediglich eine Austrittskündigung tragen würden, können so zu Auflösungsgründen gemacht werden. Zudem können die prozessualen Voraussetzungen für die Durchsetzung des Auflösungsrechts durch vertragliche Gestaltung modifiziert werden. Statt der Klagenotwendigkeit kann etwa, angelehnt an das Recht der GbR (§ 731 BGB Rz. 1), die Möglichkeit einer Auflösungskündigung aus wichtigem Grund vorgesehen werden.64 Zulässig sind auch gestaltende Vorgaben zum gerichtlichen Verfahren, etwa zu der Prozessführungsbefugnis oder zur gerichtlichen Zuständigkeit (Rz. 16) sowie Schieds- und Mediationsklauseln.65
§ 140 HGB Auflösungsbeschluss Hat nach dem Gesellschaftsvertrag die Mehrheit der Stimmen zu entscheiden, muss ein Beschluss, der die Auflösung der Gesellschaft zum Gegenstand hat, mit einer Mehrheit von mindestens drei Viertel der abgegebenen Stimmen gefasst werden. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Auflösungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vertragliche Mehrheitsklausel . . . . . . . . . III. Bestimmung von Mehrheit und Stimmgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Folgen des (fehlerhaften) Auflösungsbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Auflösungsbeschluss 1 Die Gesellschafter können ihre gesellschaftsvertraglichen Beziehungen grds. frei gestalten
und deshalb auch die Beendigung der Gesellschaft durch Auflösungsvertrag oder -beschluss 62 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 133 HGB Rz. 67; Lorz in E/B/J/S, § 133 HGB Rz. 28 f., 42. 63 Klöhn in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 133 HGB Rz. 44. 64 BGH v. 30.3.1967 – II ZR 102/65, BGHZ 47, 293, 302; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 133 HGB Rz. 69; Lorz in E/B/J/S, § 133 HGB Rz. 46. 65 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 133 HGB Rz. 69; Kindler in Koller/Kindler/Roth/ Drüen, § 133 HGB Rz. 4.
1010 | Richter
Auflösungsbeschluss | Rz. 4 § 140 HGB
herbeiführen; deklaratorisch klargestellt wird dies durch § 138 Abs. 1 Nr. 4 HGB (§ 138 HGB Rz. 11). Nach allgemeinem Vertragsrecht, aber auch nach § 109 HGB, der die Gesellschafterbeschlussfassung regelt, bedarf eine derartige Entscheidung grds. der Zustimmung aller Vertragsparteien. Sind sich alle Gesellschafter einig darüber, dass die werbende zu einer Liquidationsgesellschaft werden soll, ist die privatautonom bewirkte Auflösung stets möglich. Ausweislich der Regelung des § 140 HGB, die durch das MoPeG geschaffen wurde, kann der Gesellschaftsvertrag abweichend vom Einstimmigkeitsgrundsatz auch eine Mehrheitsklausel vorsehen; bei einer solchen Vertragsregelung könnte die Auflösung auch gegen den Willen einzelner opponierender Mitgesellschafter per Mehrheitsentscheidung beschlossen werden. Um dem besonders ausgeprägten Schutzbedürfnis der Gesellschafter bei dieser Grundlagen- 2 entscheidung Rechnung zu tragen,1 hat der MoPeG-Gesetzgeber für den Auflösungsbeschluss in § 140 HGB ein Mindestquorum (Rz. 3) von 75 % zwingend angeordnet (inhaltsgleich für die GbR in § 732 BGB). Auch wenn sich die Norm ausdrücklich nur auf den Auflösungsbeschluss bezieht, umfasst sie auch entsprechende Änderungen des Gesellschaftsvertrags. Soll etwa eine Auflösungsklausel nach § 138 Abs. 1 Nr. 1 HGB (§ 138 HGB Rz. 5) neu aufgenommen werden, fällt die Beschlussfassung unter die Mehrheitsklausel und damit unter § 140 HGB.2
II. Vertragliche Mehrheitsklausel Ein Auflösungsbeschluss qua Mehrheitsentscheid setzt, wie § 140 HGB klarstellt, eine ent- 3 sprechende gesellschaftsvertragliche Klausel voraus, nach der ein (Auflösungs-)Beschluss mit der Mehrheit der Stimmen ergehen kann („formelle Legitimation“). Möglich, aber nicht notwendig ist dabei, dass der Vertrag eine konkrete, speziell auf die Auflösung bezogene Klausel vorsieht: Auch eine allgemeine Mehrheitsklausel ist taugliche Grundlage für einen Auflösungsbeschluss, gerade weil hier der spezielle Schutz des § 140 HGB besteht.3 Trifft die vertragliche Klausel keine genauere Vorgabe zur notwendigen Mehrheit, so käme der Beschluss nach allgemeinen Grundsätzen mit einfacher Stimmenmehrheit zustande (§ 109 HGB Rz. 22). Hiervon abweichend ordnet § 140 HGB jedoch zwingend an, dass der Auflösungsbeschluss mit einer Mehrheit von mindestens drei Viertel der abgegebenen Stimmen gefasst werden muss. Weil hiermit nur eine Untergrenze vorgegeben wird, kann vertraglich auch eine höhere Quote vorgesehen werden; möglich wäre es etwa, im Gesellschaftsvertrag eine allgemeine Mehrheitsklausel aufzunehmen und speziell für den Auflösungsbeschluss Einstimmigkeit vorzusehen. Sieht der Gesellschaftsvertrag hingegen eine niedrigere Zustimmungsquote als 75 % vor, so ist dies unerheblich, aber auch unschädlich.
III. Bestimmung von Mehrheit und Stimmgewicht § 140 HGB setzt für den wirksamen Auflösungsbeschluss voraus, dass dieser mit drei Viertel 4 der abgegebenen Stimmen gefasst wurde. Aus dieser Formulierung folgt zunächst, dass
1 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 180, 246. 2 Näher diesbzgl. zum alten Recht K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 131 HGB Rz. 16. 3 So ausdrücklich der MoPeG-Gesetzgeber: Die Norm stelle „als Spezialregelung klar, dass für den Auflösungsbeschluss auch eine allgemeine Mehrheitsklausel taugt“, Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/ 27635, 180 zur entsprechenden Regelung des § 732 BGB (mit Verweis hierauf, S. 246); s. auch Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1603a (Stand: 84. EL 9/2022); kritisch Heckschen/Nolting, BB 2021, 2946, 2951 f.; umfassend zu dieser Frage nach früherem Recht OLG Karlsruhe v. 27.4.2022 – 6a U 1/21, juris Rz. 67 ff. = ZIP 2022, 1709. Richter | 1011
§ 140 HGB Rz. 4 | Offene Handelsgesellschaft nicht die qualifizierte Mehrheit aller Gesellschafter zustimmen muss, sondern dass lediglich drei Viertel der tatsächlich abgegebenen und wirksamen Stimmen für die Auflösung votiert haben müssen; Stimmenthaltungen und ungültige Stimmen sind hierbei nicht einzuberechnen. Der Gesetzgeber hat insoweit wortgleich die Bestimmung des § 33 Abs. 1 Satz 1 BGB übernommen,4 so dass die dort entwickelten Grundsätze zur Bestimmung der Mehrheit auch hier gelten.5 5 Durch § 140 HGB nicht ausdrücklich geregelt wird die Frage, ob den hiernach zu wertenden
Stimmen unterschiedliches Stimmgewicht zukommt. Die Gesetzesformulierung spricht zunächst dafür, allein die bloße Anzahl der Stimmen i.S. einer Kopfmehrheit zu werten. Allerdings sieht § 709 Abs. 3 BGB eine kapitalistisch strukturierte Regelung zur Stimmkraft vor, die auch für den Auflösungsbeschluss greift (§ 732 BGB Rz. 3) und die über § 105 Abs. 3 HGB auch im Handelsrecht Anwendung findet.6 Die Stimmkraft richtet sich hiernach vorrangig nach den vereinbarten Beteiligungsverhältnissen (§ 709 BGB Rz. 34). Sieht der Gesellschaftsvertrag also die Auflösung durch Mehrheitsbeschluss vor, verlangt § 140 HGB, dass die zustimmenden Gesellschafter insgesamt mindestens 75 % der Anteilsquote repräsentieren. Die Frage des Stimmgewichts kann jedoch vertraglich abweichend geregelt werden, so dass etwa auf die Beitragsquote oder auf die (qualifizierte) Kopfmehrheit abzustellen wäre.7 Sieht der Gesellschaftsvertrag eine solche Bestimmung vor, kann ein (Auflösungs-)Beschluss auch dann mit Dreiviertelmehrheit ergehen, wenn die Zustimmenden hierbei nicht 75 % der Anteilsquote repräsentieren.
IV. Folgen des (fehlerhaften) Auflösungsbeschlusses 6 Wird ein Auflösungsbeschluss mit der notwendigen Mehrheit gefasst, kommt es grds. zur
sofortigen Auflösung der Gesellschaft gem. § 139 Abs. 1 Nr. 4 HGB. Allerdings kann im Beschluss ein bestimmter zukünftiger Zeitpunkt festgelegt werden, zu dem die Auflösung eintreten soll.8 Wird allerdings an ein ungewisses Ereignis angeknüpft, stellt dies keinen eigentlichen Auflösungsbeschluss, sondern eine (andersgeartete) Änderung des Gesellschaftsvertrags dar, für die ggf. andere Mehrheitserfordernisse gelten können (§ 705 BGB Rz. 20). 7 Ein ohne die erforderliche Mehrheit (Rz. 4) gefasster oder aus sonstigen Gründen fehlerhaf-
ter Auflösungsbeschluss ist grds. unwirksam. Wird gleichwohl mit der Abwicklung der Gesellschaft begonnen – etwa, weil die Gesellschafter übersehen, dass die Vorgabe des § 140 HGB nicht eingehalten wurde –, so ist der Auflösungsbeschluss in Vollzug gesetzt und deshalb nach der wohl h.L. den Grundsätzen der fehlerhaften Gesellschaft entsprechend als wirksam zu behandeln.9 Eine Korrektur ließe sich nur durch einen (ggf. einzuklagenden) Fortsetzungsbeschluss (§ 142 HGB Rz. 1) erreichen. Gegen diese Sicht wird jedoch zu Recht eingewandt, dass zwar zwischenzeitliche Liquidationsmaßnahmen wirksam sein können, dass diese aber rückgängig zu machen sind und die Fortführung der Gesellschaft auch ohne die Notwendigkeit eines erneuten (Fortsetzungs-)Beschlusses möglich und angezeigt ist.10 4 Mit Verweis auf diese Norm – wenn auch in anderem Kontext – Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 180. 5 Vgl. zur Mehrheitsbestimmung dort Schwennicke in Staudinger, Neubearbeitung 2019, § 33 BGB Rz. 15, § 32 BGB Rz. 110 ff. 6 So auch der Gesetzgeber, Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 227 f.; s. auch § 709 BGB Rz. 4. 7 S. auch § 709 Abs. 3 BGB sowie hierzu Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 142 f. 8 Schäfer in Staub, § 133 HGB Rz. 28. 9 Lehmann-Richter in BeckOK/HGB, § 131 HGB Rz. 16 (Stand: 39. Ed. 15.1.2023); Kindler in Koller/ Kindler/Roth/Drüen, § 131 HGB Rz. 3. 10 Grundlegend insb. Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002, S. 404 ff.; Schäfer in Staub, § 131 HGB Rz. 56 ff.; Fleischer in MünchKomm/HGB, § 105 HGB Rz. 514; anders aber bei § 131 HGB Rz. 21.
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Anmeldung der Auflösung | Rz. 2 § 141 HGB
§ 141 HGB Anmeldung der Auflösung (1) 1Die Auflösung der Gesellschaft ist von sämtlichen Gesellschaftern zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. 2Dies gilt nicht in den Fällen der Eröffnung oder Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft (§ 138 Absatz 1 Nummer 2 und § 138 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1); dann hat das Gericht die Auflösung und ihren Grund von Amts wegen einzutragen. 3Im Fall der Löschung der Gesellschaft (§ 138 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2) entfällt die Eintragung der Auflösung. (2) Ist aufgrund einer Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag die Gesellschaft durch den Tod eines Gesellschafters aufgelöst, kann die Anmeldung der Auflösung der Gesellschaft ohne Mitwirkung der Erben erfolgen, sofern einer solchen Mitwirkung besondere Hindernisse entgegenstehen. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Auflösung als eintragungspflichtige Tatsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II. Anmeldepflicht der Gesellschafter . . . . .
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I. Auflösung als eintragungspflichtige Tatsache § 141 Abs. 1 Satz 1 HGB statuiert die Pflicht, die Auflösung der Gesellschaft im Handels- 1 register eintragen zu lassen. Die (deklaratorische) Eintragung soll den Rechts- und Handelsverkehr über die Zweckänderung der Gesellschaft informieren sowie darüber, dass sich die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse geändert haben könnten (§ 146 HGB Rz. 1).1 Im Grundsatz ist jede Form der Auflösung eintragungspflichtig, unabhängig davon, auf welchem Auflösungsgrund diese beruht. Bei einigen Auflösungstatbeständen besteht jedoch keine Anmeldepflicht nach Abs. 1 Satz 1; die besonderen Fälle ergeben sich aus Abs. 1 Satz 2 und 3 (Rz. 2). Den Gesellschaftern obliegt es zudem, auch die Liquidatoren und ihre Vertretungsbefugnisse gem. § 147 Abs. 1 HGB zur Eintragung im Handelsregister anzumelden (§ 147 HGB Rz. 5). Zeitlich nachgelagert ergibt sich für die Liquidatoren die Pflicht, das Erlöschen der Firma anzumelden (§ 150 HGB Rz. 5). Für drei Auflösungsgründe sieht das Gesetz Ausnahmen von der allgemeinen Anmel- 2 depflicht der Gesellschafter vor. Nach § 141 Abs. 1 Satz 2 HGB besteht keine derartige Pflicht, wenn über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, so dass diese gem. § 138 Abs. 1 Nr. 2 HGB aufgelöst ist. Die Tatsache der Auflösung und auch der Grund hierfür werden zwar auch in diesem Fall im Register eingetragen; dies erfolgt allerdings nicht auf Veranlassung der Gesellschafter, sondern nach Satz 2 Halbs. 2 von Amts wegen. Das hier genannte „Gericht“, das Registergericht, wird durch das Insolvenzgericht gem. § 31 InsO über die Insolvenzeröffnung informiert und hat daraufhin gem. § 32 Abs. 1 Satz 1 HGB die Verfahrenseröffnung und gem. § 141 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 HGB die Gesellschaftsauflösung einzutragen. Auch auf letzteres ist § 32 Abs. 2 HGB anzuwenden, so dass die Registerpublizität (§ 15 HGB, s. noch Rz. 12) nicht greift. Bei bestimmten, kapitalis-
1 Schäfer in Staub, § 143 HGB Rz. 2; s. auch Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 180 zur parallelen Regelung (§ 733 BGB Rz. 1) bei Auflösung einer eGbR. Richter | 1013
§ 141 HGB Rz. 2 | Offene Handelsgesellschaft tisch strukturierten Gesellschaften (insb. bei der GmbH & Co. KG) ist auch die Ablehnung der Insolvenzeröffnung mangels Masse gem. § 26 InsO ein Auflösungsgrund (§ 138 HGB Rz. 13); auch in einem solchen Fall des § 138 Abs. 2 Satz 1 HGB erfolgen die Eintragungen wie dargestellt von Amts wegen. Eine derart strukturierte Gesellschaft kann schließlich wegen Vermögenslosigkeit gem. § 394 Abs. 1, Abs. 4 FamFG gelöscht werden, so dass es zur Auflösung und sofortigen Vollbeendigung kommt. Da hier die Löschung im Register Voraussetzung der Gesellschaftsauflösung und -beendigung ist, entfällt gem. § 141 Abs. 1 Satz 3 HGB die Eintragung der Auflösung und somit auch die Pflicht des Abs. 1 Satz 1. 3 Die Eintragungs- und die entsprechende Anmeldepflicht besteht unabhängig davon, ob die
Handelsgesellschaft bereits als solche im Register eingetragen war; insbesondere, weil sie regelmäßig trotz Auflösung zunächst als Liquidationsgesellschaft fortbesteht, müssen sowohl Errichtung als auch Auflösung der Gesellschaft eingetragen werden.2 Die Auflösung einer fehlerhaften Gesellschaft ist in gleicher Weise einzutragen, auch hier kommt es auf die Voreintragung nicht an.3 4 Ergibt sich die Auflösung aus einem Umstand, der seinerseits eintragungspflichtig ist – etwa
beim Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters (§ 106 HGB Rz. 25, § 138 HGB Rz. 23) –, so sind grundsätzlich beide Tatsachen anzumelden und einzutragen.4 Umstritten ist jedoch, ob die Auflösung auch dann gesondert im Register einzutragen ist, wenn – wie in diesem Fall – ausnahmsweise zeitgleich die unmittelbare Vollbeendigung der Gesellschaft eintritt (§ 143 HGB Rz. 8 ff.). Teilweise wird es für ausreichend erachtet, allein das Erlöschen (der Firma, § 150 HGB Rz. 1), nicht aber die Auflösung der Gesellschaft im Register eintragen zu lassen.5 § 141 Abs. 1 HGB sieht eine solche Einschränkung jedoch nicht vor; insbesondere ist nicht davon auszugehen, dass im Fall der sofortigen Vollbeendigung keine „Auflösung“ einträte.6 Die Norm regelt nur einen speziellen Fall des liquidationslosen Erlöschens (Satz 3) besonders; i.Ü. sollte eine umfassende Eintragung erfolgen (etwa: „Die Gesellschaft ist aufgelöst und ohne Abwicklung erloschen.“).7
5 Haben die Gesellschafter nach Eintritt des Auflösungsgrundes einen Fortsetzungsbeschluss
gefasst, so dass die Liquidationsgesellschaft zu einer werbenden Gesellschaft (rück-)umgewandelt wurde (§ 142 HGB Rz. 1), muss sowohl die Auflösung als auch die Fortsetzung (§ 142 HGB Rz. 20) zur Eintragung angemeldet werden. Von der Anmelde- und Eintragungspflicht kann nicht mit dem Argument abgewichen werden, dass die Registerlage wegen der Gesellschaftsfortsetzung (wieder) zutreffend sei. Auch an der nachträglichen Eintragung besteht ein rechtliches Interesse;8 aus dem Register muss sich ergeben, in welchem Zeitraum die Gesellschaft als Liquidationsgesellschaft mit abweichenden Vertretungsverhältnissen be-
2 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 143 HGB Rz. 1; Klöhn in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 143 HGB Rz. 2. 3 Schäfer in Staub, § 143 HGB Rz. 6. 4 OLG Frankfurt v. 25.8.2003 – 20 W 354/02, ZIP 2004, 1458; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1668 (Stand: 84. EL 9/2022). 5 KG v. 3.4.2007 – 1 W 305/06, ZIP 2007, 1505, 1506; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 143 HGB Rz. 4; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1668 (Stand: 84. EL 9/2022). 6 So jedoch KG v. 3.4.2007 – 1 W 305/06, ZIP 2007, 1505, 1506. 7 Zu ergänzen ist u.U., wer ausgeschieden und wer nunmehr Inhaber des Vermögens ist; in diese Richtung auch OLG Frankfurt v. 25.8.2003 – 20 W 354/02, ZIP 2004, 1458, 1459; BayObLG v. 19.6.2001 – 3Z BR 48/01, NZG 2001, 889 = GmbHR 2001, 776; OLG München v. 16.6.2010 – 31 Wx 94/10, ZIP 2010, 2147; Lehmann-Richter in BeckOK/HGB, § 143 HGB Rz. 5 (Stand: 39. Ed. 15.1.2023). 8 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 143 HGB Rz. 3; Lorz in E/B/J/S, § 143 HGB Rz. 3; a.A. Schäfer in Staub, § 143 HGB Rz. 12.
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Anmeldung der Auflösung | Rz. 9 § 141 HGB
stand.9 Dem entspricht auch die Anmeldepflicht des § 142 Abs. 3 HGB, der bei Fortsetzung der Gesellschaft ohne Einschränkungen gilt. Die Form und das Verfahren der Anmeldung richten sich nach den allgemein geltenden Vor- 6 schriften zur Handelsregisteranmeldung (§ 106 HGB Rz. 26 ff., s. insb. § 12 HGB). Die von sämtlichen Gesellschaftern (Rz. 7) vorzunehmende Anmeldung erfolgt demnach bei dem (Amts-)Gericht, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat (§ 106 Abs. 1 HGB).10
II. Anmeldepflicht der Gesellschafter § 141 Abs. 1 Satz 1 HGB verpflichtet „sämtliche Gesellschafter“ dazu, die Auflösung an- 7 zumelden; nur im Ausnahmefall des Abs. 2 (Rz. 10) wird von diesem Grundsatz abgewichen. Damit gilt auch hier i.E. die allgemeine Regel des § 106 Abs. 7 HGB: Registeranmeldungen sind von allen Gesellschaftern gemeinsam, wenn auch nicht unbedingt gleichzeitig vorzunehmen,11 damit möglichst sichergestellt ist, dass der anzumeldende Umstand (etwa die Auflösung) tatsächlich auch den Tatsachen entspricht. Durch die Beteiligung sämtlicher Gesellschafter wird zudem dafür gesorgt, dass eine etwaige Unrichtigkeit jedem Gesellschafter zugerechnet werden kann.12 Auch ehemalige Gesellschafter, deren Ausscheiden zur Gesellschaftsauflösung geführt hat, haben an der Anmeldung mitzuwirken;13 ebenso Scheingesellschafter, die eingetragen worden oder als Gesellschafter in Erscheinung getreten sind,14 sowie die Kommanditisten einer KG.15 Die Anmeldepflicht eines insolventen Mitgesellschafters, der abweichend von § 130 Abs. 1 Nr. 3 HGB nicht ausgeschieden ist, wird i.d.R. durch den Insolvenzverwalter wahrgenommen.16 Weigert sich ein Gesellschafter, an der Anmeldung mitzuwirken, etwa weil er meint, dass 8 kein Auflösungsgrund vorliegt, können und müssen die Mitgesellschafter den im Gesellschaftsvertrag wurzelnden Anspruch auf Mitwirkung grds. klageweise geltend machen. Liegt eine entsprechende rechtskräftige oder vollstreckbare Entscheidung vor, so genügt nach § 16 HGB die Anmeldung durch die übrigen Gesellschafter.17 Das Gleiche gilt, wenn die Gesellschaft durch Klage nach § 139 Abs. 1 HGB aufgelöst wurde: Die Anmeldung durch den bzw. die unterlegenen Beklagten wird auch hier durch das (Gestaltungs-)Urteil ersetzt.18 Möglich ist die Anmeldung in Vertretung, weshalb der Gesellschaftsvertrag eine derartige, 9 konkret gefasste Vollmacht etwa für den geschäftsführenden Gesellschafter vorsehen kann und sollte.19 Bei Publikumsgesellschaften plädiert die Literatur dafür, eine entsprechende
9 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1667 (Stand: 84. EL 9/2022). 10 Näher zu Form und Inhalt Schäfer in Staub, § 143 HGB Rz. 25 f. 11 Schäfer in Staub, § 143 HGB Rz. 14; Lorz in E/B/J/S, § 143 HGB Rz. 14. 12 Vgl. zur allgemeinen (für die eGbR neugeschaffenen) Anmeldepflicht Begr. RegE MoPeG, BTDrucks. 19/27635, 127, 131; s. auch Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1669 (Stand: 84. EL 9/2022). 13 KG v. 21.12.2021 – 22 W 84/21, NotBZ 2023, 40 = GmbHR 2023, 29; OLG Schleswig v. 1.2.2012 – 2 W 10/12, MDR 2012, 981 = GmbHR 2012, 799; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 143 HGB Rz. 10. 14 BGH v. 21.4.1966 – II ZR 74/64, WM 1966, 736 (zum Austritt); Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1671 (Stand: 84. EL 9/2022). 15 BayObLG v. 23.12.2003 – 3Z BR 252/03, DB 2004, 647; Kindler in Koller/Kindler/Roth/Drüen, § 143 HGB Rz. 2. 16 Vgl. zu diesen Konstellationen § 138 HGB Rz. 8. 17 KG v. 21.12.2021 – 22 W 84/21, GmbHR 2023, 29. 18 Schäfer in Staub, § 143 HGB Rz. 15. 19 Lorz in E/B/J/S, § 143 HGB Rz. 9. Richter | 1015
§ 141 HGB Rz. 9 | Offene Handelsgesellschaft Vertretungsbefugnis auch ohne derartige Klausel anzuerkennen.20 Begründbar ist dieses Ergebnis allein durch (u.U. ergänzende) Vertragsauslegung. 10 § 141 Abs. 2 HGB macht eine Ausnahme vom Grundsatz der gemeinschaftlichen Anmel-
dung: Sollte die Gesellschaft (aufgrund entsprechender vertraglicher Gestaltung, § 138 HGB Rz. 20) durch den Tod eines Gesellschafters aufgelöst worden sein, so kann hiernach die Anmeldung der Auflösung in bestimmten Fällen allein durch die verbleibenden (Alt-)Gesellschafter vorgenommen werden. Die Erben des Verstorbenen, die in dessen mitgliedschaftliche Stellung eintreten, müssen zwar grundsätzlich auch an der Anmeldung der Auflösung mitwirken.21 Sollten dieser Mitwirkung jedoch besondere Hindernisse entgegenstehen, ist die Anmeldung auch ohne ihre Beteiligung möglich. Ein derartiges Hindernis wird angenommen, wenn nicht (bzw. nicht in absehbarer Zeit) ermittelt werden kann, wer Erbe geworden oder wenn der bekannte Erbe nicht zu erreichen ist.22 Sollte sich aus einem Erbschein oder einem öffentlichen Testament die Erbenstellung ergeben, ist eine Abweichung vom allgemeinen Grundsatz der gemeinschaftlichen Anmeldung nicht geboten.23 11 Ob die Gesellschafter ihrer Anmeldepflicht nachkommen, hat für die Auflösung selbst keine
Bedeutung; die Registereintragung ist diesbzgl. rein deklaratorisch.24 Anders als nach früherem Recht (§ 159 Abs. 2 HGB a.F.), hat die Eintragung der Auflösung auch keine Relevanz für die Frage der Sonderverjährung von Gesellschafterhaftungsansprüchen; diese knüpft nunmehr sachgerecht an die Eintragung des Erlöschens (der Firma) an;25 der Fristlauf beginnt also nicht am Anfang, sondern am Ende des Abwicklungsverfahrens (s. noch § 151 HGB Rz. 2 f.). 12 Kommen die Gesellschafter der Pflicht aus § 141 Abs. 1 HGB nicht nach, hat das Registerge-
richt gem. § 14 HGB die Möglichkeit, ein Zwangsgeld festzusetzen.26 Ein gewichtiger Anreiz zur pflichtgemäßen Anmeldung ergibt sich zudem vor dem Hintergrund der Registerpublizität: Da die Auflösung eine eintragungspflichtige Tatsache darstellt (Rz. 1 ff.), ergibt sich aus § 15 Abs. 1 HGB die negative Publizität des Registers.27 Die Gesellschaftsauflösung und ihre Folgen (etwa die veränderten Vertretungsbefugnisse, § 146 HGB Rz. 1) können demnach einem gutgläubigen Dritten nicht entgegengesetzt werden, solange keine Eintragung erfolgt ist. Bösgläubigkeit ergibt sich etwa, wenn die Liquidatoren gem. § 148 Abs. 3 Satz 1 HGB ihren schriftlichen Erklärungen einen Liquidationszusatz beifügen (§ 148 HGB Rz. 44). Hat der Dritte Kenntnis vom Eintreten des Auflösungsgrundes, begründet dies nicht unbedingt dessen Bösgläubigkeit; notwendig ist vielmehr, dass er positive Kenntnis von der Auflösung selbst hat.28
20 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 143 HGB Rz. 10; Schäfer in Staub, § 143 HGB Rz. 14. 21 Die Anmeldepflicht trifft die Erben auch, wenn diese nicht in die Gesellschaft einrücken, s. KG v. 5.10.2006 – 1 W 146/06, NotBZ 2007, 182; Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, § 143 HGB Rz. 4. 22 Schäfer in Staub, § 143 HGB Rz. 18; Lorz in E/B/J/S, § 143 HGB Rz. 14. 23 K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 143 HGB Rz. 17. 24 Schäfer in Staub, § 143 HGB Rz. 28. 25 Die Kritik an der früheren Regelung (grundlegend insb. K. Schmidt, ZHR 152 (1988), 105, 111 ff., 116 ff.) nahm der Reformgesetzgeber bewusst auf, s. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 189, 251. 26 Butzer/Knof in MünchHdb. GesR I, § 83 Rz. 60; Schäfer in Staub, § 143 HGB Rz. 22. 27 Die ebenfalls bestehende positive Publizität (§ 15 Abs. 3 HGB) hat hier keine praktische Bedeutung, s. K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, § 143 HGB Rz. 23. 28 BGH v. 4.3.1976 – II ZR 145/75, BGHZ 66, 98, 103 (zum parallelen Fall des Ausscheidens); Lorz in E/B/J/S, § 143 HGB Rz. 20; vgl. aber Schäfer in Staub, § 143 HGB Rz. 33.
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Fortsetzung der Gesellschaft | Rz. 2 § 142 HGB
§ 142 HGB Fortsetzung der Gesellschaft (1) Die Gesellschafter können nach Auflösung der Gesellschaft deren Fortsetzung beschließen, sobald der Auflösungsgrund beseitigt ist. (2) Hat nach dem Gesellschaftsvertrag die Mehrheit der Stimmen zu entscheiden, muss der Beschluss über die Fortsetzung mit einer Mehrheit von mindestens drei Viertel der abgegebenen Stimmen gefasst werden. (3) Die Fortsetzung ist von sämtlichen Gesellschaftern zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Fortsetzung der Gesellschaft . . . . . . . . . II. Voraussetzungen der Gesellschaftsfortsetzung (Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fortsetzungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wegfall des Auflösungsgrundes . . . . . . . . 3. Fortführungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . III. Wirksamer Mehrheitsbeschluss (Abs. 2)
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1. Zulässigkeit von Mehrheitsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mindestquorum für den Fortsetzungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Notwendige Mitwirkung Dritter . . . . . . V. Pflicht zur Anmeldung der Fortsetzung (Abs. 3) . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Fortsetzung der Gesellschaft Nachdem die Gesellschaft durch die Auflösung einen neuen, auf Abwicklung gerichteten 1 Zweck erhalten und sich in eine Liquidationsgesellschaft umgewandelt hat, können die Gesellschafter die Fortsetzung der Gesellschaft beschließen und diese so ex nunc – wiederum unter Wahrung ihrer Identität – zu einer werbenden Gesellschaft rückumwandeln. Rechtsbeziehungen zu Dritten bleiben, unabhängig davon, ob diese vor der Auflösung oder im Liquidationsstadium begründet wurden, bestehen.1 Über Ansprüche im gesellschaftsrechtlichen Innenverhältnis, die durch die Auflösung entstanden sein könnten, kann vertraglich (etwa im Rahmen der Beschlussfassung) disponiert werden; hierbei ist von einer zumindest konkludenten Rückkehr zur bisherigen gesellschaftsvertraglichen Regelung auszugehen.2 Nach früherem Recht und Vorstellung des historischen Gesetzgebers galt die Fortsetzungs- 2 fähigkeit einer bereits aufgelösten Gesellschaft als Ausnahme.3 Vor diesem Hintergrund traf § 144 HGB a.F. eine spezielle Regelung für den Fall der Gesellschaftsfortsetzung nach Beendigung oder Einstellung eines Insolvenzverfahrens. Schon vor der Reform des MoPeG und der Einführung des heutigen § 142 HGB war jedoch anerkannt, dass die Gesellschafter einer zwar aufgelösten, aber noch nicht vollbeendigten (Liquidations-)Gesellschaft, die Fortsetzung beschließen konnten.4 Dieses gewandelte Verständnis nimmt das Gesetz nunmehr 1 Lorz in E/B/J/S, § 131 HGB Rz. 37; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1672 f. (Stand: 84. EL 9/2022). 2 Zu den Auswirkungen im Innenverhältnis Schäfer in Staub, § 131 HGB Rz. 72. 3 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 247; der historische Gesetzgeber ging davon aus, dass eine vom Auflösungsgrund unabhängige, allgemeine Fortsetzungsfähigkeit unzweifelhaft den praktischen Bedürfnissen entspreche; gleichwohl bedürfe es „keiner allgemeinen gesetzlichen Anerkennung derselben“ (Denkschrift zu dem Entwurf eines HGB, 1897, S. 110). 4 BGH v. 12.11.1952 – II ZR 260/51, BGHZ 8, 35; Schäfer in Staub, § 131 HGB Rz. 60; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 145 HGB Rz. 72 ff. Richter | 1017
§ 142 HGB Rz. 2 | Offene Handelsgesellschaft auf:5 Wenn kein zwingender und unabänderbarer Auflösungsgrund vorliegt, sind die Gesellschafter – auf Grundlage ihrer Privatautonomie – grds. frei, den Zweck der Gesellschaft (erneut) zu ändern und diese als werbende Gesellschaft fortzusetzen. Vorausgesetzt ist aber insbesondere der Wegfall des Auflösungsgrundes und ein wirksamer Gesellschafterbeschluss.
II. Voraussetzungen der Gesellschaftsfortsetzung (Abs. 1) 3 Für die Fortsetzung einer aufgelösten Gesellschaft müssen drei Voraussetzungen gegeben
sein,6 von denen gesetzlich zwei ausdrücklich normiert sind: Eine Fortsetzung ist (erst) möglich, sobald der Auflösungsgrund beseitigt wurde oder sonst entfallen ist (Abs. 1); zudem muss ein entsprechender Fortsetzungsbeschluss wirksam, insb. mit der notwendigen Mehrheit gefasst worden sein (Abs. 1, 2); schließlich muss die Gesellschaft – dies setzt § 142 HGB eher inzident voraus – fortsetzungsfähig, also aufgelöst, aber noch nicht vollbeendet sein.
1. Fortsetzungsfähigkeit 4 Eine Gesellschaftsfortsetzung kommt „nach Auflösung“ in Betracht (Abs. 1); fortsetzungs-
fähig ist die Gesellschaft jedoch nur, solange sie noch als Liquidationsgesellschaft existiert.7 Dies ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut; allerdings bleibt für eine identitätswahrende Fortsetzung schon kein Raum, wenn die Gesellschaft (etwa nach der Liquidation) erloschen ist (§ 148 HGB Rz. 50). Auch die systematische Stellung der Norm in Titel 5 und nicht zuletzt der eindeutige Hinweis in den Gesetzesmaterialien machen deutlich, dass „Fortsetzungsfähigkeit“ nur dann besteht, wenn die Gesellschaft noch nicht vollbeendet ist.8 Ergibt sich aus der Auflösung ausnahmsweise die unmittelbare Vollbeendigung – etwa beim Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters (§ 138 HGB Rz. 23) – kommt eine Fortsetzung nicht in Betracht. Wird gleichwohl ein hierauf gerichteter Beschluss gefasst, kann hierin eine Neugründung (durch „Wiederbelebungsbeschluss“) gesehen werden.9 Auch wenn die Gesellschaft gem. § 394 Abs. 1, Abs. 4 FamFG wegen Vermögenslosigkeit gelöscht und damit unmittelbar beendigt wurde (§ 138 HGB Rz. 15), ist eine Fortsetzung ausgeschlossen; dies gilt nach herrschender Meinung auch dann, wenn sich nachträglich herausstellt, dass noch verteilbares Vermögen vorhanden, die Löschung also zu Unrecht erfolgt ist.10
5 Eine Besonderheit soll bei einer rein kapitalistischen Gesellschaftsstruktur gelten, also bei
Gesellschaften, bei denen kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist, insbesondere also bei einer GmbH & Co. KG. Für solche Gesellschaften wird eine analoge Anwendung von § 73 GmbHG in Betracht gezogen (§ 148 HGB Rz. 38), so dass ein Sperrjahr einzuhalten und eine Fortsetzung deshalb ausgeschlossen wäre.11
5 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 247: „Nach dem zwischenzeitlich gewandelten Normverständnis erklärt § 142 HGB die Ausnahme […] zur Regel.“ 6 So bereits vor Schaffung des § 142 HGB die allgemeine Sicht, s. etwa BGH v. 19.6.1995 – II ZR 255/93, ZIP 1995, 1412; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 145 HGB Rz. 73 ff.; Schäfer in Staub, § 131 HGB Rz. 60. 7 BGH v. 19.6.1995 – II ZR 255/93, ZIP 1995, 1412; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1675 (Stand: 84. EL 9/2022). 8 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 181, 247. 9 Roth in Hopt, § 131 HGB Rz. 33. 10 Holzer in Prütting/Helms, 6. Aufl. 2023, § 394 FamFG Rz. 28; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 145 HGB Rz. 97. 11 K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 145 HGB Rz. 77.
1018 | Richter
Fortsetzung der Gesellschaft | Rz. 8 § 142 HGB
2. Wegfall des Auflösungsgrundes Die Gesellschaftsfortsetzung setzt nach Abs. 1 voraus, dass der Auflösungsgrund „beseitigt“ 6 ist; möglich und ausreichend ist es allerdings, dass der Grund auf sonstige Weise entfallen ist. Die Auflösung der Gesellschaft resultiert vielfach ausschließlich aus einer entsprechenden Gestaltungsentscheidung der Gesellschafter, so etwa, wenn die Gesellschaft bereits im Ausgangspunkt nur für eine bestimmte Dauer oder unter auflösender Bedingung errichtet wurde oder wenn im Nachhinein ein Auflösungsbeschluss gefasst wurde. Beschließen die Gesellschafter in derartigen Konstellationen die Fortsetzung, lässt sich dieser Willensbetätigung entnehmen, dass die Gesellschafter an der früheren (Auflösungs-)Entscheidung nicht mehr festhalten wollen. Der Auflösungsgrund entfällt hier bereits durch Beschlussfassung.12 Von eigener Bedeutung ist diese zweite Fortsetzungsbedingung demgegenüber in den Fällen, in denen die Auflösung gesetzlich angeordnet wurde: Aus unterschiedlichen Gründen wendet sich das Gesetz in diesen Konstellationen gegen das Fortbestehen der Gesellschaft und akzeptiert deshalb deren Fortsetzung auch nur dann, wenn die Auflösungsgründe nicht mehr vorliegen.13 Wird über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet, tritt zunächst 7 zwingend Auflösung ein (§ 138 Abs. 1 Nr. 2 HGB). Für diesen konkreten Fall sah das frühere Recht eine Spezialregelung vor: Nach § 144 Abs. 1 HGB a.F. war – wie auch nach geltendem Recht – eine Fortsetzung möglich, wenn das Verfahren eingestellt bzw. aufgehoben wurde, etwa mit der rechtskräftigen Bestätigung eines Insolvenzplans nach § 258 Abs. 1 InsO.14 Aber auch wenn das Insolvenzverfahren aus anderen Gründen beendet wird, insb. bei Wegfall der materiellen Insolvenz (§ 212 InsO), ist der Auflösungsgrund entfallen, so dass eine Fortsetzung möglich ist.15 Problematisch ist die Möglichkeit einer Fortsetzung der Gesellschaft, wenn diese nach einer 8 Auflösungsklage durch gerichtliches Urteil aufgelöst wurde (§ 139 HGB Rz. 1). In diesem Fall wurde ein entsprechend wichtiger Grund angenommen und rechtskräftig entschieden, dass dem klagenden Mitgesellschafter „die Fortsetzung der Gesellschaft nicht zuzumuten ist“ (§ 139 HGB Rz. 8). Teilweise wird angenommen, dass ein Fortsetzungsbeschluss möglich sei, sobald der dem Gestaltungsurteil zugrunde liegende wichtige Grund entfallen ist.16 Dem kann nicht zugestimmt werden: Auflösungsgrund i.S.d. § 142 Abs. 1 HGB ist nicht der wichtige Grund, sondern die stattgebende gerichtliche Entscheidung über den Antrag auf Auflösung (s. § 138 Abs. 1 Nr. 3 HGB).17 Da eine Beseitigung des rechtskräftigen Urteils praktisch kaum in Betracht kommen wird, ist eine Fortsetzung der Gesellschaft nach erfolgreicher Auflösungsklage letztlich nur mit Zustimmung des obsiegenden Klägers (Rz. 13) möglich:18 Der Auflösungsgrund ist in diesem Fall zwar formell nicht beseitigt; durch die Zustimmung verzichtet der Kläger aber im Rahmen seiner Dispositionsbefugnis auf die Geltendmachung seines Auflösungsrechts.
12 Schäfer in Staub, § 131 HGB Rz. 64; Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 181, 247. 13 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 181, 247. 14 In diesen Fällen sei, so der Gesetzgeber, durch die insolvenzrechtlichen Vorschriften sichergestellt, „dass die Fortsetzung der Gesellschaft nicht den Interessen Dritter entgegensteht“ (Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 181). 15 S. zu weiteren Fällen der Verfahrensbeendigung Lorz in E/B/J/S, § 144 HGB Rz. 6. 16 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1683a (Stand: 84. EL 9/2022), in Abgrenzung zur früheren Rechtslage; hierzu bei Rz. I 1679 f.; s. auch Schäfer in Staub, § 131 HGB Rz. 67. 17 Ausdrücklich anders Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1683a (Stand: 84. EL 9/2022). 18 So auch zum früheren Recht K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 145 HGB Rz. 88; Lehmann-Richter in BeckOK/HGB, § 131 HGB Rz. 34 (Stand: 39. Ed. 15.1.2023). Richter | 1019
§ 142 HGB Rz. 9 | Offene Handelsgesellschaft
3. Fortführungsbeschluss 9 Die Fortführung der Gesellschaft setzt schließlich einen entsprechenden Beschluss der Ge-
sellschafter voraus. Diese Entscheidung berührt die wesentlichen Grundlagen der gesellschaftsvertraglichen Bindung, weil die Fortführung zu einem (erneuten) Wandel des Gesellschaftszwecks führt; der Fortsetzungsbeschluss muss deshalb im Grundsatz einstimmig unter Beteiligung aller (auch ausscheidender) Gesellschafter ergehen.19 Der Gesellschaftsvertrag kann jedoch (konkret für die Frage der Fortführung, aber auch ganz allgemein, Rz. 12) vorsehen, dass Beschlüsse per Mehrheitsentscheid getroffen werden können. Auf diese Weise kann verhindert werden, dass einzelne Gesellschafter eine unangemessene Blockadeposition einnehmen können.20 Um gleichzeitig aber auch die Minoritätsinteressen ausreichend zu schützen, gibt § 142 Abs. 2 HGB für einen solchen Fall ein Mindestquorum von 75 % vor (Rz. 14). Unabhängig davon, ob eine mehrheitliche oder eine einstimmige Entscheidung notwendig ist, kann – je nach Situation – der einzelne Gesellschafter auf Grund seiner Treupflicht dazu angehalten sein, einer Fortsetzung zuzustimmen.21 10 Für den Fortführungsbeschluss ist gesetzlich keine besondere Form vorgegeben; auch die Ein-
tragung der Fortführung im Handelsregister ist diesbzgl. nur deklaratorisch (Rz. 20). Formvorgaben des Gesellschaftsvertrags sind selbstverständlich zu beachten. Sollte speziell für den Fall der Vertragsänderung eine besondere Form vorgesehen sein, dürfte diese auch für den Fortsetzungsbeschluss gelten.22 Im Übrigen kann der Beschluss auch konkludent gefasst werden; insbesondere kann sich ggf. aus der stillschweigenden Fortführung der Gesellschaft ein entsprechender Wille ableiten lassen. Sehen die Gesellschafter in Kenntnis des Auflösungsgrundes von Liquidationsmaßnahmen ab und setzen stattdessen die Gesellschaftstätigkeit unverändert fort, lässt dies u.U. auf eine entsprechende Beschlussfassung schließen.23 Ob die Gesellschafter tatsächlich die werbende Tätigkeit dauerhaft fortsetzen oder lediglich die Liquidation temporär aufschieben wollen, ist wie stets durch Auslegung zu ermitteln; ein Anhaltspunkt kann etwa der Abschluss langfristiger Verträge sein.24
III. Wirksamer Mehrheitsbeschluss (Abs. 2) 1. Zulässigkeit von Mehrheitsentscheidungen 11 Die Entscheidung über die Gesellschaftsfortsetzung muss – wie § 142 Abs. 2 HGB nunmehr
klarstellt – nur dann mit Zustimmung aller (bisherigen und künftigen) Gesellschafter ergehen, wenn nicht nach dem Gesellschaftsvertrag die Mehrheit der Stimmen zu entscheiden hat. Bei entsprechender Vertragsklausel ist ein mehrheitlich gefasster Beschluss stets zulässig, unabhängig davon, ob ein gesetzlicher (ggf. zwingender) oder ein vertraglicher Auflösungsgrund eingetreten ist.
19 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 181, 247; BGH v. 2.7.2007 – II ZR 181/06, ZIP 2007, 1988 Rz. 5; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1683b (Stand: 84. EL 9/2022). 20 S. auch Schäfer, ZIP 2021, 1527, 1528. 21 Eingehend hierzu K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 145 HGB Rz. 80; mit Blick auch auf die neue Rechtslage Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1680 ff. (Stand: 84. EL 9/2022). 22 Etwas anders K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 145 HGB Rz. 76. Auch wenn man in der Fortführung nicht stets eine Vertragsänderung im eigentlichen Sinne erkennen wollte, dürfte die Auslegung der Formklausel in aller Regel ergeben, dass diese auch für den Fortsetzungsbeschluss gelten soll. 23 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 181, 247; BGH v. 19.6.1995 – II ZR 255/93, ZIP 1995, 1412 (zur GbR); Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, § 131 HGB Rz. 5. 24 Schäfer in Staub, § 134 HGB Rz. 9.
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Fortsetzung der Gesellschaft | Rz. 14 § 142 HGB
Mit Blick auf die notwendige Mehrheitsklausel des Gesellschaftsvertrags stellt sich die Frage, 12 ob die vertragliche Regelung speziell auf die Entscheidung über die Fortsetzung bezogen sein muss oder ob (wie für den Auflösungsbeschluss, § 140 HGB Rz. 3) eine allgemeine Mehrheitsklausel ausreicht. Die zum früheren Recht entwickelte herrschende Meinung hielt eine allgemein gefasste Mehrheitsklausel für unzureichend: Durch den Fortsetzungsbeschluss wird in den Kernbereich der Gesellschafterstellungen eingegriffen; er beeinträchtigt etwaige Liquidationsansprüche der betroffenen Gesellschafter, betrifft diese also in ihren zentralen Vermögensrechten, weshalb teilweise die Zustimmung sämtlicher Gesellschafter gefordert wurde,25 wobei die konkret bestimmte Mehrheitsklausel als ausreichende „antizipierte Zustimmung“26 gewertet wurde. Nach der Neufassung des Gesetzes durch das MoPeG dürfte diese Sicht nicht aufrecht zu erhalten sein. Der Gesetzgeber hat die besondere Bedeutung des Fortsetzungsbeschlusses betont, die dieser gerade auch in Hinblick auf den bereits entstandenen Anspruch auf das anteilige Liquidationsguthaben hat.27 Das nunmehr gesetzlich fixierte Mindestquorum diene dem Schutz der betroffenen Gesellschafter, wenn der Gesellschaftsvertrag (allgemein) „mehrheitliche Beschlussfassung vorsieht“28. Schließlich spricht auch die Tatsache, dass § 142 Abs. 2 HGB parallel zu § 140 HGB (sowie zu §§ 732, 734 Abs. 2 BGB) normiert wurde, dafür, dass der Gesetzgeber einheitlich davon ausging, dass die allgemeine Mehrheitsklausel ausreichender Anknüpfungspunkt für die Beschlussfassung über Auflösung oder Fortsetzung ist (§ 140 HGB Rz. 3).29 Auch wenn die Fortsetzung nach gesellschaftsvertraglicher Regelung durch die Mehrheit der 13 Gesellschafter beschlossen werden kann, ist in wenigen Ausnahmefällen die Zustimmung eines konkreten Mitgesellschafters zwingend notwendig: Hat einer der Gesellschafter klageweise die Auflösung aus wichtigem Grund durch gerichtliche Entscheidung erwirkt (§ 139 HGB Rz. 1), kommt eine Gesellschaftsfortsetzung nicht gegen seinen Willen in Betracht (s. hierzu Rz. 8). Ein entsprechendes Vetorecht steht dem Mitgesellschafter auch dann zu, wenn über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet und Eigenverwaltung angeordnet wurde (Rz. 17). Ferner besteht die unproblematische Möglichkeit, die Fortsetzung gesellschaftsvertraglich von der Zustimmung einzelner Personen abhängig zu machen.
2. Mindestquorum für den Fortsetzungsbeschluss Sieht der Vertrag mehrheitliche Beschlussfassung vor, kann die Fortsetzung auch gegen den 14 Willen einzelner Gesellschafter beschlossen werden. Deren Schutzbedürfnis soll durch das in § 142 Abs. 2 HGB normierte Mindestquorum Rechnung getragen werden.30 Der Fortsetzungsbeschluss muss hiernach mit einer Mehrheit von mindestens 75 % der abgegebenen Stimmen gefasst werden. Wird im Gesellschaftsvertrag eine geringere Quote vorgesehen, muss gleichwohl – wie beim Auflösungsbeschluss auch (§ 140 HGB Rz. 3) – die Dreiviertelmehrheit erreicht werden. Macht der Vertrag hingegen strengere Vorgaben, sind diese freilich zu beachten.
25 Schäfer in Staub, § 131 HGB Rz. 66. 26 K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 145 HGB Rz. 79; die (antizipierte) Zustimmung betrifft allein die Möglichkeit der Mehrheitsentscheidung, nicht die letztlich zur Abstimmung stehenden Anträge (s. auch Schäfer, ZIP 2021, 1527, 1528). Grundlegend zu Mehrheitsentscheidung und -klausel BGH v. 12.11.1952 – II ZR 260/5, BGHZ 8, 35. 27 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 181, 247. 28 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 181, 247. 29 Zu der wortgleichen, ebenfalls neugefassten Regelung des § 732 BGB stellte der Gesetzgeber klar, dass für den dort adressierten Beschluss „auch eine allgemeine Mehrheitsklausel taugt“ (Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 180). 30 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 181, 247. Richter | 1021
§ 142 HGB Rz. 15 | Offene Handelsgesellschaft 15 Bezüglich der Frage, wie die erforderliche Mehrheit und das Stimmgewicht zu bestimmen
ist, deckt sich § 142 Abs. 2 HGB mit § 140 HGB (s. § 140 HGB Rz. 4 ff.). Sowohl für den Auflösungs- wie auch für den Fortsetzungsbeschluss kommt es deshalb primär auf die vereinbarten Beteiligungsverhältnisse an. Auch wenn der Wortlaut des § 142 Abs. 2 HGB eine (qualifizierte) Kopfmehrheit zu verlangen scheint, gilt im Grundsatz die Vorgabe des § 709 Abs. 3 Satz 1 BGB, der über § 105 Abs. 3 HGB auch im Handelsrecht Anwendung findet (§ 709 BGB Rz. 4, 34).31 Sieht der Vertrag also schlicht die Möglichkeit der mehrheitlichen Beschlussfassung vor, ohne konkretere Vorgaben zu machen, so folgt aus § 142 Abs. 2 HGB, dass die zustimmenden Gesellschafter mindestens 75 % der Anteilsquote repräsentieren müssen. Abweichende vertragliche Regelungen sind jedoch möglich, so dass etwa auf die Beitragsquote oder auf die (qualifizierte) Kopfmehrheit abzustellen wäre.32
IV. Notwendige Mitwirkung Dritter 16 Nach der Kernaussage des § 142 Abs. 1 HGB können die Gesellschafter einer (fortsetzungs-
fähigen) Gesellschaft bei Wegfall des Auflösungsgrundes dem Grunde nach frei über die Fortsetzung beschließen; eine Einschränkung dieser Aussage ergibt sich jedoch im Zusammenhang mit § 143 Abs. 2 HGB. Der dortige Satz 1 stellt klar, dass die Gesellschafter die Möglichkeit haben, die Gesellschaftsabwicklung abweichend vom gesetzlich vorgesehenen Liquidationsverfahren auszugestalten (§ 143 HGB Rz. 31). Eine solche Abweichung vom Gesetz bedarf jedoch nach Satz 2 in gewissen (Ausnahme-)Fällen der Zustimmung eines Dritten; dieses Erfordernis besteht erst Recht, wenn insgesamt von der Abwicklung abgesehen werden soll, also im Fall der Gesellschaftsfortsetzung.33 17 Wurde im Gesellschaftsvertrag vereinbart, dass die formelle Insolvenz eines Gesellschafters
nicht nur zu dessen Ausscheiden, sondern zur Gesellschaftsauflösung führen soll (§ 138 HGB Rz. 8), so muss der in diesem Verfahren bestellte Insolvenzverwalter der Fortsetzung der Gesellschaft zustimmen. Da diese Vorschrift (analog) auch dann anzuwenden ist, wenn die Gesellschaft aus einem anderen Grund aufgelöst wurde und einer der Gesellschafter während der Liquidationsphase insolvent wird (§ 143 HGB Rz. 35),34 kommt ihr durchaus praktische Bedeutung zu. Wurde im Insolvenzverfahren nach § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO die Eigenverwaltung durch den schuldnerischen Gesellschafter angeordnet, so tritt dieser an die Stelle des Insolvenzverwalters, so dass er (von den Gläubigerinteressen geleitet) seine Zustimmung erteilen muss (§ 143 HGB Rz. 35). Neben dem Fall der erfolgreichen Auflösungsklage liegt hierin ein weiterer Fall, in dem einem Gesellschafter trotz Mehrheitsklausel ein „Vetorecht“ bzgl. der Fortführung zukommt (Rz. 13). 18 Ein entsprechendes Zustimmungserfordernis besteht schließlich in den selteneren Fällen, in
denen der Gesellschaftsvertrag vorsieht, dass die pfändenden Privatgläubiger eines Gesellschafters nicht nur dessen Mitgliedschaft gem. § 130 Abs. 1 Nr. 4, § 133 HGB (§ 133 HGB Rz. 1) kündigen, sondern sogar eine Auflösungskündigung aussprechen können. In diesem Fall ergibt sich ein Zustimmungserfordernis aus § 143 Abs. 2 Satz 2 HGB, so dass auch die Gesellschaftsfortsetzung nur bei Mitwirkung des kündigenden Privatgläubigers möglich wäre.
31 So auch der Gesetzgeber, Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 227 f. 32 S. auch § 709 Abs. 3 BGB sowie hierzu Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 142 f. 33 K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 145 HGB Rz. 82; Klöhn in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 143 HGB Rz. 24. 34 Habersack in Staub, § 145 HGB Rz. 28; Hillmann in E/B/J/S, § 145 HGB Rz. 19.
1022 | Richter
Notwendigkeit der Liquidation; anwendbare Vorschriften | § 143 HGB
V. Pflicht zur Anmeldung der Fortsetzung (Abs. 3) Die Fortsetzung der Gesellschaft muss nach § 142 Abs. 3 HGB von sämtlichen Gesellschaf- 19 tern zur Eintragung im Gesellschaftsregister angemeldet werden; dies entspricht der parallelen Anmeldepflicht im Fall der Gesellschaftsauflösung (§ 141 HGB Rz. 1). Die Pflicht trifft all diejenigen, die auch bei der Entscheidung nach Abs. 1 berufen sind, d.h. sowohl alle bisherigen (auch die ausscheidenden) Gesellschafter als auch etwaige Neugesellschafter. Die gegenseitige Vertretung bei der Anmeldung ist wie sonst auch möglich, wobei bereits im Gesellschaftsvertrag eine entsprechende Vollmachtserteilung erfolgen kann, was insbesondere bei Publikumsgesellschaften sinnvoll ist (s. hierzu auch § 141 HGB Rz. 9). Die Tatsache der Gesellschaftsfortsetzung ist stets eintragungspflichtig; Zweck der Anmel- 20 de- und Eintragungspflicht ist es, die „Rückumwandlung in eine werbende Gesellschaft unter Löschung des Auflösungsvermerks offenkundig zu machen.“35 Gleichwohl besteht die Pflicht zur Anmeldung unabhängig davon, ob zuvor bereits die Auflösung eingetragen wurde. Fehlt es an einer solchen Voreintragung, sind beide Sachverhalte – Auflösung und Fortsetzung – zur Eintragung anzumelden.36 Die Wirksamkeit der Gesellschaftsfortsetzung hängt nicht von der Eintragung ab; diese ist insofern rein deklaratorisch. Da allerdings gem. § 15 HGB Registerpublizität besteht, kann die unterlassene Anmeldung und Eintragung negative Konsequenzen für die Gesellschaft oder die Gesellschafter haben. Beispielsweise muss die Gesellschaft, wenn die Anmeldung unterbleibt, u.U. das Handeln eines bisherigen Liquidators gegen sich gelten lassen.37
Liquidation der Gesellschaft (§§ 143–152)
§ 143 HGB Notwendigkeit der Liquidation; anwendbare Vorschriften (1) 1Nach Auflösung der Gesellschaft findet die Liquidation statt, sofern nicht über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet ist. 2Ist die Gesellschaft durch Löschung wegen Vermögenslosigkeit aufgelöst, findet eine Liquidation nur statt, wenn sich nach der Löschung herausstellt, dass noch Vermögen vorhanden ist, das der Verteilung unterliegt. (2) 1Die Gesellschafter können anstelle der Liquidation eine andere Art der Abwicklung vereinbaren. 2Ist aufgrund einer Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag die Gesellschaft durch die Kündigung eines Privatgläubigers eines Gesellschafters oder durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Gesellschafters aufgelöst, bedarf eine Vereinbarung über eine andere Art der Abwicklung der Zustimmung des Privatgläubigers oder des Insolvenzverwalters; ist im Insolvenzverfahren Eigenverwaltung angeordnet, tritt an die Stelle der Zustimmung des Insolvenzverwalters die Zustimmung des Schuldners. (3) Die Liquidation erfolgt nach den folgenden Vorschriften dieses Titels, sofern sich nicht aus dem Gesellschaftsvertrag etwas anderes ergibt. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436).
35 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 182, 247. 36 K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 145 HGB Rz. 84; a.A. Schäfer in Staub, § 143 HGB Rz. 12. 37 Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, § 144 HGB Rz. 9. Richter | 1023
§ 143 HGB Rz. 1 | Offene Handelsgesellschaft I. Überblick über das Liquidationsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 II. Notwendigkeit der Gesellschaftsabwicklung (Abs. 1) 1. Abwicklung im Regelfall . . . . . . . . . . . . . . 4 2. Abwicklung im Insolvenzverfahren . . . . . 6 3. Sofortige Vollbeendigung ohne Liquidation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 III. Die Liquidationsgesellschaft und -beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
IV. Stellung und Ansprüche der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Treuepflichten der Gesellschafter . . . . . . 2. Beitragspflichten der Gesellschafter . . . . 3. Durchsetzungssperre bei gesellschaftsvertraglich geprägten Ansprüchen . . . . . 4. Gesellschafterklage (actio pro socio) . . . . V. Stellung und Ansprüche der Gesellschaftsgläubiger . . . . . . . . . . . . . . . VI. Gestaltbarkeit der Abwicklung (Abs. 2, Abs. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16 17 19 23 28 29 31
Schrifttum: Freund, Die gesellschaftsrechtliche Durchsetzungssperre, MDR 2011, 577; Grunewald, Liquidation von Personengesellschaften, in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2011, 2012, S. 31; Grunewald, Die actio pro socio und Ansprüche der Gesellschafter aus eigenem Recht in der Liquidation der Personengesellschaften, in FS Hommelhoff, 2012, S. 275; Grziwotz, Die Liquidation von Personengesellschaften, DStR 1992, 1365; Hillers, Personengesellschaft und Liquidation, 1987; Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021; Osterloh-Konrad, Gesellschafterausgleich in der Liquidation der Personengesellschaft, ZGR 2021, 476; K. Schmidt, Zur Haftung und Enthaftung der persönlich haftenden Gesellschafter bei Liquidation und Konkurs der Personengesellschaft, ZHR 152 (1988), 105; K. Schmidt, Die Handels-Personengesellschaft in Liquidation, ZHR 153 (1989), 270; Stüber, Der Grundsatz der Durchsetzungssperre bei Liquidation von Personengesellschaften, 2013.
I. Überblick über das Liquidationsverfahren 1 Mit Eintritt eines Auflösungsgrundes endet die Gesellschaft in aller Regel (vgl. aber Rz. 8)
nicht sofort; vielmehr findet – wenn keine Fortsetzung beschlossen wird (§ 142 HGB Rz. 1) – zunächst die Abwicklung statt und zwar nach gesetzlicher Grundkonzeption in Form der Liquidation, möglicherweise aber auch im Rahmen eines Insolvenzverfahrens (Rz. 6) oder auf privatautonom bestimmte Weise (Rz. 31). Nach der identitätswahrenden Wandlung in eine Liquidationsgesellschaft geht es nun darum, das Gesellschaftsvermögen zu verwerten und zu verteilen, die bestehenden Verbindlichkeiten zu begleichen und für eine strukturierte Abwicklung der internen Gesellschafterbeziehungen zu sorgen.
2 Das gesetzliche Leitbild der Gesellschaftsabwicklung wird im sechsten Titel mit der „Liquida-
tion der Gesellschaft“ überschrieben, orientiert sich also an der vollständigen Umsetzung des Gesellschaftsvermögens in Geld (vgl. auch § 148 Abs. 2 Satz 1 HGB), die als Grundlage für den finanziellen Ausgleich aller Betroffenen dient.1 Eine derartige vollständige Liquidation ist jedoch nicht zwingend vorgeschrieben; die Gesellschafter können (und werden häufig) eine andere Art der Abwicklung vereinbaren (s. § 143 Abs. 2 Satz 1 HGB). Von den gesetzlichen Vorgaben der §§ 144 ff. HGB kann im Einzelnen oder – mit einigen Einschränkungen – auch im Ganzen abgewichen werden. Nur wenn sich weder aus dem Gesellschaftsvertrag noch aus entsprechenden Beschlüssen (Rz. 31 ff.) keine spezielle Regelung ergibt, gelten die Vorschriften des sechsten Titels (s. Abs. 3). 3 Die wesentlichen Schritte, die im gesetzlich vorgesehenen Liquidationsverfahren typischer-
weise unternommen werden sollen, lassen sich im Wesentlichen aus § 148 Abs. 2, Abs. 4-8 HGB entnehmen: Nachdem eine Liquidationseröffnungsbilanz aufgestellt wurde, werden laufende Geschäfte beendet, offene Forderungen der Gesellschaft geltend gemacht, auch das
1 Zur gesetzlichen Terminologie K. Schmidt, ZHR 153 (1989), 270, 276 ff.; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 145 HGB Rz. 7.
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Notwendigkeit der Liquidation; anwendbare Vorschriften | Rz. 6 § 143 HGB
sonstige Vermögen wird liquidiert, also in Geld umgesetzt.2 Aus der so umgesetzten Vermögensmasse werden die Gläubiger der Gesellschaft befriedigt, bevor die Gesellschafter ihre Beiträge (wertmäßig) zurückerstattet bekommen. Zum Ende der Abwicklung wird eine Abschlussbilanz aufgestellt, aus der sich ergibt, welche Gesellschafter noch Gelder einzahlen müssen und welche Gesellschafter Auszahlungen erhalten. Ergibt sich insgesamt ein Liquidationsgewinn, so wird dieser auf die Gesellschafter gemäß ihrer Beteiligungsquote verteilt. Sollte sich hingegen ein Fehlbetrag ergeben, so müssen die Gesellschafter hierfür gegenüber der Gesellschaft aufkommen, bevor die Gläubiger durch die Gesellschaft, also „über Eck“ befriedigt werden (§ 149 HGB Rz. 2). Solange die Gesellschaft über derartige Nachschussansprüche (und damit über Aktivvermögen) verfügt, erlischt sie im gesetzlichen Regelfall nicht. Das Erlöschen der Gesellschaft (genauer: der Firma) ist schließlich im Register zu verzeichnen (§ 150 HGB Rz. 1).
II. Notwendigkeit der Gesellschaftsabwicklung (Abs. 1) 1. Abwicklung im Regelfall Die programmatische Vorgabe des § 143 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 HGB stellt den gesetzlichen 4 Regelfall knapp dar: „Nach Auflösung der Gesellschaft findet die Liquidation statt“. Weil aber von der vollständigen Versilberung der Gesellschaft auch abgesehen werden kann (Abs. 2 Satz 1, Rz. 31), ließe sich auch allgemeiner formulieren: Nach Auflösung findet die Abwicklung statt. Dieser Grundsatz wird durch Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 nicht in Frage gestellt, sondern bestätigt: Auch wenn über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, so dass diese nach § 138 Abs. 1 Nr. 2 HGB aufgelöst ist, findet die Abwicklung statt; das Verfahren richtet sich in diesem Fall aber nicht nach den §§ 144 ff. HGB, sondern nach den Vorgaben der Insolvenzordnung. Eingeschränkt wird der dargestellte Grundsatz nur in solchen (Ausnahme-)Fällen, in denen 5 Auflösung und Vollbeendigung der Gesellschaft miteinander einhergehen. Scheidet etwa der vorletzte Gesellschafter aus oder kommt es sonst zur Vereinigung aller Gesellschaftsanteile in der Hand einer einzigen Person, endet die Gesellschaft unmittelbar ohne Abwicklungsverfahren (Rz. 10). Auch in Fällen der vollständigen Vermögenslosigkeit der Gesellschaft besteht keine Notwendigkeit und damit kein Raum für eine Abwicklung (Rz. 8 f.). Von diesen selteneren Fällen abgesehen besteht die (Liquidations-)Gesellschaft zunächst trotz Auflösung zum Zwecke der Abwicklung fort.
2. Abwicklung im Insolvenzverfahren Die Liquidation findet nach Aussage des § 143 Abs. 1 Satz 1 HGB nur statt, sofern nicht 6 über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Eine Abwicklung der Gesellschaft ist auch in diesem Fall notwendig und erfolgt in den meisten Fällen ebenfalls durch Liquidation, also durch vollständige Verwertung und Verteilung des schuldnerischen Vermögens; diese Aufgabe obliegt allerdings wegen der formellen Insolvenz nicht (wie sonst, Rz. 13) den Gesellschaftern als Liquidatoren, sondern dem Insolvenzverwalter. Dieser nimmt das Vermögen der Gesellschaft in Beschlag, übt die Verwaltungs- und Verfügungsrechte über das Vermögen der Gesellschaft aus (§ 80 Abs. 1 InsO) und hat es nach den Vorgaben der In-
2 Diese Schritte gehen einher mit der (nicht explizit normierten) Pflicht zur Aussonderung gesellschaftsfremder Gegenstände, vgl. § 148 HGB Rz. 12. Richter | 1025
§ 143 HGB Rz. 6 | Offene Handelsgesellschaft solvenzordnung zu verwerten.3 Häufig erfolgt dies im Wege der Liquidation durch (Unternehmens-)Zerschlagung, indem der Insolvenzverwalter die einzelnen Vermögensbestandteile jeweils gesondert verwertet und den Erlös zur Gläubigerbefriedigung einsetzt. Möglich und u.U. deutlich lukrativer ist zudem eine Verwertung durch Unternehmensübertragung im Asset-Deal. Zudem kommt, wenn auch eher seltener, eine rechtsträgererhaltende Sanierung im Insolvenzplanverfahren in Betracht, die eine Gesellschaftsrettung und -fortsetzung ermöglichen kann. 7 Die Abwicklungskompetenz des Insolvenzverwalters bezieht sich grundsätzlich auf das Ak-
tiv- und Passivvermögen der schuldnerischen Gesellschaft. Exklusiv vom Insolvenzverwalter geltend zu machen sind aber auch (Dritt-)Ansprüche wegen der persönlichen Haftung eines Gesellschafters für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft (vgl. § 126 HGB Rz. 11 ff.). Obwohl diese Ansprüche zwischen Gläubiger und Gesellschafter bestehen und damit nicht Teil des Vermögens der insolventen Gesellschaft sind, kann die persönliche Haftung gem. § 93 InsO während des laufenden Insolvenzverfahrens nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden.4
3. Sofortige Vollbeendigung ohne Liquidation 8 Ist an der Gesellschaft (weder direkt noch mittelbar)5 eine natürliche Person als persönlich
haftender Gesellschafter beteiligt – prototypisch insb. bei einer GmbH & Co. KG –, so wird diese zum Schutz des Rechtsverkehrs gem. § 394 Abs. 1, Abs. 4 FamFG von Amts wegen oder auf Antrag (etwa der Finanzbehörden) aus dem Handelsregister gelöscht, wenn sowohl die Gesellschaft als auch die persönlich haftenden Gesellschafter kein Vermögen besitzen. Die Löschung führt gem. § 138 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 HGB zur Auflösung der Gesellschaft (vgl. § 138 HGB Rz. 15). Weil in einer derartigen Situation weder verteilbares Aktivvermögen vorhanden ist noch Haftungsansprüche gegen die Gesellschafter realisiert werden können, besteht kein Liquidationsbedarf, weshalb die Gesellschaft im Moment der Löschung und der Auflösung ausnahmsweise unmittelbar erlischt. § 143 Abs. 1 Satz 2 HGB beschreibt die diesbzgl. Rückausnahme: Trotz der zuvor angenommenen Vermögenslosigkeit findet eine Liquidation (bzw. allgemeiner: Abwicklung) statt, wenn sich nach der Löschung herausstellt, dass noch Vermögen vorhanden ist, das der Verteilung unterliegt. Benannt sind damit Fälle, in denen sich herausstellt, dass die Löschung zu Unrecht erfolgt ist. Die Gesellschaft wurde durch Löschung wirksam aufgelöst, wegen des übersehenen Vermögens besteht sie jedoch als Liquidationsgesellschaft fort. Die Gesellschaft muss deshalb wieder mit einem entsprechenden Hinweis im Register eingetragen6 und nach den allgemein geltenden Regelungen abgewickelt werden.7
9 Zur Vollbeendigung ohne Liquidationsverfahren kommt es nach herrschender Meinung zu-
dem allgemein bei Vermögenslosigkeit der Gesellschaft, also auch außerhalb des zuvor ge3 Umfassend hierzu K. Schmidt in MünchKomm/HGB, Anh. § 158 HGB Rz. 40 ff.; s. auch Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 182 zur parallelen Regelung des § 735 Abs. 1 Satz 1 BGB. 4 Hinter dieser Regelung steht, anders als vielfach angenommen, nicht der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung, sondern der Schutz der Sanierungsmasse, s. hierzu Brinkmann, Die Bedeutung der §§ 92, 93 InsO, 2001, S. 103 ff. 5 Anders wenn auf höherer Beteiligungsstufe eine natürliche Person als Gesellschafter persönlich haftet, s. § 394 Abs. 4 Satz 3 FamFG; vgl. zu diesen mehrstöckigen Gesellschaftskonstruktionen § 138 HGB Rz. 16. 6 Zur parallelen Regelung des § 66 Abs. 5 GmbHG wird z.T. vertreten, dass auf diese Eintragung im Einzelfall aus pragmatischen Gründen verzichtet werden könne; kritisch hierzu m.w.N. BGH v. 26.7.2022 – II ZB 20/21, ZIP 2022, 1806, 1807 Rz. 9 ff. 7 Vgl. K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 145 HGB Rz. 66 ff.
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Notwendigkeit der Liquidation; anwendbare Vorschriften | Rz. 11 § 143 HGB
nannten Falls der Löschung gem. § 394 Abs. 1, Abs. 4 FamFG. Nur wenn die Gesellschaft verteilungsfähiges Aktivvermögen hat, besteht die Notwendigkeit einer Abwicklung unter Fortbestand der Liquidationsgesellschaft.8 In diese Richtung lässt sich auch die gesetzgeberische Einschätzung verstehen, nach der Liquidationsbedarf nur bestehe, wenn sich verteilungsfähiges Vermögen findet.9 Die in § 143 Abs. 1 Satz 2 HGB getroffene Aussage wäre demnach zu eng geraten.10 Diese Sichtweise trifft im Grundsatz zu, muss allerdings mit dem Hinweis darauf versehen werden, dass sich der entscheidende Liquidationsbedarf auch aus Verpflichtungen der Gesellschaft ergeben kann: Aus den gegen die Gesellschaft gerichteten Forderungen ergibt sich (im gesetzlichen Regelfall) eine entsprechende Haftung der Gesellschafter für den Fehlbetrag (§ 149 HGB Rz. 2 f.), es bestehen m.a.W. Ansprüche der Gesellschaft gegen die beteiligten Gesellschafter und somit Aktivvermögen und Abwicklungsbedarf.11 Grundsätzlich kommt es deshalb erst nach der Einforderung und Verteilung der Nachschussansprüche zur Vollbeendigung der Gesellschaft.12 Wird allerdings die Vorgabe des § 149 HGB wirksam abbedungen,13 mit der Folge, dass die Gesellschafter zwar noch im Außenverhältnis zu den Gläubigern, nicht aber gegenüber ihrer Gesellschaft haften, führt deren Vermögenslosigkeit unmittelbar zur Beendigung. Ein weiterer Fall der liquidationslosen Vollbeendigung ist im Recht der GbR geregelt: Nach 10 § 712a Abs. 1 Satz 1 BGB, der auf die Personenhandelsgesellschaften über § 105 Abs. 3 HGB (ggf. i.V.m. § 161 Abs. 2 HGB) Anwendung findet (§ 138 HGB Rz. 23), erlischt die Gesellschaft beim Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters unmittelbar, also ohne Liquidationsverfahren (s. hierzu § 712a BGB Rz. 5). Das Gesellschaftsvermögen geht nach dem dortigen Satz 2 ipso iure auf den verbleibenden Gesellschafter über,14 gegen diesen richten sich auch die Ansprüche des ausgeschiedenen Gesellschafters auf angemessene Abfindung, Haftungsfreistellung etc. Dies gilt auch, wenn alle bisherigen Gesellschafter ihre Anteile zeitgleich an einen Dritten übertragen, bspw. im Wege einer faktischen Verschmelzung auf eine andere Gesellschaft.15 Im Gesellschaftsvertrag kann jedoch abweichend von dieser gesetzlichen Vorgabe angeordnet werden, dass die Gesellschaft beim Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters nicht erlöschen, sondern lediglich aufgelöst werden soll. Aus einer solchen Vertragsgestaltung ergibt sich ein entsprechender Abwicklungsbedarf, so dass die Gesellschaft als Liquidationsgesellschaft fortbesteht, an welcher der ausscheidende Gesellschafter (bzw. dessen Erbe) beteiligt bleibt und am Liquidationserlös voll partizipiert.16
III. Die Liquidationsgesellschaft und -beteiligten Der Zweck der Gesellschaft ändert sich mit und durch den Eintritt eines Auflösungsgrundes 11 und richtet sich nunmehr auf Abwicklung, i.Ü. bleibt die Gesellschaft jedoch als Handels8 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1701 (Stand: 84. EL 9/2022); Schäfer in MünchKomm/BGB, § 730 BGB Rz. 2. 9 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 182. 10 Entsprechenden Reformbedarf erkennt Bachmann, NZG 2020, 612, 617 (zur parallelen Regelung des BGB). 11 Habersack in Staub, § 145 HGB Rz. 9; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1701 (Stand: 84. EL 9/2022); K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 145 HGB Rz. 18; vgl. allerdings m.w.N. Hillmann in E/B/J/S, § 145 HGB Rz. 8. 12 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1701a (Stand: 84. EL 9/2022); Schäfer in MünchKomm/BGB, § 730 BGB Rz. 5. 13 Zu der Möglichkeit einer abweichenden Gestaltung vgl. § 149 HGB Rz. 5. 14 S. hierzu Noack in Schäfer, Personengesellschaftsrecht, § 9 Rz. 34. 15 S. hierzu Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1789 (Stand: 84. EL 9/2022). 16 Mit Hinweis auf diese Möglichkeit Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 148. Richter | 1027
§ 143 HGB Rz. 11 | Offene Handelsgesellschaft gesellschaft unter Beibehaltung ihrer Identität, ihrer Firma,17 ihres Vermögens und ihrer Rechts- und Parteifähigkeit bestehen.18 Die (Liquidations-)Gesellschaft kann wie vor der Auflösung im Rechtsverkehr auftreten, neue Verträge eingehen (s. § 148 HGB Rz. 16), bestehende Pflichten erfüllen, Ansprüche geltend machen etc. Auszurichten sind diese Tätigkeiten jedoch nicht mehr am ursprünglichen Gesellschaftszweck (§ 105 HGB Rz. 6 ff.), sondern am Ziel der Abwicklung. Entsprechendes gilt für die Rechte und Pflichten der Gesellschafter, die sich nun ebenfalls an diesem Ziel orientieren (Rz. 17 f.). 12 Auch wenn die Gesellschaft in Folge der Auflösung nicht mehr auf den Betrieb eines Han-
delsgewerbes ausgerichtet ist, behält sie ihre zuvor bestehende Kaufmannseigenschaft.19 Damit unterfällt sie auch weiterhin den besonderen Vorgaben des HGB. Eine Prokura kann auch nach Auflösung erteilt werden; eine bereits zuvor erteilte Prokura besteht auch im Liquidationsstadium fort.20 13 Vom Zeitpunkt der Auflösung an wird die Gesellschaft nach gesetzlicher Grundvorstellung
durch die Liquidatoren geführt und vertreten; zuvor bestehende Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse erlöschen grds. automatisch. Das Liquidatorenamt steht, vorbehaltlich abweichender Regelungen, allen Gesellschaftern gemeinsam zu (Rz. 13). Durch den Gesellschaftsvertrag oder durch Gesellschafterbeschluss kann hiervon jedoch abgewichen werden, so dass einzelne oder alle Gesellschafter von der Aufgabe der Liquidation ausgeschlossen und ggf. Dritte hierfür berufen werden können (§ 144 HGB Rz. 8). Eine Berufung neuer oder Abberufung bisheriger Liquidatoren kann zudem durch gerichtlichen Beschluss erfolgen (§ 145 HGB Rz. 1). Unabhängig von ihrer Person sind die Liquidatoren dazu verpflichtet, im Rahmen ihrer Abwicklungstätigkeit den bestmöglichen Erlös zu erzielen. Dies kann u.U. auch bedeuten, dass ein noch aktiver Geschäftsbetrieb vorläufig fortzuführen ist, um das Unternehmen, wenn möglich, als Einheit erhalten und verwerten zu können (Rz. 38).21 14 Abgesehen von dieser veränderten Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis wandelt
sich die gesellschaftsrechtliche Organisation durch die Auflösung nicht grundlegend. Die Gesellschafter üben weiterhin die Kontrolle über die Liquidationsgesellschaft aus, vor allem indem sie die Art der Abwicklung festlegen (Rz. 31), über eine mögliche Fortsetzung der Gesellschaft entscheiden (§ 142 HGB Rz. 1) und indem sie die Liquidatoren (ab-)berufen (§ 144 HGB Rz. 13) und ihnen bindende Weisungen bzgl. der Geschäftsführung erteilen (§ 148 HGB Rz. 2). Die Herrschaft der Gesellschafter über ihre Gesellschaft bleibt also auch nach Eintritt des Auflösungsgrundes bestehen.22 Für bestimmte Entscheidungen sind neben den Gesellschaftern aber auch weitere Beteiligte des Liquidationsverfahrens berufen. Beteiligte in diesem Sinne sind (neben den Gesellschaftern) ein etwaiger Gesellschafter-Insolvenzverwalter, ein gemeinsamer Vertreter von Gesellschafter-Erben sowie der Privatgläubiger eines Gesellschafters, der (ausnahmsweise) die Gesellschaft kündigen konnte (§ 145 HGB Rz. 5 ff.).
17 Diese ist mit einem Liquidationszusatz zu versehen, wenn die Liquidatoren für die Gesellschaft zeichnen, s. § 148 HGB Rz. 44. 18 Habersack in Staub, § 145 HGB Rz. 13; Hillmann in E/B/J/S, § 145 HGB Rz. 11; eingehend zum gewandelten Zweck Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1706 f. (Stand: 84. EL 9/2022). 19 Habersack in Staub, § 145 HGB Rz. 13. 20 OLG München v. 9.8.2011 – 31 Wx 314/11, ZIP 2011, 2059; K. Schmidt, BB 1989, 229, 233 ff.; Habersack in Staub, § 149 HGB Rz. 50. 21 S. zu dieser (von §§ 146 ff. HGB abweichenden) Abwicklungsvariante K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 145 HGB Rz. 40. 22 Die Beteiligten sind nach Vorstellung des Gesetzgebers die „Herren des Liquidationsverfahrens“, s. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 186; vgl. auch Habersack in Staub, § 152 HGB Rz. 1.
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Notwendigkeit der Liquidation; anwendbare Vorschriften | Rz. 17 § 143 HGB
Nach Abschluss des Liquidations- bzw. Abwicklungsverfahrens kommt es zur Vollbeendi- 15 gung und zum Erlöschen der Gesellschaft. Abgeschlossen ist die Liquidation, wenn kein verteilungsfähiges Aktivvermögen mehr vorhanden ist; allerdings ergibt sich ein solches Vermögen i.d.R. auch aus offenen Verpflichtungen der Gesellschaft: Aus den gegen die Gesellschaft gerichteten Ansprüchen ergibt sich eine Nachschusspflicht der Gesellschafter (§ 149 HGB Rz. 2 f.). Die entsprechenden Ansprüche der Gesellschaft stellen wiederum einen zu verteilenden Vermögenswert dar, der die weitere Abwicklung notwendig macht.23 Ist die Gesellschaft hingegen vollständig liquidiert und damit erloschen, muss dieser Umstand (konkret: das „Erlöschen der Firma“) zur Eintragung im Handelsregister angemeldet werden (§ 150 HGB Rz. 1), womit die Verjährung der Ansprüche aus der Gesellschafterhaftung beginnt (§ 151 HGB Rz. 12).
IV. Stellung und Ansprüche der Gesellschafter Während die Auflösung im Verhältnis zu Außenstehenden, insb. zu Gesellschaftsgläubigern, 16 zunächst wenig unmittelbare Konsequenzen hat (Rz. 29), ergeben sich erhebliche Änderungen hinsichtlich der Rechte und Pflichten der Gesellschafter. Die bisherigen Befugnisse der Gesellschafter zu Geschäftsführung und Vertretung erlöschen grds. mit der Gesellschaftsauflösung (§ 146 HGB Rz. 1); weil die Gesellschafter jedoch (nach gesetzlicher Grundkonzeption) zu Liquidatoren berufen sind, stehen ihnen die entsprechenden Kompetenzen in dieser neuen Funktion (gemeinschaftlich) zu. In ihrer Rolle als „Herren des Liquidationsverfahrens“24 üben die Gesellschafter die Kontrolle über die Abwicklung und die Maßnahmen der Liquidatoren aus, können also bspw. bindende Weisungen erteilen (§ 148 HGB Rz. 2).
1. Treuepflichten der Gesellschafter Die mitgliedschaftlichen Treuepflichten bleiben auch nach der Auflösung weiterhin bestehen, 17 richten sich wegen des gewandelten Gesellschaftszwecks jedoch an einem neuen Bezugspunkt aus, dem Ziel der Gesellschaftsabwicklung.25 Weil die Gesellschaftsgrundlage – die Verfolgung des ursprünglich vereinbarten Zwecks (§ 105 HGB Rz. 6) – im Rahmen der Abwicklung wegfällt, wird auch die verbleibende Treubindung zunehmend schwächer.26 Wenn es also auf die oft schwierige Frage einer (Zustimmungs-)Pflicht aus Treuepflicht ankommt, ist deshalb bei der gebotenen Einzelfallabwägung zu berücksichtigen, dass sich die Gesellschaft bereits im Liquidationsstadium befindet; insbesondere bei Beschlüssen zu Nachschussleistungen o.Ä. sind hier höhere Anforderungen zu stellen als im Falle der werbenden Gesellschaft.27 Ist es zur ungeplanten und unbeabsichtigten Gesellschaftsauflösung gekommen, können die Gesellschafter u.U. auf Grund der Treuepflicht angehalten sein, an einem Fortsetzungsbeschluss (§ 142 HGB Rz. 3) mitzuwirken.28
23 Für die Kompetenz der Liquidatoren, auch Nachschussansprüche der Gesellschaft zum Zweck des Innenausgleichs geltend zu machen, BGH v. 27.10.2020 – II ZR 150/19, BGHZ 227, 242, 246 ff. Rz. 20 ff. = ZIP 2020, 2460 (konkret zur GbR); grundlegend hierfür K. Schmidt, ZHR 153 (1989), 270, 276 ff.; s. auch Habersack in Staub, § 149 HGB Rz. 23 ff.; § 148 HGB Rz. 35. 24 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 186; Hillmann in E/B/J/S, § 152 HGB Rz. 1. 25 BGH v. 11.1.1971 – II ZR 143/68, NJW 1971, 802; Habersack in Staub, § 145 HGB Rz. 17. 26 Klöhn in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 145 HGB Rz. 10. 27 BGH v. 2.7.2007 – II ZR 181/06, ZIP 2007, 1988 Rz. 5 f.; Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/ Haas, § 145 HGB Rz. 4a. 28 K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 145 HGB Rz. 80; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1680 ff., 1686 (Stand: 84. EL 9/2022). Richter | 1029
§ 143 HGB Rz. 18 | Offene Handelsgesellschaft 18 Die Gesellschafter sind einander, aber auch der Gesellschaft zur Förderung des Abwicklungs-
zwecks verpflichtet, sie müssen deshalb etwa die hierfür notwendigen Auskünfte erteilen und bei der Ausübung der eigenen Rechte dieses Ziel beachten.29 Diese Pflichtenausrichtung besteht unabhängig davon, ob die Gesellschafter zu Liquidatoren berufen oder entgegen dem gesetzlichen Regelfall von diesem Amt ausgeschlossen sind.
2. Beitragspflichten der Gesellschafter 19 Im Rahmen der Abwicklung werden grundsätzlich alle offenen Forderungen der Gesellschaft
geltend gemacht (§ 148 HGB Rz. 18), so dass die Gesellschafter auch ihre offenen Beitragspflichten erfüllen müssen, obwohl letztlich ein Anspruch auf Rückerstattung der Beiträge im Raum steht (§ 148 HGB Rz. 28). Umgekehrt sind die Liquidatoren grds. berechtigt, die Beiträge einzufordern.30 An dieser Stelle wirkt sich jedoch einschränkend aus, dass sich der Gesellschaftszweck geändert hat; weil die ursprünglich versprochenen Beiträge für einen anderen Zweck vorgesehen waren, können sie für den Liquidationszweck u.U. unnötig sein. Deshalb sind die versprochenen Beiträge nur insoweit zu erbringen, als diese für die Abwicklung notwendig sind.31 In diesem Aspekt zeigt sich der wesentliche Unterschied der verschiedenen Beitragsformen.32 20 Hat der Gesellschafter etwa versprochen, bestimmte Dienstleistungen zu erbringen oder
eine Sache zum Gebrauch zu überlassen, um so die werbende Gesellschaftstätigkeit zu fördern, dann entfällt die (noch offene) Beitragspflicht im Liquidationsstadium, wenn diese Beiträge für die Gesellschaftsabwicklung nicht erforderlich bzw. nützlich sind. Allerdings kann es unter gewissen Umständen sinnvoll und angezeigt sein, die unternehmerische Tätigkeit der Gesellschaft trotz Auflösung zeitweise fortzuführen (Rz. 38), so dass die versprochenen Beiträge nützlich sein können und in diesem Fall erbracht werden müssen. Außerhalb solcher Ausnahmefälle sind die Beitragspflichten jedoch regelmäßig erst im Rahmen der Schlussabrechnung zu berücksichtigen (Rz. 23).33 21 Ob die Erbringung des rückständigen Beitrags für die Verwirklichung des Liquidations-
zwecks notwendig ist, wird häufig zwischen den Beteiligten umstritten sein. Nach herrschender Meinung muss der in Anspruch genommene Gesellschafter im Streitfall darlegen und beweisen, dass der eingeforderte Betrag nicht für die Abwicklung benötigt wird; demgegenüber müssen die insoweit bedeutsamen Verhältnisse der Gesellschaft von den Liquidatoren dargelegt werden, soweit ihnen dies möglich ist.34 Nach der insbesondere zum GbR-Recht entwickelten Gegenansicht sei den Liquidatoren die volle Beweislast für die Notwendigkeit der Beitragseinforderung aufzuerlegen, insbesondere weil diese den notwendigen Einblick in die Gesellschafts- und Liquidationsinterna und damit die deutlich besseren Beweismöglich29 BGH v. 9.9.2002 – II ZR 198/00, ZIP 2003, 73 (zur GbR); Habersack in Staub, § 145 HGB Rz. 17; Hillmann in E/B/J/S, § 145 HGB Rz. 13. 30 Klöhn in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 145 HGB Rz. 11a; dies gilt sogar dann, wenn die Geltendmachung nur für den Innenausgleich notwendig ist, s. hierzu BGH v. 27.10.2020 – II ZR 150/19, BGHZ 227, 242, 246 ff. Rz. 20 ff. = ZIP 2020, 2460; Klöhn, ZGR 2020, 154, 170 f.; vgl. auch § 148 HGB Rz. 35. 31 Vgl. BGH v. 3.2.1977 – II ZR 201/75, WM 1977, 617; BGH v. 30.1.2018 – II ZR 95/16, ZIP 2018, 721, 726 Rz. 58; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1735 (Stand: 84. EL 9/2022); Habersack in Staub, § 149 HGB Rz. 22. 32 So auch Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 142. 33 Habersack in Staub, § 149 HGB Rz. 21 ff. 34 BGH v. 3.7.1978 – II ZR 54/77, WM 1978, 898; BGH v. 30.1.2018 – II ZR 95/16, ZIP 2018, 721, 726 Rz. 59; Habersack in Staub, § 149 HGB Rz. 22; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 149 HGB Rz. 20; Hillmann in E/B/J/S, § 149 HGB Rz. 16; vgl. hierzu auch Osterloh-Konrad, ZGR 2021, 476, 492 f.
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Notwendigkeit der Liquidation; anwendbare Vorschriften | Rz. 24 § 143 HGB
keiten haben.35 Diesem Umstand wird man gerecht, indem den Liquidatoren die sekundäre Darlegungslast auferlegt wird.36 Hat der Gesellschafter die Vermehrung des Gesellschaftsvermögens (und damit der Haf- 22 tungsmasse) versprochen, etwa durch Geldeinlage, Sachübereignung oder sonstige Rechtseinräumung, sind die offenen Beiträge (i.d.R. wertmäßig)37 zugunsten der Gesellschaft zu erbringen bzw. i.d.R. in der Schlussabrechnung zu berücksichtigen, so dass die Gläubiger (ggf. aber auch die Mitgesellschafter)38 hieraus befriedigt werden können (Rz. 30). Dass derartige Beiträge einmal nicht für die Abwicklung benötigt würden und deshalb auch nicht mehr zu erbringen sind, kommt nur in solchen (Ausnahme-)Fällen in Betracht, in denen die vorhandenen liquiden Mittel für die Begleichung sämtlicher Forderungen ausreichen.39 Die Erbringung der Einlage ist auch dann notwendig, wenn aus dieser lediglich die anderen Gesellschafter befriedigt werden sollen, so dass letztlich ein reiner Innenausgleich vorliegt.
3. Durchsetzungssperre bei gesellschaftsvertraglich geprägten Ansprüchen Ansprüche und Verpflichtungen der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft, die sich aus 23 dem Gesellschaftsverhältnis ergeben, unterliegen von der Auflösung an der sog. Durchsetzungssperre: Diese Ansprüche mit gesellschaftsvertraglicher Natur sind im Abwicklungsstadium nicht mehr getrennt durchsetzbar, sondern erst im Rahmen der Schlussabrechnung als unselbständige Rechnungsposten zu berücksichtigen.40 Auf diese Weise werden wechselseitige Zahlungen im Abwicklungsstadium vermieden,41 vor allem aber wird so verhindert, dass das Ergebnis der Auseinandersetzung faktisch (und ggf. unrichtig) vorweggenommen wird.42 Von der Durchsetzungssperre betroffen sind etwa die Ansprüche auf Ersatz von Aufwendungen oder Verlusten (§ 716 BGB Rz. 9), Gewinnausschüttungsansprüche (§ 122 HGB Rz. 4) und Ausgleichsansprüche nach § 426 BGB,43 aber i.d.R. auch die zuvor dargestellte Verpflichtung der Gesellschafter, offene Beiträge zu erbringen (Rz. 19). Die Durchsetzungssperre gilt jedoch nicht ausnahmslos: Steht der Gesellschafter mit einer 24 Forderung der Gesellschaft „wie jeder dritte Gläubiger gegenüber, ist es nicht einzusehen, weshalb er anders als jeder außenstehende Gläubiger auf die Erfüllung seiner Forderung soll 35 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 730 BGB Rz. 31; Schöne in BeckOK/BGB, § 730 BGB Rz. 20 (Stand: 65. Ed. 1.2.2023); ebenfalls kritisch, wenn auch zurückhaltender Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 730 Rz. 17; Westermann in Erman, § 730 BGB Rz. 6. 36 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1738 m.w.N. (Stand: 84. EL 9/2022). 37 K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 149 HGB Rz. 23; Habersack in Staub, § 149 HGB Rz. 22. 38 S. hierzu K. Schmidt, ZHR 153 (1989), 270, 295 ff.; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 149 HGB Rz. 21 f. m.w.N.; a.A. Hillmann in E/B/J/S, § 149 HGB Rz. 11. 39 Vgl. etwa OLG Saarbrücken v. 29.3.2017 – 1 U 82/16, ZInsO 2018, 202, 205 zur Einlagepflicht des Kommanditisten im Liquidationsstadium. 40 BGH v. 3.5.1976 – II ZR 92/75, WM 1976, 789; BGH v. 3.4.2006 – II ZR 40/05, ZIP 2006, 994, 996 Rz. 17 m.w.N. Dieser Rechtsprechung hat sich auch der MoPeG-Gesetzgeber ausdrücklich angeschlossen (Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 187 f.; s. jedoch bei S. 249); vgl. auch Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1754 ff., 1779 ff. (Stand: 84. EL 9/2022); Freund, MDR 2011, 577; Stüber, Der Grundsatz der Durchsetzungssperre, Diss. Mannheim 2013, S. 27 ff. 41 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 188; vgl. auch BGH v. 3.4.2006 – II ZR 40/05, ZIP 2006, 994, 996 Rz. 17. 42 S. hierzu BGH v. 3.2.2015 – II ZR 335/13, ZIP 2015, 1116, 1118 Rz. 22. 43 Roth in Hopt, § 145 HGB Rz. 6; Stüber, Der Grundsatz der Durchsetzungssperre, Diss. Mannheim 2013, S. 27 ff.; Freund, MDR 2011, 577, 579. Richter | 1031
§ 143 HGB Rz. 24 | Offene Handelsgesellschaft warten müssen, bis die Schlussabrechnung feststeht.“44 Aus diesem Grunde bleiben die sog. Drittgläubigeransprüche, die dem Anspruchsinhaber nicht in seiner Rolle als Gesellschafter zukommen (s. § 148 HGB Rz. 19), von der Durchsetzungssperre unberührt. Derartige Ansprüche genießen zum einen materielle Priorität vor anderen gesellschaftsvertraglich geprägten Ansprüchen, sind also im Vergleich zu den Sozialverbindlichkeiten vorrangig zu begleichen.45 Zum anderen sind sie auch verfahrensmäßig selbständig, können also außerhalb der Schlussabrechnung geltend gemacht werden.46 Welche Ansprüche konkret hierunter zu fassen sind, weil sie keine gesellschaftsvertragliche Prägung haben, regelt das Gesetz nicht. Der Gesetzgeber hielt zum (insoweit wortgleichen)47 Recht der GbR fest, man habe die Regelung „bewusst offen formuliert, um der Rechtsprechung Auslegungsspielraum für die sachgerechte Behandlung von Sozialverbindlichkeiten zu belassen.“48 25 In begrenztem Umfang sind Ausnahmen von der Durchsetzungssperre zudem auch bzgl. ge-
sellschaftsvertraglich geprägter Ansprüche zu machen. Dies ist etwa anzuerkennen, wenn sich aus einer gesellschaftsvertraglichen Regelung ergibt, dass bestimmte Ansprüche ihre Selbständigkeit auch nach der Gesellschaftsauflösung behalten sollen; entsprechendes soll gelten, wenn sicher feststeht, dass ein Gesellschafter einen bestimmten (Mindest-)Betrag nach der Schlussabrechnung erhalten wird.49 Treffender wäre es, hier § 148 Abs. 7 HGB fruchtbar zu machen, der nicht auf den Einzelanspruch abstellt, sondern einen Verteilungsvorschuss vorsieht (§ 148 HGB Rz. 40).50 26 Die Befriedigungsreihenfolge, die sich insb. aus § 148 Abs. 5-8 HGB ergibt, stellt keine Ab-
weichung vom Grundsatz der Durchsetzungssperre, sondern eine Regelung zum materiellen Vor- und Nachrang bestimmter Forderungen dar, die es bei der Bilanzierung zu berücksichtigen gilt. Dem Grunde nach sind alle (gesellschaftsvertraglich geprägten) Forderungen und Verbindlichkeiten der Gesellschafter im Verhältnis zur Gesellschaft nur als unselbständige Rechnungsposten in der abschließenden Auseinandersetzungsbilanz zu berücksichtigen und letztlich nur im Saldo zu begleichen. Allerdings ist die Schlussabrechnung unter Beachtung der Befriedigungsreihenfolge zu erstellen (§ 148 HGB Rz. 33): So hat bspw. der Anspruch eines Gesellschafters auf Ersatz von Aufwendungen (§ 148 Abs. 5 HGB) bilanziellen Vorrang vor der wertmäßigen Rückerstattung von Einlagen (§ 148 Abs. 6 HGB) und diese geht wiederum der (Überschuss-)Ausschüttung vor (§ 148 Abs. 8 HGB). 27 Klagt der Gesellschafter seine Forderung entgegen der Durchsetzungssperre mit einer Leis-
tungsklage ein, so ist diese als (derzeit) unbegründet abzuweisen.51 Allerdings kann der Kla44 BGH v. 3.4.2006 – II ZR 40/05, ZIP 2006, 994; s. hierzu Habersack in Staub, § 149 HGB Rz. 40. Aus dem gleichen Grund sind derartige Drittgläubigeransprüche in der Insolvenz der Gesellschaft nicht nachrangig, sondern als Insolvenzforderungen quotal zu befriedigen. 45 Hillers, Personengesellschaft und Liquidation, 1988, S. 114 ff. 46 Die missverständliche Aussage des Gesetzgebers, Ansprüche des Gesellschafters würden (anders als bei der GbR) in der Liquidation als Rechnungsposten in die Kapitalkonten eingehen (Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 249), bezieht sich allein auf die Sozialverbindlichkeiten. 47 Die Vorgaben von § 736d Abs. 4 BGB und § 148 Abs. 5 HGB sind vollständig deckungsgleich; ein vom Gesetzgeber selbst angedeuteter „Unterschied zum Recht der Gesellschaft bürgerlichen Rechts“ (Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 249) lässt sich nicht ausmachen. 48 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 187; vgl. auch bei S. 188: „Dies zu kodifizieren, entzieht sich jedoch einer abstrakt-generellen Regelung.“ 49 BGH 15.12.2020 – II ZR 108/19, ZIP 2021, 255, 263 Rz. 74; m.w.N. Wertenbruch in Westermann/ Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1779e (Stand: 84. EL 9/2022). 50 S. auch zum früheren Recht K. Schmidt, ZHR 153 (1989), 270, 293; Habersack in Staub, § 149 HGB Rz. 41. 51 StRspr; etwa BGH v. 15.5.2000 – II ZR 6/99, ZIP 2000, 1208; m.w.N. Stüber, Der Grundsatz der Durchsetzungssperre, Diss. Mannheim 2013, S. 230 ff.; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1754a (Stand: 84. EL 9/2022).
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Notwendigkeit der Liquidation; anwendbare Vorschriften | Rz. 29 § 143 HGB
geantrag u.U. in einen Feststellungsantrag umgedeutet werden, wenn die geltend gemachte Forderung zwischen der Gesellschaft und dem Gesellschafter in Bestand oder Höhe umstritten ist.52 Eine derartige Feststellungsklage würde von der Durchsetzungssperre nicht betroffen. Machen die Liquidatoren jedoch lediglich geltend, dass die selbständige Geltendmachung der (i.Ü. nicht umstrittenen) Forderung wegen des laufenden Liquidationsverfahrens nicht beansprucht werden kann, scheitert die Feststellungsklage mangels Feststellungsinteresse.53
4. Gesellschafterklage (actio pro socio) Die subsidiäre Kompetenz der Gesellschafter, Ansprüche der Gesellschaft für diese in gesetz- 28 licher Prozessstandschaft geltend zu machen (§ 715b BGB Rz. 10), die nunmehr in § 715b BGB positiv normiert ist, besteht auch in der Liquidationsphase fort. Sollten die Liquidatoren die (Sozial-)Ansprüche der Gesellschaft pflichtwidrig nicht geltend machen, besteht u.U. die Möglichkeit zur Gesellschafterklage. Dass die actio pro socio auch nach der Auflösung der Gesellschaft möglich ist, ist für Schadensersatzansprüche allgemein akzeptiert.54 Zulässig ist eine Gesellschafterklage unter den allgemeinen Voraussetzungen aber auch bzgl. anderer Ansprüche, insbesondere auf Leistung offener Einlagen.55 Für die Geltendmachung der Beitragspflichten gilt jedoch auch hier, dass derartige Forderungen nur insoweit bestehen, als die Beiträge für die Abwicklung notwendig sind (Rz. 19).56 Das beschriebene Problem der Darlegungs- und Beweislast (Rz. 21) stellt sich in diesem Fall mit besonderer Schärfe, weil die allgemeinen Anforderungen zur sekundären Darlegung, die im Normalfall die Liquidatoren treffen, durch den klagenden Gesellschafter u.U. nicht zu erfüllen sind.
V. Stellung und Ansprüche der Gesellschaftsgläubiger Das Verhältnis zwischen der Gesellschaft und außenstehenden Dritten, insbesondere Gesell- 29 schaftsgläubigern, wird von der Auflösung zunächst kaum berührt: Die offenen Forderungen der Gesellschaftsgläubiger werden von der Auflösung weder in Bestand noch Inhalt verändert.57 Bestehende Vertrags- und sonstige Rechtsverhältnisse bleiben im Außenverhältnis grundsätzlich unverändert bestehen. Auch Dauerschuldverhältnisse enden nicht unmittelbar mit Auflösung und können nicht vereinfacht beendet werden; eine Regelung, die mit § 103 InsO vergleichbar wäre und den Liquidatoren ein besonderes Erfüllungswahlrecht zugestände, besteht außerhalb der Insolvenz richtigerweise nicht. Die offenen Verträge müssen vielmehr unter Einhaltung der allgemeinen Regeln gekündigt und abgewickelt werden. Nur in Ausnahmefällen kann sich der Dritte darauf berufen, dass die Vertragsfortsetzung mit der Liquidationsgesellschaft unzumutbar sei, so dass eine außerordentliche Beendigung in Be-
52 BGH v. 9.3.1992 – II ZR 195/90, NJW 1992, 2757, 2758; BGH v. 15.5.2000 – II ZR 6/99, ZIP 2000, 1208; Westermann in Erman, § 730 BGB Rz. 13. 53 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1754a (Stand: 84. EL 9/2022). 54 BGH v. 30.11.1959 – II ZR 145/58, NJW 1960, 433; vgl. hierzu auch Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 730 BGB Rz. 19. 55 In diese Richtung Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 187; s. auch Habersack in Staub, § 149 HGB Rz. 18; Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 730 BGB Rz. 19; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 146 HGB Rz. 56; Grunewald in FS Hommelhoff, 2012, S. 275, 277 f.; Osterloh-Konrad, ZGR 2021, 476, 484 ff. 56 K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 146 HGB Rz. 56. 57 Es tritt auch keine vorzeitige Fälligkeit ein, s. § 148 Abs. 5 Satz 2 HGB. Richter | 1033
§ 143 HGB Rz. 29 | Offene Handelsgesellschaft tracht kommt.58 In aller Regel besteht jedoch kein außerordentliches Lösungs- oder Umgestaltungsrecht bzgl. bestehender Schuldverhältnisse.59 30 Nach der gesetzlichen Konzeption hat die Befriedigung der Gläubiger Vorrang vor allen ande-
ren Leistungen aus dem Gesellschaftsvermögen (s. allerdings zur „Aussonderung“ § 148 HGB Rz. 12), insbesondere also vor der Begleichung von Sozialverbindlichkeiten, der Erstattung von Gesellschaftereinlagen und der Auszahlung von Gewinnanteilen (Rz. 23, § 148 HGB Rz. 33, 48 ff.). Dieses „Recht auf vorrangige Gläubigerbefriedigung“60 entspricht allerdings nur dem (dispositiven) gesetzlichen Leitbild und kann durch die Gesellschafter eingeschränkt werden, indem diese eine abweichende Regelung zur Abwicklung treffen (Rz. 37). Im Normalfall sind die Gläubiger ausreichend geschützt, weil sie weiterhin und uneingeschränkt auf die persönlich haftenden Gesellschafter zugreifen können.61 Allenfalls aus der Sonderverjährung dieser Ansprüche (§ 151 HGB Rz. 5) könnten sich für die Gläubiger Nachteile ergeben: Die gegen die Gesellschaft gerichteten Ansprüche erlöschen mit dem Wegfall der Schuldnerin, also gemeinsam mit der Gesellschaft. Wenn für diese Ansprüche (ausnahmsweise)62 eine Verjährungsfrist gegolten hat, die über den Fünfjahreszeitraum des § 151 HGB hinausging, stellt sich die Gesellschafterhaftung als ein Minus im Vergleich zur primären Gesellschaftshaftung dar.
VI. Gestaltbarkeit der Abwicklung (Abs. 2, Abs. 3) 31 Die Gesellschafter können, wie § 143 Abs. 2 Satz 1 HGB festhält, anstelle der Liquidation
eine andere Art der Abwicklung vereinbaren oder auch, wenn eine Liquidation erfolgen soll, diese abweichend von den §§ 144 ff. HGB ausgestalten (Abs. 3). Die Abwicklung kann also im Grundsätzlichen wie im Konkreten durch die Gesellschafter (bzw. die Liquidationsbeteiligten, Rz. 14) weitgehend frei ausgestaltet werden, die Vorgaben des sechsten Titels sind bis auf einzelne Ausnahmen dispositiv. Vom gesetzlichen Liquidationsverfahren kann sowohl durch Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag (Rz. 33) als auch durch nachträglichen Beschluss (Rz. 34) abgewichen werden. 32 Ob die Abwicklung als solche zur Disposition der Gesellschafter steht, ist umstritten. In einer
sehr frühen Entscheidung ging der BGH davon aus, dass die Gesellschafter „nicht die Abwicklung ausschließen können, ohne statt dessen eine andere Form der Auseinandersetzung zu vereinbaren.“63 Diese Sicht wurde vielfach in Frage gestellt, wobei insbesondere auch auf § 145 Abs. 2 HGB a.F. verwiesen wurde, der positiv die Möglichkeit vorsah, dass die Liquidation unterbleibt.64 Der heutige § 143 Abs. 2 HGB, der dieser Vorgängernorm inhaltlich entsprechen soll,65 führt jedoch das Unterbleiben der Liquidation nicht als Möglichkeit auf. Der
58 Schäfer in Staub, § 131 HGB Rz. 51; Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 730 BGB Rz. 20. 59 OLG Brandenburg v. 2.4.2008 – 3 U 103/07, NZG 2008, 506; Kilian in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 730 BGB Rz. 6. 60 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 182. 61 Habermeier in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2003, § 730 BGB Rz. 20; vgl. jedoch Könen, Gesellschafter-Exithaftung im Personenverband, 2021, S. 270 ff. 62 Mit dem Hinweis auf die kürzere Frist der Regelverjährung auch Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 189. 63 BGH v. 4.4.1951 – II ZR 10/50, BGHZ 1, 324, 329; zustimmend Kilian in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 730 BGB Rz. 19; Lehmann-Richter in BeckOK/HGB, § 145 HGB Rz. 22 (Stand: 39. Ed. 15.1.2023). 64 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1705 (Stand: 84. EL 9/2022). 65 S. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 247.
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Notwendigkeit der Liquidation; anwendbare Vorschriften | Rz. 35 § 143 HGB
heutige Gesetzestext legt vielmehr nahe, dass die Liquidation nur durch eine andere Art der Abwicklung ersetzt werden kann: Die Auseinandersetzung trotz eingetretener Auflösung kann nicht auf Dauer ausgeschlossen, die Vollbeendigung nicht schlicht fingiert werden.66 Möglich ist es jedoch, eine Auseinandersetzung ohne Liquidation zu beschließen, wenn hierbei klar ist, wer die Aktiva und Passiva der Gesellschaft übernimmt.67 Die Gesellschafter können auch grundsätzlich am gesetzlichen Abwicklungsverfahren fest- 33 halten und hierbei lediglich einzelne Modifikationen vornehmen. Ihre privatautonomen Abwicklungsvereinbarungen gelten hierbei vorrangig, die dispositiven Vorschriften der §§ 144 ff. HGB kommen, wie § 143 Abs. 3 HGB deutlich macht, demgegenüber lediglich subsidiär zur Anwendung.68 Nur wenn sich dem Gesellschaftsvertrag auch bei umfassender Auslegung keine Regelung entnehmen lässt (und auch kein entsprechender Beschluss gefasst wird), ist auf das gesetzliche Abwicklungsregime zurückzugreifen. Die Gesellschafter können durch vertragliche Einigung also nicht nur vorab regeln, welche Gründe überhaupt zur Gesellschaftsauflösung führen sollen (§ 138 HGB Rz. 18), sondern auch, welche Konsequenz die Auflösung für die Verteilung des Gesellschaftsvermögens haben soll. Möglich ist auch, für verschiedene Auflösungsgründe unterschiedliche Abwicklungsregelungen vorzusehen.69 Auch nachträglich kann durch Beschluss vom gesetzlich vorgesehenen Liquidationsverfah- 34 ren abgewichen werden; § 143 Abs. 3 HGB nennt zwar explizit nur die Möglichkeit, dass sich Abweichungen „aus dem Gesellschaftsvertrag“ ergeben; eine nach Auflösung ad hoc getroffene Vereinbarung ist jedoch unproblematisch möglich.70 Die entsprechende Entscheidungskompetenz ist von § 143 Abs. 2 Satz 1 HGB mitumfasst und steht grundsätzlich allein den Gesellschaftern zu; die Zustimmung Dritter ist nur ausnahmsweise notwendig (Rz. 35). Trifft der Gesellschaftsvertrag für diese Beschlussfassung keine spezielle Regelung, so bedarf die Abweichung von den gesetzlichen Liquidationsvorschriften der Zustimmung aller Gesellschafter.71 Möglich ist allerdings gesellschaftsvertraglich eine Mehrheitsentscheidung vorzusehen. Dies lässt sich sowohl aus § 144 Abs. 5 HGB entnehmen, der die mehrheitliche (Ab-) Berufung von Liquidatoren anspricht, als auch aus § 148 Abs. 1 HGB, der die Ausübung des Weisungsrechts durch mehrheitlichen Beschluss vorsieht. Auch der Beschluss der Gesellschaftsfortsetzung, mit dem ebenfalls vom gesetzlichen Liquidationsverfahren abgewichen wird, kann nach gesetzlicher Vorstellung mehrheitlich gefasst werden (§ 142 HGB Rz. 11). Auch neben diesen drei gesetzlich angesprochenen Fällen besteht allgemein die Möglichkeit der Mehrheitsentscheidung über die Ausgestaltung des Abwicklungsverfahrens. Hierbei ist notwendig, aber grundsätzlich auch ausreichend, dass der Gesellschaftsvertrag eine allgemeine Mehrheitsklausel enthält; eine konkret gefasste Klausel ist nur für die Bestimmung der Liquidatoren notwendig (§ 144 HGB Rz. 13). Aus § 143 Abs. 2 Satz 2 HGB ergeben sich zwei Fälle, in denen die Möglichkeit der Gesell- 35 schafter, frei über Art und Weise der Abwicklung zu entscheiden, durch Zustimmungserfordernisse eingeschränkt wird: Sieht der Gesellschaftsvertrag vor, dass die formelle Insolvenz eines Gesellschafters nicht nur zu dessen Ausscheiden, sondern zur Gesellschaftsauflösung führen soll (§ 138 HGB Rz. 8), kommt dem im dortigen Verfahren bestellten Insolvenz-
66 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 730 BGB Rz. 46; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1705 (Stand: 84. EL 9/2022). 67 Vgl. K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 145 HGB Rz. 33 ff. zu Vermögensübernahme, Anteilsvereinigung und Verschmelzung. 68 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 183. 69 Hadding/Kießling in Soergel, Vor § 730 BGB Rz. 17. 70 K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 145 HGB Rz. 46; s. auch zur Weisungsrechtsausübung per Beschluss § 148 HGB Rz. 2. 71 Schäfer in MünchKomm/BGB, § 730 BGB Rz. 46; Hadding/Kießling in Soergel, Vor § 730 BGB Rz. 17. Richter | 1035
§ 143 HGB Rz. 35 | Offene Handelsgesellschaft verwalter eine Sonderstellung zu. Nur wenn dieser seine Zustimmung erteilt (insbesondere, weil er sich hiervon eine bessere Gläubigerbefriedigung verspricht), kann vom gesetzlichen Liquidationsverfahren abgewichen werden (Halbs. 1). Wurde im Insolvenzverfahren die Eigenverwaltung durch den insolventen Gesellschafter angeordnet, so muss dieser nach Halbs. 2 seine Zustimmung erteilen, wobei seine Entscheidung ebenfalls an den Interessen seiner Gläubiger auszurichten ist. Praktisch besonders wichtig wird die Vorgabe des § 143 Abs. 2 Satz 2 HGB, weil die Norm (analog) auch dann anzuwenden ist, wenn die Gesellschaft aus einem anderen Grund aufgelöst wurde und einer der Gesellschafter während der Liquidationsphase insolvent wird.72 Sieht der Gesellschaftsvertrag vor, dass der Privatgläubiger eines Gesellschafters, der dessen Anteil gepfändet hat, nicht nur dessen Mitgliedschaft (§ 133 HGB Rz. 1), sondern sogar die gesamte Gesellschaft kündigen kann, ergibt sich zugunsten dieses Gläubigers ebenfalls ein entsprechender Zustimmungsvorbehalt. 36 Wichtig ist schließlich, dass § 143 Abs. 2 Satz 2 HGB immer nur dann greift, wenn durch
nachträglichen Beschluss vom gesetzlichen Liquidationsverfahren abgewichen werden soll. Für den Fall, dass schon der Gesellschaftsvertrag abweichende Regeln vorsieht, besteht kein Zustimmungserfordernis; weder der Insolvenzverwalter noch der kündigende Privatgläubiger hat in diesem Fall ein Vetorecht.73 37 Die Gesellschafter können abweichende Regelungen sowohl für die Gestaltung des Innenver-
hältnisses treffen, etwa zur Frage, wer die Liquidation durchführen soll (§ 144 HGB Rz. 8), als auch gestaltende Entscheidungen mit Außenwirkung vornehmen. Sie können etwa die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis der Liquidatoren abweichend von § 146 Abs. 1 Satz 2 HGB ausgestalten, also eine Regelung treffen, die auch im Verhältnis zu Dritten wirkt. Wie weit die Gestaltungsfreiheit der Gesellschafter geht, wird besonders augenfällig an der Gestaltbarkeit der Befriedigungsreihenfolge: Nach gesetzlicher Konzeption besteht ein Vorrang der Gläubigerbefriedigung, so dass (nach der „Aussonderung“ gesellschaftsfremder Vermögensgegenstände, § 148 HGB Rz. 12) zunächst die Forderungen der Gesellschaftsgläubiger beglichen werden müssen, bevor die Gesellschafter ihre Einlagen zurück- bzw. sonstige Zahlungen erhalten dürfen (Rz. 26). Zwar gab der MoPeG-Gesetzgeber an, man wolle die Frage der Gestaltbarkeit dieser Vorschriften der Klärung durch die Rechtsprechung vorbehalten,74 gleichzeitig ging man jedoch davon aus, dass die Gesellschafter vertraglich eine Regelung mit Außenwirkung treffen könnten, die die „Gläubigerschutzvorschriften wie zum Beispiel das Recht auf vorrangige Gläubigerbefriedigung […] tangieren kann.“75 Die besseren Gründe sprechen für die umfassende Gestaltbarkeit: Die gesetzlich intendierte Befriedigungsreihenfolge hat zwar gläubigerschützende Effekte, begründet aber keinen subjektivrechtlichen Gläubigerschutz.76 38 Der wohl wichtigste Fall einer atypischen Art der Abwicklung liegt in der Unternehmens-
übertragung: Häufig dürfte es deutlich lukrativer sein, das bislang gesellschaftlich betriebene Unternehmen als „lebende Einheit“ zu erhalten und im Ganzen (oder zumindest in Teileinheiten) zu verwerten, anstatt den Betrieb zu zerschlagen und das gesamte Gesellschaftsvermögen zu liquidieren. Hierbei werden die zusammenhängenden Assets en bloc an den Erwerber (einen Gesellschafter oder einen Dritten) übertragen, der hierfür i.d.R. einen Preis
72 Habersack in Staub, § 145 HGB Rz. 28; Hillmann in E/B/J/S, § 145 HGB Rz. 19. 73 Vgl. Habersack in Staub, § 145 HGB Rz. 30; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 145 HGB Rz. 51. 74 S. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 183; diese Aussage betraf zwar die parallele Regelung des § 735 Abs. 3 BGB; sie wurde jedoch ausdrücklich zur Begründung des (wortgleichen) § 143 Abs. 3 HGB in Bezug genommen (S. 247). 75 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 182 zur parallelen Regelung des GbR-Rechts (§ 735 BGB Rz. 31). 76 K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 149 HGB Rz. 40; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1705 f. (Stand: 84. EL 9/2022); vgl. auch § 148 HGB Rz. 48.
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Liquidatoren | § 144 HGB
zahlen wird, der über dem summarischen Wert der Einzelgegenstände liegt. Auf diese Weise lässt sich der Mehrwert des laufenden Betriebes, der Goodwill, trotz der Gesellschaftsauflösung realisieren.77 In der zuvor dargestellten Form stellt die Unternehmensverwertung (entgegen der herr- 39 schenden Sicht)78 keine vom Gesetz abweichende Verwertungsart dar; sie ist vielmehr von § 148 Abs. 2 Satz 1 HGB gedeckt, weil auch hier schlicht das Gesellschaftsvermögen in Geld umgesetzt wird.79 Wichtig ist dies insbesondere, weil damit der Zustimmungsvorbehalt des § 143 Abs. 2 Satz 2 HGB (Rz. 35) entfällt. Zwar hat der Gesetzgeber diesen Fall explizit benannt und ging davon aus, dass diese Verwertungsart eine (zustimmungsbedürftige) Abweichung vom gesetzlichen Abwicklungsverfahren sei.80 Die Veräußerung der unternehmerischen Vermögensgegenstände ist jedoch die typische Art der Gesellschaftsliquidation; dass diese en bloc erfolgt, ändert hieran nichts.81 Etwas anderes gilt jedoch, wenn die Unternehmensübertragung auf anderem Wege als durch einen kaufweisen Asset Deal bewerkstelligt wird: Die reale Aufteilung des Unternehmens auf die Gesellschafter oder die Einbringung des Unternehmens als Sacheinlage in eine andere Gesellschaft stellen zustimmungsbedürftige Formen einer Unternehmensübernahme dar.82
§ 144 HGB Liquidatoren (1) Zur Liquidation sind alle Gesellschafter berufen. (2) Ist über das Vermögen eines Gesellschafters das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt worden, tritt dieser an die Stelle des Gesellschafters. (3) Mehrere Erben eines Gesellschafters haben einen gemeinsamen Vertreter zu bestellen. (4) Durch Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag oder durch Beschluss der Gesellschafter können auch einzelne Gesellschafter oder andere Personen zu Liquidatoren berufen werden. (5) Hat nach dem Gesellschaftsvertrag die Mehrheit der Stimmen zu entscheiden, gilt dies im Zweifel nicht für die Berufung und Abberufung eines Liquidators.
77 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1707 (Stand: 84. EL 9/2022). 78 S. etwa K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 145 HGB Rz. 40; Roth in Hopt, § 145 HGB Rz. 10; Kamanabrou in Oetker, § 145 HGB Rz. 16; Hillmann in E/B/J/S, § 145 HGB Rz. 24; Westermann in Erman, § 730 BGB Rz. 16; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 730 BGB Rz. 86. 79 So auch Habersack in Staub, § 145 HGB Rz. 35; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1707 (Stand: 84. EL 9/2022). Besonderheiten gelten, wenn auch die Firma übertragen werden soll; in diesem Fall liegt ein Geschäft mit Grundlagencharakter vor, das der Zustimmung der Gesellschafter (nicht der sonst Beteiligten) bedarf (s. § 148 HGB Rz. 23). 80 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 182: Beispiel für den Anwendungsbereich der parallelen Regelung des § 735 Abs. 2 BGB sei u.a. „die Übertragung des Unternehmens in Einzelrechtsnachfolge auf einen Dritten“. 81 A.A. Schäfer in MünchKomm/BGB, § 730 BGB Rz. 86. 82 Habersack in Staub, § 145 HGB Rz. 36; Hillmann in E/B/J/S, § 145 HGB Rz. 22 ff. Auch diese Formen der Unternehmensübernahme werden vom Gesetzgeber (insofern dann auch zutreffend) angesprochen, s. Fn. 80. Richter | 1037
Liquidatoren | § 144 HGB
zahlen wird, der über dem summarischen Wert der Einzelgegenstände liegt. Auf diese Weise lässt sich der Mehrwert des laufenden Betriebes, der Goodwill, trotz der Gesellschaftsauflösung realisieren.77 In der zuvor dargestellten Form stellt die Unternehmensverwertung (entgegen der herr- 39 schenden Sicht)78 keine vom Gesetz abweichende Verwertungsart dar; sie ist vielmehr von § 148 Abs. 2 Satz 1 HGB gedeckt, weil auch hier schlicht das Gesellschaftsvermögen in Geld umgesetzt wird.79 Wichtig ist dies insbesondere, weil damit der Zustimmungsvorbehalt des § 143 Abs. 2 Satz 2 HGB (Rz. 35) entfällt. Zwar hat der Gesetzgeber diesen Fall explizit benannt und ging davon aus, dass diese Verwertungsart eine (zustimmungsbedürftige) Abweichung vom gesetzlichen Abwicklungsverfahren sei.80 Die Veräußerung der unternehmerischen Vermögensgegenstände ist jedoch die typische Art der Gesellschaftsliquidation; dass diese en bloc erfolgt, ändert hieran nichts.81 Etwas anderes gilt jedoch, wenn die Unternehmensübertragung auf anderem Wege als durch einen kaufweisen Asset Deal bewerkstelligt wird: Die reale Aufteilung des Unternehmens auf die Gesellschafter oder die Einbringung des Unternehmens als Sacheinlage in eine andere Gesellschaft stellen zustimmungsbedürftige Formen einer Unternehmensübernahme dar.82
§ 144 HGB Liquidatoren (1) Zur Liquidation sind alle Gesellschafter berufen. (2) Ist über das Vermögen eines Gesellschafters das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt worden, tritt dieser an die Stelle des Gesellschafters. (3) Mehrere Erben eines Gesellschafters haben einen gemeinsamen Vertreter zu bestellen. (4) Durch Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag oder durch Beschluss der Gesellschafter können auch einzelne Gesellschafter oder andere Personen zu Liquidatoren berufen werden. (5) Hat nach dem Gesellschaftsvertrag die Mehrheit der Stimmen zu entscheiden, gilt dies im Zweifel nicht für die Berufung und Abberufung eines Liquidators.
77 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1707 (Stand: 84. EL 9/2022). 78 S. etwa K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 145 HGB Rz. 40; Roth in Hopt, § 145 HGB Rz. 10; Kamanabrou in Oetker, § 145 HGB Rz. 16; Hillmann in E/B/J/S, § 145 HGB Rz. 24; Westermann in Erman, § 730 BGB Rz. 16; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 730 BGB Rz. 86. 79 So auch Habersack in Staub, § 145 HGB Rz. 35; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1707 (Stand: 84. EL 9/2022). Besonderheiten gelten, wenn auch die Firma übertragen werden soll; in diesem Fall liegt ein Geschäft mit Grundlagencharakter vor, das der Zustimmung der Gesellschafter (nicht der sonst Beteiligten) bedarf (s. § 148 HGB Rz. 23). 80 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 182: Beispiel für den Anwendungsbereich der parallelen Regelung des § 735 Abs. 2 BGB sei u.a. „die Übertragung des Unternehmens in Einzelrechtsnachfolge auf einen Dritten“. 81 A.A. Schäfer in MünchKomm/BGB, § 730 BGB Rz. 86. 82 Habersack in Staub, § 145 HGB Rz. 36; Hillmann in E/B/J/S, § 145 HGB Rz. 22 ff. Auch diese Formen der Unternehmensübernahme werden vom Gesetzgeber (insofern dann auch zutreffend) angesprochen, s. Fn. 80. Richter | 1037
§ 144 HGB Rz. 1 | Offene Handelsgesellschaft In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Der Kreis und das Amt der Liquidatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Liquidatoren nach gesetzlicher Konzeption (Abs. 1–3) . . . . . . . . . . . . . . . III. Liquidatoren kraft privatautonomer Bestimmung (Abs. 4–5) . . . . . . . . . . . . . .
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1. Vertragliche Bestimmung der Liquidatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Berufung von Liquidatoren durch (Mehrheits-)Beschluss . . . . . . . . . . . . . . . 3. Besonderheiten bei Bestimmung eines Drittliquidators . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Abberufung von Liquidatoren . . . . . . . .
11 13 15 16
I. Der Kreis und das Amt der Liquidatoren 1 Die Durchführung des Abwicklungsverfahrens obliegt den Liquidatoren, zu diesem Amt
sind im gesetzlichen Regelfall zunächst alle voll haftenden Gesellschafter berufen (Rz. 4); anders als nach früherem Recht sind die Kommanditisten einer KG keine „geborenen“ Liquidatoren (§ 178 HGB Rz. 1). Grundsätzlich sind die Gesellschafter gemeinschaftlich zur Abwicklung verpflichtet; die Durchführung dieser Aufgabe ist ihnen als „mitgliedschaftliches Pflichtrecht“1 zugewiesen. Die Bezeichnung als Liquidatoren ist zwar etwas ungenau, wenn die Gesellschaft nicht im eigentlichen Sinne liquidiert, sondern auf andere Art abgewickelt wird (§ 143 HGB Rz. 31); gleichwohl kann und sollte auch hier die gesetzliche Terminologie verwendet werden. 2 Durch Regelung im Gesellschaftsvertrag oder durch einen entsprechenden Gesellschafter-
beschluss kann der Kreis der Liquidatoren auch abweichend ausgestaltet werden; insbesondere bei Publikumsgesellschaften, bei denen eine Vielzahl von Personen zur Abwicklung berufen wären, ist eine solche Regelung praktisch zwingend notwendig.2 Daneben kommt den Gesellschaftern und sonstigen Beteiligten das unentziehbare Recht zu, eine gerichtliche Berufung oder Abberufung von Liquidatoren zu erwirken (§ 145 HGB Rz. 1). Alle Liquidatoren haben, unabhängig von der Art ihrer Berufung und von ihrer Person, stets die Weisungen der Gesellschafter zu befolgen (§ 148 HGB Rz. 2). 3 Die Gesellschafter sind einander zu Übernahme und Erfüllung der Liquidatorentätigkeit ver-
pflichtet,3 ohne dass sie hierfür eine Vergütung verlangen könnten. Eine abweichende vertragliche Regelung der Vergütung ist jedoch wie stets möglich.4 Wird der Kreis der Liquidatoren durch Vertrag, Beschluss oder gerichtliche Entscheidung verändert, können neben die Gesellschafter (oder an deren Stelle) auch Dritte treten und die Liquidation übernehmen. Solche Drittliquidatoren haben regelmäßig Anspruch auf Vergütung und Aufwendungsersatz (Rz. 15).
II. Liquidatoren nach gesetzlicher Konzeption (Abs. 1–3) 4 Zur Liquidation sind nach gesetzlicher Grundregel alle voll haftenden Gesellschafter beru-
fen („geborene Liquidatoren“, § 144 Abs. 1 HGB), ein Kommanditist wird nur dann Liquida1 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 247. 2 Das Problem, das sich bislang insbesondere bei einer Publikums-KG und einer Vielzahl von Kommanditisten gestellt hat, ist (zumindest dort) durch die Vorgabe des § 178 HGB mit dem MoPeG entfallen, s. § 178 HGB Rz. 3. 3 Habersack in Staub, § 146 HGB Rz. 21; Roth in Hopt, § 146 HGB Rz. 3. 4 K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 146 HGB Rz. 10; Rz. 15.
1038 | Richter
Liquidatoren | Rz. 6 § 144 HGB
tor, wenn eine entsprechende (abweichende) Bestimmung erfolgt (§ 178 HGB Rz. 6). Die für die Abwicklung notwendigen Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse stehen allen Liquidatoren gemeinsam zu (§ 146 HGB Rz. 1). Zwar gilt sowohl für die werbende als auch für die aufgelöste Gesellschaft, dass diesbezügliche vertragliche Abreden der Gesellschafter Vorrang haben; vertragliche Regelungen, die für die werbende Gesellschaft getroffen wurden, sollen jedoch nicht ohne weiteres für die Liquidationsgesellschaft fortgelten.5 Unabhängig davon, durch wen die Gesellschaft vor Eintritt des Auflösungsgrundes geleitet und vertreten wurde, sollen nunmehr grundsätzlich alle (haftenden) Gesellschafter für die abschließende Liquidation zuständig sein. Hintergrund dieser Regelung ist die Tatsache, dass die Gesellschafter vom Moment der Auflösung an (typischerweise) nicht mehr einem gemeinsamen Ziel verpflichtet sind, das sie kooperativ verfolgen würden, sondern im Zweifel ein Interesse daran haben, selbst auf die Abwicklung einwirken und sich dabei gegenseitig kontrollieren zu können.6 Normzweck des § 144 Abs. 1 HGB ist also der Schutz derjenigen Gesellschafter, die von der Führung und Vertretung der werbenden Gesellschaft ausgeschlossen waren.7 Nur wenn sich die Gesellschafter vorab oder im Nachhinein (ggf. mehrheitlich) auf andere Personen einigen können („gekorene Liquidatoren“, Rz. 8 ff.), bedarf es eines Rückgriffs auf diese gesetzliche Auffangregel nicht. Kommt mangels abweichender Bestimmung § 144 Abs. 1 HGB zur Anwendung, führt dies 5 insbesondere dann zu praktischen Problemen, wenn eine unüberschaubare Zahl von Gesellschaftern an der (Publikums-)Gesellschaft beteiligt und damit zur Liquidation berufen sind. Zwar wird der praktisch wichtigste Fall, die Publikums-KG mit zahlreichen Kommanditisten, nunmehr durch die Neuregelung des § 178 HGB erfasst (§ 178 HGB Rz. 3); es stellt sich allerdings die Frage, wie mit anderen Publikumsgesellschaften im Liquidationsstadium umzugehen ist. Zum früheren Recht wurde z.T. vertreten, dass zur Abwicklung derartiger Gesellschaften, anders als sonst, nicht alle Gesellschafter, sondern nur die bisherigen Geschäftsführer berufen seien, auch wenn eine entsprechende vertragliche Regelung bzw. Beschlussfassung nicht vorläge.8 Jedenfalls nach der Gesetzesreform des MoPeG dürfte diese Sicht nicht mehr aufrecht zu halten sein: Zum einen besteht nun eine explizite Regelung dieser Frage im Recht der Kommanditgesellschaft, nach der § 144 Abs. 1 HGB abbedungen wird, so dass für die übrigen Gesellschaften e contrario von einer Anwendung auszugehen ist. Zum anderen sind auch die praktischen Probleme der Publikumsgesellschaften durch Rückgriff auf § 145 Abs. 1 Satz 1 HGB, also durch gerichtliche (Ab-)Berufungen zu lösen.9 Zudem ist bei derartigen Gesellschaften eine abweichende Regelung typisch und angeraten. Bei der umfassenden Auslegung der vertraglichen Regeln sind insbesondere die Zahl und die Beziehung der Gesellschafter als wichtiger Umstand zu berücksichtigen. Durch Abs. 2 gesondert geregelt wird der Fall, dass einer der Gesellschafter formell insol- 6 vent wird, bevor die aufgelöste Gesellschaft beendet wurde. Die Gesellschafterinsolvenz kann (ausnahmsweise) der Auflösungsgrund gewesen sein (§ 138 HGB Rz. 8), möglich und wichtiger ist zudem der Fall, dass die Auflösung aus anderem Grund erfolgt und ein Gesellschaf5 OLG Köln v. 29.5.1995 – 19 U 83/94, WM 1995, 1881; Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 730 BGB Rz. 12. 6 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 183; vgl. auch BGH v. 5.7.2011 – II ZR 199/10, ZIP 2011, 1865, 1867 Rz. 20. 7 Noack in Schäfer, Personengesellschaftsrecht, § 9 Rz. 19. 8 S. insbesondere Schäfer in MünchKomm/BGB, § 730 BGB Rz. 40 (analoge Anwendung von § 265 Abs. 1 AktG „im Interesse einer zügigen und praktikablen Liquidation“), ebenso LG Nürnberg-Fürth v. 25.6.2010 – 15 S 2130/10, NZG 2010, 1101 (jeweils zur Publikums-GbR); s. demgegenüber jedoch BGH v. 5.7.2011 – II ZR 199/10, ZIP 2011, 1865, 1866 Rz. 18 ff. 9 Mit dem MoPeG wurde diese Möglichkeit bewusst auf die GbR ausgeweitet, weil „insbesondere bei einer Publikumsgesellschaft ein Bedürfnis“ hierfür bestünde, s. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/ 27635, 184, s. § 736a BGB Rz. 5. Richter | 1039
§ 144 HGB Rz. 6 | Offene Handelsgesellschaft ter im Nachhinein formell insolvent wurde. In diesen Fällen ist nicht der Gesellschafter, sondern dessen Insolvenzverwalter gem. § 144 Abs. 2 HGB zum Liquidator bestellt. Dieser verwaltet das schuldnerische Vermögen und damit auch den Gesellschaftsanteil und übt deshalb auch die hieraus folgenden Rechte für den insolventen Gesellschafter aus.10 Abs. 2 stellt sicher, dass die Befugnisse, die sich aus dem Amt des Liquidators ergeben, an den Interessen der (Insolvenz-)Gläubiger ausgerichtet sind. Anders als § 143 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 HGB sieht § 144 Abs. 2 HGB keine spezielle Regelung für den Fall vor, dass im Insolvenzverfahren gem. § 270 InsO die Eigenverwaltung durch den Gesellschafter angeordnet wurde. Da Abs. 2 beide Aspekte kumulativ voraussetzt (Insolvenzeröffnung und Bestellung eines Insolvenzverwalters) und bei einer Eigenverwaltung kein Insolvenzverwalter, sondern ein Sachwalter bestellt wird, bleibt es beim Grundsatz des Abs. 1: Der Gesellschafter ist (trotz seiner Insolvenz) zur Liquidation berufen und wird hierbei lediglich vom Sachwalter überwacht (§ 274 Abs. 2 Satz 1 InsO). 7 Verstirbt einer der Gesellschafter in der Liquidationsphase oder wird die Gesellschaft (aus-
nahmsweise, § 138 HGB Rz. 20) infolge des Versterbens eines Gesellschafters aufgelöst, geht der Gesellschaftsanteil des Erblassers ungeteilt auf seine Erben über. Bei einer Mehrzahl von Erben müssten diese das mitgliedschaftliche Pflichtrecht des Liquidators grds. gemeinschaftlich ausüben (§ 2038 Abs. 1 Satz 1 BGB). Weil dies den Interessen der anderen Mitgesellschafter an einer möglichst zügigen Liquidation widersprechen würde,11 ordnet § 143 Abs. 3 HGB an, dass die Erben einen gemeinsamen Vertreter zu bestellen haben. Die hierfür notwendige Beschlussfassung innerhalb der Erbengemeinschaft kann mit Stimmenmehrheit erfolgen (§ 2038 Abs. 2 Satz 1, § 745 Abs. 1 BGB). Als Vertreter kann nicht nur einer der Miterben, sondern auch einer der anderen Gesellschafter oder ein Dritter bestellt werden.12 Kommen die Erben dieser Pflicht nicht nach, machen sie sich ersatzpflichtig,13 im Regelfall wird die Liquidationsgesellschaft deshalb jedoch nicht handlungsunfähig: Die gemeinschaftliche Geschäftsführungs- und Verpflichtungsbefugnis umfasst lediglich die aktuell zur Liquidation berufenen Personen, weshalb die Mitgesellschafter auch ohne den Vertreter handeln können.14 Sollte kein Liquidator vorhanden sein (etwa beim Versterben des einzigen Komplementärs einer KG), kann und muss auf eine gerichtliche Berufung gem. § 145 Abs. 1 Satz 1 HGB hingewirkt werden (§ 145 HGB Rz. 5).
III. Liquidatoren kraft privatautonomer Bestimmung (Abs. 4–5) 8 Die Anordnung des § 144 Abs. 1 HGB gilt, wie die meisten Regeln zum Liquidationsverfah-
ren, nur subsidiär: Haben die Gesellschafter vorab vertraglich geklärt, durch wen die Abwicklung durchgeführt werden soll (Rz. 11), oder treffen sie nach Eintritt des Auflösungsgrundes einvernehmlich (oder ggf. mehrheitlich) eine abweichende Regelung (Rz. 13), so geht diese privatautonome Entscheidung der gesetzlichen Auffangregel vor. Dies wird durch 10 K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 146 HGB Rz. 46; im Anschluss hieran auch Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 183. 11 So Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 184 zur neugeschaffenen parallelen Regelung des § 736 Abs. 3 BGB; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1715a (Stand: 84. EL 9/2022). 12 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1715a (Stand: 84. EL 9/2022); Hillmann in E/B/J/S, § 146 HGB Rz. 6. 13 Habersack in Staub, § 146 HGB Rz. 28. 14 So die ganz h.M. zum früheren Recht (s. nur m.w.N. K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 146 HGB Rz. 24). Hier bestand jedoch ein heute entfallener Anknüpfungspunkt in der Gesetzesformulierung: Die gemeinschaftliche Befugnis bestand nach § 150 Abs. 1 HGB a.F., wenn mehrere Liquidatoren „vorhanden“ waren; mit Rückgriff auf diese Formulierung etwa Habersack in Staub, § 146 HGB Rz. 28.
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Liquidatoren | Rz. 12 § 144 HGB
Abs. 4 klargestellt.15 Als „gekorene Liquidatoren“ können Gesellschafter (unter Ausschluss anderer Mitgesellschafter) berufen werden, aber auch außenstehende Dritte (Rz. 15); der sonst geltende Grundsatz der Selbstorganschaft wird in der Liquidationsphase eingeschränkt, weil sich die Interessenlage und vermutete Kooperationsbereitschaft der Gesellschafter nach der Auflösung deutlich verändert hat.16 Der Kreis der Liquidatoren kann nicht nur durch Vertrag oder Beschluss abweichend von 9 der gesetzlichen Grundvorstellung (Rz. 4) gestaltet werden; es besteht auch das unabdingbare Recht aller Beteiligten, aus wichtigem Grund eine gerichtliche Entscheidung über die Liquidatoren zu beantragen (§ 145 Abs. 1 HGB). Obwohl dies in § 144 Abs. 4 HGB – anders als in der (i.Ü. wortgleichen) Regelung des BGB (§ 736 BGB Rz. 6) – nicht ausdrücklich normiert ist, besteht hieran kein Zweifel. Dem Wortlaut von Abs. 4 nach, beschränkt sich die Kompetenz der Gesellschafter auf die po- 10 sitive Entscheidung der Berufung von Liquidatoren. Allerdings wird ebenfalls klar, dass „einzelne“ Gesellschafter berufen werden können, so dass auch die negativ wirkende Komponente der Entscheidung mitgedacht ist: Werden aus dem Kreis der Gesellschafter nur bestimmte Personen als Liquidatoren benannt, dann liegt hierin gleichzeitig der Ausschluss aller nichtbenannten Gesellschafter von diesem Amt.17 Entsprechendes gilt, wenn (nur) außenstehende Dritte berufen werden. Demgegenüber besteht eine echte gesetzliche Lücke hinsichtlich der späteren Abberufung eines zunächst (gesetzlich oder privatautonom) berufenen Liquidators: Die Kompetenz zur Abberufung wird von § 144 Abs. 4 HGB nicht angesprochen; gleichwohl steht sie den Gesellschaftern zu (s. hierzu noch Rz. 16).
1. Vertragliche Bestimmung der Liquidatoren So wie das gesamte Abwicklungsverfahren im Allgemeinen wie im Speziellen durch den Ge- 11 sellschaftsvertrag vorab ausgestaltet werden kann (§ 143 HGB Rz. 33), kann und sollte vertraglich auch bestimmt werden, wer die Aufgabe der Liquidation übernehmen soll, wenn es zur Auflösung (und damit u.U. zur beschriebenen Interessendivergenz, Rz. 4) kommen sollte. Eine Regelung zur Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis innerhalb der werbenden Gesellschaft gilt zwar in der Liquidationsphase im Zweifel nicht fort (Rz. 4). Ergibt sich aus dem Vertrag (bei umfassender Auslegung) jedoch, dass auch das Liquidationsverfahren von der allgemeinen Regelung umfasst sein soll, liegt hierin eine wirksame Bestimmung der Liquidatoren i.S.d. § 144 Abs. 4 HGB. Insbesondere bei Publikumsgesellschaften ist eine entsprechende Vertragsauslegung naheliegend, so dass die Zweifelsregelung des Abs. 1 häufig abbedungen sein wird (Rz. 5). Bestimmt der Gesellschaftsvertrag die Liquidatoren nicht konkret, sondern sieht er lediglich 12 vor, dass diese durch einen noch zu treffenden Gesellschafterbeschluss (Rz. 13) zu bestimmen sind, stellt sich die umstrittene Frage, wer zwischen Auflösung und Beschlussfassung geschäftsführungs- und vertretungsbefugt ist. Z.T. wird angenommen, die (Liquidations-) Gesellschaft sei in diesem Fall zeitweise „führungslos“; erst ein entsprechender Beschluss
15 Vgl. auch Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 184 zur parallelen Norm des § 736 Abs. 4 BGB: Die Gestaltbarkeit ergebe sich bereits aus der Tatsache, dass die Liquidationsvorschriften grds. zur Disposition der Gesellschafter stehen. 16 S. hierzu BGH v. 17.9.2013 – II ZR 68/11, NZG 2014, 302, 305 Rz. 38; Hillmann in E/B/J/S, § 146 HGB Rz. 10. 17 S. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 184; Hillmann in E/B/J/S, § 146 HGB Rz. 9 unter Rückgriff auf die Auslegungsregel des § 114 Abs. 2 HGB a.F., die jedoch „mangels Regelungsbedarfs“ nicht vom MoPeG aufgenommen wurde (Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 237). Richter | 1041
§ 144 HGB Rz. 12 | Offene Handelsgesellschaft oder eine gerichtliche Entscheidung (§ 145 HGB Rz. 1) würde diesen Zustand ändern.18 Überzeugender ist es demgegenüber, § 144 Abs. 1 Satz 1 HGB zur Anwendung zu bringen: Es bleibt solange bei der allgemeinen Anordnung, dass alle Gesellschafter gemeinschaftlich zur Liquidation berufen sind, bis eine abweichende und konkrete (wirksame) Entscheidung getroffen wurde.19 Abs. 1 Satz 1 greift auch dann, wenn nur ein unwirksamer Beschluss zur (Ab-)Berufung getroffen wird; das Gleiche gilt, wenn alle Gesellschafter vom Liquidatorenamt durch Vertrag oder Beschluss ausgeschlossen werden und ein außenstehender Dritter benannt wird, solange dieser sein Amt nicht angenommen hat (Rz. 15).
2. Berufung von Liquidatoren durch (Mehrheits-)Beschluss 13 Auch nach der Gesellschaftsauflösung können die Gesellschafter die Liquidatoren abwei-
chend von Abs. 1 durch Beschluss ad hoc bestimmen. Diese Entscheidung muss grundsätzlich mit Zustimmung aller Gesellschafter erfolgen;20 das Einstimmigkeitserfordernis ist insbesondere auch deshalb angemessen, weil die Gesellschafter im Liquidationsstadium nicht mehr einem gemeinsamen Ziel verpflichtet sind, das sie kooperativ verfolgen würden (Rz. 4). Auch diesbzgl. kann jedoch der Gesellschaftsvertrag etwas Abweichendes regeln und eine Mehrheitsentscheidung vorsehen. Verdeutlicht wird dies nicht zuletzt durch § 144 Abs. 5 HGB, der diese Möglichkeit anerkennt und diesbezüglich eine Zweifelsregelung trifft: Sieht der Gesellschaftsvertrag für die Beschlussfassung ganz allgemein vor, dass die Mehrheit der Stimmen zu entscheiden hat, so gilt diese allgemeine Mehrheitsklausel im Zweifel nicht für die Beschlussfassung über die Liquidatoren. Eine von der Einstimmigkeit abweichende Regelung muss also speziell für diesen Fall formuliert sein, wobei eine umfassende Auslegung möglich bleibt. Lässt sich dem Vertrag hingegen entnehmen, dass gerade auch diese Entscheidung durch die Mehrheit getroffen werden kann, bleibt für die Regelung des Abs. 5 kein Raum.21 14 Nach § 144 Abs. 4 HGB erfolgt die nachträgliche Bestimmung der Liquidatoren durch Be-
schluss der Gesellschafter, andere Personen sind somit grds. nicht an der Entscheidung zu beteiligen. Das frühere Recht hatte die Kompetenz zur positiven Entscheidung (Berufung) wie das geltende Recht allein den Gesellschaftern zugewiesen, für die negative Entscheidung (Abberufung, Rz. 17) waren hingegen u.U. weitere Personen zuständig – etwa der Insolvenzverwalter eines insolventen Gesellschafters an seiner statt (§§ 147, 146 Abs. 3 HGB a.F.). Richtigerweise sind an der (positiven) Berufungsentscheidung auch nach heutigem Recht neben den Gesellschaftern diejenigen zu beteiligen, auf die in Abs. 2 und 3 Bezug genommen wird: Der Insolvenzverwalter eines Gesellschafters tritt „an die Stelle“ des Schuldners, ist also an der Berufung zu beteiligen;22 allerdings besteht – anders als bei der Entscheidung nach § 143 Abs. 2 HGB – kein Vetorecht, so dass eine Mehrheitsentscheidung auch gegen
18 OLG Bremen v. 12.1.1978 – 2 U 95/77, BB 1978, 275; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 146 HGB Rz. 12; Roth in Hopt, § 146 HGB Rz. 4; für die Zulässigkeit einer vertraglich angeordneten Führungslosigkeit auch Kamanabrou in Oetker, § 146 HGB Rz. 3. 19 S. Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1716 (Stand: 84. EL 9/2022); Habersack in Staub, § 146 HGB Rz. 18. 20 Hillmann in E/B/J/S, § 146 HGB Rz. 9, Schäfer in MünchKomm/BGB, § 730 BGB Rz. 47; mit dem Hinweis auf die vertragsändernde Natur dieses Beschlusses Habersack in Staub, § 146 HGB Rz. 15. 21 S. zum früheren Recht BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, ZIP 2014, 2231, 2233 Rz. 13 ff.; s. auch BGH v. 17.9.2013 – II ZR 68/11, NZG 2014, 302, 305 Rz. 33 ff. (eine auf Vertragsänderungen bezogene Mehrheitsklausel genügt). 22 Die (Mit-)Entscheidungsbefugnis ergibt sich primär aus § 80 Abs. 1 InsO; § 144 Abs. 2 HGB bezieht sich wohl eher nur auf Abs. 1, ist jedoch ohnehin nur deklaratorisch; vgl. auch Habersack in Staub, § 146 HGB Rz. 46.
1042 | Richter
Liquidatoren | Rz. 16 § 144 HGB
seinen Willen möglich ist. In gleicher Weise zu beteiligen sind die Erben eines verstorbenen Gesellschafters, die in dessen Rechtsstellung eingerückt sind. Unbeteiligt an der Beschlussfassung nach § 144 Abs. 4 HGB ist hingegen der pfändende Privatgläubiger eines Gesellschafters; dieser hat jedoch als Verfahrensbeteiligter das unentziehbare Recht, die Berufung eines Liquidators durch gerichtliche Entscheidung zu beantragen (§ 145 HGB Rz. 7).
3. Besonderheiten bei Bestimmung eines Drittliquidators Durch Vertrag oder Beschluss können auch „andere Personen“ als die Gesellschafter als Liqui- 15 datoren bestimmt werden; der Grundsatz der Selbstorganschaft gilt demnach für die Liquidationsgesellschaft nicht mehr uneingeschränkt.23 Die Liquidationsgesellschaft kann also zusätzlich oder ausschließlich durch externe Personen geleitet werden. Anders als § 144 Abs. 4 HGB nahelegt, kann ein solcher Drittliquidator (anders als ein Gesellschafter-Liquidator) nicht schlicht durch den Gesellschaftsvertrag oder Beschluss „berufen“ werden. Er wird vielmehr zunächst bestimmt und muss daraufhin an der Berufung mitwirken, indem er erklärt, dass er die Bestellung annimmt.24 Von dieser zweiaktigen Berufung zu unterscheiden ist die Begründung des Schuldverhältnisses zwischen Gesellschaft und Drittem: Typischerweise wird mit dem Drittliquidator ein Geschäftsbesorgungs- bzw. Dienstvertrag geschlossen,25 aus dem sich nicht nur dessen Pflicht zur Annahme der Bestellung und zur Gesellschaftsabwicklung ergibt, sondern auch ein Anspruch auf angemessene Vergütung.26 Bei dem Abschluss dieses Vertrages wird die Gesellschaft durch ihre Liquidatoren vertreten, also – falls noch keine spezielle Berufung erfolgt ist – gem. § 144 Abs. 1 HGB durch alle Gesellschafter gemeinschaftlich.27 Wurde die Bestellung mit Stimmenmehrheit beschlossen (Rz. 13), sind auch die dissentierenden Gesellschafter zur Mitwirkung an der Berufung verpflichtet. Legt ein exklusiv berufener Drittliquidator sein Amt nieder oder verstirbt er, so steht dieses Amt gem. Abs. 1 wieder den Gesellschaftern zu; anders jedoch, wenn weitere Liquidatoren bestellt waren.28
IV. Abberufung von Liquidatoren Nach der ausdrücklichen Vorgabe des § 116 Abs. 5 HGB besteht bei einer werbenden Per- 16 sonenhandelsgesellschaft (anders als bei einer GbR, § 715 BGB Rz. 53) nicht die Möglichkeit, einem Gesellschafter seine Geschäftsführungsbefugnis durch Beschluss zu entziehen; entsprechendes gilt für die Entziehung der Vertretungsbefugnis (§ 124 HGB Rz. 48). Das Gesetz hält diesbzgl. am Gestaltungsklageerfordernis fest, um die beabsichtigte Klagelastverteilung zu erreichen (§ 116 HGB Rz. 31). Für die Phase nach Auflösung der Gesellschaft haben die Gesellschafter hingegen das uneingeschränkte Recht, die zur Gesellschaftsabwicklung bestimmte Person festzulegen, also auch per Beschluss abzuberufen. Zwar normiert § 144 Abs. 4 HGB ausdrücklich lediglich die Kompetenz, Liquidatoren „zu berufen“ und auch die
23 K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 146 HGB Rz. 2; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1711 (Stand: 84. EL 9/2022). 24 Habersack in Staub, § 146 HGB Rz. 21. 25 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1722 (Stand: 84. EL 9/2022); Habersack in Staub, § 146 HGB Rz. 21; Klöhn in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 149 HGB Rz. 5. 26 Zwar ordnet das Gesetz in § 145 Abs. 3 HGB eine Vergütung speziell für den Drittliquidator an; dies jedoch nur für den Fall der gerichtlichen Bestellung (§ 145 HGB Rz. 12). 27 S. auch Habersack in Staub, § 146 HGB Rz. 21. 28 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1722 (Stand: 84. EL 9/2022). Richter | 1043
§ 144 HGB Rz. 16 | Offene Handelsgesellschaft Gesetzesmaterialien begrenzen sich an dieser Stelle auf die positive Berufungsentscheidung;29 gleichwohl liegt auch der „actus contrarius“ einer Abberufung in der Kompetenz der Gesellschafter. Dies folgt schon aus ihrer allgemeinen Stellung als „Herren des Liquidationsverfahrens“30; dem Gesetz klar zu entnehmen ist diese Kompetenz zudem in Abs. 5, der die (mehrheitliche) Beschlussfassung bzgl. der „Berufung und Abberufung eines Liquidators“ regelt (Rz. 13). 17 Hinsichtlich der Frage, wer an der Entscheidung über die Abberufung zu beteiligen ist, hat
sich das Gesetz mit dem MoPeG gewandelt. § 147 HGB a.F. sah vor, dass eine Abberufung (anders als die positive Berufung, Rz. 14) nicht allein durch die Gesellschafter, sondern nur durch den Beschluss aller Verfahrensbeteiligten erfolgen konnte. Nach der (auch für die Abberufung geltenden) Neuregelung des § 144 Abs. 4 HGB liegt die Kompetenz nunmehr allein bei den Gesellschaftern (allerdings unter Berücksichtigung von Abs. 2 und 3, Rz. 14). Für die Entscheidung ist – wie für die Berufung – zwar grds. Einstimmigkeit notwendig; durch eine (spezielle, Rz. 13) Mehrheitsklausel kann hiervon jedoch abgewichen werden. Enthält der Gesellschaftsvertrag eine Klausel, nach der die (positive) Berufung von Liquidatoren mit Mehrheit erfolgen kann, so dürfte dies (trotz der Anordnung des Abs. 5) regelmäßig so auszulegen sein, dass auch die (negative) Abberufung per Mehrheitsbeschluss möglich sein soll. 18 Die Gesellschafter haben grds. sogar die Möglichkeit, einen Liquidator abzuberufen, der zu-
vor gem. § 145 Abs. 1 HGB durch gerichtlichen Beschluss berufen worden ist; auch ein diesbzgl. Mehrheitsbeschluss (Rz. 13) ist grundsätzlich möglich. Die ursprüngliche gerichtliche Entscheidung, die hiermit rückgängig gemacht würde, beruht jedoch stets auf dem erfolgreichen Antrag eines Beteiligten: § 145 HGB sichert allen Verfahrensbeteiligten das unabdingbare Recht zu, Liquidatoren aus wichtigem Grund durch gerichtliche Entscheidung – auch gegen die Mehrheit der (Mit-)Gesellschafter – berufen zu lassen (§ 145 HGB Rz. 1). Dieses Recht würde leerlaufen, wenn der auf Antrag berufene Liquidator umgehend durch Mehrheitsbeschluss aus seinem Amt entfernt werden könnte. Deshalb ist eine Abberufung des gerichtlich bestellten Liquidators nur mit Zustimmung desjenigen möglich, der die Berufung gem. § 145 Abs. 1 HGB erfolgreich beantragt hatte.31
§ 145 HGB Gerichtliche Berufung und Abberufung von Liquidatoren (1) 1Auf Antrag eines Beteiligten kann aus wichtigem Grund ein Liquidator durch das Gericht, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat, berufen und abberufen werden. 2Eine Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag, welche dieses Recht ausschließt, ist unwirksam. (2) Beteiligte sind: 1. jeder Gesellschafter (§ 144 Absatz 1), 2. der Insolvenzverwalter über das Vermögen des Gesellschafters (§ 144 Absatz 2), 29 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 248: „Die Vorschrift gestattet es den Gesellschaftern […] Liquidatoren zu berufen“; durch gerichtliche Entscheidung könnten die Liquidatoren hingegen „berufen und abberufen werden.“ 30 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 186; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 152 HGB Rz. 1. 31 Habersack in Staub, § 147 HGB Rz. 3, 8; Hillmann in E/B/J/S, § 147 HGB Rz. 4; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1720 (Stand: 84. EL 9/2022).
1044 | Richter
§ 144 HGB Rz. 16 | Offene Handelsgesellschaft Gesetzesmaterialien begrenzen sich an dieser Stelle auf die positive Berufungsentscheidung;29 gleichwohl liegt auch der „actus contrarius“ einer Abberufung in der Kompetenz der Gesellschafter. Dies folgt schon aus ihrer allgemeinen Stellung als „Herren des Liquidationsverfahrens“30; dem Gesetz klar zu entnehmen ist diese Kompetenz zudem in Abs. 5, der die (mehrheitliche) Beschlussfassung bzgl. der „Berufung und Abberufung eines Liquidators“ regelt (Rz. 13). 17 Hinsichtlich der Frage, wer an der Entscheidung über die Abberufung zu beteiligen ist, hat
sich das Gesetz mit dem MoPeG gewandelt. § 147 HGB a.F. sah vor, dass eine Abberufung (anders als die positive Berufung, Rz. 14) nicht allein durch die Gesellschafter, sondern nur durch den Beschluss aller Verfahrensbeteiligten erfolgen konnte. Nach der (auch für die Abberufung geltenden) Neuregelung des § 144 Abs. 4 HGB liegt die Kompetenz nunmehr allein bei den Gesellschaftern (allerdings unter Berücksichtigung von Abs. 2 und 3, Rz. 14). Für die Entscheidung ist – wie für die Berufung – zwar grds. Einstimmigkeit notwendig; durch eine (spezielle, Rz. 13) Mehrheitsklausel kann hiervon jedoch abgewichen werden. Enthält der Gesellschaftsvertrag eine Klausel, nach der die (positive) Berufung von Liquidatoren mit Mehrheit erfolgen kann, so dürfte dies (trotz der Anordnung des Abs. 5) regelmäßig so auszulegen sein, dass auch die (negative) Abberufung per Mehrheitsbeschluss möglich sein soll. 18 Die Gesellschafter haben grds. sogar die Möglichkeit, einen Liquidator abzuberufen, der zu-
vor gem. § 145 Abs. 1 HGB durch gerichtlichen Beschluss berufen worden ist; auch ein diesbzgl. Mehrheitsbeschluss (Rz. 13) ist grundsätzlich möglich. Die ursprüngliche gerichtliche Entscheidung, die hiermit rückgängig gemacht würde, beruht jedoch stets auf dem erfolgreichen Antrag eines Beteiligten: § 145 HGB sichert allen Verfahrensbeteiligten das unabdingbare Recht zu, Liquidatoren aus wichtigem Grund durch gerichtliche Entscheidung – auch gegen die Mehrheit der (Mit-)Gesellschafter – berufen zu lassen (§ 145 HGB Rz. 1). Dieses Recht würde leerlaufen, wenn der auf Antrag berufene Liquidator umgehend durch Mehrheitsbeschluss aus seinem Amt entfernt werden könnte. Deshalb ist eine Abberufung des gerichtlich bestellten Liquidators nur mit Zustimmung desjenigen möglich, der die Berufung gem. § 145 Abs. 1 HGB erfolgreich beantragt hatte.31
§ 145 HGB Gerichtliche Berufung und Abberufung von Liquidatoren (1) 1Auf Antrag eines Beteiligten kann aus wichtigem Grund ein Liquidator durch das Gericht, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat, berufen und abberufen werden. 2Eine Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag, welche dieses Recht ausschließt, ist unwirksam. (2) Beteiligte sind: 1. jeder Gesellschafter (§ 144 Absatz 1), 2. der Insolvenzverwalter über das Vermögen des Gesellschafters (§ 144 Absatz 2), 29 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 248: „Die Vorschrift gestattet es den Gesellschaftern […] Liquidatoren zu berufen“; durch gerichtliche Entscheidung könnten die Liquidatoren hingegen „berufen und abberufen werden.“ 30 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 186; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 152 HGB Rz. 1. 31 Habersack in Staub, § 147 HGB Rz. 3, 8; Hillmann in E/B/J/S, § 147 HGB Rz. 4; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1720 (Stand: 84. EL 9/2022).
1044 | Richter
Gerichtliche Berufung und Abberufung von Liquidatoren | Rz. 2 § 145 HGB
3. der gemeinsame Vertreter (§ 144 Absatz 3) und 4. der Privatgläubiger des Gesellschafters, durch den die zur Auflösung der Gesellschaft führende Kündigung erfolgt ist (§ 143 Absatz 2 Satz 2). (3) 1Gehört der Liquidator nicht zu den Gesellschaftern, hat er Anspruch auf Ersatz der erforderlichen Aufwendungen und auf Vergütung für seine Tätigkeit. 2Einigen sich der Liquidator und die Gesellschaft hierüber nicht, setzt das Gericht die Aufwendungen und die Vergütung fest. 3Gegen die Entscheidung ist die Beschwerde zulässig; die Rechtsbeschwerde ist ausgeschlossen. 4Aus der rechtskräftigen Entscheidung findet die Zwangsvollstreckung nach der Zivilprozessordnung statt. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Gerichtliche (Ab-)Berufung von Liquidatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Voraussetzungen und Verfahren der gerichtlichen Bestimmung (Abs. 1–2) . . .
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III. Vergütungs- und Ersatzansprüche von Drittliquidatoren (Abs. 3) . . . . . . . . . . . . 12
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I. Gerichtliche (Ab-)Berufung von Liquidatoren § 145 HGB regelt die Möglichkeit der gerichtlichen Berufung und Abberufung von Liquida- 1 toren. Jeder der in Abs. 2 genannten Verfahrensbeteiligten (Rz. 5 ff.) hat das unentziehbare Recht, eine gerichtliche Entscheidung zu beantragen, mit der aus wichtigem Grund (Rz. 9) der Kreis der Liquidatoren umgestaltet wird. Auf diese Weise werden zum einen die Minderheitsgesellschafter (und sonstigen Beteiligten) geschützt, die sich einer unzumutbaren Mehrheitsentscheidung (§ 144 HGB Rz. 13) ausgesetzt sehen; zum anderen lassen sich durch die gerichtliche Entscheidung solche Situationen lösen, in denen eine (einstimmige oder mehrheitliche) Beschlussfassung über die Liquidatoren nicht erreicht werden kann. Allgemein adressiert die Norm solche (Ausnahme-)Fälle, in denen eine gedeihliche Abwicklung durch die berufenen Liquidatoren nicht zu erwarten ist.1 Sie soll sicherstellen, dass die geborenen (oder anderweitig berufenen) Liquidatoren nicht zu Lasten der Gläubiger und der anderen Beteiligten die Abwicklung blockieren oder regelwidrig durchführen.2 Wichtig ist diese Möglichkeit insbesondere bei Publikumsgesellschaften, bei denen weder die Liquidation durch alle (haftenden) Gesellschafter gem. § 144 Abs. 1 HGB möglich ist, noch eine abweichende Bestimmung durch Beschluss gem. § 144 Abs. 4 HGB erreicht werden kann. Per gerichtlicher Entscheidung können, wie durch privatautonome Entscheidung auch, ein- 2 zelne Gesellschafter und andere, außenstehende Personen positiv zu Liquidatoren bestimmt werden; für gerichtlich bestellte Drittliquidatoren besteht mit Abs. 3 eine besondere Regelung (Rz. 12). Durch die (negative) gerichtliche Entscheidung kann jeder Liquidator abberufen werden, unabhängig davon, ob dieser als geborener Liquidator oder durch Vertrag, Beschluss oder durch gerichtliche Entscheidung berufen wurde. Dies halten die Gesetzesmaterialien insoweit treffend fest; die hierbei ebenfalls behaupteten Unterschiede zum Recht der (eingetragenen) GbR bestehen allerdings nicht.3 Zwischen den im Wesentlichen wortgleichen Regeln des BGB und des HGB besteht diesbzgl. Gleichlauf.
1 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 184, 248; Habersack in Staub, § 146 HGB Rz. 33. 2 Wertenbruch, JZ 2023, 78, 87 zur parallelen Regelung des § 736a BGB. 3 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 248: Grds. wird auf die Begründung zu § 736a Abs. 1 BGB Bezug genommen. „Im Unterschied dazu“ beziehe sich § 145 Abs. 1 HGB jedoch „auch auf die Richter | 1045
§ 145 HGB Rz. 3 | Offene Handelsgesellschaft 3 Durch die gerichtliche Entscheidung können nicht nur die Personen, die zur Liquidation be-
rufen sind, bestimmt werden; die Norm umfasst auch die gerichtliche Befugnis, die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse der Liquidatoren zu modifizieren (s. näher hierzu § 146 HGB Rz. 10). Der Gesetzgeber meinte, dass es einer gesetzlichen Klarstellung nicht bedürfe, die parallelen Vorschriften des BGB und des HGB erfassten nach „ihrem Sinn und Zweck […] auch die Erweiterung und Beschränkung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse der Liquidatoren“4. 4 Das in § 145 Abs. 1 Satz 1 HGB normierte Recht aller Verfahrensbeteiligten, die gerichtliche
(Ab-)Berufung von Liquidatoren aus wichtigem Grund beantragen zu können, ist unabdingbar. Aus diesem Grund ist es auch nicht möglich, einen gerichtlich bestellten Liquidator per Mehrheitsbeschluss abzuberufen, wenn derjenige, der die gerichtliche Bestellung erfolgreich beantragt hatte, diesem Beschluss nicht zustimmt (§ 144 HGB Rz. 18). Satz 2 stellt klar, dass dieses Recht, anders als die meisten gesetzlichen Vorgaben zum Liquidationsverfahren, nicht durch gesellschaftsvertragliche Abreden einschränkbar ist. Zumindest bemerkenswert ist es, dass im Recht der GbR eine zweite derartige Klarstellung erfolgt (§ 736 Abs. 4 Satz 2 BGB), die in der (ansonsten wortgleichen) Regelung des HGB nicht übernommen wurde. Unterschiedliche Konsequenzen ergeben sich hieraus nicht.
II. Voraussetzungen und Verfahren der gerichtlichen Bestimmung (Abs. 1–2) 5 Eine gerichtliche Berufung oder Abberufung von Liquidatoren kommt nur dann in Betracht,
wenn ein Verfahrensbeteiligter (Abs. 2) einen entsprechenden Antrag gestellt hat. Antragsberechtigt ist gem. Abs. 2 Nr. 1 zunächst jeder Gesellschafter, unabhängig davon, ob er selbst Liquidator ist;5 wichtig ist dies insbesondere für Minderheitsgesellschafter. Sollte über das Vermögen eines Gesellschafters das Insolvenzverfahren eröffnet worden sein, so ist dieser (wenn keine Eigenverwaltung angeordnet wurde) nicht mehr befugt, die Rechte aus seiner Mitgliedschaft auszuüben; die Antragsberechtigung steht dann seinem Insolvenzverwalter zu (Nr. 2). 6 Wurde die Gesellschaft aufgelöst, weil (§ 138 HGB Rz. 20) oder bevor ein Gesellschafter ver-
storben ist, rücken die Erben in die mitgliedschaftliche Rechtsstellung ein. Ein Alleinerbe kann den Antrag gem. Nr. 1 stellen; bei einer Erbengemeinschaft ist der gemeinsame Vertreter nach Nr. 3 antragsbefugt, wenn ein solcher (pflichtgemäß, § 144 HGB Rz. 7) bestellt wurde. Problematisch ist jedoch die Frage, ob auch jeder Miterbe gesondert antragsbefugt ist. Die besondere Regelung des Abs. 2 Nr. 3 scheint dem entgegenzustehen; allerdings stünde eine solche Auslegung im Widerspruch zur der ganz herrschenden Sicht (zu § 146 HGB a.F.)6 und wäre auch inhaltlich kaum gerechtfertigt: Während die Durchführung der Liquidation nicht durch die Erbengemeinschaft erfolgen soll, weil die dort notwendige komplizierte Willensbildung nicht mit dem Interesse der Mitgesellschafter an alsbaldiger Abwicklung zu vereinbaren ist,7 besteht bei der Antragstellung nach § 145 Abs. 1 HGB keine entsprechende Gefahr.
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Abberufung solcher Liquidatoren, die nicht bereits durch gerichtliche Entscheidung berufen worden sind“; vgl. hierzu auch § 736a BGB Rz. 3. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 184 f., 248. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 185. Habersack in Staub, § 146 HGB Rz. 37; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 146 HGB Rz. 35; Roth in Hopt, § 146 HGB Rz. 5; Hillmann in E/B/J/S, § 146 HGB Rz. 15; Kindler in Koller/Kindler/Roth/ Drüen, § 146 HGB Rz. 3; für die gemeinschaftliche Befugnis der Erbenmehrheit Haas in Röhricht/ Graf von Westphalen/Haas, § 146 HGB Rz. 9. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 184; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 146 HGB Rz. 17.
1046 | Richter
Gerichtliche Berufung und Abberufung von Liquidatoren | Rz. 10 § 145 HGB
Verfahrensbeteiligter und damit antragsberechtigt ist schließlich der pfändende Privatgläubi- 7 ger eines Gesellschafters, der (ausnahmsweise) nicht nur die Mitgliedschaft des Schuldners, sondern die Gesellschaft selbst kündigen konnte und damit die Auflösung bewirkt hat. Für den Privatgläubiger liegt in dem Antrag nach § 145 Abs. 1 HGB die einzige Möglichkeit, um auf die Zusammensetzung des Liquidatorenkreises einzuwirken; anders als die anderen Verfahrensbeteiligten ist er an einer (Ab-)Berufung mittels Beschluss nicht zu beteiligen (§ 144 HGB Rz. 14). Ausgangsvoraussetzung der (Ab-)Berufungsentscheidung ist zunächst der entsprechende 8 Antrag eines Berechtigten (Rz. 5 ff.) beim Gericht, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat. Bei der Entscheidung nach § 145 Abs. 1 Satz 1 HGB handelt es sich um ein unternehmensrechtliches Verfahren gem. § 375 Nr. 1 FamFG, das als Angelegenheit der freiwilligen Gerichtsbarkeit den AG zugewiesen ist (§ 23a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 4 GVG); für die Form des Antrags gilt § 25 FamFG. Inhaltlich kann sich der Antrag darauf richten, konkret benannte Personen abzuberufen bzw. (ggf. zusätzlich) konkret benannte Liquidatoren zu bestellen. Wird ein derart konkret formulierter Antrag gestellt, so kann das Gericht nicht über dessen Inhalt hinausgehen und bspw. andere, als die genannten Personen (ab-) berufen.8 Der Antrag kann aber auch allgemeiner gehalten werden, ohne dass zahlen- oder personenmäßig vorgegeben wird, wer als Liquidator zuständig sein soll. In diesem Fall besteht gerichtliches Ermessen bei der Entscheidungsfindung,9 das am Ziel der Abwicklung auszurichten ist. Da die Entscheidung nur insoweit möglich ist, als sie durch einen wichtigen Grund gerechtfertigt werden kann (Rz. 9), kann ein solch offener Antrag u.U. höhere Erfolgsaussichten haben. Vor seiner Entscheidung hat das Gericht allen Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren, indem es hinreichende Gelegenheit zur Stellungnahme einräumt.10 Materiell setzt die gerichtliche Entscheidung zur Berufung bzw. Abberufung eines Liquida- 9 tors voraus, dass hierfür ein entsprechend wichtiger Grund vorliegt. Mit seiner Entscheidung greift das Gericht erheblich in die Verfahrensherrschaft der Gesellschafter ein, weshalb hierfür ein besonderes Rechtfertigungsbedürfnis besteht. Einem Antrag auf (Ab-)Berufung nach § 145 Abs. 1 Satz 1 HGB ist deshalb nur dann stattzugeben, wenn bei Würdigung aller Umstände nicht zu erwarten ist, dass die Abwicklung durch die bislang (gesetzlich, privatautonom oder gerichtlich) berufenen Liquidatoren in gedeihlicher Weise durchgeführt werden kann und wenn zu befürchten ist, dass ohne die gerichtliche Bestimmung erhebliche Nachteile für die Gesellschaft oder für einen der Beteiligten eintreten werden.11 Bei der Beurteilung des wichtigen Grundes sind mithin sowohl die Belange der Gesellschaft als auch die der Gesellschafter und der sonstigen Beteiligten i.S.d. Abs. 2 zu berücksichtigen.12 Liegt ein in diesem Sinne wichtiger Grund vor, dann liegt es häufig nahe, nicht nur eine iso- 10 lierte Berufung (oder Abberufung) auszusprechen, sondern vielmehr einzelne oder mehrere Liquidatoren zu ersetzen. Der Antrag und die ihm folgende gerichtliche Entscheidung sind hierbei zugleich auf Abberufung und auf Neubestellung gerichtet.13 Häufig resultiert ein solcher Antrag aus gesellschaftsinternen Zerwürfnissen; ist das Verhältnis zwischen den Gesellschaftern so stark belastet, dass eine gemeinsame konstruktive Abwicklung ausgeschlossen scheint, kann es angezeigt sein, alle betroffenen Gesellschafter abzuberufen und einen neu-
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Hillmann in E/B/J/S, § 146 HGB Rz. 17; Habersack in Staub, § 146 HGB Rz. 33. K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 146 HGB Rz. 36. Habersack in Staub, § 146 HGB Rz. 38; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 146 HGB Rz. 37. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 184, 248; Habersack in Staub, § 146 HGB Rz. 33, § 147 Rz. 12. 12 Habersack in Staub, § 146 HGB Rz. 33. 13 S. Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1718 (Stand: 84. EL 9/2022). Richter | 1047
§ 145 HGB Rz. 10 | Offene Handelsgesellschaft tralen Drittliquidator zu bestellen.14 Notwendig ist jedoch auch hier ein entsprechender Antrag. Sollte sich die Funktionsfähigkeit des Liquidationsverfahrens bereits dadurch herstellen lassen, dass lediglich einer von mehreren Liquidatoren abberufen wird, so ist auf die zusätzliche Berufung eines weiteren Liquidators zu verzichten, weil für diese keine Notwendigkeit und damit kein wichtiger Grund vorliegt. Typische Gründe für eine Abberufung sind etwa eine mangelhafte oder verzögerte Geschäftsführung in der Vergangenheit, das (tatsächlich gerechtfertigte) Misstrauen in die Redlichkeit oder Unparteilichkeit des Liquidators oder dessen mangelnde Befähigung zur Abwicklung.15 Weniger häufig, aber ebenfalls möglich ist die isolierte Bestellung eines Liquidators ohne parallele Abberufung; hierzu kommt es etwa, wenn einer der Liquidatoren durch Tod weggefallen ist oder wenn die Bestellung notwendig ist, um die amtierenden Liquidatoren wegen Überlastung zu unterstützen.16 11 Der gerichtliche Beschluss ist gem. § 402 Abs. 1 FamFG mit der Beschwerde anfechtbar.
Wird der Antrag zurückgewiesen, ist der Antragsteller beschwerdeberechtigt (§ 59 Abs. 2 FamFG); ein stattgebender Beschluss kann von allen angegriffen werden, die durch diesen in ihren Rechten verletzt sein können (§ 59 Abs. 1 FamFG), also insbesondere von einem abberufenen Liquidator und anderen Beteiligten.17 Wird ein Liquidator durch gerichtliche Entscheidung berufen oder abberufen, ist dieser Umstand von Amts wegen im Register zu verzeichnen (§ 147 HGB Rz. 9).
III. Vergütungs- und Ersatzansprüche von Drittliquidatoren (Abs. 3) 12 Über die neugeschaffene Regelung des § 145 Abs. 3 HGB wird dem gerichtlich berufenen
Liquidator, der nicht dem Kreis der Gesellschafter angehört (Drittliquidator), angelehnt an § 265 Abs. 4 AktG ein Anspruch auf Ersatz der objektiv erforderlichen Aufwendungen und auf Vergütung für seine Tätigkeit eingeräumt.18 Gesellschafterliquidatoren haben, unabhängig davon, ob diese durch das Gericht oder auf andere Weise berufen wurden, keinen derartigen Anspruch (§ 144 HGB Rz. 3).19 Unter den Wortlaut des Abs. 3 ließen sich zwar auch solche Drittliquidatoren fassen, die nicht gerichtlich, sondern durch den Beschluss der Gesellschafter berufen wurden. Allerdings umfasst ihr Anwendungsbereich angesichts der systematischen Stellung ausschließlich solche Personen, die das Gericht gem. § 145 Abs. 1 Satz 1 HGB berufen hat. 13 Der Anspruch auf Ersatz der erforderlichen Aufwendungen und auf Vergütung der Tätigkeit
ergibt sich dem Grunde nach aus Satz 1. Die konkrete Ausgestaltung dieser Ansprüche soll grundsätzlich durch vertragliche Regelung zwischen Liquidator und Gesellschaft erfolgen, etwa durch Abschluss eines (Dienst-)Vertrages.20 Kommt es zu keiner solchen Einigung, so setzt gem. Satz 2 das Gericht die Aufwendungen und die Vergütung auf Antrag einer Seite der Höhe nach fest. Hierfür zuständig ist das Gericht, dass auch die Berufung beschlossen 14 KG v. 12.1.1999 – 1 W 7923/98, NZG 1999, 437 f. = GmbHR 1999, 866; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1718a (Stand: 84. EL 9/2022). 15 Habersack in Staub, § 146 HGB Rz. 33; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 146 HGB Rz. 32. 16 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1718 (Stand: 84. EL 9/2022). 17 Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1719 (Stand: 84. EL 9/2022); Habersack in Staub, § 146 HGB Rz. 38, § 147 HGB Rz. 13. 18 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 248. 19 So mit Verweis auf § 715 Abs. 1 BGB (der dem § 116 Abs. 1 HGB entspricht) Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 185, 248. 20 Vgl. hierzu auch § 144 HGB Rz. 15. Ein solches Vertragsverhältnis wird durch die gerichtliche Bestellung nicht begründet, s. Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 185 mit Bezugnahme auf K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 146 HGB Rz. 44.
1048 | Richter
Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis der Liquidatoren | Rz. 2 § 146 HGB
hat (Rz. 8). Gegen diese Entscheidung ist gem. Satz 3 Halbs. 1 die Beschwerde zulässig; die Rechtsbeschwerde ist jedoch ausgeschlossen (Halbs. 2). Beschwerdeberechtigt sind die Betroffenen, namentlich der gerichtlich bestellte Liquidator und die Liquidationsgesellschaft (§ 59 FamFG). Wird der gerichtliche Festsetzungsbeschluss jedoch rechtskräftig, so stellt dieser einen Vollstreckungstitel gem. § 145 Abs. 3 Satz 4 HGB, § 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO dar, aus dem der Liquidator gegen die Gesellschaft vollstrecken kann.
§ 146 HGB Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis der Liquidatoren (1) 1Mit der Auflösung erlischt die einem Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag übertragene Befugnis zur Geschäftsführung und Vertretung. 2Diese Befugnis steht von der Auflösung an allen Liquidatoren gemeinsam zu. (2) Die bisherige Befugnis eines Gesellschafters zur Geschäftsführung gilt gleichwohl zu seinen Gunsten als fortbestehend, bis er von der Auflösung der Gesellschaft Kenntnis erlangt hat oder die Auflösung kennen muss. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse der Liquidatoren (Abs. 1) . . 1 II. Gestaltbarkeit der Befugnisse . . . . . . . . 5 1. Gestaltung durch Gesellschaftsvertrag oder Beschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 2. Gestaltung durch gerichtliche Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
III. Fortbestehende Befugnisse und Notgeschäftsführung . . . . . . . . . . . . . . . . 12 1. Gesetzliche Fiktion der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2. Allgemeine Notgeschäftsführung nach der Auflösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
I. Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse der Liquidatoren (Abs. 1) In der Abwicklungsphase einer Gesellschaft beruft das Gesetz grds. alle Gesellschafter zur 1 Liquidation (§ 144 HGB Rz. 4) und weist ihnen – zumindest grundsätzlich – gem. § 146 Abs. 1 Satz 2 HGB die entsprechenden Befugnisse zur Geschäftsführung und Vertretung gemeinsam zu. Mit der Gesellschaftsauflösung erlöschen die Zuweisungen dieser Befugnisse, die im Gesellschaftsvertrag für die werbende Gesellschaft niedergelegt waren (Satz 1). Doch nicht nur die vertraglichen Regelungen zur Geschäftsführung und Vertretung enden in der Liquidation; auch der im gesetzlichen Normalfall geltende Grundsatz der Einzelgeschäftsführung und Einzelvertretung (§ 116 HGB Rz. 14) gilt nach der Auflösung grds. nicht fort. Die Liquidatoren können (vorbehaltlich anderer Regelungen, Rz. 8) die zur Abwicklung erforderlichen Maßnahmen nur gemeinschaftlich vornehmen.1 Abweichend vom Grundsatz des Abs. 1 Satz 1 fingiert das Gesetz in bestimmten Ausnahme- 2 fällen das Fortbestehen der bisherigen Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse: Um
1 S. Hillmann in E/B/J/S, § 150 HGB Rz. 2 f. Richter | 1049
§ 146 HGB Rz. 2 | Offene Handelsgesellschaft einen bislang zur Geschäftsführung und Vertretung berufenen Gesellschafter vor den Risiken des durch die (unerkannte) Gesellschaftsauflösung eintretenden Erlöschens seiner Befugnisse zu schützen, gelten diese unter bestimmten Voraussetzungen nach Abs. 2 als fortbestehend (Rz. 13).2 In ähnlicher Weise wird das Fortbestehen der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse fingiert, wenn die Gesellschaft ausnahmsweise infolge des Todes eines Gesellschafters aufgelöst wurde (Rz. 15). 3 So wie die Gesellschafter eine privatautonome und vorrangige Regelung darüber treffen kön-
nen, welche Personen zur Liquidation berufen sein sollen (§ 144 HGB Rz. 8), können sie auch deren Geschäftsführungsbefugnisse abweichend vom Gesetz festlegen, § 146 Abs. 1 HGB ist insofern disponibel. Eine Gestaltung der Befugnisse ist sowohl vor der Auflösung durch den Gesellschaftsvertrag als auch im Nachhinein durch Beschlussfassung der Gesellschafter (und sonstigen Verfahrensbeteiligten, Rz. 9) möglich. Abweichende Regelungen können aber auch durch gerichtliche Entscheidung getroffen werden (Rz. 10). Auch die Vertretungsbefugnisse können (insb. ausweitend) modifiziert werden; problematisch ist allerdings die Frage, ob diesbzgl. auch Einschränkungen mit Außenwirkung möglich sind (Rz. 6). 4 Seit langem umstritten ist die Frage, ob der Umfang der Vertretungsmacht durch den Liqui-
dationszweck begrenzt wird, also Beschränkungen im Außenverhältnis unterliegt. Dem Grunde nach sind die Liquidatoren umfassend zur Vertretung befugt, können also grds. uneingeschränkt Verfügungen über das Gesellschaftsvermögen treffen, die Liquidationsgesellschaft entsprechend verpflichten, neue Geschäfte eingehen etc. (s. § 148 HGB Rz. 16). Die zum früheren Recht entwickelte herrschende Meinung ging jedoch mit Verweis auf ältere Entscheidungen des BGH3 davon aus, dass die Gesellschaft an liquidationsfremde Geschäfte ihres Liquidators nicht gebunden sei und nur unter den Voraussetzungen der Rechtsscheingrundsätze haften würde.4 Nach der überzeugenden Gegenansicht besteht keine derartige Beschränkung der Vertretungsmacht; begrenzt wird die gesetzliche Vertretungsbefugnis hiernach nur durch die allgemeinen Grundsätze zum Missbrauch der Vertretungsmacht.5 Für diese Sicht lässt sich nunmehr ergänzend anführen, dass sich das Gesetz durch das MoPeG an einer (zuvor z.T. als relevant ausgemachten) Stelle gewandelt hat: Während die Liquidatoren nach früherem Recht lediglich „innerhalb ihres Geschäftskreises“ zur Vertretung befugt waren,6 sieht das reformierte Gesetz keine derartigen „Schranken“7 mehr vor.
II. Gestaltbarkeit der Befugnisse 5 Die Befugnisse der Liquidatoren können durch die Gesellschafter bzw. die Verfahrensbeteilig-
ten (Rz. 8), aber auch durch gerichtlichen Beschluss (Rz. 10) abweichend von der Vorgabe des § 146 Abs. 1 HBG ausgestaltet werden, insbesondere kann etwa die Alleinvertretung durch einzelne Liquidatoren vorgesehen werden. Diese Gestaltungsmacht wird zwar nicht ausdrücklich durch § 146 HGB klargestellt, ergibt sich allerdings aus der allgemeinen Dispositivität der § 144 ff. HGB (§ 143 HGB Rz. 31) sowie zumindest mittelbar aus § 147 Abs. 1 Satz 2 HGB 2 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 248. 3 BGH v. 26.1.1959 – II ZR 174/57, WM 1959, 323; BGH v. 1.12.1983 – III ZR 149/82, ZIP 1984, 312. 4 Hillmann in E/B/J/S, § 149 HGB Rz. 23; Roth in Hopt, § 149 HGB Rz. 7; Klöhn in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 149 HGB Rz. 19; Schäfer in MünchKomm/BGB, § 730 BGB Rz. 43; Westermann in Erman, § 730 BGB Rz. 8. 5 Grundlegend insb. K. Schmidt, AcP 174 (1974), 55, 67 ff.; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 149 HGB Rz. 52; Habersack in Staub, § 149 HGB Rz. 46; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 1726 ff., 1770c (Stand: 84. EL 9/2022). 6 S. § 149 Satz 2 HGB a.F.; hierauf abstellend etwa BGH v. 1.12.1983 – III ZR 149/82, ZIP 1984, 312, 316; LG Landau v. 11.6.2021 – 2 O 352/20, NZG 2022, 23, 25 Rz. 22; Roth in Hopt, § 149 HGB Rz. 7. 7 BGH v. 1.12.1983 – III ZR 149/82, ZIP 1984, 312, 316.
1050 | Richter
Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis der Liquidatoren | Rz. 7 § 146 HGB
(Rz. 6). Relativ unproblematisch ist die Gestaltung der Geschäftsführungsbefugnisse im Innenverhältnis: Die Aufgaben der Liquidatoren und ihr (Zusammen-)Wirken unterliegt der Disposition der Gesellschafter (und u.U. der sonstigen Beteiligten). Deren Verfahrensherrschaft findet insbesondere Ausdruck in ihrem Weisungsrecht nach § 148 Abs. 1 Satz 1 HGB: Durch (einstimmig, ggf. aber auch mehrheitlich gefassten) Beschluss (Rz. 9) können sie den Liquidatoren bindende Vorgaben machen und so festlegen, wer in welcher Weise und mit welcher Freiheit die Abwicklung betreiben kann. Problematisch ist allerdings die Frage, ob auch die Vertretungsbefugnis in gleicher Weise ge- 6 staltbar ist. Hinsichtlich der Ausweitung der Befugnisse, etwa durch Einräumung von Einzelvertretungsmacht, bestehen keine Bedenken; anders ist dies bei der Frage, ob die grds. umfassenden Vertretungsbefugnisse mit Außenwirkung eingeschränkt werden können. Bis zur Reform durch das MoPeG hat das Gesetz in § 151 HGB a.F. die Unbeschränkbarkeit der Vertretungsbefugnis ausdrücklich angeordnet,8 so dass für die Vertretung der werbenden und der aufgelösten Gesellschaft diesbzgl. kein Unterschied bestand.9 Durch die Gesetzesreform wurde diese Norm allerdings ersatzlos gestrichen, während für die werbende Gesellschaft weiterhin angeordnet wird, dass eine Beschränkung des Umfangs der Vertretungsbefugnis Dritten gegenüber unwirksam ist (§ 124 HGB Rz. 30). Damit drängt sich die Frage auf, ob nunmehr eine entsprechende Einschränkung der Vertretungsbefugnisse möglich ist. Hierfür ließe sich primär die Streichung von § 151 HGB a.F. ins Feld führen; zudem ergibt sich aus § 147 Abs. 1 Satz 2 HGB, dass eine „Änderung“ der Vertretungsbefugnisse möglich (und eintragungspflichtig, vgl. § 147 HGB Rz. 2) ist. Zudem gehen schließlich die Materialien zum MoPeG davon aus, dass (auch) eine „Beschränkung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse der Liquidatoren“ zumindest durch gerichtliche Entscheidung (Rz. 10) möglich sei; dies bedürfe „keiner gesetzlichen Klarstellung“10. Alle genannten Aspekte lassen sich jedoch relativieren: Die Streichung von § 151 HGB wurde 7 zwar nicht umfassend begründet; die Norm entfalle wegen des gewandelten Rechtsverständnisses, das trotz Auflösung von der Gesellschaftskontinuität ausgeht; wesentliche inhaltliche Änderungen seien jedoch nicht bezweckt.11 Die in § 147 HGB normierte Eintragungspflicht geänderter Vertretungsbefugnisse deckt sich mit den Regelungen des § 106 Abs. 6 HGB sowie des früheren § 148 Abs. 1 Satz 2 HGB a.F. – aus beiden folgt(e) eine inhaltlich gleiche Vorgabe, trotz der dort geltenden Unbeschränkbarkeit der Vertretungsbefugnis. Die Aussage der Gesetzesmaterialien lässt sich schließlich ebenfalls entschärfen: Zwar wird sowohl von Erweiterungen als auch von Beschränkungen der (Vertretungs-)Befugnisse gesprochen; dies wird allerdings mit einem Hinweis auf die Literatur versehen, der ausschließlich die Erweiterung der Befugnisse von vorhandenen Liquidatoren anerkennt.12 Überzeugenderweise ist deshalb auch nach neuem Recht von der Unbeschränkbarkeit der Vertretungsbefugnisse auszugehen, wobei sich dies aus einer analogen Anwendung von § 124 Abs. 3 Satz 2 HGB ableiten lässt.13
8 Hiernach war eine „Beschränkung des Umfanges der Befugnisse der Liquidatoren […] Dritten gegenüber unwirksam.“ 9 Ein Unterschied bestand allein für die Beschränkbarkeit auf den Betrieb einer Niederlassung, vgl. hierzu K. Schmidt in MünchKomm/HGB, 4. Aufl. 2016, § 151 HGB Rz. 1. 10 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 185 zur parallelen Regelung im BGB. 11 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 247. 12 K. Schmidt in MünchKomm/HGB, 4. Aufl. 2016, § 146 HGB Rz. 27; s. auch in der 5. Aufl. 2022 Rz. 28. 13 Für eine solche Analogie im parallelen GbR-Recht Noack in Schäfer, Personengesellschaftsrecht, § 9 Rz. 19; für die Unbeschränkbarkeit nach neuem Recht auch Lehmann-Richter in BeckOK/HGB, § 151 HGB Rz. 3 (Stand: 39. Ed. 15.1.2023). Richter | 1051
§ 146 HGB Rz. 8 | Offene Handelsgesellschaft
1. Gestaltung durch Gesellschaftsvertrag oder Beschluss 8 Zu den Liquidatoren und ihren Befugnissen können im Gesellschaftsvertrag von § 146 Abs. 1
HGB abweichende Vorgaben gemacht werden. So kann – entgegen der Zweifelsregelung des Satz 1 – angeordnet werden, dass die Befugnisse der bisher berufenen Gesellschafter (etwa zur alleinigen Vertretung) auch nach bzw. trotz der Auflösung wie zuvor fortbestehen sollen. Eine solche Abweichung von Satz 1 muss sich dem Vertrag jedoch eindeutig entnehmen lassen; im Zweifel gelten Regelungen die für die werbende Gesellschaft getroffen wurden nicht im Liquidationsstadium fort.14 Bevor die Gesellschaft aufgelöst ist, können die Gesellschafter eine solche Gestaltung durch Änderung des Gesellschaftsvertrags (ggf. per Mehrheitsbeschluss) vornehmen, ohne dass weitere Personen zu beteiligen wären; nach der Auflösung sind hingegen auch die anderen Verfahrensbeteiligten einzubeziehen (Rz. 9)
9 Die Befugnisse der Liquidatoren lassen sich im Abwicklungsstadium zudem durch nachträg-
liche Beschlussfassung ausgestalten. Wenn bzw. da es hierbei um die Frage der Geschäftsführungsbefugnis geht, handelt es sich um eine Form der Weisung i.S.d. § 148 Abs. 1 Satz 1 HGB. Aus diesem Grund sind nicht nur die Gesellschafter, sondern alle Beteiligten (§ 145 HGB Rz. 5 ff.) an der Beschlussfassung zu beteiligen. Im Grundsatz gilt hierbei das Einstimmigkeitserfordernis: Nur wenn sich alle Beteiligten einig darüber sind, dass und wie vom gesetzlichen Konzept abgewichen werden soll, können den Liquidatoren entsprechende Weisungen erteilt werden. Eine Gestaltung oder Weisung gegen den Willen einzelner ist möglich, wenn der Gesellschaftsvertrag eine Beschlussfassung durch Mehrheitsentscheidung vorsieht. Allerdings besteht in diesem Fall für bestimmte Beteiligte ein Vetorecht (s. hierzu § 148 HGB Rz. 6).
2. Gestaltung durch gerichtliche Entscheidung 10 Lässt sich zwischen den Beteiligten keine Einigkeit bzw. keine ausreichende Mehrheit für die
Ausgestaltung der Befugnisse der Liquidatoren erreichen, verbleibt den einzelnen Beteiligten die Möglichkeit, eine Ausweitung oder Begrenzung der Liquidatorenbefugnisse durch gerichtliche Gestaltungsentscheidung zu beantragen; normative Grundlage für eine solche Entscheidung ist § 145 Abs. 1 HGB. Dieser spricht zwar ausdrücklich lediglich davon, dass das Gericht auf Antrag die Liquidatoren berufen und abberufen kann, bezieht sich also nur auf die Bestimmung von Personen. Allerdings ging der Gesetzgeber davon aus, dass die Vorschrift „ihrem Sinn und Zweck […] auch die Erweiterung und Beschränkung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse der Liquidatoren“ erfasse.15 Hierbei schloss man sich einer Literaturansicht an, die den Wortlaut des (inhaltlich parallelen) § 146 Abs. 2 HGB a.F. für zu eng erachtete;16 gleichwohl nahm man das MoPeG nicht zum Anlass den Gesetzestext dementsprechend anzupassen; es bedürfe „keiner gesetzlichen Klarstellung“17. 11 Vor diesem Hintergrund ist von § 145 Abs. 1 HGB auch die gerichtliche Entscheidung über
die Gestaltung der Befugnisse der Liquidatoren umfasst; zu einer inhaltlichen Beschränkung der Vertretungsbefugnisse kann es aber auch durch gerichtliche Entscheidung nicht kommen (vgl. hierzu Rz. 6). Für die Voraussetzungen und das Verfahren gilt das dort Gesagte (§ 145 HGB Rz. 5 ff.): Formeller Ausgangspunkt einer solchen gerichtlichen Gestaltungsentschei14 OLG Köln v. 29.5.1995 – 19 U 83/94, WM 1995, 1881; Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 730 BGB Rz. 12. 15 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 184 f. zur parallelen Regelung des § 736a Abs. 1 BGB; mit Bezugnahme hierauf auf S. 248. 16 Ausdrücklich verwiesen wird auf K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 146 HGB Rz. 28, vgl. jedoch bei § 150 HGB Rz. 8; s. hierzu auch Habersack in Staub, § 146 HGB Rz. 30, § 147 HGB Rz. 5. 17 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 184 f., 248.
1052 | Richter
Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis der Liquidatoren | Rz. 14 § 146 HGB
dung ist der entsprechende Antrag eines Beteiligten i.S.d. § 145 Abs. 2 HGB sowie das Vorliegen eines wichtigen Grundes. Die Modifikation der Liquidatorenbefugnisse ist dann angezeigt und gerechtfertigt, wenn nicht zu erwarten ist, dass die Gesellschaftsabwicklung ohne die gerichtliche Entscheidung in gedeihlicher Weise durchgeführt werden kann und wenn ansonsten erhebliche Nachteile für die Gesellschaft oder für einen der Beteiligten zu erwarten sind. Gibt das Gericht dem Antrag statt und verändert die Befugnisse eines Liquidators, so ist dies analog § 147 Abs. 2 HGB von Amts wegen im Register zu verzeichnen (§ 147 HGB Rz. 9).18
III. Fortbestehende Befugnisse und Notgeschäftsführung Die grundsätzliche Anordnung des § 146 Abs. 1 HGB wird an verschiedenen Stellen ein- 12 geschränkt: Zum einen wird aufgrund gesetzlicher Anordnung fingiert, dass zuvor bestehende Befugnisse auch nach der Gesellschaftsauflösung fortbestehen (Rz. 13). Zum anderen besteht auch im Liquidationsverfahren das allgemeine Recht der Notgeschäftsführung durch den Einzelnen (Rz. 17).
1. Gesetzliche Fiktion der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse (Abs. 2) Die mit dem MoPeG neugeschaffene Regelung des § 146 Abs. 2 HGB statuiert eine gesetzli- 13 che Fiktion des Fortbestands bisheriger Geschäftsführungsbefugnisse bei Gutgläubigkeit des Betroffenen. Statt wie bisher auf die entsprechende Regelung des BGB zurückzugreifen,19 sollte „aus Gründen der Rechtsklarheit“ eine ausdrückliche Regelung im HGB geschaffen werden. Solange ein Gesellschafter, der innerhalb der werbenden Gesellschaft zur Geschäftsführung berufen war, keine Kenntnis von der Auflösung hat und ihm diesbzgl. auch keine Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist, gilt seine bisherige Geschäftsführungsbefugnis zu seinen Gunsten als fortbestehend. Die Vorschrift soll die (ehemaligen) Geschäftsführer vor den Risiken schützen, die sich daraus ergeben, dass die Geschäftsführungsbefugnis ipso iure durch die Auflösung gem. § 146 Abs. 1 Satz 1 HGB (unerkannt) erloschen ist.20 § 146 Abs. 2 HGB betrifft jedoch nur die Geschäftsführungs-, nicht aber die Vertretungsbefugnis (Rz. 14), hat also lediglich Konsequenzen im gesellschaftsrechtlichen Innenverhältnis: Handelt der zuvor (ggf. allein-)geschäftsführungsbefugte Gesellschafter trotz der Auflösung allein für die Gesellschaft, so wird er bei entsprechender Gutgläubigkeit davor bewahrt, durch die Gesellschaft als Geschäftsführer ohne Auftrag in Anspruch genommen zu werden.21 Die Vertretungsbefugnis bzw. ihr Fortbestehen wird durch § 146 Abs. 2 HGB nicht fingiert. 14 Dass lediglich die gesellschaftsinterne Befugnis zur Geschäftsführung angesprochen wird, ist insbesondere angesichts der abweichenden Regelung BGB (§ 736b BGB Rz. 13 f.) als beredtes Schweigen zu verstehen: Während bei einer nicht eingetragenen GbR eine solche Fiktion mit Außenwirkung angeordnet wurde, soll es für die eGbR und die Personenhandelsgesellschaften auf die Registereintragung ankommen. Inwiefern sich aus dem Register jedoch eine vertrauensschützende Wirkung zugunsten des gutgläubigen Gesellschafters ergeben soll, bleibt
18 Für die Anwendung der parallelen Norm des BGB in diesem Fall Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 186. 19 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 248; s. zur Anwendbarkeit über § 105 Abs. 3 BGB auch Habermeier in Staudinger, Neubearbeitung 2003, § 729 BGB Rz. 3. 20 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 248. 21 S. zur parallelen Regelung zur GbR Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 185. Richter | 1053
§ 146 HGB Rz. 14 | Offene Handelsgesellschaft – trotz des Anliegens, für Rechtsklarheit sorgen zu wollen (Rz. 13) – unklar: Im Register wäre zu verzeichnen, dass die Gesellschaft aufgelöst ist (§ 141 HGB Rz. 1), wer die Liquidatoren sind und welche Befugnisse diesen zustehen (§ 147 HGB Rz. 1). In dem von § 146 Abs. 2 HGB angesprochenen Zeitraum, also in der Phase, in der einer der (bisher) vertretungsbefugten Gesellschafter noch nicht von der Auflösung weiß, dürfte es naheliegen, dass eine solche Eintragung noch nicht erfolgt ist. Damit besteht die negative Publizitätswirkung des § 15 Abs. 1 HGB, so dass sich außenstehende Dritte bspw. die Wirkung des § 146 Abs. 1 HGB nicht entgegenhalten lassen müssen. Sie können sich also darauf berufen, dass eine bislang bestehende Einzelvertretungsmacht fortbestünde; in gleicher Weise können sie sich aber auch auf die tatsächliche Rechtslage berufen, also geltend machen, dass die Vertretungsbefugnis wegen der Auflösung erloschen war.22 Aus dem Register ergibt sich in diesem Fall also kein Schutz des Gesellschafters, sondern Verkehrs- und Drittschutz. Der MoPeG-Gesetzgeber ging davon aus, dass in diesem Fall ein Schutz über § 15 Abs. 2 HGB zu erreichen sei.23 Die Norm ordnet jedoch an, dass durch die ordentliche Eintragung und Bekanntmachung (etwa der Auflösung) ein etwaiges gegenläufiges Vertrauen zerstört wird. Zu einer solchen Eintragung wird es jedoch praktisch nie kommen, solange ein Gesellschafter noch in Unkenntnis der Auflösung ist. 15 Eine weitere gesetzliche Fiktion hinsichtlich des Fortbestehens bestimmter Befugnisse ergibt
sich zudem aus § 730 Abs. 1 Satz 3 BGB, der über § 105 Abs. 3 HGB auch auf die Personenhandelsgesellschaften Anwendung findet (§ 138 HGB Rz. 21). Die Norm ist einschlägig, wenn die Gesellschaft (ausnahmsweise) aufgrund des Versterbens eines Gesellschafters aufgelöst wurde. Waren dem verstorbenen Gesellschafter durch den Gesellschaftsvertrag Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse übertragen, so gelten diese, abweichend vom Grundsatz des § 146 Abs. 1 Satz 1 HGB,24 zugunsten der Erben als fortbestehend – dies allerdings nur für die einstweilige Fortführung der laufenden (dringenden, nicht aufschiebbaren) 25 Geschäfte. Diese Fiktion ist somit teilweise weitergehend als die des § 146 Abs. 2 HGB, da nach § 730 Abs. 1 Satz 3 BGB neben der Geschäftsführungs- auch die Vertretungsbefugnis fingiert wird; allerdings ist die Fiktion auch enger, da sie nur die Notgeschäftsführung durch die Erben umfasst. 16 Auch die übrigen Gesellschafter sind zu einer derartigen Notgeschäftsführung berechtigt
(und verpflichtet), wenn der Tod des Mitgesellschafters zur Auflösung geführt hat (§ 730 Abs. 1 Satz 4 BGB i.V.m. § 105 Abs. 3 HGB). Voraussetzung ist auch hier, dass dem betroffenen Gesellschafter bereits vor der Auflösung die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis zustand.26 Die Berechtigung entsprechend § 730 BGB ist nicht auf das Innenverhältnis begrenzt (anders bei Rz. 14), sondern umfasst explizit auch die Vertretungsbefugnis im Außenverhältnis. Entsprechende Befugnisse begründet das Gesetz auch für den Fall, dass die Gesellschaft (ausnahmsweise) wegen der formellen Insolvenz eines Gesellschafters aufgelöst wurde (§ 730 BGB Rz. 13). Auch hier sind die anderen Gesellschafter, wenn ihnen bereits zuvor die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis übertragen war, „für eine Übergangszeit bei Gefahr für das Gesellschaftsvermögen zur Fortführung der Geschäfte berechtigt und
22 Schäfer in Staub, § 143 HGB Rz. 30. 23 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 185 bzgl. der parallelen Regelung zur eGbR. 24 Nach dem Wortlaut der BGB-Norm gilt diese Fiktion zwar nur „abweichend von § 736b Abs. 1“ BGB; wegen der Anwendung über § 105 Abs. 3 HGB gilt die Regelung jedoch für die parallele Norm des § 146 Abs. 1 HGB entsprechend. 25 „Laufende Geschäfte“ i.S.d. § 730 Abs. 1 Satz 3 BGB sind die in Satz 2 näher beschriebenen dringenden, unaufschiebbaren Notgeschäfte; s. hierzu § 730 BGB Rz. 6. 26 So ausdrücklich Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 179 zu § 730 Abs. 2 BGB; dem Gesetzestext lässt sich diese Einschränkung nur mittelbar (in der Formulierung „in gleicher Weise“) entnehmen.
1054 | Richter
Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis der Liquidatoren | Rz. 18 § 146 HGB
verpflichtet.“27 Dem Insolvenzverwalter des schuldnerischen Mitgesellschafters steht dieses Recht jedoch nicht zu.28
2. Allgemeine Notgeschäftsführung nach der Auflösung Da § 146 Abs. 1 Satz 2 HGB die Gesamtgeschäftsführung anordnet, wie sie für die werbende 17 Gesellschaft in § 116 Abs. 4 Halbs. 1 HGB geregelt ist (§ 116 HGB Rz. 16), liegt es nahe, die Regelung des § 116 Abs. 4 Halbs. 2 HGB im Liquidationsverfahren (analog) anzuwenden, also bei Gefahr im Verzug eine allgemeine Befugnis zur Notgeschäftsführung anzuerkennen. Bei einer solchen Analogie, die zum früheren Recht allgemein befürwortet wurde,29 steht auch einem einzelnen Liquidator das Recht zu, allein für die aufgelöste Gesellschaft zu handeln, wenn sich mit dem Aufschub dieser Handlung eine Gefahr für die Gesellschaft oder das Gesellschaftsvermögen verbindet (vgl. § 715 BGB Rz. 38). Allerdings drängt sich die Frage auf, ob diese Sicht auch nach der Gesetzesneufassung noch aufrechterhalten werden kann: Weil der MoPeG-Gesetzgeber die Notgeschäftsführung in verschiedenen Bereichen, u.a. auch in der Liquidationsphase, neu geregelt hat,30 ließe sich vertreten, dass damit die planwidrige Regelungslücke entfallen und eine Analogie damit methodisch ausgeschlossen ist. Allerdings wäre nicht nur das Ergebnis – ein unterschiedlicher Umgang mit nicht aufschiebbaren Geschäften vor und nach der Auflösung – widersinnig;31 vor allem ging auch der Gesetzgeber davon aus, dass die allgemeinen Regelungen zur Notgeschäftsführung auch nach der Auflösung Geltung beanspruchen.32 Deshalb ist auch nach geltendem Recht davon auszugehen, dass einem Liquidator die Einzelgeschäftsführungsbefugnis zusteht, wenn Gefahr im Verzug ist. Eine Erweiterung auf die Vertretungsmacht und damit auf das Außenverhältnis ist entgegen einer Mindermeinung abzulehnen.33 Vor diesem Hintergrund dürfte eine weitere Analogie gerechtfertigt sein: Auch die Regelung 18 des § 715a BGB, die auf die werbende Personenhandelsgesellschaft Anwendung findet (§ 116 HGB Rz. 2), dürfte ebenfalls auf die aufgelöste Gesellschaft (analog) anzuwenden sein. Auf dieser normativen Grundlage wären nicht nur die einzelnen Liquidatoren zur Notgeschäftsführung befugt (Rz. 17), sondern auch andere Gesellschafter, wenn diese – abweichend von § 144 Abs. 1 HGB – ausnahmsweise nicht zur Liquidation berufen sind.34 Hiernach bestünde für den Einzelnen eine Geschäftsführungsbefugnis im Innenverhältnis, wenn das fragliche Geschäft keinen Aufschub dulden kann, wenn also ohne sofortiges und alleiniges Handeln
27 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 179. 28 Eine entsprechende Anwendung von § 730 Abs. 1 Sätze 2, 3 BGB wurde bewusst abgelehnt, s. § 730 BGB Rz. 13. 29 Habersack in Staub, § 150 HGB Rz. 6; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 150 HGB Rz. 9; Hillmann in E/B/J/S, § 150 HGB Rz. 4; Roth in Hopt, § 150 HGB Rz. 1; Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, § 150 HGB Rz. 4. 30 Neu geschaffen wurde insbesondere § 715a BGB, der auch auf die oHG und KG anzuwenden ist (§ 116 HGB Rz. 2) sowie § 146 Abs. 2 HGB (Rz. 13); angepasst wurde zudem auch die Regelung des § 146 Abs. 1 HGB und des § 730 BGB. 31 K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 150 HGB Rz. 9. 32 Deutlich wird dies in der Begründung zu § 730 BGB, der auch im Handelsrecht anzuwenden ist: Die Regelung sei notwendig, weil sie neben der Geschäftsführungs- auch die Vertretungsbefugnis umfasse; würde die Vertretungsbefugnis nicht zugesprochen, so würden lediglich die § 715 Abs. 3, § 715a BGB zur Anwendung kommen, so dass dem Notgeschäftsführer das Insolvenzrisiko der Gesellschaft zugewiesen wäre (Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 179). 33 So zum früheren Recht Lehmann-Richter in BeckOK/HGB, § 150 HGB Rz. 8 (Stand: 39. Ed. 15.1.2023). 34 Zur Abgrenzung dieser beiden Arten der Notgeschäftsführung s. § 715 BGB Rz. 40; § 715a BGB Rz. 2. Richter | 1055
§ 146 HGB Rz. 18 | Offene Handelsgesellschaft ein Schaden droht.35 Vertretungsbefugnis im Außenverhältnis lässt sich jedoch auch in diesem Fall nicht begründen.36
§ 147 HGB Anmeldung der Liquidatoren (1) 1Die Liquidatoren und ihre Vertretungsbefugnis sind von sämtlichen Gesellschaftern zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. 2Das Gleiche gilt für jede Änderung in der Person des Liquidators oder in seiner Vertretungsbefugnis. 3Wenn im Fall des Todes eines Gesellschafters anzunehmen ist, dass die Anmeldung den Tatsachen entspricht, kann die Eintragung erfolgen, auch ohne dass die Erben bei der Anmeldung mitwirken, sofern einer solchen Mitwirkung besondere Hindernisse entgegenstehen. (2) Die Eintragung gerichtlich berufener Liquidatoren sowie die Eintragung der gerichtlichen Abberufung von Liquidatoren geschieht von Amts wegen. In der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Liquidatoren und Vertretungsbefugnisse als eintragungspflichtige Tatsachen . . . . . II. Anmeldepflicht der Gesellschafter (Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Eintragung nach gerichtlicher Entscheidung (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Liquidatoren und Vertretungsbefugnisse als eintragungspflichtige Tatsachen 1 § 147 HGB ordnet an, dass die Liquidatoren und ihre Befugnisse sowie alle diesbzgl. Ände-
rungen zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden sind. Diese Vorgabe tritt neben die Pflicht aus § 141 Abs. 1 Satz 1 HGB, wonach die Tatsache der Gesellschaftsauflösung angemeldet werden muss (§ 141 HGB Rz. 1). Durch die Anmeldung und die darauf folgende Eintragung wird die Registerpublizität gewährleistet und sichergestellt, dass der Rechtsverkehr erfährt, dass und wie sich die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse geändert haben. § 147 HGB ist nicht disponibel und greift für jede Form der Abwicklung; nur beim liquidationslosen, sofortigen Erlöschen der Gesellschaft gilt dies nicht.1 Für die Wirksamkeit der Berufung selbst oder für die Gestaltung der Vertretungsbefugnisse ist die Eintragung keine notwendige Bedingung; sie ist nur deklaratorisch.2 Eine unterlassene Anmeldung zieht jedoch u.U. die Konsequenzen des § 15 HGB nach sich (Rz. 8). 2 Als eintragungspflichtige Tatsachen benennt Abs. 1 Satz 1 zunächst die ursprünglichen Li-
quidatoren sowie ihre Vertretungsbefugnisse. Diese Umstände könnten vorab gesellschaftsvertraglich geregelt worden sein; mit Eintritt des Auflösungsgrundes müssten die privatauto-
35 Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 153. 36 Vgl. hierzu im eigentlichen Anwendungsbereich der Norm § 715a BGB Rz. 15 ff. sowie Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 154. 1 Habersack in Staub, § 148 HGB Rz. 5. 2 Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, § 148 HGB Rz. 1; zur parallelen Regelung des § 736c BGB Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, 186.
1056 | Richter
Anmeldung der Liquidatoren | Rz. 5 § 147 HGB
nom gekorenen Liquidatoren (§ 144 HGB Rz. 11) und die speziell geregelten Vertretungsbefugnisse (§ 146 HGB Rz. 8) zur Registereintragung angemeldet werden. Sollte gesellschaftsvertraglich eine vom gesetzlichen Bild abweichende Abwicklung vorgesehen sein, so sind die hiernach bestimmten „Abwickler“ im Register einzutragen. Doch auch wenn diese Umstände nicht abweichend vom gesetzlichen Leitbild geregelt werden, wenn also alle Gesellschafter gemeinschaftlich zur Liquidation berufen sind (§ 144 Abs. 1, § 146 Abs. 1 Satz 2 HGB), müssen diese Tatsachen (neben dem Umstand der Auflösung) im Register verzeichnet werden.3 Werden durch nachträglichen Beschluss neue Liquidatoren berufen, die bisherigen Liquidatoren abberufen (§ 144 HGB Rz. 13) oder die Vertretungsbefugnisse geändert (§ 146 HGB Rz. 9), so sind auch diese Tatsachen gem. Abs. 1 Satz 2 zur Eintragung anzumelden. Auch wenn Liquidatoren aus anderen Gründen aus dem Amt ausscheiden (etwa von Todes wegen), besteht die Anmeldepflicht; für die gerichtliche (Ab-)Berufung gilt hingegen die Sonderreglung des Abs. 2 (Rz. 9). Sollte es an einer notwendigen Voreintragung fehlen – ist etwa die Anmeldung der ur- 3 sprünglichen Liquidatoren entgegen Abs. 1 Satz 1 zunächst unterblieben, bevor andere Liquidatoren durch Beschluss bestimmt wurden –, sind die Voreintragungen nachzuholen: Aus dem Register muss sich sowohl ergeben, wer