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German Pages 429 [432] Year 2004
Dietrich Erben Paris und Rom
STUDIEN AUS DEM WARBURG-HAUS HERAUSGEGEBEN VON
UWE FLECKNER WOLFGANG KEMP GERT MATTENKLOTT MONIKA WAGNER MARTIN WARNKE
Band 9 Dietrich Erben Paris und Rom
Dietrich Erben
Paris und Rom Die staatlich gelenkten Kunstbeziehungen unter Ludwig XIV.
Akademie Verlag
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
ISBN 3-05-003851-9
© Akademie Verlag G m b H , Berlin 2004 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach D I N / I S O 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Ubersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Satz: 01denbourg:digital, Kirchheim Druck und Bindung: DZA Druckerei zu Altenburg Printed in the Federal Republic of Germany
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I.
DIE ITALIENFRAGE IM SPANNUNGSFELD V O N HERRSCHAFTSBILDUNG U N D KUNSTPATRONAGE: V O N KARL VIII. BIS LUDWIG XIV. 1. 2. 3. 4.
II.
Künstler und Kunstwerke im Heerzug des Königs Renaissancerezeption und nationale Ungeduld im 16. Jahrhundert Kunstpatronage des Hofes: Von Maria de' Medici bis Mazarin Monarchische Restauration der Künste und Rom-Paragone nach 1661 . . .
DIE BERUFUNG V O N GIAN LORENZO BERNINI N A C H FRANKREICH 1. Berninis Beziehungen zu Frankreich und der Wettbewerb für die Louvreplanung des Jahres 1664 2. Die Planungsvorgaben Colberts und die römischen Louvreentwürfe . . . . 3. Die Ostfassade des Louvre: Triumphmonument und Architektursynthese . 4. Die Rezeption von Berninis Porträtbüste und Reiterstatue für Ludwig XIV. in Paris
III. DIE ACADEMIE DE F R A N C E Ä ROME 1. 2. 3. 4. 5.
Die Gründungsphase: Voraussetzungen und Interessen Der institutionelle Rahmen Die Verbindungen zur Accademia di San Luca Maler, Architekten und Bildhauer im Dienst des Königs Erfolge und Krisen: Die Akademie im Spannungsverhältnis zwischen Rom und Paris
VII
1 2 9 27 37
51 52 62 91 108
137 138 146 157 165 206
Inhaltsverzeichnis IV. D I E PRÄSENZ F R A N K R E I C H S I N R O M
V.
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1. Denkmäler 2. Feste 3. Das Wappen des Königs
222 254 280
UNIVERSALISMUS ALS P R O G R A M M V O N K U N S T U N D P O L I T I K
293
1. Kunstpatronage in Zeiten der Staatenkonkurrenz 2. Leplus grand Roy de Vunivers et l'arbitre des affaires europeennes: Ludwig XIV. und die Monarchia universalis 3. Antikenrezeption und Querelle des anciens et des modernes unter den Vorzeichen universalistischer Suprematie 4. Der Invalidendom: Politischer und christlicher Universalismus
294 300 320 341
Schluß
373
ANHANG
379
Abkürzungs Verzeichnis
379
Bibliographie
379
Abbildungsnachweis
397
Personenregister
398
Ortsregister
406
Einleitung
Im Jahr 1777 erschien in Paris ein Buch mit dem Titel Paris, le modele des nations etrangeres, ou l'Europe frangoise. Das Werk ist pointenreich und thesenhaft formuliert. Schon der Titel wagt eine Behauptung, die der namentlich nicht genannte Autor historisch zu erläutern sucht. In annähernd vier Dutzend Kapiteln skizziert er vielfältige Aspekte des gesellschaftlichen Lebens seiner Zeit und betrachtet sie unter den Vorzeichen ihrer französischen Prägung. Er wolle ein Sittenbild Europas entwerfen, das den Kontinent in der Nachahmung der Moden und Gebräuche Frankreichs zeigt. Dem Vorhaben wird seine Berechtigung aus der Geschichte selbst zugesprochen. Denn stets werde die Vorherrschaft einer Nation von den übrigen Völkern anerkannt, die sich bemühten, deren Kultur nachzuahmen. Am Beispiel der Römer und Franzosen erweist sich für den Autor die Gültigkeit dieses Gesetzes im historischen Wandel: Jadis tont etoit Romain, aujourd'hui tout est Frangais. La difference des siecles opere ces changements. Ausgehend von dieser Maxime erscheint Rom in dem Buch als ein immer wieder evoziertes Gegenbild zu Paris. Dabei hat der Autor gleichermaßen die antike Metropole wie das neuzeitliche Rom im Sinn: Rome η'est plus, & Rome subsiste quand on lit la double histoire de cette Metropole toujours celebre. Ursprünglich Zentrum des Weltreichs, dann immerhin noch als Vorbild anerkannt, hat sich die Bedeutung Roms schließlich zu einer schwer faßbaren Idee verflüchtigt, während die kulturelle Führungsrolle von Paris für den Autor außer Frage steht. Diesseits solcher fatalistisch gefärbten Urteile werden aber zugleich die Protagonisten und Triebkräfte für den Aufstieg der französischen Hauptstadt benannt. Ludwig XIV. wird das Verdienst zugesprochen, jene revolution, die die Zeitgenossen noch heute in Erstaunen versetze, in die Wege geleitet zu haben, indem er seinem Hof eine von allen Nachbarn zur Nachahmung ausersehene grandeur verliehen habe. Durch die dynastischen Heiratsverbindungen, den diplomatischen Verkehr, den Handelsaustausch und selbst durch die militärischen Kampagnen Frankreichs habe sich der Glanz der französischen Kultur unter dem Sonnenkönig in der ganzen Welt ausgebreitet. Dies gelte für die Sprache - l'Italien touche, mais le Frangais persuade - ebenso wie für die Künste. Darin sei Paris der siegreiche Rivale Roms 1 . Das Buch des in Paris geborenen und dort als Publizist ansässigen Louis-Antoine de Caraccioli (1721-1803) stellt sich als Zeugnis für eine restaurative Sicht auf die Epoche
1 Caraccioli, 1777, Zitate und Paraphrasen p. VII, 3, 5, 26 f., 35, 277.
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Einleitung
Ludwigs XIV. dar. Das Bild Ludwigs XIV. (geb. 1638; reg. 1661-1715) hatte sich nach dessen Tod zunächst in einer Art Sonnenfinsternis verdüstert, bis der grand siecle um die Mitte des 18. Jahrhunderts wieder zum Gegenstand der Bewunderung wurde. Voltaire veröffentlichte 1751 unter dem Titel Le siecle de Louis XIV seine Geschichte der Regierung Ludwigs XIV. Die dort in neuartiger Weise entfalteten Bedingungsverhältnisse zwischen Politik, Gesellschaft und Kultur werden bei Caraccioli in einer popularisierten Version aufgenommen und leisten der Behauptung von der Dominanz Frankreichs als Kulturnation Vorschub. Diese bereits wenige Jahrzehnte nach dem Tod Ludwigs XIV. einsetzende historiographische Tradition wurde seither kontinuierlich fortgeschrieben. So kann sie zwar Anciennität für sich beanspruchen, für die Frage nach den künstlerischen Beziehungen zwischen Paris und Rom unter Ludwig XIV. erweist sie sich aber eher als Hypothek. Während sie eine nationale Erfolgsgeschichte bilanziert, erschwert sie den Blick auf die historischen Vorgänge und deren Einschätzung. Die Geschichte der Kunstbeziehungen zwischen Frankreich und Italien beginnt nicht unter Ludwig XIV. und endet nicht mit ihm. Die Regierungszeit des Königs von 1661 bis 1715 markiert in der vorliegenden Studie nur Anfang und Ende der Darstellung dieser Geschichte. Versucht man jedoch, einen längeren Zeitraum vom Spätmittelalter bis zur Auflösung des Ancien Regime zu überblicken, so spricht vieles dafür, daß sich eine Geschichte der staatlich gelenkten Kunstbeziehungen nur für die ludovizianische Epoche schreiben läßt. Weder in der Zeit bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts noch im 18. Jahrhundert waren die bilateralen Beziehungen in diesem Ausmaß von der direkten Intervention staatlicher Institutionen bestimmt. Unter ganz anderen historischen Voraussetzungen läßt sich auf dieser Ebene eine ähnliche Entwicklung erst wieder für die zwei Jahrzehnte der napoleonischen Herrschaft beobachten. Innerhalb der europäischen Staatenwelt können die Beziehungen zwischen den beiden Metropolen sowohl im Hinblick auf ihre Kontinuität als auch auf ihre Dichte als singulär gelten. Obwohl Frankreich im Unterschied zu Spanien seit der Mitte des 16. Jahrhunderts keine Territorien in Oberitalien und auf der italienischen Halbinsel besaß, kam es zu einem umfassenden Austausch von Künstlern sowie zum Transfer von Kunstwerken und Ideen. Er zeichnete sich in den Jahrzehnten nach der Übernahme der Selbstregierung Ludwigs XIV. durch die staatlich gelenkte Institutionalisierung wie auch durch eine zielgerichtete Vereinnahmung aus. Der Kunstaustausch war eine Initiative der Krone sowie der Pariser Kunstadministration und wurde zugleich ganz in den Dienst der monarchischen Repräsentationsansprüche gestellt. Rom kam dabei der Rang eines doppelten Leitbildes zu. Seine Anziehungskraft beruhte gleichermaßen auf der aktuellen Bedeutung als moderner Kunstmetropole des Papsttums wie auch auf der geschichtlichen Vision von der Stadt als Zentrum des antiken Imperiums. Die Zeitgenossen prägten für diesen Dualismus der künstlerischen Überlieferung die Formel der Roma antica e moderna oder der l'une et l'autre Rome2. Für den Kunstaustausch entfaltete gerade dieser Dualismus eine nachhaltige Relevanz, denn er verbürgte den Rang der beiden Universalgewalten von Kaiser- und Papsttum, mit denen Ludwig XIV. innerhalb der europäischen Staatenwelt in Konkurrenz trat. Mit der Orientierung auf Rom ist auch eine Grundabsicht der französischen Kultur2 So etwa Filippo de Rossi, Ritratto di R o m a antica etc., R o m 1688 und ders., Ritratto di R o m a m o derna etc., R o m 1652 sowie Nicolas de Bralion, Les curiositez de l'une et de l'autre R o m e , Paris 1669.
Einleitung
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politik dieser Epoche benannt: Sie zielte auf die Ablösung der politischen und geistlichen Titel, die Rom zu vergeben hatte, und auf den Erwerb des Status einer Universalmonarchie. Bei der Beschreibung dieser Rezeptionshaltung und der ihr zugrundeliegenden Motive wahrt die Gliederung der vorliegenden Studie weitgehend den Rahmen der Chronologie, erlaubt sich aber bei der Erörterung von künstlerischen Problemen oder institutionellen Strukturen immer wieder zeitliche Vor- und Rückgriffe. Zunächst werden die Wege der französisch-italienischen Kunstbeziehungen nachgezeichnet, wie sie in den Jahren um 1500 beschritten und seither sukzessive ausgebaut wurden (Kapitel I). Genoß dabei die Künstlerberufung neben dem Import italienischer Werke und der Vergabe von Stipendien an französische Künstler für Romreisen Priorität, so beförderten die Kontakte nach Italien zugleich den Ausbau einer Kunstadministration. Er setzte um 1500 ein und spielte dann unter Ludwig XIV. die maßgebliche Rolle bei der Ausgestaltung der Kunstbeziehungen zwischen beiden Ländern, die sich seit etwa 1600 auf die Metropolen Paris und Rom verdichteten. Diese Vorgänge waren kontinuierlich Gegenstand zeitgenössischer Reflexion. So wurde über die Renaissancerezeption unter den Vorzeichen einer als notwendig erachteten Nachahmung nachgedacht, die jedoch zugleich die nationale Eigenständigkeit der Kunst in Frankreich zum Ziel haben sollte. Ludwig XIV. traf hingegen beim Antritt seiner Selbstregierung im Jahr 1661 auf einen mehrere Jahrzehnte zurückreichenden Anti-Italianismus und er begegnete ihm mit einem restaurativen Programm der königlichen Kunstpatronage, das es ihm erlaubte, in diesen Rahmen auch die künstlerischen Beziehungen nach Rom zu integrieren. Im Topos von Paris als der nouvelle Rome gewann der Translationsgedanke eine einprägsame Leitformel. Die Berufung von Gian Lorenzo Bernini an den Pariser Hof im Jahr 1665 (Kapitel II) folgte noch dem Muster der Künstlerberufung, doch es zeigte sich, daß die divergierenden Erfahrungen und Erwartungen des Künstlers auf der einen sowie der Pariser Auftraggeber und Hofkünstler auf der anderen Seite nicht mehr zu vermitteln waren. Bernini war bei seinem Aufenthalt in Paris mit den neuen Gegebenheiten der Kunstadministration konfrontiert. Zwar wird bei den Projekten für den Louvre erkennbar, daß auf Seiten der beteiligten Pariser Architekten wie der Administration die Bauaufgabe der Königsresidenz nur allmählich eine ihrem Repräsentationsgehalt angemessene Gestalt gewann. Aber erst in der Auseinandersetzung mit den Entwurfsideen Berninis gelangte der schließlich realisierte Plan zur Klärung: Die Ostfassade des Louvre läßt sich als eine Architektursynthese deuten, die die ranghöchsten Bauaufgaben von Tempel, Palast und Triumphbogen vereinigt und so einem universalistischen Anspruch Ausdruck verleiht. In ähnlicher Weise wie beim Louvre können divergierende künstlerische Konzeptionen auch bei den von Bernini geschaffenen Königsmonumenten - der Büste und dem Reiterdenkmal - erhellt werden. Als nach der Rückkehr Berninis nach Rom im Jahr 1666 die Academie de France ä Rome (Kapitel III) gegründet wurde, beruhte dies unter anderem auf der Einsicht, daß sich das Instrument der Künstlerberufung für die Wahrung und den Ausbau der Kunstbeziehungen als untauglich erwiesen hatte. Die Einrichtung der Akademie bedeutete nicht nur die nachhaltige Intensivierung der Kunstbeziehungen, sondern auch eine neue Form der staatlichen Präsenz und Lenkung. Die vordem individuellen Künstlerreisen wurden nun unter die Observanz der Kunstadministration in Paris gestellt. Die Academie de France ä Rome läßt sich nur bedingt als eine akademische Institution beschreiben. Sie unterstand dem Surintendant des Bätiments in Paris, während die Pariser Kunstakademie nur eine organisato-
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risch flankierende Rolle spielte. Das Konkurrenzverhältnis um den Einfluß auf die Academie de France zeigte sich nicht nur bei der Besetzung des Direktorenpostens in Rom, bei der die Pariser Akademie das Nachsehen hatte. Auch die 1676 vollzogene Vereinigung der Academie de Peinture et de Sculpture mit der Accademia di San Luca läßt sich als der Versuch von Seiten der Pariser Akademie verstehen, im römischen Kunstgeschehen Fuß zu fassen und dabei die Academie de France zu umgehen. Aber auch dieser Vorstoß wurde schließlich von der Kunstadministration blockiert. Die Academie de France ä Rome war Ausbildungsinstitut und Atelierbetrieb in einem. Die Erfüllung ihres Ausbildungsauftrags wird man insgesamt skeptisch zu beurteilen haben, denn kaum einem ihrer Absolventen ist es gelungen, sich in Frankreich als Künstler tatsächlich durchzusetzen. Sofern dies gelang, eröffneten die traditionellen Verbindungen zum Establishment der Hofkünstler weitaus bessere Karrierechancen als die künstlerische Schulung in Rom. Die Aufgabe der Akademie als Atelier bestand in der Lieferung von Ausstattungsstücken für die königlichen Residenzen. Neben Gemälde- und Freskenkopien als Vorlagen für Gobelins bildeten Statuen für Gartendekorationen den Hauptanteil der künstlerischen, aus der Akademie hervorgegangenen Produktion. In diesen Kunstwerken verwirklichte sich zunächst der mit der Akademiegründung verbundene, aus merkantilistischem Konkurrenzdenken motivierte Anspruch, sich die künstlerischen Ressourcen Roms anzueignen. Die Aneignung der antiken Bildwerke signalisierte darüber hinaus auch das Hoheitsrecht über das antike Erbe. Betrachtet man die Skulpturenproduktion der Akademie schließlich im Hinblick auf Werkprozeß und stilistische Ausformung, so werden neuerlich synthetische Qualitäten ersichtlich, wie sie sich analog auf dem Sektor der Architektur bei der Ostfassade des Louvre erschließen lassen. Gegründet aus einem umfassenden Superioritätsanspruch mußte die Akademie geradezu zwangsläufig in eine institutionelle Krise geraten, als diese Prätention im letzten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts in Paris immer mehr als erfüllt deklariert wurde. Auch wenn die Legitimationskrise im Grunde weder praktisch noch theoretisch bewältigt wurde, hat die Pariser Administration am Bestand der Akademie nicht zuletzt wegen deren Wirksamkeit für die Außendarstellung Frankreichs in Rom festgehalten. Die Academie de France ä Rome war Teil der auf höchst unterschiedlichen Ebenen entfalteten französischen Repräsentation in Rom (Kapitel IV). Obwohl das Papsttum innerhalb der europäischen Staatenwelt eine Einbuße seiner politischen und konfessionellen Partizipationsmöglichkeiten hinzunehmen hatte, bewahrte Rom seinen internationalen Rang. Auf ihm beruhen Anziehungskraft und Geltungsanspruch der Stadt für die Selbstdarstellung der katholischen Mächte. Am Beispiel Frankreichs zeigt sich der höchst kompetitive Charakter dieser Außendarstellung. Durch Denkmäler für den französischen Monarchen und durch Feste, die zu dynastischen und politischen Ereignissen abgehalten wurden, trat die Krone in Konkurrenz zum Papsttum und zu den anderen europäischen Staaten. Neben Denkmälern und Festen spielte die Zurschaustellung des königlichen Wappens eine kaum zu überschätzende Rolle bei der öffentlichen Repräsentation Frankreichs in Rom. Die Heraldik machte politische Allianzen und Loyalitäten sichtbar, sie war damit aber auch Gegenstand oftmals langwierig geführter Rangstreitigkeiten. Alle Repräsentationsvorhaben in Rom wurden von Prälaten, Diplomaten und Angehörigen der römischen Oligarchie initiiert, aber stets auch vom König persönlich und von der Administration kontrolliert. Die Projekte waren Dedikationen an den Monarchen, mit denen die Verantwortlichen in Rom um ihre Vortrittsrechte und um die Gunst des Königs wetteiferten. Sie zeigen eindrücklich, daß der lange Arm des Pariser Hofes nicht nur in einem direkten
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Zugriff bis nach Rom reichte, sondern auch über das Protektionsverhältnis zu der in Rom ansässigen Klientel das dortige Geschehen zu dirigieren vermochte. Die Präsenz Frankreichs in Rom dokumentiert somit nicht zuletzt eine außenpolitische Orientierung, von der die Pariser Hofkunst in ihrer gesamten Programmatik bestimmt wurde. Für ihr Verständnis läßt sich der zeitgenössische Begriff der Monarchia universalis als die zentrale Konzeption namhaft machen (Kapitel V). Universalmonarchie meint das Fernziel eines politischen Ordnungsmodells unter französischer Vorherrschaft, dem in der Konkurrenz mit den übrigen europäischen Staaten zur Durchsetzung verholfen werden sollte. Vorrangiges Machtinstrument dieser Durchsetzung war der Krieg. In Kunst und Kunstpolitik fand er seinen Niederschlag, aber auch seine Fortsetzung. Aus der Perspektive des Universalismus erlangen die Maßnahmen, die der Ausgestaltung der Kunstbeziehungen zwischen Paris und Rom dienten, ihre zeitgenössische Legitimation und ihren historisch begründbaren Stellenwert. Einmal mehr bestätigt sich aus dieser Sicht die doppelte Leitbildfunktion Roms als ehemaliger Metropole des antiken Imperiums und als Sitz des Papsttums, der beiden traditionellen Universalgewalten. In der ludovizianischen Hofkunst wird sie noch einmal in der nachdrücklichen Rezeption antiker Bildwerke in der Skulptur und im Anspruchsniveau des Pariser Invalidendoms als der bedeutendsten kirchlichen Stiftung Ludwigs XIV. greifbar. In welchem Maß die Antikenrezeption der universalistischen Programmatik verpflichtet war, zeigt sich bei den kunsttheoretischen Debatten im Rahmen der Querelle des anciens et des modernes. Auf der Seite der Modernen wurde für die Distanzierung von der Antike plädiert und die künstlerische Innovation als angemessener Ausdruck für den Vorrang Frankreichs in Europa gefordert. Die in diesem Zusammenhang besprochenen Monumente führen zur Frage zurück, in welcher Weise sich die Hofkunst als Äquivalent zu ihrer universalistischen Programmatik durch die Stilwahl bestimmen läßt. Die Konkurrenz zur Universalgewalt des Papsttums gewann im Pariser Invalidendom Gestalt. Das Ausstattungsprogramm der Kirche würdigt Ludwig XIV. als rex christianissimus sowie als fils aine de l'eglise und bestätigt ihn damit in der Funktion eines Schutzherrn über Papsttum und Kirche. Der Anspruch wird in der Architekturform des Pariser Kirchenbaus weitergetragen. So kommt in der Aneignung der Sankt-Peter-Planung Michelangelos nicht nur der Paragone mit der Hauptkirche der Christenheit zum Ausdruck, die Kirche wird zudem in der Idealgestalt eines Zentralbaus restituiert, die der Petersdom verloren hatte. In ähnlicher Weise wie dies beim Louvre zu beobachten ist, gewinnt auch beim Invalidendom der universalistische Ordnungsanspruch im Stilmodus der Architektursynthese Gestalt. Die kursorische Inhaltsübersicht mag bereits verdeutlichen, daß auf allen Sektoren der künstlerischen Beziehungen Kunstgeschichte, Ideengeschichte, politische Geschichte und Sozialgeschichte untrennbar miteinander verwoben sind. Es wurde versucht, dieser Durchdringung bei der Darstellung Rechnung zu tragen3. In der Studie werden metho-
3 Ein solches Vorgehen bezieht sich explizit auf Ansätze der neueren Kultur- und Gesellschaftsgeschichte sowie der historischen Anthropologie; zur Debatte vgl. nur Wolfgang Hardtwig/Hans-Ulrich Wehler eds., Kulturgeschichte heute (= Geschichte und Gesellschaft Sonderheft 16), Göttingen 1996; Wolfgang Reinhard, Was ist europäische politische Kultur? Versuch zur Begründung einer politischen Historischen Anthropologie, in: Geschichte und Gesellschaft 27, 2001, p. 5 9 3 - 6 1 6 und jüngst ders., Lebensformen Europas. Eine historische Kulturanthropologie, München 2004; T h o -
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dische und theoretische Überlegungen bestenfalls am Rande ausgeführt. Der Zugriff auf den Gegenstand war von der Überlegung geleitet, das Thema historisch aus Kunstwerken und Schriftquellen darzustellen sowie die Etappen der Institutionalisierung nachzuzeichnen, es aber nicht nach einer strengen methodischen Leitlinie zu rekonstruieren. Damit geht die Darstellung keineswegs auf Distanz zur Theorie. Leitende methodische Annahmen wurden durchaus bedacht, auch wenn sie im Text nur angedeutet sind. Dies betrifft an erster Stelle naturgemäß die Frage nach der staatlichen Lenkung der Kunstbeziehungen. Ins Auge gefaßt ist ein Ensemble von Maßnahmen zur Ausgestaltung der bilateralen Kunstbeziehungen, die sich einer Initiative oder Unterstützung von Seiten der Krone und der Kunstadministration verdanken. Dabei zeigt sich, daß Ludwig XIV. in hohem Maß persönlich auf den Entscheidungsprozeß Einfluß genommen hat und die Surintendance des Bätiments sowie der 1662 von Jean-Baptiste Colbert ins Leben gerufene Petit Conseil als Hauptinstanzen der Kunstadministration zu sehen sind, während die Pariser Akademien nur eine begleitende Rolle spielten. Diese teils bereits etablierten, teils neu geschaffenen Entscheidungs- und Kontrollorgane sind Teil einer umfassenden Institutionalisierung, durch die das Wachstum der frühneuzeitlichen Staatsgewalt fundamental gekennzeichnet ist. Institutionalisierung meint hierbei in einem allgemeinen Sinn die Verstetigung und Koordination von Handlungsabläufen, in einem speziellen Sinn Behördenbildung 4 . Mit diesem doppelten Institutionenbegriff lassen sich Vorgänge, die zunächst heterogen zu sein scheinen, auf einer einheitlichen Ebene als Phänomene frühmoderner Staatlichkeit beschreiben. Aus einem solchen Blickwinkel wird etwa die Ablösung von Künstlerberufungen und Künstlerreisen durch die Schaffung der Academie de France ä Rome nicht als Institutionalisierung schlechthin, sondern als eine institutionelle Verdichtung zur Behördenbildung greifbar. In ähnlicher Weise sind die ubiquitären Patronage-Klientel-Beziehungen integraler Bestandteil einer frühmodernen Institutionenkultur 5 . Diese Abhängigkeits- und Loyalitätsverflechtungen spielten auf nahezu allen untersuchten Sektoren der Kunstbeziehungen eine kaum zu unterschätzende Rolle: Sie wirkten in die Konfrontation Berninis mit der Pariser Hofgesellschaft hinein, steuerten die Formen der Rekrutierung von Direktoren und Pensionären an der Academie de France, ihnen verdankten sich die Initiativen zur Repräsentation Frankreichs in Rom durch Feste und Denkmäler und schließlich beförderten sie einen panegyrischen Diskurs, der auf die Stabilisierung des monarchischen Systems zielte. Im Rahmen dieses Diskurses, auf den in der Studie in
mas Mergel, Überlegungen zu einer Kulturgeschichte der Politik, in: Geschichte und Gesellschaft 28, 2002, p. 574-606. 4 Vgl. hierzu die Forschungsübersicht in Gert Melville ed., Sonderforschungsbereich 537 „Institutionalität und Geschichtlichkeit". Eine Informationsbroschüre, Dresden 1997, bes. p. 11-27; allgemein auch Reinhard, 1999, bes. p. 125-140. 5 Zugrunde gelegt wurden insbesondere die methodischen Studien von Wolfgang Reinhard; vgl. den Forschungsbericht mit Schwerpunkt auf Rom und Frankreich Reinhard, 1996. Speziell auch Sharon Kettering, Patron, Brokers, and Clients in Seventeenth-Century France, O x f o r d - N e w York 1986; Ago, 1990 und zuletzt Daniel Büchel/Volker Reinhardt eds., Die Kreise der Nepoten. Neue Forschungen zu alten und neuen Eliten Roms in der frühen Neuzeit, Bern u.a. 2001.
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unterschiedlichen Begründungszusammenhängen Bezug genommen wird, schließen sich Bildlichkeit, Schriftlichkeit, aber etwa auch das Opernschaffen der Zeit zusammen 6 . Der weit ausgreifende Institutionalisierungsprozeß erreichte unter Ludwig XIV. auch im Bereich der Künste einen Höhepunkt. Seine entscheidende Konsequenz liegt darin, daß der Glaube an die Heiligkeit der Person des Monarchen zunehmend durch den Gehorsam gegenüber den abstrakt begriffenen Institutionen des Staates ersetzt wurde 7 . Gerade an der Programmatik der ludovizianischen Hofkunst zeigt sich, daß das vielzitierte Gottesgnadentum weitgehend hinter einer pragmatischen Herrschaftsbegründung durch die Darstellung der außenpolitischen Vormachtstellung Frankreichs zurücktrat. Freilich haben die Forschungen der letzten Jahre zum Absolutismus gezeigt, daß der monarchischen Herrschaftsform - und insbesondere der Monarchie Ludwigs XIV. - allzu bereitwillig ein hoher Grad an institutioneller Durchdringung und Effizienz zugestanden wurde 8 . Im Anschluß an die neueren Arbeiten ist auch in der vorliegenden Studie die Perspektive eher skeptisch. Eine systematische Kulturpolitik gab es tatsächlich nur in Ansätzen 9 . Im Hinblick auf das Kunstgeschehen der Zeit, das - wie bereits angedeutet - weiterhin informell organisiert war, ist die partielle Ineffizienz der akademischen Institutionen ebenso unübersehbar wie die Kompetenzkonkurrenz zwischen einzelnen Personen und Institutionen. Darüber hinaus war auch die zeitgenössische Rezeption der offiziellen Bildprogrammatik in erstaunlicher Weise von streitbarem Widerspruch und geradezu pluralistischer Kontroverse geprägt. In Anbetracht dessen liegt das Hauptaugenmerk mehr auf der Frage nach den Durchsetzungsstrategien zur Bewältigung von Defiziten des Regimes als auf der Unterstellung, es habe reibungslos funktioniert. Erst von hier aus schärft sich der Blick für die Tatsache, daß absolutistische Staatsgewalt stets auf ein ganzes Arsenal von Mitteln der politischen Kommunikation angewiesen war. Sie dienten der Vermittlung von Politik an die Untertanen wie an die ausländischen Nachbarn und umfaßten alle Sparten bildlicher und architektonischer Darstellungsformen 10 . 6 Dazu neben Burke, 1992 auch Joseph Klaits, Printed Propaganda under Louis XIV. Absolute monarchy and public opinion, Princeton 1976 und O r e s t Ranum, Artisans o f Glory. Writers and historical thought in seventeenth-century France, Chapel Hill 1980. 7 Zu diesem Wandel Reinhard, 1999 und mit ähnlichen Ergebnissen gleichzeitig Paul Kleber M o n o d , T h e Power of Kings. Monarchy and Religion in Europe, 1 5 8 9 - 1 7 1 5 , N e w H ä v e n - L o n d o n 1999; maßgebliche Anregungen verdanke ich zudem der Studie von William Beig, Absolutism and Society in Seventeenth-Century France. State power and provincial aristocracy in Languedoc, Cambridge u.a. 1985. 8 N a c h der fulminanten Kritik am Epochenbegriff von Nicolas Henshall, T h e M y t h of Absolutism. Change and continuity in Early Modern European M o n a r c h y (1992), L o n d o n - N e w Y o r k 3 1 9 9 6 die Diskussion in Ronald G . Asch/Heinz Duchhardt eds., D e r Absolutismus - ein M y t h o s ? Strukturwandel monarchischer Herrschaft in West- und Mitteleuropa, Köln u.a. 1996 sowie die Darstellungen von Ernst Hinrichs, Fürsten und Mächte. Zum Problem des europäischen Absolutismus, G ö t tingen 2000; Heinz Duchhardt, Die Absolutismusdebatte - eine Antipolemik, in: Historische Zeitschrift 2 7 5 , 2 0 0 2 , p. 2 2 3 - 3 3 1 und Cosandey/Descimon, 2002. In diesem Zusammenhang sei nur eine insgesamt nach wie vor affirmative Tendenz der zahllosen Biographien über Ludwig X I V . festgestellt, wie sie etwa noch die monumentale Darstellung von Bluche, 1994 kennzeichnet. Wohltuend heben sich davon die konzisen Biographien zu Ludwig X I V . und Colbert von Klaus Malettke, 1994 und 1977 ab. 9 I.d.S. Voss, 1981. 10 Zu den methodischen Überlegungen Gestrich, 1994, bes. p. 2 4 - 2 8 , 1 2 7 - 1 3 0 und passim; speziell zu
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Läßt sich die Bedeutung der Hofkunst unter Ludwig XIV. primär aus der Funktion bestimmen, die ihr für die Stabilisierung des Herrschaftssystems zugemessen wurde, so erscheint die Berufung auf R o m als ihre entscheidende Legitimationsinstanz. Die ludovizianische Hofkunst gewann am Vorbild R o m s Gestalt. D e r Begriff der Kunstbeziehungen zwischen Paris und R o m umfaßt daher nicht nur die Ebene des Transfers, das heißt die Wechselwirkungen zwischen nebeneinander existierenden, jedoch historisch miteinander verbundenen Metropolen, sondern auch die Ebene des Vergleichs, das heißt die Frage nach Ähnlichkeiten und Unterschieden zwischen den monarchischen Systemen des französischen Königsabsolutismus, der päpstlichen Wahlmonarchie und der historischen Idee des antiken Kaisertums. Das methodische Problem des Ineinanderwirkens von Beziehungsund Vergleichsgeschichte steht der historischen Forschung seit einiger Zeit deutlich genug vor Augen 1 1 . Hervorhebenswert ist dabei der Sachverhalt, daß die Fragestellung in dem Maße ins Bewußtsein trat und methodisch als bewältigbar erschien, in dem die Verbindlichkeit des Historismus mit den Prinzipien von Quellennähe, Individualitätsgrundsatz und der Kontextverbundenheit des Einzelfalls zugunsten einer strukturgeschichtlichen Orientierung ihre Prägekraft verlor. Auf eine Formel gebracht: Ereignisse und Einzelphänomene lassen sich weitaus schwerer zueinander in Beziehung setzen und vergleichend analysieren als Verhältnisse. Auf die Kunstgeschichte gewendet ließe sich hinter diesem Befund ein methodischer Vorsprung der Disziplin vermuten. Denn der methodische Grundbestand der Kunstgeschichte zeichnete sich spätestens seit den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts durch strukturelle Fragestellungen aus, seien es Stilgeschichte, Ikonographie oder Strukturanalyse. Gleiches gilt für die in den letzten beiden Jahrzehnten etablierten neueren Ansätze der Rezeptionsgeschichte und Patronageforschung. Trotz dieser günstigen methodischen Voraussetzungen läßt sich gerade für die Phase der methodischen Differenzierung der Kunstgeschichte nach der Jahrhundertwende jedoch nicht verkennen, daß die vergleichende Forschung für die Kunstgeschichte lange Zeit eine Hypothek bedeutete. Sie leistete unter den Stichworten von Abgrenzung und Expansion einer fatalen Politisierung der Disziplin und deren nationaler Indienstnahme Vorschub. So antwortete Heinrich Wölfflin mit seinen während des ersten Weltkriegs verfaßten „Kunstgeschichtlichen Grundbegriffen" (1915) zunächst noch auf die patriotische Vereinnahmung der Kunstgeschichte mit einer Grundlegung des vergleichenden Sehens. Sein 1931 erschienenes Buch „Italien und das deutsche Formgefühl" baut auf diesem Konzept auf und exemplifiziert es mit dem Versuch, „die künstlerische Physiognomie von Deutschland und Italien herauszuarbeiten" 1 2 . Durch eine strikt formanalytische Betrachtung bezieht Wölfflin zwar außerhalb der Reichweite nationalistischer Polemik Position. Gleichzeitig
Frankreich Michele Fogel, Les Ceremonies de l'information dans la France du XVIe au milieu du XVIIIe siecle, Paris 1985 und Burke, 1992. 11 Vgl. aus der neueren Forschung nur Heinz-Gerhard Haupt/Jürgen Kocka eds., Geschichte und Vergleich. Ansätze und Ergebnisse international vergleichender Geschichtsschreibung, Frankfurt a.M. 1996; Johannes Paulmann, Internationaler Vergleich und interkultureller Transfer. Zwei Forschungsansätze zur europäischen Geschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts, in: Historische Zeitschrift 267, 1998, p. 649-685; Michael Werner/Benedicte Zimmermann, Vergleich, Transfer, Verflechtung. Der Ansatz der Histoire croisee und die Herausforderung des Transnationalen, in: Geschichte und Gesellschaft 28, 2002, p. 607-636. 12 Heinrich Wölfflin, Italien und das deutsche Formgefühl (1931), München 2 1964, p. 22.
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liegt seinem Ländervergleich aber von Anfang an das Erkenntnisvorhaben der Abgrenzung zugrunde: „Deutsche und italienische Renaissance können sich nicht gleichen. (...) Für den deutschen Norden bedeutet Italien etwas Wesensfremdes." 13 Die zweite Grundtendenz der Forschung läßt sich mit dem programmatischen Titel der „Expansion de l'art franfais" bezeichnen, unter den Louis Reau sein monumentales Werk über die von ihm zusammengetragenen Indizien für eine globalen Rezeption französischer Kunst gestellt hat14. Die vorliegende Studie versucht demgegenüber den Rahmen einer nach wie vor vernachlässigten und methodisch nicht ausgearbeiteten europäischen Perspektive der Kunstgeschichte zu entwerfen 15 . Sie legt dabei eine Typologie des Kulturkontaktes zugrunde. So lassen sich die Kunstbeziehungen als Teil einer Kulturbegegnung zwischen zwei Partnern beschreiben, die dauerhafte Kontakte auf einer - zumindest prinzipiellen - Basis der Gleichrangigkeit unterhielten 16 . Eine so verstandene komparatistische Kunstgeschichte betont zunächst das Dialogverhältnis, indem der Versuch gemacht wird, die Voraussetzungen für die wechselseitige Wahrnehmung und des Verständnisses nach der kulturellen Herkunft der Beteiligten zu bestimmen sowie den Folgen für die Art und Weise der Auseinandersetzung nachzugehen. Dieses weite Feld wird hier notgedrungen nur in einzelnen kunstgeschichtlichen Aspekten berührt 17 . Gerade vor dem Hintergrund der Typologie des Kulturkontaktes treten freilich die epochenspezifischen Konfliktfelder der Kunstbeziehungen umso deutlicher hervor. Dabei ging es einerseits um eine nationale Standortbestimmung der Kunst und andererseits um den von der französischen Krone dezidiert vorgetragenen, auch auf die Kunstentwicklung bezogenen Superioritätsanspruch innerhalb Europas. Die Entfaltung der Kunstbeziehungen ist an keiner Stelle von den mit politischen und militärischen Mitteln ausgetragenen Hegemoniebestrebungen Frankreichs innerhalb des europäischen Staatensystems zu trennen. Sie erhielt im Gegenteil von hier aus ihre entscheidende Motivation. Kaum je wurde der Nationalcharakter der Franzosen von Seiten eines Italieners so amüsant kommentiert, wie in dem 1714 publizierten Essay von Giovanni-Paolo Marana über die Pariser Gesellschaft am Ende der Regierung Ludwigs XIV. Als vorherrschender Charakterzug werden ihr legerete, Unstetigkeit und der Hang zum Modischen attestiert: Man
13 A.a.O., p. 18 und 20. 14 Louis Reau, Histoire de l'expansion de l'art frangais. Bd. 1: Le monde slave et l'orient, Paris 1924. Bd. 2: Belgique et Hollande-Suisse-Allemagne et Autriche-Boheme et Hongrie, Paris 1928. Bd. 3: Pays Scandinaves-Angleterre-Amerique du Nord, Paris 1931. Bd. 4: Le monde latin. Italie-Espagne-Portugal-Roumanie-Amerique du Sud, Paris 1933. 15 Vgl. hierzu Jörg A. Schlumberger et al. eds., Europa - aber was ist es? Aspekte seiner Identität in interdisziplinärer Sicht, Köln u.a. 1994; Rainer Hudemann ed., Europa im Blick der Historiker. Europäische Integration im 20. Jahrhundert: Bewußtsein und Institutionen, München 1995; Heinz Duchhardt et al. eds., „Europäische Geschichte" als historiographisches Problem, Mainz 1997; Schmale, 1997. 16 Anregend für die Typologie waren im vorliegenden Zusammenhang vor allem die Arbeiten von Urs Bitterli zur Geistesgeschichte der europäischen Expansion; vgl. speziell Urs Bitterli, Alte Welt-neue Welt. Formen des europäisch-überseeischen Kulturkontaktes vom 15. bis zum 18. Jahrhundert (1982), München 21992, hier bes. 42-54. Aus der buchstäblich uferlosen Literatur zum Kulturaustausch vgl. nur die methodische Skizze von Peter Burke, Kultureller Austausch, in: ders., Kultureller Austausch, Frankfurt a.M. 2000, p. 9^t0. 17 Analog zu den Gelehrtenkontakten vgl. die Studie von Waquet, 1989.
XVI
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treffe Franzosen in allen Teilen der Welt, nur weil sie es zu Hause nicht aushielten. Wem das Reisen verwehrt sei, der wechsle die Wohnung so oft wie die Kleider, um zu verhindern, an einem O r t alt zu werden. Wenn ein Kleid länger halte als eine Blumenblüte, werde es bereits für verschlissen gehalten. Das Französische gilt dem Autor als eine noble melange du Latin, de Vitalien & de l'Espagnol. D e r Franzose weigere sich, über die Gegenwart zu reden, er ziehe die Unterhaltung über die Zukunft vor, spreche kaum über die Vergangenheit und niemals über das Altertum. D e r Franzose halte es für ein Laster der Spanier, die vergangenen Jahrhunderte auszugraben, er selbst hingegen suche nur die neuesten Bücher und bevorzuge Freunde, die nach Möglichkeit erst am Tag der Begegnung geboren sein sollen. A m Ende kommt aber selbst ein Autor, der Frankreich mit einem ironisch gebrochenen Wohlwollen gegenübersteht, nicht umhin, an den Friedenswillen der Nation als Voraussetzung jeglicher zukünftiger Verständigungsmöglichkeiten zu appellieren 18 . Nationale Stereotypen - deren Auflösung sich bei Marana bereits zugunsten eines gesellschaftskritischen Verständnisses ankündigt - bildeten bei den Zeitgenossen eine selbstverständliche Grundlage der wechselseitigen Wahrnehmung 1 9 . Wenn im folgenden solche Sichtweisen der Zeitgenossen immer wieder zur Sprache kommen, dann wird jedoch auch nach dem jeweils aktuellen Kontext für ihr Zustandekommen gefragt. Ein weitergehender Versuch, zu Festlegungen nationaler Besonderheiten der Kunstentwicklung zu gelangen, beschränkt sich auf deren Bedingtheiten und auf die mit einzelnen Monumenten verbundenen Zielsetzungen. Dabei lassen sich im Hinblick auf Auftragszusammenhänge, Produktionsbedingungen, ikonographische Programme und schließlich auch Prägungen der Formensprache Eigenheiten erkennen, die die ludovizianische Hofkunst nicht nur in ihrer Homogenität auszeichnen, sondern auch eine Differenz zu analogen Voraussetzungen in der römischen Kunst markieren. Hingegen liegt die Frage, was „das Französische" an der Pariser Hofkunst sei und was es denn vom „Römischen" an der Barockkunst in R o m unterscheide, nicht nur außerhalb des mit der Studie verfolgten Interesses, sondern auch - wie mir scheint - außerhalb der Reichweite einer methodisch kontrollierten Fragestellung 20 . Eine ähnliche Zurückhaltung wird gegenüber jeglicher Bilanz des von Frankreich forcierten Superioritätsanspruchs geübt. D e r Behauptungscharakter von Äußerungen zur Hegemonie auf dem Feld der Kunst soll möglichst bewahrt sowie die einzelnen Aspekte der Aneignung einer Definitionsmacht über die Bestimmung der Rangfolge in den Künsten herausgearbeitet werden. Gleichzeitig wird bewußt darauf verzichtet, das Reservoir kultureller Güter in einer vergleichenden Perspektive auf Paris und R o m objektivieren oder gar quantifizieren zu wollen. Als Korrektive gegenüber einem meist militanten, oftmals von 18 Marana, 1714, p. 18 f. und das Fazit p. 48: Μon eher ami, prions Dieu de tout nötre coeur, qu'il donne a cette brave nation 1'esprit de paix, & que le fureur martiale, qui l'agite toüjours, se change en une mode salutaire, qui fasse revenir le repos & la tranquillite dans toute l'Europe. 19 Instruktiv als Quellen das Reisehandbuch mit einem Vorspann zur Nationentypologie bei Burattino, 1682, Parte prima, sowie die anhand der üblichen Klimazonen- und Säftelehre erörterte Typologie bei La Mothe le Vayer, 1647, bes. p. 1-33. Allgemein jüngst zum Problem Michael Maurer, „Nationalcharakter" in der frühen Neuzeit. Ein mentalitätsgeschichtlicher Versuch, in: Reinhard Blomert et al. eds., Transformationen des Wir-Gefühls. Studien zum nationalen Habitus, Frankfurt a.M. 1993, p. 45-81. 20 Vgl. dazu die Überlegungen bei Klaus von Beyme, Nationale Baustile. Ideologie und politische Grundlagen, in: ders., Die Kunst der Macht und die Gegenmacht der Kunst. Studien zum Spannungsverhältnis von Kunst und Politik, Frankfurt a.M. 1998, p. 221-238.
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XVII
militärischer Gewalt begleiteten Dominanzanspruch, der auch die Künste umfaßte, dienen die kritische Uberprüfung der Gegenstände im historischen Kontext und nicht zuletzt die Mittel sprachlicher Distanzierung. Eine solche historisch distanzierte Sicht wird maßgeblich durch den Pragmatismus und die sachliche Orientierung der neueren kunsthistorischen Forschung befördert, auf der die vorliegende Studie neben der Anlehnung an methodische Überlegungen anderer Disziplinen natürlich gleichermaßen beruht. Die enge historische Verbundenheit zwischen Paris und Rom wurde von jeher konstatiert. Die im Jahr 1956 im Rahmen des Partnerschaftsprogramms der damaligen EWG geschlossene Städtepartnerschaft beider Städte hat sie für die Gegenwart besiegelt, dem Thema wurden in diesem Zusammenhang mehrmals kulturhistorische Ausstellungen gewidmet 21 . In Monographien und Detailstudien wurden die Kunstbeziehungen auf vielfältigen Sektoren des Austausche behandelt. Mit den Studien zu einzelnen Künstlern und Werken kamen Strukturformen ebenso in den Blick wie Werktransfers, die grenzübergreifende Sammlungstätigkeit, Künstlermobilität oder künstlerische Institutionen. Auf den Stand der Forschungen wird im jeweiligen Zusammenhang verwiesen. An dieser Stelle seien nur die neueren Monographien von Gil Smith (1993) zur Beteiligung französischer Architekten an den Wettbewerben der Accademia di San Luca, von Katharina Krause (1996) zur Villegiatur im Pariser Umland unter der Regierung Ludwigs XIV., von Stefan Germer (1997) über Andre Felibien, von Paul Duro (1997) über die Pariser Kunstakademie, von Gerard Sabatier (1999) über die Bildprogramme von Versailles, von Michael Petzet (2000) über Claude Perrault und jüngst von Thomas Kirchner (2001) über das Historienbild im Frankreich des 17. Jahrhunderts hervorgehoben 22 . Diese neueren Forschungen dokumentieren, daß sich die Kunstgeschichte Ludwig XIV. erst neuerdings ohne Vorbehalt und Ressentiment nähert. Im aktuellen politischen Umfeld hat die Kunstpolitik des Königs das Stigma eines von jeher anachronistischen Totalitarismusverdachts verloren. Die einschlägige Forschung profitiert zudem maßgeblich von der methodischen Öffnung des Faches, indem neben Stilgeschichte und Ikonographie, die einerseits mit dem Phänomen des Barockklassizismus Mühe haben und andererseits der royalistischen Bildprogrammatik vor allem Monotonie attestiert hatten, gleichrangig Fragen der Funktions- und Auftragszusammenhänge sowie Probleme der medialen Vermittlungsstrategien und Rezeptionsweisen getreten sind. Bei der Analyse einzelner Werke erweisen sich jedoch nach wie vor auch Stilkritik und Ikonographie als ein unverzichtbares Instrumentarium, da erst sie es erlauben, die Programmatik und die ästhetische Form des Einzelmonuments in den historischen Argumentationszusammenhang einzubinden. Dabei wird versucht, beide Zugangsweisen dezidiert
21
Im Jahr 1961 wurde in beiden Hauptstädten die Ausstellung „Les Frangais ä Rome" veranstaltet, auf die 1968 die Ausstellung „Rome ä Paris" folgte; vgl. Ausst. Kat. „Les Frangais ä Rome. Residents et voyageurs dans la Ville Eternelle de la Renaissance au debut du Romantisme", Paris 1961 sowie „Rome ä Paris", Paris 1968. 22 Zu einzelnen der genannten Bücher vgl. meine Rezensionen in: Kunstchronik 51, 1998, p. 1 7 6 - 1 8 0 (Krause); Francia 25 (2), 1998, p. 2 6 3 - 2 6 6 (Germer); Zeitschrift f ü r Kunstgeschichte 66, 2003, p. 2 8 9 - 2 9 3 (Petzet); Kunstchronik 56, 2003, p. 1 3 8 - 1 4 2 (Kirchner). Die Bibliographie verzeichnet alle publizierten Quellen und gibt eine möglichst vollständige Bibliographie der für das Thema einschlägigen Sekundärliteratur. Seit Abschluß des Manuskripts im Frühjahr 2001 erschienene Literatur wurde in der Bibliographie und in den Anmerkungen nachgetragen.
XVIII
Einleitung
aufeinander zu beziehen, um so zu einem zeitgenössischen Verständnis vom Gehalt der jeweiligen Werke unterschiedlicher Gattungen zu gelangen. Insbesondere bei der ausführlicheren Diskussion der architektonischen Monumente - des Louvre und des Invalidendoms - wird versucht, Fragestellungen der Architekturikonologie fruchtbar zu machen, die sich auf die konzeptionellen Grundlagen eines Bauwerks beziehen. Solche Überlegungen wurden im Rahmen der Architekturforschung zum Mittelalter formuliert, aber für die Baukunst der Frühen Neuzeit eher zögernd aufgenommen 23 . Auch bei diesem Verfahren nähert man sich - mit analogen Befunden in der Skulptur - auf einer rein formalen Ebene der Ableitung Beobachtungen, die immer wieder im etablierten Stilbegriff des „französischen Barockklassizismus" Entsprechungen finden. Nimmt man jedoch Antikenrezeption und Syntheseleistungen als zwei zentrale Kategorien einer Stilbestimmung in ihren historischen Begründungen ernst, so ließe sich angemessener von einem - aus einem quellenkonformen Begriff abgeleiteten - Universalstil der Hofkunst Ludwigs XIV. sprechen. Die Priorität, die Paris gegenüber Rom im Titel eingeräumt ist, soll auch den in der Studie eingenommenen Betrachterstandpunkt signalisieren: Der Blick richtet sich primär von Paris aus nach Rom. Die Gegebenheiten des Transfers wie auch die Momente des Vergleichs werden vor allem in ihrer Relevanz sowie in ihren Folgen für die Pariser Hofkunst beschrieben, während die Rückwirkungen Pariser Einflüsse auf die römische Kunstentwicklung nur am Rande betrachtet werden. Für die Entscheidung, dies als leitende Perspektive zu wählen, gibt es mehrere Beweggründe. Sie verdankt sich zunächst der Arbeits-, aber auch der Darstellungsökonomie. Da es von Anfang an ein persönlicher Wunsch war und es sich im Hinblick auf den methodischen Zugriff gleichermaßen als sachliche Notwendigkeit erwiesen hat, das Thema vergleichsweise umfassend aus archivalischen Quellen zu recherchieren, war eine doppelte Beschränkung erforderlich. Die Studie beruht maßgeblich auf der Korrespondenz der französischen, in Rom ansässigen Diplomaten und Emissäre an die Pariser Zentrale; mehr als in den Anmerkungen vielleicht immer ausgewiesen ist, ermöglichte erst die Durchsicht dieser im Pariser Außenministerium aufbewahrten Correspondance politique de Rome für den Betrachtungszeitraum die Erstellung einer Chronologie der Kunstbeziehungen zwischen Paris und Rom sowie die detaillierte Rekonstruktion von deren staatlicher Ebene. In der Tatsache, daß der Austausch zwischen beiden Metropolen in einem hohen Maß aktenkundig wurde, spiegelt sich bereits ihr institutionalisierter Charakter und ihre Intensität. Angesichts der Ergiebigkeit und des beträchtlichen Umfangs der diplomatischen Korrespondenz 24 , die um weitere archivalische Quellen aus Archiven in Paris und Rom ergänzt wurde, konnte bzw. mußte auf eine systematische 23 Vgl. die Methodendiskussion jüngst bei Gottfried Kerscher, Architektur als Repräsentation. Spätmittelalterliche Palastbaukunst zwischen Pracht und zeremoniellen Voraussetzungen. AvignonMallorca-Kirchenstaat, Tübingen 2000, bes. p. 2 3 - 2 6 und Ulrich Fürst, D i e lebendige und sichtbare Histori. Programmatische T h e m e n in der Sakralarchitektur des Barock, Regensburg 2002; zur A r chitektur der Frühen Neuzeit jenseits einer auf die Säulenordnungen bezogenen Deutungsebene jüngst die Beiträge in Hans J . B ö k e r ed., T h e E m b l e m and Architecture. Studies in applied emblematics from the sixteenth to the eighteenth centuries ( = Imago figurata 2), Brepols 1999. 24 Vgl. das Findbuch Inventaire des Archives du Ministere des Affaires Etrangeres. Etat numerique des fonds de la correspondance politique de l'origine ä 1871, Paris 1936, Bd. I, hier p. 3 0 3 - 3 1 4 . Für die Ministerialregierung Mazarins wurde der Bestand auch unter kunsthistorischen Aspekten von Madelaine Laurain-Portemer aufgearbeitet. Zu den weiteren konsultierten Archiven siehe das A b kürzungsverzeichnis.
Einleitung
XIX
Durchsicht einschlägiger römischer Aktenserien verzichtet werden. Dies betrifft insbesondere die Nuntiaturakten des Vatikanarchivs, die nur in Stichproben konsultiert wurden, allerdings für hier relevante Zusammenhänge schon punktuell erschlossen sind25. Da der hier erprobte komparatistische Ansatz zwangsläufig einen gesteigerten Rekonstruktionsaufwand voraussetzt, wurde auch nach der Maßgabe, den Umfang der Studie in Grenzen zu halten, von einem streng durchgeführten Vergleich der künstlerischen Repräsentation der französischen Erb- und der päpstlichen Wahlmonarchie Abstand genommen. Die Perspektivierung des Themas auf Paris bildet darüber hinaus aber vor allem eine historisch begründete Gewichtung ab. So ist es offensichtlich, daß in Paris die römische Kunstpolitik stets als Herausforderung begriffen wurde und der Pariser Hof zugleich vielfältige Anstrengungen unternahm, sich in Rom zu präsentieren. Umgekehrt zeigt es sich, daß man sich in Rom gegenüber den künstlerischen Entwicklungen in Paris weitgehend resistent verhalten hat. Die Dynamik der Kunstbeziehungen beruhte entscheidend auf den Initiativen des Pariser Hofes. Beruhte somit die ludovizianische Hofkunst in der Entfaltung ihrer universalistischen Programmatik auf der Orientierung nach Rom, so vermochte sie dann ihrerseits - wie dies Louis-Antoine de Caraccioli später konstatieren konnte - eine zukunftsträchtige, künstlerische Modellfunktion zu beanspruchen. Die vorliegende Studie wurde im Juli 2001 am Departement Architektur der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich als Habilitationsschrift eingereicht. Das Vorhaben erfuhr von vielen Personen und Institutionen Unterstützung. Am meisten verdanke ich Andreas Tönnesmann. Er hat das Projekt in jeder Hinsicht gefördert, von Anfang an durch ebenso freundschaftliche wie kritische Diskussionen begleitet und dadurch zur Profilierung des Themas beigetragen. Martin Warnke hat mich in dem Vorhaben immer wieder ermutigt. Am Ende haben sich Andreas Tönnesmann, Martin Warnke und Werner Oechslin der Arbeit als Gutachter angenommen, wofür ihnen herzlich gedankt sei. Das Projekt wurde durch ein dreijähriges Stipendium am Kunsthistorischen Institut in Florenz und durch ein zweijähriges Stipendium von Seiten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die nun auch die Drucklegung finanziert hat, ermöglicht. Neben dem Florentiner Institut hat mir auch das Historische Institut in Paris Gastfreundschaft gewährt. Ich erinnere mich dankbar an die Freundlichkeit und Kooperationsbereitschaft, mit der ich in den Archiven und Bibliotheken in Empfang genommen wurde - genannt seien insbesondere die Archives des Affaires Etrangeres, die Bibliotheque Nationale und die Archives Nationales sowie die Biblioteca Apostolica Vaticana. Ich danke den Herausgebern für die Aufnahme des Buches in die Studien aus dem Warburg-Haus und Gerd Giesler für sein verlegerisches Engagement. Thomas Weidner hat wie so oft in den vergangenen Jahren auch diesen Text einer aufmerksamen Lektüre unterzogen und mich vor noch mehr Unzulänglichkeiten bewahrt. Wenn die Arbeit an dem Projekt auch mit einer schönen Zeit verbunden war, dann verdanke ich das meiner Frau.
25 Dies gilt primär für die Nuntiaturberichte zum Parisaufenthalt Berninis; Schiavo, 1956. Für die Jahre 1661-1715 sind bislang nur die Akten der Nuntiatur von Angelo Ranuzzi im Rahmen der Acta Nuntiaturae Gallicae ediert; Neveu, Ed. 1973.
I. Die Italienfrage im Spannungsfeld von Herrschaftsbildung und Kunstpatronage: Von Karl VIII. bis Ludwig XIV.
Die künstlerischen Beziehungen zwischen Frankreich und Italien sind zu keiner Zeit von den politischen Ereignissen und Plänen zu trennen, die das Verhältnis zwischen beiden Ländern prägten. Dies einmal vorausgesetzt, stellt sich die Frage nach dem historischen Verlauf und den Strukturen der Beziehungen. Dabei wird deutlich ein dreifacher - zeitlicher, regionaler und institutioneller - Konzentrationsprozeß ablesbar. Erst um 1500 setzte eine Ausgestaltung der künstlerischen Beziehungen zwischen Frankreich und Italien ein, die es sinnvoll macht, von einem Beginn zu sprechen, gerade wenn man historische Vorläufer und Parallelen für diesen Vorgang in Erwägung zieht. Voraussetzung und Rahmenbedingung des Austauschs war die Wiederaufnahme der offensiven Italienpolitik durch die französische Krone unter Karl VIII. (1483/91-1498) und seinem Nachfolger Ludwig XII. (1498-1515). Sie ging mit einem kulturellen Beutezug einher, der in Konkurrenz zu den französischen Magnaten erstmals vom Hof initiiert wurde. Er beruhte primär auf der Berufung italienischer Künstler und Architekten an den Hof und allmählich auch auf dem Import italienischer Werke nach Frankreich. Beide Strategien richteten sich auf diejenigen Regionen Italiens, denen auch die außenpolitischen Aspirationen galten, und in Frankreich selbst auf die verschiedenen Zentren der Hofhaltung. Bei diesem Szenario spielten weder Paris noch Rom eine bevorzugte Rolle, zumindest daran änderte sich während des 16. Jahrhunderts über die Regierung von Franz 1.(1515-1547) hinweg nichts. U m die Mitte das Jahrhunderts kam aber nicht nur die Ausbildung einer französischen Kunstadministration in Gang, sondern auch die Diskussion um die nationale Eigenständigkeit der Kunst in Frankreich. Beide Entwicklungen haben ihre Wurzeln in Italien und wirkten nach Frankreich zurück. Der künstlerische Austausch wurde dabei nicht mehr bevorzugt über Künstlerwanderungen und Werkimporte geleistet, sondern über den Transfer von Ideen. Zudem trat die Zentralität von Paris und Rom nachhaltig ins zeitgenössische Bewußtsein. Hatten sich somit die Methoden für die Gestaltung der Kunstbeziehungen ausgebildet, so erfuhren diese in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine deutliche Verdichtung auf die Metropolen. Die endgültige Etablierung von Paris als Hauptstadt des Königreichs unter Heinrich IV. (1589-1610) beförderte erst den Willen, an dem gleichzeitig auch von den Päpsten getragenen Ausbau Roms zum italienischen Kunstzentrum zu partizipieren. Während die Regentschaft von Maria de'Medici (1610-1617) in dieser Hinsicht ein retardierendes Moment bedeutet, konsolidierte sich der Anspruch unter den Ministerialregierungen Richelieus (1624-1642) und Mazarins (1643-1661).
2
I. Die
Italienfrage
Die hier grob skizzierte Entwicklung soll nicht als Erfolgsgeschichte beschrieben werden, sondern eher in der inneren Folgerichtigkeit des Prozesses. Die dabei erkennbaren Verdichtungsprozesse erlauben es dann auch, den Blickwinkel auf Paris und Rom unter den Vorzeichen der staatlich gelenkten Kunstbeziehungen für die Ära Ludwigs XIV. historisch zu begründen.
1. Künstler und Kunstwerke im Heerzug des Königs Karl VIII. betrieb eine regelrechte Politik der Rekrutierung italienischer Künstler und Architekten. Die Berufungen späterer Könige mögen sich als nachhaltiger und fruchtbarer erwiesen haben, doch unter Karl VIII. kamen sie erstmals planmäßig zum Einsatz, und keiner seiner Nachfolger hat sie mit ähnlicher Konsequenz verfolgt. Der Begriff der Rekrutierung erscheint als angemessen für die militärischen Rahmenbedingungen, die sich mit dem Italienfeldzug von 1494 eröffneten. Die Valois führten ihre italienischen Territorialansprüche auf die Anjou zurück, die 1264 die Herrschaftsnachfolge im Königreich Neapel angetreten hatten1. Um die Ansprüche nun tatsächlich einfordern zu können, hatte dies die innenpolitische Konsolidierung und einen zumindest relativ stabilen Ausgleich mit England nach dem 1453 beendeten Hundertjährigen Krieg zur Voraussetzung. Beim Tod des Titularkönigs von Neapel und Jerusalem, Rene d'Anjou (1409-1480), machte sich die französischen Krone die dynastischen Forderungen Renes auf Süditalien ebenso zu eigen wie dessen provencalische Territorien. Damit war die Basis für eine aktive französische Mittelmeerpolitik gegeben. Rene d'Anjou hatte hinsichtlich einer nach Italien orientierten Kunstpolitik ein Exempel statuiert, an das Karl VIII. anschließen konnte. Zudem war gegen Ende des Jahrhunderts das Staatensystem der italienischen Pentarchie instabil geworden. Ludovico il Moro (1451-1508), der schließlich in französischer Gefangenschaft starb, hatte sich zur Sicherung seiner usurpierten Herrschaft in Mailand den König als Bündnispartner gesucht, für den sich damit ein weiteres Expansionsfeld in Oberitalien auftat. Auf dem im Sommer 1494 begonnenen Feldzug wurde binnen eines halben Jahres fast die gesamte Halbinsel erobert. Im Februar 1495 marschierte Karl VIII. in Neapel ein. Dort wurde die Hälfte des Invasionsheeres als Besatzung zurückgelassen. Sie kapitulierte dann schon im folgenden Jahr. Der andere Heeresteil war auf dem Rückzug von der Bündnisarmee einer inneritalienischen Liga, der sich König Maximilian von Habsburg und Ferdinand von Kastilien angeschlossen hatten, bei Fornovo aufgerieben worden. Karl VIII. nahm in den städtischen Zentren, die ihm bei der Invasion die Tore geöffnet hatten, systematisch mit der dortigen Künstlerschaft Kontakt auf. Es wurde versucht, Künstler verschiedener Sparten zu gewinnen. Als Mittelsmann betätigte sich vermutlich der Maler Jean Perreal (c.1455-1530), der sich in dieser Rolle hinreichend bewährte, um
1 Zur Italienpolitik vgl. neben Yvonne Labande-Mailfert, Charles V I I I et son milieu ( 1 4 7 0 - 1 4 9 8 ) . La jeunesse au pouvoir, Paris 1975, zusammenfassend Janine Garrisson, Royaute, renaissance et reforme 1 4 8 3 - 1 5 5 9 (= Nouvelle histoire de la France moderne 1), Paris 1991, p. 9 7 - 1 1 0 sowie zuletzt Fiorato, 1994; Abulafia, 1995 und Balsamo, 1998; als chronistische Quelle die Memoiren von Philippe de C o m m y n e s , Ed. 1559. Zur allgemeinen Orientierung vgl. Braudel, 1994 sowie jüngst die materialreiche, primär literarhistorische Studie von M c G o w a n , 2000.
1. Künstler und Kunstwerke
im Heerzug
des Königs
3
den König auch bei den späteren Italienzügen zu begleiten2. Eine Art italienische Ouvertüre fand bereits beim Zwischenaufenthalt Karls VIII. auf dem Weg nach Süden im Juni 1494 in Lyon statt. Dort präsentierte ihm Giuliano da Sangallo (1452-1516) ein Palastmodell. Der Architekt befand sich im Gefolge des Kardinals Giuliano della Rovere - des späteren Papstes Julius II. (1503-1513) - , der während des Pontifikats von Alexander VI. (1492-1503) im französischen Exil lebte. Sangallo kehrte zwar in den folgenden zwei Jahren immer wieder in die Provence zurück, ein Auftragsverhältnis mit Karl VIII. hat sich trotz der günstigen Voraussetzungen, die das Exil seines Patrons bedeutete, allerdings nicht ergeben3. Zu einer ersten, immer wieder angenommenen Begegnung des Königs mit Leonardo da Vinci in Mailand scheint es nicht gekommen zu sein4. Erst im Kreis der neapolitanischen Hofkünstler wurde Karl VIII. fündig. Der Bildhauer Guido Mazzoni ( f 1518) gelangte mit dem Heerzug nach Frankreich, wo er mit einer zweijährigen Unterbrechung bis 1511 blieb. Er wurde von Karl VIII. mit der Ritterwürde ausgezeichnet und schuf auch dessen Grabmal in Saint-Denis. Mit dem in der Revolution zerstörten Grabmal beginnt die Reihe der monumentalen Figurengräber italienischer Provenienz in der Königsgrablege. Einem im spanischen Herrschaftsraum verbreiteten Typus folgend, zeigte es den Monarchen als Freifigur in Ewiger Anbetung mit vier Wappenengeln auf der Tumba 5 . Mazzoni wurde auf dem Weg nach Frankreich von dem neapolitanischen Priester und Gartenarchitekten Pacello da Mercogliano (c.1455-1534) begleitet. Gegenüber seinem Bruder, dem Due de Bourbon, schildert Karl VIII. in einem Brief aus Neapel die unter den letzten aragonesischen Herrschern entstandene Villegiatur Neapels mit der Euphorie des Eroberers und dem Stolz des neuen Besitzers. Beim Aufruf des ersten Menschenpaars scheint ihm der Sündenfall der Okkupation nicht in den Sinn gekommen zu sein: Au surplus, vous nepourriez croire les beaulx jardins que j'ay en ceste ville. Car sur ma foy, il me semble qu'il n'y faille que Adam et Eve pour en faire ung paradis terrestre tant ilz sont beaulz et pleins de toutes bonnes et singulieres choses. Die schnell wieder verlorene Pracht Italiens wollte sich der Monarch auch in Frankreich bewahren. Während eines jahrzehntelangen Aufenthalts entwarf Pacello die Gärten der bedeutenden Schloßanlagen an der Loire. Seine Tätigkeit ist für Blois dokumentiert, für die er außer der Entlohnung noch eine Pfarrpfründe in der
2 Zur Problematik der Identifikation Labande-Mailfert, Charles VIII, 1975, op. cit., p. 498. Instruktiv zum folgenden die zahlreichen Hinweise bei Prinz/Kecks, 1994; hilfreich die Ubersichten im ersten Kapitel - trotz einiger Fehler und Ungenauigkeiten - von Blunt, 1999 sowie von Myra Nan Rosenfeld, The royal building administration in France from Charles V to Louis XIV, in: Kostof, 1977, p. 161-179 und Montaiglon, 1851. 3 Vasari, Ed. 1568, Bd. IV, p. 280 zur Präsentation des Palastmodells in Lyon. Giuliano della Rovere begegnete Karl VIII. am 1. Juni 1494 erstmals in Lyon, der König hielt sich dort bis Ende Juli auf; Labande-Mailfert, Charles VIII, 1975, op. cit., p. 217 f., 271-274. Zu den in Südfrankreich entstandenen Antikenzeichnungen Stefano Borsi, Giuliano da Sangallo. I disegni di architettura e dell'antico, Rom 1985, hier p. 69 f. und Hubertus Günther, Das Studium der antiken Architektur in den Zeichnungen der Hochrenaissance, Tübingen 1988, bes. p. 107, 116. 4 Zur Identifikation des in einem Manuskript von Leonardo erwähnten maestro Giovanni Franzese mit Perreal etwa Blunt, 1999, p. 23 f.; zur Identifikation mit dem Mathematiker Jean Pelerin Viator vgl. Carlo Pedretti, Leonardo architetto, Mailand 1988, p. 26 f. 5 Allgemein Timothy Verdon, The Art of Guido Mazzoni, New York 1978 und speziell Verdon, 1990; zur Ritterwürde vgl. auch Warnke, 1996, p. 202, 242.
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I. Die
Italienfrage
Stadt erhielt. Neben dem Garten von Amboise gestaltete er auch den Park von Gaillon 6 . Einige der hydraulischen Anlagen in den Gärten entstanden in Zusammenarbeit mit dem Architekten Fra Giocondo (1433-1515), der ebenfalls 1495 aus Neapel gekommen war. Seit 1487 in der Stadt ansässig, hatte er dort die Bauaufsicht über die Villa von Poggio Reale. Vom König wurden ihm erstmalig die Titel eines architecus regius und eines deviseur des bätiments verliehen. Gleichwohl kehrte er Frankreich nach einem Jahrzehnt den Rücken, nachdem er ausschließlich mit Wasser- und Brückenbauten beschäftigt gewesen war 7 . U n ter den zahlreichen Italienern, die sich dem Troß Karls VIII. auf dem Rückzug angeschlossen haben und bei denen es sich bisweilen um Künstler oder um Handwerker gehandelt haben mag, bleibt noch Domenico da Cortona (C.1470-C.1549) zu erwähnen, der als Schreiner von Innendekorationen und von Architekturmodellen allmählich in die Funktion eines Architekten hineingewachsen ist8. Bei den Berufungen an den H o f wird erkennbar, daß Karl V I I I . versuchte, die verschiedenen Sparten der Architektur, der Bildkünste und des Kunsthandwerks planmäßig zu besetzen. Auf einen Maler konnte er anscheinend verzichten, da der Posten des Hofmalers bereits von Jean Perreal besetzt war. Den für den H o f gewonnenen Künstlern wurde sowohl die Statusaufwertung durch Ernennungen oder die Einsetzung in Hofämter zuteil als auch die Gewährung fester Einkünfte. Durch diese Maßnahmen konnten die ausländischen Künstler relativ dauerhaft an den H o f gebunden werden. Für die Ausbildung einer Kunstadministration in Frankreich hatte die Strategie weitreichende Folgen, da die Titel und Ämter im Zuge der Künstlerrekrutierung zum Teil erstmals verliehen oder neu eingerichtet wurden. Die institutionalisierte Kunstpatronage an den italienischen Renaissancehöfen bot ein vermittelndes Vorbild. In den Konsequenzen der Berufungen deutet sich ein Pragmatismus an, der sich auch auf deren Motive übertragen läßt. Offensichtlich verstand Karl VIII. die Künstlerrekrutierung vorrangig als Teil der Eroberung Italiens, von der er mit Wagenladungen von Kunst- und Ausstattungsstücken zurückkehrte 9 . Die Rückführung von Künstlern nach Frankreich im Zuge der Okkupation war ein Akt der Herrschaftsübertragung, sie demonstrierte die - freilich nur kurz bemessene - Vereinigung des neu eroberten süditalienischen Territoriums mit den französischen Kronlanden. Wie es scheint, machte die politisch-militärische Expansion auch den Transfer italienischer Kunst und ihrer Innovationsleistungen überhaupt erst attraktiv. Für eine solche Begründung der bilateralen Kunstpolitik hatte bereits Rene d'Anjou das maßgebliche Beispiel geliefert. Der Herzog der Provence versuchte mehrfach, seine Anrechte als Erbe der Anjou-Durazzo in Neapel einzulösen 10 . Er scheiterte damit endgültig, als sein Konkurrent Alfonso von Aragon 1442 Neapel besetzte, auch wenn er nach dessen 6 Prinz/Kecks, 1994, p. 331-335, das Zitat p. 331. 7 Zu den Titeln Rosenberg, Building administration, 1977, op. cit., p. 163, 166. 8 Immer noch maßgeblich Pierre Lesueur, Dominique Cortone dit Le Boccador. Du Chateau de Chambord ä l'Hötel de Ville de Paris, Paris 1928. 9 Die Kunstbeute läßt sich bislang nur in ihrem beträchtlichen Umfang ermessen, nicht jedoch in einzelnen Stücken; vgl. dazu Labande-Mailfert, Charles VIII, 1975, op. cit., p. 503 f. und eine weitere Quelle zum Beutetransport bei Ludovic Lalanne, Transport d'oeuvres d'art de Naples au Chateau d'Amboise en 1495, in: Archives de l'art frangais 2,1852/53, p. 305 f. 10 Zum folgenden Alan Ryder, Alfonso the Magnanimous. King of Aragon, Naples, and Sicily, 1396-1458, Oxford 1990, bes. p. 197-251; Hanno-Walter Kruft, Francesco Laurana. Ein Bildhauer der Frührenaissance. München 1995. bes. D. 35-59. 67-81.
1. Künstler und Kunstwerke
im Heerzug des Königs
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Tod im Jahr 1458 nochmals seine Ansprüche militärisch durchzusetzen versuchte. In dieser Situation ist es Rene d ' A n j o u gelungen, mit Pietro da Milano ( f 1473) und Francesco Laurana ( c . 1 4 2 0 - 1 5 0 2 ) zwei der wichtigsten neapolitanischen Bildhauer für den anjovinischen H o f zu gewinnen. Im Auftrag Alfonsos hatte Pietro da Milano 1453 den Architekturentwurf und neben Laurana sowie zahlreichen weiteren Bildhauern auch Skulpturen für den Triumphbogen in Neapel ausgeführt, mit dem der König seiner aragonesischen Hausmachtpohtik in Süditalien ein Denkmal setzte. Beide Künstler dürften 1460 an den H o f R e nes gekommen sein, w o sie in den folgenden Jahren als Hofbildhaucr dokumentiert sind. I m Grunde hatte der H e r z o g für beide Bildhauer auf dem Sektor skulpturaler Großaufträge, für die sie sich qualifiziert hatten, aber gar keine Verwendung. Dies verstärkt den Eindruck, daß es sich um eine gezielte Abwerbung vom politischen Gegner handelte. Rene d ' A n j o u hat parallel zu diesem Vorgehen die Aneignung Neapels durch Alfonso von Aragon zeitlebens als widerrechtliche Usurpation propagiert. Pietro da Milano und Laurana führten als ersten Auftrag eine Serie von Medaillen aus. Mit dieser Serie etablierte sich nach den unter Herzog Jean de Berry ( 1 3 4 0 - 1 4 1 6 ) erstmals in Burgund geprägten Medaillen - die Gattung der italienischen Renaissance-Medaille endgültig in Frankreich. O f f e n sichtlich trat R e n e d ' A n j o u mit dem Auftrag abermals in ein Konkurrenzverhältnis mit Alfonso von Aragon, für den Pisanello ( c . 1 3 9 5 - 1 4 5 5 ) eine Reihe von Bildnismedaillen als Affirmation der neuen Herrschaftsposition in Neapel geprägt hatte. 11 Pietro da Milano und Laurana kehrten 1466 nach Süditalien zurück; während jener in aragonesischen Diensten starb, ließ sich Laurana nach einem zehnjährigen Aufenthalt in Sizilien und Neapel 1475 dauerhaft in Avignon nieder. E r richtete dort eine Werkstatt mit einheimischen Bildhauern ein, die im Auftrag Renes d ' A n j o u das monumentale Altarretabel der Kreuztragung in Saint-Didier ausführte. Anscheinend stand Laurana selbst die Problematik einer Gemeinschaftsarbeit mit Künstlern, die unterschiedlichen Traditionen entstammten, deutlich vor Augen, denn für seinen umfangreichsten Auftrag in Frankreich engagierte er mit dem lombardischen Bildhauer Tommaso Malvito ( c . 1 4 6 0 - 1 5 0 8 ) einen italienischen Mitarbeiter 1 2 . Sieht man von den Vorläufern des 14. Jahrhunderts im päpstlichen Avignon einmal ab, kann die um 1478 begonnene Kapelle des hl. Lazarus in der Alten Kathedrale von Marseille als das früheste italienische Ausstattungsensemble in Frankreich gelten. Karl V I I I . hat sich von R e n e d ' A n j o u das Vorbild einer dezidiert politisch motivierten Künstlerberufung zu eigen und es für den zentralen Bereich der Kronlande verfügbar gemacht. U n t e r seinem Nachfolger Ludwig X I I . ( 1 4 9 8 - 1 5 1 5 ) und zu Beginn der Regierung F r a n z ' I. ( 1 5 1 5 - 1 5 4 7 ) änderte sich darin im Grundsatz nichts. A b e r das Zentrum der Aktivitäten in Italien verlagerte sich in das französisch besetzte H e r z o g t u m Mailand sowie nach Genua. D e r Berufung von Künstlern trat nun auch noch der Import italienischer Kunstwerke zur Seite. Mit kurzfristigen Unterbrechungen stand Genua von 1499 bis 1528 und Mailand von 1499 bis 1521 unter französischer Herrschaft. Im Tausch gegen die
11 Hierzu Ausst. Kat. „The Currency of Fame. Portrait medals of the Renaissance", N e w York 1994, bes. p. 3 2 - 4 4 und Josephe Jacquiot, Rapports et echanges entre medailleurs Italiens et fran^ais X V e X V I e siecles, in: Cecchetti, 1991, p. 2 9 1 - 3 0 5 . 12 Vgl. Kruft, Laurana, 1995, op. cit., p. 1 7 6 - 2 0 3 ; zu Malvito vgl. Francesco Abbate, La scultura napoletana del Cinquecento, R o m 1992, bes. p. 3 3 - 6 6 ; Yoni Ascher, Tommaso Malvito and N e a p o litan tomb design in the early Cinquecento, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 63, 2000, p. 1 1 1 - 1 3 0 .
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I. Die Italienfrage
Anerkennung seiner Herrschaft in Mailand verzichtete Frankreich 1504 definitiv auf seine süditalienischen Ansprüche. Die oberitalienischen Besitzungen waren allerdings gegen Spanien mittelfristig nicht zu halten. Weitaus schwerwiegender als der territoriale Verlust gegenüber Spanien erwies sich aber der in Oberitalien grundgelegte politische Gegensatz, der sich zur französisch-habsburgischen Hegemonialkonkurrenz von europäischen Dimensionen entwickelte. Sowohl in der Lombardei als auch in Genua trafen die französischen Eroberer insbesondere im Bereich der Bildhauerei auf ein künstlerisches Milieu, das sich durch die arbeitsteilige Organisation von Werkstattzusammenschlüssen gleichrangiger Mitglieder und durch ein hohes Maß an Mobilität seitens der Künstler auszeichnete. Dies beförderte Künstlerwanderungen und ermöglichte die zügige Erledigung von Werkexporten, die nach Frankreich, aber auch nach Spanien gingen 13 . Während zur Zeit Karls V I I I . Künstlerberufungen ausschließlich eine Angelegenheit des Königs gewesen waren, ergingen während der Herrschaft Ludwigs X I I . Aufträge nach Italien nicht nur von Seiten der Krone, sondern auch von Mitgliedern des Hochadels, die zeitweilig in der Administration in Oberitalien tätig waren. Ludwig X I I . erteilte 1502 den Auftrag für das Grabmal seiner Vorfahren. Das im 19. Jahrhundert unter Viollet-le-Duc von der Eglise des Celestins nach Saint-Denis transferierte Monument wurde von vier Bildhauern unter der Leitung Gerolamo Viscardis ausgeführt. Laut den Vertragsvereinbarungen sollten sie das Monument in Genua herstellen und unter ihrer Aufsicht in Paris errichten 14 . An lombardische Bildhauer, die meist aus den Bauhütten des Mailänder Doms und der Certosa di Pavia hervorgingen, wandten sich auch die Mitglieder des Adels mit ihren Bestellungen. Überraschenderweise rückten die Zentren der Importe für italienische Skulptur zu Beginn des 16. Jahrhunderts weit an die nordwestliche Peripherie Frankreichs. Francesco Laurana hatte für die Kathedrale von Le Mans bereits um 1475 das Grabmal des jüngeren Bruder von König Rene d'Anjou, Charles III., Graf von Le Maine (1414-1472), geschaffen 15 . Ein monumentales Tumbengrab für den Herzog der Bretagne, Francois II. ( t 1499), und seine Ehefrau Marguerite de Foix entstand nach zweijährigen Vorplanungen ab 1502 in der Kathedrale von Nantes. Der Gesamtentwurf des 1507 vollendeten Monuments stammt von dem Hofmaler Jean Perreal, er führt Elemente der Grabmonumente für die Herzöge von Burgund und der frühen italienischen Renaissancegräber in Saint-Denis zu einer anspruchsvollen Synthese zusammen. Der umfangreiche Figurenbestand wurde weitgehend von Michel Colombe (C.1430-C.1512) und seiner Werkstatt, die Architekturor13 Zu Spanien Annie Cloulas, La sculpture funeraire dans l'Espagne de la Renaissance. I: L e mecenat royal; II: Le mecenat aristocratique; III: Les commandes ecclesiastiques, in: Gazette des Beaux-Arts 1 3 3 , 1 9 9 1 , p. 6 1 - 7 8 ; 1 3 4 , 1 9 9 2 , p. 9 7 - 1 1 6 ; 1 3 5 , 1 9 9 3 , p. 1 3 9 - 1 6 3 ; Fernando Maria, Sobre el castillo de la Calahorra y el C o d e x Escurialensis, in: Saggi in onore di Renato Benelli ( = Quaderni dell'Istituto di Storia dell'Architettura 1 5 - 2 0 , 1 9 9 0 - 9 2 ) , 2 Bde., R o m 1992, Bd. I, p. 5 3 9 - 5 5 3 ; Dietrich Erben, Skulpturenexporte von Italien nach Spanien. Überlegungen zur kulturellen Reconquista in Andalusien nach 1500, in: Hispanorama 93, 2001, p. 8 3 - 9 3 . 14 Hanno-Walter Kruft, Gerolamo Viscardi, ein Genuesischer Bildhauer der Renaissance, in: Mitteilungen des kunsthistorischen Institutes in Florenz 15, 1971, p. 2 7 3 - 2 8 8 mit Hinweis auf den publizierten Vertrag und zur Gruppe der Gräber Ausst. Kat. „Le roi, la sculpture et la mort. Gisants et tombeaux de la Basilique de Saint D e n i s " , bearb. Alain Erlande-Brandenburg et al. ( = Archives departementales de la Seine-Saint-Denis. Bulletin 3, 1975). 15 Kruft, Laurana, 1995, op. cit., p. 1 6 7 - 1 6 9 .
1. Künstler und Kunstwerke im Heerzug des Königs
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namentik hingegen von Girolamo da Fiesole ausgeführt16. Im Jahr der Vollendung des Monuments in Nantes gab der von 1507 bis 1508 in Genua als Gouverneur regierende Raoul de Lannoy (f 1513) das Doppelgrabmal für sich und seine Ehefrau in Auftrag. Er erging an Pace Gagini und Antonio della Porta, die die beiden Gisants getrennt ausführten und signierten. Das Grab wurde in der Pfarrkirche von Folleville als Freigrab aufgestellt und zeigt keinerlei gotische Reminiszenz; etwa ein Jahrzehnt später wurde es jedoch in eine aufwendig gestaltete Nischenarchitektur mit Flamboyant-Ornamentik eingepaßt. Seine persönlichen Verbindungen zu Raoul de Lannoy veranlaßten gleichzeitig Antoine Bohier, in Genua ein aufwendiges Skulpturenensemble für die Kirche Sainte-Trinite in Fecamp zu bestellen. Bohier war Abt des in der Normandie gelegenen Klosters und hielt sich während des Gouvernements von Lannoy in Genua auf. Er wandte sich dort an Gerolamo Viscardi, der mit weiteren lombardischen Bildhauern bereits 1502 den Auftrag für das Grabmal der Vorfahren Ludwigs XII. in Saint-Denis erhalten hatte. Für den Chor der Abteikirche von Fecamp übernahm Viscardi die Ausführung eines mehrteiligen Reliefaltars, eines Tabernakels, eines Reliquienschreins und einzelner Heiligenstatuen. Sie gelangten als Skulpturenimporte in die Normandie. Für die später entstandenen marmornen Kapellenschranken im Chorumgang lieferte Viscardi vermutlich noch den Entwurf, der dann von einheimischen Bildhauern ausgeführt wurde17. Innerhalb dieses Kreises von Auftraggebern tritt die Person des Kardinals Georges d'Amboise (1460-1510) hervor. Seine Position weist auf diejenige der späteren Kardinalminister Richelieu und Mazarin voraus. Als Nachfolger des Kardinals Guillaume d'Estouteville wurde er 1494 Erzbischof von Rouen und damit Herr über das Schloß Gaillon in der Normandie, das er zu einer repräsentativen Hofhaltung ausbaute. Die Ernennung zum Kardinal und zum Ersten Minister Ludwigs XII. erfolgte 1498; beim Konklave des Jahres 1503 wurde D'Amboise in durchaus aussichtsreicher Position als papabile gehandelt. In den letzten Lebensjahren war er zeitweilig Vizekönig von Mailand, nachdem er schon Karl VIII. auf dem Italienzug begleitet und 1507 für dessen Nachfolger Genua unterworfen hatte. Die Akkumulation von Ämtern und Funktionen sowie die engen Beziehungen nach Italien bestimmten das Anspruchsniveau wie auch das italienische Gepräge der Hofhaltung in Gaillon18. Der Ausbau des Schlosses erfolgte ab 1502, lombardische und toskanische Bildhauer wurden für die Ausführung der Bauornamentik herangezogen. Die engen Beziehungen des Bauherrn zur Krone zeigen sich daran, daß es gelang, für die Gartenentwürfe den königlichen Gartenarchitekten Pacello da Mercogliano zu gewinnen. Im Jahr 1506 wurde der Auftrag für einen monumentalen Zierbrunnen mit Figuren an die drei seinerzeit in Genua ansässigen Bildhauer Agostino Solari, Antonio della Porta und Pace Gagini erteilt; der nur fragmentarisch erhaltene Brunnen wurde zwei Jahre später im Schloßhof aufgestellt19. Der Florentiner Bildhauer Antonio di Giusto führte einen Zyklus von lebensgroßen Terrakottastatuen der Apostel für die Schloßkapelle aus. Das heute im 16 Zuletzt Zerner, 1996, p. 35 f. und Tönnesmann, 1997, p. 218. 17 Zu den Werkgruppen in Folleville und Fecamp Kruft, 1972, p. 6 9 9 - 7 0 1 ; ders., Antonio della Porta, gen. Tamagnino, in: Pantheon 28, 1970, p. 4 0 1 ^ 1 4 , hier p. 4 0 4 - 4 0 7 ; ders., Viscardi, 1971, op. cit., p. 2 8 0 - 2 8 5 ; Zerner, 1996, p. 37 f. 18 Elisabeth Chirol, Le chateau de Gaillon, Paris-Rouen 1952; Prinz/Kecks, 1994, bes. p. 4 8 1 ^ 8 8 sowie die Schloßbeschreibung aus dem J a h r 1518 bei D e Beatis, Ed. 1905, p. 1 2 8 - 1 3 0 . 19 Kruft, 1972 und ders., Antonio della Porta, 1970, op. cit., p. 403 f.
I. Die
8
Italienfrage
Louvre aufbewahrte Relief des hl. Georg von Michel Colombe wurde in einen Ornamentrahmen des Genueser Bildhauers Girolamo Pacchiarotti als Altarpala montiert. Diese Form der Arbeitsteilung ist bereits beim Grabmal in Nantes zu beobachten. Der Mailänder Maler Andrea Solario (c. 1465-1524), ein Verwandter des genannten Bildhauers, wurde 1507 für die Freskierung der Schloßkapelle berufen. Anscheinend versuchte der Kardinal auch Leonardo da Vinci zu gewinnen, gab sich dann aber mit einem Künstler aus dessen Schule zufrieden. Neben den verlorenen Kapellenfresken lassen sich Solario die nur urkundlich dokumentierten Fresken in der Loggia des Schlosses und eine Gruppe von Tafelbildern zuweisen, die während seines zweijährigen Aufenthalts in Frankreich entstanden sind20. Mit Andrea Solario wurde in der um 1505 bereits beachtlichen Reihe von Künstlerberufungen erstmals auch ein italienischer Maler engagiert. Neben dieser Komplettierung im Hinblick auf die künstlerischen Sparten fällt an der Kunstpatronage von Georges d'Amboise, die über die Familie des Kardinals eine beträchtliche Wirkung in ganz Frankreich entfaltete21, zudem ihre äußerst enge politische Bindung auf. Weiterhin wurden Künstler vor allem aus den besetzten oberitalienischen Zentren rekrutiert. Wenn es zu einzelnen Berufungen außerhalb dieser Einflußsphären kam, so scheinen sie über die politischen, auf den Italienreisen des Kardinals geknüpften Kontakte zustande gekommen zu sein. Dieser Vermittlungsmechanismus läßt sich auch am Profil der Gemäldesammlung in Gaillon belegen. Für die Sammlung sind neben Tafelbildern Solarios auch Gemälde von Pietro Perugino und Andrea Mantegna dokumentiert, die D'Amboise als diplomatische Geschenke aus Florenz und Mantua offeriert wurden22. Die Wertschätzung des Auftraggebers für ein italienisches Formen- und Typenreservoir ist in Gaillon nicht zu trennen von einer Haltung triumphaler Aneignung. Sie gewann auch in der Figurenausstattung der Schloßfassaden, in der die italienischen Eroberungen gefeiert wurden, eine unmittelbare Anschaulichkeit. Am Antritt der Ehrentreppe standen sich die gerüsteten Standfiguren Ludwigs XII. und seines zeitweiligen Heerführers D'Amboise gegenüber. Ein Relief mit der Darstellung des Einzugs in Genua war über dem Eingangsbogen des Torbaus versetzt. Bei einem vergoldeten Relieffries an der entsprechenden Hoffassade handelte es sich um eine Kopie nach dem Gemäldezyklus der trionfi von Mantegna. Mantegna hatte den Auftrag für die Gemäldefolge um 1485 von Francesco II. Gonzaga (1485-1519) erhalten. Der Zyklus war um 1494 vollendet und stellt den römischen Triumphzug Caesars nach der Eroberung Galliens dar. Der Auftraggeber Francesco Gonzaga führte 1495 das italienische Ligaheer in die Schlacht von Fornovo gegen Karl VIII. und befehligte bis 1496 weitere erfolgreiche militärische Kampagnen gegen die französische Besatzung in Neapel. Danach sind kontinuierlich Festumzüge in Mantua belegt, bei denen einzelne Bilder der Serie an den ephemeren Apparaten angebracht waren23. Dieser vom 20 Zu den erhaltenen Skulpturen aus Gaillon im Louvre Michele Beaulieu, Description raisonnee des sculptures du Musee du Louvre. Bd. II: Renaissance frangaise, Paris 1978, p. 4 6 - 6 0 und zu Solarios Tätigkeit in Gaillon ausführlich David Alan B r o w n , Andrea Solario, Mailand 1987, p. 1 5 1 - 2 0 3 , Kat. 34-54. 21
Hierzu Genevieve Souchal, Le mecenat de la famille d'Amboise, in: Bulletin de la Societe des Antiquaires de l'Ouest 1976, p. 4 8 5 - 5 2 6 , 5 6 7 - 6 1 2 .
22 Maßgeblich ist ein Inventar von 1550; zu den Gemälden Mantegnas Ronald Lightbown, Mantegna. With a complete catalogue of the paintings, drawings and prints, O x f o r d 1986, p. 252, 464. 23 Vgl. neben Lightbown, Mantegna, 1986, op. cit., p. 1 4 0 - 1 5 3 auch Andrew Martindale, T h e Triumphs of Caesar in the Collection of H . M . T h e Q u e e n at H a m p t o n Court, L o n d o n 1979 und D a -
2. Renaissancerezeption und nationale Ungeduld
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Thema des Gallier-Triumphes vorgegebenen, propagandistischen Aktualisierung der trionfi Mantegnas antwortete die Reliefkopie der Bilder in Gaillon. Der Entstehung und dem Gehalt der Reliefs liegt eine regelrechte Inversion zugrunde: Der für den Sieger von Fornovo entstandene Bildzyklus wurde von den neuen lombardischen Untertanen Frankreichs ins Relief übersetzt und vom französischen Auftraggeber in triumphaler Geste gegen das Ursprungsland Italien gewendet.
2. Renaissancerezeption und nationale Ungeduld im 16. Jahrhundert Unter der Regierung von Franz I. (1515-1547) wurden die künstlerischen Beziehungen zwischen Italien und Frankreich auf eine vollkommen neue Basis gestellt. Die Person des Monarchen war dafür ebenso verantwortlich wie die neuen außenpolitischen Rahmenbedingungen und ein gewandeltes humanistisches Umfeld 24 . Dem 1494 geborenen König wurden italienische Sprache und Kultur während seiner Erziehung in einer Intensität und Breite vermittelt wie kaum einem Herrscher seiner Zeit. Gegenüber diesen Bildungsgrundlagen gewann in den folgenden Jahrzehnten dann aber eine gezielte Informationspolitik des Monarchen den Vorrang. Uber diplomatische Kanäle ließ sich Franz I. kontinuierlich von den künstlerischen Entwicklungen und Vorhaben in Italien berichten. Zeitweilig war für ihn der Dichter Pietro Aretino (1492-1556) als Berater in Venedig tätig. Die Zentralinstanz war Battista della Palla (1489-1532), der sich vor allem um Kunstankäufe kümmerte. Deila Palla gehörte in Florenz der Opposition gegen die Medici an, die traditionell profranzösisch eingestellt war. Er starb im Kerker der Fortezza da Basso, wo er im Zuge der politischen Säuberungen bei der Errichtung des Ducato der Medici inhaftiert worden war25. Im Rahmen der Kunstbeziehungen etablierte sich unter Franz I. neben den Künstlerberufungen und den Aufträgen für Werkimporte, wie sie auch die Vorgänger praktiziert hatten, als eine weitere Vermittlungsinstanz die Informationspolitik. Das System der Kunstagenten wurde später unter Mazarin wiederbelebt und dann von Ludwig XIV. beibehalten, als in Florenz Luigi Strozzi als Kunstagent tätig war und Elpidio Benedetti als ein in Rom ansässiger Verbindungsmann allmählich in diese Rolle hineinwuchs. Erst vor dem Hintergrund der Informationspolitik gewinnt die stolze Behauptung Franz' I. gegenüber Benvenuto Cellini an Plausibilität, durch die der König seine Autorität in Kunstangelegenheiten bei der ersten Begegnung mit dem Künstler unterstrich: Perche ben mi sovviene di aver veduto tutte le miglior opere e dai miglior maestri fatte, di tutta la Italia.26 vid Chambers, Francesco II Gonzaga, marquis of Mantua, „Liberator of Italy", in: Abulafia, 1995, p. 217-229 sowie Clifford M. Brown, The Palazzo di San Sebastiano (1506-1512) and the art patronage of Francesco II Gonzaga, fourth marquis of Mantua, in: Gazette des Beaux-Arts 129, 1997, p. 131-180, bes. p. 134-141. 24 Aus der mittlerweile vielfältigen Literatur vgl. Robert J. Knecht, Renaissance Warrior and Patron. The reign of Francis I, Cambridge 1994 (zuerst u.d.T.: Francis I, Cambridge 1982); Prinz/Kecks, 1994, bes. p. 95-109; Cox-Rearick, 1995; Zerner, 1996, bes. Kap. II; Tönnesmann, 1997, p. 76-101; Balsamo, 1998 sowie jüngst die Beiträge in Tewes/Rohlmann, 2002, dort speziell den Aufsatz von Christine Tauber, Italianita am H o f e von F r a n c i s Ier (1515-1521), p. 171-197. 25 Zu den verschiedenen Aspekten Smith, 1996; Adhemar, 1954; Elam, 1993; Cox-Rearick, 1995, p. 83-95. 26 Cellini, Ed. 1985, p. 430 f.
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I. Die
Italienfrage
Es läßt sich hier eine Öffnung zum italienischen Kunstgeschehen beobachten, die sich vor allem auf die Künstlerberufungen folgenreich auswirkte: Vom älteren Mechanismus, Künstler aus den italienischen Territorien der Krone zu rekrutieren, hat sich Franz I. gelöst. Freilich beruhte diese Wende vorderhand auf der Zwangslage, die im völligen Scheitern seiner Italienpolitik begründet lag. Die Kriege mit Kaiser KarlV. (1519-1556), mit dem Franz I. im Jahr 1519 um die Königswürde im Reich konkurriert hatte, führten zum endgültigen Abschied aus Italien27. Mailand wurde 1522 von Karl V. erobert - als der Heerführer der französischen Ersatzarmee, der Konnetable Charles de Bourbon ins kaiserliche Lager wechselte, erleichterte dies immerhin das Vorhaben der französischen Krone, die bourbonischen Besitzungen der Krondomäne einzuverleiben. Das dann doch noch entsandte französische Heer wurde bei Pavia 1525 entscheidend geschlagen. Franz I. kam für ein Jahr in Gefangenschaft, aus der er sich im Vertrag von Madrid 1526 gegen die Ubergabe der Freigrafschaft Burgund und die Auslieferung seiner Söhne freikaufte. Die unverzügliche diplomatische Offensive des Königs führte bereits im Mai 1526 in der Liga von Cognac zum Zusammenschluß einiger italienischer Staaten mit Frankreich. Diese erste Offensivallianz auf europäischer Ebene richtete sich explizit gegen das außenpolitische Ordnungskonzept Karls V. und stellte ihr eine korporativ gewichtete Einheitsvorstellung von der Christianitas unter französischer Protektion entgegen. Die sich anschließende militärische Konfrontation endete 1527 im Sacco di Roma. Im 1529 geschlossenen Frieden von Cambrai verzichtete Frankreich auf die italienischen Ansprüche. Dies hinderte Franz I. nicht, bereits 1535 noch einmal das Herzogtum Mailand für sich zu reklamieren, was durch päpstliche Friedensvermittlung beigelegt werden konnte. Gleichzeitig wurde das Bündnis mit dem Osmanischen Reich reaktiviert und - unter dem Deckmantel von Handelsverträgen - als Allianz gegen den Kaiser ausgebaut. Aber auch in diesem, militärisch an der Riviera ausgetragenen Konflikt behielt Habsburg die Oberhand, und Frankreich hatte im Vertrag von Crepy 1544 die Abmachungen von 1529 zu bestätigen. Angesichts dieser Sequenz des Scheiterns war eine Berufungstaktik auf der Grundlage einer stabilen italienischen Rekrutierungsbasis in Italien obsolet geworden. Ebenso entscheidend sind aber die Konsequenzen, die Franz I. aus diesen Gegebenheiten zog. Denn seine Orientierung verlagerte sich von den städtischen Zentren Oberitaliens auf die modernen Fürstenhöfe Mittelitaliens sowie auf Rom, das nunmehr sowohl im Hinblick auf die Kunstpatronage der Päpste als auch hinsichtlich seiner antiken Tradition ins Blickfeld der Krone kam. Die Auflösung älterer Bindungen und die Orientierung an neuen Modellen verschaffte dem Hof Franz' I. einen beträchtlichen Vorsprung des Mäzenatentums. Hatte bislang der Hochadel bei der Modernisierung seiner Kunstpatronage von den Italienbeziehungen in einem Maß profitiert, das den Primat des Königs auf diesem Feld in Frage stellte, so bewirkten die neuen Verhältnisse, daß sich der Monarch wieder als erster Mäzen des Staates etablieren konnte. Rückgrat der Kunstbeziehungen blieb die Berufung italienischer Künstler an den französischen Hof. Sie zeichnete sich durch einen immer weiter ausgedehnten Radius im Hinblick auf die Herkunft der Künstler und deren Qualifikation aus. Die Einladung von Leonardo da Vinci (1452-1519) in Mailand folgte zu Beginn der Regierung Franz' I. zunächst noch ganz den vorgezeichneten Pfaden. Wie Leonardo selbst bereits im Jahr 1500 beklagte, 27 Zum folgenden vgl. zusammenfassend H o r s t Rabe, Deutsche Geschichte 1 5 0 0 - 1 6 0 0 , München 1991, p. 2 1 9 - 2 2 6 , 3 0 2 - 3 1 7 ; Kampmann, 1994, p. 4 9 - 6 0 .
2. Renaissancerezeption
und nationale
Ungeduld
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ging ihr die politische Entmachtung seines wichtigsten Mailänder Auftraggebers, des Herzogs Ludovico il Moro, voraus. Die künstlerischen Unternehmungen des Herzogs blieben unvollendet, und er hatte in das erzwungene Exil nach Frankreich zu gehen 28 . Uber die Umstände der Berufung Leonardos und dessen zweijährigen Aufenthalt in Frankreich ist im Grunde kaum etwas bekannt 29 . Möglicherweise fand bereits in Bologna 1515 eine Begegnung mit Franz I. statt, die Einladung erfolgte in den Monaten zwischen August 1516 und Mai 1517. In Frankreich führte der Künstler seine theoretischen Studien in einem ihm eigens zugewiesenen Landsitz in Cloux weiter, auch die urbanistischen Idealprojekte schlossen an frühere Planungen an. Gemäldeaufträge wurden ihm nicht erteilt, er dürfte nur eine Gruppe von bereits in Italien begonnenen Werken - unter anderem die „Mona Lisa" - mitgebracht und zum Teil vollendet haben. Insgesamt ergibt sich von Leonardos französischem Aufenthalt das Bild von einer künstlerischen retraite, die von Franz I. bereitwillig toleriert wurde. Der bei den Vorgängern in dieser Form nicht gegebene Gestus mäzenatischer Großzügigkeit verband sich mit der schon eher geläufigen Präsentation des Künstlers als Trophäe. Dieser zweifelhafte Status des Künstlers teilt sich eindringlich in der resignativ gestimmten Begegnung zwischen Leonardo und dem Kardinal Luigi d'Aragona 1518 in Amboise mit, wie sie im Reisetagebuch des Antonio de Beatis geschildert ist30. Insgesamt erscheint die Leonardo gewährte materielle Gratifikation, die an eine zwar erwartete, aber nicht genau definierte Gegenleistung gebunden war, als eine der historischen Wurzeln für das System der königlichen Pensionen, das später unter Ludwig XIV. Konjunktur hatte. Leonardos Stellung kam in dieser Hinsicht sicherlich Exklusivität zu. Dies belegt gleichzeitig das Gegenbeispiel Andrea del Sartos (1486-1530), der sich im Winter 1518/19 für einige Monate am französischen Hof aufhielt. Folgt man dem Bericht Vasaris, soll der Florentiner Kaufmann Giovanni Battista Puccini im Rahmen seiner Handelsmissionen nach Frankreich Franz I. ein Madonnenbild des Malers geschenkt haben. Der König habe seiner Wertschätzung daraufhin durch die Einladung des Künstlers nach Frankreich Ausdruck verliehen, der dieser auch gefolgt sei. Anders als bei Leonardo läßt sich bei Andrea del Sarto aber die Tätigkeit am Hof durch eine Gruppe von Gemälden, die aus der Sammlung Franz' I. stammen, genauer bestimmen 31 . Das Verhältnis des Monarchen zu den italienischen Künstlern war in dieser frühen Phase des Mäzenatentums von einer Freizügigkeit geprägt, bei der sich im Sinne des fürstlichen Tugendspiegels liberalitas und magnanimitas verbanden. Für die künstlerische Produktion bedeutete dies die Freisetzung des Werks aus dem unmittelbaren Auftragszusammenhang. Gewünscht waren Werke von Künstlern, die zu Ruhm gekommen waren, soweit der Ruf durch Kunstagenten über die geographische Distanz hinweg vermittelt wurde. Bestimmt für die Sammlung und entbunden aus einem vorgegebenen Ausstattungskontext waren dabei weder Ikonographie, noch Größe und Material des Werks entscheidend. Mit dieser durchaus zeittypischen Erwartungshaltung, die sich bei Franz I. aber doch avantgardistisch dokumentiert, wandte er sich auch an Michelangelo (1475-1564). Er ließ ihm im Januar 1519 mitteilen, er ersuche um ein Werk gleich welcher Art von seiner 28 Zum Mailänder Kontext vgl. Evelyn S. Welch, Art and Authority in Renaissance Milan, N e w Häven-London 1995, p. 241-268. 29 Cox-Rearick, 1995, p. 133-159. 30 De Beatis, Ed. 1905, p. 143. 31 Vasari, Ed. 1568, Bd. V, p. 23 f.; zu den Gemälden Cox-Rearick, 1995, p. 161-165, 181-189.
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I. Die
Italienfrage
Hand32. Es bahnt sich ein neues und bis heute gültiges, völlig personalisiertes Kunstverständnis an, bei dem Künstler und Werk in eins gesetzt werden. Autorschaft und Provenienz werden zum Wertmaßstab. Michelangelos Renommee in Frankreich begründete sich seinerzeit auf der Pietä in Sankt Peter. Das Werk war 1497 vom französischen Botschafter, Kardinal Jean de Bileres Lagraulas, für die Petronilla-Rotunde - eine Art Nationalkirche der französischen Monarchen, die seit 1490 auch das ius patronatum besaßen - am Petersdom gestiftet worden33. Für einen weiteren französischen Auftraggeber in Rom, Florimond Robertet, hatte Michelangelo 1508 eine Bronzestatue des David vollendet. Die Anfrage Franz' I. an Michelangelo nach einem Werk freier Wahl erfüllte sich erst 1529, als ihm aus Florenz über Battista della Palla eine Herkulesstatue angeboten wurde. Man kann vermuten, daß bei der Offerte Filippo Strozzi im Hintergrund agierte, der sich mit dem diplomatischen Geschenk der politischen Unterstützung des Königs gegen die Medici zu versichern suchte. Diesem Mechanismus der Befestigung politischer Bündnisse folgte der König später selbst, als er die 1546 über Roberto Strozzi aus Florenz erworbenen Sklavenfiguren Michelangelos seinem Konnetable Anne de Montmorency für das Schloß Ecouen übereignete. Im selben Jahr erreichte Franz I. aus Rom Michelangelos definitive Absage, nach Frankreich zu kommen. Der Künstler begründete sie mit seiner körperlichen Hinfälligkeit, was ihn aber nicht hinderte, ein halbes Jahr später die Bauleitung von St. Peter zu übernehmen34. Das Jahr 1527 bezeichnet eine deutliche Zäsur in der Kunstpatronage Franz' I. und mit ihr einen Wandel in der Gestaltung der künstlerischen Beziehungen zu Italien. Die Rahmenbedingungen sind bekannt: Nach den Niederlagen in den italienischen Feldzügen und der Gefangenschaft in Madrid ließ der König im März 1528 gegenüber dem Rat von Paris verlautbaren, er beabsichtige Paris zum Hauptsitz des Hofes zu machen. Dies bedeutete zwar noch lange nicht das Ende der itinerierenden Hofhaltung, führte aber unverzüglich zu der Entscheidung, den Louvre wie auch den Landsitz von Fontainebleau als bevorzugte Aufenthaltsorte des Hofes auszubauen35. Im Blick auf Italien spielten Franz I. die dortigen Verhältnisse in die Hände. Er war einer der Nutznießer des Sacco di Roma, den er selbst
32 II Carteggio di Michelangelo, Bd. II, p. 151 (Brief von Gabrielle Pacciagli vom 30. Jan. 1519 aus Paris): El qual Re parlö con tanta gratia et amore di voi, che quasi miparve cosa incredibile, mostrando esser certissimo delle virtu vostre; riducendosi a questo, che di tale cosa ha el magiore desiderio che de havere ogni quantunche pichola cosa del vostro, pregando e' Legato vi dovesse scrivere con instanza, pregandovi che di questa cosa non Ii debiate manchare. Quanto a me, non ν'ο dare consiglio, perche so che sete savio et prudente. Weitere Belege für diese Auftraggeberhaltung bei John Shearman, Mannerism (1967), Harmondsworth 1986, p. 44. 33 Zur Pietä Kathleen Weil-Garris Brandt, Michelangelo's Pietä for the Cappella del Re di Francia, in: Ii se rendit, 1987, p. 77-119; zur Stiftungstradition der Kapelle auch das Dossier von 1692, AE, CP Rome 354, fol. 55r-v. 34 Zum David sowie zur ebenfalls nach Fontainebleau gelangten Herkulesfigur Gabriella Repaci Courtois, A propos du David en bronze de Michel-Ange, in: Revue du Louvre 26,1976, p. 250-254; zum Herkules Cox-Rearick, 1995, p. 302-313. Zur Besitzgeschichte der Sklavenstatuen Michelangelos in Frankreich die Hinweise mit den politischen Implikationen bei Walther, 1998, p. 359 f.; zur Absage Gaetano Milanesi ed., Le lettere di Michelangelo Buonarroti, Florenz 1875 (Repr. Osnabrück 1976), p. 519. 35 Zu den Briefen an die municipalit0 von Paris Jean-Pierre Babelon, Paris au XVIe siecle (= Nouvelle Histoire de Paris 11), Paris 1986, p. 45-50; vgl. auch Solnon, 1996, p. 66-68; Ballon, 1997, p. 16.
2. Renaissancerezeption und nationale Ungeduld
13
mit zu verantworten hatte. Die Plünderung Roms brachte eine beträchtliche Anzahl in Rom tätiger Künstler um ihre dortigen Auftragschancen und setzte sie für andere Dienstverhältnisse frei. Dieser Vorgang wiederholte sich in unmittelbarer Folge des Sacco di Roma in kleineren Dimensionen, als 1527 während der letzten Florentiner Republik auch aus Florenz die Verwandten des in der Engelsburg belagerten Medici-Papstes Klemens VII. (1523-1534) vertrieben wurden. Die Konjunktur des zentralistischen Residenzenbaus unter Franz I. wie auch die Verfügbarkeit italienischer Künstler, die bisweilen Erfahrungen bei künstlerischen Großunternehmungen wie der Bauhütte von St. Peter oder dem Vatikan gesammelt hatten, wirkten nunmehr bei den Berufungen nach Frankreich zusammen. Die Künstler wurden für ein vorgegebenes Bau- und Ausstattungsprogramm engagiert, dem sie ihre Entwürfe und Werke anzupassen hatten. Nach 1527 war die Beschäftigung des aus der Florentiner Bildhauerdynastie stammenden Girolamo della Robbia (1488-1566) eine Maßnahme der ersten Stunde. Der Bildhauer hatte sich bereits ein Jahrzehnt zuvor in Frankreich aufgehalten und kehrte um 1527 durch die Vermittlung Florentiner Kaufleute dorthin zurück. Er hatte die Terracotta-Dekorationen an Schloß Madrid auszuführen und war möglicherweise auch am Architekturentwurf beteiligt. Etwa gleichzeitig erfolgte die Berufung des ebenfalls aus Florenz stammenden Bildhauers Giovanni Francesco Rustici (1474-1554). Er ging zusammen mit Lorenzo Naldini und Antonio Mini nach der Vertreibung der Medici an den französischen H o f und wurde dort mit der Ausführung eines am Ende nicht realisierten Reiterdenkmals für den König beauftragt 36 . Zentrum der Residenzlandschaft um Paris war Schloß Fontainebleau (Abb. 1). Ausgehend vom mittelalterlichen Baubestand, der den Grundriß der Cour Ovale vorzeichnete, begannen die Bauarbeiten im April 1528. Die neu errichteten Flügel waren bereits zwei Jahre später für die Dekorationen vollendet, als der Florentiner Maler Giovanni Battista Rosso nach Fontainebleau berufen wurde. Rosso Fiorentino (1494-1540) brachte für die ihm übertragenen Ausstattungen vielfältige Voraussetzungen mit. Nach seiner Ausbildung war er sowohl in Florenz als auch in Rom, wo er 1524 eintraf, an bedeutenden Freskenzyklen im Umkreis von Andrea del Sarto und Michelangelo beteiligt gewesen. An die Flucht aus Rom 1527 schlossen sich unstete Jahre der Tätigkeit in der Toskana an, bis der Maler 1530 in Venedig eintraf und dort von Aretino an den französischen König vermittelt wurde. Folgt man der von Vasari gegebenen Vita, so hat sich Rosso Fiorentino neben seiner Qualifikation und seiner Verfügbarkeit angesichts der in Italien unsicher gewordenen Arbeitsverhältnisse für den französischen H o f auch durch seinen höfischen Habitus sowie durch seine Kenntnisse in Musik und Philosophie empfohlen. All dies ließ ihn als Nachfolger Leonardos erscheinen 37 . Rosso traf in Begleitung seines Florentiner Landsmannes Domenico del Barbiere (1506-1565/75) in Frankreich ein, der für ein Jahrzehnt sein Mitarbeiter blieb, bis er nach dem Tod Rossos die Hofateliers verließ und nach Troyes ging. Francesco Primaticcio (1504/5-1572) verdankte seine Berufung im Jahr 1532 vor allem der Tatsache, daß er ein Mitarbeiter von Giulio Romano (1499-1546) in Mantua gewesen war. Man kann nur vermuten, ob Franz I. versucht hat, den seit 1524 für Federico II 36 Zu Deila R o b b i a Vasari, Ed. 1568, Bd. II, p. 182 f.; Bernhard Laule, Schloß Madrid. Studien zur Planungsmethode und zur Ikonographie, Hildesheim u.a. 1983, bes. p. 1 6 9 - 1 7 1 ; Prinz/Kecks, 1994, bes. p. 448—455. Zu Rustici Vasari, a.a.O., Bd. V I , p. 6 1 9 f . 37 Vasari, Ed. 1568, Bd. V, p. 1 5 5 - 1 7 4 .
I. Die Italienfrage
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Abb. 1
Vogelschauplan der Schloßanlage von Fontainebleau.
Kupferstich von Michel Lasne. Paris, Bibliotheque Nationale.
Gonzaga tätigen Architekten selbst für sich zu gewinnen. Unabhängig davon spricht bereits das Engagement Primaticcios dafür, daß der Neubau des Palazzo Te die Funktion eines Modells für Fontainebleau hatte. Hier war von Giulio Romano die Organisationsform der römischen Werkstatt Raffaels an einen weltlichen Fürstenhof überführt worden, wie dies auch von Franz I. beansprucht wurde38. In den Jahren der gemeinsamen Arbeit von Rosso und Primaticcio entstanden die Dekorationen des königlichen Appartements und der Galerie (Abb. 2) 39 . Ähnlich wie beim vatikanischen Atelier Raffaels und bei den Bau- und Ausstattungskampagnen in Mantua 38 Vgl. Tönnesmann, 1997, p. 54f., 89. 39 Zur Galerie zuletzt Cox-Rearick, 1995, p. 4 2 - 5 4 und Zerner, 1996, p. 6 6 - 8 3 .
2. Renaissancerezeption
Abb. 2
und nationale Ungeduld
15
Fontainebleau, Blick in die Galerie Franz' I.
entzieht sich auch die Arbeitsteilung im Hofatelier von Fontainebleau präziser Kenntnis. Das Anspruchsniveau der Dekorationen wird maßgeblich von der Verarbeitung von Vorbildern der aktuellen Hofkunst italienischer Residenzen bestimmt. Ein gemeinsamer Grundzug der Programme liegt in ihrer neuartigen Exklusivität im Sinne einer durchaus idiosynkratischen Bezogenheit auf die Person des Herrschers. Im Bildprogramm der Galerie in Fontainebleau sind Eigenschaften des Monarchen so anspielungsreich verschlüsselt, daß eine stringent erschließbare Deutung durch den Betrachter anscheinend gar nicht erwünscht war. Die einzelnen Sinnschichten, die der Funktion des Raums entsprechend durch den König selbst erläutert werden konnten, erinnern an die Bestandteile eines Kompositbildnisses. Von Franz I. existiert ein berühmt gewordenes Beispiel dieser Porträtgattung. Die Niccolo da Modena zugeschriebene, um 1532 datierte Miniatur (Abb. 3) zeigt den König als eine aus den Gliedern mehrerer antiker Gottheiten zusammengesetzte Gestalt. Die jeweiligen Eigenschaften der weiblichen wie männlichen Götterfiguren sind dem Herrscher gleichsam einverleibt 40 . Die Raumdekorationen der Galerie folgen einem ähnlichen Prinzip der anhäufenden Charakterisierung des Herrschers in der rhetorischen Technik der Amplifikation. In beiden Fällen dienen antike Stoffe wie etwa die Achill-Erzählung
40 Hierzu zuletzt Martin Warnke, Das Kompositbildnis, in: Andreas Köstler et al. eds., Bildnis und Image. Das Portrait zwischen Intention und Rezeption, Köln u.a. 1998, p. 143-149 und nunmehr auch Brassat, 2003, p. 272-281.
I. Die
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Abb. 3
Italienfrage
Niccolo da Modena: Kompositbildnis Franz' I. Paris, Bibliotheque Nationale.
als Exempel für die körperliche Ertüchtigung (Abb. 4) der Präsentation eines Normkanons, der in der Galerie durch die Historienszenen der Freskenfolge wie auch durch antike und moderne Statuen als Teil der ursprünglichen oder geplanten Raumausstattung entfaltet wurde. Eine regelrechte Kampagne für die Statuenausstattung von Fontainebleau wurde erst 1540 unternommen. Durch die von Primaticcio in Rom akquirierten Antikenabgüsse sowie durch die Gruppe von Statuen, mit der Benvenuto Cellini beauftragt wurde, fand die Schloßausstattung nicht nur eine Komplettierung durch plastische Bildwerke, sondern auch eine programmatische Ergänzung. Das Antikeninteresse Franz' I. war in den ersten Jahrzehnten seiner Regierung eher sprunghaft und angebotsorientiert. Es gab bereits bei der Begegnung mit Leo X. (1513-1521) im Jahr 1515 Gerüchte, der König wolle vom Papst die 1506 entdeckte Laokoon-Gruppe einfordern. Eine 1520 vom Papstnepoten, Kardinal Giulio de'Medici, bei Baccio Bandinelli als Ersatz bestellte Marmorkopie war 1524 vollendet, gelangte aber nie nach Frankreich 41 . Anderthalb Jahrzehnte später gab der Kardinal Ippolito II d'Este (1509-1572) - in der Kunstgeschichte vor allem als Bauherr der Villa D'Este in Tivoli und als Förderer der Ausgrabungen der Villa Hadriana präsent - bei Cellini eine Bronzekopie des Dornausziehers in Auftrag, die Cellini im Dezember 1540 zusammen mit dem Modell für das Salzfaß an den Pariser Hof brachte. Es handelte sich um ein diplomatisches Geschenk für den König als Gegenleistung für die von Franz I. geförderte Ernennung D'Estes zum Kardinal im Jahr 1539, der vorher schon mit mehreren fran-
41 Vgl. Detlef Heikamp, Die Laokoongruppe des Vincenzo de' Rossi, in: Mitteilungen des kunsthistorischen Institutes in Florenz 34,1990, p. 341-378, hier p. 348-350 und jüngst Wolfgang Liebenwein, Clemens VII. und der „Laokoon", in: Klaus Bergdolt et al. eds., Opere e giorni, Fs. Max Seidel, Venedig 2001, p. 465-478. Die ursprünglich im Palazzo Medici aufgestellte Statuengruppe Bandinellis wird in den Uffizien aufbewahrt.
2. Renaissancerezeption
Abb. 4
und nationale
Ungeduld
17
Rosso Fiorentino: Erziehung des Achill. Fontainebleau, Galerie.
zösischen Erzbistümern ausgestattet worden war 42 . Auch wenn Cellini dies später behauptet, gab die Ankunft der Kopie des Spinario nicht den Ausschlag für die römische Abgußkampagne, denn dafür war die Entscheidung bereits vorher gefallen. Francesco Primaticcio hielt sich im Jahr 1540 in R o m auf*3. Er ließ zeitgenössische Gemälde ankaufen und auch Abgüsse von modernen Skulpturen anfertigen, so von Michelangelos Pietä und seiner Christusfigur in S. Maria sopra Minerva. Zielpunkt der Abgußkampagne von Antiken war neben der Trajansäule der Belvederehof im Vatikanpalast, der unter dem Pontifikat von Julius II. (1503-1513) systematisiert worden war. Von den Hauptstücken des Statuenensembles - von Apoll, Laokoon und Hercules Commodus, von der Venus Felix und der Kleopatra sowie schließlich von den beiden Flußgöttern - wurden Abgußformen abgenommen 44 . Offensichtlich bestand die Absicht, für Fontainebleau das Programm des päpstlichen Antikenensembles zu bewahren. Von Julius II., der vor seiner Wahl zum Papst fast ein Jahrzehnt im französischen Exil verbracht hatte, war ein Ensemble zusammengeführt worden, das mit den Anspielungen auf die Gründung Roms durch Aeneas und auf die Gestalt Caesars die imperialen Machtansprüche des Pontifex demon42 Zum Kardinal Vincenzo Pacifici, Ippolito II d'Este, Cardinale di Ferrara, 2 Bde., Tivoli 1920-1923 und DBI, Bd. 43, 1993, s.v. „Este, Ippolito d'" (L. Byatt). 43 Vasari, Ed. 1568, Bd. VII, p. 407; Sylvia Pressouyre, Les fontes du Primatice ä Fontainebleau, in: Bulletin monumental 127, 1969, p. 223-239; Anna Maria Orazi, Jacopo Barozzi da Vignola 1528-1550. Apprendistato di un architetto bolognese, Rom 1982, p. 113-121; Haskell/Penny, 1988, p. 1-6; zu den erhaltenen Statuen Bresc-Bautier/Pingeot, 1986, Nr. 319-323 und Cox-Rearick, 1995, p. 318-361. Zur späteren Geschichte der Abgußformen Bruce Boucher, Leone Leoni and Primaticcio's moulds of antique sculpture, in: Burlington Magazine 123, 1981, p. 23-26; zum späteren Italienaufenthalt Primaticcios vgl. Ian Wardropper, Le voyage italien de Primatice en 1550, in: B S H A F 1981, p. 27-31. 44 Zu später in der Academie de France ä Rome entstandenen Abgüssen und Marmorkopien von einigen dieser Werke siehe unten, Kap. 111,4.
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I. Die
Italienfrage
strieren sollte 45 . Die Kopien überführten diese Programmatik an den französischen Hof. Ein verwandter Anspruch äußert sich darin, daß auch von der Reiterstatue des Marc Aurel eine Gußform hergestellt wurde. Das Reitermonument war durch die Aufstellung des antiken Standbildes auf dem Kapitol im Jahr 1538 nachdrücklich als ein fürstlicher Denkmaltypus ins zeitgenössische Bewußtsein gehoben worden. Franz I. mochte sich dabei an das niemals realisierte Projekt eines Reiterdenkmals erinnert haben, das Papst Clemens VII. (1523- 1534) für den König in Rom geplant hatte46. Zum Bronzeguß der Reiterfigur des Marc Aurel ist es nicht gekommen, das Modell wurde allerdings in der Cour du cheval blanc öffentlich aufgestellt und verlieh dem Hof auch seinen Namen (Abb. 1). In Rom beschränkte man sich darauf, Abgußformen von den einzelnen Statuen durch den in Rom ansässigen Bildhauer Pierre Bontemps abzunehmen. Man wählte das technisch anspruchsvolle Verfahren der Bronzekopie anstelle der billigeren, jedoch zeitaufwendigeren und nur vor Ort auszuführenden Marmorkopie. Für den Guß der Statuen in Fontainebleau wurde Jacopo Barozzi da Vignola (1507-1573) als technischer Berater hinzugezogen 47 . Die Berufung von Benvenuto Cellini (1500-1571) an den französischen Hof ist von dieser Offensive der Antikenrezeption nicht zu trennen48. Das Engagement war über den Kardinal Ippolito d'Este zustande gekommen, der sich Ende 1539 dafür verwandt hatte, den Bildhauer aus einer seiner mehrmaligen Inhaftierungen in der Engelsburg freizusetzen. Cellini hielt sich von 1540 bis 1545 in Frankreich auf. Er führte im Auftrag des Königs ausschließlich Figuren antiker Götter und Göttinnen aus, die auf den Paragone mit den antiken Vorbildern oder mit zeitgenössischer Skulptur abzielten. Auch das für Franz I. gearbeitete Salzfaß folgt dieser künstlerischen Zielsetzung. Sie wird offensichtlich bei der Präsentation der Silberstatue des Jupiter im Januar 1545 in der Galerie von Fontainebleau. Die nicht mehr erhaltene Figur gelangte als einzige von dem zwölfteilig geplanten Zyklus von Götterfiguren zur Vollendung. Cellini schildert in seiner Autobiographie die Präsentation der Statue als eine Konfrontation antiker und moderner Kunst. Demnach sei dieser Wettstreit von Madame d'Estampes provoziert worden, indem die Herzogin auf einer öffentlichen Begutachtung der Jupiterstatue in der Galerie im Kreis der Antikenkopien bestanden habe. Befördert durch die bewegliche Installation seiner Figur und deren Beleuchtung durch Kerzenschein sei er, Cellini, aus dem Spießrutenlauf zwischen den Antiken als Sieger hervorgegangen. Der König habe ihm bescheinigt, daß sein Werk dem Vergleich nicht nur standhalte, sondern die Werke der Antike sogar übertreffe 49 . Trotz aller Zweifel, daß sich die Geschichte tatsächlich so zugetragen hat, spricht bereits die Auftrags- und Ausstattungskoinzidenz der Antikenkopien und des Statuenzyklus von Cellini für den ParagoneGedanken als Intention des Auftraggebers. Die Wettbewerbsfähigkeit der französischen Hofkunst hatte sich nicht nur im Transfer des Modells der modernen fürstlichen Kunst-
45 Vgl. zuletzt Matthias Winner et al. eds., Ii Cortile delle Statue. Der Statuenhof des Belvedere im Vatikan, Mainz 1998. 46 Erben, 1996a, p . 3 1 9 f . 47 Zur Tätigkeit Vignolas in Fontainebleau ausführlich Orazi, Vignola, 1982, op. cit., p. 111-169; Ausst. Kat. „Jacopo Barozzi da Vignola. L a vita e le opere", ed. Richard Tuttle, Mailand 2002. 48 Maßgeblich als Q u e l l e ist die Lebensbeschreibung Cellinis; Cellini, Ed. 1985, bes. p. 409-515 (Buch II, Kap. I-L). 49 Cellini, Ed. 1985, p. 4 9 5 ^ 9 9 ; zu dem Projekt auch Cox-Rearick, 1995, p. 298-302.
2. Renaissancerezeption und nationale Ungeduld
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patronage Italiens zu erweisen, sondern auch in der Aneignung der antiken Vorbilder und in der Auseinandersetzung mit der antiken Norm. Damit war ein Anspruch formuliert, der für die Architektur erst noch einzulösen war. Dieser Part war Sebastiano Serlio (1475-1553/54) zugedacht. Bei der Berufung des bis zum Sacco di Roma zunächst in Rom und dann im Veneto tätigen Architekten bewährten sich einmal mehr die Vermittlungsdienste Aretinos. Serlio hat das dritte, 1540 in Venedig erschienene Buch seines in mehreren Lieferungen edierten Architekturtraktates, das die antiken Bauwerke in Rom behandelt, Franz I. gewidmet. Die Dedikation erbrachte ihm die Einladung nach Frankreich, wo er bis zum Tod des Königs als Hofarchitekt tätig war und sich dann - vor der Konkurrenz mit Philibert de l'Orme weichend - nach Lyon zurückzog. 50 Serlios Wirkung in Frankreich beruhte weniger auf seinen Bauten, als auf seinen Schriften, in denen er nicht nur italienische Architekturtheorie vermittelte, sondern erstmals auch französische Baugewohnheiten und Architekturformen erläuterte. Der Humanist Jean Martin nahm diese doppelte Vermittlerrolle auf, indem er neben Ubersetzungen einzelner Bücher Serlios die erste französische Vitruv-Ausgabe (1547) und eine Ubersetzung von Albertis Architekturtraktat (1553) herausbrachte 51 . Mit Serlio, der seine Berufung vor allem seinem Rang als Architekturtheoretiker verdankte, erfuhr auch die Position des Hofarchitekten eine nachhaltige Aufwertung. Er war aber erstmals auch mit der Tatsache konfrontiert, daß ihm mit De l'Orme ein französischer Architekt diese Stellung streitig machte. Die Konstellation einer zentralisierten Hofkunst und die Verfügbarkeit italienischer Künstler bildete die materielle Bedingung für den historischen Erfolg von Fontainebleau. Die ideelle Voraussetzung des Erfolgs beruhte auf einer breiten Aufnahmebereitschaft, die sich gleichermaßen auf die Rezeption der an den Höfen Italiens entwickelten Programme mit dem dazugehörigen Formenrepertoire wie auf die Rezeption antiker Skulptur bezog. Freilich lag das entscheidende Paradox dieser Aufnahmebereitschaft darin, daß der kulturelle Transfer mit Entschiedenheit für die nationale Selbstvergewisserung in Dienst genommen wurde. Gerade in Anbetracht der notwendigen Vorbehalte, die bei der Verwendung des Nationalbegriffs für die Frühe Neuzeit angebracht sind, ist das Moment der Nationenkonkurrenz bei den höfischen Führungseliten unverkennbar 52 . In der zeitgenössischen französischen Kunsttheorie wurde dieser Zusammenhang nicht zum Thema gemacht, wohl aber hat man in den um die Mitte des 16. Jahrhunderts entstandenen Poetiken darüber nachgedacht. Bei einem Kulturbegriff, der unter dem Plural von arts et sciences sämtliche Kulturdisziplinen subsumierte, erscheint es als legitim, die in der Dichtungslehre erarbeiteten Befunde auch auf die bildenden Künste und die Architektur zu beziehen und als Rahmen für das Verständnis dieser Bereiche abzustecken. Die königliche Ordonnanz von Villers-Cotterets vom August 1539 schlug auf der Ebene der Administration das Grundthema der Nationalsprache an. Der Paragraph 111 bestimmte, daß sämtliche Erlasse und Verfügungen im Königreich en langage maternel frangois et non autrement abzufassen seien. Es war die primäre Zielsetzung des Artikels, das bis über das Ende des Ancien Regime virulente Problem der Sprachenvielfalt in den französischen Landschaften in den Griff zu bekommen. Seine allgemeine Bedeutung liegt 50 Zuletzt Sabine Frommel, Sebastiano Serlio architetto, Mailand 1998. 51
Kruft, 1995, p. 77, 8 0 - 8 7 , 133 und McGowan, 2000, p. 8 7 - 1 0 0 .
52 Zu diesem Aspekt vgl. die Beiträge in Porter/Teich, 1994.
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I. Die
Italienfrage
jedoch in der Tatsache, daß dabei der Verkehrssprache des Lateinischen zugunsten des in den Kronlanden gesprochenen Französisch eine Absage erteilt wurde53. Dem Hof wurde neben der Monopolgewalt für die Sprachwahl auch eine Sprachhoheit in einem umfassenderen Sinn zugemessen. Bei Claude Favre de Vaugelas ist dies später zur Gewißheit geworden, wenn er im Vorwort seines Wörterbuchs den Hof mit einem Vorratslager vergleicht, aus dem sich die große Anzahl der schönen Ausdrücke speise. Die Beredsamkeit auf der Kanzel und im Gerichtssaal würde nicht über die nötige Anmut verfügen, wenn sie sich diese nicht vom Hof ausleihe54. Dieser Gedanke spielt bereits in den Poetiken von Joachim Du Beilay und Jacques Peletier du Mans eine zentrale Rolle. In diesen beiden Schriften ist das Spannungsverhältnis zwischen der als notwendig erachteten Nachahmung in den Künsten und der gleichzeitig fest in den Blick genommenen Zielperspektive nationaler Eigenständigkeit eindrucksvoll entfaltet. Zwei Jahre nach dem Tod Franz' I. 1549 erschienen und dem Dauphin als Programmschrift empfohlen, läßt sich die Deffence et Illustration de la Langue frangoise von Joachim Du Beilay (1522-1560) als rechtfertigende Bilanz der Kulturpolitik des verstorbenen Königs lesen55. Den Königshof, den der Autor mehrfach als Hort der Sprache bezeichnet, verteidigt er als das letztlich allein maßgebliche Zentrum aller Kultur gegen die partikularen Interessen der Aristokratie und der Städte56. Du Beilay geht es dabei wohl nicht nur um die politische Befürwortung der Kulturhegemonie des Hofes, sondern auch um das pragmatische Argument der Ressourcenkapazität als Voraussetzung jedes Mäzenatentums. Sie war wie durch die Kunstpatronage auch auf dem Feld der Literatur durch den Ausbau der über der Galerie in Fontainebleau beherbergten königlichen Bibliothek, durch Aufträge für Ubersetzungen antiker Texte und durch die 1530 erfolgte Gründung des College des Lecteurs Royaux unter Beweis gestellt worden57. Internationaler Austausch war im Dienst für die eigene Sache unverzichtbar. Du Beilay konstatiert das Defizit der französischen Sprache, die von den Vorfahren so arm und nackt hinterlassen worden sei, daß sie jedweden Schmuck und die Zierde fremder Federn nötig habe58. Nachahmung erscheint dabei als wesentliche Instanz: Car il n'y a point de doute que la plus grandepart de l'artifice ne soit contenue en l'imitation,59 Sprachkultivierung bedeutet jedoch nicht reine Imitation, sondern schöpferische Aneignung. Dieses Grundmotiv kleidet Du Beilay einerseits in die Metapher
53 Jean Dubu, De l'Ordonnance de Villers-Cotterets ä La Deffence et Illustration de la Langue franqoise: affirmation politique et revendication litteraire, in: Jones-Davis, 1991, p. 137-151. 54 Vaugelas, 1647, Preface (unpag.): II est certain que la Cour est comme un magazin, d'ou nostre langue tire quantit0 de beaux termes pour exprimer nos pensees, & que I'Eloquence de la chaire, ny du barreau n'avoitpas les graces qu'elle demande, si eile ne les emprunoit presque toutes de la Cour. 55 Zum folgenden den äußerst anregenden Aufsatz von Reinhard Krüger, Der Kampf der literarischen Moderne in Frankreich (1548-1554). Gattungssystem und historisch-soziale Signifikanz der sprachkünstlerischen Formen im Literaturprogramm der Plei'ade, in: Klaus Garber ed., Nation und Literatur im Europa der Frühen Neuzeit. Akten des I. Internationalen Osnabrücker Kongresses zur Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit (Frühe Neuzeit 1), Tübingen 1989, p. 344-381. Die Hauptschriften von Du Beilay werden nach einer neueren Sammeledition zitiert; Du Beilay, Ed. 1996. 56 Du Beilay, Ed. 1996, p. 208, 224. 57 Knecht, Francis I, 1994, op. cit., p. 462-477. 58 Du Beilay, Ed. 1996, p. 207: (...) notre langue sipauvre et nue qu'elle a besoin des ornements et (s'il faut ainsi parier) des plumes d'autrui. 59 A.a.O., p. 216.
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und nationale
Ungeduld
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des Baumes, der der Veredelung bedarf. Man müsse dem Baum, wenn er Früchte tragen soll, fremde Aste aufpfropfen, die bald mit dem Stamm so verwachsen, daß sie nicht mehr wie angesetzt, sondern wie natürlich aussähen60. Andererseits beschreibt er den Prozeß der schöpferischen Aneignung als die Wiederherstellung eines Gebäudes aus dem Verfallszustand der Ruinen; es setze allerdings die genaue Kenntnis des ursprünglichen Plans voraus, um den Bau in seiner premiere grandeur bewohnbar zu machen61. Man wird bei der Ruinenmetapher an ein Sonett aus dem Gedichtzyklus der Antiquitez de Rome erinnert. Der universelle Rang der antiken Metropole blieb nach wie vor gültig: Romefut tout le monde, et tout le monde est Rome (...) Ainsi le monde on peut sur Rome compasserJPuisque leplan de Rome est la carte du monde.a Umso unausweichlicher wird die Feststellung von der Preisgabe dieser Bedeutung: Rome vivant fut l'ornement du monde/Et morte eile est du monde le tombeau.6i In die Vergänglichkeitstopik mischt sich die Skepsis gegenüber der Verbindlichkeit der antiken Uberlieferung: Nouveau venu, qui cherches Rome en Rome/Et rien de Rome en Rome η'appergoisJCes vieux palais, ces vieux arcz que tu vois,/Et ces vieux murs, c'est ce que Rome on nomme.M Im Zweifel, der im übrigen auch durch technische Modernisierungen der Zeit genährt wird, kündigt sich die Querelle des anciens et des modernes an. Trotz dieser Vorbehalte bleibt der Gedanke der notwendigen Nachahmung, die neben der Antike ausdrücklich die Nationalliteratur Italiens als Vorbild mit einschließt65, im Prinzip unangetastet. Er ist aber mit dem Ziel verbunden, die Eigenheit jeder Sprache umso deutlicher zu betonen: chaque langue α je ne sais quoi propre seulement ä elle.hb Das Prinzip der Erneuerung schließt sich mit dem Plädoyer für die Kulturhegemonie des Hofes zu einer universellen Zukunftsperspektive zusammen: Wenn das stolze und mächtige Königreich Frankreich einmal zur Weltherrschaft gelangt sei, werden seine Dichter dem Rang seiner Herrscher gleichkommen67. In seinen Schriften zur Poetik ist Jacques Peletier du Mans (1512-1582) den Grundüberzeugungen Du Beilays gefolgt. Auch er verteidigt den Hof als kulturelle Führungsinstanz und beklagt die verbreitete Geringschätzung der Muttersprache - gebühre doch Frankreich ohnedies gegenüber den anderen Nationen in der Religionsausübung und der Wahrung guter Sitten bereits der Vorrang68. Die französische Dichtung habe noch nicht ihre volle Größe erreicht, da sie zu sehr der gewöhnlichen Sprache verhaftet sei69. Das Diktum des Horaz über die Gleichartigkeit von Dichtung und Malerei aufnehmend, kommt Du 60 61 62 63 64
65 66 67 68 69
A.a.O., p. 207 f.; mit der Wiederholung der Metapher auch p. 214. A.a.O., p. 227 f. A.a.O., p. 44 (26. Sonett). A.a.O., p. 46 (29. Sonett). A.a.O., p. 28 (3. Sonett); zu Quellen und Kontext George Hugo Tucker, The Poet's Odyssey. Joachim Du Beilay and the Antiquitez de Rome, Oxford 1990, p. 55-104; Cynthia Skenazi, Le poete et le roi dans les Antiquitez de Rome et le Songe de Du Beilay, in: Bibliotheque d'humanisme et renaissance 60, 1998, p. 41-56; ausführlich zur Ruinenmetapher bei Du Beilay vgl. McGowan, 2000, p. 187-194,211-219. Du Beilay, Ed. 1996, passim, bes. p. 221, 239. A.a.O., p. 211 f. A.a.O., p. 208. Krüger, Literarische Moderne, 1989, op. cit., p. 360 f.; Du Mans, Ed. 1930, p. 227-230 (Vorwort zu Art poetique d'Horace traduit en vers Frangois, 1545). Du Mans, Ed. 1930, p. 85 (L'Art poetique, 1555).
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I. Die
Italienfrage
Mans zu der Schlußfolgerung, daß die Inspiration in den Künsten neben der natürlichen Veranlagung stets der äußeren Anregung bedürfe: brief\ si nous voulons reconnoitre, que nous pouvons aquerir quelques choses de dehors par acoutumance, imitation e etude: certes nous trouverons que I'Art androit le Poete, a puissance grande.70 Ein Gutteil des menschlichen Handelns sei Nachahmung, denn die erste und natürlichste Neigung des Menschen bestehe darin, das machen oder sagen zu wollen, was andere gut machen oder gut sagen; so ahmten die Musiker die Stimme ihrer Lehrer nach und die Maler ihre Vorbilder. Den Nachdruck, mit dem Du Mans die imitacion verteidigt, verbindet er aber mit der ebenso entschiedenen Warnung, im bloßen Kopieren zu verharren. Par seule imitacion rien ne se fait grand: Trägheit und Mangel an Mut sei es, den anderen immer nachzulaufen; und nach einem Diktum Quintilians heißt es schließlich: Celui sera tousjours dernier, qui tousjours svivra. Es sei die Aufgabe des Dichters, den überlieferten Dingen Neuheit und neue Geltung zu verschaffen71. Ganz im Sinne Du Beilays vollzieht auch Du Mans einen Dreischritt, der von der Nachahmung über die Innovation zur Option künstlerischer Eigenständigkeit führt: Keine Sprache könne jemals die gleiche Ausdrucksform wie die andere haben, da Wörter und Redeweisen jeder nacion eigentümlich seien.72 Es braucht hier nur angedeutet zu werden, daß sowohl Du Mans als auch Du Beilay mit ihren Überlegungen natürlich der Institutio oratoria von Quintilian verpflichtet sind. Im Kapitel De imitatione (X,2) fordert der Autor mit dem mehrfachen Vergleich zwischen Redekunst und Malerei, unter verschiedenen Vorbildern das beste auszuwählen und es dabei aus eigener Kraft zu verbessern. Im Zusammenhang mit den Ausführungen zu den schriftlichen Exerzitien (X,5) wird der Nutzen der Paraphrase unter den Bedingungen von certamen und aemulatio bestimmt: Die Paraphrase soll mit der Vorlage um die gleichen Gedanken in Wettkampf und Wetteifer treten73. Aus den Poetiken können die Leitperspektiven einer legitimen Nachahmung und einer geforderten kulturellen Erneuerung unter der Hegemonie der Krone auch auf die Kunstpolitik des Hofes unter Franz I. übertragen werden. Dabei erscheint das instrumentelle Verhältnis zu den Vorbildern als die prägende Vorgabe: Es geht nicht um die Imitation von Formen und Materialien, sondern um die Nachahmung der künstlerischen Methode im Dienst der Modernisierung. Dieses Verhältnis bezieht sich gleichermaßen auf die antike Tradition wie auch auf die von den italienischen Höfen rezipierten Modelle. Während die antiken Kopienimporte als Zeugnisse einer historischen Norm mit den aktuellen Auftragswerken konfrontiert werden, sind die italienischen Modelle für den Anspruch kultureller Eigenständigkeit vereinnahmt. Für die Wege der Vermittlung, auf denen sich dieser Aneignungsprozeß vollzog, bleibt die Künstlerberufung die zentrale Institution. Es gelang, einzelne Künstler vergleichsweise dauerhaft an den französischen Hof zu binden und in die Kunstadministration zu integrieren. Im Hinblick auf die Importe von italienischen Kunstwerken nach Frankreich läßt sich eine deutliche Gewichtsverlagerung konstatieren: Während die königliche Sammlung durch zahllose, teils als diplomatische Geschenke, teils über Agenten erworbene Gemälde angereichert wurde, konzentrierten sich die Skulpturenerwerbungen auf Antikenkopien. 70 A.a.O., p. 73. 71 A.a.O., p. 93. 72 A.a.O., p. 110. 73 Hierzu nunmehr aus kunsthistorischer Perspektive umfassend Brassat, 2003.
2. Renaissancerezeption und nationale Ungeduld
23
Die Berufung Cellinis bedeutete gleichzeitig eine maßgebliche Aufwertung der modernen Statuarik. Importe monumentaler Skulpturenensembles aus Italien gehörten unter Franz I. ebenso der Vergangenheit an wie die hauptsächliche Beschäftigung italienischer Bildhauer für die Ausführung von Bauornamentik. Zwar läßt sich der künstlerischen Entfaltung der Schule von Fontainebleau die Theoriebildung der Dichtungslehren als Äquivalent an die Seite stellen, doch fand sie in der zeitgenössischen Kunsttheorie zunächst keinen Niederschlag. Im historischen Abstand von etwa zwei Jahrzehnten finden sich dann jedoch in der Architekturtheorie von Philibert de l'Orme bemerkenswerte Parallelen. Philibert de l'Orme (c.1510-1570) reiste im Rahmen seiner Architektenausbildung 1533 nach Rom. Während seines dreijährigen Aufenthalts gehörte er zur Entourage des Kardinals Jean Du Beilay, für den er nach 1540 als Architekt tätig war. Dem Kardinal ist die zitierte Poetik gewidmet, die dessen Neffe Joachim 1549 veröffentlichte. De l'Orme verfaßte seinen 1567 publizierten Architekturtraktat zu einem Zeitpunkt, als seine Karriere als Architekt beendet war, und widmete ihn Katharina de'Medici (1519-1589). In seinem Traktat nimmt De l'Orme eine Position der Vermittlung ein, die in vielem an die Schrift von Joachim Du Beilay erinnert. In der Widmung erweist er der Familie der Königinwitwe seine Reverenz. Die ausführliche Würdigung des Mäzenatentums der Medici zur Zeit der Republik und des Ducato in Florenz wie auch der MediciPäpste in R o m unterstreicht zugleich die Vorbildlichkeit des italienischen Modells der Kunstpatronage 74 . Eine Kritik an der vorbehaltlosen Übernahme fremder Vorbilder findet sich bei De l'Orme nur verhalten und an versteckter Stelle. Er äußert sie im Zusammenhang mit der Vielfalt von Marmorsorten, die Frankreich gegenüber allen anderen Nationen auszeichne, aber nicht gebührend zur Kenntnis genommen werde. Die Bewertung dieser Beobachtung läßt in ihrer Verallgemeinerung an die Klage über die Verachtung der Muttersprache in den Poetiken denken: Mais quoy? Les singularitez de son propre pais &
royaume sont tousiours moins prisees, principalement en France, que Celles des estrangers. Die Franzosen hätten die Angewohnheit, qu'ils ne trouvent
rien bon (ainsi que nous
avons
dit) s 'il ne vient d'estrange pais, & coute bien eher. Voila le naturel du Franqois, qui en pareil cas prise beaueoup plus les artisants & artifices des nations estranges, que ceux de sa patrie, iagoit qu'ils soient tresingenieux & excellents.75 Die produktive Nachahmung der Vorbilder ist bei De l'Orme mit der Lizenz für Neuerungen verbunden. Die Verbindlichkeit der antiken Architekturtradition ist nicht nur durch die Vielfalt der theoretischen Erörterungen und der antiken Bauten selbst fragwürdig, die der Architekt bei seinen Bauaufnahmen in Rom festgestellt hatte und die Festlegung einer Einheitsnorm unmöglich machen. Wie für Du Beilay wird die Verbindlichkeit der Antike auch durch den Ruinencharakter Roms brüchig, wenn er angesichts der Zerstörung des antiken Erbes feststellt, que on ne cognoisteraplus Rome ä RomeJb Die regelgerechte Anwendung der Säulenordnungen bleibt zwar kanonisch, ist aber im Sinne der Begründung einer nationalen Tradition entwicklungsfähig. So legitimiert De l'Orme den Entwurf einer colonne frangoise. Er begründet ihn materiell daraus, daß das Steinvorkommen in der patrie nur die Herstellung zusammengesetzter Säulenschäfte ermögliche, deren Fugen durch Bänder kaschiert werden sollen. Sein 74 De l'Orme, 1567, Epistre dedicatoire (unpag.); zum Traktat und zum Kontext Kruft, 1995, p. 133-138 und McGowan, 2000, p. 137-143. 75 A.a.O., fol. 27. 76 A.a.O., fol. 152v; vgl. auch den Verweis fol. 207v.
I. Die Italienfrage
24
Wunsch, die invention que ie n'avois encores veue ny aux edifices antiques ny aux modernes, ne encores moins dans noz livres d'architecture bevorzugt an Bauten des Königs anzuwenden, belegt aber den der Neuerung zugedachten nationalen und royalistischen Sinngehalt77. De l'Orme verteidigt nochmals ein auf komplizierte Weise ausponderiertes Kräfteverhältnis zwischen Kulturtransfer und nationaler Ideologisierung. Dies begründet sich aus seiner persönlichen Italienerfahrung wie aus der Verpflichtung gegenüber seiner aus Florenz stammenden Protektorin. Im damals aktuellen Umfeld war diese Position beim Erscheinen des Traktats allerdings bereits nachhaltig gefährdet. Denn unter den Nachfolgern Franz' I. verschob sich das Kräfteverhältnis zugunsten anti-italienischer Ressentiments. Sie sind bereits unter der Regierung von Heinrich II. (1547-1559) nachweisbar und verschärften sich noch während der späteren Religionskriege. Die Ressentiments speisten sich aus der ökonomischen Konkurrenz mit italienischen, vor allem in Handel und Bankwesen tätigen Einwanderern sowie aus neu aufkommenden, von nationalen Stereotypen geprägten Vorurteilen. Aufgrund eines anti-machiavellistischen Affekts machten zudem zumindest Teile der politischen Führungseliten Frankreichs in der italienischen Staatenwelt einen Hort gewissenloser Realpolitik aus78. Berühmt gewordene Zeugnisse des gewandelten geistigen Klimas sind die in den Jahren nach 1570 erschienenen Polemiken von Henri Estienne. In seinen Pamphleten erhob der kalvinistische Drucker gegen einzelne Dichter den Vorwurf heidnischer Antikennähe und in einer satirischen Dialogfolge wandte er sich gegen Italianismen in der französischen Sprache, für die er den H o f verantwortlich machte. Er schürte das xenophobe Ressentiment, indem er zu beweisen sucht, daß die Korrumpierung der Muttersprache dem Verfall der Sitten Vorschub leiste. Das Programm der Deffence de la langue franqoise von Du Beilay hatte sich bei Estienne dahingehend gewendet, die Precellence du langage frangois - so der Titel eines Traktats von 1579 - zu behaupten 79 . Jacques Androuet du Cerceau hat in seinem 1559 erschienenen Livre d'architecture in der Widmung an Heinrich II. deutlich ausgesprochen, er wolle mit der Publikation des Lehrbuchs der Berufung ausländischer Künstler ein Ende setzen80. Seine nach 1576 veröffentlichten Darstellungen königlicher und adeliger Schlösser in den Stichfolgen der Bastiments de France markierten nicht nur den Beginn einer neuen Gattung von Bauaufnahmen zeitgenössischer Architektur. Angesichts der Zerstörungen während der Bürgerkriege dokumentieren sie auch das künstlerische Erbe des Landes, zudem haben sie mit der Würdigung der königlichen und adeligen Bauherren anstelle der Baumeister einen durchaus staatstragenden Charakter 81 .
77 A.a.O., fol. 156v (Zitat), 2 1 8 v - 2 2 1 . 78 Zu den unterschiedlichen Aspekten Lionello Sozzi, La polemique anti-italienne en France au 16e siecle, in: Atti della Accademia delle scienze di Torino 106 (2), 1972, p. 9 9 - 1 9 0 ; Enea Baimas, U n poeta del rinascimento francese. Etienne Jodelle. La sua vita-il suo tempo, Florenz 1962, p. 1 0 5 - 1 1 0 ; Balsamo, 1992; Dubost, 1997, p. 3 0 7 - 3 2 9 ; E d m o n d M . Beame, T h e use and abuse of Machiavelli: T h e sixteenth-century french adaption, in: Journal of the History of Ideas 42, 1982, p. 3 3 - 5 4 ; jüngst Schleier, 2003. 79 Vgl. Estienne, Ed. 1980. 80 D u Cerceau, Ed. 1965, Epistre (unpag.). 81
Katharina Krause, Les plus excellents Bastiments de France. Architekturgeschichte in den Stichwerken des Ancien Regime, in: architectura 25, 1995, p. 2 9 - 5 7 , hier p. 3 0 - 3 8 .
2. Renaissancerezeption und nationale Ungeduld
25
Diese Strategien finden einen deutlichen Niederschlag im Profil der Kunstpatronage Heinrichs II. Der König führte mit einheimischen Architekten und Malern die Unternehmungen Franz' I. in Fontainebleau und am Louvre fort, wo eine Bauinschrift diepietas des Sohnes gegenüber dem Vater würdigte82. Unter Heinrich II. läßt sich aber ein geradezu dramatischer Rückgang der Berufung italienischer Künstler verzeichnen. Ihm steuerte auch seine Ehefrau Katharina de'Medici nicht entgegen und er hielt auch unter den Nachfolgern an. Im Jahr 1552 wurde noch Niccolö dell'Abbate (c.1512-1571) nach Fontainebleau zur Fortführung der Innendekorationen berufen. Mit Prospero Fontana (1512-1597), der möglicherweise im Todesjahr Heinrichs II. nach Frankreich gelangte, kam dann nur für einige Jahre ein weiterer Maler an den Hof. Das von der Königinwitwe initiierte Vorhaben eines Reiterdenkmals für Heinrich II., der 1559 seinen Verletzungen nach einem Turnierunfall erlegen war, gelangte nicht zur Vollendung. Nach einem Entwurf Michelangelos führte Daniele da Volterra nur die Figur des Pferdes für das Monument aus (Abb. 5). Nach dem Tod Danieles im Jahr 1567 wandte sich Katharina de'Medici dann an Herzog Francesco I de'Medici nach Florenz, um Giambologna für den Auftrag zu gewinnen. Bei ihrem entfernten Cousin stieß sie allerdings auf taube Ohren, da der Herzog nicht gewillt war, seinen damaligen Protege freizustellen. Seine Allianz mit Habsburg ließ eine solche Unterstützung auch nicht als opportun erscheinen. Erst auf Betreiben Richelieus gelangte das Bronzeroß 1622 nach Paris, wurde dort mit der Reiterstatue Ludwigs X I I I . komplettiert und auf der Place des Vosges aufgestellt83. Nachdem bereits der Guß des Marc Aurel nicht zustande gekommen war, blieb das Reiterdenkmal für einen französischen König ein Desiderat, das erst Maria de'Medici unter grundsätzlich ähnlichen, aber am Ende aussichtsreicheren Auftragsbedingungen einlösen konnte (Abb. 6). Anhand einer insgesamt dürftigen Uberlieferung, die sich vor allem auf Vasari zu stützen hat, wird erkennbar, daß sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts verstärkt wieder der Hochadel für italienische Künstlerberufungen engagierte. Über den Florentiner Kaufmann Francesco Sertini, der anscheinend plante, auch Vasari selbst an den Pariser Hof zu vermitteln, gelangte schließlich Francesco Salviati (1510-1563) aus Rom nach Frankreich. Er führte für den Kardinal Charles de Guise in den Jahren von 1556 bis 1557 eine Freskenausmalung im Schloß von Dampierre aus84. Gleichermaßen zerstört ist die Gruppe von Marmorstatuen, die der Florentiner Bildhauer und Architekt Giovan Vincenzo Casali 1571 im Auftrag des Bischofs von Emprun in der dortigen Bischofskirche ausführte. Laut Vasari habe der damalige französische Gesandte in Rom, der Due de Guise, versucht, Taddeo Zuccari für einen Auftrag in Frankreich zu gewinnen; mit diesem Ansinnen habe sich auch der Kurienkardinal Tournon an den Bildhauer Giovanni Angelo Montorsoli gewandt85. In der Zeit der Religionskriege ging das Volumen der Kunstaufträge des Hofes wie auch des Hochadels immens zurück. Die militärisch geführten Konflikte brachen 1562 offen
82 Die Inschrift ist überliefert bei D u Cerceau, Ed. 1995, p. 33. 83 Antonia Boström, Daniele da Volterra and the equestrian monument to Henry I I of France, in: B u r lington Magazine 137, 1995, p. 8 0 9 - 8 2 0 ; Erben, 1996a, p. 319f.; Köstler, 2003, p. 64f.; vgl. auch die Würdigung bei Frigelius, 1656, p. 160 f. 84 Vasari, Ed. 1568, Bd. V I I , p. 10, 33f., 38; Ausst. Kat. „Francesco Salviati ( 1 5 1 0 - 1 5 6 3 ) ο la Bella Maniera", Mailand 1998, bes. Nr. 65, 66. 85 Vasari, Ed. 1568, Bd. V I I , p. 86; Bd. V I , p. 635.
I. Die Italienfrage
26
Abb. 5
Reiterdenkmal Heinrichs II. Stich von Antonio Tempesta nach dem Projekt Danieles da Volterra.
aus. Über die Religionskontroversen hinaus waren die Kriege ein Bürgerkrieg zwischen den verschiedenen Parteien des Landes, ein Verteidigungskrieg nach außen und schließlich ein Entscheidungskampf um die Alternative zwischen monarchischem Flächenstaat und einem Verband weitgehend selbständiger Herrschaftsbezirke 86 . Heinrich IV. (1589-1610) gelang es, diese Konfliktfelder nach der Krönung und nach seinem Einzug in Paris in kurzer Frist bis zur Jahrhundertwende im Sinne der königlichen Zentralgewalt zu bereinigen. Der Ausschaltung des ligistischen Adels folgte 1598 der Ausgleich mit den Hugenotten im Edikt von Nantes und der Friedensschluß mit Spanien in Vervins. Nachdem der Begründer des Hauses Bourbon 1593 endgültig zum Katholizismus konvertiert und ihm zwei Jahre später von Papst Klemens VIII. die Absolution erteilt worden war 87 , heiratete er nach Maßgabe des religiösen und dynastischen Kalküls im Jahr 1600 Maria de'Medici (1573-1642), die Tochter von Francesco I de'Medici. Die Konsolidierung der Zentralmacht und die dynastische Verbindung nach Florenz eröffnete nicht nur eine neue Konjunktur in der Auftraggebertätigkeit des Hofes, sondern bedeutete auch für die Kunstbeziehungen nach Italien einen Neubeginn.
86 Vgl. die Epochenübersicht von Garrisson, Royaute, renaissance, reforme, 1991, op. cit. 87 Siehe hierzu auch unten, Kap. IV,1, bei Anm. 8.
3. Kunstpatronage
des Hofes
27
3. Kunstpatronage des Hofes: Von Maria de'Medici bis Mazarin Man ist geneigt, die wiedergewonnene Souveränität des Königtums mit derjenigen der Künste unter Heinrich IV. in Parallele zu setzen. Souveränität meint hier einen Gestaltungswillen, für den der König persönlich die Verantwortung übernahm und der auf die Repräsentation der monarchischen Zentralgewalt bezogen war. In einem vorher weder möglichen noch gewünschten Maß widmete sich Heinrich IV. der urbanistischen Erneuerung von Paris und dem Ausbau der dortigen Königsresidenz 88 . Während der vergleichsweise kurzen Regierungszeit wurde das urbanistische Programm in einem überraschenden Umfang realisiert: Es entstanden neben dem Pont Neuf, monumentalen Stadtbrunnen sowie dem Höpital de Saint-Louis die beiden Places Royales auf der lie de la Cite und im Marais, während ein weiterer Königsplatz im Faubourg Saint-Antoine Projekt blieb. Der Ausbau des Louvre erstreckte sich vor allem auf die Flügelbauten zur Schließung des Areals zwischen dem Schloß, an dem seit Franz I. mit Unterbrechungen weitergebaut worden war, und den unter Katharina de'Medici ab 1564 entstandenen Tuilerien. Ebenso überraschend wie die Zielstrebigkeit, mit der diese Unternehmungen ins Werk gesetzt wurden, bleibt deren eigenständiger Charakter. Die Hinzuziehung ausschließlich einheimischer Architekten und Künstler sowie die maßgebliche Rolle, die der König selbst als Ideengeber bei den Planungen spielte, scheinen geradezu programmatische Anliegen gewesen zu sein. Nach den jahrzehntelangen innenpolitischen Wirren konnten sie den Nachweis für nationalen Integrationswillen wie auch für die königliche Selbstbestimmung erbringen. Es fügt sich in dieses Bild, daß sich Maria de'Medici zu Lebzeiten Heinrichs IV. als Auftraggeberin völlig im Hintergrund hielt. Sie trat erst mit dem Beginn ihrer Regentschaft im Jahr 1610 hervor und öffnete dann ihre Kunstpolitik nach außen89. Hinsichtlich der Orientierung auf das Kunstgeschehen in ihrer Heimatstadt profitierte die Königin von der nunmehr Frankreich zugewandten Politik des Großherzogs in Florenz. Ihre Vorgängerin Katharina de'Medici hatte noch wegen des bedingungslosen spagnolismo des damaligen Großherzogs Francesco und dessen Allianz mit dem habsburgischen Oberlehensherrn der Toskana keinerlei Vorteile aus den dynastischen Beziehungen. Dies änderte sich unter Ferdinando I de'Medici (1587-1609) und seinen Nachfolgern, die sich außenpolitisch Frankreich annäherten90. Ähnlich günstig stellten sich die Verhältnisse in Mantua dar, dem zweiten für Maria de'Medici wichtigen Zentrum ihrer Italienbeziehungen. Dort hatte Vincenzo Gonzaga (1587-1612) nicht nur die Kulturpatronage seiner Vorfahren wiederbelebt. Er und sein Nachfolger Ferdinando betrieben auch eine für die Königin vorteilhafte Politik des Lavierens zwischen Habsburg und Frankreich. Es gehört zu den Eigentümlichkeiten
88 Grundlegend zum folgenden Ballon, 1997 sowie mit Schwerpunkt auf den Bildkünsten unter H e i n rich IV. Les Arts au temps d'Henri IV. Colloque de Fontainebleau organise par l'Association Henri I V 1989 et le Musee National du chateau de Fontainebleau, Biarritz 1992. 89 Zu Maria de'Medici Marrow, 1982 und Mamone, 1988. 90 Zur Kunstpolitik Ferdinandos de'Medici vgl. Erben, 1996a; Christina Struck, Zwischen David und Augustus: R o m und Florenz in der Selbstdarstellung von Großherzog Ferdinando I. de'Medici, in: Henry
Keazor
ed., F l o r e n z - R o m :
Zwischen
Kontinuität
und
Konkurrenz,
Münster
1998,
p. 1 0 3 - 1 3 7 ; Ausst. Kat. „II sogno di un cardinale. Collezioni e artisti di Ferdinando de'Medici", R o m 1999.
28
I. Die Italienfrage
der von Maria de'Medici betriebenen Berufungen von flämischen Künstlern, daß sie über den Mantuaner Hof zustande kamen. Eine erste Initiative Marias de'Medici erfolgte noch zu Lebzeiten Heinrichs IV. im Zusammenhang mit dem Reiterdenkmal des Königs für den Pont Neuf (Abb. 6). Das Monument dürfte schon ein integraler Bestandteil der Planung für die Place Dauphine gewesen sein, und es gibt keinen Anlaß, in Maria de'Medici die eigentliche Auftraggeberin des Werks zu sehen91. Wahrscheinlich steht bereits die Berufung des flämischen, in Italien ausgebildeten Bildhauers Pietro Francavilla (1548-1615) zu Beginn des Jahrhunderts in Zusammenhang mit dem Auftrag, dessen Verwirklichung zunächst allerdings nicht vorankam. Maria de'Medici war anfangs nur als Vermittlerin tätig, als sie sich - wohl im Lauf des Jahres 1604 - mit einem Brief an Ferdinando I nach Florenz wandte und ihn bat, ihr die Pferdefigur seines eigenen, für die Piazza SS. Annunziata geplanten Monuments zu überlassen. Obwohl sie ihrem Onkel mit der Bemerkung schmeichelt, es sei für ihn eine kurzweilige Angelegenheit seiner Mußestunden, bei seinem Hofbildhauer Giambologna einen Ersatz zu bestellen, erklärte sich der Großherzog zu der Transaktion nicht bereit. Er bot an, eine Replik der Figur als Geschenk herstellen zu lassen, die dann bis 1607 fertiggestellt wurde. Nach dem Tod Giambolognas im Jahr 1608 übernahm Pietro Tacca (1548-1615) den Auftrag, die Reiterstatue wurde 1612 vollendet und gelangte zwei Jahre später nach Paris. Dort wurden die vier, vom Standbild des Ferdinando de'Medici in Livorno adaptierten Sklavenfiguren und die Historienreliefs am Postament von Francavilla begonnen und nach dessen Tod 1615 von dessen Mitarbeiter Francesco Bordoni vollendet 92 . Das Projekt des Monuments reiht sich nahtlos in jene Gruppe von Reiterdenkmälern ein, mit denen die europäischen Höfe in den Jahren um 1600 von Florenz aus beliefert wurden. Nachdem das Denkmal für Heinrich II. (Abb. 5) nicht zustande gekommen war, handelte es sich beim Monument auf dem Pont Neuf um das erste Reitermonument auf einem öffentlichen Platz in Frankreich. Dabei fungiert es als Blickfang für die Place Dauphine an der Spitze der Seineinsel wie als Brückenmonument. Die Besonderheit der Aufstellung auf der neuen Hauptbrücke über die Seine, die anders als die älteren Brücken erstmalig ohne Häuserbebauung blieb, erklärt sich nicht aus den modernen Florentiner Vorbildern. Vermutlich hat sich in Frankreich die Erinnerung an eine Statuenstiftung für Karl VIII. in Pisa anläßlich seines Italienzuges im Jahr 1494 bewahrt, von der Philippe de Commynes in seinen Memoiren berichtet. Demnach hätten die Pisaner die Absicht gehabt, dem König bei der Öffnung der Stadt eine über den Marzocco hinwegsprengende Reiterstatue aus Bronze auf dem Ponte di Mezzo aufzustellen, nachdem sie die dort angebrachte Figur des Marzocco als Sinnbild der Herrschaft von Florenz über die Stadt regelrecht im Arno liquidiert hatten 93 . Das durch die Hofhistoriographie überlieferte Pisaner Projekt vermittelt vermut-
91 I.d.S. M a r r o w , 1982, p. 9f. und Ballon, 1997, p. 124. 92 Neben der in der vorigen A n m . genannten Literatur ausführlich Katherine Watson, Pietro Tacca, Successor to Giovanni Bologna, N e w Y o r k - L o n d o n 1983, p. 187-226. 93 C o m m y n e s , Ed. 1559, p. 199; die erste vollständige Edition erschien 1552, die A u s g a b e von 1559 bildet den Anhang zu den von dem Hofhistoriographen Heinrichs II., Denis Sauvage, herausgegebenen Annales et chroniques de France, Paris 1560. Eine weitere Pisaner Quelle zu dem M o n u m e n t von 1494 berichtet, daß für dessen A u s f ü h r u n g Matteo Civitali und der Bronzebildhauer Francesco da Marti aus Lucca berufen w e r d e n sollten, publiziert bei Enrico Ridolfi, L'arte in Lucca studiata nella sua cattedrale, Lucca 1882, p. 359.
3. Kunstpatronage des Hofes
Abb. 6
29
Reiterdenkmal Heinrichs IV. auf dem Pont Neuf. A n o n y m e r Stich.
lieh bereits die antike Tradition der Aufstellung eines Reiterdenkmals auf einer Brücke. Sie ist durch die Münzüberlieferung belegt, auf mehreren Denaren aus republikanischer Zeit ist der Ensemblezusammenhang von Brücke und Reiterstatue dargestellt. Etienne Duperac und Pirro Ligorio haben in ihren Rom-Plänen den zum Hadriansmausoleum führenden Pons Aelius mit zahlreichen Statuen rekonstruiert 9 4 . So erweist sich das Denkmalprojekt auf dem Pont Neuf typologisch einerseits als Aneignung der italienischen Vorbilder, von denen es sich andererseits aber gleichzeitig emanzipiert. Hinsichtlich der Auftragssituation erfüllt es eine Scharnierfunktion zwischen der Kunstpatronage Heinrichs IV. und derjenigen Marias de'Medici. Bekanntlich orientierte sich Maria de'Medici bei ihren Künstlerberufungen keineswegs ausschließlich nach Italien. Erinnert sei nur an die 1609 ergangene Berufung von Frans Pourbus d.J. ( 1 5 6 9 / 7 0 - 1 6 2 2 ) als Hofmaler. Peter Paul Rubens ( 1 5 7 7 - 1 6 4 0 ) erteilte sie im 94 Dazu Howard Burns, Pirro Ligorio's reconstruction of ancient R o m e : T h e Antiquae
Urbis
Imago
of 1561, in: R o b e r t Gaston ed., Pirro Ligorio: Artist and Antiquarian, Mailand 1988, p. 1 9 - 9 2 , hier p. 28 f.; zu den späteren Wirkungen dieser Rekonstruktion vgl. Ballon, 1999, p. 36; Johannes Tripps, Berlin als R o m des Nordens: Das Stadtschloß im städtebaulichen Kontext, in: Pantheon 55, 1997, p. 1 1 2 - 1 2 5 , hier p. 116 f.; Werner Oechslin, Bildungsgut und Antikenrezeption des frühen Settecento in R o m . Studien zum römischen Aufenthalt Bernardo A n t o n i o Vittones, Zürich p. 1 8 - 2 1 ; zur Engelsbrücke siehe unten, Kap. 11,2 bei A n m . 97.
1972,
30
I. Die
Italienfrage
Jahr 1622 den Auftrag für die beiden Gemäldefolgen zu ihrem eigenen Leben und zu den Taten ihres verstorbenen Ehemanns, die für den Witwensitz des Palais du Luxembourg bestimmt waren. Gleichwohl kamen diese Berufungen über Mantua zustande, w o beide Maler im Dienst des Markgrafen und seiner Frau Eleonora, der Schwester Marias, in den Jahren von 1604 bis 1605 gleichzeitig tätig gewesen waren. Rubens hielt sich zudem bei der am 5. Oktober 1600 in procura geschlossenen Heirat Marias de'Medici und den anschließenden Hochzeitsfeierlichkeiten in Florenz auf 95 . Mit der Innenausstattung des Palais du Luxembourg verbindet sich auch der umfangreichste Auftrag, den Maria de'Medici italienischen Künstlern erteilt hat. Die Baugestalt der Witwenresidenz, die von Salomon de Brosse ab 1615 errichtet wurde, sollte nach dem Willen der Königin das Vorbild des Palazzo Pitti in Florenz übernehmen. Bereits 1611 wandte sie sich an ihre Tante Christina von Lothringen mit der Bitte um eine Bauaufnahme des Florentiner Baus: Sie plane ihre eigene maison in Paris und wolle sich dabei sur la forme et le modelte du Palais de Piti (lequelj'ay tousjours estime pour l'ordre de son architecture et grandes commoditez quiy sont) stützen 96 . Die typologische Verwandtschaft und Vorbildhaftigkeit des Florentiner Palastes, der unter Cosimo I de'Medici als Nebenresidenz für die Herzogin ausgebaut worden war, für die Witwenresidenz in Paris war späteren Betrachtern umstandslos geläufig. Der italienische Reisende Lorenzo Magalotti hat sie 1668 konstatiert, um dann allerdings die Mängel der Pariser Anlage hervorzuheben 97 . Der Anspruch der Bauherrin, über die Wahl des architektonischen Vorbildes hinaus die Anciennität ihrer Herkunft sichtbar zu machen, bildet sich an den Fassaden wohl am eindrücklichsten durch die ungewöhnliche Superposition der im Erdgeschoß versetzten und auf das Herkunftsland der Besitzerin verweisenden toskanischen Ordnung, der mittleren Dorica und der für die Funktion des Baus als Villa suburbana angemessenen oberen ionischen Ordnung ab98. Er wurde im Cabinet Dore auch zum Programm der Innenausstattung. Maria de'Medici bestellte bei Florentiner Malern einen zehnteiligen Gemäldezyklus, in dem die Tradition der politischen Beziehungen zwischen den Herzögen und Päpsten der Medici-Familie mit dem Pariser Hof zum Thema gemacht wird. Die Gemäldefolge wurde bis 1627 in dem Verbindungsraum zwischen Paradeappartement und Privatgemächern installiert 99 . Mit Domenico Passignano und Jacopo Ligozzi waren die bedeutendsten Florentiner Maler der Zeit an der Ausführung des Bildzyklus beteiligt. Mehrere Gemälde widmen sich den Eheschlie-
95 Vgl. die Beiträge in Mina Gregori ed., Rubens e Firenze, Florenz 1983 sowie immer noch instruktiv insbesondere zum flämischen Anteil Rene Crozet, La vie artistique en France au XVIIe siecle, Paris 1954. 96 Brief von 1611 zit. nach Marrow, 1982, p. 97; vgl. Ausst. Kat. „Marie de Medicis et le Palais du Luxembourg", Paris 1991; zum Ausbau des Palazzo Pitti ab 1550 durch Ammannati Michael Kiene, Bartolomeo Ammannati, Mailand 1995, p. 8 8 - 1 0 7 . 97 Magalotti, Ed. 1991, p. 4 6 - 4 8 . 98 Zu diesem bereits im 18. Jahrhundert bei Henri Sauval und Dezallier d'Argenville angelegten Verständnis der Superposition Perouse de Montclos, 1982, p. 7 2 , 2 3 4 f. 99 Die Mehrzahl der Gemälde gelangte später in den Besitz des Earl of Elgin nach Bloomhall, Fife; zu ihrer Wiederentdeckung A n t h o n y Blunt, A series of paintings illustrating the history of the Medici family executed for Marie de Medicis, in: Burlington Magazine 109, 1967, p. 4 9 2 - 4 9 8 , 562-566; vgl. auch Marrow, 1982, p. 3 3 - 3 9 und Mamone, 1988, bes. p. 4 4 - 5 6 und jüngst Christina Strunck, Bilderdiplomatie zwischen Palazzo Vecchio und Palais du Luxembourg. Die Frankreichkontakte Leos X. in Darstellungen des Cinque- und Seicento, in: Tewes/Rohlmann, 2002, p. 547-589.
3. Kunstpatronage des Hofes
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ßungen der Medici mit Angehörigen von Königsdynastien. Ein Gemälde zeigt die Rangerhöhung der Toskana zum Großherzogtum 1569 unter Cosimo de'Medici, während ein weiteres die Begegnung zwischen Leo X . Medici und Franz I. in Bologna darstellt. Insgesamt unterstreicht die Wahl der Bildthemen die Ebenbürtigkeit des Fürstenhauses der Königin mit dem der französischen Monarchen. Eine für die künstlerischen Beziehungen jener Jahre höchst signifikante Kontroverse ereignete sich im Zusammenhang mit dem Auftrag an Rubens für die beiden Maria de'Medici und Heinrich IV. gewidmeten Historienzyklen. Nachdem der Vertrag für die Gemäldefolgen bereits geschlossen war und Rubens mit der Arbeit an der Medici-Galerie begonnen hatte, intervenierte Richelieu, um für die Ausführung des Heinrichs-Zyklus Guido Reni zu gewinnen. Der Aufstieg von Kardinal Richelieu (1585-1642) hatte sich während der Regentschaft Marias de'Medici vollzogen, ein Jahr vor deren Ende wurde ihm noch 1616 die Mitgliedschaft im Staatsrat erteilt, bevor er 1624 zum ersten Minister Ludwigs X I I I . (1617-1643) ernannt wurde. Im August 1623 wandte er sich an seinen italienischen Kunstagenten Des Roches, um zu sondieren, ob Reni für den Auftrag zu gewinnen wäre100. Der Versuch der Anwerbung zog sich über die folgenden Jahre hin. Rubens nahm 1626 mit
Befremden zur Kenntnis, che le pitture de la seconda galeria della regina non ostante il contratto mio siano allogate ad un pittore italiano.m Eigentümlicherweise hat sich Maria de'Medici zeitweilig der Option für Reni angeschlossen. Als sich abzeichnete, daß der Maler aber nicht bereit war, in den Auftrag einzuwilligen, wurden von Kardinal Bernardino Spada ersatzweise Guercino und der Cavaliere D'Arpino vorgeschlagen.
Der Vorstoß Richelieus zugunsten von Reni bleibt bis zu einem gewissen Grad eigensinnig und rätselhaft. Eine Geringschätzung des Werks von Rubens dürfte keine Rolle gespielt haben, denn der Kardinal hat auch für seine eigene Sammlung Gemälde des Malers angekauft 102 . Offenbar ging es um tiefer liegende politische Erwägungen, für die sich ein italienischer, vor allem aber ein in vieler Hinsicht weniger exponierter Maler als Kompromißkandidat anbot. So dürfte die Initiative Richelieus zunächst von dem Motiv geleitet worden sein, die Autorität über das Programm des Heinrichs-Zyklus zu gewinnen, nachdem absehbar war, daß die Maria de'Medici gewidmete Bildfolge eine Apologie auf deren Regierung darstellte. Hinzu kam wohl ein grundsätzlicher Vorbehalt gegen die diplomatische Tätigkeit von Rubens, die 1622 begann und danach zeitweilig zu seinem Hauptberuf geworden war. Ein auf der diplomatischen Bühne agierender Maler war für den Kardinal schwer mit seinem professionellen, nach seiner Sicht aus der raison begründetem Verständnis vom Politiker vereinbar. In seinem Testament politique hat er für klare Kompetenzzuweisungen plädiert und festgestellt, daß der Staat nicht Gelehrte, sondern folgsame
100 Vgl. die grundlegende Dokumentation zum Medici-Zyklus von Jacques Thuillier/Jacques Foucart, L e storie de Maria de' Medici di Rubens al Lussemburgo, Mailand 1967; aus der neueren Literatur vgl. nur Martin Warnke, Laudando Praecipere. D e r Medicizyklus des Peter Paul Rubens, in: ders., N a h und Fern zum Bilde. Beiträge zu Kunst und Kunsttheorie, ed. Michael Diers, Köln 1997, p. 1 6 0 - 1 9 9 (zuerst 1994) sowie O t t o von Simson, Peter Paul Rubens ( 1 5 7 7 - 1 6 4 0 ) . Humanist, Maler und Diplomat, Mainz 1996, p. 2 2 9 - 2 8 5 . 101
Brief von Rubens am 12. Febr. 1626 an Valavez; Pietro Paolo Rubens, Lettere italiane, ed. Irene Cotta, R o m 1987, Nr. 62.
102 Vgl. H o n o r Levi, Richelieu collectionneur, in: Roland Mousnier ed., Richelieu et la culture ( K o n greßakten Paris 1985), Paris 1987, p. 1 7 5 - 1 8 4 , hier p. 178.
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I. Die
Italienfrage
Techniker brauche 103 . Schließlich stand Rubens als flämischer Untertan Spaniens - im Juni 1624 wurde er in den spanischen Adelsstand erhoben - schlicht auf der falschen Seite. E r war in seinen politischen Loyalitäten suspekt und angesichts der erneut zugespitzten Frontlage mit Spanien in der ersten Phase des Dreißigjährigen Kriegs nicht opportun. Richelieu hat sich in dieser Einschätzung nicht getäuscht, denn offenbar galt Rubens' persönliche Verbundenheit Olivares, dem Minister Philipps IV. von Spanien und lebenslangem Gegenspieler Richelieus 104 . Eine solches von entschiedener politischer Zugehörigkeit bestimmtes Verhältnis zwischen Auftraggeber und Künstler erweist sich insgesamt als seltener Fall. Das Beispiel der Berufungen von Rene d'Anjou hat gezeigt, daß die Künstler hier nicht besonders wählerisch waren. D o c h belegt ein aus Paris ergangener Gemäldeauftrag an Luca Giordano ( 1 6 3 4 - 1 7 0 5 ) eine gesteigerte Relevanz dieser Frage im Kontext des französisch-spanischen Gegensatzes, wie sie auch für die Beziehung zwischen Richelieu und Rubens bestimmend war. Giordano, seinerzeit in Neapel ansässig und somit spanischer Untertan, hatte bereits von französischer Seite eine Anzahlung für ein Gemälde angenommen, dann aber den Auftraggeber hingehalten, indem er den Preis in die H ö h e trieb und die Ausführung des Bildes hinauszögerte. Schließlich hat er sich des Auftrags ganz entledigt, da er ihm mit seiner Verpflichtung gegenüber dem spanischen König und dem Vizekönig in Neapel als nicht vereinbar erschien 105 . Bei allen Hindernissen und Widerständen folgte die bislang geschilderte Kunstpolitik von Maria de'Medici im Hinblick auf die Außenbeziehungen traditionellen Bahnen. Die Künstlerberufung wie die auswärtig orientierte Auftragsvergabe bewegte sich innerhalb etablierter Strukturen. Dies soll aber nicht verkennen lassen, daß sich die herausragenden Aktivitäten in einem gänzlich gewandelten Umfeld vollzogen, das seinerseits zu Neuerungen in der Gestaltung der Kunstbeziehungen herausforderte. Maria de'Medici schlug diesen Weg mit der Vergabe königlicher Stipendien für Künstleraufenthalte in Italien ein. Sie reagierte damit auf die Wanderungen von Künstlern aus den Ländern nördlich der Alpen nach Italien. Die Wellen der Migration - sei es Reise, zeitweilige Niederlassung oder Auswanderung - , die in den Jahrzehnten um 1600 einen ersten Höhepunkt erreicht hatten, sind in ihren gesamteuropäischen Verläufen bislang nur in Umrissen beschrieben und in ihren Voraussetzungen nur vage erklärt 106 . Für Frankreich bildete eine Gruppe von Verlegern
103 Testament politique de Richelieu, ed. Frangoise Hildesheimer, Paris 1995, bes. das Kapitel Du conseil du prince, p. 211-239. 104 Mit Hinweis auf Rubens hierzu John H. Elliott, Richelieu and Olivares (1984), Cambridge u.a. 1991, p. 114. 105 AN, O1 1945, Nr. 5 (Akademierechnungen Dez. 1686): Mais leditpeintre n'ayantpas voulu faire ledit tableau aux prix que le Ρere Spada avoit arreste et ne le faisant meme presentement quand il le voudroit parce que le Viceroy de Naples lefait travaillerpour le Roy d'Espagne oupourluy ne voulant pas qu 'il travaille pour autre personne. Eine Anzahlung war bereits im Oktober 1684 erfolgt, a.a.O., Nr. 4 (1684); weitere Quellen bei Alazard, 1924, p. 97, 142-145. 106 Doch liegt gerade für Frankreich neben der Dokumentation von Bertolotti, 1886 auch die bereits 1951 als These abgeschlossene, erst später publizierte Materialsammlung von Bousquet, 1980 vor. An neueren Arbeiten vgl. Nicole Dacos ed., Fiamminghi a Roma 1508-1608 (= Bollettino d'Arte. Supplemento al n. 100, 1997), Rom 2000; Frits Schölten, Adriaen de Vries, Kaiserlicher Bildhauer, in: Ausst. Kat. „Adriaen de Vries 1556-1626. Augsburgs Glanz - Europas Ruhm", Heidelberg 2000, p. 19-45, hier bes. 20 f.; Thomas Eser, Hans Daucher. Augsburger Kleinplastik der Renais-
3. Kunstpatronage
des Hofes
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und Stechern, der Antoine Lafrery (1512-1577), Claude Duchet ("{"1587), Etienne Duperac (c.1525-1601) und Philippe Thomassin (1562-1622) angehörten, eine Art Vorhut. Sie nahmen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bei der Produktion von Stadtveduten und Reproduktionsstichen beinahe eine Monopolstellung im römischen Stechergewerbe ein. Jacques Callot (c.1592-1635) folgte diesen Auswanderern, als er 1611 über Rom für ein Jahrzehnt an den Florentiner Hof ging. Das Pendel schlug nach der Jahrhundertwende bereits nach Frankreich zurück, als Stefano della Bella (1610-1664) im Jahr 1639 aus Florenz berufen wurde, wo er mit Callot zusammengearbeitet hatte 107 . Neben solchen regelrechten Auswanderungen, die mit der Aussicht auf dauerhafte Arbeitsmöglichkeiten unternommen wurden, kamen auch Ausbildungsreisen auf. Einer der ersten französischen Architekten, der zu einer Studienreise nach Rom aufbrach, war im Jahr 1533 Philibert de l'Orme. U m 1600 hatte sich die Reise nach Italien als biographische Station der Künstler fest etabliert, dabei ist zwischen Studienaufenthalt und Auswanderung im Einzelfall nur schwer zu trennen. Beide Optionen sind für das frühe 17. Jahrhundert in einer bemerkenswerten Gegenläufigkeit beispielhaft von Simon Vouet (1590-1649) und Nicolas Poussin (15941665) vertreten. Während Vouet nach Aufenthalten in London, Konstantinopel und Venedig 1613 in Rom eintraf, dort immerhin über ein Jahrzehnt blieb und sich dann aber doch zur Rückkehr nach Paris im Jahr 1627 entschloß, hatte sich Poussin wenige Jahre vorher, 1624 zeitlebens in Rom niedergelassen. Angesichts der Wanderungsbewegungen waren die französischen Monarchen immer häufiger mit der Situation konfrontiert, französische Künstler, die in Italien lebten, von dort zurückzuholen. Der Versuch, Poussin zu einer dauerhaften Rückkehr zu bewegen, der 1640 zunächst gelungen schien, am Ende aber doch mißglückte, ist dafür nur das bekannteste Beispiel. Bereits 1602 hatte Heinrich IV. den Maler Martin Freminet (1567-1619) für die Dekoration der Kapelle in Fontainebleau aus Rom berufen, w o er mit weiteren Stationen in anderen Städten Italiens eineinhalb Jahrzehnte verbracht hatte. Während eines ebenso langen Aufenthalts hatte dort der Bildhauer Guillaume Berthelot (c.1580-1648) ein umfangreiches Werk hinterlassen, bevor er 1620 zum Hofbildhauer Marias de'Medici ernannt wurde. Maria de'Medici antwortete auf diese gesteigerte Fluktuation der Künstlerschaft mit der Vergabe von Reisestipendien. Sie hat mehrfach zu diesem Mittel gegriffen. So stattete sie 1621 und 1623 die Maler Nicolas Duchesne und Jean Monier mit Reisegeld für Italien aus, um sie dann an den Innendekorationen des Palais du Luxembourg zu beschäftigen 108 . Mit den Pensionen versuchte Maria de'Medici offenbar die Migration der Künstler zu dirigieren. Sie ebnete ihnen einerseits den Weg für das Studium in Italien, verpflichtete sie aber andererseits durch die finanzielle Investition in ihre Ausbildung zur Rückkehr in ihr Heimatland. Die folgende Entwicklung läßt darauf schließen, daß das von Maria de'Medici erstmals systematisch eingesetzte Instrument des Reisestipendiums das Dilemma nicht aufzulösen vermochte, das zwischen der als notwendig zugestandenen Mobilität der Künstler
sance, München 1996, p. 21-27; The Dictionary of British and Irish Travellers in Italy 1701-1800, N e w Haven u.a. 1997. 107 Zusammenfassend McGowan, 2000, p. 148-151; zu den Stechern in Rom Ausst. Kat. „Wege durch Rom. Druckgraphische Veduten aus drei Jahrhunderten", München 1999; zu Deila Bella mit Hinweisen auf Callot Ausst. Kat. „Stefano della Bella 1610-1664", Paris 1998. 108 Hierzu Marrow, 1982, p. 13, 26-28, die die Vergabe von Reisestipendien mit dem Hinweis auf archivalische Quellen als „quite common" bezeichnet.
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I. Die
Italienfrage
und ihrer gleichzeitig angestrebten Kontrolle bestand. Mit der Gründung der Academie de France ä Rome wurde ein erneuter Versuch unternommen, das Problem der divergierenden Erwartungen von mobilen Künstlern und ergebnisorientierten Auftraggebern zu bewältigen. Die Mobilität der Künstler und mit ihr die Situation der Künstlerberufungen hinterlassen von den künstlerischen Beziehungen während der Jahrzehnte bis zur Übernahme der Selbstregierung Ludwigs XIV. im Jahr 1661 ein vielschichtiges, bisweilen schwer überschaubares Bild. Entscheidend bleibt für diesen Zeitraum aber der Sachverhalt, daß sich die künstlerischen Beziehungen zwischen Frankreich und Italien nunmehr fast vollständig auf Paris und Rom konzentrierten. Unter Franz I. hatte Rom vor allem als Reservoir für antike Skulpturen eine Rolle gespielt. Wie ihre Vorgänger auf dem französischen Thron hatte sich auch noch Maria de'Medici an den Fürstenhöfen Mittelitaliens orientiert und sich auf ihre dortigen politisch-dynastischen Beziehungen gestützt. Genau diese äußerst enge Abhängigkeit der künstlerischen Beziehungen von den unmittelbaren politischen Verbindungen lockerte sich in der Folgezeit. Rom gewann einen Rang als Kunstmetropole, deren Bedeutung nun nicht mehr direkt mit den italienischen Interessensphären der französischen Krone in Zusammenhang stand. Freilich blieb der politische Verständigungswille auch weiterhin ein mehr oder minder untergründig bedeutsamer Faktor. Hochrangige private Auftraggeber bewegten sich oftmals freier in diesem Parteiensystem als die obersten Vertreter der Administration von Papsttum und Krone. Die Hinwendung nach Rom hatte vielfältige Gründe. Kaum zu überschätzen bleibt die Tatsache, daß sie von den Künstlern noch vor den politisch Verantwortlichen und auch vor den potentiellen Auftraggebern in Paris vollzogen worden war. Als Avantgarde dieser Bewegung ließ sich nach 1600 eine Gruppe bedeutender französischer Künstler als Auswanderer zeitlebens in Rom nieder. Als ihre Leitfigur kann der Bildhauer Nicolas Cordier (c.1567-1612) gelten, der seit seiner Jugend in Rom ansässig war. Ihm folgte eine Reihe von Malern, die manchmal in Lehrverhältnissen und Werkstattgemeinschaften zusammenarbeiteten, teilweise miteinander verwandt waren und bisweilen Auftragskonsortien bildeten. Nur die wichtigsten Mitglieder aus diesem Kreis italianisierter Maler seien genannt: Valentin de Boulogne (1591-1632), Charles Meilin (c.1587-1649), Nicolas Poussin (15941665), Claude Lorrain (1600-1682), Charles Alphonse Dufresnoy (1611-1668), Gaspard Dughet (1615-1675), Jacques (1621-1676) und Guillaume Courtois (1628-1679). Die Suche nach Ausbildungs- und Studienmöglichkeiten läßt sich als Motiv für die Emigration ebenso nennen wie die Aussicht auf gesteigerte Auftragschancen. Wie sich bei fast allen diesen Malern zeigt, waren auch von Rom aus Kontakte zu Auftraggebern in Frankreich zu knüpfen und aufrecht zu erhalten. Die Auftragssituation zog nicht nur auswärtige Künstler nach Rom, sondern bedeutete auch für die Künstlerberufung einen immens gesteigerten Wettbewerb. Die Kapazitäten des römischen Kunstbetriebs insgesamt, vor allem aber die Einbindung in kontinuierliche Auftragsverhältnisse und Protektionen durch römische Mäzene stellten den Künstlern die Wahl, selbst renommierte auswärtige Aufträge anzunehmen oder abzulehnen. Aus der Perspektive des Pariser Hofes hatte dies zur Folge, daß in der Bilanz der Künstlerberufungen nicht die erfolgreichen Engagements, sondern die Absagen der Künstler den Ausschlag gaben. Unter diesen Vorzeichen stand die Berufungspolitik der Jahrzehnte nach 1630. Ludwig XIII. hat anscheinend niemals versucht, einen italienischen Künstler für den Pariser Hof zu gewinnen. Sein vorrangiges Interesse in den Künsten galt dem Theater, das
3. Kunstpatronage des Hofes
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er durch die Berufung italienischer Musiker und Bühnenbildner förderte. Für mehrere Ballette gab er die Programme vor und war am Entwurf der Bühnenausstattung beteiligt. In diesem Zusammenhang erscheint es als folgerichtig, daß Ludwig X I I I . auf Gian Lorenzo Bernini (1598-1680) erstmals aufmerksam wurde, weil er sich für dessen Theaterdekorationen interessierte und sich 1625 über die Technik einer Bühnenmaschinerie berichten ließ. Danach setzte jenes Tauziehen um den Künstler ein, das erst nach vier Jahrzehnten mit der Berufung Berninis nach Frankreich zum Erfolg führte 109 . Wie bereits bemerkt, hatte Richelieu weder Guido Reni noch die als Ersatz vorgeschlagenen Maler für die Ausstattung des Palais du Luxembourg zu engagieren vermocht. Aufgrund eines gemeinsamen kirchenpolitischen Vorhabens mit Urban VIII. (1623-1644) gelang es ihm aber, beim Papst im Jahr 1637 zu erwirken, daß Bernini eine Büste des Kardinalministers ausführte. Als die Porträtbüste Anfang 1641 in Paris eintraf, mag dies den Entschluß Richelieus befestigt haben, einen italienischen Bildhauer in seine Dienste zu stellen. Noch im gleichen Jahr erfolgte die Einladung an Francesco Mochi (1580-1654). Die Ausführung einer weiteren Büste des Kardinals und seines Standbildes durch den Bildhauer in Rom erwies sich aber für beide Seiten als eine Verlegenheitslösung 110 . Mochi hatte eigentlich gehofft, nach der Vollendung der Veronikastatue für die Vierung von St. Peter und mehrerer Porträtbüsten von Mitgliedern der Familie Barberini Folgeaufträge seitens der Fabbrica di San Pietro und der Barberini zu erhalten, hatte sich in dieser Erwartung allerdings getäuscht. Die engen Beziehungen zu den Barberini hielten sowohl Andrea Sacchi (1599-1661) als auch Pietro da Cortona (1597-1669) in Italien. Sie wurden 1640 bzw. 1641 nach Paris eingeladen111. In diese Zeit fällt auch die Rückberufung von Poussin und Frangois Duquesnoy (1597-1643) nach Frankreich. Duquesnoy, seit 1618 in Rom ansässig, wurde im Oktober 1639 der Titel eines Sculpteur du Roy verliehen, die Verhandlungen um seine Einladung führte in Rom Paul Freart de Chantelou. Doch der aus Brüssel stammende Bildhauer starb auf der Reise nach Frankreich in Livorno 112 . Unter Kardinal Jules Mazarin (1602-1661) kam es zu einer vordem weder intendierten noch praktizierten Verdichtung der Kunstbeziehungen nach Italien. Nach Aufenthalten als Nuntius am Pariser H o f in den Jahren 1632 und neuerlich von 1634 bis 1636 wurde er 1642 zum Kardinal ernannt und regierte vom darauffolgenden Jahr bis zu seinem Tod als Kardinalminister unter Anne d'Autriche (1601-1666) 1 1 3 . Das Prinzip der Akkumulation bestimmte primär das Zustandekommen der Kunstsammlung Mazarins, deren Umfang das Nachlaßinventar mit mehr als dreihundertfünfzig antiken Skulpturen und mehr als sechshundert Gemälden bezifferte, von denen über die Hälfte von italienischen Malern stammte. Mazarin nutzte mehrfach die Gelegenheit, geschlossene Sammlungskomplexe 109 Siehe hierzu unten, Kap. 11,1 bei Anm. 6; zur Musikförderung Ludwigs X I I I . vgl. Anthony, 1997, bes. p. 20 f., 45-52. 110 Ausst. Kat. „Francesco Mochi 1580-1654", Florenz 1981, p. 84, 134. 111 Vgl. Benedicte Gady, Una gloria senza fortuna: Pietro da Cortona e la Francia (1628-1669), in: Ausst. Kat. „Pietro da Cortona 1597-1669", Mailand 1997, p. 153-163. 112 Bellori, 1672, p. 278 f. 113 Als neuere Biographien über Mazarin vgl. Geoffrey Treasure, Mazarin. The crisis of absolutism in France, London-New York 1995 sowie die monumentale Darstellung von Madeleine LaurainPortemer, Une tete ä gouverner quatre empires. Etudes Mazarines II, Paris 1997; grundlegend zur Kunstpolitik bleiben die Beiträge von Laurain-Portremer, in teilweise gekürzter Fassung zusammengestellt in dies., Etudes mazarines, Paris 1981.
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I. Die
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aufzukaufen, unter ihnen befand sich auch die während der englischen Revolution veräußerte, für ihren Bestand an italienischen Meistern berühmte Sammlung Karls I. Bereits die Zeitgenossen haben der schieren Bildermenge in der Sammlung Mazarin die exklusive Qualität der mit italienischen Gemälden ausgestatteten Galerie von Louis Phelypeaux de La Vrilliere gegenübergestellt 114 . Neben den Engagements zahlreicher Musiker und Komponisten hatte Mazarin bei den Künstlerberufungen aus Italien vor allem Erfolge in den verschiedenen Sparten der angewandten Künste. Giacomo Toreiii (1608-1678) kam 1645 über Vermittlung des Herzogs von Parma als Bühnenbildner des Hofes nach Paris, über Mantua wurde 1659 Carlo Vigarani (c. 1625-1713) als Theateringenieur nach Paris engagiert. Der Reiz der illusionistischen Bühnenperspektiven, die schnellen und häufigen Wechsel der Kulissen sowie die für das Publikum undurchschaubaren technischen Effekte des Szenarios nahmen die Aufmerksamkeit der Zuschauer oft mehr gefangen als der Ablauf des Dramas selbst115. Mitglieder der aus Florenz stammenden Familie der Francini, seit dem späten 16. Jahrhundert als Dynastie von Wasserbauingenieuren in Frankreich ansässig, waren kontinuierlich bei der Gestaltung von Brunnenanlagen in den königlichen Gärten beteiligt. Im Jahr 1647 erfolgte auch die Rückberufung des Gobelinwirkers Pierre Lefebvre (|1661) aus Florenz, der seit 1618 Leiter der dortigen Gobelinmanufaktur gewesen war. Sein Sohn Jean ("f 1700) bekleidete ab 1662 bis zu seinem Tod diesen Posten an den Gobelins in Paris116. Die Berufung von Bildhauern und Malern ist auch Mazarin nicht immer gelungen. Bernini weigerte sich weiterhin standhaft nach Paris zu reisen. Am Vorabend der Fronde versuchte Mazarin die Aussöhnung der Barberini-Kardinäle mit Innozenz X. (1644-1655) zu nutzen, um den Hofbildhauer des Papstes, Alessandro Algardi (1598-1654), abzuwerben. Er sollte von seinen Schülern Ercole Ferrata und Domenico Guidi begleitet werden, die Einladung verhallte aber folgenlos 117 . Nachdem sich der Kardinal auch von Pietro da Cortona eine Absage eingehandelt hatte, gelang ihm die Berufung eines Schülers. Giovanni Francesco Romanelli (1610-1662) führte von 1646 bis 1647 die Dekorationen in der Galerie des Palais Mazarin aus. Nach der Rückkehr Romanellis folgte ihm dessen Schüler Giovan Francesco Grimaldi (1606-1680). In den Jahren 1655 bis 1657 hielt sich Romanelli erneut in Paris auf und wurde von Anne d'Autriche mit der Freskenausstattung ihrer Gemächer im Louvre beauftragt 118 . Mazarin kamen bei seinen Kontakten nach Italien sein immenser Reichtum ebenso zugute wie seine früher geknüpften persönlichen Beziehungen. Nach dem Tod Urbans VIII. im Jahr 1644 profitierte er zudem von der Umkehr der Patronageverhältnisse, als seine ehe114 Zur Sammlung Mazarins grundlegend Patrick Michel, Mazarin, Prince des collectionneurs. Les collections et l'ameublement du Cardinal Mazarin (1602-1661). Histoire et analyse, Paris 1999; zur Galerie des Hotel de la Vrilliere Ausst. Kat. „Seicento", 1989; zum Vergleich Haskeil, 1986, p. 184; zu dem von Domenico Guidi geschaffenen Grabmal de La Vrillieres Ursula Schlegel, Die italienischen Bildwerke des 17. und 18. Jahrhunderts. Staatliche Museen Berlin, Berlin 1978, Nr. 14. 115 Jerome de La Gorce, Torelli et les Vigarani, initiateurs de la scenographie italienne en France, in: Seicento, 1990, p. 13-26; Anthony, 1997, p. 69 f., 78, 82 f. 116 Ausst. Kat. „Gli Arazzi del Re Sole. Les Tapisseries de l'Histoire du Roi", Florenz 1992, p. 9. 117 Passeri, Ed. 1934, p. 240. 118 Zuletzt Elisabeth Oy-Marra, Zu den Fresken des Parnaß und des Parisurteils von Giovanni Francesco Romanelli in der Galerie Mazarin in Paris, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 57, 1994, p. 170-200 und Anna Maria Matteucci, Grimaldi et la France, in: Seicento, 1990, p. 27-38.
4. Monarchische
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Künste
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maligen Protektoren, die Kardinäle Francesco und Antonio Barberini, seinen Schutz in Frankreich suchten. Mazarin entwickelte keine neuen Mittel und Methoden der künstlerischen Verbindungen mit Italien, sondern steigerte die vorhandenen. Sie waren unter ihm als Kumulation von Einzelentscheidungen organisiert, es gab keine regelrechte Berufungsoder Ankaufspolitik und auch kein Programm dafür - wenn man nicht schon geschmackliche Präferenzen dafür halten mag.
4. Monarchische Restauration der Künste und Rom-Paragone nach 1661 Als Mazarin in der Nacht zum 9. März 1661 starb, hinterließ er Ludwig XIV. ein problematisches Erbe. A m Morgen des folgenden Tages machte der König seinen Entschluß publik, künftig ohne Prinzipalminister die Regierungsgeschäfte selbst zu führen. In den Memoires hat er über diesen Schritt in ebenso ausführlicher wie apologetischer Weise R e chenschaft abgelegt. E r begründete ihn aus dem allgegenwärtigen desordre im Land und aus der Notwendigkeit, über die Konsolidierung des Staates und die Erlangung königlicher gloire selbst zu bestimmen. Den Ministern wies er die Rolle von Ratgebern zu 119 . Diese Richtlinien betrafen notwendigerweise auch die Administration der Künste. Ludwig XIV. und seine Räte waren im Hinblick auf die auswärtigen Kunstbeziehungen mit dem Problem konfrontiert, einen politisch nachhaltig diskreditierten Italianismus aufzugeben und gleichzeitig auch den Rahmen für eine erneuerte, produktive Bindung an das italienische Kunstgeschehen vorzugeben. Die Auflösung dieses Zwiespalts bildet ein Leitmotiv der Kunstpolitik des Hofes während der ersten Jahre nach dem Beginn der Selbstregierung. Ludwig XIV. fand 1661 eine in ihren Grundstrukturen seit längerem ausgebildete Kunstadministration vor, die auch diejenigen Institutionen umfaßte, von denen die Auslandsbeziehungen getragen wurden. Dabei bleibt daran zu erinnern, daß einige Instanzen der Infrastruktur sukzessive am Vorbild Italiens Gestalt gewonnen hatten. D e r Posten des Hofkünstlers hatte sich im Lauf des 15. Jahrhunderts etabliert. D e r Status begründete sich zunächst einfach daraus, daß ein Künstler dem Haushalt des Fürsten angehörte und für seine Tätigkeit eine feste Gage erhielt. Maler hatten hier anscheinend einen historischen Vorsprung. Wie bereits bemerkt, erhielt mit Fra Giocondo erstmals ein - italienischer Baumeister den Titel eines Hofarchitekten. Gleichzeitig läßt sich eine Verengung auf den modernen Architektenbegriff erkennen. Verstand etwa noch Nicole Oresme in seinem Kommentar von 1370 zur Politeia von Aristoteles unter architecton nicht nur den für das Bauwesen zuständigen Meister, sondern vor allem den für Politik Verantwortlichen 1 2 0 , so wurde der Begriff dann gleichsam vom Fürsten einem seiner Diener als Berufsbezeichnung überlassen. Im Zuge der allgemeinen Ausdifferenzierung der Finanzverwaltung wurde
119 Louis XIV, Ed. 1992, p. 44-59; zur Selbstregierung Cosandey/Descimon, 2002, p. 140-147. 120 Architectonique: Architecton, en grec, est le maistre de l'oeuvre en edification et en edifice qui regarde sur tout. Et, par semblable, la vertu ou la science qui regarde et ordene sus toutes choses appartenantes a vie humaine est dite vertu ou science architectonique, et tele est Politique. Albert Douglas Menut ed., Maistre Nicole Oresme: Le Livre des Politiques d'Aristote. Published from the text of the Avranches Manuscript 223 (= Transactions of the American Philosophical Society 60 (6), 1970), Philadelphia 1970, p. 370; so auch p. 284.
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auch für das Bauwesen des Königs ein eigener Haushalt ausgesondert, aus dem nunmehr die Hofkünstler besoldet wurden. Der Ursprung der Bätiments du R o y reicht zurück in die Regierung von KarlV. (1364-1380). 1 2 1 Bei der in einem langen Prozeß ausgebildeten inneren Organisation der königlichen Baubehörde, die für alle künstlerischen Sparten zuständig war, scheint anfänglich das Beispiel der Dombauhütten eine maßgebliche Rolle gespielt zu haben, bis sich um 1500 auch der Einfluß der Praxis an den italienischen Fürstenhöfen und die sie flankierende Architekturtheorie bemerkbar machten. Im Zuge der Einführung des Intendantenwesens unter Richelieu wurde auch ein Surintendant an die Spitze der Baubehörde gestellt. Nachdem seit dem frühen 16. Jahrhundert der Posten des Inspecteur general immer wieder von den Finanzministem in Personalunion ausgeübt worden war, wurde erstmals 1638 Frangois Sublet de Noyers in das Amt des Surintendant des Bätiments eingesetzt. Die Academie Royale de Peinture et de Sculpture stand zu dieser Zentralbehörde der Kunstadministration von Anfang an in einem wechselvollen Spannungsverhältnis 122 . Der Antrag zur Gründung der Akademie wurde dem Conseil d'Etat im Januar 1648 vorgelegt. Die Initiative richtete sich gegen die beherrschende Stellung der Zünfte, gegen die ein Teil der Künstlerschaft das Bündnis mit der Krone suchte. Die Allianz erwies sich allerdings als eine Gründungshypothek der Akademie, denn war sie von den Initiatoren als zeitweiliges Zweckbündnis zur Wahrung des künstlerischen Freiraums gedacht, so bereitete sie doch der politischen Vereinnahmung der Akademie durch die Krone den Weg. Dieser Prozeß vollzog sich in den Jahren zwischen 1661 und 1663 mit der Ernennung eines königlichen Protektors und mit der Revision der Akademiestatuten. Widerstände gegen dieses Vorgehen blieben innerhalb der Kunstakademie aber weiterhin virulent, und man sollte sich hüten, sie als willfähriges Instrument der Krone zu betrachten. Für die künstlerischen Außenbeziehungen bedeutete das Zurückdrängen der Zünfte und die politische Einflußnahme auf die Akademie auch eine Liberalisierung. Denn die von der Zunft 1619 erlassenen Maßnahmen der Prohibition - das Verbot der Einfuhr ausländischer Werke, die Besteuerung von Lehrlingen aus dem Ausland sowie das gegen auswärtige Künstler gerichtete Verbot, den Meistertitel zu führen - spielten für die Akademie keine Rolle. Bei diesem Antagonismus zwischen der Akademie und den Zünften ist auch zu bedenken, daß letztere unter Colbert als Instrumente des Wirtschaftsdirigismus in Dienst genommen und teilweise erst geschaffen worden waren. So war es ein doppelter Schlag gegen die Malerzunft, als sie von Colbert zugunsten der Akademie fallengelassen wurde.
121 D i e Geschichte der Behörde ist bislang nur in allgemeinen Ubersichten und für einzelne Zeitabschnitte eingehender untersucht; vgl. zusammenfassend Myra Nan Rosenfeld, T h e building administration in France from Charles V to Louis XIV, in: Kostof, 1977, p. 1 6 1 - 1 7 9 ; Bernard Babiche, Henri I V et la surintendance des bätiments, in: Bulletin monumental 142, 1984, p. 1 9 - 3 9 ; für die Zeit Ludwigs X I V . Guillemet, 1912 und jüngst Fossier, 1997, p. 3 7 ^ 7 . 122 Zur Gründungsgeschichte der Akademie vgl. die neueren Darstellungen von Antoine Schnapper, T h e debut of the Royal Academy of Painting and Sculpture, in: J u n e Hargrove ed., T h e French Academy. Classicism and its antagonists, Newark u.a. 1990, p. 2 7 - 3 6 ; Kirchner, 1991, bes. p. 1 0 - 2 8 ; Heinrich, 1993 und D u r o , 1997, bes. p. 18-62. Allgemein zur Akademiegeschichte neben der klassischen Studie von Pevsner, 1986 auch A n t o n W.A. B o s c h l o o et al. eds., Academies of Art Between Renaissance and Romanticism ( = Leids Kunsthistorisch Jaarboek 5 - 6 , 1986/87), S ' G r a venhage 1989. Zu einer wohl zu monolithischen Sicht der Vereinnahmung jüngst Held, 2001, bes. p . 7 - 3 7 ; Belege und Beobachtungen zur Widerständigkeit hingegen bei Kirchner, 2001, p. 443^157.
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Restauration
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Die sich nach 1661 anbahnende Observanz der Akademie durch den Hof wurde maßgeblich vom Petit Conseil geplant, der 1662 als Kunstausschuß eingerichtet wurde123. Seine Gründung folgte dem allgemeinen Trend, ad hoc einberufene und nach der Erledigung der Aufgaben wieder aufgelöste Kommissionen zugunsten von fest installierten königlichen Räten zu ersetzen. Die Kompetenzen des Petit Conseil lagen vor allem darin, daß sie in keiner Satzung festgelegt waren. Unter dem Vorsitz des Surintendant des Bätiments war er ein Exekutivorgan des Königs und hatte letztlich für alle künstlerischen Belange eine Richtlinienkompetenz. Die Tatsache, daß sich diese vor allem auf die Programmatik der monarchischen Repräsentation bezog, läßt sich an der formellen Umwidmung des Rates zur Academie des Inscriptions et Belles-Lettres im Jahr 1701 erkennen. Mit diesen inländischen Institutionen der Kunstadministration - Bätiments, Kunstakademie und Petit Conseil - wirkten auf eine komplizierte Weise die Regelungen der auswärtigen Kunstbeziehungen zusammen. Ihre Strukturen hatten bis 1661 ebenfalls einen äußerst entwickelten Stand erreicht. Für den Frankreichaufenthalt Berninis und die Academie de France ä Rome sind die Berührungs- und Konfliktfelder in den folgenden Kapiteln zu beschreiben. Das Repertoire an Methoden des Transfers zwischen Frankreich und Italien war über zwei Jahrhunderte hinweg stetig angereichert, allerdings auch schwer überschaubar und handhabbar geworden. In der Zeit Mazarins scheinen die unterschiedlichen Mittel der Künstlerberufung und Werkimporte, der Beschäftigung von Kunstagenten und der Vergabe von Reisestipendien auf eine eigentümliche Weise ausgezehrt gewesen zu sein. Nach 1661 wurde das Institutionengefüge der Kunstadministration wie von niemandem sonst durch Jean-Bapiste Colbert (1619-1683) verkörpert. Colbert hat die innen- wie die außenpolitische Reichweite dieses Gefüges ausgemessen, indem er entscheidende Schritte seiner Karriere in diesem Rahmen absolvierte. Es mag genügen, schlagwortartig an die wichtigsten Stationen seines Aufstiegs zu erinnern124. Nach dem Kauf einer königlichen Charge und der Tätigkeit als Mitarbeiter des damaligen Kriegsministers, seinem Schwager Michel Le Tellier, war Colbert ab 1652 - den Monaten des Exils von Mazarin in Brühl - Intendant von dessen Haushalt. Während seines fast zehnjährigen Dienstes für den Kardinalminister war Colbert als Vermögensverwalter auch mit der Organisation von Kunstankäufen betraut und stand in Kontakt mit den italienischen Kunstagenten Mazarins. Der Beginn der Selbstregierung Ludwigs XIV. erbrachte eine beträchtliche Ämterhäufung. Schon wenige Tage vor dem Tod Mazarins hatte Colbert die Diskreditierung von Nicolas Fouquet (1615-1680) eingefädelt und übernahm dann dessen Posten als erster Staatssekretär für die Finanzen. Der Tradition entsprechend erhielt er zu diesem Ministeramt am 2. Januar 1664 auch die Surintendance des Bätiments. Bereits im September 1661 hatte er von Mazarin den Platz des Vize-Protektors der Kunstakademie geerbt, bis er 1672 zum Protektor aufrückte.
123 Manuel Couvreur, L e Petite Academie et la tradition des manuscrits ä peintures, in: X V I I e Siecle 48, 1996, p. 5 1 4 - 5 2 1 ; der A u t o r kündigt eine Monographie über den Kunstausschuß an, die bei Flammarion in der Reihe „Idees et recherches" erscheinen soll; vgl. nun auch Kirchner, 2001, p. 3 7 3 - 3 7 9 . 124 Zu Colbert zuletzt Jean Villain, La fortune de Colbert, Paris 1994; eine konzise Darstellung der Biographie gibt Malettke, 1977; leider äußerst deskriptiv bleibt die jüngst vorgelegte Dissertation von Alexandra Bettag, Die Kunstpolitik Jean Baptiste Colberts unter besonderer Berücksichtigung der Academie royale de peinture et de sculpture, Weimar 1998.
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I. Die Italienfrage
Zudem hatte er 1662 auch den Vorsitz in dem neu gegründeten Petit Conseil übernommen 125 . Die Übernahme dieser Verantwortungsbereiche bedeutete nicht nur eine Reorganisation der betreffenden Institutionen, sondern auch einen immensen Kompetenzzuwachs für Colbert. Er war formal in alle Entscheidungen im Bereich der Künste eingebunden, und seine Korrespondenz bestätigt, daß er seine Zuständigkeit mit Akribie und Durchsetzungswillen ausgefüllt hat. Bei der Übernahme der Selbstregierung durch Ludwig XIV. war der Umgang mit dem materiellen und politischen Erbe Mazarins ein Problem der ersten Stunde. Schon drei Tage vor dem Tod des Kardinals, der Ludwig XIV. in seinem Testament zum Universalerben eingesetzt hatte, ließ der König verlauten, daß er auf das Erbe verzichte. Mazarin hatte seinen Reichtum als das größte Vermögen des 17. Jahrhunderts in Frankreich auch nach damaligen Maßstäben mit fragwürdigen Mitteln angehäuft. Der Verzicht Ludwigs XIV. auf das Erbe, bei dem im Hinblick auf einzelne Gemälde aus der Sammlung Mazarins allerdings eine Ausnahme gemacht wurde, signalisierte die öffentliche Distanzierung vom Kardinalminister und dessen Finanzpraktiken. Er steht als ein unverzüglich unternommener Schritt am Beginn einer Kampagne, die den König wieder als ersten Mäzen des Staates etablieren sollte. Eine entscheidende Triebkraft war dabei die Abkehr vom Italianismus Mazarins, dem mit dem Programm einer monarchischen Restauration der Künste entgegengearbeitet wurde. Die seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gestellte Frage der künstlerischen Abgrenzung von Italien war kontinuierlich Gegenstand der öffentlichen Kulturdebatten geblieben. Der Arzt Louis Savot hat sie in seiner 1624 erstmals erschienenen Architecture frangoise des bastimentsparticulieres in einem patriotischen Sinn beantwortet. Allein schon der Titel, der die Behauptung von der Existenz einer Nationalarchitektur enthält, ist Programm. Savot begründet die mode & maniere Frangoise des Bauens aus den vielfältigen Gegebenheiten der für die verschiedenen Regionen und Städte erlassenen Bauverordnungen, aus dem Gebrauch einheimischer Materialien und der Anwendung regionaler Konstruktionsweisen sowie aus den in Frankreich üblichen Erfordernissen der commodite. Savot wendet sich gegen die unbesehene Übernahme italienischer Architekturformen, die nicht
berücksichtige, que chaque province a sa fagon particuliere de bastir.126
Offensichtlich reagierte Savot im Rahmen der Architekturtheorie gegen die verbreitete Rezeption italienischer Architektur und Kunst am Hof Marias de'Medici. Auf dem Feld der Politik war gegen die Regentin bereits 1617 ein entscheidender Schlag geführt worden, als sie gedrängt wurde, den H o f zu verlassen, und ihr Favorit Concino Concini mit Wissen Ludwigs X I I I . ermordet wurde. Die Konfrontation fand unter Richelieu ihre Fortsetzung in der sukzessiven Ausschaltung des rebellischen Hochadels, der mit der Regentin konspiriert hatte. Auch der Aufstand der Fronde in den Jahren 1648 bis 1653 richtete sich gegen das Regime einer Regentin und ihres Ministers, auch ihn kennzeichnete auf der Ebene der öffentlichen Propaganda ein ausgesprochen anti-italienisches Moment. Ein Generalvorwurf in den während der Fronde zu Tausenden erschienenen Mazarinaden lautete auf den Ausverkauf des Landes an Italien. Ein Spottgedicht von 1649 spielt den Gleichklang des 125 Zu den Akademieämtern PV, Bd. I., p. 186, 371; zur Gründungsbesetzung des Kunstausschusses Perrault, Ed. 1993, p. 1 2 5 - 1 3 1 . 126 Weitere Ausgaben erschienen 1632 sowie mit Kommentaren von Franijois Blondel 1673 und 1685; Savot, Ed. 1685.
4. Monarchische Restauration
der Künste
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Vornamens von Mazarin mit der Bezeichnung für die in Italien im Umlauf befindlichen Münzen der Jules aus und prangert den miserablen Wechselkurs an, mit dem der Kronschatz gegen das italienische Kleingeld aufgerechnet werde: J'entends desia que l'Italie/Se moque de nostre folie,/Et fait l'estonnement mille signes de croix:/Nommant la France ridicule,/De laisser prendre par un Jule/Tant de medailles d'or de ses augustes Rois.127 In den Pamphleten wurde anscheinend kein direkter Angriff gegen die von Mazarin favorisierten italienischen Bildkünste geführt. Eine solche Stoßrichtung schlugen aber stets die Anklagen gegen den ausschweifenden Lebensstil des Kardinals ein128. Unverblümt ist die Kritik an der italienischen Oper. Die Investitionen für die A u f f ü h rungen wurden unverzüglich mit den desolaten Staatsfinanzen aufgerechnet. Als dann Mazarin auch nach der Rückkehr aus dem durch die Fronde erzwungenen Exil im Jahr 1653 die italienische Oper weiterhin mit beträchtlichen finanziellen Zuwendungen gefördert hatte, führte der Librettist Pierre Perrin einen fulminanten Frontalangriff auf die Gattung selbst. Auch wenn er seine Ablehnung der italienischen Oper, die nicht den Gefallen der nation finden könne, in einem regelrechten Punkteprogramm erörtert, sind seine Argumente notgedrungen polemisch und immer wieder auch sachlich verzerrt. Perrin empörte sich etwa über die langatmige Redundanz der Stücke und die vermeintlich unverständliche musikalische Verarbeitung der Textvorlagen. Schon die von Perrin abgelehnte Besetzung mit Kastraten - l'horreur des dames & la risee des hommes - gab der weit verbreiteten Theorie von der Verschwörung Italiens gegen Frankreich Nahrung. Das Argument unterschlägt aber, daß Kastraten in der italienischen O p e r keineswegs obligatorisch waren und als Sänger umgekehrt auch in Musikproduktionen des Hofes reüssierten. Zunächst an einen seiner Gönner adressiert, gab Perrin den Brief pünktlich zum Jahr 1661 als kulturpolitische Programmschrift für die neue Regierung in Druck. Ludwig XIV. und Colbert haben es Perrin später gedankt, als sie ihm 1669 das Monopol für die Aufführung französischer O p e r n gaben129. Die Rezeption italienischer Kulturformen war untrennbar mit der allgemeinen U n z u friedenheit über die aus Italien stammenden Herrschaftsträger verbunden und in die Schußlinie der öffentlichen Kritik geraten. Von Seiten des Hofes antwortete man darauf mit einer Doppelstrategie. Man besann sich einerseits auf die Kunstpolitik der monarchischen Vorgänger Ludwigs XIV. und konnte andererseits den Anschluß an das Kunstgeschehen
127 Voyage des Justes, 1649, p. 2; vgl. Furetiere, 1690, s.v. „Jules". 128 Hierzu Jeffrey Merrick, The Cardinal and the Queen: Sexual and political disorders in the Mazarinades, in: French Historical Studies 18, 1994, p. 667-699, bes. p. 676 f.; Lucie Galacteros de Boissier, Estampes frondeuses et images de la Fronde apaisee. Les pertinences de l'allegorie, in: La Fronde en question (Kongreßakten Marseille 1988), Marseille 1989, p. 193-207. Die Auswertung der Mazarinaden für die Kunstgeschichte bleibt ein Desiderat, vgl. zunächst Christoph Frank, „Si vous estiez sur l'echaffaut, ce seroit vrayment la justice". Bild und Gegenbild während der Fronde, in: Joseph Imorde et al. eds., Barocke Inszenierung, Emsdetten-Zürich 1999, p. 265-275. 129 Abdruck des Briefes und des Privilegs bei Herbert Schneider, Dokumente zur Französischen Oper von 1659 bis 1699, in: Quellentexte zur Konzeption der europäischen Oper im 17. Jahrhundert, Kassel u.a. 1981, p. 103-160, hier p. 105-111, 114-116. Zur Förderung der Oper durch Mazarin vgl. Anthony, 1997, p. 64-71 und zu derjenigen durch Ludwig XIV. Georgia Cowart, Carnival in Venice or Protest in Paris. Louis XIV and the politics of subversion at the Paris Opera, in: Journal of the American Musicological Society 54, 2001, p. 264-302; zu den Kastraten Patrick Barbier, La maison des Italiens. Les castrats ä Versailles, Paris 1998.
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I. Die
Italienfrage
Italiens bewahren, indem man die Italienrezeption zum integralen Bestandteil der Kunstpolitik erklärte. Eine Gruppe von Gelehrten und Künstlern im Umkreis des Hofes übernahm die Aufgabe, diese Argumentation der Öffentlichkeit vorzutragen. Unter Ludwig XIV. erschienen mehrere Biographien über Franz I. und Heinrich IV., deren Autoren Hofämter bekleideten oder königliche Pensionen bezogen. In den Lebensbeschreibungen wird die königliche Kunstpatronage so gewürdigt, wie es den Regeln der frühneuzeitlichen Herrscherbiographik entspricht: Der Fürst gilt als der eigentliche Urheber der von ihm gestifteten Werke, und der Künstler tritt völlig in die Anonymität zurück. Der frühere Geschichtslehrer Ludwigs XIV., Hardouin de Perefixe, publizierte 1661 die Vita Heinrichs IV., deren Manuskript bei den Geschichtslektionen verwendet worden war. Er verweist an verschiedenen Stellen auf das von Heinrich IV. ins Werk gesetzte embellissement von Paris durch die Residenzbauten, die Verbesserung der Infrastruktur und die kirchlichen Stiftungen 130 . Paris hatte bei diesem Verschönerungsprogramm nicht erst auf Maria de'Medici zu warten, sondern wird bereits bei deren Ankunft aus Florenz als eine prächtige Metropole vorgestellt. Wie zur Ermahnung stellt Perefixe in diesem Zusammenhang fest, daß der Ausbau von Paris nicht aus dem Bedürfnis nach luxuriöser Prachtentfaltung bewogen gewesen sei, sondern im Dienst des Ruhmes für den Bauherrn, der Außendarstellung des Landes und des Wohlergehens seiner Bewohner stehe131. Außer mit Heinrich IV. als dem Begründer der Bourbonendynastie verband sich mit Franz I. das Renommee eines Erneuerers der Künste. Ein solcher Ruf konnte sich auf eine reiche Überlieferungstradition stützen, die auch sentimentale Episoden enthielt. So wurde der von Vasari berichteten Legende, Leonardo sei in den Armen Franz' I. gestorben, auch im 17. Jahrhundert gutwillig Glauben geschenkt, lange bevor man sie in der Historienmalerei des 19. Jahrhunderts im Typus einer säkularisierten Pietä dargestellt hat132. Die unter dem Pseudonym von Antoine de Varillas erschienene Biographie des Valois-Königs war bereits anderthalb Jahrzehnte vor ihrem Druck im Jahr 1685 abgeschlossen. Schon in der Widmung an Ludwig XIV. findet sich der Hinweis, daß Franz I. auf den Italienfeldzügen Genua wegen der magnificence de ses Bätimens mit der Beschießung verschont habe. Ausführlich widmet sich der Autor im zweiten Band des Werks der historischen Bedeutung des Königs als Pere & Restaurateur des Lettres,133 Es schließt sich nach dem Vorbild der Parallelviten Plutarchs eine Comparaison zwischen Franz I. und seinem Gegenspieler Karl V. an, die auch das unterschiedliche Profil der Kunstpatronage beider Herrscher behandelt. Mit der Freigiebigkeit des französischen Königs könne der sparsame Kaiser nicht konkurrieren. Die Residenz von Fontainebleau werde universellement approuve; & la gloire est deue a Frangois, d'avoir fait bätir la plus belle maison de l'Europe au milieu d'un desert. Man hört hier bereits den Vergleich mit Versailles heraus, der sich weiter verdichtet, wenn Varillas den Paragone mit dem Escorial eröffnet: On n'oublia rien de ce qui servoit a embellir (le palais de Fontainebleau); & si la depense n'en fut pas si grande que celle que Philippe second fils de Charles fit peu de temps apres α l'Escurial, eile fut du moins beaucoup mieux
130 Perefixe, 1661, p. 359, 479f.; zu Autor und Buch Kampmann, 2001, p. 184-188. 131 Perefixe, 1661, p. 306. 132 Vasari, Ed. 1568, Bd. IV, p. 48 f. und Chantelou, 2001, p. 142; zum Sujet in der Historienmalerei Janet Cox-Rearick, Imaging the Renaissance: The nineteenth-century cult of Francis I as patron of art, in: Renaissance Quarterly 50,1997, p. 207-250, hier 229-233. 133 Varillas, 1685, Bd. II, Buch 7-12.
4. Monarchische Restauration der Künste
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employee dans ία beaute des Jardins, dans la diversite des hoccages, dans l'abondance des eaux, & dans l'etendue des batimens assez spacieux pour loger toute la Cour.134 Das von Franz I. erbaute Schloß von Fontainebleau dient bei Varillas der historischen Legitimation für den bei der Abfassung der Schrift durchaus noch umstrittenen Ausbau der Residenz von Versailles. Die Identifikation des regierenden Königs mit Franz I. wurde 1667 ähnlich direkt, vielleicht aber noch raffinierter in der Pariser Kunstakademie vorgetragen. D o r t eröffnete der Hofmaler und Akademiedirektor Charles Le Brun ( 1 6 1 9 - 1 6 9 0 ) am 7. Mai die Serie der Conferences mit dem Vortrag über Raffaels Gemälde „Der Erzengel Michael siegt über den Teufel" (Abb. 7). Weder der Anlaß des Vortrags noch sein Thema hätten anspruchsvoller gewählt sein können. E r eröffnete die Conferences, die der Akademie nach früheren Vorüberlegungen von Colbert am Beginn des Jahres 1667 auferlegt worden waren. Die Vorlesungen und die sich anschließenden Debatten waren von Anfang an für die Publikation vorgesehen. In seinem Vorwort des ersten Bandes von 1668 bot Andre Felibien die berühmt gewordene Grundlegung der Gattungslehre und erinnerte mit den ersten Sätzen an die Wiederherstellung der Künste in ihrer premiere beaute unter Franz I. 135 Die Vorlesungsreihe sollte den Akademiemitgliedern als Diskussionsforum dienen, ihr Ziel war die Ausarbeitung einer normativen Kunsttheorie und -praxis. Durch die Referate, bei denen meist ein Gemälde aus den im Louvre aufbewahrten Beständen monographisch vorgestellt wurde, und die sich anschließenden Debatten wurde auch die Sammlung des Königs kennerschaftlich validiert und aufgewertet. Die Wahl des Gemäldes von Raffael erklärt sich keineswegs nur und wohl nicht einmal primär aus der geradezu bedingungslosen Wertschätzung für den Maler 136 . Anhand des Bildes ließ sich darüber hinaus die Kontinuität der Kunstpatronage von Franz I. bis zu Ludwig XIV. ebenso sinnfällig darstellen wie für die Verpflichtung gegenüber der Kunsttradition Italiens plädieren. Das Gemälde war 1518 von Papst Leo X . bei Raffael in Auftrag gegeben worden und unter Franz I. als Geschenk des Papstes in die Sammlung des Königs nach Fontainebleau gelangt. Das Bildthema war auf den Empfänger abgestimmt, denn der König war Meister des Ordre du Saint-Michel, der 1469 als Kreuzzugsorden von Ludwig X I . gestiftet worden war, und der Monarch hatte sich persönlich unter den Schutz des Erzengels befohlen 1 3 7 . Im Kalkül des Papstes hatte das Gemäldegeschenk einen hortativen Charakter, sollte es doch nach dem in Bologna abgeschlossenen Konkordat von 1515 Franz I. an sein Kreuzzugsversprechen erinnern. Ein aktueller Hintergrund für die Rezeption des Bildes im Rahmen der Conference des Jahres 1667 liegt darin, daß Ludwig XIV. seit dem Regierungsantritt seinerseits bemüht war, den Michaels-Orden in seiner Bedeutung aufzuwerten. E r reduzierte die Zahl der Mitglieder, es wurden nun die Anciennität ihrer Herkunft sowie der service, den die Ordensritter für den Staat geleistet haben, einer
134 A.a.O., Bd. II, Buch 13. 135 Abdruck des Vorworts in Conferences, Ed. 1996, p. 45-59; vgl. auch Germer, 1997, bes. p. 347-369. 136 Im Sinne der Vorbildhaftigkeit Raffaels vgl. Rosenberg, 1995, bes. p. 22,32-35; die Conference von Le Brun abgedruckt in Conferences, Ed. 1996, p. 60-67; vgl. nun auch Held, 2001, bes. p. 64-69. Cox-Rearick, 1995, p. 191-199, 207-211 zum Gemälde und zur Sammlungsgeschichte. 137 Anne-Marie Lecoq, Frangois Ier imaginaire. Symbolique et politique ä l'aube de la Renaissance frangaise, Paris 1987, bes. p. 4 3 8 ^ 4 6 .
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I. Die Italienfrage
Abb. 7 Raffael: Erzengel Michael. Paris, Musee du Louvre.
Prüfung unterzogen. Zwei Jahre vor der Conference widmete die Gazette de France dem retablissement des Michaels-Ordens ein Sonderheft 138 . Es war eine bezeichnende Geste, daß das Gemälde Raffaels anläßlich der Rückkehr Ludwigs XIV. und Annes d'Autriche nach dem Ende der Fronde 1652 in den Louvre verbracht worden war. Zusammen mit der für das Pariser Rathaus in Auftrag gegebenen Königstatue von Gilles Guerin, die den Monarchen als Bezwinger eines Frondeurs zeigt, wurde auch das Gemälde als ein Triumphbild für die Uberwindung des Aufstands in die Residenz nach Paris überführt.
138 Gazette de France, 1665, p. 92, p. 137-148 (Extraordinaire vom 13. Febr. 1665); vgl. zu den Reformen auch Peter Vetter, Der französische Ritterorden vom Heiligen Michael (1469-1830), Diss. Bonn 1979, p. 77-102.
4. Monarchische Restauration der Künste
45
Vor diesen Konnotationen hebt sich die künstlerische Würdigung des Bildes durch Le Brun in der Conference ab. Der Maler erörtert in seinem Referat die Zentralbegriffe der Kunstdoktrin als Beschreibungskategorien. E r würdigt die disposition des Figurenzusammenhangs und den dessin der Figuren; expression und mouvement erfaßt er als Kontrast zwischen der nach der Antike gebildeten Schönheit des himmlischen Wesens und dem teuflischen Ungeheuer. D e r Rang des Bildes und des Malers sind ihm nur mit der insistierenden Nennung von Superlativen zu bezeichnen: Aussi jamaispeintre n'a su exprimer un
sujet avecplus de grandeur, plus de beaute et plus de bienseance que Raphael. Raffael habe alle anderen Maler mit den secrets seiner Malerei und seinen inventions admirables troffen und beides ganz in den Dienst der belle expression d'un sujet gestellt 139 .
über-
Das kunsttheoretische L o b ist untrennbar mit dem vielfältigen Erinnerungswert verbunden, der dem Gemälde durch das dargestellte Thema sowie durch seine Herkunft und die Geschichte seiner Aufbewahrung in den königlichen Sammlungen mitgegeben ist. Im Kontext der Jahre nach 1661 war das Bild einer hochgradigen Instrumentalisierung und Aktualisierung ausgesetzt. Es verwies auf die restauratio der Künste unter Franz I. und stiftete eine Kontinuität bis zu Ludwig XIV. Dies galt auch für den Gegenstand der Darstellung, die als Dedikation an den ersten Besitzer gedacht war und in der Wiederherstellung des Michaels-Ordens unter dem regierenden König eine neue Bedeutsamkeit erhielt, nachdem das Gemälde bereits nach der Fronde in einen zeithistorischen Bezug gestellt worden war. Zugleich wurde aber das Gemälde Raffaels auch als Exempel einer gleichsam nicht überbietbaren künstlerischen Vollendung präsentiert. Indem es sich schließlich um ein römisches, aber für einen französischen Monarchen geschaffenes Gemälde handelte, dem dieser Rang zugemessen wurde, erfuhr auch die Italienrezeption eine Nobilitierung. Dies alles bedeutete einen Akt der ausgesprochen royalistischen Traditionsbildung, der vor dem Hintergrund der vorangehenden Wellen des Anti-Italianismus zu beurteilen ist. E r steht in einem breiteren Zusammenhang des königlichen Kunstprogramms. Für den Bereich der Historiographie kann man neben den genannten Beispielen der Königsbiographik auch an das Felibien übertragene Projekt erinnern, eine Geschichte der französischen Königsschlösser zu schreiben 140 . Zudem sei bereits an dieser Stelle darauf verwiesen, daß einer der Gründe für das Scheitern von Berninis Louvreplanung im Willen Ludwigs XIV. begründet lag, das Werk seiner Vorgänger zu bewahren. Gleichzeitig wurden die Maßnahmen, die monarchische Restauration der Kunstpolitik zu befördern, aber stets auch in Bezug auf eine Außenperspektive gedacht, deren Fluchtpunkt im Lauf der Regierung Ludwigs XIV. zumindest bis zum Ende des 17. Jahrhunderts R o m blieb. Als antike Metropole wie als modernes Kunstzentrum war R o m die unbezweifelte Vergleichsinstanz der Kunstpolitik. Dieser Gedanke findet seinen einprägsamsten Ausdruck im Topos der Nouvelle
Rome. D e r Topos umschreibt den Anspruch auf die Nachfolge Roms durch Paris und hatte eine weit zurückreichende Tradition. Kaum eine Stadt und kaum ein Herrscherhaus entgingen der Verführung, sich zu R o m in ein historisch begründetes Verhältnis zu setzen. Dies mochte durch Abgrenzung von R o m oder durch die Integration der eigenen G e schichte in den römischen Geschichtsverlauf bewerkstelligt werden. So zielte die venezia139 Conferences, Ed. 1996, hier p. 61-64.
140 Zum Fragment gebliebenen Projekt der Memoirespour servir α l'histoire des maisons royalles Germer, 1997, p. 298-321.
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I. Die
Italienfrage
nische Historiographie mit dem sogenannten mito di Venezia, der auch die Vorstellung einer altera Roma beinhaltete, auf die Behauptung der Unabhängigkeit von Rom, während dagegen in Florenz die Gründungsgeschichte der Stadt von den unterschiedlichen Regimen wahlweise an die römischen Modelle von Republik und Prinzipat angepaßt wurde 141 . Im Fall von Paris wurde der Rangstreit mit Rom unter Beihilfe der Geschichtskonstruktion der translatio imperii und der translatio studii ausgetragen142. Die Vorstellung von der translatio studii ist erstmals im Umkreis der Hofkanzlei Karls des Kahlen im 9. Jahrhundert belegt. Der Gedanke der Translation von Herrschaft und Kultur von einem Reich auf das andere impliziert auch die Vorstellung von vorangehendem Verfall und neuer Blüte. Die Idee von Übertragung und Erneuerung behauptet somit gleichermaßen Traditionsbindung wie auch Modernität und dies bestimmte auch ihre Attraktivität beim Versuch der Herrschaftslegitimation durch Geschichte. Dieser umfassende Vorstellungshorizont machte den Topos der Nova Roma für höchst heterogene Begründungszusammenhänge verfügbar. So findet sich schon in einem Begnadigungsschreiben aus dem Jahr 1354 die Formel, daß Paris wie ein neues Rom das Vaterland aller sei: Parisius est communispatria, velut altera Roma.1*3 Gleichzeitig verwundert es aber auch nicht, daß man in Paris die Ansicht vertrat, die Stadt sei noch vor Rom gegründet worden. Dies behauptet jedenfalls der Titulus auf einer Tapisserie, die 1530 im Rahmen der Gobelinfolge der Histoire fabuleuse des Gaules entstanden ist und den Trojanerheld Paris als Stadtgründer vor dem Prospekt der mittelalterlichen Metropole zeigt144. Bei der Reaktivierung des Topos und seinem gleichzeitigen Bezug auf die französische Hofkunst hat Vasari für die Folgezeit ein wichtiges Stichwort geliefert, als er die Residenz von Fontainebleau als quasi una nuova Roma, bezeichnete. Auch wenn das Epitheton im Zusammenhang mit der Aufstellung der nach den römischen Originalen hergestellten Antikenabgüsse fällt, kommt ihm der Stellenwert einer Würdigung der Gesamtanlage zu145. Später ließ sich das Diktum Vasaris umstandslos auch auf andere Schloßbauten übertragen, so heißt es etwa in einer Beschreibung der Residenz von Versailles aus dem Jahr 1681 :L'Italie doitpre141 Z u Venedig Barbara Marx, Venedig - „Altera R o m a " . Transformationen eines M y t h o s , in: Q u e l l e n und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 60, 1980, p. 325-373 und Patricia Fortini B r o w n , Venice & Antiquity. T h e Venetian sense of the past, N e w H a v e n - L o n d o n 1997. Z u F l o r e n z Erben, 1996a, p. 301 und Daniela Mardmann-Stoffel, Kunstliteratur und campanilistische Epideixis: R a n d b e m e r k u n g e n zur Validität eines rhetorischen Modells am Beispiel des Paragone zwischen R o m und Florenz, in: H e n r y K e a z o r ed., F l o r e n z - R o m : Zwischen Kontinuität und K o n k u r r e n z , Münster 1998, p. 157-187. 142 H i e r z u Ernst R o b e r t Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter (1948), BernMünchen 1984, p. 38—40; F r a n z J o s e f Worstbrock, Translatio artium. U b e r H e r k u n f t u n d Entwicklung einer kulturhistorischen Theorie, in: Archiv für Kulturgeschichte 47, 1965, p. 1 - 2 2 und immer noch grundlegend H a n s R o b e r t Jauß, Literarische Tradition und gegenwärtiges Bewußtsein der Modernität, in: ders., Literaturgeschichte als Provokation (1970), Frankfurt a.M. 1974, p. 11-66, bes. p. 21 f.; zuletzt Gilli, 1997, p. 509-514, 555 f. 143 Zit. nach Babelon, Paris au X V I e siecle, 1986, op. cit., p. 18. 144 Zu der in Beauvais aufbewahrten F o l g e a.a.O., p. 14, 36. 145 Vasari, E d . 1568, B d . VII, p. 408: Le quali (cavi e forme di quelle figure antiche) vennono tanto bene, che paiano le stesse antiche, come si puo vedere, la dove furono poste, nelgiardino della reina a Fontanahleo, con grandissima sodisfazione di quel re, che fece in detto luogo quasi una nuova Roma. D e r Passus findet sich bereits in der Erstausgabe von 1550. Mit Belegen französischer A u t o r e n des späten 16. Jahrhunderts - wohl als Reflex auf Vasari - M c G o w a n , 2000, p. 173.
4. Monarchische Restauration der Künste
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sentement cider a la France le prix et la couronne qu'elle a remportee jusques aujourd'hui sur toutes les Nations du monde (...). C'est dans cette Maison Royale (de Versailles) et charmante que vous estes invitez, Peuples de la terre, Curieux et Sgavans: vous y verrez l'Ancienne et la Nouvelle Rome: vous y verrez tout ce que le Monde a jamais eu de beau et surprenant.146 Der Gedanke der Uberbietung Roms durch eine neue universelle Geltung war bereits vorher für die Stadt Paris ausgesprochen worden. So ist in dem 1609 von Benedict de Vassillieu edierten Stadtplan von Paris ein Widmungsbild Heinrichs IV. inseriert, das den König als triumphierenden Reiter zeigt, während ihm von der Stadtpersonifikation das Wappensymbol von Paris ausgehändigt wird. Das die Bildvignette begleitende Lobgedicht evoziert den neuen Stadtherrn als Augustus und Paris als Rom: Soubs Le Regne De Ce Grand Roy/Tresclement, Tresvaillant, Tresiuste,/Paris Est Comme Soubs Auguste/Fut Rome Du Monde L'Effroy.147 Gleichzeitig gab Louis d'Orleans in einer Schrift über das Pariser Parlement eine völlig am antiken Rom inspirierte Distrikt-Einteilung von Paris. Er tituliert die Hauptstadt als nostre Frangoise Rome. Den gesamten Stadtraum schildert er als bevölkerungsreiche, stolze und prächtige Roma vetus, von dem er das Herrschaftszentrum des Louvre als Roma nova und den dritten Bezirk einer Civitas litterarium absetzt: Les Muses fugitives de la Grece et absentes de Rome se sont refugiees pour etre frangoises.m Das Thema ist auch in einer Paris-Vedute von Israel Sylvestre (1621-1691) variiert. Das Blatt ist in der nach 1645 erschienenen Stichfolge der Lieux les plus remarquables de Paris et des environs enthalten und mit einem vierstrophigen Gedicht als Bildlegende versehen (Abb. 8)149. In der Eloge auf die Hauptstadt ist der Rangstreit mit Rom allgegenwärtig und wird schließlich zugunsten von Paris entschieden. Im Rückgriff auf eine Würdeformel, die bereits in den Rom-Sonetten von Joachim Du Beilay verwendet worden war, wird die Metropole mit dem Erdkreis gleichgesetzt und in den von Rom übernommenen Rang der Maistreße du monde eingesetzt. Eine solche Akzentsetzung wurde in der politischen Publizistik nach 1661 zur Gewißheit. Antoine Aubery hat in einer Verteidigung der Ansprüche Ludwigs XIV. in den Niederlanden die Machtfülle des Königs mit dem Rang seiner Hauptstadt als eines zweiten Roms begründet150. In seinen Axiomata politica von 1687 nimmt er das Argument wieder auf und münzt es unter Bezug auf die gegen Ludwig XIV. geschlossene Liga von Augsburg mit schlicht gestrickter Logik gegen Leopold I. Der Kaiser habe seine auf die translatio imperii begründete Würde gegenüber dem französischen Monarchen verspielt, da Rom seinen Rang an Paris abgetreten habe: Die Stadt Paris ist höchst billichen beydes deß alten und neuen Roms Mitbuhlerin; alß dessen Ehre sie nicht nur in gleicher, sondern weit höherer Staffel erreichet.151
146 Combes, 1681, p.3f. 147 Zum Stadtplan Ballon, 1997, p. 220-233. 148 Louis d'Orleans, Les Ouvertures des Parlements, (...), auxquelles sont adjoustees cinq remonstrances autrefois faictes en iceluy, Paris 1607, fol. 250-252; zit. nach McGowan, 2000, p. 350 f. 149 Exemplar in der BN, Est. Ε 001975; Israel Silvestre, Vues de Paris, ed. Jean-Pierre Babelon, Paris 1977. 150 Aubery, 1667, p. 2. 151 Aubery, 1687, p. 5.
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I. Die
Abb. 8
Italienfrage
Israel Sylvestre: Profil de la Wille de Paris. Aus Vues de Paris, um 1645.
Schließlich waren auch in der Oper ähnliche Töne zu hören. Im Jahr 1671 wurde die zwei Jahre zuvor gegründete Academie des Operas mit der Pastorale Pomone eröffnet. Ihr Libretto stammt von Pierre Perrin, der sich - wie schon bemerkt - das Opernprivileg mit seiner Invektive gegen die italienische Oper verdient hatte. Im Prolog wird der Rang von Paris als neuem Rom durch die Macht des Herrschers beglaubigt, wenn sich Vertumnus im Dialog an die Seine-Nymphe mit den Worten wendet: J'admire tes grandeurs & la felicite/De ta belle Cite:/Mais ta merveille plus gründe/C'est lapompeuse Majeste/Du Roy qui la commande./Dans ΓAuguste Louis je trouve un nouveau Mars,./Dans sa Ville superbe une nouvelle Rome:/Jamais, jamais un si grand homme/Ne fut aßis au throne des Cesars (...) Ii est l'amour, & la terreur du monde.x52 Auf dem Feld der Kunstpolitik war vor allem das erste Jahrzehnt der Selbstregierung Ludwigs XIV. von einer bemerkenswerten Verdichtung der Initiativen geprägt. Man würde aber den Charakter frühneuzeitlicher Institutionenbildung verkennen und ihre Effizienz überschätzen, wollte man darin eine systematisch geplante Gesamtstrategie erkennen. Es war weder nötig, Le Brun das Thema für seine Conference in der Akademie vorzuschreiben, noch den einzelnen Autoren den Topos der Nouvelle Rome in die Feder zu diktieren. Sie übernahmen diese Vermittlerdienste aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Hof und förderten umgekehrt die Wirkung der Einzelentscheidungen, die von Seiten der Zentrale getroffen wurden. Die programmatische Tendenz dieser Vermittlung ist deutlich ablesbar. Sie richtete sich auf die Kontrolle vorhandener und den Ausbau neuer Institutionen der Kunstadministration wie auch auf die Formulierung von adäquaten, schlagkräftigen Begründungen für die königliche Kunstpatronage. Die Rückbesinnung auf die monarchische Tradition des Mäzenatentums war untrennbar mit der Beförderung der Akzeptanz italienischer Kunst verbunden, die vordem immer wieder politisch diskreditiert worden war. Dadurch eröffnete sich die Krone einen neuen Handlungsspielraum in der Aufnahme
152 Abdruck des Librettos in Recueil general des operas, Ed. 1971, Bd. I, p. 13-24, hier p. 13.
4. Monarchische Restauration
der Künste
49
künstlerischer Beziehungen nach Italien. Nach 1661 wurde - zumindest für die drei folgenden Jahrzehnte - die ausschließliche Hinwendung nach Rom propagiert und auch vollzogen. Die Behauptung, daß sich Paris die universelle Herrschaft und Kultur Roms angeeignet habe, gab dieser Beziehung erheblichen Nachdruck. Freilich blieb auch den Zeitgenossen keineswegs verborgen, daß dies ein ebenso anspruchsvoll formuliertes wie abstraktes Ideal war. Seine schon um 1670 beobachtbare Zuspitzung verdankte sich dann bereits zum Teil der Einsicht, daß die traditionellen Mittel der Kunstbeziehungen nach Rom anachronistisch geworden waren. Denn dies war die Lehre aus der Berufung Berninis nach Frankreich. Die Berufung entsprach einem seit zwei Jahrhunderten üblichen, mehr oder minder bewährten Mittel des Kunstaustauschs, und die A n k u n f t Berninis in Paris erschien zunächst als Erfüllung eines vom französischen Hof seit fast einem halben Jahrhundert gehegten Wunsches. Doch das Vertrauen in die Künstlerberufung erwies sich für alle Beteiligten als eine eklatante historische Fehleinschätzung, als absehbar wurde, daß die Berufung in eine Konfrontation unterschiedlicher künstlerischer Erfahrungen und Erwartungen mündete.
II. Die Berufung von Gian Lorenzo Bernini nach Frankreich
Die Geschichte der Reise von Gian Lorenzo Bernini (1598-1680) nach Paris im Sommer des Jahres 1665 ist oft erzählt worden. Ihr zeitgenössischer Chronist war der offizielle Begleiter Berninis, Paul Freart de Chantelou (1609-1694), dessen Tagebuch als die anschaulichste und ausführlichste Quelle für das künstlerische Selbstverständnis Berninis gelten kann. Filippo Baldinucci (1625-1696) und Domenico Stefano Bernini (1657-1723) berichten in ihren Berniniviten ebenso ausführlich über den Aufenthalt und über dessen Vorgeschichte wie die Memoiren von Charles Perrault (1628-1707) 1 . Zahlreiche Briefe und Memoranden von Personen, die in unterschiedlicher Weise in die Reise und den Aufenthalt Berninis involviert waren oder sie als Beobachter wahrnahmen, vermitteln zusätzliche Einblicke in die mit der Tätigkeit Berninis in Paris verbundenen Diskussionen und Entscheidungen 2 . Zu diesen Quellen gehört die Korrespondenz, die Mattia de'Rossi (1637-1695) als Mitarbeiter Berninis verfaßte 3 . Paradoxerweise erschwert die Fülle der zeitgenössischen Uberlieferung, vor allem aber der - je nach Standort des Schreibers - apologetische oder polemische Charakter der schriftlichen Mitteilungen das historische Verständnis vom Parisaufenthalt Berninis. Die Nahsicht der ereignisgeschichtlichen und über weite Strecken gewinnend anekdotischen Darstellungsform in den Quellen wirkt auch in der Deutung der Vorgänge fort 4 . Berninis Berufung war von Beginn an ebenso Ausdruck wie Gegenstand von Konflikten. Auf eine nur in Umrissen erkennbare Weise wurde er nach der Auseinandersetzung 1 Chantelou, Ed. 2001; Baldinucci, Ed. 1948, p. 1 1 1 - 1 2 7 ; Bernini, 1713, p. 1 1 5 - 1 5 3 ; Perrault, Ed. 1993, p. 1 4 7 - 1 8 2 . Zu Chantelou Bandera, 1999; eine von Pablo Schneider und Philipp Zitzlsperger herausgegebene deutsche Neuedition des Tagebuchs mit Kommentarteil ist in Vorbereitung. 2 Einzelne Briefe zwischen Ludwig XIV., Colbert und Bernini sind auch in den Viten und der Memorialliteratur publiziert; zu den Memoranden vgl. Colbert, Bd. V, p. 245-265, 504-508; die Berichte des Nuntius in Paris sind publiziert bei Schiavo, 1956. 3 Die Korrespondenz ist mit weiteren verstreuten Dokumenten Bestandteil des Konvoluts in der BN, Ms. italien 2083; die Briefe De'Rossis wurden zuerst teilweise veröffentlicht von Mirot, 1904. 4 Die bislang einzige Monographie zum Thema von Gould, 1982 erscheint hierfür als symptomatisch. Sie bietet eine instruktive, erzählerisch angelegte Synopse der Quellen, ohne jedoch systematisch die Frage nach den verschiedenen Konfliktebenen zu stellen. Die umfangreiche Literatur zu den Einzelwerken wird im jeweiligen Kontext angeführt; maßgeblich als neuere Untersuchungen sind die Studien von Del Pesco, 1984; Bauer, 1992; Lavin, 1993; Berger, 1993, p. 2 0 - 2 4 ; Marder, 1998, p. 2 6 1 - 2 8 1 ; Gargiani, 1998, p. 7 1 - 9 8 ; Preimesberger, 2000 und Petzet, 2000, p. 7 9 - 1 0 5 , 1 2 1 - 1 4 6 .
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II. Die Berufung von Bernini nach Frankreich
zwischen seinen Auftraggebern, dem Papst und dem König, in die Rivalitäten innerhalb der Pariser Hofkünstler hineingezogen. Hinzu kamen die Kontroversen um die an Bernini in Paris erteilten Aufträge. Umstritten waren nicht nur seine Planungen zur Vollendung des Louvre, sondern auch die von ihm ausgeführte Königsbüste und das Reiterdenkmal Ludwigs XIV. Stets überlagerten sich dabei Rivalitäten zwischen den Künstlern und ein gravierender Dissens im Hinblick auf die von Bernini vorgelegten Entwürfe. Bekanntlich führten sie im Falle des Louvre zu einer Blockade der Neubauplanung Berninis. Durch die Königsbüste sah sich der Hofbildhauer Jean Varin zu einer Gegendarstellung in Form einer eigenen Büste herausgefordert und das Reiterdenkmal wurde schließlich von F r a n c i s Girardon überarbeitet. Aus dieser Perspektive läßt sich Berninis Aufenthalt als Symptom einer Kulturbegegnung verstehen, bei der in der ersten Phase der Selbstregierung Ludwigs XIV. mit dem Palast des Königs und mit der Darstellung des Monarchen in Bildnis und Denkmal die Hauptaufgaben königlicher Repräsentation zur Diskussion standen. Diese Aufgaben fanden erst über die Kritik an den Entwürfen Berninis eine verbindliche Ausformung und Verwirklichung.
1. Berninis Beziehungen zu Frankreich und der Wettbewerb für die Louvreplanung des Jahres 1664 Bernini traf Anfang Juni 1665 in Paris ein und reiste am 20. Oktober wieder ab. Eigentümlicherweise wurde der Frage, weshalb es zur Berufung Berninis nach Frankreich kam, bislang nicht ausführlich nachgegangen. Mehr oder minder lose und distanzierte Beziehungen zwischen dem Künstler in Rom und den Hofkreisen in Paris hatten vor 1664 über mehrere Jahrzehnte hinweg bestanden. Letztlich läßt sich aber aus diesen Kontakten die Parisreise nicht begründen. Folgt man Berninis eigener Aussage während seines Parisaufenthaltes, so soll bereits vor der Wahl Urbans VIII. im Jahr 1623 vom damaligen französischen Botschafter in Rom, Philippe Comte de Bethune, eine Einladung nach Frankreich ergangen sein. Der spätere Papst habe ihm aber geraten, das Angebot auszuschlagen, da vom Pariser H o f nur leere Versprechungen und Intrigen zu erwarten seien. Gegenüber seinen Gesprächspartnern in Paris konnte Bernini Jahrzehnte später das autoritative Gewicht der Warnung Urbans, der den Pariser H o f während seiner Zeit als Nuntius in den Jahren von 1604 bis 1607 kennengelernt hatte, als Bestätigung seiner aktuellen Erfahrungen mit den höfischen Verhältnissen ins Feld führen 5 . Noch während der Residenz Bethunes in R o m ließ sich Ludwig X I I I . im Jahr 1625 über die Technik einer Theaterkulisse informieren, mit der Bernini einen Sonnenaufgang auf die Bühne brachte 6 . Es war nicht diese unverbindliche Aufmerksamkeit, sondern ein englischer Präzedenzfall, der für den ersten Auftrag aus Paris - eine Büste für Richelieu - den Ausschlag gab. Im Juni 1635 hatte Urban VIII. (1623-1644) Bernini autorisiert, eine Büste des englischen Königs Karl I. (1625-1649) auszuführen. Zu diesem Zweck wurde dem Bildhauer ein Tripel-
5 Chantelou, Ed. 2001, p. 83 (22. Juni 1665). Die historische Einordnung der Einladung bleibt problematisch, da Bethune nach einem ersten Turnus als Botschafter 1601 erst nach der Wahl Urbans VIII. in den von Jahren 1624 bis 1629 wieder Botschafter in Rom war. 6 Gould, 1982, p. 7; siehe auch oben, Kap. 1,3 bei Anm. 109.
1. Berninis Beziehungen zu Frankreich
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porträt des Königs von Anthonis Van Dyck (1599-1641) nach Rom gesandt 7 . Die Befürwortung des Auftrags durch den Papst war eine Geste des Entgegenkommens für das im Sommer 1635 zwischen England und Frankreich erneuerte Bündnis. Sowohl der Papst als auch Richelieu hatten auf diese konfessionell problematische Allianz bereits seit 1625 gesetzt, als sie die Hochzeit zwischen dem protestantischen König und der katholischen Schwester Ludwigs XIII., Henrietta Maria de Bourbon, auf den Weg gebracht hatten. In den folgenden Jahren hatten sich aber die Bündnisversprechungen nicht erfüllt 8 . Wenige Monate nach der Ankunft der Büste Karls I. in London Ende Juli 1637 forcierte Richelieu seine eigene Nachfrage nach einem Werk Berninis. Zur Ausführung gelangte bis zum Beginn des Jahres 1641 dann eine Marmorbüste, die auf einem Tripelbildnis von Philippe de Champaigne (1602-1674) beruht 9 . Zudem bestellte Richelieu auch ein Standbild seiner Person 10 . Noch im Jahr des Auftragsgesuchs für die Büste wurde Bernini im November 1638 mit dem Entwurf der Festdekoration vor der Trinitä dei Monti anläßlich der Geburt Ludwigs XIV. betraut. Zwei Jahre später bemühte sich Ludwig XIII. darum, ein im Teatro Barberino aufgeführtes Stück, für das Bernini die Dekoration entworfen hatte, in Paris zur Aufführung zu bringen". Mit der Vermittlung des Büstenauftrags an Bernini war zeitweilig auch Mazarin befaßt, der vor seiner Berufung nach Frankreich im Jahr 1640 als Kunstagent für Richelieu in Rom tätig gewesen war. Seine Kontaktaufnahme mit Bernini schien nach dem Aufstieg zum Kardinalminister im Dezember 1642 nicht nur durch die persönliche Bekanntschaft begünstigt, sondern auch durch den Tod Urbans VIII. Schon knapp einen Monat nach dem Tod des Papstes sandte Mazarin Ende August 1644 eine briefliche Einladung an Bernini. Die Hoffnung, Bernini während der für ihn zunächst fatalen Begleitumstände des Pontifikatwechsels ins Ausland zu locken, erfüllte sich indes nicht, auch wenn Bernini wohl
7 Zur Auftragsgeschichte der Büste vgl. Ronald W. Lightbown, Bernini's busts of English patrons, in: Moshe Barash et al. eds., Art the Ape of Nature. Studies in H o n o r of H . W. Janson, N e w York 1981, p. 439-476, bes. p. 439^152 und Ausst. Kat. „Van Dyck 1599-1641", Antwerpen 1999, p. 292-294 und Zitzlsperger, 2002, passim. Im Juni 1639 bestellte die Königin bei Bernini ihre eigene Büste, die allerdings nicht zur Ausführung kam; das Auftragsschreiben vom 26. Juni 1639 erhalten im Konvolut BN, Ms. italien 2082, fol. 37. 8 Vgl. hierzu Gordon Albion, Charles I and the Court of Rome. Α Study in 17th Century Diplomacy, London 1935 und ausführlich Georg Lutz, Kardinal Giovanni Francesco Guidi di Bagno. Politik und Religion im Zeitalter Richelieus und Urbans VIII., Tübingen 1971. 9 Zur Auftragsgeschichte der heute im Louvre aufbewahrten Büste vgl. Laurain-Portemer, 1975, p. 74-80 und nun Zitzlsperger, 2002, p. 69-71, 100-102, 177 f. 10 Hierzu den Brief Berninis an Richelieu am 24. Mai 1642, in dem er sich für das Geschenk nach der Fertigstellung der Büste bedankt und fortfährt: Ne debbo se non credere, che sia rimasta sodisfatta del basso, mentre dal Sig. Card. Mazzarini mi vien significato, che Vostra Eminenza desidera, ch'io habbia il compito honore difar la statua intera. BN, Ms. italien 2083, p. 53. Zum Fragment einer als Statue Richelieus identifizierten und erst nach 1642 von Francesco Mocchi ausgeführten Figur JeanRene Gaborit, Le Bernin, Mocchi et le buste de Richelieu du Musee du Louvre. Un probleme d'attribution, in: BSHAF 63, 1977, p. 85-91. 11 Zur Festdekoration Bericht von Gerardi, 1639 und zusammenfassend Kat. „Festa a Roma", 1997, Bd. I, p. 206; zur Anfrage von 1640 Irving Lavin, Bernini and the Unity of the Visual Arts, 2 Bde., N e w York 1980, Bd. I, p. 146 ff.; allgemein Frederick Hammond, Music and Spectacle in Baroque Rome. Barberini Patronage under Urban VIII, N e w Haven-London 1994.
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II. Die Berufung von Bernini nach Frankreich
unmittelbar nach der Wahl Innozenz' X. (1644-1655) daran dachte, das Angebot anzunehmen. Letztlich zog er die Präsenz in Rom vor, um seine Auftragschancen erneut zu konsolidieren. Auch unter dem neuen Papst gab ihm der Erfolg darin recht12. Die anfängliche Bevorzugung anderer Künstler von seiten des Pamphili-Papstes sowie die öffentliche Anfeindung, der Bernini im Zusammenhang mit den Planungsfehlern bei den schließlich abgebrochenen Türmen von Sankt Peter ausgesetzt war, verarbeitete Bernini in der Skulpturengruppe mit dem Thema „Die Zeit entschleiert die Wahrheit". Die monumentale Allegorie war ursprünglich für die Aufstellung im Treppenhaus von Berninis Atelier an der Via della Mercede gedacht. Nur die Personifikation der Veritä kam als monumentale Aktfigur zur Ausführung. Angesichts seines neuerlichen Erfolges und der Rehabilitation seitens des Papstes war das Sujet als persönliche Rechtfertigung des Künstlers obsolet geworden. Bernini signalisierte 1647 Mazarin seine Absicht, ihm das Werk für seine Galerie zu übereignen. Offensichtlich ging es Bernini zu diesem Zeitpunkt um eine Sekundärverwertung der Gruppe, für die er Mazarin als Käufer und Auftraggeber für die Fertigstellung zu gewinnen suchte. Dem Kardinal ist dieses Kalkül nicht entgangen. Er vermied es, Bernini eine verbindliche Zusage für den Ankauf zu geben, statt dessen nutzte er erneut die Gelegenheit, ihn nach Paris einzuladen. Der Minister und der Künstler konnten sich darüber nicht verständigen, und man ließ die Angelegenheit erneut auf sich beruhen 13 . Auch in den folgenden zwei Jahrzehnten kam keine Einigung zwischen Bernini und Mazarin zustande. Gleichwohl suchte der Kardinalminister kontinuierlich den Ratschlag Berninis und machte weiterhin höchst lukrative Angebote. Die Idee, ihn 1656 mit seinem Grabmal und dann mit dem Entwurf des College des Quatre Nations zu beauftragen, wurde nicht weiter verfolgt, nachdem sie auf den Widerspruch Colberts gestoßen war. Colbert favorisierte als damaliger Berater und Intendant des Kardinalshaushalts von Mazarin den Architekten Louis Le Vau14. Drei Jahre später erteilte Bernini dem Angebot Mazarins eine Absage, das Grabmal Ludwigs XIII. sowie eine Familiengrablege der Mazzarini in SS. Vincenzo e Anastasia zu entwerfen 15 . Nach dem Tod Mazarins und dem Beginn der Selbstregierung Ludwigs XIV. im März 1661 erklärte sich Bernini wieder bereit, wie seinerzeit bei der Geburt des Königs (1638) auch für die Feiern anläßlich der Geburt des Dauphin am 1. November 1661 den Festapparat zu entwerfen. Wiederum wurden die Festlichkeiten in Rom von Kardinal Antonio Barberini ausgerichtet. In Zusammenarbeit mit Johann Paul Schor führte Bernini bis Anfang Februar 1662 die Entwürfe für den monumentalen ephemeren Aufbau am Hang vor der Trinitä dei Monti aus (Abb. 86). Uber der riesenhaften Figur eines Delphins als Sinnbild des Dauphin wurde die Königskrone von der Personifikation der Pax und der Figur des Ehegottes Hymenaios gehalten. Die Krone diente als Verweis auf den Pyrenäenfrieden und dessen Besiegelung durch die Ehe Ludwigs XIV. mit der spanischen Königstochter.
12 Baldinucci, Ed. 1948, p. 9 2 f . und Bernini, 1713, p. 71 f. jeweils mit Abdruck der Einladung Mazarins; zur Überlegung Berninis, nach Frankreich zu gehen, Laurain-Portemer, 1969, p. 195, Anm. 8. 13 Vgl. zur Dokumentation Laurain-Portemer, 1969 allerdings ohne die hier vorgeschlagene Deutung der Hintergründe; zur Gruppe zuletzt Ausst. Kat. „Bernini", Rom 1998, p. 2 9 0 - 3 0 9 . 14 Vgl. Ausst. Kat. „Colbert", 1983, p. 235 und Ballon, 1999, p. 32 f. 15 Laurain-Portemer, 1969, p. 185 f., 193 mit weiteren Belegen zu den Kontakten.
1. Berninis Beziehungen zu Frankreich
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Bei der Illumination des Apparats, dessen Disposition der des Aufbaus von 1638 folgte, ging die Personifikation der Discordia in Flammen auf16. In den Jahren zwischen 1662 und 1664 wurden die Kontakte von einem komplizierten Ineinanderwirken unterschiedlicher Vorgänge bestimmt, die auf der Ebene der Politik wie auch der künstlerischen Planungen in Paris angesiedelt waren. Es sind dies einerseits der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Paris und Rom für die Zeit von August 1662 bis März 1664 und andererseits die Ernennung Colberts zum Surintendant des Bätiments im Januar 1664, die danach offen zutage tretende Krise der Louvreplanung sowie der Prozeß gegen Nicolas Fouquet. Diese Entwicklungen liegen im Vorfeld der endlich erfolgreichen Initiative Colberts vom März 1664, Bernini für die Ausführung eines Louvreentwurfes zu gewinnen. Noch im Lauf der Monate nach den Festlichkeiten in Rom zur Geburt des Dauphin scheint es Kardinal Antonio Barberini (1608-1671) im Sommer 1662 gelungen zu sein, Bernini zur Zusage einer Reise nach Paris zu überreden. Ludwig XIV. annoncierte daraufhin mit seiner Einladung kein bestimmtes Arbeitsvorhaben, sondern ließ dem Künstler nur seinen Wunsch nach einer persönlichen Begegnung mitteilen. Allerdings wandte sich der Kardinal dann im Oktober des Jahres 1662 mit einem Brief an Bernini, in dem es ihm sichtlich Mühe machte, seine Indignation und Ratlosigkeit über dessen Zaudern zu unterdrükken: Io non so α che gioco giochiamo. Immer noch lasse sich Bernini nicht in die Karten schauen, während sein Mitspieler aus Ungeduld längst das Blatt aufgedeckt habe. Mit seinem Antwortschreiben legte nun auch Bernini die Karten auf den lisch und machte mit einem unerwartet deutlichen Treuebekenntnis klar, nach welchen Regeln er das Spiel verstand: Vostra Eminenza sa che io servo Papa Alessandro; nur eine formelle Order des Papstes könne es ihm ermöglichen, die Arbeit an den due opere le maggiori che siano nel mondo - die Petersplatzkolonnaden und die Kathedra Petri - zeitweilig zu unterbrechen 17 . Zum Zeitpunkt des Briefwechsels lag ein Dispens des Papstes in weiter Ferne. Anders als es den Hoffnungen von Kardinal Barberini wohl noch entsprochen haben mochte, war für Bernini mittlerweile die Frage einer Parisreise längst der diplomatischen Konvention des höfischen Künstleraustauschs enthoben. Sie war durch die Zerrüttung des Verhältnisses zwischen Rom und Paris zu einem Politikum geworden. Nach den bereits unter Innozenz X. von zahllosen Konflikten begleiteten und nur mit beträchtlichen Mühen aufrecht zu erhaltenden diplomatischen Verbindungen trat unter seinem Nachfolger die Krise der bilateralen Beziehungen offen zutage. Im Jahr 1655 war Flavio Chigi als Papst Alexander VII. (1655-1667) gewählt worden. Schon als Nuntius hatte er sich 1648 bei den Friedensverhandlungen in Münster nicht zuletzt gegen die französischen Ansprüche sowie die Bündnisse mit protestantischen Fürsten im Reich gewandt. Beim Pyrenäenfrieden von 1659 war der Papst dann als Mediator überhaupt nicht mehr berücksichtigt worden 18 . Der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Paris und Rom wurde im August
16 Zum Fest siehe unten, Kap. IV,2 bei Anm. 79. 17 Abdruck der Briefe Antonio Barberinis und Berninis vom Oktober und November 1662 bei Mirot, 1904, p. 168-170. 18 Vgl. hierzu zusammenfassend Caravale/Caracciolo, 1978, p. 434 f. und Klaus Jaitner, Die Päpste im Machtringen des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Ausst. Kat. „1648. Krieg und Frieden in Europa", 3 Bde., München 1998, Bd. II, p. 61-67 sowie Derek Croxton, Peacemaking in Early Modern Europe. Cardinal Mazarin and the Congress of Westphalia 1643-1648, Selinsgrove-London 1999.
II. Die Berufung von Bernini nach Frankreich
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1662 besiegelt. Am 20. August war es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der Leibgarde des französischen Botschafters Crequi und der korsischen Miliz des Papstes sowie zu Tumulten vor der Botschafterresidenz im Palazzo Farnese gekommen. Ludwig XIV. rief nach den Vorfällen seinen Botschafter aus Rom zurück und entließ den päpstlichen Nuntius in Paris. In den folgenden Monaten eskalierte der Konflikt, der in Paris von Anfang an als Präzedenzstreit instrumentalisiert und publizistisch in die Öffentlichkeit getragen wurde, in einem unheilvollen Ausmaß. Die politischen Spannungen führten Frankreich und den Kirchenstaat an den Rand des Krieges. Erst mit dem am 12. Februar 1664 unterzeichneten Vertrag von Pisa beugte sich der Papst am Ende den französischen Satisfaktionsforderungen 19 . In den Monaten des sich zuspitzenden Konfliktes um diepreseance Frankreichs im Zuge der sogenannten Korsenaffäre rechtfertigte Bernini gegenüber Kardinal Barberini die Absage einer Parisreise mit seiner Verantwortung gegenüber dem Papst. Er war bereits unter Urban VIII. zum Architekten der Camera apostolica und zum Leiter der Fabbrica di San Pietro ernannt worden. Während jedoch die mit diesen Ämtern verbundenen Bindungen bei den früheren Verhandlungen über einen Frankreichaufenthalt niemals zur Sprache gekommen waren, begründete Bernini mit ihnen nun erstmals seine Unabkömmlichkeit. Bei der Korsenaffäre, die in der Publizistik streckenweise auch als direkte persönliche Konfrontation zwischen Alexander VII. und Ludwig XIV. ausgetragen wurde, sah sich Bernini offenbar dazu herausgefordert, den Papst seiner Loyalität zu versichern. Bereits wenige Wochen nach dem Mitte Februar 1664 unterzeichneten Frieden von Pisa wandte sich Colbert an Bernini. Sein nicht auf den Tag genau datierter Brief vom März des Jahres bildet den Auftakt der schließlich erfolgreichen Berufung Berninis nach Paris. Es ist schwierig abzuwägen, in welcher Form die Frage der Berufung schon Gegenstand der Friedensverhandlungen gewesen war. Domenico Bernini schreibt rückblickend in der Vita seines Vaters, daß sich der Papst in einer Geheimklausel des Pisaner Vertrages verpflichtet habe, Bernini für einen dreimonatigen Aufenthalt am Pariser Hof freizustellen20. Baldinucci deutet hingegen nur vage an, der Papst habe die Freistellung des Künstlers anläßlich des Friedensschlusses als versöhnlichen Akt des Entgegenkommens verfügt: La santita del
papa per aggradire al re, massimamente in congiuntura degli aggiustamenti pur allora seguiticon quella corona, presto suo consenso.21 Sowohl Baldinuccis verklausulierte Lesart als auch die dezidierte Feststellung Domenico Berninis scheinen aber den historischen Sachverhalt nicht zu treffen. Weder auf dem umfassend dokumentierten Weg zum Frieden von Pisa noch im Vertragstext selbst findet sich ein Hinweis, daß auch die Freistellung Berninis durch den Papst Gegenstand der Verhandlungen gewesen sein soll22. Vergegenwärtigt man sich allerdings die Forderungen, die von französischer Seite bei den Unterredungen vorgetragen wurden, so wird die Vermutung eines solchen Zusammenhangs immerhin nachvollziehbar. In einer Art Handstreich versuchte Paris ein ganzes Arsenal von Ansprüchen durchzusetzen. Sie reichten von der Bestrafung und Abmahnung der vermeintlichen Missetäter sowie der Regelung inneritalienischer Territorialfragen zugunsten französischer
19 Ausführlich zu dem Vorfall Moüy, 1893; siehe auch unten Kap. IV,1 bei Anm. 21. 20 Bernini, 1713, p. 116. 21
Baldinucci, Ed. 1948, p. 116.
22 Zum Vertrag vgl. Traite de Pise etc., 1664; zu den Verhandlungen die Quellennachweise bei Erben, 1996, passim.
1. Berninis Beziehungen
zu
Frankreich
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Alliierter über die persönliche Abbitte des Papstnepoten Flavio Chigi (1599-1667) vor dem König (Abb. 72) bis zur Errichtung einer Schandpyramide in Rom (Abb. 70). Angesichts dieser willkürlich anmutenden Reparationsforderungen gewinnt auch der Gedanke an Plausibilität, daß am Rande der Verhandlungen zumindest das Interesse an einer Tätigkeit Berninis für den Pariser Hof signalisiert wurde. Freilich konnte für eine erfolgversprechende Beilegung der Angelegenheit niemand daran gelegen sein, Bernini zu kompromittieren. Wenn bei den Friedensgesprächen überhaupt sein Name fiel, dann vermied man es doch sorgsam, die Frage der Berufung offiziell zum Verhandlungsgegenstand zu machen. Ungeachtet des Problems, einen verläßlichen Einblick in die tatsächlichen Vorgänge zu gewinnen, ist es bemerkenswert, daß sich bald die Uberzeugung durchsetzte, Bernini sei von Paris aus dem päpstlichen Dienst regelrecht freigepreßt worden. Die Unterstellung, daß Paris jedes Mittel recht gewesen sei, um Bernini zu gewinnen, dient Domenico Bernini und Baldinucci offensichtlich dazu, den auch im Ausland genossenen Ruf ihres Protagonisten zu befestigen. Sie gehen dabei jedoch von einer Konsequenz der französischen Absichten und einer Ausschließlichkeit der Entscheidung für Bernini aus, die es in dieser Form nicht gab. Gleichzeitig mit der letzten Etappe der Friedensverhandlungen in Pisa wurde Anfang 1664 in Paris überhaupt erst der Rahmen für die spätere Berufung Berninis abgesteckt. Sie wäre trotz des politischen Drucks, den der Pariser Hof in diesem historischen Moment auf den Papst auszuüben in der Lage war, nicht zustandegekommen, wenn nicht eine verfahrene Planungssituation erst den Anlaß für einen konkreten Bauauftrag geboten hätte: Spätestens im Januar 1664 wurde die Krise bei der Planung zur Vollendung des Louvre publik. Colbert sah sich in seiner Funktion als Surintendant des Bätiments dazu bewogen, Alternativentwürfe bei französischen und italienischen Architekten für die nach dem Entwurf von Louis Le Vau schon begonnenen Flügel der östlichen Trakte des Palastes anzufordern. M. Colbert n'etoitpas content de ce dessin (de M. Le Vau), schreibt Charles Perrault lapidar in seinen Memoiren. Der Minister habe es sich persönlich zur Ehrensache gemacht und es für das Land zur Staatsangelegenheit erhoben, de donner ä ce palais une faqade digne du prince qui la faisoit hatirP Vor der Frage, woran sich dieses Mißfallen an der Qualität der Entwürfe entzündet haben könnte, bleibt zunächst der relativ späte Zeitpunkt erklärungsbedürftig, an dem Colbert seine Kritik äußerte. Die betreffenden Bauabschnitte nach den Plänen von Louis Le Vau (1612-1670), der 1654 zum premier architecte du Roy ernannt worden war, waren bereits seit 1659 im Bau. Erst mit der Ernennung zum Surintendant des Bätiments am 2. Januar 1664 fiel jedoch der Palastbau in das Ressort von Colbert. Diese neue Zuständigkeit hat Colbert jedoch letztlich nur die Autorität gegeben, einen bereits seit längerem schwelenden Konflikt mit Le Vau in seinem Sinne zu bereinigen. Wie bereits erwähnt, hatte er den Architekten noch 1657 mit Erfolg gegenüber Bernini für die Ausführung des College des Quatre Nations favorisiert. Schon in seiner Zeit als Finanzminister stellte er Le Vau aber dann vor dem König in einem Memorandum vom September 1663 mit überaus deutlichen Worten bloß. Im Zusammenhang mit dem Ausbau von Versailles diskreditiert er den Architekten zusammen mit Andre Le Nötre (1613-1700) als unfähig zum Entwurf einer Königsresidenz. Colbert wirft dem Baumeister und dem Gartenarchitekten vor, daß ihr Horizont nicht über die dem plaisir und divertissement dienende Bauaufgabe eines Lust23 Perrault, Ed. 1993, p. 146.
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II. Die Berufung von Bernini nach Frankreich
schlosses hinausreiche und ihnen für Repräsentationsbauten, die im Dienst der gloire stehen, die Kompetenz fehle. Mit zahlreichen kompromittierenden Anspielungen warnt er den König vor ihrem Streben nach Eigennutz und vor ihren Schmeicheleien 24 . Aus der Invektive gegen Le Vau und Le Notre spricht nicht nur der langgehegte Vorbehalt Colberts gegen Versailles. Das Ressentiment gegen die in Versailles tätige Künstlerequipe wurde im Lauf des Jahres 1663 wohl nachhaltiger durch den Prozeß gegen den ehemaligen Finanzminister Nicolas Fouquet (1615-1680) geschürt, für den Le Vau, Le Nötre und Le Brun in Vaux-le-Vicomte gearbeitet hatten. Wie es scheint, wurde die Schloßanlage Fouquets erst während des dreijährigen Prozesses gegen den ehemaligen Finanzminister, über den das Urteil im Dezember 1664 gesprochen wurde, wiederentdeckt. Die Prachtentfaltung der Anlage wurde publizistisch als ein Argument im Sinne eines moralisierenden Exempels gegen Anmaßung und Amtsmißbrauch ausgenutzt. In den von dem königlichen Rat Charles Cotin verfaßten und 1663 erschienenen Reflexions sur la conduite du Roy finden sich lange Auslassungen über den Reichtum der Schlösser von Privatleuten. Cotin beschreibt sie im Rahmen seines Kapitels über den vom König erwarteten Kampf gegen die Korruption, und es steht außer Frage, daß der Autor dabei vor allem Vaux-le-Vicomte vor Augen hatte: Die Hausherren seien so unversehens zum Himmel gewachsen wie in ihren Parks die Bäume der endlosen Alleen, die Kanäle würden von den Tränen und vom Blut des Volkes gespeist und seien weitläufiger que le cours des Rois & des Reines. Es handle sich nicht mehr um einfache Häuser der Geschäftsleute, wie sie ehedem errichtet worden seien, als es noch einen Rest von Bescheidenheit gegeben habe, und so fehlten einem die Worte, wenn die premiers Ministres d'un Estat wie die Könige logierten. Ihre Paläste seien des tem-
ples abominables, oü la cruaute, l'avarice insatiable, la volupte brutale, la derniere injustice & l'ambition effrenee dominent (...). C'est dans ces Louvres nouveaux qu'habitent ces hommes sans nom, sans naissance, sans charge, sans humanite & sans joy, qui se font nommer des Dieux de la terre.25. Während des Gerichtsprozesses gegen Fouquet war Colbert auf publizistischen Flankenschutz dringend angewiesen. Seine Strategie, den Vorgänger aus dem Amt zu drängen, und sein Plan, ihn mit rechtswidrigen Maßnahmen wie der Fälschung von Prozeßdokumenten und der Erpressung der Gerichte auf das Schafott zu bringen, erschienen den Zeitgenossen als Skandal. An ihm formierte sich eine Oppositionspartei, die mit einer Fülle von Schmähschriften gegen Colbert an die Öffentlichkeit trat 26 . Colbert und seine Parteigänger reagierten auf diese Angriffe, indem sie das Schloß Fouquets als sichtbares Monument für dessen Amtsmißbrauch der Öffentlichkeit vor Augen führten. Ludwig XIV. hat sich später - nachdem er die Künstler und Architekten aus dem Dienst Fouquets für Versailles übernommen hatte - in seinen Memoires diese Sicht zu eigen gemacht, als er feststellte, beim Anblick der vastes etablissements que cet komme avait projetes, sei er dazu bewogen wor-
24 Colbert, Bd. V, p. 269 f.; zum Memorandum siehe unten, Anm. 41. 25 Cotin, 1663, p. 19 f. 26 Hierzu grundlegend George Montgredien, L'Affaire Foucquet, Paris 1956 sowie Lionel Rothkrug, Opposition to Louis XIV. The political and social origins of the French Enlightenment, Princeton N.J. 1965, p. 193-211; zur Verhaftung und zum Prozeß vgl. Betty Tuba Uzman, Kinship, Friendship and Gratitude. Nicolas Foucquet's patronage network 1650-1661, Diss. Johns Hopkins Univ. 1988, Ann Arbor 1989, p. 312-357; zusammenfassend Malettke, 1977, p. 36-41 und jüngst JeanChristian Petitfils, Fouquet, Paris 1999, bes. p. 383—455.
1. Berninis Beziehungen zu Frankreich
59
den, gegen den Finanzminister vorzugehen 27 . Auch Louis Le Vau wurde wegen seiner früheren Tätigkeit für Fouquet zumindest zeitweilig als Hofarchitekt diskreditiert 28 . Colbert hat die Demission Le Vaus als des leitenden Architekten der Louvreplanung über ein öffentliches Schiedsgericht betrieben. Unmittelbar nach seiner Ernennung zum Surintendant wurden die Entwürfe der seit 1657 vorliegenden Gesamtplanung Le Vaus sowie ein zugehöriges Baumodell im Louvre präsentiert. Im Kreis der versammelten Gutachter stießen sie auf einhellige Ablehnung. Freilich endete an diesem Punkt der Konsens, denn die Frage der Auftragserteilung für die Neufassung der Entwürfe war völlig ungeklärt. So erhielt weder Claude Perrault (1613-1688) bereits den Zuschlag für seinen Kolonnaden-Entwurf, wie dies sein Bruder glauben machen will, noch wandte man sich zielstrebig an Bernini, wie dessen Biographen versichern 29 . Colbert wollte die Wettbewerbssituation bewußt offenhalten und den Sachverstand verschiedener Architekten zu Rate ziehen. Von französischer Seite wurden neben den Plänen von Frangois Mansart (1598-1666) weitere Entwürfe eingereicht 30 . Zudem wurde der Plan gefaßt, sich an mehrere römische Architekten zu wenden. Die Anfrage nach der Zusendung von Entwürfen auswärtiger Architekten kann als frühes Beispiel für das Phänomen der Korrespondenz-Architektur gelten, das erst mit dem Beginn des 18. Jahrhunderts an den europäischen Höfen Verbreitung fand 31 . Im Zusammenhang mit der Louvreplanung lassen sich unterschiedliche Beweggründe für dieses Verfahren bestimmen. Man mochte sich im Beraterkreis um Colbert daran erinnert haben, daß es bei den Neubauten des Louvre bereits um die Mitte des 16. Jahrhunderts zu einem französisch-italienischen Paragone gekommen war, als dem Idealentwurf von Sebastiano Serlio für Franz I. die von Pierre Lescot (fl578) vorgelegte Neuplanung des Louvrehofes vorgezogen wurde. Der ausgeführte südwestlich gelegene Hoftrakt Lescots (Abb. 24-25) bildet den Nukleus der ab 1624 von Jacques Lemercier geplanten Vierflügelanlage der Cour Carree. Ihre bestehenden, gegenüber dem mittelalterlichen Altbaubestand des Louvrehofes um das Vierfache gesteigerten Dimensionen bildeten noch für Louis Le Vau den Ausgangspunkt der Planung 32 . Auch der Weg, Entwürfe von auswärtigen Architekten zu erbitten oder diese zur Bauausführung einzuladen, erweist sich nicht als völlig ungewöhnlich und wurde seit dem frühen 17. Jahrhundert insbesondere in der Ordensbaukunst beschritten. Ein im Kontext der Louvreplanung höchst aktueller Fall für die ordenstypischen Modalitäten der Auftragsvergabe war die Berufung von Guarino Guarini (1624-1683) nach Frankreich. Guarini kam 1662 als Baumeister des Theatinerordens, dem er selbst angehörte, zum Bau von 27 Louis XIV, Ed. 1992, p. 88 zum Jahr 1661; die betreffenden Abschnitte der Memoiren entstanden 1666. 28 Zur höchst problematischen Stellung von Le Vau in diesen Jahren auch Ballon, 1999, p. 33-37, 76-83, 118, 128-133. 29 Perrault, Ed. 1993, p. 147 f.; Baldinucci, Ed. 1948, p. 111 f.; Bernini, 1713, p. 116-118. 30 Vgl. Hautecoeur, 1927, p. 146-150 zu den Plänen, deren genaue Datierung jedoch für einzelne Blätter fraglich ist. 31 Zum Begriff der Korrespondenz-Architektur Hellmut Lorenz, Zur Internationalität der Wiener Barockarchitektur, in: Akten des XXV. Internationalen Kongresses für Kunstgeschichte 1983. Bd. 7: Wien und der europäische Barock, Wien 1986, p. 21-30. 32 Zu den Planungsphasen des 16. Jahrhunderts Ballon, 1997, p. 16-27 und Prinz/Kecks, 1994, p. 123-126,465-468.
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II. Die Berufung von Bernini nach
Frankreich
Sainte-Anne-la-Royale nach Paris und hat sich vier Jahre in der Stadt aufgehalten33. Colbert war als Intendant des Kardinalshaushalts und zeitweiliger Vermögensverwalter von Mazarin sicherlich in die Planungshintergründe des Bauvorhabens eingeweiht. Denn der Kirchenbau der Theatiner wurde ab 1647 kontinuierlich mit Stiftungen Mazarins bedacht. Die Planungsepisode des 16. Jahrhunderts und die Berufung Guarinis nach Paris dürften Colbert modellhaft vor Augen gestanden haben, als er Anfang 1664 nach Auswegen aus der Krise der Louvreneubauten suchte. Letztlich war es aber der zwischenzeitlich erfolgten Aussöhnung zwischen Ludwig XIV. und Alexander VII. zu verdanken, daß man sich überhaupt wieder nach Rom orientieren und an den Architekten des Papstes eine Einladung adressieren konnte. Bernini war zunächst weder die einzige noch die erste Wahl. Wie aus einem von Charles Perrault überlieferten und wohl auch von diesem für Colbert verfaßten Briefentwurf hervorgeht, beabsichtigte man zunächst, den in Rom ansässigen Nicolas Poussin dafür zu gewinnen, Kontakte zu den dortigen Architekten herzustellen und ihnen das Planmaterial Le Vaus mit einer schriftlichen Erläuterung vorzulegen. Der Vermittlungsauftrag an Poussin läßt offen, ob er nur Stellungnahmen zum Entwurf Le Vaus einzuholen oder von den Architekten auch eigene Entwürfe zu erbitten hatte. Doch wurde Poussin die Wahl geeigneter Architekten überlassen, er solle aber diejenigen Baumeister, qui sont en grande reputation, wie Pietro da Cortona, Carlo Rainaldi und Bernini konsultieren. In der zweiten Hälfte des Schreibens teilt Colbert seine Absicht mit, eine Ausbildungsstätte für französische Künstler in Rom zu gründen34. Der Brief läßt sich als eine Programmvorlage des neuen Surintendant des Bätiments verstehen, in der die Absichten zur Gestaltung der künstlerischen Beziehungen zwischen Paris und Rom formuliert sind. Gerade darauf ist es zurückzuführen, daß der Entwurf des Schreibens von Colbert nicht unterzeichnet wurde und bei den Akten Perraults blieb. Denn vom Akademieprojekt existierte unmittelbar nach der Amtseinführung Colberts als Surintendant bestenfalls die Idee, und die Unentschiedenheit beim Prozedere der Louvreplanung ist offensichtlich. Während der Akademiegedanke erst zwei Jahre später in die Tat umgesetzt wurde, hat sich das letztere Problem schnell geklärt. Die bereits genannte Anfrage Colberts bei Bernini ist auf den März 1664 datiert. Der Surintendant bittet den Künstler um eine Begutachtung der ihm zugesandten Louvrepläne und ersucht ihn darüber hinaus, que vous voudrez bien mettre sur le papier quelques-unes de ces admirables pensees qui vous sont si familieres, et desquelles vous avez donne tant de preuves,35 Man muß davon ausgehen, daß ähnliche Schreiben, von denen aber jede Spur fehlt, auch an Pietro da Cortona, Carlo Rainaldi (1611-1691) und Candiani adressiert waren. Als Kurier zur Übermittlung der Depeschen und der zugehörigen Planunterlagen wurde der Kunstagent Elpidio Benedetti beauftragt, der sich in den Wintermonaten des
33 Vgl. David R. Coffin, Padre Guarino Guarini in Paris, in: Journal of the Society of Architectural Historians 15 (2), 1956, p. 3-11; Hinweise zur Auftragsvermittlung in der Ordensarchitektur bei Johannes Terhalle, ...ha della Grandezza de padri Gesuiti. Die Architektur der Jesuiten um 1600 und St. Michael in München, in: Ausst. Kat. „Rom in Bayern. Kunst und Spiritualität der ersten Jesuiten", ed. Reinhold Baumstark, München 1997, p. 83-146. 34 Perrault, Ed. 1993, p. 150-152. 35 Colbert, Bd. V, p. 245; in italienischer Ubersetzung bei Baldinucci, Ed. 1948, p. 111 f. und Bernini, 1713, p. 117.
1. Berninis Beziehungen zu Frankreich
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Jahres 1664 in Paris aufhielt 36 . Benedetti trat am 20. April unmittelbar nach seiner Ankunft in Rom mit Bernini in Kontakt. An die anderen Architekten wandte er sich erst Mitte Mai, als Bernini bereits seinen ersten Louvreentwurf vollendet hatte 37 . Im Juli lag der Entwurf Berninis bereits in Paris vor, während die Entwürfe der römischen Mitkonkurrenten erst im Lauf der folgenden Monate in der französischen Hauptstadt eintrafen. Cortona versandte in seinem Argwohn gegen Benedetti seine Pläne nicht über den Kunstagenten, sondern über den großherzoglichen H o f von Florenz, mit dem er seit der Ausmalung des Palazzo Pitti in Kontakt war 38 . Im Oktober teilte Benedetti Colbert mit, daß Bernini nur unter der Voraussetzung, daß er sich keiner Konkurrenz zu stellen habe, zur Ausführung eines Entwurfs bereit gewesen sei. U m sich der weiteren Mitarbeit des Architekten zu versichern, sei es notwendig, sich für seinen Entwurf zu entscheiden 39 . Die Androhung, Bernini werde seine Zusammenarbeit aufkündigen, wurde in einem für den Erfolg des Architekten prekären Moment ausgesprochen: Denn einerseits lagen sämtliche Alternativentwürfe in Paris vor, andererseits wurde Berninis erster Louvreentwurf in einem Memorandum Colberts einer harschen Kritik unterzogen. Die Taktik, die Verantwortlichen in Paris unter Druck zu setzen und Berninis Mitbewerber aus dem Feld zu schlagen, hatte jedoch überraschenden Erfolg. Der Konkurrenz entledigt, erklärte sich Bernini zur Ausarbeitung eines zweiten Entwurfes bereit. Am 10. April 1665 erfolgte die formelle Einladung Berninis nach Paris, der Papst gab zwei Wochen später seinen Dispens, Ende des Monats reiste Bernini aus Rom ab40. Die lange Vorgeschichte der Einladung Berninis nach Paris fand so ein erfolgreiches, wenn auch eigentümlich zwiespältiges Ende. Obwohl Bernini über Jahrzehnte hinweg Kontakte zum Pariser Hof hatte, spielten die früheren Verbindungen für seine Berufung keine ausschlaggebende Rolle. Sie haben im Gegenteil wohl eher ein negatives Urteil über Bernini befestigt. Im Umfeld Colberts scheint man seines Zögerns überdrüssig geworden zu sein, und man hielt Bernini gerade vor dem Hintergrund der verfahrenen Planungssituation des Louvre für einen wenig verläßlichen Partner. Das Unternehmen wurde zudem durch politische Zwischenfälle auf beunruhigende Weise verschleppt. Durch die Affäre um die Verurteilung Fouquets geriet Colbert in die Schußlinie der öffentlichen Kritik, während aus der Verteidigungsstrategie des Finanzministers maßgeblich die Diskreditierung des auch für den Louvre verantwortlichen Premier Architecte du Roy, Louis le Vau, motiviert war. Gleichzeitig blockierte die Korsenaffäre die Beziehungen zu Rom, bis sich mit deren Beilegung schließlich die Option eröffnete, durch die Anforderung von Konkurrenzentwürfen römischer Architekten zu einer Lösung in der Krise der Louvreplanung zu kommen. Schließlich sicherte die Ernennung zum Surintendant des Bätiments Colbert 36 Benedetti war gegen Ende des Jahres 1663 in Paris eingetroffen, um sich seine Einkünfte aus der Abtei von Aumale bestätigen zu lassen. In einem Brief vom 27. Februar 1664 kündigt er seine Abreise für Anfang März an; vgl. Castro Moscati, 1988, Nr. 15. Wahrscheinlich wurde der Brief an Bernini bereits im Februar 1664 verfaßt und auf den Monat der Abreise des Kuriers vordatiert, wobei das genaue Datum ausgespart blieb. 37 Zu den folgenden Vorgängen vgl. Mirot, 1904, p. 170-176 mit den relevanten Briefen Benedettis aus Rom; diese und weitere Briefe publiziert bei Castro Moscati, 1988, Nr. 16-37. 38 In den Jahren 1663-1665 brachte Ciro Ferri als Schüler Cortonas die Freskierung des Staatsappartements der Residenz zum Abschluß, Cortona hat Florenz nach 1647 nicht mehr aufgesucht. 39 Castro Moscati, 1988, Nr. 28 (Brief vom 27. Okt. 1664). 40 Mirot, 1904, p. 195-198.
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II. Die Berufung von Bernini nach Frankreich
auch die Zuständigkeit für die Herrscherresidenz in der Hauptstadt. Erst die Klärung der politischen Situation und der Kompetenzzuwachs für Colbert durch das neue Amt schufen zu Beginn des Jahres 1664 aussichtsreiche Voraussetzungen für Initiativen zur Vollendung des Louvre. Auf die Rationalität des Planungsvorgangs richtete sich in den folgenden Monaten primär die Erwartung von Colbert. Er vertraute dabei auf das Verfahren, durch die Diskussion von Alternativen zu einer Lösung zu kommen. Es ist Elpidio Benedetti zuzuschreiben, daß dieser Weg nicht zu Ende gegangen wurde. Erst durch sein am Rande der Intrige angesiedeltes Taktieren gewann Bernini gegenüber seinen Konkurrenten den Vorrang. So trägt die Berufung Berninis und die Auftragserteilung von Beginn an Züge des Unvorhergesehenen. Dies gilt auch für die Tatsache, daß seine Planung schließlich so wenig realisiert wurde wie die Entwürfe seiner römischen Architektenkollegen. Die Ablehnung resultiert aus gravierenden Differenzen im Hinblick auf die Anforderungen, die an die Bauaufgabe einer Königsresidenz gestellt wurden. Dieser prinzipielle Dissens war - wie schon die Berufung Berninis - von den Zeitereignissen durchdrungen, er kam durch sie aber letztlich auch zu einer Klärung.
2. Die Planungsvorgaben Colberts und die römischen Louvreentwürfe Nirgends sonst findet das für die Louvreneubauten intendierte Anspruchsniveau eine solch programmatische Formulierung und explizite Begründung wie in einem Brief Colberts an den König. Der Finanzminister spielt in dem Schreiben vom September 1663 die beiden im Bau befindlichen Residenzen in der Hauptstadt und in Versailles gegeneinander aus. Die Bedeutung dieser Quelle ist so eminent, daß man sie sich ausführlich vergegenwärtigen muß: Cette maison (de Versailles) regarde bien davantage le plaisir et le divertissement de Vostre Majeste que sa gloire; et comme eile fait bien connoistre ä tout le monde combien eile preßre celle-cy α ceux-la, et que c'est assurement l'interieur de son coeur, en sorte qu'ily a toute seurete de parier librement α Vostre Majeste sur cette matiere sans courir risque de luy deplaire, je croirois prevarquier a lafidelite que je luy dois sije ne luy disois qu'il est bien juste qu'apres une si grande et si forte application qu'elle donne aux affaires de son Estat avec I'admiration de tout le monde, eile donne quelque chose a sesplaisirs et a ses divertissements, mais qu'il faut bien prendre garde qu'ils ne prejudicient α sa gloire. (...) Si (Vostre Majeste) veut faire reflexion que l'on verra a jamais dans les comptes des tresoriers de ses bastimens que, pendant le temps qu'elle a depense de si grandes sommes en cette maison (de Versailles), eile a neglige le Louvre, qui est assurement leplus süperbe palais qu 'ily ayt au monde et le plus digne de la grandeur de Vostre Majeste. (...) Et Dieu veuille que tant d'occasions qui la peuvent necessiter d'entrer dans quelque grande guerre, en luy ostant des moyens d'achever ce süperbe bastiment, ne luy donnent pour longtemps le deplaisir d'en avoir perdu le temps et Voccasion! Vostre Majeste sqait qu'au defaut des actions eclatantes de la guerre, rien ne marque davantage la grandeur et I'esprit des princes que les bastimens; et toute laposterite les mesure α l'aune de ces süperbes maisons qu'ils ont elevees pendant leur vie. Ο quelle pitie,
2. Die Planungsvorgaben
Colberts
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que le plus grand roy et le plus vertueux, de la veritable vertu qui fait les plus grands princes, fust mesure ä l'aune de Versailles! Et toutefois, ily a lieu de craindre ce malheur. Pour moy, j'avoue a Vostre Majeste que, nonobstant la repugnance qu'elle a d'augmenter les comptans, si j'avois pu prevoir que cette depense eust este si grande, j'aurois este d'avis de I'employer en des ordonnances de comptant, afin d'en oster la connoissance. Vostre Majeste observera de plus, s'il luy plaist, qu'elle est entre les mains de deux hommes (i.e. Louis Le Vau und Andre Le Notre) qui ne la connoissentpresque qu'a Versailles, c'est-a-dire dans leplaisir et dans le divertissement, et qui ne connoissent point du tout I'amour qu'elle a pour la gloire, de quelque part qu'elle doive venir; que laportee de leurs esprits, suivant leurs conditions, divers interestsparticuliers, lapensee qu'ils ont de faire bien leur cour aupres de Vostre Majeste, joint a la patronance dont ils sont en possession, f era qu'ils traisner ont Vostre Majeste de desseins en desseins pour rendre ces ouvrages immortels, si eile η 'est en garde contre eux. Pour concilier toutes choses, c'est-a-dire pour donner a la gloire de Vostre Majeste ce qui doit luy appartenir, et a ses divertissemens de mesme, eile pourroit faire terminer promptement tous les comptes de Versailles, fixer une somme pour y employer tous les ans; peut-estre mesme seroit-il bon de le separer entierement des autres fonds des bastimens, et ensuite s'appliquer tout de bon a achever le Louvre; et si lapaix dure encore longtemps, elever des monumens publics qui portent la gloire et la grandeur de Vostre Majeste plus loin que ceux que les Romains ont autrefois e lev es." In der Gegenüberstellung von Versailles und dem Louvre konfrontiert Colbert die Bauaufgabe der ländlichen Maison de plaisance mit derjenigen der Herrscherresidenz in der Hauptstadt. Auch wenn er die Zugehörigkeit beider Residenztypen zum Bauprogramm des Monarchen respektiert, so steht für ihn außer Frage, daß dem Palast in der Hauptstadt uneingeschränkt der Vorrang gebührt. Er begründet dies für den Louvre weder historisch aus der Tradition der Hofhaltung noch funktional aus den praktischen Erfordernissen des Hofes, sondern ausschließlich ideologisch aus dem Repräsentationsbedarf des jungen Monarchen, der zwei Jahre zuvor die persönliche Regierung des Königreichs übernommen hatte. Ganz im Sinne der zeitgenössischen Definition des Lusthauses ist für Colbert Versailles der Ort zur Befriedigung des Wunsches nach Vergnügen und Unterhaltung 42 . Angesichts der problematischen Haushaltslage hielt Colbert den weiteren Ausbau des Schlosses - 1 6 6 2 war der terrassierte H o f mit den flankierenden Communs angelegt und mit dem Ausbau des Gartens begonnen worden - schlechterdings für eine Fehlinvestition. U m den König zumindest von der Zurückstellung der Arbeiten zu überzeugen, führt Colbert zudem den bereits erwähnten Angriff auf die in Versailles tätigen Architekten. Le Vau und Le Nötre werden als Künstler, die vordem Bau und Garten der Maison de plaisance von Vaux-le-Vicomte entworfen hatten, mit ihrem früheren Bauherrn Fouquet der Korruption bezichtigt. In deutlich polemischer Absicht suggeriert Colbert, daß beide Künstler nur zur Planung 41 Colbert, Bd. V, p. 269 f. Der Brief trägt nur das Datum des 28. September ohne Jahresangabe; zur Begründung der Datierung in das Jahr 1663 Pierre de Nolhac, La Creation de Versailles d'apres des sources inedites, 2 Bde., Versailles 1901/1925, Bd. I, p. 207. 42 I.d.S. eine Teildefinition von Augustin-Charles Daviler im Cours d'architecture von 1691; vgl. Krause, 1996, p. 9.
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II. Die Berufung
von Bernini nach
Frankreich
eines Lustschlosses befähigt seien. Mit einem beträchtlichen Maß an historischer Klitterung verschweigt er dabei freilich die Tatsache, daß beide bereits seit fast einem Jahrzehnt maßgeblich am Ausbau des Residenzkomplexes von Louvre und Tuilerien beteiligt waren. Im Gegensatz zu Versailles sieht Colbert im Louvrepalast ein Monument der gloire des Monarchen. D e r in seiner Tragweite kaum zu überschätzende Ruhmesbegriff erweist sich als das vordringlich zu erstrebende Attribut des Herrschers. Hinter ihm verbirgt sich ein Prinzip, das alle anderen Leidenschaften und Tugenden des Fürsten lenkt und ihnen erst Sinn verleiht 43 . Im Hinblick auf die Mittel zum Ruhmerwerb kommt Colbert zu der im Grunde konventionellen, für den Planungsprozeß des Louvre indes folgenreichen Gleichsetzung von Bau- und Kriegsherr: Solange der Waffenruhm auf sich warten läßt, muß die gloire durch den Bauwillen des Königs garantiert werden. Darin ist ein Triumphalgedanke angelegt, der in der Schlußwendung des Briefes eine imperial-universalistische Dimension gewinnt. Hier formuliert Colbert das Versprechen, daß sich durch das zukünftige Bauprogramm Ruhm und Größe des Königs weiter in die Welt hinaus tragen ließen, als dies die römischen Imperatoren vermocht hätten. Colbert hat in seinem Brief an Ludwig XIV. vom 28. September 1663 das Anspruchsniveau des Louvre in umfassender Weise beschrieben. Die entschiedene Abgrenzung des Typus der Urbanen Herrscherresidenz gegen die Maison de plaisance sowie die Herausforderung durch das historische Modell des kaiserzeitlichen R o m bilden dabei zwei Pole, die durch die Idee vom Palast als einem Monument der gloire des Monarchen miteinander verbunden sind. Freilich wußten weder Colbert bei der Abfassung seines Briefes noch der Beraterkreis, der ihn nach seiner Ernennung zum Bauintendanten umgab, genau zu sagen, wie dieses anspruchsvolle Programm in eine architektonische Gestalt umgesetzt werden sollte. Aus der nun einsetzenden Suche nach Lösungen, den Prämissen Colberts eine architektonische F o r m zu verleihen, gewann der Planungsprozeß für den Louvre in den Jahren zwischen 1663 und 1667 seine Dynamik. A m Beginn der Suche stand zunächst die Ablehnung des Louvreentwurfs von Le Vau, dessen Vorschlag für das angestrebte Anspruchsniveau der Residenz als ungenügend erachtet wurde. Louis Le Vau war im Rahmen seines 1663 vorgelegten Gesamtentwurfs für die Cour Carree vor allem bei diesem zur Diskussion stehenden Fassadentrakt in einen gestalterisch schwer aufzuhebenden Zwiespalt geraten. Sein Entwurf läßt sich als der Versuch verstehen, den Typus der Gartenfassade des Lustschlosses von Vaux-le-Vicomte für die Bauaufgabe der Herrscherresidenz des Louvre zu adaptieren. Le Vau sah eine dreiteilige Risalitfassade mit einem überkuppelten Mittelpavillon auf ovalem Grundriß vor, der über die Fluchtlinie der beiden Eckrisalite polygonal hervortritt (Abb. 9) 44 . Den Aufriß des Mittelpavillons plante er als zweigeschossigen Säulenportikus mit jeweils drei horizontal schließenden Offnungen, der durch schräge, leicht konkav einschwingende Bauachsen in die ausgedehnte Gesamtfront eingegliedert ist. Das querovale, überkuppelte Vestibül des Louvre steht in der Nachfolge des Festsaales des ab 1656 von Le Vau entworfenen Schlosses von
43 Zum Begriff der gloire siehe ausführlich unten, Kap. V,l. 44 Zu dem Projekt haben sich mehrere Grundrißvarianten sowie ein Detailschnitt, aber kein Aufriß erhalten; es wurde in mehreren Aufsätzen rekonstruiert, vgl. besonders Mary Whiteley/Allan Braham, Louis Le Vau's Projects for the Louvre and the Colonnade, in: Gazette des Beaux-Arts, s. VI, 64, 1964, p. 285-296, 347-362; zusammenfassend Berger, 1993, p. 11 f. und zuletzt Petzet, 2000, p. 22-38.
2. Die Planungsvorgaben
Abb. 9
Colberts
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Louis Le Vau: Projekt für den Osttrakt des Louvre, 1664. Zeichnung. Paris, Musee du Louvre.
Vaux. Bei der Gestaltung der Kuppellösung am Außenbau kommt es aber zu einer eigenwilligen Inversion von Tambour und Kuppel: Während Le Vau in Vaux auf einen Tambour verzichtet hatte, wird nun beim Louvreentwurf der Mittelpavillon von einer tambourförmigen, offenen Säulenhalle bekrönt, die als Verblendung der tieferliegenden, durch einen Okulus weit geöffneten Vestibülkuppel dient, dabei aber die Kuppelansätze an den Rändern der Ringhalle sichtbar beläßt. Durch die Bekrönung und die Neuformulierung des Portikusaufrisses, der in Vaux noch isoliert vor die Rundung des Festsaals gesetzt ist, gewinnt der Mittelpavillon in neuartiger Weise den Rang eines monumentalen Zentrums der Gesamtfassade. Mit den Dimensionen des Baus ist zudem die architektonische Instrumentierung mit kolossalen Säulenordnungen und den Arkadenöffnungen des Erdgeschosses an den Seitenflügeln und den Eckpavillons gesteigert. Wie bereits angedeutet, läßt sich die Diskreditierung Le Vaus durch Colbert vom aktuellen Prozeßgeschehen gegen Nicolas Fouquet nicht trennen. Colbert und seine Parteigänger nutzten die Polemik gegen den Architekten, um die Verurteilung von Fouquet voranzutreiben. Colberts Vorwurf an Le Vau und Le Nötre, sie würden die Majestät des Königs nur in Versailles - c'est a dire dans leplaisir et dans le divertissement - kennen, und ahnten nichts von der amour qu 'eile a pour la gloire, bedeutete auch eine unmittelbare Aburteilung von Le Vaus Louvreplanung. Beim grundsätzlichen Ressentiment gegen Le Vau spielten sicherlich auch ästhetische Vorbehalte eine Rolle, die allerdings weder für Colbert selbst noch für seinen Beraterkreis in den Quellen zu belegen sind. Wahrscheinlich lagen sie aber auf der Ebene der Bewältigung der Bauaufgabe. In Le Vaus Louvreentwurf bleibt seine früher errichtete Maison de plaisance von Vaux architektonisch deutlich präsent. Dies gilt vor allem für den Mittelpavillon, der einen überkuppelten Ovalraum aufnimmt und zur Fassade durch einen Portikusvorbau geschlossen ist. Wie das Motiv der offenen Ringhalle konnte zwar das für Vaux realisierte Fassadenschema, das dort mit weitreichenden Analogien zu den antiquarischen Rekonstruktionen imperialer Palastbauten vorgetragen wurde,
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II. Die Berufung von Bernini nach Frankreich
Anciennität im französischen Schloßbau beanspruchen 45 . Für Colbert und seinen Beraterkreis muß aber vor allem die Gestaltung des Mittelpavillons geradezu ein Signal für die Ablehnung von Le Vaus Louvreentwurf gegeben haben. Letztlich sahen sie in dem Entwurf wohl die ambitioniert gesteigerte Variante eines Landhauses, das einem diskreditierten Minister des Königs gehörte. Die Pläne des Projektes von Le Vau wurden im April 1664 durch Benedetti den von Colbert eingeladenen Architekten in Rom überbracht. Benedetti wurden zudem schriftliche Erläuterungen der Pläne mitgegeben, und er erhielt wohl auch den Auftrag, sie im Sinne des Auftraggebers gegenüber den Architekten zu kommentieren 46 . Die eingereichten Projekte von Bernini, Rainaldi und Cortona legen eine solche ausdrückliche schriftliche und mündliche Vermittlung und Verdeutlichung der Planungsabsichten nahe, denn alle Entwürfe stellen sich als Variationen über das Thema derjenigen Dekorumskonzeption dar, die Colbert in seinem Memorandum von 1663 in deutlichen Umrissen skizziert und dem König vorgetragen hatte. Die Suche der römischen Architekten richtete sich dann darauf, eine spezifisch monarchische Aussageform der Architektursprache zu finden. In Berninis erstem Entwurf für die Ostfassade des Louvre bildet die Metapher der Krone das formale wie ikonographische Zentrum der Fassadengestalt (Abb. 10)47. Über der Balustrade des querovalen Mittelrisalites setzt ein Tambour an, dessen Mauerkrone mit den französischen Königslilien besetzt ist. Sie sind in der Form von Akroterien über den Doppelpilastern des Tambours angeordnet. Der Aufriß der zweigeschossigen Arkadengänge, denen eine Kolossalordnung vorgelegt ist, ist in einer Kurvatur von der Fassadenmitte über die konkaven Seitentrakte weitergeführt. Erst an den Eckrisaliten, deren Türfenster von den Arkaden übernommen sind, erscheint der Mauergrund des Baukörpers.
45 Zu Vaux zuletzt Jean-Marie Perouse de Montclos, Vaux-le-Vicomte, Paris 1997 und ausführlich zur Architekturtradition Patricia Brattig, Das Schloß von Vaux-le-Vicomte, Diss. Köln 1997 (= 63. Veröffentlichung der Abteilung Architekturgeschichte des Kunsthistorischen Instituts der Universität zu Köln), Köln 1998; zum Motiv der Ringhalle Robert W. Berger, Antoine Le Pautre and the motif of the drum-without-dome, in: Journal of the Society of Architectural Historians 25, 1966, p. 165-180. 46 Die einschlägigen Dokumente bleiben im Hinblick auf die schriftlichen Planerläuterungen vage. In einem Inventar von Le Vau sind 38 memoires et dessins envoyes a Rome verzeichnet, vgl. Albert Laprade, Frangois D O r b a y , architecte de Louis XIV, Paris 1960, p. 138. Es sei daran erinnert, daß in Perraults erwähntem Briefentwurf für Colbert an Poussin explizit von einem discours qui accompagne les plans et les elevations que je vous envoie et qui leur (d.h. den Architekten) sert d'explication, die Rede ist; Perrault, Ed. 1993, p. 150. 47 Der erste Entwurf war im Mai 1664 vollendet und lag im Juli in Paris vor; aus der verstreuten Literatur vgl. neben den in Anm. 4 genannten Titeln Wittkower, 1999, Bd. II, p. 31 f. Problematisch bleibt ein Teilentwurf aus dem Besitz von Anthony Blunt in den Courtauld Institute Galleries, London; vgl. zuletzt Ausst. Kat. „Von Bernini bis Piranesi", 1993, Nr. 30. Aufgrund stilkritischer Erwägungen hat Jörg Martin Merz die Echtheit des Blattes in einer Rezension zur Stuttgarter Ausstellung angezweifelt und Eric Hebborn als Fälscher vermutet, vgl. Burlington Magazine 135, 1993, p. 843 f. Suspekt hinsichtlich der Authentizität ist zudem die Publikationsform der Zeichnung. Sie wurde von Blunt en passant ohne Hinweis auf die Provenienz und auf die Tatsache der Erstpublikation in der Erstausgabe seines 1953 erschienenen Bandes der Pelican History of Art, vgl. identisch Blunt, 1999, p. 220, in die Forschung eingeführt und anstelle der von Mitarbeitern Berninis ausgeführten Gesamtansicht als eigenhändige Ideenskizze präsentiert.
2. Die Planungsvorgaben
ι
' Abb. 10
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Colberts
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Gian Lorenzo Bernini: Erster Entwurf für die Ostfassade des Louvre, 1664. Zeichnung. Paris, Musee du Louvre.
Die Planung für den Louvre war der letzte bedeutende Architekturauftrag Berninis. E r konnte aus dem Fundus der Entwurfsideen seiner früheren Bauten schöpfen. Seinem frühesten Louvreentwurf liegt das Prinzip zugrunde, dem rechteckigen Vorhof des Baublocks die Kurvatur eines Fassadenflügels einzuschreiben. Bereits beim Kirchenbau von Ariccia ist die Rotunde durch Umfassungsbauten, die dem Kontur des Zentralbaus folgen, ummantelt. Ist dort das Raumzentrum allseitig umgeben, so ist am Louvre die Umschreibung der mit dem ovalen Festsaal gegebenen Raummitte mit den Seitenflügeln fassadenbildend nach vorne gerückt. Schon an S. Andrea al Quirinale hatte Bernini die Eingangsädikula mit ihrem halbkreisförmigen Säulenportikus durch seitlich ansetzende Hofmauern zu einer Gesamtfassade ergänzt, die sich ähnlich wie beim Louvre in gegenläufigen Richtungen entwickelt und damit in analogen Gegenbewegungen den Grundriß des querovalen Kirchenraums dem Betrachter ankündigt. Mit den Petersplatzkolonnaden gewinnt der Gedanke der kurvierten Schaufassade urbanistische wie architektursymbolische Dimensionen. Durch die Kolonnaden hat das Konglomerat des seinerzeit vorhandenen Altbaubestandes im Borgo Leonino eine vereinheitlichte Hauptfassade erhalten. Bernini selbst hat darüber hinaus die F o r m der Portiken im Sinne eines anthropomorphen Architekturverständnisses aus der menschlichen Gestalt begründet und die Kolonnaden als zwei empfangend ausgebreitete Arme am Haupt der Mutterkirche der katholischen Christenheit gedeutet 48 .
48 I.d.S. seine späteren Erläuterungen gegenüber Chantelou, vgl. Chantelou, Ed. 2001, p. 67 (1. Juli 1665); zu einer ausführlichen Rechtfertigung Berninis um 1659/60 gegenüber der Congregazione della Fabbrica di San Pietro vgl. Brauer/Wittkower, 1931, p. 70: (...) perche essendo la Chiesa di S.
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II. Die Berufung von Bernini nach Frankreich
Im Louvreentwurf erfährt dieser Gedanke eine Säkularisierung. Sie kündigt sich bereits im Rückgriff auf öffentlich-kommunale Loggiabauten für die Gestaltung der Arkadengänge an49. Die lange Reihe der von Bernini im Entwurf vorgesehenen Balustradenstatuen scheint unmittelbar auf die Schar der Heiligenfiguren auf den Petersplatzkolonnaden zurückzugehen 50 . Im Hinblick auf die Ikonographie der Statuen dürfte Bernini aber kaum einen Gedanken gefaßt haben. So bleibt für das Programm der Fassade das Motiv der riesigen Krone beherrschend. Formal läßt es sich als Reminiszenz an die offene Ringhalle im Entwurf Le Vaus verstehen, die zum Hoheitszeichen des Bauherrn umgedeutet ist. Einem ähnlichen Entwurfsgedanken wie bei den Petersplatzkolonnaden verpflichtet, die von der als sakralem Haupt verstandenen Peterskirche ausgreifen, erscheint im Louvreentwurf das Raumzentrum als Sinnbild für das gekrönte Haupt des Monarchen. Damit hat Bernini die Erwartung Colberts, die Residenz solle ein Monument für die gloire des Königs sein, im Sinne der monarchischen Stellung Ludwigs XIV. aufgefaßt und in der Residenzfassade den Herrscher mit dem monumentalen Attribut der Kroninsignie ausgestattet. Dadurch erfuhr die ursprüngliche, wesentlich weiter gefaßte Dekorumskonzeption Colberts eine von Bernini wohl als notwendig empfundene Verdeutlichung. Colbert sah in ihr jedoch eine Reduktion, die einer der Gründe für die harsche Ablehnung war, mit der er die Zusendung von Berninis erstem Entwurf quittierte. Die Dekorumsvorgaben Colberts scheinen aber auch von den anderen römischen Architekten nicht verstanden worden zu sein. Von den Plänen des Architekturdilettanten Candiani haben sich nur Grundrisse in der Plansammlung des Louvre erhalten. Benedetti charakterisiert den ansonsten bislang unbekannt gebliebenen Entwerfer als gentiluomo assai intendente di architettura und würdigt die funktionale Angemessenheit seiner Planung, die weitgehend mit dem Entwurf Le Vaus korrespondiere und so am besten dem bestehenden Baubestand des Louvre anzupassen sei51. Wie es scheint, kam Candiani nur aufgrund seiner persönlichen Bekanntschaft oder Verwandtschaft mit Benedetti bei der Konkurrenz zum Zuge 52 . In ähnlicher Form wie Le Vau konzipierte er für den Osttrakt ein über Erd- und Hauptgeschoß reichendes Vestibül. Er stattet es allerdings in Anlehnung an kirchliche Zentralbauten mit einem Säulenumgang aus und schlägt eine Kuppel vor, auf der zwei monumentale Atlantenfiguren die Weltkugel
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Pietro quasi matrice di tutte le altre doveva baver'un Portico per l'appunto dimostrasse di ricevere a braccia aperte maternamente i Cattolici per confermarli nella credenza, gl'Heretici per riunirli alla Chiesa, e gl'Infedeliper illuminarli alia verafede. Zur zeitgenössischen, auch in gezeichneten Persiflagen umgesetzten Polemik gegen dieses Konzept Berninis vgl. Rudolf Wittkower, A Counter-project to Bernini's „Piazza di San Pietro", in: ders., Studies in the Italian Baroque, London 1975, p. 61-82 (zuerst 1939/49). Als Beispiel ist auf den Senatorenpalast auf dem Kapitolsplatz in Rom zu verweisen, direkte Vorbilder dürften vor allem Kommunalbauten in Oberitalien gewesen sein. So findet sich die Abfolge von einfacher Arkade und Serliana etwa an der Biblioteca Marciana und eine korinthische Kolossalordnung mit zweigeschossigem Aufriß an der Loggia del Capitaniato in Vicenza. Die Statuen waren bereits in den ersten Entwürfen des Jahres 1657 vorgesehen, in einer ersten Kampagne entstanden bis 1673 neunzig Statuen, weitere fünfzig Figuren wurden 1702-1703 ausgeführt; vgl. Valentino Martineiii ed., Le statue berniniane del Colonnato di San Pietro, Rom 1987 und zur Statuenbalustrade Andreas Haus, Der Petersplatz in Rom und sein Statuenschmuck. Neue Beiträge, Berlin 1970, p. 55-67. Castro Moscati, 1988, Nr. 21. Vgl. Noehles, 1961, p. 68 f.
2. Die Planungsvorgaben
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tragen. Chantelou versteht das bekrönende Ensemble als eine eher unbestimmte mythologische Allusion auf den König 53 . Ahnliche Motive verwandte auch Pietro da Cortona bei seinen Entwürfen (Abb. II) 54 . In zwei Aufrissen, die den Osttrakt von der H o f - und Außenseite zeigen, sind die Dächer des Mittelpavillons und der Eckrisalite in der Form von Alternativlösungen als Kuppeln und Pyramidendächer dargestellt. Offensichtlich adaptiert Cortona für die Bekrönung den monumentalen, aus Knauf und Kreuz bestehenden Kuppelaufsatz, den er bereits an der Kuppel von S. Carlo al Corso ausgeführt hatte, und ersetzt das sakrale Symbol durch die Heraldik der Königslilien. Gleichzeitig läßt sich aber bei den Kuppelbekrönungen und den teils mit Atlantenfiguren besetzten Entwurfsvarianten des Knaufs der direkte Rückgriff auf konventionelle Dekorationsformen von liturgischen Geräten erkennen 55 . Ihre monumentale Ausführung als Bauskulptur erscheint in technischer Hinsicht als ebenso problematisch wie die eigentümliche Unentschiedenheit Cortonas bei der Wahl der Detailformen. Es war wohl vor allem die bloße Umsetzung von Motiven aus dem Formrepertoire der Vasa sacra in das Dekor eines Königspalastes, die Chantelou zu dem Urteil kommen ließ, die Entwürfe Cortonas folgten eher der idee d'un temple que d'un palais5'1. Die Entwürfe von Carlo Rainaldi sind gekennzeichnet von einer monumental gesteigerten Gegenständlichkeit der Königsikonographie 57 . Prononcierter noch als Cortona orientierte sich Rainaldi bei seiner Planung des Osttraktes am traditionellen Pavillonsystem, wie es bei den Altbauten des Louvre bereits vorgegeben war (Abb. 12). In der Silhouette der springenden Höhenlinie treten die turmartigen, durch Loggien geöffneten Abschlußgeschosse mit ihren Kuppeln umso deutlicher hervor. In die Aufrißzeichnung sind zahlreiche figürliche Dekorationen eingetragen, die sich mit dem Höhenzug der Fassade auf den Balustraden in Anzahl und Dimensionen verdichten. Hinsichtlich ihrer Fülle und Verteilung an der Fassade stehen die Statuen in deutlicher Nähe zu Rainaldis früheren Projekten für Kirchenfassaden 58 . Offenkundig ebenfalls dem sakralen Kontext entlehnt sind die als Hau53 Chantelou, Ed. 2001, p. 282 beschreibt eine couverture du dome, qu'il eleve au milieu de la fagade d'un globe royal soutenu par deux figures semblables α des Hercules dont la hauteur est bien de 80 pieds (20. Okt. 1666). Bei der globe royal dürfte es sich um einen mit den Königslilien besetzten Knauf gehandelt haben. 54 Vgl. neben Noehles, 1961, p. 44-60 auch Ausst. Kat. „Von Bernini bis Piranesi", 1993, Nr. 46; Ausst. Kat. „Pietro da Cortona. 1597-1669", ed. Anna Lo Bianco, Mailand 1997, Nr. 123; jüngst Annarosa Cerutti Fusco/Marcello Villani, Pietro da Cortona architetto, Rom 2002, p. 304-309. 55 Noehles, 1961, p. 54 hat darauf in bezug auf die figürlichen Motive verwiesen. Die Ubernahmen betreffen zudem auch architektonische Details wie den als godronierten Kelchfuß aufgefaßten Kuppelauszug, die aus Akanthuslaub gebildeten Uberfänge und die aus Scheiben und Nodi zusammengesetzen Schäfte des Kuppelknaufs. 56 Chantelou, Ed. 2001, p. 281 (20. Okt. 1666). Es bleibt fraglich, ob Cortonas Entwürfe auf der Rekonstruktion der Domus Aurea beruhen, die Giacomo Lauro 1613 veröffentlicht hatte, i.d.S. Daniela del Pesco, Una fonte per gli architetti del Barocco Romano: L' 'Antiquae urbis splendor' di Giacomo Lauro, in: Studi di storia dell'arte in memoria di Marco Rotiii, 2 Bde., Neapel 1984, p. 413-436, hier p. 421-423. So suggestiv der Gedanke eines Rückgriffs auf den Typus der antiken Kaiserresidenz für das Projekt eines Königspalastes ist, bleiben die formalen Parallelen zwischen der Rekonstruktion und den Entwürfen Cortonas dennoch zu unbestimmt, um eine direkte Abhängigkeit in Anspruch nehmen zu können. 57 Vgl. Noehles, 1961, p. 60-68. 58 Verwiesen sei etwa auf die Entwürfe zur Vollendung der Fassade von Sankt Peter; vgl. auch Gerhard
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II. Die Berufung von Bernini nach
Abb. 11
Frankreich
Pietro da Cortona: Entwurf für die Ostfassade des Louvre, 1665. Zeichnung. Paris, Musee du Louvre.
benkronen gebildeten Kuppeln der Pavillons das auffälligste bedeutungsstiftende Motiv von Rainaldis Louvreentwurf. Rainaldi hatte identische Kronen mehrfach für ephemere Altarziborien und Sakramentstabernakel verwendet59. Die Konkurrenzentwürfe der vier römischen Architekten erscheinen als Versuche, entwerferische Antworten auf die Vorgaben und Erwartungen Colberts zu geben. Für alle am Wettbewerb beteiligten Baumeister war die Bauaufgabe einer Königsresidenz, die in prononcierter Weise der gloire des Monarchen sinnfälligen Ausdruck verleihen sollte, ein Novum. Uber alle Unterschiede der Entwurfsvorschläge hinweg läßt sich erkennen, daß die Architekten bei dieser Herausforderung stets an ihren in Rom geschulten Erfahrungshorizont im dortigen Profan- und Sakralbau gebunden waren. Ihre Entwürfe sind durch vielfältige Bezüge zwischen diesen beiden Sphären geprägt. Es kommt zu einer Transponierung von Elementen, die dem Kirchenbau entlehnt sind, auf die profane Bauaufgabe, die sich wiederum am Typus des öffentlichen Kommunal- sowie des privaten Stadtpalastes orientiert. Im Anspruch, zwischen Kirchen- und Palastbau zu vermitteln, können die Louvreentwürfe innerhalb der römischen Architekturtradition, die von der weitgehenden Trennung beider Bereiche bestimmt ist, als beispiellos gelten. Die Architekten sind diesem Ziel freilich auf unterschiedlichen Wegen gefolgt. Während sich Pietro da Cortona auf Anleihen im Dekorationsapparat beschränkt, adaptiert Carlo Rainaldi mit der Haubenkrone ein monumen-
Eimer, La fabbrica di Sant'Agnese in Navona. Römische Architekten, Bauherren und Handwerker im Zeitalter des Nepotismus, 2 Bde., Stockholm 1970. 59 Erinnert sei an die durch Stiche überlieferte Osterdekoration auf der Piazza Navona und die Quarantore-Dekoration von 1650; vgl. Ausst. Kat. „Festa a Roma", 1997, Bd. I, p. 84, 184.
2. Die Planungsvorgaben
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Carlo Rainaldi: Entwurf für die Ostfassade des Louvre, 1665. Zeichnung. Paris, Musee du Louvre.
tales Gestaltungselement aus der ephemeren Sakralarchitektur. Der umfassende Rückgriff auf die eigenen Bauten und die Weiterentwicklung der Planvorgaben Le Vaus führte Bernini schließlich zu einem Entwurf, bei dem sich Sakral- und Residenzbau nicht nur auf der Ebene der Architekturformen, sondern auch der Entwurfsprinzipien durchdringen. Es ist problematisch, die römischen Louvreplanungen auf eine Architekturikonologie im Sinne der sakralen Weihe des Königtums festzulegen. Wie eben angedeutet, beruhten die Ubernahmen von Architekturmotiven aus der Sakralarchitektur wohl nicht auf einer solchen programmatischen Intention, eher läßt sich eine spezielle Form der Entwurfsökonomie erkennen. Zudem verliehen sie dem Königtum nicht den Nimbus des Sakralen, sondern bekleideten es mit der Kroninsignie des Monarchen. Die monumentale Form der Baukrone ist bislang nur mit wenigen signifikanten älteren Beispielen zu belegen. So trug der Turm der 1506 begonnenen Grablege der Herzöge von Savoyen in Brou ursprünglich eine steinerne Kaiserkrone. Die Insignie verwies auf die Abstammung der Stifterin Margarete von Osterreich, Tochter Kaiser Maximilians I. Später wurde das Reichssymbol in der seit Beginn des Jahrhunderts zusehends von Frankreich dominierten Region als Affront verstanden und im Jahr 1660 durch eine einfache hölzerne Turmspitze ersetzt 60 . Am Schloß Chambord findet sich die Bügelkrone Franz' I. in der Form von kuppeiförmigen Aufsätzen auf den Laternen der Turmhelme. Die Kronbügel sind in einem Knauf gebündelt, der als eine krabbenförmige Knospe der französischen Königslilie gebildet ist61. 60 Vgl. Etienne-Leon-Gabriel Charvet, Les Edifices de Brou ä Bourg en Bresse depuis le XVIe siecle jusqu'ä nos jours, Paris 1897, p. 87-89; Marie-Fran^oise Poiret, Le monastere de Brou. Le chefd'oeuvre d'une fälle d'empereur (= Patrimoine au present), Paris 1994, p. 86. 61 Die Bekrönungen wurden nicht bei allen Turmhelmen ausgeführt, waren jedoch - wie Stiche und Zeichnungen Ducerceaus zeigen - überall geplant; vgl. Prinz/Kecks, 1994, p. 399-415.
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II. Die Berufung von Bernini nach Frankreich
Deutlicher als die Vorgeschichte des Architekturmotivs ist dessen Bedeutung für die monarchische und fürstliche Repräsentation durch die direkte Rezeption der Louvreentwürfe im Lauf des 18. Jahrhunderts zu fassen - etwa mit dem Kronentor des Dresdner Zwingers, dem Berliner Alten Dom, dem Projekt Robert de Cottes für den Buen Retiro, den Entwürfen Balthasar Neumanns für die Residenzen in Würzburg und Stuttgart sowie dem Neubauprojekt Kaiser Karls VI. für Klosterneuburg 62 . Anders als diese spätere Erfolgsgeschichte vielleicht vermuten lassen könnte, bedeuteten für Colbert die aus Rom gesandten Louvreprojekte zunächst einen eklatanten Fehlschlag seiner Politik des Engagements auswärtiger Architekten. Die Entwürfe der Mitkonkurrenten Berninis wurden anscheinend in den Baugremien nicht einmal zur Diskussion gestellt und verschwanden in den Archiven der Bätiments du Roy. Uber die Pläne Berninis kam Colbert zu einem vernichtenden Urteil. Zu seinem ersten Entwurf und den späteren Neufassungen und Redaktionen wurden ausführliche Memoranden abgefaßt, die nicht nur im Hinblick auf ihre sachlichen Einwände, sondern besonders auch hinsichtlich der Beurteilungskriterien von Interesse sind. Dabei ist deutlich, daß sich für Colbert und seine Berater erst über die kritische Auseinandersetzung mit der Entwurfsserie Berninis die von ihnen an das Bauvorhaben gerichteten Anforderungen klärten und präzisierten. Wie nicht anders zu erwarten, drangen sie gleichermaßen auf die Umsetzung von politischen Ansprüchen, funktionalen Erfordernissen und ästhetischen Prinzipien. Das im August oder September 1664 abgefaßte Gutachten Colberts zum ersten Entwurf Berninis wird von einer Präambel eingeleitet, in der die Ansprüche für die Residenz anhand dreier Leitbegriffe kodifiziert sind63. Der Bau sei nicht nur nach seiner magnificence und commodite zu beurteilen, sondern auch nach seiner seurete. Der Sicherheitsaspekt wird mit einer deutlichen Anspielung auf die Ereignisse der Fronde begründet, im Zuge derer die Königsfamilie 1648 zur Flucht aus Paris gezwungen gewesen war. Colbert sieht diesen Aspekt allerdings nicht primär in der tatsächlichen Fortifikation des Baus gewährleistet, sondern in der Anwendung einer Einschüchterungsästhetik, wie sie im Festungsbau 64 selbst eine Parallele findet: Die qualite des Palastes könne das Volk zu dem ihm anstehenden Gehorsam veranlassen, und es sei notwendig, que toute la structure imprime le
respect dans l'esprit des peuples et leur laisse quelque impression de sa force. An anderer
Stelle erläutert Colbert, daß es die Disposition der Anlage dem Betrachter ermöglichen
62 Thomas H. von der Dunk, Vom Fürstenkult zum Untertanendenkmal. Öffentliche Monumente in Brandenburg-Preußen im 17. und 18. Jahrhundert, in: Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte N.F. 7, 1997, p. 177-210, bes. p. 197-199 zum Projekt für den Berliner D o m 1711/13; Fossier, 1997, Kat. 366 zu Madrid; Bernhard Schütz, Fassaden als Weltarchitektur. Die Würzburger Residenz, in: Thomas Korth et al. eds., Balthasar Neumann. Kunstgeschichtliche Beiträge zum Jubiläumsjahr 1987, München 1987, p. 9 2 - 1 1 2 zu Würzburg; Hans Reuther, Die Zeichnungen aus dem Nachlaß Balthasar Neumanns. D e r Bestand der Kunstbibliothek Berlin, Berlin 1979, p. 5 6 - 5 9 zu Stuttgart. 63 Im folgenden zitiert nach Colbert, Bd. V, p. 2 4 6 - 2 5 0 . 64 So schreibt etwa Vauban 1681 in einem Brief an Louvois, daß bei einer Befestigungsanlage die magnificence du Roi et (...) la bonte de la place - d.h. seine Uneinnehmbarkeit - an der Schönheit ihrer Tore zu erkennen sein sollen; vgl. Michel Parent/Jacques Verroust, Vauban, Paris 1971, p. 149. Allgemein auch Dietrich Erben, Angst und Architektur. Zur Begründung der Nützlichkeit des Bauens, in: Hephaistos. N e w Approaches in Classical Archaeology and related Fields 21/22, 2003/04, p. 29 ff.
2. Die Planungsvorgaben
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müsse, den Bau mit einem Blick zu erfassen: Ilsemble qu'ilsoit necessaire que quand on entre dans un grand palais onpuisse voir, et en face et en son dedans, toute sa structure. Herausgefordert durch den Entwurf Berninis gelangt Colbert damit zu einer eigenwilligen Akzentuierung architekturtheoretischer Grundbegriffe. Die traditionelle ästhetische Kategorie der ordonnance präzisiert er als magnificence. Den funktionalen Erfordernissen der commodite, mit denen sich das Gutachten ausführlich auseinandersetzt, kommt auch bei Colbert eine Vorrangstellung zu. Er legte eine lange Liste von funktionalen Einwänden gegen den Entwurf Berninis vor. Sie betrafen insbesondere die Disposition der Appartements unter der Berücksichtigung der Erfordernisse des Hofzeremoniells, der Gegebenheiten des Klimas und des Problems der Lärmbelästigung. Zudem wertet Colbert den Begriff der seurete maßgeblich auf, indem er ihn der commodite gleichstellt. In der überkommenen Terminologie stellt sich seurete nur als ein Teilaspekt der commodite dar65. Sicherheit ist bei Colbert im wesentlichen ein Ausdruckswert des Gebäudes, der sich dem Betrachter durch die simultane Uberschaubarkeit des Baus mitteilt. Den Gedanken der einprägsamen Wahrnehmung hat Claude Perrault, der mit Colbert bereits zum Zeitpunkt der Abfassung des Memorandums engen Kontakt hatte, später in seiner Architekturtheorie ausführlich begründet. Im Widerspruch zur älteren Architekturtheorie sah er nicht in der Proportion eines Gebäudes, sondern in der als positive Schönheit verstandenen Axialsymmetrie das entscheidende Gestaltungsmittel, um diese Wirkung hervorzurufen 66 . Colbert skizziert in seiner Kritik an Bernini ein Monument der Autorität des Königs. Sie sollte nicht nur durch die Ausrichtung der Funktionsabläufe des Zeremoniells auf den Monarchen gewährleistet, sondern auch durch eine den Betrachter beeindruckende und einschüchternde Baugestalt der Residenz sichergestellt werden. Damit ist das Programm für die Bauaufgabe gegenüber dem Brief vom September 1663 an den König, in dem Colbert die Karte des Widerstreits von gloire und plaisance ausgespielt hatte und dessen Leitlinien wohl auch als Planungsvorgaben den römischen Architekten übermittelt wurden, wesentlich strenger gefaßt. Für Colbert bedurfte die Residenz weder eines Dekorums der sakralen Weihe des Königtums noch einer Insignie, die den monarchischen Status des Bauherrn abbildet. Vor dem Hintergrund der zurückliegenden Gefährdung der Monarchie durch die Fronde und der langen Minderjährigkeit des Königs während der Regentschaft ging es ihm um die sichtbare Demonstration der Behauptungsfähigkeit königlicher Herrschaft. Dies wird in der Präambel und in der Schlußpassage des Memorandums nochmals deutlich. Dort findet sich mit der Würdigung der Fassade als assurement süperbe et magnifique die einzige positive Äußerung über Berninis Entwurf. Colbert nimmt davon aber ausdrücklich das ovale qui s'eleve en couronne aus. Das Lob wird noch weiter eingeschränkt durch den Vorwurf, Bernini habe den Palast nur nach der Fassade konzipiert, sowie durch den Hinweis auf einen Dekorumsverstoß im Hinblick auf das im Gesamtbild der Fassade zentral piazierte Kronenmotiv. Colbert stellt kurz angebunden fest: Les couronnes de nos rois doivent estre fermees. Er verwarf die von Bernini vorgeschlagene offene Reifkrone zugunsten der Bügelkrone und bezieht sich damit auf eine Form der Kroninsi65 Zu den Kernbegriffen der französischen Architekturtheorie des 16. und 17. Jahrhunderts vgl. zusammenfassend Kruft, 1995, p. 133-143. 66 Zu den Belegen bei Perrault und in der Kunsttheorie vgl. Walter Kambartel, Symmetrie und Schönheit. Uber mögliche Voraussetzungen des neueren Kunstbewußtseins in der Architekturtheorie Claude Perraults, München 1972, p. 64-78.
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II. Die Berufung von Bernini nach Frankreich
gnie, die bereits Franz I. für die französischen Könige in Anspruch genommen hatte. Die Verwendung der Bügelkrone, die traditionell dem Kaiser vorbehalten gewesen war, blieb seither für die Monarchen Frankreichs ein Mittel, ihre imperialen Ansprüche und ihre Gleichrangigkeit gegenüber dem Kaiser zu behaupten 67 . Balthazar de Riez bezeichnet die Krone in seiner Eloge auf die französischen Bourbonenkönige als couronnes (...) close ä l'Imperiale.Im Jahr 1677 erregte ein Vortrag des niederländischen Gelehrten Christian Lupus an der Privatakademie Christines von Schweden in Rom Aufsehen, in dem mit einer durchaus süffisanten Argumentation die Insignie der Bügelkrone gegen Ludwig XIV. in Anschlag gebracht wurde. Der Redner hatte nämlich behauptet, Frankreich sei ein Teil des Reiches, da sich die französischen Könige seit dem Mittelalter wie Vasallen des Kaisers die couronne close zu eigen gemacht hätten. Dagegen hatte der damalige Auditor an der Rota, De Luca, die Suprematie Frankreichs damit verteidigt, daß die Bügelkrone bereits von den antiken Kaisern als Insignie geführt und von diesen an die französischen Monarchen übertragen worden sei69. Neben allen anderen Einwänden, die Colbert vorbrachte, scheiterte so der Entwurf Berninis auch an der Form eines Architekturmotivs, für das Bernini auf eine altertümliche Form der Kroninsignie rekurriert hatte. Es wollte aber von Colbert als aktuelles Symbol machtpolitischer Stärke verstanden sein. Die undankbare Aufgabe, Bernini die Kritik Colberts an seinen Plänen darzulegen, kam dem Kardinalnepoten Flavio Chigi (1631-1693) zu. Der Kardinal hielt sich im Rahmen seiner im Frieden von Pisa vereinbarten Legation während der Sommermonate 1664 in Frankreich auf. Bei den Audienzen kamen immer wieder auch höfische Aufträge zur Sprache. So wurden bei einem Gespräch mit dem Bruder des Königs die aktuellen Unternehmungen des Papstes erörtert 70 . Zudem gehörten incognito absolvierte Besichtigungen der Residenzen und Paläste in Paris und Umgebung zum Reiseprogramm des Kardinals. Am 8. August 1664 besuchte er den Louvre, wo er auch zum Baumodell von Louis Le Vau Zutritt erhielt. Der Berichterstatter der Legationsreise, Sebastiano Baldini, beschreibt ausführlich die Anlage in ihrem vernachlässigten Erhaltungszustand. Aus der Perspektive eines Italieners kann er dem historisch gewachsenen Erscheinungsbild keine Vorzüge abgewinnen 71 . Elpidio Benedetti erwartete ungeduldig die Rückkehr des Kardinals, der Mitte
67 Bereits die erstmalige Verwendung der Bügelkrone durch Franz I. auf dem Siegel des Konkordats von Bologna im Jahr 1516 verweist auf die Hegemonialkonkurrenz mit Karl V.; vgl. Krummacher, 1953, p. 16-28; zur Kroninsignie unter Ludwig XIV. vgl. Ahrens, 1990, p. 75-78. 68 De Riez, 1672, p. 82. 69 AE, CP Rome 252, fol. 199-200 (Pierre Poussin an Due D'Estrees am 27. Juli 1677). 70 Die ausführlichste Quelle zur Legation stellt ein Tagebuch des Kardinalssekretärs dar, vgl. BAV, Mss. Chigiani E.II.38: Sebastiano Baldini, Relazione del viaggio fatto dall'Emin.mo Sig.r Card.e Flavio Chigi nipote della S.ta diN.S. Alessandro 7ο spedito in Francia alla Maesta delRe Christianissimo Luigi XIV. Zum Gespräch mit dem Herzog von Orleans a.a.O., fol. 274v (4. Aug. 1664): Dal complimento passano i discuti alle fabbriche di Roma fatte da Sua Santitä, et al maraviglioso lavoro della Catedra, e del superbo Portico di S. Pietro, architettura del Cav. Bernino, se ben l'una, e l'altra notate con molti difetti, lodando ipensieri di machine sontuose. 71 A.a.O., fol. 291v-292 (8. Aug. 1664): Besuch des famoso Palazzo del Louvre, Palazzo Reale, che stava fatto i rifaeeimentiper lapoca cura tenutane per ilpassato eper l'abbugiamento di una Galleria (der sog. Galerie des Ambassadeurs 1661) e per le fabbriche nuove che a'ad.e diS.M. sitirano avanti, riducendoli in quadro con buona proporzione. Anzi sendo stata mandata al Cav. Bernino la pianta del sito, affinche ne stendesse un Palazzo Reale, questo senza sbedire al vecchio mando al Re un dis-
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O k t o b e r in R o m eintraf. O b w o h l sich Bernini von französischer Seite getäuscht und als Opfer von Ressentiments sah - ihm wurde erst jetzt die Beteiligung mehrerer Architekten eröffnet, und er konstatierte, man habe mehr Fehler an seinem Entwurf gefunden, als man Steine zu dessen Ausführung brauche - , begann er unverzüglich mit der Ausarbeitung eines neuen Entwurfes 72 . Ende Januar 1665 vollendete Bernini seinen zweiten Louvreentwurf (Abb. 13) 73 . Wie bereits beim ersten Entwurf (Abb. 10) entwickelt sich der Osttrakt in einer weit ausladenden Kurvatur, die in seitliche Risalittrakte mündet. Der konkave Schwung wird durch die zurückgesetzten Kopfbauten der Hofflügel optisch gestützt und verklammert. Grundlegend modifiziert wurden der Aufriß und die zentrale Sektion der Fassade. Durch den Einschub eines rustizierten Erdgeschosses zwischen dem geböschten Sockel und dem Piano nobile ist die Anzahl der Geschosse um ein zusätzliches Stockwerk erhöht. Der neu konzipierte Mittelrisalit, der mit einer Fensterachse aus der Fassadenflucht hervortritt und gleichzeitig deren Kontur folgt, ist aus den ehemals vorhandenen Arkadengängen und dem Mittelpavillon hervorgegangen. Auf diesen Fassadenabschnitt beschränkt sich die Öffnung durch Loggien und die Verwendung der Kolossalordnung mit Halbsäulen. Weitgehend dem älteren Entwurf verpflichtet bleibt die Gestaltung des Dachabschlusses mit einem in das Kranzgesims eingefügten Mezzanin und einer von Statuen besetzten Balustrade. Durch die Aufgabe der Mauerkrone bildet sie jedoch nunmehr eine durchgehende, scharf geschnittene Silhouette, die die Grundlinie des Baus exakt nachzeichnet. Qualität und Eigenart des zweiten Projekts liegen nicht zuletzt darin, daß Bernini trotz der deutlichen Anleihen am früheren Entwurf zu einer gänzlich neuen Formulierung der Bauaufgabe gelangt. Während der erste Entwurf aus der Sphäre des Sakralbaus entwickelt ist und eine Säkularisierung zur Königsresidenz erfährt, steht der neue Entwurf direkter in der Tradition des römischen Palastbaus. Dies erweist sich an Gestaltung und Disposition der Geschoßeinteilung sowie der Risalitbildung, die in Berninis eigenen Palastbauten angelegt sind. Die Gesamtdisposition der Fassade mit ihrem weit ausholenden Schwung und der kolossalen Säulenordnung dürfte zudem entscheidend von einem Palastprojekt mit integriertem Brunnen von Pietro da Cortona für die Piazza Colonna (Abb. 14) angeregt worden sein 74 . Gegenüber den aus Paris an ihn gerichteten Forderungen erweist sich Berninis zweiter Entwurf gleichermaßen als ein Zeugnis der Anpassung wie des Rückzugs. Offensichtlich folgt die weitgehende Schließung der Fassadenfront im Erdgeschoß und die Verlegung der Arkadenöffnungen in die Obergeschosse des Mittelrisalits nicht nur egno cosi magnifico, e sontuoso, che non piaceva piu ilprimo veduto da S. Em.za in una casa contigua dell'architetto alzato di cartoncini nella scelta figura, che devefarsi con materiali. Di la montando in carozza entro nello sfasciume del Louvre che per l'ampiezza del giro e vasto, ma senza regola di architettura, con tetti sfacciati, con pavimenti guasti a legno, che non vi si metteva mano con i riparamenti si sarebbe su gran parte rovinato fra poco tempo. 72 Vgl. zu dieser Phase Mirot, 1904, p. 1 8 2 - 1 8 5 sowie die Briefe Benedettis bei Castro-Moscati, 1988, Nr. 2 5 - 3 7 . 73 D e m Projekt läßt sich nur eine Aufrißzeichnung zuordnen, die in den Besitz von Nicodemus Tessin d.J. gelangte, der sich in den Jahren nach 1673 in R o m aufhielt und dort zeitweilig im Baubüro Berninis arbeitete; vgl. zuletzt Ausst. Kat. „Von Bernini bis Piranesi", 1993, Nr. 31. 74 Das Projekt wurde 1659 vorgelegt und war wie Berninis in der Nähe gelegener Palazzo Chigi ein Auftrag von Alexander V I I . bzw. des Kardinalnepoten; vgl. Krautheimer, 1985, p. 5 5 - 5 7 und Ausst. Kat. „Pietro da C o r t o n a " , 1997, Nr. 122.
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II. Die Berufung von Bernini nach Frankreich
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Gian L o r e n z o Bernini: Zweiter Entwurf für die Ostfassade des Louvre, 1664. Zeichnung. Stockholm, Nationalmuseum.
Colberts Erwartung, die Palastanlage den nördlichen Wetterverhältnissen anzupassen, sondern vor allem seiner Forderung nach seurete. Mit der Verkleidung des Erdgeschosses durch eine Rustika, die sogar das ansonsten schmucklos belassene Hauptportal umschreibt, wird der fortifikatorische Charakter des Baus nachdrücklich betont. In der Frage der beanstandeten funktionalen Defizite des Erstentwurfes, wie der Lage der Appartements und der Unterbringung der Hofverwaltung, kam Bernini durch die Aufstockung des Osttraktes seinem Auftraggeber entgegen. Diese Konzessionen sind allerdings mit der weitgehenden Neutralisierung einer königlichen Fassadenikonographie verbunden, wie sie das erste Projekt noch bestimmt hatte. Im Entwurf bildet sich ein vergleichsweise allgemein verstandenes herrschaftliches Dekorum ab, das dem römischen Palastbau verpflichtet ist und damit auf eine dezidiert monarchische Aussage der Architektur verzichtet. Colberts Reaktion auf den Entwurf Berninis - niedergelegt in einem Memorandum vom März 1665 - ist im Ton von einer überraschenden Konzilianz, die jedoch der Unnachgiebigkeit in der Sache an keiner Stelle die Spitze nimmt 75 . Wiederum sind dem Gutachten programmatische Bemerkungen einführend vorangestellt. Colbert würdigt den Entwurf zunächst als eine klare Antwort auf die Anforderungen der Bauaufgabe. Es gebe keinen
Plan, qui ayt plus de rapport a la grandeur des rois pour lesquels il est destine. Man könne sogar behaupten, daß die antike Baukunst kein Werk hervorgebracht habe, qui eustplus
de
goust de la belle architecture et qui eust en mesme temps plus de grandeur et de majeste. Die Ausführung des Planes gewähre beaucoup de gloire au Roy d'avoir acheve un si grand et si süperbe ouvrage. Mit dem Verständnis des Palastes als ein die antike Β au tradition überflügelndes Monument der königlichen gloire schließt Colbert explizit an die frühere Leitlinie für die Baupolitik des Königs an. Im Hinblick auf die funktionalen Erfordernisse der Re-
75 Zum folgenden Colbert, Bd. V, p. 2 5 8 - 2 6 5 .
2. Die Planungsvorgaben
Abb. 14
Colberts
77
Pietro da Cortona: Brunnenprojekt für die Piazza Colonna in Rom. Zeichnung. Biblioteca Apostolica Vaticana, Chigi Ρ V I I 1 0 .
sidenz bleiben für Colbert nach wie vor viele Wünsche offen. Er erläutert die notwendigen Maßnahmen, um die Erschließung des Baus und die Distribution der Appartements zufriedenstellend zu gewährleisten. Zugleich bringt er seine Uberzeugung zum Ausdruck, daß sich diesbezügliche Mißverständnisse durch die Begegnung zwischen Architekt und Bauherrn bereinigen ließen. Bei allem Einigungswillen, den Colbert gegenüber Bernini signalisierte, eröffnete dessen Entwurf aber unmißverständlich eine neue Front der Auseinandersetzung zwischen Architekt und Auftraggeber. Der Dissens betraf die Erhaltung des Altbaubestandes der Palastanlage. Die Erhöhung des Osttraktes um ein zusätzliches Geschoß, die Bernini anscheinend auch für die seitlichen Hofflügel der Cour Carree vorsah, sollte durch die Steigerung des Raumangebots eine angemessene Organisation der Appartements ermöglichen. In seinem neuen Entwurf hat Bernini nicht nur das vorgegebene Raumprogramm überschritten, sondern auch die bereits aufgemauerten Fundamente des Ostflügels ignoriert. Somit waren die erhöht geplanten Neubautrakte nicht mehr mit den bestehenden Flügeln einleuchtend zu verbinden, darüber hinaus behinderten Fundamente sowie Teile der begonnenen Seitenflügel die Errichtung des Neubaus. Für Colbert war die Bewahrung der Altbauten eine Grundsatzfrage. Sie berührte zunächst den Kostenaspekt, zu dem Colbert aber nur bemerkt, daß eine Erhöhung der
II. Die Berufung von Bernini nach Frankreich
78
Ausgaben durch Vergrößerung und Abbruchmaßnahmen nur für einen deutlichen Zugewinn an Schönheit und Bequemlichkeit in Kauf zu nehmen sei. Weitaus bedeutsamer ist für Colbert die Anciennität des gesamten Palastkomplexes. In dem Sur l'estat des lieux überschriebenen Paragraphen des Memorandums gibt er Bernini einen Überblick über die einzelnen Bauabschnitte, die unter Heinrich II. seit der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zu Ludwig XIV. realisiert wurden. Unter der Uberschrift Pour ce qui concerne la volonte du Roy teilt Colbert die Weisungen des Königs mit: Der Monarch sehe es mit Wohlwollen, wenn beaute und magnificence der geplanten Neubauten mit dem Erhalt der von seinen königlichen Vorfahren errichteten Bauten in Einklang zu bringen seien. Zudem wird mit Nachdruck der historische Anspruch und die Modernität des sukzessive gewachsenen Palastkomplexes verteidigt. Der Monarch selbst habe bei der Fortsetzung des Ausbaus die älteren Pläne respektiert, die zu einer Zeit entstanden seien, als die Architektur erstmals auf der Welt dem Grab der Barbarei entstiegen sei: (...) elle-mesme a elevees (les parties du
grand bastiment) sur les premiers dessins faits du temps des premiers hommes du monde qui ont retire l'architecture du tombeau ou la barbarie des Goths et les siecles qui les ont suivies l'avoient ensevelie. Bernini wird so mit deutlichen Worten auf das Vorbild des Königs als Bauherrn verpflichtet. Der König und sein Minister stellten sich schützend vor einen Palast, den sie als Symbol dynastischer Kontinuität und als Zeugnis einer künstlerischen Innovationsleistung betrachteten. Es scheint, daß Ludwig XIV. bei seinen Residenzen den inneren Zusammenhang zwischen Bau- und Herrschergeschichte wesentlich deutlicher empfunden hat als Colbert. Dies zeigte sich bereits bei Versailles. So spottet der Minister in einem Dossier über die Erweiterung der Schloßanlage, daß das alte Jagdschloß Ludwigs X I I I . mit den geplanten Flügelbauten wie ein monstre en bastimens mit einem zwergenhaften Wuchs, langen Armen und einem riesenhaften Kopf aussehe. In der Frage der Erhaltung des Altbaus kommt Colbert selbst aber zu keiner Antwort. Sie wurde erst nach einem rigorosen Machtwort des Königs gegeben, der den Erhalt des von seinem Vater ab 1623 ausgebauten Schlosses verlangte76. Die dann 1665 in der Cour de Marbre (Abb. 15) unternommene Verblendung des Vorgängerbaus mit neuen Fassaden und deren Ausstattung mit Büsten antiker Kaiser zeigt, daß Ludwig XIV. die Bewahrung des alten Schlosses unter den Prämissen einer ideell bis in die Zeit des römischen Imperiums verlängerten dynastischen Genealogie sah, die mit seinem Vater und ihm selbst als regierendem Bauherrn ihren Abschluß findet. Andre Felibien hat in seiner Versailles-Beschreibung von 1674 den Schloßbau Ludwigs X I I I . und dessen Erhalt als Akt der piete pour la memoire dufeu Roy eingehend gewürdigt77. Beim Louvre bildet sich hingegen in der Baugeschichte selbst die historisch verbürgte Ahnenreihe bis zur Vorgängerdynastie der Valois sinnfällig ab. In den Inschriften, die bei der Grundsteinlegung des Ostflügels am 17. Oktober 1665 im Fundament versetzt wurden, wird betont, daß der König an das Werk seiner Vorgänger anschließe und es in größerer und prächtigerer Form vollende, als diese es vermocht hätten78. F r a n c i s Charpentier,
76 Vgl. Colbert, Bd. V, p. 2 6 6 - 2 6 8 . 77 Andre Felibien, Description sommaire du Chasteau de Versailles en 1674, in: Felibien, 1689, p. 2 7 3 - 3 3 4 , hier p. 274. 78 Vgl. den Abdruck der Inschriften bei Chantelou, Ed. 2001, p. 252 (12. Okt. 1665) und Perrault, Ed. 1993,
p. 168.
2. Die Planungsvorgaben
Abb. 15
Colberts
79
Versailles, Cour de marbre.
ein enger Vertrauter Colberts und ein Gründungsmitglied des Petit Conseil, hat die Hochachtung Ludwigs XIV. vor den älteren Trakten der Residenz nachträglich verteidigt 79 . Die Herstellung dynastischer Kontinuität mag für das junge Königshaus der Bourbonen, das von Ludwigs Großvater Heinrich IV. begründet worden war und somit erst zwei Generationen zurückreichte, eine zusätzliche Dringlichkeit besessen haben. Nach dem Bezug des 1642 an die Krone gelangten Palais-Cardinal als Residenz der Königsfamilie und nach deren Flucht während der Fronde signalisierte bereits die Rückkehr des Königs in den Louvre ab 1652 die Wiederherstellung einer unterbrochenen Herrschaftskontinuität. Gleichzeitig dokumentiert sich aber in der konservativen Geste des Bewahrens auch das Grundmuster einer Baupolitik, die gerade für die alten Herrscherhäuser kennzeichnend ist. Besonders eindringlich zeigt sich am Beispiel der Wiener Hofburg, daß die Bewahrung des überkommenen Palastkonglomerats durch Leopold I. und Karl VI. nicht nur unentschieden in Kauf genommen, sondern bewußt als Maßnahme der Traditionsbildung verstanden wurde 80 . Ein ähnliches Bild vermittelt ein Blick auf die Residenzen der spanischen Habsburger, und es bleibt zu fragen, ob sich nicht auch die Bewahrung der Tudorresidenz von Whitehall unter den Stuart - trotz der ambitionierten Neubauprojekte - letztlich aus 79 Charpentier, 1676, Widmung an Ludwig XIV. (unpag.): Pour l'achevement du Louvre, V.M. n'apas agree les Desseins qui obligeaient a destruire les ouvrages de Έταηςοίί Ier et de Henri II, comme s'il n'eustpas este honnäte que ce que ces grands monarques ont commence fust declare indigne de tenir sa place dans cet Edifice royal. 80 Soweit ich sehe, sind die politischen Motive der Erhaltung bislang nur bei Versailles und insbesondere beim Louvre in den Schriftquellen greifbar; grundlegend zur Fragestellung vgl. jedoch Hellmut Lorenz, „... im alten Style glücklich wiederhergestellt..." Zur repräsentativen Rolle der Tradition in der Barockarchitektur Mitteleuropas, in: Osterreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege 51, 1997, p. 475-483 sowie ders., Tradition oder „Moderne"? Überlegungen zur barocken Residenzlandschaft Berlin-Brandenburg, in: Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte N.F. 8,1998, p. 1-23.
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II. Die Berufung von Bernini nach Frankreich
den politischen Implikationen der Erhaltung begründet 81 . A m Louvre verband sich für Ludwig XIV. die Inanspruchnahme des Baus unter den Vorzeichen dynastischer Legitimation mit dem Stolz auf das künstlerische Erbe des Königreichs. Dabei stand der Palast für einen hohen Anspruch als ein Denkmal der Architekturgeschichte. Dieses - so ist implizit die Mitteilung an Bernini zu verstehen - bewahrt die Erinnerung daran, daß die Wiedergeburt der Baukunst in Frankreich stattgefunden habe. Colbert machte sich in seinem an Bernini adressierten Memorandum nicht nur die Argumente des Königs zu eigen, sondern sich selbst auch zu deren Anwalt und Botschafter 82 . Das Lob, das er für den Entwurf Berninis findet, bezieht sich primär auf die Erfüllung der mit dem Palastbau verbundenen politischen Erwartungen. Gerade sie sah er allerdings dadurch eingeschränkt, daß Berninis Pläne weite Teile des Altbaubestandes zur Disposition stellten. Gleichwohl, für Colbert war über den Entwurf noch nicht das letzte Wort gesprochen. Er betrachtete ihn über allen Dissens und alle Mißverständnisse hinweg als eine Erfolg versprechende Diskussionsgrundlage bei einer persönlichen Begegnung. Berninis dritter Entwurf für den Louvre, nach dem der Bau des Palastes im Herbst 1665 tatsächlich begonnen wurde, entstand in Paris. In der zweiten Aprilwoche des Jahres war die Einladung Ludwigs XIV. ergangen. A m 18. April ersuchte der König Alexander VII. um die Freistellung Berninis, die der Papst am 23. April gewährte. Bernini reiste zwei Tage später aus Rom ab und traf am 2. Juni 1665 in Paris ein83. Am 4. Juni erhielt er die erste Audienz in Saint-Germain-en-Laye vor Ludwig XIV., dem er seinen neuen Entwurf am 20. Juni präsentieren konnte 84 . Berninis Planserie, von der im folgenden nur der Entwurf für die Ostfassade näher ins Auge gefaßt werden soll, ist umfassend durch die Stiche von Jean Marot dokumentiert. Sie entstanden unter der Aufsicht des Architekten vor der Grundsteinlegung für den Ostflügel85. Bernini klassifizierte seinen Palastentwurf mit entschiedener Deutlichkeit alspalais a ία romainetb. Im motivischen Bezug auf Elemente des römischen Palastbaus erfährt die Fassade des Ostflügels (Abb. 16) eine monumentale Klärung gegenüber den früheren Entwürfen 87 . Vom zweiten Entwurf (Abb. 13) ist die Geschoßeinteilung übernommen, doch entwickelt sich die Fassadenfront nun in einer geraden Fluchtlinie mit zwei geringfügigen Rücksprüngen zwischen den Risaliten. Uber einem im Festungsgraben gelegenen geböschten Sockel, der aus scheinbar roh behauenen Felsen aufgemauert ist, erhebt sich das in drei
81 Zur Nutzung der spanischen Residenzen um die Mitte des 17. Jahrhunderts vgl. zusammenfassend Brown/Elliott, 1986, bes. p. 31-40, 55-60; allgemein John Adamson ed., The Princely Courts of Europe. Ritual, politics and culture under the Ancien Regime 1500-1750, London 1999. 82 Dies zeigt sich nicht nur im Memorandum Colberts, sondern auch an seiner Beurteilung des Ausführungsentwurfes von Bernini; vgl. Chantelou, Ed. 2001, bes. p. 164 f. (7. Sept. 1665). Es erscheint als unwahrscheinlich, daß Bernini das Memorandum vor seiner Abreise aus Rom noch erhalten hat; vgl. Gould, 1982, p. 20. 83 Vgl. zum Briefverkehr und zur Reise Colbert, Bd. V, p. 505 f.; Baldinucci, Ed. 1948, p. 113-117; Bernini, 1715, p. 119-128; Mirot, 1904, p. 196-203; Gould, 1982, passim. 84 Bernini begann mit der Arbeit am Entwurf am 7. Juni und legte ihn am 19. Juni 1665 Colbert vor; vgl. Chantelou, Ed. 2001, p. 49 (7. Juni 1665), p. 60 f. (19.-20. Juni 1665). 85 Chantelou, Ed. 2001, p. 195 (21. Sept. 1665) zum Beginn der Arbeit an der Stichfolge und p. 239 (8. Okt. 1665) zur Nachricht von achtzehn fertiggestellten Stichen. 86 Ebd., p. 150(1. Sept. 1665). 87 Vgl. die Beschreibungen bei Wittkower, 1999, Bd. II, p. 32 und Krause, 1996, p. 35 f.
2. Die Planungsvorgaben
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Abb. 16
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Colberts
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Dritter Entwurf von Bernini für die Ostfassade des Louvre, 1665. Stich von Jean Marot.
rundbogigen Portalen geöffnete Erdgeschoß. Die Fugenschnitte der Bandrustika knicken in den Scheiteln der Portale radial ein und laufen als weitgespannte Linienzüge über die gesamte Fassadenbreite hinweg. Damit bilden sie die horizontale Lagerung des Baus graphisch ab, die zudem durch die Sohlbank des zweiten Obergeschosses, das Kranzgesims und die Statuenbalustrade betont wird. Bernini hat das Erdgeschoß als piedestal de l'ordre corinthien (...) au-dessus beschrieben 88 . Die Kolossalordnung faßt zwei gleichwertige, durch die Formen der Fenstergiebel und Sohlbänke nur geringfügig unterschiedene Geschosse zusammen, in denen die Königsappartements vorgesehen waren. Die bereits im Erdgeschoß präludierte Rhythmisierung der Fenster wird durch die Ordnung hierarchisch gegliedert und auf die Fassadenmitte zentriert. Die vierteilige, von Pilastern gerahmte Fensterfolge der Seitenrisalite erscheint an den Fassadenrücksprüngen in einer gleichsam neutralen Aufreihung vor dem Mauergrund, bevor sie an dem durch Halbsäulen ausgezeichneten Mittelrisalit variiert wird. In einem Verfahren der Spiegelung und gleichzeitigen Doppelung wird die zweiachsige Mittelpartie der Seitenrisalite an den Flanken des Mittelrisalits in doppelter Folge wiederaufgenommen. Die rahmenden Einzelachsen der Seitenrisalite sind am Mittelrisalit hingegen im Fassadenzentrum über den Portalen zu einem Kolonnadenabschnitt zusammengefaßt und dort zum Hoheitsmotiv mit dem monumentalen Wappen des Königs gesteigert. In Berninis palais a la romaine sind zahlreiche Motive der Tradition des römischen Palastbaus in neuartiger Weise systematisiert. Nicht zuletzt stellt sich der Entwurf für die Ostfassade aber als Kompendium von Entwurfsinnovationen dar, die Bernini in diese Tradition selbst eingeführt hatte. Die Ausgestaltung des Unterbaus mit einer Felsrustika, die im Wortsinne das Fundament für die Ikonologie der Gesamtfassade bildet, ist ohne Vorbild. Doch fand bereits in Berninis Entwurf für den Palazzo Ludovisi (Montecitorio) das 88 Chantelou, Ed. 2001, p. 55 (9. Juni 1665).
82
II. Die Berufung von Bernini nach Frankreich
Motiv des Bruchsteinmauerwerks erstmals am Palastbau Verwendung. Es erscheint dort in einem tektonischen Kontext an den Kanten der Seitenrisalite sowie an den Fensterrahmungen des Erdgeschosses und läßt sich als Reminiszenz an den amorph gebildeten Unterbau des für denselben Auftraggeber, Papst Innozenz X., errichteten Vierströmebrunnens verstehen. Die Gestaltung einer als streng geometrisches Lineament aufgefaßten Bandrustika im Erdgeschoß beruht wohl auf der Idee einer deutlichen Differenzierung innerhalb des Formenguts der Rustizierung: Eine zum graphischen Ornament verfeinerte Form der Rustika steht im Kontrast zum scheinbar ungestalteten Mauerwerk in der Sockelzone. Zum Verständnis der Bandrustika als graphischem Fassadenmuster von flach profilierten und regelmäßigen Steinlagen ohne jeden vertikalen Fugenschnitt war Bernini bereits am Palazzo Chigi-Odescalchi gelangt, der im Bau war, als der Architekt nach Paris abreiste 89 . Erst in der Architektur des 18. Jahrhunderts fand es eine weite Verbreitung. Schließlich ist aus den beiden genannten Palastbauten, die in R o m nach den Entwürfen Berninis errichtet worden waren, auch die Disposition der Louvrefassade in der Zone des Piano nobile entwickelt. A m Mittelrisalit des Palazzo Chigi ist die Anlage einer Kolossalordnung mit abschließender Statuenbalustrade vorgebildet. Einzelne Elemente, wie die Fensterädikulen und das Kranzgesims, entsprechen sich bis ins Detail. Insbesondere ist aber an den Palazzi Chigi und Ludovisi auf unterschiedliche Weise jenes Kalkül der Achsenrhythmisierung angewandt, das für die Gesamterscheinung der Louvrefassade bestimmend ist90. Trotz aller Anleihen im eigenen Oeuvre ist der innovative Gehalt von Berninis Louvreentwurf nicht zu verkennen. Er ist geprägt durch die Betonung der Rangfolge in der Geschoßeinteilung bei einer gleichzeitigen Ausstattung der Fassade mit einer kolossalen Vollsäulen- und Pilasterordnung, durch die in hierarchischer Abstufung zum Zentrum die einzelnen Fassadenabschnitte zueinander in ein ausgewogenes Verhältnis gesetzt werden. Diese architektonischen Mittel, die Gesamtdisposition der Fassade monumental zu steigern und mit Würdemotiven auszuzieren, stehen im Dienst eines ikonographischen Concetto, der auf den Herkulesmythos bezogen ist. Bernini plante, an den Seiten des Mittelportals zwei Herkulesstatuen als Wächter des Eingangs aufzustellen. Roh belassene Statuenpostamente bilden die Verbindung zum felsigen Unterbau, den Bernini als Tugendberg benannt hat. Berninis Mitarbeiter Mattia de'Rossi teilt mit, daß Bernini die Entwurfsidee bei der Präsentation der Fassadenzeichnung gegenüber Ludwig XIV. als pensiero e alegoria erläuterte. Er beschrieb Herkules als retratto della vertu per mezzo della sua fortezza e fatica, quale risiede su il monte della fatica. Den Bezug zum Besitzer des Palastes deutete er folgendermaßen: (...) che vole resiedere in questa regia, bisogna che passi per mezzo della vertu e della fatica.91 89 Nach dem in einem Stich Faldas überlieferten ursprünglichen Entwurf mündet die Bandrustika dort jedoch an den Seitenflügeln in eine profiliert hervortretende Eckrustizierung. 90 Entsprechend der breiten Ausdehnung ergeben sich bei der Rhythmisierung am Palazzo Ludovisi ähnliche Prinzipien der Spiegelung und Doppelung, wie dies am Louvre zu beobachten ist. Im U n terschied zum Palazzo Chigi sind hier jedoch die Kolossalpilaster nur zur Abtrennung der Risalite und nicht als Kolonnadenmotiv eingesetzt. 91 Abdruck des Briefes bei Mirot, 1904, p. 2 1 7 - 2 1 9 , hier p. 2 1 8 (20. Juni 1665); zur Präsentation des Entwurfes vgl. auch Chantelou, Ed. 2001, p. 61 (20. Juni 1665); zu den literarischen Quellen der Ikonographie des Tugendberges Erwin Panofsky, Hercules am Scheidewege und andere antike Bildstoffe in der neueren Kunst (= Studien der Bibliothek Warburg Bd. 18), Leipzig-Berlin 1930, bes. p. 48 f. und passim.
2. Die Planungsvorgaben
Abb. 17
Colberts
83
Variante des dritten Entwurfs von Bernini für die Ostfassade des Louvre, 1665. Zeichnung. Stockholm, Nationalmuseum.
Bernini hat die Planung der Hauptmotive dieser Ikonographie streng überwacht. So empörte er sich darüber, daß Jean Marot bei seiner Stichvorlage der Fassade auch die beiden Herkulesfiguren bereits eingezeichnet hatte, und ließ sie wieder ausradieren 92 . Der ausgeführte Stich Marots (Abb.16) dürfte die beiden Statuen nach dem Entwurf Berninis zeigen. Sie erscheinen dort als weitgehend spiegelbildlich identische Standfiguren des Heros, der die Keule geschultert hat. Die Ausführung der beiden Statuen, zu der es niemals gekommen ist, plante Bernini in Rom nach der Vollendung der Kathedra Petri 93 . Vom felsigen U n terbau des Palastes ließ er zwei Modelle anfertigen, um Form und Ausmaß der Zerklüftung des Sockels festzulegen und zu veranschaulichen 94 . Ein Modell ist in einer Zeichnung (Abb. 17) überliefert, in der die Felsrustika auf den Mittelrisalit beschränkt ist und die Herkulesfiguren in variierten Körperhaltungen erscheinen. Berninis Concetto erweist sich als ebenso anspruchsvoll wie in sich problematisch. In der Tradition des römischen Familienpalastes bestand für eine derart prononciert vorgetragene Bestimmung des Außenbaus weder ein Vorbild noch eine Veranlassung. Die Idee, den Zutritt zum Palast durch Kolossalstatuen zu flankieren, dürfte maßgeblich von Statuenaufstellungen des 16. Jahrhunderts angeregt worden sein95. Als Michelangelos Davidstatue 1504 neben dem Hauptportal des Palazzo Vecchio in Florenz postiert wurde, dachte man wohl bereits unmittelbar danach an eine Pendantfigur. Vier Jahre später wurde der Marmorblock bestellt, aus dem der Bildhauer eine Herkulesstatue hätte arbeiten sollen. Der Auftrag wurde von Baccio Bandinelli übernommen, der die Gruppe von Herkules und 92 93 94 95
Chantelou, Ed. 2001, p. 199 (24. Sept. 1665). Vgl. den Brief Berninis an Chantelou vom 14. Dezember 1665, a.a.O., p. 287. A.a.O., p. 214 (30. Sept. 1665), p. 227 (6. Okt. 1665). Diese Traditionslinie blieb bislang unberücksichtigt. Del Pesco, 1984, p. 145 f. zieht die Idealrekonstruktion der Domus Aurea durch Giacomo Lauro als Vorbild heran, i.d.S. auch Lavin, 1993, p. 157. Der Bezug bleibt jedoch insofern problematisch, als Lauro zwei ikonographisch nicht definierte Kolossalstatuen im Vorhof des Palastes darstellt.
84
II. Die Berufung von Bernini nach Frankreich
Cacus bis 1534 vollendete 96 . Der alttestamentarische Bezwinger des Goliath und der antike Heros sind nicht nur als traditionsreiche Leitbilder der Republik Florenz aufeinander bezogen. Dieser Zusammenhang wird auch durch die Postierung am Portal des Kommunalpalastes anschaulich gemacht. Eine bemerkenswerte Parallele bietet die Aufstellung der beiden Apostelfürsten 1535 auf der Engelsbrücke in Rom. Klemens VII., der auch in Florenz den Auftrag an Bandinelli weitergereicht hatte, verfügte die Aufstellung einer Petrusfigur von Paolo Romano, die - wie der David Michelangelos - bereits vorhanden war, und die Neuanfertigung der Paulusfigur durch Lorenzetto. Als Grenzwächter markieren beide Statuen den Zugang zum Borgo Leonino auf der gegenüberliegenden Tiberseite. Die Inschriften bedeuteten den Passanten Willkommen und Warnung 97 . Bernini wurde nach seiner Rückkehr aus Paris damit beauftragt, die Statuendekoration der gesamten Brücke zu entwerfen. Von Beginn an als Pendants gelangten bis 1567 die Statuen des Neptun und des Mars am Dogenpalast in Venedig durch Jacopo Sansovino zur Ausführung. Die Symbolfiguren der venezianischen Militärmacht zur See und auf der Terraferma wurden zunächst nur provisorisch auf der bereits bestehenden Krönungstreppe des Dogen im Hof des Palazzo Ducale aufgestellt, verblieben jedoch dauerhaft dort und gaben der Scala dei Giganti ihren Namen 98 . Sicherlich vor Augen stand Bernini auch das Statuenpaar des Herkules Farnese und des sogenannten Lateinischen Herkules, die im Cortile des Palazzo Farnese den Arkadenzugang zum Garten flankierten. Sie sind in der von Lafrery gestochenen Ansicht der entsprechenden Hoffassade dargestellt 99 . Im monumentalen Zusammenhang von Bauwerk und Statuen kommt den genannten Figuren stets eine doppelte Funktion zu, indem sie als Wächterfiguren an Zugängen auch auf die Inhaber oder Bewohner des Ortes verweisen, an dessen Schwelle sie stehen. Die Statuen sollten den Eintretenden in allegorischer Einkleidung mit Tugenden und Werten konfrontieren, die auch für den Besitzer des Herrschaftsortes in Anspruch genommen wurden. Bernini konnte sich beim Louvre explizit auf dieses durch die Statuenensembles des 16. Jahrhunderts vorgegebene Bedeutungsgefüge beziehen, als er die beiden Herkulesfiguren in den Dienst der Illusion stellte, den Palast zu bewachen. Er wurde wohl durch die Reihe der Statuenpendants zu der Doppelung seiner Herkulesstatue verführt. Sie ist anders
96 Vgl. Virginia Bush, ,Hercules and Cacus' and Florentine Traditions, in: Memoirs of the American Academy in Rome 35,1980, p. 163-206; Kathleen Weil-Garris, On pedestals: Michelangelo's David, Bandinelli's Hercules and Cacus and the Sculpture of the Piazza della Signoria, in: Römisches Jahrbuch für Kunstgeschichte 20, 1983, p. 3 7 9 ^ 1 5 . 97 Die Inschriften an den zur Brückenbahn gewandten Seiten der Postamente lauten: HINC RETRI-
BUTIO SUPERBIS (Petrus) und HINC HUMILIBUS
VENIA (Paulus); vgl. Mark S. Weil, The
History and the Decoration of the Ponte S. Angelo, University Park-London 1974, p. 24 f.; Rudolf Preimesberger, Die Inschriften der Engelsbrücke, in: Kunst in Hauptwerken. Von der Akropolis zu Goya (= Schriftenreihe der Universität Regensburg 15), Regensburg 1988, p. 199-223, hier p. 202 f. Auf dem Petersplatz existierten in ähnlicher paarweiser Aufstellung bereits die 1461 von Paolo Taccone und Mino da Fiesole geschaffenen Statuen der hl. Petrus und Paulus; sie wurden im frühen 19. Jahrhundert durch die heute an den Flanken der Treppe aufgestellten Statuen ersetzt. 98 Virginia Bush, The Colossal Sculpture of the Cinquecento, Diss. Columbia University 1967, New York-London 1976, p. 139-142. 99 Vgl. Le Palais Farnese, 3 Bde., Rom 1980-1994, Bd. II, 1981, Abb. 130-139 sowie Ausst. Kat. „Der Glanz der Farnese. Kunst und Sammelleidenschaft in der Renaissance", München-New York 1995, p. 49.
2. Die Planungsvorgaben
Colberts
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kaum zu erklären, war im Palazzo Farnese bereits mit den antiken Fundstücken vorgeprägt, bleibt aber in ihrer inhaltlichen Redundanz problematisch. Bernini verstand Herkules als Leitbild des Königs, der sich das Besitzrecht wie der antike Heros per mezzo della virtu e della fatica zu erwerben habe. Wie es scheint, hat er aus dieser zweifachen Appellfunktion auch das Motiv des Felsplateaus entwickelt. So deutete er das Plateau einerseits als Tugendberg des Herkules und integrierte damit die Portalfiguren in den Zusammenhang einer als allegorische Szenerie aufgefaßten Ikonographie. Für den Palastbau bedeutete dieses Verständnis der Fassade, deren Bedeutung sich bildhaft erschließt, ein N o v u m , das am ehesten aus den Brunnenkompositionen Berninis herzuleiten ist. Bereits am Vierströmebrunnen hatte Bernini das zerklüftete Felsmassiv als Abbreviatur einer amorphen N a t u r entworfen, auf der Statuen und Architekturelemente ruhen 100 . Darüber hinaus greift Bernini mit dem Felsplateau auf eine beim Wehrbau bevorzugte Architekturform zurück. Es ist als Unterbau gestalterisch und funktional dem Burggraben zugeordnet. In der Architekturtheorie wie der Baupraxis wurde die Rustika seit dem 16. Jahrhundert in ein weitgespanntes Assoziationsfeld von Bedeutungen gestellt. Sie erfuhr die Zuordnung zu der als historisch am ältesten erachteten toskanischen Säulenordnung, bezeugte die Rezeption antiker Monumente und verlieh der Gegenüberstellung von unbearbeiteter N a t u r und kunstfertig gestalteter Architektur Ausdruck 101 . In Theorie und Anwendung verwies die Rustika somit stets auf die primären Funktionen von Architektur, die Schutzfunktion der Behausung und die firmitas des Bauwerks. Im Louvreentwurf Berninis korrespondieren diese Bedeutungsaspekte der Rustika mit der Wächterrolle der Herkulesstatuen. Bei der Frage nach Anlaß und Motiv für die von Bernini entworfene Fassadenikonographie wird man neuerlich auf die Planungsvorgaben Colberts zurückverwiesen. Sie fanden im dritten Entwurf Berninis einen weiteren und im Blick auf die nachfolgende Baugeschichte endgültigen Widerhall. So erfuhr mit der Wahl der Herkulesfigur die Idealisierung des Monarchen eine Wiederbelebung, die Colbert von Beginn an gefordert hatte, als er die königliche gloire zum Programm der Planungsaufgabe erhob. Gleichzeitig löste die Fassade aber auch die von Colbert verlangte Abschreckungswirkung ein. Wie bereits erörtert, verstand Colbert im Gutachten zum ersten Entwurf Berninis unter seurete nicht nur die für den Bau erforderlichen Verteidigungsmaßnahmen, sondern auch die furchteinflößende Wirkung des Palastes im Sinne der von ihm beschriebenen Einschüchterungsästhetik. Bernini verlieh dieser Erwartung sowohl durch die Architekturform als auch durch das Statuenprogramm eine allegorische Gestalt. Dabei gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Wahl des Herkulesthemas während der ersten Wochen von Berninis Aufenthalt in Paris mit dessen dortigen Gesprächspart100 Zu einer kosmologischen Deutung des Brunnens jüngst Frank Fehrenbach, „Discordia concors". Gianlorenzo Berninis „Fontana dei Quattro Fiumi" (1648-51) als päpstliches Friedensmonument, in: Heinz Duchhardt ed., Der Westfälische Friede. Diplomatie - politische Zäsur - kulturelles U m feld - Rezeptionsgeschichte (= Historische Zeitschrift. Beihefte Bd. 26), München 1998, p. 715-740. 101 Zu den Bauten und den architekturtheoretischen Grundlagen James S. Ackerman, The Tuscan/ Rustic Order. Α Study in the Metaphorical Language of Architecture, in: Ders., Distance Points. Essays in Theory and Renaissance Art and Architecture, Massachusetts 1991, p. 495-545 (zuerst 1983); zum Fels in der Allegorie der Neuzeit vgl. auch Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte Bd. 17,1981, s.v. „Fels" (Fritz Graf).
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Frankreich
nern abgesprochen wurde. Dies war wohl angesichts der Topik des Themas auch nicht nötig, denn kaum ein Herrscher ließ sich die panegyrische Identifikation mit dem mythischen Heros oder dessen genealogische Inanspruchnahme entgehen. Für die französischen Könige hatte dies eine weit zurückreichende Tradition, die sich im frühen 16. Jahrhundert zur Kunstfigur des Hercules Gallicus verdichtet hatte102. Mit dem unvollendet gebliebenen Herkuleszyklus in der Galerie du Bord-de-l'Eau des Louvre, für deren Ausmalung Poussin 1640 aus Rom berufen wurde, und der unter der Leitung Le Bruns ab 1650 ausgeführten Galerie d'Hercule im Hötel Lambert wurden bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts die beiden bedeutendsten, dem mythologischen Thema gewidmeten Galerieausstattungen in Paris geplant103. Für Ludwig XIV. sei nur an die Entree solennelle des Jahres 1660 erinnert, bei der ein Triumphbogen am Marche Neuf in Anspielung auf den im Vorjahr geschlossenen Pyrenäenfrieden den König in der Gestalt des Herkules als Pazificator des Erdkreises würdigte. In der direkten Nachfolge der genannten Galerieausstattungen in Paris wurde auch für die Galerie des Glaces in Versailles zunächst ein Herkules und Apoll gewidmetes Programm erwogen104. In Rom war Bernini der auf Ludwig XIV. bezogenen Herkulespanegyrik bereits anläßlich der dortigen Feierlichkeiten zur Geburt des späteren Königs im Jahr 1638 begegnet. Er hatte seinerzeit den Festapparat vor der Trinitä dei Monti entworfen, kannte aber sicher auch eine Festoper, die mit einer dreimonatigen Verspätung im Januar 1639 in der damaligen französischen Botschafterresidenz des Palazzo Farnese gegeben wurde. Die nach dem Libretto von Ottaviano Castello aufgeführte Oper mit dem Titel La Sinceritä Trionfante overo Erculeo ardire verarbeitet den Herkulesmythos. Im Schlußbild wird Herkules als mythischem Idealbild des neugeborenen Dauphin im Namen der Tugendhaftigkeit die Regierung Frankreichs übereignet. Eine von Bernini ausgeführte Porträtzeichnung Richelieus diente als Vorlage für das Frontispiz des dem Kardinalminister gewidmeten Librettos105. Aus zahlreichen Äußerungen im Tagebuch Chantelous spricht eine Haltung des idealisierenden Respekts, mit der Bernini während seines Aufenthalts in Paris Ludwig XIV. gegenübertrat. Fast scheint es, als folge sie nicht nur den Maßregeln der Etikette, sondern als sei sie aus dem panegyrisch überhöhten Bild des Königs begründet, das Bernini im Rahmen der Feierlichkeiten in Rom selbst mit entworfen hatte. In Paris boten die Porträtsitzungen 102 Vgl. Corrado Vivanti, Henri IV, the Gallic Hercules, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 30, 1967, p. 1 7 6 - 1 9 7 . 103 Vgl. Natalie und Arnold Henderson, Nouvelles recherches sur la decoration de Poussin pour la Grande Galerie, in: Revue du Louvre et des Musees de France 27, 1977, p. 2 2 5 - 2 3 4 und Kirchner, 2001, p. 431—443 sowie Sabine du Crest, Hotel Lambert: decor interieur, in: Ausst. Kat. „L'Ile Saint-Louis", Paris 1997, p. 2 1 1 - 2 2 5 . 104 Vgl. Möseneder, 1983, p. 107; sowie weitere Belege bei Ahrens, 1990, p. 1 5 9 - 1 6 7 ; Burke, 1992, ad ind.; zu Versailles Gerard Sabatier, Le parti figuratif dans les appartements. L'escalier et la galerie de Versailles, in: X V I I e siecle 40, no. 1 5 8 - 1 6 1 , 1988, p. 4 0 1 - 4 2 6 , bes. 4 1 6 f . 105 Castello, 1640; das Libretto ist erstmals in Ronciglione 1639 im D r u c k erschienen; erst die Edition R o m 1640 ist mit dem von Giovan Francesco Grimaldi ausgeführten Porträtstich als Frontispiz ausgestattet. Grimaldi hatte die Bühnenbilder zur O p e r entworfen. D i e Zeichnung Berninis beruht auf dessen Richelieubüste; vgl. Brauer/Wittkower, 1931, p. 156 f.; zu den Bühnenbildern Grimaldis vgl. Anna Maria Matteucci, Giovan Francesco Grimaldi et la France, in: Seicento, 1990, p. 2 7 - 3 8 , bes. p. 2 7 - 3 0 .
2. Die Planungsvorgaben
Colberts
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für die Marmorbüste Ludwigs XIV. (Abb. 27) die weitaus häufigsten Anlässe für die persönliche Begegnung mit dem König. Durch die Arbeit am Bildnis des Königs dürfte Bernini zu der prägnanten Formulierung gelangt sein, mit der er auch seinen Louvreentwurf einmal kommentierte: Ε ben vero (...) che le fabriebe sono i ritratti dell'animo dei principi.m Diese wenige Tage vor der Grundsteinlegung und nach einer neuerlichen Auseinandersetzung mit den kritischen Einwänden Colberts getroffene Äußerung bezeichnet die Grundidee des Entwurfes. Mit dem Fassadenentwurf ordnet Bernini den Gedanken der gloire nicht mehr dem königlichen Status des Bauherrn unter, wie er dies selbst und wie dies seine römischen Mitbewerber in ihren früheren Entwürfen getan hatten. Er betrachtet die Fassade nunmehr als Abbild für die Tugenden des Monarchen, dabei erfahren Gestalt und Statuendekoration des Baus eine Aufwertung zu Bestandteilen einer allegorischen Aussage, die unmittelbar auf den Bauherrn bezogen ist. Es gehört sicherlich zu den entscheidenden Voraussetzungen des Erfolges, den das Projekt Berninis zunächst hatte, daß der Entwurfsgedanke vom Palast als Bildnis des Königs von Ludwig XIV. geradezu begeistert aufgenommen wurde. Dabei stellt sich die Frage, auf welchen Voraussetzungen diese unverzügliche Wertschätzung beruhte. Ludwig XIV. konnte bei seinem Urteil gleichermaßen an künstlerische Vorhaben aus der Regierungszeit seines Vaters wie an Aspekte der aktuellen Diskussion über die Formen royalistischer Bildprogrammatik anknüpfen. So war die Aufstellung kolossaler Wächterfiguren am Hauptportal des Louvre bereits 1640 vorgesehen gewesen. Wohl auf Initiative das damaligen Surintendant des Bätiments, Sublet de Noyers, plante man, Bronzekopien der Dioskuren des Quirinal an der Königsresidenz zu postieren und damit die Aufstellung der antiken Figurengruppen vor dem päpstlichen Palast zu wiederholen107. Einen prominenten Vorläufer für ein Statuenprogramm, bei dem im Kontext einer Eingangssituation antike Götterfiguren als Huldigung an den Monarchen erscheinen, bot das Schloß Richelieu. Am dortigen ab 1625 errichteten Torbau waren in den unteren Nischen die antiken Statuen von Herkules und Mars aufgestellt. Sie flankierten den Durchgang, fungierten aber zugleich als Attributfiguren König Ludwigs XIII., dessen Feldherrnstatue sich im Kuppelraum des Obergeschosses erhob108. Beim Statuenensemble am Torbau von Richelieu handelt es sich um eine ostentative Geste der Huldigung, die der Kardinalminister seinem König darbrachte. Ein verwandtes Skulpturenprogramm erscheint auch in einer von Jean Marot als Stich überlieferten Entwurfsvariante Le Vaus für den Hauptpavillon der Südfassade des Louvre, die eine Planung der Jahre bis 1663 wiedergibt. Dort sind zwei nicht identifizierbare Statuen in Nischen zu Seiten des Portals eingestellt. In der Portallünette ist in einer Tondorahmung eine Büste eingetragen, bei der es sich möglicherweise um ein Bildnis des Königs handelt109. 106 Chantelou, Ed. 2001, p. 237 (8. Okt. 1665); das Diktum ist auch im Protokoll der Bonmots Berninis bei Perrault, 1993, p. 173 hervorgehoben. 107 Darüber berichtet Bellori, der über die Abgußkampagnen von 1640 und 1642 verläßlich informiert war; Bellori, 1672, p. 428: Ma quello che riuseiva di somma magnificenza erano Ii due gran Colossi sü'l Quirinale riputati Alessandro Magno con Bucefalo, Ii quali gettati di metallo doueuano porre all'entrata del Loure, come in Roma stanno auanti il Palazzo del Papa. 108 Zum Statuenprogramm und der noch erhaltenen Marsfigur Marie Montembault/John Schioder, L'Album Canini du Louvre et la collection d'antiques de Richelieu, Paris 1988, p. 62 f., Kat. Nr. 49. 109 Zu den Entwürfen mit Abbildungen vgl. Berger, 1993, p. 11 f. und Gargiani, 1998, 33 f.; Petzet, 2000, p. 17.
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II. Die Berufung von Bernini nach
Frankreich
Wesentliche Elemente der von Bernini konzipierten Dekoration des Louvre sind in diesen beiden denkmalhaften Pavillonbauten vorweggenommen, die maßgebliche Differenz besteht aber in der anschaulichen Präsenz des Herrschers. Der Monarch wird in Richelieu als Statue dargestellt und vielleicht wurde für die Südfassade des Louvre an eine Königsbüste gedacht. An Berninis Entwurf für die Louvre-Ostfassade hingegen bildet das Königswappen über dem Mittelfenster in heraldischer Stellvertretung die Anwesenheit des Königs ab. Versucht man, Berninis Fassadenplanung vor dem Hintergrund seines Diktums vom Palast als Bildnis des Herrschers in eine französische Terminologie zu übersetzen, so erscheint der Begriff des portrait historie als angemessen. Ein Jahr vor dem Eintreffen Berninis in Paris hat Andre Felibien Ludwig XIV. eine Gemäldebeschreibung gewidmet, in der er den Terminus anhand eines Reiterbildnisses des Königs von Le Brun erläutert. In dem heute verlorenen Porträt schwebten über der Reiterfigur die Allegorien von Victoria, Fama und Abundantia, die Felibien als notwendige Elemente des Bildgehalts erläutert: C'est aussi sous le voile de ces Figures que le Peintre a cache les grandes choses qu'il α eü dessein de representer.uo Ein paar Jahre später hat Felibien diese Formulierung in der im Vorwort der Conferences vorgetragenen Gattungslehre aufgegriffen und für die Zielsetzungen der Bildallegorie verallgemeinert111. Im portrait historie erhalten die dem Porträtierten zugeschriebenen Tugenden durch mythologische oder allegorische Begleitfiguren sichtbare Gestalt. Dabei betont Felibien die Unverzichtbarkeit eines allegorischen Apparats bei einem Bildnis des Monarchen, um dessen über die Darstellung der Person hinausweisende Würde angemessen ins Bild zu setzen. Felibiens Kommentar zum Exempel eines portrait historie konnte Ludwig XIV. auch eine Verständnisgrundlage für den Gehalt von Berninis Louvrefassade vermitteln. Dort ist die auf dem Tugendberg zweifach auftretende Gestalt des Herkules zwar auf das Wappen Ludwigs XIV. bezogen. Für die Parallele zwischen Porträttypus und Bau erscheint es jedoch als sekundär, daß der König nicht in figürlicher Darstellung, sondern in heraldischer Stellvertretung erscheint. Die Bedeutung von Wappen als ein dem Bildnis gleichrangiges Herrschaftszeichen war aus einer zeitgenössischen Sicht selbstverständlich112. Sie bildet die Voraussetzung für die Kennzeichnung der Louvrefassade als Bildnis des Fürsten durch Bernini und ermöglichte auch dem König ein solches Verständnis. Urteilt man nach dem Bericht Chantelous, so stieß der Ostfassadenentwurf Berninis am Hof auf ein Einvernehmen, das nach den vorangegangenen Kontroversen als überraschend anmutet und im Hinblick auf den späteren Umgang mit den Planungen Berninis mißtrauisch macht. Nachdem der Entwurf das Plazet Ludwigs XIV. hatte, wurde er nicht mehr modifiziert und blieb bis zur Grundsteinlegung am 17. Oktober 1665 verbindlich. Auch ein im Jahr darauf in Paris entstandenes Palastmodell ließ die Hauptfassade unangetastet und zeigte nur geringfügige Detailvarianten gegenüber dem Präsentationsentwurf
110 Andre Felibien, Le portrait du Roy (zuerst 1664), in: Felibien, 1689, p. 69-94, hier p. 150; zur Schrift auch Germer, 1997, p. 219-225. 111 Conferences, Ed. 1996, p. 51: (...) il faut par des compositions allegoriques savoir couvrir sous le voile de la fable les vertus des grands hommes et les mysteres les plus releves. 112 Siehe hierzu unten, Kap. IV,3.
2. Die Planungsvorgaben
Colberts
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(Abb. 17) 113 . Dabei ist aber nicht zu verkennen, daß vor allem der König den Fassadenentwurf protegierte. Colbert sowie seine Berater und der Kreis der Hofkünstler beugten sich im Hinblick auf die Hauptfassade dem Urteil Ludwigs XIV. Anders standen die Dinge jedoch bei den von Bernini entworfenen und seinem Mitarbeiter Mattia de'Rossi ins Reine gezeichneten Planserien für die Fassaden und die Grundrißlösungen zu den übrigen Flügeln der Cour Carree. Soweit der König über den Planungsvorgang in Kenntnis gesetzt wurde - und dies betraf fast nur die Vorlage von Fassadenansichten war die Surintendance zum Respekt vor dessen Willen angehalten. Die Bauadministration hatte aber einen weit bemessenen Entscheidungsfreiraum - und vor allem ein beträchtliches Blockadevermögen. Während des Aufenthalts von Bernini in Paris setzten sich zwischen dem Architekten und der Surintendance die Kontroversen fort, soweit sie die Disposition der Bauabschnitte an der Cour Carree betrafen. Diskutiert wurden dabei gleichermaßen Probleme der Gestaltung wie der Funktion. Aus den Gesprächsberichten Chantelous und den Memoranden Colberts wird ersichtlich, daß es selbst bei zentralen Fragen der internen Funktionsabläufe zu keinem Einvernehmen kommen konnte, weil die Optionen von Seiten Colberts nicht definitiv festgelegt waren, einmal getroffene Entscheidungen revidiert wurden oder wichtige Sachverhalte überhaupt nicht zur Sprache kamen. Beispielhaft zeigt sich diese Überlagerung von Entscheidungsdefiziten bei der Kapelle und den Treppenhäusern, deren jeweilige Lage während der Planungsdebatten immer wieder verschoben wurde und die gleichsam durch die Vierflügelanlage geisterten. Es zeichnet sich hier ein Hintergrundszenario ab, das sich für die Durchsetzung und Realisierung von Berninis Louvreplanung als äußerst prekär erwies: Gerade weil zahllose Entwurfsfragen während der Zeit von Berninis Aufenthalt in Paris ungelöst blieben, war eine Diskussion über dessen gesamte Planung unumgänglich. Freilich boten die Entwürfe damit zugleich breite Angriffsflächen für Kritik. Dabei greift es jedoch zu kurz, die Gründe, aus denen die Entwürfe Berninis schließlich scheiterten, primär in Hofintrigen zu erkennen. Auch wenn diese Sicht bereits von zeitgenössischen Beobachtern beschworen wurde, so verkennt sie doch, daß es zunächst um eine durchaus legitime Interessenrivalität ging. Sie wurde mit dem Beginn des Krieges gegen die Niederlande ohnedies von historischen Ereignissen eingeholt, die für die Louvreplanung eine grundlegende Neuorientierung bedeuteten. Der Weg dorthin war begleitet von Problemen, die sich dann von selbst erledigt haben. Knapp zwei Wochen, nachdem Bernini seinen Entwurf für die Südfassade präsentiert hatte, arbeitete Louis Le Vau, der Bernini anscheinend niemals persönlich begegnet ist, einen eigenen Entwurf für den Westflügel aus. Le Vau trat damit noch nicht in eine unmittelbare Konkurrenz mit Bernini, der zu diesem Zeitpunkt erst Entwürfe für den Ost- und Südflügel vorgelegt hatte 114 . Der Premier Architecte du Roy, der dieses Amt weiterhin innehatte und nur zeitweilig von seiner Verantwortung für die Residenz entbunden worden war, meldete sich mit seinem Entwurf aber wieder unübersehbar im Planungsgeschehen zurück. Erste Gerüchte, daß das Berniniprojekt nicht ausgeführt werden könnte, wurden erstmals Ende August 1665 laut. Mit dem Hinweis auf die diplomatischen Zerwürfnisse 113 D e m Modell läßt sich der abgebildete Fassadenaufriß in Stockholm zuordnen, vgl. Gargiani, 1998, p. 9 7 f . und Petzet, 2000, p. 1 3 2 - 1 3 5 . 114 Chantelou, Ed. 2001, p. 96 (30. Juli 1665); Bernini hatte seinen Entwurf für den Südflügel am 19. Juli vorgelegt, a.a.O., p. 80.
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II. Die Berufung von Bernini nach Frankreich
zwischen Paris und Rom sowie die angekündigte Abreise Berninis entzündeten sie sich eher an den Umständen als an den Entwürfen des Architekten 115 . Etwa gleichzeitig bildete sich ein zunächst eher informell organisierter Conseil, der sich mit der Ausarbeitung von Alternativentwürfen beschäftigte. Ihm gehörte neben Charles Le Brun und Francois Mansart auch Le Vau an, der damit seine Position nachhaltig stärken konnte 116 . Damit war der erste Schritt getan, daß die Bätiments du Roy durch die Schaffung eines speziellen Planungsstabes die Initiative für die Neubauten am Louvre wieder in die Hand bekamen. Charles Perrault ist es als Mitglied des Petit Conseil gelungen, nach dem Tod von Mansart im September 1666 seinem Bruder Claude einen Platz in dem Gremium zu sichern, das erst im April 1667 von Colbert fest installiert wurde. Mit der Rückgewinnung von Kompetenz und Initiative durch die Bätiments sowie durch den Petit Conseil um Colbert stellten sich - je näher die Grundsteinlegung für das Berniniprojekt rückte - neben den offenen Entwurfsfragen drängende Probleme der Bauausführung. Sie betrafen auf der technischen Seite den Bereich der Statik und der Solidität des Baus, auf der organisatorischen Bauleitung und Bauaufsicht nach dem Fortgang Berninis 117 . Gleichzeitig wurde Bernini neben der kontinuierlichen Arbeit an der Königsbüste durch zahlreiche weitere Anfragen und Aufträge okkupiert, erinnert sei nur an die Altarentwürfe für Val-de-Gräce, Entwürfe für den Landsitz von Saint-Cloud sowie für die Grablege der Bourbonen bei Saint-Denis. All diese Angelegenheiten spielten sich vor einer schwer zu durchdringenden Geräuschkulisse von Rivalitäten, Mißverständnissen und Mißtrauen ab. Auch wenn sich alle Beteiligten im Ausreizen dieser Situation in nichts nachstanden, so ist doch gleichzeitig die jeweilige Motivlage zu bedenken. Bernini selbst leistete einerseits den Ressentiments gegen seine Person durch seine kategorische Aburteilung der französischen Kunst maßgeblichen Vorschub. Vor den Verdikten Berninis suchte auch der König gelegentlich Deckung, als er sich verbat, dem Künstler in Versailles zu begegnen 118 . Andererseits beruhten die vielen negativen Urteile Berninis doch auf der Konstante künstlerischer Uberzeugungen, die er bei seinen Betrachtungen französischer Werke kaum jemals verwirklicht fand. Bisweilen rückte er von seinen harschen Bewertungen ab und fand zu einer einprägsamen Kommentierung der unterschiedlichen künstlerischen Traditionen 1 ' 9 . Ähnlich ambivalent sind auf französischer Seite die Rollen des Colbert-Beraters Charles Perrault und des Hofbildhauers Jean Varin zu beurteilen. Perrault hinterließ mit den Memoiren ein Zeugnis seiner überaus kritischen Distanz zu Bernini. Er sah in ihm einen mediocre architecte, der nur die Künstler und Werke seines Heimatlandes zu schätzen wisse 120 . Zugleich vertrat Perrault das Interesse, den Petit Conseil zu stärken, und unternahm mit Erfolg den Versuch, seinen älteren Bruder Claude als Architekten zu protegieren. Sowohl 115 Chantelou, Ed. 2001, p. 144 (28. Aug. 1665); der Hinweis auf die politischen Kontroversen dürfte sich auf die Durchsetzung des Vertrages von Pisa beziehen. 116 Chantelou, Ed. 2001, p. 149f. (1. Sept. 1665). 117 Beide Probleme kamen erstmals am 30. August 1665 zur Sprache; vgl. Chantelou, Ed. 2001, p. 145-148 und passim; sowie zu den bautechnischen Fragen auch Perrault, Ed. 1993, p. 159-161. 118 Chantelou, Ed. 2001, p. 120 (14. Aug. 1665). 119 Vielleicht am deutlichsten kommt dies mit folgendem Grundsatz zur Sprache: (...) qu'il faut cacher l'art davantage et chercher de donner aux choses une apparence plus naturelle, mais qu'en France generalment en tout on fait le contraire. Vgl. Chantelou, Ed. 2001, p. 103 (2. Aug. 1665). 120 Perrault, Ed. 1993, p. 158.
3. Die Ostfassade des
Louvre
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die Verteidigung der Kompetenzen des Rates, dem Perrault selbst angehörte, als auch die Protektion eines Verwandten sind Konventionen der Interessenvertretung in der Hofgesellschaft, die von der informell gestalteten Wettbewerbsfähigkeit des einzelnen bei der Wahrung und Durchsetzung seiner Ziele bestimmt wurde. Der Fall Jean Varin (1606-1672) illustriert verwandte Strategien, aber auch die Tatsache, daß mit äußerst partikularen Interessen zu rechnen ist. Der Medailleur und Bildhauer war im Hinblick auf seine Haltung gegenüber Bernini einer der Bündnispartner Perraults. Er hatte sich durch Falschmünzerei und andere betrügerische Machenschaften zu seinem Posten als Leiter der königlichen Münze hochgearbeitet und bürgt somit nicht unbedingt für persönliche Integrität. Sein Ressentiment gegenüber Bernini dürfte nicht zuletzt daraus erwachsen sein, daß er in der Umgebung des Louvre Hausbesitz hatte, den er für den Neubau zu räumen hatte. Er beschwerte sich öffentlich über die Enteignung' 21 . Varin scheint in den Hofkreisen maßgeblich die diffus feindselige Stimmung mobilisiert zu haben, die Bernini zusehends entgegenschlug. Ungeachtet der Rolle, die Varin hinter den Kulissen spielte, verteidigte er aber auch in durchaus respektabler Weise auf offener Bühne seine Position als Hofbildhauer, als er Berninis Büste von Ludwig XIV. (Abb. 27) seine ohne Auftrag ausgeführte Königsbüste gegenüberstellte (Abb. 29). Das hier skizzierte Szenario zeigt ein kompliziertes Gefüge von Zuständigkeiten, Entscheidungswegen und Rivalitäten, in dem das Louvreprojekt Berninis im Stadium seiner Planung angesiedelt war. In diesem Gefüge bilden sich soziale und institutionelle Mechanismen ab, wie sie für die Hofgesellschaft insgesamt kennzeichnend sind. In dritter Instanz, also dort, wo der König nicht in die Entscheidungen involviert und Colbert auf den Sachverstand von Ratgebern angewiesen war, mußten die unumgänglichen Beschlüsse über das Palastprojekt getroffen werden. In dieser Instanz der Gremien wurden seiner Realisation aber auch Hindernisse in den Weg gelegt. Gleichwohl ist nachdrücklich zu betonen, daß nicht dieser letztlich institutionelle Widerspruch Berninis Louvreplanung zu Fall brachte, sondern eine politische Entwicklung, die alle Beteiligten mit neuen Rahmenbedingungen konfrontierte. Diese Situation trat ein, als Frankreich zum Devolutionskrieg gegen die spanischen Niederlande mobilisierte.
3. Die Ostfassade des Louvre: Triumphmonument und Architektursynthese Als dem Nuntius Carlo Roberti de'Vittori der Ausführungsentwurf Berninis für die Ostfassade vorgelegt wurde, machte er Bernini das Kompliment, daß man nach Vollendung des Palastes wegen der Baukunst nach Frankreich reisen werde, während man bisher zur Inspektion der Armeen ins Land gekommen sei122. Diese Hoffnung trog und verkehrte sich ins gewohnte Gegenteil, denn als die französischen Truppen an die Nordgrenzen des 121 Chantelou, Ed. 2001, p. 238 (8. Okt. 1665) zur Klage Varins und p. 97 (30. Juli 1665) zu den Abbruchmaßnahmen; zum Werdegang Varins vgl. Mark Jones, Jean Warin, in: The Medal 11, 1987, p. 7-23 sowie ders., Jean Warin (1606-1672), in: Ausst. Kat. „The Currency of Fame. Portrait Medals of the Renaissance", New York 1994, p. 337-343; Evelyne Robert/Jean-Luc Desnier, L'art de medaille selon Jean Varin, in: Gazette des Beaux-Arts 135,1993, p. 2-14. 122 Chantelou, Ed. 2001, p. 63 (25. Juni 1665).
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II. Die Berufung von Bernini nach Frankreich
Königreichs marschierten, bedeutete dies auch das Ende der Planung Berninis. Alle Beteiligten waren sich darin einig gewesen, daß ein Bauprojekt in der Größenordnung des Louvre nur in Friedenszeiten zu verwirklichen war. In diesem Sinne begrüßte Bernini Chantelou bei deren erster Begegnung 123 . Das Ende des seit 1659 zwischen Frankreich und Spanien herrschenden Friedens kündigte sich an, als während des Aufenthalts von Bernini in Paris der spanische König starb. Philipp IV. (1621-1665) verstarb am 17. September 1665, die Nachricht wurde eine Woche später in Paris öffentlich bekannt 124 . In Paris nutzte man den Todesfall als Gelegenheit, um Abfindungen für die ausstehenden Mitgiftzahlungen an Maria Theresia ( f l 6 8 3 ) , der mit Ludwig XIV. seit 1660 verheirateten ältesten Tochter Philipps IV., zu stellen. Die Entschädigungen bezogen sich auf Gebietsforderungen in den spanischen Niederlanden, begründet wurden sie mit dem ius devolutionis. Nachdem ein Ultimatum bis zum 8. Mai 1667 an Spanien verstrichen war, wurde unverzüglich ein Heerzug unter der persönlichen Führung Ludwigs XIV. aufgestellt. Während der militärischen Kampagnen im Sommer des Jahres wurden mehrere Städte im Grenzgebiet eingenommen. Den immer weiter ausgreifenden französischen Gebietsforderungen, die durch die Erbansprüche der Königin ohnedies nicht legitimiert waren, wurde schließlich durch ein Defensivbündnis der Niederlande mit England und Schweden Einhalt geboten. Der am 2. Mai 1668 besiegelte Friede von Aachen bestätigte den Verbleib einzelner Grenzstädte in französischem Besitz, die unter Vauban unverzüglich zu Festungen ausgebaut wurden 125 . Mit dem Devolutionskrieg der Jahre 1667 bis 1668 endete eine Phase der französischen Außenpolitik, die von diplomatisch ausgefochtenen Preseance-Konflikten gekennzeichnet war und als „paix arrogante" beschrieben wurde 126 . Ludwig XIV. präsentierte sich erstmals als Kriegsherr auf dem Schlachtfeld - oder lenkte immerhin hinter den Schanzen im Feldherrnzelt die Kampagnen. Die Zäsur zeigt sich aber auch in der propagandistischen Offensive, die den Krieg begleitete. Der Devolutionskrieg bietet für die folgenden Jahrzehnte ein Arsenal von publizistischen Strategien, die flankierend zum Kriegsgeschehen hier zum ersten Mal erprobt und mobilisiert wurden. Aus dem Gelehrtenkreis des Petit Conseil ging eine umfangreiche Legitimationsschrift hervor, in der die französische Position mit einer historisch und juristisch weit ausholenden Argumentation begründet wird und sich dabei vor allem auf das Fundamentalgesetz der Unveräußerlichkeit des Krongutes beruft. Zudem gelang es, zahlreiche, zum Teil mit königlichen Pensionen ausgestattete Literaten zu Elogen auf den Kriegsherrn einzustimmen. Die Eroberungen des Königs und der Friede von Aachen wurden beim Grand Divertissement Royal am 18. Juli 1668 in Versailles gefeiert, das in vieler Hinsicht auf die
123 Chantelou, Ed. 2001, p. 54 (9. Juni 1665). 124
Gazette de France, 1665, p. 1035 und Chantelou, Ed. 2001, p. 207 (27. Sept. 1665); zu den Exequien für den König Mitte O k t o b e r 1665 in Paris Gazette de France, 1665, p. 1040 f., 1064 f., 1084 f., 1 1 8 7 - 1 1 9 8 und Colbert, Bd. V, p. 509.
125 Z u m Hintergrund und zum Verlauf des Krieges Paul Sonnino, Louis X I V and the Origins of the Dutch War, Cambridge u.a. 1988, p. 9 - 3 2 sowie zum weiteren Rahmen Klaus Malettke, Frankreich, Deutschland und Europa im 17. und 18. Jahrhundert. Beiträge zum Einfluß französischer politischer Theorie, Verfassung und Außenpolitik in der Frühen Neuzeit, Marburg 1994, bes. p.304-312. 126 I.d.S. Lebrun, 1997, p. 144; vgl. auch Erben, 1996, bes. p. 453^155.
3. Die Ostfassade des
Louvre
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ungleich aufwendigeren, mehrwöchigen Festlichkeiten im Juli und August 1674 nach der Eroberung der Franche-Comte vorausweist127. In welchem Maß der Hof darauf bedacht war, die öffentliche Wirkung des Krieges zu steuern und insbesondere die Feldherrnrolle des Königs herauszustreichen, zeigt der Auftrag an den Schlachtenmaler Adam Frans van der Meulen (1632-1690), den Kriegszug zu begleiten. Mit seiner zum Devolutionskrieg entstandenen Gemäldeserie etablierte sich die Gattung der Schlachtenmalerei als feste Sparte der Hofkunst und trat als ein Genre, das sich dem zeitgenössischen Ereignis widmete, in offene Konkurrenz zur klassischen Historienmalerei128. In den vom Petit Conseil initiierten historischen Bildchroniken der Histoire metallique und der Gobelinserie der Histoire du Roy sowie in der Serie der jährlich publizierten halboffiziellen Almanache kam der Kriegszug ausführlich zu Darstellung129. Schließlich wurde im Petit Conseil noch während der militärischen Operationen in Flandern das Projekt eines Triumphbogens geplant, mit dessen Errichtung später auf der Place du Tröne im Faubourg Saint-Antoine begonnen wurde und der sich als parallele Architekturplanung zur Ostfassade des Louvre darstellt (Abb. 18)130. Auch das Louvreprojekt geriet in den Sog der aufwendigen propagandistischen Unternehmungen im Zuge des Devolutionskrieges. Bernini wurde durch Colbert am 15. Juli 1667 davon informiert, daß die Einstellung der Arbeiten am Louvre beschlossen worden sei131. Bereits vorher hatte es zwar immer wieder Gerüchte gegeben, daß der Entwurf Berninis nicht realisiert werde132, mit dem Brief Colberts wurde nun aber die Entscheidung des Hofes offiziell. Auch wenn Colbert eine
127 Z u m Zusammenhang vgl. Burke, 1992, p. 7 1 - 7 5 ; zum Traktat Bilain, 1667; zu den Panegyriken N i cole Ferrier-Caveriviere, La guerre dans la litterature frangaise de 1672 ä 1715, in: Viviane BarrieCurien ed., Guerre et pouvoir en Europe au X V I I e siecle, Paris 1991, p. 1 0 5 - 1 2 8 , bes. p. 1 0 8 - 1 1 0 und allgemein Joel Cornette, Le roi de guerre. Essai sur la souverainete dans la France du Grand Siecle, Paris 1993; zum Divertissement D u Crest, 1990, bes. p. 2 2 - 3 7 . 128 Zu den Schlachtenaufnahmen der Kampagne Ausst. Kat. „A la gloire du Roy. Van der Meulen, peintre des conquetes de Louis X I V " , Paris 1998, p. 1 2 6 - 1 4 1 und grundlegend zur Gattungsproblematik Thomas Kirchner, Paradigma der Gegenwärtigkeit. Schlachtenmalerei als Gattung ohne Darstellungskonventionen, in: Stefan G e r m e r et al. eds., Bilder der Macht-Macht der Bilder. Zeitgeschichte in Darstellungen des 19. Jahrhunderts, M ü n c h e n - B e r l i n 1997, p. 1 0 7 - 1 2 4 und ders., Facetten der Historie. Konzepte von Geschichte und ihre Darstellungsformen, in: G ö t z Pochat et al. eds., Kunst/Geschichte zwischen historischer Reflexion und ästhetischer Distanz ( = Kunsthistorisches Jahrbuch G r a z 27), G r a z 2000, p. 2 4 - 3 9 und zuletzt die Monographie von Kirchner, 2001, hier bes. 395^113. Vgl. jüngst auch Brassat, 2003. 129 Vgl. Medailles sur les principaux evenements, 1702, p. 9 5 - 1 0 7 ; zu den drei Tapisserien der G o b e linfolge Fabian Stein, Charles Le Brun. La tenture de l'Histoire du Roy, Worms 1985, p. 7 4 - 1 0 8 , Kat. Nr. 9 - 1 4 ; zu einem Almanachblatt Ausst. Kat. „Les effets du soleil. Almanachs du regne de Louis X I V " , Paris 1995, Nr. 7 sowie zu weiteren Blättern in der B N , Est., Coli. Hennin, Q b l (1667-1668). 130 Zum Triumphbogen grundlegend Michael Petzet, Das Triumphbogenmonument für Ludwig X I V . auf der Place du Tröne, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 4 5 , 1 9 8 2 , p. 1 4 5 - 1 9 4 und in überarbeiteter Fassung Petzet, 2000, p. 3 9 9 ^ 4 2 . 131 Abdruck des Briefes bei Mirot, 1904, p. 273 f. nach B N , Ms. italien 2083, p. 2 4 3 - 2 4 4 . Eine italienische Fassung des Briefes ist bereits auf den 15. Juni 1667 datiert; a.a.O., p. 77. 132 Vgl. Chantelou, Ed. 2001, p. 144 (28. August 1665) und Mirot, 1904, p. 273 über die Verbreitung derartiger Gerüchte Ende April 1667.
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II. Die Berufung von Bernini nach
Abb. 18
Frankreich
Triumphbogen auf der Place du Trone nach Entwurf von Claude Perrault. Stich von Sebastien L e Clerc, 1679.
spätere Wiederaufnahme der Arbeiten nach Berninis Entwurf in Aussicht stellte, kam seine Mitteilung einer definitiven Absage gleich. Er begründet sie - wenige Wochen nach dem Ablauf des Ultimatums an Spanien und dem Beginn der militärischen Aktionen - aus der gegenwärtigen conjoncture pressante d'une guerre par terre et par mer, deren Dauer nicht absehbar sei133. Der ganz grundsätzliche Stellenwert dieser Begründung weist auch auf das Memorandum vom September 1663 zurück, in dem Colbert den prinzipiellen Gleichrang von fürstlicher Bautätigkeit und Kriegsruhm ausgesprochen hatte: In den Waagschalen der Gleichung von arte et Marte wog nunmehr das aktuelle Kriegsgeschehen schwerer als ein ohnedies umstrittenes Bauprogramm. Zugleich waren wenige Wochen vor der Absage an Bernini die Zuständigkeiten im April 1667 endgültig dem Planungsausschuß übergeben worden, dem Charles Le Brun, Louis Le Vau und Claude Perrault angehörten. In einer von Colbert geforderten Gemeinschaftsarbeit, bei der die Anteile der einzelnen Künstler anonym bleiben sollten, wurde von diesem Ausschuß der Vollendungsplan für den Louvre ausgearbeitet134. Der Entwurf für den Osttrakt wurde von Ludwig XIV. zwei Tage vor seinem Aufbruch nach Flandern am 14. Mai 1667 gebilligt. Die Grundsteinlegung fand am 19. November des Jahres statt, nachdem man für die Zeremonie die Rückkehr des Königs abgewartet hatte. Erst nach dem Frieden von Aachen im Mai 1668 erfuhren die Pläne im Lauf des Sommers eine weitere Redaktion, die für die Ausführung der heute bestehenden Ostfassade des Louvre verbindlich wurde. Die überaus enge Verflechtung von zeithistorischer Ereignis- und architektonischer Planungsgeschichte führte zu einer unverkennbaren Neuformulierung des Fassadenent-
133 Mirot, 1904, p. 273. 134 Diese Bestimmungen sind in dem mit April 1667 einsetzenden Registre des Planungsausschusses niedergelegt; vgl. Berger, 1993, Sources II, Nr. 1.
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wurfs 135 . Der Gesamtentwurf, wie er im Stich von Jean Marot aus dem Jahr 1676 überliefert ist (Abb. 19) und der bis zur zwei Jahre später erfolgten Schließung der Baustelle zugunsten des Ausbaus von Versailles nur teilweise realisiert wurde, hebt das Fassadenzentrum als Triumphbogen hervor (Abb. 23)136. Der in horizontaler Weite gelagerte Fassadenkörper wird dort und an den Abschlüssen markant durch Risalite von annähernd gleicher Breite akzentuiert (Abb. 19-23). Anders als im letzten Entwurf Berninis sind das Sockel- und das Erdgeschoß weitgehend glatt belassen. Ersteres zeigt durch eine Bandrustika verstärkte Risalitkanten, und am letzteren sind die Fenster durch ein Sohlbankgesims miteinander verbunden. Die gleichförmige Reihung der Fenster gibt die Einteilung des Hauptgeschosses vor, die hier allerdings zu einem überraschenden Variationsreichtum gesteigert ist. An den Seitentrakten sind gekuppelte korinthische Säulen vor die Galerie gestellt, deren Rückwand durch Statuenädikulen und darüber liegende skulptierte Medaillons gegliedert ist. Die Doppelsäulen werden am Mittelrisalit als Wandvorlagen zurückgenommen und erstrecken sich dort mit einem über dem Eingangsbogen verbreiterten Interkolumnium. An den Seitenpavillons erfährt das Kolonnadenmotiv eine planmäßige Reduktion. Es wird in Paarungen von reinen Doppelpilastern sowie von Pilastern und Vollsäulen aufgenommen und zugleich als Element der Wandgliederung umgeformt. Trotz der komplizierten Tiefenschichtung des Fassadenbaus erinnert die Disposition der Kolossalordnung, die durch die Rhythmisierung sowie den Wechsel von Säulen- und Pilasterordnung gestaltet ist, an die bereits von Bernini zugrundegelegten Entwurfsprinzipien. In einer mit der Erläuterung Berninis identischen Formulierung bezeichnet Claude Perrault das Erdgeschoß der Fassade als Piedestail der Kolossalordnung 137 . Der Postamentzone antwortet über dem Kranzgesims eine Balustrade, über der an den Seitenrisaliten reich skulptierte, vor 1678 nicht mehr begonnene Pavillons aufragen, am Mittelrisalit wird sie von dem mit dem Reiterstandbild Ludwigs XIV. bekrönten Dreiecksgiebel unterbrochen. Das Programm der niemals ausgeführten Fassadenskulpturen läßt sich bislang nur aus dem Stich Marots erschließen 138 . Ebenso unverkennbar wie der zeitgenössische Bezug ist der universalistische Anspruch. Personifikationen der vier Erdteile flankieren die drei Zugänge. Im Rundbogen des Mittelportals stützen Gefangene den Büstentondo des Königs. Die Wappenkartusche sollte anscheinend von den Figuren der Historia und des Chronos begleitet werden. Für die Ädikulen der Galerie, die erst 1807 in der heutigen Form als Fenster geöffnet wurden, waren antike Götterfiguren geplant. Die lange Reihe der Medaillons und die Rechteckfelder der Seitenrisalite waren für Darstellungen der Taten des Königs bestimmt, deren Entwurf als seriell angelegte Bildchronik in verschiedenen Kunstgattungen 135 Die folgenden Überlegungen beziehen sich auf einige bislang nicht berücksichtigte Aspekte der Architekturikonologie der Fassade. Die im Zusammenhang mit der Fassade vor allem diskutierten Probleme der Zuschreibung und der Genese des Kolonnadenmotivs sollen dabei nicht erneut erörtert werden; aus der umfangreichen Literatur seien nur die neueren Beiträge von Berger, 1993; Krause, 1996, p. 34—43; Gargiani, 1998, p. 99-197; zusammenfassend Ausst. Kat. „Triumph of the Baroque", 1999, p. 454-460 und zuletzt ausführlich Petzet, 2000, bes. p. 147-182 genannt. 136 Krause, 1996, p. 38 f. hat jüngst nochmals auf die Bedeutung des Marot-Stiches und auf die Tatsache hingewiesen, daß die Louvrefassade erst durch ihre nur partielle Verwirklichung zu einem Manifest des französischen Klassizismus habe werden können. 137 Perrault, 1684, p. 214: (...) & qui est pose sur l'etage d'enbas qui luy sert comme de Piedestail. Zur Formulierung Berninis siehe oben, Anm. 88. 138 Vgl. auch Krause, 1996, p. 39.
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Paris, Palais du Louvre. Ansicht der Ostfassade.
im Zuge des Devolutionskrieges vorangetrieben wurde. Das Giebelfeld zeigt eine Huldigungsszene vor dem König, dem darüber, begleitet von zwei Personifikationen der Fama, auch die Reiterstatue gewidmet ist. Das Dekorationsprogramm des Louvre hat eine deutliche Entsprechung im Skulpturenprogramm für den ab 1668 geplanten Triumphbogen auf der Place du Trone ( A b b . 18). Hier wie dort bildet die von Ruhmesallegorien begleitete Reiterstatue des Königs den Zenit des Baus und des ikonographischen Programms. Zeitgenössische Historienszenen verleihen dem monarchischen Anspruch auf einen Herrschaftsraum, der durch Gefangenenfiguren und Erdteilpersonifikationen in universaler Weite abgesteckt ist, eine unverhohlene Aktualität. Mit dem Fassadenprogramm des Mittelrisalits hat sich zudem dessen architektonische Erscheinungsform geklärt. A u c h wenn in einer Vielzahl von Entwürfen bereits vor dem definitiven Bauprojekt die Idee eines in die Fassade integrierten Triumphbogens angeklungen war, so blieb dennoch die Anlage eines überkuppelten Mittelpavillons eine Konstante in den früheren Entwurfsvorlagen. N o c h die Medaille der Grundsteinlegung von 1668 zeigt bei einem ansonsten mit dem Ausführungsprojekt weitgehend identischen Aufriß bis zur Giebelzone eine auf einem rechteckigen Unterbau steil aufragende, vierseitig abgekantete Kuppel 139 . Erst nach der Grundsteinlegung wurde diese Idee aufgegeben, und mit dem Reiterstandbild des Königs trat an die Stelle einer architektonischen Würdeform ein Figurenmonument des Königs. F ü r das Verständnis des Mittelrisalits als Adaption des antiken Triumphbogens sind sowohl die Ikonographie und die Disposition der figürlichen Skulpturen als auch die Bauform signifikant. M i t dem Triumphbogen auf der Place du Trone wurde die Tradition des antiken Triumphbogens aktualisiert und in Dimensionen gesteigert, die die Realisierbarkeit des Projekts letztlich sprengten. D i e Auszierung der Fassade mit Skulpturen war durch die erhaltenen antiken Monumente bekannt. D i e antike Münzüberlieferung belegt 139 Vgl. Berger, 1993, p. 34, App. A, A 5; Petzet, 2000, p. 175 f.
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Abb. 21 Paris, Palais du Louvre. Detail der Kolonnade.
die Aufstellung von bekrönenden Reitermonumenten oder Standbildern des Kaisers mit Begleitfiguren. Sie wurde auch durch die zeitgenössische Kunsttheorie bestätigt. So hat Frangois Lemee in seinem Statuen-Traktat im Kapitel über die Sockelformen die Tradition der Statuenaufstellung auf Triumphbogen von der Antike bis in die Gegenwart nachgezeichnet 140 . Louis de Cordemoy bestätigt in seinem zuerst 1706 erschienenen Architekturtraktat den antiken Brauch, kritisiert ihn aber als une faute contre le hon sens - denn es sei weitaus einleuchtender, Menschen und animaux terrestres auf dem Boden stehen zu lassen141. Der dreiachsige Aufriß mit den Toröffnungen, die Instrumentierung mit gekuppelten Vollsäulen, die in ähnlicher Form am Triumphbogen auf der Place du Trone erscheinen, und schließlich auch der Giebel142 verweisen darauf, daß das Fassadenzentrum als Portikus
140 Lemee, 1688, p. 163-171; vgl. Blondel, Bd. II, 1683, p. 571-628 zu den antiken Triumphbogen und den modernen Bogen in Paris, bes. p. 575 und 577 zur Skulpturenausstattung. 141 Cordemoy, 1714, p. 96 f. 142 Eine Ausstattung von Triumphbogen mit Blendgiebeln zeigen die Bogen in Orange und Verona, zu letzterem Blondel, Bd. II, 1683, p. 595-598. Die Porte Saint-Antoine von 1671 zeigte einen Mittelgiebel mit Statuengruppe; vgl. Blondel, a.a.O., p. 604-608. Le Brun hat in einer Entwurfsvariante für den Triumphbogen auf der Place du Trone einen Mittelgiebel am Fuß des Sockels für das Reiterstandbild eingetragen; Petzet, 2000, p. 404^106.
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Paris, Palais du Louvre. Ansicht des süd-östlichen Pavillons der Ostfassade.
nicht hinreichend zu beschreiben, sondern im Repertoire von Architekturformen und skulpturaler Ausstattung dem Bautypus des antiken Triumphbogens verpflichtet ist. Wie bereits angedeutet, gewann das Fassadenzentrum erst zu einem späten Zeitpunkt im Lauf des Entwurfsprozesses seine definitive Gestalt. Die synthetische Einfügung eines nicht der Bauaufgabe des Palastes zugehörigen Bautypus war jedoch als Entwurfsprinzip bereits mit den Kolonnaden gegeben. Denn wie der Triumphbogen als profaner Bautypus der antiken Architekturtradition, erscheint auch die Kolonnade als Signum der Rezeption antiker, für einen Königspalast adaptierter Tempelarchitektur. Sowohl die Entwurfsgenese als auch die zeitgenössische Rezeption der Kolonnade lassen auf deren Verständnis als ein Element der antiken Sakralarchitektur schließen. Charles Le Brun, eines der Mitglieder des Planungsausschusses, hatte das Motiv der aus gekuppelten Säulen bestehenden Kolonnade bereits um 1658 als Architekturhintergrund des Deckenbildes für den zentralen Salon in Vaux-le-Vicomte vorgesehen. Der Entwurf zeigt einen als Abbreviatur eines Tempels oval geführten Kolonnadenring mit der Versammlung der olympischen Götter, aus deren Mitte die Gestalt des Apoll in einem tonnengewölbten Portikus hervorgehoben ist143. In die Louvreplanung wurde die Idee der 143 Zu dem nicht ausgeführten Entwurf Jean-Marie Perouse de Montclos, Vaux-le-Vicomte, Paris 1997, p. 1 3 5 - 1 4 0 und zu dessen Rezeption in der Louvreplanung Berger, 1993, p. 9f. D i e Rezeption des Le Brun-Entwurfes sollte nicht - wie Krause, 1996, p. 39 jüngst mit guten Gründen her-
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Paris, Palais du Louvre. Ansicht des Mittelpavillons der Ostfassade.
monumentalen Säulenstellung, die als Kolonnade einer Galerie vorgesetzt ist, ab etwa 1661 von Leonor Houdin und Frangois Le Vau eingeführt144. Im Kommentar zur Vitruvübersetzung von Claude Perrault, die von Colbert 1664 in Auftrag gegeben wurde, sind die unterschiedlichen Formen der Kolonnade als ein konstituierendes Element der antiken Tempelfassade erläutert. Perrault leitet in diesem Zusammenhang die neuzeitliche Erfindung der mit Säulenpaaren rhythmisierten Kolonnade, die in der Tempelarchitektur kein Vorbild hat, aus seinen Überlegungen zum Wechsel des Interkolumniums vor dem Tempelzugang ab und gelangt darüber zur Rechtfertigung des Motivs der gekuppelten Säulen145. Ein Gutachten zu dem vom Planungsausschuß vorgelegten Louvreentwurf aus dem Jahr 1668 belegt die Problematik der Tatsache, daß für den Palastbau ein antiker Peristyl adaptiert wurde. Ein anonymer Kritiker identifiziert den Peristyl mit dem griechischen Tempeltypus des Dipteros und stellt aus der Perspektive dieser Zuordnung die Frage nach der ausgestellt hat - dazu verleiten, die Louvrefassade insgesamt unter den Vorzeichen eines Sonnentempels zu deuten. 144 Die Datierung beider Projekte in den Jahren zwischen 1661 und 1668 bleibt kontrovers; vgl. die unterschiedlichen Vorschläge jüngst bei Berger, 1993, p. 1 2 - 2 0 ; Gargiani, 1998, p. 6 3 - 7 0 , 1 2 5 - 1 3 9 ; Petzet, 2000, p. 1 8 - 2 2 , 5 3 - 6 1 . 145 Vgl. zu den Erläuterungen von Perrault, 1684, p. 79 und die Kritik bei Blondel, 1683, Buch II, p. 2 3 2 - 2 3 7 .
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Begründung für die Verwendung des Motivs am Palastbau. Der hinzugezogene Architekt Frangois Le Vau schränkt diese strikte Zuordnung zwar ein, indem er darauf verweist, daß der Peristyl nicht nur am Tempel, sondern auch an Portiken, Theaterfassaden und der Randbebauung öffentlicher Plätze verwandt worden sei. Als un des plus beaux ornements de l'architecture entfalte er seine Schönheit allerdings nur bei ebenerdiger Lage und freier Zugänglichkeit pour la commodite publique. Diese Forderung ist beim Louvreentwurf nicht erfüllt, doch rettet sich Le Vau aus der Brisanz dieses planerischen Widerspruchs mit dem Argument, daß die Kolonnade als Fassade der dahinter liegenden, funktional erforderlichen Galerie auch am Königspalast gerechtfertigt sei. In diesem Sinn rechtfertigt Claude Perrault auch später die Kolonnade. Er benennt sie als Einheit mit dem hinter der Säulenstellung entlangführenden Gang, den er als Vestibule a tous les appartements du premier etage bezeichnet146. Die Deutung der Kolonnade als eines vom Tempelbau abgeleiteten Aufrißmotivs bestätigt sich in der Schloßkapelle von Versailles, wo sie am Emporenumgang wiederkehrt147. Die Kolonnade schafft ein Kontinuum, in das die geschlossenen Wandzonen der Risalite durch die Variation der Kolossalordnung integriert sind. Aus diesem Kontinuum treten die Risalite allerdings nicht nur durch die Vorsprünge aus der Fluchtlinie hervor, sondern auch durch ihre über die Balustrade hinausragende Verdachung. Der Dreiecksgiebel des Mittelrisalits wird an den Seiten flankiert von segmentbogigen Tonnendächern mit umgitterten Baikonen, die auf hohen Sockeln ansetzen (Abb. 19). Auch wenn der Mittelgiebel beträchtlich niedriger endet, erhält der markante Höhenzug der turmartigen Eckrisalite durch die Reiterstatue ein optisches Gegengewicht. Die Reiterfigur schließt mit den seitlichen Dachabschlüssen in einer Höhenlinie ab. Im Gesamtbild der Fassade erscheinen die Dachaufbauten mit ihrer Verblendung durch Reliefs und mit den Okuliöffnungen zunächst als Fremdkörper. Im Unterschied zu den übrigen Elementen der Abschlußzone des Baus - der Balustrade und dem vom Portikus wie dem Triumphbogen abzuleitenden Mittelgiebel verweisen sie nicht auf ein Architekturrepertoire, das durch die Antike legitimiert ist. Hingegen stehen die ursprünglich geplanten Dachaufbauten in deutlichem formalen Bezug zu den Risaliten am Lescot-Trakt des Louvre (Abb. 24-25). Sie entsprechen den dortigen Risalitabschlüssen in der Form des Segmentbogengiebels mit dem darunter liegenden Sockel, der bei der Fassade Lescots das Mezzanin umschreibt, und in der Disposition des reichen Reliefschmucks. Die Okuli, die bei Lescot als Supraportenöffnungen der Erdgeschoßportale verwandt sind, erscheinen an der Ostfassade in den Giebeln zur Belichtung der Dachboden. Die Wiederaufnahme der von Lescot anscheinend als Neuschöpfung entworfenen Risalitabschlüsse148 bildet an der Ostfassade ein Motiv des Traditionsbezuges von signalhafter Wirkung. Die neue Palastfassade, die im Zuge der Vollendung des Louvre
146 Abdruck des Advis von 1668 bei Berger, 1993, p. 1 2 5 - 1 3 1 , hier bes. p. 130 f.; die Erläuterung von Perrault, 1684, p. 214. 147 Zu den seit dem frühen 18. Jahrhundert immer wieder gesehenen Bezügen Alexandre Maral, La Chapelle de Versailles ou la modernite en architecture, in: Gazette des Beaux-Arts 141, 1999, p. 1 9 9 - 2 1 0 und Petzet, 2000, p. 4 6 8 ^ 7 0 ; zur Kapelle jüngst auch Alexandre Maral, La chapelle royale de Versailles: programme iconographique, in: Revue de l'art 132, 2001, p. 2 9 ^ 2 . 148 Soweit ich sehe, findet sich diese F o r m der Risalitbildung erstmals an der Louvrefassade Lescots; im Werk von Salomon de Brosse fand sie sowohl im Profan- als auch im Sakralbau eine deutlich erkennbare Rezeption.
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Paris, Palais du Louvre. Hoffassade des Lescot-Flügels.
entstand, antwortet mit einem freien Zitat auf die Formensprache des ältesten Hofflügels und übersetzt damit auch sinnfällig die Forderung Ludwigs XIV. und Colberts nach einer Bewahrung des überkommenen Baubestandes. Folgt man der hier vorgeschlagenen Deutung, so bildet sich an der Ostfassade des Louvre die Entwurfsidee einer Architektursynthese ab. In den Jahren um 1670 steht diese Idee keineswegs isoliert. Ein identisches, auf antike Denkmalformen bezogenes synthetisches Entwurfskonzept findet sich bei der Porte Saint-Denis (Abb. 26). Als Triumphtor zur Erinnerung an den Devolutionskrieg von Frangois Blondel geplant und 1670 begonnen, entstand sie gleichzeitig mit der Ostfassade. Nach den Erläuterungen des Architekten erschließt sich die Fassadendekoration des Bogens, die während der Errichtung durch die Ereignisse des Hollandfeldzuges nach 1672 eine ikonographische Aktualisierung erforderte und daher in veränderter Form realisiert wurde, als composition der schönsten Denkmaltypen der Antike: Der Sockel der Trajansäule ist für die seitlichen Passagen übernommen, deren Obeliskenaufsätze rücken an die Stelle der Säulenordnung und sollten drei Reihen der von der Colonna rostrata übernommenen Schiffsschnäbel zeigen. Absicht des Architekten war es, que l'ornement de la Porte S. Denis fust compose des parties copiees sur ces beaux Originaux.w An der Ostfassade sind die höchsten sakralen und profanen Bauaufgaben vereint. Seit Vitruv war der vornehmste, durch den fürstlichen Bauherrn begründete Rang von Tempel, Palast und Triumphdenkmal in der Hierarchie der Bauaufgaben fixiert. Die spätere Gültigkeit dieser Hierarchie spiegelt sich eindrucksvoll etwa in den 1682 erschienenen Edifices antiques de Rome von Antoine Desgodets, der seine Bauaufnahmen - bis auf eine kleine 149 Blondel, Bd. II, 1683, p. 618-624, das Zitat p. 618. Der Bogen ist im Traktat als Frontispiz und als Schemazeichnung zur Erläuterung der Proportionierung illustriert; vgl. auch Wolfgang Dieter Brönner, Blondel-Perrault. Zur Architekturtheorie des 17. Jahrhunderts in Frankreich, Diss. Berlin 1971, Bonn 1972, p. 95-105.
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Paris, Palais du Louvre. Mittelrisalit des Lescot-Flügels.
Gruppe von Theater- und Thermenanlagen am Ende des Buches - ausschließlich Tempeln und Triumphbogen widmet 150 . Sind an der Louvrefassade durch die Kolonnade der Tempelbau und durch den Mittelrisalit der Triumphbogen evoziert, so wird durch die Eckpavillons mit der Reminiszenz an den alten Kernbestand des Königspalastes die Trias der Bauaufgaben vervollständigt. Es macht den künstlerischen Rang und den gedanklichen Anspruch des Entwurfes aus, daß die synthetische Konzeption zur formalen und ikonographischen Einheit einer Schaufassade geführt ist. Die Kolossalordnung in ihren unterschiedlichen Ausformungen ermöglicht es, die einzelnen Fassadenabschnitte in ihrem Eigenwert zu betonen und sie zugleich in einen tektonischen Gesamtzusammenhang einzubinden. In einem durchaus wörtlichen Sinn ist das Skulpturenprogramm auf die Glorifizierung des Königs zentriert. Historienreliefs der Kriegstaten und die denkmalhafte, von allegorischen Darstellungen begleitete Präsenz des Monarchen kennzeichnen die Fassade als Ruhmesmonument des
150 Im Grunde verschleiert Desgodets im Vorwort die durchaus konventionelle Hierarchie, wenn er durch eine ästhetisch begründete Gliederung des Stoffes Originalität für sich beansprucht: Et Vordre que j'ay suivy pour les placer, est celui de la grandeur & de la beauti des Edifices, plütot que celui de l'antiquite, qui est une chose dont on ne convient pas si bien, & dont on η'a point de certitude. Desgodets, 1682, Preface (unpag.).
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Abb. 26
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Fransois Blondel: Porte Saint-Denis. Aus Cours d'architecture,
1683.
Bauherrn. Dabei liegt der Hauptakzent des Programms auf der Vergegenwärtigung der politischen und militärischen Zeitgeschichte. Aus der Ruhmesikonographie der Fassade erfährt letztlich auch der Gedanke der Architektursynthese seine historische Begründung, zugleich stellt sie einen Schlüssel zu deren Erläuterung in einem weiteren historischen Kontext dar. In Geschichtswerken und Panegyriken, die im Umfeld des Hofes entstanden sind, wurde dem Louvre ein universeller Rang zugemessen. Dabei durchdringen sich die Bedeutungen von Königsresidenz, hauptstädtischem Wahrzeichen und schließlich die Identifikation des Baus mit dem Weltzentrum. Es berührt sicher nur eine Dimension der zeitgenössischen Würdigungen, wenn man sie lediglich als metaphorische Benennungen des Palastes versteht. Denn zugleich ist zu bedenken, daß auf allen Ebenen, auf denen der Bau im zeit-
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genössischen Verständnis angesiedelt ist, handfeste politische Realitäten und Aspirationen zum Ausdruck kommen. Ludwig XIV. hat sich in seinen Memoiren immer wieder auf die Hauptstadtidee beim politischen Schlagabtausch mit dem Kaiser berufen. Neben der Wahl des Kaisers, den er gehässig einen Statthalter der Republique d'Allemagne nennt, dem Diktat von Wahlkapitulationen und den minimalen Einkünften dient dem König auch die Tatsache, daß der Kaiser im Reich nicht über ein Herrschaftszentrum mit eigener Residenz verfüge, als Argument für den Vorrang der französischen Monarchen gegenüber dem Kaiser des Reiches151. Vom Stolz auf die Königsresidenz ist in der von Hardouin de Perefixe als historisches Lehrbuch für den Prinzen verfaßten Biographie Heinrichs IV. die Rede. Perefixe überliefert einen Dialog zwischen Heinrich IV. und Don Pedro de Toledo, dem Botschafter Philipps III. von Spanien, anläßlich des gemeinsamen Besuches der Kapelle in Fontainebleau. Auf die Bemerkung seines spanischen Gastes, Gott sei im Schloß nur eine enge Wohnstatt errichtet worden, entgegnet der König mit einer Anspielung auf den Escorial: In Spanien würden Gott nur steinerne Tempel errichtet, während er bei den Franzosen im Herzen wohne, und sollte er je versuchen, in die Herzen der Spanier zu dringen, müsse er befürchten, auf Granit zu beißen. Bei einer Begegnung in den Louvregalerien führt die Frage der Beziehung zwischen Königsschloß und Hauptstadt zu einem pointierten Dialog. Der Spanier gibt sein Mißfallen am Pariser Schloßbau mit dem abschätzigen Seufzer zu verstehen: L'Escurial est tout autre chose, dit Dom Pedro. Je le croy, repartit le Roy, mais y a-t-il un Paris au bout comme a mes Galeries?152 Der römische Agent Ludwigs XIV., Elpidio Benedetti, hat in seinem Herrscherlob Palast und Stadt in eins gesetzt. Der Louvre verdiene eher den Namen einer Stadt, zugleich ergänzten sich das neu erbaute Schloß und die verschönerte Kapitale153. Die Identifikation des Palastes mit dessen königlichem Bauherrn und Bewohner gehörte zu den Gemeinplätzen der Panegyriker. Ihr war durch die mit Ludwig XIV. verbundene Sonnen- und Apollmetaphorik der Weg bereitet. Charles Cotin vermag ihr nur durch respektvolle rhetorische Fragen Ausdruck zu geben. Der Palast erscheint ihm als Spiegel der gloire und magnificence des Monarchen. Beide seien aber nicht nur in ihrer äußeren Erscheinung zu bewundern, denn erst das Innere berge das letztlich nicht faßbare Arkanum der Königsherrschaft 154 . In seiner monumentalen Ausdeutung der Apollmetaphorik von 1684 entwirft schließlich Brice Bauderon de Senecey ein Modell aus konzentrischen Kreisen, die im König ihren Mittelpunkt haben und bis zum Erdkreis ausgedehnt sind. Zwei 151 Louis XIV, Ed. 1992, p. 75 f. 152 Perefixe, 1661, p. 401. 153 Benedetti 1682, p. 13: II Ricinto di questa Regia Abitazione sara si vasto, che gli converra meglio il nome di Citta, che di Palazzo Reale. Α Questa corrisponde il rinovato Parigi di straordinarie bellezze accrescuto, havendo per esse Ii Gran Dominante resi in breve tempo possibili molto gia supposti impossibili. 154 Cotin, 1663, p. 6f.: Oserois-je dire qu'il arrive je ne sqay quoy de semblable a tout le monde, du moins a tout le monde intelligent, qui attache sa veüe & sa pensee sur la personne de l'invincible Louisf Son Louvre est comme un Ciel eclairi de toutes ses parts, oü la gloire & la magnificence ravissent tous ceux qui η 'ont d'ame que dans les yeux pour admirer ce qu 'ils y voyent. (...) Ce η 'est la que l'entrie dupalais de la gloire, ce n'est la que le dehors; ily a au dedans des merveilles a respecter. Le moyen de les parcourir toutes l'une apres l'autre? le moyen d'entrer successivement, pour ainsi dire, dans toutes ces maisons du soleil?
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Jahre nach der endgültigen Einrichtung der Hofhaltung in Versailles erschienen, verteidigt die Schrift den Louvre als Residenz gegen Versailles, denn wie die Sonne im Mittelpunkt der Sterne stehe, befinde sich Paris im Zentrum des Reiches. Dieser Ehrenplatz erlaube es dem König, seine Tugend bis an den Rand des Universums zu tragen und über sein eigenes Reich zu herrschen. Und Bauderon schließt mit einer Feststellung, die sich seinerzeit faktisch bereits erledigt hatte, als Anspruch aber lebendig geblieben war: C'est ainsi que notre puissant Monarque fait sa demeure ordinaire dans la ville de Paris, comme dans le coeur de son Royaume, au plus bei endroit de la Terre, ou il a hasty ce Louvre qui est admire de toutes les Nations, comme l'une des plus grandes merveilles du monde}5b Es sind zwei für den Louvre konzipierte Bau- und Ausstattungsprojekte, in denen dieser von Bauderon und den weiteren Panegyrikern evozierte universalistische Rang der Königsresidenz wohl am unmittelbarsten Gestalt gewinnt. Beide Planungen wurden von Colbert angeregt. Während des Aufenthaltes von Bernini in Paris machte er den Vorschlag für eine Bebauung des Tuileriengartens zur Nutzung bei Festen und Turnieren. Er schlug dort die Errichtung eines espece d'amphitheätre α Limitation du Colisee et du theatre de Marcellus mit zwei auf Louvre und Tuilerien ausgerichteten Fassadentrakten vor. Das Theater wollte Colbert für den Adel reserviert wissen, er dachte an Sitzplätze für zehntausend Personen. In einem der Haupttrakte sah er ein Appartement vor, in dem ein grand prince etranger während seines Aufenthalts am Hof residieren könne. Davor plante er nach dem Vorbild der Trajansäule die Errichtung zweier Monumentalsäulen, zwischen denen ein Reiterdenkmal des Königs avec le mot de non plus ultra, allusion a celle d'Hercule aufgestellt werden sollte156. Das ambitionierte Projekt läßt sich am ehesten als monumentale Umsetzung eines Antikenpasticcios charakterisieren. Wie in einem Schaubild sind Großbauten und Denkmäler des antiken Architekturrepertoires additiv zu einem Ensemble zusammengeführt und für eine aktuelle Nutzung in Dienst genommen. In seiner Zweckbestimmung als Turnierplatz, Logis für hochrangige Besucher und Königsdenkmal erinnert das Projekt Colberts an den Funktionstypus der Place Royale157, deren Baugestalt jedoch eine antikisierende Einkleidung erhält. Dabei sind die verschiedenen Funktionen des Ensembles offenkundig auf die Außendarstellung der Monarchie berechnet. Diese außenpolitische Perspektive war auch bei einem Vorhaben Colberts für die Innenausstattung des Louvre bestimmend. Charles Perrault berichtet darüber in seiner Parallele im Kontext der Musikpraxis orientalischer Völker. Innerhalb des Werkes steht die Passage gleichsam als Fermate vor einer Schlußcoda, in der die Themen des Buches nochmals anklingen. Colbert habe dem König vorgeschlagen, bei der Vollendung des Louvre de ne 155 Bauderon de Senecey, 1684, Bd. I, 141-146, Zitat p. 143 f. 156 Die ausführliche Beschreibung des Projektes bei Chantelou, Ed. 2001, p. 117f. (13. Aug. 1665) und zudem den Brief von Mattia de'Rossi: Per circa il Louvre adesso si sta disegnando un pensiero del Signor Cavaliere per fare un mausoleo aguisa di theatro et anfitheatro di fabricarsi tra ilpalazzo del Louvre e il Palazzo decto Le Tulerie, che e dietro il Louvre. II quale mausoleo levira per vedere feste tra le due piazze delli due palazzi, come giostre, ballecti a cavallo, fochi et altri simili, e cosa imodo che se si dasse il caso difare due feste in un giorno cioe uno da unaparte, e una dell'altraperche il detto sarä fabricato nel mezzo delle due piazze. BN, Ms. italien 2083, p. 117-118 (Brief vom 21. Aug. 1665). 157 Zu den hier angesprochenen, sich aber immer wieder wandelnden Funktionen der Places Royales vgl. Köstler, 2003, bes. p. 48 und 106. Erinnert sei daran, daß für die Randbebauung der Place Vendome ursprünglich die Unterbringung von Botschafterresidenzen geplant war.
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point faire a lafrangoise tout le grand nombre d'appartemens qu'il doit contenir, mais d'en faire a la mode de toutes les Nations du Monde. Vorbildhaft für die einzelnen Räume sollten nicht nur die Ausstattungsformen in den europäischen Ländern, sondern auch der Reiche Asiens sein. Dabei sollten die Dekorationen nicht nur imitiert werden, sondern auf der Grundlage einer recherche exacte de tous les meubles & de toutes les commodites, die diesen Weltgegenden eigen sei, beruhen. Dieses Vorhaben ist nicht etwa aus der Idee einer variantenreichen Vielfalt zum Gefallen des Bauherrn und der übrigen Bewohner des Palastes begründet, sondern ausschließlich aus der intendierten Wirkung des Baus bei auswärtigen oder fremdländischen Besuchern: en sorte que tous les Etrangers eussent leplaisir de retrouver chez Nous en quelque sorte leurpropre Pays, & toute la magnificence du Monde renfermee dans un seul Palais.m Die ganze Prachtentfaltung der Welt umschlossen in einem einzigen Palast: Begründet sich die Magnificence du Monde stets aus der magnificentia des Monarchen, so verdichtet sich der mit dem Pariser Königspalast verbundene Anspruch zur Sentenz. Die Projekte zur urbanistischen und internen Ausstattung des Louvre können als Äquivalente zu den literarischen Würdigungen der Residenz durch die Panegyriker gesehen werden, die den Palast als Weltzentrum vorstellten. Beide Vorhaben belegen, wie diese Imagination im Entwurf eines monarchischen Repräsentationszentrums Gestalt gewann und in die Idee des Universellen mündete. Dabei erfährt ein Topos der Palastbeschreibung 159 eine bemerkenswert detaillierte Konkretisierung, die auf aktuellen politischen Intentionen beruht. Der Devolutionskrieg der Jahre 1667 bis 1668 erbrachte nicht nur die Erweiterung des Aktionsradius der französischen Außenpolitik, sondern markierte auch den Beginn eines sich etappenweise verschärfenden Expansionswillens sowie den allmählichen Wandel des Regimes zur Militärmonarchie. Auch wenn der Pariser Hof sich verständlicherweise davor hütete, die Fernziele seiner Außenpolitik offen darzulegen, so zeichnet sich doch auf der Ebene der politischen Intentionen die Idee der Errichtung einer Universalmonarchie unter einem französischen König ab. Zumindest von zeitgenössischen Beobachtern der internationalen Szenerie wurde Ludwig XIV. dieser Anspruch einhellig zugetraut160. Als entscheidend für die mit dem Louvre verbundenen Planungsideen erweist es sich, daß die Konzeption der Monarchia Universalis zumindest auf der Ebene der repräsentativen Außendarstellung des Königtums einen Leitgedanken darstellte. Freilich blieben die beiden Ausbauprojekte Colberts letztlich ebenso Fiktion wie die Panegyriken. Eine Umsetzung fand der Universalgedanke jedoch durch die Ostfassade des Louvre. Im Unterschied zum geplanten monumentalen Platzensemble und zur Raumfolge im Palastinneren, die auf der additiven Zusammenstellung von verschiedenen Bau- und Denkmaltypen und Ausstattungsformen beruhten, zeichnet sich die Louvrefassade durch ihren synthetischen Anspruch in der Rezeption antiker und zeitgenössischer Architekturgattungen aus. Dies unterscheidet die Fassade nicht nur von den Vorhaben Colberts, sondern läßt auch die weitreichende Distanz zur Planung Berninis ermessen. Die heute bestehende, wenn auch in Teilen unvollendet gebliebene und später veränderte Fassade stellt sich als prononcierter Gegenentwurf zum römischen Planimport Berninis 158 Perrault, Bd. IV, 1697, p. 274. 159 Es sei in diesem Zusammenhang nur darauf verweisen, daß ab etwa 1670 auch Versailles ein universeller Rang zugesprochen wurde. 160 Zu diesem Zusammenhang siehe unten, Kap. IV,2.
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dar. Dessen eminenter Stellenwert im Entwurfsprozeß bleibt aber durch den herausfordernden Charakter des Projekts gewahrt. Sowohl die Chronik der Auseinandersetzungen um das Bauvorhaben als auch die Analyse der Planungsstadien illustrieren über alle formalen Anleihen hinweg den Charakter der gebauten Fassade als Antithese zum Entwurf Berninis. Dies betrifft einerseits die gänzliche Neuformulierung des von Bernini vorgeschlagenen und von einer mythologischen Allegorese abgeleiteten Concetto des Baus zugunsten einer auf die Zeitgeschichte bezogenen Fassadenikonographie. Andererseits bezeichnet die errichtete Fassade auch einen Bruch mit der Architekturtradition des römischen Palastbaus, in deren Nachfolge Bernini seinen Entwurf gestellt hatte. Claude Perrault wagte erst in der zweiten Auflage seiner Vitruvübersetzung nach dem Tod Berninis und Colberts diesen Bruch mit R o m unmißverständlich festzustellen, indem er dem von Bernini selbst alspalais ä la romaine titulierten Entwurf Größe nur im Hinblick auf die Abmessungen des Baus attestierte. In seinem caractere sei er nicht mehr als ein für Italien typischer Stadtpalast 161 . Dieses Verdikt Perraults, der bereits während der Errichtung der Fassade unter der Mithilfe seines Bruders Charles die Autorschaft für sich in Anspruch genommen hatte, zeigt allerdings nur die eine Seite der Medaille. Das von Perrault nicht aufgedeckte Revers verweist auf die Quellen für den in der Konkurrenz mit Bernini entstandenen endgültigen Entwurf: Die Emanzipation von der durch Bernini vertretenen zeitgenössischen Baukunst Roms ging einher mit einer nachdrücklichen Orientierung am antiken Erbe Roms und an der Hinterlassenschaft der französischen Renaissance. Der Respekt vor den neuen Architekturentwicklungen der Papststadt war in dem Maße aufkündbar, in dem die Reverenz vor der Architektur des römischen Imperiums an dessen Stelle trat. Wie die Fassade des Louvre zeigt, ging es dabei nicht um eine direkte Übernahme antiker Architektur, sondern um deren synthetisierende Aneignung im Dienste einer universalistischen Aussage. Dieser Blickwinkel bestimmte auch die Sicht auf die beiden Bildwerke, die Bernini vom französischen Monarchen geschaffen hat.
4. Die Rezeption von Berninis Porträtbüste und Reiterstatue für Ludwig XIV. in Paris Die Porträtbüste Ludwigs XIV. (Abb. 27) beschäftigte Bernini fast während seines gesamten Aufenthalts in Paris. Die Idee kam bereits eine Woche nach seiner Ankunft auf, der Auftrag wurde am 20. Juni 1665 erteilt. Nach Vollendung des Marmorporträts bis zum 2. Oktober entwarf Bernini noch einen aufwendig gestalteten Sockel, zu dessen Ausführung es aber bis zur Abreise des Künstlers am 20. Oktober nicht mehr gekommen ist. Auch über das Vorhaben einer Reiterstatue (Abb. 32-34) wurden noch im Sommer 1665 Überlegungen angestellt, der Auftrag erging allerdings erst zwei Jahre später an Bernini nach 161 Perrault, 1684, p. 178 (= 180): Et c'est en quoy nos Palais en France sont differens de ceux d'Italie, qui lapluspart n'ont point d'autre caractere a la principale face que celuy de la maison d'un Bourgeois. Le dessin que le Cavalier Bernin avoit donne pour le Louvre estoit de cette espece n'ayant rien de grand, que la longueur, la largueur & la hauteur: au contraire a Paris non seulement les Palais Royaux, comme le Louvre & Luxembourg, sont de I'autre maniere qui η 'a rien que de noble & de magnifiques, mais mesme beaucoup de ceux desparticuliers comme l'Hostel Mazarin, l'Hostel de la Vrillere & plusieurs autres. Der Passus fehlt in der 1673 erschienenen Erstedition.
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A b b . 27
Gian L o r e n z o Bernini: Büste Ludwigs XIV., 1665. Versailles.
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Rom. Es nahm ein knappes Jahrzehnt in Anspruch, bis die Figur fertiggestellt war. Ein weiteres Jahrzehnt verging, bis sie im März 1685 in Paris eintraf. Der Pariser Aufenthalt bot Bernini die einzige Gelegenheit, innerhalb seines Oeuvres ein Marmorbildnis auszuführen, bei dem ihm ein weltlicher Fürst persönlich Modell saß162. Bei der Reihe seiner in Rom entstandenen Büsten porträtierte er Päpste und Kardinäle, während die Büsten Karls I. von England und des Herzogs Francesco d'Este nach den Gemäldevorlagen von Anthonis van Dyck und Justus Sustermans entstanden waren. Angesichts der zunehmend offen artikulierten Kritik an seinen Architekturentwürfen, mußte es für Bernini eine Genugtuung bedeuten, seinen Rang als Bildhauer öffentlich unter Beweis stellen zu können. Der Auftrag verschaffte dem Künstler zudem einen persönlichen Zugang zum König. Er porträtierte ihn mit dem Zeichenstift während offizieller und informeller Auftritte - bei Audienzen, Ratsitzungen, Unterhaltungen und beim Tennisspiel. Während der Arbeit am Marmorblock saß Ludwig XIV. bei dreizehn Sitzungen dem Bildhauer Modell 163 . Der Austausch geistreicher und anerkennender Bemerkungen bei diesen Gelegenheiten sowie der Nachdruck, mit dem Bernini in die Sphäre des Monarchen zu gelangen wußte, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Verhältnis zwischen König und Künstler den üblichen Reglements folgte. Die Porträtsitzungen waren öffentliche Auftritte des Königs, bei denen er manchmal bis zu vierzig Höflinge, Familienangehörige, Minister und Dichter um sich scharte164. Die Begegnung zwischen Herrscher und Künstler hatte in den Besuchen Alexanders im Atelier des Apelles ihr antik verbürgtes Vorbild. Mochten Atelierbesuche und Porträtsitzungen auch dem Fürsten Gelegenheit gegeben haben, zeitweilig dem Hofleben zu entrinnen165, so blieben sie seither vor allem eine statusgemäß kontrollierte Repräsentationsgelegenheit des Fürsten. Dies schlägt sich auch in den zahlreichen Künstleranekdoten nieder, in denen sich der Fürst scheinbar zum Handlanger des Künstlers herabläßt. Karl V. soll Tizians Pinsel mit den Worten aufgehoben haben, anch'io sonopittore; und von Urban VIII. wird berichtet, er habe den Spiegel gehalten, mit dessen Hilfe Bernini der Figur des David seine Gesichtszüge gegeben haben soll166. Gerade die auf die Spitze getriebene Umkehrung der Hierarchie zwischen Fürst und Künstler kennzeichnet die Anekdoten als Topoi, die dem rhetorischen Muster des Paradoxon - dem Ruhmerweis dessen, was gemeinhin nicht gewürdigt wird - folgen. Von Ludwig XIV. sind derartige Dienstleistungen nicht berichtet, wohl aber Besuche des Königs im Künstleratelier. Charles Le Brun hatte zwar bereits durch seine Tätigkeit für Fouquet in Vaux-le-Vicomte seine Befähigung zum Hofmaler praktisch unter Beweis ge162 Zur Büste Ludwigs XIV. vgl. Wittkower, 1951; Wittkower, 1981, Nr. 70; Lavin, 1993, p. 1 6 1 - 1 6 6 ; Andreas Prater, Die vermittelte Person. Berninis Büste Ludwig XIV. und andere Porträts des Barock, in: Wilhelm Schlink ed., Bildnisse. Die europäische Tradition der Porträtkunst, Freiburg i.Br. 1997, p. 1 6 1 - 2 2 0 , bes. p. 1 6 7 - 1 9 1 ; Lavin, 1998, bes. p. 4 1 - 4 3 und nun Zitzlsperger, 2002, p. 1 1 4 - 1 2 8 ; maßgeblich als Quelle Chantelou, Ed. 2001, passim. 163 Im Zeitraum vom 23. Juni bis zum 12. Juli 1665 führte Bernini die Skizzen aus; vgl. Chantelou, Ed. 2001, p. 63, 65 f., 75; gleichzeitig entstand ein Tonbozzetto. Die Porträtsitzungen fanden vom 11. bis zum 21. August statt; a.a.O., passim. 164 Chantelou, Ed. 2001, p. 1 1 4 , 1 1 8 f . , 1 3 1 - 1 3 3 , 2 0 1 f.; vgl. auch Mirot, 1904, p. 2 1 8 f . mit einem Briefbericht Mattia de'Rossis. 165 Belege bei Warnke, 1996, p. 273 f., 2 9 4 - 2 9 6 . 166 Zu Tizian Ridolfi, Bd. I, Ed. 1914, p. 180; zu Bernini Baldinucci, Ed. 1948, p. 78.
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stellt, dazu bedurfte es aber noch zusätzlich der königlichen Beglaubigung. Erst die Besuche Ludwigs XIV. im zeitweilig in Fontainebleau eingerichteten Atelier des Malers gaben der Berufung Le Bruns zum Hofkünstler ihre eigentliche und endgültige Begründung aus der Gunst und Erwählung durch den König167. Im Falle Berninis hat Ludwig XIV. die abgeschiedene Form der Künstlerbegegnung sorgsam vermieden, denn diese Exklusivität hätte eine nicht als angemessen erachtete Privilegierung des römischen Künstlers bedeutet. Wie das Offentlichkeitsgebot zielte auch die Weigerung des Königs, sich dem Bildhauer mit Ausschließlichkeit zuzuwenden, auf die Bewahrung der Statusdifferenz. Denn indem sich der Monarch im höfischen Alltag und bei den Regierungsgeschäften beobachten ließ oder die Porträtsitzungen mit öffentlichen Auftritten verband, signalisierte er, daß es ein Fürst nicht nötig hat, für einen Porträtisten in Positur zu gehen. Domenico Bernini hat in seiner Vita im Umkehrschluß die Brisanz dieses Vorgangs unterstrichen, als er durch die Behauptung, Ludwig XIV. habe bei den zahlreichen Sitzungen stets unbeweglich vor dem Bildhauer verharrt, die Autorität des Künstlers gegenüber seinem Modell restituiert168. Die Produktionsbedingungen sind auch im Werk selbst aufgehoben. Sie verweisen darauf, daß die von Bernini geschaffene Büste ihr Zustandekommen nicht nur dem Auftrag des Königs, sondern auch dessen großmütigem Entgegenkommen verdankt. Bernini verstand es, die Gegebenheiten des Zeremoniells als Herausforderung für seine künstlerische Konzeption des Werks anzunehmen. Gelegentlich äußerte er seinen Unmut über die Menge der Schaulustigen, die Unruhe bei den Porträtsitzungen oder über die knapp bemessene Zeit des Monarchen169. Doch kam es der Methode des Entwurfs, die Bernini für die Bildnisbüste wählte, entgegen, Ludwig XIV. bei unterschiedlichen Aktivitäten und Gelegenheiten des öffentlichen Auftritts anzutreffen. Bei diesen Anlässen fertigte er Studien von seinem Modell an. Sie bildeten die Grundlage für eine Schaffensweise, die in ihren verschiedenen Stadien durch das Tagebuch Chantelous eine außergewöhnliche Anschaulichkeit gewinnt170. In einem der ersten Gespräche mit Chantelou, das noch vor dem Auftrag für die Büste stattfand, hat Bernini die Grundsätze seiner Auffassung von der bildhauerischen Aufgabe formuliert171. Sein Ausgangspunkt ist die Beobachtung, daß die monochrom weiße Darstellung eines Gesichts, wie sie einem Marmorbildnis entspreche, die Gesichtszüge einer Person zur Unkenntlichkeit entstelle. Ein Marmorporträt fordere daher eine besondere Form des Illusionismus, bei der sich die Naturnachahmung mit der Idealisierung verbindet: dans un portrait de marbre, ilfaut, pour bien imiter le naturel, faire ce qui η'est pas dans le naturel. (...) Cependant le naturel n'est pas, a-t-il dit, de meme que Vimitation. Hierin deutet sich zunächst die durchaus konventionelle künstlerische Prämisse an, nach der die Naturaneignung stets des Korrektivs der idea bedarf, in der sich idealisierende Schönheitsvorstellung und künstlerischer Ausdruckswille zusammenschließen. Bernini kommt aber zugleich zu einer höchst konkreten Anwendung dieser allgemeinen kunsttheoretischen Annahme. Indem er sie auf die Gattung des Marmorporträts bezieht, begründet sich bereits aus den 167 Zu den Begegnungen des Jahres 1661 vgl. D u r o , 1997, p. 81 f. 168 Bernini, 1713, p. 134 f. 169 Chantelou, Ed. 2001, p. 118, 131 f. 170 D i e immer noch eindringlichste Synthese des Produktionsprozesses und seiner kunsttheoretischen Prämissen bietet Wittkower 1951 und 1981, p. 3 2 - 3 7 . 171
Chantelou, Ed. 2001, p. 47 (6. Juni 1665).
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Eigenschaften des Werkstoffs die Notwendigkeit der idea. Ihr tatsächliches Bild entsteht in der Vorstellung des Künstlers. So hat Bernini gegenüber Colbert erläutert, daß er für die Arbeit an der Königsbüste zwar der Vorstudien bedürfe, auf die er aber für den Gesamtentwurf des Bildnisses im Tonmodell nur sporadisch zurückgreife. Der Entwurf des Werks sei geleitet von der imagination, die er von der immagine delRe gewonnen habe172. Das Bild des Monarchen erscheint somit notgedrungen aus Einzelbildern zusammengesetzt. Sie beruhen auf dem Fundus von Skizzen, die Bernini von Ludwig XIV. angefertigt hat und den König in verschiedenen Facetten seines öffentlichen Auftretens zeigten. Zudem rekurriert die Büste aber auch auf die ältere Tradition der Herrscherbüste und zielt schließlich auf den Typus eines monarchischen Idealbildes, das Bernini mehrfach in der Gestalt des Alexander beschworen hat. Bernini stellt Ludwig XIV. in einem Moment aufmerksam kontrollierender Beobachtung dar (Abb. 27). Der König richtet, den Kopf kaum merklich angehoben, den Blick in die Ferne. Wallende Locken und ein direkt unter dem Kinn ansetzender Spitzenkragen umrahmen das Gesichtsfeld, dessen eng gewählter Ausschnitt die Konzentration des Blicks steigert. Die Gesichtszüge des jugendlichen Monarchen sind durch die aus der Frontalansicht gedrehte Mittelachse markant verfestigt. Aus den glatten Rundungen der Wangenund Schläfenpartien wird sie vom Kinn, den fleischigen Lippen, dem Bart und der auffallend hervortretenden Nase akzentuiert und von den hohen Brauenbogen überwölbt. Bernini ließ sie ursprünglich in die vom Scheitel frei belassene Stirn münden, bis er durch die mehrfach vorgebrachte Kritik dazu bewogen wurde, in die Stirn eine flache, sichelförmige Haarsträhne einzumeißeln173. Der Blick Ludwigs XIV. scheint einer Richtung zu folgen, aus der ihm ein Windstoß entgegenweht, der den über der Rüstung getragenen Feldherrnmantel vor der Brust aufbauscht. Die Draperie verhüllt den Anschnitt des Oberkörpers auf der Höhe der Ellbogen und wirkt als eine Barriere, die das Bildnis vom Betrachter distanziert. Bernini antwortete auf die Schwierigkeiten des monochromen Marmorbildnisses mit einem kalkuliert abgestuften Materialillusionismus. Er arbeitete aus dem Marmorblock für die einzelnen Partien des Kopfes und der Gewandung unterschiedliche stoffliche Valeurs heraus. Die Tuchdraperie ist als wehender Faltenschwung mit verschatteten Höhlungen von dem in der geometrischen Grundform eines Zylinders hervortretenden Schulterstück abgesetzt, dabei ahmt die blanke Politur der Armierung den Glanz der Rüstung nach. Die filigranen Locken, bei denen der Bildhauer die Arbeit mit dem Bohrer anschaulich belassen hat, sind am Brustausschnitt in das ornamentale Relief des gestärkten Spitzenkragens übersetzt. Bernini hatte sich für den Kragen mehrere Stücke aus der Garderobe des Königs geborgt, sie als Vorlagen für einen eigenen Entwurf benutzt und darüber amüsiert festgestellt, daß er so noch zum Modeschöpfer geworden sei174. In diesem ornamentalen, aus Frisur und Kostüm gebildeten Rahmen werden das Inkarnat, aber auch die Bedeutung des Gesichtes als Ausdruckszentrum des Werks umso deutlicher betont. Der künstlerische Rang der Büste beruht wesentlich darauf, daß die aufwendige Regie der bildnerischen Mittel völlig der Charakterisierung des Dargestellten dienstbar gemacht ist. Bernini selbst hat die Wirkungsabsicht mit dem Ausdruck von noblesse und grandeur 172 A.a.O., p. 96 (29. Juli 1665) und p. 116 (12. Aug. 1665). 173 A.a.O., p. 127 (19. Aug. 1665), 154 (4. Sept. 1665). 174 A.a.O., p. 185 (17. Sept. 1665), 196 (24. Sept. 1665).
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umschrieben. Er sei sich im klaren darüber, daß das Bildnis jede aura populäre vermissen lasse175. Bei dieser Stilisierungsabsicht suchte er die Analogie der äußeren Erscheinung Ludwigs XIV. mit Alexander dem Großen, wie sie auf antiken Münzen und Marmorbildnissen überliefert ist176. Dies beruhte freilich weniger auf den tatsächlich anschaulichen Parallelen, sondern vielmehr auf der entschiedenen Absicht zur panegyrischen Identifikation beider Herrschergestalten. Bernini war bei der Darstellung Ludwigs XIV. von dem Ziel geleitet, dem Bildnis eine im Momentanen erfaßte Wendung zu geben. Er führt sie in den Bewegungsmotiven des Kopfes und der Manteldraperie vor, die dazu dienen, gleichsam die Resonanz des vom König vollzogenen Sprechaktes zu verstärken. So hat Bernini sein Gestaltungsanliegen in den Topos der verlebendigten statua parlante gefaßt, als er feststellte, er habe jenen Moment zu fassen versucht, quand on vient de parier ou qu'on va prendre la parole,177 Als der römische Nuntius die Büste in Augenschein nahm, hat er den sprechenden Gesichtsausdruck mit der Darstellung des Königs in der Rüstung zur Dekkung gebracht. Er meinte, der König sei im Begriff, den Oberbefehlshabern seiner Armee ein Kommando zu erteilen178. Damit deutet sich ein ikonographisches Verständnis der Büste an, das durch den unausgeführt gebliebenen Sockel unmittelbar zur Anschauung gelangt wäre. Für die Präsentation des Werks hat Bernini in mehreren Versuchsanordnungen dessen Wirkung getestet und das Bildnis auf einen Tisch gestellt, auf dem er Tücher drapiert hatte179. Anscheinend hat er mit dem Entwurf des Sockels erst begonnen, als die Arbeit an der Büste bereits weit fortgeschritten war. Er konzipierte einen allegorischen Sockel mit einem Globus, der auf einer mit Waffentrophäen geschmückten espece de tapis postiert werden sollte. Für die Weltkugel hat Bernini die Inschrift Picciola basa vorgesehen und er hatte eine Ausführung in vergoldetem Kupfer mit einer Darstellung der Ozeane in azurblauem Email im Sinn180. Offensichtlich adaptierte Bernini für dieses Arrangement die persönliche Imprese Ludwigs XIV., wie sie auf einer 1663 edierten Medaille dargestellt ist (Abb. 28). Dort erscheint ein frontal gegebener Kopf in einer Strahlengloriole über einem Globus schwebend. Er ist mit dem Motto Necpluribus impar umschrieben, das Ludwig XIV. in einer Geste der Uberbietung dem Motto Karls V. - Nonplus ultra - an die Seite gestellt hatte181. Ludwig XIV. hat bei der Aufnahme des Globus in den Bildzusammenhang seiner Imprese davon abgesehen, die Weltkugel mit den französischen Königslilien zu versehen, der universalistische Anspruch der Imprese tritt aber deutlich genug hervor. Bei Berninis Entwurf für den Büstensockel betont die Wahl des Azurblau - der heraldischen Farbe des Königs - für die farbige 175 A.a.O., p. 93 (28. Juli 1665), 214 (30. Sept. 1665). 176 A.a.O., p. 120 (15. Aug. 1665), 199 (25. Sept. 1665), 205 (26. Sept. 1665), 2 0 9 (28. Sept. 1665); zum Aspekt der „barocken Allegation" im Sinne der Vermittlung von einem Exempel auf eine konkrete Person ausführlich Prater, Vermittelte Person, 1997, op. zit. 177 Chantelou, Ed. 2001, p. 154 (4. Sept. 1665); vgl. auch allgemein zum Motiv des sprechenden Mundes Ann Sutherland Harris, Vouet, Bernin, et la „ressemblance parlante", in: Stephane Loire ed., Simon Vouet ( = Rencontres de l'Ecole du Louvre), Paris 1992, p. 1 9 3 - 2 0 8 . 178 Chantelou, Ed. 2001, p. 123 (17. Aug. 1665). 179 A.a.O., p. 235 (2. Okt. 1665), 241 (5. Okt. 1665), 290 (15. Okt. 1665). 180 Zu den zahlreichen Nachrichten über den Sockelentwurf a.a.O., p. 171 f., 178, 1 8 7 - 1 8 9 , 199, 203, 218 f., 223 f., 251 (10. Sept.-12. Okt. 1665). 181 Zur Medaille vgl. Medailles du regne, 1702, p. 74; zur Imprese Louis XIV, Ed. 1992, p. 136 f. und Polleroß, 1987.
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D E V I S E Abb. 28
DU
ROY.
Medaille von 1663 mit Sonnenimprese Ludwigs XIV. Aus Medailles du regne, 1702.
Fassung des Globus, wem die Herrschaft über die Welt zugedacht war. Die Gleichsetzung des französischen Monarchen mit dem Weltherrscher sollte durch die Subordination des auf Trophäen gebetteten Erdballs unter das Bildnis Ludwigs XIV. auf unmißverständliche Weise bildlich vollzogen werden. Mit seiner Büste Ludwigs XIV. führte Bernini die Tradition der weltlichen Herrschern gewidmeten Bildnisbüste des 16. Jahrhunderts fort. Dies muß betont werden, da eine analoge Rezeption bei den Büsten von Kirchenfürsten im Oeuvre Berninis nicht gegeben ist. Guglielmo della Porta hatte seit der Mitte des 16. Jahrhunderts mehrere Büsten Pauls III. und seiner Nachfolger geschaffen, mit denen die Aufgabe der Papstbüste eine neuartige Formulierung erfuhr. In der Gruppe der Büsten ist das Pluviale des Papstornats mit Tugendfiguren und Allegorien ausgestattet, deren Programm im Sinne eines Bildniskommentars auf die weltliche und geistliche Herrschaft des Dargestellten verweist 182 . Bernini nahm zwar mit seinen beiden frühen Büsten für Paul V. ( 1 6 0 5 - 1 6 2 1 ) und Gregor XV. ( 1 6 2 1 - 1 6 2 3 ) diese Tradition noch auf, unter Urban V I I I . ( 1 6 2 3 - 1 6 4 4 ) kam es jedoch zu einem fundamentalen Wandel der Darstellungsform. Der Barberini-Papst wie auch seine Nachfolger ließen sich nicht mehr im Pluviale, sondern in einem Ornat darstellen, das mit der hermelinbesetzten Mozzetta und dem Camauro den päpstlichen Rang des Porträtierten verbürgt, zugleich aber auf dessen Funktion als Monarch des Kirchenstaates verweist 183 . Die mit dem
182 Zu den Büsten Ausst. Kat. „Der Glanz der Farnese. Kunst und Sammelleidenschaft in der Renaissance", München 1995, p. 415-418; Ausst. Kat. „Rom in Bayern. Kunst und Spiritualität der ersten Jesuiten", ed. Reinhold Baumstark, München 1997, Nr. 9, 16; Zitzlsperger, 2002, p. 40f. auch zum Problem der gefälschten Büsten. Zum Begriff des „Bildniskommentars" allerdings ohne Hinweis auf diese Tradition Elisabeth von Hagenow, Bildniskommentare. Allegorisch gerahmte Herrscherbildnisse in der Graphik des Barock. Entstehung und Bedeutung, Hildesheim-New York 1997. 183 Diesem Aspekt widmet sich nun erstmals und umfassend Zitzlsperger, 2002. Die Forschung zum Porträt des 17. Jahrhunderts ist nach wie vor stilkritisch oder kennerschaftlich dominiert, dies er-
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Kleiderwechsel einhergehende Reduktion des der Büste auferlegten Bildprogramms führte Bernini sowohl bei seinen Papst- als auch bei seinen Kardinalsbüsten zu einer gesteigerten Raffinesse der Materialillusion bei der Darstellung des Ornats sowie zur individuellen Charakterisierung des Porträtierten. Bei seinen Büsten weltlicher Herrscher setzte Bernini die an den Papst- und Kardinalsbüsten gewonnenen bildhauerischen Erfahrungen um, bewahrte aber zugleich wesentliche Elemente der älteren Bildnistradition. Im Unterschied zu den Prälatenbüsten bietet das Fürstenbildnis im Hinblick auf die Gewandbildung einen ungleich weiter bemessenen gestalterischen Freiraum. Bereits Benvenuto Cellini hatte in seiner Büste von Cosimo I de'Medici eine Rüstung mit einer Tuchdraperie kombiniert, die in einer komplizierten Schlingung den unteren Büstenanschnitt kaschiert. Wohl im Rückgriff auf Michelangelos Brutusbüste ist bei der Büste Cosimos bereits eine Wendung des Kopfes vollzogen, die den Blick des Fürsten in die Ferne richtet184. Bernini greift beide Motive in seiner Königsbüste auf und stellt sie in den Dienst der Distanzierung und Entrückung des Bildnisses vom Betrachter. Derselben Intention dient die Ausgestaltung des Sockels. Im Rückgriff auf Präsentationsformen antiker Kaiserbüsten, die auch Bernini vor Augen standen, hatte Leone Leoni seine Bronzebüste Karls V. mit einem figürlichen Postament ausgestattet. Die als Karyatiden gebildeten Statuetten der Minerva und des Mars flankieren die Figur eines Adlers mit ausgebreiteten Schwingen, der das aus der Antike überkommene Motiv der Herrscherentrückung versinnbildlicht185. Bernini hat diese Form des Bildniskommentars grundsätzlich beibehalten, seine Sockelallegorie aber im Rückgriff auf die Imprese Ludwigs XIV. als Bildattribut des Dargestellten umgesetzt. Der von Bernini entworfene Sockel gelangte niemals zur Ausführung. Dadurch wurde das Bildwerk in der entschiedenen Programmatik eines universalistischen Herrschaftsanspruchs neutralisiert. Die wohl ausführlichste zeitgenössische Würdigung der Büste findet sich in einer unter Pseudonym erschienenen Biographie von Colbert. Dort wird das Porträt als Idealbild herrscherlicher Autorität vorgestellt, zugleich ist aber offensichtlich, daß es auch einen Anlaß bietet, den topisch vorgegebenen Katalog von Herrschertugenden abzurufen: (Bernini) verfertigte des Königs Brust-Bild, welches itzo in des Königs Kunst-Zimmer oben an stehet. Denn der König ist nicht nur in allen Lineamenten und Strichen des Gesichts auffs natürlichste getroffen, sondern man kan auch dieselbe Helden-Mine, wodurch er seine Feinde, wenn er vor seine Armees stehet, zittern machet, ganz deutlich erkennen, jedoch auch so daß sein Freundlich-seyn, wodurch er die Liebe seiner Unterthanen gleichsam mit Gewalt an sich ziehet, dadurch nicht verstellet wurde; und sein weit-aus-sehender und alles durchdringender Geist, dem nicht leicht etwas entgehet, aber auch seine Gottesfurcht, der zu Folge er zu Beschüzung der Gott-geheiligten Alltäre sich nichts dauern läßt, war in der steinernen Copie so eigentlich, als in dem majestätischen Original selbst zu erkennen,186
weist sich gerade im Hinblick auf Papst- und Kardinalbildnisse als beträchtliches Defizit. Zum G e halt der profanen Bildnisbüste neuerdings Damian D o m b r o w s k i , Giuliano Finelli. Bildhauer zwischen Neapel und R o m , Frankfurt a.M. u.a. 1997, bes. p. 8 1 - 8 7 . 184 Vgl. J o h n Pope-Hennessy, Cellini, N e w Y o r k 1985, p. 2 1 5 - 2 1 8 . 185 Vgl. Michael Mezzatesta, Imperial Themes in the Sculpture of Leone Leoni, 2 Bde., Ann A r b o r 1980, Bd. I, p. 8 4 - 1 0 7 ; Ausst. Kat. „Kaiser Karl V. ( 1 5 0 0 - 1 5 5 8 ) . Macht und O h n m a c h t Europas", Mailand 2000, Nr. 3 5 6 - 3 5 7 . 186 Gatien Sandras de Courtilz, Des Welt-berühmten Staats-Ministers Herrn J o h a n n Baptistae C o l -
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Da der Sockel unausgeführt blieb, wurde das Bildwerk aber auch um die Wirkung eines künstlerischen Ensembles gebracht und für unterschiedliche Aufstellungsorte frei verfügbar. So bestellte etwa Colbert einen Abguß der Büste für seinen Stadtpalast187. Das Original verblieb für nahezu zwei Jahrzehnte in den Tuilerien. Dort verzeichnet es Germain Brice in seinem 1684 erschienenen Parisführer zusammen mit den ausgestellten Plänen für den Louvre innerhalb eines musealen Aufstellungszusammenhangs188. Zwei Jahre nach der Niederlassung der Hofhaltung in Versailles im Jahr 1682 gelangte die Büste in den dortigen Salon de Diane. Die Folge der Planetensäle hatte freilich zu diesem Zeitpunkt ihren Rang als Appartement de parade bereits eingebüßt. Im Jahr 1683 wurde eine Medaille zur bereits früher vollzogenen Öffnung der Salons für abendliche Unterhaltungen der Hofgesellschaft in den Appartements ediert. Antoine Trouvain hat ihnen später eine Stichfolge gewidmet. Bei den Salons diente der Diana-Saal als Billardraum189. Berninis Büste wurde in der Ausstattung von Versailles ein dekorativer Stellenwert zugemessen. Man dachte wohl nie daran, sie in den Programmzusammenhang der Gesandtentreppe zu integrieren, deren erste Planungen in das Jahr von Berninis Parisaufenthalt zurückreichen. Bei Vollendung der Treppe im Jahr 1678 war der prominenteste Platz bereits vergeben, der in Versailles für eine Königsbüste vorhanden war. Im Escalier des Ambassadeurs war das Bildnis des Königs für den Besucher des Schlosses ein Blickfang. Die dort im Zentrum der Stirnwand aufgestellte Königsbüste war 1665 von Jean Varin als Konkurrenzwerk zur Porträtbüste Berninis geschaffen worden (Abb. 29) 190 . Varin nahm das Porträt in Angriff, als die Büste Berninis weitgehend vollendet war. Er führte es ohne Auftrag von Seiten des Hofes aus. Aus dem ersten Hinweis auf die
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bert Lebens-Beschreibung etc., Dresden 1696, p. 54f. Vgl. Courtilz, 1695, p. 39f.: (Le Chevalier Bernin) fit le buste du Roi, qui tient rang dans le Cabinet de Sa Majeste. Ii ne represente pas seulement au naturel tous les traits de ce grand Monarque, il decouvre encore cette meme fierte qui fait trembler ses ennemis a la tete des ses Armees, sans rien cacher de sa douceur, qui lui attire de ses Sujets; Von y voit aussi cet esprit vaste & penetrant a qui rien η 'ichape, & en meme temps cette piete qui le porte a tout entreprendre pour la defense des Autels. Vgl. Ausst. Kat. „Colbert", 1983, p. 67. Brice, 1684, Bd. I, p. 29. Medailles du regne, 1702, p. 194 und Charles Maumene, Les Appartemens graves par Α. Trouvain, de 1694 ä 1698, in: L'Amateur d'estampe 1925, p. 97-106. Zu den Raumfunktionen Jean-Claude Guillou, Le Grand et le Petit Appartement de Versailles 1668-1684. Escalier, etage, attique et mansardes. Evolution chronologique, in: Gazette des Beaux-Arts 108, 1986, p. 7-22; Ives Bottineau, Essai sur le Versailles de Louis XIV. I: La distribution du Chateau et le plan du domaine et de la Ville. II: Le style et l'iconographie, in: Gazette des Beaux-Arts 112, 1988, p. 77-97, 119-132, bes. p. 92; Solnon, 1996, p. 315, 329 und Newton, 2000; zur Rolle des Appartements als Salon auch Jeroen Duindam, Norbert Elias und der frühneuzeitliche Hof. Versuch einer Kritik und Weiterführung, in: Historische Anthropologie 6,1998, p. 370-387, bes. p. 378-382. Zur Büste Varins Fernand Mazerolle, Jean Varin. Sa vie-sa famille-son oeuvre (1596-1672), Paris 1932, p. 120; Mark Jones, Jean Warin, in: The Medal 11,1987, p. 7-23, hier p. 17-20; Simone Hoog, Musee National du Chateau de Versailles. Les sculptures. I: Le Musee, Paris 1993, Nr. 1075. Zum Ausstattungszusammenhang der Treppe Birgit Jansen, Der Grand Escalier de Versailles. Die Dekoration durch Charles Le Brun und ihr absolutistisches Programm, Diss. Bochum 1979; Ausst. Kat. „Charles Le Brun (1619-1690). Le decor de l'escalier des Ambassadeurs ä Versailles", Paris 1990, p. 41 f.; Ausst. Kat. „Van der Meulen", 1998, p. 203-209; Sabatier, 1999, p. 146-191; Kirchner, 2001, p. 417-426.
4. Die Rezeption von Berninis Porträtbüste und Reiterstatue für Ludwig
A b b . 29
Jean Varin: Büste Ludwigs XIV., 1665. Versailles.
XIV.
118
II. Die Berufung von Bernini nach Frankreich
Büste bei Chantelou am 21. September 1665 geht hervor, daß Charles Perrault die begonnene Büste bereits in Augenschein genommen hatte. Daher ist anzunehmen, daß Varin sein Vorhaben innerhalb des Petit Conseil abgesprochen hat191. Der Marmorblock wurde Varin anscheinend aus dem Materiallager der Bätiments zur Verfügung gestellt. Im August 1668 wurde der Bildhauer für das Werk vom König entlohnt, das damit in dessen Besitz überging192· Varin schuf sein Königsbildnis nicht nur aus dem Antrieb, gegen Bernini in einem künstlerischen Duell anzutreten. Hinter dem Motiv der Uberbietung von Berninis Werk stand dessen Verneinung. Die ehrgeizige Künstlerkonkurrenz baute darauf, eine alternative Stilkonzeption als programmatischen Ausdrucksträger der Herrscherrepräsentation vorzustellen193. Von Chantelou und von Bernini war Varin öffentlich auf seine Kompetenz als Medailleur zurückverwiesen worden. Man belächelte die bloße ressemblance seiner Münzbildnisse gegenüber dem Modell und sprach Varin die Fähigkeit ab, dem Porträt des Königs noblesse und grandeur zu verleihen194. Bernini sah sich in dieser Annahme bestätigt, als ihm Varin seine Grundsteinlegungsmedaille für den Louvre vorlegte, die Bernini kritisierte195. Varin, der bei den Porträtsitzungen Ludwigs XIV. für die Büste Berninis meist anwesend war, reagierte darauf mit Äußerungen des Mißfallens gegenüber dem Werk Berninis196. Das Avers der Grundsteinlegungsmedaille mit dem Bildnis Ludwigs XIV. nimmt im Typus der Darstellung die Büste Varins vorweg (Abb. 30). Das Gesicht ist im Profil gegeben, während der in die Dreiviertelansicht gedrehte Brustteil in einer Rüstung mit antikisierenden Bestandteilen gezeigt ist. Das Marmorporträt Varins restituiert den antiken Typus der Panzerbüste (Abb. 29). Ludwig XIV. stellte sich für die Ausführung des Werks nicht zu Modellsitzungen zur Verfügung, und Varin griff für die Gestaltung des Kopfes auf ein Typenrepertoire zurück, das bereits in zahllosen Münzbildnissen Verwendung gefunden hatte. Der König wendet den Kopf mit einem in die Ferne gerichteten Blick zur Seite. Die fülligen Gesichtszüge des Monarchen sind von der straffen, zur Kopfwendung gespannten Halsmuskulatur abgesetzt. Das über weite Partien ungeschützte Inkarnat, das sich auch im Muskelpanzer illusionistisch abbildet, wird durch die reiche Lockenfrisur zu Seiten der Schläfen und des Halses eingefaßt. Der Brustteil läßt sich mit einer aus der Archäologie anhand antiker Panzerbüsten gewonnenen Terminologie beschreiben. Vor der Brust sitzt an Stelle des Gorgoneions das Emblem des Sonnenkopfes. Die vordere Schale des Muskelpanzers ist durch Schulterlaschen mit aufwendig geschlungenen Schlaufen an Ringe geknotet. Am Halsausschnitt wird oberhalb des säumenden Gurtes die Fältelung der Tunika sichtbar. Sie reicht auch an dem mit befransten Lederlaschen geschützten Schultergelenk hervor. Die rechte Schulter ist von dem mit einem Knopf gehaltenen Paludamentum verhüllt. Dessen vordere, enge Faltenbahnen korrespondieren mit den Laschen auf der gegenüberlie-
191 Chantelou, Ed. 2001, p. 196. 192 A.a.O., p. 238 (8. Okt. 1665); Comptes, Bd. I, Sp. 216. 193 Zum Mechanismus des Gegenwerks Martin Warnke, Bau und Gegenbau, in: Hermann Hipp et al. eds., Architektur als politische Kultur. Philosophia practica, Berlin 1996, p. 11-18. 194 Chantelou, Ed. 2001, p. 93 (28. Juli 1665), 187 (19. Sept. 1665). 195 A.a.O., p. 238 (8. Okt. 1665); zur Medaille Ausst. Kat. „Triumph of the Baroque", 1999, Nr. 108. 196 Chantelou, Ed. 2001, p. 127 (19. Aug. 1665) und i.d.S. Perrault, Ed. 1993, p. 159.
4. Die Rezeption
Abb. 30
von Berninis Porträtbüste
und Reiterstatue für Ludwig XIV.
119
Jean Varin: Medaille zur Grundsteinlegung des Louvre, 1665.
Avers mit Bildnis Ludwigs X I V . Paris, Bibliotheque Nationale.
genden Körperseite, während sie über dem Oberarm zu flächigeren Schüsselformen drapiert sind. Der Anspruch der Büste Varins als Gegenentwurf zum Werk Berninis und als Signal eines konträren Verständnisses von der Herrscherdarstellung läßt sich erst auf der Ebene der von der Büste verbürgten Antikenrezeption bestimmen. In Anlehnung an den nachaugusteischen Büstentypus wurden neuzeitliche Panzerbüsten vereinzelt um die Mitte des 16. Jahrhunderts geschaffen. Erinnert sei an die beiden Büsten des Cosimo I de'Medici von Cellini und Bandinelli. Der antike Bildnistypus erfuhr gleichzeitig durch Antikenergänzungen eine Aktualisierung, als die erhaltenen Fragmente römischer Imperatorenbüsten in der Form von Panzerbüsten wiederhergestellt wurden. In Systematik und Umfang kann die Restaurierungskampagne für das Münchner Antiquarium als singulär gelten, bei der ab 1567 die zur Ausstellung bestimmten Bildnisköpfe jeweils ein neues Brustteil erhielten197. Eine ähnliche Vorgehensweise läßt sich auch für das 17. Jahrhundert dokumentieren 198 . Der über diese Vorläufer vermittelten Wiederaufnahme der antiken Bildnisform durch Varin kommt der Rang einer Neuschöpfung zu, auch wenn es in der französischen Tradition der Porträtbüste schon einzelne antikisierende Königsbildnisse gab199.
197 Vgl. Ellen Weski/Heike Frosien-Leinz, Das Antiquarium der Münchner Residenz. Katalog der Skulpturen, 2 Bde., München 1967/1987, bes. Bd. I, p. 73. 198 So wurde der K o p f eines Mars in der Sammlung Ludovisi mit einer Panzerbüste ergänzt; bekanntlich wurde 1630 der Torso einer Panzerstatue durch Bernini und Algardi als Standbild Carlo Barberinis umgearbeitet und auf dem Kapitol aufgestellt; Ausst. Kat. „La collezione Boncompagni Ludovisi", 1992, p. 102, 211 f. 199 Verwiesen sei insbesondere auf die in späteren Repliken erhaltene Marmorbüste Franz' I. aus F o n tainebleau und auf die in mehreren Abgüssen erhaltene Kleinbüste Heinrichs IV. von Barthelemy Prieur; C o x - R e a r i c k , 1995, p. 19; Regina Seelig-Teuwen, Barthelemy Prieur, portraitiste d'Henri
120
II. Die Berufung von Bernini nach Frankreich
Gleichzeitig bleibt aber die Büste Varins nicht nur an die antike Typusvorgabe, sondern auch an die aktuelle Vorgabe des Münzbildnisses gebunden. Dies berührt den Grundsatz von Varins Verständnis vom Königsbildnis. Bernini hat mit seinem Werk auf der Gleichberechtigung zwischen der idea des Künstlers und den Darstellungserwartungen von Seiten Ludwigs XIV. beharrt. Varin dagegen betonte den verpflichtenden Charakter der Aufgabe des Königsbildnisses. Er beharrte nicht darauf, das Bild des Königs nach seiner Vorstellung zu formen, sondern beanspruchte die Umsetzung eines Königsbildes, das in Münzen und Medaillen bereits eine verbindliche Form gefunden hatte. Die image m0tallique des Königs war aber nicht nur durch die öffentliche Präsenz des Mediums verbindlich, sie war vor allem auch von Ludwig XIV. selbst autorisiert. Der Erfolg seiner Büste gab Varin in diesem Anspruch recht. Offensichtlich war Varins Anliegen von italienischer Seite gänzlich unbemerkt und unverstanden geblieben. Mattia de'Rossi spielt in einem Brief an Bernini hämisch die beiden Büsten gegeneinander aus und beschreibt die vermeintlichen formalen Fehler des Bildnisses von Varin, ohne für dessen Entwurfsidee ein Wort übrig zu haben 200 . In den Kreisen des Hofes fand das Marmorporträt hingegen eine enthusiastische Aufnahme. Es wurde mit Elogen bedacht, die Gazette de France feierte es als Beweis dafür, daß der französischen H o f k u n s t der Anschluß an Italien gelungen sei201. Im Jahr 1678 wurde die Büste in der Gesandtentreppe von Versailles in der zentralen Wandnische der inneren Hauptseite aufgestellt. Der Sockel war von Waffentrophäen hinterfangen und im Nischenbogen war oberhalb des Sonnenemblems ein Schriftband mit der Devise Ludwigs XIV. angebracht 202 . Damit wurde zumindest partiell eine ikonographische Einbindung des Werks realisiert, die schon Bernini vorgesehen hatte. Wenige Jahre später hat man die Büste Varins durch ein altersgemäßes Marmorbildnis von Antoine Coysevox ersetzt (Abb. 31)203. Dieser Austausch dürfte nicht aus der Kritik an der Büste Varins begründet gewesen sein. Coysevox, dessen Werkstatt die skulpturale Ausstattung des Treppenhauses ausführte, hat sich wohl eher den Auftrag für die Neufassung der Büste als eigenhändiges Werk zu sichern vermocht, dabei aber den antiken Typus der Panzerbüste beibehalten und den Entwurf Varins variiert. Auch in dieser Ausstattungsphase der Gesandtentreppe erhielt die Büste Berninis nicht die Chance, in einem Raumzusammenhang präsentiert zu werden, dessen Programm mit unüberbietbarer Entschiedenheit einer internationalen Besucherschaft den französischen König als militärischen Triumphator über Europa vorstellte. Zwei Jahrzehnte nach dem Besuch Berninis in Paris wiederholten sich die Kontroversen beim Reiterstandbild Ludwigs XIV. Berninis Werk traf aus Rom im Jahr 1685 ein (Abb. 32-34) 204 . N o c h einmal spielten Künstlerrivalitäten eine Rolle, wieder ging es u m
200 201 202
203 204
IV et de Marie de Medicis, in: Les Arts au temps d'Henri IV (Kongreßakten Fontainebleau 1989), Biarritz 1992, p. 331-354, hier p. 337. Abdruck des Briefes bei Mirot, 1904, p. 268. Gazette de France, 1666, p. 948; weitere Belege bei Mazerolle, Varin, 1932, op. cit., p. 120 und Jones, Warm, 1987, op. cit. In dieser Form ist das Wandfeld in der als Handschrift überlieferten Treppenbeschreibung Andre Felibiens aus dem Jahr 1680 sowie in der Beschreibung im Mercure Galant, 9, 1680, 2. Teil, p. 276-320, hier p. 281, 303 f. überliefert; Abdruck beider Beschreibungen bei Jansen, Escalier de Versailles, 1979, op. cit., Anhang. Vgl. neben der in Anm. 190 genannten Literatur Souchal, Bd. I, p. 182. Grundlegend zur Reiterstatue sind die Aufsätze von Wittkower, 1961 und Lavin, 1993, bes.
4. Die Rezeption von Berninis Porträtbüste
A b b . 31
und Reiterstatue für Ludwig XIV.
121
Antoine Coysevox: Büste Ludwigs XIV. Versailles.
den Modus der Herrscherdarstellung und erneut traten alternative Entwürfe ins Blickfeld. Während Berninis Aufenthalt in Paris kam das Projekt eines Reiterstandbildes nur am Rande zur Sprache. So bildete es einen Bestandteil des von Colbert erdachten Monumentenensembles zwischen Louvre und Tuilerien; der gänzlich imaginäre Gehalt des Ensembles verbietet es aber, an konkrete Planungsschritte zu denken. Wenige Tage vor seiner Abreise läßt Bernini übermütig die Aufträge Revue passieren, die der Pariser Hof an ihn noch richten könnte, und nennt dabei auch eine Reiterstatue 205 . Den Auftrag für die Figur erteilte Colbert im Dezember 1667. Mit einer für ihn ganz ungewöhnlichen Liberalität stellt der Surintendant Bernini die Wahl des Aufstellungsortes anheim: Enfin tout ce que je puis vous dire est que je remets le tout a vostre choix. Geplant sei die Errichtung einer neuen Steinbrücke über die Seine unterhalb des Pont Neuf, die für eine zum Brückendenkmal Heinrichs IV. analoge Postierung des Denkmals in Frage käme. Denke der Künstler an eine Aufstellung im Tuileriengarten, so solle er gegebenenfalls Skizzen für eine Balustrade oder p. 1 6 6 - 1 9 5 ; zu den Quellen vgl. Mirot, 1904, p. 2 7 6 - 2 8 8 ; zur Aufstellung in Versailles R o b e r t W. Berger, In the Garden of the Sun King. Studies on the Park of Versailles under Louis X I V , Washington 1985, p. 5 0 - 6 5 , 6 9 - 7 4 ; Zusammenfassung der Diskussion zuletzt bei Simone H o o g , La statue equestre de Louis XIV. U n e statue deplacee, Paris 1989 und Ausst. Kat. „Bernini", 1998, p. 3 1 0 - 3 2 9 . 205
Chantelou, Ed. 2001, p. 255 (12. O k t . 1665).
122
II. Die Berufung
Abb. 32
von Bernini nach
Frankreich
Gian Lorenzo Bernini: Reiterstandbild Ludwigs XIV. Versailles.
de quelque convert en dome avec de grandes arcades anfertigen206. Der Marmormonolith für die Statue traf 1669 aus Carrara in Rom ein, Bernini begann im Juni 1670 mit der Arbeit. Der Sohn Colberts, der Marquis de Seignelay, sah die begonnene Statue Anfang April 1671 im Atelier Berninis bei Sankt Peter und stellte fest, (qu'elle) n'est encore qu'une masse de marhre.207 Im August des Jahres 1673 war das Werk weitgehend vollendet, einzelne Uberarbeitungen erfolgten noch 1677. Das von Colbert erwogene Vorhaben, die Statue nach den Entwürfen Berninis durch Pensionäre der 1666 gegründeten Academie de France ä Rome ausführen zu lassen, wurde nicht verwirklicht 208 . Seit der Vollendung des Denkmals kursierten in Rom Gerüchte, daß es für die seit mehreren Jahrzehnten geplante Treppen-
206 B N , Ms. italien 2083, p. 2 6 3 - 2 6 4 (Colbert an Bernini 1668; das Datum eradiert). Bereits im Vorjahr hatte Colbert ein äußerstes Maß an Entgegenkommen signalisiert: Bernini könne die Größe der Statue bestimmen, und Colbert versichert ihm, que sa Majeste enfera tout de cas que s'il est necessaire eile fera mesme faire un bastimentproportionne pour le faire voir dans toute sa beaute. A.a.O., p. 2 6 7 - 2 6 8 (Colbert an Bernini am 2. Dez. 1667). 207 Seignelay, 1867, p. 146; zum Rombesuch des Marquis siehe auch unten, Kap. 111,1 bei Anm. 22. 208 Hierzu die Absichtserklärungen von Bernini und Colbert in ihrer Korrespondenz; B N , Ms. italien 2083, p. 2 5 9 - 2 6 0 (Colbert an Bernini am 6. Dez. 1669); p. 2 3 1 - 2 3 2 (Bernini an Colbert am 30. Dez. 1669).
4. Die Rezeption von Berninis Porträtbüste und Reiterstatue für Ludwig XIV.
123
anlage vor S. Trinitä dei Monti bestimmt sei. Dies war freilich ebensowenig vorgesehen, wie umgekehrt in Paris über die Aufstellung der Statue in der Hauptstadt oder andernorts ein Beschluß gefaßt worden war. Es ist maßgeblich auf diese Unentschiedenheit zurückzuführen, daß bis zum Abtransport des Herrschermonuments aus Rom mehrere Jahre vergingen. Die Initiative dazu ergriff anscheinend Louvois, der im September 1683 Colbert als Surintendant des Bätiments nachfolgte. Mit Beginn des folgenden Jahres wurde der Transport organisiert, der vom damaligen Direktor der französischen Akademie in Rom beaufsichtigt und von Mattia de'Rossi geplant wurde209. Der Mitarbeiter Berninis hat auch den Sockel des Monuments entworfen. Bernini war in der Zwischenzeit gestorben. Von seinem Tod am 28. November 1680 nahm man von offizieller Seite in Paris nur beiläufig Notiz. Bereits eine Woche vorher hatte der Abbe De Sanctis lakonisch vom Schlaganfall Berninis berichtet, von dem sich der Künstler wohl nicht mehr erholen werde, und von der Hinterlassenschaft eines beträchtlichen Vermögens210. Der Abbe Pierre Cureau de La Chambre (1640-1693) veröffentlichte im Jahr darauf im Journal des Sgavans einen Nachruf. Der Autor, der auch nach der Rückkehr Berninis nach Rom zu diesem den Kontakt aufrecht erhalten hatte, plante auch eine Lebensbeschreibung des Künstlers. Von ihr ist aber nur das Vorwort als Separatdruck erschienen, in dem der Autor sein ambitioniertes Vorhaben skizziert. Er wolle nicht einen Roman, sondern ein Geschichtswerk schreiben. In der Abkehr von der traditionellen Vitenliteratur sah La Chambre nicht nur die vollständige Erschließung des Oeuvres von Bernini vor, sondern auch dessen umfassende Einbettung in die Kultur seiner Zeit. Nach dem Vorbild zeitgenössischer Biographien von Gelehrten und Wissenschaftlern dachte er an die Erläuterung der Werke unter den Bedingungen ihrer Typologie, des Auftrags und der materiellen Beschaffenheit sowie ihrer Bezüge zur Gelehrsamkeit seiner Zeit211. Das Projekt La Chambres, das den methodischen Standard einer modernen Künstlermonographie vorwegnimmt, ist über das Programm nicht hinausgediehen und scheiterte offenbar an seinem eigenen Anspruch. Nach der Ankunft des Reiterdenkmals im März 1685 wurde das Monument bereits im Oktober des Jahres zum Abtransport nach Versailles verladen. In den folgenden eineinhalb Jahrzehnten wechselte die Statue dreimal ihren Standort innerhalb der Parkanlagen. Dabei hatte sie immer der von Domenico Guidi geschaffenen Statuengruppe der „Renommee" (Abb. 35-36) zu weichen, bevor sie 1702 an den endgültigen Standort am Bassin des Suisses gelangte212. Im Zusammenhang mit der Versetzung des Monuments an den Bassin de Neptune im Jahr 1686 war es zur Umwidmung der Figur zur Gestalt des Marcus Curtius durch Girardon gekommen. Die von Bernini ausgeführte Felsformation unter dem Pferd wurde zu einem Flammenkranz umgearbeitet und der Reiter mit einem Helm ausgerüstet.
209 Vgl. hierzu die detaillierten Nachrichten zwischen März und N o v e m b e r 1684 in den Abrechnungen der Academie de France ä R o m e ; A N , O 1 1945, Nr. 4. 210 A E , C P R o m e 269, fol. 2 9 0 - 2 9 2 (De Sanctis am 20. Nov. 1680). 211 212
D e la Chambre, 1681 und 1685; beide Texte jüngst neu ediert von Montanari, 1999. 1686 befand sich die Statue im Parterre vor der Orangerie, im selben J a h r wurde sie am Bassin de Neptune aufgestellt, 1702 gelangte sie an den heutigen Standort; 1980 wurde sie durch eine Kopie ersetzt, das Original befindet sich im Skulpturenmuseum von Versailles; vgl. Berger, In the Garden, 1985, op. cit.
II. Die Berufung von Bernini nach
124
Abb. 33
Frankreich
Gian Lorenzo Bernini: Reiterstandbild Ludwigs XIV. Versailles.
In der Tradition des einem zeitgenössischen Fürsten gewidmeten Reiterdenkmals stellt sich Berninis Reiterfigur als ein Novum dar. Ein vergleichbar weitreichendes allegorisches Verständnis hatte es zumindest in der öffentlich-monumentalen Form des Denkmaltypus bislang nicht gegeben. Es war dieser Traditionsbruch, aus dem sich die Kritik am Werk Berninis begründete. Bernini postierte das Pferd auf einem zerklüfteten Felsrücken, dessen Vorderseite mit einer als Draperie geformten Inschrifttafel verblendet war213. Die steigende Bewegung des Pferdes wird durch die stark angewinkelten Hinterläufe, die hochgeworfenen Vorderhufe und den aufgerichteten Kopf eher in einer Art Bewegungstektonik akzentuiert. Sie ist nicht in der Statik der Figur tatsächlich umgesetzt, da der Leib des Rosses annähernd in der Waagrechten verbleibt. Ein verwandter Bewegungsrhythmus wiederholt sich bei dem in eine antikisierende Rüstung gekleideten Reiter, der ohne Sattel- und Zaumzeug das Pferd führt. Durch seine gleichwohl stabile und kontrollierte Positur gewinnt er die Freiheit zu einer ausgreifenden Präsentationsgeste, mit der er sich dem Betrachter zuwendet. Die Wendung des Kopfes, parallel zu der des Pferdeschädels geführt, setzt sich in der auf dem Muskelpanzer abgebildeten Torsion des Oberkörpers fort und mündet im ausgestreckten Arm mit dem Kommandostab. Die gegenläufigen Richtungen sind im Spiel der
213 D i e Bildquellen, die das Werk vor der Umarbeitung zeigen, sind zusammengestellt bei Berger, In the Garden, 1985, op. cit., A b b . 9 4 - 1 0 3 .
4. Die Rezeption von Berninis Porträtbüste und Reiterstatue für Ludwig XIV.
Abb. 34
125
Gian Lorenzo Bernini: Reiterstandbild Ludwigs X I V . Versailles.
Mähnensträhnen, in der Faltengebung des Tuchumhangs und in den Wirbeln des Roßschweifs wiederaufgenommen. Sie zeichnen ein plastisch geformtes Lineament, das zusammen mit der Ausrichtung von Reiter und Pferd dem Monument eine ausgesprochen bildhaft entworfene Ansichtsseite vorschreibt. Maßgeblich trägt zu diesem Eindruck die Draperie bei, der sich Bernini am Übergang von der Waagrechten des Pferderückens zur Senkrechten des Reiters bedient. Sie erinnert zwar an das antike Paludamentum, ist aber nicht über die Schulter gelegt und verschleiert so im Wortsinne die bei jeder Reiterfigur kritische Zone der Formgebung. Das wallende Tuch ist um den Oberkörper des Reiters geschlungen, so befestigt es nicht nur dessen Haltung auf dem Pferd, sondern gestaltet in zerklüfteten, gewellten Faltenzügen auch die Rückansicht des Monuments. Mit einer unverhohlen vorgetragenen Strategie der Entwurfsökonomie übernahm Bernini für sein Königsdenkmal Typus und Gestalt seiner Konstantinsstatue. Bereits 1654 in Auftrag gegeben, war die Figur des Imperators im Januar 1670 in der Vorhalle des Petersdomes aufgestellt worden, ein halbes Jahr später begann Bernini mit den Entwürfen für das Denkmal Ludwigs XIV. 214 Die Pferdefiguren beider Monumente entsprechen sich bis in
214 Vgl. Wittkower, 1981, Nr. 73 sowie Tod A. Marder, Bernini's Commission for the Equestrian Statue of Constantine in St. Peter's: A Preliminary Reading, in: Millon et al. eds., A n Architectural Progress, 1992, op. cit., Bd. I, p. 2 8 1 - 3 0 7 .
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II. Die Berufung von Bernini nach Frankreich
die Details der Formgebung wie auch in den Bewegungsmotiven, der muskulösen Körperbildung oder der Gestaltung des Pferdeschädels. Gleiches gilt für die Haltung des Reiters ohne Sattel- und Zaumzeug sowie schließlich für dessen Kleidung, die sich durch eine ähnliche Verwendung der Manteldraperie auszeichnet. Dienten die skulpturalen Motive beim römischen Denkmal zur tableauartigen Darstellung des Augenblicks der Kreuzesvision, so sind sie bei der französischen Statue für eine szenographische Konzeption des Monuments eingesetzt, bei der die Veranschaulichung des Reitens gänzlich zugunsten der Präsentation des Reiters vor dem Betrachter zurücktritt. Colbert hatte 1669 den Bildhauer ausdrücklich auf dessen eigenes Werk in Rom verpflichtet. Veränderungen in der Haltung von Reiter und Pferd sollten allerdings verhindern, daß eine bloße Kopie zustande komme. Bernini konnte für sich das Recht beanspruchen, sich innerhalb dieser Gestaltungsvorgaben zu bewegen. In seiner Antwort an Colbert hob er vor allem die Differenz der Aussage zwischen beiden Werken hervor und lenkte so von der unübersehbaren Formverwandtschaft ab: Die Statue Ludwigs XIV. werde del tutto diversa a quella di Costantino, perche Costantino stä in atto d'amirare la Croce che gl'apparve, e questa del Re starä in atto di maestä, e di comando.215 Im Lauf des Entwurfsprozesses gewannen diese beiden, dem Gehalt des Königsdenkmals zugedachten Leitbegriffe - Herrschaftlichkeit und Befehlsgewalt - ikonographisch Gestalt. Nach der Lebensbeschreibung Domenico Berninis habe sein Vater gegenüber einem französischen Besucher geäußert, daß der militärische Befehl jedem Fürsten zukomme, er aber für den König ein individuelles Attribut der gloria geschaffen habe, das er als Tugendberg beschreibt 216 . Mit der Felsformation, die Bernini unter das Pferd setzte, griff er auf eine Entwurfsidee zurück, die bereits den ikonologischen Gehalt seines Louvreentwurfs bestimmt hatte. Attribut des Reiters und statische Stütze des steigenden Pferdes in einem, ersetzt der Tugendberg das bei diesem Typus der Reiterstatue traditionelle Motiv der unterworfenen Feinde. Die Eroberungsfähigkeit des Herrschers teilt sich zwar durch den Kommandostab als militärische Insignie und durch die Anbringung einer Inschrift mit der Devise des Königs Nec paribus impar mit, für die Entwurfsüberlegungen Berninis bleibt dieser Aspekt aber letztlich sekundär. Insgesamt ist das Denkmal von einer eigentümlichen Ambivalenz geprägt, die bereits Bernini im Begriffspaar von maesta und commando faßte. Auch zeitgenössische Betrachter haben versucht, sie aufzulösen. Auf einer von Papst Klemens X. bei Antonio Travani in Auftrag gegebenen Medaille ist die Devise durch die Inschrift Et Major Titulis Virtus ersetzt. Dadurch ist die Idee des Herrschaftsanspruchs zugunsten einer Tugendverpflichtung getilgt217. Umgekehrt drang man von französischer Seite bereits 1672 darauf, den Statuensockel mit Trophäen auszustatten 218 . Dem Monument sollte dadurch nach den Eroberungen im eben erst begonnenen Krieg gegen die Niederlande ein öffentlicher Auftrag als Siegesmal des Königs zugewiesen werden. Damit wird nicht nur eine deutliche Parallele zum Planwechsel des Louvre im Zuge des Devolutionskrieges offenbar. Es kündigt sich in dieser Intervention auch ein Vorbehalt gegen das Werk Berninis an, der dessen Aufnahme am Pariser Hof zwiespältig machte. Die 215 216 217 218
Zit. nach Wittkower, 1961, p. 521, dort auch der Brief Colberts. Bernini, 1713, p. 150. Vgl. Lavin, 1993, p. 175 f. Der Vorschlag wurde von Kardinal D'Estrees Colbert gemacht, der seine Zustimmung signalisierte; vgl. die Quellen bei Wittkower, 1961, p. 524 f.
4. Die Rezeption von Berninis Porträtbüste und Reiterstatue für Ludwig XIV.
127
Gründe hierfür waren äußerst vielfältig219. Anscheinend war der damalige Kriegsminister und Surintendant des Bätiments, Louvois, maßgeblich dafür verantwortlich, daß der Statue zahlreiche formale Mängel attestiert wurden. Louvois war bei der Ankunft des Monuments von Versailles in die Hauptstadt beordert worden und überbrachte dann Ludwig XIV. sein Urteil über das Werk. Als dieses dann in Versailles eintraf, war eine reservierte, negativ gefärbte ästhetische Beurteilung auch von Seiten Ludwigs XIV. vorprogrammiert220. Der König äußerte sein Verdikt über die Statue und akzeptierte sie nicht als Denkmal für seine Person. Gleichwohl bestand aber das Anliegen, sie in den Ausstattungszusammenhang der Gärten von Versailles einzufügen. Aus beidem begründet sich die Umwidmung der Figur in die Darstellung des Marcus Curtius. Durch insgesamt geringfügige bildhauerische Eingriffe wird die Bewegungsdynamik von Berninis Königsmonument in einen dramatischen Erzählmoment umgedeutet. Nach den Historien des Livius soll sich der Soldatenhauptmann zur Zeit der römischen Republik bei der Belagerung Roms mit seinem Pferd in eine lodernde Felsspalte geworfen haben, die sich auf dem Kapitol auftat, um durch seinen Opfertod das Vaterland zu retten. Die Umwidmung der Figur zu einem antiken Tugendexempel wurde als Voraussetzung für deren Aufstellung im Park von Versailles gesehen. Porträts des Monarchen waren auf das Innere des Schlosses beschränkt, wie die Königsbüsten in der Gesandtentreppe (Abb. 29, 31), das Reiterrelief von Coysevox im Salon de la Guerre sowie die Darstellung des Königs in den Historienzyklen der Gesandtentreppe, des Spiegelsaales und der Tapisseriefolge der Histoire du Roy. Demgegenüber beschränkte sich der Darstellungsmodus des Königs in den Parkanlagen auf die historische oder mythologische Verhüllung. Ihr Hauptstück bildet das Ensemble von Apollbad (Abb. 108), Latonabrunnen und Apollwagen, die sich thematisch zu einer Trias zusammenschließen und auf unterschiedlichen Ebenen der Anspielung auf Ludwig XIV. verweisen221. Eine bemerkenswerte Entsprechung zur Umarbeitung der Statue Berninis stellt die Geschichtsallegorie von Domenico Guidi dar (Abb. 35-36). Ihr hatte die Reiterfigur zweimal zu weichen, wobei die Monumentalskulpturen aber in Querachsen innerhalb des Parks aufeinander bezogen blieben. Nach dem Eintreffen von Guidis Gruppe in Versailles etwa ein Jahr, nachdem die Reiterstatue dort angelangt war, hatte Girardon das von der Personifikation der Historia gehaltene Porträtmedaillon Ludwigs XIV. zu überarbeiten. Girardon formte das zeitgenössische Gewand der Büste zu einer Tunica um und glich zwar die Porträtdarstellung den Gesichtszügen des Königs an, verlieh ihnen aber den Anschein einer antikisierenden Überzeitlichkeit222. Offensichtlich war auch die Gruppe Guidis einer Dekorumskonzeption des Parks anzupassen, die darauf zielte, die Einheitlichkeit der Figurenausstattung im Sinne eines literarischen Themenkanons zu wahren. Dieser Kanon
219 Eine Zusammenstellung der Argumente geben Berger, In the Garden, 1985, op. cit., bes. p. 6 0 - 7 4 und in F o r m einer Auflistung Ausst. Kat. „Bernini", 1998, p. 324. 220
Hierzu Berger, In the Garden, 1985 op. cit., p. 52 f.
221
Zu Ikonographie des Ensembles Weber, 1985, p. 1 0 0 - 1 0 8 und jüngst zum literarisch begründeten Programm Helene Himelfarb, Source meconnue ou analogie culturelle? D e s livrets d'operas lullystes au decor sculpte des jardins de Versailles, in: Gazette des Beaux-Arts 134, 1993, p. 1 7 9 - 1 9 4 .
222 Z u m Vergleich zwischen der Gruppe in Versailles und dem B o z z e t t o Guidis in Hamburg Seelig, 1972, p. 9 0 - 9 2 .
II. Die Berufung von Bernini nach
128
Abb. 35
Frankreich
D o m e n i c o Guidi: D i e Zeit schreibt die Taten Ludwigs X I V . auf. Versailles.
ermöglichte es den Zeitgenossen, den Park als eine literarische Vision zu beschreiben 223 . Angesichts der häufigen Anwesenheit Ludwigs XIV. in den Gärten läßt sich zudem annehmen, daß die Kollision zwischen Real- und Statuenpräsenz des Monarchen vermieden werden sollte. So wie es in Versailles verhindert wurde, daß der König seinem eigenen Bildnis außerhalb zeremoniell geregelter Anlässe begegnen mußte, wurde im Hinblick auf die Parkbesucher eine Konfrontation zwischen der persönlichen Präsenz des Königs und dessen Gegenwart in der Statuendarstellung verhindert. Das Problem der Bildnisbegegnung in der Frühen Neuzeit beruht auf der Wertigkeit des Bildnisses als Stellvertretung des Dargestellten. Die historischen Nachrichten sprechen dafür, daß sich bei einer Statuendarstellung Bildnis- und Realpräsenz gegenseitig ausschlossen oder zeremoniell geregelt sein mußten. Dieser Konflikt war beim gemalten Bildnis oder auch bei einer Porträtbüste durch die Illusion der Darstellung sowie durch die Einbindung in ein Ausstattungsprogramm gemildert. Daraus erklärt sich wohl auch die für Versailles erkennbare Hierarchie der Herrscherdarstellung im Inneren und im Park der Residenz. Dieser Irritation suchte man bei der Statuengruppe Guidis zu entgehen, indem man das Königsbildnis der „Renommee" in eine antikisierende Distanz rückte. Bei der Reiterstatue entschied man hingegen, die unmittelbare Darstellung des Monarchen zu tilgen und sie durch eine literarisch verbürgte Tugendfigur zu ersetzen, deren Aufgabe es war, den Monarchen zu präfigurieren. Die Umwidmung von Berninis Königsstatue läßt sich von der Wahl ihres Aufstellungsortes in den Gärten von Versailles nicht trennen. Die Entscheidung, das Werk bereits im Oktober 1685 aus Paris abzutransportieren, kaum daß es ein halbes Jahr vorher dort angekommen war, wurde in überraschender Eile getroffen. Dieser Vorgang begründet sich 223
Hierzu Germer, 1997, p. 2 4 3 - 2 5 6 und Herve Brunon, D e l'image ä l'imaginaire: notes sur la figuration du jardin sous le regne de Louis X I V , in: X V I I e siecle 52, no. 2 0 9 , 2 0 0 0 , p. 6 7 1 - 6 9 0 . Zum folgenden vgl. Dietrich Erben, D e r steinerne Gast. D i e Begegnung mit Statuen als Vorgeschichte der Betrachtung (in Vorbereitung).
4, Die Rezeption von Berninis Porträtbüste und Reiterstatue für Ludwig XIV.
Abb. 36
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Detail aus Abb. 35.
maßgeblich daraus, daß Berninis Reiterfigur inzwischen einem konkurrierenden Projekt gegenüberstand. Denn im Frühjahr 1685 setzten die Planungen für die Errichtung eines neuen Reiterdenkmals nach dem Entwurf von Fran5ois Girardon für die Place Louis-leGrand (Place Vendome) ein, das auch eine Modellfunktion bei der Ausstattung der jeweiligen Places Royales in den Provinzen übernahm. Wie bereits angedeutet, dürfte die Entfernung von Berninis Statue aus der Hauptstadt auf die Einflußnahme von Louvois zurückgehen. Der Surintendant war es auch, der in einflußreicher Position das Vorhaben der Place Royale in Paris betrieb, mit dessen Platzbebauung Jules Hardouin-Mansart und mit dessen Figurenausstattung Girardon betraut wurden224. Im März 1685 trat Louvois in Verhandlungen um den Grundstücksankauf, zwei Monate später wurde mit Ludwig XIV. die Gesamtdisposition der Platzanlage abgespro-
224
Zur Place Vendome Rochelle Ziskin, T h e Place des N o s Conquetes and the unraveling of the myth of Louis X I V , in: Art Bulletin 7 6 , 1 9 9 6 , p. 1 4 7 - 1 6 2 ; dies., T h e Place Vendöme. Architecture and social mobility in eighteenth-century Paris, Cambridge Mass. 1999; zu den Places Royales maßgeblich die neueren Monographien von Richard Cleary, T h e Place Royale and Urban Design in the Ancien Regime, Cambridge Mass. 1999 und Köstler, 2003. Instruktiv aus historischer Sicht J o h a n nes Huber, Selbstdarstellung und Propaganda. Zum Verhältnis von Geschichte, Inhalt und Wirkung des zerstörten Reiterstandbildes Ludwigs XIV. von Francois Girardon, Diss. Zürich 1993.
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II. Die Berufung von Bernini nach Frankreich
chen. Während die Randbebauung, dem bereits unter Heinrich IV. etablierten Modell folgend, von privaten Eigentümern finanziert wurde, ging das Monument auf der Platzmitte auf einen Auftrag des Hofes zurück. Das 1692 gegossene, 1699 enthüllte und im Zuge der Revolution zerstörte Denkmal Girardons (Abb. 37-38) schließt in direkter dynastischer Folge an die Tradition der Bourbonen-Denkmäler in Paris an. Für den Großvater Ludwigs XIV. war das von Giambologna entworfene, von Pietro Tacca und Pietro Francavilla vollendete Reitermonument 1614 auf dem Pont Neuf errichtet worden (Abb. 6). Für das Denkmal Ludwigs X I I I . auf der Place des Vosges wurde der Reiter zu einer Pferdefigur geschaffen, die von Daniele da Volterra nach einem Entwurf Michelangelos ursprünglich für ein Monument Heinrichs II. (Abb. 5) ausgeführt und von Richelieu 1622 aus R o m erworben worden war 225 . Der Typus der italienischen Importe blieb auch für Girardon verbindlich. Er geht auf das Vorbild der Statue des Marc Aurel zurück, die 1538 im Rahmen der Planungen Michelangelos auf das Kapitol gelangt war. Ihm folgt auch die 1587 für die Piazza della Signoria in Florenz bei Giambologna in Auftrag gegebene Reiterstatue Cosimos I de'Medici, mit der am Ende des 16. Jahrhunderts die Geschichte des fürstlichen Reiterdenkmals in der Frühen Neuzeit beginnt 226 . Nachdem weder die Reiterfigur auf der Ostfassade des Louvre noch diejenige auf dem Triumphbogen der Place du Tröne ausgeführt und auch das Louvredenkmal von Le Brun mit dem Tod Colberts 1683 aufgegeben worden war 227 , wurde Ludwig XIV. in der Hauptstadt erstmals durch Girardons Reiterdenkmal auf der Place Royale in diesem Denkmaltypus gewürdigt. Fortgeführt wurde damit aber auch das Prinzip der Entwurfseinheit von Reitermonument und Platzanlage. Erstmalig hatte Michelangelo ein als antike Spolie wiederverwendetes Denkmal zum Ausgangspunkt eines Platzentwurfes gemacht. Bemerkenswerterweise fand diese Konzeption in Italien, wo die Monumente stets in historisch gewachsene Platzanlagen integriert wurden, keine unmittelbare Nachfolge mehr. Sie blieb Paris mit der Place Dauphine und auch Madrid mit der wenig später entstandenen Plaza Mayor vorbehalten. Sowohl im Typus der Pferdefigur als auch im Entwurf des Sockels schließt Girardon an die genannten italienischen Vorbilder an. Antikisierende Elemente nehmen als Umformungen Eigenarten der Marc Aurel-Statue auf: Zum Paludamentum kommt die Rüstung mit Muskelpanzer hinzu, der adventus-Gestus des Reiters auf dem Kapitol ist durch eine Befehlsgeste ersetzt. Möglicherweise in Kenntnis der Farnese-Denkmäler in Piacenza von Francesco Mochi, an denen sich ein verwandter Vorgang der Umdeutung beobachten läßt, bewahrt Girardon so ein militärisches Gepräge der Figur unter Verzicht auf Kommandostab und zeitgenössische Rüstung, die als Attribute die Befehlsgewalt bei den älteren Denkmälern italienischer Provenienz vorherrschen. Girardon schlägt damit den Weg eines Kompromisses ein, der es ihm ermöglicht, die Aufrüstung des Reiters und die Hervorhebung seines militärischen Rangs mit der augenscheinlich intendierten Nähe zur Statue des Marc Aurel zu verbinden.
225 Vgl. Ballon, 1997, bes. p. 124 f.; Antonia Boström, Daniele da Volterra and the Equestrian Monument of Henry II of France, in: Burlington Magazine 137, 1995, p. 809-820. 226 Vgl. hierzu Erben, 1996a. 227 Hierzu Peter Volk, Darstellungen Ludwigs XIV. auf steigendem Pferd, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 28,1966, p. 61-90, hier p. 63 f.; Souchal, 1981, Bd. II, p. 47 f.; Weber, 1985, p. 190-192.
4. Die Rezeption von Berninis Porträtbüste und Reiter statue für Ludwig XIV.
Abb. 37
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Ansicht der Place Royale in Paris. Almanachblatt von 1703 zur Einweihung des Platzes. Paris, Bibliotheque Nationale.
Für die Vorbildlichkeit der antiken Reiterstatue auf dem Kapitol und deren italienische Nachfolger aus den Jahrzehnten um 1600 wurde von verschiedener Seite mit Nachdruck plädiert. Louvois gab gleichzeitig mit den ersten Planungsschritten für die Place Royale im März 1685 einen Abguß des Marc Aurel in Auftrag, der anscheinend für Girardon bestimmt war. Die Tatsache, daß der Abguß bereits im Juni nach Frankreich verschifft wurde, zeigt die Dringlichkeit, mit der man in Paris das Werk erwartete 228 . Frangois Lemee erinnert in seinem Statuentraktat daran, daß die Nachahmung der antiken Reiterfigur in Frankreich mit der Statue für Heinrich II. eingesetzt habe. Nachdem diese aber unvollendet 228 Zum Auftrag Rousset, Bd. I I I , 1863, p. 537; zum Abtransport Bertolotti, 1886, p. 182; zur Bezahlung des Abgusses über die Academie de France a R o m e im Juli 1686 A N , O 1 1945, Nr. 5.
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II. Die Berufung von Bernini nach Frankreich
Abb. 38
Francois Girardon: Reiterstatuette Ludwigs XIV., 1685. Paris, Musee du Louvre.
geblieben ist, bleibt dem Autor nur der Hinweis auf das Denkmal Cosimos in Florenz 2 2 9 . E r konnte sich dabei auf den Statuentraktat des Edmundus Frigelius berufen, der im Kapitel über die antike Reiterstatue festgestellt hatte: Necque hujus decoris expers Gallia est.2}0 Robert de Cotte (1657-1735) hat auf seiner Italienreise 1689 den Sockel des Marc Aurel gezeichnet und in Florenz auch das Denkmal Cosimos in Augenschein genommen. D e Cotte war vom Werk Giambolognas zwar enttäuscht, die Erwartungshaltung, in der er dem Standbild gegenübertrat, belegt aber den geradezu normativen Rang, der dem Florentiner Monument in Frankreich zugemessen wurde 231 . D e Cottes Äußerung über Berninis Konstantinsmonument in Sankt Peter ist hingegen gänzlich ungetrübt von abwägendem Raisonnement, wenn er unumwunden feststellt: Ily aun statu esquestre de Constantin sur
unpied destaille, le tout de marbre, c'est une des plus mauvaisse ouvrage que le Bernin est faite,232
Mit der Gegenüberstellung des Marc Aurel und des Reiterdenkmals in Florenz auf
229 Lemee, 1688, p. 70 f. 230 Frigelius, 1656, p. 160 f. 231 De Cotte, Ed. 1966, p. 166: Vis-a-vis l'on voit la statu esquestre de Comme de Midicis sur unpied destaille arondi par deux bouts, peu εΙΙενέ et trop petit, aveq des armes et bareliefs autour; cette ouvrage ne me toucha pas comme je me l'estois imagine. Le cheval me paru grossier. Zum Marc Aurel a.a.O., p. 186. 232 De Cotte, Ed. 1966, p. 174 f.
4. Die Rezeption von Berninis Porträtbüste und Reiterstatue für Ludwig XIV.
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der einen und Berninis Konstantin auf der anderen Seite projiziert De Cotte im Grunde einen typologischen Konflikt nach Italien zurück, der in Frankreich mit den Reitermonumenten von Bernini und Girardon ausgetragen worden war. Auch im römischen Künstlermilieu war die Entscheidung bereits gefallen. Nach der Enthüllung des Reiterdenkmals in Sankt Peter 1670 wurde eine anonyme Invektive gegen Bernini abgefaßt233. Der Autor bezichtigt Bernini des Dekorumsverstoßes bei der Darstellung eines antiken Imperators. Der Reiter gleiche eher einem Barone di Campodifiore che d'un Imperatore di Campidoglio (fol. llr-v). In seiner Ikonographie sei das Denkmal fragwürdig, denn man wisse nicht, ob der Reiter gerade die Stigmata empfange wie der hl. Franziskus (fol. 3v). Ganz so, als hätte Bernini noch nie etwas von der Erfindung des Zügels gehört, befinde sich der Reiter in großer Verwirrung. Dagegen wisse der Reiter auf dem Kapitol sein Pferd sogar ohne Sporen nur mit dem Halfter zu führen (fol. 4v). Beim Pferd habe sich der Künstler einen Centaur zum Vorbild genommen und ihn zum Fliegen gebracht (fol. 12). Das Tier gleiche einem Cavallo arrabiato di fame veduto qualche fogliaggio (fol. 14v). Der diluvio di errori (fol. 17), der über Bernini bei der Gestaltung des Monuments hereingebrochen sei, begründet sich nach Meinung des Anonymus aus dem Bruch des Künstlers mit der bisherigen Tradition des Reiterdenkmals, die ihre Verbindlichkeit für die Herrscherrepräsentation unter Beweis gestellt und ihre Gültigkeit durch das Modell des Marc Aurel und die Gruppe der Reitermonumente Florentiner Provenienz bestätigt habe. Pietro Taccas Monument Philipps IV. von Spanien, mit dem 1642 erstmals eine Pferdefigur in steigender Haltung zur öffentlichen Aufstellung gelangte, belegt für den Autor die positive Wandlungsfähigkeit der Tradition (fol. 16-17). Gegen Ende seiner Invektive konstatiert er, daß Ludwig XIV. mit dem geplanten Königsmonument Berninis gegenüber den in Spanien verwirklichten Herrscherdenkmälern ins Hintertreffen geraten werde (fol. 18). Die Polemik kennzeichnet einen allgemeinen Stimmungswandel in der Berninirezeption. Dem rüden Ton der Invektive steht das Schweigen von Giovanni Pietro Bellori gegenüber, der in seinen gleichzeitig entstandenen Viten Bernini ignorierte. Sowohl mit seiner Konstantins- als auch mit seiner Ludwigstatue hat Bernini einen Traditionsbruch vollzogen. So wie er deshalb in Rom angegriffen wurde, hat man ihm dies auch in Paris zum Vorwurf gemacht. Dort bestand ein breiter Konsens über die als angemessen erachtete Form der Herrscherdarstellung, der von den Künstlern, Gelehrten, dem Surintendant und schließlich auch von Ludwig XIV. selbst geteilt wurde. Colbert hatte Bernini zu einer künstlerischen Neufassung der Denkmalaufgabe ermutigt und ihn damit gleichsam ins Leere laufen lassen. Denn als in Paris dann über einen verbindlichen Typus des Reiterdenkmals nachgedacht wurde, hat man seine Lösung der Herrscherdarstellung geächtet. Girardons Monument auf der Place Louis-le-Grand war nicht nur als Prototyp für die Hauptstadt gedacht, sondern auch als Modell für eine Denkmalkampagne in den Provinzen. Auf die Gefahr, daß diese Normsetzung durch einen Gegenentwurf von der hauptstädtischen Öffentlichkeit in Frage gestellt werden könnte, reagierte man von Seiten 233 Die Invektive wurde bislang keiner kritischen Würdigung unterzogen; bereits von Fraschetti in dessen Bernini-Monographie genannt, wurden kurze Auszüge von Giovanni Previtali, Ii Costantino messo alia berlina ο bernina su la Porta di San Pietro, in: Paragone 13, no. 145, 1962, p. 55-58 veröffentlicht. Im folgenden wird nach der Handschrift zitiert: BAV, Barb. lat. 4331: Ii Costantino Messo alia Berlina ö Bernina Sit la Porta di San' Pietro.
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II. Die Berufung von Bernini nach
Frankreich
der Kunstadministration durch Ausgrenzung. Der Reiter Berninis wurde in die Sphäre der Parkdekoration entlassen. Insgesamt erweisen sich die Berufung Berninis nach Paris, sein dortiger Aufenthalt und seine künstlerische Hinterlassenschaft der Louvre-Entwürfe, der Königsbüste und des Reitermonuments als unterschiedliche Etappen einer Kulturbegegnung zwischen Paris und Rom. Es greift zu kurz, den Frankreichaufenthalt Berninis als bloßes Scheitern zu klassifizieren. Dies verschleiert die Chronologie der Vorgänge, verstellt den Blick auf die höchst vielfältigen Interessen der beteiligten Protagonisten und verkennt vor allem die produktiven Spannungen von Entwurf und Gegenentwurf. Bernini wurde vom französischen Hof mit den prominentesten Aufgaben der monarchischen Repräsentation betraut. Auf diese hohen Erwartungen antwortete er mit einem künstlerischen Bild von Ludwig XIV., dem er in den unterschiedlichen Gattungen von Architektur und Skulptur gemeinsame Züge zu geben vermochte. Im steten Rekurs auf die Allegorie stellt sich sein Bild vom Monarchen als Zeugnis einer künstlerischen Eigenleistung dar. Sie war weder von Ludwig XIV., noch von den Verantwortlichen innerhalb der Kunstadministration, noch von den Hofkünstlern selbst erwünscht. Ein Grund für diese Verweigerung ist in den sich wandelnden Erfahrungen gegenüber den Repräsentationsaufgaben und deren Anpassung an immer wieder neu gestellte Erwartungen zu sehen. Die Absage an Berninis Louvreentwurf beruht nicht auf einem vermeintlichen Bekenntnis zum französischen Klassizismus, sondern auf der Neudefinition der Bauaufgabe im Zuge des Kriegsgeschehens. Die Hauptfassade der Residenz entstand aus der Situation des Eroberungszuges und steht dafür mit einer dezidiert universalistischen Programmatik ein. Ihr folgte auch Jean Varin mit seiner gegen Bernini gerichteten Büste, zugleich bekannte sich der Bildhauer offen zu einem vom König selbst autorisierten Darstellungstypus. In ähnlicher Weise ist später über Berninis Reitermonument die Zeit hinweggegangen. In Paris nahm man ein künstlerisches Unikat entgegen, während der Entwurf des Typenvorbilds für eine nationale Statuenkampagne auf der Tagesordnung stand. Dabei waren diese Projekte der Hofkunst für alle Beteiligten nur als kollektive Leistungen denkbar, die ihrerseits auf einer gemeinschaftlich erarbeiteten Planung beruhten. Es wurde nun auch in den Künsten einer Produktionsform zur Durchsetzung verholfen, die sich seit dem frühen 17. Jahrhundert vor allem in wissenschaftlichen Gesellschaften und Akademien angekündigt hatte234. Gegenüber Bernini eröffnete sich hier ein tiefgreifender Dissens im Hinblick auf das Selbstverständnis des Künstlers. Er wurde unübersehbar bei der Planungsverantwortung für den Louvre. Als Bernini zum Zeugnis seiner Autorschaft auf der Grundsteininschrift des Louvre genannt sein wollte und diesen Wunsch mit den römischen Gepflogenheiten begründete, wurde ihm dies verwehrt235. Dann hat man den Entwurf einem Planungsgremium übertragen, dessen Mitglieder auf die Wahrung ihrer Anonymität verpflichtet wurden. Beide Seiten hatten ein völlig unterschiedliches Verständnis von der Hierarchie zwischen Auftraggeber und Künstler. Mattia de'Rossi sprach sicher im Sinn Berninis, wenn er 2 3 4 Zur kollektiven Produktion und zum Habitus der Einmütigkeit unter den Gelehrten in Abgrenzung zur Streitkultur an den Universitäten Steven Shapin, Die wissenschaftliche Revolution (engl. 1996), Frankfurt a.M. 1998, p. 1 5 1 - 1 5 7 ; zum regelrechten Zwang zur Einstimmigkeit in königlichen Räten auch Cosandey/Descimon, 2002, p. 144 f. 235 Chantelou, Ed. 2001, p. 2 5 4 (12. O k t . 1665).
4. Die Rezeption von Berninis Porträtbüste und Reiterstatue für Ludwig XIV.
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im Hinblick auf die Büste Ludwigs XIV. den gleichen Rang von Dargestelltem und Bildhauer in Anspruch nimmt: Ii retratto di marmo il quale veramente riescie molto simile e hello, degno di chi lö fafare e di chi löfaP6 In einem späteren Brief stellt er sich dann ganz auf die Seite des Künstlers. Die Büste rufe den Beifall der ganzen Welt hervor und sei das Bildnis di un si gran monarca che veramente meritava un opera di mano del Signore Cavaliere.li? Colbert ließ hingegen an der umgekehrten Rangfolge von Auftraggeber und Künstler keinen Zweifel. Für ihn beruht künstlerischer Erfolg auf dem Rang des Auftrags. In diesem Sinn ließ er Bernini wissen, sein Reiterdenkmal des Königs fera connoistre en ce Royaume pour un long temps vostre vertu, puisque par ce grand ouvrage vous l'attachez a celle du plus grand Roy que le plus florissant Royaume de la Crestiente ayt jamais eu.m Die divergierende Bewertung der Autorität des Künstlers war gleichzeitig überlagert von der Kontroverse um künstlerische fantasia und planerische raison. Gegenüber Chantelou betonte Bernini mehrfach die Bedeutung der fantasia für das künstlerische Schaffen, sie wurde ihm von Charles Perrault gelegentlich als unproduktives sentiment ausgelegt239. Auch in seinen Memoiren hat Perrault gegen das Vertrauen Berninis auf seine künstlerische Inspiration polemisiert und dabei auch die Gegenposition charakterisiert. Er wirft Bernini vor, dieser suche stets die Illusion als Theatermensch, M. Colhert, au contraire, vouloit de la precision.™ Das Stichwort bezeichnet eine konstante Erwartungshaltung Colberts, die in seinen Memoranden am deutlichsten zum Ausdruck kommt241. Der Surintendant verlangte eine über die Vernunft kontrollierte künstlerische Umsetzung von Planungsprämissen. Das wechselseitig zum Ausdruck gebrachte Kunst- und Künstlerverständnis markiert eine Differenz, die nicht überbrückbar und im Grunde auch nicht zu vermitteln war. Sie brachte die Projekte Berninis nicht zu Fall, wirkte aber - oftmals nur als Atmosphäre gegenseitigen Mißverständnisses wahrgenommen - als Katalysator für deren Ablehnung. Diese Wirkung gilt wohl auch für die Monate unmittelbar nach der Abreise Berninis. Denn als die Gründung der französischen Akademie in Rom in die Tat umgesetzt wurde, war sie nicht nur aus dem Planungsanspruch bei der Künstlerausbildung motiviert, sondern beruhte auch auf der Einsicht, daß das traditionelle Mittel der Künstlerberufung bei der Ausgestaltung der Kunstbeziehungen versagt hatte.
236 237 238 239
B N , Ms. italien 2083, p. 141-142 (Brief vom 14. Aug. 1665). A.a.O., p. 307-309 (Brief vom Sept. 1665). A.a.O., p. 251 (Colbert an Bernini am 28. Okt. 1673); eine italienische Ubersetzung a.a.O., p. 239. Chantelou, Ed. 2001, p. 293 f.; weitere Belegstellen p. 63 f., 74, 86, 130, 176, 201 f., 249. Zur Differenz des Künstlerbildes auch Bauer, 1992. 240 Perrault, Ed. 1993, p. 162. 241 Vgl. insbesondere das zweite Memorandum zum Louvre; Colbert, Bd. V, p. 258-265; sowie das Schreiben an Poussin von 1665; Perrault, Ed. 1993, p. 150.
III. Die Academie de France ä Rome
Die Gründung einer künstlerischen Ausbildungs- und Atelierniederlassung außerhalb der Grenzen des eigenen Landes war in der Geschichte akademischer Institutionen ein Novum. Weder die Voraussetzungen und die Motive, die der Einrichtung der Academie de France ä Rome bis zur Dekretierung der Statuten im Februar 1666 zugrunde lagen, noch der genaue Zeitpunkt der Genese dieser Idee sind hinreichend untersucht 1 . Zudem wirkte das Mißverständnis nachhaltig fort, es handle sich bei der Academie de France ä Rome um eine Zweigstelle der 1648 gegründeten Academie de Peinture et de Sculpture in Paris2. Letztere spielte im Gefüge der dortigen Institutionen jedoch für die römische Akademie nur eine organisatorisch flankierende Rolle. Denn die Gründungsidee für die Academie de France ä Rome ging nicht aus der Pariser Akademie, sondern aus dem Kreis der Berater um Colbert hervor. Die römische Gründung war eine Einrichtung, die dem Surintendant des Bätiments untergeordnet war. Darauf verweisen nicht nur ihre Entstehungsgeschichte und die Verantwortung der Baubehörde für die Verwaltung, sondern auch die Erwartungen und Anforderungen, die von Paris an die Akademie in Rom gestellt wurden. Während sich bei der Pariser Kunstakademie die Vereinnahmung durch die Krone erst in einem anderthalb Jahrzehnte dauernden Prozeß vollzogen hat, der 1664 mit der Ernennung von Colbert zum Surintendant des Bätiments als abgeschlossen betrachtet werden kann, war die Grün-
1 Archivalische Grundlagen der Akademiegeschichte sind die erst 1685 einsetzende Korrespondenz der Direktoren mit den Surintendants des Bätiments in Paris, die Haushaltsrechnungen sowie ein weiteres Konvolut, die in den Archives Nationales aufbewahrt werden. A N , O 1 1935-1963: O 1 1935 (Sammlung von Statuten, Gebäudeplänen u.a.); O 1 1936 (Korrespondenz 1685-1699); O 1 1937 (Korrespondenz 1699-1714); O 1 1 9 5 3 (Korrespondenz 1715-1728 in zeitgenössischen Abschriften); 0 1 1945 (Comptes 1666-1694); O 1 1946 (Comptes 1695-1725). Die Korrespondenz wurde vollständig von A. de Montaiglon ediert und um weitere Quellen ergänzt, vgl. C D ; nicht eingearbeitet wurden allerdings die Rechnungen. Auf der Korrespondenz beruht die Monographie von Lapauze, 1924, deren Wert vor allem in der Darstellung der Akademiegeschichte im 19. Jahrhundert beruht. Sie wurde von Jean-Paul Alaux, Academie de France a Rome. Ses directeurs, ses pensionnaires, 2 Bde., Paris 1933 in summarischer F o r m ausgeschrieben. Eine Edition der Akten ab 1795 wurde 1979 begonnen, vgl. Brunei, 1979. 2 Pevsner, 1986, p. 106; diese Perspektive bestimmt die Darstellung von Smith, der mehrfach die römische Akademie als eine „satellite institution" der Pariser Akademie bezeichnet; Smith, 1993, bes. p. 8f., 13, 157, 216, 221; implizit auch noch bei Heinrich, 1993, p. 65 f. und Duro, 1997, p. 52-54.
138
III. Die Academie de France a Rome
dung der Academie de France ä Rome von Anfang an ein Unternehmen der königlichen Kunstadministration.
1. Die Gründungsphase: Voraussetzungen und Interessen Den frühesten Beleg für den Gedanken, französische Künstler bei ihrem Studienaufenthalt in Rom an eine feste Einrichtung zu binden, stellt das von Charles Perrault im Auftrag Colberts zu Beginn des Jahres 1664 an Nicolas Poussin adressierte Briefkonzept dar. Perrault begründet die Gründungsabsicht aus der Tradition der Gewährung von Stipendien zu Studienaufenthalten in Rom, wie sie von der Academie de Peinture et de Sculpture in Paris vergeben wurden. Der König habe die Absicht, jährlich eine gewisse Zahl von Schülern zu entsenden, die sich einen Aufenthalt in Rom nicht selbst leisten können oder diese Gelegenheit nicht von sich aus wahrnehmen. Pädagogischer Zweck sei das Studium der Originale und Vorbilder aus der Antike und der neueren Kunst, das jedoch der kontinuierlichen Anleitung durch einen excellent maitre bedürfe. Poussin wird aufgefordert, die Stelle des Gründungsdirektors der neuen Institution zu übernehmen. Ein Wechsel für sein erstes Gehalt, dessen Zusendung mit der Depesche beabsichtigt ist, soll dieser Verpflichtung Nachdruck verleihen.3 Mit der regelmäßigen Entsendung von Pensionären, der Einrichtung einer festen Direktorenstelle und einer kontinuierlichen Lehr- und Unterhaltsverpflichtung zielten die Anweisungen darauf, eine von der Pariser Kunstakademie unabhängige Ausbildungsinstitution zu schaffen. Beide Akademien waren über das Auswahlverfahren der Pensionäre miteinander verbunden. Bemerkenswert ist aber, daß sich zwar in den Gründungsstatuten der Pariser Kunstakademie von 1648 und deren revidierter Fassung von 1655 Regelungen zur Vergabe von Rom-Preisen als Bestandteil des Ausbildungsgangs finden. Sie sehen jedoch nur in pauschaler Form einen Studienaufenthalt vor, der von den Preisträgern selbständig organisiert werden soll. Dies gilt auch noch für die gegen Ende des Jahres 1663 von Colbert initiierte, im Mai 1664 vom Parlament angenommene Satzung 4 . Als im September 1664 drei Preise von der Pariser Kunstakademie vergeben wurden, stand dies noch nicht in Zusammenhang mit der Akademiegründung in Rom 5 , sondern folgte der älteren Praxis der Preisauszeichnung. Nach den Protokollen wurde den Malern Pierre Monnier und Jean-Baptiste Corneille d.J. sowie dem Bildhauer Leonard Roger in Aussicht gestellt, que le Roy leur donnern pension pour aller a Rome, quand l'Academie le jugera ä propos.6 Die Absicht einer Akademiegründung in Rom blieb zunächst ein bloßes Vorhaben. Der von Perrault entworfene Brief an Poussin wurde von Colbert nicht unterzeichnet und niemals abgeschickt7. Im November 1664 wurden die genannten Maler mit Rom-Preisen ausgezeichnet, ohne daß bei der Preisvergabe eine französische Ausbildungsstätte in Rom 3 Perrault, Ed. 1993, p. 151 f.; siehe auch oben, Kap. 11,1 bei Anm. 34. 4 Abdruck der Statuten vom Februar 1648, vom Dezember 1654 (registriert am 23. Juni 1655) und vom Dezember 1663 (registriert am 14. Mai 1664) in PV, Bd. I, p. 7-10, 82-84, 250-258. 5 I.d.S. hingegen Lapauze, 1924, Bd. I, p. 3f. 6 PV, Bd. I, p. 266, vgl. auch p. 271, 273. Monnier ist bereits im Juli 1665 in R o m nachweisbar, Bousquet, 1953, p. 136. 7 Perrault, Ed. 1993, p. 152.
1. Die
Gründungsphase
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Erwähnung findet8. Erst während des Aufenthaltes von Bernini in Paris wurde neuerlich über das Projekt geredet. Colbert verlieh bei einer Begegnung am 5. Juli 1665 in SaintGermain-en-Laye einmal mehr dem Willen Ludwigs XIV. Ausdruck, die Künste im Königreich zur Blüte zu führen. Daher wolle er das Studium junger Künstler in Rom unterstützen. Es sei geplant, eine feste Niederlassung zu beziehen, zu deren Leiter der Maler Charles Errard ernannt worden sei9. So hatte man sich in Paris gegen Poussin als Gründungsdirektor der Akademie bereits einige Monate vor dessen Tod am 19. November 1665 entschieden. Bernini gab die Zusage, an der Akademie zu unterrichten. Er favorisierte dabei eine Unterrichtsmethode, bei der für die Stipendiaten der Ausarbeitung eigener Entwürfe wenigstens der gleiche Stellenwert wie der Kopiertätigkeit nach Vorlagen zukommen müsse10. Er machte damit auf das grundsätzliche Problem einer auf die Kopie fixierten, akademischen Lehrauffassung aufmerksam, das sich für die Neugründung in Rom über Jahrzehnte hinweg als Hypothek erwies. Die am 11. Februar 1666 erlassenen Statuten der Academie de France ä Rome stellen sich als ein Dokument der Disziplinierung dar11. Die insgesamt sechzehn Paragraphen folgen einer eher sprunghaften, unsystematischen inhaltlichen Anordnung. Die Anzahl der Stipendiaten wird auf zwölf Künstler - sechs Maler, vier Bildhauer und zwei Architekten französischer Herkunft und katholischen Glaubens festgelegt, die dem Direktor zum Gehorsam verpflichtet sind (§ I). Bei der Vergabe der Stipendien werden in Absprache des Direktors mit dem Surintendant des Bätiments Preisträger der Pariser Kunstakademie bevorzugt (§ V). Der Direktor ist dem Surintendant zur Rechenschaft verpflichtet (§ XVI). Es ist vorgesehen, an der angemieteten Niederlassung der Akademie das Wappen des Königs mit einer zum Zeitpunkt des Erlasses der Statuten noch nicht entworfenen Inschrift anzubringen (§ II). Ein Drittel der Paragraphen reglementiert die Aufrechterhaltung der Ordnung innerhalb der Akademie unter Strafe des Ausschlusses: Die Einhaltung religiöser Gebote (§ II); die Pflicht zu wechselseitigem Einvernehmen unter den Stipendiaten (§ IV); die Einnahme gemeinsamer Mahlzeiten, bei denen aus historischen Schriften vorgelesen werden soll (§ VI); die Einhaltung einer festen Stundeneinteilung im Tagesablauf (§ VII); die Gewährung eines arbeitsfreien Tages in der Woche (§ XIII). Ein weiteres Drittel der Paragraphen bezieht sich auf das Lehrprogramm. Vorgesehen ist der tägliche Unterricht in den mathematischen Fächern, in der Architektur (§ VIII) und in anatomischen Sektionen während der Wintermonate (§ IX). Zum Zeichnen nach dem Aktmodell sind neben den Stipendiaten auch auswärtige Künstler zugelassen (§ XIV). Das Kernstück der Statuten bilden jene Paragraphen, in denen das künstlerische Lehrprogramm umschrieben wird. Dem Direktor kommen hierbei ausschließliche Vollmachten zu: Er erteilt Aufträge und Ratschläge für sämtliche Arbeiten der Stipendiaten (§ X ) und überwacht deren Ausführung inner- und außerhalb der Akademie. Durch Vorschlagsrecht entscheidet er letztlich über die Vergabe
8 PV, Bd. I, p. 273. 9 Chantelou, Ed. 2001, p. 69 (5. Juli 1665). 10 Ebd., vgl. auch a.a.O., p. 77 (15. Juli 1665). Zu den Lehrabsichten Berninis an der Akademie auch die Briefe Mattia de'Rossis sowie die Korrespondenz zwischen Bernini und Colbert; B N , Ms. Italien 2083, p. 211-214 (De'Rossi am 10. Juli 1665); p. 279-280 (Colbert an Bernini am 1. Jan. 1666); p. 187 (Colbert an Bernini am 11. März 1667). 11 Eine Abschrift findet sich in AN, O 1 1935; Abdruck der Statuten in C D , Bd. I, p. 8-11 sowie in Colbert, Bd. V, p. 510-511.
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III. Die Academie de France ä Rome
eines jährlich zu verleihenden Akademiepreises (§ X V ) . Im ausführlichsten Abschnitt (§ X I ) werden die Anforderungen an die Pensionäre sowie die uneingeschränkte Stellung des Direktors aus deren gemeinsamer Verpflichtung gegenüber dem König begründet. Die traditionelle Praxis des selbständigen Studienaufenthalts in Rom wird verworfen, da die jungen Künstler durch Arbeiten für andere Auftraggeber vom Studium der bonnes choses qui doivent former leur genie abgehalten würden. Als Gegenleistung für die Ehre der Förderung als Pensionär wird daher eingefordert, nur Arbeiten für den König auszuführen. Sie werden für die Maler als copies de tous les beaux tableaux qui seront a Rome, für die Bildhauer als Kopien nach antiken Statuen und für die Architekten als Bauaufnahmen de tous
les beaux palais et edifices, tant de Rome que des environs bestimmt.
Im Kontext ihres Entstehungszusammenhangs sind die Statuten vom Februar 1666 in ihrem Gehalt reicher, als es zunächst den Anschein hat. Mit der strengen Reglementierung des Lebenswandels der Stipendiaten, der unnachgiebigen Verpflichtung auf den Dienst für den König und der eindeutigen Beschränkung der künstlerischen Lehrinhalte auf die Reproduktion von Vorbildern sind sie von einem rigorosen Pragmatismus gekennzeichnet. Er läßt sich bei Colbert und dessen Umkreis in ähnlicher Form und mit verwandten Zielsetzungen belegen. Soweit ersichtlich, waren Mitglieder der Pariser Kunstakademie an der Abfassung der Statuten nicht beteiligt 12 . Wahrscheinlich wurde diese Aufgabe von Colbert dem Petit Conseil übertragen. Es erscheint als fraglich, ob dem Kunstausschuß andere Akademiestatuten für diese Arbeit vorlagen. So erweisen sich die Bezüge zu den Statuten der römischen Accademia di San Luca oder zu den Satzungen der Pariser Akademie als bestenfalls marginal. Auch dort wird zwar der christliche Lebenswandel ihrer Mitglieder sowie die Gehorsamspflicht gegenüber dem Direktor hervorgehoben, die Modalitäten der Aufnahme wie auch die Inhalte des Lehrprogramms sind jedoch ungleich weiter gesteckt 13 . Die Statuten der Neugründung in Rom reagierten freilich auch auf andere Anforderungen als die der traditionellen Akademien. Denn sie hatten zu den didaktischen und administrativen Richtlinien für einen zeitweiligen Lehrbetrieb zusätzlich eine Hausordnung für Mitglieder der Akademie bereitzustellen, die auch in der Niederlassung wohnten. Diese Eigenart rückt die Statuten in deutliche Nähe zu zeitgenössischen Schulordnungen. Die Probleme des Bildungswesens standen in der Administration Colberts im Jahr der Akademiegründung in Rom auf der Tagesordnung, als eine Enquete zur Reform der Schulerziehung vorbereitet wurde. In den Schulordnungen finden sich nicht nur die einzelnen Regelungen wie die Aufsichtsgewalt des Direktors, die Fixierung der Tageseinteilung, die Geschichtslektionen während der Mahlzeiten oder das Gebot der Eintracht der verschiedenen Schülerjahrgänge vorformuliert. Auch die pädagogischen Grundsätze haben in den Schulordnungen Entsprechungen. Verwandt ist die grundsätzliche Tendenz zu Traditionalismus und Konformität, die in der Einübung eines fixierten Bildungskanons zum Ausdruck kommt 14 . War das Lernen am Vorbild in der Schule jedoch eher ein Mittel zum
12 In den Protokollen der Akademie kommt während des einschlägigen Zeitraums von Herbst 1665 bis Anfang 1666 die Redaktion der Statuten nicht zur Sprache, sie wurden am 6. März 1666 der Akademie zur Kenntnisnahme vorgelegt; PV, Bd. I, p. 300 f. 13 Zu den Statuten der Academie de Peinture et de Sculpture siehe oben, Anm. 4. 14 Vgl. Roger Chartier/Marie-Madeleine Compere/Dominique Julia, L'Education en France du X V I e au XVIII e siecle, Paris 1976, bes. p. 1 1 4 - 1 2 6 und Georges Snyders, L a pedagogie en France au XVII e et au XVIII e siecles, Paris 1965, bes. p. 3 5 - 8 3 ; allgemein zu den Schulordnungen Wilhelm Kühl-
1. Die Gründungsphase
141
Zweck des Gedächtnistrainings, so hat es sich als Lernziel im akademischen Lehrprogramm weitgehend verselbständigt. Im Hinblick auf die Disziplinarmaßnahmen antworten die Statuten allerdings auch auf die besonderen Gegebenheiten des künstlerischen Milieus in R o m . So müssen vor allem die exzentrischen Lebensformen der in R o m tätigen niederländischen Künstler den Widerwillen bei den für die Statuten Verantwortlichen provoziert haben. Giovanni Battista Passeri gibt in der Vita Bamboccios eine eindrückliche Beschreibung des Aufnahmerituals der 1623 gegründeten Schildersbent. Das als novitio titulierte neue Mitglied der Künstlervereinigung wurde bei einer festa del Battesimo aus der Taufe gehoben, die als ein mehrtägiges Bacchanal gefeiert wurde 15 . Sowohl das Aufnahmeritual, das 1669 vom Papst - anscheinend ohne nachhaltigen Erfolg - verboten wurde, als auch die ohne besonderen Anlaß von den Bentvueghels gefeierten Zechgelage waren weit mehr als besinnungslose Exzesse. Denn einerseits war ostentativer Alkoholkonsum als Ausdruck einer ehrenhaften Bewirtung fester Bestandteil der vor allem nördlich der Alpen verbreiteten Trinksitten. Andererseits richtete sich die bacchantische Parodie der Bentvueghels nicht nur gegen liturgische Rituale der Kirche und gegen altehrwürdige Zeremonien, sondern persiflierte auch das immer mehr formalisierte Aufnahmezeremoniell der Accademia di San Luca 16 . Vor diesem Hintergrund wird in den Statuten der Academie de France eine doppelte Intention ablesbar: Sie sollten die Stipendiaten aus dem mißliebigen Umfeld künstlerischer Freizügigkeit isolieren. Zugleich dienten sie dazu, die Institution an das Procedere akademischer Aufnahmeverfahren und Unterrichtsformen zu binden. Die Neugründung in R o m fällt in das Jahrzehnt einer bemerkenswerten Offensive auf dem Feld der Akademiepolitik. Nahezu alle Bereiche der künstlerischen, handwerklichen und wissenschaftlichen Aktivitäten wurden in neuer Weise institutionalisiert. Im Hinblick auf die Akademien konnte sich Colbert auf das Vorbild der Kardinalminister Richelieu und Mazarin berufen, unter denen die Academie Fran^aise (1635) und die Academie de Peinture et de Sculpture (1648) gegründet worden waren. Beide Einrichtungen wurden unter Colbert umorganisiert, um sie effizienter zu gestalten und vor allem um die Einflußmög-
mann, Pädagogische Konzeptionen, in: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Bd. I: 15. bis 17. Jahrhundert. Von der Renaissance und der Reformation bis zum Ende der Glaubenskämpfe, ed. Notker Hammerstein, München 1996, p. 153-196, hier p. 157f., sowie zum Bildungssystem L.W.B. Brockliss, French Higher Education in the 17th and 18th Centuries. A cultural history, Oxford 1987. Zur Enquete von 1667 vgl. Frangois de Dainville, Colleges et frequentation scolaire au 17e siede, in: ders., L'Education des Jesuites (XVI e au XVIII C siecles), Paris 1978, p. 119-149, hier p. 134-141. 15 Passeri, Ed. 1934, p. 73; vgl. auch Rudolf und Margot Wittkower, Born under Saturn. The character and conduct of artists: A documented history from antiquity to the French Revolution (1963), New York-London 1969, p. 220 f. 16 Zur Trinkkultur vgl. die allgemeinen Hinweise bei Β. Ann Tlusty, Das ehrbare Verbrechen. Die Kontrolle über das Trinken in Augsburg in der frühen Neuzeit, in: Zeitschrift des historischen Vereins für Schwaben 85,1992, p. 133-155, bes. p. 135 f. und 141; zur verstärkten moralischen Achtung der ivrognerie in Frankreich im 17. Jahrhundert Thomas Brennan, Social drinking in Old Regime Paris, in: Susanna Barrows et al. eds., Drinking. Behaviour and belief in modern history, Berkeley u.a. 1991, p. 61-86; zu den Auseinandersetzungen mit der Accademia di San Luca vgl. Jos de Meyere, Alle Wege führen nach Rom, in: Ausst. Kat. „I Bamboccianti. Niederländische Malerrebellen im Rom des Barock", Mailand 1991, p. 46-64, hier p. 57-59.
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III. Die Academie de France a Rome
lichkeiten des Ministers in den Institutionen zu stärken. Mit dem 1662 ins Leben gerufenen Petit Conseil, aus dem später die Academie des inscriptions hervorging, hat sich Colbert ein Gremium geschaffen, dessen Macht gerade darin lag, daß seine Zuständigkeiten als Beraterausschuß des Ministers niemals präzise definiert wurden. Durch die Academie de danse (1661) und die Academies de l'Opera (1669) wurde das Theater nicht nur unter die Kontrolle des Staates gestellt, sondern zugleich auch einzelnen Kompanien das Aufführungsmonopol verliehen. In den wohl von ihm selbst aufgesetzten Lettrespatentes behauptet Pierre Perrin, man habe die Gründung der Opernakademie zur Aufführung französischer Werke nach dem Vorbild der in Italien seit längerem existierenden Opernhäuser beabsichtigt. Tatsächlich gab es solche italienischen Einrichtungen nicht, doch der Passus in dem Privileg zeigt, daß eine gute Aussicht bestand, Colbert mit solchen Manipulationen für das Vorhaben zu gewinnen17. Ein halbes Jahr nach der Akademie in Rom wurde Ende 1666 die Academie des sciences in Paris gegründet. Mit der Architekturakademie setzte Colbert 1671 den Schlußstein seiner Akademiepolitik 18 . Allein die zeitliche Einordnung der römischen Akademiegründung in das erste Jahrzehnt der Amtszeit von Colbert als Staatsminister und Oberfinanzintendant macht den Zusammenhang mit einer Kunstpolitik offensichtlich, die auf die Zentralisierung der Kunst unter der Oberaufsicht des Staates zielte. Neu waren jedoch der Anspruch, die künstlerischen Ressourcen außerhalb Frankreichs zu nutzen, und der strikte Pragmatismus, mit dem dieses Vorhaben umgesetzt wurde. Beides erklärt sich weniger aus einem akademischen Programm, sondern eher aus den Grundsätzen und der Praxis eines merkantilistischen Wirtschaftsverständnisses. Schon die zeitgenössische Sprachregelung zu wirtschaftspolitischen Fragen belegt in ihrer unauflösbaren Mehrdeutigkeit, daß der Merkantilismus gleichermaßen ein Macht- wie ein Wirtschaftssystem war. Seine theoretischen Begründungen und sein Aktionsprogramm rückten die Ökonomie mit Nachdruck in die Perspektive einer engen Verzahnung von wirtschaftlichen Maßnahmen im Inneren des Landes, bei der der Erzeugung von Gewerbegütern die Rolle eines strategischen Sektors zugewiesen wurde, mit den Außenhandelsbeziehungen 19 . Die Entwicklungspolitik zur Steigerung der nationalen Wohlfahrt hatte das Ziel, über die Steuereinnahmen den Geldbe-
17 Abdruck des Privilegs von 1669 bei Herbert Schneider, Dokumente zur Französischen Oper von 1659 bis 1699, in: Quellentexte zur Konzeption der europäischen Oper im 17. Jahrhundert, Kassel u.a. 1981, p. 103-160, hier p. 114-116; zur Musik- und Tanzakademie vgl. Robert M. Isherwood, The centralisation of music in the reign of Louis XIV, in: French Historical Studies 6, 1969, p. 156-171; Isherwood, 1973, p. 150-203; Anthony, 1997, p. 30-34. Die Academies de l'Opera wurden 1672 in Academie Royale de Musique umbenannt, als Jean-Baptiste Lully dafür das Privileg erhielt. 18 Zur Gründungsgeschichte Stroup, 1990, bes. p. 13-17, 24-26 und Robin Briggs, The Academie Royale des Sciences and the pursuit of utility, in: Past & Present 131, 1991, p. 38-88; grundlegend zur Architekturakademie Schöller, 1993. 19 Im folgenden wird nur auf einzelne relevante Bezüge aufmerksam gemacht; zum Staatsmerkantilismus unter Colbert und zur sog. Merkantilismusdebatte vgl. aus der umfangreichen Literatur nur Charles W. Cole, Colbert and a Century of French Mercantilism (1939), 2 Bde., London 2 1964; Fritz Blaich, Die Epoche des Merkantilismus, Wiesbaden 1973; Rainer Gömmel/Rainer Klump, Merkantilisten und Physiokraten in Frankreich, Darmstadt 1994, bes. p. 54 f. und 81-104; zu Macht- und Wirtschaftssystem Lars Magnusson, Mercantilism. The shaping of an economical language, London-New York 1994, bes. p. 37-39, 147-173.
1. Die
Gründungsphase
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darf des Staates vor allem im Hinblick auf eine kostspielige Außenpolitik zu decken. Die Ansicht, Wirtschaftspolitik sei Vorbereitung oder Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln, begründet sich jedoch nicht nur aus der Investition der Staatseinnahmen in den Krieg. Ebenso schwer wiegt die Uberzeugung, daß der Umfang an Güterproduktion und das Volumen des Handels konstant und deren Anteile für den einzelnen Staat nur durch die Konkurrenz mit den anderen Nationen zu steigern seien. Die Grundannahme statisch gegebener Größenordnungen mündete notwendigerweise in die Dynamik des Handelskrieges. Diese Leitlinien waren in einer Denkschrift vom August 1664 zur Gründungssitzung des Conseil de Commerce niedergelegt. Für diesen Handelsrat war die Denkschrift Gründungssatzung und Geschäftsgrundlage in einem20. Der Conseil wurde in dem Jahr eingerichtet, in dem erstmals auch die Gründung einer Akademie in Rom erwogen wurde. Merkantilistische Grundsätze bestimmten auch die Interessen und Erwartungen, die Colbert an die Academie de France in Rom richtete. Colbert sah in der Akademie eine Gewerbeeinrichtung und im Ort ihrer Niederlassung ein Terrain, das es galt, auszubeuten. Einzelne Bestimmungen der Akademiestatuten sind nahezu identisch mit den Gründungspatenten von Manufakturbetrieben. So wird etwa 1664 in den Lettres Patentes für eine Tapisseriemanufaktur in Beauvais die Anbringung des Königswappens sowie einer Portalinschrift an den Gebäuden des Betriebes verfügt, im Hinblick auf die Ausbildungsberechtigung werden Lehrlinge französischer Herkunft bevorzugt 21 . Die für die Akademie geforderte Priorität des Kopierwesens findet eine unmittelbare Entsprechung im Ausspionieren von militärischen Einrichtungen und Industrieanlagen, wie es von der merkantilistischen Doktrin geradezu erzwungen wurde. Colbert gab seinem Sohn für dessen Italienreise 1671
nicht nur den Rat auf den Weg, einenpeintrepour dessiner ce qu'il trouvera de beau dans
son voyage zu beschäftigen, sondern wies ihn auch an, die Kriegshäfen der Seestädte zu inspizieren22. Bereits zu einem früheren Zeitpunkt hatte er seinen Sohn dazu ermuntert, qu'il
eust avec luy quelque personne assez habile pour lever les plans des ports, arsenaux et des bagnes qu'il visitera, afin que, sur tous ces plans qu'il nous rapporter a, nous puissions prendre les resolutions que nous estimerons les plus avantageuses pour le service du royP Nur am
Rande sei darauf verwiesen, daß die gängige Spionagepraxis auch noch Goethe auf seiner Italienreise bei der Anfertigung einer Zeichnung der Scaligerburg von Malcesine am Gardasee in einen einschlägigen Verdacht brachte 24 . In den Briefen Colberts zeigt sich wohl am deutlichsten die Übertragung der Grundhaltung einer merkantilen Strategie auf den Bereich der Kunst, und zwar in der formelhaft wiederkehrenden Redewendung des tout ce qu'ily α de beau a Rome. In dieser Formel verdichtet sich die Bewertung der Kunstschätze Roms als einem vorgegebenen, statistisch zu erfassenden Bestand 25 . Aus der Fülle der Belegstellen seien nur einige Beispiele zitiert. Im 20 Zur Denkschrift von 1664 und zum Handelsrat Cole, Mercantilism, 1964, op. cit., Bd. I, p. 357-360; eine weitere Denkschrift aus dem Jahr 1669 in Colbert, Bd. VI, p. 260-270. 21 Colbert, Bd. 11,2, p. 786 f.; mit ähnlichen Bestimmungen das Patent von 1667 für die Möbelmanufaktur in Paris, a.a.O., Bd. V, p. 518 f. 22 Colbert, Bd. 111,2, p. 31 und 33; vgl. auch den Abdruck der Instruktionen in Seignelay, 1867, p. 95-103. 23 Colbert, Bd. 111,1, p. 146. 24 Zum Hintergrund Thomas Weidner, Jakob Philipp Hackert. Landschaftsmaler im 18. Jahrhundert, Bd. I, Berlin 1998, p. 31 f. 25 Zu diesem Aspekt des Merkantilismus vgl. Jochen Hoock, Statistik und politische Ökonomie. Zum
144
III. Die Academie
de France a
Rome
Zusammenhang mit den Instruktionen für eine Italienreise des Marineintendanten Pierre Arnould teilt Colbert im Mai 1669 mit, daß an den Direktor der Akademie, Charles Errard, die Anweisung ergangen sei, qu'il fasse travailler incessament a mouler tout ce qu'ily α de beau ä Rome. Die Abgüsse sollten mit einem regelmäßig zur Jahresmitte verkehrenden Schiff nach Frankreich transportiert werden 26 . Gleichzeitig treibt er Errard zur Eile an, um die Vorteile, die Frankreich aus der Verständigung mit Papst Klemens I X . erwachsen waren, zu nutzen: Continuez aussy α faire travailler α mouler tout ce qu'ily α de beau a Rome, sans y perdre un seul moment.27 Im September des Jahres richtete Colbert an Errard folgende lapidare Aufforderung: Comme nous devons faire en sorte d'avoir en France tout ce qu'ily a de beau en Italie, vousjugez bien qu'il est de consequence de travailler incessament pour y parvenir.2* Vor dem Hintergrund des langjährigen Krieges zwischen Frankreich und den Niederlanden bekam die Redewendung den Ton zorniger Unnachgiebigkeit und drohenden Durchhaltewillens. Im Juli 1672 schreibt Colbert an Errard: Faites faire auxpeintres les copies de tout ce qu'ily α de beau a Rome; et lorsque vous aurez fait tout copier, s'il est possible, faites-les recommencer. (...) Faites faire aussy aux sculpteurs la mesme chose, et faites-leur copier tous les beaux busies et les belles statues qui sont a Rome.19 Colbert sah die zentrale Aufgabe der Akademie in einer Transferleistung. Gegenüber dem Ziel, römische Kunstwerke als Kopien in Frankreich präsent zu machen, trat der Ausbildungsauftrag der Akademie weitgehend in den Hintergrund. Angesichts seiner merkantilistischen Zielsetzungen scheint Colbert keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen dem Austausch von Kunstwerken und Gewerbeerzeugnissen gemacht zu haben. Die Grenzen zwischen künstlerischen und handwerklichen Fähigkeiten waren fließend. Die strikte Reglementierung des Aufenthaltes der Akademiestipendiaten in R o m erklärt sich wohl nicht zuletzt aus der Tatsache, daß im merkantilistischen Programm weder die Entsendung von Handwerkern noch von Künstlern vorgesehen war. Bekanntlich gehörte es zu den Hauptzielen Colberts, die Produktion von Gewerbegütern im Lande selbst mit allen Mitteln zu steigern und den Import weitgehend auf die Einfuhr von Rohstoffen und Geldmitteln zu beschränken. D e r gezielten Anwerbung von Facharbeitern und Kunsthandwerkern stand das Verbot der Abwanderung einheimischer Fachkräfte gegenüber. Eine Verordnung von 1682 drohte solchen Auswanderern sogar mit der Todesstrafe 30 . Umgekehrt läßt sich analog zur merkantilistischen Devise, möglichst umfangreiche Edelmetallbe-
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Wandel der politischen und ökonomischen Wissensform in Frankreich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in: Mohammed Rassem/Justin Stagl eds., Statistik und Staatsbeschreibung in der Neuzeit vornehmlich 16.-18. Jahrhundert (Kongreßakten Wolfenbüttel 1978), Paderborn u.a. 1980, p. 307-323. Colbert, Bd. 111,1, p. 132. Colbert, Bd. V, p. 281. Colbert, Bd. V, p. 290. Colbert, Bd. V, p. 331; fast gleichlautend die Anweisung an Errard 1679, a.a.O., Bd. V, p. 403. Als weitere Belege vgl. a.a.O., Bd. 111,2, p. 30; Bd. V, p. 293 (an Errard 1669): Comme je suis toujours dans la resolution d'avoir en France ce qu'ily a de plus beau en Italie. Bd. V, p. 341 (an Luigi Strozzi 1672): (...) tout ce qu 'il y a de beau et de rare en peinture et sculpture a Florence (...). Bd. V, p. 343 und 346 (an Noel Coypel 1673): (...) de copier tout ce qu'ily a de plus beau en sculpture et peinture (...). Bd. V, p. 359, 401,428. Zu den Bestrafungsmaßnahmen auch Cole, Mercantilism, 1964, op. cit., Bd. II, p. 140f.
1. Die Gründungsphase
145
stände im Land zu horten, auch beim Erwerb von Kunstobjekten und beim Kopientransfer von einer Thesaurierung sprechen. Hinsichtlich ihrer Organisationsform zeigt die Akademie bemerkenswert deutliche Parallelen zur zeitgenössischen commission. Kommissionen lassen sich als Institutionen von meist zeitlich befristeter Dauer definieren, bei denen Einzelpersonen oder Gremien konkrete Aufgaben übertragen wurden. Die Kommissare waren meist nur der auftragserteilenden Instanz verantwortlich 31 . Vor dem Hintergrund der institutionellen Erfahrungen Colberts und des Petit Conseil spielte dieses Modell offenbar eine maßgebliche Rolle. Es erlangte mit der Gründung der Akademie eine institutionelle Verfestigung. So kann man in den Direktoren Beauftragte sehen, die aufgrund ihrer professionellen Qualifikation, aber auch durch die Protektion von Seiten des Hofes für den Posten rekrutiert wurden. Die Berichtspflicht gegenüber dem Surintendant gehörte wie beim Kommissar zu ihren Aufgaben und war bei einer auswärtigen Tätigkeit umso dringlicher. Die Statuten erscheinen als Variante der Instruktionen, die auch dem Kommissar in schriftlicher oder mündlicher Form mitgeteilt wurden. Schließlich läßt sich auch der Auftrag der Akademie mit den Anforderungen an Kommissionen vergleichen, denn beide standen im Dienst der Wissensvermittlung und des Gütertransfers von auswärts an die Zentrale und erweisen sich so als Mittel der Zentralisierung. Die Akademie in Rom brach mit der langen Tradition der Studienreisen und Auslandsaufenthalte von Künstlern, bei denen nicht absehbar war, wann sie enden oder ob die Künstler überhaupt in ihr Heimatland zurückkehren würden. Dieser Tradition wurde mit der Akademie eine institutionell geregelte Alternative gegenüber gestellt. Die überkommene Praxis der selbständigen Künstlerreise traf bei Colbert auf einen grundsätzlichen Vorbehalt. Das Beispiel von Poussin, der sich 1642 auf spektakuläre Weise der Rückkehr nach Paris entzogen hatte, hinterließ bei Colbert wohl ein tiefes Ressentiment. Umgekehrt war jedoch auch mit dem Parisaufenthalt Berninis das traditionelle Modell der Berufung italienischer Künstler nach Frankreich in eine Krise geraten, die auch von dieser Seite die Suche nach Alternativen unumgänglich machte. Wie bereits ausgeführt, waren bei der Anwerbung eines auswärtigen Künstlers die Differenzen zwischen den Pariser Interessenkoalitionen nicht mehr miteinander zu vereinbaren. So erweist sich der durch die Akademie reglementierte Aufenthalt französischer Künstler in Rom als ein strategischer Schritt, die beiden bislang eingeschlagenen Wege der Auslandsreisen einheimischer Künstler und der Anwerbung fremder Künstler zu verlassen. Die kunstpolitischen Zielsetzungen bleiben im Rahmen der Gründungsinteressen eigentümlich rudimentär. Folgt man den Akademiestatuten und den Äußerungen Colberts, so weisen sie nicht über den Anspruch hinaus, den Bestand antiker und moderner Kunst in Rom umfassend zu erschließen und in Frankreich verfügbar zu machen. Unverkennbar geht es dabei aber nicht um eine bloße Bestandserfassung, sondern um die Konkurrenz zwischen Paris und Rom. Denn hinter dem letztlich utopischen Ansinnen, mit statistischer Vollständigkeit hochrangige Werke der römischen Kunst zu reproduzieren, zeichnet sich 31 Zu dieser Definition gelangt bereits Jean Bodin, Les six livres de la Republique, Paris 1583 (Repr. Aalen 1961), p. 372; vgl. auch Roland Mousnier, Etat et commissaire. Recherches sur la creation des intendants des provinces ( 1 6 3 4 - 1 6 4 8 ) , in: ders., La plume, la faucille et le marteau. Institutions et societe en France du M o y e n Age ä la Revolution, Paris 1970, p. 1 7 9 - 1 9 0 und Reinhard, 1999, bes. p. 198 f.
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III. Die Academie de France a Rome
das Motiv ab, eine vielfältige, in Rom auf zahllose Besitzer verteilte Hinterlassenschaft in den Sammlungen Ludwigs XIV. zu vereinen. Die künstlerischen Traditionen Roms sollten in die französische Hofkunst integriert werden. Dabei wird man unmittelbar an das bereits vorgestellte Ausstattungsprojekt Colberts für den Louvre erinnert. Aus diesem Anspruch begründet sich die Bedeutung, die der Academie de France ä Rome von der Pariser Administration zugewiesen wurde. Die Funktionstüchtigkeit der Akademie erwies sich jedoch in der Praxis als weitaus problematischer, als bei der Gründung zu ahnen war.
2. Der institutionelle Rahmen Ludwig XIV. unterrichtete bereits am 20. Februar 1666 Louis de Bourlemont - seinerzeit Auditor an der päpstlichen Rota und Vorsteher der Pfarrgemeinde von Saint-Louis des Fransais - von der Akademiegründung. In seinem Antwortbrief vom Juni teilt Bourlemont mit, daß der Entschluß des Monarchen in Rom freudig begrüßt werde. Die liberalite incomparable des Königs lasse für die Zukunft darauf hoffen, daß die Künste in Rom von ihrem Totenbett auferstehen werden, auf das sie der Tod einiger Meister niedergestreckt habe32. Weder die beflissene Rhetorik Bourlemonts noch die Tatsache, daß der französische Botschafter schon wenige Tage nach seiner Entree in Rom der Akademie im Juli seinen Antrittsbesuch abstattete33, können allerdings über die bescheidenen Anfänge der Gründung hinwegsehen lassen. Die erste Niederlassung der Akademie wurde im Juni 1666 bezogen 34 . Von dem aus Mailand stammenden Weltgeistlichen Carlo Saraca war in der Nachbarschaft der zwischen dem Vatikan und Trastevere gelegenen Kirche Sant'Onofrio ein Haus angemietet worden. Mit der Beschaffung von Einrichtungsgegenständen war Elpidio Benedetti beauftragt 35 . Wie ein Inventar von 1673 belegt, waren die räumlichen Verhältnisse äußerst beengt. Dem Direktor Charles Errard und den Stipendiaten standen nur wenige Zimmer zur Verfügung, die spartanisch eingerichtet waren36. Die Situation verbesserte sich, als im März 1673 der Palazzo Caffarelli angemietet wurde37. Den Akademiestatuten entsprechend ist für diese Niederlassung ein Wappen an der Fassade dokumentiert38. Der
32 A E , C P R o m e 176, fol. 173-177v (Bourlemont an Ludwig XIV. am 1. Juni 1666). 33 A E , C P R o m e 177, fol. 183 (Chaulnes an Ludwig XIV. am 27. Juli 1666). 34 Die ersten beiden Jahrzehnte der Akademiegeschichte sind nur durch verstreute, teilweise erst spätere Quellen dokumentiert, vgl. C D , Bd. I, p. 11-142 und Castan, 1889. Der Briefverkehr der Direktoren ist erst ab 1685, die Rechnungen sind ab 1683 erhalten. Die früheren Quellen wurden bei einem Brand der Surintendance des Bätiments in Saint-Germain bis auf wenige Reste zerstört, vgl. den Hinweis A N , O 1 1945, Nr. 1. Grundlegend für den Nachweis der Präsenz französischer Künstler in R o m sind die dortigen Pfarregister, vgl. Bousquet, 1953. 35 Benedetti erhielt dafür Auszahlungen von Juni bis August 1666, A N , O 1 1945, Nr. 1. 36 A N , O 1 1935; vgl. Castan, 1889. 37 Abrechnungen der Mietauszahlungen an Pietro Caffarelli haben sich ab März 1673 erhalten, A N , O 1 1945, Nr. 1. Ü b e r den nouveau logis wird die Pariser Kunstakademie im August 1673 informiert, PV, Bd. II, p. 10. Im Kommentar der C D , Bd. I, p. 48 wird der Sitz der Akademie fälschlich als Palazzo Capranica bezeichnet. 38 Vgl. PV, Bd. II, p. 10.
2. Der institutionelle Rahmen
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S. Andrea della Valle benachbarte Palast war somit gegenüber der früheren Niederlassung deutlich zentraler gelegen (Abb. 39) 39 . Gut ein Jahrzehnt später wechselte man erneut den Sitz der Akademie. Im Frühjahr 1685 wurde ein Palast von Luigi Capranica angemietet. Die Umbauarbeiten, die neben der Reparatur des Daches den Ausbau von Atelierräumen umfaßten, waren im Oktober des Jahres abgeschlossen. Der Umzug in den Palazzo Capranica erfolgte in den darauffolgenden Monaten bis Dezember 1685 40 . Der Palast befand sich zwischen S. Ivo della Sapienza und S. Andrea della Valle, über seine Innendisposition ist kaum etwas bekannt, da er nach dem 1725 erfolgten Umzug der Akademie in den Palazzo Mancini am Corso durch den Einbau des Teatro della Valle weitgehend überbaut wurde 41 . Für den Palazzo Capranica verzeichnet ein Inventar von 1709 den mobilen Besitz, die Angaben zu den Räumlichkeiten beschränken sich auf Hinweise zu Ateliers, eine salle du Modele und eine Küche 42 . Sicherlich existierten in der Niederlassung darüber hinaus eine Direktorenwohnung und mehrere Zimmer für die Pensionäre, die Kammerjungen und die Schweizergarde 43 . Es ist jedoch fraglich, ob Repräsentationsräume zur Verfügung standen, wie dies später für den Palazzo Mancini belegt ist und in denen auch herausragende Werke der Sammlung aufgestellt werden konnten 44 . Die mehrfachen Umzüge der Akademie bedeuteten nicht nur eine Verbesserung im Hinblick auf eine zentrale Lage, sondern auch auf die sukzessive Vergrößerung der Niederlassung. Dies belegt die kontinuierliche Steigerung der Mieten für die jeweiligen Paläste, die sich mit jedem Umzug seit 1673 jeweils verdoppelt haben 45 . Obwohl sich Colbert bereits 1680 für den Ankauf eines eigenen Palastes aussprach46, kam es dazu erst 1803 mit dem Umzug in die Villa Medici unter Napoleon. Dieser erst anderthalb Jahrhunderte nach der Gründung zustandegekommene Kauf ist jedoch nicht unbedingt Indiz für eine Vernachlässigung der Akademie. Denn auch bei der Residenz des französischen Botschafters in Rom behalf man sich stets mit Anmietungen. Meist handelte es sich um den Palazzo Farnese, dessen Besitzer sich die Rückendeckung Frankreichs bei inneritalienischen Territorialfragen erhofften und der auch heute noch Frankreich von der italienischen Republik für einen symbolischen Mietbetrag überlassen wird. Die zahlreichen ambitionierten Vorstöße, eine Botschafterresidenz - wie etwa den Palazzo Barberini 47 - anzukaufen, waren immer wieder gescheitert. 39 Auf dem Situationsplan von Carlo Fontana, BAV, Chigi P. VII.9, fol 89v-90, ist er mit der Letter „ C " bezeichnet. Zu dem aus dem frühen 16. Jahrhundert stammenden, mehrfach veränderten Palast Caffarelli-Vidoni Christoph L. Frommel, Der römische Palastbau der Hochrenaissance, 3 Bde., T ü bingen 1973, Kat. VII. 40 Vgl. die Abrechnungen über die Mauerarbeiten und den Umzugstransport in A N , O 1 1945, Nr. 4. 41 Vgl. Fabrizio Aggarbati et al., L'architettura dei teatri di R o m a 1 5 1 3 - 1 9 8 1 , R o m 1987, p. 16 f. und Lapauze, 1924, Bd. I, p. 179 f. 42
C D , Bd. III, p. 3 5 4 - 3 6 1 .
43 Zu den Kammerjungen vgl. C D , Bd. II, p. 30, 14, Bd. III, p. 112; zu einem Koch und einem Küchenjungen a.a.O., Bd. II, p. 324; zur Schweizergarde a.a.O., Bd. II, p. 306f., 3 1 1 - 3 1 7 , 3 2 1 - 3 2 4 ; zu einer Liste der Bediensteten von 1704 a.a.O., Bd. III, p. 140. 44 Siehe unten, Kap. IV,1 bei Anm. 58. 45 Zu den Vergleichszahlen Lapauze, 1924, Bd. I, p. 41, 75, 180. 46
Colbert, Bd. V, p. 416.
47 C D , Bd. III, p. 3 9 7 - 1 2 9 passim.
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III. Die Academie de France a Rome
Abb. 39
Carlo Fontana: Situationsplan der Umgebung von S. Andrea della Valle. Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana.
Trotz der Mietsteigerungen wurde das Budget der Akademie während der Regierung Ludwigs XIV. immer gravierender verringert. Die beträchtlichen Schwankungen im Haushalt und die Einsparungen erwuchsen zwar einerseits aus der Finanznot, mit der Frankreich vor allem durch die Kriege zusehends konfrontiert war. Andererseits waren jedoch für die Krisen, in denen während dieses Zeitraums mehrmals die Schließung der Akademie erwogen wurde, nicht nur finanzielle Gründe ausschlaggebend. Die Finanzierung rückte stets auch die Frage nach der Funktionsfähigkeit der Institution selbst in den Vordergrund. Die Gelder, die der Akademie aus dem Haushalt der Bätiments du Roy zuflössen, waren bis etwa 1690 relativ konstant. Die jährlichen Ausgaben der Akademie bewegten sich bis dahin im Durchschnitt zwischen 30000 und 40000 livres, im Jahr 1684 konnte sogar das Doppelte veranschlagt werden. Gegen Ende der 1680er Jahre wurden die Gelder aber bereits um die Hälfte gekürzt und nach 1690 auf ein Viertel des früheren Haushaltsvolumens zusammengestrichen. 1695 erreichten die Ausgaben mit knapp unter 10000 livres den tiefsten Stand48.
48 Vgl. zu den Zahlen A N , O 1 1945 und 1946, passim; Vergleichszahlen auch in CD, Bd. I, p. 15, 70 f., 81; Bd. II, p. 122; Bd. III, p. 222, 438.
2. Der institutionelle
Rahmen
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Die Einsparungen im Haushalt kamen durch Kürzungen bei der materiellen Ausstattung zustande, vor allem wurden sie aber über eine bisweilen eklatante Unterbesetzung der Akademie bewerkstelligt. Die in den Statuten festgelegten Zielvorgaben konnten schon bald nach der Gründung nicht mehr erfüllt werden. Dies betraf nicht nur die Anzahl der Pensionäre, sondern auch deren ursprünglich vorgesehene Verteilung auf die einzelnen künstlerischen Sparten. Während der fünf Jahrzehnte von der Gründung der Akademie bis zum Ende der Regierung Ludwigs XIV. lassen sich etwa neunzig Künstler als Pensionäre an der Akademie dokumentieren49. Der Finanzlage entsprechend konnte die Akademie nur in den ersten beiden Jahrzehnten ihres Bestehens die in den Statuten vorgegebene Anzahl von einem Dutzend Künstler aufnehmen. Zeitweilig wurde diese Zahl sogar überschritten. In den Jahren nach 1690 ging die Zahl der Pensionäre jedoch durchschnittlich auf die Hälfte zurück und verringerte sich 1694/95 kurzzeitig auf nur drei Pensionäre50. Die Academie de France ä Rome war nicht nur in Krisenzeiten auf die Unterstützung aus Paris angewiesen. Der Bestand der Institution wurde letztlich erst durch die enge Verflechtung der Direktoren und Pensionäre mit der Administration und den Kreisen der Hofkünstler in Paris gesichert. Diese Beziehungen waren jedoch in weitaus geringerem Maß formalisiert und bürokratisch geregelt, als man vielleicht vermuten könnte. Ein Uberblick über den Werdegang einzelner Pensionäre kann verdeutlichen, daß sie ihre Aufnahme an der Akademie stets auch den Akademiedirektoren, einflußreichen Künstlern am Pariser Hof oder den Surintendants des Bätiments direkt verdankten. Für die Rekrutierung der Pensionäre gab es an der Pariser Kunstakademie zwar das Wettbewerbsverfahren der Rom-Preise. Mindestens ebenso bedeutsam war aber die Rolle der Kunstakademie als Forum für den Erhalt und die Sicherung von Protektion. In das Patronagesystem der Kunstakademie und der Administration in Paris waren nicht nur die Pensionäre, sondern auch die Direktoren der Academie de France ä Rome eingebunden. Auch sie begannen von dort aus ihre römische Karriere. Der Maler Charles Errard (1606-1689) war zum Gründungsdirektor der römischen Akademie durch seinen langjährigen Aufenthalt in Rom sowie durch seine gesicherte Stellung als Pariser Hofkünstler geradezu prädestiniert51. Er amtierte von 1666 bis 1683 mit 49 Die folgenden prosopographischen Angaben beruhen auf Kurzbiographien und Werkkatalogen zu den an der Akademie tätigen Künstlern für den entsprechenden Zeitraum, die anhand der Akademiekorrespondenz und den Rechnungsbüchern erstellt wurden. Es handelt sich dabei um verläßliche Näherungswerte. Eine präzise Besetzungsliste ist aufgrund der bisweilen lückenhaften und widersprüchlichen Quellenüberlieferung sowie aufgrund der Fluktuation der Pensionäre nicht aufzustellen. Für die biographischen Daten zu den einzelnen Künstlern wurden neben der speziellen Literatur die üblichen Nachschlagewerke konsultiert. 50 Zwischen 1691 und 1696 schwankte die Zahl der Pensionäre zwischen drei bis fünf, in den Jahren nach 1699 erhöhte sie sich auf sechs; 1712 sind fünf Pensionäre dokumentiert; C D , Bd. I, 232, 347; Bd. II, p. 41 f, 236; Bd. III, p. 17, 79; Bd. IV, p. 67. 51 Zu Errard ist neben den einschlägigen Bänden der C D und den dortigen Materialien grundlegend die 1690 an der Pariser Kunstakademie vorgetragene Würdigung von Guillet de Saint-Georges, Memoire historique des principaux ouvrages de M. Errard, in: Memoires inedits, Bd. I, 1851, p. 73-86. Eine Ubersicht über das in weiten Teilen zerstörte bzw. in der Zuschreibung unsichere Oeuvre gibt Jacques Thuillier, Charles Errard, peintre, in: Revue de l'art 40/41,1978, p. 151-172. Ein lückenhaftes Inventar des Nachlasses von Errard in A S R , N o t a i dell'auditor camere, Petrochius Antonio Felix, 5899, fol. 506-510v, 514-521v.
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III. Die Academie de France a Rome
einer dreijährigen Unterbrechung (1672-1675) als Direktor. Errard war nach der Ausbildung bei seinem Vater bereits seit 1627 für eineinhalb Jahrzehnte mit einer Pension des Königs in Rom ansässig gewesen und gehörte dort zunächst zur familia der französischen Botschafter 52 . Uber seine Freundschaft mit den Brüdern Roland und Paul Freart, die sich nach 1630 mehrmals für längere Zeit in Rom aufhielten, ergaben sich schon von dort aus weitere Kontakte zu hochrangigen Politikerkreisen in Paris53. Errard wurde im Februar 1643 zum Peintre ordinaire du R o y ernannt54. Anlaß für die Rückkehr Errards nach Paris im Frühjahr 1643 dürfte der Tod Richelieus und der damit verbundene Austausch des politischen Personals gewesen sein. Die Demission von F r a n c i s Sublet de Noyers als Surintendant des Bätiments erfolgte im April 1643. Daraufhin zog sich auch Roland Freart, der für seinen Cousin Sublet als Sekretär tätig gewesen war, ins Privatleben zurück. Louvois bot als Nachfolger von Sublet das Amt des Surintendant des Bätiments zwar Paul de Freart an, dieser schlug jedoch aus Loyalität zu Sublet die Nachfolge aus55. Durch diese personellen Veränderungen wurde Poussin in seinem Entschluß bestätigt, nach seinem zweijährigen Aufenthalt in Paris der Stadt endgültig den Rücken zu kehren 56 . Anders als der in Rom etablierte Poussin zog Errard die umgekehrte Konsequenz und verfolgte das Ziel, in der neuen Administration unter Mazarin Fuß zu fassen. Zudem spekulierte er wohl darauf, die Poussin in Aussicht gestellten Aufträge des Hofes zu erhalten. Der Erfolg gab ihm recht. Errard war in der Folgezeit an den prestigeträchtigen Ausstattungskampagnen in den Königsschlössern beteiligt 57 . In diesen Jahren wurde er zu einem der einflußreichsten Mitglieder an der Academie de Peinture et de Sculpture, der er seit Gründung der Institution als einer der zwölf Anciens angehörte. Er legte 1651 ein Memorandum vor, in dem einmal mehr die Eingliederung der in den Zünften organisierten Künstler in die Akademie favorisiert und damit die Monopolstellung der Institution legitimiert wurde. 1665 wurde Errard zum Directeur der Academie de France ä Rome ernannt 58 . Der Entschluß Errards, den Posten in Rom anzunehmen, dürfte nicht zuletzt dadurch erleichtert worden sein, daß sich in den Jahren nach 1661 allmählich abzuzeichnen begann, wie schwer eine unabhängige Stellung gegenüber Charles Le Brun sowohl in der Pariser Akademie als auch bei der Vergabe von königlichen Aufträgen zu behaupten war. Die Leitung der römischen Akademie erscheint jedoch auch als eine Konsequenz aus der grundsätzlichen Identifikation Errards mit der akademischen Praxis und Doktrin. Schon wäh-
52
Z u den Verbindungen Errards mit den B o t s c h a f t e r n Fran$ois de C r e q u i und F r a n i j o i s - A n n i b a l d'Estrees vgl. J e a n - C l a u d e B o y e r / A r n a u l d B r e j o n de Lavergnee, U n e c o m m a n d e de tableaux ä des artistes frangais et Italiens ä R o m e en 1639, in: R e v u e du L o u v r e 30, 1980, p. 2 3 1 - 2 3 9 .
53
Vgl. allgemein C h a r d o n , 1867.
54
Vgl. den E r n e n n u n g s b r i e f bei Chennevieres, 1 8 5 3 - 5 5 , B d . I I I , p. 2 5 6 f.
55
Zu den K o n t a k t e n z w i s c h e n Errard und den B r ü d e r n F r e a r t vgl. C h a r d o n , 1867, p. 8 5 - 8 7 , 1 2 9 f . , 138, 1 7 1 - 1 8 0 ; z u m A n g e b o t der I n t e n d a n z a.a.O., p. 129; zu Sublet vgl. O r e s t A . R a n u m , Richelieu and the C o u n c i l l o r s of L o u i s X I I I . Α study of the Secretaries o f State and Superintendents o f F i n a n c e in the ministry o f Richelieu 1 6 3 5 - 1 6 4 2 ( 1 9 6 3 ) , W e s t p o r t C o n n . 2 1 9 7 6 , bes. p. 1 0 8 - 1 1 9 .
56 Vgl. J a c q u e s Thuillier, N i c o l a s Poussin, Paris 1988, p. 2 1 7 - 2 2 5 . 57 Z u r Beteiligung an den Ausstattungen im L o u v r e , in Versailles und S a i n t - G e r m a i n - e n - L a y e nach 1644 vgl. neben der zu E r r a r d zitierten Literatur auch O l i v i e r Meslay, A p r o p o s du cabinet du b o r d de l'eau d ' A n n e d ' A u t r i c h e au L o u v r e et de quelques decouvertes au palais du L u x e m b o u r g , in: B S H A F 1994, p . 4 9 - 6 6 . 58
P V , B d . I , p . 1 4 , 4 4 - 4 7 , 7 0 , 102, 116.
2. Der institutionelle
Rahmen
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rend seiner Jahre in Rom hatte er nahezu ausschließlich Gemälde italienischer Meister kopiert und Antikenstudien betrieben59. Errard hat damit die später an die Pensionäre gestellten Lehranforderungen bereits aus einer persönlichen Motivation vorweggenommen und sich selbst ein Lernpensum aufgegeben, das dann als akademisches Curriculum festgeschrieben wurde. Seine theoretischen und didaktischen Interessen zeigen sich an der Mitarbeit an der Parallele de I'architecture antique et moderne von Roland Freart de Cambray (1650), an den Editionen von Palladios Architekturtraktat (1650) und des Malereitraktates von Leonardo da Vinci (1651). Für alle drei Traktate lieferte er die Vorzeichnungen zu den Illustrationen 60 . Die Verbundenheit mit akademischen Institutionen dokumentiert sich schließlich auch in der Zugehörigkeit Errards zur Accademia di San Luca in Rom. Errard war bereits 1633 als Mitglied aufgenommen worden, im Dezember 1671 wurde er zum Principe gewählt61. Er war maßgeblich an der offiziellen Verbindung der römischen mit der Pariser Kunstakademie beteiligt, die 1676 vollzogen wurde. Die Vereinigung beider Akademien, auf die noch ausführlicher zurückzukommen ist, hatte sich zunächst durch die zeitweilige Abdankung Errards als Akademiedirektor verzögert. Die Berufung des Malers Noel Coypel (1628-1707) zum neuen Direktor wurde im Oktober 1672 in der Pariser Kunstakademie beschlossen62. Coypel gehörte der Akademie seit 1663 an und lehrte dort bereits im Jahr darauf als Professor63. Seine Beförderung auf die Stelle in Rom wurde offenbar vor allem von Le Brun initiiert und über Errard hinweg entschieden. Dafür spricht, daß nach der Ankunft Coypels in Rom der Dissens zwischen Coypel und Errard offen ausbrach. Colbert forderte dazu auf, den Streit beizulegen, da er Außenstehenden ein unvorteilhaftes Bild von der Akademie vermittle64. Wie es scheint, stand hinter der Einsetzung Coypels als Akademiedirektor letztlich ein Kompetenzstreit zwischen der Pariser Akademie und der politischen Administration. Durch die Person Coypels sollte ein Exempel statuiert werden, mit dem die Akademie ihren Anspruch auf das Recht der Berufung des Direktors der römischen Akademie anmeldete. Im Falle Coypels konnte dieser Anspruch zwar durchgesetzt werden, er scheiterte schließlich aber doch: Coypel legte nach knapp zwei Jahren das Direktorat nieder, und Errard wurde im Herbst 1675 wieder in das Amt eingesetzt, das er noch für fast ein Jahrzehnt bis ins hohe Alter bekleidete. Im Unterschied zu Coypel hatte sich Errard auch nach seiner Demission die Rükkendeckung der französischen Diplomaten in Rom erhalten. Zudem genoß er weiterhin
59 Saint-Georges, Errard, 1851, op. cit., p. 74f. und Chardon, 1867, p. 135-137. 60 Chardon, 1867, p. 85 f., 129 f., 171-180; zur Verwendung des Malereitraktates in der Pariser Akademie vgl. Martin Kemp, „A chaos of intelligence": Leonardo's ,Traite' and the perspective wars in the Academie Royale, in: II se rendit en Italie, 1987, p. 415—426. 61 ASL, Congregazioni dell'Accademia dei pittori, scultori, et architetti di Roma registrate dal notaro della medesima Accademia, 43 (1634-74), fol. 208 (10. Jan. 1672) und 44 (1664-74), fol. 66. Die Protokolle im folgenden zitiert als „Congr." mit Band- und Foliozahl sowie Datum. 62 PV, Bd. I, p. 400 f. 63 PV, Bd. I, p. 219, 245 f. 64 Colbert, Bd. V, p. 349 f. Vor diesem Hintergrund erscheint es als unwahrscheinlich, daß Errard selbst Coypel - auch wenn er mit ihm bei der Ausmalung des Parlaments in Rennes ab 1656 zusammengearbeitet hatte - als Nachfolger vorgeschlagen hat, i.d.S. CD, Bd. I, p. 37 (Kommentar) und Thuillier, Errard, 1978, op. cit., p. 159; zu Rennes bes. p. 161.
152
III. Die Academie de France a Rome
die Protektion Colberts 65 . So erscheint es als konsequent, daß die Ära Errard erst mit dem Tod Colberts im September 1683 endete. Errards Nachfolger Matthieu La Teuliere (f 1702) verdankte sein Amt dem Kriegsminister Louvois, der neben anderen Amtern von Colbert auch das des Protektors der Pariser Kunstakademie und des Surintendant des Bätiments übernahm 66 . Die Person La Teulieres ist nur über die autobiographischen Zeugnisse und seine ausführlichen Selbstrechtfertigungen in der Correspondance des directeurs greifbar. Er war von 1684 bis 1699 Direktor der Akademie. La Teuliere war bereits zu Beginn des Jahres 1682 von Louvois in persönlichem Auftrag nach Rom entstandt worden, um Kunstwerke für dessen Landsitz in Meudon zu kaufen 67 . Der Minister forderte La Teuliere in einem Brief im September 1684 auf, ihm mitzuteilen, ob er die Ernennung zum Direktor annehme. Für Louvois stellte die Tatsache, daß sein Kandidat weder Maler, Bildhauer noch Architekt war, kein Hindernis dar. Aus der Sicht des Surintendant erfülle der Direktor seine Aufgabe, wenn er über die Disziplin der Schüler und die Pflichten der an der Akademie tätigen Lehrer wache68. Folgt man seinen eigenen Aussagen, so läßt sich La Teuliere am ehesten als Privatgelehrter und Amateur charakterisieren. Zeitweilig scheint er für Louvois als eine Art künstlerischer Berater tätig gewesen zu sein69. La Teuliere beruft sich mehrfach darauf, daß er einen Teil seines Lebens mit der Lektüre antiker Autoren verbracht 70 und während seiner Jugend gezeichnet und gemalt habe, ayant toujours eu une passion particuliere pour les Beaux-Arts, aussy bien que pour les Belles-lettres qui ont assez de liaison ensemble.71 Seine persönlichen bibliophilen Interessen verband La Teuliere mit der Strategie, sich der Gunst seiner Gönner zu versichern, indem er ihnen in Rom erschienene Bücher und Stichpublikationen besorgte. Dadurch wurde während seiner Amtszeit die Akademie zum wichtigsten Umschlagplatz für die Übermittlung römischer Druckwerke nach Paris. Auf die Protektion durch Louvois antwortete La Teuliere oftmals mit Gesten der Unterwürfigkeit, auch die bisweilen pedantische Ausführlichkeit seiner Berichte nach Paris erweist sich als ein Zeichen für seine Anpassungsbereitschaft. Als dann Villacerf nach dem Tod Louvois' im Juli 1691 das Amt des Surintendant des Bätiments übernahm, verwahrte er sich gelegentlich gegen die grands rai-
65 Vgl. hierzu die Würdigungen von Errard, die Boulemont und der Due d'Estrees nach dessen Entlassung im Mai 1673 an Colbert schickten, CD, Bd. I, p. 46. 66 Die Übernahme des Protektorats der Pariser Kunstakademie erfolgte bereits vier Tage nach dem Tod Colberts, PV, Bd. I, p. 252 f. Der Vorname La Teulieres, der in seiner umfangreichen offiziellen Korrespondenz an keiner Stelle fällt, ist aus einem von Francesco Guidotti unterzeichneten Zahlungsbeleg vom 13. Juli 1693 für eine Vase zu erschließen. La Teuliere wird dort als illmo Sigr Matteo de la Tuliera tituliert; A N , O 1 1945, Nr. 12. Ein bei der Demission La Teulieres 1699 erstelltes Inventar der Akademie befindet sich in der BN, Ms. fran9ais 9447, fol. 218-224: Estat de l'Academie du Roy a Rome. 67 Die Instruktionen Louvois' vom 30. März 1682 abgedruckt bei Rousset, 1863, Bd. III, p. 369; zu Meudon vgl. Krause, 1996, p. 172-188. Im September und Oktober 1683 erhielt La Teuliere Auszahlungen für Kunsteinkäufe des Königs; vgl. Comptes, Bd. II, p. 539, Sp. 382; zur Ankunft in Rom CD, Bd. I, p. 302, 380; Bd. II, p. 14, 445. 68 CD, Bd. I, p. 303. 69 A.a.O., p. 301 f. 70 A.a.O., p. 170. 71 CD, Bd. II, p. 445; vgl. auch a.a.O., p. 427 und Bd. I, p. 303.
2. Der institutionelle
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sonnements sur des choses inutiles der an ihn gerichteten Depeschen und gegen das stetige Mißtrauen La Teulieres gegenüber Intrigen72. Den Amtswechsel des Jahres 1691 an der Spitze der Baubehörde hatte La Teuliere noch unbehelligt überstanden. Anders lagen die Dinge bei der Ernennung von Jules HardouinMansart (1646-1708) zum Surintendant des Bätiments im Januar 1699, nachdem Villacerf den Posten im Januar 1699 aufgegeben hatte. Mansart teilte La Teuliere schon am 4. März mit, daß über seine Entlassung bereits entschieden sei. Der Brief traf in Rom aber erst drei Wochen später ein. Die durch den Postverkehr bedingte Verzögerung der Nachrichtenübermittlung mutet in diesem Fall besonders absurd an, denn La Teuliere hat sich noch überschwenglich bei Mansart für die ihm erwiesene Güte bedankt, als sein Entlassungsschreiben bereits seit zwei Wochen unterwegs war73. Während der Intendanz von Hardouin-Mansart blieb die fünfjährige Amtszeit des Malers Rene-Antoine Houasse (1645-1710) als Akademiedirektor eine Episode. Seine Berufung zeigt den Willen des Surintendant, das ihm zukommende Besetzungsrecht des Direktorenpostens in Anspruch zu nehmen und neuerlich einen Künstler an die Spitze der Akademie zu stellen. Houasse hatte als Schüler von Le Brun eine steile Karriere als Hofmaler sowie an der Pariser Akademie hinter sich. Er war an der Ausstattung des Grand Appartement im Schloß von Versailles und an den Dekorationen des Grand Trianon beteiligt. Er lehrte an der Pariser Akademie, deren Mitglied er 1673 wurde. Seine Wahl zu einem der Recteurs in Paris im Jahr 1701 während seiner Amtszeit in Rom 74 macht deutlich, daß ihn seine dortige Aufgabe schon sehr früh unbefriedigt ließ. Die Gelegenheit zur Rückkehr nach Paris gab die Ernennung zum Peintre et garde des tableaux du Roy und zum Tresorier der Akademie im März 170475. Anders als Houasse, der vor seiner Berufung nach Rom keine Kontakte nach Italien hatte, war sein Nachfolger Charles-Fran9ois Poerson (1653-1725) der Akademie bereits als Pensionär verbunden gewesen. Er war als Schüler und Cousin des früheren Direktors Noel Coypel 1672 nach Rom gekommen und mit diesem drei Jahre später zurückgekehrt76. Seine spätere Karriere in Paris verlief schleppend. Die Aufnahme in der Pariser Akademie ließ bis 1682 auf sich warten77. Vom Hof erhielt er Aufträge für einzelne, heute in der Mehrzahl verschollene Tafelbilder. Der einzige an Poerson erteilte Auftrag für eine umfangreiche Bauausstattung endete als Desaster. Sein ab 1702 ausgeführtes Kuppelfresko in einer der den Kirchenvätern geweihten Kapellen des Invalidendoms wurde unmittelbar nach der Vollendung auf Anweisung des Architekten der Kirche, Hardouin-Mansart, übermalt78. 72 C D , Bd. II, p. 32. 73 C D , Bd. I, p. 4 4 7 f . , 4 5 5 ^ 5 8 . 74 PV, Bd. I I I , p. 319, 322, 326; zum künstlerischen Werdegang Antoine Schnapper, Tableaux pour le Trianon de Marbre, 1 6 8 8 - 1 7 1 4 , Paris 1967. 75 C D , Bd. I I I , p. 1 1 3 - 1 1 5 ; PV, Bd. I I I , p. 3 8 9 f . 76 C D , Bd. I, p. 38; zu Poerson zuletzt Clementin G u s t i n - G o m e z , Charles Poerson: quelques attributions nouvelles, in: B S H A F 1995, p. 1 2 5 - 1 3 3 . 77 PV, Bd. II, p. 214. 78 Poerson verteidigt sich noch 1708 gegen das Unrecht, das ihm von Hardouin-Mansart angetan worden sei, vgl. C D , Bd. I I I , p. 233. Bei der von Poerson freskierten Kapelle handelte es sich anscheinend um die Chapelle Saint-Jerome, die 1703 von B o n Boullogne neu freskiert wurde, vgl. Les Invalides. Trois siecles d'histoire, Paris 1974, p. 86, 92; zu einer anderen Zuweisung vgl. C D , Bd. III, p. 133.
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III. Die Academie
de France a Rome
Trotz dieses Zerwürfnisses ernannte der Surintendant den Maler im Juni 1704 zum Direktor in Rom 79 . Poerson gab das Amt 1725 aus Altersgründen nach zwei Jahrzehnten auf. Mit seinem Einverständnis wurde ihm ab März 1724 sein Nachfolger, Nicolas Vleughels, an die Seite gestellt. Angesichts einer nicht eben glanzvollen Vergangenheit in Paris ist bei Poerson weitaus deutlicher als bei seinen Vorgängern das Bestreben zu spüren, über seine Stellung in Rom auch sein Renommee als Maler aufzuwerten. So ersuchte er im Mai 1709 den nach dem Tod Hardouin-Mansarts im Jahr zuvor zum Surintendant des Bätiments ernannten Due d'Antin um die Aufnahme in den Michaelsorden. Poerson beruft sich dabei zwar auf das Beispiel der Verleihung von Ritterkreuzen durch den Papst80. Es ging ihm aber wohl nicht nur darum, seine Position innerhalb der Künstlerkreise in Rom zu behaupten, wo die Nobilitierung von Künstlern seit der Mitte des 17. Jahrhunderts zusehends üblich geworden war81. Denn unverkennbar meldete er Anspruch auf einen Titel an, der in Paris traditionell nur einzelnen Hofmalern und -architekten zuerkannt wurde82. Poersons Anliegen fand erst zwei Jahre später Gehör. Allerdings erhielt er schließlich - nachdem die für ihn kostspieligen finanziellen Modalitäten der Ordensverleihung geregelt waren - nicht den Michaelsorden, sondern nur das weniger prestigeträchtige Kreuz des Ordre de Saint-Lazare 83 . In Rom entfaltete Poerson eine bemerkenswerte Tätigkeit als Porträtmaler. Sie diente gleichermaßen dem Ziel, sich als Künstler Prestige zu erwerben und sich der Protektion seiner Gönner in Paris sowie des Wohlwollens hochrangiger Prälaten in Rom zu versichern. Zu seinen ersten Amtshandlungen gehörte es, von ihm selbst gemalte Porträts des Königs, des Dauphin und des Surintendant Hardouin-Mansart in der Akademie aufzuhängen. Bei den Bildnissen Ludwigs XIV. und des Dauphin, die ebenso wie die anderen von Poerson ausgeführten Gemälde bislang nicht nachweisbar sind, handelte es sich um Varianten der offiziellen Hofporträts 84 . Poerson schenkte mehreren Kardinälen und autres personnes de distinction Kopien des Königsbildnisses und versicherte gegenüber dem Surintendant: Tous ces presents me font honneur et sont utils α Γ Academie et nous gangnent, a la νέήίέ, la protection de ces grands Princes de l'Eglise.K Anläßlich eines Besuches, den der Kardinalnepot Carlo Albani 1709 der Akademie abstattete, erhielt Poerson den Auftrag für ein Porträt Klemens' X I . und er verlangte als Gegenleistung des Papstes, daß den Pensionären erlaubt
79 PV, Bd. III, p. 395. 80 C D , Bd. III, p. 285. 81 Vgl. Sebastian Schütze, Arte Liberalissima e Nobilissima. Die Künstlernobilitierung im päpstlichen R o m - Ein Beitrag zur Sozialgeschichte des Künstlers in der frühen Neuzeit, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 55, 1992, p. 3 1 9 - 3 5 1 . 82 Jules Hardouin-Mansart wurde 1683 nobilitiert und hat den Michaelsorden gleichzeitig mit Andre L e N ö t r e 1693 erhalten, vgl. Bourget/Cattari, 1960, p. 17 f. und Tessin/Cronström, 1964, p. 21. Charles Le Brun wurde 1662 nobilitiert, die Verleihung des Michaelsordens läßt sich jedoch nicht nachweisen, Ausst. Kat. „Le B r u n " , 1963, p. LVII. 83 C D , Bd. III, p. 454, 462 ff. Poerson hatte bereits im August 1709 von sich aus das Lazaruskreuz vorgeschlagen, nachdem sich D ' A n t i n im Hinblick auf den Michaelsorden in Schweigen gehüllt hatte, a.a.O., p. 306 und die folgenden Nachrichten p. 314, 325, 331, 349. Zu den O r d e n Jean-Pierre Labatut, Louis X I V et les chevaliers de l ' O r d r e du Saint-Esprit, in: X V I I e siecle 32, 1980, p. 2 6 7 - 2 7 7 (Wiederabdr. in: ders., Noblesse, pouvoir et societe en France du X V I I e siecle, Paris 1986). 84 C D , Bd. III, p. 133, 183, 232 f. 85 A.a.O., p. 1 8 3 - 1 8 5 .
2. Der institutionelle
Rahmen
155
werde, im Vatikan Kopien anzufertigen. Im Jahr darauf berichtet Poerson, er habe zwar ein Bildnis des Kardinalnepoten begonnen, doch wage er sich nur zögernd an das Porträt des Papstes, da dessen sich stetig verändernder Gesichtsausdruck schwer zu fassen sei86. Eine solche kursorische Ubersicht über die Karrieren der Direktoren an der Academie de France ä Rome verdeutlicht, daß sie ihre Stellung den Surintendants des Bätiments in Paris verdankten. Den Intendanten waren sie den Statuten gemäß auch weisungsgebunden. Die Mitgliedschaft an der Pariser Akademie spielte für den Werdegang der Direktoren nur insofern eine Rolle, als sie nach 1666 ohnedies obligatorisch geworden war, um sich als Künstler zu etablieren. Die Lehrtätigkeit an der Pariser Akademie und die Bekleidung weiterer Ämter eröffnete Aufstiegs- und Auftragschancen, zudem wurde den Schülern von Malern und Bildhauern mit akademischen Würden der Weg in die Akademie erleichtert. Für die Ernennung zum Direktor in Rom war die Einbindung in die Pariser Akademie jedoch keineswegs eine Voraussetzung. Dies zeigt das Beispiel La Teulieres, der als eine Art Kunstagent von Louvois auf den Direktorposten gehoben wurde. Umgekehrt blieb der Vorstoß der Pariser Akademie, mit Noel Coypel ihren Kandidaten gegen den Surintendant durchzusetzen, eine einmalige Episode. Wie es scheint, wurde durch das Scheitern dieses Versuchs das Ernennungsrecht des Surintendant mit Nachdruck für die folgenden Jahrzehnte bekräftigt. Das mehr oder minder geschlossene System von Ernennungsvollmachten und Weisungskompetenzen von Seiten der Surintendants umfaßte nicht nur die Führungsebene der römischen Akademie, sondern bezog sich auch auf die Pensionäre. Während der ersten Jahrzehnte des Bestehens der Institution gab es keine formell geregelten Modalitäten für den Zugang von Pensionären. Anders als vielleicht zu erwarten, war die Vergabe von RomPreisen durch die Pariser Kunstakademie weder eindeutig geregelt, noch fand sie in der Praxis kontinuierlich Anwendung. Dies hatte zur Folge, daß bis ins frühe 18. Jahrhundert Pensionäre, die aufgrund einer Preisauszeichnung nach Rom gelangten, in der Minderheit waren. Soweit aus der Direktorenkorrespondenz und den Protokollen der Pariser Akademie erschließbar, handelte es sich nur bei etwa einem Drittel der Pensionäre um Preisträger. Für ein Stipendium kamen die jeweils Besten des Wettbewerbs in Frage. Denn wenn keine ersten Preise vergeben wurden, konnte bisweilen auch ein zweiter oder dritter Preis genügen, um nach Rom entsandt zu werden 87 . Gleichwohl garantierte eine Auszeichnung für einen jungen Künstler noch nicht automatisch die Gewährung eines Stipendiums an der römischen Akademie. Sie bedurfte in letzter Instanz der Befürwortung durch den Surintendant im Namen des Königs 88 . Im Falle von Pierre Villeneuve, der 1703 den Rom-Preis erhalten hatte, bedurfte es sogar eines Gnadengesuchs bei Mansart, um diesen zur Zulassung des Bildhauers als Pensionär zu bewegen 89 .
86 A.a.O., p. 264,433 f. Für den Kardinal Gualterio führte Poerson 1711 ein postumes Porträt von dessen Mutter aus, nach dem der an der Akademie tätige Bildhauer Jacques Bousseau eine TerracottaBüste arbeitete, vgl. a.a.O., p. 433, 473, 477; Bd. IV, p. 96,106, 129-131, 154, 157; Bd. V, p. 6. 87 So hatte der Maler Pierre Toutain 1674 nur einen 2. Preis erhalten und wurde 1675 Pensionär; der Bildhauer Anselme Flamen wurde im selben Jahr mit einem zwei Jahre zuvor verliehenen 3. Preis Pensionär, CD, Bd. I, p. 51. 88 Vgl. hierzu die Belege für den Maler Daniel Sarrabat, CD, Bd. I, p. 202; den Bildhauer Rene Fremin, a.a.O., Bd. II, p. II, 128, 211; den Maler Pierre d'Ulin, a.a.O., Bd. II, p. 382, 460. 89 CD, Bd. III, p. 228.
156
III. Die Academie de France a Rome
Die Mehrheit der Pensionäre kam durch Empfehlung an die römische Akademie und ohne sich an der Pariser Akademie einem offiziellen Auswahlverfahren zur Beurteilung der künstlerischen Qualifikation unterzogen zu haben. Wie zu erwarten, spielten dabei Verwandtschaften, Lehrer-Schüler-Verhältnisse und andere persönliche Kontakte - also die konventionellen Beziehungsebenen der Patronage - eine maßgebliche Rolle. Es hatte Tradition, daß der Direktor bei seinem Amtsantritt eine Gruppe von Pensionären mit nach Rom brachte, die er anscheinend in Absprache mit dem Surintendant auswählte90. Immer wieder waren verwandtschaftliche Beziehungen ausschlaggebend. Der Bildhauer Jean-Baptiste Goy kam 1683 als Schwager von Charles Errard an die Akademie91. Noel Coypel brachte bei seinem Amtsantritt 1672 seine beiden Schwager, die Maler Charles-Antoine und Louis-Henry Herault, sowie seinen Sohn Antoine mit nach Rom 92 . Der Architekt Claude Desgots kam 1675 als Neffe von Andre Le Nötre an die Akademie93. Wohl eher einen Ausnahmefall stellte eine externe Empfehlung dar, wie sie von Seiten Berninis für den Bildhauer Gerard Leonard Herar ausgesprochen wurde94. Weitaus häufiger gaben die Surintendants Anweisungen, einzelne Künstler als Pensionäre aufzunehmen. Frangois du Vivier gelangte auf Vorschlag von Colbert 1683 an die Akademie, ihm verdankte auch der Bildhauer Jean Theodon seine Pension 95 . Louvois gab 1685 die Anweisung, den damals bereits etablierten Maler Pierre Bedeau auf seiner Studienreise nach Rom in der Akademie unterzubringen, er wird dort später als Pensionär geführt96. Louvois' Nachfolger, der Marquis de Villacerf, brachte die beiden Maler Neveu und Pierre de Saint-Yves in der Akademie unter97. Am auffälligsten spannte Jules Hardouin-Mansart die Akademie für seine persönlichen Interessen ein und machte sie so zeitweilig zu einer Versorgungsanstalt für seine Proteges. Er führte dort die Maler Cassinat und Jean F r a n c i s de Troy ein, sowie die Bildhauer Nicolas Coustou und Paul, der vordem schon der familia des Kardinals Noailles in Rom angehört hatte98. Sein Neffe Jules-MichelAlexandre Hardouin war zunächst Gast an der Akademie, bis er im Juli 1703 als Pensionär aufgenommen wurde. Während sich die Klagen La Teulieres über den Lebenswandel Hardouins häuften, nahm sich dieser das Privileg heraus, eine von der Akademie unabhängige Ausbildung in Anspruch zu nehmen. Von dem an der Akademie angestellten Mathematiklehrer erhielt er Privatstunden, zudem betrieb er Studien bei dem an der Fabbrica di San Pietro tätigen Architekten Antonio Valeri. Durch die Ermordung eines päpstlichen Gardesoldaten, in die er mit dem Bildhauer Paul verwickelt war und die zur Gefangennahme beider führte, fanden die Studien Hardouins allerdings ein abruptes Ende. Er kehrte Anfang 90 Errard wurde 1666 von zwölf Pensionären, Coypel 1672 von fünf, Houasse 1699 von drei und Poerson 1704 von fünf Pensionären nach Rom begleitet vgl. C D , Bd. I, p. 5,12, 38; Bd. III, p. 2,134. 91 J.-B. Goy war der Sohn des Malers Claude Goy, dessen Tochter Errard 1675 geheiratet hatte; vgl. C D , Bd. I, p. 19, 55 f., 97, 122 und Souchal, 1980, Bd. II, p. 85. Marie Marguerite Catherine Goy wird im Nachlaßinventar Errards als Erbin eingesetzt; siehe oben, Anm. 51. 92 C D , Bd. I, p. 39. 93 A.a.O., p. 58, 63, 76, 96 f. und Smith, 1993, bes. p. 49-54. 94 Herar wurde 1665 in die Akademie aufgenommen; C D , Bd. I, p. 25; Souchal, 1980, Bd. II, p. 121. 95 C D , Bd. I, p. 126f.; zu Theodon vgl. Souchal, 1980, Bd. III, p. 287. 96 C D , Bd. I, p. 154 f., 226. 97 C D , Bd. II, p. 161,165, 261, 269f. 98 Zu Cassinat C D , Bd. III, p. 104, 113; zu De Troy a.a.O., p. 9f., 15-17; zu Coustou a.a.O., p. 57, 80, 106; zu Paul a.a.O., p. 77 f.
3. Die Verbindungen zur Accademia di San Luca
157
des Jahres 1706 nach Frankreich zurück". Ein Abbe Hardouin folgte ihm zwei Jahre später nach. Bei ihm handelte es sich um einen weiteren Verwandten des Surintendant, der - ohne Künstler zu sein - auf Anweisung seines einflußreichen Protektors mit einer Pension bedacht worden war und nach dessen Tod unverzüglich wieder nach Hause geschickt wurde100. Erst nach dem Tod Hardouin-Mansarts im Mai 1708 wagte der Direktor Charles-Fran§ois Poerson, das Auswahlverfahren der Pensionäre offen zu kritisieren. An den neuen Surintendant D'Antin schrieb er im Juli des Jahres, daß die Mehrzahl der Pensionäre par faveur et sans beaucoup de choix Zugang zur Akademie fänden, dadurch sei die Existenz der Institution zusehends in Frage gestellt. Er hält es daher für unabdingbar, künftig nur Künstler aufzunehmen, über deren Fähigkeiten und persönliche Reife man sich umfassend kundig gemacht habe101. Unverkennbar reagierte Poerson mit seiner Kritik auf den Mißstand der eklatanten Unterbesetzung der Akademie und auf das Ausmaß an persönlichen Interessen, das bei der Amtsführung Hardouin-Mansarts zu Tage getreten war. Gleichwohl kamen grundsätzliche Alternativen zur bisherigen Praxis nicht zur Sprache. So finden sich weder in einem Memorandum Poersons zur Akademiereform noch in einer Neufassung der Statuten aus dem Jahr 1708 Vorschläge zur Neuregelung des Auswahlverfahrens. Diese Zurückhaltung läßt sich kaum anders begründen als aus den Zuständigkeiten für die römische Akademie im Pariser Institutionengefüge. Die naheliegende Idee, die Auswahl der Pensionäre durch Wettbewerbsqualifikationen an den künstlerischen Sachverstand der Mitglieder an der Pariser Kunstakademie zu verweisen, war offenbar nicht opportun. Denn dies wäre der Verlagerung von beträchtlichen Kompetenzen des Surintendant und der Bauadministration auf die Kunstakademie gleichgekommen. So war die Academie de France ä Rome im stetigen Spannungsfeld der institutionellen Konkurrenz zwischen den Bätiments du Roi und der Pariser Kunstakademie angesiedelt. Dabei war es zwar von Anfang an abzusehen, daß mit der Gründung der Akademie in Rom im Jahr 1666 der Pariser Akademie kein Instrument in die Hand gegeben worden war, ihr Wirkungsfeld zu erweitern. Es verging allerdings ein Jahrzehnt, bis dies zur Gewißheit wurde und sich den Mitgliedern der Pariser Akademie ein anderer Weg nach Rom eröffnete. Er wurde durch den Zusammenschluß mit der Accademia di San Luca beschritten.
3. Die Verbindungen zur Accademia di San Luca Die im Dezember 1676 formell besiegelte Vereinigung der Kunstakademien von Paris und Rom - der Academie de Peinture et de Sculpture und der Accademia di San Luca beruhte auf den Initiativen und der anfänglichen Interessenkoalition innerhalb der akademisch organisierten Künstlerschaft in beiden Hauptstädten 102 . Es ist wohl verfehlt, die
99 Zu den Studien CD, Bd. III, p. 101-119, 148-154; zu Valeri Ausst. Kat. „In urbe architectus. Modelli, disegni, misure. La professione dell'architetto Roma 1680-1750", Rom 1991, p. 452f.; zum Mordvorfall CD, Bd. III, p. 158-184. 100 CD, Bd. III, p. 136, 154, 225ff., 236f., 242. 101 A.a.O., p.220f. 102 Eine ausführlichere Darstellung geben Arnaud, 1886, p. 39-51 und Smith, 1993, p. 13-25; zu einzelnen Quellen vgl. auch PV, Bd. II, p. 81, 90 f. und Missirini, 1823, p. 137-142 sowie neuerdings
158
III. Die Academie de France a Rome
Vereinigung als Zeichen für die Unterwerfung der Accademia di San Luca unter französische Vorherrschaft zu verstehen103. Dies verkennt, daß es von jeher zum Selbstverständnis akademischer Institutionen gehörte, sich international zu öffnen. Zudem war man sich auf römischer Seite im Hinblick auf die Jonction keineswegs in dem Maße einig, wie es zunächst den Anschein hat. Die Initiative zum Zusammenschluß ging von Rom aus, im Zuge des Einigungsprozesses machte sich dann aber bei den römischen Künstlern eine durchaus deutliche Kritik bemerkbar. Am Ende blieb es dann jedoch bei einer letztlich schwer verständlichen Bereitschaft, sich den Wünschen und Zielen der Pariser Institution unterzuordnen. Hinzu kam, daß die Idee einer unabhängigen Vereinigung von Künstlern in dem Moment brüchig wurde, als sie von Colbert für seine Ziele vereinnahmt wurde. Die Verbindungen der 1593 gegründeten Accademia di San Luca zu prominenten, in Rom ansässigen ausländischen Künstlern hatte eine Tradition, die sich bis in die ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts zurückverfolgen läßt. Mit Simon Vouet war im Oktober 1624 erstmals ein ausländischer Künstler zum Principe der Accademia gewählt worden. Die Wahl wurde maßgeblich durch die engen Beziehungen befördert, die Vouet sowohl zu dem im Vorjahr zum Papst gewählten Urban VIII. als auch zum Protektor der Akademie, Kardinal Francesco Del Monte, hatte. Der seit einem Jahrzehnt in Rom ansässige Maler hatte sich zudem angesichts interner Rivalitäten und Streitigkeiten als Kompromißkandidat der Accademia empfohlen 104 . Im Jahr 1651 wurde der flämische Maler Luigi Gentile zum Principe gewählt. Nicolas Poussin hat dagegen im November 1657 die Wahl nicht angenommen 105 . War die Berufung dieser Maler an die Spitze der Akademie noch weitgehend eine innerrömische Angelegenheit gewesen, so stand die Wahl von Charles Errard zum Principe bereits deutlich unter den Vorzeichen einer internationalen Öffnung. Errard genoß über Jahrzehnte hinweg eine Vertrauensposition in der Accademia, die er sich auch über seine Aufenthalte in Paris hinweg bewahren konnte. Schon kurz nach seiner Aufnahme in die Accademia di San Luca 1633 war er für die Mitarbeit an der Innendekoration des Akademiesitzes vorgesehen106. Seine Wahl zum Principe erfolgte im Dezember 1671. In seiner
den Wiederabdruck einiger Briefe von Lebrun; Lebrun, Ed. 1994, p. 2 2 7 - 2 4 0 . Maßgeblich als archivalische Quellen sind die einschlägigen Bände der Sitzungsprotokolle der Accademia di San Luca, vgl. A S L , Congr. 45 ( 1 6 7 4 - 1 6 9 9 ) und 46 ( 1 6 7 4 - 1 7 1 1 ) , sowie ein Faszikel mit der Pariser Korrespondenz und weiteren Aktenstücken, A S L , 32 A (Accademie estere. Parigi). D i e Pariser Bibliotheque de l'Ecole des Beaux-Arts bewahrt ebenfalls ein Konvolut mit der Korrespondenz auf; E B A , Ms. 555,11. 103 Dies entspricht hingegen seit Pevsner, 1986, p. 109; Wittkower 1999, Bd. I I I , p. 12 und Blunt, 1999, p. 218 der opinio communis. 104 Vouet wurde im Februar 1624 zu einem der beiden Curatori di forastieri und im O k t o b e r des J a h res zum Principe gewählt, im Juni 1627 trat er von dem A m t zurück; vgl. die D o k u m e n t e in: Verbali di Congregazione ( 1 6 0 9 - 1 6 3 3 ) ed altri documenti relativi all'Accademia di S. Luca conservati presso l'Archivio di Stato di R o m a , ed. Matteo Lanfranconi, 1998 (masch. Exemplar in A S L ) , Nr. 81, 111, 134; zum Hintergrund auch Ausst. Kat. „Vouet", ed. Jacques Thuillier, Paris 1990, p. 1 0 0 - 1 0 2 . 105 Zu Gentile A S L , Congr., 43 ( 1 6 3 4 - 7 4 ) , fol. 6 7 v - 6 8 v (20. Nov. 1651); zu Poussin a.a.O., fol. 118v (6. Jan. 1658). 106 Smith, 1993, p. 12, 320; das Ausstattungsprojekt, für das Giovanni Battista Passeri einen P r o grammentwurf ausgearbeitet hatte, wurde nicht ausgeführt.
3. Die Verbindungen
zur Accademia
di San Luca
159
kurzen Amtszeit gelang es Errard, nach einer jahrelangen Unterbrechung 1672 wieder einen Concorso zu organisieren und dafür die finanziellen Mittel aufzubringen. Colbert beglückwünschte nach der Preisvergabe Errard für die Auszeichnung von vier Pensionären der französischen Akademie und verbuchte dies als Zeichen für den Lehrerfolg der Academie de France 107 . Es kündigte sich erstmals an, daß Prämierungen französischer Künstler bei den Concorsi maßgeblich von der Präsenz eines Landsmanns in der Accademia beeinflußt und in Paris für das nationale Renommee in Dienst genommen wurden. Noch im Jahr des Concorso wurde Errard allerdings seines Direktorpostens enthoben und kehrte dann für zwei Jahre nach Paris zurück. Es gibt kein Indiz dafür, daß seine Rückberufung erfolgte, um an der dortigen Kunstakademie das Vorhaben einer Vereinigung voranzubringen 108 . Nach seiner von ihm als Kränkung empfundenen Demission zugunsten von Noel Coypel hat er sich anscheinend von den Sitzungen der Pariser Akademie zunächst ferngehalten109. Während der folgenden Jahre kam weder in der römischen noch der Pariser Akademie das Vereinigungsprojekt zur Sprache. Auch bei Errards erneuter Wiedereinsetzung in das Amt des Direktors in Rom im Mai 1675 spielte es noch keine Rolle 110 . Die Initiative zur Jonction wurde im Winter 1675 von der Accademia di San Luca ergriffen und von Giovanni Pietro Bellori (1613-1696) sowie von dem Bildhauer Domenico Guidi (1628-1701) in die Wege geleitet. Bellori war seit 1652 kontinuierlich als Sekretär der Accademia tätig oder mit anderen Ämtern betraut. Mit Errard verband ihn eine langjährige Freundschaft. Nach eigener Aussage habe Errard ihn auch zur Widmung seiner 1672 publizierten Künstlerviten an Colbert bewogen 111 . Die Jonction fällt in die Amtszeit von Domenico Guidi als Vize-Principe der Accademia. Guidi hatte zwar bereits in den Jahren nach 1656 im Auftrag von Nicolas Fouquet eine Gruppe von mythologischen Figuren als Hermenstatuen nach Entwürfen von Poussin für Vaux-le-Vicomte ausgeführt, in der Folgezeit scheinen aber seine Beziehungen nach Frankreich abgebrochen zu sein112. Der erste Schritt einer formellen Annäherung beider Akademien erfolgte im Dezember 1675 als Guidi - auf Empfehlung des damaligen Principe Carlo Maratta (1625-1713) - Le Brun zum Principe der Accademia di San Luca vorschlug113. Le Brun setzte im Februar des folgenden Jahres die Pariser Akademie davon in Kenntnis, und Errard wurde dazu ausersehen, das neue Amt von Le Brun an der Accademia kommissarisch zu vertreten. Zudem wurde unverzüglich ein Statutenentwurf ausgearbeitet. Er sah vor, daß die Principi der Accademia di San Luca mit der Würde eines Recteur der Pariser Akademie bekleidet werden sollten. Den übrigen Mitgliedern wie auch den Schülern sollte wechselseitig der Zugang zu 107 Colbert, Bd. V, 343; zum C o n c o r s o vgl. Cipriani/Valeriani, 1988, Bd. I, p. 4 1 - 4 8 . 108 I.d.S. hingegen Smith, 1993, p. 12 f. 109 Errard verließ R o m Anfang Mai 1673, zu den Akademiesitzungen in Paris erschien er erst Anfang September; vgl. C D , Bd. I, p. 46 und P-V., Bd. II, p. 10. 110 PV, B d . II,
p. 50 f.
111 Vgl. Bellori, 1672, Widmung (unpag.); zum Werdegang Belloris immer noch grundlegend der E i n trag in D B I , Bd. 7 , 1 9 6 5 , s.v. „Bellori, Giovanni Pietro" (K. Donahue), hier bes. p. 785 f. und jüngst der Ausst. Kat. „Idea del B e l l o " , 2000. 112 Vgl. den Hinweis bei Bellori, 1672, p. 4 3 6 f . und die weiteren Quellen bei David L. Bershad, D o menico Guidi and Nicolas Poussin, in: Burlington Magazine 113, 1971, p. 5 4 4 - 5 4 7 ; die H e r m e n gelangten 1679 nach Versailles. 113 A S L , Congr. 46 ( 1 6 7 4 - 1 7 1 1 ) , fol. 8 (22. Dez. 1675); Abdruck des Briefes von Guidi an L e Brun in: Archives de l'art franen der Verbannung der korsischen Miliz aus R o m und der Bestrafung einzelner, c Anstöße. Festschrift für Wolfgang Reinhard zum 65. Geburtstag am 10. April 2002, Berlin 20 p. 263-290.
232
IV. Die Präsenz Frankreichs
A b b . 72
in Rom
Audienz des Kardinallegaten Flavio Chigi bei Ludwig X I V . in Fontainebleau 1664. Almanachblatt. Paris, Bibliotheque Nationale.
Anstiftung beschuldigter Familienangehöriger des Papstes, die Legation des Kardinalnepoten Flavio Chigi, der sich im Juni 1664 in Fontainebleau vor Ludwig XIV. offiziell für den römischen Vorfall entschuldigte (Abb. 72), und schließlich der vertraglich geforderte Bau eines Erinnerungsmals. Das Monument wurde vor der geräumten Kaserne der korsischen Miliz an dem parallel zum Tiber verlaufenden Straßenzug vom Palazzo Farnese zur S. Trinitä dei Pellegrini errichtet. Der architektonische Entwurf ist von lapidarer Einfachheit: Auf einem Sockelkubus erhebt sich ein Inschriftenpostament. Es trägt einen pyramidalen Aufsatz, der am Ansatz durch eine Kehlung eingezogen ist und den ein Kugelknauf bekrönt. Die Quellen geben über die Beteiligung von zwei Architekten Aufschluß. Einem Architekten der Camera apostolica, bei dem es sich wahrscheinlich um Mattia de'Rossi handelte, war ein
1. Denkmäler
233
Architekt zur Seite gestellt, der das Vertrauen des französischen Beauftragten, Louis d'Angloure de Bourlemont (1618-1697), genoß. Bourlemont hatte in der Endphase die Friedensverhandlungen in Pisa geführt, er war Auditor an der Rota und bis 1680 auch Rektor von Saint-Louis. Als architecte de St. Louis läßt sich die Malerin und Architektin Plautilla Bricci ( :, "1616) identifizieren. Sie war in diesen Jahren mit einer Kapellenausstattung für Elpidio Benedetti in Saint-Louis (Abb. 80) beschäftigt 22 . In seiner verwirklichten F o r m stellt das Monument einen Kompromiß dar, der zwischen den für die Ausführung des Denkmals Verantwortlichen, Bourlemont und Cesare Rasponi, ausgehandelt wurde. So wußte Rasponi als Vertreter des Papstes die zunächst vorgesehene Invektive für die endgültige Fassung der Inschrift zu tilgen. Mit dem gleichen Verhandlungsgeschick unterband er die Anbringung eines umzäunenden Gitters, das dem Denkmal den Charakter eines Schandkäfigs verliehen hätte. A m Ende wurde das Säulenmonument nur mit einem Pollergeländer umzäunt, und die schließlich angebrachte Inschrift erinnerte an die Verbannung der korsischen Miliz aus R o m . Damit war der Sinngehalt des Denkmals auf ein Memoriale für eine Strafmaßnahme reduziert. Gerade weil das Denkmal in dauerhafter F o r m errichtet wurde, zeigt sich sein Kompromißcharakter auch an der von Ludwig X I V . gebilligten Zerstörung als Geste des Entgegenkommens gegenüber dem Nachfolger Alexanders V I I . Mit der Einwilligung zum Abbruch, der im Juni 1668 erfolgte, würdigte der König die Vermittlung von Papst Klemens I X . ( 1 6 6 7 - 1 6 6 9 ) bei den Friedensverhandlungen nach dem Devolutionskrieg, die im Monat zuvor in Aachen zum Abschluß gekommen waren. Die Wahl des Denkmaltypus erweist, daß man die Pyramide in Paris unnachgiebig als ein Monument der Anklage betrachtete. Dies bestätigt auch der spätere Erfolg, den das Denkmal in der französischen Bildpropaganda hatte. D e r Typus des Schanddenkmals läßt sich seit dem späten Mittelalter nachweisen, zahlreiche Beispiele sind für die Frühe Neuzeit in ganz Europa dokumentiert 23 . Errichtet aus Anlaß von Majestätsverbrechen wie Attentaten auf den Herrscher oder Aufständen, waren Schanddenkmäler Monumente des Triumphes. Sie erinnern an das Ereignis, klagen den Täter an und ehren den Erbauer. Für die Pyramide in R o m kommt einem Monument in Paris, das nach einem Attentat auf Heinrich IV. 1595 errichtet wurde, unmittelbare Vorbildfunktion zu. Heinrich IV. hatte den Mordversuch von Jean Chastel, für den man die Jesuiten als Hintermänner vermutete, weitgehend unbeschadet überstanden und ließ nach der Hinrichtung des Täters an der Stelle von dessen abgebrochenem Wohnhaus beim Pont au Change ein Schandmonument erbauen (Abb. 73). D e n turmartigen Aufbau bekrönte ein von Tugendpersonifikationen umstellter Obelisk, an den Fassaden rahmten Pilasterädikulen großformatige Inschrifttafeln, die an 22 Plautilla Bricci plante ab 1664 für Elpidio Benedetti die Kapelle des Kirchenpatrons in Saint-Louis. Es bleibt weiter zu untersuchen, ob für die Zuschreibung des in den Quellen als architecte de St. Louis titulierten Baumeisters eine andere Person in Frage kommen könnte. So ist 1682 ein Sieur L'Abry frangois architecte de l'eglise de St. Louis in der Korrespondenz mit dem französischen Kunstbeauftragten in Florenz genannt; Florenz, Archivio di Stato, Fondo Strozzi-Uguccioni 333, fol. 82; sowie im Zusammenhang mit den Festapparaten zur Geburt des Due de Bourgogne vgl. AE, CP Rome 279, fol. 167v (Festbericht August 1682). 23 Zum Typus neben Erben, 1996, p. 444^151 mit weiteren Beispielen Dietrich Erben, Bildnis, Denkmal und Historie beim Masaniello-Aufstand 1647-1648 in Neapel, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 62, 1999, p. 231-263, hier 247-250; ders., Geschichtsüberlieferung durch Augenschein, 2002, op.cit., p. 225-227.
234
IV. Die Präsenz Frankreichs in Rom
A R R E S T DE LA C O V R ,
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