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German Pages 406 [407] Year 2021
Geschichte in Wissenschaft und Forschung
Kai Ruffing (Hrsg.) unter Mitarbeit von Falk Ruttloh
Germanicus Rom, Germanien und die Chatten
Verlag W. Kohlhammer
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Umschlagabbildung: Gerard de Lairesse: Der Tod des Germanicus (15 v. Chr.–19 n. Chr.), 1675–80. Museumslandschaft Hessen Kassel, Gemäldegalerie Alte Meister.
1. Auflage 2021 Alle Rechte vorbehalten © W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Print: ISBN 978-3-17-036756-2 E-Book-Format: pdf: ISBN 978-3-17-036757-9 Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.
Inhalt Vorwort .....................................................................................................................
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Kai Ruffing Germanicus, Rom, Germanien und die Chatten – eine Einleitung ..................
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Roland Steinacher Die Germanen? Zwischen Konstruktion und Realität .......................................
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Patrick Reinard … in formam paene stipendiariae redigeret provinciae. Rom und Germanien unter Caesar, Augustus und Tiberius ...................................................................
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Armin Becker Die Chatten ................................................................................................................ 123 Stephan Berke Haltern und Germanicus ........................................................................................ 153 Peter Kehne Tacitus’ rhetorisch-dramatische Darstellungsabsicht als Hauptursache für die Unmöglichkeit einer Rekonstruktion der Germanicusfeldzüge und des historischen Germanicus ........................................................................................ 191 Florian Krüpe „Niemand stirbt so kunstvoll“: Der Tod des Germanicus ................................. 291 Rüdiger Splitter Traditionen der Inszenierung und der Wissenschaft: Porträts des Germanicus in Museen und Sammlungen ........................................................... 317 Ulrich Niggemann Rom und Germanien in der Erinnerungskultur der Frühen Neuzeit .............. 337
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Inhalt
Holger Th. Gräf Der Chattenmythos in der Frühen Neuzeit – Geschichtsschreibung und Identitätsbildung in der Landgrafschaft Hessen-Kassel ................................... 365 Register ...................................................................................................................... 390
Vorwort Die im vorliegenden Buch publizierten Aufsätze gehen auf eine Ringvorlesung zurück, die unter dem Thema 2.000 Jahre Germanicus-Feldzug römische Präsenzen in Hessen zu behandeln und in den Kontext der römischen Expansion nach Germanien zu stellen suchte. Ein Ziel war es dabei, nicht nur einem interessierten Publikum Einblick in aktuelle Tendenzen und Probleme der Forschung zu geben, sondern auch zu zeigen, daß die Deutung von Geschichte und die Nutzung von Geschichte als Argument Einfluß auf Geschichtsbilder nimmt, die kritisch zu hinterfragen sind. Dementsprechend wurden die Vortragsthemen so gewählt, daß sie nicht nur die Geschichte der römischen Auseinandersetzungen mit den Chatten in den größeren Kontext der römischen Germanienpolitik stellten, sondern auch die Rezeption und die Konstruktion einschlägiger Geschichtsbilder insbesondere in Gestalt des Germanen-Begriffs näher konturierten. Es ist alles andere als selbstverständlich, daß in einer Stadt, die weit außerhalb des ehemaligen römischen Herrschaftsbereichs liegt, ein derartig lebendiges Interesse an Alter Geschichte jenseits der Universität besteht, zumal die Alte Geschichte als einzige Altertumswissenschaft an der Universität Kassel vertreten ist. Dementsprechend ist es mein besonderes Anliegen an dieser Stelle, der VHS Kassel für die Anregung und Durchführung der Ringvorlesung zu danken. Ein besonderer Dank gilt auch allen Kolleginnen und Kollegen, die aus nah und fern nach Kassel gekommen sind und sich an dieser Veranstaltungsreihe beteiligt haben, die die Universität in die Stadt getragen hat. Für die kompetente Betreuung des Bandes und seine Geduld habe ich Herrn Dr. Peter Kritzinger besonders zu danken. Mein besonderer Dank für seinen unermüdlichen und sachkundigen Einsatz bei der Drucklegung gilt Falk Ruttloh. Es bleibt, dem Leser mit Catull folgendes zu wünschen: […] quare habe tibi, quicquid hoc libelli qualecumque […] (Catull. 1,8–9). Kassel, im Mai 2019
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Vorwort
Geschichte ist Kernfach politischer Bildung. Dies gilt nicht nur für die Schule, sondern auch für die Erwachsenenbildung, und hier insbesondere für die Volkshochschulen. Dort gibt es unterschiedliche Veranstaltungsformen: Kurse und Seminare, Exkursionen und vor allem Vorträge mit anschließenden Diskussionen. In den letzten Jahren beobachten wir in der Volkshochschule Region Kassel ein starkes Interesse für die Antike, und zwar insbesondere dann, wenn die heimische Region im Mittelpunkt steht. So hatte die in diesem Band dokumentierte Veranstaltungsreihe 2.000 Jahre Germanicus-Feldzug stets ein wissbegieriges und diskussionsfreudiges Publikum. Kontroversen waren dann zu verzeichnen, wenn die Referenten liebgewordene Vorstellungen und Auffassungen in Frage stellten. In einem besonderen Maße betraf dies die Geschichte der Chatten. Für Teile des Publikums unserer Volkshochschule sind die Chatten offensichtlich nach wie vor identitätsstiftend. Kritische Ausführungen, die die Rolle der Chatten als „ursprüngliche Hessen“ – auch dem Namen nach – ins Reich der Legende verbannten, wirkten zunächst verstörend und stießen oft auf Ablehnung. Alsbald jedoch hat diese Kontroverse wichtige Diskussionen ausgelöst. So hat die Veranstaltungsreihe eine wesentliche Funktion der Erwachsenenbildung erfüllt: Sie hat dafür gesorgt, dass die ohnehin sehr engagierte Beschäftigung mit der Thematik weitere Impulse bekam. Thomas Ewald
Programmverantwortung vhs Region Kassel
Germanicus, Rom, Germanien und die Chatten – eine Einleitung Kai Ruffing
Der Würdigung von Ereignissen, die 2.000 Jahre zurückliegen, wohnt bis heute ein ungebrochenes Faszinosum inne. Wurden diese Jubiläen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts insbesondere durch Mussolini, der sich selbst im Zuge der Propagierung der Romanità als neuer Augustus und Begründer eines neuen Imperium darstellte, insbesondere in Gestalt des bimillenario Augusteo politisch vereinnahmt,1 so sind sie heute nicht nur Bestandteil der jeweiligen Geschichtskultur und damit kulturgeschichtlich relevantes Phänomen, das durch Medienpräsenz und insbesondere Ausstellungen auch einer breiteren Öffentlichkeit zugeführt wird, sondern geben auch den Anlaß für die Fachwissenschaft, sich mit der betreffenden Thematik näher auseinanderzusetzten. Gleichwohl bleiben sie auch im heutigen Kontext ein Politikum.2 Den Auseinandersetzungen zwischen Rom und den Völkern jenseits von Rhein und Donau, die die Römer seit den commentarii de bello Gallico des Caius Iulius Caesar als Germanen bezeichneten,3 wohnte dabei sowohl in einer breiteren Rezeption als auch in der fachwissenschaftlichen Erforschung und Diskussion derselben ein besonderes Faszinosum inne, das sowohl Italien als auch den deutschsprachigen Bereich und darüber hinaus in seinen Bann schlug.4 So fand denn auch im Jahr 2009 die VarusSchlacht durch eine an drei Standorten durchgeführte Ausstellung und eine Vielzahl von Publikationen ein großes Echo.5 In den Kontext der römischen Germanien-Feldzüge seit Augustus gehören nun auch die Unternehmungen des Germanicus der Jahre 14–16 n. Chr. und der formelle Anschluß der Germanien-Feldzüge in Rom im Jahr 17 n. Chr., deren 1
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Schumacher 1988; Scriba 1995; Gentile 2007; Giardina/Vauchez 2008, 212–268; Lamers/ Reitz-Josse 2016. Horn 2012. Vgl. unten den Beitrag von Roland Steinacher. Landesverband Lippe 2009; Barmeyer 2012; Beyrodt 2012; de Gemaux 2012; Kösters 2012; Puschner 2012; Holsten 2012; Losemann 2017a; Losemann 2017b; Lange 2013; Roberto 2018, 227–308. Siehe insbesondere die Kataloge zur Ausstellung ‚Imperium, Konflikt, Mythos: 2000 Jahre Varusschlacht‘: LWL-Römermuseum in Haltern am See 2009; Varusschlacht im Osnabrücker Land GmbH – Museum und Park Kalkriese 2009; Landesverband Lippe 2009. Vgl. ferner e.g. die im Umfeld des Jubiläums erschienenen Monographien: Wiegels 2007; Schneider 2008; Dreyer 2008; Dreyer 2009; Moosbauer 2009; Sommer 2009. Vgl. ferner den monumentalen Sammelband Baltrusch et al. 2012; Wolters 2017.
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Germanicus, Rom, Germanien und die Chatten – eine Einleitung
2.000-jähriges Jubiläum zwar weit weniger intensiv als die Varus-Schlacht gewürdigt wurde, aber dennoch gebührende Aufmerksamkeit fand. Dazu gehörte im Jahr 2015 insbesondere die Ausstellung „Ich, Germanicus. Feldherr Priester Superstar“, die in Kalkriese unter der Schirmherrschaft der Bundesministerin der Verteidigung stattfand.6 Darüber hinaus wurde der Triumph des Germanicus über die Germanen im Jahr 2017 zum Anlaß einer Ausstellung mit dem Titel „Triumph ohne Sieg. Roms Ende in Germanien“ in Haltern,7 mit der – wie im Geleitwort betont wird – das letzte 2.000-Jahr-Jubiläum im Zusammenhang mit der römischen Geschichte in Westfalen begangen wurde.8 Wiederum gab das 2.000-Jahr-Jubiläum der Germanicus-Feldzüge auch den Anlaß einer intensiveren Auseinandersetzung mit dem Thema in der Fachwissenschaft.9 Wie aus den wenigen Worten bereits ersichtlich wird, sind es nicht zuletzt die lokalen Bezüge, die den Anlaß zu einer Würdigung der auf die römische Geschichte gegründeten 2.000-Jahr-Jubiliäen geben. Ist dieser Bezug mit Haltern und seinem römischen Hauptlager als offenkundigem römischem Verwaltungszentrum,10 Detmold bzw. dem Kreis Lippe als Standort des Hermanns-Denkmals und Kalkriese als Ort römisch-germanischer militärischer Auseinandersetzungen, die mit der Varus-Schlacht in Verbindung gebracht werden, ein offenkundiger, ist der Bezug zu Hessen bzw. zu Nordhessen auf den ersten Blick weniger offensichtlich, zumal im Gegensatz zu Nordrhein-Westfalen in Gestalt des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe und zu Niedersachsen ein politisches Bedürfnis, sich der eigenen römischen Vergangenheit anläßlich solcher Jubiläen anzunehmen, nicht erkennbar ist. Dennoch sind solche lokalen Anknüpfungspunkte etwa in Gestalt der römischen Funde im unweit der hessischen Landesgrenze liegenden niedersächsischen Hedemünden vorhanden.11 Wichtiger ist indes ein anderer Anknüpfungspunkt, der den Bezug zu den Feldzügen des Germanicus für Nordhessen herstellt: Es ist dies die Schöpfung einer eigenen Identität aus bzw. eine verbreitetere Rückbesinnung in der jeweiligen Gegenwart auf die Chatten, gegen die sich die Feldzüge des Germanicus im Frühjahr des Jahres 15 n. Chr. sowie im Jahr 16 n. Chr. unter anderem richteten.12 Die Chatten bildeten zumindest für den nordhessischen Raum eine nicht unwichtige Erinnerungsfigur, die bis zum Ende der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts eine gewisse Wirkungsmacht besaß und im sogenannten „Chattengau“, will sagen
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Burmeister/Rottmann 2015. Aßkamp/Jansen 2017. Matthias Löb und Barbara Rüschof-Thale in Aßkamp/Jansen 2017, 7. Vgl. insbesondere den überaus lesenswerten Sammelband von Burmeister/Ortisi 2018. – Vgl. ferner Reinard 2015; Rivière 2016; Weisser 2017. Mattern 2008, 141–143. Die Funde wurden in Grote 2012 veröffentlicht. Die Deutung des Fundplatzes als Lager ist freilich abzulehnen: vgl. von Schnurbein 2014. Zu diesem vgl. ausführlich Becker 1992, 196–209. Vgl. ferner Wolters 2008, 82.
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der nordhessischen Region um Fritzlar, Gudensberg, Maden und Metze, aufgrund Straßen- und Vereinsnamen bis heute präsent ist.13 Die Chatten wurden sogar in einem Comic mit Arminius in Verbindung gebracht, in dem ein kleiner Chattenjunge den Cherusker bei seinen Abenteuern begleitet, wodurch er Teil einer zeitgenössischen nordhessischen Populärkultur wird.14 Die Bezugnahme auf die Chatten als Begründer einer hessischen Identität findet sich freilich schon in der Geschichte der deutschen Sprache von Jacob Grimm, der ausführt, die Hessen seien abgesehen von den Friesen die einzigen in Deutschland, die bis auf seine Tage an derselben Stelle siedelten. Die diesbezügliche Beweisführung ist freilich recht eigentümlich. Denn Grimm bemerkt, die Chatten wären bereits bei Caesar erwähnt worden, allerdings unter dem Namen Sueben als Nachbarn der Sueben. Chatten und Sueben wiederum seien nahe verwandt, wie man daran sehen könne, daß die Hessen und die Schwaben in Deutschland beide ‚blinde‘ geheißen würden und Leute, die Offensichtliches nicht sähen, insbesondere von den Westphalen und Sachsen ‚blinde Hessen’ gescholten würden. In Süddeutschland würden wiederum die Schwaben als Blinde beschimpft. Noch mehr Interesse verdient eine weitere Beobachtung: Jacob Grimm verbindet die ‚Tatsache‘, daß die Chatten zwar irgendwann eingewandert, dann aber stets an ihrem Platze geblieben seien, mit einer besonderen Tugend derselben, wobei er Chatten und Hessen gleichsetzt.15 Auch die sich in dieser Zeit begründende hessische Landesgeschichte in Gestalt des hessischen Landeshistorikers und Archivars Johann Georg Landau blieb von diesen Vorstellungen nicht unbeeindruckt. Er verfolgte mit seinen ‚Gaubeschreibungen‘ die Idee, die ältesten Stammesgrenzen und damit die Einteilung des Volkes im deutschen Sprachraum zu erfassen. Der von ihm so bezeichnete ‚Hessengau‘ ist für ihn das Land der Chatten, sein Hessenbegriff war dementsprechend mit einem angenommenen Siedlungsraum der Chatten identisch.16 Dabei verdient ein Punkt größere Beachtung. Hatte schon Jacob Grimm auf die besondere Tugend der Chatten hingewiesen, so geht Landau in seiner Konstruktion Chatten-Bildes unter Berufung auf Grimm insofern weiter, als er den Bau des Limes vom Rhein bis in die Wetterau als besondere römische Maßnahme gegen die Kriegstüchtigkeit der Chatten sieht. Diese Kriegstüchtigkeit, die zum Scheitern einer römischen Eroberung des Gebietes der Chatten geführt habe, wird dann im folgenden noch in leuchtenden Farben unter Berufung auf die antike Historiographie geschildert.17 Der Limes wird bei Landau damit zu einer Grenze, die die Römer vor den besonders kriegstüchtigen Chatten schützen soll und gleichzeitig zur Trennlinie zwischen eben kriegerischer Tüchtigkeit und dem Gebiet des Imperium Romanum, ein Erzählmuster, das sich auch an anderer Stelle, nämlich in Bezug auf den Hadrians-Wall 13 14 15 16 17
Heppe 2006, 128–130. Völkl 2007. Grimm 1853, 393–394. Landau 1857, 6. Landau 1857, 6–8.
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findet, der von den Schotten als Zeichen ihrer Stärke verargumentiert wurde, da es schon den Römern unmöglich gewesen sei, Schottland zu erobern und sie sich durch die Grenzlinie hätten schützen wollen.18 Identität wird damit aus dem Scheitern der römischen Eroberungsbemühungen geschöpft, und für diese steht nicht zuletzt Germanicus, unter dessen Oberbefehl Militäraktionen gegen die Chatten durchgeführt wurden. Diese wenigen Andeutungen mögen genügen, um die Relevanz der Chatten und damit der Germanicus-Feldzüge auch in Nordhessen zu illustrieren. Ausgehend von dieser Beobachtung wird im Rahmen der hier vorgelegten Beiträge versucht, Germanicus sowohl in den Kontext der römischen Bemühungen in Germanien in der Zeit des Augustus und des Tiberius zu stellen als auch als Rezeptionsphänomen zu betrachten und dabei den allgemeineren Beiträgen solche beizustellen, die einem regionaleren Zugriff verpflichtet sind und das heutige Hessen in der Antike sowie die Rezeption von Römern, Germanen und Chatten in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stellen. So liefert zunächst Patrick Reinard einen ausführlicheren Überblick über das römische Ausgreifen nach Germanien unter Augustus und Tiberius. Roland Steinacher nimmt sodann sowohl vor dem Hintergrund der antiken und der neuzeitlichen Aufladungen desselben eine Betrachtung des Germanenbegriffs vor. Dem fügt Armin Becker einen Überblick über die neueren Forschungen zu den Chatten hinzu, der von den ersten Erwähnungen der Chatten bis zum Frühmittelalter reicht. Stephan Berke analysiert anhand der Nekropole von Haltern die Chronologie der Belegung von Haltern auch in der Germanicus-Zeit und ordnet die diesbezüglichen Ergebnisse einer planvollen Räumung Halterns erst um 17 n. Chr. im Zusammenhang mit der Abberufung des Germanicus ein. Peter Kehne wiederum betont in seinem Beitrag die Unmöglichkeit, die Feldzüge des Germanicus auf der Grundlage der Einlassungen des Tacitus zu rekonstruieren. Florian Krüpe analysiert in seinem Beitrag die Darstellung des Todes des Germanicus in den antiken Quellen ebenso wie die Rezeption im historischen Roman und leitet damit in den Rezeptionsteil über. Rüdiger Splitter widmet sich der archäologischen Porträtforschung vor dem Hintergrund der Darstellungen des Germanicus, unter anderem auch im Kontext der oben genannten Ausstellungen. Während Ulrich Niggemann dann einen Überblick über die Bezugnahmen auf Rom und Germanien in der Frühen Neuzeit liefert und dabei zeigt, welche fluide Gebilde Erinnerungsfiguren sowohl in Hinsicht auf die Antike als auch in Hinsicht auf Neuzeit und die Nutzung dieser Erinnerung in ihr sind, betrachtet Holger Gräf abschließend die Nutzung der Chatten als Erinnerungsfigur zur Stiftung von Identität in der Landgrafschaft Hessen seit dem 16. Jahrhundert und führt seine Analyse bis in die Gegenwart, nicht zuletzt, um auch und insbesondere den Gebrauch des Begriffes ‚Chattengau‘ kritisch zu beleuchten. Somit zeigt er nicht zuletzt auf, auf welcher Tradition die oben berichteten Konzepte von Jacob 18
Hingley 2008, 85–110; 118–156; Hingley 2010, 29–30; 115.
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Grimm und Landau beruhten. Damit wird durch die hier versammelten Beiträge versucht, das Spannungsfeld zwischen historischer Rekonstruktion in der Fachwissenschaft und der Erinnerungskultur in einen Zusammenhang zu bringen, ist doch auch die historische Forschung selbst bei allem Ringen um Objektivität nicht frei von der sie umgebenden Gesellschaft als Erinnerungsgemeinschaft, wie nicht zuletzt auch die verschiedenen Interpretationen zeigen, die an die Werke des Tacitus herangetragen wurden, welche in den Beiträgen wiederum thematisiert werden.
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Die Germanen? Zwischen Konstruktion und Realität Roland Steinacher*
Der Germanen- und Germanienbegriff war zu allen Zeiten missverständlich, widersprüchlich und deshalb wenig geeignet, historische Identitäten wie Strukturen zu fassen. Der Frühmittelalterforscher Jörg Jarnut verfasste vor beinahe eineinhalb Jahrzehnten ein „Plädoyer für die Abschaffung eines obsoleten Zentralbegriffes der Frühmittelalterforschung“. Sein Text endet mit folgender Feststellung: „Was sollen wir von einem historischen Begriff halten, der eine Großgruppe entweder voraussetzt oder aber konstituiert, die es wohl nie gegeben hat, die sich selbst jedenfalls nie als solche empfand und dementsprechend sich auch niemals so bezeichnete? Wie sollen wir mit einem Begriff umgehen, den vor mehr als zweitausend Jahren Caesar als Konstrukt wenn schon nicht erfunden, so dann doch zumindest populär und für seine politischen Ziele dienstbar gemacht hat? Einem Begriff, der dann seit dem Beginn der Neuzeit zwei Dutzend Generationen von vornehmlich deutschen, von ihrer eigenen Gegenwart frustrierten Intellektuellen, Professoren und anderen Schulmeistern eine Goldgrundvergangenheit anbot, auf die sich das Kämpferische, Heldische, Starke, Große, Gute, Edle, Schöne und Reine so wunderbar projizieren ließ, das man in der eigenen Welt so schmerzlich vermisste? Und: Wie stellen wir uns zu einem Begriff, der als gebieterisches rassistisches Attribut mit dem Konzept des Herrenmenschen verbunden die massenhafte, industriell organisierte Ermordung nichtgermanischer sogenannter ‚Untermenschen‘ geistig vorbereiten und begleiten konnte?“1
Trotzdem und wohl gerade wegen seiner Widersprüchlichkeiten hat der Germanenbegriff eine lange, vielseitige Geschichte von Verwendungen, Brechungen und Instrumentalisierungen – und das von Anfang an. In der zweiten Hälfte des ersten vorchristlichen Jahrhunderts führte Caesar den Germanennamen in seiner Beschreibung des gallischen Krieges ein und schuf damit eine neue römische, politische Begrifflichkeit. Andere Autoren – und hier zuerst Tacitus anderthalb Jahrhunderte später – wiederholten das Postulat eines östlich des Rheins und nördlich der Donau gelegenen römischen Interessensgebiets, dem eine gewisse Einheitlichkeit zugeschrieben wurde. In solchen *
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Diese schriftliche Fassung meines Vortrags im Rahmen der Ringvorlesung 2.000 Jahre Germanicus-Feldzug an der Volkshochschule Kassel am 01.10.2015 konnte im Rahmen meiner Anstellung in der DFG Kolleg-Forschergruppe „Migration und Mobilität in Spätantike und Frühmittelalter“ an der Universität Tübingen ausgearbeitet werden. Ich danke Mischa Meier und Steffen Patzold für ihre Gastfreundschaft. Jarnut 2004, 111.
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Die Germanen? Zwischen Konstruktion und Realität
römischen Kategorien wurde ein Germanen- und Germanienbegriff entwickelt und geprägt, nur hier kann die Frage nach seiner korrekten Verwendung in historischer und archäologischer Forschung ansetzen. Nach den Markomannenkriegen (166–180) verschwand der Begriff Germani weitgehend aus den Quellen, um streng genommen erst im 15. Jahrhundert wieder von deutschen Humanisten neu gebraucht zu werden, und zwar so, wie Caesar und Tacitus ihn angelegt hatten. Die bis ins 19. Jahrhundert formierte Sprach- und Geschichtswissenschaft konnte und wollte bis lange nach dem Zweiten Weltkrieg nicht auf einen klaren Ursprung deutscher Nation und Staatlichkeit in der außerrömischen Antike verzichten. Sie übersah dabei lange die vielen Schwierigkeiten der Idee einer gemeinsamen Identität verschiedener Gruppen des „mitteleuropäischen Barbaricums“ zwischen Rhein und Elbe, Ostsee und Donau.2
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Griechen, Römer und Barbaren
Für den Historiker ist die Nennung von Völkernamen – geschweige denn einer Großgruppenbezeichnung wie Germanen – in der römischen und griechischen Literatur eine ausgesprochen fordernde Problematik. Die überlieferten schriftlichen Nennungen werfen oft mehr Fragen auf, als sie klären. Der amerikanische Mittelalterhistoriker Thomas Noble hat die Probleme der Forschung auf den Punkt gebracht: Die dunkle Seite des Mondes, die dark side of the moon, sei die Welt außerhalb des Römerreiches, die Welt in der für die Römer die Anderen, die Barbaren lebten. Wir wissen meist nur über archäologische Befunde von den frühgeschichtlichen Gesellschaften in den Gegenden nördlich, südlich und östlich der römischen Grenzen. Ähnliches meinte Walter Pohl mit der Metapher von einer „römischen Brille“, die wir nicht abnehmen könnten. In West- und Mitteleuropa wird außerdem gerne vergessen, dass „Barbaren“ nicht nur „germanisch“ waren.3 Blicken wir zunächst etwas allgemeiner auf die antike Literatur und ihre Aussagen über Fremde und Barbaren. Die Sichtweise der griechischen Völkerkunde auf das Phänomen fremder bzw. barbarischer Völker kann man unter Hinweis auf Aristoteles vielleicht folgendermaßen zusammenfassen: Die Griechen lebten meist in poleis, πόλεις, also in relativ kleinen, doch jeweils unabhängigen „Stadtstaaten“, während die kulturell und sprachlich anders gearteten 2
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Kulikowski 2007, 43–70; Goffart 2006, 40–55; Pohl 2004, 18–22; Jarnut 2004, 111–113; Geary 2001, 25–28; Pohl 2000, 61; Beck et al. 1998, 420–438; Springer 1990, 169–177; Gollwitzer 1971, 282–356. International Congress on Medieval Studies, Kalamazoo 2005 in der Session „Neglected Barbarians“. Pohl 2005, 42.
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Barbaren in ethne, ἔθνη, in Völkern, organisiert waren. Diese ἔθνη begriffen die griechischen Gelehrten als größere, übergeordnete Gruppen bzw. Reiche, die jeweils weiter in „Stämme“ (φύλαι, phylai) untergliedert waren.4 Der Begriff des Barbaren taucht als Kompositum bereits in den homerischen Epen auf. Dort werden die kleinasiatischen Karer, die eine andere Sprache als die Griechen – aus deren Sicht also ein Kauderwelsch – sprachen, deshalb lautmalerisch als „Bar-bar-Sprechende“, βαρβαρόφωνοι, barbarophonoi, bezeichnet. Die Entstehung des Barbarenbegriffes hing demnach eindeutig mit der Fremdsprachigkeit bzw. den mangelhaften Griechischkenntnissen der Anderen zusammen.5 Ein Barbar war demnach für die Griechen wegen seiner Sprache und damit auch seiner Kultur ein Nicht-Hellene. Dabei konnte man durchaus die fremde Lebensweise kritisch sehen, zugleich aber die exotischen Gebräuche, den Schmuck und die Schönheit der Karer oder die alte Kultur und Weisheit der Ägypter bewundern.6 Doch insbesondere unter dem Eindruck der großen Kriege der Griechen gegen die Perser im 5. Jahrhundert v. Chr. gewann der Barbarenbegriff eine überwiegend negative Bedeutung. Die Barbaren, zu denen man ja auch die Perser rechnete, wurden oft als ungebildet, grausam und roh dargestellt. Überhaupt betonte mancher Grieche, dass nicht nur die Sprache, sondern auch die Sitten und Gesetze der Barbaren ganz anders und vor allem minderwertiger seien als die eigenen. Demnach wurde die Bezeichnung „Barbar“, „zu einem Kulturbegriff, der die gesitteten Griechen von den ungesitteten Fremden, die Angehörigen der griechischen Kultur von den kulturlosen Völkern scheidet.“7 Immer gab es in der griechischen Literatur aber den Einwand der Gleichheit der Menschen. Aischylos bezeichnet in seinem Drama „Die Perser“ die persischen Schiffe unter dem Perserkönig Xerxes I. zwar als barbarische Flotte, zeichnet dann aber die Menschen, deren Schicksal und Empfinden der Perser am Hof des Großkönigs nicht anders, als er es für Griechen getan hätte.8 Nördlich ihrer Welt gab es aus Sicht der Griechen zwei Typen von Barbaren. Im Westen lebte die Völkergruppe der zwar mutigen, doch teilweise auch wilden Kelten, die keine Städte hatten, jedoch sesshaft waren und Landwirtschaft betrieben. Im Unterschied dazu lebten in der Vorstellung der antiken Ethnographen im kalten Norden unüberschaubar viele völlig wilde Völker. Das ergab sich aus der dort herrschenden Kälte, die, so glaubte man zu wissen, gesund sei
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Aristot. pol. 1261a und 1276a; vgl. Steinacher 2017, 18–19; LSJ: „φυλή, ἡ, like φῦλον, a race, tribe; […] a union formed in an organized community (whether πόλις or ἔθνος): hence, tribe, i. e.“; Opelt/Speyer 2001, 819–830. Hom. Il. 2,867; vgl. Opelt/Speyer 2001, 833–834; Jüthner 1923, 2–4. Hdt. 2,50,1; 2,57,1; 2,77,1 (Ägypter); 8,144,2: Unterschiede zwischen Griechen und Barbaren; vgl. Opelt/Speyer 2001, 826–829 zur „Barbarenphilosophie“. Opelt/Speyer 2001, 820. Aischyl. Pers.
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und die Fortpflanzung fördere.9 Zu diesen Völkern gehörten auch die im Nordosten lebenden Skythen, die von Herodot im 5. Jahrhundert v. Chr. als Nomaden beschrieben wurden, welche durch die Steppen wanderten und gefürchtete Reiter und Bogenschützen waren.10 Geographisch wurde das Barbarenland des Nordens insgesamt in zwei Bereiche geteilt: in die Κελτική, Keltike, im Westen und die Skythike, Σκυθική im Osten, wobei der Fluss Tanais, der heutige Don, diese beiden Zonen trennte.11 Insbesondere die letztere Auffassung hatte weitreichende Auswirkungen. Denn über die Antike hinaus bis weit ins Mittelalter hinein griffen Gelehrte auf diese Vorstellungen von den Skythen und ihrem Siedlungsgebiet zurück. Das erklärt, wieso dann auch Heruler, Gepiden, Rugier, Goten, Vandalen, Hunnen, Awaren und Ungarn als Skythen aufgefasst werden konnten.12 Im Süden am Rande der Sahara und der afrikanischen Provinzen lebten berberische Gruppen. Ähnlich wie die germanischen Barbaren wechselten über die Jahrhunderte die Verhältnisse zwischen offenem Krieg und Bündnis. Maurische Reiter dienten in der römischen Armee, ihre Cousins musste man immer wieder mit größeren und kleineren militärischen Operationen disziplinieren. Im Osten an Euphrat und Tigris grenzte Rom an das persische Reich der Parther und später der Sassaniden. Dieses Großreich erwies sich immer wieder als ebenbürtiger Gegner, gleichzeitig hatten Römer und Sassaniden mit arabischen Gruppen zu tun, und wieder sind die Verhältnisse ganz ähnlich wie an der Saharagrenze, an Rhein und Donau.13 Am äußersten östlichen Rand der bekannten Welt beschrieben die Ethnographen und Geographen noch Indien und China mit all ihren Reichtümern.14 Dem griechischen ethnos entsprechen im Lateinischen die Begriffe gens und natio. Und seit dem 2. vorchristlichen Jahrhunderts verwendete man in Rom die Bezeichnungen für auswärtige Völker, nationes oder gentes externae, und den Barbarenbegriff synonym. Diesem Sprachgebrauch lag eine gleichsam politisch abgestufte Sichtweise zu Grunde. Fremde waren entweder Verbündete, Freunde des römischen Volkes, amici populi Romani, Bundesgenossen, foederati, oder aber zu besiegende Feinde. Zwar wurde auch eine größere Familie als gens bezeichnet, und der Begriff in dieser Bedeutung sogar häufiger verwendet, wobei natio streng genommen eine Gemeinschaft von gentes meinte. Doch in der alltäglichen Sprachpraxis wurden beide Begriffe parallel verwendet. Hinzu kommt, dass die 9 10 11 12 13
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Backhaus 1976; Heitz 2009 zu bildlichen Darstellungen. Steinacher 2017, 19–20; Woolf 2011; Balsdon 1979. von Bredow 2007, 7. Hartog 1980; von Bredow 2007, 7. Afrika: Hom. Od. 4,85; 14,295; Hdt. 4,4,196–197; vgl. Zimmermann 1999, 9–22, 177–190; Wiesehöfer 2015, 57–63. Dies galt auch für die Spätantike: Die Perser werden bei Ammian nie als Barbaren bezeichnet. Vgl. Brodka 2009. Zu Prokop und den Persern: Börm 2007; Siehe auch McDonough 2011. Bianchetti et al. 2016; Parker 2008.
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antike Terminologie generell nicht eindeutig und präzise war. Damit ist die Übersetzung der oben erwähnten Begriffe in moderne Sprachen problematisch. Während man heute beim deutschen „Stamm“ und dem englischen „tribe“ ausschließlich an frühe und primitive Gesellschaften denkt, hatte im Lateinischen der Plural gentes derartige Implikationen nur dann, wenn der Kontext klar anzeigte, dass man von Nicht-Römern sprach.15 Demgegenüber ist es heute so, dass die Übersetzung von gens als „Volk“ oder „Nation“ erstens Assoziationen mit der jüngeren Geschichte weckt und zweitens auf eine – freilich inhaltlich eingeschränkte – antike Entsprechung verweist. Gleichwohl ist, wie Patrick Geary gezeigt hat, die in der modernen Forschung übliche Unterscheidung zwischen dem Volk nach der Verfassung („people by constitution“), populus, und dem Volk nach der Abstammung („people by descent“), gens, eine wichtige und ausgesprochen nützliche Kategorie beim Verständnis der Quellen. Denn Rom hatte ähnlich den Griechen den Schritt von der gens zum verfassten Volk, hier dem populus, vollzogen, dessen Identität sich in einer gemeinsamen politischen Kultur manifestierte. Das bedeutete auch, dass der populus Romanus im Unterschied zu den feindlichen und unterentwickelten fremden Völkern eine Geschichte hatte, während die fremden, also nichtrömischen gentes höchstens mythische Ursprünge hatten. So gesehen bekamen solche Völker nur dann eine Geschichte, wenn sie in Kontakt mit Rom kamen.16 Und für alle Verbände an den römischen Grenzen gilt: Nur die schriftliche Überlieferung der Römer steht uns zur Verfügung, während die barbarischen Protagonisten stumm bleiben. Nun hat Tom Noble seine eingangs erwähnte Metapher so fortgesetzt, dass er der dunklen Seite des Mondes die bright side of the moon entgegen stellte: Den Gesichtskreis des römischen Imperiums mit seiner dichten, schriftlichen Überlieferung, mit seinen Münzen, Inschriften und Baudenkmälern, seinen Karten und Völkerlisten. Die Schrifsteller, die über Berber und Mauren, Araber, Hunnen, Cherusker, Markomannen, Quaden, Bataver, Boier, über Kelten, Germanen und Skythen schrieben, entwickelten bzw. übernahmen ganz eigene Denksysteme und Ordnungskategorien, die oft über Jahrhunderte Anwendung fanden. Ihr Denken, ihre Kategorien und Vorstellungen, ihre Vorurteile, Stereotypen und Sichtweisen müssen wir verstehen und berücksichtigen. Wir haben nur diese Literatur und müssen mit ihr arbeiten, dabei aber stets vorsichtig und hintergründig bleiben.
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Steinacher 2017, 20–21; Walser 1951, 67–70; Christ 1959, 273–288; Kulikowski 2007, 56–57; Pohl 1994, 9–26. Geary 2002, 62–65; Geary 1988, 6–10; Pohl 2005, 25–27; Steinacher 2014, 81.
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Ethnographische Literatur
Wie wurde Ethnizität in den kaiserzeitlichen, spätantiken und frühmittelalterlichen Quellen verstanden? Gewiss keine einfache Frage, aber ein notwendiger Ausgangspunkt, will man sich den jeweiligen Quellen nähern und versuchen, Projektionen und Konstruktionen betreffend des Germanenbegriffs späterer Jahrhunderte als solche zu erkennen. Ethnonyme, die in der kaiserzeitlichen Ethnographie bis etwa 150 n. Chr. verwendet werden, sind denen des 5. und 6. Jahrhunderts zumindest sprachlich ähnlich. Beispiele solcher Namen sind Goten und Gauten, Vinniler und Vandalen, Angeln und Sachsen, Langobarden und Hasdingen.17 Wie und in welcher Weise eine Beziehung zwischen den so bezeichneten Gruppen über die Jahrhunderte bestanden haben mag, ist großteils ungeklärt. Die uns überlieferten germanischen Völkernamen, Ethnonyme, tauchen in beinahe allen Fällen bereits in den Werken griechisch oder lateinisch schreibender Ethnographen und Historiker auf. Zu nennen sind hier zunächst Strabon (63 v.–23 n. Chr.),18 Plinius, Tacitus und Ptolemaios (um 100–nach 160).19 Plinius (23/24–79 n. Chr.) war als junger Mann Offizier am Rhein und widmete in seiner groß angelegten Enzyklopädie, der Naturalis Historia, den Völkern und der Geographie der bekannten Erdteile einzelne Kapitel.20 Tacitus Germania ist eine sehr ausführliche Beschreibung der Gebiete rechts des Rheins und nördlich der Donau, die um 98 geschrieben auf die einzelnen Völker eingeht und diese von Norden nach Süden und von Westen nach Osten in Anlehnung an Herodots Bericht (logos) über die Skythen ordnet. Ähnliche Berichte, hier in der Form von Exkursen, verfasste Tacitus für Britannien und Judäa.21 Die Quellen für ihre Aussagen über die ethnischen Verhältnisse außerhalb des Römerreichs sind uns meist nicht bekannt. Es bleibt eine offene Frage, ob diese Autoren nicht in manchen Fällen die Bezeichnung von Personenverbänden als Ersatz für exaktere geographische Bezeichnungen einsetzten. Außerdem werden in vielen Fällen utopische oder phantastische Elemente erkennbar, manche Namen scheinen gelehrter Spekulation zu entspringen. Auffallend ist, dass die genannten Autoren zwar teilweise ähnlich lautende Namen überliefern, meist aber sehr unterschiedliche Aussagen über die Lokalisierung und die gegenseitigen Bezüge der jeweiligen Gruppen machen. Das liegt auch daran, dass 17 18
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Rübekeil/Springer 2006, 487–506. Wolters 2005, 50–53 und die dortige Literatur; Timpe 1989, 357; Überblick über mehrere Autoren: Woolf 2011, 59–88. Reichert 2005, 567–597; Stückelberger 2000; Rasch 2005; Polaschek 1965; Hansen 1991; Bernecker 1989. Wolters 2005, 210–213. Hdt. 4,5–82; Wolters 2005, 262–267 und die Literaturangaben dort; Perl 1990; Lund 1991, 1858–1988; Lund 1991, 1989–2222; 2341–2382; Christ 1978, 449–487.
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unsere Autoren anders dachten bzw. andere Fragen stellten, als wir uns vielleicht wünschen würden. Die Aufgabe der römischen Ethnographie war zunächst die kognitive und machtpolitische Erfassung der Peripherie der Mittelmeerwelt. Bei den Versuchen, die ἔθνη/gentes zu typologisieren wurde mehr Augenmerk auf eine bestimmte Lebensweise oder ökologische Räume gelegt, also etwa zwischen Reiternomaden und Ackerbauern unterschieden.22 Wie und in welcher Weise Beziehungen zwischen den so bezeichneten gentes, Krieger-, Kult- oder Sozialverbänden über die Jahrhunderte bestanden haben, bleibt allerdings zu großen Teilen ungeklärt. Trotzdem oder gerade deshalb gibt es in der Geschichtswissenschaft, Archäologie und Frühgeschichte viele Annahmen und Debatten hinsichtlich möglicher Kontinuitäten. So kann etwa nicht ausgeschlossen werden, dass die römischen und griechischen Autoren Ethnonyme eingeführt haben, die dann im Laufe von Jahrhunderten eine Eigendynamik entwickelten und unter Umständen auch von sich eben formierenden neuen Gruppen als Selbstbezeichnung aufgegriffen wurden. Das würde freilich bedeuten, dass ein überlieferter Name, der den Römern alt und wichtig erschien, so bekannt geblieben wäre, dass er nun auch für die Barbaren bedeutsam werden konnte.23 Ethnizität war dabei nur eine Kategorie. Griechen und Römer waren Angehörige ihrer Stadtgemeinde, der πόλις oder civitas (in letzterem Fall samt dem Gemeinwesen, der res publica). Die außerhalb dieser geordneten und bekannten Welt lebenden Menschen versuchten griechische und römische Beobachter in auf griechisch gesagt ethnische, und auf lateinisch gesagt gentile Gruppen zu gliedern. Diese Herangehensweise ist freilich nicht nur aus der Antike bekannt. Schließlich beschäftigt sich auch die moderne Ethnographie mit Völkern am Rand der ‚zivilisierten’ Welt. Ethnische Zuweisungen betrafen und betreffen demnach vor allem jene Menschen, die jeweils außerhalb des eigenen Territoriums leben und sich damit durch Exklusion auf ihre Ethnizität reduzieren lassen.24
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Völker an den römischen Grenzen
Ethnische Identitäten änderten sich stetig und barbarische, gentile Verbände konnten – im Gegensatz zur Auffassung der älteren Forschung – oft nur in Auseinandersetzung mit den römischen Strukturen entstehen. Ethnizität und ethnische Bezeichnungen wurden erst dann zu einem für römische und griechische Autoren bemerkenswerten Thema, wenn Gesellschaften im Gesichtskreis des 22 23 24
Pohl 1997, 1–12; Pohl 1998, 17–69. Steinacher, 2014, 78–79; Steinacher 2011, 184. Pohl 2009, 440; Geary 2002, 53–54.
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Imperiums erschienen oder sich auf römischem Boden befanden. Das außerrömische Barbaricum war erstens verhältnismäßig dünn besiedelt, zweitens herrschte dort stets Güter- und Nahrungsmittelknappheit, und drittens variierten die Siedlungsdichte und -strukturen von der La-Tène-Zeit bis ins hohe Mittelalter oftmals erstaunlich wenig. Genau diese Güterknappheit ist einer der Hauptgründe für die Attraktivität, die das Reich als Zentrum auf seine Peripherie ausübte.25 Unter diesen Umständen versuchte die römische Seite seit der Kaiserzeit durch Föderatenverträge, die Anwerbung von Soldaten und den Handel mit Gewerbe- und Luxusgütern auf friedlichem Weg eine Form von Hegemonie zu erreichen, die militärisch mit den Offensiven der augusteischen Zeit nicht herstellbar gewesen war. Damit stellte das Imperium einen stabilen wirtschaftlichen und politischen Raum dar, dessen Außenwirkung lange stark genug war, das seit Cäsar und Tacitus als Germania bezeichnete mitteleuropäische Barbaricum zu integrieren.26 Walter Pohl hat festgestellt, dass dieses System sich jahrhundertelang mehr oder weniger bewährt hatte und insgesamt weitreichende Folgen für die europäische Geschichte zeigt. Die zunehmenden Möglichkeiten, entweder in römischem Dienst oder aber im Kampf gegen die Römer Prestige zu gewinnen, führten zu einem starken Sog auf barbarische Gesellschaften. Dabei legen insbesondere die Grabfunde nahe, dass die barbarischen Eliten nach dem Erwerb von Prestigegütern aus römischer Produktion oder nach römischem Vorbild strebten. Um diese Zusammenhänge zu untersuchen, darf man die barbarische und die römische Gesellschaft nicht jeweils alleine betrachten, sondern muss sie als gemeinsames System analysieren, letztlich also ein Modell von Zentrum und Peripherie anwenden.27 Es gab kaum eine gens an den Grenzen des Imperiums, die im Laufe der Jahrhunderte nicht friedlich oder kriegerisch mit Rom in Berührung gekommen wäre. Römische Autoren, Politiker und Militärs gingen davon aus, dass Rom rechtmäßig die Welt beherrschen solle. Verträge und andere Formen militärischer und politischer Bindung regelten den Status der Völker außerhalb der Grenzen und banden sie an das Zentrum. Manchmal musste Rom Krieg führen, um aufsässige Völker wieder unter Kontrolle zu bekommen. Die Welt, orbis terrarum, und Rom, orbis romanus, waren eins, weshalb abhängige und durch Verträge, foedera, an Rom gebundene Klientelstaaten oder gentes seit der Kaiserzeit eigentlich als Teil des Reiches gesehen wurden.28
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Steuer 1979, 595–633; Dick 2008, 159–202. Pohl 2005, 23–28. „Mitteleuropäisches Barbaricum“ ist eine Prägung Siegmar von Schnurbeins; vgl. von Schnurbein 1992. Pohl 2005, 13–30; Wolfram 1998, 78–85. Demandt 2007, 321; 323 und Anm. 189. Stallknecht 1969, 88–91 meint, dies trete erst im 4. Jh. ein.
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Der Germanenname
Was sind nun die Probleme mit dem Begriff „Germanen“, der uns so vertraut und unverzichtbar erscheint? Beginnen wir am Ende der Geschichte, damit ist in diesem Fall die Neuzeit gemeint. Früh in der deutschen Geschichte begann eine emotionale und politische Aufladung der alten Germanen als eigene Vorfahren. Gelehrte des 16. Jahrhunderts wie Konrad Peutinger, Jakob Wimpheling oder Ulrich von Hutten sahen in den Eroberern des in ihren Augen dekadenten Römerreiches glorreiche Vorfahren der Deutschen ihrer Tage. In dem Ausmaß wie die italienischen und französischen Kollegen sich auf römische Wurzeln beriefen und die Männer des Nordens wegen ihrer angeblichen Kulturlosigkeit angriffen, schlugen die Deutschen mit neuen, positiven Germanenbildern zurück. Dabei war oftmals ein antikatholischer, protestantischer Hintergrund wesentlich. In den kirchlichen Auseinandersetzungen der Zeit entstanden auch neue politische Konstellationen. In den so entstandenen oftmals recht groben und dumpfen Bildern eines deutsch-germanischen Wesens steckte von Anfang an eine gewisse Provinzialität und Aggressivität.29 Nachdem im späten 15. Jahrhundert die Germania des Tacitus im Druck erschienen war, griff nördlich der Alpen und östlich des Rheins eine breite Identifikation mit den Völkern des Altertums Platz. Konrad Peutinger gab 1515 die Getica des Jordanes/Cassiodor zum ersten Mal heraus. Im gleichen Band wurde die Historia Langobardorum des Paulus Diaconus abgedruckt. Zusammen mit der Germania des Tacitus, die bereits 1470 in Venedig erschienen war, stellten diese Texte nun den Ausgangspunkt der Konstruktion einer neu entdeckten „germanischen“ Vergangenheit dar. Conrad Celtis erklärte in seiner Antrittsvorlesung in Ingolstadt 1492 es wäre „sittlicher und ehrenhafter“ gewesen, „das karge und einfache Leben“ der germanischen Vorfahren aufrechtzuerhalten und „in den Grenzen der Mäßigung“ zu bleiben, „als die vielen Mittel der Unmäßigkeit und des Wohllebens […] einzuführen und die fremden Sitten anzunehmen.“30 Heinrich Bebel betonte gegenüber Kaiser Maximilian I., die Unvermischtheit und Bodengebundenheit der Deutschen im Gegensatz zu anderen Europäern. Dabei wurden ethnographische antike Kategorien schnell in eine zeitgenössische Argumentation eingebracht. Einer der Gründe für diese Überbetonung eigentlich nur geographisch passender Quellen und die Neuerfindung des Germanenbegriffs ist die schwierige Suche nach alten Traditionen in deutschen Landen. In Frankreich, Italien und Spanien konnten etwa städtische oder lokale Traditionen in viel größerer Dichte oder überhaupt durch Inschriften, Ruinen und detailliertere Quellen belegt werden als im Norden. Das 29 30
Steinacher 2017, 37–41; Steinacher, 2014, 90–92. Vgl. den Beitrag von Ulrich Niggemann. Zitate aus Celtis: von See 1994, 61–63; vgl. weiter von See 1970; von See 1999; Lund 1995; Krebs 2005; Krebs 2011.
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zentralistische französische Königtum machte die Frage nach großräumigen Identitäten einfacher. Im Zweifelsfall berief man sich in Paris auf einen römischen Ursprung, der Vorteil der Geographie sozusagen. Vielleicht haben diese Hintergründe bis in die jüngste Vergangenheit auch zur Folge, dass man sich in der deutschsprachigen Wissenschaft mit ethnischen Identitäten besonders schwertut.31 So einfach wie das Lemma im Deutschen Wörterbuch von Jakob und Wilhelm Grimm es suggeriert, ist es in unseren Quellen nämlich ganz und gar nicht. Die hochverdienten Begründer der Germanistik standen bereits in einer langen Tradition mit ihrer Definition. „germanen ist eine bezeichnung der deutschen und der ihnen stammverwandten völker bei Kelten und Römern, die sich bei letzteren mit sicherheit nicht über den sklavenkrieg [73–71 v. Chr.] hinauf verfolgen läszt.“32 Mit der konsequent gehaltenen Kleinschreibung verwiesen die Gebrüder Grimm übrigens auf frühmittelalterliche Handschriften, die die ersten althochdeutschen Texte in Minuskelschrift ohne Versalien überlieferten. Die Mehrheit der Gelehrten hatte keinerlei Vorbehalte, eine germanische Welt mit einer gemeinsamen Identität vor dem Mittelalter vorauszusetzen. Bis vor wenigen Jahrzehnten definierte die archäologische, sprachwissenschaftliche und historische Forschung die antiken Germanen als unmittelbare Vorgänger der modernen Deutschen. So ließ man die deutsche Geschichte mit den Germanen, die Caesar und Tacitus beschrieben hatten, beginnen.33 Diese Sicht der Dinge beruht gleichermaßen auf den antiken Texten wie auf deren frühneuzeitlichem Gebrauch. Es ist jedoch nicht möglich, die ökonomischen, sozialen, religiösen, ethnischen oder politischen Verhältnisse bei so gänzlich verschiedenen Völkern und Gruppen wie den Cheruskern, Batavern, Markomannen, Franken, Alemannen, Herulern, Gepiden, Goten oder Vandalen – und dazu noch über mehrere Jahrhunderte – zu verallgemeinern. Denn der Überbegriff ‚Germanen‘ ist ein römischer und literarischer Begriff. Es existierte zu keiner Zeit in der Antike eine gemeinsame ‚germanische‘ Identität oder eine ‚germanische’ Welt. Der amerikanische Frühmittelalterforscher Walter Goffart hat das so zusammengefasst: „Dass es die Germanen gar nicht gegeben hat, ist vielleicht eines der wichtigsten Dinge, die man über die Barbaren der Spätantike aussagen kann.“34 31 32
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Steinacher 2014, 92; von See 1994, 61–63. DWB 3716 „Das Deutsche Wörterbuch von Jakob und Wilhelm Grimm“ online: http://germazope.uni-trier.de/Projects/DWB [Letzter Zugriff: 27.03.2017]. Goffart 2006, 20–22. Goffart 2006, 20: „The non-existence of ancient Germans is perhaps the most important thing one can say about the barbarians of late antiquity.“ Pohl 2000, 1 beginnt sein Germanenbuch mit der Feststellung: „Ein Volk, das sich Germanen nannte, hat es vielleicht nie gegeben.“ Damit ist die lange Forschungsdebatte über den möglichen Ursprung des Germanennamens bei einer kleinen Gruppe, mit der Caesar in Berührung kam oder über die er gelesen haben mag, gemeint. Das „vielleicht“ im ersten Satz nahm
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Von Poseidonios bis Caesar – Alte und neue Feinde Roms
Zum ersten Mal in der antiken Literatur erscheint der Germanenname bei Poseidonios von Apameia am Orontes in Syrien, der etwa 51 v. Chr. starb, das bedeutet zu Caesars Lebzeiten. Er meinte einen besonders wilden Keltenstamm mit seinen Germanen. „Die Germanen essen zum Frühstück gliedweise gebratene Fleischstücke und trinken dazu Milch und ungemischten Wein, wie Poseidonios im 30. Buch erzählt.“ Poseidonius setzte die römische Geschichte des Polybios (ca. 203–120) fort und wollte die Kimbernkriege erklären, also auch die Herkunft dieser gefährlichen Barbaren. Unter den Nordleuten erwähnte er eben die Γερμανοί, Germanoi als wilde Kelten, den Kimbern ähnlich und verwandt.35 Solche Verhaltensweisen markierten eine frühe Entwicklungsstufe einer menschlichen Gesellschaft. Diodor und Strabo übernahmen diese Stereotypen, um damit ebenso die besondere Wildheit des Keltenstammes der Γερμανοί, die weit im Norden lebten, zu erklären. Eine recht einfache Vorstellung liegt dem zugrunde: Je nördlicher Barbaren leben, desto wilder sind sie.36 In prototypischer Weise repräsentierten die Kimbern die Bedrohung der römischen Kulturwelt durch die Barbaren vom Nordrand der Oikumene. Diese Wilden sind – so die Bilder der antiken Schriftsteller – jederzeit kampfbereit und wütend, ja todesverachtend, nach Raub und Brandschatzung aus, sie opfern ihren Göttern auch Menschen und greifen immer in großen Massen an. Außerdem sind die Kimbern Nomaden. Nomaden wiederum genossen den Ruf, besonders abgehärtet zu sein. Sie standen weit weniger in Gefahr, als Stadtbewohner oder Sesshafte zu verweichlichen, waren tapferer und kriegstüchtiger. Die Erinnerung an sie jagte jedem Römer einen Schauer über den Rücken. Im östlichen Alpenraum trafen die Kimbern 113 v. Chr. zum ersten Mal auf die Römer. In der Schlacht bei Noreia vernichteten sie ein römisches Heer und fielen schließlich in Gallien ein. Dort schlugen sie 105 v. Chr. in der Schlacht bei Arausio erneut eine römische Armee vernichtend, die den weiteren Vorstoß der beiden Stämme in die römische Provinz Gallia Narbonensis verhindern sollte. Einige Jahre später trennten sich die Kimbern von den Teutonen. Die Teutonen
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Goffart als viel stärker wahr, als es Pohl gemeint hatte. Eine „Germanic contention“ gebe es da (Goffart 2006, 7; 233): „Pohl is, of course, committed to the existence of his subject, a coherent ‚Germanic‘ people foreshadowing the ‚Deutsche‘ of today.“ (Goffart 2006, 274) Pohl 2007, 913 entgegnete darauf direkt in einer Rezension zu Goffarts Buch, dies sei „the exact opposite of my real position“. Poseid. fr. 22 (Athen. 4,39, p. 153e); Caes. Gall. 4,1,8; 6,22,1 zeigt klar den Bezug zu Poseid., wenn berichtet wird, die Germanen würden sich ausschließlich von Milch, Käse und Fleisch ernähren. Poseid. fr. 22 (Athen. 4,39, p. 153e); Diod. 5,32,3; Strab. 4,195; 7,290; vgl. Beck et al. 1998, 183–190; Timpe 1989, 343–346; Wolters 2004, 16–17.
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durchzogen plündernd Gallien, bis sie 102 v. Chr. von Gaius Marius in der Schlacht von Aquae Sextiae, dem heutigen Aix-en-Provence, vernichtend geschlagen wurden. Die Kimbern dagegen drangen weiter nach Oberitalien vor. Sie wollten in der fruchtbaren Poebene sesshaft werden und erbaten dort vom römischen Senat Siedlungsland. Am 30. Juli 101 v. Chr. wurden sie jedoch in der Schlacht von Vercellae, südlich dem heutigen Vercelli im Piemont, ebenfalls von den Truppen des Marius in einer offenen Feldschlacht besiegt. Die genannten Autoren wussten also ihr Publikum mit Anspielungen auf die römische Geschichte und Schaudergeschichten vom gefährlichen Fremden zu unterhalten, Caesar sich zudem noch in die Tradition des großen Marius zu stellen. Insgesamt konnte man die schmachvollen römischen Niederlagen in der Vergangenheit besser erklären. Jahrzehnte später in augusteischer Zeit war es Teil der staatlichen Propaganda, eine Gesandtschaft der Kimbern zu erfinden, die an den Hof des göttlichen Augustus gekommen sei und um Verzeihung für die von ihren Vorfahren vor Jahrhunderten verübten Gräueltaten gebeten habe. Dadurch wurde dem Regime des neuen Princeps indirekt die Fähigkeit zugesprochen, sogar vergangene römische Niederlagen gleichsam aufheben zu können.37 Die Germanen des Poseidonios waren in seiner Sicht ein keltisches, oder exakter galatisches Untervolk am östlichen Rand der Keltike. Die Nachbarn der keltischen Germanen des Poseidonios waren die Kimbern als westlichstes Volk der Grenzregion zur Skythike. Die keltischen Einwohner Galliens teilte Poseidonios in zwei Gruppen: Das Innere bewohnen die Keltoi, die Galatai leben in den nördlichen Regionen und an den Küsten bis zum Herkynischen Wald, der als die Grenze des bekannten Europa angenommen wurde. Eine wilde und gefährliche Untergruppe der Galatai im Norden waren eben die Germanoi. Galatai wurde synonym mit Keltoi in griechischen Texten gebraucht, und seit Polybios wurden die keltischen Einwohner der kleinasiatischen Region Galatia so genannt. Die Rückübersertzung des lateinischen Galli ins griechische Galatai war also verwirrend und mehrdeutig. Posidonius bildete die Basis vieler Texte seiner Zeit, er war ein prominenter und oft kopierter Schriftsteller, und auch Caesar nahm ihn als Standard, als der Feldherr seinen gallischen Krieg schrieb und einen gefährlichen, wilden Barbarentrupp sehr gut brauchen konnte. Posidonius wollte einen Keltenlogos nach dem Vobild von Herodots Skythenlogos schreiben und alle erwähnten Völkerschaften waren seiner Ansicht nach Kelten, erst Caesar und später das humanistische 16. Jahrhundert machten aus diesen Germanoi etwas anderes. Die moderne Forschung wollte die Nennung von Galatai im Norden zu
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Grünewald 2000, 493–500; Dobesch 1995, 59–71; Timpe 1994, 23–60; Krüger et al. 1979 1983, 1; 40–42; 232–254. Die Gesandtschaft der Kimbern an den Hof des Augustus: R. Gest. div. Aug. 26; Wolfram 1995, 28–29.
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einer Andeutung germanischer Identitäten im Norden Galliens machen, das geht aber auf keinen Fall aus dem Text hervor und ist eine sekundäre Interpretation.38 In der Einleitung seines Gallischen Krieges erklärte nun Caesar, dass Gallien von drei Gruppen bewohnt werde: Belgae, Aquitani, und die, die in ihrer Sprache Kelten und in unserer – also auf Latein – Galli heißen, tertiam qui ipsorum lingua Celtae, nostra Galli appellantur.39 In der Mitte des ersten vorchristlichen Jahrhunderts brach C. Julius Caesar mit traditionellen Vorstellungen der antiken Ethnographie, die zu seiner Zeit bereits eine beinahe fünfhundertjährige Tradition hatten. Dabei nahm er die genannten Kategorien des Poseidonios auf und verwendete sie für seine Zwecke. Die Welt nördlich des Mittelmeers war – wie wir ja bereits besprochen haben – in ein westliches Kelten- (Keltike) und ein östliches Skythenland (Scythike) eingeteilt. Caesar führte nun die Germani als dritte Großgruppe zwischen Skythen und Kelten ein. Dies sollte sich in der antiken Literatur außerhalb politischer Postulate nie ganz durchsetzen. Erst in der frühen Neuzeit begann eine für uns prägende und sehr vielseitige Rezeption. Der Rhein war erstmals als trennende Grenze definiert. Caesar wollte seinem Konkurrenten Pompeius, der den Euphrat überschritten hatte, nicht unterlegen erscheinen und suchte letztlich aus strategischen Überlegungen Gründe für die Rheingrenze, die er in Rom argumentieren konnte. Hier passte die poseidonische Kategorie der gefährlichen Nordvölker bestens ins Bild. Einem die Kelten Galliens behandelnden ethnographischen Exkurs stellte er einen über die Germanen zur Seite und konnte dabei an die genannte literarische Traditionen anschließen, die im Norden wohnende Barbaren als besonders hemmungslos und wild beschrieben hatten. Erst Caesar machte die Kimbern und Teutonen zu Germanen und sein mittelmeerisches Publikum verstand die dadurch hervorgehobene Gefährlichkeit dieser ‚neuen’ Barbaren. Caesar hatte die Germanen erfunden.40
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Diod. 5,32,1 dürfte sich auf Poseid. beziehen. Die Diskussion dazu: Timpe 1989, 344–345; Dobesch 1995, 59–63; Norden 1920, 59–63; Beck et al. 1998, 188 und allgemeiner zu Poseid. 183–185; 242–245 (Bibliographie). Caes. Gall. 1,1; vgl. Timpe 1986, 22–40. Lund 1990, 75–100; Zeitler 1986, 52: „Caesar […] prägte und schuf auf diese Weise nicht nur mit dem Schwert, sondern auch mit dem Wort Wirklichkeit.“ Jarnut 2004, 108; Zimmer 2004, 19. Feist 1927 betonte bereits, dass der Germanenname von Caesar eingeführt wurde und die meisten anderen Quellen von Kelten sprechen, wobei er kaum gehört wurde. Der Ansatz, die Einführung des Germanennamens durch Cäsar sei politisch motiviert: Walser 1956, 94: „Was Caesar in seiner ethnographischen Konstruktion des Germanenbildes als politisches Tendenzbild entworfen hat, ist später durch seine eigene Grenzziehung wirklich entstanden. Der caesarische Germanenbegriff erweist sich also als eine äußerst eigenartige Vorwegnahme des geschichtlichen Germanentums.“ Wie schon Feist wurde Walsers Ansatz abgelehnt: Hampl 1957, 284: „Dieses Anliegen führt ihn [Walser, RS] u. a. dazu, die alte seinerzeit von der Forschung einhellig abgelehnte These Feists, daß die
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Viele Griechisch schreibende Geographen und Geschichtsschreiber ignorierten die Erfindung Caesars, obwohl sie wohl unterrichtet über den lateinischen Sprachgebrauch waren. Strabon kannte zwar den Germanenbegriff, meinte aber, die von Caesar beschriebenen Völker seien echte Kelten; so erklärte er auch ihren Namen (germanus-a-um in der Bedeutung von echt, unvermischt).41 Cassius Dio sprach 200 Jahre später konsequent von Kelten als Bewohner der Germania und meinte, vom rechtsrheinischen Keltenland seien nur kleine Teile römisch geworden.42
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Tacitus und seine Germanen
Der ethnographischen Monographie De Origine et situ Germanorum des P. Cornelius Tacitus wurde in Antike und Mittelalter weit weniger Bedeutung beigemessen als nach ihrer ersten Drucklegung im Jahre 1470. Der römische
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rechtsrheinischen Germanen in Wirklichkeit Kelten gewesen seien, unter bestimmten neuen Gesichtspunkten neu zur Diskussion zu stellen.“ Strab. 7,1,2: „Nun sind die weit nach Osten reichenden Länder jenseits des Rheins, unmittelbar anschließend an das Keltengebiet, von den Germanen, Γερμανοὶ, bewohnt. Diese unterscheiden sich wenig von den Kelten, τοῦ Κελτικοῦ φύλου, nur sind sie wilder und größer und haben helleres Haar. Sonst sind sie aber ganz ähnlich. Was nämlich ihre Bauten, ihre Sitten und ihre Lebensweise betrifft, sind sie so wie die Kelten. Und ich glaube, das war auch der Grund, warum die Römer sie Germani genannt haben, so als ob sie betonen wollten, dass sie richtige, echte Galater sind, γνησίους Γαλάτας φράζειν, denn in der Sprache der Römer bedeutet germani ursprünglich.“ Vgl. Pohl 2000, 51; Hachmann 1975, 120; Norden 1920, 102; Rübekeil 1992, 182–187 dachte an eine Übersetzung des Suebennamens in der Bedeutung „die Echten“ in lateinisch Germani. Cass. Dio 39,49,1–2: „Der Rhein entspringt in den keltischen Alpen […] Dann setzt er sich westwärts fort und umfasst links Gallien und seine Bewohner, Γαλατίαν καὶ τοὺς ἐποικοῦντας αὐτήν, und rechts die Kelten, ἐν δεξιᾷ δὲ τοὺς Κελτοὺς ἀποτέμνεται. Die Stelle wird stets mit „Germanen“ übersetzt. Dieser Fluss wurde als Grenze gesehen seit die Völker unterschiedliche Namen tragen. Aber in alten Zeiten wurden die Völker an seinen Ufern Kelten genannt. Ἐπεὶ τό γε πάνυ ἀρχαῖον Κελτοὶ ἑκάτεροι οἱ ἐπ' ἀμφότερα τοῦ ποταμοῦ οἰκοῦντες ὠνομάζοντο. Vgl. Goetz/Welwei 2013, 199 Anm. 77: „Das heisst als ‚Kelten‘ (‚Gallier‘) und ‚Germanen‘; Dio verwendet aber weiterhin den älteren Begriff ‚Keltoi’ zur Bezeichnung der Germanen, nennt die ‚eigentlichen‘ Gallier ‚Galatai‘ und erläutert erst 53,12,6, dass sein Keltenbegriff auf Germanen zu beziehen ist.“ Dio ist sich der Problematik aber bewusst, erklärt sie und verwendet konsequent „Kelten“, erklärt auch an mehreren Stellen, dass der Germanenbegriff parallel Verwendung findet. Cass. Dio 53,12,5–6 etwa spricht von einigen der Kelten, die wir Germanen nennen. Diese haben das Territorium der Belgier am Rhein besetzt, und deshalb heißt dieses Land nun Germania. Κελτῶν γάρ τινες, οὓς δὴ Γερμανοὺς καλοῦμεν, πᾶσαν τὴν πρὸς τῷ Ῥήνῳ Βελγικὴν κατασχόντες Γερμανίαν ὀνομάζεσθαι ἐποίησαν […]. Vgl. RaepsaetCharlier/Raepsaet-Charlier 1975, 184–197; Schön 1997, 551; Cass. Dio 53,26,4–5; Allgemein zu Cass. Dio vgl. Millar 1964; Moeller 1984.
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Senator verfolgte als scharfer Kritiker des Prinzipats (und Domitians im Speziellen) in deskriptiv-moralischer, aber rhetorisch höchst eleganter Manier politische Interessen einiger alter Familien. Ihm war daran gelegen, durch den Aufbau eines stereotypen Barbarenbildes die von jenseits des Rhein ausgehende Bedrohung, als das Versagen der kaiserlichen Politik, zu betonen. Caesar aufgreifend und dessen Text übersteigernd, betonte er die Einheitlichkeit der Germanen, die unermessliche Größe des von ihnen bewohnten Gebiets und die sich nach Osten steigernde Wildheit dieser Barbaren. Die Betonung der Dimensionen war gleichzeitig als Aufforderung gemeint, die im Jahrhundert zuvor gewagten Ausdehnungsbestrebungen wieder aufzunehmen, und als eine Warnung.43 Tacitus schilderte die Bewohner Germaniens als unvermischt und mit den Ureinwohnern identisch. „Ich selbst schließe mich der Meinung derjenigen an, die glauben, Germaniens Völkerschaften, Germaniae populi, seien nicht durch Heiraten mit anderen Völkern, nationes, zum Schlechten hin beeinflusst und seien deshalb ein eigener, reiner und nur sich selbst ähnlicher Menschenschlag, gens, geworden.“44
Die Betonung der besonderen Qualitäten (Tapferkeit, Sexualmoral neben den stereotypen ethnographischen Grundeigenschaften der nördlichen Barbaren: simplicitas, iracundia, inertia, libertas, also Einfalt, Zornmütigkeit, Trägheit, Freiheitsliebe) der von Tacitus postulierten Germanen sollte in diesem Zusammenhang einen besonderen Feind in seiner ganzen Bedrohlichkeit malen. Diese Barbaren haben eine besondere körperliche Erscheinung und eine große Zähigkeit. Es handelt sich um ein seit Herodot bekanntes Motiv. Alte und besonders natürliche Völker sind etwa Skythen und Ägypter. Und auch wenn Tacitus im speziellen Fall der Germania mit ihrer Motivation, den Römern einen Spiegel vorzuhalten, auch positive Worte finden mag, Hintergrund dieser Klassifizierung ist ein Bild fremder und wilder Menschen, die eben nach anderen Regeln leben, als man es in der Kulturwelt gewohnt ist. Am Beginn des zweiten Kapitels ist Tacitus dahingehend klar: Die Germanen seien deshalb Ureinwohner, indigenae, weil Wanderung und Wechsel des Wohnsitzes in der Vorzeit durch den Schiffsverkehr auf dem Mittelmeer möglich waren. Da das auf der anderen Seite liegende Weltenmeer, der Oceanus, aber selten angefahren wurde, kam es kaum zu Einwanderungen nach Germanien aus den für Tacitus zivilisierten Gebieten, ab orbe nostro.45 Tacitus idealisierte traditionelle Sitten und Tugenden, den mos 43
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Allgemein zu Tac.: Syme 1958 und Syme 1970; Krebs 2005, 22–26; 69–81 und passim für den frühneuzeitlichen Gebrauch. Tac. Germ. 4,1 (Übersetzung von Alfons Städele). Tac. Germ. 2,1: Ipsos Germanos indigenas crediderim minimemque aliarum gentium adventibus et hospitiis mixtos, quia nec terra olim, sed classibus advehebantur, qui mutare sedes quaerebant, et immensus ultra, utque sic dixerim, adversus Oceanus raris ab orbe nostro navibus aditur. Vgl. Lund 1991; Rosen 2009, 26–27.
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maiorum. Sein Geschichtsbild hat nun die Tendenz, diese Altehrwürdigkeit in Spuren bei den ursprünglichen und eigentlich primitiven barbarischen Gesellschaften noch finden zu wollen.46 Nachdem 1470 die Germania des Tacitus in Venedig im Druck erschienen war, begannen Autoren nördlich der Alpen und östlich des Rheins die alten Germanen als ihre Vorfahren zu bezeichnen. Wie sehr der Literat Tacitus idealisiert und Barbaren als Gegenbild zu einer ihm verhassten Dynastie in Rom aufgebaut hatte, wurde erst viel später zu einem intellektuellen Problem. Ein kurzer Exkurs zur Germania, zu den De Origine et moribus Germanorum: In Hersfeld oder in Fulda wurde zwischen 830 und 850 eine Abschrift der „Germania“ angefertigt. Danach verliert sich fast sechs Jahrhunderte lang jede weitere Spur des Texts. Erst 1425 entdecken Humanisten diese Handschrift, den Codex Hersfeldensis. Papst Nikolaus V. ließ den Codex nach Italien bringen, wo er verschwand. Doch hat der Humanist Stefano Guarnieri eine eigenhändige, den mittelalterlichen Schriftduktus peinlich genau imitierende, Abschrift der „Germania“ angefertigt. 1470 wird diese Abschrift Guarnieris in Venedig gedruckt, 1473 auch in Nürnberg. Die nachhaltige Rezeption in Deutschland beginnt aber erst 1496 mit der Ausgabe von Aenea Silvio Piccolomini und den darauf folgenden Vorlesungen des Humanisten Conrad Celtis an der Universität in Wien und den ersten Übersetzungen ins Deutsche.47 In der Bibliothek Guarnieris in Osimo bei Ancona entdeckte Cesare Annibaldi, ein Oberschullehrer für Latein und Griechisch, den Tacitus im Jahr 1902 erneut. Schon in den zwanziger Jahren pilgerten Scharen völkisch bewegter Historiker und Philologen nach Italien und studierten die Handschrift. Auch das SS Ahnenerbe und Heinrich Himmler waren auf den wertvollen Fund aufmerksam geworden. Im Juli 1944 fährt ein SS-Sonderkommando am Palazzo vor. Als niemand öffnet, wird die Tür eingedrückt, das menschenleere Haus durchwühlt. Das Schriftstück ist nicht zu finden. In sinnloser Wut zerschlagen die SSLeute das Mobiliar, schlitzen Polster und Gemälde auf, kratzen die Fresken von den Wänden. Das gut verborgene Manuskript blieb aber in Italien.48
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Das Verschwinden des Germanennamens seit dem späteren 2. Jahrhundert
Nach den Markomannenkriegen findet sich der Germanenbegriff nur mehr selten und meist auf Franken oder Alemannen, die neuen Partner und Gegner 46 47
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Walser 1951, 160. Goffart 2006, 14; 16; 43–46; 48–50; Krebs 2005; Mertens 2004, 38–101; Muhlack 1991, 386– 392; Heubner 1989, 16–27; Pohl 2000, 59–61; Schellhase 1976. Krebs 2009, 12–17.
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Roms am Rhein, bezogen. Der Germanenbegriff wurde im lateinischen Westen seit dem späten 3. Jahrhundert regelrecht durch ‚Franken‘ und ‚Alemannen‘ ersetzt.49 Wenn Ammianus Marcellinus manchmal die Alemannen am Rhein Germani oder Barbari nennt, versteht er den Germanenbegriff auschließlich geographisch und als gelehrte Anspielung auf Caesar.50 Im 3. und 4. Jahrhundert und später erscheinen östlich des Rheins neue ethnische Namen wie Sachsen, Burgunder, Friesen oder Thüringer, die in der Regel von unseren Quellen nicht als Germanen bezeichnet werden. Seit dem 3. Jahrhundert verwendete man auf römischer Seite den Gotennamen, gentes Gothicae, für die nördlich des Schwarzen Meeres bzw. an der unteren und mittleren Donau zu lokalisierenden Goten, Heruler, Gepiden oder Vandalen, die auch als Skythen gelten konnten. Gleichzeitig verstand man Alanen, Sarmaten und andere, nach sprachwissenschaftlichen Kategorien keineswegs germanische Völker als Goten oder eben Skythen.51 Orosius, ein christlicher lateinischer Schriftsteller des 5. Jahrhunderts, gebraucht Germani ähnlich wie Ammian, nämlich stets für kaiserzeitliche Ereignisse, einer für ihn entfernten Vergangenheit.52 Auch bei Hieronymus in der Vita des heiligen Hilarion wird deutlich gesagt, dass der Germanenname ein historischer ist und der Frankenname ihm vorzuziehen sei. Hilarion, der schon weiter entfernten Gebieten berühmt geworden war, hat es mit einem Quästor des Kaisers Constantin zu tun. Dieser Beamte war vom Teufel geplagt, so dass er nachts heulte, seufzte und mit den Zähnen knirschte. Interessant ist nun die Beschreibung des Aussehens und der Herkunft des Quästors. Sein rötliches Haar und seine weiße Hautfarbe verraten seine Heimat, das Land der Sachsen und Alemannen. Dieses Land, schreibt nun Hieronymus, nannten die Geschichtsschreiber früher Germania, jetzt aber Francia.53 Gregor von Tours verwendet im 6. Jahrhundert nur einmal „Germanen“. An der fraglichen Stelle bezieht Gregor sich auf das verlorene Geschichtswerk des Renatus Profuturus Frigeridus. Der
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Pohl 2004, 172; Pohl 2000, 34–39; Wolfram 1997, 35–50; Krüger et al. 1979 - 1983, 2; 11–48; Norden 1920, 426: Germani „war nur mehr ein Literaturwort“. Amm. 27,2,3: Der Reiteroffizier Jovinus greift Alemannen bei der Schlacht von Châlonssur-Marne an. An einer Stelle bezeichnet Amm. diese als Germanen: […] latrocinalia castra perrupit contraque Germani nihil praeter inefficaces minas iactanter sonantes et fremitum. 31,10,5: Offiziere Gratians hatten Lentienses Alamanni besiegt und deren König Priarius getötet. Die Besiegten stellen Rekruten und dürfen nach Hause. […] verum retrocedere coacti Germani, noscentesque exercitus pleramque partem in Illyricum […]. Vgl. Drinkwater 2007, 276– 279; 310–312 und Pohl 2004, 173 zum Gebrauch des Germanennamens. Pohl 1998, 439; Heather 1991, 135–140; Wenskus 1961 - 1977, 462–484; Steinacher 2013. “Ostgermanen“ definiert als Kategorie bei Schmidt 1934 - 1941 - 1969; Schmidt 1918 - 1940 - 1970. Oros. 5,24,6; 7,29,15; 7,35,4; 7,41,2; vgl. Pohl 2004, 173. Hier. Vita Hilarii 22, PL 23,39; vgl. Pohl 2004, 173.
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Usurpator Constantinus sandte einen seiner Söhne um das Jahr 410 ad Germanias gentes, um alemannische und fränkische Hilfstruppen zu rekrutieren.54 Bei Zosimos, einem Historiker der um das Jahr 500 eine römische Geschichte schrieb, stellt Konstantin der Große ein Heer aus „Germanen und anderen keltischen Völkern“, Germanon kai ton allon Keltikon ethnon, zusammen. Natürlich wurde in den Übersetzungen dieser Stelle meist der scheinbar schlecht informierte Byzantiner verbessert und man sprach von „germanischen und keltischen Völkern“.55 Prokop berichtet, die Vandalen seien 406 am Rhein in Konflikt mit den Franken geraten, die früher einmal Germanen genannt wurden. Der Prokop fortsetzende byzantinische Historiker Agathias meint, die ehemals Germanen genannten Franken bewohnten nun Gallien.56 Der Germanenname Caesars und Tacitus war zu einem „vergangenheitsbezogenen Bildungsbegriff“ geworden.57
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Germania als geographischer Begriff
Bei allen Unklarheiten und der Unschärfe des Germanenbegriffs war nach Caesar und der Offensive des Drusus bis an die Elbe wie den folgenden Kriegen die territoriale Begrifflichkeit Germania vorhanden und wurde wie Gallia, Hispania oder Italia zur Strukturierung des lateinischen Europa gebraucht. Im Gegensatz zum Germanenbegriff steht der römische Territorialbegriff einer Germania. Zwei Provinzen wurden unter Domitian nach den Chattenkriegen der Jahre 83–90 am Rhein aus den gallischen gebildet. Die Germania inferior, die noch in der Begrifflichkeit der Niederlande fortbesteht, und die gebirgigere Germania superior. Nach der diokletianischen Reichsreform wechselte die Bezeichnung der Provinzen zu Germania prima und secunda. Die östlich davon gelegenen weiten Räume bis zur Weichsel und von der Donau bis zur Ostsee, wurden als Großgermanien, Germania (magna) bezeichnet, was bei Ptolemaios in der Form Germania megale erstmals zu lesen ist. Orosius sprach vom inneren Germanien, Germania interior. Beim häufig verwendeten Begriff Germania libera hingegen handelt es sich um eine gänzlich quellenfremde romantische Setzung, die zuerst von Jacob Grimm 1835/36 in einer Vorlesung über Tacitus gebildet wurde.58 54 55
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Greg. Tur. Franc. 2,9; vgl. Pohl 2004, 173; Castritius 2003, 507–508; Wynn 1997, 70. Zos. 2,15,1: […] Γερμανῶν καὶ τῶν ἀλλῶν Κελτικῶν ἐθνῶν […]; vgl. Pohl 2004, 170 und Anm. 31; Goffart 1971, 412–441. Prok. BG 1,11,29; Agathias 1,2,1: […] τὸ γένος τῶν Φράγγων […] οἱ πάλαι ὀνομαζόμενοι Γερμανοί […]; vgl. Pohl 2004, 171. Pohl 2004, 174. Ptol. 2,9,2; Oros. 7,32,12; vgl. Wolters 2008, 71–75; Pohl 2000, 59; Beck et al. 1998, 245–259; Goetz/Welwei 2013, 1; 172; Beck et al. 1998, 257; Alföldi 1997, 45–52.
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Erst in der Merowingerzeit konnte diese Germania von der Gallia aus beherrscht werden, ein altes römisches Vorhaben. Im Kontext der Kirchenorganisation des 8. Jahrhunderts, beispielsweise in den Briefen des Bonifatius, bediente man sich politischer Begrifflichkeit der römischen Kaiserzeit. Papst Gregor III. wandte sich in einem solchen Brief an die Bevölkerung der Provinzen Germaniens, die Hessen und Thüringer.59 Im 9. Jahrhundert wurden die fränkischen, rechtsrheinischen Gebiete aus westfränkischer bzw. päpstlicher Perspektive ebenfalls mit dem alten römischen Begriff bezeichnet. So konnte Ludwig II. als rex Germaniae oder rex Germanorum tituliert und sein Herrschaftsbereich Germania genannt werden. Erst seit dem 18. Jahrhundert ist der die Quellen missdeutende Beiname „der Deutsche“ für Ludwig II. verwendet worden.60
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Bonifatius, epist. 17 und 43, MGH Epistolae selectae 1,30,68: Gregorius papa universis optimatibus et populo provinciarum Germaniae, Thuringis et Hessis […] vel omnibus in orientali plaga constitutis. Vgl. Wolfram 1995, 84 und Anm. 76; Pohl 2004, 175. Pohl 2004, 175; Ehlers 1994, 15–17; Hartmann 2002, 1–6 und Anm. 9; Geuenich 2000, 313– 329; v. a. 316–319 und Anm. 19; Wolfram 1999, 294. Annales Xantenses ad. annum 854; 869; MGH Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi 12,28: Ludewicus rex orientalis; vgl. Kretschmer 1937, 222; Jarnut 2004, 109; Anton 2000, 46–48.
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… in formam paene stipendiariae redigeret provinciae. Rom und Germanien unter Caesar, Augustus und Tiberius Patrick Reinard
In diesem Beitrag soll in einem chronologischen Überblick die Germanienpolitik der ersten beiden römischen Kaiser Augustus (30 v. Chr.–14 n. Chr.) und Tiberius (14–37 n. Chr.) erläutert werden. Am Anfang der Darstellung müssen kurze Ausführungen zu Caesars Germanienpolitik stehen, die wichtig sind, um die späteren Kontinuitäten der außenpolitischen Handlungen des Augustus sowie Zäsuren in Roms Verhalten gegenüber Germanien besser verstehen bzw. erkennen zu können. Zudem soll auch die Entwicklung im ostgallischen Raum in augusteischer Zeit zumindest punktuell betrachtet werden, um sie mit greifbaren Prozessen in Germanien vergleichen zu können. Für eine Beurteilung der Situation im rechtsrheinischen Raum eröffnen sich dadurch Orientierungs- und Interpretationsmöglichkeiten. Entscheidende Erkenntnisgewinne über die frühkaiserzeitlichen Beziehungen zwischen Rom und den germanischen Stämmen wurden in den letzten Jahrzehnten durch die archäologische Forschung erzielt. Es ist deshalb geboten, insbesondere die vorliegenden Befunde und Informationen über die bekannten Militärlager sowie die zivile Siedlung von Waldgirmes in dem Überblick zu integrieren und zusammen mit literarischen, epigraphischen und numismatischen Quellen zu interpretieren.1
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Notwendige Vorbemerkungen: Caesar und die Germanen
Die Bezeichnung „Germanen“ ist zum ersten Mal in einem Fragment des griechischen Historikers Poseidonios überliefert, der mit ihm einen keltischen
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Verglichen mit anderen Phasen und Themen der römischen Geschichte liegt für das zu behandelnde Thema ein quantitativ sehr breiter Quellenbefund vor. Im Rahmen eines Überblicksaufsatzes kann deshalb lediglich eine Auswahl von Quellen behandelt werden. Dies gilt auch für die Forschungsliteratur.
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Rom und Germanien unter Caesar, Augustus und Tiberius
Stamm bezeichnet. Nach ihm essen die Germanen zum „Frühstück Fleischstücke, die gliedweise gebraten sind; dazu trinken sie Milch und ungemischten Wein“ (FrgGrHist. 87 F 22; vgl. Athen. 4,39,153e).2 Der Konsum von Milch und Fleisch, teilweise auch Menschenfleisch, ist ein alter literarischer Topos, der bereits bei Homer in seinen Aussagen über die Kyklopen (z. B. Hom. Od. 11,247; 11,293; 11,297; 11,308; 11,374) oder in den Historien Herodots u. a. in den Skythenbeschreibungen (z. B. Hdt. 4,2; 4,23; 4,26; 4,61; 4,172)3 greifbar wird. Dadurch soll eine unzivilisierte und archaische Kulturstufe verbildlicht werden.4 Die Germanen, die Poseidonios in die Region des norddeutsch-niederländischen Flachlandes verortet, waren aus der Sicht des gebildeten Griechen derart unzivilisiert, dass sie sogar Wein ungemischt tranken. Der vage Kenntnisstand über die Germanen änderte sich erst mit Caesar, der im Zuge seiner Eroberung Galliens (58–51 v. Chr.) mit verschiedenen rechtsrheinischen Gruppen in Kontakt kam und in seinen commentarii auch Exkurse über die Germanen bietet (Caes. Gall. 4,1,3–4,3,4 und 6,11–28). In diesen betont er vermeintlich grundlegende kulturelle, religiöse, gesellschaftliche, wirtschaftliche oder politische Unterschiede zwischen Kelten und Germanen5 und markiert den Rhein als klare ethnische Trennlinie zwischen beiden Völkern.6 Erst ab dieser Zeit hat sich der Germanenbegriff für die Völker und Gruppen rechts des Rheins eingebürgert7 und auch das rechtsrheinische Gebiet wurde nun schließlich nach ihnen „Germanien“ genannt.8 Tacitus schildert diese Entwicklung und sagt, die erste rechtsrheinische Gruppe, die nach Gallien gekommen sei, habe sich Germanen genannt. Später hätten die Gallier alle Völker rechts des Rheins als Germanen bezeichnet und schließlich hätten diese sich auch selbst so genannt (Tac. Germ. 2,3). Ob sich dies so ereignet hat oder ob die Bezeichnung „Germanen“ nicht doch viel eher einer vereinfachenden, auf Caesar zurückgehenden mediterranen Perspektive geschuldet ist, sei dahingestellt. Sicher ist nur, dass Caesars Darstellung ausgesprochen wirkmächtig gewesen ist (Strab. 7,1,2; Tac. Germ. 1,1). Die archäologische Forschung9 hat ihn aber widerlegt und deutlich aufgezeigt, dass der Rhein keinesfalls als kulturell-ethnische Grenze anzusehen ist. Viel eher zeigen sich kulturelle Unterschiede von Süden nach Norden, die 2
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Steinacher 2010, 145; Bäcker 2010, 160f.; vgl. auch Pomp. Mela 3,2; vgl. den Aufsatz von Roland Steinacher in diesem Band. Allg. zum über Nahrungsmittel ausgedrückten Topos der wilden und unzivilisierten „Barbaren“ bei Herodot vgl. Bichler/Rollinger 2011, 52 f. Wolters 2004, 16 f. Vgl. z. B. auch Caes. Gall. 1,31,11; Schauer 2016, 193. Wolters 2004, 17. Obwohl es hier durchaus auch Ausnahmen gibt: Cassius Dio spricht etwa rechtsrheinische Stämme als „Kelten“ an. Schneider 2008, 25. Wolters 2004, 18.
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jedoch beiderseits des Rheins gleichermaßen sichtbar werden.10 Die sog. LatèneKultur ist gekennzeichnet durch u. a. oppida-Siedlungen, Münzprägung und Geldwirtschaft sowie verhältnismäßig geringe Grabbeigaben. Sie war von Gallien über den Voralpenraum und das Donaugebiet bis nach Böhmen verbreitet. Weiter nördlich im Mittelgebirgsraum11 gibt es zwar auch oppida und Münzen – als Beispiel für beides sei etwa auf die Siedlung auf dem Dünsberg in Hessen verwiesen –, allerdings andere Grabriten; vornehmlich war es hier üblich, reiche Beigaben in den Gräbern abzulegen. Im norddeutschen Flachland waren die Grabbeigaben vergleichbar, allerdings gab es hier keine oppida. Natürlich sollte man immer differenzieren zwischen archäologisch feststellbarer Kultur und vermeintlichen ethnischen Gruppe, die mittels der materiellen Hinterlassenschaften, die als „Kultur“ archäologisch sichtbar werden, umgingen (Keramik, Münzen, Kleidung) bzw. innerhalb dieser lebten (Siedlungsstrukturen). Man muss deshalb konstatieren, „daß die Zeugnisse der materiellen Zivilisation, so wertvoll sie für die Zuordnung zu größeren Kulturprovinzen sind, gleichwohl nichts Verbindliches über die ethnische Zugehörigkeit ihrer Träger, vor allem in den Rand- und Übergangszonen, aussagen“.12 Dennoch zeigt die Archäologie sehr deutlich, dass Caesars Darstellung keineswegs den realen Gegebenheiten entsprochen haben kann. Zwischen links- und rechtsrheinischen Gruppen gab es im 1. Jahrhundert v. Chr. einen regen Austausch und in vieler Hinsicht kulturelle Gleichheit. Hierzu passen schließlich auch einige Widersprüche,13 die sich in den commentarii finden lassen: Die an der Mosel und bis zum Rhein (Caes. Gall. 3,11,1) siedelnden Treverer spricht Caesar als Gallier an, allerdings sollen sie ursprünglich germanischer Herkunft gewesen sein; von Tacitus werden die Treverer und die Nervier als Germanen bezeichnet (Tac. Germ. 28).14 Die Menapier, nach Caesar keltischen Ursprungs, siedelten beiderseits des Flusses (Caes. Gall. 4,4,1f.). Für das norddeutsch-niederländische Flachland nennt Caesar, ebenso wie Poseidonios, Germanen, die er als cisrhenani bezeichnet (Caes. Gall. 2,4,10; 6,2,3); diese Gruppen – es handelte sich um die Eburonen, Menapier und Nervier sowie kleinere Stämme wie die Condrusen, Segner, Caeroser, Paemanen u. a. (Caes. 10
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Das Nachfolgende stellt lediglich eine vereinfachte Darstellung der archäologischen Befundlage dar, die hier nicht in toto behandelt werden kann. Zum Mittelgebirgsraum vgl. etwa Rasbach 2010, 95ff. Heinen 2002, 20. Wolters 2004, 17–19. Tacitus darf man aber zumindest für die Treverer mittels sprachwissenschaftlicher Argumente entkräften. Die von Caesar für den treverischen Stamm angeführten Personennamen – Indutiomarus und Cingetorix – sind keltischen Ursprungs. Außerdem schreibt der Kirchenvater Hieronymus im 4. Jh. n. Chr. in seinem Kommentar zu dem Galater-Brief (2,3), dass die Treverer die gleiche Sprache sprechen würden wie die Galater in Kleinasien, bei denen es sich bekanntlich um einen keltischen Stamm handelt, der in hellenistischer Zeit aus Mitteleuropa nach Kleinasien eingewandert war; vgl. Heinen 2002, 20.
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Gall. 6,32,1) – lebten also auch westlich des Rheins und nördlich des Trevererstammes.15 Allgemein heißt es in den commentarii, alle Belgae seien zugezogen (Caes. Gall. 2,4,1). Diese Beispiele zeigen auf, dass die nordöstlichen Stämme Galliens allgemein mit den Germanen in Verbindung gebracht wurden. Den zweiten Germanen-Exkurs (Caes. Gall. 6,11–28) fügt Caesar anlässlich seines zweiten Rheinübergangs ein und alles spricht dafür, dass nicht die realen Gegebenheiten, sondern die Intentionen des Autors für die Hervorhebung des Rheins als kulturell-ethnischer Grenze verantwortlich ist. Caesar konnte so einerseits den Umfang seiner Eroberungen inhaltlich stützen und andererseits auch verständlich erklären, warum weitere Aktionen im Zuge der beiden Rheinübergänge (55 und 53 v. Chr.) nicht notwendig waren. Ganz Gallien war ja schon erobert! Der Exkurs anlässlich des zweiten Rheinübergangs verschleiert, wie dies jüngst Markus Schauer betont hat, zudem die Ergebnis- und Erfolgslosigkeit dieses Unternehmens.16 Ferner wird aber deutlich, dass Caesar der Ansicht war, für die Kontrolle Galliens den Rhein als natürliche Grenze zu benötigen.17 Zuzug von rechtsrheinischen Gruppen wurde, wie weiter unten gezeigt werden wird, stets aggressiv verhindert. Dadurch wird verständlich, warum Caesar in dem Germanen-Exkurs die scharfe kulturell-ethnische Trennung zwischen Kelten und Germanen konstruiert und den Rhein als Grenzlinie hervorhebt. Kontakte zwischen links- und rechtsrheinischen Gruppen werden auch eindeutig in Caesars Schilderung des Konflikts mit dem germanischen König Ariovist im Jahr 58 v. Chr. greifbar.18 Dieser hatte vor mehr als zehn Jahren einen gallischen Hilferuf genutzt, um sich in Gallien festzusetzen. Im Jahr 59 v. Chr. schloss Rom mit Ariovist einen Freundschaftsvertrag (Caes. Gall. 1,35,2; 1,40,2 und 1,43,4).19 Allerdings fühlten sich nun die mit Rom ebenfalls befreundeten Haeduer (Caes. Gall. 1,33,2 und 1,43,8) von Ariovist bedroht und wendeten sich deshalb an Caesar, den neuen Statthalter der Gallia Narbonensis (Caes. Gall. 1,31,12–1,32,5).20 Dieser behauptet, die Zahl von 15.000 Germanen, die dem rex germanorum anfänglich unterstanden, wäre im Laufe der Jahre auf 120.000 angewachsen (Caes. Gall. 1,31,5).21 Caesar bemüht in seinem Bericht die seit den Einfällen der Kimbern und Teutonen (113–101 v. Chr.) bekannte Germanengefahr (Caes. Gall. 1,40,5), sieht die Gallia Narbonensis, aber auch Italien durch 15 16 17 18 19 20
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Heinen 2002, 13; 19. Schauer 2016, 151–154. Schneider 2008, 30. Ausführlich zu Caesar und Ariovist: Christ 1974. Heinen 2002, 16. Schneider 2008, 27–29; zur literarischen Instrumentalisierung der „Figur“ des Ariovist vgl. Schauer 2016, 200–203. Die Zahl von 120.000 Feinden hatte seit Sulla in der spätrepublikanischen Selbstdarstellung weite topische Verbreitung gefunden. Sie dient der Selbsterhöhung und ist zu diesem Zweck zweifellos übertrieben; vgl. Reinard 2018.
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Ariovist bedroht und rechtfertigt so sein kriegerisches Vorgehen (Caes. Gall. 1,33,2–5). Dieses war eigentlich illegitim, da er ohne wirklichen Grund außerhalb seiner Provinzen agierte. 80.000 Germanen, eine gewiss übertriebene Zahl, sollen Caesars Truppen hingeschlachtet haben. Der Rest des Ariovist-Volks floh über den Rhein. Caesar ging es in erster Linie darum, den Zuzug von rechtsrheinischen Gruppen zu verhindern (Caes. Gall. 1,31,4 und 16; 1,33,3; 1,35,3; 1,43,9). Es war für ihn nicht zu akzeptieren, dass sich diese in Gallien festsetzten und politisches und militärisches Gewicht erlangten. Dies wird auch bei seiner Reaktion auf die Wanderung der Helvetier im Jahr 58 v. Chr. deutlich. Da er befürchtet, rechtsrheinische Gruppen könnten in das ursprünglich helvetische Gebiet – zwischen Jura, Rhône, Genfer See und Rhein – eindringen, stoppt er den Zug (Caes. Gall. 1,28,3f.). Ganz ähnlich ist auch der Fall der Usipeter und Tenkterer, die im Jahr 55 v. Chr. angeblich mit 430.000 Menschen (Caes. Gall. 4,15,3) den Rhein im Mündungsgebiet, dem Gebiet der Menapier, überschreiten wollen (Caes. Gall. 4,1; 4,4).22 Sie bieten Caesar an, ihm militärische Folge zu leisten, sofern er ihnen Siedlungsland zuweisen würde. Dieser möchte ihnen aber nur eine Ansiedlung im Land der rechtsrheinischen Ubier gewähren (Caes. Gall. 4,7 f.) und noch bevor die diplomatischen Verhandlungen abgeschlossen sind – Caesar setzt während diesen die Anführer der Stämme gefangen –, kommt es zu Gewaltausbrüchen und schließlich zur weitestgehend militärischen Vernichtung der führungslosen Usipeter und Tenkterer durch die Römer (Caes. Gall. 4,13,6–4,14,2). Caesars Strategie war, Zuzug aus dem rechtsrheinischen Gebiet nicht zu tolerieren. Zudem führt er aus, dass Einfälle wie die des Ariovist, der Helvetier sowie der Tenkterer und Usipeter stets darauf abgezielt hätten, Gallien zur Gänze zu erobern (Caes. Gall. 1,2,2; 1,30,3; 1,31,16), was zweifellos maßlos übertrieben ist. Die beiden, zwar breit in die Überlieferung eingegangenen (Liv. per. 105 und 107; Plut. Caes. 22f.; Flor. epit. 1,45,17), militärisch aber ergebnislosen Rheinübergänge 55 und 53 v. Chr. dienten nur dem Zweck der politischen und militärischen Machtdemonstration (Caes. Gall. 4,19) und sollten Germanen abschrecken, die einen Übertritt nach Gallien in Erwägung zogen.23 Ganz konkret dürfte im Jahr 53 v. Chr. die Demonstration militärischer Stärke an die germanischen Stämme gerichtet gewesen sein, die flüchtige Treverer nach dem Ende des Aufstands der nordöstlichen Gallierstämme aufgenommen hatten (Caes. Gall. 6,9,1 f.). Bereits 56 v. Chr. kursierten Gerüchte, dass die gallischen Stämme die Germanen ins Land rufen würden, woraufhin Caesar seinen Legaten Titus Labienus in das Gebiet der Treverer schickte (Caes. Gall. 3,11,1 f.).24
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Schneider 2008, 31. Schneider 2008, 32. Heinen 2002, 22.
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Außerdem waren längere militärische Aktionen östlich des Rheins, wie Helmuth Schneider zu Recht betont hat, für Caesar aufgrund der nicht zu organisierenden Versorgungslage undurchführbar (Caes. Gall. 6,29,1). Dieses logistische Problem war auch für die spätere augusteische Germanienpolitik von zentraler Bedeutung. Zudem lohnte, aus der Perspektive Caesars, der die schlechten landwirtschaftlichen Voraussetzungen und die Armut der rechtsrheinischen Gebiete häufig betont (Caes. Gall. 1,31,11; 4,1,7; 6,22,1–3; 6,29,1), eine Eroberung ökonomisch nicht.25 Allerdings knüpfte Caesar mit ihm zuverlässig erscheinenden rechtsrheinischen Gruppen Verbindungen. So nahm er 55 v. Chr., im Jahr des ersten Rheinübergangs, die Ubier in ein amicitia-Verhältnis mit Rom auf (Caes. Gall. 4,16,5). Vielfach nutzte er auch Germanen, die für ihn kämpften, oder motivierte rechtsrheinische Gruppen in gallische Gebiete einzufallen, die Caesar selbst nicht oder nur mühevoll erobern konnte (Caes. Gall. 6,34,8; 6,35,4 und 7). Diese Strategie wendete er besonders gegen die Eburonen an, die im Jahr 54/53 v. Chr. während eines Aufstands in Nordostgallien, der gemeinsam mit den Nerviern und Treverern durchgeführt wurde, eineinhalb Legionen der Römer vernichtet hatten (Caes. Gall. 5,32–37). Dass die germanischen Gruppen in diesen Jahren auch für ostgallische Stämme eine Gefahr darstellen konnten und Caesars Taktik somit sehr sinnvoll gewesen sein dürfte, zeigt das Jahr 52 v. Chr. Während sich damals unter der Führung des Vercingetorix die größte gallische Koalition gegen Caesar formierte, hatten die Treverer mit einer germanischen Bedrohung zu kämpfen und waren u. a. deshalb nicht in Alesia beteiligt (Caes. Gall. 7,63,7).26 Nach dem zweiten Rheinübergang 53 v. Chr. ließ Caesar die Rheinbrücke, die er ausführlich beschreibt (Caes. Gall. 4,17 f.), abreißen.27 Dies steht symbolisch für seine Germanienpolitik, die defensiv orientiert war. Germanische Verbände sollten nicht nach Gallien kommen, zugleich wollte aber auch Caesar nicht in das rechtsrheinische Gebiet vordringen. Neben den Rheinübergängen 55 und 53 v. Chr. demonstrierte Caesar 50 v. Chr. nochmals eindrucksvoll Roms militärische Macht. Damals ließ er im Treverergebiet eine umfängliche Truppenparade und -musterung durchführen (Caes. Gall. 8,52,1). Dies war einerseits dadurch motiviert, dass die Treverer sich nach dem NordostAufstand von 54/53 v. Chr. und ihrer Nicht-Beteiligung 52 v. Chr. im Jahre 51 v. Chr. nochmals erhoben hatten. Wie Heinz Heinen sehr richtig interpretiert, war die Truppenparade zudem andererseits
25 26 27
Schneider 2008, 32–34. Heinen 2002, 16; 25. Wolters 2004, 23.
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„eine Warnung nicht nur für die Gallier, sondern sicherlich auch an die Adresse der benachbarten Germanen, die in den voraufgegangenen Jahren verschiedentlich gemeinsame Sache mit den Treverern gegen die Römer gemacht hatten.“28
In einem Zusammenhang mit der Erhebung im Nordosten Galliens im Jahr 54/53 v. Chr. oder mit dem Aufstand der Treverer im Jahr 51 v. Chr. könnte ein neugefundenes Militärlager nahe Hermeskeil im Kreis Trier-Saarburg stehen.29 Das bisher bekannte Fundmaterial erlaubt, besonders aufgrund der relativ chronologischen Datierung der Schuhnägel, eine zeitliche Bezugnahme. Archäologische Indizien weisen darauf hin, dass es sich bei der Anlage nicht um ein Marschlager, sondern eher um einen dauerhaften Stützpunkt gehandelt haben dürfte.30 Ganz offensichtlich orientierte sich das Lager, wie Sabine Hornung aufzeigt, auf das keltische oppidum „Hunnenring“ bei Otzenhausen. Dennoch bedeutet die dauerhafte Anlage eines Lagers in Ostgallien mittelbar auch eine Reaktion auf Bedrohungen durch rechtsrheinische Gruppen. Für das Verständnis der in der Folge darzustellenden augusteischen Germanienpolitik sind drei Aspekte der Politik Caesars wichtig: 1. Der Rhein wurde durch die Eroberung im Gallischen Krieg zur politischen Außengrenze des römischen Reiches und zudem intentionell von Caesar als kulturell-ethnische Trennlinie aufgebaut. 2. An dieser Grenze agierte Rom seit Caesars Statthalterschaft defensiv. 3. Bereits Caesar knüpfte im Zuge seiner defensiven Positionierung gegenüber Germanien Freundschaftsbündnisse mit rechtsrheinischen Gruppen, wodurch er sich stabilisierende Wirkung für die römische Herrschaft in Gallien versprach. Am deutlichsten ist dies anhand der amicitia-Verbindung mit den Ubiern zu sehen.
2
Von der ersten Statthalterschaft des Agrippa (39/38 v. Chr.) bis zu Augustus’ Gallienreise (15–13 v. Chr.)
Caesar verließ Gallien 50 v. Chr., um im Bürgerkrieg gegen die Senatspartei um Pompeius die Herrschaft im römischen Reich zu erringen und schließlich zum dictator perpetuus aufzusteigen. Nach seiner Ermordung an den Iden des März 44 v. Chr. folgten weitere Bürgerkriege. Die „Caesarmörder“ Brutus und Cassius 28
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Heinen 2002, 17 (Zitat) und 25 f. Sehr häufig wird für die Treverer der Hilferuf an germanisch-rechtsrheinische Stämme in den commentarii angeführt: z. B. Caes. Gall. 3,11,2; 5,2,4; 5,55,1; 6,2,1; 6,5,4; 6,7,3; 6,9,1; 8,45,1. Hornung 2012a; Hornung 2012b; Hornung 2012c. Hornung 2012a, 35 f.
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wurden in der Schlacht von Philippi (42 v. Chr.) von Marcus Antonius und Octavian, dem Erben Caesars, besiegt. Anschließend bekriegten sich – nachdem Sextus Pompeius von Octavian geschlagen worden war (36 v. Chr.) – dann die Sieger von Philippi. Mit der Schlacht von Actium (31 v. Chr.) und der Einnahme Ägyptens (30 v. Chr.) beendete Octavian, der 27 v. Chr. den Namen Augustus erhielt, die Bürgerkriege und errichtete eine Prinzipatsordnung, die zwar in das Gewand der Republik gekleidet war, de facto aber eine monarchische Herrschaft des Caesarerben bedeutete. Über die Ereignisse in Gallien und Germanien sind wir in der Zeit der Bürgerkriege sehr schlecht informiert. Immerhin ist bekannt, dass die Statthalterschaft in Gallien 45/44 v. Chr. von Aulus Hirtius ausgeübt wurde, der unter Caesar als Legat in Gallien gedient hatte und im Jahr 43 v. Chr. bis zu seinem Tod nahe Mutina eine wichtige Rolle im Bürgerkrieg gespielt hat.31 Das Schweigen der Quellen deutet wohl an, dass Gallien nach der Niederschlagung des Vercingetorix-Aufstands keinen weiteren Widerstand mehr gegen die römische Herrschaft leisten konnte oder wollte. Auch von germanischen Gruppen, die nach Gallien eindrangen, hören wir in dieser Zeit nichts, allerdings gibt es indirekte Hinweise dafür, dass dieses Problem nicht behoben war. Erst für die 30er Jahre v. Chr. rücken Gallien und Germanien wieder in den Fokus der Quellen. M. Vipsanius Agrippa, der wichtigste Helfer des Octavian-Augustus, wurde 39/38 v. Chr. Statthalter in Gallien.32 Er drang als zweiter römischer Feldherr über den Rhein nach Germanien vor (Cass. Dio 48,49,3), wobei auch dieses Unternehmen primär eine Demonstration römischer Militärstärke gewesen sein dürfte. Dieser Feldzug, aber auch die Tatsache, dass mit Agrippa eine der prominentesten und wichtigsten Persönlichkeiten der Zeit und zugleich der beste Feldherr Octavians nach Gallien kam, zeigt an, dass die Germaneneinfälle immer noch ein virulentes Problem gewesen sein müssen. Dies wird fast zehn Jahre später bestätigt. Die Quellen überliefern für 30/29 v. Chr. einen Aufstand der im ostgallischen Gebiet an der Mosel ansässigen Treverer, die Germanen zur Hilfe gegen Rom gerufen hatten (Cass. Dio 51,20,5). Das gleiche Verhalten hatten die Treverer bereits 53 v. Chr. an den Tag gelegt. Damals hatten sie ebenfalls germanische Hilfe gerufen, um die Herrschaft Caesars abzuschütteln, wurden allerdings geschlagen, bevor die Germanen im Trevererland angekommen waren (Caes. Gall. 6,2,1f.; 6,8,7); die rechtsrheinische Gruppe fiel daraufhin doch nicht in Gallien ein. Im Jahr 30/29 v. Chr. gelangte die germanische Hilfe zwar in den ostgallischen Raum, die Aufstandsbewegung wurde aber dennoch von Nonnius Gallus, dem Legaten des Statthalters von Gallien, C. Carrinas, niedergeschlagen.33 Ein römisches Militärlager auf dem
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Heinen 2002, 38; Kienast 2014, 16 ff. Wolters 2004, 24 f. Heinen 2002, 37.
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Petrisberg in Trier ist ein archäologischer Zeuge dieser Ereignisse.34 Das Lager war, wie archäologische Hinweise aufzeigen, nur kurzzeitig belegt.35 Es ist aber sicher in das Jahr 30 v. Chr. zu datieren: Dendrochronologische Daten von Holzfunden datieren in das Frühjahr 30 v. Chr.36 Keramikfunde verweisen – wenn hier auch keine jahrgenaue Datierung möglich ist – in die gleiche Zeit.37 Die Keramik stammt ausschließlich aus dem Süden, muss also als Importware angesehen werden. Auffällig ist – wie Hartwig Löhr ausführt –, dass unter den Fundmünzen aus dem Lagerbereich keine der ab ca. 27 v. Chr. omnipräsenten Nemausus-Münzen vorliegen, woraus sich ein terminus ante quem für die Belegung des Lagers ergeben könnte.38 Neben dem Trierer Militärlager war – nach Jeannot Metzler – in der Zeit um 30 v. Chr. vielleicht auch römisches Militär in dem oppidum auf dem Titelberg in Luxemburg stationiert, was durch vergleichbare südliche Keramikimporte angezeigt wird.39 Bemerkenswert ist zudem, dass für ca. 30 v. Chr. in dem oppidum auf dem Titelberg eine Brandschicht nachweisbar ist. Die südliche Importkeramik stammt aus der unmittelbar darauffolgenden, also jüngeren Schicht.40 Dass die Brandschicht Kampfhandlungen, die Keramikimporte eine anschließende römische Besatzung anzeigen, könnte möglich sein. Dies würde zu dem Kontext des sicher nachgewiesenen Militärlagers auf dem Petrisberg sowie der Information von Cassius Dio (51,20,5) passen. C. Carrinas, der Statthalter Galliens, ging zu dieser Zeit selbst gegen die Moriner und andere, den Aufstand gegen Rom probende Völker, sowie gegen die Sueben vor, die wohl im Bereich des Niederrheins in die Provinz eingedrungen waren (Cass. Dio 51,21,6).41 Eventuell wurden auch die Sueben von Galliern – ebenso wie dies die Treverer etwa zeitgleich getan hatten – zur Hilfe gegen die römische Herrschaft gerufen. Nach Cassius Dio hat Octavian den Erfolg des Carrinas zum Anlass genommen, seinen dreifachen Triumph im August 29 v. Chr. auch über Gallier und Germanen zu feiern (51,21,5).42 Das Agieren Agrippas sowie die von Nonnius Gallus und Carrinas niedergeworfenen Aufstands- und Einfallbewegungen zeigen an, dass sich seit Caesars Statthalterschaft an der strukturellen Situation nichts geändert haben dürfte. Rom tolerierte weiterhin keinerlei Einfälle von rechtsrheinischen Gruppen und war wohl auch gegenüber „friedlicher“ Zuwanderung weiterhin
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Löhr 2003; Löhr/Trunk 2008. Löhr 2003, 27 f. Hollstein 1980, 132f.; vgl. auch Rheinisches Landesmuseum Trier 1984, 179 f., Nr. 42. Loeschcke 1939; vgl. auch Rheinisches Landesmuseum Trier 1984, 174–179, Nr. 41. Löhr 2003, 29. Metzler 1995, 560 ff. Heinen 2002, 40; Metzler 1995. Wolters 2004, 25; Wiegels 2007a, 51. Wiegels 2007a, 51.
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aggressiv eingestellt.43 Zudem war an römische Offensiven in Germanien ebenfalls nicht zu denken. Rom verfolgte eine defensive Politik. Die Sicherung Galliens und die Abwehr rechtsrheinischer Bedrohungen waren die Ziele römischer Außenpolitik.44 Eine Veränderung wird dann aber indirekt für das Jahr 25 v. Chr. ersichtlich. M. Vinicius, ebenfalls Legat des gallischen Statthalters, überquerte als dritter römischer Feldherr den Rhein, um Germanen zu bestrafen, die römische Händler in ihrem Gebiet, also im rechtsrheinischen Raum, getötet hatten (Cass. Dio 53,26,4).45 Das Verhalten des M. Vinicius kann einmal mehr als punktuelle Machtdemonstration bewertet werden. Dass in der Überlieferung jedoch explizit von römischen Kaufleuten gesprochen wird, die in germanischem Gebiet Handel trieben, kann „als Zeichen einer Normalisierung und Annäherung betrachtet werden.“46 Dies korrespondiert mit verschiedenen Ansiedlungen, die zwar nicht genau datiert werden können, aber zwischen Caesars Abzug und die ab 12 v. Chr. beginnende Offensivphase datieren müssen. Mit Roms Zustimmung wurden die Bataver und die Cananefaten auf der Insel zwischen Rhein und Waal wohnhaft (Tac. Germ. 29; Tac. hist. 4,12,2; Plin. nat. 4,101; Cass. Dio 54,32,2);47 erstgenannte sind von da an eng mit Rom verbunden und leisteten vielfach und dauerhaft Militärdienst (Tac. Germ. 29). Im Jahr 20/19 v. Chr. war Agrippa ein zweites Mal Statthalter in Gallien. Er siedelte die Ubier, die Caesar bereits in ein amicitia-Verhältnis aufgenommen hatte, vom rechtsrheinischen Gebiet aus dem heutigen Hessen in die Region des heutigen Köln um. Den Quellen ist nicht sicher zu entnehmen, ob die UbierUmsiedlung in der ersten oder in der zweiten Statthalterschaft des Agrippa erfolgte;48 doch scheint die jüngere Datierung wahrscheinlicher zu sein.49 Ein Zusammenhang mit den Ansiedlungen der Bataver und Cananefaten ist naheliegend. Rom hatte dauerhafte Verbündete im rechtsrheinischen Raum gefunden, die man nun weiter in die römische Herrschaftskonzeption, die nach wie vor defensiv orientiert war, integrierte. In der Zeit der zweiten Statthalterschaft Agrippas könnte auch mit der Stationierung römischer Gruppen nahe des Rheins, insbesondere am Niederrhein, begonnen worden sein. Archäologische und numismatische 43 44
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Wiegels 2007a, 50. Dies wird indirekt auch an einer Entscheidung des Augustus deutlich, der in den 20er Jahren v. Chr. einen Übergang nach Britannien mit dem Argument untersagte, dass Gallien zunächst gesichert werden müsste (Cass. Dio 53,22,5; App. civ. 5,75); vgl. Wiegels 2007a, 52. Ruffing 2008, 154. Wolters 2004, 25. Wiegels 2007a, 52. Wolters 2004, 25; Wiegels 2007a, 52. Eck 2004, 46–55 hat die literarischen sowie die numismatischen Quellen ausgewertet und plädiert für 20/19 v. Chr. Die dendrochronologischen Befunde ergeben kein klares Ergebnis, deuten aber eher auf eine spätere Datierung hin; vgl. Hollstein 1980, 72 f.
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Hinweise50 deuten für das Römerlager auf dem Hunerberg in Nijmegen (Noviomagus Batavodurum) eine Errichtung in der Zeit ca. 19/18 v. Chr. an.51 Vermutlich sollte die nahe Rheinmündung kontrolliert werden. Wenig später, vermutlich um 16 v. Chr., erfolgte auch die Anlage des ersten Lagerbaus von Neuss (Novaesium) am Mittelrhein.52 Eventuell erhob Rom bereits in dieser Zeit auch Tribute im rechtsrheinischen Gebiet, worauf die Überlieferung der Ereignisse im Vorfeld der sog. Lollius-Niederlage hinweisen könnte. Im Jahr 17/16 v. Chr. wurden römische Zenturionen von Sugambrern, Usipetern und Tenkterern in ihrem Gebiet ergriffen und gekreuzigt (Cass. Dio 54,20,4–6). Danach zogen die drei germanischen Stämme über den Rhein, wo sich ihnen der seit 17 v. Chr. amtierende Statthalter M. Lollius53 mit einer Legion entgegenstellte. Die römische Armee wurde geschlagen und aufgerieben.54 Die Niederlage des Lollius (clades Lolliana) ging breit in die Überlieferung ein (Vell. 2,97; Suet. Aug. 23,1; Cass. Dio 54,20). M. Lollius wurde von Velleius Paterculus als unfähiger und geldgieriger Statthalter, der seine Fehler vertuscht haben soll, dargestellt (Vell. 2,97,1).55 Durch die Lollius-Niederlage ging sogar das Feldzeichen der 5. Legion an die Germanen verloren (Vell. 2,97,1). Welche Aufgabe die Zenturionen im rechtsrheinischen Gebiet erledigten, ist in der Überlieferung nicht eindeutig greifbar. Einerseits wird mitgeteilt, sie hätten Abgaben eingetrieben (Hor. carm. 4,2,36), andererseits sollen sie Aushebungen durchgeführt haben (Iul. Obseq. 131).56 Unabhängig davon, welche dieser beiden Angaben nun historisch sein mag, so wird doch deutlich, dass Rom seinen Einflussbereich inzwischen deutlich bis zum Rhein und vermutlich auch ansatzweise darüber hinaus etabliert hatte. Geopolitische Folgen oder weitere Erhebungen gegen Rom bewirkte die Lollius-Niederlage nicht. Die Sugambrer, Usipeter und Tenkterer zogen sich 50
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Vgl. Kemmers 2006, 44–61, bes. 57 ff. Kemmers kann aufzeigen, dass das Lager auf dem Hunerberg vor den Lagern von Neuss und Dangstetten entstanden sein dürfte und auch deutlich vor den Haltern- und den Oberaden-Horizont datiert. Von einer Belegung von 15–10 v. Chr. geht hingegen van der Vin 2000, 139 aus. Wolters 2008a, 27. Bechert 2003, 335; Horn 1987, 581; kritisch zur frühen Datierung: Wiegels 2007a, 53. M. Lollius war ein Priester der Quindecemviri und wird in dieser Funktion auch im Zusammenhang mit der augusteischen Säkularfeier für den 17. Febr. 17 v. Chr. in CIL XI 32323f. = CIL XI 877 = ILS 5050 bezeugt. Daraus ergibt sich ein terminus post quem für die Niederlage und den Einfall der rechtsrheinischen Stämme. Wolters 2004, 26. Velleius Paterculus’ Ausführungen zur clades Lolliana sind allerdings sehr kritisch zu sehen. M. Lollius war ein politischer Gegner des Tiberius, der von Velleius Paterculus als herausragender römischer „Held“ präsentiert und stilisiert wird. Dementsprechend könnte die Kritik an M. Lollius bei Velleius Paterculus überzogen sein; vgl. Christ 1982a, 220 f. Wolters 2008a, 27.
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16 v. Chr. über den Rhein zurück und boten die Stellung von Geiseln sowie einen Friedensschluss an (Cass. Dio 54,20,6).57 Dennoch war die Niederlage des Lollius, insbesondere wegen des verlorenen Feldzeichens, eine unangenehme Nachricht für Augustus (Suet. Aug. 23,1). Denn dieser hatte im Frühjahr 17 v. Chr. nicht nur mit der weithin propagierten Säkularfeier58 ein neues goldenes Zeitalter eingeläutet (Verg. Aen. 6,792), das nun durch die clades Lolliana erste Makel erhielt, sondern hatte auch seit 19 v. Chr. die Rückgewinnung der Feldzeichen von den Parthern (R. Gest. div. Aug. 29), die einst von Crassus 53 v. Chr. in der Schlacht von Carrhae sowie von M. Antonius in dessen Ostfeldzügen der 30er Jahren verlorenen gegangen waren, in einem sehr breit angelegten Münzprogramm59 sowie in weiterer Repräsentationskunst60 feiern lassen. Dabei wurde der Erfolg, der eher diplomatischer Natur war, als militärische Leistung inszeniert (z. B. Hor. carm. 4,15,4 ff.; Ov. fast. 5,579 ff. und 6,465 ff.; Prop. 5,6,79). Augustus hatte eine historische Schmach, die sein Bürgerkriegsgegner M. Antonius nicht ausmerzen konnte, getilgt und sich dabei als militärischer Sieger feiern lassen, nun aber kurze Zeit später eine gleiche Schlappe erlitten. Immerhin wurde das verlorene Feldzeichen binnen kurzer Zeit wieder an die Römer zurückgegeben, was im Zusammenhang mit den genannten Friedensangeboten erfolgt sein dürfte. Ein Denar des Münzmeisters L. Caninius Gallus aus dem Jahr 13/12 v. Chr. präsentiert auf dem Revers einen unterwürfig knienden Germanen, der ein Feldzeichen darbietet (RIC I² 416).61 Bezeichnenderweise wurde die Rückgewinnung des Lollius-Feldzeichens im Vergleich zu den von den Parthern zurückerhaltenen signa nicht breit propagiert. Im Jahr 15 v. Chr. reiste Augustus persönlich nach Gallien, wo er bis 13 v. Chr. blieb. Velleius Paterculus behauptet, die Lollius-Niederlage sowie der Verlust des Feldzeichens hätten die Präsenz des Princeps in Gallien erfordert (Vell. 2,97,1; vgl. Cass. Dio 54,20,4–6), was allerdings übertrieben sein dürfte (Suet. Aug. 23,1). Militärische Operationen sind in dieser Zeit nicht belegt. Lediglich Cassius Dio schreibt, Augustus und Lollius hätten sich zu einem Feldzug gegen die drei rechtsrheinischen Stämme gerüstet (Cass. Dio 54,20,6). Zu 57 58 59
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Zum Kontext der Stelle: Thijs 2019, 177. Kienast 2014, 109–118. RIC Aug. 16 f., 46 ff.; 98 ff.; 256; 281 ff.; 302 ff.; 311 f.; vgl. Kienast 2014, 343 f., Anm. 91; Oswald 2012, 15–18 mit weiterer Literatur. Neben Münzen wurde der „Triumph“ über die Parther auch als Motiv für Fingerringe genutzt; vgl. Zanker 2003, 191. Hier sind etwa der Partherbogen auf dem Forum Romanum, das Relief des Brustpanzers der berühmten Primaporta-Statue oder auch der dem Mars geweihte Rundtempel, der auf dem Kapitol zur Aufbewahrung der wiedererlangten Feldzeichen errichtet wurde, zu nennen; später wurden die Feldzeichen im Mars Ultor-Tempel auf dem Augustusforum präsentiert (R. Gest. div. Aug. 29). Ferner wurde für den Erfolg in der Partherfrage ein Dankfest beschlossen (Cass. Dio 54,8,3); vgl. Zanker 2003, 190–194; Vogt 2009, 36–39; Kienast 2014, 343f.; Bringmann/Schäfer 2002, 247f.; 252; Oswald 2012, 13 ff. Ausführlich zu dem Münzbild: Küter 2014, 281–285; vgl. auch Vogt 2009, 83; Christ 1982a, 221; Wolters 2004, 28.
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diesem kam es aber nicht. Offensichtlich ging man auf das Friedensangebot der Sugambrern, Usipetern und Tenkterern ein. Offensiven jenseits des Rheins sollten vermieden werden. Augustus’ Anwesenheit im Norden hängt sehr wahrscheinlich nicht mit der Lollius-Niederlage, sondern mit verschiedenen infrastrukturellen oder administrativen Belangen in Gallien und an der Rheingrenze sowie der Einrichtung der Tres Galliae zusammen.62 In den Quellen wird betont, dass er verschiedenen gallischen Gemeinwesen libertas und civitas gab oder nahm (Cass. Dio 54,25,1). Zu denken ist hier z. B. auch an die bereits genannten Ansiedlungen von Germanenstämmen in Grenzregionen. Eine weitere wichtige Maßnahme in Gallien war die Etablierung eines jährlichen Festaktes, der seit 12 v. Chr. am 1. August in Lyon begangen wurde. An diesem Tag versammelten sich jedes Jahr Vertreter der keltischen Stämme, um am Altar für Roma und Augustus in Lyon zu opfern und so die Loyalität gegenüber Rom zu bezeugen. Zudem wurde ein Zensus durchgeführt, der später in regelmäßigen Abständen wiederholt wurde (Tac. ann. 1,31,2; 1,33,1).63 Im ostgallischen Raum erfolgten in den Jahren zwischen den beiden Statthalterschaften des M. Vipsanius Agrippa (39/38 und 20/19 v. Chr.) wichtige infrastrukturelle Maßnahmen. An erster Stelle ist der Bau der nach dem Statthalter benannten Agrippa-Straßen zu nennen (Strab. 4,6,11).64 Eine Straße verlief von Trier nordwärts über Bitburg65 und Jünkerath nach Köln, wo sie im Gebiet der Ubier endete, sowie westwärts über Metz und das Plateau von Langres nach Lyon. Dass die Straßenbaumaßnahmen und die infrastrukturelle Durchdringung der jungen Provinz von großer Wichtigkeit waren, zeigt die Anlage des Lagers von Neuss, das am Endpunkt eines entsprechenden Verkehrsweges lag. Im Zusammenhang mit den Straßenbau-Projekten ist auch die Errichtung der ersten Trierer Römerbrücke zu nennen. Es handelt sich um eine Pfahljochkonstruktion, für deren Holzpfeiler anhand dendrochronologischer Untersuchungen ein Fälldatum 18/17 v. Chr. ermittelt werden konnte.66 Damit einher ging auch die Gründung von Augusta Treverorum, die man mit dem Brückenbau
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Wiegels 2008a, 53. Heinen 2002, 34 f. Die Datierung des Straßenbaus wurde vielfach diskutiert. Wightman und Drinkwater gingen jeweils von einer Datierung in die erste Statthalterschaft Agrippas aus, jedoch konnte Morscheiser-Niebergall 2009, 74–77 jüngst mit guten Argumenten für einen zweiphasigen Bau eintreten; vgl. Wightman 1977, 107; Drinkwater 1983, 21 und 124–126; Heinen 2002, 35 f. Zweifellos darf man sich Heinen 2002, 36 anschließen, der die Datierungsdiskussion entkräftet, indem er „den Ausbau der Agrippa-Straßen in Gallien als ein vieljähriges Unternehmen“ bezeichnet, „dessen Streckenabschnitte nicht alle gleichzeitig begonnen und abgeschlossen wurden“. Faust 2008. Hollstein 1980, 135; Goethert 2003; Goethert 2010a, 203; allg. zur erster Römerbrücke: Cüppers 1969, 42 ff.; 133 ff.; 145 f.
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in die Zeit 17/16 v. Chr. datieren kann.67 Zu Recht hat Heinen „die Notwendigkeit einer Sicherung des linksrheinischen Raumes und der wichtigen Fernstraßen“ betont,68 was durch die Stadtgründung gewährleistet werden sollte.69 Die Gründung Triers ist aber lediglich ein zweiter Schritt, dem nach dem Ende des Gallischen Krieges 50 v. Chr. zunächst die Gründungen von Lugdunensis (h. Lyon) am Zusammenfluss von Rhône und Saône sowie von Augusta Raurica (h. Augst) in der westlichen Schweiz vorausgegangen sind. Diese Städte, eventuell ist auch Noviodunum (h. Nyon) hinzu zurechnen, lagen, wie Heinz Heinen betont hat, nahe der Gallia Narbonensis und ihre Positionierung deutet an, dass sie die Zugänge zu der älteren Provinz sichern sollten.70 Unmittelbar nach dem Ende des Gallischen Krieges wollte man also nicht tief im neu eroberten gallischen Raum, der Gallia Transalpina, Städtegründungen anlegen und damit unmittelbar dirigistisch in die vorrömischen Verhältnisse eingreifen. Dies gilt insbesondere auch für den ostgallischen Raum sowie die Gebiete am Rhein. Rom ging den langen Weg, auf die Eroberung erfolgten administrative und infrastrukturelle Maßnahmen sowie die Ansiedlung rechtsrheinischer Gruppen, und erst verhältnismäßig spät, im Zeitraum von 19 bis 16 v. Chr., wurden auf dem Hunerberg in Nijmegen sowie in Neuss erste Lager am Rhein und mit Augusta Treverorum eine neue Stadt im ostgallischen Raum gegründet. Es ist dieser strukturelle Entwicklungsprozess, der die dauerhaft sichtbare römische Präsenz langsam – erst mehr als 30 Jahre nach dem Ende des Gallischen Krieges – gen Osten vorschob. Eine Begleiterscheinung dieses Prozesses, dessen Ende dann durch die Anlage der dauerhaften Militärlager am Rhein zum Jahr 12 v. Chr. (siehe unten) markiert wird, war ab ca. 25 v. Chr. die Anwesenheit römischer Händler im rechtsrheinischen Gebiet. Im Kontext dieser Entwicklung, die durch die Lollius-Niederlage (17/16 v. Chr.) weder gestoppt noch initiiert wurde, ist die Gallienreise des Augustus zu sehen. Infrastrukturelle Maßnahmen, die Gründung von Städten, die Umsiedlung von befreundeten Stämmen, die Etablierung des jährlichen Kultaktes in Lyon (Liv. per. 139; Strab. 7,1,4; Cass. Dio 54,32,1) und die allmähliche Verlegung der Truppen nach Osten können nicht getrennt voneinander gesehen werden, sondern sind jeweils Ausdruck ein und desselben politischen Konzepts, das die sichere Herrschaft über Gallien zum Ziel hatte. Es wird aber deutlich, dass durch die Umsetzung des Konzepts die römische Macht weiter nach Osten 67
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Heinen 2002, 44 f. Kritisch gegenüber der frühen Datierung ist Morscheiser-Niebergall 2009, die anhand des Keramikbefunds aus Trier für eine spätere Stadtgründung plädiert; vgl. zur Stadtgründung auch Trunk 2010. Heinen 2002, 45. In diese frühe Phase der Trierer Stadtgeschichte könnte vielleicht auch die Anwesenheit einer spanischen Reitereinheit (ala Hispanorum) gehören, die – nach Jean Krier – in spätaugusteischer oder frühtiberischer Zeit von der Mosel an den Rhein verlegt wurde; vgl. Heinen 2002, 58f.; Keune 1935; Krier 1981, 181–184. Heinen 2002, 33.
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orientiert wurde und Stück für Stück an den Rhein heranrückte. Wie gezeigt wurde, herrschte seit Caesar eine defensive Politik an der Rheingrenze vor. Diese war die Voraussetzung für den hier skizzierten innergallischen Entwicklungsprozess, den man allgemein mit dem Ausdruck Provinzialisierung bezeichnen kann. Ab 12 v. Chr. änderte sich jedoch die römische Politik gegenüber den rechtsrheinischen Stämmen. Zwei erst in den letzten Jahren entdeckte Quellen helfen, die Entwicklung unweit der Grenze zu Germanien in der durch literarische Zeugnisse kaum beleuchteten Phase zu erhellen. In Trier wurde 2006 eine fragmentarische Marmorplatte mit Eichenblattdekor gefunden. Klaus-Peter Goethert konnte nachweisen, dass das Fragment ursprünglich zur Darstellung einer Girlande gehörte und dass diese stilistisch mit den Girlanden verwandt ist, die der 12 v. Chr. eingeweihten ara Lugdunensis, an welcher das jährliche Fest am 1. August stattfand, zugeordnet werden.71 Mit sehr guten Argumenten kann Goethert beruhend auf der wohl begründeten Datierung einen ähnlichen Altar für Augusta Treverorum annehmen. Eventuell wird hier also eine provinzweite Maßnahme greifbar, nach welcher in jeder gallisch-keltischen civitas ein Altar-Monument errichtet wurde; oder die Treverer wollten mit ihrem Altar ihre enge Bindung an Rom ausdrücken. Wie dem auch sei, die archäologischen Zeugnisse ermöglichen Einblicke in einen Entwicklungsprozess der Etablierung römischer Herrschaft in Gallien, der durch die defensive Politik am Rhein ermöglicht wurde, der aber auch als Voraussetzung für den Wechsel in der Germanienpolitik ab 12 v. Chr. zu betrachten ist. Ein weiterer spannender Fund jüngerer Zeit ist das überlebensgroße Porträt der Kaiserin Livia, das zu einer Kolossalstatue gehört.72 Dabei handelt es sich nicht wirklich um einen „Neufund“. Die linke Gesichtshälfte des Kopfes war seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Sammlung des Luxemburger Museums bekannt und wurde 1975 erstmals in einer wissenschaftlichen Studie aufgearbeitet.73 In St. Maximin in Trier wurde dann in den 2000er Jahren die rechte Gesichtshälfte des kolossalen Kopfes gefunden. Dass beide Fragmente zusammengehören, hat schließlich Jean Krier nachgewiesen. Zwar steht eine finale Datierung des Kolossalkopfes noch aus, eine zeitliche Einordnung in die spätaugusteische oder frühtiberische Zeit scheint aber am wahrscheinlichsten. Man darf Krier Recht geben, der aufgrund des Livia-Kopfes annimmt, „dass es in Trier bereits in augusteischer Zeit eine überlebensgroße Statue des Augustus gab“.74 Auch dies war zweifellos ein sinnbildlicher Ausdruck der römischen Herrschaft über das Trevererland und allgemein über den ostgallischen Raum.
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Goethert 2010b; Breitner/Goethert 2008. Krier 2014a; Krier 2014b; Krier 2014c. Goethert-Polaschek 1975. Krier 2014a, 35.
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Von der Lollius-Niederlage gingen keine direkten Konsequenzen aus. Rom verlor – wie gesagt – keine Gebiete und der Provinzialisierungsprozess in Gallien, dies bestätigen auch die Funde in jüngerer Vergangenheit, geriet nicht ins Stocken.75 Dennoch wurde in der Forschung diskutiert, ob der Einfall der Sugambrer, Usipeter und Tenkterer sowie der personelle Verlust von Soldaten in der römischen Germanienpolitik eine Wende erzeugt haben. Es wurde überlegt, ob auf die Schmach der clades Lolliana mit einer Verstetigung der Rheingrenze durch entsprechende Lagerbauten (siehe unten) und sodann mit offensiven Aktionen rechts des Rheins ab 12 v. Chr. reagiert wurde. Letztlich bieten die Quellen für eine kausale Verbindung zwischen Lollius-Niederlage und der römischen Außenpolitik ab 12 v. Chr. aber keine belastbare Evidenz.76 Nur Florus schreibt retrospektiv, die Offensiven des Drusus seien durch die Niederlage des Lollius motiviert gewesen (Flor. epit. 2,30).
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Die Eroberung der Alpen (15–12 v. Chr.)
Die römische Eroberung der Alpen ist zweifellos ein eigenes Thema, das hier nicht zur Gänze behandelt werden kann. Allerdings hängen sowohl der in Gallien erfolgte Entwicklungsprozess, der bis 12 v. Chr. eine Positionierung der römischen Truppen am Rhein ermöglichte, als auch die späteren Germanienfeldzüge mit der römische Okkupation der Alpen zusammen. Deshalb soll eine kurze Behandlung mit einem Hauptfokus auf den Ereignissen geboten werden, die unmittelbar nach der Lollius-Niederlage und unmittelbar vor den DrususFeldzügen im rechtsrheinischen Raum (ab 12 v. Chr.) erfolgten. Die Zugänge durch die Alpen nach Gallien, aber auch an den Rhein oder an die Donau waren für die Etablierung der römischen Herrschaft im Norden von grundlegender Bedeutung. Bereits Caesar versuchte 57 v. Chr. durch seinen 75
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Als Ausdruck dieses Prozesses kann auch eine archäologisch fassbare Entwicklung in verschiedenen vorrömischen Siedlungen im Treverergebiet angesehen werden. Neben dem Titelberg in Luxemburg enden auch in den sog. „Altburgen“ von Bundenbach und Hoppstädten-Weiersbach, ferner im sog. „Burgring“ von Prüm und auch in der Siedlung von Fischbach, Kr. Birkenfeld, die vorrömisch-keltischen Befunde im Laufe der zweiten Hälfte des 1. Jh. v. Chr.; vgl. Rheinisches Landesmuseum Trier 2008, Nr. 28, 33, 39 u. 63 (jeweils mit weiterer Literatur). Gaben die Menschen diese Siedlungen auf und zogen in die römische Stadt Augusta Treverorum an der Mosel? Roms langsame strukturelle Durchdringung des ostgallischen Raums seit dem Ende des Gallischen Krieges dürfte die Siedlungsentwicklung verändert haben. Vgl. Christ 1982a, 219; Wiegels 2009, 25 und Wiegels 2008a, 51 ff., der die Diskussion über die Bedeutung der Lollius-Niederlage erörtert und ebenfalls zu der Einschätzung gelangt, dass die Ereignisse von 17/16 v. Chr. keine Wende in der Germanienpolitik markieren. Er führt auch zu Recht aus, dass die Stationierung der Truppen am Rhein ab 12 v. Chr. retrospektiv die Bedeutung der clades Lolliana nicht aufzeigen kann; vgl. Wiegels 2008a, 57.
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Legaten Ser. Sulpicius Galba die St. Bernhardpässe zu sichern, damit der Warenund Nachrichtenverkehr ungehindert aus Norditalien erfolgen konnte (Caes. Gall. 3,1,1ff.). Allerdings zeichnete das Unternehmen keinen dauerhaften Erfolg. Dennoch leistete Caesar mit der Anlage von Nyon und Augst wichtige Vorarbeiten, waren diese Orte von ihrer Lage her nicht nur – wie bereits gesagt – für die Sicherung der Gallia Narbonensis, sondern auch für den künftigen Zugriff auf die Alpenregion wichtig. Zudem eroberte Caesar das heutige Trient (Tridentum), was einen Zugang zum Etsch- und Eisacktal eröffnete, und besiedelte Como (Comum), das 95/94 v. Chr. durch den Stamm der Räter zerstört wurde, neu.77 Ausgangspunkte für eine Eroberung waren damit gegeben. Wie wichtig eine dauerhafte direkte Sicherung der Übergangsstraßen war, zeigte sich am Beispiel des Stammes der Salasser.78 Im Jahr 43 v. Chr. wollte Decimus Brutus im Bürgerkrieg den kleinen St. Bernhard im Juni mit mehreren Legionen überqueren. Die Salasser versperrten den Weg und konnten dem römischen Feldherrn, der trotz zahlenmäßiger Überlegenheit keinen Kampf riskieren wollte, einen Wegzoll abpressen (Strab. 4,6,7).79 Die Salasser erhoben sich 35 v. Chr. gegen Rom und wurden im Folgejahr von C. Antistius Vetus bekriegt, aber erst in den 20er Jahren v. Chr. durch A. Terentius Varro Murena besiegt (Cass. Dio 53,25,3f.; Strab. 4,6,7).80 Im Gebiet der Salasser wurde schließlich 25 v. Chr. Aosta (Augusta Praetoria), eine Veteranenkolonie, gegründet,81 wodurch der Zugang zu den westlichen Alpenpässen dauerhaft kontrolliert werden konnte (Cass. Dio 52,25,5; Liv. per. 135; Strab. 4,6,7; Plin. nat. 3,123; Suet. Aug. 21).82 Das Beispiel der Salasser zeigt, wie problematisch blockierte Bergpässe für die römische Herrschaft sein konnten. Ein dauerhaft freier und kontrollierter Zugang nach Gallien sowie ins südliche Germanien war eine Voraussetzung für die Provinzialisierung in der Gallia Transalpina sowie für mögliche offensive Aktionen rechts des Rheins oder rechts der Donau. Die Eroberung der Alpentäler wurde aber nicht nur militärisch betrieben. Auf diplomatischem Weg konnte sich Rom mit dem „König“ Cottius einigen, der das Alpental von Susa (Segusio) beherrschte. Für den Weg von Turin (Augusta Taurinorum) über die Passwege des Mont Cenis und Mont Genèvre nach Gallien war diese friedliche Lösung wichtig. Cottius erhielt den Titel eines praefectus civitatium und diente Rom als treuer Klientelherrscher. Ein Ausdruck der tiefen Verbindung mit Rom ist der samt seiner Inschrift (CIL V 7231 = ILS 94) bis heute 77 78 79 80
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Märtin 2017, 106. Vgl. auch Ruffing 2018. Walser 1994, 12 f.; 27. Märtin 2017, 107. Dietz 1995, 40; Walser 1994, 27. Auf Aktionen in den östlichen Alpen in den 20er Jahren v. Chr. könnte die Anwesenheit des Legaten M. Apulleius hindeuten, der durch eine Bauinschrift aus dem Jahr 23/22 v. Chr. in Trient bezeugt ist (CIL V 5027 = ILS 86). Kienast 2014, 356; Walser 1994, 27. Wiegels 2007a, 55.
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gut erhaltene Ehrenbogen für Augustus, den M. Iulius Cottius 9/8 v. Chr. in Susa stiftete. Während man ab 35 v. Chr. in den Westalpen mit den Salassern zu kämpfen hatte, konnte Rom im östlichen Gebiet die Karner unterwerfen. Diese wurden in der Folge von Augustus in Triest (Tergeste) angesiedelt (CIL V 532 = ILS 6680). P. Silius Nerva gelang 16 v. Chr. dann die Besetzung der Tal-Gebiete zwischen Gardasee und Comer See (Cass. Dio 54,20,1f.).83 Zudem kämpfte er erfolgreich gegen die Stämme der rätischen Cammuni und der Noriker. Auch die östlichen Alpenpässe unterstanden nun römischer Kontrolle. Die finalen Eroberungszüge, die auf den Zentralalpenbereich sowie das nördliche Vorland konzentriert waren, wurden schließlich von den Stiefsöhnen des Augustus, Tiberius und Drusus, durchgeführt; aufgrund der Prominenz der Feldherren sind diese Feldzüge in den Quellen deutlich breiter greifbar (Strab. 4,6,8f.; Vell. 2,95,1f.; Flor. epit. 2,22,4f.; Cass. Dio 54,22,1ff.). Während Drusus im Süd-Osten ausgehend von Trient operierte, war Tiberius im Nord-Westen, ausgehend von Helvetien, aktiv. Wenig detailliert schreibt Velleius Paterculus, die Brüder hätten in getrennten Feldzügen die Vindeliker und Räter angegriffen (Vell. 2,95,2), die immer noch für Gallien eine Gefahr dargestellt haben sollen (Cass. Dio 54,22,1 und 3).84 Es wird ersichtlich, dass im Nord-Westen zwei Feldzüge stattfanden: der eine zog vom Genfer See bis nach Martigny (Octodurus), von wo aus der Pass des großen St. Bernhard gesichert werden sollte.85 Tiberius drang zudem u. a. durch die sog. Burgundische Pforte vor und erreichte den Bodensee (Cass. Dio 54,22,4; Strab. 7,1,5), wo er die Vindeliker in einem Seegefecht geschlagen haben soll; im Zuge dieses Feldzugs soll Tiberius die Quellen der Donau erreicht haben (Strab. 7,1,5).86 Ein letztes größeres Gefecht wurde dann von den beiden vereinigten römischen Heeren gegen die Räter in der Nähe von Oberammergau gewonnen. Vielleicht war dies die Vorlage für Horazens grave proelium (Hor. carm. 4,14,14f.), das natürlich zweifellos eine dichterisch übertriebene Darstellung bietet.87 Mit Inschriften versehene Geschützbolzen, die gemeinsam mit hunderten von Pfeilspitzen in Oberammergau geopfert wurden,88 bezeugen die Anwesenheit der 19. Legion, die auch für Dangstetten nachgewiesen ist (siehe unten).89 Diese Legion muss somit mit der Armee des Tiberius, die zum Bodensee gezogen 83 84 85 86 87
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Kienast 2014, 357; Dietz 1995, 40. Grundlegend zum Feldzug vgl. Zanier 1999. Nuber 2009, 106. Nuber 2009, 106 f. Ob das grave proelium wirklich eine historische Vorlage hatte oder vielleicht doch eher nur poetische Erfindung gewesen ist, wurde in der Forschung vielfach diskutiert; vgl. z. B. Dietz 1995, 31 f.; Nuber 2009, 107. Zanier 2004, 12–14; Zanier 1994; vgl. LWL-Römermuseum in Haltern am See 2009, 273–276, Nr. 3.7.1 ff.; Wamser 2004, 315, Nr. 8 f. Nuber 2009, 107; Wiegels 2016, 156.
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ist, nach Oberammerau gekommen sein, wodurch die Vereinigung der beiden römischen Heere aufgezeigt wird. Zuvor hatte die Armee des Drusus auch mehrere Feldzüge absolviert, die sie einerseits über den Septimer- und Julierpass nach Chur (Curia) sowie andererseits über den Reschenpass und den Brenner nach Norden brachten.90 Für Drusus ist zudem epigraphisch angezeigt, dass er wahrscheinlich über Augsburg (Augusta Vindelicum) bis zur Donau marschiert ist (CIL V 8002f.).91 Augustus ließ den Sieg seiner Stiefsöhne in Münzprägungen92 (RIC I² 164a und 165a), aber auch durch Horaz (carm. 4,4 und 14), der hierfür ein viertes Oden-Buch schreiben musste (Suet. vita Hor.), feiern.93 Als weithin sichtbares Siegesmonument wurde oberhalb von Monaco das sog. Tropaeum Alpinum94 von La Turbie errichtet, dessen Inschrift 46 unterworfene Stämme aufführt (CIL V 7817; Plin. nat. 3,136f.).95 Rom errichtete nun wichtige Straßen96 durch die Alpen, zu nennen ist etwa die durch die Seealpen nach Arles (Arelate) führende Via Iulia Augusta, deren bekanntestes Bauwerk sicherlich der Pont Flavien97 über den Toloubre in SaintChamas sein dürfte; oder man baute ältere Straßen wie die Via Domitia aus. Diese verband Turin (Augusta Taurinorum) über das Tal von Susa (Segusio) und das Tal der Durance mit Briançon (Brigantio) und Narbonne (Narbo). Über den kleinen St. Bernhard wurde eine Straße angelegt, die Aosta mit Lyon verbunden hat. Gut bekannt ist auch die Via Claudia Augusta, die später von dem Kaiser Claudius, dem Sohn des „Alpenbezwingers“ Drusus, erneuert wurde. Sie verband die Adria über Trient und das Inntal bis nach Augsburg (Augusta Vindelicum) und von dort weiter an die Donau bis nach Burghöfe (Submuntorium). 90
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Archäologische Quellen weisen bspw. auf militärische Aktionen auf dem Septimerpass hin. Harald Stadler führt aus: „‚Einheimische‘ (Hellenbardenäxte und Schwerter aus Eisen) sowie römische Waffen und Ausrüstungsteile mit Gebrauchsspuren weisen eindeutig auf Kampfhandlungen in der Crap-Ses-Schlucht hin.“ Stempel auf Schleuderbleien belegen hier die 3., 10. und 12. Legion; zudem wurde ein römisches Lager erkannt; vgl. Stadler 2015, 21 f. Beide Inschriften wurden allerdings erst von Claudius, dem Sohn des Drusus, im Zuge der Erneuerung der Via Claudia Augusta errichtet. Natürlich muss hier der bewusste Charakter der Überlieferung beachtet werden, der davor warnt, die intentionelle Aussage des Claudius über seinen Vater unkritisch zu übernehmen; vgl. Christ 1982b, 249. Bedenkt man aber den exploratorischen Charakter der späteren Operationen rechts des Rheins, so mutet es doch sehr wahrscheinlich an, dass im Zuge der Eroberung des Voralpenraums auch die Donau erreicht wurde. Kraft 1969, 235 f. Kienast 2014, 357; ausführlich zu den beiden Gedichten des Horaz: Christ 1982a, 205 ff.; Christ 1982b, 248 f. Formigé 1949; Lamboglia 1965. Zur Plinius-Stelle auch Christ 1982a, 211 f. mit weiterer Literatur. Zu den römischen Straßen in den Alpen vgl. den Überblick bei Märtin 2017, 121–128; Wiesehöfer 2015, 97. Gestiftet wurde die mit zwei Bogenmonumenten versehene Brücke von L. Donnius Flavus (CIL XII 647); vgl. Küpper-Böhme 1996, 5–13.
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Die knappen Bemerkungen zu einigen der wichtigsten Verbindungswege durch die Alpen sollen genügen, um die logistische und infrastrukturelle Bedeutung der Eroberung der Alpen anzudeuten. Für den bereits skizzierten Entwicklungsprozess in den neuen gallischen Provinzen, aber auch für die ab 12 v. Chr. offensiv betriebene Germanienpolitik waren die Alpenfeldzüge der Jahre 15– 13 v. Chr. eine zwingende Voraussetzung. Eine Konzentration der römischen Truppen am Rhein und die damit einhergehende weitestgehende „Entmilitarisierung“ Galliens wären ohne eine sichere Befriedung der Alpenregion kaum vorstellbar gewesen. Man konnte die Legionen nur in den äußersten Nordosten verlegen, wenn man sie nicht mehr für gelegentliche Maßnahmen gegen die Alpenstämme benötigte. Auch spätere, von der Donau ausgeführte Operationen gegen die Markomannen wären ohne eine Sicherung der Alpen und des nördlichen Vorlandes kaum möglich gewesen. Es ist allerdings auch zu sagen, dass die Lollius-Niederlage – entgegen gelegentlichen Stimmen in der Forschung – nicht der Auslöser für die AlpenEroberung gewesen ist. Nach dem Rückschlag durch die clades Lolliana wurde in Rom nicht der Entschluss gefasst, nun kontinuierlich die Alpenstämme und dann die Völker rechts von Rhein und Donau zu unterwerfen. Die Einsicht, dass die Alpenpässe direkt kontrolliert werden müssen, war zweifellos schon vor 17 v. Chr. vorhanden und seit Caesar wurden entsprechende Feldzüge durchgeführt (z. B. Ser. Sulpicius Galba 57 v. Chr.; C. Antistius Vetus 35/4 v. Chr.; A. Terentius Varro Murena 20er Jahre v. Chr.; P. Silius Nerva 16 v. Chr.).98 Die Unternehmungen des Tiberius und Drusus ab 15 v. Chr. erscheinen somit als Endpunkt eines längeren Prozesses, der nicht sprunghaft durch die LolliusNiederlage initiiert wurde. Eine Folge der Alpenfeldzüge war auch die Bildung einer rätischen Hilfskohorte.99 Junge Männer der rätischen und vindelizischen Stämme wurden nach der Niederwerfung durch Rom aus ihren Heimatorten weggeführt (Cass. Dio 54,22,5). Rom schwächte so die indigenen Stämme und steigerte das eigene militärische Potenzial. Die Räterkohorte kämpfte später in Germanien für Rom.100 Mit den Alpenfeldzügen in Verbindung steht das Militärlager von Dangstetten,101 das nach Aussage der Keramikfunde ca. 16/15 v. Chr. errichtet wurde. Es blieb wohl bis ca. 13/12 v. Chr., eventuell noch bis 9 v. Chr.102 in
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Anführen könnte man hier bspw. auch noch M. Vinicius, der nicht nur als dritter römischer Feldherr den Rhein überquerte, sondern um 25 v. Chr. von Gallien aus auch das Valais eroberte (Cass. Dio 53,26,5); vgl. Kienast 2014, 356. Dietz 1995, 43. Kienast 2014, 358. Fingerlin 1976; Fingerlin 1986; Fingerlin 1998. Das Enddatum wird – wie dies Nuber 2009, 108 zuletzt ausgeführt hat – durch das Fehlen der ersten Lyoner Altarmünzen (10 v. Chr.; RIC I² 57), der dritten Serie der Nemausus-
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Gebrauch und ist kurze Zeit nach den Lagern vom Hunerberg bei Nijmegen und Neuss, aber noch vor den späteren Lagern am Rhein, entstanden. Eventuell könnte Tiberius von Dangstetten aus in den Schwarzwald eingedrungen sein (Strab. 7,1,5).103 Letztlich bleibt dies aber spekulativ. In dem Dangstetter Lager war die 19. Legion stationiert, die Teil der Armee des Tiberius gewesen ist und den Zug zum Bodensee sowie nach Oberammergau absolviert hat.104 Folgt man der in der Forschung vorgeschlagenen Interpretation einer Inschrift auf einem Bronzebeschlag, war P. Quinctilius Varus während des Alpenfeldzugs als legatus legionis XIX im Heer des Tiberius aktiv (siehe unten).105 Später war die Legion auch in Germanien stationiert und sollte gemeinsam mit Varus 9 n. Chr. in der sog. Varusschlacht untergehen. Insgesamt verblieben in augusteischer Zeit in Raetien zwei römische Legionen, deren Standorte aber nicht sicher bezeugt sind. Unmittelbar nach den Alpenfeldzügen wurde das östliche Vindelicia-Gebiet von C. Vibius Pansa, der zuvor aller Wahrscheinlichkeit nach im Heer des Drusus gedient hat, verwaltet.106 Der erste Statthalter der neuen Provinz Raetia ist bisher unbekannt, allerdings wird vermutet, dass Varus diesen Posten übernommen haben könnte, bis er dann 13 v. Chr. als Konsul in Rom amtierte (siehe unten).107 Namentlich bekannt ist immerhin der erste ritterliche Prokurator – Q. Octavius Sagitta –, der die Finanzverwaltung der neu eroberten Alpenprovinzen übernahm.108 Für die spätere Germanienpolitik unter Tiberius ist noch bemerkenswert, dass dieser 16 n. Chr. einen ritterlichen Präfekten als Statthalter über Rätien und das vindelizische Gebiet sowie vier Stämme der pöninischen Alpen einsetzte (ILS 2689). Die beiden Legionen haben damals die Provinz verlassen.109
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Münzen (RIC I² 51) sowie späterer Münzmeister-Prägungen (RIC I² 74) nahegelegt; vgl. zur Datierung auch Fingerlin 1998, 9. Schön 1986, 70. Inschriften auf Bronze- und Bleiblechen aus Dangstetten bezeugen die Anwesenheit der 19. Legion; vgl. LWL-Römermuseum in Haltern am See 2009, 268, Nr. 3,4,2f.; Fingerlin 1986, Nr. 38,1; Fingerlin 1998, Nr. 609,16; Wiegels 2007a, 59. Aufgrund der Größe des Lagers waren aber sicher nur Teile der 19. Legion hier stationiert; vgl. Wiegels 2008a, 56. Vgl. besonders Nuber 2008; LWL-Römermuseum in Haltern am See 2009, 267 f., Nr. 3.4.1; Nuber 2009, 108–111; kritisch: Wiegels 1989; Wiegels 2008a, 56. Nuber 2009, 111; Nuber 2010. Nuber 2009, 111. PIR O 58. Kienast 2014, 359.
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Drusus und Tiberius am Rhein (12–7 v. Chr.)
Ab 12 v. Chr. wurden die meisten militärischen Einheiten aus dem innergallischen Raum an die Rheingrenze verlegt. Neben dem Lager auf dem Hunerberg bei Nijmegen (Noviomagus Batavodurum) sowie dem Lager in Neuss (Novaesium) wurden nun auch in Xanten (Vetera), Moers-Asberg (Asciburgium), Bonn (Bonna) und Mainz110 (Mogontiacum) dauerhafte Militärstützpunkte etabliert.111 Ein weiteres augusteisches Lager wird in Wiesbaden vermutet.112 Bei Nijmegen wurde auf dem Kops Plateau zudem ein zweites kleineres Lager errichtet, dass ca. 12–10 v. Chr. entstanden sein soll.113 Sechs Legionen sowie mehrere Auxiliareinheiten lagen nun am Rhein.114 Die besagten Standorte sind, nach den aktuell anerkannten Datierungen, kurze Zeit nach den Anlagen in Nijmegen, Neuss oder auch Dangstetten, aber noch kurz vor den Lagern an der Lippe (siehe unten) entstanden. Allgemein darf man für Vetera I, Moers-Asberg, Bonn und Mainz eine Datierung um 13 v. Chr. annehmen; ab 12 v. Chr. dürften diese Lager belegt gewesen sein. Einige der Militärlager schützen nicht nur den Rhein, sondern sind gegenüber oder in der Nähe von Mündungen schiffbarer Flüsse – Lippe (Vetera I), Ruhr (MoersAsberg), Sieg (Bonn), Main (Mainz) – angelegt; die Rheinmündung wurde durch das Lager bei Nijmegen geschützt. Neuss, das – wie gesagt – an das Straßennetz aus Gallien angeschlossen war, lag zwar nicht gegenüber einer Flussmündung, aber im Bereich des sogenannten Hellwegs, der etwas nördlicher begann und in etwa parallel zu Ruhr und Lippe verlief.115 Die Positionen der Lager zeigen bereits an, dass die römische Politik nun auch offensiv orientiert war. Die Flüsse dienten als Einfalls- und Versorgungswege in das rechtsrheinische Gebiet.116 Die nun sehr dichte Präsenz der römischen Truppen zwischen Nijmegen und Mainz am Ober- und Mittelrhein eröffnete auch die Möglichkeit, die Soldaten über den Flussweg per Schiff zu versorgen. Zu diesem Zweck wurde eine Flotte gegründet und als infrastrukturelle Verbesserung ein Kanal (fossa Drusiana) zwischen dem alten Rhein von Vechten ins Ijsselmeer angelegt, der den Zugang zur Nordsee vereinfachte. Der Kanal wurde noch bis in die Zeit des Germanicus
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Cüppers 1990, 458. Wolters 2004, 27; Bechert 2003, 229 f.; Moosbauer 2009, 34. Baatz/Herrmann 1982, 485. van der Vin 2000, 139; 141; 143. Das kleine Lager wurde mehrmals erneuert, u. a. um ca. 10 n. Chr.; vgl. van Enckevort 1995, 46 f. Aßkamp 2009, 172. Johne 2006, 84. Wolters 2004, 27.
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genutzt (Tac. ann. 2,8,1) und war bis in das 2. Jahrhundert n. Chr. mit dem Namen des Drusus verbunden (Suet. Claud. 1,1).117 Es gilt sich auch in Erinnerung zu rufen, dass die Bataver und die Cananefaten auf einer Insel zwischen Rhein und Waal sowie die Ubier im Raum des späteren Köln als Verbündete Roms angesiedelt waren. Das dichte Netz von Militärstützpunkten wurde so durch die Ansiedlung der befreundeten Stämme noch weiter verengt. Tacitus betont, die Ubier hätten auch Verteidigungsfunktionen für Rom übernommen (Tac. Germ. 28; vgl. Strab. 4,3,4). Insgesamt wird eine konzeptionelle Planung deutlich, die einerseits eine feste Sicherung der Rheingrenze darstellt, also weiterhin auch der defensiven Aufgabe Rechnung trägt, andererseits aber auch eine strategische Planung für künftige Militäroffensiven im rechtsrheinischen Gebiet anzeigt. Es dürfte kein Zufall sein, dass die Planung für die Neuorientierung der römischen Militärpräsenz in einer Zeit erfolgte, in welcher Augustus persönlich in Gallien weilte (15–13 v. Chr.). Im Jahr 13 v. Chr. kam – während sein Bruder Tiberius gemeinsam mit P. Quinctilius Varus in Rom das Konsulat innehatte – Drusus, der Alpenbezwinger, als legatus Augusti pro praetore an den Rhein. Er reagierte 12 v. Chr. zunächst auf einen Einfall der Sugambrer, die trotz der nun dichten Stationierung römischer Truppen nach Gallien eingedrungen waren. Die Sugambrer nutzten innergallische Erhebungen aus bzw. wurden vielleicht zur Hilfe gerufen – ein, wie wir gesehen haben, seit Caesar üblicher Vorgang. Allerdings war Roms Herrschaft in Gallien so gefestigt, dass die Unruhen von 12 v. Chr. wenig bedeutsam und sehr wahrscheinlich lediglich regional begrenzt waren. Drusus zog nun durch das Gebiet der Usipeter, die mit Sicherheit auch eingeschüchtert werden sollten, zum Siedlungsland der Sugambrer, wo er den Stamm bestrafte.118 Nach Caesar, Agrippa und M. Vinicius war Drusus der vierte römische Feldherr, der jenseits des Rheins operierte. Könnte man das Vorgehen gegen die Sugambrer noch als übliche Bestrafungsaktion und Machtdemonstration ansehen, ging Drusus noch im Jahr 12 v. Chr. ganz neue Wege. Er fuhr mit der Flotte rheinabwärts und steuerte dann die Nordseeküste entlang nach Osten.119 Die Friesen an der Küste schlossen sich Drusus an, der von der Nordsee Flusswege ins Landesinnere suchte und sich mit den Brukterern an der Ems (Strab. 7,1,3) und den Chauken im nördlichen Gebiet der Weser schlug. Auf dem Rückweg strandeten römische Schiffe an der Nordseeküste, erhielten aber durch die nautisch erfahrenen Friesen Hilfe (Cass. Dio 54,32,3f.).120 In diesem Jahr wurde auch die Insel Byrchanis bzw. Burcana an der Nordseeküste erobert (Strab. 7,1,3; Plin. nat. 4,97). 117
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Johne 2006, 90. In Vechten (Fectio) bestand ab ca. 4/5 n. Chr. auch ein militärischer Stützpunkt (Ptol. 2,11,12); vgl. Konen 2000, 274 ff. Wolters 2004, 30. Schäfer 2009, 204 f.; Wiegels 2007a, 59. Johne 2006, 90 f.
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Die Flottenaktion des Jahres 12 v. Chr. ist in zweifacher Hinsicht wichtig: Zum einen hatte Rom eine Infrastruktur aufgebaut, die es nun ermöglichte, auch entlegene Gebiete aufzusuchen. Die Reichweite römischer Militäraktionen wurde, dies zeigt bereits die Operation im Jahr 12 v. Chr., durch die Flotte deutlich erweitert. Zum anderen diente die Unternehmung sicherlich auch der Erkundung von Flusswegen ins Innere Germaniens.121 Strabon bemerkt, erst die Römer hätten den Raum bis zur Elbe bekannt gemacht (Strab. 1,2,1), und Tacitus behandelt die Erkundung des nördlichen Ozeans (Tac. Germ. 34), was die Suche nach Flusswegen voraussetzt. Er betont, niemand sei nach Drusus soweit in den nördlichen Ozean vorgedrungen (Tac. Germ. 34). Ganz wesentlich ist dabei, dass über die Flüsse eine Versorgung von Landtruppen, die im Gebiet von Ems, Weser oder Elbe aktiv waren, möglich wurde. Die Kombination von Land- und Flotteneinsätzen erforderte zwar einiges an Koordination, eröffnete aber neue Möglichkeiten. Die Heere mussten sich nicht mehr nur aus dem Land versorgen. Es ist sicherlich kein Zufall, dass Drusus in Auseinandersetzungen mit den Brukterern und Chauken geriet – beide Stämme stellten bisher für das römische Gallien keine Bedrohung dar.122 Anders als bei dem Zug gegen die Sugambrer ging es Drusus also sicher nicht um eine Bestrafung oder Machtdemonstration, sondern die Erkundung von Ems und Weser dürfte für ihn von vorrangigem Interesse gewesen sein und zu Berührungen mit den besagten Stämmen geführt haben. Die Ereignisse des Jahres 12 v. Chr. stellen somit eine Zäsur in der Germanienpolitik dar. Im Folgejahr marschierte Drusus erneut durch das Gebiet der Usipeter sowie der Sugambrer, die in diesem Jahr allerdings ruhig blieben, und durchquerte auch das Land der Tenkterer. Sein wesentliches Ziel war jedoch in diesem Jahr ein Vorstoß, der in etwa aus dem Gebiet der Lippe gen Osten erfolgte. Hier traf er auf den Stamm der Cherusker sowie auf die Weser, deren nördlichen Mündungsbereich er 12 v. Chr. mit der Flotte bereits erkundet hatte. Auch die Feldzüge des Jahres 11 v. Chr. dürften wieder exploratorischen Charakters gewesen sein. Der Verlauf der Lippe, aber auch Teile des Hellwegs und der anschließende Landweg zur Weser dürften den Römern spätestens damals definitiv bekannt geworden sein. In diesem Jahr gerieten die römischen Truppen aber auch in einen
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Ein Vergleich der augusteischen bzw. post-augusteischen Quellen mit den irrigen Ausführungen über die Donau, die man noch bei Sallust (hist. 3,89) und Dionysios von Halikarnassos (14,1,1) lesen kann, deutet an, wie sehr das Wissen über das Gebiet östlich des Rheins und nördlich der Donau in der frühen Kaiserzeit angewachsen ist; vgl. Johne 2006, 84 ff. Durch die Feldzüge augusteischer Zeit wurde allgemein die Grundlage für das detaillierte geographische Wissen gelegt, das dann später Claudios Ptolemaios über Germanien und die Alpen zur Verfügung stand; zu Claudios Ptolemaios als Quelle für die augusteische Außenpolitik: Bernecker 1989. Burmeister 2015a, 11.
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Hinterhalt bei dem nicht lokalisierten Ort Arbalo (Plin. nat. 11,55).123 Sichere Informationen über diese Vorgänge liegen nicht vor, allerdings ist bekannt, dass die Römer bis zum Ende der Feldzugssaison die Lippe erreichten und dort überwinterten (siehe unten). 10 v. Chr. zog Drusus dann gegen die Chatten im heutigen Hessen (Cass. Dio 54,36,3).124 Das Römerlager von Rödgen, das durch Keramik- und Münzfunde auf ca. 10 v. Chr. datiert wird, dürfte am ehesten mit dem Chattenfeldzug des Drusus in Verbindung stehen;125 in die gleiche Zeit könnten auch die Lager von Friedberg sowie Höchst gehören.126 Eventuell kam es 10 v. Chr. auch zu Kämpfen mit den Markomannen in Südgermanien.127 Dieser Feldzug ging von Mainz aus. Es fällt auf, dass sich Drusus von 12 bis 10 v. Chr. mit seinen Feldzügen immer weiter nach Süden orientierte. Nachdem 12 v. Chr. von der Nordsee Flusswege nach Nordwestdeutschland gesucht worden waren, hatten die Operationen 11 und 10 v. Chr. jeweils Ziele im Bereich der Weser, was kaum ein Zufall gewesen sein kann. Sicherlich hatte sich bis 10 v. Chr. die Weser als Nachschublinie bereits bewährt; gleiches gilt – wie die archäologische Überlieferung aufzeigt (siehe unten) – insbesondere auch für die Lippe. Aber auch der Main, der für den Zug gegen die Markomannen zumindest teilweise als Nachschublinie gedient haben muss, wurde spätestens ab 10 v. Chr. logistisch genutzt. Ähnlich der Situation an der Lippe wurde auch in der Zeit des Drusus die Region zwischen Lahn und Main mit den Lagern Dorlar, Rödgen, Oberbrechen,128 Bad Nauheim, Höchst und Friedberg kontrolliert und ein dichtes, an den Flüssen orientiertes Operationsnetz etabliert. Der Befund ist zwar nicht so deutlich greifbar wie an der Lippe (siehe unten), aber die Entwicklung römischer Präsenz doch sehr gut vergleichbar. Eine neue Dimension erreichte dann der Feldzug im Jahr 9 v. Chr. Von Mainz aus zog Drusus durch die Wetterau, durchquerte die Gebiete der Chatten und Sueben und erreichte erneut das Land der Cherusker (Cass. Dio 55,1,2). Dieses Mal marschierte Drusus bis zur Elbe weiter (Cass. Dio 55,1,2 f.).129 Auf dem Rückweg nach Mainz stürzte der Stiefsohn des Augustus von seinem Pferd und verletzte sich schwer (Liv. per. 142). Auf die Nachricht vom Unfall des Bruders, der 123 124 125
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Wiegels 2007a, 61; Mattern 2008, 122. Schneider 2006, 13. Baatz/Herrmann 1982, 238–240. Das Lager von Rödgen wurde um ca. 8/7 v. Chr. aufgegeben, erhielt aber später um die Zeitenwende (?) mit dem Lager von Bad Nauheim einen Nachfolgerbau; vgl. Johne 2006, 130; Wolters 1990a, 178; 205; Baatz/Herrmann 1982, 237 ff. So wie auf Oberaden und Beckinghausen an der Lippe chronologisch die Anlagen von Haltern, Holsterhausen und Anreppen folgten (siehe unten), gab es auch in Rödgen/Bad Nauheim eine gewisse Kontinuität römischer Präsenz. Baatz/Herrmann 1982, 302; 305 f.; Bechert 2003, 257. Wolters 2004, 33; Wiegels 2007a, 62. Moosbauer 2009, 40. Das Lager von Oberbrechen, an einem Nebenlauf der Lahn, wird bisher aufgrund von wenigen Funden nur allgemein in die augusteische Zeit eingeordnet. Wolters 2004, 33.
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sich zwischen Saale und Rhein ereignet haben soll (Strab. 7,1,3), eilte Tiberius aus Italien von Ticinum nach Mainz und von dort nach Germanien.130 Angeblich soll Tiberius seinen Bruder, der 30 Tage nach dem Sturz gestorben sein soll (Liv. per. 142), noch lebend erreicht haben. Ob man in diesem Punkt den literarischen Quellen, die über den Tod des Drusus sehr breit berichten (u. a. Liv. per. 142; Strab. 7,1,3 ff.; Vell. 2,97,3; Plin. nat. 7,84; Tac. ann. 3,5,1; Suet. Tib. 7,3; Suet. Claud. 1,2 f.; Cass. Dio 55,1,3–5; Oros. 6,21,15–17), vertrauen darf, bleibt allerdings fraglich. Gesichert ist, dass Tiberius das Heer übernahm und den Leichnam des Bruders nach Mainz überführte. Von dort sollte Drusus nach Rom transportiert werden, jedoch wollten dies die Soldaten nicht. Erst nachdem Tiberius ihnen erlaubt hatte, in Mainz ein Denkmal für ihren toten Feldherrn zu errichten, konnte der Leichnam nach Italien transportiert werden. Das von den Soldaten errichtete Denkmal ist bis heute in Mainz erhalten:131 Es handelt sich um den sog. „Eichelstein“, der ursprünglich ein zylinderartiges Ehrenmal gewesen ist. Jährlich fanden an diesem Bauwerk Militärparaden und Gedenkfeiern zu Ehren des Drusus statt. In Italien erwartete Augustus in Ticinum den Leichenzug, von wo er diesen persönlich bis nach Rom geleitete. Dort wurde Drusus im Mausoleum Augusti auf dem Marsfeld bestattet. Vom Augustusforum ist eine Weihinschrift für Drusus erhalten, die bezeugt, dass er in Germanien zum Imperator ausgerufen wurde (CIL VI 4330). In Rom wurde ein Triumphbogen für die Erfolge des Drusus in Germanien gebaut, der später unter Claudius, dem Sohn des Drusus, in Münzbildern mit der Legende de Germanis verewigt wurde (RIC I 69 und 71). Bereits für den Feldzug des Jahres 11 v. Chr. wurden Drusus die ornamenta triumphalia sowie die Feier einer ovatio, eines kleinen Triumphzuges, zugesprochen. Der Siegerund Ehrentitel „Germanicus“ wurde ihm posthum verliehen. Die archäologische Forschung konnte aufzeigen, dass die Lippe als Aufmarschgebiet ab der Zeit der Drususfeldzüge von großer Bedeutung war.132 Direkt an der Mündung der Lippe in den Rhein, unweit des Lagers Vetera I, konnten in Wesel kleinere Marschlager nachgewiesen werden.133 Diese datieren nach Aussage der Kleinfunde in die Zeit ab Nero,134 doch spricht ihre Lage und die Bedeutung der Lippe als Aufmarschgebiet dafür, dass in Wesel bereits seit der Zeit des Drusus gelegentlich Truppeneinheiten stationiert waren. Tacitus bezeugt eine Rheinbrücke (Tac. ann. 1,69), die in der Forschung nahe der Lippemündung vermutet wird.135 Auch dies würde eine Stationierung kleinerer Einheiten in Wesel wahrscheinlich machen. In Holsterhausen, das etwa auf der Hälfte zwischen der Lippemündung und Haltern liegt, wurden insgesamt neun 130 131 132 133 134 135
Bode 2012. Cüppers 1990, 462 f.; Panter 2007; Frenz 1985. Vgl. zu den Lippe-Lagern auch Schnurbein 1981. Aßkamp 2009, 172; Weber 1987; Maier-Weber 1991, 59 f.; 69 f. Maier-Weber 1991, 59 f. Maier-Weber 1991, 58.
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verschiedene Marschlager festgestellt.136 Die Münzfunde zeigen eine Präsenz römischer Truppen von der Zeit der Drususfeldzüge bis in die Zeit des Varus an.137 Für das Hauptlager von Haltern geht Rudolf Aßkamp allgemein von einer Datierung ab 7 v. Chr. aus, „nicht sehr weit entfernt vom Ende der Drususfeldzüge, in die der Annaberg sowie die älteste Anlage ‚Auf der Hofestatt‘ und das Feldlager gehören könnten.“138 Der südwestlich des Hauptlagers liegende Stützpunkt „Annaberg“ soll der älteste Teil des Gesamtkomplexes von Haltern sein. Es handelt sich um eine dreieckige Anlage mit Palisaden und Erdwall.139 Die erhöhte Lage war für die Wahl des Standorts sicher ausschlaggebend. Bei der Anlage ‚Auf der Hofestatt‘ handelt es sich um insgesamt vier Uferkastelle, die südöstlich des Hauptlagers liegen und deren ältestes drususzeitlich sein könnte.140 Das Feldlager gehört sicher in die Zeit der Drususzüge. Es wurde später – wohl ab 7 v. Chr. – durch das Hauptlager teilweise überbaut. Entgegen diesem wies das Feldlager noch keine dauerhafte Bebauung auf, sondern war wohl lediglich ein Marschlager, das durch Spitzgraben und Erdwall geschützt Platz für zwei Legionen bot.141 Der während der Feldzüge des Drusus wichtigste Stützpunkt an der Lippe dürfte das Lager von Oberaden gewesen sein. Cassius Dio erwähnt für das Jahr 11 v. Chr. die Anlage eines Lagers an der Stelle wo Lippe und Elison zusammenfließen (Cass. Dio 54,33,4).142 Dendrochronologische Ergebnisse aus Oberaden belegen, dass die Eichenstämme der Holz-Erde-Mauer im Spätsommer 11 v. Chr. gefällt wurden.143 Nach Cassius Dio erfolgt die Anlage des Lagers auf dem Rückweg ins Winterlager. Das Lager bot Platz für zwei Legionen und verfügte über ein bemerkenswertes praetorium, das Rudolf Aßkamp wie folgt beschreibt: „Es fällt auf durch seine Größe (41 x 59 m), seine freistehende Lage nördlich der principia sowie durch seinen Innenhof, seine großzügige Raumaufteilung und seinen Wohnkomfort. Mindestens einer der Räume an seiner Nordseite konnte durch einen Ofen von außen
136 137 138
139 140 141 142 143
Berke 1989a; Ebel-Zepezauer 2003; Ebel-Zepezauer 2008; Mattern 2008, 135. Aßkamp 2009, 173. Aßkamp 2009, 177. Becker 2010, 9 und Becker 2008, 114 betont, dass die dendrochronologische Datierung von Waldgirmes, dessen Fundmaterial ebenfalls zum Haltern-Horizont gehört, in die Zeit von 4 v. Chr. eine frühe Datierung von Haltern auf 7 v. Chr. stützt. Anhand der Münzen wird ersichtlich, dass Haltern, Holsterhausen und Anreppen nach Oberaden und Beckinghausen entstanden sind; vgl. Berger 1992, 119. Schuchhardt 1901; Schnurbein 1974, 7 ff. Moosbauer 2009, 37. Aßkamp 2009, 175. Mattern 2008, 137 f. Kühlborn 1989, 50. Auch die numismatischen Zeugnisse zeigen eine Datierung in die Zeit der Drususfeldzüge auf; vgl. Berger 1992, 119.
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Rom und Germanien unter Caesar, Augustus und Tiberius beheizt werden. Es deutet alles darauf hin, dass dieser Wohnsitz für Drusus, […] gebaut worden ist.“144
Belegt war das Lager bis ca. 8/7 v. Chr.145 Zugehörig zu Oberaden war das Uferkastell von Beckinghausen, dass ca. 2,5 km entfernt liegt und eine Versorgung mittels Schiffslieferung gewährleistete.146 Das Lager Oberaden beweist, dass Drusus bereits im zweiten Jahr seiner Statthalterschaft über eine Infrastruktur an der Lippe verfügte, die ihm ein Überwintern im rechtsrheinischen Gebiet erlaubte. Oberaden lag im Bereich der Sugambrer, eines jener Stämme, die in der Vergangenheit Rom häufig zugesetzt hatten. Vielleicht sollte durch die dauerhafte Präsenz auch eine Kontrolle über den stets aufmüpfigen Stamm erreicht werden. Diese Überlegung zeigt auch auf, dass defensive und offensive Ziele Roms im rechtsrheinischen Gebiet kaum voneinander zu trennen sind. Als weiteres Lager aus der Zeit der Drususfeldzüge ist die Anlage von Hedemünden an der Werra, ca. 7 km von der Mündung der Fulda entfernt, zu nennen.147 Es handelt sich zusammen mit Wilkenburg (siehe unten) um das östlichste Lager. Nach Aussage der Kleinfunde dürfte eine Gründung ab ca. 11 v. Chr. erfolgt sein.148 Drusus’ Operationen im Bereich der Weser, aber auch der Zug an die Elbe könnten mit dem Lager in Verbindung stehen. Hedemünden war bis ca. 8/7 v. Chr. belegt, wahrscheinlich wurde es zeitgleich mit Oberaden aufgegeben.149 An der Ruhr ist schließlich das Lager von Kneblinghausen150 anzuführen. Dieses wurde lange Zeit in die zweite Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr. datiert und mit Germanenfeldzügen des C. Rutilius Gallicus (77/78 n. Chr.) und Vestricius Spurinna (90er Jahre n. Chr.) in Verbindung gebracht.151 Diese Datierung ergab sich aus dem Nachweis eines sog. clavicula-Tores,152 einer fortifikatorischen Anlage, die man auch aus späteren literarischen Quellen (Hyg. de mun. Castr. 55) und aus archäologischen Zeugnissen flavischer Zeit kennt. Inzwischen wurde aber auch in Haltern ein clavicula-Tor nachgewiesen, wodurch eine Datierung von Kneblinghausen in augusteische Zeit ermöglicht wird; allerdings kann das Lager nicht mit einer bestimmten Phase der Germanienfeldzüge verbunden werden. Sollte die zeitliche Einordnung korrekt sein, wird ersichtlich, dass die 144
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Aßkamp 2009, 178; vgl. zu praetorium und principia von Oberaden auch Mattern 2008, 131; Moosbauer 2009, 35. Moosbauer 2009, 36; Kühlborn 1989, 51. Berke 1989c. Grote 2012; Grote 2004; Moosbauer 2009, 36; LWL-Römermuseum in Haltern am See 2009, 349 f., Nr. 7.4. Grote 2012, 301; Grote 2006, 71. Die Nemausus-Münzen im Fundmaterial legen eine frühe Datierung innerhalb der Drususzeit nahe; vgl. Grote 2006, 80. Grote 2012, 301. Rudnick 2008. Horn 1987, 598; Berke 1989b; Rudnick 2008, 14. Kühlborn 2007, 92.
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Römer auch an der Ruhr sehr weit nach Osten vorgedrungen sind. In Analogie zur Situation an der Lippe wären dann weitere zumindest temporäre Lager zwischen Kneblinghausen und Asberg am Rhein zu vermuten, wofür bisher jedoch entsprechende archäologische Befunde fehlen. Wie oben ausgeführt, konnten römische Heereszüge im Bereich von Ems, Weser und Elbe mittels der Flotte unterstützt werden, wodurch der militärische Aktionsradius im germanischen Gebiet deutlich erweitert wurde; vermutlich waren auch Hedemünden über Weser und Werra sowie Wilkenburg über Weser und Leine mit der Flotte erreichbar. Die Binnenflotte war natürlich für die Militärlager an Rhein, Main, Ruhr und Lippe ebenfalls von sehr großer Bedeutung.153 Der Transport von Versorgungsgütern, aber auch die Verlegung von Truppen konnte über die Flusswege erfolgen. Auch das zivile Waldgirmes und das Lager Dorlar an der Lahn (siehe unten) sowie die Lager von Kneblinghausen an der Ruhr und Marktbreit154 sowie Höchst am Main (siehe unten) konnten vom Rhein aus mit der Flotte erreicht werden. Neben Militärlagern sind auch kleinere Wachstationen, meist wohl turmartige Kleinanlagen, vereinzelt nachgewiesen. Ein solcher Stützpunkt mit einem Durchmesser von lediglich 24 m wurde auf der Sparrenberger Egge bei Bielefeld entdeckt.155 Das wenige Fundmaterial verweist in die Zeit des Oberaden-Horizontes; maßgeblich sind zwei Nemausus-Dupondii, ein Legionsdenar des M. Antonius und ein As von ca. 15 v. Chr.156 Unweit der Sparrenberger Egge wurde in Siegenegge im Teutoburger Wald ein zweiter kleiner Stützpunkt aus augusteischer Zeit erkannt.157 Vergleichbare Kleinanlagen sind für die augusteische Zeit auch im Umfeld des Lagers von Hedemünden – der Stützpunkt Kring bei Oberode und der als Signalturm interpretierte Fundplatz von Ellerode – sowie am Walensee in der Schweiz bekannt.158 Diese Befunde verdeutlichen, dass die militärische Präsenz im rechtsrheinischen Gebiet im Vergleich zum heutigen Kenntnisstand sicher deutlich dichter und kleinteiliger organisiert gewesen sein dürfte.159 Weitere kleine Wachtstationen/Stützpunkte sind anzunehmen, wenn auch bisher archäologisch nicht nachgewiesen. Allerdings gibt es einen literarischen Hinweis: Florus spricht von Schutztruppen und bewachten Posten an Weser, Maas und Elbe (Flor. epit. 2,30). 153
154 155 156 157 158 159
Zur Versorgung der Truppen und allgemein zur logistischen Planung: Becker 1998; Aßkamp/Schäfer 2008, 10–13; Schäfer 2009; Jaschke 2009; Becker 2015; zu den nachgewiesenen Uferkastellen, von denen lediglich Haltern „Auf der Hofestatt“ und Beckinghausen hier angesprochen wurden, vgl. Konen 2000, 244 ff.; Wawrzinek 2014, 263 ff.; 417. Pietsch 2003. Bérenger 1995; Kühlborn 2007, 91 f. Bérenger 1995, 170; 172. Bérenger 2010; Grote 2012, 309. Grote 2012, 208 ff.; 308 f.; Grote 2007, 15–17. Mattern 2008, 143.
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Eine Gesamtbewertung der Feldzüge des Drusus ist schwierig. Einerseits wird ein organisiertes Vorgehen ersichtlich. Im ersten Jahr (12 v. Chr.) wurden die Flusswege in das Innere Germaniens erkundet und 11 v. Chr. scheinen die Feldzüge besonders im Bereich der Weser konzentriert gewesen zu sein. Ferner zeigen die Anlagen der Lippe-Lager, dass Drusus sich in dieser Region dauerhaft festsetzen wollte und auch konnte. Eine konzeptionelle Verschiebung der Provinzgrenze ist hier zu erahnen. Für die Jahre 10 und 9 v. Chr. erhielt dann Mainz als Ausgangspunkt enorme Bedeutung. Bemerkenswert ist allerdings, dass man in Rom die Germanienunternehmungen des kaiserlichen Stiefsohns Ende 11 v. Chr. als beendet angesehen hat. Damals wurden ihm die ornamenta triumphalia sowie eine ovatio zugesagt; und – was ein noch deutlicheres Zeichen ist – Augustus schloss 10 v. Chr. rituell die Tore des Ianus-Tempels.160 Diese alte Kulthandlung brachte symbolisch zum Ausdruck, dass im ganzen Reich Frieden herrscht. Nach Ansicht des Augustus sollten also 10 v. Chr. keine weiteren Feldzüge erfolgen.161 Diese Nachricht dürfte Drusus – sofern man Cassius Dio und der plausiblen Interpretation des praetorium-Befundes glauben mag – wohl im Winterlager in Oberaden erreicht haben. Die neuerlichen Maßnahmen im Jahr 10 v. Chr. wurden dann allerdings dadurch begründet, dass die Chatten im hessischen Gebiet ihre von Rom zugewiesenen Siedlungsplätze verlassen hätten. Wanderbewegungen rechtsrheinischer Stämme waren seit Caesar ein gutes Argument, um militärisch aktiv zu werden. Zugute dürfte Drusus gekommen sein, dass ein Schließen des IanusTempels damals auch durch unerwartete Unruhen und Erhebungen in Pannonien und Dalmatien, die Tiberius niederwerfen musste, verhindert wurde.162 Kann man für 12 und 11 v. Chr. eine weitsichtige Konzeption erkennen, die eine Provinzerweiterung im Raum zwischen Lippe und Weser denkbar macht, ist der letzte von Mainz ausgehende Drususfeldzug 9 v. Chr., der bis zur Elbe führte, kaum in ein realistisches Konzept einzubetten. Wollte man wirklich die Elbe als neue Provinzgrenze etablieren? Die Folgeereignisse sprechen gegen diese Ansicht. Tiberius übernahm nach dem Tod seines Bruders das Kommando am Rhein. Zwar berichten die Quellen, dass er ebenfalls nach Germanien zog, allerdings drang er nicht mehr so weit in das rechtsrheinische Gebiet vor; die Elbe spielte für ihn anscheinend keine Rolle. Zu bedeutenden Kampfhandlungen kam es offensichtlich nicht.163 Zudem wurden wahrscheinlich erst unter Tiberius die Sugambrer, die seit den Zeiten Caesars einer der aggressivsten Stämme gewesen 160 161 162 163
Keinast 2004, 64. Wolters 2004, 36; Wiegels 2007a, 63. Wolters 2004, 36. Johne 2006, 116 f. sieht für 8 v. Chr. keine qualitative Änderung in der Germanienpolitik, betont aber auch, dass es unter Tiberius zu keinen Gefechten gekommen ist.
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waren, teilweise auf linksrheinisches Gebiet umgesiedelt.164 Vielleicht war dies eine Folge der römischen Präsenz in Oberaden, das ja unmittelbar im Siedlungsraum der Sugambrer lag;165 nach der Umsiedlung der Sugambrer endete die Belegung des dortigen Lagers (8/7 v. Chr.) und Haltern, das weiter westlich und somit näher am Rhein liegt, wurde der neue wichtigste Stützpunkt auf der LippeLinie.166 Die Sugambrer wurden nun in dem Gebiet zwischen Xanten, Neuss und Krefeld wohnhaft. Die römischen Quellen bezeichnen sie bald darauf mit dem Namen Cugerner (Tac. hist. 5,16; Plin. nat. 4,106), was auf die von ihnen betriebene Viehzucht anspielen könnte. In seinem Tatenbericht verkündet Augustus, dass ein König der Sugambrer namens Maelo bei ihm bittend Zuflucht gesucht hätte (R. Gest. div. Aug. 32). Vermutlich ging dies der Umsiedlung voraus und zeigt, dass die Sugambrer teilweise dem römischen Druck an der Lippe nachgegeben und sich aus römischer Sicht schließlich unterworfen haben. Der Teil der Sugambrer, der im rechtsrheinischen Gebiet verblieb (Strab. 7,1,3), spielte in der Folge keine Rolle mehr. Vermutlich war der Stamm personell soweit verkleinert, dass er bedeutungslos bzw. in andere Gruppen eingegliedert wurde. Insgesamt soll Tiberius 40.000 Germanen angesiedelt haben (Suet. Tib. 9,2; Oros. 6,21,24; vgl. auch Suet. Aug. 21,1).167 Vielleicht erfolgte in dieser Zeit auch die Umsiedlungen der Triboker, Nemeter und Vangionen (Tac. Germ. 28), wodurch die sicherlich übertrieben hohe Zahl teilweise erklärt werden könnte.168 Ende des Jahres 8 v. Chr. kehrte Tiberius für kurze Zeit nach Rom zurück, wo er am 1. Januar 7 v. Chr. einen Triumph über Germanien feierte (Cass. Dio 55,6,5 und 8,2; Suet. Tib. 9,2).169 Dabei könnte die sakrale Grenze der Stadt Rom, das pomerium, rituell erweitert worden sein, was symbolisch eine kriegerische Gebietserweiterung ausdrücken sollte (Cass. Dio 55,6,6).170 Tiberius, der 7 v. Chr. auch zum zweiten Mal Konsul war, hatte also das Staatsland in Germanien vergrößert. Wo genau dieser Raumzugewinn lag, wird in den Quellen nicht expliziert. 7 v. Chr. war Tiberius nochmals östlich des Rheins aktiv (Cass. Dio 55,8,3 und 6,1), wobei erneut keine bedeutenden Kämpfe überliefert sind. Velleius 164 165 166
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170
Heinrichs 2001; Becker 1992, 161–165; Johne 2006, 116. Johne 2006, 119. Diese zeitliche Abfolge der Lager lässt sich – wie oben bereits angemerkt – auch anhand der Münzen erkennen; vgl. Berger 1992, 119. Wierschowski 2005, 213; Wiegels 2007a, 62 f. mit weiteren Quellen. Wiegels 2008a, 59. Mit einiger Wahrscheinlichkeit bezieht sich auch der berühmte Becher von Boscoreale, dessen Relieffries Tiberius bei einem Triumphzug präsentiert, auf die Sieghaftigkeit des kaiserlichen Adoptivsohns, die dieser zwischen 15 und 7 v. Chr. in den Alpen und in Germanien bewiesen hatte; vgl. Wiegels 2008a, 55; Zanker 2003, 229–231. Die verfügbaren Quellen sind, wie dies Johne 2006, 118 betont hat, nicht eindeutig. Anders als Cassius Dio, der einen konkreten Bezug zu Tiberius im Jahr 8/7 v. Chr. herstellt, sagt Tacitus nur allgemein, unter Augustus sei das pomerium erweitert worden (ann. 12,23,2). Seneca überliefert hingegen, dass es zwischen Sulla und Claudius keine Veränderung der sakralen Stadtgrenze gegeben habe (Sen. brev. vit. 13,8).
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Rom und Germanien unter Caesar, Augustus und Tiberius
Paterculus, der unter dem kaiserlichen Stiefsohn diente und diesem sehr nahestand, sagt nur, Tiberius habe alle Gebiete Germaniens durchzogen, keine nennenswerten Truppenverluste eingebüßt und das Land so vollständig unterworfen, dass es fast eine tributpflichtige Provinz geworden sei (Vell. 2,97,4). Nach einer Angabe des Aufidius Bassus,171 die nur durch ein Fragment bei Cassiodor (chron. min. 2,135) überliefert ist, sollen sich alle Germanen zwischen Rhein und Elbe dem Tiberius unterworfen haben (vgl. auch Cass. Dio 55,6,1–3).172 Florus spricht von 50 errichteten Lagern, was übertrieben anmutet, aber – zählt man temporäre Stützpunkte und kleinere Wachposten mit – nicht unglaubwürdig sein muss. Weiter übertreibt Florus dann aber die römischen Erfolge, wenn er berichtet, Menschen und Land im rechtsrheinischen Raum hätten sich unter der römischen Herrschaft bereits verändert und selbst das Klima würde angenehmer werden (Flor. epit. 2,30,26 f.). Bewusste Übertreibungen mit dem Ziel, die römische Herrschaft zu glorifizieren, sind in dem Quellenmaterial, das Beispiel des Florus zeigt dies am deutlichsten, weithin fassbar. Auch die allgemeinen Aussagen des Velleius Paterculus und Aufidius Bassus sind wenig verlässlich, sie entsprechen einer bewussten Repräsentation der kaiserlichen Familie, mittels welcher die Germanienfeldzüge seit 12 v. Chr. als große Erfolge dargestellt werden sollten.173 Nach dem Tod des Agrippa 12 v. Chr. und des Drusus 9 v. Chr. war Tiberius damals kurzzeitig der wichtigste Nachfolgekandidat des Augustus. Sein zweites Konsulat und der gleichzeitige Triumph stellten den Stiefsohn des Augustus deutlich als wichtigsten Feldherrn und besten Helfer des Kaisers heraus. Dass sich ihm alle Germanen unterwarfen, er also ganz Germanien besiegt habe, passt dabei nur allzu gut ins Bild. Aber bereits Velleius Paterculus, der nur von der „fast“ erfolgten Einrichtung einer tributpflichtigen Provinz spricht, macht deutlich, dass es 8/7 v. Chr. kaum noch zu weiträumigen Eroberungen und erst recht nicht zu einer vollwertigen Provinzeinrichtung gekommen ist.174 Drusus’ Zug zur Elbe blieb bis hierhin eine Episode. Tiberius hat wohl 8/7 v. Chr. getreu dem Wunsch des Augustus keine weiteren Eroberungszüge angestrebt.175 Dennoch erscheint unter dem Eindruck der Quellennachrichten und der Erkenntnis, dass sich die kaiserliche Familie bewusst als Sieger und Eroberer präsentieren wollte, eine pomerium-Erweiterung 7 v. Chr. nachvollziehbar zu sein. Sie beweist aber nicht, dass es wirklich 171
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Aufidius Bassus verfasste in der ersten Hälfte des 1. Jh.s n. Chr. ein historiographisches Werk über die Germanenkriege, das von Qunitilian (10,1,103) erwähnt und von verschiedenen römischen Autoren, so auch von Cassiodor, verwendet wurde. Wiegels 2007a, 62. Kritiklos: Kienast 2014, 364. Johne 2006, 117 f.; Wiegels 2008a, 59. In der Forschung gibt es durchaus Stimmen, die beruhend auf den hier zusammengestellten Quellen von einer römischen Kontrolle bis zur Elbe ausgehen; vgl. z. B. Kienast 2014, 364 f. Dies bedeutet allerdings eine kritiklose Übernahme der behandelten Aussagen von Velleius Paterculus, Aufidius Bassus und Cassius Dio.
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geopolitische Gebietsgewinne gegeben hat, die direkt beherrscht wurden. Zudem beweisen die Quellen nicht, dass die Aktionen gänzlich einen offensiven Charakter hatten. Wie Rainer Wiegels176 etwa ausführt, könnten die Feldzüge ab 12 v. Chr. auch als defensive Strategie zu verstehen sein. Es ging darum bedrohliche Stämme zu schwächen und zu bestrafen. Eine Taktik die bereits seit den Tagen Caesars und Agrippas praktiziert wurde. Auch die Umsiedlung von Stämmen, die für die Zeit des Tiberius in den Quellen betont wird (siehe oben), ist vergleichbar mit der Politik des Agrippa und zeugt, so Wiegels weiter, eher von einer defensiven Orientierung. Dass man die Politik von 8/7 v. Chr. eher als defensiv zu betrachten hat, wird auch durch die damalige Aufgabe von Oberaden, Hedemünden und Rödgen ersichtlich. Das westlichere Haltern wurde an der Lippe der neue wichtigste Stützpunkt, was man auch durchaus als Rückzug verstehen kann. Die archäologische Überlieferung steht somit in einem gewissen Widerspruch zu der pomerium-Erweiterung in Rom. Es verwundert deshalb auch kaum, dass das wichtigste Münzzeugnis, das die Erfolge des Tiberius in Germanien feiert, kein militärisches Motiv präsentiert. Es zeigt auf dem Revers einen Germanen, der ein kleines Kind als Geisel an den auf einer sella curulis sitzenden Augustus übergibt (RIC I² 201a).177 Was kann man also abschließend als konkrete Erfolge der Statthalterschaften des Drusus und Tiberius zwischen 12 und 7 v. Chr. festhalten? Ganz eindeutig hatte Rom unter Drusus einen Strategiewechsel vollzogen, der nun zu einem offensiven Vorgehen führte. Die Truppen standen am Rhein und man verfügte über eine Flotte, mittels welcher man kombinierte Land- und Flottenaktionen durchführen konnte. Damit verfügte man über Versorgungs- und Nachschubmöglichkeiten, die längere Unternehmungen erlaubten und auch eine Stationierung entlang der Lippe ermöglichten. Das geographische Wissen über das rechtsrheinische Land wurde in dieser Zeit deutlich vermehrt. Als konkrete Gebietserweiterung ist aber letztlich nur die Etablierung der Lippelinie, die durch eine dichte Kette von Lagerbauten befestigt wurde, anzuführen. Einige Stützpunkte, wie zunächst Oberaden, dann aber ganz besonders Haltern wurden zu dauerhaften römischen Standorten. Dadurch wird am ehesten die Aussage des Cassius Dio verständlich, dass Rom damals lediglich einzelne lose Gebiete in Germanien kontrolliert hätte (Cass. Dio 56,18,1).178 Man hat diese Gebiete bis 7 v. Chr. entlang der Lippe, aber mit Sicherheit nicht bis zur Elbe zu suchen. Obwohl militärische Operationen im rechtsrheinischen Gebiet inzwischen üblich geworden waren und man auch im rechtsrheinischen Raum überwintern konnte, blieb der Rhein doch weiterhin die wesentliche Außengrenze Roms. In
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Wiegels 2008a, 57–59. Wolters 2004, 35 und 37. Kienast 2014, 365.
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Rom und Germanien unter Caesar, Augustus und Tiberius
der Forschung wurde deshalb zu Recht darauf hingewiesen, dass die erhöhte militärische Präsenz Roms an der Lippe nicht zwingend nur mit Eroberungs- und Expansionsplänen zu erklären sein muss. Vielmehr könnte die Ballung römischer Militärmacht durch feindlich gesinnte Stämme rechts des Mittelrheins sowie nördlich und südlich der Lippe motiviert sein.179 Ist die römische Präsenz als defensive Vorfeldsicherung zu erklären? Das Beispiel der Sugambrer, die wahrscheinlich kurz nach der dauerhaften Anlage von Oberaden in Teilen einer Ansiedlung durch Rom zustimmten, stützt diese These. Auch das Bestreben des Augustus. zum Ende des Jahres 11 v. Chr. weitere Kriegsführung zu unterbinden, könnte in diese Richtung weisen und spricht für eine defensive Strategie. Jedoch sind defensiver und offensiver Charakter der römischen Politik an diesem Punkt kaum zu unterscheiden. Auch eine Vorfeldsicherung an der Lippe führte dazu, dass Rom sich rechts des Rheins dauerhaft festsetzte und etablierte. Die Anlage von Haltern, aber ganz besonders auch der Befund von Waldgirmes (siehe unten), bestätigen dies und zeigen zugleich, dass eine zivile Provinzialisierung eingeleitet wurde, die man als weiteren Schritt hin zu einer sicheren Herrschaft verstehen muss.
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Das immensum bellum und die zweite Statthalterschaft des Tiberius (4–6 n. Chr.)
Für die Jahre ab 7 v. Chr. liegen nur wenige Quellen vor. Mit dem Abzug des Tiberius rückt auch die Germaniengrenze aus dem Fokus der antiken Autoren. Immerhin scheint Velleius Paterculus anzudeuten, dass ab ca. 6 v. Chr. neue Unruhen östlich des Rheins auftraten (Vell. 2,100,1).180 Allerdings ist die Intention des Autors, der Tiberius sehr positiv zeichnen möchte, zu bedenken. Denn Tiberius zog sich 6 v. Chr. aufgrund von Konflikten mit Augustus, der seine Enkel Gaius und Lucius Caesar damals dem Stiefsohn vorzog, in ein freigewähltes Exil nach Rhodos zurück.181 Nach Velleius Paterculus führt die Abwesenheit des besten Feldherrn zu unmittelbaren Erhebungen in Armenien und Germanien, was sicherlich eine bewusste Stilisierung des Autors ist. Ob es also ab 6 v. Chr. zu Feindseligkeiten gegen Rom im rechtsrheinischen Raum gekommen ist, bleibt fraglich.
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Mattern 2010, 72 f. Besonders die von Mattern geforderte regionale Differenzierung und die damit einhergehende Sensibilisierung für die Wahrnehmung der germanischen Stämme als Einzelakteure, die nicht vorschnell unter Sammelbezeichnungen subsumiert werden sollten, sind wichtig. Johne 2006, 120. Kienast 2004, 76; Bleicken 2010, 635 ff.
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Die literarischen Quellen schweigen für die nächsten Jahre, doch die Archäologie liefert wichtige Informationen. Der archäologische Befund aus Haltern vermag klar zu zeigen, dass es an der Lippe eine dauerhafte römische Präsenz gab. Auf die römischen Anlagen von dem Annaberg sowie „Auf der Hofestatt“, die man als drususzeitlich ansehen darf, wurde oben bereits hingewiesen. Das Hauptlager wurde vielleicht noch unter Tiberius errichtet (ca. 7 v. Chr.) und blieb dann bis mindestens 9 n. Chr. belegt;182 vielleicht wurde es auch noch unter Germancius genutzt.183 Die dauerhafte, mindestens 15 Jahre anhaltende Präsenz der Römer ist auch anhand einer nachgewiesenen und ausgesprochen bemerkenswerten Gräberstraße zwischen Hauptlager und Annaberg ersichtlich.184 Aus dieser stammt etwa der herausragende Fund einer Kline mit Beinverzierungen,185 welche mediterrane Lebensstandards in dem Lager andeutet. Hinzu kommt ein Töpfereibezirk, der südlich außerhalb des Hauptlagers entdeckt wurde.186 Bemerkenswert ist, dass sich manche Grabanlagen überschneiden.187 Nun wurden aber Grabanlagen eigentlich nicht zerstört, um Platz für neue Grabstätten zu schaffen. Der Befund ist wohl nur dadurch zu erklären, dass ältere Grabbauen überirdisch nicht mehr sichtbar waren als die neueren, sie überschneidenden Denkmäler errichtet wurden. Man könnte hier an Kampfhandlungen oder eine Belagerung des Hauptlagers denken, in deren Zuge Teile der Gräberstraße zerstört wurden. Die Anlage neuer Grabmonumente, die die alten nicht mehr berücksichtigten, würde dann deutlich zeigen, dass Rom den Stützpunkt Haltern dauerhaft nicht aufgegeben hat. Insgesamt zeigt der archäologische Befund aus Haltern, dass man das Hauptlager wohl nicht nur als reinen militärischen Stützpunkt deuten sollte, sondern hier eher ein zentraler Ort zu vermuten ist, der auch allgemein für administrative Aufgaben bedeutsam gewesen sein könnte. Viele römische Städte waren ursprünglich ein militärisches Lager, haben sich dann aber mit der Zeit zu einer „Stadt“ entwickelt (z. B. Mainz, Xanten od. Regensburg). Haltern hatte nach Aussage der Archäologie bis in die Zeit um 9 n. Chr. einen ganz ähnlichen Weg begonnen.188 Von größter Bedeutung ist auch der archäologische Befund aus Waldgirmes.189 Es handelt sich um eine ca. 7,7 ha große Anlage, die über eine 182 183 184
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Dies deutet der Münzbefund an; vgl. Berger 1992, 54. Aßkamp 2009, 177. Berke 2000; Aßkamp 2009, 176. Zur Nekropole von Haltern vgl. jetzt auch Berke 2018, 161187; außerdem sei auf den Beitrag von Stephan Berke in diesem Band verwiesen. Berke 2011. Aßkamp 2009, 176. Berke 2000, 33 ff. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass archäologisch auch die Anwesenheit von Frauen in Haltern nachweisbar ist; vgl. Mattern 2008, 143. Becker/Rasbach haben 2015 eine umfassende und grundlegende Studie vorgelegt. Von der zahlreichen früheren Literatur sei hier nur auf eine Auswahl wichtiger Beiträge
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Rom und Germanien unter Caesar, Augustus und Tiberius
Holz-Erde-Mauer und zwei vorgelagerte Spitzgräben verfügt.190 Sie liegt ca. 1 km nördlich der Lahn. Aufgrund der Befestigung sowie der nachweisbaren Straßenführung ging man in der Forschung zunächst davon aus, dass der Befund in Waldgirmes als Militärlager zu interpretieren sei.191 Die innere Bebauung zeigt jedoch einen ausgesprochen zivilen Charakter. Blockartige, an insulae erinnernde Bauten mit vorgeschobenen Portiken,192 Atriumshäuser,193 Tabernen, Wirtschaftsbauten194 und nicht zuletzt ein auf steinernen Fundamenten errichtetes zentrales, als Basilika anzusprechendes Bauwerk, das drei einen Innenhof umgebende Flügel samt eines, das Gebäude nördlich abschließenden Hallenbaus aufweist, sprechen eindeutig gegen eine militärische und für eine zivile Anlage.195 Zudem fehlen Militaria im Fundmaterial weitestgehend, was ebenfalls eindringlich für einen zivilen Charakter spricht.196 Besonders bemerkenswert ist der Fund von vergoldeten Bronzefragmenten, die ursprünglich zu Reiterstatuen gehörten.197 Insgesamt sind vor der Basilika fünf parallel ausgerichtete Fundamente nachgewiesen, die Reiterstandbilder getragen haben müssen. Die ganze Platzanlage darf als Forum angesprochen werden, welches Ähnlichkeiten mit sonstigen spätrepublikanischen und frühkaiserzeitlichen fora besitzt.198 Für die Datierung der Anlage von Waldgirmes war der Fund eines Brunnens199 wichtig, in welchem Hölzer der Bohlenanlage gesichert werden konnten. Eine dendrochronologische Untersuchung erbrachte ein Fälldatum im Herbst/ Winter 4/3 v. Chr.200 In dieser Zeit muss der Brunnen angelegt worden sein, die Hölzer stammen von vier Bohlen am Grund des Schachtes. Holzfunde aus einem zweiten Brunnen weisen ein Dendrodatum von Herbst/Winter 3/2 v. Chr. auf.201 Der numismatische Befund korrespondiert mit den Dendrodaten. Bronzemünzen aus der Zeit ca. 7 bis 3 v. Chr. (1. Altarserie aus Lugdunum) dominieren den Befund mit ca. 70 %; nur wenige Nemausus-Prägungen wurden gefunden.202 Unter Berücksichtigung aller archäologischen Erkenntnisse hat Armin Becker folgende Chronologie für Waldgirmes erarbeitet: eine Phase vor 4 v. Chr.,
190 191 192 193 194 195 196 197
198 199 200 201 202
verwiesen: Becker/Rasbach 1998; Becker 2003; von Schnurbein 2003; Christ 2004; Becker 2005; Becker 2006; Becker 2007; Becker 2008; Becker 2010. Becker/Rasbach 2015, 35–44. von Schnurbein et al. 1995. Becker/Rasbach 2015, 54 f. Becker/Rasbach 2015, 58 f. Becker/Rasbach 2015, 59–62; Becker/Rasbach 2007, 108. Becker 2010, 5; Becker 2008, 106–114. Becker 2010, 5; zu den Militaria vgl. Becker/Rasbach 2015, 145–150. Rasbach 2014; LWL-Römermuseum in Haltern am See 2009, 356, Nr. 7.8.1; ausführlich: Becker/Rasbach 2015, 320–337. Becker/Rasbach 2015, 55–58; 85–90; Becker 2008, 112; 114; Becker 2006, 97 f. Becker/Rasbach 2015, 49 f. Becker 2010, 6; Becker/Rasbach 2015, 351 f. Becker/Rasbach 2015, 70; 353 ff.; 50–53 zu dem zweiten Brunnen. Becker 2008, 100.
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dann die Hauptphase zwischen spätestens 4 v. Chr. und ca. 9 n. Chr. sowie eine dritte Phase, die Aktivitäten in der Zeit nach Varus aufweist;203 dendrochronologische Daten eines Leiterfragments verweisen in den Herbst/Winter 9 n. Chr. bzw. in das Frühjahr 10 n. Chr.204 Für Waldgirmes deutet sich an, dass „auf der Basis stratigraphischer Befunde und dendorchronologischer Daten eine Ausdehnung des sog. ‚Halternhorizontes‘ über 9 n. Chr. bis maximal 16 n. Chr.“ anzunehmen ist.205 Zwar wurden bisher keine Münzen in Waldgirmes entdeckt, die nach 9 n. Chr. entstanden sind, allerdings kann Gabriele Rasbach dies plausibel mit dem zivilen Charakter der Siedlung erklären. Die Abwesenheit von Soldaten, über die mittels Soldzahlungen neue Münzen im Umlauf gebracht wurden, könnte erklären, warum die spätesten Münzen solche mit dem Gegenstempel des Varus sind.206 Nordöstlich liegt neben der Zivilsiedlung ein temporäres Marschlager, das nicht sicher zu datieren ist. Es könnte vor der Hauptsiedlungsphase entstanden sein, oder aber in der Zeit nach 9 n. Chr. Eine Gleichzeitigkeit mit der zivilen Siedlung kann jedoch ausgeschlossen werden, da das temporäre Lager die östliche Ausfallstraße blockiert;207 auch die sehr nahe Positionierung des Lagers an dem Spitzgraben der Zivilsiedlung negiert eine Gleichzeitigkeit. Das temporäre Lager könnte somit in Verbindung mit den Feldzügen des Drusus 12–9 v. Chr., des Tiberius 8–7 v. Chr. oder aber mit den Unternehmungen des Germanicus 14– 16 n. Chr. stehen. Der archäologische Befund erinnert an eine Stelle bei Tacitus, der berichtet, dass Germanicus ein Lager über einem praesidium seines Vaters Drusus angelegt hätte (Tac. ann. 1,56,1).208 Eine Bezugnahme der Quellen-Stelle auf den Befund in Waldgirmes bleibt aber hypothetisch, da – wie Armin Becker ausgeführt hat – „die eigentliche Stadt bei Tacitus keine Erwähnung fand, […] während die Vorgängeranlage des Forums mit dem praesidium zu identifizieren wäre“.209 Theoretisch wäre auch eine Verbindung des temporären Lagers mit Cassius Dio, der für Drusus die Anlage eines Lagers im Gebiet der Chatten bezeugt (Cass. Dio 54,33,4), möglich; allerdings könnte man diese Textstelle auch mit dem Lager in Rödgen oder dem in Dorlar (siehe unten) verbinden. Sicher ist, dass der Befund von Waldgirmes Cassius Dios Ausführung bestätigt, in Germanien hätten die Römer πόλεις gegründet (Cass. Dio 56,18,2). Auch Claudios Ptolemaios kennt eine pólis namens Artaunon (2,11,14), die eventuell im Taunusgebiet zu suchen ist.
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Becker/Rasbach 2015, 68 ff.; Becker 2010, 8; Becker/Rasbach 2007, 110. Becker/Rasbach 2015, 70. Becker/Rasbach 2015, 71; vgl. auch Becker 2009. Becker/Rasbach 2015, 125–127; Becker/Rasbach 2007, 112 f. Becker/Rasbach 2015, 33; Becker 2010, 7; Becker 2007, 326–330. Becker/Rasbach 2015, 75; Becker 2010, 8. Becker 2010, 8.
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Das unweit der Zivilsiedlung gelegene Lager Dorlar210 ist aufgrund von wenig verfügbarem Fundmaterial nur schwer datierbar. Die bekannten Funde gehören dem Haltern-Horizont an, wodurch eine Zeitstellung des Lagers um die Zeitenwende anzunehmen ist.211 Dass es für eine kurze Phase zeitgleich mit der zivilen Siedlung belegt war, ist anzunehmen. Direkte Verbindungen zwischen den archäologischen und den literarischen Quellen sind schwierig zu belegen. Dennoch kann der Quellenwert der Befunde aus Waldgirmes kaum überschätzt werden! Denn die zivile Siedlung zeigt sehr eindringlich, dass Rom bestrebt war, Gebiete östlich des Rheins als Provinz einzurichten. Offensichtlich schätzte man um 4 v. Chr., oder etwas früher, die Situation im Lahntal als weitestgehend befriedet ein.212 Die Anlage einer zivilen Siedlung, in der die römische Herrschaft durch die fünf Reiterstandbilder sehr eindrücklich verkörpert wurde, muss wohl auf eine gewisse Akzeptanz der indigenen Bevölkerung getroffen sein. Bemerkenswert ist, dass das oppidum auf dem Dünsberg213 bei Gießen, das ca. 8 km von Waldgirmes entfernt liegt, nach Aussage der Archäologie im zweiten Jahrzehnt v. Chr. endete. Anhand von Fundmünzanalysen konnte gezeigt werden, dass Teile des auf dem Dünsberg ansässigen Stammes wohl ins Rheinland gewandert sind.214 Jens Schulze-Forster verglich den archäologischen und numismatischen Befund, der eine Völkerverschiebung vom Dünsberg in Richtung Rheinland aufzeigt, mit der Umsiedlung der Ubier.215 Cassius Dio teilt mit, dass Teile der Chatten, wohl die Ubier, die ursprünglich im hessischen Raum gesiedelt haben sollen, nicht zur Gänze in das linksrheinische Gebiet umgezogen sind (Cass. Dio 54,36,3).216 Teile des Stamms verblieben wohl in ihrem einstigen Siedlungsland. Die von Agrippa durchgeführte Umsiedlung der Ubier (siehe oben) und der archäologisch-numismatische Befund vom Dünsberg sowie die Beobachtungen zu den Fundmünzen sind – auch chronologisch – sehr gut vergleichbar. Bemerkenswert ist, dass einige vormalige Dünsberg-Bewohner sehr wahrscheinlich in Waldgirmes lebten. Dies wird insbesondere durch die markanten Quinare vom Typ „Tanzendes Männlein“ angedeutet, die typisch für die Prägungen vom Dünsberg sind, von denen aber auch sechs Exemplare der jüngsten bzw. letzten Serie in Waldgirmes gefunden wurden.217 Anhand von Fibeln und Keramik lassen sich weitere mögliche Beziehungen zwischen dem Dünsberger oppidum und der zivilen Siedlung 210 211 212
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Köhler/ von Schnurbein 1994; von Schnurbein 1993. Becker 2008, 97; Becker/Rasbach 2007, 102. Becker 2010, 11. Das in Dorlar nachgewiesene Lager ist wahrscheinlich nicht als dauerhafter Stützpunkt anzusehen. Baatz/Herrmann 1982, 259–261. Becker 2010, 11; Becker/Rasbach 2015, 73 f. Grundlegend ist der Aufsatz von SchulzeForster 2005; vgl. auch Eck 2004, 50 f.; Abb. 18 f. Schulze-Forster 2005; vgl. auch Schulze-Forster 2002. Rasbach 2010, 100. Schulze-Forster 2005; Rasbach 2010, 99.
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von Waldgirmes fassen.218 Ersichtlich wird somit, dass die römische Politik, sei es nun durch Umsiedlungsmaßnahmen oder durch die Anlage von „Städten“, Einfluss auf die vorrömischen Siedlungsstrukturen und natürlich auch auf die politischen Verhältnisse genommen hat. Eine gewisse Akzeptanz der regionalen Bevölkerung, die sich auf die römischen Angebote einließ, muss – zumindest bis in die Zeit des Varus – vorhanden gewesen sein. Im Gegensatz zum Lippe-Gebiet war eine dauerhafte Präsenz von römischem Militär im Lahntal offensichtlich nicht notwendig. Damit wird hier ansatzweise eine Entwicklung deutlich, wie sie im ostgallischen Bereich bei den Treverern im Umfeld von Augusta Treverorum auch sichtbar wird (siehe oben). Außerdem wird durch den Befund von Waldgirmes ganz eindeutig aufgezeigt, dass durch den Tod des Drusus und die weniger offensive Ausrichtung des Tiberius 8/7 v. Chr. keinerlei Zäsur entstanden ist. Eine zivile Stadt, die als ein Schritt in Richtung Provinzialisierung219 zu bewerten ist, wurde trotz defensiver Orientierung ab spätestens 4 v. Chr. errichtet. Man darf deshalb bei aller Vorsicht vermuten, dass Augustus durch das Schließen des Ianus-Tempels für 10 v. Chr. Drusus’ Offensivbestrebungen gen Osten, nicht aber die Provinzwerdung in verhältnismäßig nahen Gebieten an den Flusswegen rechts des Rheins, stoppen wollte.220 Betrachtet man die Befundlage von Waldgirmes sowie die bereits behandelte Situation an der Lippe, wird deutlich, was Cassius Dio meint, wenn er von einzelnen losen Gebieten spricht, die Rom dauerhaft jenseits des Rheins kontrolliert hat (Cass. Dio 56,18,1). Neben den Standorten an der Lippe, die man mit der pomerium-Erweiterung 7 v. Chr. in Verbindung setzen kann, darf man ab ca. 4 v. Chr. auch Gebiete an der Lahn zu den von Cassius Dio genannten Herrschaftsräumen rechnen. Auch wenn die militärischen Aktionen als defensiv und auf Sicherung bedacht zu charakterisieren sind, wird doch ersichtlich, dass man entlang der Flusswege an Lippe und Lahn begann, eine zivile Provinzherrschaft umzusetzen. Für die Zeit von ca. 1 v. Chr. bis 4 n. Chr. berichten die Schriftquellen dann von großen Aufstandsbewegungen im nordwest-deutschen Raum. Die Rede ist von einem immensum bellum (Vell. 2,104,2), wobei die Informationen in der literarischen Überlieferung wenig detailliert sind. Zunächst werden wir darüber informiert, dass L. Domitius Ahenobarbus, der Großvater des späteren Kaisers Nero, aus dem illyrischen Raum nordwestlich nach Germanien vordrang, was
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Rasbach 2010, 99. Man kann Becker/Rasbach 2015, 75 zustimmen: „Das römische Ziel einer Provinzialisierung Germaniens östlich des Rheins ist mit dem Befund von Waldgirmes kaum mehr zu bestreiten“. Allerdings ist der geographische Umfang einer Provinzialisierung östlich des Rheins zu diskutieren und man wird diesen mit den Bereichen an Lippe und Lahn zu identifizieren haben. Becker 2008, 115.
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wahrscheinlich noch vor der Zeitwende gewesen sein dürfte.221 Nachdem die Markomannen unter ihrem König Maroboduus aus dem Mainfrankenraum nach Böhmen gewandert waren, siedelte Ahenobarbus die Hermunduren in dem ehemaligen Gebiet der Marcomanni an (Cass. Dio 55,10a,2).222 Ahenobarbus zog – als zweiter römischer Feldherr nach Drusus – damals bis zur Elbe, die er sogar überschreiten konnte (Cass. Dio 55,10a,2). Dort schloss er angeblich mit Stämmen jenseits des Stromes Freundschaftsverträge und errichtete einen Altar für Augustus. Ahenobarbus soll der Feldherr gewesen sein, der am weitesten nach Germanien eingedrungen ist (Tac. ann. 4,44,2). Er erhielt für diese Leistung von Augustus die ornamenta triumphalia (Suet. Nero 4). Anschließend marschierte Ahenobarbus zum Rhein, um dort die Statthalterschaft anzutreten (Cass. Dio 55,10a,3).223 Ferner versuchte er erfolglos, Teile der Cherusker, die von ihrem Stamm vertrieben worden waren, in ihr ursprüngliches Gebiet zurückzuführen, was den Konflikt wohl nur weiter eskalieren ließ (Cass. Dio 55,10a,3).224 Die Cherusker siedelten zwischen Ems und Weser. Es wird deutlich, dass die römischen Statthalter ganz selbstverständlich in die Angelegenheiten der germanischen Stämme im rechtsrheinischen Gebiet eingriffen. Allerdings scheint dies in diesem konkreten Fall für Rom eher nachteilig gewesen zu sein. Ahenobarbus leistete nachweislich auch infrastrukturelle Arbeit in Germanien. Er soll die sog. pontes longi errichtet haben, die durch Sumpfgebiete führten (Tac. ann. 1,63,3 f.);225 später ließ Germanicus die Anlage restaurieren, aber auch neue Bohlenwege anlegen (Tac. ann. 1,63,4). Die infrastrukturelle Durchdringung der Sumpflandschaften war allerdings keine römische Innovationsleistung, sondern man knüpfte an lokale Traditionen an. Hölzerne Brückenwege durch Sumpfgebiete sind archäologisch bereits im rechtsrheinischen Raum für die Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. nachgewiesen.226 Der nächste Statthalter war M. Vinicius, der bereits 25 v. Chr. einen Feldzug über den Rhein durchgeführt hatte.227 In seiner Zeit brach dann das immensum 221
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Die Feldzüge des L. Domitius Ahenobarbus sind in ihrer Abfolge nur mit Vorsicht zu rekonstruieren. Johne 2006, 121 ff. hat die wichtigsten Forschungsmeinungen be- und anhand der verfügbaren Schriftquellen die wesentlichen Informationen erarbeitet; vgl. auch Christ 1982a, 215 f. Wolters 2004, 38. Diese Maßnahme war nachhaltig erfolgreich, die Hermunduren wurden ein enger Partner Roms (Tac. Germ. 41). In der Forschung wurde – wie bereits angemerkt – vielfach diskutiert, ob der chronologische Ablauf im Bericht des Cassius Dio (55,10a,2 ff.) vielleicht teilweise verdreht sein könnte. Mit Kienast 2014, 368 f. wird die hier angenommen Abfolge favorisiert. Wiegels 2007b, 117; Wolters 2008a, 94. Johne 2006, 126. Die vermeintliche Lage der pontes longi wurde oft thematisiert; vgl. Schetter/Uslar 1971. Z. B. wurde in Niedersachen eine solche Anlage entdeckt, die mehrere Kilometer lang war; Metzler/Bauerochse 2002; Johne 2006, 126 f. Zu M. Vinicius: Johne 2006, 127 f.
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bellum (Vell. 2,104,2) aus, das zahlreiche Stämme im Norden in Aufruhr versetzte; u. a. werden die Attuarier, Brukterer, Cherusker, Cananefaten, Chauken und Langobarden genannt (Vell. 2,105,1 und 106,1).228 Die Streitigkeiten innerhalb des Stammes der Cherusker und Roms erfolgloses Eingreifen in dieser Angelegenheit durch Ahenobarbus wurden in der Forschung als mögliche Ursache für den großen Aufstand diskutiert.229 Sehr deutlich wird, dass Roms direkte und indirekte Kontrolle östlich des Rheins sehr fragil war. Über den genauen Verlauf der Kämpfe ist wenig bekannt, jedoch muss M. Vinicius seine Aufgabe recht gut gemeistert haben, da er mit den ornamenta triumphalia geehrt wurde (Vell. 2,104,2).230 Ein neu entdecktes Militärlager in Wilkenburg231 bei Hannover nahe der Leine, das aufgrund der Münzfunde in die Zeit vor Varus zu gehören scheint, könnte mit der Niederwerfung des „immensen“ Aufstands zu verbinden sein.232 Das Lager ist der nordöstlichste römische Lagerplatz. Zum Jahr 4 n. Chr. kehrte der inzwischen zum Adoptivsohn und damit zum designierten Nachfolger des Augustus aufgestiegene Tiberius an den Rhein zurück (Vell. 1,104,1).233 Er zog gegen Brukterer und Cherusker, gelangte bis zur Weser und überwinterte schließlich in Germanien (Vell. 2,105,1–3). Die Cherusker musste er, wie es bei Velleius Paterculus heißt, zurückgewinnen (Vell. 2,105,1). Offensichtlich war der Stamm vormals mit Rom verbunden, dann im
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Wolters 2004, 38. Timpe 1967, 282–284; Wolters 1990a, 183–186; Johne 2006, 127; Wolters 2008a, 94. Die lobende Darstellung des M. Vinicius im Werk des Velleius Paterculus hängt auch damit zusammen, dass das Geschichtswerk dem gleichnamigen Enkel des Feldherrn gewidmet ist (1,13,5; 2,101,3; 2,103,1; 2,113,1; 2,130,4). War der Krieg, der in weiten Teilen von M. Vinicius niedergeschlagen wurde, vielleicht nur aus diesem Grund „immens“? Haßmann/Wulf 2015; Haßmann et al. 2016. Bisher wurden lediglich kurze Vorberichte publiziert. Haßmann et al. 2016, 23. Gaius und Lucius Caesar waren 2 und 4 n. Chr. verstorben, wodurch Tiberius der einzige noch verfügbare Nachfolgekandidat des Augustus war; vgl. Kienast 2004, 73–75; zum innenpolitischen Kontext: Kienast 2014, 128 ff. Für Gaius und Lucius Caesar, die Adoptivsöhne des Augustus und leiblichen Söhne des Agrippa, wurden in mehreren gallischen Städten beachtliche Ehreninschriften gesetzt: Trier (CIL XIII,2 3671; Schwinden 2004); Reims (CIL XIII 3254; AE 1979, 411; AE 1982, 715; Neiss 1982); Sens (CIL XIII 2942); in Lyon war ihnen die Maison Carrée samt Inschrift gewidmet (Amy/Gros 1979, 177 ff.). Weitere Ehrungen für die beiden früh verstorbenen „Prinzen“ sind etwa in Chur, Kempten oder St. Maurice (Dietz 1995, 60; Walser 1994, 88–90), aber auch im italischen Pavia bezeugt (CIL XI 1420f.). Die Ehrungen in den Provinzen, die in Reims, Sens und Trier von der civitas ausgingen, zeigen an, dass hier bereits wenige Jahrzehnte nach der Provinzialisierung eine enge Bindung an Rom, oder zumindest das Bestreben, eine enge Bindung in öffentlichen Denkmälern auszudrücken, vorherrschte; vgl. auch MorscheiserNiebergall 2009, 88 ff.; zu den Inschriften auch Witschel 2008, 53; 66; 71; 74–76; 79; 96–99.
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Zuge des Eingreifens des Ahenobarbus und durch das immensum bellum aber abgefallen.234 Die Cherusker waren anscheinend durch innere Streitigkeiten in Aufruhr. Vermutlich gab es eine pro- und eine anti-römische Partei. Im Folgejahr zog Tiberius bis zur Elbe. Dort traf er auf die römische Flotte (Cass. Dio 55,28,5; Vell. 2,106,2 f.). Allerdings überschritt er den Strom, den wenige Jahre zuvor Ahenobarbus als erster Römer überquert hatte, nicht. Nach Strabon hat Augustus verboten, jenseits der Elbe aktiv zu werden (Strab. 7,1,4). Diese kaiserliche Anweisung gehört am ehesten in die Zeit nach der Statthalterschaft des Ahenobarbus. Da Velleius Paterculus von einem Winterlager (4/5 n. Chr.) in der Nähe der Quellen der Lippe spricht (Vell. 2,105,3), kann man dieses mit guten Gründen in Anreppen vermuten. In diesem Lager, das von einer Holz-Erde-Mauer sowie teilweise von Spitzgräben umgeben war, befand sich – ähnlich wie in Oberaden – ein bemerkenswert großes praetorium-Gebäude.235 Anhand dendrochronologischer Befunde ist ein Datum von 5 n. Chr. ermittelt worden.236 Numismatische Hinweise deuten an, dass Anreppen vor dem Standort Haltern aufgegeben worden sein dürfte.237 Vielleicht war das Lager also nur während der zweiten Statthalterschaft des Tiberius belegt. Bedeutsam ist, dass Anreppen, das quasi den Endpunkt der Lippelinie markierte, über mindestens sechs Speicherbauten verfügte.238 Für eine Überwinterung, vielleicht aber auch für die Versorgung von Truppen, die von hier ausgehend Richtung Weser oder Elbe aufbrachen, waren die horrea-Bauten wichtig. Aus dem Text des Velleius Paterculus geht für das Ende der Feldzugssaison 5 n. Chr. nicht sicher hervor, ob das Heer erneut im rechtsrheinischen Gebiet überwintert hat (Vell. 2,107,3). Dennoch besteht kein Zweifel, dass Anreppen ein Ausgangspunkt für den Zug bis zur Elbe gewesen ist. In der Forschung wurde beruhend auf einer verderbten Stelle im VelleiusText – die Überlieferung caput Lupiae (Vell. 2,105,3) ist unsicher – in Erwägung gezogen, ob das Winterlager des Tiberius 4/5 n. Chr. nicht viel eher an der Quelle oder Mündung, was caput auch bedeuten kann, eines anderen Fluss zu suchen sei.239 Vorgeschlagen wurde deshalb die Siedlungsstelle Bentumersiel am Unterlauf der Ems. In der Tat wurden in Bentumersiel römische Militaria gefunden, die aus augusteischer Zeit stammen.240 Eine römische Präsenz ist somit wahrscheinlich, sie muss aber nicht mit einem Winterlager in Verbindung stehen. Die zahlreichen Flottenunternehmungen, die zwecks Erkundung und Versorgung
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Wiegels 2008a, 61. Aßkamp 2009, 178. Kühlborn 2009, 32. Aßkamp 2009, 178; Glüsing 2000. Kühlborn 2009, 27–30; Mattern 2008, 140. Vgl. Hartke 1984 und Johne 2006, 145 f. Erdrich 2002, 44–46.
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der Truppen unternommen wurden, können die Funde in Bentumersiel ebenfalls erklären.241 Zudem hätte gerade Velleius Paterculus, der stets panegyrisch über Tiberius berichtet (z. B. Vell. 2,104,3f.) und die Feldzüge ab 4 n. Chr. selbst erlebt hat (Vell. 2,104,3), eine Überwinterung unweit der Nordseeküste im entlegenen Norden als herausragende Leistung präsentiert. In der Zeit der zweiten Statthalterschaft des Tiberius erfolgte auch eine Fahrt der Flotte bis nach Jütland (R. Gest. div. Aug. 26; Plin. nat. 2,167). Trotz des immensum bellum ging die Erkundung des Nordens offensichtlich weiter. Häufig wird die Jütland-Fahrt in das Jahr 5 n. Chr. datiert, sie kann aber wohl nicht gemeinsam mit der Fahrt in die Elbe absolviert worden sein.242 Tiberius konnte schließlich den „immensen“ Aufstand der Germanen zur Gänze niederschlagen. Velleius Paterculus hielt fest, der Feldherr hätte alle Völker und Gegenden befriedet und dabei keinerlei Verluste hinnehmen müssen (Vell. 2,107,3). In Germanien, so Velleius Paterculus weiter, gäbe es nun nichts mehr zu besiegen bis auf die Markomannen (Vell. 2,108,1). Gegen eben diesen Stamm wollte Tiberius im Jahr 6 n. Chr. ziehen. Dabei sollte eine Zangenaktion mit insgesamt zwölf Legionen erfolgen: Ein Heer unter dem Legaten Sentius Saturninus zog wahrscheinlich von Mainz aus nach Südosten,243 während Tiberius aus Carnuntum gen Norden nach Böhmen vorrückte (Vell. 2,109,5). Maroboduus, der König der Markomannen, war anfangs ein Freund Roms gewesen. Er wurde sogar in Rom erzogen und war persönlich mit Augustus verbunden (Strab. 7,1,3). Allerdings hatte sich Maroboduus im Laufe der Jahre zunehmend von Rom gelöst und eine starke Machtbasis etabliert. Vielleicht war Rom auch mit der Umsiedlung der Markomannen aus dem Mainfrankenraum in das böhmische Gebiet nicht einverstanden? Oder hatte die durch Ahenobarbus betriebene Ansiedlung der Hermunduren im vormaligen markomannischen Gebiet für Konflikte gesorgt? Wie dem auch gewesen sein mag, Maroboduus geriet im Jahr 6 n. Chr. unter gehörigen Druck, hatte aber Glück. Denn südlich der Donau im pannonischen und illyrischen Raum war nach dem Aufstand des Jahres 10 v. Chr. erneut eine Erhebung losgetreten worden, die nun die Anwesenheit des Tiberius und seiner Truppen erforderlich machte (Vell. 2,110). Der Zangen-
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Becker 1998, 49 sieht in Bentumersiel eine logistische Basisanlage. Man wird vermutlich am ehesten an einen kleinen Stützpunkt oder Wachposten denken dürfen. Johne 2006, 141 ff. Es wäre denkbar, dass das Römerlager von Geinsheim mit den Aktionen im Jahr 6 n. Chr. zusammenhängt. Eine vor-varuszeitliche Belegung des Lagers hat Hanel 2000, 173 als möglich angesehen. Er betont zudem, dass Geinsheim strategisch mit dem Lager von Marktbreit in Franken, das zum Haltern-Horizont gehört, verbunden sein könnte (175). Beide Lager könnten Resultate der infrastrukturellen Maßnahmen gewesen sein, die den Angriff auf die Markomannen vom Rhein aus vorbereiten sollten; vgl. zu Marktbreit: Pietsch 2003; Czysz 1995, 475–479; Dietz 1995, 63.
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angriff auf die Markomannen von 6 n. Chr. wurde abgebrochen. Das Bedrohungsszenario war aber so drückend gewesen, dass Maroboduus von sich aus einen Friedensvertrag mit Rom suchte. Die Niederschlagung des pannonisch-illyrischen Aufstands dauerte bis 9 n. Chr. Germanien blieb sowohl im Norden, im Bereich von Weser, Ems und Lippe, als auch im Süden, im Raum der Markomannen, ruhig. Vielleicht hatten das römische Vorgehen im immensum bellum sowie die Androhung einer massiven Zangenoperation gegen die Markomannen den Widerstand der rechtsrheinischen Stämme für einige Jahre gebrochen. Wenn man die Züge des Ahenobarbus und des Tiberius betrachtet, die nach Drusus erneut bis zur Elbe vorgestoßen sind, könnte man den Eindruck erhalten, dass Rom in der Tat versucht hat, das germanische Gebiet bis zu dem besagten Strom zu kontrollieren. Allerdings kann keineswegs von einer direkten politischen Herrschaft oder gar von einer Provinzeinrichtung gesprochen werden. Wie das immensum bellum sowie die Machtbildung des Maroboduus zeigen, war Rom weit von einer umfassenden direkten Herrschaft an Ems, Weser und Elbe entfernt. Wichtig ist aber, dass das immensum bellum im linksrheinischen Bereich zu keinerlei Aufständen oder Erhebungen und auch an Lippe und Lahn zu keinen sichtbaren Zäsuren geführt hat. Bemerkenswert ist noch, dass in Gallien das Bild des unterworfenen Germanen in der römischen Bildsprache der Provinz in der Zeit, in der das immensum bellum ausbrach, bereits gängig war. Ein Bogenmonument im südgallischen Carpentras, das im ersten Jahrzehnt n. Chr. entstanden ist, zeigt auf den Nebenseiten Tropaia mit zwei Gefangenen.244 Es handelt sich jeweils um einen bartlosen Orientalen und einen bärtigen Germanen mit Haarknoten, der in einem Fellmantel dargestellt wird; zu seinen Füßen liegt ein Krummdolch (falcata). Anette Küpper-Böhm führt aus: „Die betonte Gegensätzlichkeit der beiden Gefangenen, die sich in den Antithesen bärtig-unbärtig und östlich-westlich […] äußert, zeigt, daß hier ganz allgemein Repräsentanten der unterschiedlichsten, von Rom unterworfenen Provinzen gemeint sind.“245 Auch wenn es sich bei den Gefangenendarstellungen um allgemeine Personifikationen und symbolisch-allegorische Aussagen handeln sollte, so wird doch ersichtlich, dass aus römischer und römisch-gallischer Perspektive, die Germanen ein von Rom beherrschter Gegner gewesen sind. Einen ganz ähnlichen Eindruck vermittelt das Stadttor von Saepinum, das gemeinsam mit den Stadtmauern von Tiberius und Drusus gestiftet wurde (CIL IX 2443a–c = ILS 147) und auf 2/1 v. Chr. datiert. Das Tor zieren 244 245
Küpper-Böhme 1996, 28–41. Küpper-Böhme 1996, 39. Eine konkrete Verbindung der Darstellung von Orientalen und Germanen auf dem Bogen von Carpentras mit historischen Ereignissen sah Ch. Picard 1959, 258 und 1960, 335. Er dachte an einen Bezug auf die Orient-Reise des C. Caesar (3 n. Chr.) und die Feldzüge des Ahenobarbus; vgl. auch Schoppa 1957, 48. Mit KüpperBöhme 1996, 38 f. mit Anm. 256 ist diese Bezugnahme aber zurückzuweisen. Eine allgemeine symbolische Aussage ist anzunehmen.
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Statuen gefangener Barbaren, die auf die Germanenkriege bezogen werden. Die Sieghaftigkeit der kaiserlichen Stifter wird verdeutlicht und der universelle Herrschaftsauftrag Roms zum Ausdruck gebracht.246 Fasst man in Saepinum die intentionelle kaiserliche Selbstdarstellung, so wird durch den Bogen von Carpentras deutlich, dass entsprechende Bilder auch in Gallien frühzeitig rezipiert wurden.
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Varus und die „Varuskatastrophe“
Publius Quinctilius Varus stammte aus einer alten Patrizierfamilie, deren Mitglieder zuletzt allerdings nicht mehr bis zum höchsten Staatsamt, dem Konsulat, aufgestiegen waren. Sextus Quinctilius Varus, wahrscheinlich der Großvater des berühmten Staathalters, erreichte die Prätur, der gleichnamige Vater lediglich die Quästur.247 Der Vater kämpfte in den Bürgerkriegen auf Seiten der republikanischen Partei: 49 v. Chr. wurde er nach der Eroberung von Corfinium von Caesar begnadigt (Caes. civ. 1,23,1–3), schloss sich dann später den Caesarmördern an und gehörte bei der Schlacht von Philippi 42 v. Chr. erneut zu den Verlierern. Octavian und M. Antonius wollte sich Sextus Quinctilius Varus pater nicht unterwerfen und wählte mit Beihilfe eines Freigelassenen den Freitod (Vell. 2,71,3). Sein Sohn, der 47/46 v. Chr. geboren wurde, teilte offensichtlich nicht die republikanische Gesinnung des Vaters. Die freie res publica hatte Varus auch nicht kennen gelernt. Er gehört der ersten Generation an, die lediglich die Herrschaft des zweiten Triumvirats, den damit verbundenen Bürgerkrieg und dann die Alleinherrschaft des Augustus erlebt hatten. In der Forschung wurde spekuliert, dass der junge Varus nach dem Tod des Vaters in der Quintiliolum genannten Villa in Tivoli und bei einem Verwandten aus Cremona,248 der ein Freund des Hofdichters Horaz gewesen ist, aufgewachsen sein könnte (Hor. carm. 1,18,24; Hor. ars 438 ff.).249 Die Verbindung zu der Villa in Tivoli soll durch den Namen, der auf das antike fundus Quintiliolus zurückgeht, sowie durch Horaz (carm. 1,18,1 f.), der seinem Dichterkollegen Varus die Kultivierung von Reben in Tibur empfiehlt, hergestellt werden.250 Später soll die Villa dann in den Besitz des Publius Quinctilius Varus gekommen sein.251 Ob man in dieser Form einen frühen 246 247 248
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Zanker 2003, 324 f. Wolters 2008a, 75. Es handelt sich um einen Ritter namens Quinctilius Varus (PIR² Q 28), der als Dichter und Literat bekannt war. Er ist um 24/23 v. Chr. verstorben; vgl. Mari 2009, 52. Wie Wolters 2008a, 76 betont, kann diese These nicht sicher belegt werden; zur Villa: Mari 2009, 46–51. Zurecht kritisch: Mari 2009, 52 f. Diese These geht auf Hofmann 1935 zurück.
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Rom und Germanien unter Caesar, Augustus und Tiberius
Kontakt des Varus über seinen Verwandten mit dem Dichterkreis um Maecenas herstellen darf, und ob Varus in Tivoli gelebt haben könnte, sind jeweils nicht verifizierbare Überlegungen. Sicher ist hingegen, dass die Schwestern des Varus in frühaugusteischer Zeit Ehen mit angesehenen Mitgliedern der stadtrömischen Elite eingehen konnten;252 u. a. war nun Sextus Appuleius, der Konsul von 29 v. Chr., der Schwager des Varus. Im Laufe der 20er Jahre v. Chr. kam Varus nicht nur in ein Nahverhältnis zu den Eliten, was die Eheschließungen bezeugen, sondern auch zu Augustus. Diesen begleitete er als quaestor Augusti zwischen 22 und 19 v. Chr. auf einer Orientreise.253 Er war also Teil der römischen Delegation, die u. a. über die Rückgabe der römischen Feldzeichen von den Parthern verhandelte.254 Spätestens damals lernte er auch Tiberius kennen, der ebenfalls als Quästor mit in den Osten reiste. Inschriften bezeugen Varus als Quästor in Tenos, Pergamon und Athen255 (OGIS II 463f.; CIA III 584; ILS 8812; IGR IV 419; IG III,1 584a; IG XII,5 940).256 Ebenfalls durch einen epigraphischen Hinweis, dessen Auswertung besonders durch Studien von Hans Ulrich Nuber257 stark gemacht wurde, ist Varus dann ab 15 v. Chr. als legatus legionis der 19. Legion in den Alpenfeldzügen greifbar. Hier diente er unter Tiberius, mit dem er 13 v. Chr. gemeinsam das Konsulat antrat (R. Gest. div. Aug. 12). Eventuell übernahm er im Anschluss an die Feldzüge auch eine Statthalterschaft im Alpenraum, was bisher jedoch lediglich erschlossen und nicht durch positive Quellenzeugnisse bestätigt wird (siehe oben). Noch vor dem Konsulat wurde Varus Mitglied in der Priestergemeinschaft der pontifices (CIL VI 386 = ILS 88). Die hohe Wertschätzung des Augustus wird dadurch ersichtlich, dass Varus als consul ordinarius amtierte und nicht als Suffektkonsul. Zudem kann das gemeinsame Konsulat mit dem Stiefsohn des Kaisers kaum überschätzt werden. Im Laufe des Konsulats kehrte Augustus aus Gallien zurück nach Rom (CIL VI 386 = ILS 88). Aus diesem Anlass wurde die Errichtung der berühmten ara Pacis auf dem Marsfeld beschlossen. In seinem Tatenbericht hebt Augustus die beiden Konsuln namentlich hervor, die amtierten, als man den Bau des Friedensaltars beschlossen hat (R. Gest. div. Aug. 12). Die 9 v. Chr. eingeweihte ara Pacis zeigt in ihrem berühmten Prozessionsfries sehr wahrscheinlich auch Varus, auch wenn eine zweifelsfreie Identifikation nicht erfolgen kann.258
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Wolters 2008a, 76. Esch 2009, 99. Wolters 2008a, 76. Esch 2009, 100 f., Abb. 2 und 4. Vgl. auch LWL-Römermuseum in Haltern am See 2009, 276 f., Nr. 3,9 f. Nuber 2008; Nuber 2009. Pollini 1986, 459 f.; Wolters 2008a, 77. Auch der Schwager des Varus, Sextus Appuleius, ist im dem Prozessionsfries verewigt, was die enorme Bedeutung der Familie verdeutlicht; vgl. Rossini 2007, 79.
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Auch familiär war Varus mit der Kaiserfamilie verbunden. Aus der papyrologisch überlieferten Leichenrede des Augustus, die er auf M. Vipsanius Agrippa hielt, wird dies ersichtlich (P.Köln 6/249):259 Varus war mit einer Tochter des Agrippa und der Iulia, der Tochter des Augustus, verheiratet; er ehelichte also eine Enkelin des Kaisers.260 Dadurch wurde er auch der Schwager des Tiberius, der mit Agrippina, einer Tochter des Agrippa mit Caecilia Attica, verheiratet war. Nachdem seine erste Ehefrau verstorben war, heiratete Varus 7 v. Chr. erneut eine Frau aus der kaiserlichen Familie: Claudia Pulchra war die Enkelin der Octavia, der Schwester des Kaisers.261 Gegen 7 v. Chr. übernahm Varus die Statthalterschaft in der Africa proconsularis. Aus dieser Zeit sind Münzen mit seinem Abbild, die in den Städten Hadrumentum und Achulla geprägt wurden, erhalten.262 In der erstgenannten Stadt wurde eine Münze ausgegeben, die auf dem Avers den Kopf des Gottes Sol samt dem Stadtnamen zeigt. Auf dem Revers ist der Kopf des Varus nach rechts gerichtet zu sehen, der durch eine Legende benannt wird (RPC 776). In Achulla wurde eine Münze geprägt, die auf dem Avers den Kopf des Augustus umgeben von seinen Enkeln Gaius und Lucius Caesar zeigt. Der Revers präsentiert ebenfalls das nach rechts orientierte Porträt des Varus.263 Die Legende nennt seinen sowie den Namen der Stadt (RPC 798).264 Bemerkenswert ist, dass Varus bereits im Jahr 7 v. Chr. die beiden Kaiserenkel Gaius und Lucius Caesar in den Münzen besonders prominent präsentiert; neben dem Avers der Prägung RPC 798 kann auch auf andere Münzen aus Hadrumentum verwiesen werden, die Gaius und Lucius Caesar als Motiv besitzen (RPC 775). Eigentlich wurden die beiden Enkel erst ab 5 bzw. 2 v. Chr. als principes iuventutis einer breiten Öffentlichkeit präsentiert. Wie Reinhard Wolters zu Recht betont hat, sind die Münzehrungen in Nordafrika bemerkenswert früh. Sie erfolgen in einer Phase, als die Bekanntmachung der Kaiserenkel im Reich erst allmählich begann;265 zweifelsfrei hängt der zeitgleiche Rückzug des Tiberius nach Rhodos innenpolitisch mit der Zunahme der Ehrungen zusammen. Deutlich wird, dass Varus ganz offensichtlich die innenpolitischen Entwicklungen sehr gut kannte und dem engsten Kreis um Augustus angehört haben muss.266
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263 264 265
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Zu dem Papyrus: Koenen 1970; Ameling 1994; LWL-Römermuseum in Haltern am See 2009, 308f., Nr. 5.2; Bringmann/Wiegandt 2008, 177–179, Nr. 177F mit weiterer Literatur. Wolters 2008a, 76 f. Wolters 2008a, 78. Zu den Münzen aus Hadrumentum und Achulla: Hassel 1973; Zedelius 1983: Salzmann 2009; vgl. LWL-Römermuseum in Haltern am See 2009, 331 f., Nr. 6.9 ff. Salzmann 2009, 168. Wolters 2008a, 79. Wolters 2008a, 79; Wolters 2002; vgl. auch Mlasowsky 1996, 290 ff. sowie die bereits erfolgten Ausführungen zu den epigraphischen Ehrungen in Gallien (siehe oben). Wolters 2009, 79 f.
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Von ca. 7/6 bis 4 v. Chr. war Varus dann Statthalter der Provinz Syria. In Antiochia und Berytos wurden Münzen, die seinen Namen tragen, geprägt (RPC 4242, 5245 und 4252; RPC 4535).267 Als Statthalter war Varus auch in den Gerichtsprozess zwischen Herodes und seinem Sohn Antipatros involviert.268 Dieser soll versucht haben, seinen Vater mit Gift zu ermorden, woraufhin es zu einer Anklage kam. Varus wurde von Herodes eingeladen, über den schwierigen Fall zu urteilen (Ios. ant. Iud. 17,89ff.; Ios. bell. Iud. 1,617ff.).269 Dabei verhielt sich der Statthalter Syriens umsichtig. Schließlich wurde Antipatros für schuldig befunden. Kurz darauf (Frühjahr 4 v. Chr.) starb Herodes, was in Iudäa zu Erhebungen und Aufständen führte.270 Varus schlug diese mit Hilfe seiner in Syrien vorhandenen Truppen nieder. Dabei trat er energisch auf und zeigte militärisches Geschick (Ios. ant. Iud. 17,206 ff.; Ios. bell. Iud. 2,1 ff.): In Jerusalem wurde der ritterliche Finanzprokurator Sabinus belagert. Varus konnte die Belagerung brechen und Sabinus befreien. Die Einwohnerschaft von Emmaus ließ Varus in die Sklaverei verkaufen, nachdem in der Stadt eine römische Kohorte von den Revoltierenden vernichtet worden war. Die Stadt Sepphoris ließ er niederbrennen, da sie als ein Zentrum der Aufstandsbewegung galt.271 2.000 Aufständische ließ Varus kreuzigen. Das militärische Eingreifen Roms wurde auch in den rabbinischen Quellen verzeichnet.272 In Syrien hatte Varus aus römischer Perspektive eindrucksvoll gezeigt, dass er sowohl militärische als auch politische Probleme lösen konnte. Es ist auch zu bedenken, dass Syrien aufgrund der direkten Nachbarschaft zum Partherreich eine der militärisch und außenpolitisch wichtigsten Provinzen war. Augustus muss großes Vertrauen in Varus’ Fähigkeiten gehabt haben, was dieser offensichtlich durch seine Amtsführung bestätigt hat. Beachtenswert ist noch, dass Varus auch weitreichende geldpolitische Maßnahmen in Syrien umgesetzt hat. Ein Reformwerk wird anhand der numismatischen Zeugnisse erkennbar.273 Velleius Paterculus unterstellt Varus, er hätte das reiche Syrien als armer Mann betreten und später dann als reicher Mann das arme Syrien verlassen (Vell. 2,117,2). Diese Beurteilung wird in anderen Quellen nicht ersichtlich und ist mit der Intention des Velleius Paterculus zu erklären. Nach der Katastrophe von 9 n. Chr. wird Varus zu einem unfähigen Feldherrn und schlechten Statthalter stilisiert. Dies entspricht aber keineswegs der historisch sicher fassbaren politischen Karriere. Varus gehörte zum engsten Kreis des Augustus, war Teil der kaiserlichen Familie und hatte als Statthalter in Afrika und Syrien sehr wichtige
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Wolters 2009, 81; Lichtenberger 2009, 162, Abb. 2 f. Zum weiteren Kontext des Prozesses: Günther 2012, 166 ff.; Baltrusch 2012, 318 f. Lichtenberger 2009, 165. Zur innenpolitischen Krise: Baltrusch 2012, 215 ff. Wolters 2008a, 81 f. Lichtenberger 2009, 166. Vgl. Wolters 2008a, 83 mit der weiteren Literatur und den RPC-Belegen.
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Provinzen verwaltet. Die sehr sensible Krise in Iudäa hat er politisch umsichtig und militärisch energisch gelöst. Ab 4 v. Chr. bis ca. 7 n. Chr. liegen über Varus keine Quellennachrichten vor. Es ist aber sicher ein Zeichen von großem Vertrauen, dass Varus nach dem immensum bellum und während des pannonischen Krieges (6–9 n. Chr.) in die stets unruhige nördliche Grenzprovinz geschickt wurde. Augustus schickte, wie der hier erfolgte biographische Exkurs gezeigt hat, einen seiner Besten! Zudem kannte Varus Teile der Rheintruppen bereits, da er als Legat die 19. Legion während des Alpenfeldzugs im Heer des Tiberius geführt hatte. Diese Legion, die später mit Varus unterging, ist epigraphisch auch für Haltern bezeugt.274 Es wird auch ersichtlich, dass Varus’ Familie beim Kaiser weiterhin hoch angesehen war. L. Nonius Asprenas, Varus’ Neffe, war 6 n. Chr. Suffektkonsul. Im Folgejahr begleitete er seinen Onkel als Legionslegat nach Germanien. Ein zweiter Legionslegat war C. Numonius Vala (Vell. 1,119,4). In der Forschung wurde erwogen, dass sich Varus und C. Numonius Vala vielleicht bereits seit Kindheitstagen gekannt haben könnten. Denn Vala entstammte einer Familie, die wie Varus’ Onkel eng mit Horaz und dem bekannten Dichterkreis um Maecenas verbunden gewesen ist (Hor. epist. 1,15,1; 21; 45).275 Für die Jahre 7 und 8 n. Chr. liegen keine Nachrichten über Ereignisse in Germanien vor. Dies spricht entschieden dafür, dass Varus seine Aufgabe sehr gut erfüllt haben dürfte. Sowohl die Markomannen im Süden, die man zuletzt mit einem nicht erfolgten Zangenangriff unter römische Herrschaft zwingen wollte, als auch die nördlichen Stämme, die den „immensen Krieg“ verursacht hatten, blieben ruhig und ließen sich nicht von dem Aufstand im illyrischpannonischen Raum, den Rom nur mühsam niederdrücken konnte, anstecken. Varus gelang die ruhige Amtsführung vermutlich sogar mit reduzierten Truppenverbänden, da einige Einheiten wahrscheinlich auf den Balkan abkommandiert waren (Vell. 2,113,1).276 Die Ereignisse des Jahres 9 n. Chr., die als Varusschlacht, Varuskatastrophe oder beruhend auf Tacitus als Schlacht im Teutoburgerwald (Tac. ann. 1,60) sowie später als Hermannsschlacht Berühmtheit erlangt haben, wurde und werden in der Forschung vielfach diskutiert. Arminius vom Stamm der Cherusker war es gelungen, verschiedene rechtsrheinische Stämme in einer Koalition gegen Rom zu verschwören. Die römische Armee, ihre Schwächen und Stärken sowie ihr logistisches Funktionieren kannte Arminius aus eigener Anschauung
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LWL-Römermuseum in Haltern am See 2009, 364 f., Nr. 7.21. Zudem hielten sich Teile der 19. Legion auch phasenweise in der Region des späteren Kölns bei den Ubiern auf, wie Graffiti auf TS-Fragmenten bezeugen: LWL-Römermuseum in Haltern am See, 362 f., Nr. 7.17. Wolters 2008a, 85. Wolters 2008a, 84.
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sehr gut (Vell. 2,118,2).277 Er diente vor 9 n. Chr. in einer germanischen Hilfskohorte und war wahrscheinlich auch in Pannonien im Einsatz, wo Tiberius seit 6 n. Chr. den dortigen Aufstand niederschlug.278 Arminius erhielt sogar das römische Bürgerrecht und wurde Mitglied des Ritterstandes (Vell. 2,118,2). Seine Familie, die innerhalb des cheruskischen Stammes führend war (Tac. ann. 2,10,3), war mit den Römern eng verbunden.279 Flavus, der Bruder des Arminius, sowie Segestes, dessen Tochter Thusnelda Arminius geheiratet hatte, besaßen ebenfalls das römische Bürgerrecht (Tac. ann. 1,58,1).280 Inguimer, der Onkel des Arminius, soll hohes Ansehen in Rom genossen haben (Tac. ann. 1,60,1), vermutlich besaß auch er das Bürgerrecht. Arminius’ Schwager Segimundus diente als Priester an der ara Ubiorum (Tac. ann. 1,57,1).281 Der Ubieraltar282 sollte die gleiche Funktion erfüllen wie die ara Lugdunensis in Gallien.283 Durch jährliche Feste und Zusammenkünfte im Rahmen eines Provinziallandtages sollten die Germanen an die römische Herrschaft gebunden werden. Die enge Bindung von Stammeseliten an die römische Herrschaft ist eine Taktik, die Rom bereits in Gallien erfolgreich eingesetzt hatte.284 Sie ist die Grundlage für eine erfolgreiche Provinzialisierung. Ganz offensichtlich gab es aber innerhalb der Cherusker auch Konflikte, was bereits durch den erfolglosen Rückführungsversuch von Teilen der Cherusker durch Ahenobarbus (Cass. Dio 55,10a,3) sowie die geglückte „Wiedergewinnung“ des Stammes durch Tiberius (siehe oben; Vell. 2,105,1) ersichtlich wurde; in diesem Kontext ist auch die von Tiberius betriebene Aufnahme des Stamms in ein amicitia-Verhältnis sowie der Dienst von Cheruskern in der römischen Armee zu sehen. Dennoch waren die Konflikte auch nach der neuerlichen Bindung an Rom innerhalb des Stammes akut. So können im Jahr 9 n. Chr. unterschiedliche Parteien beobachtet werden: Segestes warnte Varus vor Arminius und einer geplanten Erhebung gegen Rom (Vell. 2,118,4; Tac. ann. 1,55,3; Flor. epit. 2,30; Cass. Dio 56,19,3). Nicht jeder Cherusker war folglich mit der Verschwörung gegen Rom einverstanden. Aber zugleich gab es auch Cherusker, die eine Bindung an Rom nach wie vor strikt ablehnten. Die Spaltung des Stammes wird in der Familie des Arminius sehr gut deutlich. 277 278 279 280 281 282
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Zur Biographie des Arminius mit weiterer Literatur: Wolters 2008a, 89 ff. Wolters 2004, 50. Wolters 2008a, 89. Wolters 2008a, 95 f. Wolters 2004, 51. Die Bezeichnung ara Ubiorum geht auf Tacitus zurück und ist erst für die Zeit des Tiberius belegt (ann. 1,39,1); vgl. Eck 2004, 88. Der Altar war ursprünglich für alle germanischen Stämme, die mit Rom verbunden waren, gedacht. Erst nach Tiberius’ Kurswechsel in der Germanienpolitik (siehe unten) scheint der Altar und die Institution des Provinziallandtages nur noch auf ein regionales Umfeld bezogen worden zu sein, wodurch sich dann der Name „Altar der Ubier“ erklärt. Burmeister 2015a, 14. Wolters 2008a, 96.
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Varus ging auf die Warnung nicht ein.285 Was dann folgte, wurde am detailliertesten von Cassius Dio beschrieben (Cass. Dio 56,18,4–22):286 Varus hielt sich im Bereich der Weser auf, als Germanen bei ihm einen lokalen Aufstand in einem bestimmten Gebiet, das geographisch nicht lokalisiert werden kann, anzeigten. Der Statthalter schickte einzelne kleinere Abteilungen in unterschiedliche Gebiete aus – vermutlich in Wachstationen wie der auf der Sparrenberger Egge, dem Stützpunkt Kring bei Oberode (siehe oben) sowie in Militärlager – und zog selbst mit drei Legionen, der 17., 18. und 19., sowie Reitereinheiten, sechs Kohorten (Vell. 2,117,1) und dem Tross in die ihm angezeigte Region. Dabei musste er den Römern bisher unbekanntes und nur schwierig zugängliches Gelände durchqueren, was eine sehr lange und ungeordnete Marschlinie erzeugte. Die Römer waren auf einen Angriff nicht vorbereitet und die Germanen um Arminius schürten einen Hinterhalt. Sie griffen wiederholt die ungeordneten römischen Truppen an. Germanische Begleiter der Römer verließen das Heer mit der Begründung, Hilfe gegen den Angriff zu holen. Schließlich gelang es den Römern, auf einem Hügel ein Lager zu errichten, dort verbrannten sie Wagen und andere Utensilien, um sich in dem unzugänglichen Gelände fortan schneller bewegen zu können. Am Folgetag erreichten die Legionen zunächst nichtbewaldetes Terrain, was ihnen gegen die germanischen Überfallangriffe sehr zugute kam. Der weitere Weg, der wohl nach Westen oder Südwesten orientiert gewesen sein dürfte, zwang Varus und seine Truppen jedoch wieder durch bewaldetes Land zu ziehen. Hier erfolgten erneut verlustreiche Angriffe der Germanen. In der folgenden Nacht lagerten die Römer nicht, sondern versuchten in der Dunkelheit weiter voran zu kommen. Am nächsten Tag, die plötzlichen Angriffe der Arminius-Koalition hielten durchgehend an, erschwerten neben der topographischen Situation auch Regen und Wind den römischen Zug. Schließlich gelang den Germanen eine Umzingelung der Römer. In dieser Situation wählten Varus und andere Römer den Freitod (Vell. 2,119,3f.), die drei Legionen wurden vernichtet und ihre Feldzeichen von den Angreifern erobert. Arminius und die Germanen hatten gesiegt. Ob die Informationen über die Opferung überlebender Römer durch die Männer des Arminius oder die Bemerkung, Sesithacus, der Neffe des Segestes, hätte sich an dem Leichnam des Varus vergangen (Tac. ann. 1,71,1), glaubhaft sind, kann aufgrund der rom-zentrischen Perspektive der Quellen nicht entschieden werden (Tac. ann. 1,61,3; Ov. trist. 4,2,34 f.; Flor. epit. 2,30; Vell. 2,119,5);287 die Opferung von Römern begegnet (als literarisches Motiv?) auch schon in den Berichten über die Lollius-Niederlage (Flor. epit. 2,30,24 f.; Cass. Dio 54,20,4). Bekannt ist, dass mehr als 40 Jahre später, während des Chattenfeldzugs des P. Pomponius Secundus, Römer, die seit 9 n. Chr. in
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Wolters 2004, 51. Wolters 2008a, 102 ff.; Sommer 2009, 63–67. Wolters 2008a, 123.
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germanischer Gefangenschaft lebten, befreit werden konnten (Tac. ann. 12,27,3).288 Nicht alle Kriegsgefangenen wurden also ermordet. Die Suche nach dem Schlachtfeld der Varusniederlage wurde vielfach betrieben.289 Die Faszination der Ereignisse von 9 n. Chr. hat viele Menschen in ihren Bann gezogen und der Abgleich von archäologischen und literarischen Quellen erregt noch heute die Gemüter. Von besonderem Interesse und nicht zu überschätzender Bedeutung ist der Fundort von Kalkriese.290 Hier wurden bemerkenswert viele römische Militaria gefunden;291 am berühmtesten ist sicherlich die Gesichtsmaske eines Reiterhelmes.292 Ferner wurden acht Knochengruben mit Tier- und Menschenknochen entdeckt, die nach osteologischen Untersuchungen ca. zwei bis zehn Jahre nicht bestatten worden sind.293 Der Fundkomplex von Kalkriese zeigt allgemein die Charakteristik eines Schlachtfeldes. Intensiv wurden die Münzfunde aus Kalkriese diskutiert,294 unter denen keine eindeutigen Belege für Prägungen nach 9 n. Chr. zu finden sind.295 Allerdings sind die Laufzeiten der Münzen zu bedenken. Eine zweifelsfreie Datierung des KalkrieseEreignisses auf 9 n. Chr. ist durch die numismatischen Quellen nicht zu eruieren.296 Bezüge zu den späteren Germanicus-Feldzügen sind durchaus denkbar. So könnte der Fundort Kalkriese auch mit einem Vorfall im Jahre 15 n. Chr. verbunden sein: Der Legat A. Caecina Severus geriet zwischen Ems und Weser mit mehreren Legionen in einen germanischen Hinterhalt (siehe unten). Die kurze Beschreibung in den literarischen Quellen könnte gut zu den Gegebenheiten in Kalkriese passen.297 Insgesamt muss angemerkt werden, dass eine zu engstirnige Festlegung auf Kalkriese als definitive Örtlichkeit der Varusschlacht nicht ratsam ist. Vielmehr sollten die Befunde hinsichtlich verschiedener Interpretations- und Datierungsmöglichkeiten betrachtet und diskutiert werden.298 Dass Kalkriese wohl nicht der Ort gewesen sein kann, an dem Varus starb und der Untergang der Legionen schließlich besiegelt wurde, wird durch neue archäologische Untersuchungen zu der im Areal des vermeintlichen Schlachtfelds nachgewiesenen Wallanlage angedeutet. Dieser Wall wurde bis vor kurzem
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Wolters 2009b, 80. Vgl. Burmeister 2015b; Berke 2009; Kehne 2009; Wiegels 2008b; Gruber 2008; Callies 2003; Clunn 2003; Wolters 2003; Mommsen 1885. Moosbauer/Wilbers-Rost 2007; Wilbers-Rost 2009; Wilbers-Rost 2008. Moosbauer/Wilbers-Rost 2007, 28ff. Hanel/Willer 2009. Zudem wurden z. B. Zierscheiben, Beschläge von Gladiusscheiden, Pilumspitzen, Schildbuckel, Brustplatten von Schienenpanzern, Haken von Kettenpanzerschließen etc. gefunden; vgl. Wamser 2004, 323, Nr. 27. Moosbauer/Wilbers-Rost 2007, 35; Großkopf 2009; Wilbers-Rost 2009, 81 f. Berger 1996; Berger 2000; Kehne 2000; Werz/Berger 2000; Wolters 2000. Schlüter 2003, 453 f. Wolters 2004, 54. Wolters 2004, 53. Kehne 2009.
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als germanische Anlage interpretiert, die teilweise sehr stark an römische Befestigungstechniken erinnert. Dies wurde damit erklärt, dass sich germanische Stämme, wie die Cherusker unter Arminius, längere Zeit in römischem Dienst befunden haben und entsprechende Techniken erlernt hätten.299 Untersuchungen in der jüngeren Vergangenheit haben nun aber die Frage aufgeworfen, ob der „germanische Wall“ nicht viel eher Teil eines römischen Lagers gewesen sein könnte.300 War Kalkriese vielleicht der Ort, an dem sich die Römer am Ende des ersten Tages verschanzen konnten? Aber auch für diese Überlegung gilt natürlich, dass eine Datierung in das Jahr 9 n. Chr. nicht sicher ist. Was genau der Grund für die Erhebung gegen die römische Herrschaft war, die man – mit Strabon (7,1,4) – zum Teil durchaus als vertragsbrecherische Abfallbewegung von Hilfstruppen des römischen Heeres bezeichnen könnte, ist der schriftlichen Überlieferung, die ohnehin nur die römische Perspektive bietet, nicht sicher zu entnehmen. In den Quellen werden teilweise nur allgemein der Hochmut, die Grausamkeit, die Ausschweifungen (Flor. epit. 2,30; Oros. 6,21,26) oder die Naivität des Varus angeklagt (Vell. 2,117,2; 118,1 und 4). Ausführlicher ist Cassius Dio. Er bemerkt, dass sich in der Zeit des Varus die rechtsrheinischen Stämme an die römische Herrschaft gewöhnten, sie begannen die Märkte zu besuchen (Cass. Dio 56,18,2). Ferner hätte Rom in dieser Zeit Städte errichtet, in denen man die angeführten Marktplätze vermuten darf – man fühlt sich an das Forum von Waldgirmes, dessen Existenz die Dio-Stelle bestätigt, und die Siedlungsveränderung am Dünsberg unmittelbar erinnert. Die Germanen hätten diesen Wandelungsprozess kaum bemerkt, dabei aber auch ihre eigenen Sitten nicht vergessen, führt Cassius Dio weiter aus. Eine Zäsur sieht er dann mit Varus gekommen. Dieser habe den zuvor behutsam entwickelten Provinzialisierungsprozess weniger sensibel und langsam umgesetzt, sondern wählte einen gröberen Ton, forderte Tribute, erteilte Befehle und wollte eine Beschleunigung der Provinzetablierung durchsetzen (Cass. Dio 56,18,3). Außerdem soll er nach Florus auch Recht gesprochen haben (Flor. epit. 2,30). Die Folge war die von Arminius ausgeheckte Verschwörung. Ob man Cassius Dios Darstellung vertrauen darf, ist zweifelhaft. Einerseits ist er beeinflusst durch das sehr negative Varus-Bild, dass nach der Katastrophe von 9 n. Chr. in den literarischen Quellen entwickelt wurde. Das negativ verzerrte Bild ist besonders bei Velleius Paterculus (2,117,2) oder Florus (2,30) greifbar. Andererseits gibt es auch nach 9 n. Chr. durchaus positive (Manil. 1,896–900) oder neutrale Varus-Bilder (Sen. contr. 1,3,10) in den literarischen Quellen. Es
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Moosbauer/Wilbers-Rost 2007, 27. Bisher sind, soweit mir bekannt, lediglich Presseartikel zu den neuen archäologischen Erkenntnissen zu dem „germanischen Wall“ in Kalkriese erschienen: z. B. in den Westfälischen Nachrichten (http://www.wn.de/Welt/Kultur/2016/08/2490269-Germanenwall-oder-Roemerlager-Neue-Funde-in-Kalkriese-stuetzen-Zweifel-an-der-Varusschlacht-Theorie) [Letzter Zugriff: 25.07.2017].
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ist also nicht gesagt, dass der in severischer Zeit lebende Cassius Dio ausschließlich Vorlagen mit negativen Varus-Bildern kannte. Bemerkenswert ist, dass Cassius Dios Ausführung über Varus wie das Gegenteil von Velleius Paterculus’ lobenden Kommentar über Tiberius klingt, der „fast“ eine tributpflichtige Provinz errichtet hätte (Vell. 2,97,4). Eventuell war Varus wirklich der erste Statthalter (seit M. Lollius?), der Tribute von rechtsrheinischen Stämmen forderte. Tiberius hat dies ganz sicher nicht getan. Außerdem steht das vermeintliche Verhalten des Varus, der nach Cassius Dio die Provinzialisierung beschleunigen wollte, in einem gewissen Gegensatz zu Augustus’ Ansicht, dass ein Kommandeur auf Sicherheit bedacht sein muss und nicht tollkühn handeln darf (Suet. Aug. 25,4).301 Die Sueton-Stelle steht in einem Kontext mit dem berühmten Augustus-Ausspruch: festina lente – „Eile mit Weile“. Die unmittelbaren Folgen der Varusniederlage lassen sich ebenfalls nur schwer einschätzen. Der Verlust der drei Feldzeichen war sicher eine Schmach. Die angebliche Befürchtung, die Germanen könnten nun die Rheinlager angreifen, dürfte aus römischer Perspektive zunächst eine logische Schlussfolgerung gewesen sein, dass aber sogar der Abfall Galliens oder ein Angriff auf Italien drohen würde, war zweifellos übertrieben (Cass. Dio 26,23,1; Suet. Aug. 23); diese Übertreibung erinnert an Caesar, der – bedingt durch die Intention seines Berichtes – durch germanische Einfälle auch stets ganz Gallien bedroht sah. Beides, ein Angriff auf die Rheinlager wie auch Abfallbewegungen in Gallien, blieben allerdings aus. Dass alle römischen Stützpunkte rechts des Rheins bis auf Aliso nach der Varuskatastrophe verloren gingen, ist sehr zweifelhaft (Cass. Dio 56,22,2; Vell. 2,120,4; Tac. ann. 2,7) und lässt sich anhand der archäologischen Forschung nicht wirklich belegen. Nach Cassius Dio wurden die Germanen durch die Belagerung von Aliso von einem Übertritt nach Gallien abgehalten (Cass. Dio 56,22; Zon. 10,37; vgl. auch Cass. Dio 56,24,1). Leicht zu widerlegen ist hingegen die Angabe des Florus, das römische Reich sei zwar am Ozean nicht stehen geblieben, habe aber durch die Varusniederlage nun am Rhein haltgemacht (Flor. epit. 2,30). Die späteren Feldzüge des Asprenas, des Tiberius und des Germanicus operierten wieder im rechtsrheinischen Gebiet (siehe unten). Vermutlich spiegelt Florus hier die Situation am Niederrhein aus der späteren Kaiserzeit wieder, nicht aber die unmittelbar folgenden Ereignisse in spätaugusteischer Zeit. Dass der Untergang der drei Legionen und der Tod des Varus dennoch ein Schock für Rom gewesen sind, steht natürlich außer Frage.302 Insbesondere in Anbetracht der gerade erst beendeten langwierigen Kämpfe in Pannonien dürfte der Verlust von drei Legionen sowie die neuerliche Hiobsbotschaft auf die Römer bedrohlich und schockierend gewirkt haben. In Rom ließ Augustus Wa-
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chen aufstellen (Suet. Aug. 23,2), da er nach Bekanntwerden der Nachricht Unruhen befürchtete, und verlängerte sämtliche Statthalterschaften, damit überall Personen amtieren würden, die mit Sitten, Menschen und politischen Gegebenheiten in ihren jeweiligen Provinzen vertraut waren (Suet. Aug. 23,2). Zudem entließ er seine Gruppe germanischer und gallischer Leibwächter als Reaktion auf die Varusniederlage (Suet. Aug. 49,1).303 Dass der Kaiser sich von diesen Männern nun bedroht fühlte, ist unwahrscheinlich. Anscheinend befürchtete Augustus aber, dass die Germanen und Gallier in Rom für Tumulte sorgen könnten. Die germanischen Leibwächter wurden deshalb auf Inseln stationiert, die gallischen hingegen gänzlich entlassen (Cass. Dio 56,23,4). Eventuell ist davon auszugehen, dass zwar keine Gewalt von den gallisch-germanischen Leibwächtern ausging, diese aber von Stadtrömern, die durch die Nachricht von der Niederlage erzürnt waren, angefeindet wurden. Augustus’ Maßnahme verfolgt somit den Zweck, die öffentliche Ordnung zu wahren.304 Dazu passt die bereits angeführte Nachricht, Augustus habe nach Bekanntwerden der verheerenden Niederlage in der Tiberstadt Wachposten aufstellen lassen. Die Erinnerung an die clades Variana wurde fest im kulturellen Gedächtnis Roms verankert. Die Legionsnummern 17., 18. und 19. wurden nicht mehr vergeben. Augustus soll monatelang aus Trauergründen Bart- und Haupthaar wachsen gelassen und jährlich einen Trauer- und Klagetag begangen haben (Suet. Aug. 23,2).305 Eine öffentliche Inszenierung von Trauer und Anteilnahme an dem Verlust ist für den Kaiser sicher anzunehmen. Denn dadurch stellte er sich als Betroffenen und Opfer, nicht als Mitverantwortlichen dar.306 Ob allerdings authentisch ist, dass – wie Sueton überliefert – Augustus seinen Kopf gegen die Türpfosten stieß und dabei klagte, „Qunitilius Varus, gib mir die Legionen zurück!“ (Suet. Aug. 23,2), bleibt offen.307 Eine unmittelbare Reaktion war die Entsendung des Tiberius, der nach 8/7 v. Chr. und 4–6 n. Chr. erneut das Kommando am Rhein übernahm (Cass. Dio 56,22 und 23,3; Vell. 2,120,1). Es gelang ihm, die Truppenstärke von ehemals sechs auf nun acht Legionen zu erhöhen (Vell. 2,120,1), was u. a. durch Zwangsrekrutierungen erreicht wurde (Cass. Dio 56,23,3); auch in der Stadt Rom wurden damals Rekruten ausgehoben (Cass. Dio 57,5,4) und man nahm Freigelassene ausnahmsweise in die Armee auf (Suet. Aug. 24,2; vgl. auch Plin. nat. 7,149). Die schnelle Reaktion zeigt, dass Rom in der Lage war, binnen kurzer Zeit den Verlust von 9 n. Chr. auszugleichen. Tiberius ging außenpolitisch, was auch seine früheren Statthalterschaften bereits kennzeichnete, sehr bedacht vor (Suet. Tib. 303 304
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Bellen 1981, 40. Diese Entscheidung änderte aber nichts daran, dass eine Gruppe von Germanen bis in die Zeit Neros als persönliche Leibwächter der Kaiser fungierte; vgl. Bellen 1981. Vgl. zum Schock, der durch die Nachricht von der Niederlage entstanden ist: Stoll 2016, 97. Wolters 2008b, 79. Bringmann/Wiegandt 2008, 300, Nr. 267F.
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18 f.; Cass. Dio 56,25,2 f.; Zon. 10,37). Überhastete Vergeltungszüge blieben aus. Wahrscheinlich musste Tiberius zunächst innerhalb der militärischen Einheiten die Ordnung wiederherstellen, worauf eine Notiz des Cassius Dio verweisen könnte (Cass. Dio 56,24,4). Wohl spätestens in dieser Zeit erfolgte die systematische Aufteilung zwischen obergermanischem und niedergermanischem Heer mit den Hauptpunkten Xanten und Mainz. Erst im Jahr 11 n. Chr. scheint Tiberius wieder rechts des Rheins, aber in einem begrenzten Umfang, operiert zu haben (Cass. Dio 56,25,2 f.), was in Rom angeblich die Erwartung baldiger Siegesnachrichten schürte (Ov. trist. 3,12,45 ff.; 4,2,1 f.; 4,2,37 ff.).308 Solche blieben aber wohl auch im Jahr 12 n. Chr. aus. Die Quellen berichten für diese Zeit nur sehr allgemein über die römische Germanienpolitik. Immerhin deutet die Annahme einer imperatorischen Akklamation309 durch Augustus und Tiberius 11 n. Chr. auf militärische Erfolge hin, die aber auch durch die bewusste kaiserliche Repräsentation und den Zwang, die Varusniederlage durch Siege auszumerzen, erklärbar sein könnte. Der Erfolg reichte zumindest nicht für einen Triumphzug, was Velleius Paterculus beklagt (Vell. 2,122,2). Aber auch er, der ansonsten die Erfolge seines „Helden“ Tiberius ausführlich betont, teilt nur sehr allgemein und detaillos mit, die Kräfte Germaniens seien damals gebrochen worden. Von keinerlei Erfolgen und nur sehr eingeschränkten Feldzügen berichtet Cassius Dio für die Jahre 10–12 n. Chr. (Cass. Dio 56,25,2 f.).310 Die Quellenlage deutet somit an, dass Tiberius eine sehr defensive Politik verfolgte. Bemerkenswert ist, dass nicht nur Varus im Jahr 9 n. Chr. im rechtsrheinischen Gebiet aktiv war. Sein Legat L. Asprenas muss unabhängig von ihm jenseits des Rheins präsent gewesen sein. Die Schriftquellen teilen mit, dass er mit zwei Legionen an den Niederrhein marschierte. Vermutlich sollte dies eine Absicherungsmaßnahme nach dem Untergang des Varus sein.311 Ferner wird berichtet, dass in dem Lager Aliso die Römer unter L. Caedicius von den Germanen belagert worden seien (Vell. 2,120,4; Frontin. strat. 4,7,8 und 3,15,4). Aliso könnte vielleicht mit Haltern zu identifizieren sein. Die bereits angeführten Zerstörungen von Grabdenkmälern (siehe oben), aber auch Skelettfunde von mindestens 24 toten Germanen in einem Töpferofen,312 wohl eine improvisierte Massenbestattung, könnten die Folgen einer Belagerung sein. Erst im Jahr 10 n. Chr. gelang ein erfolgreicher Schlag gegen die Belagerer mit Hilfe der Truppen des L. Asprenas.313 Der Rhein und Gallien waren also sicher nicht durch die Koalition des Arminius bedroht, andernfalls hätte Asprenas in dieser Zeit kaum im rechtsrheinischen Raum aktiv sein können.
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Wiegels 2007b, 120. Keinast 2004, 66; 78. Wolters 2008a, 127. Wiegels 2007b, 120. Aßkamp 2009, 176. Wolters 2004, 54 f.
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Von den drei augusteischen Legionen, der 17., 18. und 19., die mit Varus untergingen, sind anhand von Inschriften314 sowie durch Erwähnungen in den literarischen Quellen (Vell. 2,119,4; 2,120,4; Frontin. strat. 4,7,8) immerhin 17 Soldaten namentlich bekannt.315 Nicht jeder dieser Soldaten starb 9 n. Chr. in den germanischen Wäldern. Sicher ist dies jedoch für den centurio Marcus Caelius, der aufgrund seines herausragenden Grabsteins nach Varus zweifellos der berühmteste Gefallene der Varusschlacht sein dürfte.316 Sein Grabdenkmal wurde in der Nähe von Xanten gefunden.317 Es zeigt Marcus Caelius in seiner militärischen Tracht,318 flankiert von zwei Büsten seiner Freigelassenen Privatus und Thiaminus, die vermutlich auch 9 n. Chr. ums Leben kamen. Die Inschrift (CIL XIII 8648 = ILS 2244 = AE 1952, 181 = AE 1955, 34) des Denkmals informiert, dass Caelius der 18. Legion angehörte, ursprünglich aus Bologna (Bononia) stammte, 53½ Jahre alt wurde und im Krieg gegen Varus319 gefallen ist. Das Denkmal hat sein Bruder, Publius Caelius, gestiftet. Es ist wohl als Kenotaph, als leeres Grab, anzusprechen, denn die Zeile 3 f. der Inschrift (ossa / [i]nferre licebit) könnte andeuten, dass die sterblichen Überreste des Marcus Caelius nicht bestattet wurden. Sollten sie noch gefunden werden, soll es erlaubt sein, sie nachträglich an dem Grabdenkmal zu begraben. Vielleicht meint die Formulierung aber auch, dass es erlaubt ist, die beiden liberti, die vielleicht noch am Leben sein könnten, künftig in dem Grab zu bestatten?320 Die erste Möglichkeit scheint plausibler zu sein. Der Caelius-Stein ermöglicht einen direkten Einblick in ein Einzelschicksal im Jahr 9 n. Chr. Er zeigt zudem, dass die römischen Soldaten an Rhein und Lippe über Sklaven und Freigelassene verfügten, die gemeinsam mit ihnen in den 314
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CIL V 2499; CIL VI 3530; CIL XI 5218 und 6056; CIL XI 348; CIL XIII 8648; CIL XIV 2950; AE 1987, 206; Nuber 2008, 225 f.; Wiegels 1989, 431ff.; vgl. auch Reis 2009, 66; allg. zu den Legionen: Wiegels 1997; Wiegels 2016. Dass es Überlebende gab, wird auch durch Cassius Dio nahegelegt, der von geretteten Einheiten spricht (56,24,1). Zu dem Caelius-Stein bietet der Ausstellungskatalog von Schalles/Willer 2009 einschlägige Beiträge sowie weitere Literaturhinweise. CSIR Deutschland III,1, Nr. 1. Zu der sehr detailreich dargestellten Militärtracht vgl. Prittwitz 2009. Kriege werden eigentlich nach den Feinden, die Rom bekämpft, benannt. Nur selten gibt es Ausnahmen (z. B. Caes. Gall. 1,13,2). Der Wortlaut der Inschrift (bello Variano) scheint einen Perspektivwechsel anzudeuten: In dem von den Germanen gegen Varus geführten Krieg hat Marcus Caelius sein Leben verloren; vgl. Schillinger-Häfele 1983. Die Lücke am Beginn der vierten Zeile wird durch [i]nferre nicht ausreichend gefüllt. Der verfügbare Raum macht auch die Ergänzungen ossa [con]nferre oder ossa [l(ibertorum) sive lib(ertorum) i]nferre möglich. Eine letztlich zweifelsfreie Ergänzung kann nicht erreicht werden. Das Problem hat jüngst Marcello Ghetta in einem im Druck befindlichen Aufsatz („Soldaten und ihre Sklaven: Bilder von Sklaven und Freigelassenen aus den beiden germanischen Provinzen“) behandelt. Für die Einsicht in sein Manuskript sowie eine Diskussion der Stelle bin ich ihm zu großem Dank verpflichtet (inzwischen erschienen: Ghetta 2019, 123 ff.)!
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Stützpunkten lebten. Zudem wird durch die Errichtung eines Kenotaphs, die zeitnah nach der Varusniederlage anzunehmen ist, deutlich, dass die römischen Truppen keineswegs mit einem Abzug aus der Region rechneten.321 Die angesprochene Formulierung in Z. 3 f. legt sogar nahe, dass künftige Operationen, wohl Bestrafungsaktionen, in Bereichen zwischen Ems und Weser erwartet wurden; zumindest scheint Publius Caelius dies erwartet zu haben. Seine Einschätzung war richtig: Germanicus zog wenige Jahre später in das Gebiet, in welchem die Varusschlacht stattgefunden hatte. Er bestattete die gefallenen Römer, deren Leichen noch auf dem Schlachtfeld lagen (Tac. ann. 1,61 f.), und errichtete gemeinsam mit einem Altar für seinen Vater Drusus für sie einen Grabhügel (Tac. ann. 2,7,2 f.).
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Germanicus am Rhein (12–17 n. Chr.)
Germanicus war der Sohn des Drusus. Tiberius musste ihn gegen seinen Willen im Jahr 4 n. Chr. auf Betreiben des Augustus adoptieren (Tac. ann. 1,3,5; Cass. Dio 55,13,2). In den Augen des princeps sollte Germanicus nach Tiberius als dritter Kaiser regieren. Für Tiberius, der bereits früher mehrmals von Augustus zurückgesetzt und nur als „Notlösung“ zum Nachfolger wurde, war dies zweifellos eine weitere Schmach, hatte er doch mit Drusus dem Jüngeren einen leiblichen Sohn, der im gleichen Alter wie Germanicus war. Für die Ereignisse in Germanien ab 14 n. Chr. ist diese Konfliktlage zwischen Tiberius und Germanicus, der in den literarischen Quellen als herausragende Gestalt dargestellt wird (z. B. Cass. Dio 55,32,4; 56,11,1; 56,15; 56,26; Tac. ann. 2,72; 2,82), wichtig.322 Seine ersten militärischen Erfahrungen machte Germanicus ab 7 n. Chr. unter seinem Adoptivvater im Illyricum (Cass. Dio 56,11,1; 56,15 und 17; Vell. 2,116,1). Für seinen Einsatz im Kampf gegen den Pannonischen Aufstand bis 9 n. Chr. verlieh Augustus dem Germanicus die ornamenta praetoria und ornamenta triumphalia (Cass. Dio 56,17).323 Im Jahr 11 n. Chr. kam er nach Germanien, wo er erneut unter Tiberius diente. Nachdem Germanicus 12 n. Chr. als Konsul amtierte, erfolgte im Herbst die Übergabe des Kommandos am Rhein von Tiberius an seinen Adoptivsohn (Tac. ann. 1,3,5; Vell. 2,123,1). Als leiblicher Sohn des Drusus soll Germanicus bei den Soldaten in hohem Ansehen gestanden 321
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Aufgrund der singulären Bildkomposition wurde sogar in Erwägung gezogen, dass ein Bildhauer aus Bononia an die Rheingrenze gereist sei, um das Grabdenkmal zu erstellen; vgl. Frenz 2009, 92. Auch dies würde bedeuten, dass man nicht mit einem baldigen Abzug der Truppen rechnete und das Gebiet auch nicht als bedroht ansah. Zur Familienkonstellation und zum Konflikt vgl. Reinard 2015, 158 ff.; 188 ff.; zum Germanicusbild in den Quellen: Baar 1990, 120. Kienast 2014, 80.
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haben. Was im August des Jahres 14 n. Chr. zu einer schwierigen Situation führte: Am 19. August war Augustus verstorben. Als die Nachricht die Rheintruppen erreichte, meuterten diese und riefen Germanicus – wohl gegen seinen Willen – zum Kaiser aus (Cass. Dio 57,5; Suet. Tib. 25,1). Die Soldaten wollten zudem für sich selbst kürzere Dienstzeiten und höheren Lohn erreichen (Vell. 2,125,2). Damals gerieten auch Agrippina, die Ehefrau des Germanicus, sowie dessen Sohn Gaius, der spätere Kaiser Caligula, in die Fänge der Soldaten.324 (Cass. Dio 57,5,6f.). Germanicus ließ sich aber nicht erpressen. Es gelang ihm – mit Hilfe der Legaten C. Silius A. Caecina Largus und A. Caecina Severus325 –, die Truppen wieder zu kontrollieren, die Ausrufung zum Kaiser lehnte er ab. Germanicus, so zeichnen ihn die literarischen Quellen, stand loyal zu Tiberius (Vell. 2,125,2–4). Diesen dürfte in Anbetracht des ohnehin schon schlechten Verhältnisses zu seinem Adoptivsohn, die kurzzeitige Meuterei der Truppen sicher beunruhigt haben, zumal die Rheinarmee in dieser Zeit das bedeutendste und größte Militärpotenzial des Reiches darstellte.326 Nachdem er die meuternden Soldaten wieder zur Ordnung gerufen hatte, zog Germanicus gegen den Stamm der Marser, die zwischen oberer Lippe und Ruhr siedelten (Tac. ann. 1,49,3–51,4; Cass. Dio 57,6,1).327 Der Angriff kann nicht als militärische Aktion angesehen werden. Die Römer überraschten die Marser, die gerade ein Fest begingen, und machten wahllos alle Stammesmitglieder nieder, auch Frauen und Alte (Tac. ann. 1,50,1 ff.). Es kam hier also nicht zu einer Feldschlacht gegen den Stamm, sondern zu einer „Aktion, die mehr an das Vorgehen von Extremisten und Fundamentalisten jeder Art erinnert als an das einer regulären Armee“.328 Auch in den Folgejahren wurde der Krieg gegen die Germanen unter Germanicus anscheinend brutal und schonungslos geführt, die 324 325 326
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Eck 2004, 128. Eck 1985, 3–6; 107–109. Es ist allerdings, wie dies Urban 1999, 36–38 betont hat, zu bedenken, dass die Mehrzahl der verfügbaren literarischen Quellen alle durch die Ereignisse des Vierkaiserjahres 68/69 n. Chr. beeinflusst sein könnten. Damals gingen von der Rheinarmee entscheidende usurpatorische Unternehmen aus. Eventuell wurde die Meuterei im Herbst 14 n. Chr. im Vergleich mit dem Vierkaiserjahr bewusst übertrieben. Außerdem ist zu bedenken, dass die Quellen, insbesondere Tacitus, intentionell Germanicus als moralisch einwandfreien Menschen und somit als gegenüber Tiberius besseren Herrscher darstellen. Dass Germanicus die Meuterei niederdrückt und die angebotene Ausrufung zum Kaiser aus Loyalität zu Tiberius ablehnt, unterstützt exakt die Darstellungsintention. Urbans Kritik wird allerdings durch die Ausführungen des Zeitzeugen Velleius Paterculus (2,125,1 f.) teilweise entkräftet. Dieser berichtet, die Truppen hätten die politische Ordnung umstürzen und ein neues „Gemeinwesen“ erschaffen wollen. Ausführlich zur Statthalterschaft des Germanicus und seinen Feldzügen: Timpe 1968. Zu den Feldzügen des Germanicus sei auch auf die Aufsätze von R. Wiegels, P. Kehne, S. Burmeister u. R. Kaestner sowie St. Martin in dem wichtigen neuen Sammelband von Burmeister/Ortisi 2018 verwiesen; die Beiträge konnten hier lieder nur noch bedingt eingearbeitet werden. Wierschowski 2005, 212.
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Aktion gegen die Marser scheint kein Einzelfall gewesen zu sein, Zivilisten wurden häufiger Opfer der römischen Soldaten (z. B. Tac. ann. 1,51 und 2,21,2).329 Könnte man den Angriff auf die Marser noch mit der kurz zuvor niedergedrückten Meuterei in Verbindung bringen – sollten sich die Soldaten vielleicht „austoben“ und sollte ihr kürzlich bahngebrochener Zorn anderweitig kanalisiert werden? –, so zeigen die weiteren Quellenbelege doch an, dass unter Germanicus offensichtlich eine andere Taktik verfolgt wurde. Dies ist am ehesten mit der Varuskatastrophe zu erklären. Die Stämme, deren Bevölkerung skrupellos attackiert wurde, gehörten sehr wahrscheinlich zu der Arminius-Koalition. Auf dem Rückweg von den Marsern gerieten die Römer in einen Hinterhalt, der von Brukterern und anderen Stämmen wahrscheinlich an der mittleren Ruhr gelegt wurde (Tac. ann. 1,51,2).330 Zwar gelang es den römischen Truppen, die Germanen zu schlagen, jedoch wird deutlich, dass auch in relativer Nähe zum Rhein die römische Herrschaft nicht sicher war. Im Jahr 15 n. Chr. erfolgten zwei separate römische Feldzüge (Tac. ann. 1,55,1–72,1). A. Caecina Severus zog mit vier Legionen erneut gegen die Marser, während Germanicus von Mainz aus gegen die Chatten marschierte.331 Germanicus legte damals ein Lager an, dass über einem früheren Stützpunkt seines Vaters errichtet wurde (Tac. ann. 1,56,1). Eine Identifizierung dieser Anlage ist bis heute nicht erfolgt (siehe oben). Im Gebiet der Chatten, die teilweise flüchten konnten, wurde Mattium, der Hauptort des Stammes niedergebrannt. Auf dem Rückweg erfuhr Germanicus, dass Segestes, der 9 n. Chr. die Römer vor Arminius gewarnt hatte, von diesem im Cheruskerland belagert würde. Der innere Streit bei den Cheruskern wurde auch nach dem vernichtenden Schlag gegen Varus nicht beigelegt. Immer noch gab es pro- und anti-römische Parteien. Germanicus führt sein Heer erneut durch das Gebiet der Chatten in den Norden zu den Cheruskern. Die Belagerung des Segestes konnte er aufbrechen und die Truppen des Arminius vertreiben. Segestes bestätigte erneut seine Parteinahme für die Römer. Zu dieser Zeit gelangte auch Thusnelda, die damals schwangere Gattin des Arminius, in römische Gefangenschaft. Nachdem sich alle acht Legionen an der Ems vereint hatten, zog Germanicus nun geschlossen gegen die Cherusker. Die Chauken, die an der unteren Weser siedelten, schlossen sich Germanicus an (Tac. ann. 1,60,2). Durch das Gebiet der Brukterer ziehend erreichte Germanicus den Ort der Varuskatastrophe (Tac. ann. 1,61). Hier ließ er die Gefallenen, die noch auf dem Schlachtfeld lagen, bestatten und errichtete einen Grabhügel sowie einen Altar für seinen Vater Drusus (Tac. ann. 1,62).332 Es folgte ein Gefecht mit Arminius, das jedoch keinen klaren Sieger hatte (Tac. ann. 1,63). 329 330 331 332
Wierschowski 2005, 216. Wolters 2008a, 129. Burmeister/Kaestner 2015, 37; Wolters 2008a, 129–131. Eventuell könnten die oben bereits angesprochenen Knochengruben in Kalkriese mit den literarisch überlieferten Bestattungen in Verbindung stehen. Doch gibt es auch gute
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Auf dem Rückweg schickte Germanicus zwei Legionen aus, die entlang der Nordseeküste marschieren sollten. In einer Springflut scheint es hier zu großen Verlusten gekommen zu sein. Zudem wurden die vier Legionen, die der Legat A. Caecina Severus anführte, an den pontes longi von Arminius in einem Hinterhalt gestellt, aus dem sie sich erst nach mehrtägigen Kämpfen befreien konnten (Tac. ann. 1,63 f.).333 Das Feldzugsjahr 15 n. Chr. war für Germanicus sicher kein Erfolg. Klare Siege blieben aus, die Rückwege waren sehr verlustreich.334 Da half es auch nicht, dass neben der prestigeträchtigen Gefangennahme der Thusnelda, eines der 9 n. Chr. verlorenen Feldzeichen in diesem Jahr von den Brukterern zurückerbeutet werden konnte (Tac. ann. 1,60,3). In Rom kritisierte Tiberius das Vorgehen des Germanicus. Die Kritik richtete sich besonders gegen die Bestattung der Gefallenen der Varuskatastrophe. Als Augur hätte Germanicus keine Bestattung vornehmen dürfen und der Anblick des Schlachtfeldes und der toten Römer wäre für die Psyche der Soldaten nicht gut gewesen. Dennoch sagte Tiberius seinem Adoptivsohn einen Triumph zu und ehrte die Legionslegaten mit den ornamenta triumphalia (Tac. ann. 1,55,1; vgl. auch 1,72,1).335 Die Botschaft war eindeutig: „Diese Auszeichnungen, die einen siegreichen Abschluss der Kämpfe signalisieren sollten, können nur als unmissverständliches Signal des neuen Kaisers Tiberius gewertet werden, dass damit der Krieg in Germanien sein Ende gefunden habe.“336 So wie Augustus im Jahr 11/10 v. Chr. versuchte auch Tiberius durch Ehrungen und Lob seinen jungen ambitionierten Feldherrn von offensiven Aktionen in Germanien abzubringen. Die Anweisung des Kaisers befolgte Germanicus allerdings nicht. Er blieb auch im Folgejahr in der Provinz und ließ erneut zwei Heerzüge durchführen.337 Von Mainz aus drang der Legat C. Silius A. Caecina Largus338 gegen die Chatten vor. Er konnte die Frau und Tochter des Chattenfürsten Arpus gefangen nehmen. Germanicus zog wohl von Xanten aus entlang der Lippe. Hier konnte er das Römerlager von Aliso, das von Germanen belagert wurde, entsetzen.339 In dieser
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Gründe, um an einer Verbindung zu zweifeln; vgl. Rost/Wilbers-Rost 2015, 43 ff. Vgl. jetzt auch Rost/Wilbers-Rost 2018. Burmeister/Kaestner 2015, 37. Sinnbildlich ist eine Episode, die Tacitus beruhend auf der heute verlorenen Geschichte der römischen Kriege gegen die Germanen des älteren Plinius berichtet: Agrippina, die Ehefrau des Germanicus, habe auf der Rheinbrücke die zurückkehrenden Truppen empfangen und verhindert, dass die am Rhein stationierten Einheiten die Brücke über den Strom aufgrund der schlechten Nachrichten des Germanicuszuges und aus Angst vor den anrückenden Germanen abreißen würden (Tac. ann. 1,69). Timpe 1968, 51 ff. Wolters 2008a, 131. Zum Feldzug des Jahres 16 n. Chr. vgl. auch Wolters 2008c. Eck 1985, 3–6. Burmeister/Kaestner 2015, 38.
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Zeit wurden auch der Grabhügel sowie der Drusus-Altar, die Germanicus im Vorjahr hatte errichten lassen, von den Germanen zerstört. Vergleichbar mit der Aktion im Vorjahr sammelte Germanicus erneut das Gesamtheer und zog gegen die Cherusker. Dabei kam auch die Flotte wieder zum Einsatz, mittels welcher das Heer ins Gebiet des Stammes befördert wurde (Tac. ann. 2,8,1 und 2,24 f.); angeblich ließ Germanicus für diesen Feldzug 1.000 Schiffe bauen (Tac. ann. 2,6,1 f.), was zweifellos völlig übertrieben ist. Es kam zu zwei großen Schlachten bei Idistaviso und am Angrivarierwall (Tac. ann. 2,10–23). Inwieweit Germanicus hier Erfolge für Rom erzielen konnte, ist nur schwer einzuschätzen. Klare Entscheidungen blieben aus. Auf dem Rückweg geriet die Flotte in der Nordsee in einen Sturm, der schwere Verluste forderte (Tac. ann. 2,24). Germanicus selbst war mit seinem Schiff gestrandet. Die Verluste müssen so schwerwiegend gewesen sein, dass sich Germanicus gegen Ende der Feldzugssaison nochmals genötigt sah, römische Stärke zu demonstrieren. Der Legat C. Silius A. Caecina Largus zog erneut gegen die Chatten, während Germanicus einmal mehr ein Heer ins Gebiet der Marser führte (Tac. ann. 2,25). Aufgrund der Feldzüge der letzten Jahre waren beide Stämme leichte Ziele. Es ging ausschließlich darum, nach der verheerenden Flottenkatastrophe nochmals römische Macht zu demonstrieren. Die Erfolge des Jahres 16 n. Chr. sind ebenso bescheiden wie die des Vorjahres. Zwar wurde ein weiterer Legionsadler aus dem Gebiet der Marser durch einen Überläufer an Germanicus ausgehändigt (Tac. ann. 2,25) und auch prominente Cherusker wie Segimer und Sesithacus, die eigentlich auf Seiten des Arminius standen, liefen damals zu den Römern über. Dennoch blieben Germanicus’ Aktionen im rechtsrheinischen Gebiet ohne geopolitische Folgen. Neue Eroberungen konnten nicht erzielt und auch Arminius nicht gefasst werden. Einerseits gab es zwar weiterhin römische Stützpunkte an der Lippe, wie der Entsatz eines Lagers 16 n. Chr. zeigt, und auch Flottenaktionen, die über Ems und Weser bis tief nach Germanien führten, konnten weiterhin durchgeführt werden. Andererseits gibt es keine Hinweise mehr auf einen Provnzialisierungsprozess; archäologisch ist eine Germanicus-Phase bisher nur schwierig zu fassen.340 Germancius’ vorrangiges Ziel scheint die Bestrafung vermeintlich antirömisch eingestellter Stämme gewesen zu sein. Bei Marsern und Chatten führte dies zu skrupellosen Feldzügen, die man als Vernichtungspolitik verstehen kann. Bei den Cheruskern gelang es zumindest, einige Mitglieder der antirömischen Partei zum Übertritt zu bewegen.
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Dies widerspricht dem taciteischen Bericht, dem zu entnehmen ist, dass unter Germanicus zwischen dem Kastell Aliso und dem Rhein alles mit Wällen und sonstigen Anlagen neu befestigt worden sei (ann. 2,7). Diese Angabe dürfte sich sehr wahrscheinlich auf die Lippelinie beziehen. Die methodischen Probleme relativer Chronologie, die mit dem Versuch eines klaren Nachweises eines Germanicus-Horizontes einhergehen, werden in wichtigen neuen Aufsätzen von G. Rasbach, B. Rudnick, U. Werz u. R. Wolters in dem Sammelband von Burmeister/Ortisi 2018 aufgezeigt und behandelt.
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Tiberius schob nun dem Treiben seines Adoptivsohnes einen Riegel vor. Der Kaiser mahnte erneut, dass er selbst in Germanien durch klugen Rat mehr erreicht hätte als mit Gewalt (Tac. ann. 2,26). Ganz deutlich wird hier, dass Tiberius die brutale und wohl auch verlustreiche Kriegsführung des Germanicus nicht guthieß und sie auch nicht weiter tolerieren wollte.341 Germanicus wurde für 17 n. Chr. zum Konsul bestellt und musste Ende 16 n. Chr. nach Rom zurückkehren. Am 26. Mai 17 n. Chr. feierte er einen Triumph – in dem auch Thusnelda als berühmteste Gefangene vorgeführt wurde (Strab. 7,1,4) – über Cherusker, Chatten und Angrivarier sowie weitere Völker, die im Gebiet bis zur Elbe lebten (Tac. ann. 2,41,2 f.). Der Verweis auf die Elbe resultiert sicher aus der offiziellen Repräsentation des Kaiserhauses, entsprach aber keineswegs geopolitischen Realitäten. Im Folgejahr wurde Germanicus auf eine Orient-Mission geschickt, auf welcher er im Jahr 19 n. Chr. auf dubiosem Wege den Tod fand.342 Posthum wurden Germanicus’ Leistungen in einem Ehrenbeschluss durch Inschriften verewigt (Tabula Siarensis).343 Zahlreiche Ehrungen, die mit den Angaben der Tabula Siarensis übereinstimmen – so etwa ein Ehrenbogen in Mainz344 –, referiert auch Tacitus (ann. 2,83). Insbesondere die Darstellung der Tabula Siarensis lässt erkennen, wie Tiberius die Feldzugsjahre des Germanicus verstanden wissen wollte. Zwar wird die Wiedergewinnung der von Varus verlorenen Feldzeichen sowie die Rache für die frühere Niederlage genannt, insgesamt wird der Erfolg des Germanicus aber nicht in einer Eroberung Germaniens, sondern in der Sicherung Galliens gesehen (Tab. Siar. 1,1,12 ff.). Hierzu passt auch eine Angabe des Tacitus, nach welcher die Germanicusfeldzüge die Schande der Varusniederlage tilgen, aber keine Gebietsgewinne erzielen sollten (Tac. ann. 1,3,6). Zu Lebzeiten des Germanicus verzichtete Tiberius darauf, die „Erfolge“ in Germanien oder auch den Triumphzug von 17 n. Chr. ausführlich zu propagieren. Dies dürfte einerseits an dem Konflikt zwischen Kaiser und designiertem Nachfolger, andererseits vielleicht aber auch daran liegen, dass wirkliche 341
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Die defensive Orientierung des Tiberius wird auch in zwei Stellen der Vita des Sueton greifbar. Angeblich war Tiberius der Meinung, die Varuskatastrophe sei durch Unbesonnenheit und Nachlässigkeit des Heerführers entstanden. Tiberius selbst traf keine Entscheidung ohne eine Besprechung im Kriegsrat (Tib. 18). Außerdem soll er sich nur selten in Kampfhandlungen eingelassen haben, wie Sueton verklausuliert in einer Anekdote über einen Aberglauben des Tiberius mitteilt (Tib. 19). Weingärtner 1969; Eck et al. 1996; Eck 2015. Zum Text der Tabula Siarensis: González 1984; Lebek 1986; Lebek 1988; Lebek 1989; Lebek 1992; vgl. für weitere Literatur: Lehmann 2003, 123 f., Anm. 2. Während Tacitus einen Ehrenbogen am Ufer des Rheins erwähnt, dokumentiert der Text der Tabula Siarensis, dass der Bogen neben dem Kenotaph des Drusus, dem sog. Eichelstein, errichtet werden sollte. Ein rechts des Rheins nachgewiesenes Bogenmonument wurde in der archäologischen Forschung mit dem Germanicus-Bogen in Verbindung gebracht. Seine Identifizierung ist aber unsicher; vgl. Frenz 1989a und Frenz 1989b, der einen Bezug zu Germanicus herstellen möchte; kritisch: Bellen 1989; Lehmann 2003, 138 f.
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Erfolge in Germanien eigentlich nicht erzielt wurden. Besonders bemerkenswert ist, dass die Rückgewinnung der zwei Feldzeichen von Tiberius in den Münzen – ganz anders als dies früher unter Augustus der Fall war – nicht propagiert wurde.345 Lediglich ein Triumphbogen neben dem Saturntempel auf dem Forum Romanum in Rom, der u. a. wegen der Wiedereroberung der Feldzeichen geweiht worden sein soll, wird erwähnt (Tac. ann. 2,41,1). Gerade eine Betonung der Rückeroberung der Feldzeichen in Münzbildern hätte sinnbildlich die erfolgreiche Wiedergutmachung der Varuskatastrophe verdeutlichen können. Allerdings können lediglich ab 16 n. Chr. ausgegebene Goldprägungen aus Lyon, die auf dem Revers eine Victoria zeigen, mit der Wiedererlangung der signa in Verbindung gebracht werden (RIC I² 93f., Nr. 5–22).346 Detaillierte Darstellungen, die in Legende und Motiv auf die rückgewonnenen signa verweisen, fehlen. Erst Caligula, der leibliche Sohn des Germanicus, ehrte mit einer herausragenden Münze die Germanienerfolge seines Vaters. Ein Dupondius347 zeigt auf dem Avers Germanicus gemeinsam mit einer kleinen Victoria in einer Quadriga nach rechts (RIC I² 112, Nr. 57 = RIC I 119 = BMC I 160, Nr. 93).348 Durch die Legende (GERMANICVS / CAESAR) wird die dargestellte Person benannt. Auf dem Revers wird Germanicus in einem Redegestus präsentiert, sein rechter Arm ist erhoben. Er trägt Militärtracht. Die Legende lautet: SIGNIS RECEPT(is) / DEVICTIS GERM(anis) / S(enatus) C(onsulto). Der Dupondius propagiert einerseits den Triumphzug des Germanicus, den dieser im Mai 17 n. Chr. feierte (Tac. ann. 2,41), andererseits die Rückgewinnung der Feldzeichen. Caligula ehrte mit dem Dupondius seinen leiblichen Vater und stellte auch einen Bezug zu Augustus her, der die Rückgewinnung der an die Parther verlorenen Feldzeichen in vergleichbarer Art zelebriert hatte.
345
346 347
348
Das dritte in der Varuskatastrophe verlorene Feldzeichen wurde erst unter Claudius durch den Statthalter P. Gabinius während eines Feldzugs gegen die Marser zurückerobert (Cass. Dio 60,8,7). Vielleicht zeigt auch dies indirekt, wie ergebnislos die Operationen des Germanicus gewesen sind. Die Marser waren einer der Stämme, die von Germanicus am meisten mit Krieg überzogen wurden. Das fehlende Feldzeichen konnte aber trotzdem nicht erobert werden. Hölscher 1967, 17; Mlasowsky 1996, 329. Die Datierung wurde in der Forschung lange und vielfach diskutiert. Eine Entstehung unter Caligula ist inzwischen bei den meisten Forschern anerkannt. Dabei sind besonders die Schlagmarken (BMC I cxliv und cxlviii) sowie inhaltliche Argumente ausschlaggebend; vgl. Reinard 2015, 182 mit der weiteren Literatur in Anm. 173. Ausführlich zu der Prägung: Reinard 2015, 182–186 mit der weiteren Literatur; hier sei nur verwiesen auf Christ 1957, 516 f.; Wolters 1990b; LWL-Römermuseum in Haltern am See 2009, 371, Nr. 7.35.
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8
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Die weitere Germanienpolitik unter Tiberius nach 16 n. Chr.
Über die folgenden Jahre sind wir aufgrund fehlender literarischer Überlieferung sehr schlecht informiert. Man darf aber davon ausgehen, dass nun allgemein eine defensive Strategie verfolgt wurde, getreu dem Credo des Kaisers, man könne mit kluger Politik mehr erreichen als mit Gewalt. Bekannt sind immerhin zwei Legaten, die 21 n. Chr. den gallischen Aufstand des Iulius Sacrovir von der Rheingrenze aus niederschlugen (Tac. ann. 3,40–46; Vell. 2,129,3):349 C. Silius A. Caecina Largus hatte bereits unter Germanicus gedient und verblieb bis Ende 21 n. Chr. am Rhein. Er führte in dieser Zeit das obergermanische Heer. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit kann man Silius mit einem herausragenden Fund aus dem dänischen Hoby verbinden. In einem Grab, das auf die ersten Jahrzehnte n. Chr. datiert, wurde ein ca. 30-jähriger Mann bestattet. Zu den Grabbeigaben gehören neben weiteren durchaus opulenten römischen Importstücken zwei Silberbecher, die künstlerisch sehr anspruchsvolle Relieffriese besitzen.350 Diese datieren in die frühe Kaiserzeit und zeigen Szenen aus der Ilias, u. a. Priamos, der um den Leichnam seines Sohnes Hektor bittet. Es handelt sich um sehr gute mediterrane Luxusobjekte. Sie tragen zwei Inschriften: eine Künstlerinschrift (Χιρίσοφος ἐποί[ησε]) sowie – sekundär angebracht – den lateinischen Namen Silius (AE 1924, 84). In der Forschung wurde erwogen, dass die Silberbecher ursprünglich dem römischen Befehlshaber Silius in Mainz gehörten, der sie vielleicht verschenkt oder verkauft hat. Die Namensgleichheit, die Singularität und Güte der Objekte sowie die Datierungen des Grabes und der Becher ermöglichen diese zwar wahrscheinliche, letztlich aber nicht zu beweisende Verbindung. Die Silberbecher von Hoby sowie die weiteren römischen Grabbeigaben verdeutlichen – unabhängig von der Frage, wie die Becher nun nach Dänemark kamen – dass es in der frühen Kaiserzeit einen beachtlichen Güteraustausch zwischen links- und rechtsrheinischem Gebiet gegeben hat. Der zweite Legat war C. Visellius Varro, der um 21 n. Chr. das untergermanische Heer befehligte.351 Für die 20er und 30er Jahre sind wahrscheinlich Cossus Cornelius Lentulus und sicher sein Bruder Cn. Cornelius Lentulus Gaetulicus nachgewiesen, die ca. 25 bis 29 n. Chr. und 29/30 bis 39 n. Chr. als Legaten des obergermanischen Heeres amtierten.352 Zeitgleich mit dem Letztgenannten
349 350
351 352
Urban 1999, 39–45. LWL-Römermuseum in Haltern am See 2009, 374, Nr. 7.39 mit weiterer Literatur. Zur Darstellung und Datierung: Müller 1994. Eck 1985, 3–6; 110 f.; Eck 2004, 700. Eck 1985, 8 f.; 10–12.
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befehligte sein Schwiegervater L. Apronius das niedergermanische Heer.353 Von ihm ist bekannt, dass er bereits unter Germanicus in Germanien gedient hatte (Tac. ann. 1,56,1; 1,72,1). Als Befehlshaber führte er 28 n. Chr. einen Feldzug gegen die Friesen durch (Tac. ann. 6,30,2). Zudem teilt eine Inschrift aus Mainz mit, dass sich L. Apronius für eine Frau vom Stamm der Nervier einsetzte und für sie Steuerbefreiung erreichen konnte (CIL XIII 7088). Es wird deutlich, dass für die Germanienpolitik über die Zeit nach Germanicus nur wenige Informationen vorliegen. Das Schweigen der Quellen deutet aber an, dass die Situation insgesamt ruhig gewesen sein dürfte. Feldzüge wie der des L. Apronius gegen die Friesen waren seit 16 n. Chr. die Ausnahme. Zwei allgemeine Maßnahmen sind nun in dieser Phase erkennbar, die auf Tiberius bewusste Strategie zurückzuführen sind. Die Statthalter amtierten teilweise sehr lange: C. Silius A. Caecina Largus von 14 bis 21 n. Chr. oder Cn. Cornelius Lentulus Gaetulicus von 29/30 bis 39 n. Chr. Vermutlich sollte durch weniger Wechsel in der Führungsebene eine konstantere Außenpolitik gewährleistet werden. Fehleinschätzungen aufgrund von mangelnder Kenntnis der politischen Lage in Germanien sollten so verhindert werden. Dazu fällt auf, dass häufig Familienmitglieder in Kommandopositionen rückten, wie dies für die Brüder Cossus Cornelius Lentulus und Cn. Cornelius Lentulus Gaetulicus und ihren Schwiegervater L. Apronius gegeben ist. Diese Strategie lässt sich auch schon in der Zeit des Augustus beobachten: Germanicus kam bereits unter Tiberius nach Germanien und erhielt Ende 12 n. Chr. schließlich das Kommando von diesem. Aber auch Varus nahm seinen Verwanden L. Nonius Asprenas mit in den Norden, der dort von 6 bis 10 n. Chr. als Legat diente. Verschiedene Überlegung dürften zu diesen Maßnahmen geführt haben: Zwischen den Familienmitgliedern gab es vermutlich seltener Zwistigkeiten, die unter Umständen die Koordination gemeinsamer Maßnahmen, seien sie nun administrativer oder militärischer Art, gefährden konnten. Außerdem wurde das spezifische Wissen über die politischen Verhältnisse bei den rechtsrheinischen Stämmen, aber auch geographische Kenntnisse über Germanien innerhalb der Familie weitergegeben. Nicht zuletzt konnten zwischen Familienmitgliedern persönliche Kontakte zwischen Stammesfürsten von römischen Kommandeuren leichter vermittelt werden. Tiberius’ Wunsch, in Germanien weniger aggressiv vorzugehen und die Stämme sich selbst zu überlassen (Tac. ann. 2,26), zeitigte bereits kurze Zeit nach dem Abzug des Germanicus Erfolg. In Germanien kam es zu einem Konflikt zwischen Arminius und seinen Gefolgsleuten mit Maroboduus und den Markomannen. Eine Schlacht zwischen den beiden Gruppen brachte keinen klaren Sieger, allerdings verlor Maroboduus nachhaltig an Führungsanspruch bei den Markomannen. Er bat Tiberius um römische Hilfe, was der Kaiser allerdings ablehnte (Tac. ann. 2,46,5). Schließlich konnte sich Maroboduus bei den 353
Eck 1985, 112 f.
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Markomannen nicht mehr halten (Tac. ann. 2,44,3) und nahm ein Asylangebot Roms an; noch 18 Jahre soll Maroboduus in Ravenna gelebt haben (Tac. ann. 2,62 f.).354 Als ein weiterer Erfolg der Politik des Tiberius ist ein Angebot eines Chattenfürsten namens Adgandestrius zu werten, der Arminius vergiften wollte (Tac. ann. 2,88,1–3). Allerdings ging Tiberius auch auf dieses Angebot nicht ein. Vermutlich war in Rom damals schon bekannt, dass es tiefgreifende Spannungen unter den Germanenstämmen sowie Konflikte innerhalb einzelner Gruppen gab. Insbesondere bei den Cheruskern, aber auch bei den Markomannen oder Chatten war dies der Fall (z. B. Tac. ann. 1,55,1; 1,58,1 ff.; 2,9 f.; 2,10,1; 2,44,3; 2,45,3 ff.; 2,46,1 ff.). Tacitus berichtet, Arminius habe sich nach der Schlacht gegen die Markomannen zu einem König aufschwingen wollen, was auf heftigen Widerstand stieß. Schließlich lockten seine innenpolitischen Gegner Arminius im Jahr 19 n. Chr. in einen Hinterhalt und ermordeten ihn.355 Er wurde in Germanien angeblich noch lange Zeit in alten Liedern verehrt (Tac. ann. 2,88,3). Offensichtlich führte Roms Ablassen von einer aggressiven Außenpolitik zu innergermanischen Konflikten um Führungsansprüche. Die rechtsrheinischen Stämme waren nun mit sich selbst beschäftigt und zur Etablierung eigener Machtinteressen versuchte man Roms Unterstützung zu gewinnen – dies zeigen die Beispiele des Maroboduus und des Adgandestrius. Tiberius’ Wechsel in der Germanienpolitik hin zu einem zurückhaltenden und nicht mehr aggressiven Vorgehen darf deshalb als erfolgreich gewertet werden und macht erklärlich, warum für die nächsten Jahrzehnte kaum noch literarische Nachrichten über Germanienfeldzüge in der Überlieferung greifbar sind. Dies ändert natürlich nichts daran, dass Tiberius in offiziellen Zeugnissen der kaiserlichen Repräsentation als militärisch sieghafter Kaiser präsentiert wurde. Eine bemerkenswerte Quelle für die Selbstdarstellung des zweiten Kaisers ist das sog. Schwert des Tiberius aus Mainz, das allgemein in die Zeit der Statthalterschaft des Germanicus datiert wird.356 Augustus wird in einem Medaillon, das auf der Schwertscheide befestigt ist, dargestellt. Auf dem Mundblech ist in einem Relief der thronende Tiberius, der halb nackt wie Jupiter präsentiert wird, zu sehen. Mars und Victoria flankieren ihn. Germanicus steht vor dem Kaiser in Militärtracht und reicht diesem mit seiner linken Hand eine Statuette der Siegesgöttin. Der linke Arm des Tiberius ruht auf einem Rundschild, auf welchem FELIC/ITAS TIBERI zu lesen ist. Auch die ihn flankierende Victoria führt einen Schild, der die Wörter VIC(toria) AVG(usti) zeigt (CIL XIII 6796). Beide Männer reichen sich jeweils die rechte Hand. Das Bild entspricht zweifellos der offiziellen Kaiserrepräsentation des Tiberius. Er und sein Adoptivsohn Germanicus werden durch den Handschlag als einträchtig präsentiert. Zudem wird durch das 354 355 356
Wolters 2008a, 142. Wolters 2008a, 142. Lippold 1952; Klumbach 1970; Künzl 1988, 125;130f., Abb. 83; Mlasowsky 1996, 337 f.; Zanker 2003, 234f.; Künzl 2008, 73–75; LWL-Römermuseum in Haltern am See 2009, 370, Nr. 7.33.
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Bild und besonders durch die Inschriften deutlich, dass Tiberius der Sieger gewesen ist, seine kaiserliche Sieghaftigkeit wird propagiert. Einen ganz ähnlichen Eindruck vermittelt die silberne Scheibe eines Feldzeichens aus Niederbieber.357 Sie zeigt einen von erbeuteten Waffen umgebenden und frontal stehenden Kaiser im militärischen Ornat, u. a. mit Panzer und Feldherrenmantel. Er führt in seiner linken eine lange Lanze, die rechte ruht auf einem Schwert. Mit dem rechten Fuß drückt der Kaiser einen bärtigen Barbaren, wohl einen Germanen, zu Boden. Da die Stilistik der Darstellung in das 1. Jahrhundert n. Chr. verweist, wird der Kaiser zumeist mit Tiberius identifiziert. Die inhaltlichen Parallelen zur Darstellung auf dem Schwert des Tiberius sind augenfällig. Ein beachtenswertes Triumphdenkmal, das ca. 10–12 n. Chr. oder kurz danach entstanden ist, ist aus Nijmegen bekannt: Im Relief ist Tiberius zu sehen.358 Er wird von einer Victoria gekrönt, während er an einem Altar opfert. Auf diesem ist die Inschrift TIB(e)R(ius) C(ae)SAR angebracht (AE 2000, 1010). Zweifellos muss das Denkmal zwischen 4 n. Chr. (Annahme des Caesar-Titels) und 14 n. Chr. (Annahme des Augustus-Titels) datieren und der Aufstellungsort macht einen Bezug zur dritten Statthalterschaft von 10–12 n. Chr. wahrscheinlich; denkbar wäre auch ein Bezug zur Triumphfeier vom Okt. 12 n. Chr. (Inscr. It. 13,2 107 ff.), die Tiberius jedoch nicht durch Siege über Germanen, sondern wegen seiner Erfolge in Pannonien und Dalmatien zelebrierte (Vell. 2,121,2).359 Das Monument zeigt auf, wie sehr Noviomagus Batavodorum inzwischen „römisch“ geworden war. Der designierte Nachfolger des Augustus wurde am Rhein durch ein beachtliches Denkmal geehrt, seine Sieghaftigkeit, die er mehrmals auch in Germanien bewiesen hatte, wurde inszeniert. Diese wenigen Denkmäler sollen hier genügen, um zu zeigen, wie sehr eine erfolgreiche Germanienpolitik auch unter dem zweiten Kaiser propagiert wurde. Dabei waren die „Siege“ unter Tiberius, was ganz seinen persönlichen Anweisungen entsprach, nicht mehr militärischer Natur und die römischen Machtbestrebungen – wie nun abschließend herausgearbeitet werden soll – keineswegs mehr bis zur Elbe orientiert.
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Schluss
Die Geschichte der römischen Germanienpolitik zwischen Caesar und Tiberius lässt sich in verschiedene Phasen einteilen. Caesar verfolgte eine defensive Politik, rechtsrheinische Gruppen sollten vor Einfällen nach Gallien abgehalten 357 358 359
LWL-Römermuseum in Haltern am See 2009, 369f., Nr. 7.36. Vgl. Wolters 2009, 212, Abb. 4. Kienast 2004, 77.
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werden. Diese Politik wurde bis 12 v. Chr. weiterverfolgt, wobei auch gelegentliche Machtdemonstrationen auf rechtsrheinischem Gebiet durch Caesar, Agrippa oder M. Vinicius aus defensiven Erwägungen heraus erfolgten. Seit der Zeit der Statthalterschaft des Agrippa sowie dann insbesondere während Augustus’ Gallienaufenthalt kam es zu administrativen Veränderungen, die nicht nur die Herrschaft in Gallien konsolidierten, sondern ab ca. 19 v. Chr. auch zu einer zunehmenden Stationierung des römischen Militärs an ausgesuchten Plätzen am Rhein führten. Die Lollius-Niederlage hat diesen Prozess weder gestoppt noch initialisiert. Sie blieb ohne weitreichende Bedeutung. Die bis 13 v. Chr. erreichte endgültige Kontrolle der Alpen muss als Voraussetzung für die Provinzentwicklung in Gallien, aber auch für die Konzentration der Truppen an der Rheinlinie angesehen werden. Die Lollius-Niederlage hatte auch auf die Expansion im Alpenraum keinen Einfluss. Vielmehr wurde unter Augustus das Ende einer Entwicklung erreicht, die bereits spätestens seit Caesar existent war. Ab 12 v. Chr. wurde die römische Politik gegenüber den rechtsrheinischen Stämmen dann deutlich offensiver. Drusus unternahm zwar auch Züge, die man als übliche Bestrafung von für Rom gefährlichen Stämmen ansehen kann. Allerdings nutzte er die inzwischen vorhandene Infrastruktur auch für weitläufige Heeresoperationen, die mehr als nur Bestrafungszüge oder Machtdemonstrationen waren. Die Spitze dieser Entwicklung, die auch zur dauerhaften römischen Präsenz an der Lippe oder später an der Lahn führte, war mit dem Zug bis zur Elbe erreicht. Augustus scheint diese offensive Politik des Drusus nicht geschätzt zu haben. Die geplante Schließung des Ianus-Tempels für 10 v. Chr. ist ein deutliches Zeichen. Tiberius, der 8 und 7 v. Chr. das Kommando übernahm, scheint auch dementsprechend defensiver agiert zu haben. Obwohl er 7 v. Chr. triumphierte und auch die pomerium-Grenze erweitert wurde, sind großräumige Gebietsgewinne nicht ersichtlich. Lediglich an der Lippe und später an der Lahn gab es römische Stützpunkte. Die weitläufigen Aktionen des Drusus blieben somit zunächst nur Episode. Erst um die Zeitenwende ist mit dem Zug des Ahenobarbus wieder ein weit nach Germanien hineinreichender Feldzug bekannt. Eine dauerhafte Herrschaft wurde damals aber nicht errichtet. Vielmehr stellte das immensum bellum, das ab ca. 1 n. Chr. im Nordwesten ausbrach, die römische Kontrolle im rechtsrheinischen Gebiet wieder deutlich zur Disposition. Erneut übernahm Tiberius die Statthalterschaft und scheint wiederum eine defensive Politik verfolgt zu haben. Zwar soll auch er einmal die Elbe erreicht haben, von einer Gebietserweiterung, die über die Präsenz an Lippe und Lahn hinausging, berichten die Quellen aber wieder nichts. Vielmehr dürfte spätestens in diese Zeit das Verbot des Augustus gehören, die Elbe zu überqueren. Die Varusniederlage soll dann sämtliche rechtsrheinischen Stützpunkte der Römer zunichtegemacht haben. Dass der Verlust von drei Legionen ein einschneidendes Erlebnis war, steht außer Frage. Die Befürchtungen, dass nun die
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Rheinlager angegriffen und sogar Gallien in Gefahr sei – man fühlt sich an Caesar erinnert – waren aber unbegründet. Unmittelbar nach dem Untergang des Varus konnte L. Asprenas wieder an die Lippe ziehen. Auch Tiberius war in seiner dritten Statthalterschaft wieder im rechtsrheinischen Gebiet aktiv. Erneut scheint er aber defensiv orientiert gewesen zu sein. Dies änderte sich dann unter Germanicus nochmals, der ähnlich wie sein leiblicher Vater Drusus, eine aggressive Politik forcierte. Diese führte aber zu keinerlei nennenswerten geopolitischen Ergebnissen. Ein Ziel war sicher die Eliminierung des Arminius und seiner Koalition. Es wurde nicht erreicht. Schon Ende 15 n. Chr. hat Tiberius Germanicus abberufen, doch leistete der „Prinz“ dem erst mit einjähriger Verzögerung Folge. Dies zeigt deutlich, dass Tiberius die aggressiv-offensive Politik im rechtsrheinischen Raum nicht duldete. Resümierend zeigt sich, dass eigentlich nur in maximal drei kurzen Phasen unter Drusus und Germanicus sowie vielleicht unter Ahenobarbus von weitläufigen Expansionsversuchen gesprochen werden kann, wobei Germanicus gar nicht bis zur Elbe, sondern lediglich im Bereich von Ems und Weser aktiv war. Insgesamt überwiegt aber der Eindruck, dass Rom eine Sicherung Galliens sowie eventuell eine Sicherung einiger Stützpunkte in relativer Nähe zum Rhein, im Bereich von Lippe, Lahn und vielleicht Main, erreichen wollte. Offensive und Defensive lassen sich häufig nur schwer trennen! Auch die Feldzüge des Drusus und Ahenobarbus könnten teilweise als Vorfeldsicherung und Schwächung potenzieller Gegner Roms gedeutet werden. Die Offensiven des Germanicus könnten mit dem Drang, Arminius zu schlagen und diese potenzielle Gefahr zu beseitigen, zu erklären sein; zumindest ergibt sich dieser Eindruck aus der Nachricht des Tacitus, Germanicus hätte die Schande von 9 n. Chr. ausmerzen, aber keine Gebietsgewinne erreichen sollen (Tac. ann. 1,3,6). Für Tiberius ist als Feldherr in seinen drei Statthalterschaften und später als Kaiser stets eine defensive Politik in Germanien zu erkennen. Hier scheint er der Ansicht des Augustus aus dem Jahr 10 v. Chr. sowie einer generellen Anweisung des ersten Kaisers gefolgt zu sein: Am Ende seines Lebens teilte Augustus mit, man solle das Reich in seinen Grenzen erhalten (Tac. ann. 1,11).360 Eine neue Gebietserweiterung hatte er nicht im Sinn. Aus dieser Befundlage wird deutlich ersichtlich, dass eine direkte Herrschaft bis zur Elbe sicher nicht anzunehmen ist und von Augustus und Tiberius auch nicht als realisierbar betrachtet wurde.361 Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Herrschaft bis zur Elbe nicht aus Repräsentationsgründen propagiert wurde. In seinem Tatenbericht teilt Augustus mit, er habe die beiden Provinzen Hispaniens und Galliens sowie Germanien befriedet, was einem Gebiet vom Ozean bis zur Mündung der Elbe entspräche (R. Gest. div. Aug. 26). Bemerkenswert sind 360 361
Christ 1982, 232f. Bemerkenswert ist dabei auch das nur sehr geringe Fundmünzenaufkommen zwischen Weser und Elbe; vgl. Berger 1992, 120.
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dabei zwei Details: Zum einen bezeichnet Augustus Germanien nicht als Provinz, nur Hispanien und Gallien sieht er als solche an.362 Zum anderen sieht er seine Macht lediglich bis zur Mündung der Elbe in die Nordsee, nicht aber im Landesinneren bestehen. Ein Provinzanspruch für das Gebiet östlich des Rheins ist aus den Res Gestae folglich nicht abzuleiten. Wenn hier somit in der Wahrnehmung des Augustus keine Provinz existent war, sollte eine solche – getreu seiner Anweisung, das Reich zu erhalten, nicht zu erweitern – auch künftig wohl nicht erobert und eingerichtet werden. Tiberius, der selbst – wie wiederholt zitiert – der Meinung war, mit den Mitteln der Politik und Diplomatie in Germanien mehr als mit militärischer Gewalt erreichen zu können (Tac. ann. 2,26), hat der Anweisung des Augustus entsprochen. Der Anspruch der Herrschaft bis zur Elbe bleibt aber, auch wenn er den realen Gegebenheiten keinesfalls entspricht, in der römischen Darstellung bestehen. Strabon sieht die Elbe als Grenze, bemerkt dabei aber, dass Augustus eine durchaus defensive Strategie verfolgte hätte (Strab. 7,1,4). Denn Aktionen jenseits der Elbe seien laut dem Kaiser nicht ratsam, da sie nur dazu führen würden, dass jenseitige Stämme in Koalitionen mit diesseitigen Feinden Roms getrieben würden. Indirekt wird durch Strabon somit bestätigt, dass Rom zwischen Rhein und Elbe keinesfalls eine umfassende Kontrolle ausgeübt hat. Man darf nochmals an Cassius Dio erinnern, der von losen Gebieten römischer Kontrolle spricht. Solche kann man – sofern man die Res Gestae-Stelle und die archäologischen Befunde vereinen möchte – entlang Lippe und Lahn, vielleicht auch entlang der Küste bis zur Elbmündung sehen. In der Überlieferung zu den Germanicus-Feldzügen hält auch Tacitus an der Elbe als Grenze fest. Dieser lässt den Feldherrn im Jahr 16 n. Chr. ein Siegesdenkmal errichten, dessen Inschrift den Sieg über die Völker zwischen Rhein und Elbe verkündet haben soll, wodurch eine Herrschaft bis zum zweitgenannten Strom ersichtlich würde. Allerdings soll Germanicus u. a. aus Gründen der Missgunst des Tiberius seinen eigenen Namen in der Inschrift nicht angegeben haben (Tac. ann. 2,22). Bereits dieses Detail zeigt an, dass das Siegesdenkmal samt Inschrift in dieser Form eine taciteische Erfindung sein dürfte. Insgesamt erscheint bei Tacitus die Elbe immer noch als erreichbares, aber nicht als erreichtes Ziel.363 Tacitus’ Festhalten an der Elbe als potenzielle Grenze ist wahrscheinlich dadurch zu erklären, dass er Tiberius in ein schlechtes Licht rücken will. Es ist dessen Politik, die ein durchaus mögliches Vordringen des Germanicus bis zur Elbe verhindert. Allerdings korrespondiert die taciteische Darstellung nicht mit der Sicht des Tiberius, die uns unmittelbar durch die Tabula Siarensis überliefert ist. Wie oben bereits angemerkt, wurde Germanicus’ Wirken in Germanien nicht als offensive, sondern als defensive Leistung – als erfolgreiche Sicherung Galliens – dargestellt. Dazu passt auch, dass in der Tabula 362 363
Christ 1982, 224. Johne 1998, 402ff.
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Siarensis der Rhein als Grenzstrom gesehen wird (Tab. Siar. 1,1,29 f.).364 Auch die dort ausgeführten Informationen über den Mainzer Ehrenbogen und sein Statuenprogramm sprechen nicht für eine zukünftig offensive Orientierung.365 Eine (Rück)Eroberung Germaniens wird in der Tabula Siarensis nicht ersichtlich, was mit Tacitus’ Angabe, Eroberungen durch Germanicus seien nicht geplant gewesen (Tac. ann. 1,3,6), korrespondiert. Tacitus’ Aussage zur Elbe ist als haltlose intentionelle Tiberius-Kritik, nicht als realhistorische Überlieferung zu Germanicus’ „Erfolgen“ aufzufassen. Betrachtet man die Geschichte der römischen Germanienpolitik zwischen Caesar und Tiberius, kann man mit gutem Recht sagen, dass in tiberischer Zeit wieder ein Status quo erreicht war, der bereits ab ca. 19 bis 12 v. Chr. mit der Etablierung der Rheinlinie gegeben war. Der Rhenus war die Provinzgrenze, was exemplarisch in den 20er Jahren v. Chr. etwa von Nikolaos von Damaskus (1,1) und später ebenso von Florus (2,30) explizit gesagt wird. Eigentlich entsprach der Zustand sogar der Zeit Caesars, der bereits während des Gallischen Krieges den Rhein als Grenze angesehen hatte. Wie aber ist die Frage nach einer Provinzialisierung rechts des Rheins zwischen ca. 19 bis 12 v. Chr. und 16/17 n. Chr. zu beantworten? Cassius Dio spricht von unzusammenhängenden Gebieten im rechtsrheinischen Bereich, die von Rom kontrolliert worden seien (Cass. Dio 56,18,1). Diese Aussage kann mit den Militärlagern an der Lippe, aber auch mit dem Befund von Waldgirmes in Verbindung gebracht werden. Cassius Dio’ Aussage, es habe in rechtsrheinischem Gebiet „Städte“ gegeben (Cass. Dio 56,18,2), wird durch den Befund von Waldgirmes eindeutig bestätigt. Die über mindestens 15 Jahre erfolgte Entwicklung von Haltern, das wohl nicht nur ein Militärlager, sondern auch ein administrativer Knotenpunkt an der Lippe gewesen sein dürfte, bestätigt vielleicht die Pluralform πόλεις. Es gab also zivile Anlagen, die, wie der Befund vom Dünsberger oppidum nahelegt, auch von den ansässigen Stämmen angenommen wurden. An Rhein und Lippe sowie besonders an der Lahn wird ein Prozess greifbar, den man mit der Entwicklung im ostgallischen Raum zwischen dem Ende des Gallischen Krieges und der Verlegung der militärischen Einheiten an den Rhein ansatzweise vergleichen kann. Im Treverergebiet folgten auf die militärische Präsenz (Lager auf dem Petrisberg) infrastrukturelle Maßnahmen sowie dann die Anlage der Stadt Augusta Treverorum, die zum Ende indigener Siedlungen, so etwa dem oppidum auf dem Titelberg, führte. Eine gleiche Abfolge ist prinzipiell auch für die römische Präsenz an Lahn und Lippe denkbar. Als infrastrukturelle Maßnahme ist auch ein archäologisch fassbarer Straßenbau an der Lippe anzuführen, der in Haltern, Holsterhausen und Anreppen dokumentiert ist.366
364 365 366
Lehmann 2003, 135. Lehmann 2003, 137 f.; Lebek 1989, 66. Mattern 2008, 137.
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Einzelne Stämme wurden in Freundschaftsverhältnisse aufgenommen und in von Rom bestimmten Gebieten angesiedelt. Dies erfolgte links des Rheins etwa bei den Ubiern oder Batavern, aber auch im rechtsrheinischen Gebiet. Die Umsiedlungsmaßnahmen des Tiberius, aber auch die Ansiedlung der Hermunduren durch Ahenobarbus sind zu nennen. Freundschaftsverhältnisse sind u. a. für Friesen, Cherusker oder Chauken bekannt. Ebenfalls vergleichbar ist das römische Bestreben, die Eliten einzelner Stämme dauerhaft an Rom zu binden. Besonders bei den Cheruskern lässt sich dies anhand der literarischen Quellen gut nachweisen. Der ara Ubiorum kam eine große Bedeutung zu.367 Ebenso wie an der ara Lugdunensis sollten am Altar der Ubier regelmäßige Zusammenkünfte von Stammeseliten etabliert werden, wodurch eine feste politische Bindung an Rom erreicht werden sollte. Dabei waren auch die entfernteren rechtsrheinischen Stämme an der ara Ubiorum vertreten, wie dies durch das Beispiel des Cheruskers Segimundus bezeugt ist (Tac. ann. 1,57,1). Dass dieses Prinzip funktionierte und von Stammeseliten angenommen wurde, zeigt wahrscheinlich auch das in jüngerer Zeit gefundene Altarfragment aus Trier. Wann die ara Ubiorum und die Institution des Provinziallandtages gegründet wurde, ist in den Quellen nicht überliefert. Mit einiger Wahrscheinlichkeit dürfte dies jedoch im Rahmen der Umsiedlungsmaßnahmen des Tiberius und nach der Aufgabe offensiver Bestrebungen um 7 v. Chr. erfolgt sein.368 Der Altar sollte ein Bezugspunkt für alle mit Rom verbundenen Stämme werden, erhielt dann aber in tiberischer Zeit ab 16/17 n. Chr. eher regionalen Einfluss. Die Ubiersiedlung war zweifellos von sehr großer Bedeutung. Nicht selten waren hier auch römische Militäreinheiten stationiert, was neben literarischen Quellen (Tac. ann. 1,39,1) auch durch epigraphische Hinweise dokumentiert wird.369 Bekannt sind auch die Fragmente eines eindrucksvollen Grabmonuments für einen kaiserlichen dispensator, der wahrscheinlich unter Tiberius finanzielle Aufgaben in der Ubiersiedlung wahrgenommen hat.370 Eventuell darf man der Siedlung in augusteischer Zeit einen hybriden Charakter zwischen ziviler Anlage und militärischem Stützpunkt attestieren.371 Das älteste datierbare Bauwerk ist das 4/5 n. Chr. entstandene sog. Ubiermonument, das aber – wie Werner Eck betont – eindeutig ein römischer Bau ist.372 Rom nahm also auch Einfluss auf die Gestaltung der Siedlung, die mehrheitlich von germanischen Ubiern bewohnt worden sein dürfte. Cassius Dios Äußerung, die Germanen würden sich langsam an Märkte und Sitten der Römer gewöhnen (Cass. Dio 56,18,2), oder auch Tacitus’ Ausführung, durch den Bau von Tempeln, Märkten und Häusern könnte man die Barbaren für die römische Herrschaft gewinnen (Tac. Agr. 21), 367 368 369 370 371 372
Grundlegend zur ara Ubiorum vgl. Steenken 2005. Eck 2004, 86–88. LWL-Römermuseum in Haltern am See 2009, 362f., Nr. 7.17. Eck 2004 94 f.; AE 1984, 664; LWL-Römermuseum in Haltern am See 2009, 362, Nr. 7.15. Steenken 2005, 109. Eck 2004, 80–83.
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können mit der Situation in der Ubiersiedlung, aber natürlich auch mit dem Befund von Waldgirmes sehr gut verglichen werden. Auch über die Eingliederung von Stammesmitgliedern als Hilfstruppen in die römische Armee, die etwa für die Räter und Bataver, aber auch für die Cherusker kurze Zeit nach der Eroberung der entsprechenden Gebiete bzw. nach der Ankunft der Römer in der Region nachgewiesen ist, sollte direkte römische Kontrolle, aber auch eine nachhaltige Bindung von Eliten an Rom erreicht werden. Ein Prozess, der sich im linksrheinischen Bereich ebenfalls seit Caesar beobachten lässt. Sehr gut vergleichbar sind auch die Instrumente, mit welchen römische Herrschaft in zivilen Siedlungen symbolisch ausgedrückt werden sollte. Die oben angesprochene Kolossalstatue der Livia aus Trier, die nicht ohne ein Kolossalbildnis des Augustus zu erwarten ist, hat in den fünf Fundamenten für Reiterstandbilder in Waldgirmes in gewisser Hinsicht eine Parallele. In den gleichen Kontext könnte auch ein Fragment eines Augustus-Porträts aus Carrara-Marmor aus der Ubiersiedlung gehören.373 Dieser kurze Vergleich mit der Entwicklung in Gallien, besonders im ostgallischen Raum, zeigt auf, dass an Lippe und Lahn die Anfänge eines Provinzialisierungsprozesses ab dem letzten Jahrzehnt v. Chr. erkennbar sind. Dabei wurden die gleichen Strategien und Instrumente eingesetzt, die auch in Gallien bereits erfolgreich waren. Von daher kann man durchaus sagen, dass es im rechtsrheinischen Gebiet in augusteischer und frühtiberischer Zeit eine im Entstehen befindliche Provinz gegeben hat. Dass dieser Prozess keineswegs abgeschlossen war, verdeutlichen Angaben in den literarischen Quellen, die sich auf die Zeit vor der Varuskatastrophe beziehen. Florus kritisiert Varus, da dieser Gerichtstage abgehalten habe (Flor. epit. 2,30). Allerdings wäre dies in einer normalen römischen Provinz zweifellos eine übliche Aufgabe für einen Statthalter gewesen. Zudem führt Florus aus, dass es schwieriger sei, Provinzen zu halten als sie einzurichten. Sie würden durch die Soldaten erobert, aber nur durch das Recht dauerhaft gehalten (Flor. epit. 2,30). Florus gesteht hier ein, dass Rom lediglich militärisch einige Gebiete sichern, diese aber nicht abschließend politisch-adminstrativ sowie kulturell durchdringen konnte. Bemerkenswert ist ferner, dass Varus vor der Katastrophe offensichtlich durch Gebiete ziehen musste, die den Römern nicht bekannt waren (Cass. Dio 56,19 f.). Dies spricht ebenfalls gegen eine Einrichtung dieses Raumes als Provinz. Außerdem beschreibt Cassius Dio den Stand der Provinzialisierung vor der Varusniederlage: die Germanen passen sich nur allmählich den römischen Sitten an und gewöhnen sich an das Abhalten von Märkten (Cass. Dio 56,18,2). Hier wird deutlich, dass die Einrichtung der Provinz und der damit einhergehende kulturelle Anpassungsprozess erst langsam begonnen haben. Für Velleius Paterculus waren die römischen Gebiete rechts des Rheins im Jahr 373
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7 v. Chr. nur „fast“ eine tributpflichtige Provinz (Vell. 2,97,4) und die verfügbaren Quellen deuten an, dass dies auch im Jahr 9 n. Chr. noch nicht anders war. Die literarischen Quellen korrespondieren mit dem Eindruck, dass sich an Lippe und Lahn eine erste Phase einer Provinzeinrichtung, aber noch keine „fertige“ Provinz archäologisch fasst lässt. Von daher erscheint es folgerichtig, dass auch Augustus in seinem Tatenbericht keine germanische Provinz, sondern nur allgemein Germanien erwähnt. Es drängt sich abschließend aber die Frage auf, warum der Provinzialisierungsprozess abgebrochen wurde? Gewiss war die Varusniederlage ein einschneidendes Ereignis und sie mag vielleicht auch den Wortlaut in den Res Gestae erklären. Ob sie aber auch der entscheidende Grund für den Abbruch der Provinzialisierungsbemühungen war, ist fraglich. Wie die Feldzüge des Germanicus deutlich zeigen, war Rom durch den Verlust von 9 n. Chr. keineswegs dauerhaft geschwächt. Das militärische Potenzial, um im rechtsrheinischen Gebiet weiterhin aktiv zu sein, war zweifellos nach kurzer Zeit wieder vorhanden. Auch die Möglichkeit, Gebiete durch neue Lager zu sichern, wird in den literarischen Quellen ersichtlich (Tac. ann. 2,7). Vermutlich war für den Stopp des Provinzialisierungsprozesses weniger die Varuskatastrophe als vielmehr die politische Taktik des Tiberius ab 14 n. Chr. verantwortlich, der am Rhein und in Germanien immer defensiv orientiert gewesen ist und sich dabei – wie oben ausgeführt – auf die Anweisung des Augustus stützen konnte.
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Die Chatten Armin Becker
Der folgende Beitrag gibt einen Überblick über die wichtigsten neueren archäologischen und althistorischen Forschungsbeiträge zu den Chatten.1 Auf eine zusammenhängende Darstellung der Ereignisgeschichte2 wird weitgehend verzichtet, stattdessen konzentriert sich die Untersuchung auf offene und kontroverse Fragen. Was den archäologischen Forschungsstand anbelangt, so ist zunächst das Forschungsprojekt "Germanisierung Hessens" der Kommission für Archäologische Landesforschung in Hessen zu nennen, das direkt oder indirekt zu einer umfassenden Aufarbeitung der vorhandenen archäologischen Quellen geführt hat.3 Von zentraler Bedeutung sind weiterhin die Arbeiten von Michael Meyer zum Fundplatz Mardorf 23,4 von Mathias Seidel zu den frühen Germanen in Hessen5 und von Jens Schulze-Forster zum Dünsberg.6 Indirekt beeinflussen daneben Forschungen zur römischen Archäologie den gegenwärtigen Kenntnisstand zu den Chatten. Zu nennen sind hier an erster Stelle die Grabungsergebnisse der augusteischen Siedlung von Waldgirmes,7 zum römischen Fundplatz von Hedemünden,8 zu frühen römischen Lagern im Lahntal9 aber auch zu germanischen Fundstellen vor dem Limes.10 Die neu entdeckten Lager bei Wilkenburg11 und Hachelbich12 sowie insbesondere die Befunde vom Harzhorn13 1
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Raetzel-Fabian 2001; Rohde/Schneider 2006; Wolters 2008; Becker 2008–2009. Für den Forschungsstand vor 1992: Becker 1992. Dazu etwa Becker 2015b mit Anm. 4 sowie Eck 2013, Lehmann/Wiegels 2015, Kehne 2017 und Wolters 2017, 211–224. Frey 1994–1995, 5–11; Frey 1995; Frey 1996–1997; 8 f. sowie die entsprechenden Publikationen in den Berichten der Kommission für Archäologische Landesforschung in Hessen. Meyer 2008 mit weiterer Literatur, Meyer 2012–2013. Seidel 2009 mit weiterer Literatur. Schulze Forster 2002; Schulze-Forster 2008–2009; Schulze-Forster 2010; Schulze-Forster 2014–2015. Zum Dünsberg auch Nickel 2008–2009 mit weiterer Literatur. Auch die Befunde der latènezeitlichen Saline von Bad Nauheim (Hansen 2016) und der eisenzeitlichen bis hochmittelalterlichen Siedlung von Fritzlar-Geismar (Thiedmann 2019) sind inzwischen erschienen. Becker/Rasbach 2015. Grote 2012 mit den Rezensionen von von Schnurbein 2014 und Baatz 2014 sowie der Replik von Grote 2014. Schallmayer et al. 2012. Abegg et al. 2011. Haßmann et al. 2016a und Haßmann et al. 2016b. Küßner/Schüler 2014. Berger et al. 2010; Pöppelmann et al. 2013.
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Die Chatten
verdeutlichen die Dynamik dieser Forschungen. Auffallend ist, dass gerade aus dem chattischen Kerngebiet an Schwalm und Eder bisher römische Befunde zu fehlen scheinen, obwohl gerade der Fundplatz Hedemünden und das temporäre Lager bei Wilkenburg diesen Raum als Durchmarschgebiet römischer Heere ausweisen. Das Gefecht am Harzhorn macht dabei deutlich, dass auch im 3. Jahrhundert n. Chr. die römische Fähigkeit zu Vorstößen weit über den Limes hinaus noch vorhanden war14 (Abb. 1).
Abb. 1: Römische Fundplätze der augusteisch-tiberischen Zeit, das temporäre Lager bei Hachelbich und das Harzhorn.
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Die ersten Chatten
Von archäologischer Seite wird die sogenannte "Übergangszeit" zwischen der jüngeren vorrömischen Eisenzeit bzw. der Spätlatènezeit und der älteren römischen Kaiserzeit intensiv diskutiert.15 In einem Teil der Forschung wurden diese Prozesse primär mit kriegerischen Unruhen und Migrationsprozessen 14 15
Becker 2013. Etwa Peschl 1996–1997; Hüssen et al. 2004; Zelle 2008; Meyer 2008; Landesverband Lippe 2009; Salac/Bemmann 2009; Fritz et al. 2009; Schallmayer 2012a, 9–13; Schallmayer 2012b, 189 f. Vgl. Voss 2015.
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verbunden, während ein anderer Teil verstärkt Kontinuitäten betont, wobei durchaus auch vermittelnde Positionen vorkommen.16 Nach M. Meyer enden die zuvor vorhandenen Gesellschafts- und Wirtschaftsstrukturen in dieser Phase und werden in die Subsistenzwirtschaft der römischen Kaiserzeit überführt.17 Für die Übergangszeit in Nordhessen stellt erfest: „Eine Neuansiedlung einer ortsfremden Bevölkerung in Nordhessen ist also anhand der archäologischen Quelle nicht nachzuweisen“.18 Demgegenüber betonen die Schriftquellen die Mobilität der handelnden Gruppen, unter denen Sueben und Sugambrer dominierend erscheinen.19 Dabei berichtet Cassius Dio für die Sueben, dass auch viele Andere Anspruch auf den Namen erheben würden: πολλοὶ γὰρ καὶ ἄλλοι τοῦτῶν Σουήβων ὀνόματος ἀντιποιοῦνται.20 Dios Aussage bedeutet letztlich, dass die Sueben der literarischen Quellen archäologisch keine homogenen Gruppen waren. Damit liegt ein Anknüpfungspunkt zwischen archäologischen und literarischen Quellen vor. Wenn Einheimische und Zuwanderer zusätzlich noch dem gleichen archäologischen Kontext entstammen, dann ist archäologisch eine Trennung kaum möglich. Auch erscheint die politische Organisation eines Stammes mindestens ebenso fragil, wenn nicht noch fragiler als seine sozialen und wirtschaftlichen Strukturen. Die Annahme, dass der Stamm der Chatten bereits zu Beginn der Übergangszeit in Nordhessen siedelte und die folgenden Transformationsprozesse als Stamm unverändert überstanden hätte bedarf m. E. eine deutlich höhere Anzahl an kontinuierlich besiedelten Plätzen als Fritzlar-Geismar, Mardorf 23 und Niederweimar.21 Zudem wäre bei solchen Plätzen nachzuweisen, dass es sich bei einer kontinuierlichen Besiedlung nicht nur um bloße Ortskontinuität handelt, sondern auch um die Kontinuität von Identitäten.22 Gleichzeitig ist offen, wie groß bzw. wie klein ein „Traditionskern“23 sein konnte, gerade wenn er mit Duldung oder vielleicht sogar auf Betreiben der römischen Vormacht in einem neuen Gebiet angesiedelt wurde.
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Nierhaus 1966, 210–212; Becker 1992, 163 f.; Rieckhoff 1995, 192–197; Peschel 1996–1997; Mildenberger 1999, 318; Raetzel-Fabian 2001, 194 f.; Völling 2005, 4 f.; Kneipp/Seidel 2006, 37–40; Meyer 2008, 256–260; Meyer 2012–2013; Seidel 1994 – 1995b, 117–119; 132–146; Seidel 2009, 434–438. Meyer 2008, 256–258; Meyer 2012–2013, 73 f. Meyer 2008, 260. Becker 2015, 225 mit Anm. 1 und Anm. 4. Cass. Dio 51,22,6. Zur Nutzung von Namen vgl. auch den vielumstrittenen Namensatz in der Germania des Tacitus (Germ. 2,3; dazu etwa Flach 1988; Timpe 1993). Meyer 2012–2013, 74 mit Anm. 2. Grundsätzlich dazu etwa Roymans 2004. Vgl. noch Heinrichs 2003 sowie deutlich zurückhaltender Schulze-Forster 2002 und Schulze-Forster 2008–2009. Zur jüngeren Diskussion Wolfram 2008.
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2
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Der Feldzug des Sentius Saturninus 6 n. Chr.
Der Marschweg des Sentius Saturninus, der 6 n. Chr. römische Truppen per Cattos24 in den Feldzug gegen Marbod führte, wird nach wie vor kontrovers diskutiert.25 Meine 1998 publizierte Karte zu den logistischen Voraussetzungen römischer Operationen östlich des Rheins basierte auf der Annahme, dass die römischen Truppen Verpflegung für 15 Tage mit sich führten und der einzelne Legionär zusätzlich eine Notration für drei Tage trug. Bei der Annahme einer maximalen Marschleistung von 20 km pro Tag ergab dies eine Reichweite von 300 km bzw. 150 km wenn auch der Rückmarsch versorgt werden musste.26 Die damalige Karte zeigte Marktbreit im Schnittpunkt zwischen Mainz und Augsburg-Oberhausen (Abb. 2).
Abb. 2: Die logistische Position von Marktbreit zwischen Mainz und Augsburg-Oberhausen.
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Vell. 2,109,5. Becker 1992, 173, Anm. 27; Becker 2015b, 228, Droberjar/Sakar 2000, 22–24; Stuppner 2008, 49–53; Tejral 2008, 69–72; Komoróczy 2008 (zu Musov-Neurissen); Droberjar 2009, 93 f.; Kehne 2009, 59; Fischer 2009, 488 f. Zur Diskussion um die Funktion von Marktbreit Steidl 2004; Steidl 2009a, 479–481; Steidl 2009b, 143–147. Dagegen Fischer 2009, 516. Becker 1998, 42 f.; 49 und Abb. 1. Die Marschleistung von 20 km Luftlinie war als oberer Maximalwert gedacht. Vgl. Becker 2015c.
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Ähnliche Bezüge lassen sich nun auch zwischen Rödgen, Oberaden und Hedemünden zeigen, wobei gleichzeitig deutlich wird, dass Drusus nur in einem sehr eingeschränkten Raum und unter Anspannung seiner logistischen Möglichkeiten die Elbe erreicht haben kann27 (Abb. 3).
Abb. 3: Die Logistik der Drususfeldzüge.
Deutlich wird auch, dass von der Lippe aus durchaus das Rhein-Main Gebiet mit einem Marsch durch Nordhessen erreicht werden kann.28 Problematischer erscheint dagegen unter logistischen Aspekten ein weiteres Vorrücken gegen Marbod von Marktbreit aus. Geht man analog zu dem oben geschilderten Modell von Stützpunkten in Marktbreit und Devin aus und setzt eine Maximalreichweite von 300 km an, so überlagern sich die Reichweiten nur geringfügig im Bereich der Moldau/Vltava29 (Abb. 4).
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Die Karten zeigen, dass ein Operationsradius von 150 km Luftlinie anscheinend realistischer ist als zunächst angenommen. Da eine solche Marschleistung dennoch unwahrscheinlich ist, muss das zugrundeliegende Modell möglicherweise um einen gewissen Anteil des Fouragierens ergänzt werden. Vgl. Becker 1998 sowie Kehne 2008a, 270 f. Becker 1992, 173 f. Interessant ist immerhin die Überschneidung beider Reichweiten an der Donau in der Nähe von Passau.
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Abb. 4: Logistische Probleme des Feldzugs gegen Marbod 6 n. Chr.
Eine solche Vorgehensweise würde voraussetzen, dass der gesamte Feldzug auf einer erneuten Versorgung im Zielgebiet aufbaute. Eine derart riskante Strategie erscheint für den Feldherrn Tiberius, der logistischen Aspekten immer größte Aufmerksamkeit schenkte, äußerst unwahrscheinlich. V. Salac kommt daher bei seiner Untersuchung der möglichen Anmarschrouten zu dem Schluss, dass der wahrscheinlichste Weg wohl ein zusammenführen aller Truppenteile an der Donau war. Von dieser gesicherten logistischen Basis aus wäre dann der Vorstoß gegen Marbod unternommen worden.30
3 Die Chatten und die Varusschlacht Der überwiegende Teil der Forschung nimmt eine Beteiligung der Chatten an der Varusschlacht an. Als Begründung werden der Feldzug des Germanicus 15 n. Chr. sowie die Befreiung von Gefangenen aus der Schalcht 49/50 n. Chr.31 angeführt. Eine direkte Beteiligung des Gesamtstammes an der Erhebung ist 30 31
Salac 2009, 126–134. Vgl. Kehne 2009, 59. Becker 2009.
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jedoch nicht ausdrücklich in den Quellen belegt.32 Die drei Legionsadler wurden bei den Brukteren,33 den Marsern34 und 41 n. Chr. bei den Marusiern35 zurückgewonnen. Die Identifiktation eines germanischen Stammes mit den wohl korrupt überlieferten Marusiern ist unsicher. Eine Gleichsetzung mit den Chatten ist möglich, obwohl die Nennung des Befehlshabers des niedergermanischen Heeres, P. Gabinius, in diesem Zusammenhang eher für einen im Nordwesten oder Norden der Germania siedelnden Stamm spricht.36 Die bedeutendste Trophäe der Schlacht, das Haupt des Varus, wurde an Marbod gesandt. Damit wurden wichtige Beutestücke bei Stämmen wiedergewonnen, deren direkte, ursprüngliche Beteiligung an der Varusschlacht nicht nachgewiesen, sondern gerade aus der Rückgewinnung der Adler erschlossen wird. Gefangene aus der Schlacht fallen in dieselbe Kategorie und dürften aus demselben Grund an die Chatten übergeben worden sein, nämlich um den Gesamtstamm zur Teilnahme an dem Aufstand zu bewegen. Die ursprüngliche Beteiligung einzelner principes, insbesondere des Actumerus und vielleicht auch des Arpus ist dagegen wahrscheinlich.37 Geht man davon aus, dass diese principes und die von ihnen kontrollierten Kriegergruppen38 auch unabhängig vom Gesamtstamm operieren konnten, so könnte dies für die Varusschlacht insgesamt bedeuten, dass die primär Beteiligten vielleicht nicht germanische Stämme, sondern eine Gruppe von verbündeten und zumindest teilweise auch verwandtschaftlich miteinander verbundenen principes waren.39 Erst der Erfolg dieser Gruppe in der Schlacht, symbolisiert durch prestigeträchtige Beutestücke, führte dann zum Beitritt ganzer Stämme. Ein weiteres Argument, das für eine Teilnahme der Chatten an der Varusschlacht aufgeführt wurde, ist der Feldzug des Germanicus 15 n. Chr., 32
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Becker 1992, 182, Anm. 73; Johne 2006, 171; Wolters 2008, 80; Wolters 2017, 122 f.; Bleckmann 2009, 116; Tausend 2009, 23–25; Wiegels 2011; Kehne 2012, 157 Tac. ann. 1,60,3. Tac. ann. 2,25,1. Cass. Dio 60,8,7. Becker 1992, 182; 230 f.; Kehne 2008, 23, Anm. 192; Kehne 2012, 161 f.; Tausend 2009, 32 Becker 1992, 201 f. Mit ähnlicher Argumentation Tausend 2009, 180. Zum umstrittenen Begriff Gefolgschaft etwa Steuer 1992, 203–257; Steuer 2009, 309–318; Wenskus 1992, 311–331; Pohl 2004, 65–72; Timpe 2009, 294–300; Burmeister 2009, 292–402; Tausend 2009, 53–56; Bleckmann 2009, 96–98; Meyer 2012,159; Voß 2015, 58. Die bei Tac. Germ. 31 genannten chattischen Elitekrieger sind archäologisch nach wie vor unsichtbar. Dies gilt nicht nur für Gräber, sondern auch für die zu erwartenden Siedlungsformen, die derartige Berufskrieger ernähren mussten, wie Germ. 31,5 anschaulich belegt. Mattern 2010, 68 f. Obwohl Tausend die Möglichkeit des eigenständigen Agierens von Gefolgschaften sieht, geht er für den Aufstand des Arminius von Stämmen als Handelnden aus (Tausend 2009, 49; vgl. 53–56). Eine Unterscheidung zwischen Gefolgschaft und Stamm ist bei den Cheruskern fassbar, bei denen Arminius die Kooperation des Segestes erzwang (Tac. ann. 1,57–58) und der Übertritt des Inguiomerus (Tac. ann. 2,45) das Kräfteverhältnis zwischen Arminius und Marbod beeinflusste (Kehne 2008b, 20 f.; Kehne 2012, 157; Tausend 2009, 53–56).
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obwohl die von Tacitus tatsächlich genannte Begründung das Rachemotiv gerade nicht erwähnt.40 Die Grabungen von Waldgirmes, insbesondere die fortdauernde Nutzung des Platzes nach Zerschlagung der Statuen,41 machen diesen Raum als Ausgangspunkt für den Germanicusfeldzug wahrscheinlich.42 Die Umwehrungsgräben von Waldgirmes waren zu diesem Zeitpunkt partiell verfüllt und wurden auch nach der Zerschlagung der Statuen nur im Bereich der Tore in Form von kurzen Sohlgräben erneuert.43 Somit stellt sich die Frage, warum die Gräben im Zeitraum zwischen 9 und 15 n. Chr. nicht wenigstens gereinigt und in Stand gesetzt wurden, wenn der Gesamtstamm der Chatten mit zu den ursprünglichen Teilnehmern am Aufstand des Arminius zählte. Umgekehrt erscheint der von Germanicus offensichtlich erfolgreich durchgeführte Überraschungsangriff zumindest erstaunlich, da den Chatten die fortdauernde römische Präsenz im Lahntal wohl kaum sechs Jahre lang verborgen blieb.
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Chatten und Waldgirmes
Die römische Siedlung von Waldgirmes wird während ihrer Existenz in einer Art und Weise ausgebaut, die aus den internen Bedürfnissen der insgesamt wohl doch eher bescheidenen Siedlung heraus nicht zu erklären ist. Das überdimensionierte Forum und die darin aufgestellten Reiterstatuen sind daher als imperialer Herrschaftsanspruch zu werten.44 Als Adressaten dieses Anspruchs kommen angesichts der verkehrstopographischen Verbindungen und der für die Übergangszeit nachgewiesenen Besiedlungsschwerpunkte wohl nur die Wetterau und das Rhein-Main Gebiet45 sowie Nordhessen in Frage, zusätzlich vielleicht auch noch das untere Lahntal.46 Die Chatten stellten in diesem Raum den einzigen bekannten Verband dar, der zu eigenständigem Handeln in der Lage war. Gerade wenn der Stamm bis zur Varusschlacht zu den privilegierten Verbündeten Roms zählte, wäre eine eher indirekte Einflussnahme auf den Raum zwischen den römischen Positionen an der Lippe und an der Lahn zumindest denkbar. jedenfalls ist eine permanente Gegnerschaft der Chatten zu Rom erst seit den Feldzügen des Germanicus fassbar. Wurden diese Vorstöße
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Becker 1992, 195–204; Becker 2008–2009. Becker 2015a, 70–72. Becker 2015a, 75. Becker 2015a, 40–44. Becker/Rasbach 2015. Becker 2008a. Becker 2015b, 229, Anm. 18.
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von den Germanen als überraschende und ungerechtfertigte Überfälle empfunden, so wäre dies sogar nachvollziehbar.47
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Die Chatten vom 1. bis zum 3. Jahrhundert n. Chr.
Auch nach den Germanicusfeldzügen überwogen im 1. Jahrhundert n. Chr. die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Chatten und Römern. Die Maßnahmen Caligulas gegen die Chatten 39 n. Chr. sind auf Grund der völlig verzerrten Darstellung diese Kaisers in den antiken Quellen und der komplexen Verbindung mit der innenpolitischen Verschwörung des M. Aemilius Lepidus und des obergermanischen Statthalters Cn. Cornelius Lentulus Gaetulicus kaum noch zu rekonstruieren.48 Der für den späteren Kaiser Galba zu Beginn der Regierungszeit des Claudius überlieferte Sieg gegen die Chatten dürfte jedenfalls noch mit diesen Maßnahmen zusammenhängen. In Obergermanien wurde spätestens unter Claudius das römische Lager in Hofheim angelegt,49 nur wenige Jahre später wird der Abbau von Silber im Gebiet der Mattiaker erwähnt. Vielleicht auch als Reaktion auf das erneute römische Vorrücken ins Rhein-Main Gebiet ist der chattische Einfall nach Obergermanien 49/50 zu werten. Nimmt man die Auffangstellung der Legionen am mons Taunus im mittleren Lahntal an, so ergeben sich für die Rekonstruktion des Feldzugs neue Perspektiven Der „linke“ Truppenteil könnte dann tatsächlich in chattische Siedlungsgebiete vorgedrungen sein, während der „rechte“ Truppenteil die bereits in die Wetterau vorgedrungenen chattischen Gruppen abgefangen hätte.50 Die Kämpfe während des Bataveraufstandes ermöglichten es den Chatten im Verbund mit den Usipetern und Tencterern schließlich, die römischen Positionen im Rhein-Main Gebiet zumindest für kurze Zeit auszuschalten.51 neben den Kämpfen mit den Römern waren die Chatten jedoch auch in innergermanische Konflikte verwickelt. So spielten sie bei der Vernichtung der Ampsivarier eine Rolle und kämpften nur wenig später mit den Hermunduren. Im archäologischen Material konstatiert M. Meyer zwischen Hessen und Thüringen eine sich mehrmals verschiebende Grenze:
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Zur Kriegführung des Germanicus Becker 2008b, 88 mit Anm. 9; Becker 2008–2009, 51 f.; Becker 2015b, 225 f., Anm. 4; Burmeister/Rottmann 2015; Wolters 2017, 219 f.; Kehne 2010a, 57–59; Kehne 2017. Winterling 2012, 103–115. Burger 2011, 19–21. Becker 2009. Wolters 2008, 89 reduziert die Chatten im Bataveraufstand dagegen zu reinen „Trittbrettfahrern“.
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Die Chatten „In der Übergangszeit wurde der Raum zwischen Rhein und Saale als elbgermanisch bzw. elbgermanisch geprägt gesehen, in der älteren Kaiserzeit als zusammenhängend rheinweser-germanisch, und im Verlauf der jüngeren Kaiserzeit getrennt in rhein-wesergermanisch im Westen und elbgermanisch im Osten (Thüringen und Mainfranken).“52
Einflüsse im archäologischen Material wie etwa in der Keramikverzierung oder beim Grabbrauch sind jedoch nicht zu punktuellen, in Teilen vom Zufall abhängigen mitlitärischen Ereignissen in Relation zu setzen.53 Auffällig ist jedoch, dass die Hermunduren immer wieder in römischem Interesse agierten, was eine längerfristig angelegte diplomatische Beeinflussung dieses Stammes durch Rom nahelegt.54 Offen ist m. E. immer noch das Verhältnis zwischen Chatten und Mattiakern. Die taciteische Formulierung cetera similis Batavis dürfte sich eher auf das rechtliche Verhältnis zu Rom beziehen als auf die gleiche Abstammung.55 Als mögliche Verbindung zu den Chatten bleibt damit nur der Name des nördlich der Adrana/Eder56 gelegenen Mattium, id genti caput.57 Archäologisch wurde ein im 2. Jahrzehnt n. Chr. besiedelter, durch seine Größe, Lage oder Ausstattung herausgehobener Ort in Nordhesssen bisher nicht identifiziert58 und auch die sprachwissenschaftlichen Deutungsversuche erbrachten bisher kein eindeutiges Ergebnis.59 Gerade wenn man M. Meyers Argumentation akzeptiert, dass es sich bei der Übergangszeit vor allem um eine Phase der ökonomischen und strukturellen Neukonsolidierung und Neuorientierung von Bevölkerungsgruppen unter rhein-weser-germanischen Vorzeichen handelte, könnte eine solche Deutung durchaus auch auf die Mattiaker60 des 1. Jahrhunderts n. Chr. zutreffen. Erst Vespasian gelang es, die Lage am Rhein nach dem Bataveraufstand wieder unter Kontrolle zu bringen. Unter diesem Kaiser rückten die Römer erneut in das Rhein-Main Gebiet und die Wetterau vor. Die endgültige Lösung des Konfliktes mit den Chatten, der wohl gerade durch dieses erneute, schrittweise Vorrücken der Römer neue Nahrung erhielt, gelang erst Domitian. Dieser 52
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Meyer 2008, 240. Vgl. Meyer 2008, 260 sowie Peschl 1996–1997, 32 f. und Kehne 2010b, 115– 119. Kritisch für Mainfranken Steidl 2016, 165, Anm. 112. Vgl. Meyer 2008, 260 und Peschl 1996–1997. Becker 2009, 5. Becker 1992, 199, Anm. 63. Förstemann 1913, 9 s. v. Adrana; Rasch 1950, 10; Sperber 1966, 18 f. (mit Nennungen von 778 bis 1718, davon 35 vor dem 16. Jh.); Scheungraber/Grünzweig 2014, 38 f. s. v. ADRAN. Tac. ann. 1,56. Becker 2001b, 443 f. Rübekeil 2002, 63–66; Guth 2008; Scheungraber/Grünzweig 2014, 237 f. s. v. MATTI; 238 f. s. v. MATTIAC. Die dort auf Seite 239 zitierte (Becker 2001b, 444) auf Mattiacum bezogene Lokalisierung nördlich der Eder bezieht sich auf meinen Beitrag Mattium im RGA. Die dort unmittelbar aufeinanderfolgenden Beiträge „Mattiacum“ und „Mattium“ (Becker 2001a und Becker 2001b) wurden offensichtlich miteinander vermischt. Sitzmann/Grünzweig 2008, 207 f. s. v. MATTIAC (germ?)
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führte zwischen 83 und 85 n. Chr. einen Krieg gegen die Chatten, dessen genaue Lokalisierung und Ablauf zwar umstritten sind,61 der im Endergebnis jedoch die römische Beherrschung der Wetterau erbrachte. Dieses Ergebnis wurde auch von den Chatten bis ins 3. Jahrhundert hinein nicht mehr grundlegend in Frage gestellt. In den Kämpfen des 3. Jahrhunderts waren dann nicht mehr die Chatten, sondern neue Stämme die tragenden Kräfte auf germanischer Seite. Die aktuelle Kartierung der germanischen Siedlungen und Gräber jenseits des Limes vom 1. bis ins 3. Jahrhundert zeigt gegenüber älteren Kartierungen eine deutliche Verdichtung rhein-weser-germanischer Fundstellen im Lahntal und im Amöneburger Becken. Gerade die Bewohner dieser Gegenden konnten sich eine feindselige Haltung gegenüber Rom kaum leisten, da sie für römische Gegenschläge jederzeit erreichbar waren. Möglicherweise trugen auch die Erfolge gegen die Cherusker62 im Norden zur Entspannung der Lage bei. Im späten 1. und im 2. Jahrhundert erfolgte die schrittweise Reduzierung der in Obergermanien stationierten Legionen und Alen63 sowie die Vorverlegung der Auxilien direkt an den Limes. Die Anfänge dieses Prozesses werden in der jüngeren Forschung erst in das 1. Jahrzehnt des 2. Jahrhundert n. Chr. datiert64, wobei m. E. nicht ausreichend berücksichtigt wird, dass die strukturellen Rahmenbedingungen, die eine Truppenverlagerung vom Rhein an die Donau erforderten, bereits seit den späten Regierungsjahren Domitans gegeben waren.65 Das 2. Jahrhundert war in Obergermanien eine vergleichsweise ruhige Zeit. Anlass, Ausmaß und Lokalisierung der beiden in den Quellen für die 160er und 170er Jahre genannten Chatteneinfälle werden daher nach wie vor kontrovers diskutiert. Insbesondere die Frage, ob die germanischen Funde im Maingebiet mit den Chatten identifiziert werden können66 und darauf aufbauend die Zuweisung von Zerstörungen im südlichen Abschnitt des obergermanischen Limes lässt sich wohl weder mit den vorliegenden literarischen Quellen noch dem aktuellen archäologischen Forschungsstand zweifelsfrei beantworten.67 So wäre es zwar möglich, anhand der bei Claudios Ptolemaios68 neben den Chatten
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Becker 1992, 265–306; Eck/Pangerl 2003, 210 f.; Christ 2008, 821; Strobel 2010, 79–84; Gering 2012, 251–267. Kehne 2012, 162–166. Dabei betont auch Kehne (2010, 116) mittlerweile das „Problem, archäologische Fundgruppen und literarische Lokalisierungshinweise für germanische Stammesgebiete der frühen und hohen Kaiserzeit zur Deckung zu bringen.“ Vgl. dagegen Kehne 1997, 297 mit Anm. 68. Becker 1992, 306 mit Anm. 4. Dazu der Verweis von Eck 2013, 27, Anm. 56 auf RMD 90 aus dem Jahr 129, wo drei Aalen aufgeführt bzw. zutreffend ergänzt sind. Kortüm 1998, 58; Waldherr 2009, 41; Schallmayer 2012a, 23; Schallmayer 2012b, 194 f. Becker 2011, 94 f.; Gering 2012, 268–275; Strobel 2010, 97. Steidl 2000, 107; Steidl 2016, 164 f. Vgl. auch Steidl 2013. Fleer 2011, 176. Zum Forschungsstand Reichert 2005; Kehne 2010, 119–121 sowie die Replik von Reichert in Scheungraber/Grünzweig 2014, 22–26. Zu den Lokalisierungsversuchen von Kleineberg
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Die Chatten
genannten Stämmen eine Reihe von chattischen Unterstämmen69 anzunehmen. Ob und wenn ja wie diese Gruppen dann noch an den chattischen Kern in Nordhessen gebunden wären und ob eine solche Bindung überhaupt noch eine koordinierte militärische Aktion ermöglichte, erscheint jedoch völlig offen. Die Praefekten der am Limes stationierten Auxilien dürften jedenfalls schon sehr bald wichtigere Autoritäten für jene, nahe am Limes siedelnden Gruppen gewesen sein. An der Nennung der Chatten und damit auch an der Ersterwähnung der Alamannen im Feldzug Caracallas 213 n. Chr. möchte ich festhalten.70 Dimension und Lokalisierung des Feldzugs sind umstritten,71 ein Teil der Forschung reduziert ihn ganz auf ein kurzes Unternehmen in Süddeutschland.72 Dennoch sicherten die Maßnahmen Caracallas die Grenze in der gesamten Germania superior für weitere 20 Jahre. Der germanische Einfall von 233 n. Chr. scheint vor allem das nördliche Obergermanien betroffen zu haben.73 Der nach Norden führende Gegenschlag des Maximinus Thrax belegt, dass die Urheber des Einfalls aus den Gebieten an Elbe und Saale stammten. Das Heer, welches den Einfall durchführte, muss dabei nicht nur das chattische Kerngebiet an Schwalm und Eder passiert haben sondern auch die germanische Besiedlung im Gießener Becken.74 Die dem Einfall zuweisbaren Zerstörungen belegen seinen beträchtlichen Erfolg. Dafür müssen zwei Erklärungsmöglichkeiten in Betracht gezogen werden. Es wäre möglich, dass die römischen Beziehungen zu den benachbarten Germanen im ersten Drittel des 3. Jahrhundert bereits so angespannt waren, dass eine Warnung der römischen Autoritäten vor dem bevorstehenden Einfall komplett unterblieb. Oder eine solche Warnung ist erfolgt und wurde auf römischer Seite ignoriert, etwa weil die politischen Schwerpunkte des Severus Alexander bzw. seiner Berater zu diesem Zeitpunkt im Osten lagen.
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et al. 2010 vgl. die Rezension von Papay 2011 sowie Reichert in Scheungraber/Grünzweig 2014, 20 f. Niemeyer 1954–1955, 30–39. Becker 1992, 325–327. Zur weiteren Kontroverse Bleckmann 2002, 147–151; Rübekeil 2002, 53–56; Rübekeil 2004, 116, Anm. 8; 138 f.; Johne 2006, 257–259 und Castritius/Springer 2008 und Bleckmann/Groß 2016, 55–57. Dabei erscheint mir ein Bezug der Κέννοι Dios bzw. des Xiphilinos (77,14,1–2) auf die Chatten (vgl. Rübekeil 2002, 54 f.) wahrscheinlicher als auf die Alamannen (Bleckmann 2002, 148; gefolgt von Drinkwater 2007, 51). Nuber/Seitz 2009, 317–321; Planck 2014, 83. Hensen 1994, 249; Drinkwater 2007, 50 f.; Bleckmann 2009, 172; Witschel 2011, 24; Bender 2013. Vgl. dagegen Becker 1992, 322–330; Johne 2006, 256 f.; Handy 2009, 82–87; Callies 2011. Biegert/Steidl 2011, 278 f.; Witschel 2011, 25–29; Reuter 2012, 307–311. Vgl. Handy 2009, 94–97. Becker 1992, 332 f.; Callies 2011, 28–32; Wiegels 2014, 133, Anm. 151.
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Chatten und Hessen
An den folgenden Kämpfen des 3. Jahrhunderts nahmen die Chatten nicht mehr sichtbar teil.75 Nordhessen blieb jedoch weiherhin besiedelt, wobei zu diskutieren wäre, ob die Bewohner dieses Raums nicht stärker an der Stammesbildung der Alamannen beteiligt waren als bisher angenommen.76 Die verbliebene Restbevölkerung scheint ohne größere Widerstände im Frankenreich aufgegangen zu sein. Für die meist angenommene Identität von Chatten und Hessen bieten die archäologischen Quellen mit ihren Hinweisen auf die Besiedlungskontinuität von Plätzen bis ins Frühmittelalter77 bessere Argumente als die teilweise stark divergierenden Aussagen der Sprachwissenschaften.78
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Vorbemerkung zu den Karten Die Karten (Abb. 5–7) tragen den Fortschritten im Publikationsstand Rechnung, die seit meinen eigenen Kartierungen 1992 erzielt worden sind. Die dort79 aufgeführten Verweise auf die ältere Literatur, insbesondere auf die Arbeiten von O. Uenze80 und G. Mildenberger81 werden nicht mehr wiederholt. Auf eine Kartierung der spätlatènezeitlichen Siedlungen82 wurde verzichtet83, die Zuweisung der Funde zur Übergangszeit bzw. zur römischen Kaiserzeit wurde teilweise gegenüber 1992 geändert. Maßgebend für diese Entscheidung war das Ende der römischen Siedlung von Waldgirmes 9/16 n. Chr. sowie der bald darauf erfolgende Beginn der dortigen Gräber in der Stufe Eggers B1.84 Grundsätzlich
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Becker 1992, 54–82. Uenze 1962. Mildenberger 1972 Dazu etwa Meyer 2008 und Meyer 2012 – 2013; Schulze-Forster 2014 – 2015; Eisenach 2009– 2010 sowie für die Eisenzeit Zeiler 2008–2009. Auf eine Abtrennung unsicherer Datierungen bzw. Zuweisungen wird angesichts der Tatsache das der größte Teil der Fundstellen nach wie vor auf Lesefunde zurückzuführen ist ebenfalls verzichtet. Wenn eine sichere Unterscheidung zwischen Übergangszeit und Kaiserzeit nicht möglich war, kann ein Platz auch in beiden Karten aufgeführt sein.
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folgt die Einteilung damit den von Seidel 1992–1993 publizierten Karten.85 Als Referenz wird der Katalog von Seidel 1994–1995a zitiert, ergänzt durch seine Zusammenstellung für die frühe Kaiserzeit (Seidel 2009). Bei Bedarf wird zudem auf die Zusammenstellungen von Meyer 1998 und Meyer 2008 (Liste 11) zurückgegriffen. Für das Lahntal sei auf die Arbeit von Abegg et al.86 verwiesen. Dort findet sich auch die jüngste Zusammenstellung der Münzfunde durch H. Schubert.87 Ergänzend wurden FH 21 (1991); FH 26 (1998); FH 36 (2001); FH 41 (2006) herangezogen. Bei der Benennung der Fundorte werden die heute gültigen Ortsnamen verwendet. Die Kartierung beschränkt sich auf germanische Funde außerhalb des Imperium Romanum, da die Einbeziehung der Wetterau und des späteren Limesgebiets eine andere chronologische Aufteilung der Fundstellen erfordert.88 Eine Aufteilung der Fundstellen89 über Ortsteile hinaus erfolgt unter Rücksicht auf den Kartenmaßstab nicht. (Zum Fundplatz Schauenburg-Hoof, Kr. Kassel, Seidel 1994–1995a, 29, Nr. 48; vgl. FH 41 (2006), 433 f.) 1. Alsfeld, Vogelsbergkreis (Meyer 1998, 113; Seidel 1994–1995a, 33, Nr. 136; Seidel 2009, 439, Nr. 37; FH 26 (1998), 343). 2. Amöneburg, Kr. Marburg-Biedenkopf (Becker 1992, 58; Seidel 1994–1995a, 26, Nr. 2 und 3; Seidel 2009, 439, Nr. 25 und 38; Eisenach 2010, 143–152). 3. Amöneburg-Mardorf, Kr. Marburg-Biedenkopf (Seidel 1994–1995a, 26 f., Nr. 4–6; 8–12; vgl. auch Meyer 1998, 118 f., Nr. 77–78; 80–84). 4. Amöneburg-Mardorf, Kr. Marburg-Biedenkopf (= Mardorf 23, Meyer 2008; Meyer 1992–1993, Nr. 10; Meyer 1998, 118, Nr. 79; Seidel 1994–1995a, Nr. 7; Seidel 2009, 440, Nr. 76). 5. Amöneburg-Rüdigheim, Kr. Marburg-Biedenkopf (Becker 1992, 66; Seidel 1994–1995a, 27, Nr. 13; Seidel 2009, 438, Nr. 19). 6. Bad Sooden-Allendorf, Werra-Meißner-Kreis (Becker 1992, 68; Seidel 1994– 1995a, 29, Nr. 54). 7. Bad Wildungen, Kr. Waldeck-Frankenberg (Seidel 1994–1995a, 27, Nr. 21). 8. Baunatal-Altenbauna, Kr. Kassel (Becker 1992, 62; 64; Seidel 1994–1995a, 28, Nr. 29 (versehentlich Altenritte); Seidel 2009, 438, Nr. 1). 9. Baunatal-Großenritte, Kr. Kassel (Seidel 1994–1995a, 28, Nr. 30). 10. Bebra-Solz, Kr. Hersfeld-Rotenburg (Seidel 1994–1995a, 33, Nr. 133; Seidel 2009, 440, Nr. 93). 85
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Seidel 1992–1993, 125, Abb. 10. Vgl. auch die von Seidel/Soares da Silva 1997–1998, 282 f. publizierte Liste mit Karte. Abegg et al. 2011. Schubert 2011 Vgl. Seidel 1994–1995b,138, Abb. 22; Seidel 2009, 429, Abb. 1 und Steidl 2000, 123, Abb. 17 sowie Böhme 2012–2013a. Der Glauberg wurde kartiert aber nicht in die Liste der Fundplätze aufgenommen (Vgl. Böhme 2012–2013b). Hierfür sei auf die jeweiligen Referenzen verwiesen.
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11. Beselich-Niedertiefenbach, Kr. Limburg-Weilburg (FH 36 (2001), 296). 12. Biebertal-Fellinghausen (Dünsberg), Kr. Gießen (Becker 1992, 60f.; 64; Seidel 2009, 439, Nr. 28; Rittershofer 2004, 7–36; Nickel 2010, 173–188; Böhme 2012– 2013, 92–97; Schulze-Forster 2014–2015). 13. Borken-Arnsbach, Schwalm-Eder-Kreis (Becker 1992, 71; Seidel 1994–1995a, 30, Nr. 68). 14. Borken-Gombeth, Schwalm-Eder-Kreis (Becker 1992, 63; Seidel 1994–1995a, 440, Nr. 69; Seidel 2009, 440, Nr. 66). 15. Borken-Haarhausen, Schwalm-Eder-Kreis (Becker 1992; Seidel 1994–1995a, 30, Nr. 70). 16. Borken-Singlis, Schwalm-Eder-Kreis (Becker 1992, 64 f.; Seidel 1994–1995a, 30, Nr. 71; Seidel 2009, 438, Nr. 22). 17. Braunfels, Lahn-Dill-Kreis (Janke 1978, 8). 18. Butzbach-Kirch-Göns, Kr. Gießen (Schunk-Larrabee/Schunk 2001, 118 f.; FH 41 (2006), 298). 19. Calden, Kr. Kassel (Becker 1992, 71 f.; Seidel 1994–1995a, 28, Nr. 32). 20. Ebsdorfergrund-Ebsdorf, Kreis Marburg-Biedenkopf (Seidel 1994–1995a, 27, Nr. 16). 21. Ebsdorfergrund-Wittelsberg, Kreis Marburg-Biedenkopf (Becker 1992, 67, Anm. 84; Seidel 1994–1995a, 27, Nr. 17–19). 22. Edermünde-Besse, Schwalm-Eder-Kreis (Becker 1992, 63 f.; Seidel 1994– 1995a, 30, Nr. 72; Seidel 2009, 439, Nr. 46). 23. Edermünde-Holzhausen, Schwalm-Eder-Kreis (Becker 1992, 61; 63 f.; 73 = Seidel 1994–1995a, 30, Nr. 75; Seidel 2009, 438, Nr. 13; Seidel 1994–1995a, 30, Nr. 73). 24. Edertal-Bergheim, Kreis Waldeck-Frankenberg (Seidel 1994–1995a, 27, Nr. 22; Seidel 2009, 439, Nr. 45). 25. Edertal-Wellen, Kreis Waldeck-Frankenberg (Becker 1992, 63; 65; Seidel 1994–1995a, 27, Nr. 24; Seidel 2009, 440, Nr. 97). 26. Elz, Kr. Limburg-Weilburg (FH 41 (2006), 300). 27. Emstal-Sand, Kr. Kassel (Becker 1992, 66 [irrtümlich unter Ehlen]; Seidel 1994–1995, 28, Nr. 31). 28. Eschwege, Werra-Meißner-Kreis (Becker 1992, 72; Seidel 1994–1995, 29, Nr. 55; FH 41, (2006), 300). 29. Eschwege-Eltmannshausen, Werra-Meißner-Kreis (FH 31 (1999), 287). 30. Eschwege-Niederdünzebach, Werra-Meißner-Kreis (Seidel 1994–1995a, 29, Nr. 56). 31. Eschwege-Niederhone, Werra-Meißner-Kreis (Becker 1992, 60, 67, Anm. 85; Seidel 1994–1995a, 29, Nr. 57–59; Seidel 2009, 440, Nr. 81). 32. Eschwege-Oberhone, Werra-Meisner-Kreis (Becker 1992, 74; Seidel 1994– 1995a, 29, Nr. 60). 33. Felsberg-Beuern, Schwalm-Eder-Kreis (Seidel 1994–1995, 30, Nr. 76).
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34. Felsberg-Gensungen, Schwalm-Eder-Kreis (Becker 1992, 68 = Seidel 1994– 1995a, 30, Nr. 79; Seidel 1994–1995a, 30 f., Nr. 77–84; Seidel 2009, 439, Nr. 60– 63). 35. Felsberg-Neuenbrunslar, Schwalm-Eder-Kreis (Seidel 1994–1995a, 31, Nr. 85). 36. Felsberg-Rhünda, Schwalm-Eder-Kreis (Ebner 1997–1998, 232–235; Seidel 1994–1995a, 31, Nr. 86–88; Seidel 2000; Seidel 2009, 440, Nr. 86–89). 37. Felsberg-Wolfershausen, Schwalm-Eder-Kreis (Meyer 1998, 122, Nr. 127). 38. Fernwald-Annerod, Kr. Gießen (FH 26 (1998), 375). 39. Fritzlar, Schwalm-Eder-Kreis (Seidel 1994–1995a, 31, Nr.93). 40. Fritzlar-Geismar, Schwalm-Eder-Kreis (Becker 1992, 56f.; 63 f.; Seidel 1994– 1995, 31, Nr. 94; Thiedmann 1998–1999; Thiedmann 2000; Seidel 2009, 439, Nr. 59). 41. Fritzlar-Haddamar, Schwalm-Eder-Kreis (Becker 1992, 73; Seidel 1994– 1995a, 32, Nr. 95–96). 42. Fritzlar-Ungedanken (Büraberg), Schwalm-Eder Kreis (Becker 1992, 67; Seidel 1994–1995a, 31, Nr. 98; Seidel 2009, 439, Nr. 36). 43. Fritzlar-Wehren, Schwalm-Eder-Kreis (Meyer 1998, 113, Nr. 42). 44. Fritzlar-Werkel, Schwalm-Eder-Kreis (Becker 1992, 75; 78 f.; Seidel 1994– 1995a, 31, Nr. 99–101; Meyer 1998, 121, Nr. 115; Meyer 2008, 296). 45. Fritzlar-Züschen, Schwalm-Eder-Kreis (Becker 1992, 75; 78; Seidel 1994– 1995a, 31, Nr. 102). 46. Fulda, Kr. Fulda (Becker 1992, 72; Meyer 1998, 115, Nr. 30–32; Seidel 2009, 439, Nr. 57; Teichner 2000; FH 36 (2001), 306). 47. Fuldatal-Ihringshausen, Kr. Kassel (Becker 1992, 71; Seidel 1994–1995a, 28, Nr. 33; Seidel 2009, Nr. 71). 48. Fuldatal-Rothwesten, Kr. Kassel (Becker 1992, 71; Seidel 1994–1995a, 28, Nr. 34; Seidel 2009, 440, Nr. 85). 49. Fuldatal-Simmershausen, Kr. Kassel (Becker 1992, 71; Seidel 1994–1995a, 28, Nr. 35 und 36; Seidel 2009, 440, Nr. 92). 50. Gießen, Kr. Gießen (Teichner 1998, 235–238; Adler 2004, 5–60). 51. Gießen-Kleinlinden, Kr. Gießen (Becker 1992, 75 f.; Meyer 1998, 118, Nr. 67). 52. Gießen-Lützellinden, Kr. Gießen (Beckmann 1989, 316). 53. Großenlüder-Lütterz, Kr. Fulda (Becker 1992, 68; Meyer 1998, 118, Nr. 72). 54. Guxhagen-Grebenau, Schwalm-Eder-Kreis (Becker 1992, 71; Seidel 1994– 1995a, 32, Nr. 120). 55. Gudensberg, Schwalm-Eder-Kreis, (Becker 1992, 73; Seidel 1994–1995a, 32, Nr. 108; Nr. 110–113). 56. Gudensberg-Dissen, Schwalm-Eder-Kreis (Becker 1992, 72; Seidel 1994– 1995a, 32, Nr. 103–106). 57. Gudensberg-Gleichen, Schwalm-Eder-Kreis (Becker 1992, 72 f.; Seidel 1994– 1995a, 32, Nr. 107).
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58. Gudensberg-Maden, Schwalm-Eder-Kreis (Becker 1992, 73 f.; 78; Seidel 1994– 1995a, 32, Nr. 114–118). 59. Gudensberg-Obervorschütz, Schwalm-Eder-Kreis (Becker 1992, 74; 78 f.; Seidel 1994–1995a, 32, Nr. 119). 60. Hadamar-Niederhadamar, Kr. Limburg-Weilburg (Seidel 1996–1997, 94, Nr. 15; FH 26 (1998), 394; FH 36 (2001), 311 f.; FH 41 (2006), 311). 61. Hatzfeld-Lindenhof, Kreis Waldeck-Frankenberg (Becker 1992, 62; Seidel 1994–1995a, 27 f., Nr. 25; Seidel 2009, 438, Nr. 10). 62. Herborn-Sinn, Lahn-Dill-Kreis (Meyer 1998, 120, Nr. 105). 63. Heringen, Kr. Hersfeld-Rotenburg (Becker 1992, 67; Meyer 1998, 117, Nr. 53). 64. Herleshausen-Wommen, Werra-Meißner-Kreis (Seidel 1994–1994, 29, Nr. 61; Seidel 2009, 440, Nr. 100). 65. Heuchelheim, Kr. Gießen (Becker 1992, 75 f.; Meyer 1998, 117, Nr. 54). 66. Hofgeismar, Kr. Kassel (Becker 1992, 71 = Seidel 1994–1995a, 28, Nr. 37 sowie Seidel 1994–1995a, 28, Nr. 38 und 40). 67. Hofgeismar-Carlsdorf, Kr. Kassel (FH 41 (2006), 314). 68. Hofgeismar-Hümme, Kr. Kassel (Becker 1992, 62; 64 = Seidel 1994–1995a, 28, Nr. 41; Seidel 2009, 438, Nr. 14; Seidel 1994–1995a, 28, Nr. 42). 69. Hofgeismar-Kelze, Kr. Kassel (Seidel 1994–1995a, 28, Nr. 43). 70. Hofgeismar-Schöneberg, Kr. Kassel (Becker 1992, 71 = Seidel 1994–1995a, 28, Nr. 39). 71. Homberg (Efze)-Berge, Schwalm-Eder-Kreis (Becker 1992, 71; Seidel 1994– 1995a, 32, Nr. 121). 72. Homberg (Efze)-Mardorf, Schwalm-Eder-Kreis (Becker 1992, 71; Seidel 1994– 1995a, 32, Nr. 122). 73. Hünfeld-Mackenzell, Kr. Fulda (Müller et al. 2000–2001; FH 36 (2001), 315). 74. Immenhausen, Kr. Kassel (Seidel 1994–1995a, 29, Nr. 44). 75. Kassel-Oberzwehren, Kr. Kassel (Seidel 1994–1995a, 29, Nr. 52). 76. Kassel-Wehlheiden, Kr. Kassel (Becker 1992, 75; Seidel 1994–1995a, 29, Nr. 53). 77. Kirchhain-Betziesdorf, Kr. Marburg-Biedenkopf (Seidel 1994–1995a, 27, Nr. 20). 78. Lahnau-Atzbach, Lahn-Dill-Kreis (Abegg et al. 2011, 239–244). 79. Lahnau-Waldgirmes, Lahn-Dill-Kreis (Becker 1992, 75 f.; Rasbach 2015; FH 41 (2006), 317). 80. Laubach-Wetterfeld, Kr. Gießen (FH 36 (2001), 321). 81. Lenderscheid-Verna, Schwalm-Eder-Kreis (Seidel 1994–1995a, 33, Nr. 123; Seidel 2009, 440, Nr. 95). 82. Liebenau, Kr. Kassel (Seidel 1994–1995a, 29, Nr. 46). 83. Liebenau-Haueda, Kr. Kassel (Becker 1992, 59; Seidel 1994–1995, 29, Nr. 45; Seidel 2009, 438, Nr. 11). 84. Lichtenfels-Goddelsheim, Kr. Waldeck-Frankenberg (Becker 1992, 65; Seidel 1994–1995a, 28, Nr. 26; Seidel 2009, 438, Nr. 8).
148 85. 86. 87. 88.
Die Chatten
Limburg-Dietkirchen, Kr. Limburg-Weilburg (Meyer 1998, 114, Nr. 18). Linden-Großenlinden, Kr. Gießen (Beckmann 1989, 316). Linden-Leihgestern, Kr. Gießen (Beckmann 1989, 316). Lohra-Altenvers, Kr. Marburg-Biedenkopf (Söder 1998–1999; FH 41 (2006), 317 f.). 89. Marburg-Schröck, Kr. Marburg-Biedenkopf (Becker 1992, 62 f., A. 45; Seidel 2009, 438, Nr. 21; Seidel 1994–1995a, 27, Nr. 14–15 [irrtümlich unter Amöneburg]). 90. Meinhard-Grebendorf, Werra-Meißner-Kreis (Meyer 1998, 116, Nr. 42). 91. Meinhard-Jestädt, Werra-Meißner-Kreis (FH 31 (1999), 322). 92. Meinhard-Schwebda, Werra-Meißner-Kreis (Seidel 1994–1995a, 29, Nr. 62; Seidel 2009, 440, Nr. 91). 93. Naumburg-Altendorf, Kr. Kassel (Becker 1992, 71; Seidel 1994–1995a, 29, Nr. 47). 94. Neukirchen-Riebelsdorf, Schwalm-Eder-Kreis (Seidel 1994–1995a, 33, Nr. 125). 95. Niedenstein (Altenburg), Schwalm-Eder-Kreis (Seidel 1994–1995a, 33, Nr. 28; Seidel 2009, 439, Nr. 33). 96. Niedenstein-Kirchberg, Schwalm-Eder-Kreis (Becker 1992, 75; Seidel 1994– 1995a, 33, Nr. 126). 97. Niedenstein-Metze, Schwalm-Eder-Kreis (Seidel 1994–1995a, 33, Nr. 127). 98. Runkel-Ennerich, Kr. Limburg-Weilburg (Seidel 1996–1997, 95, Nr. 20; Nickel 1998–1999; FH 41 (2006), 329 f.). 99. Schenklengsfeld-Unterweisenborn, Kr. Hersfeld-Rotenburg (Becker 1992, 68; 71; Seidel 1994 – 1995a, 33, Nr. 134). 100. Schwalmstadt-Ziegenhain, Schwalm-Eder-Kreis (Seidel 1994–1995a, 33, Nr. 129; Seidel 2009, 440, Nr. 101). 101. Selters (Taunus)-Niederselters, Kr. Limburg-Weilburg (Seidel 1996–1997, 95, Nr. 22; FH 36 (2001), 342). 102. Solms-Burgsolms, Lahn-Dill-Kreis (Janke 1978, 7 f.). 103. Trendelburg-Eberschütz, Kr. Kassel (Becker 1992, 67; Seidel 1994–1995a, 29, Nr. 49). 104. Usingen, Hochtaunuskreis (FH 21 (1992),176; FH 41 (2006), 335; Schallmayer/Fischer 2002). 105. Usingen-Kransberg, Hochtaunuskreis (Steidl 2000, 279 f.; FH 31 (1999), 357). 106. Vellmar-Niedervellmar, Kr. Kassel (Becker 1992, 62; 64 f.; Seidel 1994–1995a, Nr. 50; Seidel 2009, 438, Nr. 17). 107. Volkmarsen-Külte, Kr. Waldeck-Frankenberg (Becker 1992, 73; 78; Seidel 1994–1995a, 28, Nr. 27). 108. Wabern-Harle, Schwalm-Eder-Kreis (Seidel 1994–1995a, 33, Nr. 130 und 131; Seidel 2009, 440, Nr. 67 und 68). 109. Waldeck-Netze, Kreis Waldeck-Frankenberg (Seidel 1994–1995a, 28, Nr. 28; Seidel 2009, 440, Nr. 79).
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110. Wanfried-Aue, Werra-Meißner-Kreis (Becker 1992, 67; Seidel 1994–1995a, 30, Nr. 63–66; Striewe 1996–1997; Seidel 2009, 439, Nr. 39–41). 111. Wehretal-Reichensachsen, Werra-Meißner-Kreis (FH 36 (2001), 346). 112. Weimar-Niederweimar, Kreis Marburg-Biedenkopf (Fiedler et al. 2002; Seidel 2009, 440, Nr. 82; Thiedmann 2012, 225, Anm. 9). 113. Wettenberg-Krofdorf-Gleiberg, Kr. Gießen (Abegg et al. 2011, 201–219). 114. Wettenberg-Wißmar, Kr. Gießen (Becker 1992, 75, Anm. 143; Meyer 1998, 121, Nr. 121). 115. Wetzlar, Lahn-Dill-Kreis (Becker 1992, 75 f.; vgl Meyer 1998, 121, Nr. 116– 120). 116. Wetzlar-Dahlheim, Lahn-Dill-Kreis, Siedlung, Grab, Kaiserzeit (Teichner 1998, 239 f.; Schäfer 2005, 263–266; Schäfer 2007, 231–237; Abegg et al. 2011, 221–231; 238). 117. Wetzlar-Dutenhofen, Lahn-Dill-Kreis, Kaiserzeit (Becker 1992, 75 f.; Meyer 1998, 115, Nr. 23). 118. Wetzlar-Garbenheim, Lahn-Dill-Kreis, Kaiserzeitgräger (Becker 1992, 75 f.; Teichner 1998, 227–230). 119. Wetzlar-Naunheim, Lahn-Dill-Kreis, Kaiserzeit (Teichner 1998, 230–235; Abegg et al. 2011, 57–199). 120. Wildeck-Richelsdorf, Kreis Hersfeld-Rotenburg (Becker 1992, 75; Seidel 1994–1995a, 33, Nr. 135). 121. Willingshausen-Leimbach, Schwalm-Eder-Kreis (Seidel 1994–1995a, 33, Nr. 132; Söder 1996–1997; Seidel 2009, 440, Nr. 99). 122. Witzenhausen-Unterrieden, Werra-Meißner-Kreis (Becker 1992, 67; Seidel 1994–1995a, 30, Nr. 67; Seidel 2009, 440, Nr. 94). 123. Wolfhagen, Kr. Kassel, (Seidel 1994–1995a, 29, Nr. 51. In FH 36 (2001), 353 werden die Funde dem Fundplatz Edermünde-Besse zugewiesen. Der Fundplatz Wolfhagen wurde daher nicht mehr kartiert.
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Die Chatten
Abb. 5: Germanische Fundstellen der Übergangszeit in Nord- und Mittelhessen.
Abb. 6: Germanische Fundstellen des 1.-3. Jahrhunderts in Hessen außerhalb des Limes.
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Abb. 7: Germanische Fundstellen des 4. und 5. Jahrhunderts in Nord- und Mittelhessen.
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Haltern und Germanicus Stephan Berke
1
Prolog
Mit der Abberufung des Germanicus von seinem Germanienkommando im Winter des Jahres 16 n. Chr. durch den Kaiser Tiberius,1 fand der fast dreißigjährige Versuch Roms, das Gebiet zwischen Rhein und Elbe nicht nur unter Kontrolle zu bekommen, sondern dauerhaft in das Imperium einzugliedern,2 ein 1
2
Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen erweiterten und aktualisierten Vortrag mit dem Titel „Haltern und Germanicus“, den der Verf. am 5.11.2015 im Rahmen einer Vortragsreihe mit dem Titel „2 000 Jahre Germanicus“ in Kassel gehalten hat. Zur Abberufung des Germanicus siehe Timpe 1971; Lehmann 1989, 227–230; Lehmann 1991; Lehmann 1995; Kehne 1998, 444–445; Wolters 2006; Burmeister 2015; Kehne 2017. Jetzt, mit einer umfangreichen und fundamentalen Kritik an der Darstellung der Ereignisse in den Jahren 14 bis 16/17 n. Chr. durch Tacitus und seinem Wert als Quelle, Kehne 2018. P. Kehne stellt in diesem Beitrag grundsätzlich den Wert der Annalen des Tacitus als Quelle in Frage. Sh. auch den Beitrag von P. Kehne in diesem Band. Da in dem hier vorliegenden Beitrag häufiger auf die Annalen des Tacitus zurückgegriffen wird, sei an dieser Stelle ein Hinweis gestattet, um als Verf. nicht unversehens in einer der „schlechteren Kategorien“ der Systematisierung von P. Kehne 2018, 43–45 zu landen: Dem Verf. ist der problematische Charakter der Quelle bewusst. Gerade auch bei dem Inhalt der Reden, die Tacitus einzelnen Persönlichkeiten in den Mund legt, ist Vorsicht geboten. Auch nach der Meinung des Verf. handelt es sich bei diesen konstruierten Reden um einen literarischen Kunstgriff, um Ereignisse, Meinungen und Überzeugungen kompiliert an den (römischen) Leser zu bringen. Bei aller Vorsicht muss aber betont werden, dass die Annalen des Tacitus häufig die einzige verfügbare Quelle für die Ereignisse sind und daher herangezogen werden können, solange sie nicht durch andere Quellen oder Befunde widerlegt sind. Methodisch kann dabei nicht so verfahren werden, dass der einzelne Bearbeiter nur das in einer Quelle als richtig akzeptiert, was zu seiner Überzeugung passt und das andere in den Bereich der Fama verweist. Ein lehrreiches Beispiel dafür ist der Beitrag von Rost – Wilbers-Rost 2018. In dem hier vorliegenden Beitrag wurde die übersetzte Ausgabe der Annalen des Tacitus von E. Heller 1997 benutzt. Zur Kontrolle des lateinischen Textes und seiner Übersetzung wurden die folgenden textkritischen Ausgaben herangezogen: Fisher 1973 und Koestermann 1965. Ob es eine ausgefeilte Planung zur Eroberung der westlichen Hälfte der Germania bis zur Elbe gab, wie einst Th. Mommsen vermutete, oder nicht, wird sich ohne neue Quellenfunde wohl niemals sicher belegen lassen. Zu der Kontroverse in der Forschung siehe u. a. Deininger 2000, 757–771; Timpe 2008; Wolters 2009, 48–52; Hanel 2015; Burmeister – Kaestner 2018, 96–98. Lehmann 1989, 218 geht davon aus, dass schon im Jahre 12 v. Chr. die fossa Drusiana existierten, die den Rhein mit dem Wattenmeer an der
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Haltern und Germanicus
Ende. Damit stimmten die stolzen Worte des Augustus in seinem Tatenbericht, der uns auf dem Monumentum Ancyranum überliefert worden ist: „Die Provinzen Gallien und Spanien, ebenso Germanien wo dieses vom Weltmeer umrahmt wird, also das ganze Gebiet von Gades [Spanien, Cadiz] bis zur Mündung der Elbe habe ich botmäßig und friedfertig gemacht“, was Germanien anging, nicht mehr.3 Zwar billigte Tiberius seinem Stiefsohn und Thronfolger Germanicus4 einen Triumphzug zu, in dem dessen Erfolge: Die völlige Niederwerfung der Cherusker, Chatten, Angrivarier und anderer Volksstämme vor der Öffentlichkeit gefeiert wurden und Beutestücke, Gefangene und Nachbildungen der Berge, Flüsse und Schlachten dem Publikum am 26. Mai 17 n. Chr. präsentiert wurden.5 Auch gegenüber den beteiligten militärischen Mannschaften wurde der Erfolg propagandistisch betont.
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niederländisch-friesischen Küste verbanden. Wolters 2009, 39 mit Anm. 6 schloss sich dieser Ansicht ebenso an, wie Burmeister – Kaestner 2018, 98. Dagegen jedoch Kehne 2002, 307; Kehne 2018, 51 mit Anm. 115. Sollte die Vermutung Lehmanns zutreffen, würde dies für eine längerfristige Planung der Eroberungszüge des älteren Drusus sprechen. Bei Cassius Dio 54,32,2 wird für das Jahr 12 v. Chr. jedoch nicht explizit davon gesprochen, dass Drusus die Kanäle bei seiner Fahrt in das Chaukenland benutzt hat und sie damit schon fertig waren. Die Einschätzung von Burmeister – Kaestner 2018, 98: „Diese Operation setzt die Errichtung der fossa Drusiana sowie den Bau einer Flotte voraus, wird also von langer Hand geplant gewesen sein. Hier zeichnet sich eine neue operative Qualität in Germanien ab.“ wird man nicht teilen können. Richtig ist natürlich, dass zuvor die Flotte gebaut werden musste. Doch die Existenz des Kanals war für die Durchführung der Fahrt nicht notwendig. Vielleicht ist erst bei der Planung und Durchführung der Operation die Notwendigkeit zur Anlage der fossa Drusiana durch das römische Militär erkannt worden. Zu diesem Kanalbau siehe Suet. Claud. 1; Tac. ann. 2,8. Eine sichere Verortung der fossa Drusiana ist bislang nicht gelungen. Huisman 1995; Lendering 2015. Siehe dazu auch Kehne 2008, 259 mit Anm. 49. Mon. Ancy., 26. Dazu Deininger 2000, 753–754 und Burmeister – Kaestner 2018, 118. Ob es tatsächlich eine regelrechte „Großprovinz Germanien“ gegeben hat, wie von W. Eck 2004 herausgestellt, muss zweifelhaft bleiben. Dazu jetzt Kehne 2018, 79. Zur erzwungenen Adoption des Germanicus durch Tiberius siehe: Kehne 1998. Tac. ann. 2,41 und Strab. 7,1,4. Zu diesem Triumph grundlegend Timpe 1968. Siehe auch den Katalog Aßkamp – Jansen 2017, der sich diesem Ereignis widmet. Ausführlich jetzt auch Kehne 2018.
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Abb. 1: Tiberius Caesar wird durch Victoria gekrönt. Unterteil eines Pfeilerdenkmals aus Kelfkenbos in Nijmegen/Niederlande. Entweder errichtet anlässlich der Beendigung des immensum bellum 5 n. Chr. oder im Zusammenhang mit dem Triumph des Germanicus 17 n. Chr. Die Benennung als Caesar macht eine Datierung in das Jahr 5/6 n. Chr. am wahrscheinlichsten. Heute Museum het Valkhof Nijmegen. Bild: Stephan Berke.
Zeigt doch die Szene auf der Scheide des sog. „Schwertes des Tiberius“6 aus Mainz, in Anlehnung an die Gemma Augustea7 und dem Grand Cammée de France,8 einen Tiberius, der den Sieg aus den Händen des Germanicus entgegen
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London, British Museum, Inv. GR 1866.8-6.1. Kunsthistorisches Museum Wien, Antikensammlung, Inv.-Nr. AS IXa 79. Paris, Cabinet des médailles de la Bibliothèque nationale de France, Inv. Nr. Camée. 264.
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Haltern und Germanicus
nimmt9. Und schon vorher, am Ende des Jahres 16. n. Chr. hatte man einen Bogen für Tiberius am Saturntempel eingeweiht,10 um die Wiedergewinnung von zweien, in der Varuskatastrophe verloren gegangener, Feldzeichen durch Germanicus zu würdigen. Denn zumindest dies hatte Germanicus vorzeigbar erreicht.11 Doch schon zwei Jahre später, im Jahre 20 n. Chr., heißt es in einer Ehreninschrift, der sog. Tabula Siarensis, für den am 10. Oktober des gleichen Jahres jung verstorbenen Thronfolger: „Senat und Volk von Rom haben dieses Denkmal errichtet und geweiht dem Germanicus Caesar, da dieser – nachdem die Germanen im Kriege besiegt und nachdem sie [erneut] von Gallien zurückgetrieben worden sind, nachdem die Feldzeichen [des Varus] zurückgewonnen sind und Rache genommen wurde für die durch Heimtücke zugefügte Niederlage des römischen Heeres, nachdem weiter die Organisation der gallischen Provinzen geordnet worden ist […] im Dienst für den Staat den Tod gefunden hat.“12
Wie selbstverständlich ist hier nicht mehr von einer Eroberung Germaniens die Rede, sondern die Leistung des Geehrten besteht, laut der Inschrift, in dem allgemeinen Sieg über die „Germanen“ und in dessen Folge ihrer Abhaltung von Gallien, der Wiedergewinnung der Feldzeichen und der Neuorganisation Galliens. Genauso selbstverständlich wird hier die Rheingrenze als die Grenze des Imperiums angenommen. Die germanischen Feldzüge des posthum Geehrten werden auf die Rolle der Rache und die Wiedergewinnung der Feldzeichen beschränkt.13 Zwar hat es auch später immer mal wieder Feldzüge ambitionierter Feldherren oder auch Kaiser in das rechtsrheinische Germanien gegeben, so z. B. durch Publius Gabinius Secundus, Statthalter in Niedergermanien im Jahre 9
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Zum sogenannten Schwert des Tiberius siehe Klumbach 1970; Dahmen 2001, 106–109 und Kat. Mil. 17 und Mil. 18. Hier auch die ältere Literatur. Ergänzend ist auf ein weiteres Schwertscheidenmundblech aus Vindonissa hinzuweisen, auf dem sich die Büsten des Tiberius und des Germanicus mit Paludamentum und Lituus antithetisch angeordnet finden. Dahmen 2001, 106–107 und Kat. Mil. 15. Das Stück ist sicherlich auch im Zusammenhang mit den geschilderten Ereignissen zu sehen. Der Bogen wurde an der Nordostecke der Basilika Julia errichtet und am Ende des Jahres 16 n. Chr. geweiht. Zum Beschluss zum Bau dieses Bogens im Jahre 15 n. Chr. siehe Timpe 1968, 44–51. Zum archäologischen Befund: Coarelli et al. 2007, 65 mit Abb. 13; 11. Detailliert zusammenfassend nun Kehne 2018, 52 mit Anm. 130. Tac. ann. 1,60,3 und Tac. ann. 2,25,1–2. Übersetzung nach Lehmann 1989, 229–230; Sánchez-Ostiz Gutiérrez 1999. Zur Rekonstruktion der Inschrift kritisch Kehne 2018, 51; Burmeister – Kaestner 2018, 113– 114. In dieser Inschrift wird auch der Ehrenbogen für Germanicus im circus Flaminius und in Germanien, beim Grabhügel des älteren Drusus, aufgeführt. Strittig scheint die Datierung des Beschlusses zur Errichtung dieses Bogens zu sein. Gibt Kehne 2018, 50 als Datum für den Beschluss zu Errichtung der Ehrenbögen den 16. Dezember des Jahres 20 n. Chr. an, verwenden Burmeister – Kaestner 2018, 113 das Jahr 19 n. Chr. Siehe dazu Lehmann 1989, 230; Kehne 2017, 100 und Burmeister – Kaestner 2018, 113.
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41 n. Chr., der das dritte verlorene Feldzeichen der Varus Legionen bei den Cheruskern wieder erobern konnte,14 doch der Versuch der systematischen Eroberung Germaniens war da endgültig aufgegeben worden.
2
Die Feldzüge der Jahre 10 n. bis 16. n. Chr.
Die auf römischer Seite gänzlich unerwartete Niederlage des Varus im Herbst des Jahres 9 n. Chr. im sogenannten „Teutoburger Wald“ stellte sicher eine bedeutende Zäsur in der Germanienpolitik des inzwischen alt gewordenen Augustus, er war zu diesem Zeitpunkt 72 Jahre alt, dar. Doch die Reaktion Roms ließ nicht lange auf sich warten. Augustus ernannte den gerade aus Pannonien zurück gekehrten Tiberius neuerlich zum Befehlshaber am Rhein, ersetzte die verloren gegangenen Truppen, unter anderem durch Neuaushebungen, und stockte die Streitmacht am Rhein von sechs auf acht Legionen auf. Damit stand die größte Streitmacht des Imperiums am Rhein.15 Zweifelhaft ist, ob Tiberius schon im Jahre 10 n. Chr. wieder den Rhein überschritt, um im östlichen Vorgelände die Situation zu sondieren. Doch das folgende Jahr sah das römische Heer wieder in der Offensive.16 Man begann das Land neu mit Einfallschneisen, limites, zu erschließen und verheerte die einheimischen Siedlungsgebiete wo es nur ging. Die ersten Erfolge wurden dann auch in Rom prompt mit einer erneuten imperatorischen Akklamation des Augustus und Tiberius, sowie der ersten Akklamation für Germanicus gefeiert. Teilweise unter Einsatz der Flotte wurden die Feldzüge im Jahre 12 n. Chr. fortgesetzt, bis der Befehlshaber Tiberius im Spätsommer nach Rom abreiste, um dort seinen verschobenen Triumph über Pannonien im Oktober des Jahres zu feiern. Leider sind wir über die Gegner und Erfolge dieser Zeit nicht informiert.17
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Lehmann 1990, 150, Anm. 25. Zu den Ereignissen jener Jahre siehe u. a.: Koestermann 1957; Timpe 1968; Kehne 1998; Timpe 2008; Wolters 2008; Burmeister – Kehne 2015; Kehne 2017. Nun unverzichtbar: Burmeister – Kaestner 2018. Siehe auch Wolters 2018. Cass. Dio 56,25,2–3. Ob das Truppenkontingent, welches zum Zeitpunkt des Todes des Augustus im Jahre 14 n. Chr. bei den Chauken an der Nordseeküste stationiert war, in dieser Zeit dort platziert wurde oder ob die römischen Truppen durchgängig seit 4/5 n. Chr. hier lagen, lässt sich nicht entscheiden. Zumindest erfuhren die Männer dort schnell vom Tode des Kaisers und den Meutereien am Rhein, denen sie sich inhaltlich anschlossen. Dieses setzt ungestörte und regelmäßige Kommunikationsverbindungen für diese Truppe an den Niederrhein voraus. Tac. ann. 1,38. Allgemein dazu: Johne 2006. Siehe Burmeister – Kaestner 2018, 101–102.
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Haltern und Germanicus
Es scheint jedoch, dass sich zumindest ein Feldzug gegen die Brukterer richtete.18 Um die gallischen Verhältnisse zu ordnen und „die Reste des Krieges zu absolvieren“ wurde Germanicus zum Nachfolger des Tiberius in Gallien und Germanien berufen und trat seine Amtszeit dort spätestens im Jahre 13 n. Chr. an. Ob er in Rom den Auftrag zur Rückgewinnung der verlorenen Gebiete erhielt, lässt sich nicht belegen. Doch der neue Statthalter ließ etwa ein Jahr verstreichen, bis er, unter dem Druck der Ereignisse, zu neuen Feldzügen aufbrach. Die Nachricht vom Tode des Augustus, der am 19. August des Jahres 14 n. Chr. verstorben war, führte zu Rebellionen bei den römischen Truppen am Rhein und in Pannonien. Verbittert durch die Lebensumstände, geringem Sold und immer wieder verlängerten Dienstzeiten, durchsetzt mit neu Ausgehobenen, versuchten sie den Machtwechsel zu ihren Gunsten auszunutzen. Nur mit Mühe gelang es dem aus Gallien herbei geeilten Germanicus, die Lage am Rhein wieder in den Griff zu bekommen. Um die Truppe zu beschäftigen, führte er die niederrheinischen Legionen über den Rhein, in das Gebiet der Marser, die offensichtlich ahnungslos waren, verheerte das Land und zerstörte das überregional bedeutende Kultzentrum der Tanfana. Tacitus berichtet: „Unverwundet blieben die Soldaten, die nur Halbschlafende, Waffenlose und Herumirrende erschlagen hatten.“19 Schnell mobilisierte Stammesaufgebote der Brukterer, Tubanten und Usipeter versuchten, das römische Heer auf dem Rückmarsch aufzuhalten. Ein Versuch, der letztlich erfolglos blieb. Dieser Erfolg spornte den jungen Feldherrn an, doch noch einmal den Versuch einer Rückeroberung der verloren gegangenen Gebiete zu wagen.20 In den beiden Folgejahren, 15 und 16 n. Chr., richteten sich daher seine Feldzüge massiv gegen Brukterer, Marser, Chatten und nicht zuletzt gegen die Cherusker. Also gegen die Stämme, die verantwortlich an der Varuskatastrophe beteiligt waren.21 Während im Jahre 15 n. Chr. ein Vorstoß des niederrheinischen Heeres Cherusker und Marser beschäftigte,22 drang Germanicus mit den Mainzer Legionen in das Land der Chatten an der Eder vor. Auf dem Rückmarsch zum Rhein erreichte ihn eine Gesandtschaft des Segestes, mit der Bitte, man möge ihn aus einer Belagerung durch Arminius treue Cherusker befreien. Das römische Heer machte kehrt und befreite den Cheruskerfürsten aus seiner misslichen Lage. Von der topographischen Situation her und dem Ablauf der Ereignisse, kann sich
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Kehne 2005, 561. Tac. ann. 1,51. Burmeister – Kaestner 2018, 101–105. Anders z. B. Kehne 1998, 440 mit Anm. 6; Kehne 2005, 561; Kehne 2017, 96–97. Berke 2009a, 133–134; Burmeister – Kaestner 2018. Tac. ann. 1,56,1–5.
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das ganze Geschehen nur im südlichen Bereich des cheruskischen Stammesgebietes zugetragen haben. Dieses Geschehen zeigt deutlich, dass es Auseinandersetzungen innerhalb der cheruskischen Führungsschicht gab.23 Nach seiner Rückkunft an den Rhein wurde das obergermanische Heer auf Lastschiffe verladen und in das Emsmündungsgebiet verfrachtet. Von hier aus marschierten die Legionen die Ems aufwärts, während gleichzeitig die vier untergermanischen Legionen quer durch das Bruktererland an die Ems vorstießen. Ziel dieser Zangenoperation war es, endlich das Aufgebot der Brukterer zu stellen und zu vernichten. Ein Vorhaben, das jedoch misslang und nur zur Verwüstung des Landes führte, aber wenigstens einen der Adler zurückbrachte.24 Nach dem Besuch auf dem Schlachtfeld der Varusniederlage,25 versuchte man nun, die Cherusker zu stellen, was jedoch letztendlich ebenfalls nicht gelang. Irgendwo an der mittleren Weser trennte sich das Heer. Der obergermanische Heeresteil unter Germanicus kehrte zu den Schiffen zurück, die sich nun in der Wesermündung befanden. Der andere Teil, unter der Führung von Aulus Caecina, durchquerte das Land von Ost nach West, um an den Niederrhein zurückzukehren. Hierbei geriet Caecina an den pontes longi, den langen Brücken, die einen topographischen Engpass zwischen Moor auf der einen Seite und Anhöhen auf der anderen Seite überbrückten, in einen Hinterhalt germanischer Verbände unter der Führung des Arminius. Das Schicksal des Varus vor Augen, gelang es den römischen Truppen den Durchbruch zu erzielen und sich unter großen Verlusten zurückzuziehen. Ein Ereignis, das uns Tacitus in all seiner Dramatik beschreibt.26 Auch das Heer auf der Flotte erlitt, verursacht durch eine ungewöhnliche Springflut, erhebliche Verluste auf der Rückfahrt. Die hohen Verluste an Menschen und Material und die wenig handfesten Erfolge, veranlassten Tiberius, den Versuch zu machen, den Plänen des Germanicus ein Ende zu machen. Der Senat beschloss auf seine Anregung hin einen Triumph für Germanicus und ornamenta triumphalia für die wichtigsten Legaten. 23
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Tac. ann. 1,57–58. Erst diese Aktion führte dazu, dass sich der Onkel des Arminius, Inguiomerus, wieder auf die Seite des Arminius stellte. Nach Tac. ann. 1,60 stand dieser bei den Römern unter hohem Ansehen, wurde also bis dahin (15 n. Chr.) als romfreundlich eingeschätzt. Im späteren Verlauf des Jahres, bei der Schlacht an den pontes longi, spielte er eine entscheidende Rolle und wurde schwer verwundet (Tac. ann. 1,68,1). Im Jahr 17 n. Chr. lief er dann zu Marbod über, da er sich nicht mehr Arminius unterstellen wollte. Inguiomerus scheint eine sehr zwielichtige Rolle gespielt zu haben. Denn nach der Rede Marbod´s zu urteilen (Tac. ann. 2,45,1–2) stammte angeblich der Plan zur Vernichtung der drei Varuslegionen von ihm und nicht von Arminius. Dies würde erklären, warum er in den Kämpfen des Jahres 15 und 16 n. Chr. so fanatisch gegen die römischen Truppen kämpfte. Als Renegat hatte er, wie auch Arminius, keine Gnade von römischer Seite zu erwarten. Tac. ann. 1,60,3. Berke 2009a. Tac. ann. 1,63–68.
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Haltern und Germanicus
Ein Vorgang, der deutlich signalisieren sollte, dass Tiberius die Sache als beendet ansah.27 Folgt man der Interpretation der Ereignisse durch P. Kehne, ist die neuerliche Zurüstung für die Feldzüge des Jahres 16 n. Chr., so der Bau von 1.000 Schiffen für den Truppentransport, nichts anderes als eine Insubordination des ehrgeizigen Feldherrn Germanicus. Das Feldzugsjahr 16 n. Chr.wurde mit einem kleinen Unternehmen gegen die Chatten und dem Entsatz eines Kastells an der Lippe eingeleitet, bevor das Heer wiederum über das Meer an die Ems/Weser28 transportiert wurde. Von hier marschierte man durch das Land der Chauken und durchquerte dabei das Land der Angrivarier. Hier gelang es Germanicus, bei Idistaviso, endlich einmal die Gegner zu stellen und zu schlagen. Zur Besänftigung des Kaisers ließ sein Stiefsohn ihn auf dem Schlachtfeld zum Imperator ausrufen. Der Erfolg hier und später am sogenannten Angrivarierwall, brach dennoch nicht das Widerstandspotential der Germanen, so dass sich das römische Heer, wieder ohne greifbaren Erfolg, auf die Schiffe zurückziehen musste. Unglücklicherweise zerstörte dann ein Orkan den Großteil der beladenen Schiffe mit Verlusten an Menschen und Material.29 Die Ereignisse des Feldzugsjahres 16 n. Chr. brachten Tiberius, der einsah, dass ohne ein Machtwort hier nichts mehr zu machen war, zu dem Entschluss, Germanicus abzuberufen und die Feldzüge einzustellen.30 27 28
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Kehne 2017, 99. Zusammenfassend jetzt auch Burmeister – Kaestner 2018. Tac. ann. 1,8. Wolters 2008 trat für eine Ersetzung des Wortes „Amisia“ durch „Visurgis“ ein. Germanicus wäre in diesem Fall an die Weser gefahren. Ob der Verlust an Menschen, Pferden und Material wirklich so groß war, wie die Schilderung bei Tac. ann. 2,24 zu vermitteln scheint, ist ungewiss. Denn Germanicus hatte, nach Tac. ann. 2,25, gleich nach seiner Rückkehr von der Nordseeküste immerhin noch 30.000 Mann Infanterie und 3.000 Mann Kavallerie des obergermanischen Heeres zur Verfügung, um die Chatten durch C. Silius angreifen zu lassen. Er selber konnte mit noch größerer Truppenstärke offensiv gegen die Marser vorgehen und dabei den zweiten Adler zurückgewinnen. Hierbei muss es sich um Truppen gehandelt haben, die nicht durch die Schiffbrüche in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Auch wenn man diese gerettet hatte, waren sie nach diesem Erlebnis sicher nicht sofort wieder kampffähig. Germanicus bat den Princeps noch um ein weiteres Jahr, um die Vorhaben erfolgreich abzuschließen. In seiner Umgebung war man davon überzeugt, dass der kommende Sommer die Entscheidung zugunsten Roms bringen würde (Tac. ann. 2,26). Und vielleicht zu Recht, denn die Unterwerfung der Angrivarier war so vollständig, dass sie auf eigene Initiative hin römische Schiffbrüchige aufkauften und zurückgaben (Tac. ann. 2,24,3–4). Der Seitenwechsel des Maollovendus, des dux der Marser, bedeutete eine weitere schwere Schwächung der antirömischen Koalition (Tac. ann. 2,25,1–2). Dass es innerhalb der Führung des cheruskischen Verbundes Spannungen gab, daraufhin wurde schon hingewiesen (siehe oben Anm.23). Zwar hatte Inguoimerus bei Idistaviso und am Angrivarier-Wall tatkräftig gekämpft, wie aber sein Seitenwechsel im folgenden Jahr zeigt, war das Verhältnis zu seinem Neffen Arminius jedoch nicht spannungsfrei. Auch auf chattischer Seite scheint man mit Arminius nicht zufrieden gewesen zu sein. Denn anders lässt sich das Angebot des chattischen Fürsten Adgandestrius an den Senat im Jahre 19 n. Chr., Arminius zu vergiften, nicht interpretieren. Es scheint tatsächlich so
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Konrad Kraft und das Ende von Haltern
Gleich zu Beginn der Arbeiten der Altertumskommission für Westfalen in den römischen Anlagen von Haltern 189931 (Abb. 2) stand die Frage nach der Zeitstellung der Befunde und Funde zur Diskussion.
Abb. 2: Übersicht über die römischen Militäranlagen von Haltern mit modifiziertem Straßenverlauf im Bereich der römischen Nekropole. Grafik: LWL-Archäologie für Westfalen, Detlev Jaszczurok mit Eintragungen durch Stephan Berke.
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gewesen zu sein, dass die Widerstandsfront zu bröckeln begann. Wenn dem so war, blieb das von römischer Seite vor Ort sicher nicht unbemerkt. Siehe dazu Lehmann 1990, 164 mit Anm. 62. Sollte es so gewesen sein, dann hätte man von Seiten des Tiberius zu früh aufgegeben. Zur Forschungsgeschichte der römischen Anlagen von Haltern siehe von Schnurbein 1974, 1–4; Kühlborn 1999; Aßkamp 2010; Berke 2014.
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Haltern und Germanicus
Schon früh spielte in diesem Zusammenhang auch der in den römischen Schriftquellen belegte Platz „Aliso“ eine Rolle, der im Zusammenhang mit der Niederlage des Varus im Jahre 9 n. Chr. namentlich Erwähnung fand und für das Jahr 16 n. Chr. noch einmal durch Tacitus belegt ist. So schrieb Velleius Paterculus: L. etiam Caedicii praefecti castrorum, eorumque qui una circumdati Alisone immensis Germanorum copiis obsidebantur, laudanda virtus est qui, omnibus difficultatibus superatis, quas inopia rerum intolerabilis, vis hostium faciebat inexsuperabilis, nec temerario consilio, nec segni providentia iuti speculatique opportunitatem ferro sibi ad suos peperere reditum.32
Dieser Text macht jedoch keine Angaben, die zu einer genaueren Verortung des berühmten römischen Kastells dienen könnten. In Bezug auf die Ereignisse im Frühjahr des Jahres 16 n. Chr. vermerkt dann Tacitus in seinen Annalen: Sed Caesar, dum adiguntur naves, Silium legatum cum expedita manu inruptionem in Chatos facere iubet; ipse, audito castellum Lupiae flumini adpositum obsideri, sex legiones eo duxit. neque Silio ob subitos imbres aliud actum quam ut modicam praedam et Arpi principis Chatorum coniugem filiamque raperet, neque Caesari copiam pugnae obsessores fecere, ad famam adventus eius dilapsi. tumulum tamen nuper Varianis legionibus structum et veterem aram Druso sitam disiecarant. restituit aram honorique patris princeps ipse cum legionibus decurrit; tumulum iterare haud visum. et cuncta inter castellum Alisonem ac Rhenum novis limitibus aggeribusque permunita.33
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Vell. 2,120,4. Der lat. Text nach: Hellegouarch 1982, 128. Die Übersetzung lautet: „Lobende Erwähnung verdient ebenso die Tapferkeit des Lagerpräfekten L. Caedicius und seiner Soldaten, die mit ihm in Aliso eingekesselt und von den Germanen mit einer ungeheuren Truppenmacht belagert wurden. Sie meisterten ihre schwierige Lage, die der Mangel an Lebensmitteln schier unerträglich und die Übermacht der Feinde fast aussichtslos gemacht hatte. Dabei verließen sie sich weder auf tollkühne Entschlüsse noch auf zauderndes Hin- und Herüberlegen, sondern faßten eine günstige Gelegenheit ins Auge und schlugen sich mit dem Schwert in der Hand zu ihren Kameraden durch.“ Die Übersetzung nach: Giebel 2014, 255. Tac. ann. 2,7. Der lat. Text nach: Koestermann 1965, 47–48. Die deutsche Übersetzung lautet: „Während nun die Schiffe zusammengezogen wurden, ließ der Caesar den Legaten Silius mit einer leichtbewaffneten Truppe einen Einfall in das Chattenland machen; er selbst führte auf die Nachricht, ein an der Lippe angelegtes Kastell werde belagert, sechs Legionen dorthin. Doch konnte weder Silius wegen plötzlicher Regengüsse etwas anderes ausrichten, als ein wenig Beute zu machen und des Chattenfürsten Arpus Frau und Tochter zu entführen, noch gaben dem Caesar die Belagerer Gelegenheit zum Kampf, da sie auf die Kunde von seinem Anrücken auseinandergelaufen waren. Sie hatten jedoch den kürzlich für die Legionen des Varus errichteten Grabhügel und einen alten, für Drusus gebauten Altar zerstört. Germanicus stellte den Altar wieder her und führte zu Ehren des Vaters persönlich an der Spitze der Legionen eine feierliche Parade an; den Grabhügel zu erneuern schien nicht zweckmäßig. Schließlich wurde das ganze Gebiet zwischen dem Kastell Aliso und dem Rhein durch neue Heerstraßen und Dammwege erschlossen und gesichert.“ Übersetzung nach: Heller 1997, 119. Alle anderen darüber hinaus im Zusammenhang mit „Aliso“ genannten antiken Quellen, lassen sich nur indirekt mit
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In Kombination mit den Angaben bei Tac. ann. 1,60,3 für das Jahr 15 n. Chr.: ductum inde agmen ad ultimos Bructerorum, quantumque Amisiam et Lupiam amnes inter vastatatum, haud procul Teutoburgiensi saltu, in quo reliquiae Vari legionumque insepultae dicebantur.34 ergibt sich, dass das belagerte Kastell des Jahres 16 n. Chr. am Oberlauf der Lippe, in der Nähe des Varusschlachtfeldes, zu suchen ist. Denn im Jahr zuvor war Germanicus, wie uns die Quelle berichtet, aus dem Bereich zwischen oberer Ems und oberer Lippe auf das nicht weit entfernte (haud procul) Schlachtfeld gezogen.35 Ein Besuch, der ihm ein Jahr später anscheinend nicht opportun erschien, obwohl der Feind den für die Gefallenen der Varusschlacht errichteten Grabhügel zerstört hatte und die pietas es eigentlich von ihm verlangt hätte. Denn das Schlachtfeld lag ja ebenso in Reichweite des Germanicus wie der dem Drusus geweihte Altar. Obwohl bislang datierende Funde fehlen, besteht die große Möglichkeit, dass das neu bekannt gewordene Lager auf der Westseite des Teutoburger Waldes im Einzugsbereich von Bielefeld-Senne zu einem der beiden geschilderten Ereignisse gehört. Der gering eingetiefte Spitzgraben und die Fundarmut sprechen für eine temporäre Anlage und die clavicula-Tore für ein Lager, das unter Feinddruck errichtet worden ist.36 Um das durch die Germanen bedrohte Lager am Oberlauf der Lippe kann es sich nicht gehandelt haben, dazu war es zu kurzzeitig belegt und liegt nicht an der Lippe. Das Lager an der Lippe scheint im Zusammenhang
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diesem Ort in Verbindung bringen. Da in der Stelle bei Frontin. strat. 4,7,8 ebenfalls, wie bei Vell. 2,120,4, Caedicius erwähnt wird, ist in diesem kurzen Ausschnitt sicher „Aliso“ gemeint. Weder die Stelle bei Cass. Dio 56,22,2a–3, noch die beiden Stellen Frontin. strat. 2,9,4; 3,15,4 lassen sich sicher mit diesem Ort in Verbindung bringen. Hierzu siehe Kraft 1955–1956, 98 mit Anm. 8. Zuletzt bleibt, die geographische Verortung bei Ptol. 2,11,14 zu erwähnen. Diese Verortungen sind in unseren Breiten jedoch so ungenau, dass, trotz vieler Versuche, bislang keine brauchbaren topographischen Zuordnungen erarbeitet werden konnten. So z. B. die gänzlich unbrauchbaren Verortungen bei Kleineberg et al. 2010 und Kleineberg et al. 2012. Zu letzterem die Rezension von Burri 2014. Zu „Aliso“ auch: Aßkamp 2017; Kehne 2018, 66 mit Anm. 218. Der lat. Text nach: Koestermann 1965, 34. Die Übersetzung lautet: „Von da aus wurde das Heer in die entlegensten Teile des Bruktererlandes geführt und alles Gebiet zwischen Ems und Lippe verwüstet, nicht weit (haud procul) vom Teutoburger Wald, in dem, wie es hieß, die Überreste des Varus und seiner Legionen noch unbestattet lagen.“ Die Übersetzung nach: Heller 1997, 87. Berke 2009a. Vortrag vom B. Tremmel auf der Jahrestagung der LWL-Archäologie am 11.3.2019. Bisher sind clavicula-Tore bei den westfälischen Römerlagern nur in Kneblinghausen, dessen Datierung in die augusteische Zeit bisher nicht sicher ist (Berke 1989; Rudnick 2008), und bei dem augusteischen Marschlager in Haltern im Bereich der Flur „In der Borg“ belegt. Siehe dazu Rudnick 2012; zu dem clavicula-Tor in Haltern bes. 292.
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mit den Ereignissen des Jahres 15 n. Chr. eingerichtet worden zu sein und über den Winter und das Jahr 16 n. Chr. hindurch besetzt gewesen zu sein.37
Abb. 3: Karte der römischen Militärstützpunkte am Rhein, in Westfalen und Niedersachsen. Nach: Aßkamp 2009, 172, Abb. 1 mit Nachträgen durch Stephan Berke. Stand März 2019.
Fasst man die Aussage zum Jahr 16 n. Chr. so auf, dass es sich bei dem belagerten Kastell und „Aliso“ am Ende des Abschnitts um die gleichen Orte handelt, wäre „Aliso“ am Oberlauf der Lippe zu suchen.38 Doch dies muss nicht sein, es kann sich auch um eine Aneinanderreihung der Ereignisse handeln. Dann wäre
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Das bekannte Lager von Anreppen kann es nicht gewesen sein. Dieses war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr existent. Zur Enddatierung des Lagers siehe Wolters 2018, 277; 294. Zu einem früheren Lager an gleicher Stelle Kühlborn 2014. Zuletzt wieder einmal Burmeister – Kaestner 2018, 103 oder Wolters 2018, 300.
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„Aliso“ irgendwo rechts des Rheines zu suchen und müsste noch nicht einmal an der Lippe gelegen haben! Schnell nach dem Beginn der Ausgrabungen in Haltern erschien schon im Jahre 1903 in zweiter Auflage ein „Führer durch die römischen Ausgrabungen bei Haltern“ von Carl Schuchhardt, der stolz den Namen „Aliso“ im Titel führte.39
Abb. 4: Carl Schuchardt, Aliso. Führer durch die römischen Ausgrabungen bei Haltern, 2. Auflage (Haltern 1903). Bild: Stephan Berke.
Mit dieser Verknüpfung war klar die Erwartung ausgesprochen, dass die römischen Anlagen in Haltern zeitlich bis in das Jahr 16 n. Chr. reichten. Die Gleichsetzung von „Aliso“ mit Haltern blieb jedoch nicht unwidersprochen und auch die Datierung der Anlagen bis in das Jahr 16 n. Chr. 40 stand so sicher nicht fest, wie es sich die Halterner Forschung vielleicht wünschte.
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Schuchhardt 1902. So z. B. O. Prein 1906; Loeschcke 1909, 122, war sich sicher, dass alle Keramik in Haltern, die er bearbeitet hatte, vor das Jahr 9. n. Chr. zu datieren sei.
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Abb. 5: Titel: Otto Prein, Aliso bei Oberaden. Neue Forschungen und Vermutungen, 2. Auflage (Münster 1907). Bild: Stephan Berke.
Ende der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts konnte A. Stieren den ausgewiesenen Fachmann für römische Keramik A. Oxé dafür gewinnen, sich noch einmal mit dem Halterner Material zu beschäftigen. Die Vorgehensweise und die Ergebnisse von Oxé fasste K. Kraft wie folgt zusammen: „Die ganze Datierung A. Oxés läuft – kurz ausgedrückt – folgendermaßen: Nimmt man mit Recht aus den literarischen Quellen eine späte Kulturschicht 14–16 n. Chr. in Haltern an, so darf die relativ jüngste Keramik dieses Lagers in die Jahre 14–16 n. Chr. gesetzt werden. Gegen die Formulierung ist an sich nichts einzuwenden. A. Stieren aber setzt unter jenen ersten Satz von A. Oxé als zweiten Satz: Da nach Oxé ein Teil der Keramik in die Zeit 14– 16 n. Chr. gehört, muß Haltern bis 16 n. Chr. belegt gewesen sein, und zwar angesichts des Fehlens einer Besiedlungslücke durchgehend aus der Zeit vor 9 n. Chr. bis 16 n. Chr. Das Facit der Argumentation: Ein trügerischer Zirkelschluß, der auch durch die zwanzigjährige Anerkennung und Verwendung in der Forschung nicht zum Beweis wird, weder für die absoluten Daten der Keramik noch auch für die Datierung des ‚Großen Lagers‘ in Haltern. Freilich ist mit Aufdeckung dieses Trugschlusses noch nicht bewiesen, daß Haltern schon 9 n. Chr. aufhörte […]: Man müßte neue Grabungen ansetzen, um zu sehen, ob nicht die von A. Oxé als Grundlage benutzte und durch die militärischen Verhältnisse
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nach der Varusniederlage unbedingt zu postulierende Besiedlungslücke zwischen 10 und 14 n. Chr. doch noch gefaßt werden könnte.“41
Das für die Enddatierung Halterns entscheidende Fundmaterial für K. Kraft waren die Münzen.42 Anhand des numismatischen Befundes kam nun Kraft zu dem Schluss, das mit dem Jahre 9 n. Chr. die römischen Anlagen von Haltern ihr Ende gefunden hatten und damit eine Verknüpfung mit dem Kastell „Aliso“, welches ja nachweislich im Jahre 16 n. Chr. durch die Römer besetzt war, nicht zulässig war43. Methodisch vertrat er unter anderem die These, dass mit dem Tode des Augustus und der Amtsübernahme des Tiberius sich natürlich auch ein anderes Spektrum in den Münzfunden abzeichnen müsse, da für die Jahre ab 14 n. Chr. mit den ersten Münzprägungen des neuen Kaisers zu rechnen sei, die es in Haltern nicht gibt.44 Daneben stütze er sich auf statische Analysen der Zusammensetzung des Münzmaterials aus Haltern, Augsburg-Oberhausen und Vindonissa in der Schweiz. Diese zeigten seiner Meinung nach, in Zusammenhang mit althistorischen Argumenten, dass ein Fortbestehen der römischen Anlagen in Haltern über das Jahr 9. n. Chr. hinaus nicht möglich sei.45 Mit der zu großen Teilen akzeptierten Argumentation K. Krafts schien die Frage um das Enddatum von Haltern gelöst46. Auch hatte sich damit die Datierungsfrage von den archäologischen Befunden und Funden gelöst und sich auf die chronologische Einordnung der Münzfunde verlagert. Dies bedeutete, dass, archäologisch gesehen, alles Fundgut in Haltern vor dem Ende des Jahres 9 n. Chr. in den Boden gelangt sein musste und somit nicht später sein konnte. Die Folge davon, war, dass alle römischen Funde rechts des Rheins, die in den sogenannten „Haltern-Horizont“ fielen, vor 10 n. Chr. zu datieren waren.47 Da es rechts des Rheins jedoch bis heute (!) nur Funde des „Haltern-Horizontes“ und
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Stieren 1933; Oxé 1943; Stieren 1943. Das Zitat nach Kraft 1955–1956, 99. Auch wenn Kraft zu Recht bemerkte, dass die Schlussmünzen in Haltern keine Aussage zulassen. Das letzte zu ermittelnde Prägejahr in Haltern ist, wie schon zu Zeiten K. Kraft´s, nach wie vor das Jahr 2/1 v. Chr. Kraft 1955–1956, 99–100. Dazu nun fundamental Wolters 2018. Kraft 1955–1956, 105. Hierzu die umfassende Zusammenstellung bei Wolters 2000. Zu den unregelmäßigen Prägerythmen bis ungefähr zum Jahr 64 n. Chr. siehe nun Wolters 2018, 274. Kraft 1955–1956. Noch einmal bekräftigt bei Kraft 1973. Wenngleich er die Einschränkung machte: „Es wäre gewiss vermessen, zu sagen, daß die Enddaten der beiden Lager Oberhausen und Haltern heute in einer Weise fixiert wären, die jede Änderung in der Zukunft zwingend ausschlösse […].“ Zum Fundplatz Augsburg-Oberhausen siehe nun Deschler-Erb 2014, zu Vindonissa und der zeitlichen Problematik dort Trumm 2011. Dazu auch von Schnurbein 1974, 79; von Schnurbein 1981, 39; Kühlborn 1999, 468; Kühlborn 2008, 9. Noch einmal alle Argumente für ein Ende im Jahre 9 n. Chr. zusammenfassend: von Schnurbein 2013. Zur Definition des „Haltern-Horizontes“ siehe Kühlborn 2001, 498–499.
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auch keine frühen Münzen des Tiberius gibt48, war die Zeit zwischen 10 n. Chr. und 16 n. Chr. im rechtsrheinischen Gebiet aus archäologischer und numismatischer Sicht „verschwunden“. Die von Tacitus so eindringlich geschilderten Ereignisse ließen sich archäologisch und numismatisch nicht nachvollziehen.49 So ähnelt z. B. das Spektrum des geprägten Geldes in Kalkriese stark dem Befund in Haltern und so lag der Schluss nahe, dass auch das Schlachtfeld im Osnabrücker Land in das Jahr 9 n. Chr. zu datieren sei50. Lange Zeit war man in der Forschung der Überzeugung, dass es sich bei diesem Phänomen um eine „Fundlücke“ handeln müsse. Kurz gesagt, dass man die Lager oder Schlachtfelder des Germanicus halt noch nicht gefunden habe und sich somit auch die Funde dieser Zeit, der sog. „Post Haltern-Horizont“, bislang nicht identifizieren ließ. In den letzten Jahren setzte sich aber jedoch immer mehr die Erkenntnis durch, dass es sich im Kern nicht um ein Überlieferungsproblem, sondern um ein methodisches Problem der althistorischen, archäologischen und vor allem der numismatischen Forschung handelte, in dem der Fundplatz Haltern und die sogenannten Gegenstempel auf den Münzen die entscheidende Rolle spielten. So hat die Numismatik feststellen müssen, dass es mit den Datierungen der Münzprägungen der spätaugusteischen/frühtiberischen Zeit vom letzten vorchristlichen Jahrzehnt bis ungefähr zum Jahr 64 n. Chr. Probleme gibt, da offensichtlich nicht so regelmäßig geprägt wurde, wie es Kraft einst annahm und die Versorgung der Truppe erfolgte eher mit altem, statt mit neuem Münzmaterial.51 Die numismatische Forschung war lange Zeit in zwei Lager gespalten. Einmal in die Befürworter der leicht modifizierten Thesen K. Kraft´s und damit für eine Datierung des Kampfplatzes Kalkriese in 48
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Es gibt für den gesamten nordwestdeutschen Raum bislang nur insgesamt sieben Münzen, die man einem frühtiberischen Horizont zuweisen könnte, wenn man der traditionellen Ansicht folgt. Es handelt sich bei diesen Stücken um Einzelfunde, die auch später, wie andere römische Münzen auch, ostwärts des Rheins gelangt sein können. Wolters 2007, 143–144. Zu dieser „Fundlücke“ auch von Schnurbein 2013, 95. Der früher häufig für die Germanicus-Feldzüge in Anspruch genommene Fundplatz Bentumersiel ist nach den Ausgrabungen von E. Strahl nicht mehr dafür heranzuziehen. Strahl 2010 und Strahl 2011. Schon 2009 wurde die dortigen römischen Funde durch den Verf. als „Import“ angesprochen (Berke 2009b). Auch der Fundplatz Winsum in den Niederlanden scheidet aus den Betrachtungen aus. Zu beiden Fundplätzen nun Erdrich 2015. In diesen Fällen scheint es sich eher um Handelsplätze/Zentralorte an der Nordsee gehandelt zu haben, die schon in der späten vorrömischen Eisenzeit bestanden und über die römischen Okkupationskriege hinaus weiterbestanden. Um ein weiteres Beispiel scheint es sich in ElsflehtHogenkamp gehandelt zu haben. Mückenberger – Schmölcke 2013; Folkers et al. 2018. von Schnurbein 2013, 96 weist zu Recht auf das Problem hin, archäologischen Befunde und schriftliche Überlieferung zu parallelisieren. Berger 1996. Im Einzelnen soll nicht auf die numismatischen Kontroversen eingegangen werden. Hierzu wenige Literatur in Auswahl: Kehne 2000; Wolters 2000; Werz – Berger 2000; Berger 2007; Wigg-Wolf 2007; Wolters 2007; Heinrichs 2007; Berger 2009. Hierzu nun ausführlich und grundlegend Wolters 2018.
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das Jahr 9 n. Chr. und in die Gegner dieser Datierung. Beide Lager lieferten gute Gründe für ein Pro oder Contra, konnten aber letztendlich keine sicheren Beweise für ihre Thesen antreten, da, so schien es, der numismatische Befund an die Grenzen seiner Aussagekraft gelangt war. Damit fiel diese Fundgattung, solange von numismatischer Seite keine verlässlicheren Aussagen möglich waren, für eine Einschätzung aus, ob das Ende des Halterner Hauptlager nun an das Ende des Jahres 9 n. Chr. oder erst in die Jahre 16/17 n. Chr. zu stellen ist.52 Auch die zeitliche Einordnung des Schlachtfeldes von Kalkriese, die direkt von der Enddatierung des Hauptlagers in Haltern abhängig ist, stand damit nicht auf sicheren Füßen. Da auch naturwissenschaftliche Datierungen, wie die Dendrochronologie, in Haltern bislang nicht angewendet werden konnten,53 blieb nur die Möglichkeit, auf den archäologischen Befunden eine relative Chronologie aufzubauen, also die „Praxis“ über die „Theorie“ zu stellen,54 um diese dann in den absoluten zeitlichen Rahmen der augusteischen Germanenkriege einzuhängen. Aus archäologischer Sicht haben die Ausgrabungen in den Anlagen von Haltern Befunde erbracht, die einem Ende der Anlagen im Jahre 9 n. Chr. widersprechen zu scheinen. Mehrere Bauphasen innerhalb des Hauptlagers auf dem Silverberg waren schon seit langem bekannt. Prägnantes Beispiel dafür ist die Lagererweiterung nach Osten mit dem Neubau eines Speichers und zweier Offiziersgebäude, die Zweiphasigkeit des Westtores und der principia,55 oder die Erweiterung des praetoriums nach Westen.56 Doch diese Befunde ließen sich noch problemlos mit dem bekannten Modell in Einklang bringen, in dem man, gerade in neuerer Zeit, diese mit dem Dienstantritt des P. Quinctilius Varus 6/7 n. Chr. in Verbindung brachte.57 52
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Kraft 1955 –1956, 110. Kraft hatte natürlich richtig erkannt, dass man mit der Rückberufung des Germanicus nicht das Ende aller römischen Anlagen rechts des Rheins, wie z. B. Haltern oder das noch im Frühjahr des Jahres 16 n. Chr. entsetzte Lager am Oberlauf der Lippe (Tac. ann. 2,7), anzunehmen hat. Die planmäßige Aufgabe dieser Punkte kann ja erst dann erfolgt sein, als sich im Winter 16 auf 17 n. Chr. Germanicus schweren Herzens auf den Weg nach Rom machte und damit Germanien auf immer verließ, die notwendig gewordenen Änderungsplanungen für das Jahr 17 abgeschlossen waren und sowohl das Wetter als auch die „Feindlage“ für eine entsprechende „Rückzugsoperation“ und „Umsiedlungsaktion“ geeignet war. Berke 2018, 178 mit Anm. 26. Die Holzproben aus den Grabungen des Jahres 2016 ließen sich dafür leider nicht verwenden. von Schnurbein 2013, 92. An anderer Stelle schreibt er: „Befunde im Boden, die ja auch in Waldgirmes den Ausschlag gegeben haben, scheinen für eine chronologische Differenzierung eher geeignet zu sein; ohne dendrochronologische Daten beruht deren absolute Datierung stets auf Wahrscheinlichkeiten.“ von Schnurbein 2013, 96. Schnurbein 1974, 71–72; 49; 56–58. Rudnick 2009. Rudnick 2009, 562–563; Rudnick 2017, 91. Das Argument „[…] kaum vorstellbar sind die Umbauten und Erweiterungen in der Zeit der Kriegszüge des Germanicus nach der ‚VarusNiederlage‘. Eine Konzentration auf das militärisch Notwendige erscheint in diesem Fall
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Abb. 6: Vereinfachter und ergänzter Plan des Hauptlagers von Haltern. 1. Stabsgebäude (principia); 2. Wohnhaus des Kommandanten (praetorium); 3, 5-7 Offiziershäuser; 4. Gebäude unbekannter Funktion; 8. Werkstatt (fabrica)?; 9. Lazarett (valetudinarium); 10. Gebäude unbekannter Funktion; 11. Kasernen; 12. Gebäude unbekannter Funktion; 13. Speicherbau (horreum) in der Lagererweiterung; A. Westtor; B1 und B2 Osttor; C. Südtor; D. Nordtor. Grafik: LWL-Archäologie für Westfalen.
Dagegen hat die Aufarbeitung der römischen Nekropole58 Ergebnisse erbracht, die sich nicht mehr widerspruchsfrei in die bisherigen Modelle einordnen lassen.59
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nahe liegender zu sein.“ bei Rudnick 2009, 562 ist mehr als beliebig. Aber auch von Schnurbein 2013, 92 mit Anm. 3 kann, wenn man eine Enddatierung nach Kraft außer Acht lässt, keine stichhaltigen Gründe gegen eine Datierung der Osterweiterung des Hauptlagers in die Germanicus Zeit nennen. Er nimmt dagegen ein Zitat von A. Stieren 1943, 14: „Das mag glauben, wer will“ in Anspruch. Ein vorläufiger Plan der Nekropole bei Berke 2013, 63 mit Abb. 3, wieder abgedruckt in Berke 2018, Abb. 2. Berke 2018 mit der älteren Literatur.
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Der römische Friedhof von Haltern
Die römischen Gräber liegen in Haltern zwischen dem Silverberg im Osten und dem Annaberg im Westen, auf einem zur Lippe im Süden hin abfallenden Sandrücken. Im Süden wird das Gräberfeld durch eine römische Straße gegen die Lippe hin abgegrenzt (Abb. 2). Überträgt man die Ausrichtung dieser römischen Straße auf den Gesamtplan der römischen Anlagen Halterns,60 wird deutlich, dass die Straße weiter im Osten zwischen dem Hauptlager und den Anlagen auf dem Wiegel verläuft. Diese Straße wird im Norden und Süden von zwei Straßengräben begrenzt. Die Breite der Trasse liegt bei etwa 37,0 m. Für eine Befestigung des Straßenkörpers mit Kies oder ähnlichem ließen sich keine Hinweise finden. Im Bereich zwischen den Straßengräben ließ sich eine große Anzahl von Fahrspuren auf unterschiedlichsten Niveaus dokumentieren, die sich in ihrer Ausrichtung in etwa an dem Verlauf der die Straße begleitenden Gräben orientieren.61 Nördlich dieser Straße, in einem 40,0 bis 60,0 m breiten, von Nordost nach Südwest ausgerichteten Streifen wurden 68 römische Gräber, bzw. Grabanlagen aufgedeckt. Parallel zu diesen Gräbern verläuft im Norden eine etwa 80 m breite, fast grableere Zone, an die sich dann ein zweiter, parallel verlaufender Gräberstreifen anschließt. Hier wurden in den Grabungen von 2003 bis 2008 knapp vierzig weitere Gräber aufgedeckt. Dabei handelt es sich um einige wenige einfache Bestattungen ohne Grabbau, zumeist jedoch um Grabanlagen. In diesem Gräberstreifen ist zu beobachten, dass die Reihe der Gräber in Richtung auf das Hauptlager auf dem Silverberg ausdünnt, während der Abstand der Gräber zum Annaberg hin, auffallend enger wird. Viele Fundamentgräben der einzelnen Grabbauten weisen Unterbrechungen auf, welche die Front der einzelnen Grabanlagen kennzeichnen. Für die tumulus-förmigen Bauten lässt sich inzwischen sicher sagen, dass diese Öffnungen baubedingt sind.62 Bei einer genauen Betrachtung der Ausrichtung dieser
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Eine aktuelle Übersicht mit älterer Literatur über die römischen Anlagen von Haltern am See bietet: Aßkamp 2010. Zur Forschungsgeschichte der römischen Anlagen in Haltern zuletzt Berke 2014. Ob es sich immer um römische Fahrspuren handelt, ist derzeit nicht sicher abschließend zu sagen. Der Befund der Anlage Grab Fl. I 5/1989 zeigt deutlich, dass im Bereich der „Erdbrücke“ der Fundamentgraben lediglich nicht ganz so tief ausgehoben worden war, wie der übrige Bereich des Grabens. Dies erhärtet die schon geäußerte Vermutung, dass sich während des Bauvorganges an dieser Stelle ein Zugang zum Inneren der Konstruktion befand, der nachträglich zugesetzt wurde. Berke 2013, 70, Anm. 44.
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Unterbrechungen, ist festzustellen, dass die Öffnungen im südlichen Gräberstreifen auf die Straße im Süden oder aber nach Norden, in Richtung des grableeren Streifens ausgerichtet sind. Im nördlichen Gräberstreifen sind alle Grabanlagen mit Unterbrechungen ausschließlich nach Süden geöffnet. Dies legt die Überlegung nahe, dass sich zwischen dem südlichen und dem nördlichen Gräberstreifen eine weitere Straße befand. Weiter ist auf eine Unterbrechung in der nördlichen Gräberzeile, zwischen den Gräbern Fl. IV 19/2005 und Fl. I 21/2006, von ca. 40,0 m Breite hinzuweisen, in denen sich keine Bestattungen fanden. Weiter auffällig ist, dass die drei Gräber östlich dieser Lücke, Fl. I 20/2006, Fl. I 21/2006 und Fl. I 22/2006, eine etwas andere Ausrichtung in ihrer Reihung aufweisen, als die weiter westlich gelegenen Gräber.63 Mit Hilfe der Befunde lässt sich das folgende Straßennetz im Norden rekonstruierten: Angelehnt an die nach Norden ausgerichteten Gräber der südlichen Gräberzeile eine etwa West-Ost ausgerichtete Straße, begrenzt im Norden durch die westlichen Teile der nördlichen Gräberzeile. Diese Straße trifft in ihrem weiteren östlichen Verlauf auf die bekannte südliche Straße. Deren Treffpunkt liegt genau südlich der porta praetoria des Hauptlagers auf dem Silverberg. Im Bereich der Unterbrechung der nördlichen Gräberzeile ist eine, etwa von Norden kommende, schmalere Straße anzunehmen. Ausgerichtet am Verlauf der östlichen Dreiergruppe von Gräbern im Norden befand sich eine weitere Straße, die etwa nordöstlich verlief. Dieser abzweigende Straßenarm läuft in seinem weiteren Verlauf auf das Westtor des Hauptlagers zu. Südlich der Lücke in der nördlichen Gräberzeile hat sich also eine Art Kreuzung befunden, in deren östlichem Zwickel sich drei Gräber befanden. Innerhalb der beiden Gräberzeilen sind nun Überbauungen von Gräbern durch andere Grabanlagen zu beobachten. Dies ist im südlichen Gräberstreifen nur einmal zu beobachten, in der nördlichen Gräberzeile tritt dieses Phänomen dagegen häufiger auf. Neun ältere Grabanlagen werden durch acht jüngere Gräber oder Grabanlagen gestört. Ein überraschender Befund, denn für die Anlage der Gräber in Haltern war genügend Raum vorhanden und das römische Grab unterstand einem besonderem religiösem, wie juristischem Schutz. Nicht anders, wie in vielen anderen Kulturen auch. Dass die Lebenswirklichkeit zur Zerstörung, auch vorsätzlich, von sichtbaren Gräbern führen kann, steht außer Frage. Sonst wären keine Gesetze zum Schutze von Gräben notwendig gewesen. Und dass man in römischer Zeit auch auf alten Grabplätzen wieder bestattet hat, ja sogar in ihnen gewohnt hat, ist kein unbekanntes Phänomen. Doch in allen Fällen ist sicher davon auszugehen, dass kein sozialer Bezug zur Altbestattung mehr vorhanden war.64 63 64
Siehe hierzu die Pläne bei Berke 2013 und Berke 2018. Aus Platzgründen soll hier nicht weiter darauf eingegangen werden. Siehe hierzu die Ausführungen in: Berke 2000, 34–36; Berke 2013, 73–74. Dazu auch: Schrumpf 2006, 152– 169 und jetzt Scholz 2016. In den hier vorgestellten Beispielen sind ebenfalls die sozialen
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Man wird also davon ausgehen müssen, dass die überbauten Gräber in Haltern oberirdisch nicht mehr sichtbar waren, und es aus diesem Grunde zu einer späteren Überbauung kam. Ein natürlicher Verfall der massiv gebauten Grabbauten in so kurzer Zeit scheidet als Ursache aus, zumal einige Grabbauten derart massiv ausgeführt waren, dass sie, zu Beginn des 19. Jahrhunderts, noch als „Grabhügel“ im Gelände ansprechbar waren.65 Wie sich an dem Grabbau Fl. I 13/1988 sicher feststellen lässt, gibt es Indizien für eine gewaltsame Zerstörung dieser Grabanlage. So war der Holzeinbau im äußeren Umfassungsgraben der Anlage Grab Fl. I 13/1988 nur deshalb erhalten, weil er bis in den Graben hinein verkohlt war. Weiter gibt es im südlichen Gräberstreifen römische Gebäudebefunde, die eindeutig durch jüngere Gräber überlagert werden. So überlagert der Kreisgraben der Anlage Grab Fl. II 27/1985 eindeutig einen römischen Fundamentgraben.
Abb. 7: Grab Fl. II 27/1985, Blick von Südost nach Nordwest. 1. Deutlich zu erkennen ist die von Südosten nach Nordwesten verlaufende Fundamentspur Fm Fl. II 13/1985. 2. Kreisgraben des Grabes Grab Fl. II 27/1985. Der Kreisgraben überlagert die Fundamentspur. Bild: LWLArchäologie für Westfalen.
Das Grab Fl. II 28/1985 ist klar in das Fundament des Gebäudes „A“ eingegraben (Abb. 8). Daneben lassen sich in der nördlichen Zeile der Nekropole in zwei Bereichen großflächige Planierungshorizonte beobachten, die sich nur so interpretieren
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Beziehungen zur jeweiligen Bestattung nicht mehr vorhanden. Ergänzend für den kleinasiatischen Bereich: Harter-Uibopuu 2014. Graf von Westphalen 1980; Aßkamp 1989, 21; Berke 2013, 74.
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lassen, dass nach einer Zerstörung von Gräbern die Reste einplaniert worden sind (Abb. 9 bis 12).
Abb. 8: Plan des Grabes Fl. II 28/1985 und Gebäude Fl. II A/1985. Maßstab 1:200. Grafik: Stephan Berke.
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Abb. 9: Teilplanum im Bereich des Grabes Fl. I 10/2005 und der Struktur Fl. I A/2005, Blick von Nordwesten. 1. Südöstlicher Bereich des nördlichen Kreisgrabensegmentes von Grab Fl. I 10/2005. 2. Pfostengrube Fl. I 369/2005. Bild: LWL-Archäologie für Westfalen.
Abb. 10: Plan der Gräber Fl. I 10/2005, Grab Fl. I 11/2005, Grab Fl. I 12/2005 und der Planierung Struktur Fl. I A/2005. Der Befund Pfostengrube Fl. I 369/2005 ist hier nicht mehr eingezeichnet, da er auf diesem Planum nicht mehr vorhanden war. Maßstab 1:200. Grafik: Stephan Berke.
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Abb. 11: Schnitt S 5 (gleichzeitig Flächengrenze) am Grab Fl. VIII 7/2004-2005, Blick nach Westen. 1. Schnitt durch den südwestlichen Schenkel des Kreisgrabens der Anlage Grab Fl. VIII 7/2004. 2. Schnitt durch die Planierung Struktur B/2004. Es ist deutlich zu erkennen, dass dieser Befund den Schenkel des Kreisgrabens überlagert. Bild: LWL-Archäologie für Westfalen.
Abb. 12: Nördliche Gräberzeile der Nekropole, zentraler Bereich. Die großflächige Planierung Struktur B/2004 ist gut erkennbar. Maßstab 1:200. Grafik: Stephan Berke.
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Für eine intentionelle Zerstörung einzelner Gräber sprechen auch die Kampfhandlungen, welche sich durch die Funde von Waffen, bzw. Waffenteilen belegen lassen. Es sind fast immer Fernwaffen, wie Lanzenspitzen, Pfeilspitzen, Pila oder Reste von diesen, sowie Geschoßbolzen. Häufig weisen die Stücke Gebrauchsspuren auf, wie abgebrochene Spitzen oder Umknickungen. Diese Funde stammen in ihrer Mehrzahl aus dem Bereich der Gräberzeilen und kommen, mit einer Ausnahme, nicht aus einem Befund und sind somit Einzelfunde. Sie lagen zumeist im sogenannten B-Horizont, also aus dem Bereich der römerzeitlichen Oberflächen des Gräberfeldes. Anscheinend handelt es sich bei diesen Funden um die Reste eines Kampfgeschehens (Abb. 13).66
Abb. 13: Waffenfunde aus der römischen Nekropole von Haltern. 1. Pilumschaft mit Spitze (Ha. 2004.212/c2). 2. Pilumspitze (Ha. 1988.253/c). 3. Dreiflügelige Pfeilspitze (Ha. 1983.030). 4. Pilumzwinge (Ha. 1990.1785/c1). 5. Geschoßbolzen (Ha.1992.005/c1). 6. Lanzenschuh (Ha. 2004.172/c4). 7. Lanzenspitze (Ha. 2005.169/c2). M. 1 = 1:3, alle übrigen 1:2. Zeichnungen: LWL-Archäologie für Westfalen, Cornelia Halm. Montage: Stephan Berke.
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Seit der systematischen Aufarbeitung des Kampfplatzes von Kalkriese wissen wir heute, wie man sich Funde aus einer antiken Kampfhandlung im offenen Gelände vorzustellen hat. Zur Methode der „Schlachtfeldarchäologie“ siehe Rost 2012, 3–55; bes. 7–12. Die Funde und Befunde in der Nekropole von Haltern erfüllen alle Kriterien, um von einem „Kampfplatz“ sprechen zu können. Siehe hierzu auch die Rezension Berke 2012 (2015).
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Aufgrund der relativen Abfolge der einzelnen Gräber, der beiden Straßen und weiterer Befunde lassen sich verschiedene relativchronologische Modelle entwickeln, die hier jedoch nicht alle im Einzelnen vorgestellt werden sollen.67 Im Folgenden bildet das einfachste Erklärungsmodell, in das sich zwanglos alle relevanten Erscheinungen widerspruchsfrei einordnen lassen, die weitere Grundlage des vorliegenden Beitrages.
Phase 1 Bau der südlichen Straße, Errichtung von Gebäuden und Gräbern die nach Süden auf diese Straße hin ausgerichtet sind.
Phase 268 Bau der nördlichen Straße, Errichtung von Gräbern nördlich und südlich der Straße. Zerstörung von Gräbern auf der nördlichen Seite und der Gräber Grab Fl. I 2/1988 (nach Norden ausgerichtet), Grab Fl. I 13/1988 und Grab Fl. I 16/1988 (beide nach Süden ausgerichtet), Grab Fl. I 20/1988 sowie Aufgabe (Zerstörung?) der beiden Gebäude im südlichen Gräberstreifen.
Phase 3 Einplanierung des Geländes in der Mitte der nördlichen Gräberzeile, Errichtung neuer Gräber auf der Nordseite der nördlichen Straße und Anlage der Gräber Fl. I 12/1988, Grab Fl. II 27/1985 und der Bestattung Grab Fl. II 28/1985 auf der Südseite der nördlichen Straße. Im Folgenden sei nun versucht, das Modell der relativen Chronologie des Gräberfeldes mit der absoluten Chronologie der römischen Germanenkriege zu verknüpfen. Hierzu ist es zunächst einmal notwendig, die Zeit von 12 v. Chr. bis 16. n. Chr. in verschiedene Phasen einzuteilen.
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Siehe dazu Berke 2018, 176–178 mit Abb. 10. Einen Hiatus zwischen Phase 1 und Phase 2 muss es nicht gegeben haben. Die Zerstörungen an den Gräbern lassen sich in diesem Modell auf nur ein Ereignis reduzieren.
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Phase A: Von 12 v. Chr. bis 7 v. Chr. Dieser Zeitraum umfasst die Feldzüge des Drusus bis zu seinem Tod und die Konsolidierungsmaßnahmen des Tiberius.
Phase B: Die Zeit von 7/5 v. Chr. bis zum Beginn des immensum bellum in den Jahren um Christi Geburt. Anscheinend hat in dieser Zeit der römische Landesausbau begonnen. Zeugnisse dafür sind die Gründung des Hauptlagers in Haltern und die Gründung von Waldgirmes. Das immensum bellum unterbricht diese Phase.
Phase C: Von Christi Geburt bis 9 n. Chr. Dieser Zeitraum umfasst die Rückkehr des Tiberius im Jahre 4 n. Chr., die schnelle Beendigung des immensum bellum und die Zeit des P. Q. Varus bis zu seiner Niederlage.
Phase D: Die Zeit nach 9 n. Chr. diente zunächst unter Tiberius zur Konsolidierung der Situation und ging dann, noch unter dem Kommando des Tiberius, wieder in eine Expansionsphase über, die bis zur Rückberufung des Germanicus am Ende des Jahres 16 n. Chr. andauert.69 Ab wann hat man mit den ersten Bestattungen in Haltern zu rechnen? Die Anlage von regelgerechten Bestattungen mit aufwendigen Grabbauten setzt die Sicherheit eines möglichst langen Totengedenkens, memoria, voraus. Ein Bedürfnis, welches ja gerade mit Hilfe der Errichtung einer Grabanlage gestillt werden sollte. In den Jahren zwischen 12 v. Chr. bis 7/6 v. Chr. ist die römische Anwesenheit in Haltern lediglich temporär, auch wenn man im Bereich der „Hofestatt“ schon die Nutzung eines Flottenstützpunktes annehmen möchte.70 Die römischen Anlagen in Haltern besitzen zu dieser Zeit einen wesentlich anderen Charakter, als z. B. die Lager von Oberaden und das wesentlich spätere Anreppen. Die beiden letztgenannten Standorte sind schon in ihrer jeweiligen Gründungsphase auf einen längeren Zeitraum hin angelegt worden,71 auch wenn sich dann 69
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Aßkamp 2009, 172 zählt nur drei Phasen. Die Zeit zwischen 9. v. Chr. und dem immensum bellum entfällt aus ungenannten Gründen bei ihm. Rudnick 1998. Zu Oberaden: Kühlborn 2008, 16–21; zu Anreppen: Kühlborn 2008, 24–30; Kühlborn 2014.
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die Vorrausetzungen für ihre weitere Existenz änderten. Von diesen Plätzen sind bislang keine Gräber bekannt geworden, doch ist es nicht auszuschließen, dass es sie gegeben hat. Das gleiche gilt für den Standort von Waldgirmes.72 Auch hier ist eigentlich mit der Auffindung von römischen Gräbern zu rechnen.73 In der Frühphase ist der Platz Haltern eher mit dem „Durchgangsplatz“ DorstenHolsterhausen vergleichbar.74 Mit der Anlage von Gräbern ist erst dann zu rechnen, wenn für den Bestatteten oder für die Bestattenden eine dauerhafte Präsenz vor Ort absehbar war und somit eine hohe Wahrscheinlichkeit für ein langes Totengedenken bestand. Dieser Punkt war in Haltern in dem Moment erreicht, in dem sich der Charakter der römischen Präsenz hier völlig änderte, um 7/6 v. Chr.75 Welche Ereignisse wird man nun für den Zerstörungshorizont in der römischen Nekropole in Anspruch nehmen können? Hier sind in unserem Zusammenhang eigentlich nur zwei Ereignisse denkbar, die einschneidend genug gewesen sein könnten. Einmal das immensum bellum und einmal die Varuskatastrophe des Jahres 9 n. Chr. Unsere Kenntnisse über das immensum bellum der Jahre 1 bis 3 n. Chr. unter dem Kommando des Marcus Vinicius und der folgenden Feldzüge des Tiberius in den Jahren 4 und 5 n. Chr. sind als ausgesprochen spärlich zu bezeichnen, beruhen sie doch lediglich nur auf einer einzigen kurzen Quellenpassage. Warum dieser Krieg ausbrach ist nicht sicher bekannt und, bedingt durch eine korrupte Textstelle, lässt sich auch nicht mit absoluter Sicherheit sagen, welche germanischen Völkerschaften daran beteiligt waren. Die Rekonstruktion der Ereignisse lässt unterschiedliche Interpretationen zu. So ging P. Kehne davon aus, dass Marcus Vinicius dort erfolgreich war, wo Tiberius in den Jahren 4 bis 5 n. Chr. nicht mehr eingreifen brauchte, d. h. vor allem in Rheinnähe. Erst Tiberius drang weiter vor, bezwang 4 n. Chr. die Chattuarier, Brukterer und Cherusker. Nach T. Mattern war in den Cheruskern der eigentliche Urheber des Krieges zu suchen, und gegen diese hatte M. Vinicius einen entscheidenden Sieg erfochten. Nach Ankunft des Tiberius nahm dieser nur die deditio der Cherusker entgegen und weitete den Krieg gegen andere Völkerschaften, wie z. B. die Brukterer, aus.76 Die entscheidende Frage aber, ob und in welcher Weise das immensum bellum den Raum Haltern berührt hat und es dort Kampfhandlungen gegeben hat, die zu den Zerstörungsbefunden im Gräberfeld geführt haben 72 73
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Becker – Rasbach 2015. In allen drei Standorten gab es bislang keine größeren Grabungen außerhalb der Lager/Siedlung. Ebel-Zepezauer et al. 2009. Zum nicht unumstrittenen Gründungsdatum des Hauptlagers von Haltern siehe Berke 2018, 178–180. Nach Wolters 2018, 276 schließt aus numismatischer Sicht Haltern eher dicht an Oberaden denn an Waldgirmes an, mit dessen Gründung ca. 3 v. Chr. zu rechnen ist. Becker – Rasbach 2015, 70. Kehne 2008; Mattern 2006; Mattern 2010, 70–71. Hier auch die ältere Literatur.
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könnten, lässt sich nicht mit Gewissheit beantworten. Nimmt man dieses jedoch an, wäre man konsequenterweise gezwungen, z. B. den Befund des Massengrabes im Töpferofen 10 vor dem Hauptlager oder die Verbarrikadierung des Südtores des Hauptlagers77 ebenfalls diesem Ereignis zuzuschreiben. Dies wäre nicht unmöglich und damit eine erste denkbare Variante. Die Bestattungen im Gräberfeld würden in diesem Fall mit den Ereignissen der Varuskatastrophe enden, jedoch ohne weitere feststellbare Zerstörungen. Was eigentlich undenkbar ist. Denn nach der antiken Quellenlage müssen wir sicher davon ausgehen, dass auch der Raum Haltern von den Ereignissen des bello variano im Jahre 9 n. Chr. betroffen war und es im Umfeld der Anlagen von Haltern zu Kämpfen und Zerstörungen gekommen ist. Das bedeutet aber, dass wir konsequenterweise zwei und nicht einen Zerstörungshorizont in der Nekropole beobachten müssten, wenn das immensum bellum zu Zerstörungen im Raume von Haltern geführt haben sollte. Dieser zweite Horizont lässt sich aber an den Befunden der Nekropole nicht zweifelsfrei festmachen. Lehnt man dagegen als Grund für den Zerstörungshorizont in der Nekropole das immensum bellum ab, ist man gezwungen zu akzeptieren, dass lediglich das folgende Modell möglich ist: Beginn der Nekropole um 7/6 v. Chr., Zerstörung von Teilen des Gräberfeldes im Zusammenhang mit den Ereignissen des Jahres 9 n. Chr. und eine weitere Nutzung des Bestattungsplatzes bis zum Ende der römischen Anlagen von Haltern.
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Anhand dieser archäologischen Überlegungen hat man davon auszugehen, dass das Hauptlager in Haltern ebenfalls nach dem Jahre 9 n. Chr., bis zur Abberufung des Germanicus, weiter bestanden hat. Die von S. von Schnurbein zusammen getragenen Befunde und Funde78, die für eine geordnete Räumung des Hauptlagers sprechen, lassen sich eher mit einer planvollen Aufgabe der Anlagen in den Jahren 16/17 n. Chr. in Verbindung bringen,79 als mit einer erzwungenen Aufgabe der Anlage in Folge der Varusschlacht. Vergleichbare Befunde sind 77 78 79
von Schnurbein 2013, 92–93 mit der älteren Literatur zu diesem Thema. von Schnurbein 1981, 76–77; von Schnurbein 2013, 94. B. Rudnick gelingt es in seinem Beitrag zu den Terra-Sigillata-Fundspektren in spätaugusteisch-frühtiberischer Zeit nicht, methodisch überzeugend einen „Post Haltern-Horizont“ für diese Fundgattung herauszuarbeiten, der in die Jahre von 10 bis 16/17 n. Chr. zu datieren wäre. Rudnick 2018. Die gleiche Bewertung gilt für den Beitrag von Martin 2018. Zu sehr ist die zeitliche Einordnung der Befunde und Funde spätaugusteischer/frühtiberischer Zeit von der bisherigen Enddatierung des Hauptlagers von Haltern abhängig, als dass dies mit den bisherigen Mittel möglich ist. Es gilt für diesen beiden Beiträge die methodische Kritik von Wolters 2018, 309.
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jedenfalls in den geplant aufgegebenen Lagern von Oberaden und Anreppen80 zu beobachten.
Abb. 14: Mögliche Modelle der relativen Chronologie der römischen Nekropole von Haltern und ihrer möglichen Korrelation mit der absoluten Chronologie der augusteischen Germanenkriege. Grafik: Stephan Berke.
Gestützt wird diese Interpretation der archäologischen Befunde durch die unabhängige Untersuchung der Gegenstempel auf den Münzen. In seiner methodisch überzeugenden Studie zu den spätesten Kontermarken auf den Buntmetallmünzen von Kalkriese kommt R. Wolters zu dem Schluss: „In Übereinstimmung mit der aus den schriftlichen Quellen bekannten Intensität der letzten Phase der römischen Okkupation sowie gemeinsam mit den neuen archäologischen Befunden in Waldgirmes und Neubewertungen wie in Haltern ergibt sich für die Münzen nicht nur disziplinär, sondern auch interdisziplinär ein deutlich schlüssigeres Modell, wenn die hier vorgestellten Kontermarken ‚nach VAR(us)‘ als Zeugnisse für die Zeit nach Varus verstanden werden.“81
Germanicus hat also die römischen Anlagen von Haltern gekannt, sicher auch betreten und für seine militärischen Operationen genutzt. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass ein Teil der oben erwähnten Umbauten im Hauptlager von Haltern in die Zeit nach 9/10 n. Chr. zu datieren sind. Die vermeintliche „Fundlücke“ der Germanicus Zeit in Nordwestdeutschland und den Niederlanden 80 81
So z. B. Kühlborn 1995 und Kühlborn 2014. Wolters 2018, 314.
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existiert nicht, sondern sie war (!) ein methodisches Problem der Numismatik. Die römischen Anlagen von Haltern enden nicht im Jahre 9 n. Chr. im Zusammenhang mit der Varuskatastrophe, sondern existierten mindestens bis zum Jahre 17 n. Chr. weiter. Damit ergibt sich ein ähnliches Bild wie in Waldgirmes,82 welches ebenfalls über das Jahr 9 n. Chr. hinaus belegt war. Eine Gleichsetzung von Haltern mit „Aliso“ ist dagegen damit jedoch nicht eindeutig bewiesen, mögen auch einige Indizien für diese Möglichkeit sprechen. Mit diesen Befunden ist aber auch die Datierung des Fundplatzes Kalkriese in das Jahr 9 n. Chr. nicht mehr zu halten, verweist doch das Spektrum der Gegenstempel dort ebenfalls in die Zeit nach der Niederlage des Varus.83 Das in Kalkriese stattgefundene „Varusereignis“84 hat sich also erst weit nach dem Tode des unglücklichen Feldherrn ereignet.
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Zusammenfassung
Man wird am Ende zu dem Schluss kommen müssen, dass die Belegung der Nekropole in Haltern etwa um die Jahre 7/6 v. Chr. einsetzte und auch nach dem Jahre 9 n. Chr. hier weiter bestattet wurde. Das bedeutet, die römischen Anlagen von Haltern wurden erst in der Zeit nach der Abberufung des Germanicus, im Laufe des Jahres 17 n. Chr. aufgegeben.
82 83 84
Becker – Rasbach 2015. Wolters 2018, 314. Schon 2017 benutzte der niedersächsische Landesarchäologe H. Haßmann bei einem Festvortrag in Kalkriese diesen Terminus, Alwes 2017. In einem Interview für die Neue Osnabrücker Zeitung, welches, im Gegensatz zu dem Festvortrag, ein großes Medienecho fand, verwendete Anfang 2019 S. Ortisi den gleichen Terminus und präzisierte ihn, ohne sich von dem Datum 9 n. Chr. zu lösen. Ortisi sagte, auf den Begriff „Schlacht“ angesprochen: „Das ist eine Definitionsfrage. Kommt darauf an, wie Sie ‚Schlacht‘ verstehen. Wie oben erwähnt, hat hier in Kalkriese wahrscheinlich im Zusammenhang mit dem überlieferten Untergang der Varus-Armee ein großes kriegerisches Ereignis stattgefunden. Ob das eine große offene Feldschlacht, der Kampf um eine römische Befestigung, ein ‚Defileegefecht‘ und/oder ein Hinterhalt war, prüfen wir gerade. Mit der Bezeichnung ‚Varusereignis‘ subsumiert man die derzeit möglichen Szenarien und hält die Diskussion offen. ‚Varusschlacht‘ ist eine mögliche Deutung, die bei einer im alltäglichen Sprachgebrauch nicht unüblichen weiteren Definition von ‚Schlacht‘ sicher nicht falsch genannt werden kann.“ Siehe Ewert 2019. Zu diesem Zeitpunkt lagen die hier zusammengefassten neuen Forschungsergebnisse schon gedruckt vor. Zweifel an der Verortung der Varusschlacht in Kalkriese hat es, anders als in der Presse manchmal verbreitet, vom ersten Tag an in der Fachwelt gegeben. So z. B. Nussbaum 2004 oder Berke 2009a.
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Literaturverzeichnis Alwes, M., Landesarchäologe betont „ein Varus-Ereignis“ bei Kalkriese, https://www.noz.de/ lokales/bramsche/artikel/971508/landesarchaeologe-betont-ein-varus-ereignis-bei-kalkriese [Letzter Zugriff: 06.08.2019]. Aßkamp, R., Haltern, in: B. Trier (Hrsg.), 2000 Jahre Römer in Westfalen, Mainz 1989, 21–43. Aßkamp, R., Aufmarsch an der Lippe. Römische Militärlager im rechtsrheinischen Germanien, in: LWL-Römermuseum in Haltern am See (Hrsg.), 2000 Jahre Varusschlacht Bd. 1. Imperium, Darmstadt 2009, 172–179. Aßkamp, R., Haltern. Stadt Haltern am See. Kreis Recklinghausen, Münster 2010 (Römerlager in Westfalen 5). Aßkamp, R., Aliso und Haltern, in: Ders. u. K. Jansen (Hrsgg.), Triumph ohne Sieg. Roms Ende in Germanien, Darmstadt 2017a, 102–104. Aßkamp, R. u. Jansen, K. (Hrsgg.), Triumph ohne Sieg. Roms Ende in Germanien, Darmstadt 2017b. Becker, A. u. Rasbach, G. (Hrsgg.), Waldgirmes. Die Ausgrabungen in der spätaugusteischen Siedlung von Lahnau-Waldgirmes (1993-2009) Bd. 1. Befunde und Funde, Darmstadt 2015 (RömischGermanische Forschungen 71). Berger, F., Kalkriese Bd. 1. Die römischen Fundmünzen, Mainz 1996 (Römisch-Germanische Forschungen 55). Berger, F., Unverändert. Die Datierung der Varusschlacht, in: G. A. Lehmann u. R. Wiegels (Hrsgg.), Römische Präsenz und Herrschaft im Germanien der augusteischen Zeit. Der Fundplatz von Kalkriese im Kontext neuerer Forschungen und Ausgrabungsbefunde; Beiträge zu der Tagung des Fachs Alte Geschichte der Universität Osnabrück und der Kommission "Imperium und Barbaricum" der Göttinger Akademie der Wissenschaften in Osnabrück vom 10. bis 12. Juni 2004, Göttingen 2007, 113–117 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen: Philologisch-Historische Klasse Folge 3/279). Berger, F., Der Schlüssel zur Varusschlacht: Die römischen Münzen von Kalkriese, in: Varusschlacht im Osnabrücker Land GmbH – Museum und Park Kalkriese (Hrsg.), 2000 Jahre Varusschlacht Bd. 2. Konflikt, Darmstadt 2009, Mainz 2009, 140–151. Berke, S., Kneblinghausen, in: B. Trier (Hrsg.), 2000 Jahre Römer in Westfalen, Mainz am Rhein 1989, 64–66. Berke, S., Requies aeterna. Der Grabbau 12/1988 und die relative Chronologie innerhalb der römischen Gräberstrasse von Haltern, in: T. Mattern (Hrsg.), Munus. Festschrift für Hans Wiegartz, Münster 2000, 27–37. Berke, S., "haud procul". Die Suche nach der Örtlichkeit der Varusschlacht, in: Landesverband Lippe (Hrsg.), 2000 Jahre Varusschlacht Bd. 3. Mythos, Darmstadt 2009, 133–138. Berke, S., Römischer Import in Bentumersiel, in: Landesverband Lippe (Hrsg.), 2000 Jahre Varusschlacht Bd. 3. Mythos, Darmstadt 2009, 298. Berke, S., Die römische Nekropole von Haltern, in: Ders. u. T. Mattern (Hrsgg.), Römische Gräber augusteischer und tiberischer Zeit im Westen des Imperiums. Akten der Tagung vom 11. bis 14. November 2010 in Trier, Wiesbaden 2013 (Philippika 63), 58–92. Berke, S., Der siebzigste Geburtstag. Ein Beitrag zur Forschungsgeschichte der römischen Anlagen von Haltern, in: H.-O. Pollmann (Hrsg.), Archäologische Rückblicke. Festschrift für Daniel Bérenger, Bonn 2014 (Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie 254), 183–194. Berke, S., Rez. zu J. Harnecker auf der Grundlage von Vorarbeiten von G. Franzius, Kalkriese Bd. 4. Katalog der römischen Funde vom Oberesch. Die Schnitte 1 bis 22., Mainz 2008 (RömischGermanische Forschungen 66) u. J. Harnecker auf der Grundlage von Vorarbeiten von D. Mylo, Kalkriese Bd. 5. Die römischen Funde vom Oberesch. Die Schnitte 23 bis 39, Darmstadt–Mainz 2011 (Römisch-Germanische Forschungen 69), Die Kunde 63 (2015), 227–231. Berke, S., Die relative Chronologie in der römischen Nekropole von Haltern und ihre Verknüpfung mit der absoluten Chronologie der augusteischen Germanenkriege, in: S. Burmeister u. S. Ortisi (Hrsgg.), Phantom Germanicus. Spurensuche zwischen historischer Überlieferung und
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Tacitus’ rhetorisch-dramatische Darstellungsabsicht als Hauptursache für die Unmöglichkeit einer Rekonstruktion der Germanicusfeldzüge und des historischen Germanicus Peter Kehne
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Einleitung
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Fragestellung
Seit Wiederentdeckung der ersten Hexade der taciteischen Annales und ihrer editio princeps im Jahre 1515 beschäftigt sich ein Teil der im Zeitalter des Humanismus neu entstandenen abendländischen Altertumsforschung mit den Germanicusfeldzügen. Seither sind dazu über 600 Beiträge erschienen – ungeachtet der etwa ein- bis zweitausend über Aliso und die Schlacht im Teutoburger Wald. Und während zur letzteren wenigstens einige rudimentäre Forschungsberichte vorliegen, blieb selbiges für die Germanicusfeldzüge ein Desiderat. Wodurch erklärt sich dieser auf den ersten Blick unverständliche, aber bislang niemals näher erörterte Sachverhalt? Und in wieweit hängt er mit der ebenso erstaunlichen Tatsache zusammen, dass es Hunderte von althistorischen Untersuchungen in annähernd 500 Jahren nicht vermochten, auch nur eine einzige, wenn schon nicht verbindliche, so doch zumindest akzeptable Rekonstruktion der Germanenkriege des Germanicus Iulius Caesar in den Jahren 13– 16 n. Chr. vorzulegen? Die einzige plausible Antwort läuft auf die Annahme einer diesbezüglichen Aporie der Altertumskunde hinaus. Und diese hat mit Sicherheit mehrere Ursachen. Eine davon sind Ungereimtheiten und sehr wahrscheinlich Textverluste, die bereits der karolingische codex des (Laurentianus 68,1 = Mediceus I) 9. Jahrhunderts aufweist. Eine zweite resultiert daraus, dass dieser codex ein codex unicus blieb. Denn somit existieren für die notwendigen Emendationen im Annalen-Text keine vom codex unicus unabhängigen Handschriften, die dem Ersteditor Philippus Beroaldus (d. J.) und allen seinen Nachfolgern zur Textkontrolle hätten dienen können. Zwar gehörte er nächst dem berühmten gleichnamigen Beroaldus (d. Ä) mit zu den Bahnbrechern textkritischer
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Tacitus’ rhetorisch-dramatische Darstellungsabsicht
Editionsgrundsätze, gleichwohl begann mit seiner editio princeps von 15151 das bis heute andauernde Verhängnis neuerlicher Eingriffe und stillschweigender Änderungen im Annalentext auf der Grundlage eines notwendigerweise beschränkten humanistischen Verständnisses der Römischen Geschichte und der Germanicusfeldzüge. Denn neben der Emendation, also der reinen Verbesserung offenkundiger Textfehler, befleißigte man sich in Edition vorwiegend der Konjektur, also der vermeintlichen ‚Verbesserung‘ eines intakten Textes auf Grund bloßer Annahmen oder Meinungen.2 Tendenziell betroffen waren davon alle im codex unicus enthaltenen germanischen Eigennamen, daraus entlehnte geographische Bezeichnungen in latinisierter Form, geographische wie topographische Sachverhalte3 und damit korrespondierende militärische Informationen wie Marschrichtungen, Schlachtordnungen, Gefechtsverläufe etc. Nach Jahrhunderten willkürlicher Textveränderungen erreichte die Konjektur-Flut um die Mitte des 19. Jahrhunderts ihren Höhepunkt, um danach zur Ebbe eines resignativen Textpurismus abzulaufen. Zu oft schon hatten bis dahin philologische und historische Partikularinteressen eine Welle willkürlicher Konjekturen ausgelöst, die starke Verunsicherung zurückließ. Für die gravierendste Erschütterung sorgte 1960 allerdings Erich Koestermanns Hineinnahme des vermeintlich unabhängigen codex Leidensis BPL 16B in den Annalen-Text
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Hinsichtlich der ersten Drucke taciteischer Werke existieren Datierungsprobleme, die sich auch in neueren Nachschlagewerken niederschlagen. Symptomatisch sind diesbezügliche Fehler in der eigens für die neuerdings maßgebliche Ausgabe „Der Neue Pauly“ (DNP) als „Supplement 2“ angefertigten Übersicht „Geschichte der antiken Texte. Autoren- und Werklexikon“, in Verbindung mit B. Egger hrsg. v. M. Landfester, Stuttgart 2007. Der bestimmte Artikel dieses Bandes täuscht insofern, als bei weitem (!) nicht alle oder auch nur die meisten antiken Autoren und Werke erfasst wurden, sondern nur Hauptwerke, wie der Leser im kleingedruckten Vorwort erfährt. Die darin auf den Seiten 573–577 von Dennis Pausch vorgelegten Editionsübersichten sind so lückenhaft, dass sie als Grundlage wissenschaftlicher Arbeit ungenügend sind – was in diesem Falle nicht (nur) den Platzvorgaben des Metzler-Verlages anzulasten ist, wie die zu zwei Dritteln leere Seite 577 zeigt. – Zur äußeren Form der „badly printed“ editio princeps von Philippus Beroaldus (d. J.) 1515 siehe Mendell 1957, 354–357. Beroaldus d.Ä. schreckte in seinen Editionen selbst vor Erfindung angeblicher boni codices nicht zurück, mit denen er seine Textkorrekturen autorisieren wollte. „Wo er sich auf Handschriften beruft, mag es sich vielfach um eine Fiktion zur Beglaubigung seiner eigenen Konjekturen handeln, wie sie im 16. Jahrhundert dann fast schon topisch wurde,“ so Georg Heldtmann (2003, 119); aber selbst aus der zeitgenössischen Sicht Erasmus von Rotterdams führte der ausufernde Buchdruck in Folge „ungebildeter“, „fauler“ und „geiziger“ Drucker und „emendationswütiger Dilettanten“ zu „heillos verderbten Ausgaben“ (Heldtmann 2003, 106). Wie damals überhaupt, so Rüdiger 1975, 546 ff., „der überlieferte Text gern nach dem persönlichen Geschmack von Kopisten oder Editoren zurechtgestutzt wurde.“ – Beroaldus’ Tacitus-Edition würdigte u. a. Goodyear 1972, 5 f.; vgl. Martin 2009, 248 f. Zur Text- und Überlieferungsgeschichte der Annalen ferner Reynolds 1983, 406 ff. und Kehne 2018, 32 ff. mit Lit. Siehe dazu Goodyear 1981, 229 (Zitat in Anm. 202).
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seiner zweiten Tacitus-Edition, was – nach Beweis des Irrtums – die Ausgabe von Heubner (1994) wieder korrigierte. Editoren zogen sich nun vollends auf die im Grunde unwissenschaftliche Position zurück, einen philologisch größtenteils gesicherten Text (textus receptus) zu besitzen.4 Die klassische Philologie vernachlässigte somit nach und nach ihre primären Aufgaben am Text der Annales, was vielfach aus mangelnder Erfahrung jüngerer Philologengenerationen im Umgang mit codices resultierte (siehe unten). Für den Annalen-Kommentator Francis Goodyear gab es seit der Mitte des 19. Jahrhunderts keine ernste Annalen-Neuedition mehr auf der Basis einer eingehenden Kritik des Codex Laurentianus Mediceus 68,1 – also keine originäre „correction of scribal error“5 und keine verlässliche Übersicht über „all the corruptions which his (sc. Tacitus’) MSS offer.“6 Der verstärkte „Trend zum Konservatismus“ in der gegenwärtigen Klassischen Philologie ist derart auffällig, dass dieses Phänomen bereits Eingang in die ‚Geschichte‘ des Faches im Rahmen der Altertumswissenschaften fand. Und eine moderne Gestaltung des Annalen-Textes mit darauf fußender neuer historischer Rekonstruktionen wäre nach der pessimistisch stimmenden Analyse von Jürgen Paul Schwindt7 kaum noch zu erwarten: „Philologen, die selbst über wenig oder keine Erfahrung mit der Ed(ition) von Texten verfügen, neigen in der Regel zu überlieferungsstabilisierenden Auffassungen“ und zur bloßen „Dokumentation des überlieferten Wortlautes.“ In Neueditionen erschien also im Wesentlichen nur noch der textus receptus – sei es aus philologischem Unvermögen oder um Kritik und Konflikte zu meiden. Und die so motivierte Abneigung gegen textkritische Verbesserungen erhob sich über das Glaubensbekenntnis, dem emendierten Wortlaut des codex unicus (strikt) zu folgen, zum Dogma konservativen Verharrens auf traditionellen Positionen.8 Historisch interessierte Tacitus-Apologeten vertreten – bewusst oder unbewusst – immer noch Friedrich Knokes9 Credo, dass der Text „unabänderlich feststeht“ (sic!), Tacitus die Wahrheit sagt, und man sich bei ihm „verpflichtet“ 4
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Goodyear 1972, 21. Dieses offenbart sich besonders im äußerst spärlichen textkritischen Apparat von Heubner 1994. Zur zwischenzeitlichen Euphorie über und Kritik an der vermeintlich neuen Textgrundlage des Leidensis siehe Borzsák 1968, 507 ff. Goodyear 1972, 20. Ganz zu schweigen von der Nutzung modernster Technik (digitalisierte Bildauflösung, chemische Analyse des codex unicus, Handschriftenanalyse durch Kriminalspezialisten), die z. B. Abwaschungen, Erstkorrekturen oder Schreibpausen und Neuanfänge ermitteln könnte, die gegebenenfalls Hinweise auf Auslassungen von Worten oder ganzer Passagen gäben. Goodyear 1972, 21. J. P. Schwindt, s. v. Philologie II. Lateinisch, DNP 15/3 (2003), 1307–1322. hier 1316. Francis Goodyear (1972, 20) nennt es „a conservative revival, in which Tacitus’ editors were not slow to take part“ und zog die peinliche Bilanz, „the generality of editors of Tacitus in the last hundred years [inzwischen sind es schon 150] […] simply follow their immediate predecessors.“ Knoke 1887/1922, 15/19. Ebenso verfuhren Meister 1955, 99 f. und Koestermann 1957, 456.
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Tacitus’ rhetorisch-dramatische Darstellungsabsicht
fühlt, „jede geringste Kleinigkeit zu beachten, durch welche die Örtlichkeit oder der Verlauf der Begebenheiten berührt wird.“ Lediglich an ein paar Dutzend Stellen wurde seither noch unter Verweis auf Vorgänger-Editionen oder Einzelkritiken herumgefeilt.10 Dieses Sistieren von Textkritik führte u. a. dazu, seltsam erscheinende Textvarianten (wie idista uiso) oder erwägenswerte ältere Konjekturen nicht einmal mehr in den textkritischen Apparat aufzunehmen, was für diejenigen, die keine Forschungsbibliothek zur Hand haben, eine Überprüfung des Status quo und resignierend ad acta gelegter Probleme11 fast unmöglich macht. Begünstigt wird diese Entwicklung durch einen komplementären Qualitätsverlust der Geschichtswissenschaft. Denn die Althistorie sinkt seit mehr als zwei Jahrzehnten unaufhaltsam in die Niederungen oberflächlicher Darstellungen und aufgesetzter Theoriebildungen ab, die dem Material nicht mehr durch solide Quellenanalysen und Quelleninterpretationen abgewonnen, 12 sondern ihm wie Textilien nach der jeweiligen Moderichtung nur noch selektiv übergestreift werden. Dieses "Un-Cultural Turn" erfreut sich steigender Beliebtheit, weil dabei auch alle diejenigen Althistoriker/innen wieder mitreden können, die antike Autoren nicht mehr in der Originalsprache zu lesen vermögen. Immerhin korrespondiert der geschilderten philologischen Textverbesserungs-Abstinenz seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eine zunehmende Tendenz, die Gestaltung der taciteischen Annalen kritisch zu hinterfragen. Und es hat Jahrhunderte gedauert, etliche durch die taciteische Darstellungskunst bedingte hermeneutische Probleme überhaupt zu erkennen. Aber genau an diesem Punkt muss jede neue Betrachtung der Germanicusfeldzüge und der politischen Protagonisten ansetzen. Denn allein so wird verständlich, warum bislang jeder Rekonstruktionsversuch der Germanicusfeldzüge nicht nur scheiterte, sondern an der Machart der taciteischen Annalen scheitern musste. Vermutet wurde allgemein schon immer, dass Auslassungen in Tacitus’ Berichten ganze Segmente umfassen.13 Wie nun erklärt sich dieses? Weder zu überprüfen noch auszuschließen ist bei einem codex unicus, dass auf den vielen Stufen seines langen Tradierungsprozesses einzelne Passagen mechanisch durch Seiten- oder partiellen Textverlust oder durch Nachlässigkeiten beim 10 11 12
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Siehe z. B. die spärliche und daher sehr defizitäre Auflistung bei Heller 1982, 960–965. Die laut Goodyear (1972, 20) „appear to be closed questions.“ Was nach Woodman 2007, 142 ff. (vgl. 135 f.) gleichermaßen für Philologinnen wie Althistorikerinnen gilt, die antike Berichte nur noch durch Übersetzungen kennen: „Thus readers of translated texts are never in a position to understand the nature of the evidence offered to them by Greek and Roman historians, and those who teach on the basis of translated texts will be forever basing their teaching on false premise.“ Zu evidenten Sprachdefiziten angeblicher Fachexpertinnen siehe Woodman 2007, 135 ff. und zur ausufernden Mode, Werke römischer Historiker überwiegend nur noch literaturwissenschaftlich zu betrachten, Lendon 2009. Siehe zu diesem Verdacht Koestermann 1957, 451.
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Abschreiben verloren gingen. Und welche Namen Kopisten dem jeweils erwähnten flumen womöglich nach Gutdünken oder eigener Vorstellung zuwiesen, ist ebenfalls nicht mehr zu ermitteln. Nur orthodoxe Tacitusverehrer und weltfremde Textpuristen bestreiten hartnäckig jeglichen Textverlust: Lückenhaftigkeit der taciteischen Vorlagen sei prinzipiell zwar nicht auszuschließen, in den meisten Fällen für sie aber wenig wahrscheinlich. Von eindeutig konfusen und lückenhaften Passagen wie Tac. ann. 2,8 abgesehen macht die Philologie Tacitus selbst für Brüche und Sprunghaftigkeit seiner Darstellung verantwortlich.14 Bedauerlicherweise kennzeichnen jene gerade seine Feldzugs- und Schlachtbeschreibungen, und eben darin besteht das Kardinalproblem jeder historischen Rekonstruktion. Folglich ist nicht nur Tacitus’ Darstellungsinteresse zu erfassen, sondern punktuell zunächst einmal der konkrete Textbestand, der sowohl durch eine Fülle von Reparaturen offenkundiger Fehler (Emendation) als auch durch vermeintlich notwendige Eingriffe in den heilen Text (Konjektur) entstand (siehe oben), damit dieser überhaupt einen oder den gewünschten Sinn ergäbe. Eine willkürliche und folgenschwere Konjektur betrifft die Flottenfahrt des Germanicus im Herbst 15 n. Chr. (Tac. ann. 1,70). Und alle bisherigen Bemühungen namhafter Tacitus-Kommentatoren konnten die um Rekonstruktion bemühten Militärhistoriker nicht von der Konsistenz der erhaltenen Beschreibung (Tac. ann. 2,8) zu Beginn und Durchführung des Sommerfeldzuges 16 n. Chr. überzeugen, wie unten in den Abschnitten 4.3–4 gezeigt wird.
1.2
Das Erkenntnisproblem
Wiederholen wir zum besseren Verständnis zunächst die Eingangsfrage: Wie kann es angehen, dass in nunmehr 500 Jahren über 600 Beiträge zu den Germanenkriegen des Germanicus Iulius Caesar erschienen sind, und alle altertumskundlichen Untersuchungen – an denen viele kluge Köpfe und so manches Genie beteiligt waren – es bis heute nicht vermochten, auch nur eine einzige, wenn schon nicht verbindliche, so doch zumindest akzeptable Rekonstruktion für die Germanienfeldzüge der Jahre 12–16 n. Chr. vorzulegen? Für jeden Betrachter ergeben sich aus der Vielzahl der unterschiedlichen, differierenden Rekonstruktionen sofort zwei unmissverständliche Befunde: Mehrere hundert Jahre Forschung erbrachten nicht einmal annähernd einen Konsens. Und wenn fast alle Regionen zwischen Rhein und Weser in Feldzugsverläufe einbezogen werden konnten, trägt die einzelne
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Zu Lücken oder Berichtsdefiziten in Tac. ann. 2,8 und Diskrepanzen zu Tac. ann. 2,5 siehe bes. Anm. 112.
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Rekonstruktion zwangsläufig den Charakter der Beliebigkeit.15 Geschichtswissenschaftlich drängt sich uns damit zwangsläufig die Feststellung auf, dass mit den vorhandenen Informationen eine verlässliche und verbindliche Rekonstruktion der Germanicusfeldzüge unmöglich ist. Schon eine erste Sichtung der zahlreichen Forschungsbeiträge zu den Germanienfeldzügen des Germanicus Caesar (siehe Abschnitt 4) offenbart als Hauptprobleme fünf Faktoren: – Mögliche oder wahrscheinliche Textverluste, willkürliche Konjekturen im Text der Annales und folgenschwere fehlerhafte Übersetzungen. – Ein in den letzten Jahrzehnten noch weiter verbreitetes Unvermögen bei Rezipienten, von denen viele altertumswissenschaftlich unbewandert sind, kaum Latein, geschweige denn Altgriechisch können, daher durchgängig auf Übersetzungen angewiesen und zur wissenschaftlichen Beurteilung der Fachliteratur kaum in der Lage sind. Da, wo etliche Probleme des reinen Textverständnisses als bereits gelöst gelten, können altphilologisch Unbewanderte diese Beiträge in der kontroversen Literatur weder ausmachen noch verwerten. Und da, wo durch Vorurteile irrige philologische Meinungen kanonisch wurden und in maßgebliche Kommentare Eingang fanden, kann derselbe Personenkreis solche Fehler nicht erkennen. – Der Umstand, dass alle neuzeitlichen Rekonstruktionen auf Anschauungen moderner Karten basieren und eindeutig zuordnerbare archäologische Befunde bislang ausblieben. – Tacitus’ eigenwilliges Darstellungsinteresse, seine Auslassungen, tückische Komprimierungen und Irrtümer. – Das Fehlen einer aussagekräftigen Parallelüberlieferung. Bekanntermaßen ist die zu diesem Thema in der Antike einstmals umfangreiche literarische Überlieferung verloren. Besonders schmerzlich ist der Verlust zweier Spezialwerke zu Roms Germanienkriegen: Aufidius Bassus, Bellum Germanicum aus augusteisch-tiberischer Zeit16 und Plinius Secundus, Bella Germaniae (eigentlicher Titel wohl Bellorum Germaniae libri viginti) aus der Zeit zwischen 52 und 57 n. Chr., worin der Enzyklopädist gleich alle bisherigen Germanienkriege Roms abhandelte. Verloren ist auch beider umfangreiche annalistische Geschichtsschreibung17 und gleich noch die aller anderen Historiker der julisch-
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Anstelle der an dieser Stelle eigentlich vorgesehenen, aber durch die profitorientierte Vertragsgestaltung des Verlages verhinderten Abbildungen siehe die „Einzel- und Sammelskizzen“ bei Kehne 2018, 47-49. Laut Quint. 10,1,103: libri belli Germanici. Wie Syme 1958, 697 hält auch Koestermann 1963, 228 f. 4 n. Chr. für das Anfangsjahr von Aufidius’ Bellum Germanicum. Zu Werken und Fragmenten von Aufidius Bassus und Plinius: HRR 2, CXXV–CXXVII; CXXXXXVI–CLXXII; 96–98;109–112. Dazu Bardon 1956, 161; 164–166; vgl. Martin 1994, 202. – Zur Aussagehaltung beider bezüglich der Germanicus-Feldzüge: Timpe 1968, 13 mit Anm. 16; 18–20.
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claudischen Zeit.18 Allerdings dürften ihre Werke von Tacitus herangezogen worden sein.19 Plinius wird von Tacitus sogar an exponierter Stelle zum Ende des Feldzugsjahres 15 n. Chr. als Germanicorum bellorum scriptor und damit als einziger von seinen Quellenautoren erwähnt.20 Verloren sind – bis auf wenige Fragmente – ebenso die Autobiographien von Tiberius21 und Claudius22 sowie die commentarii von Agrippina der Jüngeren.23 Besonders aus ihrer Feder dürften wohl etliche der zahlreichen Invektiven und historiographischen Verleumdungen stammen, die Tiberius postum ereilten. Selbstverständlich trugen auch Agrippinas Memoiren zur Überhöhung des am 10. Oktober 19 n. Chr. mit 34 Jahren verstorbenen Germanicus bei. Als Fazit lässt sich festhalten, dass die von der außertaciteischen Historiographie der römischen Kaiserzeit noch erhaltenen Quellenpassagen zu den Germanicusfeldzügen über Tacitus’ Bericht hinaus nur ganz wenige Informationen bieten und keine eigenständige Rekonstruktion zulassen. En detail bringen sie zwar einige Bestätigungen, punktuell auch einmal eine Ergänzung. Sie bilden aber kein Korrektiv, mit dem man Tacitus’ eigenwillige Darstellung der Germanicusfeldzüge hinterfragen oder deren zahlreiche Ungereimtheiten korrigieren könnte. Die vielen Informationsdefizite zur politischen wie militärischen Zielsetzung, zu Logistik, Marschrouten, Entfernungen, Richtungen,
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Einschließlich der historischen Arbeiten Senecas – dazu Bardon 1956, 147 ff.; 161 ff. und HRR 2, CVIIII sqq. und 79 ff. Aufidius’ Werk zur röm. Geschichte begann, laut Millar 1964, 84, entweder bei Caesar oder a fine Titi Livii. Plinius verfasste 31 Bücher a fine Aufidi Bassi, die vielleicht bis zum Tode Vespasians reichten. Walser 1951, 65; Syme 1958, bes. 697 ff.; Timpe 1968, 13 mit Anm. 16; 14–15; 18–20; Millar 1964, 84; 90 ff. (u. a. zur Verarbeitung der annalistischen Werke von Aufidius Bassus und Plinius durch Cassius Dio); Timpe 1967/2006, bes. 285 ff./201 ff., 290 f./210 f.; Sage 1990, 894 ff.; 1004 ff. Aufgrund von Bildungsdefiziten taugt die jüngere Literatur zu Tacitus hierzu wenig. Tac. ann. 1,69,2. Siehe dazu Koestermann 1963, 228 f. Suet. Tib. 61; Dom. 20. – HRR 2, CXVIIII; 92; Bardon 1956, 171; Lewis 1993, 692–694; vgl. Malitz 2003, 236. HRR 2, CXX–CXXIII; 92 ff.; Bardon 1956, 171; Lewis 1993, 695–697. Tac. ann. 4,53 erwähnt die commentarii Agrippinae filiae dezidiert als Quelle. HRR 2, CXXIII und 94. Zu Inhalt und verleumderischer Tendenz: Lewis 1993, 652–658; vgl. Malitz 2003, 237 f. Ob Malitz (2003, 239) darin zuzustimmen ist, dass Tacitus „die kaiserliche Memoirenliteratur eher unbeachtet ließ“, darf – u. a. mit dem Tacitus-Kenner Koestermann 1963, 44 – bezweifelt werden. Im Einzelnen brauchte Tacitus diese zwar nicht näher heranzuziehen, da Agrippinas Wertungen längst seine Vorlagen beeinflusst hatten (siehe Teil 2). Wenn wir die explizite Nennung des Werkes (Tac. ann. 4,53) aber wie die von Plinius (siehe oben), der als (eine der oder sogar die) Hauptquelle für Tacitus’ Germanicusfeldzüge gelten darf, werten, dürften auch noch diverse andere Invektiven gegen Tiberius aus Agrippinas commentarii stammen. Solcherart ist diesen ein Einfluss auf das historiographische Tiberius- und Germanicus-Bild jedenfalls nicht abzusprechen. Vgl. Bardon 1956, 171 f. und Lewis 1993, 655.
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Resultaten usw. haben moderne Historiker selbst auszugleichen.24 Dementsprechend lässt sich Tacitus’ für den Germanienkrieg einseitiges GermanicusBild von außen weder verifizieren noch falsifizieren, wie dieses dank Cassius Dios realistischem Bericht zur Meuterei der Rheinarmeen noch möglich war.25 Methodisch sind wir für die eigentlichen Germanicusfeldzüge also ganz auf die limitierten Mittel textimmanenter Kritik und Interpolation angewiesen. Die hier skizzierte Aporie gilt keinesfalls nur für Germanicus’ Taten, sondern ebenso für seine von Tacitus kunstvoll gestaltete Persönlichkeit. Etliche Abhandlungen befassten sich mit der Person des Germanicus in der Annahme, aus der kaiserzeitlichen Historiographie wirkliche Wesenszüge dieses Menschen gewinnen zu können. Der Fortschritt den eineinhalb Jahrhundert diesbezüglicher Forschung erzielten besteht darin, inzwischen zweifelsfrei gezeigt zu haben, dass das Germanicus-Bild in der kaiserzeitlichen Historiographie schon lange vor Tacitus kanonisiert wurde. Trotz anderer Details unterscheiden sich die bei Sueton und Cassius Dio noch greifbaren Relikte vom taciteischen Germanicus-Bild nur in Nuancen. Was nicht (allein) darauf zurückzuführen ist, dass deren Werke nach den Annalen entstanden und von diesen beeinflusst waren. Eine wesentliche Erkenntnis der modernen Altphilologie und Historiographieforschung ist eben die, dass Aussagen aller drei Autoren in den Wesenszügen bereits auf einem kanonisierten Germanicus-Typus der frühkaiserzeitlichen Historiographie fußten. Eine oder auch mehrere gemeinsame Vorlage(n) existierte(n) sicher. Strittig blieben eigentlich nur Autor und Werk.
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Vgl. u. a. Höfer 1885, 5 f.; Kessler 1905, 92 und Syme 1958, 157 sowie den Text in und zu Anm. 98 ferner Anm. 104; 112; über defizitäre Fakten zu Armeebewegungen etc. siehe unten Anm. 198–200. Kessler 1905, 22 ff., für ihn ist (Kessler 1905, 98) Dios Bericht zum Ende der Meuterei der niedergermanischen Legionen „die einzige glaubwürdige Quelle.“ Dasselbe gilt für die Motivation des Herbstfeldzuges gegen die Marser (Cass. Dio 57,6,1): Walser 1951, 60 („pathetische Begründung des Tacitus“); Akveld 1961, 49 („pathetische verklaring die Tacitus geeft“); das Richtige bei Timpe 1968, 24–30. Für Dessau 1926, 11 diente die Strafexpedition „zum guten Teil, um den Schleier der Vergessenheit über diese Vorgänge (d. h. die Meuterei und die Lynchmorde in Vetera) zu werfen.“ Quellenvergleiche zur Darstellung der Meuterei bei Tacitus, Velleius, Sueton und Cass. Dio bieten u. a. Spengel 1904, 11–21; Marsh 1959, 53 ff.; 267 ff.; Walser 1951, 55 ff. und Seager 2005, 48 ff. – Der überhaupt vielfach unnütze Kommentar Goodyear 1972, 313 meint die historiographisch wichtige und sachlich entscheidende „discrepancy between T(acitus) and Dio, though not easily reconcilable, is not serious.“ Und zur ’Bestätigung’ meint er (Goodyear 1972, 314), „Koestermann“ (1957 ohne präzise Seitenangabe) „rightly emphasizes what both T. and Dio imply, that this campaign was an improvisation, not part of a plan previously worked out.“ Soviel zu den unterschiedlichen Planeten von Philologen und Historikern, die nach über 500 Jahren Forschung zu den Germanicusfeldzüge immer noch nicht realisiert haben, wie nachhaltig sie auf die taciteische Geschichtsverdrehung hereinfielen. Zur fundamentalen Diskrepanz der von Cassius Dio und Tacitus jeweils angeführten Motivationen für die Marser-Expedition siehe Kehne 2017, 97.
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Aber da sich die Forschung auch diesbezüglich in einer mangels Sachinformationen unvermeidlichen Aporie befand, verlor sie das Interesse daran und wandte sich Fragen zu, über die jede/r weit einfacher handeln kann – wie z. B. der Alexander-Imitatio. Leider befand man sich aber auch damit wieder in der vom Annalen-Historiker zusammengebrauten Suppe aus Nachrichten, Meinungen, Unterstellungen, Heroisierungen, Diffamierungen und vielem anderem mehr. Es gibt natürlich immer wieder historische und literaturwissenschaftliche Dilettant(inn)en, die mangels fundierter Kenntnisse quellengläubig sind und meinen, Tacitus berichte wirkliche Fakten. Und da die Lektüre der Werke von Walker, Syme und Mendell viel zu kompliziert und zu mühsam ist, halten diese sich an die einfachen taciteischen Muster, ohne zu realisieren, welchen Manipulationen sie damit aufsitzen. Seager ist dafür geradezu ein Musterbeispiel jener Pseudoalthistoriker/innen, die noch in unserer Gegenwart glauben, Tacitus wolle zu seinen Protagonisten ausschließlich Fakten berichten. In weitgehender Unkenntnis der vorliegenden Fachliteratur und bar jeglicher Quellenkritik übernimmt Seager (2005) in seinem Tiberius-Buch unreflektiert die Mehrzahl der von Tacitus maliziös fabrizierten Urteile, ohne deren Strickmuster verstanden oder überhaupt einmal nachhaltig hinterfragt zu haben.
1.3
Gliederung
Diese Prolegomena zu einem Forschungsbericht über die Germanicusfeldzüge der Jahre 13–16 umfassen noch fünf weitere Teile: Nachdem diese Einleitung bereits die Ausgangssituation mit den Überlieferungs- und Textproblemen der klassischer Philologie und ihrem Dilemma benannt hat und erstmals in der Geschichtswissenschaft die Frage aufwarf, warum die altertumskundliche Forschung nach rund 500 Jahren noch zu keiner verbindlichen Rekonstruktion der Germanicusfeldzüge gelangt ist (Teil 1), wendet sich die Untersuchung einigen dafür verantwortlichen Ursachen zu. Erstens Tacitus’ Germanicusbild, weil dieses nach vorgefertigten Schablonen der frühkaiserzeitlichen Historiographie durchgängig rhetorisch gestaltete Kunstprodukt Tacitus’ Darstellungsabsicht lenkte (Teil 2). Zweitens dessen historiographische Darstellungsinteressen und der Frage: „Warum berichtet Tacitus nicht das, was Althistoriker wissen möchten?“ (Teil 3). Dem folgt ein Abschnitt zu folgenschweren Anschauungsproblemen, Vorurteilen, falschem Textverständnis etc. (Teil 4) am Hand chronologisch angeordneter, detaillierter Einzelbetrachtungen, die zugleich Ansätze neuer Sichtweisen zu altbekannten Problemen bieten: Tacitus und Geographie (4.1), Tacitus und die pontes longi (4.2), Tacitus und die Wesererkundung 15 n. Chr. (4.3), Tacitus und die Weserfahrt 16 n. Chr. (4.4), Tacitus und der Albis (4.5), Tacitus und die Forschung zu Idisiaviso (4.6), Tacitusforschung und Angrivarierwall (4.7), Weiteres zu Tacitus und Geographie (4.8). Dem Fazit nebst
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Tacitus’ rhetorisch-dramatische Darstellungsabsicht
kurzer historischer Gesamtbilanz der Germanicusfeldzüge (Teil 5) folgt in einem Anhang (Teil 6) ein erster Versuch zur Systematisierung und Klassifizierung wissenschaftlicher Arbeiten über die Germanicusfeldzüge.
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Tacitus’ Germanicusbild – ein durchgängig rhetorisch gestaltetes Kunstprodukt nach vorgefertigten Schablonen der frühkaiserzeitlichen Historiographie
In der Vergangenheit wurde über Germanicus häufig und meist unangemessen gehandelt. Vieles davon, insbesondere die Charakterstudien sind müßig, weil Tacitus und seine Vorgänger weniger Handlungen und Wesenszüge des realen Menschen überlieferten, sondern solche eher nach übernommenen oder eigenen Vorurteilen oder Wunschvorstellungen abfassten. Stichhaltige Fakten sind rar. Und wenn eines inzwischen sicher ist, dann dieses: Keinesfalls schildert Tacitus den historischen Germanicus. Vielmehr kreiert er seine Version eines Tyrannen-Widerparts, wobei sich für unsere Erkenntnisbemühungen die doppelte Verzeichnung besonders verhängnisvoll auswirkt. Denn dem unhistorischen und bewusst als Tyrannen gezeichneten Tiberius steht in den taciteischen Annalen der ebenso unhistorische wie bewusst als republikanischer Tugendheld ausgemalte Germanicus gegenüber, der sich unter Retuschierung eigener Charakterschwächen den gezielt übertriebenen, wenn nicht frei erfundenen des taciteischen Tiberius konfrontiert sieht. Bereits im Agricola hatte Tacitus sein Grundmuster der Prinzipatskritik ausgeführt. In seinem Alterswerk kam der greise Historiker darauf nicht nur zurück, sondern er wiederholte und exemplifizierte es in altersbedingter Phantasielosigkeit gleich mehrmals, wobei er sich insofern steigerte als er durch seine weiter perfektionierte Kunstsprache und literarische Darstellungskunst die Bilder der vermeintlichen Tyrannen (besonders Tiberius und Nero) in denselben Relationen noch düsterer wurden wie die seiner quasi altrömischen Tugendvertreter (besonders Germanicus und Corbulo) noch heller erstrahlten. Persönlich und historisch hatte Tacitus nur sein „Tyrannenerlebnis“ mit Domitian, welches wir nach dem Verlust seiner diesbezüglichen Historienbücher leider nicht genauer kennen, in das aber sehr wahrscheinlich ebenso Grundzüge des klassischen griechischen Tyrannenbildes eingeflossen sind, wie die des Domitianbildes in jene früherer Kaiser. Historisch gesehen haben wir das Paradoxon, dass der in Domitian ausgereifte Despotismus und damit Tacitus’ früher Tyrannentyp zum Vorbild historisch älterer, aber später beschriebener
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Formen rückprojiziert wurde. Die Jugendskizze eines verfaulten Apfels wurde zur Vorlage für erste kleine grüne Jungfrüchte des Altersgemäldes. Wichtige Erkenntnisfortschritte brachten Abhandlungen, die von taciteischen Personendarstellungen abstrahierten. Während Versatzstücke und Grundmuster antiker Literaturproduktion im allgemeinen Germanicus-Bild zuvor nur vereinzelt erkannt wurden, geht man nun von dessen weitgehend künstlicher Fabrikation aus. Nach und nach wurden immer mehr antike Vorlagen für die Germanicus angedichteten Wesenszüge ermittelt. Ein hyperkritisches Resümee könnte inzwischen die Frage stellen, ob die kaiserzeitliche Historiographie von Germanicus überhaupt noch irgendeinen authentischen Wesenszug überliefert. Unser nicht mehr lösbares hermeneutisches Problem besteht mithin zum Beispiel darin, nicht mehr ermitteln zu können, ob sich Germanicus im Orient bewusst wie ein Alexander der panegyrisch überzeichneten Überlieferung verhielt, oder ob dieses von seinem Umfeld so aufgefasst oder ihm von seiner Entourage lediglich unterstellt wurde, oder ob dieses erst postum durch Historiker der Agrippina- bzw. Nachkommenfraktion geschah. Völlig egal, was der Mensch Germanicus persönlich war oder wollte – dargestellt wurde er nach Mustern Alexanders des Großen, Marcus Antonius’ oder sonstiger historiographischer Personen, wenn die Autoren nicht gleich Figuren der Sage, vornehmlich der Ilias bemühten – was vor ihm schon Bilder von Caesar und Pompeius in der frühkaiserzeitlichen Überlieferung charakterisierte. Die Altertumsforschung hat zur taciteischen Figur des Tiberius inzwischen immerhin erkannt, dass Tacitus, wie es Ernst Kornemann schon treffend ausdrückte, nicht „aus blindem Haß gegen den Prinzipat diese Mißgestalt des immer ungerechten, heuchlerischen, grausamen und boshaften Tyrannen geformt“ hat. Er brauchte lediglich für seine „hochkünstlerische Komposition neben der Lichtgestalt des Germanicus, des ‚liberalen Kronprinzen‘ (Tac. ann. 1,33 und 2,72), als Schattenfigur den Tiberius.“26 Dieser bekam in den Annales folglich dieselbe Rolle zugewiesen, wie Domitian in den Historiae. Ebenso wenig kreierte Tacitus seine berühmten Antagonisten neu. Er übernahm der bereits vorgeformten Tradition einfach unhistorische Darstellungen und Wesenszüge von Tiberius und Germanicus. Denn die politischen Urteile, die Tacitus in den Annalen über die julisch-claudischen Kaiser fällte, waren in der frühkaiserzeitlichen Historiographie längst vorformuliert – insbesondere durch die Commentarii der Agrippina minor,27 durch Servilius Nonianus, Seneca, Cluvius 26 27
Kornemann 1947, 41; Kornemann 1960, 256–257. Kornemann 1960, 224 (Titel:) „Tacitus als Verkünder ihres (sc. der Agrippinen) Haßgesanges gegen Livia und Tiberius“ und 254: „Sie [„die zweite der Agrippinen, die schließlich das Opfer ihres eigenen Sohnes wurde“, sc. Agrippina minor, Kornemann 1960, 253] ist es gewesen, die der neuen Staatsform […], auch in der Überlieferung an die Nachwelt den Todesstoß versetzt hat. Wie ihre Mutter [sc. Agrippina maior] durch ihr Auftreten und ihre Handlungsweise, so hat sie nicht nur dadurch, sondern auch durch ihre Memoiren dem Prinzipat wie kein anderer geschadet. Denn sie hat der Mutter
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Rufus oder andere.28 Im Gegensatz zu Tacitus’ früheren Werken „ist“, laut Kornemann, „das Bild der Zeit und der Personen aus der den Annalen zugrunde liegenden Tradition, in noch größerem Umfang, nämlich bis auf die formale Gestaltung hin, einfach übernommen worden, auch wenn sie auf der schlechtesten Grundlage, z. B. auf vagen Gerüchten oder tendenziösen Memoiren der Teilnehmer an den Ereignissen beruht.“
Bereits dort waren Germanicus als milder, moderater, allseits beliebter Caesar und Tiberius als grausamer verschlagener Despot dargestellt.29 Tacitus gab
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Haßgesang gegen Livia und ihren ältesten Sohn mit seinen Entstellungen und Verzeichnungen in der historischen Literatur zu einer Geltung verholfen, die alle anderen Auffassungen und Beurteilungen kaum zu Wort kommen ließ. Ihre Darstellung“ ist direkt und indirekt „zu Tacitus gelangt. Er hat Tiberius als den immer ungerechten, heuchlerischen, grausamen und boshaften Tyrannen dargestellt, Tiberius, der in Wirklichkeit das gerade Gegenteil davon war.“ Zu vorformulierten Bildern der Tradition siehe u. a. Schwartz 1899, 1716 f. Demnach hat Tacitus das von Tiberius „vorgefundene Gesamtbild in kleinere Stücke geschlagen, die er mit grossem Effect an passender Stelle anzubringen versteht.“ „Das leuchtende Gegenstück zu dem düsteren Typus des verschlossenen Alleinherrschers ist die im Glanz der Volksgunst strahlende Lichtgestalt des Kronprinzen Germanicus (Cass. Dio 57,18): hier ist die Congruenz mit Tac. (ann. 2,72) und Suet. (Gaius 3) mit Händen zu greifen.“ Schwartz sah darin eine „Schöpfung“ von dem „genialsten Annalisten der Kaiserzeit“ aus der Anfangszeit des Caligula. Klingner 1965a, 493 hält diesen für M. Servilius Nonianus. Vgl. Kessler 1905, 63 ff.; 65–69; Gelzer 1918, 457; Pani 1966 und Questa 1957, u. a. 125 ff. und 138 ff. Auch Borzsák (1968, 487) verankert die problematische Germanicus-Überlieferung in der Caligula-Zeit. Und Ronald Martin (1994, 199; 204–206) meint: „The influence of the unknown annalist on Tacitus is undeniable. He may have been responsible for drawing what became the definitive portrait of Tiberius’ character, with its traits of dissembling and rancorous tyranny.“ Kornemann 1947, 40. Ferner Kornemann 1960, 224 mit Anm. 3: „Tacitus hat die in seinen Quellen bereits vorgefundene ungünstige Wertung (sc. des Tiberius) in seine Sprache und in seine Art, alles hintergründig zu sehen, umgesetzt.“ – Zum taciteischen Tiberius-Bild existiert inzwischen, wie Borzsák (1968, 490–492) anmerkte, eine „eigene Fachliteratur.“ Siehe dazu u. a. die Forschungsberichte von Suerbaum 1990, 1146–1156 und Downey 1975, 105–124. Ferner Spengel 1904, 3 ff.; 5 ff.; 43 ff.; Kessler 1905, 100 ff.; bes. 102: „Ich weiß nicht, was verwunderlicher ist, dass ein ernster Autor seinen Lesern eine solche Jämmerlichkeit (sc. die Tiberius Darstellung) zu bieten wagte, oder dass die Leser sie Jahrhunderte lang kritiklos hinnehmen konnten.“ Klingner 1965b, 516 meint, dass Tacitus „das Domitian-Erlebnis in Zeiträume der Vergangenheit ausgebreitet hat.“ [Ähnliches gilt nach neuerer Analyse für Tacitus' Trajan-Bild: K. Ruffing, Principatus ac Libertas!? Tacitus, the past and the Principate of Trajan, in: A. Damtoft Poulsen und A. Jönsson (Hrsgg.), Usages of the Past in Roman Historiography, Leiden (im Druck)]; Krohn 1934, 55 ff.; Klingner 1986, 536 ff.; 547 ff.; Mendell 1957, 126 ff.; Syme 1958, 420–434; Kornemann 1960, 68 ff.; 224 ff. (bes. 254: Tacitus übernimmt von Iulia Agrippina „der Mutter Haßgesang gegen Livia und ihren ältesten Sohn“ Tiberius [vgl. Anm. 27] und 257 „nicht zum wenigsten die Ausstreuung des falschen Gerüchtes, Livia und Tiberius hätten den Germanicus nicht gemocht und seinen Tod durch Piso und Plancia herbeigeführt.“ – Unbewusst übernahm aber selbst der quellenkritische Kornemann wiederholt böswillige
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diesen Grundmustern in den Annalen nur noch seine persönliche künstlerische Note, indem er Germanicus in mitunter pathetischen Szenen noch wirkungsvoller als strahlenden Helden zu präsentieren suchte. Damit entstand
taciteische Mitteilungen und Unterstellungen als Fakten, siehe Kornemann 1960, 14 f.]; Borzsák 1968, 490–492 mit Literatur; vgl. Shotter 1968, 196 ff.; B. Levick, Tiberius, the Politician, London 1976; ²1999, 222 f.; Shotter 1991, 3305 ff.; Mellor 1993, 72 ff. (u. a. 73: „Our own century, […] has resorted to psychoanalyzing both Tiberius and his biographer Tacitus as clinical cases who are not to escape Dr. Freud’s ministrations.“); Martin 1994, 204 ff.; Woodman 1997, 103 ff.; Muhlack 2003, 355 f.; Kehne 2005, 562 mit weiterer Literatur; vgl. Schmal 2005, 71 f. – Wertlos ist demgegenüber die völlig unkritische ‚Biographie‘ des tacitusgläubigen Seager 1972/2005. Und die umfangreiche Diss. von Michael Hausmann, Die Leserlenkung durch Tacitus in den Tiberius- und Claudiusbüchern der Annalen, Berlin 2009, bietet auf 472 S. u. 1382 Anm. mit einer sehr defizitären Auswahl und Verarbeitung relevanter Forschungsliteratur lediglich oberflächliche Kompilationen von Bekannten (zu Tiberius hier 36-43) nebst einer Fülle spekulativer Interpretationen. Zu Tacitus’ Germanicus-Bild siehe die Literaturberichte von Drexler [siehe oben] 349–353; 411 ff. und Suerbaum 1990, 1188–1192; ferner Kessler 1905, bes. 101 ff.; Gelzer 1918, 456 f.; Krohn 1934, 74 ff.; Syme 1934, 374 Anm. 1 („at the very least he cannot be absolved from the charge of magnifying and distorting both the character and the results of his hero’s campaigns“); Walser 1951, 53–66 (mit der Gesamtbewertung als „panegyrische, nur auf die Person des Germanicus konzentrierte Schilderung der germanischen Kriege“ (ebd. 64 und 66): „Das taciteische Auswahlprinzip besteht im Bevorzugen des psychologisch Interessanteren, nicht des Glaubwürdigeren.“ Mendell 1957, 129 ff. („intense admiration for Germanicus, which is not wholly due to his value as a dramatic figure“ – dieser ist zwangsläufig Bestandteil des Systems, wird aber von Beginn der Annalen an in von Tiberius verursachten Schwierigkeiten geschildert); Syme 1958, 418 mit Anm. 7; Akveld 1961, bes. 137 ff.; Pani 1966, 107 ff.; Borzsák 1968, 486–488; 490; Shotter 1968, passim; Borzsák 1969, 588–590 (zur Forschung); 593–595 (zu eindeutigen Parallelen zwischen Tacitus’ Agricola- und Germanicus-Bild); Borzsák 1970b und 1970a, 53–54 wo er u. a. darauf hinweist, „daß sich in Germanicus als positivem Gegenpol des ‚Tyrannen‘ des Alterswerkes […] die Tugenden des Agricola verkörpern, der ja im Erstlingswerk als Opfer der domitianischen Tyrannei dargestellt wurde.“ Zum völlig unkritischen Seager 1972/2005 siehe oben; D. O. Ross, The Tacitean Germanicus, Yale Class. Studies 23 (1973), 209–227.; Downey 1975, 109 f.; Cresci Marrone 1978, 224 (letztlich stellt Tacitus Germanicus als symbolisches Opfer eines tyrannischen Systems, „vittima di un regime tirannico“, hin); Gallotta 1987, 8 ff. passim; L. W. Rutland, The Tacitean Germanicus. Suggestions for a re-evaluation, Rheinisches Museum für Philologie 130 (1987), 153–164.; Malissard 1990; Sage 1990, 1022 mit Literatur und Anm. 893; Shotter 1991, 3305 ff. (passim im Tiberius-Kapitel); O. Devillers, Le rôle des passages relatifs à Germanicus dans les Annales de Tacite, Ancient Society 24 (1993), 225–241; C. Pelling, Tacitus and Germanicus, in: T. J. Luce u. A. J. Woodman (Hrsgg.), Tacitus and the Tacitean Tradition, Princeton 1993, 59–85 (stilisiert als republikanischer Anachronismus); Kehne 1998, 446 f. mit weiterer Literatur; A. Fraschetti, L’eroizzazione di Germanico, in: Ders. (Hrsg.), La commemorazione di Germanico nella documentazione epigrafica. Convegno Internazionale di Studi Cassino 21–24 ottobre 1991, Rom 2000, 141–162; Hausmann 2009 (s. o.), 80-97 u. 112 ff. sowie Low 2016.
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aus der bereits problematisch-verzerrten Germanicus-Überlieferung der Caligula-Zeit, wie Stefan Borzsák differenzierte, „unter T(acitus’) Händen das bezaubernde, aber historisch unhaltbare schwarz-weiße Portrait […]. Germanicus wurde zu einer Idealgestalt geformt, die mehr als irgendein anderer unter dem eifersüchtigen und mißtrauischen Tyrannen zu leiden hat; der taciteische Germanicus ist die einzige Persönlichkeit, in deren Liebe sich die nobilitas und das bei T(acitus) mit vorbehaltlos positivem Vorzeichen nur in diesem Zusammenhange 30 erwähnte Volk sich finden.“
Tiberius porträtierte Tacitus dagegen sehr viel feinsinniger und hintergründiger mit allerlei raffinierten Stilmitteln in zunehmend immer dunkleren Farben, um so die stetige Enthüllung seines schlechten Charakters zu suggerieren, der bei ihm u. a. durch Hinterhältigkeit, Neid, Verstellung und Missgunst gegenüber und Furcht vor Germanicus gekennzeichnet ist.31 Sondert man hingegen alle persönlichen Meinungen, Ausdeutungen und Unterstellungen von Tacitus oder Cassius Dio aus und betrachtet allein die Fakten zum Verhältnis zwischen Tiberius und Germanicus, ergibt sich folgendes Bild: Tiberius profiliert Germanicus sofort durch Übertragung eines imperium proconsulare (maius), schützt ihn durch Entsendung von Prätorianern, wahrt Germanicus’ öffentliches Ansehen im Heer und im Senat, indem er, entgegen seiner eigenen Einstellung, dessen hilflose, voreilige Zugeständnisse an die Meuterer billigt. Selbstverständlich rät und vertraut Tiberius seinem Sohn. Er lobt den Marserfeldzug, ehrt ihn wiederholt: 15 n. Chr. mit dem nomen imperatoris, der Zuerkennung eines Triumphes und der Vergabe von ornamenta triumphalia an Germanicus’ führende legati. Er designiert ihn für 18 n. Chr. zum consul iterum und erweist ihm mit dem gemeinsamen Konsulat die größte Ehre, die dem fast gleichaltrigen leiblichen Sohn Drusus Caesar erst 21 n. Chr. zuteil wird. 17 n. Chr. organisiert Tiberius persönlich nicht nur Germanicus’ Triumph, sondern schenkt allen Römern dazu in dessen Namen noch eine hohe 30 31
Borzsák 1968, 487. So Knoke 1922, 508, der dieses als Faktum ansieht: „so werden bestimmte Nachrichten […] vorgelegen haben, welche ihn (sc. Tacitus) berechtigten einen solchen Vorwurf zu erheben.“ Koestermann 1957, 439 f. ist in seiner Tacitus-Verhaftung allen Ernstes davon überzeugt, dass Tiberius „ein Gefühl echter und gewiß nicht unberechtigter Furcht gegenüber Germanicus empfand (Tac. ann. 1,52; vgl. 1,7,6; Suet. Tib. 25,2; Cass. Dio 57,3,1), und nur aus dieser Sicht wird das Verhalten des Kaisers verständlich.“ [Meine Sperrung!] Für den Fall, dass es im Himmel oder Hades eine Historiker-Ecke gibt, in der Tacitus 1957 amüsiert lesen konnte, welch weitreichende Wirkung seine böswilligen Unterstellungen und Verleumdungen hatten und in welchem Maße selbst erfahrene, anerkannte Fachgelehrte noch viele Jahrhunderte später nicht nur von seinen diffamierenden Darstellung durchdrungen sind, sondern diese inzwischen sogar für wahr halten, lacht er vielleicht heute noch. Zu dem „durch die tiberiusfeindliche Überlieferung stark verzerrten Verhältnis“ zwischen Germanicus und Tiberius siehe u. a. Spengel 1904, 17 f.; Kornemann 1960, 257 (siehe Anm. 26 und 29); Borzsák 1969, 589, die Mehrzahl der in der vorletzten Anm. genannten Arbeiten und (vorläufig) zuletzt Low 2016, 222 mit Anm. 2.
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Geldsumme. 18 n. Chr. mach er ihn – wie einst Agrippa und C. Caesar unter Augustus – zum Mitregenten für die östliche Reichshälfte. Mehr konnte kein princeps tun, ohne sich dem Vorwurf extremer Vettern- bzw. Familienwirtschaft auszusetzen. Die außergewöhnlichen postumen Ehrungen für seinen Sohn und Neffen bestätigen diese konsequente Haltung. Dass dabei Germanicus’ Leistungen in Germanien entsprechend den neuen Maximen römischer Außenpolitik modifizierend objektiviert wurden, ist nur verständlich. Die Vorstellung oder Annahme, Germanicus hätte sich gegen seinen Vater erheben können, ist alleine schon deswegen absurd, weil Germanicus nach dem mos maiorum der Römer und insbesondere dem Kodex der Nobilität damit sofort ‚politisch tot‘ gewesen wäre. Tacitus wollte aber kein harmonisches Verhältnis darstellen. In seiner nachhaltigen Diffamierung des Kaisers Tiberius arbeitete er – nicht nur cum ira et studio, sondern für einen Historiker auch eindeutig unprofessionell – mit Andeutungen, Unterstellungen, angeblichen Gerüchten, willkürlicher Psychologisierung und subtiler Kommentierung in einer geschickt angeordneten Auswahl zurechtgerückter Fakten,32 angeblichen Handlungen und Meinungsäußerungen. Dabei bediente er sich eines reichen Repertoires an Topoi und produzierte, wie Ronald Syme ermittelte, „without any qualm a whole sequence of motives or train of argument that no witness could sponsor.“33 Dem gebildeten Leser überließ es Tacitus dann, unter alledem selbst die Bestätigungen längst vorhandener eigener Vorurteile zu finden. Literaturkundigen Lesern suggeriert Tacitus seine Meinung zudem über unausgesprochene, von ihnen selbst zu ziehende Parallelen. Siehe zum Beispiel Tac. ann. 2,22,1 seinen Kommentar zum Siegesmal, das der exercitus Tiberii Caesaris auf dem Schlachtfeld am Angrivarierwall, laut einem von Tacitus zitierten titulus, „Mars, Juppiter und Augustus geweiht hatte.“ „Über sich,“ fährt er zu Germanicus fort, „fügte er nichts hinzu (de se nihil addidit) – aus Furcht vor Neid/Missgunst oder in der Meinung, Mitwissen/Bewusstsein34 der Tat sei 32
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Klingner 1965b, 517 f.: „In den Annalen ist das Finstere dichter zusammengeballt und undurchsichtiger als in den Historien. Rücksichtsloser, ja fast gehässig sind die Menschen, vor allem die Kaiser, dargestellt. Besonders gut faßbar ist es in der Geschichte des Tiberius, wo man stellenweise die geschichtliche Überlieferung vor Tacitus recht gut zurückgewinnen kann, wie Tacitus zwischen den einzelnen Handlungen und Äußerungen des Kaisers die vernünftigen Motivierungen weggeschlagen hat und wie nun dieses Tun und Verhalten in irrationaler Unheimlichkeit stehengeblieben ist, Mißtrauen an sich, Heuchelei an sich ohne eine verständige Überlegung, nicht mit dem Erkennen zu begreifen, sondern nur als seelische Gebärde zu spüren.“ Zustimmend Kornemann 1934, 94 f. Syme 1958, 316. Zu dieser Technik und "Tacitus’ personal voice" Pelling 2009, u. a. 152 ff.; 160 ff. Nicht sicher aussagbar ist, ob conscientia hier das „Mitwissen“ anderer (primär der Beteiligten) um Germanicus’ Tat meint oder seine Überzeugung von der eigene Leistung. Womöglich wolle das Sprachgenie in einem Wort beides ausdrücken.
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genug (metu invidiae an ratus conscientiam facti satis esse).“ Bis zu dem hier eingefügten Gedankenstrich berichtet Tacitus Fakten. Danach folgen seine Meinung und Mutmaßung. Das angebliche Motiv metu invidiae beinhaltet gleich mehrere unbewiesene Annahmen; erstens, dass Germanicus Furcht und Grund dazu hatte. Zweitens unterstellt Tacitus irgendjemandem (böswillig?) Neid oder Missgunst als schlechte Eigenschaft. Die angedeuteten Mechanismen sind so allgemeingültig, dass jeder Tacitus darin folgen kann und weiß, wer gemeint sein dürfte – ohne dass es nötig ist, Tiberius namentlich zu nennen oder dessen suggerierte invidia zu beweisen. Anders als dieser kommt Tacitus’ Held Germanicus hier gut weg. Entweder erscheint er als Opfer von Tiberius’ Charakterdefiziten oder als tugendhaft bescheidener Mensch, der es dank Selbstwertgefühl und angesichts allgemeiner Kenntnis seiner Leistungen nicht nötig hat, diese noch eigens zu propagieren. Auch auf einer höheren Interpretationsebene ist damit für Tacitus’ gebildete Leser gemäß Agr. 39,1 das Muster klar: Wie Agricola den Neid Domitians so musste Germanicus den unberechtigten des Tiberius fürchten. Da etliche Zeitgenossen ersteres selbst miterlebt hatten, sollten und mochten sie Tacitus’ verdrehte Darstellung auch für Tiberius akzeptieren. Wie so oft lenkt nicht nur das historisch spätere Geschehen die Interpretation des früheren, hier lenkt auch die Mitteilungstendenz des älteren Berichts die diffamierende des jüngeren. „Tacitus vermeidet“ also, wie schon Gerold Walser erkannte, „eine wahrheitsgetreue Eingliederung des Germanicus in den Bereich der historischen Tatsachen. Es geht ihm nur darum, die virtus seines Helden am geschichtlichen Stoff zu erweisen.“35 Und dafür wird dieser Stoff durch zweckdienliche Selektion und Komposition so passend gemacht, dass ein in der Sache wenn auch nicht offenkundig falsches, so doch defizitäres, rhetorisches und im Gesamteindruck eindeutig tendenziöses Geschichtsbild entstand. Entgegen seiner berufsbedingt notwendigen Wahrhaftigkeitsbeteuerung wurde, nach dem profunden Urteil Ernst Kornemanns, vom greisen Tacitus „nicht mehr danach gefragt, ob die Geschichte wahr, sondern nur noch, ob sie im Sinne der erzieherischen Aufgabe wirksam ist.“36 In Wirklichkeit war der historische Tiberius kein verschlagener Tyrann, „der dissimulatio höher pries als seine anderen Tugenden.“37 Und 35
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Walser 1951, 63. Schon Syme (1934, 374 Anm. 1) notierte zu Tacitus’ GermanicusDarstellung: „His good faith and even his accuracy have been called into question by modern critics.“ (vgl. oben Anm. 29) Wie viele andere stellt auch Griffin 2009 die Frage nach Tacitus als Historiker. Kornemann 1947, 40; ähnlich Kornemann 1960, 256. Dazu unten Anm. 66. So allen Ernstes Shotter 1991, 3305, der Schwierigkeiten der Forschung mit dem taciteischen Tiberius-Bild annahm, „because Tiberius who prized dissimulatio above his other virtutes presented complex problems in comprehension and communication.“ Den Kern seiner Annahme bildet ein Zitat aus Tac. ann. 4,71,4 [4,71,3 bei Koestermann und Heubner]: nullam aeque Tiberius, ut rebatur, ex virtutibus suis quam dissimulationem diligebat. Aber wenn man die Eigenschaft, die Tacitus in einer maliziös unterstellten Meinungsbekundung betont, als Tatsache ansieht und daran seine Beurteilung des Kaiser zu
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Germanicus war Lichtjahre davon entfernt, ein römischer Alexander zu sein. Das frühe Ende beider ‚Helden‘ und ihr Wirken im Orient bleiben die einzigen Gemeinsamkeiten. Wie schon erwähnt wissen wir nicht einmal, ob Germanicus bewusst oder notgedrungen in Ägypten ein wenig Alexanders Spuren folgte oder ob vielmehr sein Umfeld38 und/oder die spätere Historiographie ihn so erscheinen ließen.39 Schon die von Tacitus kritiklos verarbeitete panegyrische Tradition jedenfalls hat mit solchen Andeutungen gearbeitet. Und bei Tacitus „beobachtet man auf alle Fälle ein wahrhaftiges Arsenal der Alexandermotive“40 – was überwiegend deutsche und italienische Altertumswissenschaftler, die Reverenz nicht immer von Nachahmung unterschieden, in Phantasien schwelgen ließ.41
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messen, zu verifizieren oder zu falsifizieren sucht, kann ein Zugang methodisch gar nicht verfehlter sein. Siehe dazu u. a. Woodman 1997, 104. So schon erwogen von Borzsák 1970b, 279; dezidierter Gallotta 1987, 172 (vgl. 109 Anm. 19) zur Zelebrierung der Einäscherung in Antiochia (Tac. ann. 2,73). Das Problem besteht freilich darin, dass wir diesem Gerücht ebenso wenig trauen dürfen wie Tacitus’ übrigen. Borzsák 1970b, 279; Malissard 1990, 332 Anm. 18: „Le problème […] est en effet de savoir si Germanicus imite ou n’imite pas Alexandre.“ Zu den (naiven) Imitationsbefürwortern zählt er Aalders, Borzsák und Lehmann – zu ergänzen ist Questa (1957). Zu den Skeptikern/innen u. a. Cresci Marrone und Sidari. Vgl. dazu Gallotta 1987, 8 f. Anm. 8; 109 Anm. 19; 161; 167 f.; 172 ff. und Abramenko 1994, 371 ff. (schon traditionelle antike Parallele), der (Abramenko 1994, 379 ff.) als „literarische Muster“ auch „Vergleiche zwischen Angehörigen des Kaiserhauses und Helden der homerischen Epen“ betont. Borzsák 1970b, 279. Weil das Thema so schön spekulativ ist und niemand auch noch so absurde Thesen wissenschaftlich widerlegen kann, nimmt die Zahl überflüssiger Publikationen zur sog. Alexander-Imitation ständig zu. Siehe u. a. G. J. D. Aalders, Germanicus und Alexander der Große, Historia 10 (1961), 382–384 (spekulativ); Borzsák 1969, 593 f. und 595 f. („Gemeinplätze der Alexander-Enkomien“ finden sich zuerst bei Agricola, Parallelen dann bei Germanicus); G. A. Lehmann, Tacitus und die ‚imitatio Alexandri‘ des Germanicus Caesar, in: Radke 1971, 23–36 (zu Lehmanns zahlreichen Fehlern: Borzsák 1982); G. Cresci Marrone, Germanico tra mito d’Alessandro ed exemplum d’Augusto, Sileno 4 (1978), 209– 226; D. Sidari, Il problema partico e imitatio Alexandri nella dinastia giulio-claudia, Memorie dell’Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti 38 (1982), 51–70; S. Borzsák, Alexander der Große als Muster taciteischer Heldendarstellung, Gymnasium 89 (1982), 37–56, hier 46 ff. (zu Tacitus’ Beschreibung von Szenen mit Germanicus nach Mustern der tragischen Alexander-Historiographie, wobei er sich – mit berechtigter Kritik an Lehmann – korrekt dagegen verwahrt, hierin faktisches Imitieren Alexanders durch Germanicus zu sehen); Heller 1982, 191 fügte einen solchen Vergleich sogar mit falscher Namensnennung in seine Übersetzung ein. M. L. Paladini, A proposito del parallelo Alessandro Magno – Germanico Caesare in Tacito, in: M. Sordi et al. (Hrsgg.), Alessandro Magno tra storia e mito, Mailand 1984, 179–193; L. Braccesi, Germanico e l'imitatio Alexandri in Occidente, in: G. Bonamente u. M. P. Segoloni (Hrsgg.), Germanico. La persona, la personalità, il personaggio nel bimillenario dalla nascita, Rom 1987, 53–65; G. Cresci Marrone, Germanico e l’imitatio Alexandri in Oriente, in: G. Bonamente u. M. P. Segoloni (Hrsgg.), Germanico. La persona, la personalità, il personaggio nel bimillenario dalla nascita, Rom 1987, 67–77; Malissard 1990; Abramenko 1994, bes. 371 ff. mit Anm. 1 und 378 f. (zur bereits antiken Parallelisierung, was er für Drusus maior allerdings ablehnt).
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Die kaum noch greifbare Person des Germanicus hatte damit vermutlich wenig zu tun.42 Die Forschungsdebatte um Germanicus’ angebliche AlexanderImitation ist somit eher ein Produkt der ihn so stilisierenden modernen Historiker. Im Grunde sind die ersten beiden Bücher der Annalen nichts anderes als „eine waschechte und eigenartige Hagiographie des Germanicus“ – wie es Cesare Questa auf den Punkt brachte.43 Und nach etlichen Vorgängern konstatierte selbst Koestermann in seinem Kommentar: „Die Darstellung des Tacitus ist ohne Zweifel schönfärberisch, um das Prestige seines Helden zu erhöhen, wenn dessen Verhalten auch in Einklang mit den von ihm geschilderten Charaktereigenschaften steht.“44 Wozu auch sonst? Koestermann übersah oder verdrängte dabei nur das hermeneutische Problem, dass wir keine einzige verlässliche Quelle für Germanicus’ ‚wirkliche‘ Eigenschaften besitzen und die ‚angeblichen‘ nur aus Tacitus’ Komposition und den von ihm (und anderen) aus den historiographischen Vorlagen übernommenen Charakterisierungen kennen. Jene finden sich geradezu kanonartig bei Flavius Iosephus, Sueton und Cassius Dio wieder.45 – Ähnliches gilt für die auch von Koestermann vertretene Auffassung einer „etwas theatralischen Wesensart“ des Germanicus, die Borzsák m. E. zu Recht bestritt und zutreffend auf Tacitus’ „theatralische“ Vorlagen zurückführte.46
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Zum Gesamtphänomen u. a. A. Kühnen, Die imitatio Alexandri in der römischen Politik (1. Jahrhundert v. Chr.–3. Jahrhundert n. Chr.), Münster 2008. – Überhaupt sollte die Forschung terminologisch streng zwischen einer „Alexander-Imitation des Germanicus“ (sc. Germanicus’ Imitieren) und der Annahme einer „Alexander-Imitation für Germanicus“, also der Übertragung von Mustern der Alexander-Darstellung auf die des Germanicus unterschieden werden. Ein Teil der modernen Auffassung über eine bewusste Alexander-Imitation durch Germanicus hängt an einem einzigen, aber unleserlichen (!) Wort „o[ph]ẹị[lema]“ (d. h. wirklich zu lesen ist nur das Omikron; die eckigen Klammern ergänzen insgesamt sechs fehlende Buchstaben; und die beiden unterpunkteten Buchstaben meinen [oder wünschen] nur einige Editoren zu sehen!) des P.Oxy 2435 = Ehrenberg/Jones 1976 Nr. 379, Z. 20 und D. G. Weingärtner, Die Ägyptenreise des Germanicus, Bonn 1969, 73 f.; 76 ff. Gleichwohl stellen viele Beiträge es so hin, als sei diese Emendation ein Faktum, so u. a. Cresci Marrone 1978, 221 f. Questa 1957, 291: „una vera e propria agiografia“; zustimmend u. a. Borzsák 1969, 588; Borzsák 1970a, 53. Koestermann 1963, 234. Vgl. zur unkritischen Wertung durch Akveld 1961, 137 ff. und andere z. B. Kornemann 1947, 41 mit Anm. 2; Gallotta 1987, 8 mit Anm. 8 und Malissard 1990, 332 f. Borzsák 1982, 53: „In Wirklichkeit sollte nicht die Wesensart des Germanicus, auch nicht die Szene als ‚theatralisch‘ bezeichnet werden, theatralisch sind die Vorlagen des Tacitus […] zusammen mit der ganzen ‚tragischen‘ Historiographie.“
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Fazit: Angesichts aller dieser Umstände ist das Erstellen wirklichkeitsnaher psychologischer Profile, sei es von Tiberius oder Germanicus, völlig aussichtslos.47 Das sich im 1. Jahrhundert allmählich verfestigende Germanicus-Bild ist folglich allerorten ein konstruiertes Idealbild, in dem Germanicus festgelegte Typen verkörpert: Er erscheint als der ideale, umsichtige, vorausschauende, stets siegreiche, dabei um seine Soldaten besorgte und von ihnen verehrte Feldherr, der – nach Tacitus’ Ansicht – wie Agricola und Corbulo von einem eifersüchtigen Herrscher an wünschenswerten Eroberungen gehindert wurde. Er ist der ideale Sohn, der stets seines leiblichen Vaters gedenkt und sich Tiberius gegenüber immer loyal verhält. Trotz aller angeblich erduldeten Mühsale entschlüpft seinem Mund in den taciteischen Annalen keine einzige Kritik am princeps. Während dieser in der taciteischen Darstellung Germanicus’ Handeln bei verschiedenen Gelegenheiten rügt oder beanstandet wie angesichts der Nachgiebigkeit gegenüber Meuterern,48 der Bestattung der Überreste von Gefallenen der Varuskatastrophe, der Gesamtbilanz der Germanienfeldzüge, der unerlaubten Einreise nach Ägypten etc. Dabei erfolgen Tiberius’ Beanstandungen, bei und laut Tacitus, immer in maßvoller Art.49 Wirkliche rügenswerte Verfehlungen beging sein Held Germanicus selbstverständlich nicht. Objektiv gab es freilich berechtigte Gründe zur Kritik.50 Jedoch können wir nicht mehr ermitteln, in wieweit der Historiker Tacitus hier die Überlieferung gestaltete. Machte er mit dieser Art ‚Lesezeichen‘ auf Germanicus’ wiederholtes Versagen, dessen Ungeschicklichkeit51 und Insubordination aufmerksam, um so sein eigenes Idealbild zu unterminieren? Oder entschärfte er vielmehr eine ereignisnähere, seinen ‚Helden‘ womöglich weit negativer beurteilende Tradition? Jedenfalls platzierte Tacitus die kaiserliche Kritik sehr geschickt an Schlüsselpunkten seiner Germanicus-Darstellung; nämlich dort, wo dieser etwas tat oder wollte, was sonst keiner fertigbrachte oder beabsichtigte: Die Meuterei zu beenden, ohne selbst eine einzige Hinrichtung zu befehlen; das Feld des finalen Gemetzels der Varusschlacht aufzusuchen und den Toten die letzte Ehre zu erweisen; verwundete Soldaten im Lazarett zu besuchen und so den unvermeidlichen Opfern seiner Kriegführung Anteilnahme und Fürsorge zu bekunden; rebellische Germanen ungeachtet aller Kosten und Rückschläge bis zur endgültigen Unterwerfung zu bekriegen oder als Senator in Ägypten 47 48
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Vgl. Abschnitt 3. Spengel 1904, 20 zur Kritik des Tiberius, für den es zwischen Selbstmord und vollständiger Bewilligung aller Forderungen noch andere Wege gab, eine Meuterei zu beendigen. Vgl. u. a. Kessler 1905, 69 f. Gelzer 1918, 456 f.; Borzsák 1970b, 287; Kehne 1998, 444 f.; Burmeister/Kehne 2015, 66; 71– 73. Vgl. Tac. ann. 2,57,4 die Episode der Entgegennahme goldener Kränze vom rex Nabataeorum.
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einzureisen und dort großzügig Getreide zu verteilen– freilich nur an die hellenistische Oberschicht. In jedem dieser Fälle offenbart der taciteische Germanicus mindestens eine positiv bewertete Eigenschaft. Dadurch erweckt der Dramatiker Tacitus sukzessive den Eindruck, als habe der princeps nicht nur ständig missgünstig an Taten dieses Caesars herumgenörgelt,52 sondern zugleich an den von Germanicus verkörperten virtutes – vor allem der clementia, moderatio, pietas, cura und misericordia. Allesamt waren diese nicht nur allgemein urrömische Tugenden, sondern virtutes principis – also solche, die man vor allem vom Kaiser erwartete. Mit diesen und anderen ihm zugeschriebenen militärischen wie zivilen Fähigkeiten und Tugenden53 ist Germanicus mehr als nur ein idealtypischer Caesar. Nächst dem gepriesenen, aber toten Vater Drusus erscheint er in den Annales geradezu als einziger ‚Vorzeigekandidat‘ der julisch-claudischen Herrscherdynastie. Tacitus stellt ihn somit nicht nur positiv dar, sondern hebt ihn geradezu idealisierend heraus. In der historischen Retrospektive wäre Germanicus, der sicher nie einen Senator hätte hinrichten lassen, der optimale Nachfolger des Augustus gewesen. Und einige kamen schon auf die pfiffige Idee, ob man Germanicus in der Antike nur deswegen als idealen Herrscher hinstellte, weil er niemals herrschte.54 Wenn demnach der ideale princeps derjenige war, der die Alleinherrschaft ablehnte oder ihr entsagte, wurde paradoxerweise ausgerechnet der einzige Kaiser, der beides wenigstens einmal ansatzweise versuchte, nicht nur von Tacitus zum Hassobjekt eines verschlagenen Tyrannen stilisiert.55 Bei einem ‚wirklichen‘ Historiker hätten die Beurteilungen beider Personen durchaus umgekehrt ausfallen können oder müssen. Denn selbst das geschönte taciteische Germanicusbild weist über Tiberius’ Kritikpunkte hinaus noch etliche weitere Schatten auf: Bei der Meuterei machte ausgerechnet der vermeintlich ‚ideale‘ Caesar eine geradezu klägliche Figur. Seine Fehleinschätzungen der Verkehrsproblematik und der Feindlage wurde Caecinas Heeresgruppe beinahe zum Verhängnis. Und sein Heer erlitt beträchtliche Verluste, die sogar Tacitus dazu brachten, dafür das Wort clades zu benutzen.56 Von einer Zerschlagung der Arminius-Koalition war der angeblich umsichtige und vorausschauende Feldherr im Jahre 16 fast noch ebenso weit entfernt wie zu Beginn 52
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Von Tiberius kritisierte Handlungen des Germanicus, in denen dieser seine positive Eigenschaften zeigte: clementia und moderatio bei der Meuterei; pietas bei der Bestattung von Überresten der Toten im Teutoburger Wald; cura bzw. misericordia bei LazarettVisiten und der Getreideverteilung in Alexandria. Weitere listet Malissard 1990, 332 f. auf. Ebenso Borzsák 1970b, 289; Cresci Marrone 1978, 225. So explizit A. Michel, Tacite et le destin de l’Empire, Paris 1966, 127. Vgl. Borzsák 1968, 490: „Der einzige Herrscher, der durch T(acitus). verehrt wurde, herrschte nicht“; Borzsák 1970, 287 f. Anm. 37; Malissard 1990, 333. Vgl. Kornemann 1947, 41. Tac. ann. 1,71,3. Zu der von Tacitus „unverblümt eingestandenen Niederlage“ (vgl. 1,71,1: exercitus damna) siehe Timpe 1968, 57 mit Anm. 48. Vgl. Syme 1934, 377.
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seiner Germanienfeldzüge. Womöglich hatte Arminius ihn mit seiner Aufstellung beim Angrivarierwall sogar ausmanövriert. Und auf der Düne einer Nordseeinsel zeigt Tacitus zwar einen am Schicksal Verzweifelnden in epischer Heldenpose, realiter stand dort aber ein militärischer Versager.57 Für Apologeten taciteischer Kompositionskunst bleibt Germanicus ein guter Politiker und Stratege; für Kritiker ist er eine nach Erfolg und Außenwirkung gierende politische und militärische Mediokrität.58 Historische Wirkungsmacht entfaltete eigentlich erst der tote Germanicus. Zum einen über den von seinem Freundeskreis59 angestrengten Piso-Prozess, der Tiberius’ Ansehen schadete; zum anderen über seine diesen Kaiser unablässig hassende Familie, die mit der Regierung Caligulas das Tiberius-Bild in der römischen Historiographie nachhaltig verunglimpfte. Den Gesamtkontext konnte sie jedoch ebenso wenig wie Tacitus verkennen. Denn es war – wie Kornemann vor langer Zeit schon treffend darlegte60 – ausgerechnet Germanicus’ engere Familie, die das System des augusteischen Prinzipats völlig ruinierte: Seine Frau Vipsania Agrippina, seine Schwester Claudia Livia Iulia (= Livilla), sein Sohn Caligula, seine Töchter Iulia Livilla und Iulia Agrippina (minor), sein Bruder Claudius, seine Nichte Antonia, sein Neffe Tiberius Claudius Germanicus (= Britannicus) und zum krönenden Finale sein Enkel Nero. Gut nur für Rom und die Geschichte, dass sich im Verlauf dieses Prozesses die vielen Familienmitglieder selbst oder gegenseitig auslöschten. Die besonders von Tacitus mit herausragenden Eigenschaften ausgestattete und mittels zahlreicher Topoi ausgestaltete ‚Kunstfigur’ Germanicus weist – analog einem Patchwork-Kleidungsstück – eine bunte Vielfalt entlehnter fremder Elemente auf: Hier ein dem literarischen Alexander beigelegter Charakterzug, dort ein aus Livius entnommener Gestus Hannibals; hier Tugenden von Scipio Africanus, dort einige von Agricola und vielfach die eines idealen Sohnes. Einmal eine Einstellung, die man schon seinem Vater Drusus nachsagte; dann eine Handlung von Xenophons Kyros; mal Eigenschaften des rhetorischen Feldherrn-Typs, mal solche des idealtypischen Staatsmannes oder wünschenswerten Herrschers. Hier ein Alexander nachgesagter Habitus; dort einer des homerischen Achill; mal ein Handlungsmuster von Vergils Aeneas; dann wieder ein Alexander-Motiv usw., wobei die Vorlagen Charaktertypen, rein rhetorische oder literarische Figuren, historische Personen oder deren von der historiographischen Tradition geformte Bilder sein konnten. Nach dem Dargelegten ist es also völlig unmöglich, den historischen Germanicus unter diesen vielen literarischen Zitaten und Entlehnungen, den rhetorischen Komponenten, den Schichten der einseitig parteiischen post57 58 59
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Ähnl. bereits Marsh 1959, 72. Siehe Burmeister/Kehne 2015, 72. Gallotta 1987, 62 f.; 77; 155 ff.; 169 f. mit Verweis auf diesbezügliche Untersuchungen von Pani 1966. Kornemann 1960, 252–254.
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Tacitus’ rhetorisch-dramatische Darstellungsabsicht
tiberischen Geschichtsdarstellungen und Tacitus’ grellen Farben der Idealisierung auszumachen.
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Tacitus’ Darstellungsinteressen oder: „Warum berichtet Tacitus nicht das, was Althistoriker wissen möchten?“
Da die außertaciteische Überlieferung zu den Germanicusfeldzügen so gut wie nichts bietet (1) und eindeutige archäologische Befunde nicht existieren (4.1), sind wir für eine Rekonstruktion weitgehend auf Tacitus’ defizitäre Berichte in den Annales angewiesen. Wenn über 500 Jahre teils sehr intensiver Forschung bislang keine auch nur annähernd konsensfähige Rekonstruktion der Germanicusfeldzüge erbrachten, liegt es nicht nur nahe, die Ursache dafür in der Quellenlage zu suchen, sondern dieses erscheint geradezu zwingend. Mit anderen Worten: Der Informationsgehalt der taciteischen Annalen reicht zur Beantwortung einer Vielzahl von Fragen nicht aus. Wenn somit der von Tacitus präsentierte Inhalt inadäquat ist, beruht das offenkundige Problem einer Rekonstruktion der Germanicusfeldzüge in der Hauptsache auf mangelhaften Fakten, der Art taciteischer Aussagehaltung und Mitteilungsinteressen. Wenden wir uns daher im Folgenden Tacitus’ tendenziöser Historiographie und eigenwilliger Darstellungskunst zu. In der Antike, wo Tacitus ohnehin kaum gelesen wurde,61 bestand dieses Problem angesichts zahlreicher anderer Historikerberichte über die Germanicusfeldzüge noch nicht.62 Das Problem ist also jüngeren Datums. Es entstand durch Verlust antiker Textmassen und vergrößerte sich dadurch, dass Tacitus’ Darstellung von der frühen Neuzeit an ungeachtet ihrer sehr speziellen Eigenarten und diverser ihr inhärenter Defizite von quellengläubigen und damit sachunkundigen Historikern tausendfach, aber meist unkritisch nacherzählt wurde. Beginnen wir daher für diejenigen, die sich niemals intensiver mit antiker Literaturgeschichte befassen konnten, mit einer kurzen Rekapitulation wesentlicher Erkenntnisse. Zunächst das Prinzipielle: Unter den Aspekten von Zielsetzung und Zweck unterscheidet man hauptsächlich drei Grundformen antiker Historiographie:
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Zu dieser besonders für die Annales geltenden communis opinio siehe u. a. Schanz/Hosius 1935, 639 (ältere Literatur 641 f.); Mendell 1957, 225 ff.; Mellor 1993, 137 f.; Martin 1994, 236; Schmal 2005, 168 mit weiterer Literatur. Siehe oben Anm. 16-19.
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Die pragmatische Geschichtsschreibung soll Erfahrungen vermitteln und für Politiker praktisch nützlich sein. In Rom war Sallust deren erster bedeutender Vertreter, der eine „Pathologie des römischen Volkes“ unter der Republik schrieb.63 Sein Nacheiferer Tacitus verfasste eine zweite für die frühe Kaiserzeit, wobei er fleißig Wortschatz, Ausdrucksformen, Stil und Leitsätze seines Vorbildes einfließen ließ. Der rhetorischen Geschichtsschreibung ging es primär um die ästhetisch stilisierte Form, um Richtlinien für die angemessene Form der Darstellung und die für diese Gattung formulierten Stilgesetze.64 Der dramatischen Geschichtsschreibung ging es in der Antike – ähnlich den Bühnenstücken – um kunstvoll arrangierte Inhalte. Bei bestimmten Ausrichtungen wurde sie entweder zur tragischen Historiographie, die einem fatalen Ausgang zustrebt oder zur pathetischen, die Gefühle der Leser, deren Anteilnahme und Mitleid mit der Protagonisten Schicksal wecken möchte. Ohne verlässliche Recherche, ohne wirklichen Spannungsbogen und ohne Darstellungskunst kann sie zur reinen, auf bunte, oberflächliche Unterhaltung zielende Sensationshistorie abgleiten, wie sie auch in heutigen Medienprodukten üblich ist. Selbstverständlich gab es Misch- und Sonderformen. Und Tacitus’ Alterswerk stellt eine solche dar, weil sie alles und noch etwas darüber hinaus sein will. Tacitus unternahm eine Schilderung des Niedergangs der römischen Senatsaristokratie im frühen Prinzipat, wobei er mit dem kontinuierlichen Verlust der von ihm idealisierten ehemaligen republikanischen Freiheit (libertas) kokettierte. Aber er verfasste in den Annales keine pragmatische Geschichte im herkömmlichen Sinne, also keine chronologisch korrekte, leicht nachvollziehbare Beschreibung und Ergründung politischer Ereignisse. Folglich findet sich darin keine abermalige historische Darstellung der Germanicusfeldzüge. Solche gab es schon zur Genüge – siehe Abschnitt I zu Monographien und annalistischen Geschichtswerken von Aufidius Bassus, und Plinius Secundus d. Ä. Außerdem interessierten Tacitus die Kriegsereignisse in Germanien nicht per se, sondern nur mittelbar. Denn er wollte in erster Linie seinen ‚Helden‘
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Kornemann 1947, 12. Cicero beschrieb (Cic. orat. 65) „den Stil der Sophisten, die im Gegensatz zu den Rednern, den animus der Zuhörer nicht beunruhigen/verwirren, sondern besänftigen, nicht primär überzeugen, sondern ergötzen wollen, in ihrer symmetrischen Gestaltung, ihren Abschweifungen, dem Einfügen von erfundenen Erzählungen (und Geschichten), der offenen Wortübernahme, die sie wie Maler Farbwechsel so anordnen, dass Gleiches Gleichem entspricht, Gegenteiliges Entgegengesetztem und Endungen sehr oft ähnlich schließen.“ Und meinte (Cic. orat. 66), „diese Art stehe der Geschichtsschreibung (historia) nahe, in der ausgeschmückt erzählt, oft eine Gegend oder Schlacht beschrieben; sogar Reden und Ermunterungen eingeschoben werden.“ Dies wird in „getragener, fließender Rede berichtet, nicht in gekünstelter und scharfer“ der Berufsredner.
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Germanicus als Widerpart zum ‚Tyrannen‘ Tiberius in Szene setzen, um seinen Lesern dramatische Unterhaltung zu bieten. Tacitus’ Annalen geht es weniger um historisch exakte Fakten als um Ableitungen nützlicher moralischer Lehren und die Fragen: Wie sah senatorisches Leben unter willkürlicher Kaiserherrschaft aus? Welche Beispiele gab es für gutes und schlechtes Handeln? Wer hatte sich apud posteros bona fama oder mala verdient? Hierin sieht Tacitus seine Aufgabe (ann. 3,65,1): Tugenden (virtutes) „sollen nicht verschwiegen“ und „Schlechtes in Reden und Taten soll Schande bei der Nachwelt fürchten“ (pravis dictis factisque ex posteritate et infamia metus sit).65 Der greise, resignierte Tacitus analysierte in seinem Alterswerk nicht Geschichte, vielmehr verfasste er, um Ernst Kornemanns treffliche Einsicht zu zitieren, „ein Buch zur sittlichen Erneuerung von Staat und Volk“, in dem Geschichte „nicht mehr nur Erkenntnisse vermitteln, sondern vor allem erzieherisch wirken soll.“66 Tacitus wurde zum Zensor seiner Zeit, und seine Annalen präparierten die Urteile. Am Ende war der „tiefbesorgte Patriot echt römisch zum Moralisten geworden,“67 der Beispiele für Tugend und Lasterhaftigkeit in der dekadenten Welt eines allgemeinen politischen und moralischen Niederganges sammelte. Bei alledem versuchte Tacitus Motive der Handelnden psychologisch zu ergründen und sah dabei womöglich die individuelle Persönlichkeit als „crucial motive force in history.“68 Mit dem rudimentären psychologischen Wissensstand seiner Zeit, seiner Menschenkenntnis, Lebenserfahrung und Einstellung gelangte er teilweise zu erstaunlichen allgemeingültigen Einsichten. Die Motive, die er anführt, um das Handeln von Personen zu erklären, sind durchaus wirkliche; weshalb er mit seinen Erklärungen oft überzeugen konnte. Der kritische Historiker muss jedoch fragen, ob es auch die richtigen sind. Und genau hier liegt das eigentliche Problem der Annales: Wenn Tacitus aus Tausenden von 65
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Tac. ann. 3,65,1; vgl. Tac. hist. 2,50,1: Schlechte und gute Taten sorgen bei der Nachwelt für mala oder bona fama. Tacitus suchte also exempla recti aut solacia mali (Tac. hist. 3,51,2). Zu den exempla virtutis im Programm der Annalen siehe u. a. Pöschl 1986b, 111. Zur Abschreckungsfunktion taciteischer Historiographie siehe T. J. Luce, Tacitus on „history’s highest function“: praecipuum munus annalium (ann. 3,65), ANRW 2/33/4, 1991, 2904– 2927. – Allerdings zeigte Woodman 1997, 109 f. unter der Überschrift „Variations“, dass man sich hier wohl an die Fehlinterpretation einer „berühmten Passage“ gewöhnt habe, denn bei anderer Interpunktion (!) „Tacitus is not defining the chief function of history at all.“ Dieser entschuldige sich lediglich für die Eintönigkeit des Themas und versichere seinen Lesern, „that, well aware of the historian’s duty to be selective, he has described only events which are conspicuously honourable and notably shameful.“ Zu "Tacitus as a historian" (?!) einmal mehr Griffin 2009. Kornemann 1947, 37; 18: Er wollte „ein Erbauungs- und Erziehungsbuch für sein Volk schaffen.“ Vgl. oben zu Anm. 36. Kornemann 1947, 37; vgl. Brink 1952, 41. Sage 1990, 901. – Mendell 1957, 138 nennt es „his tendency to regard history as a series of dramas in which the characters have a determing influence.“
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Handlungen des Tiberius nur wenige, für ihn selbst aussagekräftige auswählt und interpretiert, liegt die Vermutung ziemlich nahe, dass es solche sind, die seine eigenen Vorurteile bestätigten und/oder in seine moralisierende Komposition passen. Wie schon dargelegt (Teil 1) ergab dieses keine objektive Personendarstellung, weil so nie ein objektives Bild einer Persönlichkeit zustande kommen kann – und schon prinzipiell niemals von einem Menschen, den man nie selbst erlebt hat. Erschwerend kommt erstens hinzu, dass die von Tacitus jeweils präsentierten Charakterbilder zwangsläufig aus übernommenen Beschreibungen und Urteilen seiner Vorlagen resultieren, die allesamt falsch sein können – jedenfalls nicht mehr überprüfbar sind. Zweitens ermittelten moderne Analysen in Tacitus’ Werken eine Vielzahl stereotyper Charaktere, also Charakter-Typen („type-characters“), die zum Schulrepertoire des antiken Rhetors gehörten, was individuelle Komponenten entscheidend minimiert.69 Drittens resultieren alle Charakterbilder aus Tacitus’ Auswahl, die per se eine subjektive war und auf die seine eigene Psyche einwirkte, sein offenkundiger Pessimismus, sein Misstrauen gegen jedweden Mächtigen70 und vieles andere mehr. Damit sind alle Versuche, aus taciteischen Charakterisierungen die (wahre) Persönlichkeit des/der Geschilderten erschließen zu wollen – egal ob es sich um Tiberius oder Germanicus handelt – hermeneutisch von vornherein zum Scheitern verurteilt.71 Das zeigt sich unter anderem in einem von Tacitus 69
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Zu Charaktertypen siehe u. a. E. Ammerbauer, Studien zur Typologie bei Tacitus, Tübingen 1949, passim (wobei Germanicus den Typus ‚Feldherr‘ verkörpert); Walker 1952, 204–234 hat ein ganzes Kapitel zu „type-characters in the Annals“, gefolgt von einem über „Tacitus’ difficulties in maintaining type-characterisation“, Walker 1952, 235–243. Vgl. u. a. Walser 1951, 66: Tacitus benutzt „immer wieder farblose topische Charakterzüge für seine Helden, so daß auch die geschichtlich bezeugten Züge entwertet werden“; Mendell 1957, 138–165 zu Charakterskizzen („character delineation“); Syme 1958, 142 f.; bes. 314; 353–356; Sage 1990, 900 f.; Mellor 1993, 54 f.; Griffin 2009, 173 f. Löfstedt 1986, 76; ähnlich Borzsák 1969, 596; Borzsák 1968, 487; vgl. Klingner 1965b, 518. Klingner 1965b, 518: „Man nennt ihn deshalb einen großen Psychologen, mit Unrecht, wofern es die Psychologie mit dem Logos der Seele zu tun hat. Verständlich und sinnvoll weiß Tacitus nichts Seelisches zu machen; wohl aber hat er eine unerhörte Spürkraft für seelische Dinge, und zwar dafür, daß hinter der Oberfläche des Tuns und Verhaltens der Menschen Hintergründe, und zwar finstere, letzten Endes undurchdringliche, unverständliche Hintergründe wirksam sind.“ – Siehe zum gesamten Komplex u. a. Ries 1969, bes. 169–190; vgl. Walser 1951, u. a. 30 f.; 99 f.; 119 ff.; 136–145; Sage 1990, 901 f. mit Anm. 230 (der im Gegensatz zu anderen Tacitus’ politische Absicht betont und sein Psychologisieren als Notlösung bei allzu großen Diskrepanzen der Vorlagen versteht – was natürlich spekulativ ist); Mellor 1993, 70 ff.; M. Vielberg, Tacitus als Psychologe, Antike und Abendland 46 (2000), 173–189; Schmal 2005, 98–101 und Marincola 1997/2004, 94 (bes. zur Unmöglichkeit einer Ermittlung von Charakter-Motiven). – Vor dem Hintergrund voranstehender Ausführungen sind auf diesem Gebiet alle Arbeiten wertlos, die nicht ausschließlich Tacitus’ Darstellungs- und Beurteilungstechnik untersuchen, sondern – in der Meinung, er böte verwertbares Material – selbst psychologisieren, wie pars pro toto das (allenfalls noch rezeptionsgeschichtlich interessante) Buch des
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vielfach zur Charakterisierung einsetzten Stilmittel: Zentral agierende Personen sollten sich bei ihm zwar in Taten und Verlautbarungen72 selbst offenbaren – nur sind Tacitus’ „Reden in einen Stil umgegossen, wie ihn kein Römer gesprochen oder geschrieben hat,“ und, mit Ausnahme der im Senat gehaltenen, sind die in seine Annales eingelegten Reden durchweg erfunden.73 Da Tacitus eine psychologisierende Moralanalyse der frühkaiserzeitlichen Senatsaristokratie, quasi deren Psychopathologie betrieb, war es nur konsequent, wenn die bedeutendste römische Literaturgeschichte seine Geschichtsschreibung eine „psychologisch-pragmatische“ nennt.74 Als rhetorischer Historiograph suchte Tacitus äußerste Verdichtung von Handlung in einer von ihm neu angewandten Syntax, Wortwahl und höchst eigenwilligen Sprache. Er war durch und durch Stilist75 und schuf eine bis heute
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spanischen Psychiaters G. Marañón, Tiberius. Geschichte eines Ressentiments [dt. Ausg. v. Tiberio. Historia de un resentimiento, 1939; ²1941], München 1952. „Schlechtes in Reden und Taten“ zu zeigen, war ja Tacitus’ oben schon vorgestelltes Programm (Tac. ann. 3,65,1). Was für die Senatsakten (acta senatus) nur punktuell überprüfbar ist. Denn laut Martin 1994, 201 bleibt unsicher, ob sie überhaupt protokollierte Reden enthielten. Die epigraphisch belegte Claudius-Rede steht ohnehin für sich (Flach 1998, 230 ff.; Marincola 2007/2011, 129; mehr Literatur bietet Suerbaum 1990, 1371 ff.), offenbart zwar Tacitus’ Einhalten der von Thukydides vorgegebenen „Gesamtrichtung des wirklich Gesprochenen“ (Flach 1998, 239), doch zeigten Walker 1952, 147 und Syme 1958, 317 f. neben Kürzungen und Umstilisierung auch Auslassungen, Ergänzungen und Umstellungen (Walker: „rearranged the arguments of the original in drastic fashion“). Vgl. Marincola 2007/2011, 120 ff. zu „truth vs. propability“ und 127 ff. Ähnliches bestätigt auch die Inschrift zum Piso-Prozess: W. Lebek, Das Senatus consultum de Cn. Pisone patre und Tacitus, ZPE 128 (1999), 83–211 und Woodman 2007. Das Zitat: Schanz/Hosius 1935, 635. – Zur Funktion von Zwiegesprächen und dramatisierten Interaktionen: Leo 1986, 23; Mendell 1957, 107. Zu rhetorischen Rede-Duellen von historischer Fragwürdigkeit siehe Syme 1958, 316 f. Zur historiographischen Eigendynamik von Reden, „sich von der Person des Sprechers abzulösen“ siehe Schmal 2005, 98 f. Vgl. u. a. Walker 1952, 146 ff.; 259–262; Syme 1958, 316 ff. und 322–339; Salvatore 1971, 101–151; Sage 1990, 920 ff.; 925 f.; Woodman 2009, 221 ff. – Zum Erfinden von Reden u. a. Schanz/Hosius 1935, 635; Walser 1951, 65 („rhetorisch-deklamatorsches Schulrepertoire“); Syme 1958, 317 („Exhortation in the field or argument in secret conclave, Tacitus was free to invent.“); Sage 1990, 921 ff. („free invention“ oder „admirably constructed“ wie in Tac. Hist.); Martin 1994, 230–234; ähnlich, aber weniger drastisch Flach 1998, 240; Marincola 2007/2011, 129 f. Vgl. unten Anm. 173. Schanz/Hosius 1935, 633. Als Auswahl unter Hunderten von Arbeiten zu Tacitus’ Stil in den Annalen siehe Höfer 1885, 63 (der angesichts der Diskrepanz zwischen Tacitus’ defizitärem Kriegsbericht – hier für die Ereignisse nach der Idisiaviso-Schlacht – und der Erwähnung von weniger wichtigen Dingen wie „die nächtliche Wanderung des Germanicus durch das Lager und das herrliche Vorzeichen der acht Adler“ klagt: „Wie viel genauer ist Caesar in diesen Angaben! Man erkennt auch hier, wie viel mehr der Berichterstatter von poetischen als von militärischen Interessen geleitet wird. Nur zwischen den Zeilen können wir lesen, dass
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einzigartige Kunstprosa. Diese hat schon viele Philologen und Historiker dazu gebracht, nicht nur Tacitus’ poetische Ader offenzulegen, sondern Quintilians Beobachtung, die Historiographie sei der Dichtung eng verwandt, in den Annalen exemplifiziert zu finden.76 Handlungsbeschreibungen erfolgen mit vielen literarischen Zitaten, poetischen Anspielungen und Sprache; allenthalben verwendet Tacitus „poetic vocabulary […] for color or drama.“77 Germanicus’ Besuch der finalen Stätte der Varuskatastrophe schildert er, laut Martin Schanz, eher „episch“.78 Mehr als nur stichwortartig auf Tacitus’ dutzendfache stilistische Neuerungen und Eigenarten einzugehen, ist hier nicht der Ort.79 Zu nennen sind die penible Wahl neuer, seltener, ‚farbenreicher‘, würdiger, ‚schwerer‘ Worte – auch nach Aussehen und Klang; ihre Verwendung in eher ungebräuchlicher Bedeutung; der kontinuierliche Austausch abgenutzter Worte; anders als üblich verwendete Konjunktionen und Präpositionen; das Weglassen von Partikeln; das Offenlassen syntaktischer Bezüge; eine Kombination von Sprachstil und Syntax
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das germanische Heer [entgegen Tacitus’ Jubelbericht, Verf.] weder zersprengt noch besonders geschwächt ist; denn Germanicus muss sein Heer sorgsam zusammenhalten (agmen).“ Norden 1909, 280 ff.; 329 ff.; Koepp 1926, 44; Schanz/Hosius 1935, 634 ff.; Löfstedt 1948/1986; Walser 1951, 65; Koestermann 1952, 45 ff.; Mendell 1957, 88 f. und 91 ff.; 94 f.; 138; Syme 1958, bes. 340–363; Walker 1952, bes. 52–64; F. R. D. Goodyear, The development of style and language in the Annals of Tacitus, JRS 58 (1968), 22–31; W. Richter, Tacitus als Stilist. Ein Kapitel philologischer Forschungsgeschichte, in: Radke 1971, 111–128; Rademacher 1975, 67 ff.; Aubrion 1985, 31 ff.; Sage 1990, 1024 ff.; I. Borzsák, Tacitus – ein Manierist?, ANRW 2/33/4, 1991, 2581–2596; Shotter 1991, 3289 ff. („style as expression“); Mellor 1993, 126–129 (mit dem Kapitel „The Historian as Literary Artist“); Martin 1994, 214–235; Woodman 1998, 218–243. Vgl. Flach 1998, 239 ff.; Schmal 2005, 88– 103 und Oakley 2009, 195 ff. Für Martin Schanz (Schanz/Hosius 1935, 635) war Tacitus „selbst ein Poet tiefsten Gefühls“; ähnl. u. a. Höfer 1885, 5 f.; Norden 1909, 328; Leo 1986, 21 ff. und Koepp 1926, 44. Zum Hintergründigen in Tacitus’ Darstellung siehe Kornemann 1934, 95: „Der Künstler Tacitus hat hierin Hervorragendes geleistet, aber den Historiker schwer geschädigt.“ Schmal 2005, 88–103 hat ein ganzes Kapitel: „Der Dichter.“ Vor allem an Vergil, was im 19. Jh. noch bemerkt wurde oder allgemein bekannt war. Zu Tacitus’ literarischen Zitaten und seinem poetischen Wortschatz u. a. Knoke 1887, 7 mit Anm. 1 und Verweis auf J. E. Wernicke, De elucutione Taciti, Thorn 1830, 23 ff.; Norden 1909, 331; Schanz/Hosius 1935, 636; Löfstedt 1986, 73; Walker 1952, u. a.11 f.; 71 ff.; 154 ff.; Syme 1958, bes. 356 ff. und 733 f.; Borzsák 1970a, 57–58 (zu „bewußten oder halb unbewußten Zitaten des ungemein belesenen Tacitus“ und zu versteckten VergilZitaten); Borzsák 1982, 46 ff. (literarische Anspielungen mit Übernahme des Vokabulars); vgl. Schmal 2005, 88 ff. und Woodman 2009, 8 ff. – Das Zitat: Sage 1990, 1026. In Schanz/Hosius 1935, 635. Glaser 1929, 35 f. sieht zu Tac. ann. 1,41 „eine genaue Parallele“ in Verg. Aen. 2,27 ff. (siehe dazu ausführlich zu Anm. 228). Cic. orat. 66 (oben Anm. 64) empfahl für Reden, Regions- und Schlachtbeschreibungen in der historia einen getragenen, fließenden Stil. Und laut Lukian. hist. conscr. 45, erfordere gerade die Schilderung von See- und Landschlachten einen besonderen „poetischer Wind“ (’άνεμος). Siehe hierzu und zum Folgenden Literatur und Zitate in Anm. 75.
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zur Verstärkung der Aussage; bewusste Aufhebung der Symmetrie; Ablehnung von Fachbezeichnungen, Fremdworten oder Ausdrücken politischer Propaganda – dafür Übernahme von Dichtersprache; strikte Meidung anmutigen Sprachstils; Entrhythmisierung, gewollte Dissonanzen, an wichtigen Tonstellen des Textes Stiladaptionen80 von Sallust, Livius und Plinius; sein Grundsatz „lieber dunkel als geschwätzig“. Ciceros bis dato maßgebliche Stilgesetze, seine streng periodische Satzstruktur, Symmetrie, Ausgewogenheit und Harmonie der Sätze, copia verborum, traditionelle Anordnungen rhetorischer Elemente, mithin die meisten Vorgaben der klassischen römischen Literatur – Tacitus wirft alles über Bord. Für ihn gilt hauptsächlich zweierlei: 1. Äußerste Straffung der Gedankenführung, Knappheit des Ausdrucks, im Bedarfsfall mit Ambivalenz der Aussage und extreme Komprimierung der Elemente: „In einen Satz erscheinen so viele Momente wie möglich zusammengedrängt; die Participia, besonders der eigentümlich verwendete Ablativus absolutus, leisten hierfür vortreffliche Dienste. Der Phantasie des Lesers bleibt es,“ im Urteil „überlassen, die dem Gemälde noch fehlenden Striche zu ergänzen.“81 Fortan war und blieb er der lateinische Prosaschriftsteller, der sich am knappsten ausdrücken konnte. Übersetzer haben damit ihre liebe Mühe, aus oftmals nur zwei Worten im Deutschen einen Nebensatz zu machen, wobei sie sich unter mehreren möglichen Auffassungen nur eine aussuchen dürfen, was zwangsläufig verschiedene Interpretationen ergibt. Tacitus ist unter den Historikern der brevitātis prīnceps und daher schwer zu lesen – was mit dazu führte, dass er in der Antike, wie oben bereits erwähnt, kaum rezipiert wurde. 2. Variation um jeden Preis: „Vermeidung des Gewöhnlichen und Alltäglichen“ in Sprache und Gegenstand. Argumentationen mit der Normalität lateinischer Sprache und Grammatik zur Interpretation oder Kritik taciteischen Textbestandes sind nach Tausenden von diesbezüglichen Aufsätzen müßig, denn nach Ronald Symes82 unvergleichlich treffender Ironie habe die Schwedische Schule doch eines gezeigt: „Tacitus is capable of anything, if he can avoid the normal, the monotonous, the conventional.“ Da sich Tacitus als dramatischer, tragischer und/oder pathetischer Geschichtsschreiber befleißigte, bestimmten deren Leitlinien seine Kompositionskunst ebenso wie seine Dramatik – was für die ersten Annalen-Bücher ebenfalls nur
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Syme 1958, 728 ff.; 733 f.; vgl. Sage 1990, 1025 f. So Martin Schanz in: Schanz/Hosius 1935, 635. Norden 1909, 354: „der […] weniger gelesen als gedacht sein will: kurze Sätze, kein Wort zuviel, im Gegenteil: was irgendwie fehlen kann, fehlt, daher aber auch jedes Wort inhaltsreich, eine Welt von Gedanken bergend und der Phantasie des mitdenkenden Lesers einen unbegrenzten Horizont öffnend.“ Zu brevitas und variatio bes. Mendell 1957, 84; 90 und 93. Rezension in: JRS 38 (1948), 123; vgl. Syme 1958, 342 f.; die vorherige Anm.; den Text zu Anm. 123–124.
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beispielhaft skizziert werden kann.83 So nützlich belehrende Schilderungen von Sittlichkeit und Verworfenheit in seiner pragmatisch-edukatorischen Geschichtsschreibung (siehe oben) sein mögen, „so wenig angenehme Unterhaltung, Ergötzung, Zerstreuung, Belustigung bieten sie.“ Alle diese Bedeutungen hat nämlich das von Tacitus zur Erläuterung seines historiographischen Darstellungsprogramms gewählte Substantiv oblectatio.84 Da solches dem Ernst (gravitas) seines Themas unangemessen ist, tut Tacitus als verwehre sein vergleichsweise unbedeutender, trauriger und ermüdender Stoff85 ihm die Themen, mit denen seine Vorgänger die Aufmerksamkeit ihrer Leser belebten (Tac. ann. 4,33,3) – nutzte sie in Wahrheit aber, wo es nur ging: Schilderung fremder Terrainverhältnisse (situs gentium) – beispielsweise geographische und topographische Besonderheiten wie bei den pontes longi, den prima aestuaria der Truppen-Ausschiffung an der Weser, auf Idisiaviso, am Angrivarierwall etc., was unten (Teil 4) noch einschließlich der Folgen für die Informationslage erörtert wird. Mannigfaltige, wechselvolle Kämpfe (varietas proeliorum).86 Ergänzend sei zu den gerade genannten Gefechten noch das unentschiedene gegen Arminius im Herbst 15 n. Chr. angeführt (Tac. ann. 1,63,1–2), dass zu lokalisieren Tacitus für 83
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In Ergänzung zur Literatur in Anm. 75 siehe zu Tacitus’ dramatischer Darstellungs- und Kompositionstechnik in den Annalen u. a. Leo 1986, 23 („wie im Drama nimmt er Handlung und Personen straff zusammen in Abschnitten mit retardierenden Szenen und Zwischenspielen“); Norden 1909, 327 ff.; Klingner 1965b passim; Walser 1951, 85 und passim. Walker 1952, u. a. 33 f.; 35–49; bes. 44 f. („master of all the devices […] used in Greek tragedy“); Mendell 1957, 96–137 passim, bes. 105 ff. (zur dramatischen Methode wie in Tragödien); vgl. C. Mendell, Der dramatische Aufbau von Tacitus’ Annalen, in: Pöschl 2 1986a, 449–512, bes. 481 ff. (zur eindeutig dramatischen Komposition und der daraus resultierenden Frage nach Tacitus’ Glaubwürdigkeit als Historiker); Syme 1958, bes. 306– 308 (zur unerreichten Kunst seiner Arrangements); 376 f.; Rademacher 1975, 47 ff. und zu dem aus Tacitus’ rhetorischer Narration resultierenden Glaubwürdigkeitsproblem, Rademacher 1975, 244 ff.; Downey 1975, 119 f.; Sage 1990, 900 ff.; 920 ff.; 1017 ff.; M. Billerbeck, Die dramatische Kunst des Tacitus, in: ANRW II 33.4 (1991), 2752-2771; Mellor 1993, 118 ff. („dramatic effects“); 121 (auch solche der griech. Tragödie wie Stille, Omen, „while weather and other natural phenomena reflect human conflicts“); Woodman 1997, 91 ff. (zur besonderen Gestaltung von Anfang und Ende der Bücher und Jahre); Schmal 2005, 101–103; vgl. Oakley 2009, 206 ff. Eine Fülle weiterer Literatur zu Komposition und Dramatik der Annalen notieren Suerbaum 1990, 1292–1303 und Woodman 2009, 333–356. Tac. ann. 4,33,2–3: ceterum ut profutura, ita minimum oblectationis adferunt. Dazu und zum Folgenden: Flach 1998, 159 f.; J. Ginsburg, Tradition and theme in the „Annals“ of Tacitus, New York 1981, 53 ff. Tac. ann. 4,32 (wenig Erinnernswertes); 4,33,3 (Überdruss infolge maiestas-Klagen). Vgl. Tac. ann. 6,38,1. Auch für Woodman (1979/1998, 154/84), der dazu auf Cic. orat. 66 und Lukian. hist. conscr. 45 verweist, gehören „battle-scenes“ zu Tacitus’ Programm der delectatio lectoris. Eigenarten und Besonderheiten taciteischer "battle descriptions" sowie deren historiographische Funktionen erörtert Levene 2009 (zu Germanicus' Germanienfeldzügen bes. 232 f.).
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unnötig hielt, zumal es nichts als bloße Rhetorik zur Charakterisierung der Befehlshaber und ihrer Truppen bietet. Leuchtende Schicksale von Heerführern (clari ducum exitus), einschließlich ihres Ablebens – z. B. von Germanicus und Arminius mit kompositionellem Kontrapunkt als Abschluss des zweiten Annalenbuches. Ob Tacitus zugunsten seines literarischen Darstellungsinteresses auch hier historische Ereignisse chronologisch willkürlich verschob, ist strittig.87 Jedenfalls verbinden indirekte Vergleiche und Gegenüberstellungen die Schicksale von Germanicus, Arminius, Artavasdes, Artaxias, Drusus Caesar, Tiberius und seiner Nachfolger, denen sämtlich falsche Freundschaften, interner Verrat und trügerische Sicherheit im Kreise von Freunden oder Verwandten zum Verhängnis wurden.88 Die Annalen sind voll solcher rhetorischen juxta- und contraposita vielfach politisch-moralischer Art, die sich nicht auf die römische Welt beschränken, wie die hervorragende Analyse von Bronwyn Williams zeigt. Neben dem von Tacitus eher verdeckt, denn offen behandelten Hauptantagonisten Tiberius und Germanicus figuriert gegen diesen Arminius, der seinerseits gegen Segestes, Flavus und Marbod steht mit ihren grundverschiedenen, besonders durch servitus/servitium gekennzeichneten Standpunkten, die in der von Arminius verkörperten libertas ihren Widerpart haben. Wiederum dienen frei erfundene Reden dazu, Gegensätzliches bewusst zu machen. Die politischen Kontroversen sind immer zugleich moralische, in denen sich die Integrität von Arminius mehr noch als die von Germanicus manifestiert.89 In dramatischen Arrangements lässt Tacitus die Kontrahenten wie Theaterschauspieler agieren. Er „schafft unglaubliche, aber wirkungsvolle Szenen wie das zur höchsten Erbitterung gesteigerte Zwiegespräch“ zwischen den in feindlichen Lagern stehenden Brüdern Arminius und Flavus.90 Tacitus benutzte dramatische Methoden der Tragödien und etliche rhetorische Kunstgriffe der tragischen Geschichtsschreibung, wobei er nicht selten in reine Sensationshistorie verfiel. Er wollte sein literarisches Können zeigen, die Leser fesseln und emotionalisieren, z. B. indem er sie an den Gefühlen von Soldaten 87
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Zur Kontroverse um Arminius’ Todesjahr (19 oder 21) und der Frage, ob Tacitus dieses hier zum Zwecke seiner Komposition vorverlegte oder lediglich einen Ausblick bot, besonders Timpe 1970, 24 f. und „zum historischen Arminius“ Kehne 2009a, 104; 111 Anm. 11 (mit maßgeblicher Literatur und der Feststellung zu Tac. ann. 2,88,2–3: „Wäre Arminius wirklich erst zwei Jahre später gestorben, hätte stilistisch nichts gegen einen solchen Hinweis gesprochen“), vgl. ebd. Anm. 7 und 12 und Kehne 2008b, 23 Anm. 187. B. Williams, Reading Tacitus’ Tiberian Annals, Ramus 18 (1989), 140–166, hier 146 ff. Williams 1989, bes. 140 f.; 142; zu „politico-moral contraposita“; auch 142 ff.; vgl. Syme 1958, 316 f. und Sage 1990, 906 f. Zu erfundenen Reden siehe Anm. 73 und 173. Schanz/Hosius 1935, 635. Zu dieser erfundenen Szene, so u. a. Spengel 1904, 28–30; Walser 1951, 65 („Vielfach finden sich ganze Partien, die aus dem rhetorisch-deklamatorischen Schulrepertoire stammen und als glatte Erfindung angesprochen werden dürfen.“) und Suerbaum 2018, 44 ff. – Literatur zur taciteischen Dramatisierung bei Suerbaum 1990, 1301 ff. und oben Anm. 83.
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auf der letzten Stätte der Varusniederlage (Tac. ann. 1,61–62) Anteil nehmen lässt. Eindringlich führt er zwar Mühsale römischer Legionäre in der Springflut (Tac. ann. 1,70) oder im Sumpfgelände der pontes longi (Tac. ann. 1,64–65) vor Augen, liefert aber keine exakten Feldzugsberichte. So wissen wir meist nie, wo genau ein Ereignis wie der germanische Angriff auf Caecinas Lager stattfand, wieweit der exercitus Germanicus inferior sich inzwischen von den pontes longi entfernt hatte und was nach weitgehendem Verlust des Trosses bei der abgekämpften Truppe noch an Verpflegung vorhanden war. Stattdessen bietet Tacitus zu jenem Szenario Caecinas’ Schreckensvision von Varus’ Untergang – der auch ihm droht (Tac. ann. 1,65,2); und dann Caecinas’ dramatisch ausgemalte Demonstration altrömischer Offizierstugend (ann. 1,66) – freilich mit unrealistischen Zügen: Inspizierte der Oberbefehlshaber über vier Legionen mitten in der Nacht zufällig gerade die rückwärtige porta decumana, um sich dort im rechten Augenblick der unvorhersehbaren Panik vor kopflos fliehende Legionäre auf die Schwelle eines – logischerweise doch wohl ohnehin blockierten – Lagertores zu werfen? Oder hatte er sich – was seine Feldherrnqualitäten allerdings schmälern würde – in Erwartung einer befürchteten Panik bewusst dort aufgehalten? Wie Theodor Mommsen schon trefflich über Tacitus’ eindrucksvolle Bilder urteilte: „Die Farben (…) sind lebhaft genug, aber die Zeichnung fehlerhaft.“91 Es verwundert daher nicht, dass Tacitus in der Wissenschaft gelegentlich als Romanschriftsteller gesehen und mit einem Maler verglichen wurde, der virtuos ergreifende Stimmungen ausdrücken konnte.92 Er besaß dafür einen ganzen Motiv-Katalog: Charakterbilder; Sterbeszenen, Dialogszenen, Ansprachen; Schlachten im Mondlicht, gedrückte Stimmung bei Neumond;93 dramatische Schlachten mit spectacula;94 die Schwimmkunst der Bataver, plündernde, flüchtende oder niedergemetzelte Barbaren, deren schlechte Bewaffnung95 und 91
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Mommsen 1870/1909, 309/238. Bekräftigt u. a. von Kornemann 1947, 34 Anm. 2 und Walser 1951, 23 f.; 40. Norden 1909, 327. Stahr 1865, 230 („Meisterzüge des großen Koloristen“). Für Mommsen (1919, 5) ist er (namentlich zwar nicht genannt) einer jener Verfasser von „Regentenschilderungen mit ihren bald grellen, bald blassen und nur zu oft gefälschten Farben wie auch von dem scheinhaft chronologischen Aneinanderreihen nicht zusammenpassender Fragmente.“ Klingner 1965b, 517 zur „Verdunkelung der Farben“. Vgl. Rademacher 1975, 6 ff.; bes. 182 ff.; Aubrion 1985, 335 ff.; Mellor 1993, 121 ff. Schmal 2005, 95 ff. notiert im Abschnitt „Der Maler“ weitere Urteile. Auch Syme 1958, 317 meint zur rhetorischen Technik „it takes Tacitus a long way in the direction of drama or prose fiction.“ Zu Tacitus als Dichter und Schriftsteller siehe Anm. 76. Mellor 1993, 121 erkennt unter Tacitus’ „dramatic effects“ auch solche der griechischen Tragödie: „weather and other natural phenomena reflect human conflicts.“ Walser 1951, 40 f.: „Das spectaculum ist in der rhetorischen Historiographie das wesentliche Moment der Schlacht“ (Walser 1951, 83 f.). Walser 1951, 40; vgl. 76; 96 Anm. 427 und 100 (zu angeblich „mit röm. Kriegskunst unvertrauten Barbaren“).
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andere ‚topische Züge‘ des Barbarenbildes; Flut, Brände, Orkane, Omen etc. Dabei zeigte er sich als Meister der besonderen Farbgebung: Nicht ‚hell–dunkel‘ charakterisiert die meisten seiner Darstellungen und Porträts, sondern ‚grell– düster‘. An der endgültigen Beseitigung der Meuterer in Vetera reizte Tacitus (ann. 1,48–49) die bizarre Situation, dass sich bürgerkriegsähnliche Kämpfe zwischen meuternden und loyalen Bürgern rhetorisch so aufbereiten ließen, dass sie das aus Bürgerkriegen sonst gewohnte noch übertrafen, was Tacitus zur Betonung des Besonderen in einer Art Überschrift festhielt: Diversa omnium, quae umquam accidere, civilium armorum facies. Dann folgen rhetorische Kontrapositionen: Non proelio, non adversis e castris, sed isdem e cubilibus, quos simul vescentis dies, simul quietos nox habuerat, discedunt in partes, ingerunt tela.
Danach wurde das Massaker bildreich und rhetorisch ausgeschmückt beschrieben (angeblich wurde „zügellose Rache bis zur Sättigung gestattet“ – was Caecina und seine Offiziere meint, die die Befehle zu dieser ‚Nacht der blutigen Schwerter‘ gaben). Dass Tacitus’ Aussagen sich faktisch konterkarieren, interessierte den Rhetoriker wenig, der am Anfang (Tac. ann. 1,48,3) noch nüchtern und nachvollziehbar die nächtliche Ermordung der in den contubernia schlafenden Meuterer schildert, sich dann aber (Tac. ann. 1,49) von der eigenen rhetorisch-dramatisierten Darstellung fortreißen lässt – freilich ohne dabei sein primäres Darstellungsziel aus den Augen zu verlieren: Beim Anblick der Folgen lässt Tacitus seinen solcher Greuel abholden Helden Germanicus weinen, dieses Mittel non medicinam […] sed cladem nennen und befehlen, die Leichen zu verbrennen (Tac. ann. 1,49,3). Hält der Historiker seine Leser für Trottel, die nach einer halben Seite Tacitus’ Mitteilung schon vergessen haben könnten, dass Germanicus selbst Caecina die Hinrichtungen brieflich befohlen hatte (Tac. ann. 1,48,1), als er mit dem zusammengezogenen Heer (Tac. ann. 1,48,1; vgl. 1,45,2) nach castra Vetera unterwegs war? War er bereits so debil, diesen Widerspruch nicht zu bemerken? Oder manifestiert sich hier Kritik an einem scheinheiligen Schauspieler namens Germanicus? Für die jeweils gewollte Komposition scheute der Dramatiker und Regisseur in Tacitus auch nicht davor zurück, Fakten zu verzerren, Stoffe nur selektiv wiederzugeben, Berichte seiner Vorgänger auseinanderzureißen und in anderer chronologischer Reihung oder Kausalität(!) neu zu gruppieren, was die Arbeit moderner Historiker erschwert.96 Wie Eduard Norden analysierte, stehen 96
Syme 1958, 419: „And finally, a more dangerous factor in general than mere prejudice or any wilful violence of statement: the author of the Annales presents characters and arranges events in undue coherence.“ Tacitus’ „willkürliche Brechung“ von Ausführungen seiner Vorlagen betont auch Flach 1998, 241 f. Vgl. u. a. Schwartz 1899, 1716 f.; Mommsen 1919, 5; Klingner 1965b, 517 f. Zu Tacitus’ – von Mendell 1957, 101 zu Unrecht bestrittener – Fabrikation, Verdrehung und Verzerrung von Fakten siehe Walker 1968, 82–137 (bes. zu Divergenzen von „factual and non-factual material“ und von „fact and
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Handlungen und Teile von Reden häufig voraussetzungslos da: „Ganze Gedankenreihen werden oft ausgelassen und nur durch ein an, tamen […] und dgl. angedeutet.“97 Der Leser darf sich dann seinen Teil denken; der heutige Historiker aber will wissen. Nicht nur, dass Tacitus massenhaft Stoff wegließ,98 viele Berichte sind zudem noch bewusst komprimierte, um ein Maximum an Spannung, Eindruck und/oder Pathos zu erzeugen.99 Es ist oft eindeutig – und prinzipiell immer möglich, dass Tacitus’ knappe Worte tage- oder wochenlange Vorgänge zusammenraffen. Details seiner Vorlage ließ er, nach Charles Brink, einfach aus, „if they contribute nothing to the scene he is describing or the moral analysis he is making.“100 Inhaltlich konnte Tacitus seine Kompositionskunst und das bewusst gewählte Stilmittel äußerster Knappheit seinen Lesern gegenüber vertreten, weil er in den Annales gar keine detailgenaue Berichterstattung beabsichtigte. Solche boten schon die darin weit genaueren Vorgänger, insbesondere Aufidius und Plinius (Teil 1), deren Kenntnis Tacitus bei seinem Publikum selbstverständlich voraussetzen durfte. Er musste und wollte nicht noch einmal schildern, auf welchen Wegen sich Germanicus durch Germanien bewegte. Seine Leser kannten diesbezügliche Details – wenn sie sich denn überhaupt dafür
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impression“); 138 ff. zu möglichen Ursachen; 144 ff. zu Tacitus’ rhetorischem Training. Zustimmend Woodman 1997, 103. Norden 1909, 334. Vergleiche taciteischer Darstellungen mit entsprechenden bei Sueton (siehe Löfstedt 1968, 77 f.) oder Cass. Dio (z. B. 57,14 zu res internae mit einer ganz anderen Auswahl als Tac. ann. 72–81: Koestermann 1963, 234) gewähren Einblicke in das, was Tacitus alles ausließ. Zu geographischen Auslassungen im Kontext von Germanicus’ Ost-Mission: Low 2016, 223; zu Berichtslücken ebd. 236 f. Zu gravierenden Auslassungen unten Anm. 100, 104, 158; zu Anm. 112-116; vgl. 197-200. Den Chattenfeldzug im Frühjahr 15 n. Chr. handelt er auf 17 Teubner-Zeilen ab; das rhetorische Gesülze von Segestes’ Rechtfertigungsrede umfasst hingegen 21 TeubnerZeilen; und das, nachdem Tac. ann. 1,55 – also kurz vorher – im Jahresüberblick die wesentlichen Punkte bereits nannte. Zur Informationskomprimierung siehe schon Schanz/Hosius 1935, 635. Brink 1952, 41. Zu Momenten notwendiger Stoffbeschränkung für einen Historiker, der res illustres darstellen will, siehe Meister 1955, 105 f. (mit Anm. 1 und Bezug auf Tac. ann. 13,31,1: ex dignitate populi Romani repertum sit res illustres annalibus, während profane Alltäglichkeiten, wie Baubeschreibungen eines Amphitheaters, den diurnae urbis actae überlassen werden sollten – im Gegensatz zu anderen wollte Tacitus damit jedenfalls keine Bände füllen). Auch Pöschl 1986b, 111 nennt gleich eingangs Tacitus’ bewusste Faktenauswahl nach Gesichtspunkten des Exemplarischen. Zwingend zu ergänzen sind Gesichtspunkte des Dramatischen und die von Walser 1951, 31 erkannte und 42 ff. vergleichend analysierte „Beschränkung auf das Moralische“ als Ursache für Tacitus’ „Vernachlässigung der Tatsachen.“ Zu fehlenden militärischen Fakten siehe unten Anm. 198-200.
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interessierten.101 Ihre Geographiekenntnisse waren für präzisere Verortungen ohnehin zu gering (Teil 4.1 und 4.8). Da es Tacitus vorwiegend darauf ankam, den bekannten Stoff neu und abwechslungsreich zu präsentieren, musste und wollte er keine vollständigen Handlungsabläufe schildern, sondern eher Ungewöhnliches oder Bewegendes daraus, um seine Zuhörer zu erstaunen oder zu packen. Statt nüchterner Fakten wählt er für seine Sensationshistorie pathetische Szenen, Topoi und allerlei Effekthascherei. Und wenn es, wie Friedrich Knoke102 meinte, „Absicht des rhetorisch schreibenden Autors (war), den von ihm geschilderten Begebenheiten den Eindruck des Wunderbaren zu verleihen,“ hat Tacitus in etlichen Passagen ganze Arbeit geleistet – freilich zu Lasten aller rekonstruierender Historiker.103 Diese finden anstelle verwertbarer oder verständnisfördernder Informationen diverse Personen in dramatisierten Szenen: Segestes’ Auftritt und Rechtfertigungsrede, Thusneldas stolze Haltung, Caecinas Geistesgegenwart beim nächtlichen Fluchtversuch seiner Truppen, Arminius im Streit mit Flavus etc. Statt zusammenhängender Sachberichte über Feldzüge, Marschrouten, operative und strategische Ziele finden sie in den Annalen oft reportagenhaft Sensationelles, theatralische Aufzüge, bizarre Gefechtsverläufe und emotional Bewegendes – seien es bleichende Knochen römischer Gefallener auf dem letzten Schlachtfeld der Varuskatastrophe, die neumondnächtliche Panik in Caecinas Lager, von einer Springflut überraschte Soldaten (siehe oben) oder Schiffe in einem über die Nordsee tosender Orkan;104 sodann erfundene Reden oder Träume, Genreszenen aller Art, Anekdoten und vielerlei Gerüchte.105 101
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Die wenigen, die über den literarischen Genuss der Annalen-Lektüre hinaus Näheres über die Germanicusfeldzüge selbst wissen wollten, griffen sowieso zu den ausführlicheren Vorgängerwerken. Knoke 1922, 268. Kornemann 1934, 95. Ähnl. bereits Höfer 1885, 5 f. Ähnl. Syme 1958, 392–393: „so much space for the telling, and so little precision about the movements of the armies. Tacitus produces a wealth of colour, emotion, and scenic incident, enhanced by eloquence and invention“, wozu er u. a. den Flussdialog der Cherusker-Brüder und Germanicus’ nächtlichen Verkleidungsspaziergang im Lager zählt. Syme 1958, 393 f. zu Defiziten bezüglich Geographie und Strategie. Selbst Koestermann 1957, 431 muss konzedieren, Tacitus habe zu den Germanicusfeldzügen keinen „geschlossenen Bericht, der alles an Tatsachen enthält, was zum Verständnis notwendig ist,“ gegeben, was seines Erachtens bes. für militärische Fakten gilt. Vgl. zu alledem Anm. 24, 100, 109, 112 und Tacitus’ Bewertung als „Militärhistoriker“ Anm. 198200. Zu erfundenen Reden siehe Anm. 73. – Zu Tacitus’ Gerüchten (rumores, auch fama), ihrer möglichen Herkunft und Funktion siehe u. a. Walker 1952, 33 ff.; Mendell 1957, 213 („mere gossip, which may be used to give color to a situation but which Tacitus in general discards as evidence“ – angesichts vieler maliziöser Verwendungen m. E. apologetischer Euphemismus); Syme 1958, 315 f. Zu Gerücht, Gerede und sog. öffentlicher Meinung bei Tacitus: Ries 1969 passim; Aubrion 1985, 494 ff.; Suerbaum 1990, 1297–1300 (LiteraturBericht); Shotter 1991, 3292 ff. (zu diversen Funktionen; Mellor 1993, 37 f.; 42 ff.; vgl. 121
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Informationen hingegen, wo etwas stattfand, wie Germanicus jeweils dorthin gelangte, was er dort vorfand und auf welchen Wegen die Truppen wohin zurückkehrten, bleibt Tacitus meist schuldig. Solche profanen Details sollten die Leser nicht vom eigentlichen Thema ablenken106 – zum einen dem Panegyrikus auf Germanicus’ Fähigkeiten und Vorzüge im Kontrast zu Tiberius’ Defiziten und Fehler. Zum anderen dem Spannungsverhältnis zwischen eigeninitiativ-dynamischen Feldherren und diese behindernden lethargischeifersüchtigen Kaisern. Angesichts der bizarren Details des Annalen-Berichts konnte Friedrich Koepp107 zu daraus resultierenden Ausdeutungsphantasien bekannter ‚Experten‘ nur noch ironisch resümieren: „Wer die Erzählung des Tacitus liest, der wundert sich weniger darüber, daß sie einmal auf eine dichterische Quelle zurückgeführt worden ist – vielleicht in Verkennung der Dichternatur des Tacitus selbst – als darüber, daß der eine Forscher nicht nur die Schlachtfelder des Tacitus mit voller Sicherheit wiederzuerkennen und die Bewegungen der Truppen im Gelände sich vorzustellen, sondern auch den von Tacitus übersprungenen Zug von der Ems bis zur Weser aufs genaueste zu ergänzen wagt, während ein anderer von all den anschaulichen Einzelheiten absieht und die beiden Schlachten in das Reich der Fabel verweis, um den strategischen Zusammenhang trotz allem zu erraten und aus der allgemeinen Sachlage zu rekonstruieren.“
Wie schon erwähnt fehlen gemäß damaliger Stilgesetze Fachbezeichnungen aller Art, vor allem solche der Amts- und Administrationssprache.108 Tacitus wäre wohl eher gestorben als Caecina in den Annales korrekt als legatus Augusti pro praetore exercitus Germanici inferioris zu bezeichnen. Sachkundiges interessierte den greisen Historiker kaum noch, was sein Schweigen über Pioniertechnik, Logistik, Wegenetze, Marschrouten, Marschlager, Marschleistungen, Distanzen, und vieles anderes mehr erklärt.109 Selbstverständlich gab es, wie Ptolemaios belegt, in Rom über Flüsse, Wege und Siedlungen in Germanien relativ präzise Informationen; aber diese zählten zu den ‚langweilenden Details‘,
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(„contradictory rumors“) und 133; Martin 1994, 46 („malicious rumour“), 233 f.; Schmal 2005, 116 f.; 126; 152; Pelling 2009, 160 f. jeweils mit Literatur. Selbst Tacitus-Apologet Koestermann (1963, 45) kann nicht ausmachen, „wieweit die rumores, denen er (sc. Tacitus) überall einen so breiten Raum gewährt, auf authentischer Grundlage ruhen oder eigener Erfindung zur Beleuchtung der jeweiligen Situation entspringen.“ Beides dürfte zutreffen, zumal man Historiker wegen der in einem Gerücht enthaltenen Kritik – selbst wenn sie Kaisern galt – schwerlich zur Rechenschaft ziehen konnte. Mendell 1957, 188. Die „major themes“ der Annalen verzeichnet Walker 1952, 16 ff.; 30 ff. Und Walser 1951, 24 betont, dass Orte der Handlung „Tacitus im Grunde nebensächlich“ sind. Vielleicht mied Tacitus selbst (m. E.) mögliche geographische Präzision bewusst, damit der Leser sich nicht durch die Fragen ablenkte: „Wo war denn das gleich noch mal?“ Koepp 1926, 44. Schanz/Hosius 1935, 636; Syme 1958, 343 f.; Sage 1990, 1026; vgl. Anm. 64 und 121. Syme 1958, 393–394 vermerkt zu Tacitus’ Darstellungsabsicht korrekt: „he was not compiling a technical manual of warfare.“
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die Tacitus seinen Lesern nicht zumuten durfte oder wollte. Wo genau die Trassen (z. B. der limes Tiberii) verliefen, interessierte weder ihn noch seine römischen Leser. Für sein spezielles Darstellungsinteresse reichte es, diesen mitzuteilen, dass durch die Caesia silva ein „kurzer, gewohnter sowie ein schwer passierbarer, unversuchter und daher von den Feinden ungesicherter“ Weg ins Kerngebiet der Marser führten. Weshalb sich Germanicus für den längerer entschied,110 sodass – wie der Leser schlussfolgern soll – durch die Umsicht des idealtypischen Feldherrn das eingeplante Überraschungsmoment gewahrt blieb. Alle Operationen und Märsche verlaufen beim alt und ungeduldig gewordenen Verfasser der Annales, für den militärische Ereignisse nur noch Mittel zum Zweck waren, äußerst sprunghaft. Es fehlen ganze Berichtsabschnitte seiner Quellenvorlagen zu für ihn uninteressanten Etappen (Teil 4). Gerade hierbei „hat Tacitus in wenigen kurzen Sätzen vieles zusammengedrängt, und der Wißbegierige stellt Fragen“ zum Wo? Woher? Warum? Aber auf diese können wir, wie schon Karl Meister bemerkte, „nur mit Vermutungen antworten.“111 Anders als in seinen Historiae widmete der greise Historiker in den Annales den für ihn längst nicht mehr wichtigen militärischen Vorgängen weit geringere Aufmerksamkeit. Und so resultieren aus Tacitus’ Desinteresse an Feldzugsverläufen, ungenauen Verortungen und der Sprunghaftigkeit seiner Berichte viele Lücken und tückische Komprimierungen, die zu fatalen Fehleinschätzungen führten.112 Im Gegensatz zu Tacitus’ Darstellung der Meuterei lassen sich 110
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Tac. ann. 1,50,2: Inde saltus obscuros permeat consultatque ex duobus itineribus breve et solitum sequatur an impeditius et intemptatum eoque hostibus incautum. – Tac. ann. 1,50,1: silvam Caesiam limitemque a Tiberio coeptum scindit (sc. Germanicus). – Mendell 1957, 183 nennt als Ursache dafür, dass die Marser-Expedition im Detail nicht nachvollziehbar ist, die unmögliche Lokalisierung des limes Tiberii und „the complete vagueness of the account, which is introduced not for its own sake but only as the concluding scene of the tale of mutiny.“ – Zur geogr. Unbestimmbarkeit der Caesia silva siehe die Verweise bei Koestermann 1963, 183; Knoke 1922, 29 (der Lipsius die Identifikation mit dem „Heserwald nordöstlich von Wesel“ = s. Hesia zuschrieb) und Schmidt 1970, 400, der (ebd.) die Marser „südlich der Lippe an der mittleren und oberen Ruhr“ verortet; „zwischen ihnen und dem Rhein lag ein Waldgebiet (silva Caesia).“ Meister 1955, 103. Zur Enttäuschung des „serious inquirer“ über fehlende Angaben zu „geography, strategy, or antiquarian detail“ Syme 1958, 393–394 (bis) (vgl. Anm. 24 und 109). Zur ‚Lückenhaftigkeit‘ und ‚Sprunghaftigkeit‘ taciteischer Feldzugsberichte siehe u. a. Höfer 1885, passim, bes. 63 ff.; Koestermann 1957, 431 (zur Inkohärenz Koestermann 1957, 451); Walser 1951, 24; Meister 1955, 104 f.; 106; Syme 1958, 157 ff.; 393 („instances of vagueness and wilful Abbreviations“). Zu militärischen Aktionen als „Mittel zum Zweck“ siehe Mendell 1957, 182 f.; bes. 188. Das Zitat Meister 1955, 103. – Ein vielzitiertes Beispiel für Tacitus’ Lücken- und Sprunghaftigkeit in den Annalen ist die vermeintliche Auslassung des Vormarsches von der Ems zur Weser, notiert u. a. von Burchard 1870, 51; Koepp 1926, 44; Meister 1955, 104; Norkus 7 f. (mit ält. Pos. wie dem von ihm nur abgeschriebenen unvollständigen Beleg „Wilhelmi, germ. pag. 163“); Koestermann 1957,
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seine Stoffreduktionen und Informationsveränderungen für die Germanicusfeldzüge in Ermangelung anderer Informationsquellen nicht mehr genauer ermitteln – punktuell allenfalls einmal textimmanent: So hat Dieter Timpe die taciteische Verteilung der Ehrenbeschlüsse des Senat über das zweite Annalenbuch – mit dem Paukenschlag des Triumphdekrets gleich zu Beginn des Amtsjahres 15 n. Chr. (Tac. ann. 1,55,1), quasi als dessen Leitmotiv – analysiert und festgestellt, dass bei Tacitus relevante Informationen fehlen.113 Zum Beispiel Taten von Apronius und Silius, die die Verleihung von ornamenta triumphalia (Tac. ann. 1,72,1) rechtfertigten.114 Welche Ereignisse Tacitus’ Bericht über die Germanicusfeldzüge noch ausließ, reflektiert die von Strabo (7,1,4; Übers.: Kehne 2017) überlieferte Liste der im Triumph vorgeführten germanischen Stämme. Denn von Kämpfen gegen die dort genannten Kaulken (Chauken?), Ampsaner (Amsivarier?), Usipeter, Chattuarier, Lander und Tubattier verlautet bei Tacitus ebensowenig wie zur Gefangennahme einiger vorgeführter hochrangiger Feinde. Zu Tacitus’ notorischen Auslassungen gehören u. a. noch das Überwechseln Caecinas in das Doppellegionslager Vetera (siehe Tac. ann. 1,48,1); der routinemäßige Marsch des Expeditionskorps gegen die Marser im Herbst 14 n. Chr. von Vetera rheinaufwärts bis zur Brücke; die Überquerung der Eder im Frühjahr 15 (Tac. ann. 1,56–57); Germanicus’ Vormarsch zu Segestes’ belagertem Fürstensitz und sein anschließender Rückmarsch zum Rhein (Tac. ann. 1,58,5: Über die Lahn- oder die Lippetrasse oder sogar mit Caecina zusammen erneut durch die nicht näher lokalisierbare Caesischen Wald?115); den Rückmarsch des exercitus Germanicus inferior unter Caecina nach dem Kampf um das Kastell (zw. Tac. ann. 2,68 und 69); die Weserquerung des Hauptheeres (vgl. Tac. ann. 2,11,1 und 2,12,1) und die Rückzugsrouten im Sommer 16 n. Chr. (Tac. ann. 2,23,1). – Und damit gelangen wir bereits hier zu einem äußerst wichtigen und weitreichenden Fazit:
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451; Syme 1958, 393 mit Anm. 7 (wo er auf Ähnliches in Caes. Gall. 1,16 verweist); vgl. den Kommentar von Koestermann 1973, 271. – Ausdrücklich bestritten wurde dieses von Knoke 1922, 362, der diese Lücke mit besonderer Phantasie füllte (siehe zu Anm. 107 das Zitat von Koepp). Mehrheitlich wurde diese Auslassung eher als Zeichen für Tacitus’ Sprunghaftigkeit gewertet, denn als Indiz für eine falsche Auffassung vom Vormarsch des Jahres 16 n. Chr. – so z. B. Meister 1955, 104. Timpe 1968, 44 ff. – Hier sei noch erwähnt, dass vor Timpes bahnbrechender Analyse ein Teil der älteren Forschung das Triumphaldekret wirklich auf den Jahresbeginn datierte und mit dem Erfolg über die Marser in Verbindung brachte, so u. a. Spengel 1904, 22. Entweder übt Tacitus an beiden Kritik oder überlässt es den Lesern, aus seinen spärlichen Andeutungen Begründungen abzuleiten; vgl. Koestermann 1963, 234 f. Eine Rückführung über die Wetterau und Mogontiacum wäre jedenfalls angesichts der Einschiffungen für den Sommerfeldzug ein viel zu weiter Umweg. – Zur geogr. Unbestimmbarkeit der Caesia silva siehe Anm. 110.
228
Tacitus’ rhetorisch-dramatische Darstellungsabsicht
Wenn es im Umgang mit den taciteischen Annalen etwas methodisch absolut Unzulässiges gibt, dann ist es ein argumentum e silentio!116
4
Anschauungsprobleme, Vorurteile, falsches Textverständnis etc. – Einige Probleme der Germanicus-Feldzüge in neuer Perspektive
4.1
Anschauungsprobleme – Tacitus und Geographie
Der Umstand, dass alle neuzeitlichen Rekonstruktionen der Germanicusfeldzüge auf Anschauungen moderner Karten basieren, ist so evident, dass weitere Ausführungen dazu hier unterbleiben dürfen. Ein Hinweis auf vielfach verwirrende geographische Sachverhalte erscheint jedoch angebracht. Denn wer als „Sessel-Stratege“ Feldzugverläufe mit heutigen Messtischblättern117 oder Atlanten rekonstruieren will, erfasst vielerorts Gebiete, die im zweiten Jahrzehnt nach der Zeitenwende weitgehend unpassierbar waren. Hier verleitet moderne Kartographie entweder zu a priori verfehlten Schlussfolgerungen oder verführt zu neuen, aber unhaltbaren Theorien, da diese auf falschen Grundvoraussetzungen beruhen. Dasselbe gilt für die Lokalisten, die mit einer TacitusÜbersetzung in der Hand den Wegen von Varus oder Germanicus im heutigen Gelände nachzuspüren suchen. Auch sie bleiben zwangsläufig vielfach ohne ausreichende Orientierung. Zum einen, weil sich das Landschaftsbild erheblich verändert hat; zum anderen, weil taciteische Beschreibungen wenig eindeutig sind (siehe 4.7). Geographische Autopsie ist für Historiker unverzichtbar und galt seit Herodot beinahe als historiographische Verpflichtung. Erkundungsreisen wurde in zahlreichen Geschichtswerken ausdrücklich postuliert, auch von denen, die niemals solche unternahmen. Wer keine Fachkenntnisse besaß, täuschte sie historiographischer Konventionen eingedenk zumindest vor. Weder Tacitus noch die Verfasser seiner literarischen Vorlagen – Aufidius Bassus und Plinius Secundus senior – standen jemals im Weserbergland. Keiner von ihnen besaß persönliche Autopsie der beschriebenen Gegenden oder Plätze Innergermaniens. Ob und inwieweit ihre Schilderungen auf Augenzeugenberichte zurückgehen, ist höchst zweifelhaft. Eine größere Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass sie zur Unterhaltung ihrer Leser um Besonderheiten bemühten und sich ansonsten allgemein geläufiger Beschreibungselemente bedienten – zumal weder sie noch ihr Lesepublikum an der Beschreibung realer 116
117
Beispiele finden sich zu diesem Thema zuhauf, siehe bspw. von Stamford 1890, 119–121 und Knoke 1895, 635. Wie u. a. Dahm 1902, 110 und Norkus 1953, 27.
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Gegebenheiten ihnen unbekannter Lokalitäten wirklich interessiert waren. Moderne Kombinationen haben zu den Germanicusfeldzügen vielfach für einige Zeit ihren Reiz ausgeübt, bis sich herausstellte, dass die heutige Topographie nicht die antike war, Tacitus’ die ziemlich vagen taciteischen Beschreibungen auf etliche Gegenden passen und Tacitus germanische Lokalitäten sogar nach allseits bekannten fiktiven literarischen Beschreibungen schilderte (siehe 4.7). Wünschenswert wären natürlich Feldzugsrekonstruktionen nach damals existierenden, aber leider nicht erhalten gebliebenen Itinerarien des römischen Militärs118 oder nach ehemaligen, inzwischen ebenfalls verschwundenen topographischen Aspekten. Denn fast alles, was im norddeutschen Flach- und Küstenland mit Wäldern und Wasser (Meeresbuchten, Watt, Flussmündungen, Fluss- und Bachläufe, Sümpfe, Moore, Feuchtgebiete usw.) zu tun hat und heute in Augenschein genommen werden kann, entspricht ebenso wenig den antiken Verhältnissen – wie die aktuellen Positionen der sich kontinuierlich nach Osten verlagernden ostfriesischen Inseln. Hypothesen von Geländegängern oder Atlas-Strategen bleiben daher, so plausibel sie im Einzelfall erscheinen mögen, ohne jegliche Beweiskraft, da zu den Lebzeiten moderner Autoren Landschaft und Flussläufe längst so sehr verändert waren, dass antike Gegebenheiten nicht mehr existierten.119 Dasselbe gilt selbst für sorgfältige Rekognoszierungen durch Militärs des 19. Jahrhunderts wie Schmidt (1859), von Abendroth (1862) und Dahm (1902). Denn die nordwestdeutsche Landschaft hat sich bis in die Mittelgebirgszone durch Rodung, Trockenlegung, Rohstoffgewinnung, Besiedlung, Industrialisierung, Kanal-, Eisen- und Straßenbau entscheidend verändert. Der einstige von Römern bestaunte und gefürchtete germanische Urwald, in dem Siedlungskammern durch breite Wald- und Dickichtgürtel getrennt waren, war schon im Mittelalter weitgehend verschwunden. Die Ausdehnung einstiger Moore ist nicht einmal mehr den ältesten frühneuzeitlichen Karten ablesbar, von ehemals großen Feuchtgebieten ganz zu schweigen. Im geringeren Maße gilt Ähnliches für ehemalige Heidelandschaften. Anzahl, Verlauf und Wasserstände kleinerer Flüsse haben sich verändert; und die größeren haben vor Eindeichung und Kanalisierung stellenweise mehrfach ihr Bett gewechselt. Die Landmarken, die sich am wenigsten veränderten, sind Berge und Höhenzüge. Aber auch diese haben durch Sturmbrüche, Abholzungen, Militäreinrichtungen, Straßen-, Eisenbahn-, Wander- und Radwegebau vielerorts ihr Aussehen in der Landschaft erheblich gewandelt wie auch ihren Anblick aus dieser heraus. Einen schwachen Eindruck vormaliger Verhältnisse bewaldeter Höhen (saltus) bietet an klaren Tagen der Blick von der Aussichtsplattform des Hermannsdenkmals nach Süden und Südwesten, wo sich in der Landschaft noch einige Pässe und 118
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R. Sherk, Roman geographical exploration and military maps, ANRW 2/1, Berlin – New York 1974, 534–562, hier 558 ff. Siehe von Pflugk-Harttung 1886, 75 (Zitat zu Anm. 225) und Koepp 1926, 44 (Zitat zu Anm. 107).
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Tacitus’ rhetorisch-dramatische Darstellungsabsicht
Übergänge vom bewaldeten Mittelgebirge zum flacheren Münsterland abzeichnen. Das Fehlen zweifelsfreier topographischer und archäologischer Fixpunkte in taciteischen Schilderungen erschwert nach wie vor die Rekonstruktion. Und selbst ein in antiken Verhältnissen relativ unkundiger HobbyForscher wie Johannes Norkus durfte behaupten: „tatsächlich hat die textkritische und topographische Beweisführung bisher versagt.“120 Da orts- und landeskundliche Schilderungen, wie bereits erwähnt, seit Herodot zum festen Repertoire antiker Historiographie gehörten, interessierte sich Tacitus prinzipiell schon für Geographie – was seine Schriften Germania und Agricola freilich nur gelegentlich zeigen. Und er beschrieb in seinen beiden großen Geschichtswerken auch viele Gegenden und Plätze, weshalb sich altertumskundliche Laien mit Recht verwundert frag(t)en, warum trotzdem die Lokalisierungen aller Gefechtsfelder der Germanicusfeldzüge – Mattium, Segestes’ Wohnsitz, Arminius erster Hinterhalt im Jahre 15, die pontes longi, die Ebene Idisiaviso, die Gegend am Angrivarierwall und die Orte der beiden AdlerFunde – bis heute unbestimmbar blieben. Ein Umstand, der zahlreiche Spekulationen von Heimat-, Namens- und Geschichtsforschern begünstigte, die mit ihrer Flut unhaltbarer Verortungshypothese alle späteren historischen Rekonstruktionsversuche erschwer(t)en. Einen Teil der Antwort geben die oben benannten literarischen Stilgesetze, die den Gebrauch von Fremdworten, Fachausdrücken und Fachbeschreibungen aller Art untersagten.121 Geographische Positionsbestimmungen nach Koordinaten, Himmelsrichtungen, Itineraren, Entfernungen usw. kommen daher in Tacitus’ Annalen so gut wie gar nicht vor. Und mit der Nennungen von Landmarken konnten römische Hörer/Leser ohnehin wenig anfangen, weil sie die dortigen Verhältnisse nicht kannten und keine Landkarten besaßen.122 Einen weiteren Teil der Antwort gab Tacitus, bei näherem Hinsehen, schon selbst – was vielfach übersehen oder von Belesenen unter den Lokalisten geflissentlich übergangen wurde. Denn bei der Erläuterung seines historiographischen Programms bedauert er (Tac. ann. 4,33,3) den ihm von der Kaiserherrschaft aufgezwungenen historischen Stoff und benennt von ihm vermisste Komponenten, die historisch interessierten Lesern früherer Jahrhunderte Abwechslung, Zerstreuung, Unterhaltungen, mit einem Wort oblectatio boten.123 Dazu gehörten u. a. Terrainverhältnisse auswärtiger Völker (situs gentium). Und wo seine Vorlagen Gelegenheiten boten, nutzte Tacitus diese auch, um traditionellen historiographischen Anforderungen zu genügen und seine Darstellung
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So schon Norkus (1953, 29), der auch das Fehlen archäologischer Zeugnisse betont, woran sich seit nunmehr 64 Jahren kaum etwas geändert hat. Norden 1909, 93 f.; Walser 1951, 22 mit Anm. 67; Syme 1958, 343 f.; Borzsák 1970a, 55; Sage 1990, 1026; Schanz/Hosius 1935, 636. – Siehe zu den Stilgesetzen Anm. 64 und 108. So treffend Meister 1955, 103. Vgl. hierzu Anm. 110 – 111, 118, 124. Tac. ann. 4,33,2–3: ceterum ut profutura, ita minimum oblectationis adferunt.
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zur delectatio lectoris abwechslungsreich zu machen. Allerdings war er auch dabei leider geradezu pedantisch bemüht, das ‚Normale‘ zu meiden. So unterblieben in der Regel Schilderungen gewöhnlicher Orts- und Landschaftsverhältnisse. Selbst da, wo Tacitus wie im Falle Britanniens auf hervorragende Unterlagen und Augenzeugen, darunter Agricola selbst, zurückgreifen konnte, lassen seine topographischen Angaben sehr zu wünschen übrig.124 Stattdessen beschrieb Tacitus ‚Ungewohntes‘ oder ‚Bizarres‘, damit seine Hörer staunten und aufmerksam blieben. Aus unserem Themenkreis gehören dazu u. a. die bedrückenden Relikte an den Stätten der Trauer des Jahres 9 n. Chr., die geographischen und topographischen Verhältnisse bei den pontes longi, unheilschwangere mondlose Nächte, das am Herbst-Äquinoktium 21.– 23. September 15 von einer Springflut überschwemmte Nordseeküstenland, das die Legionäre bei der Weser-Rekognoszierung durchwaten mussten, eine ähnliche Gefährdungen durch das Hochwasser in den prima aestuaria bei der Truppen-Ausschiffung 16 n. Chr. sowie Topographie und Gefechtsverlauf auf Idisiaviso und am Angrivarierwall. Aber nichts davon ist so eingeordnet oder beschrieben, als dass man es genauer lokalisieren, geschweige denn sicher identifizieren könnte. Siehe dazu besonders den Unterabschnitt zum Angrivarierwall (4.7), den man lange Zeit fälschlich für archäologisch nachgewiesen und damit sicher verortet hielt.
4.2
Tacitus und die pontes longi
Ein vielbehandeltes Beispiel hierfür ist die Verortung der pontes longi, die man früher ohne eindeutige Identifizierung mehrheitlich westlich der Weser
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Walser 1951, 25; vgl. zur Geographie Britannien Syme 1958, 394–395. Genaue Verortungen in ihnen völlig unbekannten Regionen dürften seine Leser wenig interessiert und daher kaum erwartet haben. Zu Tacitus’ geographischen Ungenauigkeiten für Germanien und – in Ermangelung bekannter Städte (und germanischer Siedlungen) nur unzulänglich verfügbaren Orientierungspunkten siehe Syme 1958, 394 und 392 „He had to deal mainly with rivers, mountains, and tribal territories – all unsatisfactory.“ Vgl. den Text in und zu Anm. 110 – 111. Zum traditionell eher geringen Interesse römischer Historiographie an Geographie siehe u. a. Syme 1958, 126 f. und Marincola 1997/2004, 85.
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Tacitus’ rhetorisch-dramatische Darstellungsabsicht
ansetzte125 – was ausschließlich auf einer verfehlten Auffassung von Tac. ann. 1,63,3 beruht.126 Nach Schilderung des angeblich unentschiedenen Gefechts gegen Arminius (Tac. ann. 1,63,2: manibus aequis abscessum) greift Tacitus mit den einleitenden Worten des nächsten Paragraphen: mox reducto ad Amisiam exercitu, legiones classe, ut advexerat, reportat127 – wie so oft als eine Art Ankündigung – den von ihm noch zu schildernden Ereignissen vor.128 Zugleich ist damit für die Leser ein Richtungswechsel indiziert. Denn die römischen Heeresgruppen hatten von der Verfolgung des Arminius-Heeres gen Norden/Osten, tendenziell hin zur Weser, ablassen müssen und waren nun in anderen Richtungen auf dem Rückzug.129 Der mox-Satz ist grammatikalisch und damit sachlich an den vorangehenden geknüpft, in dem Germanicus handelndes Subjekt ist. Selbstverständlich gab er den Befehl zum Rückmarsch Richtung Untere Ems,130 wo er seine vier Legionen der obergermanischen Heeresgruppe wieder einschiffte. Der Kommentar von Karl Nipperdey und Georg Andresen vermerkt reducto … exercitu: „Zu diesen Worten […] bilden die Worte Caecina, qui suum militem ducebat, wie es scheint, eine […] Einschränkung.“131 Eine ausdrückliche ‚Entgegenstellung‘ sah hierin Friedrich 125
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H. Hayen, Bau und Funktion der hölzernen Moorwege: Einige Fakten und Folgerungen, in: D. Timpe et al. (Hrsgg.), Untersuchungen zu Handel und Verkehr der vor- und frühgeschichtlichen Zeit in Mittel- und Nordeuropa Bd. 5. Der Verkehr, Göttingen 1989 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Philologisch-Historische Klasse 180) 11–82 lehnt eine Identifikation mit archäologischen Relikten von Bohlenwegen im Emsland ab; zustimmend Timpe 1989e, 103 mit Anm. 38. Für Goetz/Welwei 1995 [Bd. 2], 88 Anm. 21 ist es „ein Bohlenweg, der trotz zahlreicher Hypothesen nicht näher lokalisierbar ist.“ Fehlerhaft bei all jenen, die mox reducto ad Amisiam exercitu fälschlich auf das Gesamtheer bezogen. Siehe u. a. Burchard 1870, 47 (Rückzug von der Ems aus, wohin Germanicus das „Heer im Ganzen wieder zusammengezogen hatte“); ebs. Essellen 1868, 279; Nipperdey 1892, 115 f. und den hier apodiktischen Koestermann 1963, 215 infolge seiner (1957, 447 Anm. 37) höchst konservativen – Knoke gegenüber fast reaktionären – Rekonstruktion der Germanicusfeldzüge. Ältere Positionen bei Knoke 1922, 222 f. Tac. ann. 1,63,3: „Dann führt er (sein) Heer an die Ems zurück und transportiert [historisches Präsenz!] (sc. nur) seine Legionen mit der Flotte zurück, wie er sie herangebracht hat.“ „Die Worte legiones – reportat sind,“ wie schon Karl Nipperdey und Georg Andresen (1892, 116) erkannten, „ein summarischer und darum nicht genauer Vorbericht über das c. 70 Erzählte.“ Eine nordöstliche Richtung war laut Knoke 1922, 181 „die natürliche Rückzugslinie […] für das deutsche Heer.“ Koestermann 1957, 442 erwog für die Kämpfe die Gegend „zwischen Bielefeld-Iburg und dem Wiehengebirge.“ Und Spengel 1904, 24 ist nicht der einzige, der als Ursache des Rückzugs eine römische Niederlage in dem oben genannten Gefecht annimmt. In diesem Sinne äußerte sich schon völlig zu Recht Timpe 1989d, 275: „d. h. zu dem in der Nähe der Mündung zu vermutenden Flottenstützpunkt zurück“; ebenso bereits, wenn auch aus gänzlich anderen Erwägungen, Knoke 1922, 219 f. Andresen/Nipperdey 1892, 115 f.
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Knoke. Schon 1887 zeigte er grammatikalisch argumentierend, dass mit dem exercitus nur die von Germanicus befehligte obergermanische Heeresgruppe gemeint war, und belegte sein Textverständnis von einem abgezweigten Heeresteil überzeugend mit analogen Formulierungen bei Tacitus.132 Eingedenk seiner bereits skizzierten Darstellungstechnik ist davon auszugehen, dass Tacitus auch in diesem Fall an einer detaillierten Beschreibung des Rückmarsches überhaupt nicht gelegen war. Aus kompositorischen Gründen wird der (Tac. ann. 1,60,2) mit Erwähnung des dreigeteilten Anmarsches begonnene Berichtskreis schnell geschlossen, um zum nächsten erzählerischen Höhepunkt zu gelangen133 – nämlich dem analog zur clades Variana stilisierten Kampf bei den pontes longi.134 Tacitus wechselt daher zu einem anderen handelnden Subjekt, eben zu Caecina, der mit dem exercitus Germanicus inferior an einem uns unbekannten Ort bereits vorher135 detachiert worden war136 und von dort aus Richtung Ems marschierte.137 Diese Eigenart taciteischer Darstellung, nämlich einen erzählerisch nicht mehr relevanten Handlungsstrang abrupt abreißen zu lassen und gleich zum 132
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Knoke 1887, 218 ff. mit 219 Anm. 1–2 (Knoke 1887, 219 Anm. 3 zur gleichen älteren Auffassung von L. Reinking, Die Kriege der Römer in Germanien, Münster 1863., 231; ähnlich Knoke 1922, 222 ff. Auch Delbrück 1921, 105 f. stellte zur Annahme, Germanicus habe zunächst das gesamte Heer an die Ems zurückgeführt, fest, dass „Tacitus […] für derartig strikte Interpretationen nicht die genügend feste Grundlage bietet.“ Vgl. Kessler 1905, 38. Wie schon Syme 1934, 377; Koestermann 1957, 444 Anm. 32 und andere vor ihm sieht auch Timpe 1995, 26 „die Schlacht auf den ‚pontes longi‘ als typologische Parallele zur Varusschlacht.“ Ausführlich dazu R. Wolters, Hermeneutik des Hinterhalts: die antiken Berichte zur Varuskatastrophe und der Fundplatz Kalkriese, Klio 85 (2003), 131–170, 131– 170; bes. 149 ff. (mit älterer Literatur Wolters 2003, 149ff. Anm. 85); 154 ff. und 168 f. Zu bewusst parallelisierten Ereignisschilderungen antiker Literatur und der „offensichtlichen“ Übernahme von „Versatzstücken aus einem besser dokumentierten Ereignis“ siehe auch Wolters 2006, 53 f. Die eindeutige Vorzeitigkeit bezeugen schon die von Tacitus gewählten Tempora: Caecina, qui suum militem ducebat [Imperfekt!], monitus [Plusquamperfekt]. Siehe die überzeugende grammatikalische Beweisführung von Knoke 1887, 219 f.; ebenso Knoke 1922, 219 Anm. 1 mit analogen Formulierungen bei Tacitus. Zu alledem findet sich nichts im AnnalenKommentar von Koestermann (1963), der seine konservative Auffassung über „Die Feldzüge des Germanicus 14–16 n. Chr.“ (Koestermann 1957) nicht unterminieren wollte. So Knoke 1887/1922, 215–221/219–225; ebenso Delbrück 1921, 105–106. Vgl. Kehne 2003, 101–102. – Wichtig ist in diesem Kontext, dass Caecina, laut Tacitus, auf bekannten, nicht aber denselben Wegen wie beim Anmarsch zum Rhein zurückging; so auch Koestermann 1957, 442. Hätten die ‚Langen Brücken‘ westlich der Ems gelegen, hätte Caecina sie bereits auf dem Hinmarsch repariert. Wolters 2008, 244 f. Anm. 44 sieht in dem bewusst anders gewählten Rückmarschweg der Caecina-Heeresgruppe sogar primär den Zwecke der Reparatur der pontes longi, d. h. „der mit größter Wahrscheinlichkeit östlich der Ems gelegenen Binnenwege“ als Vorbereitung auf den Feldzug im Jahre 16. Für Knoke 1887/1922, 215 f./219 f. war Germanicus auf dem Weg zur unteren Ems und Caecina auf dem „Weg über Vörden und Bramsche nach Rheine.“
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Tacitus’ rhetorisch-dramatische Darstellungsabsicht
Endpunkt zu springen,138 hat viele Gelehrte die pontes longi auch noch deshalb in Rheinnähe lokalisieren lassen, weil Tacitus den weiteren Rückmarsch des exercitus Germanicus inferior nach Zurückschlagen der Germanen ebenfalls ausließ. Nach dem dramatischen Höhepunkt überspringt er einfach den weiteren, für ihn unwichtigen Zug dieser Heeresgruppe, die er erzählerisch gleich nach ihrem Sieg über das von Arminius und Inguiomerus konkurrierend befehligte Germanenheer zum Rhein gelangen lässt, ohne mitzuteilen, wie lange sie bis dahin noch auf welchen Routen – nach Verlust des Trosses schon aus logistischen Gründen sehr wahrscheinlich über Haltern und die Lippetrasse – zurückzulegen hatte.139 Den Endpunkt der ganzen Episode bildet dann eine vom älteren Plinius übernommene, für römische Ohren wiederum bizarre Begebenheit: Allein Germanicus’ Frau Vipsania Agrippina habe in der vom Gerücht über die Einschließung der Heeresgruppe ausgelösten Panikstimmung den von unbekannten Leuten (erant qui) angeblich beabsichtigten Abbruch der Rheinbrücke verhindert (Tac. ann. 1,69,1), die wir uns nahe Vetera denken müssen.140 Folglich ist eine geographische Ansetzung der Caecina-Episode westlich der Ems durch den Tacitus-Text weder zwingend noch wahrscheinlich. Man hat die pontes longi daher östlich der Ems zu verorten.141 Auf die erstaunliche Übereinstimmung der Topographie bei Kalkriese und der dortigen Fundverteilungen mit Tacitus’ Beschreibung des Caecina-Zuges nach Passieren der pontes longi 15 n. Chr. wies 1993 als erster Reinhard Wolters 138
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Zur notorischen Sprunghaftigkeit taciteischer Berichte siehe Anm. 112 und die Aufzählung am Ende von Teil 3. Zur Befehlskonkurrenz: Kehne 2000, 429. Zu Trassen und Logistik: Kehne 2008a und Kehne 2017, 93. Zu Roms kaiserzeitlicher Kriegslogistik siehe die Kehne 2004 und 2007 behandelte Literatur. Nach den vorliegenden Studien zu Tacitus’ Erzählkunst wissen wir, dass er erant qui Gruppen ebenso erfand wie Gerüchte (siehe Anm. 105). Aber ausgerechnet diese von Tacitus zur künstlichen Dramatisierung erfundenen Elemente führt Koestermann 1957, 447 Anm. 37 als Hauptargument gegen Knokes Verortung der pontes longi östlich der Ems an: „Hätten sich die Kämpfe weit im Osten abgespielt, wäre es unverständlich, daß man am Rhein daran denken konnte, die Brücken abzubrechen“, bevor er vollends spekulativ wird: „Die Nachricht von der bedrohlichen Lage der Legionen wäre alsdann mit ziemlicher Gewißheit von der Erfolgsbotschaft überholt worden.“ Dass er damit seiner im Text derselben Seite geäußerten These widerspricht, die Gerüchte seien „wahrscheinlich von den siegestrunkenen Germanen selbst verbreitet“ worden, ist ihm offenbar entgangen. Im Übrigen spielen bei Gerüchten 100 km Entfernung mehr oder weniger keine Rolle. Bedenklich ist hier nur, dass ein Literaturkenner diesem geläufigen Dramatisierungsmittel – egal ob von Tacitus oder Plinius eingeführt – überhaupt Realitätsgehalt zuschrieb. Siehe dazu schon Knoke 1887, 281. In diesem Sinne neben Knoke 1887/1922, 215 ff./219 ff. explizit Delbrück 1921, 105–106. Ähnlich Kehne 2003, 101 f.; zustimmend – nach seiner Andeutung (Wolters 2003, 151 Anm. 96) – Wolters 2008, 244 f. mit Anm. 44 (siehe Anm. 139). Ähnlich Wolters 2006, 53: „Schilderung eines mit großer Sicherheit zwischen Weser und Ems anzusetzen Hinterhalts.“ Vgl. Kehne 2009a, 109.
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hin.142 Inzwischen wurden auch von archäologischer Seite erstens ein Zusammenhang zwischen pontes longi und einem in die Zeit der Germanicusfeldzüge datierten Bohlenweg zwischen Damme und Hunteburg gesehen, der ca. 10 km Luftlinie nordöstlich von Kalkriese verlief, zweitens der dortige Wall als römisches Bauwerk identifiziert und zu Wolters brillanter These in Beziehung gesetzt.143
4.3
Tacitus und die Wesererkundung 15 n. Chr.
Eine willkürliche Konjektur aus historischem Unvermögen erwies sich für das Verständnis einer weiteren Flottenfahrt, die Germanicus noch im Herbst 15 n. Chr. unternahm, als folgenschwer. Tac. ann. 1,70,5 heißt es: penetratumque (sc. Vitellius mit den legiones II. und XIV.) ad amnem Visurgin quo Caesar classem contenderat. Jedoch wurde in modernen Ausgaben der vermeintlich falsche Flussname Visurgis meist als Glosse gewertet und entweder getilgt oder durch einen anderen, wenig wahrscheinlichen Namen ersetzt. So plädierte bereits Burchard (1870, 48) für einen Flotten-Rückzug zur Hunse und nahm an, der Original-Name Unsingia wäre zu Visurgia verschrieben worden.144 142
143
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Wolters 1993, 178 mit Anm. 54; vgl. 172; vor allem Wolters 2003, 149 ff.; 153; 154 ff.; bes. 162–165 und 168 f. – aber ohne abschließende Festlegung. Dem beipflichtend u. a. Kehne 2009a, 109 und Kehne 2015, 226 f. P. Pieper, Die taciteischen Annalen und die Holzfunde vom Bohlenweg XXXXV (Pr) zwischen Damme und Hunteburg, in: W. Schlüter u. R. Wiegels (Hrsgg.), Rom, Germanien und die Ausgrabungen von Kalkriese, Osnabrück 1999, 509–526, bes. 520 ff. und Kehne 2015, 223–231; vgl. Kehne 2009b,179 mit Anm. 235. Meine darin ausgebreitete Theorie, den Römerwall als eine temporäre taktische Abschnittsbefestigung zu verstehen, haben die Grabungsbefunde der Jahre 2016–2018 von Salvatore Ortisi – entgegen den ersten, inzw. aber wieder fragwürdig gewordenen Erfolgsmeldungen eines Lagers – noch nicht erledigt. Falls sich jedoch ein sehr kleines Lager von ca. 4 ha Größe verifizieren lässt, stellt sich natürlich die Frage nach dessen Funktion: Zur Einschätzung als Notlager der Germanicuszeit bereits Kehne 2003, 106 und Kehne 2009b, 179. Und solange das Überrennen eines kleinen Postens die Kalkrieser Befunde erklärt, ist die hauptsächlich auf die dortige Fundstreuung gegründete Theorie eines kilometerlang hingezogenen Defileegefechts im Kontext der Varuskatastrophe (dazu Kehne 2009b, 178 und Kehne 2017, 99) widerlegt. Nipperdey 1851 und 1874, 61 und 80: [Visurgin] ; ebenso Koestermann 1952, 171; weitere Tilgungen der angeblichen Glosse seit Lipsius verzeichnet Brink (siehe unten) 42. Bei Nipperdey/Andresen 1892, 123, Z. 3 ist Visurgin nach dem Handschriftentext wiederhergestellt. Bei Goodyear 1981, 12 und Heller 1982, 100 fehlt Visurgin im Text (siehe aber Heller 1982, 111 Anm. 106). – Nipperdeys Verdikt „Randglosse eines der Gegend Unkundigen“ übernahm Kessler 1905, 42. Viel beachtet wurde hierzu C. O. Brink, Tacitus and the Visurgis. A gloss in the first book of the Annals, JRS 42 (1952), 39–42, hier 40 (anderer Name unnötig, Brink 1952, 41: „amnis was the main outlet of the Flevo lake“). Auch Ludwig Schmidt 1970, 116 hielt dies für eine Glosse (sc. die „Einmündung eines unbekannten Flusses“); ebs. Syme 1958, 747 mit Anm. 6 und Koestermann 1963, 233;
236
Tacitus’ rhetorisch-dramatische Darstellungsabsicht
Einen Weserzug Ende 15 n. Chr. hielt Paul Höfer (1885, 12) für „nicht unmöglich“. Durchgängig ablehnend urteilten dagegen Nipperdey, Delbrück, Kessler, Brink, Koestermann, John, Norkus, Johne und viele andere mehr. Ihre Ausführungen offenbaren allesamt nur ihr strategisches Unverständnis über eine völlig normale Rekognoszierung. Zum einen liegt das in ihrer Annahme einer sofortigen Heimkehr der Flotte in die Winterquartiere begründet, zum anderen in ihrer unzureichenden Kenntnis von Germanicus und von römischen Praktiken maritimer Unternehmungen im Nordmeerbereich. Was man sich nicht vorstellen konnte, durfte nicht sein: „Visurgin ist Randglosse eines der Gegend Unkundigen. Denn da Vitellius und Germ(anicus) von der Ems nach dem Rhein zurückgingen, konnten sie nicht zur Weser kommen. Tac(itus) hat den Fluss welchen er meint, nicht genannt, entweder weil er seinen Namen nicht verzeichnet fand oder dieser zu obscur war, wie II 19 locum flumine et silvis clausum. Da Vitellius auf seinem Wege nur einmal Nachtquartier machte, muss dieser Fluss,“ so Karl Nipperdey (1851, 61) apodiktisch, „die Hunse gewesen sein.“ Oder, genauso entlarvend, Charles Brink (1952, 40): „It was noticed as early as the sixteenth century that this sentence cannot stand, since the river cannot under any circumstances be the Weser. The Weser is east, not west, of the 145 Ems and the army was moving west, back to the Rhine, not east, farther into Germany.“
145
ähnlich Timpe 1989d, 275. Zu anderen Fluss-Namen siehe Kessler 1905, 41; Koepp 1926, 43 und Johne 1991, 515; dazu zu Recht kritisch John 1951, 370. Laut Delbrück (1921, 96 und 111) offenbart sich hier fälschlich sogar, „daß Tacitus von dem geographischen Verhältnis der germanischen Flüsse keine Vorstellung hat.“ Vgl. Kessler 1905, 40 f. (Kessler 1905, 40: „Da die Römer schon seit c. 63 auf dem Rückzuge sind, so ist das einfach unannehmbar.“ Lesenswert sind auch seine geradezu ergreifenden, aber verfehlten Sachargumente gegen Knoke); vgl. John 1951, 370–371, „für den die Mitteilung völlig rätselhaft bleibt,“ und Norkus 1953, 17: „Was ist das für ein merkwürdiger Bericht?“ „Militärisch ist diese Maßnahme unverständlich.“ Zwar hält er, Norkus 1953, 17 f., an Visurgin fest, sucht aber (Norkus 1953, 18) die Episode Tac. ann. 1,70 ebenso sinnwidrig wie schon Glaser 1929 in eine Rekonstruktion zur Weserlandung im Jahr 16 einzupassen, obwohl Berichtsinhalte dagegen stehen. Koepp 1926, 42 f. verwahrt sich dagegen, „eine geographische Begriffsverwirrung des Tacitus“ anzunehmen und „oder gar die Angabe für richtig zu halten“; „es kann nur eine Verderbnis des Textes vorliegen“ und „während mit dem ungenannte Fluß, zu dem Germanicus mit der Flotte gefahren war, selbstverständlich der Rhein oder vielmehr die Vecht gemeint war.“ Ebenso wenig stichhaltige Plausibilitätserwägungen findet man bei Koestermann 1963, 233 („Germanicus kann keineswegs in dieser späten Jahreszeit noch die Absicht gehabt haben, einen kombinierten Vorstoß zu Wasser und zu Lande bis zur Weser zu unternehmen […], zumal er sich ja auch Sorgen um den Rückmarsch Caecinas machen mußte.“); Heller 1982, 827 Anm. 106 („Germanicus kann aber nicht im Herbst einen Zug nach Osten geplant haben. Es kann daher und nach dem Folgenden nur der Rhein gemeint sein.“) und Johne 1991, 515: „Es scheint unmöglich, daß Germanicus auf der Rückfahrt […] noch einmal Richtung Osten von der Ems- in die Wesermündung gefahren ist.“ Alle demonstrieren damit einzig ihre Vorurteile und ihr militärisch wie historisch beschränktes Vorstellungsvermögen.
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Als erster hinterfragte Friedrich Knoke mit textkritischer Spitzfindigkeit zunächst den allgemein angenommenen Rückzugscharakter des Vitellius-Zuges und sprach sich dann dafür aus, „daß es sich in der That um eine Expedition gehandelt hat, welche von der Emsmündung in östlicher Richtung unternommen wurde“ – eben um „eine Untersuchung der Nordseeküste […], sowie um die Auffindung geeigneter Landungsplätze für den nächsten 146 Kriegszug.“
Der Flottenzug des Jahres 16 zur Weser war demnach im Herbst 15 n. Chr. durch Germanicus’ bewaffnete Aufklärung bereits vorbereitet worden. Und sehr wahrscheinlich gehörte auch die Ausschiffung der zwei Legionen zu diesem Unternehmen, da sie neben der Flankensicherung wohl zugleich der Erkundung einer Landpassage durch das Chaukengebiet diente. Beides hatten seit dem 16. Jahrhundert neuzeitliche Editoren wie Lipsius, Mercier, Nipperdey, Koestermann, Heubner, Heller, Goodyear und selbst Militärs schlicht nicht verstanden. Nach meinen kurzen Ausführungen147 in diesem Sinne zuletzt Reinhard Wolters148 mit der These, dass vielleicht auch der oben erörterte Rückmarschweg der Caecina-Heeresgruppe bewusst zum Zwecke der Reparatur der pontes longi, d. h. „der mit größter Wahrscheinlichkeit östlich der Ems gelegenen Binnenwege“ gewählt wurde und bereits der Vorbereitung auf den Feldzug 16 diente.149
4.4
Tacitus und die Weserfahrt 16 n. Chr.
Als markantestes Beispiel einer endlosen, ineffektiven und womöglich schon im Ansatz verfehlten Forschungsdiskussion über ein Detail der Germanicusfeldzüge muss die Debatte über das „linke Ufer der Ems“ in einer missverstandenen Annalen-Passage genügen. Es geht um Tac. ann. 2,8,2: classis Amisiae relicta laevo amne – die fünf meistdiskutierten Worte im zweiten Buch der taciteischen Annalen, wenn nicht sogar insgesamt. Auf den ersten Blick so einfach und doch problematisch, wie ein Griff zur angesehenen Tusculum-Ausgabe sofort zeigt. Denn Erich Heller150 bietet ad locum – wie etliche andere auch – eine ebenso falsche wie folgenschwere Übersetzung: 146
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Knoke 1887, 283–286 (Zitate Knoke 1887, 285 und 286); wohlwollend nur bei Nipperdey/Andresen 1892, 123 erwähnt. Gefolgt ist Knoke darin nur Kehne 1998, 443 und in diesem Sinne vollends Wolters 2008, 244. Kehne 1998, 443 wurde als späte Erwiderung auf Brink 1952, aber in Unkenntnis der Knoke-These verfasst. Wolters 2008, 244 (mit Irrtümern hinsichtlich der Befürworter). Wolters 2008, 244 f. Anm. 44, wobei er Kehne 2003, 101 f. darin zustimmt, dass sich aus dem Annalen-Text keineswegs zwingend eine Trennung der Heeresgruppen erst an der Ems ergibt (siehe Anm. 136 und 141). Heller 1982, 119.
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Tacitus’ rhetorisch-dramatische Darstellungsabsicht
„Die Flotte wurde am linken Flußufer der Ems zurückgelassen und damit ein Fehler begangen insofern, als er (sc. Germanicus) nicht stromaufwärts fuhr: übersetzen mußte er das Heer, das in die Gebiete rechts des Flusses marschieren sollte.“ Eine simple Ortsangabe wurde bei Tacitus zu einem Kritikpunkt an Germanicus Feldherrn-Talent. Ob dieses allein seine Kritik war oder schon eine in seinen Vorlagen vorgefundene, ist nicht mehr zu entscheiden, hier aber zunächst irrelevant. Eine ganz andere Sichtweise ergibt sich durch die wörtlichere und (weit) zutreffendere Übersetzung von Karl Meister: „Die Flotte wurde im linken Arm der Ems zurückgelassen.“151 Mittels Betrachtung analoger Wortwahl wurde dann versucht, Tacitus’ Raumvorstellung und seinen Gebrauch von ‚rechts‘ und ‚links‘ in geographischen Darstellungen (u. a. Germ. 45,2) zu ergründen – meist freilich in dem erkenntnisleitenden Bemühen, unerwünschte Thesen abzuweisen oder eigene Sachpositionen mit heutigen Vorstellungen zu untermauern.152 Dabei hatte Meister – wie vor ihm schon andere – bereits eine einleuchtende Lösung präsentiert. Mit den Begriffen „rechts“ und „links“ bezeichnet Tacitus „niemals die Flussufer“ und verwendet sie „niemals, um den Lauf eines Flusses oder die Lage von Orten an seinen Ufern zu bezeichnen“, denn „vom Standpunkt des stromabwärts Blickenden“ sind sie zunächst „eine unantike Bezeichnungsweise.“ Tacitus nimmt stets die Blick-, Fahrt- oder Marschrichtung der handelnden Person oder Einheit ein – in diesem Falle eben Germanicus’ Fahrtrichtung, 151
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K. Meister, Der Bericht des Tacitus über die Flottenlandung des Germanicus in der Emsmündung, Hermes 83 (1955), 92–106, 97, der in Anm. 3 ältere diesbezügliche Auffassungen nennt, nachdem er abermals (Meister 1955, 96 f.) zu Recht die vormals favorisierte Auffassung eines Lokativs und damit eines Ortsnamens Amisia ohne ergänzendes ‚Appellativum‘ zurückgewiesen hat. Fast zeitgleich hatte Norkus (1953, 4–7; 12–14) diese überholte These für seine letztlich unhaltbare Annahme einer Flottenlandung an der Allermündung bei dem laienhaft etymologisch frei nach Ptolemaios (Geogr. 2, 11,13: Lg. 31° 30´ Br. 51° 30´; vgl. Emsmündung) ermittelten Amedorf verwendet – was seiner zutreffenden Annahme einer Weserfahrt im Jahre 16 enorm schadete. Unseligerweise hat C. E. Murgia, Tacitus Annals 2.8.2, Classical Philology 80 (1985), 244– 253 die diesbezügliche Diskussion mit seiner verfehlten Lokativ-Beweisführung Amisia = Emden wiederbelebt – als ob die Buchstaben-Überlieferungslage eines codex unicus überhaupt eine solche Feinanalyse erlaube, ohne als ‚geistige Onanie‘ der Altphilologie zu wirken. Überhaupt ist seine ganze (zwischen Tacitus’ Sprachgebrauch in Historiae und Annales sowie bekannten und unbekannten Orten in und außerhalb Italiens methodisch unzureichend differenzierende und nirgendwo das Problem bzw. Unmögliche einer adäquaten Auffassungsgabe des stadtrömischen Publikums vor [!] der späteren Publikation von Ptolemaios’ Geographie anmerkende) philologische wie (u. a. die Divergenz Ptol. 2,11,13: Amisia polis Lg. 31° 30´ Br. 51° 30´; 2,11,1: Emsmündung Lg. 29° Br. 55° vernachlässigende und neuzeitliche Uferverhältnisse einbeziehende) geographische Argumentation absurd und eigentlich nur ein Indiz für den altertumskundlichen Bildungsverfall in den USA. Norkus 1953, 4–7 bietet dazu sogar eine (wie die unvollständigen oder falschen bibliographischen Angaben offenbaren) irgendwo abgeschriebene Auswahl, folgt aber prompt einer falschen Ansicht.
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was auch für die Leser bzw. Hörer, die kaum geographische Kenntnisse, geschweige denn eine Karte besaßen, die einzige verständliche Sichtweise war.153 Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass der primäre geographische Zugang der Antike zu Flüssen über den Periplus, die traditionelle Küstenumschiffung und Küstenbeschreibung erfolgte.154 Laut vorliegendem Annalen-Text wurde die Flotte demnach im linken = östlichen Mündungsarm der Ems zurückgelassen.155 Die Frage ist nur: Was stand in Tacitus’ Originalfassung? Und was stand in seiner Vorlage zwischen diesem Satz und dem vorigen zur Flottenfahrt Richtung Ems (Tac. ann. 2,8,1: lacus inde et Oceanum usque ad Amisiam flumen secunda navigatione pervehitur)? Die stilwidrige Doppelung von Amisia innerhalb von sieben Worten irritierte die Philologie schon immer ungemein, weshalb einige Editoren die zweite Nennung einfach tilgten.156 Verderbtheit und Unklarheiten der Passage notieren alle
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Jeweils mit weiterer Literatur Meister 1955, 97 ff.; 101 ff. (die Zitate Meister 1955, 97; 101 und 103); zu Vorgängern Meister 1955, 97 Anm. 3, siehe u. a. Burchard 1870, 59 („vom Standpunkte des ankommenden Germanicus“ ist die Weser der linke Strom). So u. a. schon Kramer 1930, 15 [vgl. generell Stürenburg 1897, bes. 291 ff. Beispiele aus Ptolemaeus und Strabo für Betrachtungen mündungs- und talaufwärts; 299 f. ad locum allerdings falsch; anders Stürenburg 1932, 36]; Koestermann 1963 ad locum und Wolters 2008, 241 f. Anders u. a. Norkus 1953, 7; Heubner 1956; Koestermann 1957, 450 Anm. 47 und Goodyear 1981, 209. – Für eine Perspektive aus der Sicht des Schreibers bei Tac. Germ. 45,2 (dextro Suebici maris litore Aestiorum gentes) plädierten fast alle (rechts = östlich), siehe Heubner 1956, 355; zustimmend Goodyear 1981, 209 – jedoch nur, weil beide z u w i s s e n g l a u b e n , wer und wo die Aestiorum gentes seien und was bei der Ostsee ‚rechts‘ wäre. Womöglich war das aber gar nicht die antike Sicht von Plinius, dem Tacitus folgt: Denn von der Rheinmündung aus (so Meister) bzw. in Fahrtrichtung wäre (nach dem ersten Ostseeknick) rechts = südlich. Somit waren die Mündungen von Flüssen immer viel eher bekannt als deren Quellen. Zur römischen Erkundung der Nordseeküste siehe u. a. Detlefsen 1904, 4 ff.; 19 ff.; 25 ff.; bes. 37 ff.; vgl. Timpe 1989c, 366 ff.; Kehne 1995b, 27 f.; Meister 1955, 94 f. Völlig wertlos ist hierzu der defizitäre Beitrag von C. Hänger, Die amphibischen Operationen in Germanien unter Augustus und Tiberius. Zur Bedeutung des Meeres für die römische Strategie, in: E. Olshausen u. H. Sonnabend (Hrsgg.), Stuttgarter Koll. zur historischen Geogr. des Altertums 7, 1999: Zu Wasser und zu Land (sic!). Verkehrswege in der Antike, Stuttgart 2002 (Geographica Historica 17), 273–279. Für Meister (1955, 103) ist diese bei einer schrägen Emsmündung der „nördliche“, da er dextras in terras als Germanicus’ Marschrichtung gen Süden halten will. Seine weiteren Ausführungen zur militärisch unsinnigen Ausschiffung im Mündungs- und Gezeitenbereich sind ebenso problematisch wie seine Vergleiche mit mittelalterlichen Gegebenheiten Emdens. Nipperdey 1851, 75; zustimmend u. a. Kessler 1905, 44 f. mit Anm. 16. Nipperdey 1874, 97: Classis Amisiae ore relicta laevo amne. Weitere Texteingriffe notieren Heubner 1956, 353 (der die Doppelung verteidigt) und Koestermann 1952, 48. Traditionell hierzu Knoke 1887, 334 ff.; Nipperdey/Andresen 1892, 140; Meister 1955, 99; Koestermann 1963, 270. Vgl. Goodyear 1981, 208–211.
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Tacitus’ rhetorisch-dramatische Darstellungsabsicht
Kommentatoren.157 Flüchtigkeit, ein Irrtum oder eine Fehleinschätzung durch den greisen Tacitus sind hier ebenso möglich wie Textausfall, Abschreibfehler oder mittelalterliche Plausibilitäts-Konjekturen (Visurgim zu Amisiam). Auslassungen sind in diesen Annalen-Kapiteln ohnehin offenkundig.158 Auch Verschiebungen einzelner Passagen wurden erwogen.159 Treffendes Fazit – nicht nur für Gerhard Kessler: 160
„Die Überlieferung ist so, wie sie uns vorliegt, schlechthin unbrauchbar.“ Und angesichts fehlender Nebenüberlieferung erscheint Walther John und anderen für diese „sprachlich und textkritisch wie sachlich erheblich“ problematische Tacitus-Stelle (ann. 161 2,8) zu Recht „eine in jeder Hinsicht befriedigende Deutung kaum je möglich.“
Das gilt besonders deshalb, weil man in der Forschung schon mehrfach registrierte, dass eine abermalige Emsfahrt den eingangs von Tacitus ganz plausibel mitgeteilten, angeblich neuen, strategischen Überlegungen des Germanicus, nämlich Truppen und Tross im Sommer 16 in einem Zuge mit der Flotte mitten nach Germanien (media in Germania) zu transportieren,162 diametral entgegen steht163 – und Tacitus’ Feldzugsbericht damit auch aus militärischer Sicht unverständlich bleibt. Mehr Sinn ergibt er, wenn man Tac. ann. 2,8,1 zu 157
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Goodyear 1981, 208: „The worst crux in these books.“ Weiteres bei Koestermann 1963, 270 f.; vgl. Kramer 1930, 9 ff.; John 1951, 369; Meister 1955, 93; Questa 1963, 140 f.; Wolters 2008, 240. So fehlen z. B. nach Kessler 1905, 44 ganz entgegen Tacitus’ sonstiger Gewohnheit, „hier zum ersten und einzigen Male am Anfang eines Feldzuges […] die sonst üblichen Truppenangaben.“ Siehe zu Lücken/Textausfall auch Koestermann 1957, 451 mit Anm. 51. So Kessler 1905, 44, der (Kessler 1905, 48) mögliche Flussüberquerungs-Dubletten in diesem Feldzugsbericht zeigt. Glaser (1929, 37 ff.) versetzt die allgemein nicht verstandene Flottenfahrt (Tac. ann. 1,70) vom Herbst 15 n. Chr. zwischen Tac. ann. 2,8 und 2,9, so dass sie wegen des Äquinoktiums (um den 21. März) ins Frühjahr 16 n. Chr. fiele, was philologisch findig, historisch jedoch völlig unwahrscheinlich ist; eine ähnliche Rekonstruktion (ohne Bezug auf Glaser) bei Norkus 1953, 18 f. und 30. Kessler 1905, 47. John 1951, 369. Auch für Timpe (1989d, 275) bleiben das Kapitel „textkritisch umstritten“ und jeglicher Konsens unmöglich. Tac. ann. 2,5,4: at si mare intretur, promptam ipsis possessionem et hostibus ignotam; simul bellum maturius incipi, legionesque et commeatus pariter vehi; integrum equitem equosque per ora et alveos fluminum media in Germania fore. Die unerklärliche Diskrepanz zwischen dem Germanicus zugeschriebenen Feldzugsplan und der unverständlichen Realisierung mittels Ausschiffung an der Ems notierten vor langer Zeit u. a. schon Mannert 1829, 41–42; Bessell 1857, 14; Delbrück 1921, 110 f.; Kessler 1905, 44–49; Koepp 1926, 43 f.; Kramer 1930, bes. 9 f.; Schmidt 1938, 117; Norkus 1953, 8– 11; Norkus 1963, 87–90 mit Anm. 126; Timpe 1989d, 275; Wolters 2008, 239 f. (Wolters 2008, 243 f. wie schon Delbrück 1921, 111 mit Bezug auf die Arminius-Rede Tac. ann. 2,15,2). Vgl. Knoke 1887, 332 f. Nur Textpuristen (wie von Koeckeritz 1862, 64) und Tacitus-Apologeten (wie Koestermann 1957, 448–451) hielten diesen Widerspruch ignorierend am Annalentext 2,8 fest; selbst Meister 1955, 104 (trotz seiner Ansicht Meister 1955, 86). – Goodyear 1981 ist auch hierzu nutzlos.
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usque ad Visurgim flumen verbessert und den vieldiskutierten Satz classis Amisiae relicta laevo amne (Tac. ann. 2,8,2) – wenn man ihn denn halten will – vor oder nach Tac. ann. 2,8,4 setzt.164 Eine Stationierung der Truppentransporter im rückwärtig besser geschützten östlichen Ems-Arm wäre aus Sicherheitsgründen ganz verständlich. – Selbst wenn man nicht davon ausgeht, dass sie dort im Frühherbst Germanicus und seine Legionen wieder aufnahmen (Tac. ann. 2,23,1: plures [sc. legiones] Caesar classi impositas per flumen Amisiam Oceano invexit), denn auch hier kann Amisia eine weitere, aus der ersten Erwähnung resultierende Konjektur sein. Durch diese Umstellung und die Annahme einer Landung an der Weser165 werden auch zwei weitere kontrovers diskutierte Nachrichten dieses Kapitels verständlicher. Zum einen die Kritik an Germanicus, nicht weiter hinaufgefahren zu sein was, was mehrere Brückenschläge (Pl.!) nötig machte, die Otto Kramer plausibel mit notwendigen Überquerungen damaliger Flussarme im westlichen Mündungsgebiet der Weser erklärt.166 Zum anderen die – alle EmsAusschiffungs-Theorien störende – Annalen-Notiz vom Abfall der Angrivarier im Rücken (Tac. ann. 2,8,4: Angrivariorum defectio a tergo nuntiatur)167 des Römerheeres 164
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Je nachdem man die Flottenverlegung durch den Abfall der Angrivarier (siehe unten) verursacht sieht oder nicht; und wenn man nicht auch hier Visurgis statt Amisiae setzt, was sachlich aber vielleicht unnötig ist. So die überzeugende These von Delbrück 1921, 112 f., dem sich Kessler 1905, 49 und 52; Kramer 1930, bes. 8–16 und 25; Schmidt 1938, 117 f.; Norkus 1953, 8, 11; Norkus 1963, 87– 91 und Wolters 2008, 241–243 anschlossen (Wolters 2008, 243–248 zu neuen daraus resultierenden Schlussfolgerungen). Schon Mannert 1829, 41 f. ging von einer Lebensmittelversorgung auf der Weser aus; Bessell 1857, bes. 7 u. 17–22 ließ Germanicus von Bremen an weseraufwärts ziehend über diesen Fluss Nachschub erhalten; und Müller 1871, 284-288 kombinierte beide Theorien. Weitere derartige Positionen bei Knoke 1887, 340 f. Neutral blieb John 1951, 369, verneinte es aber ebd. 371. Entschieden ablehnend, aber mit unzureichenden Argumenten Gelzer 1918, 448; Koestermann 1963, 270 f.; Meister 1953; Koestermann 1957, 451 Anm. 52. Ansatzgemäß anders Knoke 1887/1922, 332– 357/347–365. Goodyears Kommentar (1981, 208 ff.) unterschlägt diese Theorien, erschöpft sich im philologischen Kleinkram und ist hierzu historisch ebenso wertlos wie Johne 1991. Zu Hänger, der von alledem gar nichts weiß siehe Anm. 154. Kramer 1930, 15. Denn dieses deuteten Bessell 1857, 6 f.; 21 f.; Kessler 1905, 45 f. und (sehr treffend) Schmidt 1938, 118; ferner Norkus 1963, 92; Wolters 2008, 245 schon treffend als Indiz für einen Flottenzug zur Weser. Vgl. Knoke 1887, 362–366; Delbrück 1921, 123; Koestermann 1957, 451 mit Anm. 53; ähnlich Johne 1991, 517. Goodyear 1981, 212–214 verkennt auch hier das Problem. Die zur Aufrechterhaltung verfehlter Feldzugsrekonstruktionen hier gelegentlich vorgenommene Konjektur von Angrivarii in Am(p)sivarii (so u. a. Nipperdey 1851, 76 ad loc.; ebs. Marsh 1931/1959, 73) lehnten (teils mit Bezug auf Sitze der Angrivarier an beiden Ufern der Weser oder Tac. ann. 13,55,1) zu Recht u. a. Essellen 1868, 347; Burchard 1870, 53 f.; Knoke 1922, 362 f.; Koepp 1926, 44; Koestermann 1957, 451 mit Anm. 53 und der Kommentar Koestermann 1963, 271 f. (letzterer allerdings mit teilweise unlogischer Argumentation) ab. Des Weiteren stellt sich zu dieser Passage die Frage, ob Tacitus in seinem (falschen) Verständnis des römischen Aufmarsches 16 n. Chr. vielleicht das Opfer
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Tacitus’ rhetorisch-dramatische Darstellungsabsicht
an der Weser und Stertinius’ sofortiger zur Sicherung des Nachschubs verständlicher Strafaktion. Etliche aus Tacitus’ Darstellung resultierende Verständnisprobleme, einschließlich des fehlenden Marsches an die Weser,168 ließen sich so auflösen.
4.5
Tacitus und der Albis in der Forschung
Kommen wir nun zu einem anderen Paradoxon der Germanicus-Forschung: In den letzten drei Jahrhunderten haben Althistoriker, Archäologen, HobbyHistoriker und Lokalisten jede überlieferte militärische Aktion der Germanicusfeldzüge hinterfragt, zerpflückt, umgedeutet und lokalisiert. Jedoch käuten die meistens dabei unbewusst und unreflektiert nur taciteische Rhetorik wieder, die sie für genuine Informationen hielten.169 Das gilt besonders dort, wo man den Annalentext geradezu verzweifelt nach taciteischen Hinweisen auf die strategische Zielsetzung der Germanicusfeldzüge absuchte.170 Statt einer soliden Wiedergabe dessen, was sich in seinen Vorlagen fand, kleidete Tacitus sämtliche diesbezügliche Andeutungen, die über die militärische Operationsebene (Tac. ann. 2,5,2: tractare proeliorum vias) nie hinausreichen, in Rhetorik. Entweder in ein von ihm erfühltes stilles Räsonnement des Feldherrn (siehe oben Tac. ann. 1,50 zum Aufmarsch gegen die Marser und Tac. ann. 2,5,2–4 zur amphibischen Planung für den Sommer 16), ein angebliches Gebet (Tac. ann. 2,8,1) oder in Reden, wie zum Beispiel Tac. ann. 2,14,4. In einer von ihm inhaltlich frei erfundenen Ansprache lässt Tacitus seinen Germanicus vor der Idisiaviso-Schlacht das Heer durch die Aussage propiorem iam Albim quam Rhenum neque bellum ultra ermuntern.171 Merkwürdigerweise hat
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seiner geographischen Studien für die Germania wurde. Er hatte die Quelleninformation von einem Aufstand der Angrivarier im Rücken des vorrückenden Heeres. Doch zu seiner Zeit hatten sich die Wohnsitze der Angrivarier von ihren vormaligen Siedlungsplätzen südlich der Chauken beiderseits der Weser weit nach Südwesten zum Rhein hin in ehemalige Siedlungsgebiete der Brukterer verschoben (Tac. Germ. 33,1), so dass sie nur bei einem Vormarsch von der mittleren Ems aus zur Weser im Rücken (a tergo) des Germanicusheeres gelegen hätten. Siehe oben Anm. 112. Ein Paradebeispiel dafür ist Seager 2005, 68 ff. zum Feldzugsjahr 16 n. Chr. Syme 1958, 157–165 notiert dasselbe Defizit für Tacitus’ Historien; vgl. Anm. 198-200. Tac. ann. 2,14,4: „Näher schon (sei) die Elbe als der Rhein und jenseits kein Krieg.“ – Tacitus deutet hier wohl das laut Strab. 7,1,4 p. 291C von Augustus für Germanien verhängte Verbot einer Überschreitung der Elbe mit Heeresmacht an, das Mommsen 1919, 33 und Timpe [Drusus’ Umkehr an der Elbe, Rheinisches Museum für Philologie 110 (1967), 295 mit Anm. 17; siehe auch Timpe 1967/2006, 292/212 f.: „Dem Germanicus schreibt Tacitus die Einhaltung der Elbgrenze bereits als ein militärisches Axiom zu.“ Vgl. ders., s. v. Elbe, RGA 7 (²1989), 102; zustimmend Kehne 1989, 34] überzeugend als für die Jahre nach der Zeitwende, also erst nach Domitius Ahenobarbus (siehe s. v., RGA 5 (²1984), 602 f.) und definitiv im Jahre 5 n. Chr., in Geltung befindlich ansetzen, aber historisch nicht überzeugend begründen konnten. Die unten genannten Arbeiten von Deininger,
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dieser schon sachlich problematische172 und völlig nichtssagende geographische Hinweis viele Altertumswissenschaftler enorm beschäftigt. Und das, obwohl bei objektiver Betrachtung sofort klar ist, dass Germanicus diese Worte von Tacitus in den Mund gelegt wurden und somit bloß eine taciteische Vorstellung wiedergeben.173 In Ermangelung sonstiger verlässlicherer Quelleninformationen in den Annales zur Zielsetzung der Germanicusfeldzüge hielten etliche Forscher diese taciteische Meinungsäußerung nicht nur für eine authentische des Germanicus. Sie sahen darin auch eine Bestätigung ihrer eigenen abwegigen Thesen, dass dieser ein Erreichen der Elbe mit dem Heer oder sogar eine Wiedereroberung Germaniens bis dorthin beabsichtigt habe.174 Eine Bestätigung
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Christ und Johne tragen dazu nichts Substanzielles bei. Zur Sache selbst siehe u. a. Timpe 1995, 23 f.; Kehne 1995a, 20 ff.; Kehne 2002, 316 ff. – Deininger 2000, 751–757 ist auf der Basis seiner spekulativen und verfehlten These einer unter Augustus von Anfang an schon immer geplanten Eroberung Germaniens bis zur Elbe mit seiner Auffassung einer fixen „Ziellinie“ oder „strategischen Größe in der Germanienpolitik der augusteischen Zeit“ wenig überzeugend. Siehe dazu die berechtigte Kritik von K. Christ, Zentrum, Grenze und Peripherie. Die Elbe in augusteischer und tiberischer Zeit, Acta Classica 42 (1999), 35–45, bes. 38 f. Vgl. Gallotta 1981, 299–301, der expansionistische Ziele bei Tacitus zu Recht als dessen persönlichen Auffassungen wertet. Von einer Position bei der Porta Westfalica aus sind beide Flüsse etwa gleich weit entfernt, was allenfalls die Wenigen im Heer noch wussten, die bereits 5 n. Chr. mit Tiberius an der Elbe waren. Von Hameln aus liegt die Elbe bei Magdeburg freilich näher als der Rhein. – Keinesfalls ist diese in einer völlig fiktiven Rede (siehe folgende Anm.) platzierte Angabe dazu geeignet, eine konkrete Ausgangsposition des antiken Betrachters zu erschließen, wie es Sicherl (in: Zelle 2008, 58 f.) in seiner somit methodisch schon a priori verfehlten Argumentation (siehe Anm. 221) zur Lokalisierung der Cherusker tat. So schon Kessler 1905, 53: „Dass sie (sc. die Reden von Germanicus und Arminius) historisch völlig wertlos sind, bedarf keines weiteren Beweises.“ Auch für Timpe 1967/2006, 292/212f. schreibt Tacitus dem Germanicus Aussagen zu. Zu Tacitus’ Praxis, in Reden seine eigene Meinung kund zu tun, siehe u. a. Walker 1952, 147. Zur Elbe als Kriegs- oder Operationsziel der Germanicusfeldzüge siehe u. a. Burchard 1870, 51; Müller 1871, 288; von Stamford 1890, 108; 120; Mommsen 1919, 48; 50; Langewiesche 1928, 43; Kramer 1930, 11; Schuchhardt 1935, 247; Knoke 1922, 473, der in seiner Verkennung der militärischen Situation (ebd. 452 ist für ihn unzweifelhaft, „daß Germanicus bei Idistaviso einen vollständiger Sieg über die Deutschen davongetragen hat“, vgl. 450 ff. und 472), ebd. 473 Anm. 1, sogar meint, Tacitus’ Gerücht (ann. 2,19,1) einer geplanten Abwanderung der Cherusker in Gebiete jenseits der Elbe „konnte durchaus nichts Unwahrscheinliches haben.“ Vgl. Kessler 1905, 99: Germanicus’ „Siegesinschrift vom Angrivarierwall zeigt […], wenn auch nicht, was er erreichte, so doch, was er erstrebte.“ Gelzer 1918, 447: „Wiedergewinnung der römischen Provinz Germania“ einschließlich der „Wiederherstellung der Elbgrenze“; ebenso Schuchhardt 1926, 124; Kramer 1930, 7; Miltner 1952, 355; Seager 1972, 74 etc. Vgl. Gallotta 1987, 101 und 110, der als Kriegsziel des Germanicus für 17 n. Chr. das Erreichen der Elbe für sicher hält; ferner Deininger 2000, 755 zur angeblichen „Rolle, die die Elbe als strategische Größe in der Germanienpolitik der augusteischen Zeit gespielt hatte“ (siehe Anm. 170) und vage zur „für Germanicus selbst sehr wichtigen Elbelinie“ – wobei er in Kombination mit Suet. Aug. 21,1: Germanos […] ultra Albim fluvium summovit (sc. Augustus) mutmaßt, „daß hier
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Tacitus’ rhetorisch-dramatische Darstellungsabsicht
dafür meinten sie erstens in der vom dramatisierenden Tacitus für die Situation nach Idisiaviso absurderweise als Faktum hingestellten Vorbereitung zur Abwanderung der ’Germanen’ (sic!) in Gebiete jenseits der Elbe (Tac. ann. 2,19,1) zu finden;175 zweitens in einer Inschrift, die, laut Tac. ann. 2,22,1, den von Germanicus (d. h. gemäß seinem Befehl) auf dem Angrivarierwall-Schlachtfeld errichteten Waffenhaufen176 krönte (superbo cum titulo): debellatis inter Rhenum Albimque nationibus exercitum Tiberii Caesaris ea monimenta Marti et Iovi et Augusto sacravisse.
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vielleicht“ eine „dann auch dem Auftrag des Germanicus zugrundeliegende Formel greifbar wird.“ K.-P., Johne, Die Elbe als Ziel römischer Expansion, in: H. Scheel (Hrsg.), Festschr. Werner Hartke, Berlin 1983 (Sitzungsber. Akad. Wiss. DDR 15), 37–44 sieht (Johne 1983, 37) hierin das „Kriegsziel prägnant formuliert.“ Und: „An keiner anderen Stelle der antiken Literatur hat jedoch das Streben des römischen Weltreiches nach Expansion in Mitteleuropa, das Streben nach einer Grenze an der Elbe, einen so vollendeten Ausdruck gefunden wie in dieser Passage der ‚Annalen‘.“ Vgl. zu diesem Irrtum noch Johne 1983, 40 f.: „Doch der unmittelbar nach seinem Tode (sc. des Augustus) unternommene letzte Versuch eines umfassenden Vorstoßes bis zur Elbe mißlang. Umsonst beschwor Germanicus, wie eingangs zitiert, seine Legionen an der Weser“; ähnlich Johne 2008, 237 f., wo er sogar allen Ernstes meint, Tacitus habe Germanicus’ „Rede überliefert.“ – Schlimmer kann man eine Quelle nicht verkennen. Ebenso Johne 1998, 401 zum „Ziel der Germanicusfeldzüge“, für den sich (Johne 1998, 399 f.) in Tacitus’ sechsmaliger Erwähnung der Elbe in den Annales u. a. „Resignation auf die Preisgabe aller Expansionsabsichten“ offenbart. Zuletzt so W. Eck, Gewinn und Verlust – Augustus, seine Familie und ihr Kampf um das rechtsrheinische Germanien, in: Aßkamp/Jansen 2017, 10– 21, hier 20 f. – Skepsis äußerte dazu u. a. Gallotta 1981, 299 f. mit Anm. 15–16 mit Hinweis darauf, dass Germanicus – auch laut Tacitus – eine Strategie zur Vernichtung germanischer Bevölkerung betrieb, „evitando quindi di sottometterle al dominio diretto romano“ (Gallotta 1981, 300). In dieselbe Richtung weisen Evakuierungen bzw. Deportationen unterworfener Stammesteile, wie z. B. der Segestes-Fraktion. Ähnl. auch Gallotta 1987, 109 f. Tac. ann. 2,19,1: Germanos [wohlgemerkt nicht Cheruscos!] […]. qui modo abire sedibus, trans Albim concedere parabant, wobei das Imperfekt, hier eine versuchte Handlung der Vergangenheit indiziert. Zur Meinung von Knoke (1922, 473 Anm. 1) siehe die vorherige Anm. Ohne jegliche Einschränkung referieren u. a. Seager 1972, 85 und Gallotta 1987, 118 Anm. 43 dieses Gerücht als Faktum. Ähnliche, dieses Mal als Meinungen in (den) Winterlagern indizierte, aber gleichfalls irreale Erfolgsspekulationen (siehe Kehne 1998, 444 gegen beschönigende Auffassungen von Tacitusgläubigern wie Koestermann 1957, 465 f. und Gallotta 1987, 117 ff.; 128 ff.; siehe dazu Anm. 250) verbreitet Tac. ann. 2,26,1 am Ende seines Berichts über Germanicus in Germanien. Tac. ann. 2,22,1: Laudatis pro contione victoribus Caesar congeriem armorum struxit, superbo cum titulo. Heller 1982, 133 übersteigert Tacitus’ Siegesbegeisterung noch und macht daraus gleich einen „Waffenhügel“. Und Koestermanns Kommentierung (1963, 289): „Das Tropaeum war als eine Art Gegenstück [?] zu jenem gedacht, das Drusus 9 v. Chr. an der Elbe errichtet hatte“, bleibt – von einer ähnlichen politischen Aussage abgesehen – bloße (m. E. unzutreffende) Mutmaßung, da jenes ein das bislang weiteste römische Vordringen in Germanien markierendes, in Art und Aussehen unbestimmbares Denkmal, dieses hingegen ein aus erbeuteten Feindwaffen bestehendes Siegesmal für eine eben gewonnene Schlacht war.
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Ob dieses als Dokument zu werten ist, bleibt äußerst fraglich. Der Triumphalbeschluss vom Jahre 15 n. Chr. basierte hierauf jedenfalls nicht, wie schon Dieter Timpe überzeugend nachwies.177 Zudem wurde darauf aufmerksam gemacht, dass eine analoge Formulierung des Aufidius Bassus (Cassiod. chron. a. u. c. 746 = HRR 2, 96 Nr. 3) zum Jahre 5 n. Chr. für Tiberius bereits ähnliche „primär an das stadtrömische Publikum gerichtete Propagandaelemente enthielt.“178 Eine partielle Übereinstimmung mit dem von Tacitus formulierten dubiosen Triumph-Motto de Cheruscis Chattisque et Angrivariis quaeque aliae nationes usque ad Albim colunt (ann. 2,41,2) macht dessen seltsam defizitäre Angabe nicht gerade glaubwürdiger, in der ausgerechnet die beiden am intensivsten in ihren Heimatgebieten bekämpften Stämme fehlen, nämlich Marsi und Bructeri.179 Freilich ist nicht auszuschließen, dass Tacitus diesen inoffiziellen Titel in einer seiner Vorlagen fand und zitierte. Jedoch ist die Annahme, dass alle drei Elemente nur Tacitus’ Wunschvorstellung reflektieren, wohl die wahrscheinlichere. Beachtenswert zum zitierten titulus ist unter anderem180 Tacitus’ Wortwahl. Der Aspekt einer Ortsbestimmung „mit hoch aufgerichteter Bekanntmachung“ ist eindeutig und naheliegend. Man kann superbo cum titulo jedoch – wie schon Erich Heller (1982) übersetze – auch in der Bedeutung „mit der stolzen Inschrift“ verstehen. Und dabei klang seit Roms letztem Etruskerkönig in republikanischen Ohren immer ein „hochmütig“ oder „überheblich“ mit, so dass Tacitus’ ambivalente Ausdrucksweise eine weitere versteckte Kritik an Germanicus implizieren mag.181 Von einer „kriegerischen Niederwerfung der Völker zwischen Rhein und Elbe“ konnte faktisch, wie jedermann wusste, keine Rede sein – von einer „vollständigen“ schon gar nicht.182 Und entgegen seiner bewusst 177 178
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Siehe oben den Text zu Anm. 113. Kehne 2002, 313 f. Auch Christ 1999, 39 f., meint, dass der Aussagegehalt dieser Stelle „inhaltlich ebenso wenig überschätzt werden darf, wie jene Formulierung“ – d. h. der im vorherigen Absatz zitierte titulus Tac. ann. 2,22,1. Vgl. dazu den längsten noch erhaltenen Bericht (Strab. 7,1,4 p. 291 C.) zum Effekt der Feldzüge und zum Triumph des Germanicus am 26. Mai 17 n. Chr., der weder Angrivarier noch Marser erwähnt. Gallotta 1981, 308 Anm. 39 notierte diese Differenz ebf., hielt sie aber nicht für ’substantiell’. Schon Dederich 1869, 126 ff. bemühte sich um eine vollständige Liste der unterworfenen Stämme. Zu Tacitus’ dortiger Meinungssuggestion und (diffamierenden) Darstellungsabsicht siehe oben den Text zu Anm. 34. Schon für von Pflugk-Harttung 1886, 84, war „das superbus ungefähr ebenso zweideutig, wie die ganze Inschrift.“ Zur Interpretation anderer als „Spott“ siehe von Pflugk-Harttung 1886, 120 Anm. 2. In der derzeit modernsten und textnächsten Übersetzung Woodman 2008, 50 heißt es: „with a haughty inscription“ – also „stolze/hochmütige/arrogante Inschrift.“ Siehe zur Deutung auch Woodman 2009, 6. Ähnlich u. a. schon Stahr 1865, 230 ff. (231 f.: „Es bedarf nur geringer Kenntniß von dem allgemeinen Charakter der meisten römischen Schlacht- und Siegesberichte, um zwischen den Zeilen der im glänzendsten Bülletinstyle geschriebenen und mit allen Meisterzügen des großen Koloristen ausgestatteten Darstellung der Erfolge seines
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Tacitus’ rhetorisch-dramatische Darstellungsabsicht
anders lautenden Propagierungen war Tacitus dieses sehr wohl bewusst. Denn trotz Triumph war für ihn der Krieg ja nicht beendet.183 Dabei war die Elbe für die Römer nie mehr als eine politische Demarkationslinie.184 Weder Augustus noch Tiberius hatten je daran gedacht, sie zu einer Militärgrenze zu machen. Und es hat ein Jahrhundert althistorischer Forschung gebraucht, um Theodor Mommsens a priori anachronistische Vorstellung von den Zielen römischer Germanienpolitik zu revidieren, die mit der Eroberung Böhmens und Germaniens bis zur Elbe die Etablierung einer kürzeren ‚Nordgrenze‘ bezweckt haben soll. Solche verfehlten Ansichten gründeten sich allein auf den Umgang mit modernen Karten. Im Expansionsgeist der augusteischen Zeit, der noch nicht in engen Dimensionen verteidigungsfähiger Grenzen dachte, finden sie keine Basis. Und angesichts einer in Germanien kaum vorhandenen oder völlig unterentwickelten Infrastruktur sowie einer gerade einmal das für die Bevölkerung Lebensnotwendigste produzierenden germanischen Subsistenzwirtschaft wäre eine ‚Elbgrenze‘185 für Rom ein logistischer und finanzieller Albtraum gewesen. Zu den wenigen Antiquierten zählt seit über einem Jahrzehnt auch Werner Eck mit der anachronistischen Auffassung, Germanicus’ Feldzüge hätten die
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Lieblingshelden Germanikus [!], die Wahrheit deutlich erkennbar zu lesen. Gleich das erste Zusammentreffen mit dem Feinde war eine Niederlage der Römer.“); Stahr 1885, 93 („Ruhmes-Posaunenstöße, mit denen Tacitus die Kämpfe und Schlachten des Germanicus […] zu feiern sich bemüht“); von Pflugk-Harttung 1886, 84 kommentierte: „Göttliche Zweideutigkeit der lateinischen Sprache, die noch keine Artikel erfunden hatte! – jeder konnte nach seinem Belieben die Inschrift verstehen, dass das Heer d i e Nationen zwischen Rhein und Elbe n i e d e r g e k r i e g t , oder dass es Nationen zwischen Rhein und Elbe besiegt habe. Letzteres unzweifelhaft richtig.“ Vgl. Spengel 1904, 36; Kessler 1905, 98–101; Timpe 1967/2006, 279/191; Gallotta 1981, 299–306. – Dagegen sieht Timpe 2008/2006, 222/299 in Tacitus’ Anspielungen auf die Elbe ein Art Ironie. Tac. ann. 2,41,2: bellumque, quia conficere prohibitus erat, pro confecto accipiebatur. Siehe dazu die Übersetzungen von Heller 1982, 155 („Und den Krieg nahm man, weil Germanicus an der Beendigung gehindert worden war, als wirklich beendet an.“); Christ 1957, 517 („Der Krieg, den zu beenden er (Germanicus) gehindert worden war, wurde für beendigt erklärt.“) und Timpe 1968, 57: „Der Krieg wurde als beendet angenommen, weil man Germanicus verhindert hatte, ihn zu Ende zu führen.“ Zu Tacitus’ Auffassung siehe Timpe 1968, 43 und 57. Und vgl. Knoke 1922, 507. Zur Funktion der Elbe für die Ziele römischer Geostrategie siehe u. a. Kehne 1995b, 25 ff.; Callies/Kehne 1995, 19 f.; Kehne 2002, 316 f.; Christ 1999, 43 und besonders Timpe 2008/2006, 216f./291ff. mit weiterer Literatur 291 Anm. 50. Kehne 2002, 301–303; 315 ff.; kurzgefasst so schon Kehne 1989, 51 mit Anm. 199; C. R. Whittaker, Frontiers of the Roman Empire. A social and economic study, Baltimore 1994, 100; ähnl. 38; 70 f., zur geringen ökonomischen Ertragsfähigkeit Whittaker 1994, 87 ff.; 99 ff.; vgl. Kehne 1997, 282 f.; Kehne 2004, 142 f. Zustimmend äußerte sich Christ 1999, 39; 43 und vgl. 40 f., der (Kehne 2004, 43) allerdings doch noch an eine – m. E. irreale – Sicherung „durch praesidia atque custodias“ denkt.
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Wiedereroberung Germaniens bis zur Elbe bezweckt186 – was sicher auch mit seiner in der Sache unhaltbaren, aber seit 2004 immer wieder publizierten Auffassung einer „Großprovinz Germanien“ zusammenhängt.187 Und dass er 186
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Zuletzt Eck in: Aßkamp/Jansen 2017, 21 (vgl. zu seiner Elbegrenze oben Anm. 174). Quellenmäßig nicht zu belegen und damit reine Phantasie sind auch Ecks Ausführungen (Eck in: Aßkamp/Jansen 2017, 19) zum angeblichen „Auftrag, den Augustus ihm [sc. Tiberius für 10 n. Chr.] gab, zunächst die Rheingrenze zu sichern. Doch er ging viel weiter: Wiedergewinnung der verlorenen rechtsrheinischen Provinz. Augustus hatte keinen Augenblick daran gedacht, die Provinz wieder aufzugeben, die unter seiner Führung für das Imperium gewonnen worden war.“ – An die Stelle von 50 Jahren differenzierter althistorischer Forschung zu den Zielen und Methoden römischer Germanienpolitik treten hier schlichte Glaubensgewissheit und offenkundiges Unverständnis der Quellen. Zur Untermauerung dieser Kritik seien hier nur einige von Ecks Fehlern und Fehleinschätzungen angemerkt: 1. Führte Germanicus 12 n. Chr. in Germanien nicht „allein“ Krieg, da er als consul das ganze Jahr über in Rom weilte und Augustus unterstützte. 2. Die Operationen von Tiberius in den Jahren 10–12, an denen Germanicus womöglich nur 11 n. Chr. teilnahm, charakterisieren einen Rache- und Vernichtungskrieg im Vorfeld, für den lediglich die notwendige Infrastruktur erneuert wurde, und dessen Eindringtiefe nicht einmal bis zur Weser reichte. 3. Ergibt sich nirgendwo der Eindruck von „Wiedergewinnung“, wie Eck (in: Aßkamp/Jansen 2017, 20) meint. Und was, außer ehemaligen Kastellen, sollte dort überhaupt wiedergewonnen werden? Unbevölkertes, verwüstetes Land? Die rechtsrheinischen Stämmen zwischen Lippe, Main und Weser wurden jedenfalls nicht wieder unterworfen. Und das allein hätte gezählt, denn Provinz manifestiert sich nicht in römischer Herrschaft über ein Territorium, sondern primär über die darin lebenden Personalverbände. Von einer im Herbst 14 n. Chr. „noch nicht vollständig wiedergewonnenen Provinz“, so Eck (in: Aßkamp/Jansen 2017, 20), konnte somit nicht einmal im Ansatz die Rede sein, denn außer Haltern und – archäologisch noch nicht ermittelten – Kastellen bei Friesen und Chauken ist keinerlei Okkupation feststellbar oder auch nur wahrscheinlich zu machen. 4. Vermitteln Tacitus’ und Dios Berichte zum Jahre 14 n. Chr. von den beiden Heeresgruppen des exercitus Germanicus keineswegs den Eindruck, als ob diese eben noch erfolgreich für eine Wiedereroberung Germaniens gekämpft hätten. Zur besten Feldzugszeit herrschte bei den manövermäßig zusammengezogenen vier niedergermanischen Legionen offenkundig Müßiggang. 5. Hatte Germanicus in den Herbststürmen desselben Jahres nicht nur „seine gesamte Flotte verloren“ wie Eck (in: Aßkamp/Jansen 2017, 20) sträflich bagatellisiert, sondern auch einen großen Teil seines darauf transportierten Heeres. W. Eck, W., Augustus und die Großprovinz Germanien, Kölner Jahrb. Vor- und Frühgesch. 37 (2004), 11–22; W. Eck, Eine römische Provinz. Das augusteische Germanien links und rechts des Rheins, in: LWL-Römermuseum in Haltern am See (Hrsg.), 2000 Jahre Varusschlacht Bd. 1. Imperium, Darmstadt 2009, 188–195; W. Eck, Infrastruktur am Rhein. Römisches Militär und die provinziale Administration am Rhein, in: Burmeister 2015, 24– 28. Ecks verfehlter Auffassung, die sich u. a. auf zweifelhafte dendrochronologische Daten und falsche chronologische Zuweisungen des Kölner Ubiermonuments und Straßennetzes sowie einer Inschrift (dispensator Augusti) gründet, folgt mit noch absurderen Argumenten F. Ausbüttel, Die Gründung und Teilung der Provinz Germanien, Klio 93 (2011), 392–410, staatsrechtlich irrig ist hierbei auch Wolters 2017, 71 ff. Von der ernst zu nehmenden althistorischen Forschung wird die Errichtung einer förmlichen provincia Germania noch unter Augustus in den letzten Jahrzehnten weit überwiegend und völlig zu Recht verneint. Überblicke dazu finden sich u. a. bei K. Christ,
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zugleich das von Tacitus bewusst komponierte Trugbild kritiklos als historische Realität ansieht („sollte Germanien zurückgewonnen werden und der Erfolg war greifbar nahe“), ist nur allzu symptomatisch – einerseits für diese Generation von Tacitus-Apologeten, andererseits für alle, die auf diesem Feld nie selbst geforscht haben. Dieses verdeutlicht auch Ecks historisch nicht haltbare Bilanz des Feldzugsjahres 16 n. Chr.: Trotz Flottenverlustes „wiesen die Erfolge darauf hin, dass Germanicus den rechtsrheinischen Teil Germaniens bald vollständig zurückgewonnen haben würde.“ Roms Politik in Germanien war dieses weder in den letzten Jahren des Augustus noch jemals unter Tiberius, wie ein wirklicher Kenner der Materie, Dieter Timpe, immer wieder einschärfte.188 Die Elbe, „dieses realitätsferne geographische Symbol feldherrlichen Sohnesehrgeizes markiert nur einen, von wirklicher Anschauung freien Unterwerfungsanspruch gegenüber Rebellen, nicht den strategisch plausiblen territorialen Rahmen einer Reconquista.
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Zur augusteischen Germanienpolitik, Chiron 7 (1977), 149–205, bes. 189 ff.; Timpe 1970, 86 f.; Wolters 1990b, 199 f. [dazu Kehne 1997, 272 ff.]; Kienast 1999, 364 ff.; Deininger 2000, 767 f.; Kehne 2012 - 2013, 156 Anm. 141; vgl. Dessau 1926, 11; Kehne 1989, 160 mit Anm. 130; 260; H. Callies, Zur augusteisch-tiberianischen Germanienpolitik, in: Coll. Alfred Heuß 1989, Kallmünz 1993, 135–141; E. S. Gruen, The expansion of the empire under Augustus, Cambridge 21996 (Cambridge Ancient History 10), 147–197; hier 182; 187; Johne 1998, 398; Johne 2008, 247 f.; Kehne 2017, 96. Zu lediglich limitierten Offensiven in Germanien im Dienste des augusteischen Prinzipats siehe vor allem: Kehne 2002, bes. 297–301; 314; 316; 320. – Auf die verfehlten Argumente Ecks im Einzelnen einzugehen, fehlt hier der Raum. In Kürze sei nur auf dreierlei hingewiesen. Erstens beweisen Baubefunde nie die Existenz einer speziellen römischen Verwaltungseinheit. Zweitens widerspricht Ecks Wiederbelebung der wissenschaftlich längst als unfruchtbar aufgegebenen Kontroverse im Kontext des Medienspektakels 2000 Jahre Varusschlacht und neuerlicher nationaler Deutschtümelei seinen früheren, wissenschaftlich korrekten Auffassung; siehe u. a. W. Eck, Die Statthalter der germanischen Provinzen vom 1.–3. Jh., Köln 1985, p. XI: „In den Jahrzehnten vor 14 n. Chr. waren die Rheingebiete [sc. die germanischen Militärbezirke des exercitus inferior und superior] nicht einmal faktisch politisch-administrative Einheiten; sie gehörten vielmehr zu Gallien und wären, speziell wenn es um die römischen Amtsträger geht, im Rahmen dieses Reichsgebiets zu behandeln.“ Drittens kennen wir daher für Germanien aus augusteischer Zeit weder eine lex provincia noch einen legatus Augusti pro praetore provinciae Germaniae. Und der Umstand, dass Germanicus, der 14 n. Chr. laut Eck ein solcher hätte sein müssen, in der Belgica einen census abhielt, ist vom verwaltungsund verfassungsrechtlichen Standpunkt her ein unumstößlicher Beweis des Gegenteils. Näheres dazu bei Kehne 2012 – 2013, 156 Anm. 141. Anstelle der vielen wichtigen Arbeiten von Timpe seien hier nur zwei seiner umfassenderen Synthesen angeführt: Timpe 1998, 35 ff.; bes. 43–45; Timpe 2008/2006, 216 ff./291 ff. u. 223 ff./302 ff. Ähnliche Ansichten vertreten u. a. Kehne 1989, 160 mit Anm. 130; 260, 281 ff.; vgl. 50 ff.; Wolters 1990a; Wolters 1990b, bes. 199 ff.; Kehne 2002, bes. 297–301; Wolters 2006, 40 ff.; 55 ff.; Kehne 2012 – 2013; Kehne 2017, 96 und die in der vorherigen Anm. genannte seriöse Literatur. Vgl. Timpe 1971/2006, bes. 281 ff./260 ff.
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Dementsprechend triumphierte Germanicus […], obwohl die Legionen zurückgezogen 189 waren.“
Und seit der Quellenuntersuchung von Gerhard Kessler aus dem Jahre 1905 steht ohnehin fest, dass Tacitus keineswegs Roms offizielles außenpolitisches Programm wiedergab.190 Für Timpe erfüllen die taciteischen Erwähnungen der Elbe damit „eine geradezu leitmotivische, durch die militärischen Operationen zwar nicht gerechtfertigte, wohl aber durch Drusus-Vorbild und Tiberius-aemulatio begründete (und in dieser Hinsicht fast ironisch beschriebene) Rolle.“191 Beide Historiker betonen zwar das Propagandistische und relativieren zu Recht den Realitätsgehalt des von Tacitus Mitgeteilten. Aber beide hatten sich von der taciteischen Sichtweise und Kompositionstechnik noch nicht ausreichend emanzipiert, hielten sie doch die von Tacitus bewusst gestreuten Anspielungen auf Nero Claudius Drusus und die damit beim Leser unbewusst geweckte Eroberungsvorstellungen noch für konkrete Hinweise auf Germanicus’ wirkliche Absichten. Alles dieses ist jedoch nichts anderes als Deutung oder Wunschvorstellung des greisen Tacitus. Und auf der Basis dieser Erkenntnis erklärt sich dann auch das für den taciteischen Bericht bereits notierte notorische Fehlen jeglicher Darlegung von Germanicus’ oder Roms außenpolitischer und militärischer Zielsetzung in Germanien. Hätte er diese irgendwo der historischen Wirklichkeit entsprechend präzisiert, hätte jeder sofort Germanicus’ Insubordination und Scheitern erkannt.192 Und Tacitus hätte seine Gesamtkomposition des von einem eifersüchtigen Kaiser an der erfolgreichen Realisierung eines Unterwerfungsprogramms zur – von Tacitus uneinsichtigerweise immer noch gewünschten – Erweiterung des Imperium Romanum gehinderten Muster-Römers zunichte gemacht. Hätte Tacitus die Planung hingegen nach seiner Wunschvorstellung explizit umformuliert, hätte jeder die Diskrepanz zu den staatlich-propagierten Zielen römischer Germanienpolitik in der Tabula Siarensis bemerkt und so seine Reputation als Historiker in Zweifel gezogen. Hier wie auch an vielen anderen Stellen – wählte der ‚Meister der Andeutung‘ seinen Weg des innuendo.193 Er vermied die 189 190
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Timpe 2006, 300. Vgl. Kehne 2009a, 110. Germanicus’ „Siegesinschrift vom Angrivarierwall zeigt“ für Kessler (1905, 99) lediglich, „was er erstrebte.“ Timpe 2006, 299. Ähnlich schon Delbrück 1921, 119: „Mit der Angabe (des) Planes hätte man ja auch das Scheitern zugestehen müssen. Der Krieg sollte aber als Erfolg erscheinen, und es ist dem Autor ja auch gelungen, diesen Eindruck hervorzubringen.“ Zur intensiven Erforschung der Funktion des innuendo (und Kommentierens) bei Tacitus siehe u. a. I. S. Ryberg, Tacitus’ art of innuendo, Transactions and Proceedings of the American Philological Association 73 (1942), 383–404. [dt. ND als: Ders., Die Kunst der versteckten Anspielung bei Tacitus, in: Pöschl 1969, 60–88.] (auch zu anderen Mitteln negativer Darstellung); Syme 1958, 314 f.; Suerbaum 1990, 1297–1300 (Literaturbericht);
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Tacitus’ rhetorisch-dramatische Darstellungsabsicht
Mitteilung von ihm nicht ins Konzept passenden Fakten ebenso wie die der eigenen Auffassung, die er dann aber durch Andeutungen so geschickt suggerierte, dass sie Lesern – noch bis heute – als historische Realität erscheint. Wie sehr das von Tacitus mit Hilfe von Andeutungen, Gerüchten oder allgemeinen Meinungen gestaltete Bild des angeblich fast erreichten Ziels einer Unterwerfung der germanischen Feinde194 von der historischen Wirklichkeit divergierte, zeigen zwei, die taciteische Tatsachenverdrehungen offenlegende Sachverhalte: Zum einen vermittelt Tacitus (Tac. ann. 2,19,1) stimmungsvoll den Eindruck, als mobilisierten die Germanen nach Idisiaviso aus Adel und Volk, Jungmannschaft und Greisen sozusagen „das letzte Aufgebot.“195 Aber den nächsten beiden Kapiteln entnimmt man dann erstaunt, dass dieses am Angrivarierwall acht Legionen nebst Hilfstruppen einen vollen Kampftag lang Widerstand leisten und sich letztlich noch einigermaßen intakt absetzen konnte. Zum anderen schreibt Tacitus (Tac. ann. 2,17,6–18,1 und 2,21,2–22,1) stolz, die Germanen hätten in den Kämpfen auf Idisiaviso und am Angrivarierwall einen enormen Blutzoll entrichtet196 und die Stämme zwischen Rhein und Elbe gälten
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P. Sinclair, Rhetorical generalizations in Annales 1 -6. A review of the problem of innuendo and Tacitus' integrity, in: ANRW II 33.4 (1991), 2795-2831; Mellor 1993, bes. 40 ff. (u. a. zur „disjunction between facts and innuendo“; Mellor 1993, 42: „From Tiberius’ accession to his death, rumors and Tacitean innuendo swirl around him.“); 116 (als historiographische Normalität). Zum Sprachstil des innuendo besonders Martin 1994, 221 ff.; vgl. Woodman 1997, 103 mit Anm. 82. Siehe z. B. das Gerücht von Abwanderungsplänen der Cherusker (Tac. ann. 2,19,1) und unüberprüfbare (angebliche) Aussagen von Gefangenen über nie so große Niedergeschlagenheit der Feinde (Tac. ann. 2,25,3). Ferner die „zweifelsfreie Meinung“ Ende 16 n. Chr., dass die Feinde ins Wanken gerieten und angeblich planten, um Frieden zu bitten (Tac. ann. 2,26,1), ebd. auch die Überzeugung, der Krieg könne (erfolgreich) beendet werden, hinge man noch den nächsten Sommer dran. Was angesichts der machtpolitischen Verhältnis völlig irreal war (siehe Anm. 174 und 250). Zu Gerüchten und ihrer Funktion siehe Anm. 105. So allen Ernstes u. a. Tacitus-Apologet Koestermann 1957, 460 und Gallotta 1987, 118 Anm. 43 („specie di mobilitazione generale“). Dagegen schon überzeugend Höfer 1885, 64. Tacitus-Enthusiasten wie u. a. von Stamford (1890, 108) schwelgten als willige Opfer taciteischer Rhetorik in Phantasien über angeblich ungeheure Verluste der Germanen. (von Stamford 1890, 113) sie „mussten bei ihrer ‚ungeheuren Zahl‘ […] auch ungeheure Verluste erleiden“; (von Stamford 1890, 120) bringt er Indizien „für die Grösse der Niederlage“; (von Stamford 1890, 121) erwähnt er „die völlige Zersprengung des deutschen Heeres. Die ungeheuren Verluste waren auch nicht mehr zu ersetzen, wie nach Idistaviso.“ Und (von Stamford 1890, 123) hieß es: „Trotz der unzweifelhaft grossen Niederlagen der Deutschen!“ Der Tacitus gegenüber (bisweilen) skeptische Gallotta erachtete es zwar für unnütz, dessen romfreundliche Übertreibungen zu stützen, hält aber (Gallotta 1981, 307 mit Anm. 37) gravierende Verluste der germanischen Bevölkerung für ein Faktum. Ebenso Gallotta 1987, 118 mit Anm. 43, der keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür sieht, Tacitus hier der Übertreibung zu bezichtigen: „Il racconto di Tacito non è contradittorio, e non vi sono quindi elementi sufficienti per accusarlo di
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als besiegt. Wie euphemistisch und propagandistisch überzeichnet dieses taciteische Bild ist, beweist schon ein simples, von ihm selbst berichtetes Faktum: Die Arminius-Koalition verfügte merkwürdigerweise noch über soviel Manpower, um im folgenden Jahr einen großen innergermanischen Krieg gegen das Marbod-Reich nicht nur beginnen, sondern auch erfolgreich bestehen zu können.197
4.6
Tacitus und die Forschung zu Idisiaviso
Da Tacitus keine eigentlichen Feldzugsbeschreibungen geben wollte, sind sämtliche seiner Operations- und Schlachtschilderungen in den Annalen nicht nur vage lokalisiert und sprunghaft, sondern zudem so rhetorisch, verworren, unzusammenhängend, unvollständig oder ungenau, selbst für italische Schauplätze198 – weswegen Theodor Mommsen Tacitus den „unmilitärischsten
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esagerazione.“ Auch Koestermann 1957, 460 meint: „Die Verluste der Germanen […] müssen groß gewesen sein.“ Realistischerweise räumte er (Koestermann 1957, 464) allerdings ein: „Die Germanen waren zwar schwer angeschlagen [ebenso Koestermann 1957, 461], aber ihr Rückrat war noch keineswegs gebrochen.“ In diesem differenzierterem Sinne auch Goodyear 1981, 229: Verluste bei Idistaviso schon, „yet it was not a decisive battle. Arminius escaped and almost immediately the Germans were ready to renew the war and […] able to put up a stiff fight.“ Diese Diskrepanzen notierten mit denselben Schlussfolgerungen bereits Höfer 1885, 64 und Spengel 1904, 33; 36. Vgl. Kehne 1998, 444; Kehne 2001b, 260 f.; Kehne/Salač 2009; Kehne 2009a, 110 f.; Kehne 2015a, 66 und Kehne 2017, 100. Zur historischen und militärischen Würdigung von Arminius siehe nur Syme 1934, 378: „To have entrapped Varus and his three legions was indeed no mean achievement – but to withstand a Roman army of eight legions and numerous auxilia, to compel it to fight on grounds which he had chosen, to arrest its advance, this was military genius.“ Vgl. unten Anm. 250. Zu den beiden letzten Punkten in Tacitus’ Schlachtbeschreibungen siehe zu einem Beispiel seiner diesbezüglich weit besseren Historiae die maßvolle Kritik von Theodor Mommsen 1871/1906, 168/361. Zu Tacitus’ mangelnder strategischer und topographischer Vorstellungskraft siehe Mommsen 1871/1906, 172/364 f.; ähnlich urteilt Meister 1955, 105. Auch Syme 1958, 157 ff. diagnostiziert Sprünge, Berichtslücken und Tacitus’ Versagen, die strategischen Zwecke der geschilderten militärischen Aktionen benennen, unterscheiden oder erklären zu können. Auflistungen diesbezüglicher Kritikpunkte Syme 1958, 157 und bei Mendell 1957, 166 f. Obwohl sie nur am Bürgerkrieg des Vierkaiserjahres exemplifiziert sind, sind Symes (1958, 161) Schlussfolgerungen allgemeingültig: „Tacitus is far from helpful. Information about the whereabouts of some troops has to be gleaned from assertion in speeches, optimistic rumours, or subsequent hints. Tacitus does not always distinguish between legionary detachments and whole legions; and, apart from legions, there is a total lack of precision about the numbers of the auxilia.“ – Zum Generalproblem von journalistischen Kriegsberichten und Lesererwartung siehe A. J. Woodman, The Literature of War, in: Ders. (Hrsg.), Tactitus Reviewed, Oxford 1998, 1–20. – Für Delbrück 1921, 127 „ist die ganze rhetorisch so machtvolle Erzählung Tacitus’ vom Bürgerkriege kriegsgeschichtlich so gut wie wertlos.“
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Tacitus’ rhetorisch-dramatische Darstellungsabsicht
aller Schriftsteller“ nannte.199 Während Clarence Mendell und Ronald Syme für die taciteischen Historien noch differenzierte Versuche einer Ehrenrettung unternahmen,200 konnte für die Annalen selbst der erklärte Tacitus-Apologet Erich Koestermann „nicht ableugnen, daß seine Schilderung keineswegs immer den militärischen Gegebenheiten Rechnung trägt, und es kann bezweifelt werden, ob er überhaupt ein Organ für militärische Fragen besessen hat.“ Ronald Syme resümiert zentrale Ergebnisse der Kritik an Tacitus’ Kriegsberichten: „He is arbitrary, inadequate, and misleading in the selection of facts, and he fails to discern and expound the strategic purpose behind the events. Military history (it is averred) should record not only what happened but what was intended to happen.“ Und für die Annales notierte er „the highly rhetorical treatment that Tacitus accorded to the campaigns of Germanicus.“ Ähnlich urteilte u. a. Bessie Walker: „His campaigns in Germany are described with a wealth of romantic colouring.“ Während Clarence Mendell einen bildhaften Vergleich anstellt: „From the military point of view the story of this campaign to revitalize the troops, avenge Varus, and if possible crush Arminius becomes […] a model of confusion. The reader who tries to follow details is almost as lost as the soldiers of Caecina in the forest-encircled swamps. Impressionistically the effect is superb.“201 Statt Germanicus’ Strategie zu erläutern oder seine Operationsziele jenseits der Weser zu benennen, liefert Tacitus vor Beschreibung der Gefechte auf Idisiaviso202 nächtliche Genreszenen: Den, um die Stimmung des Heeres zu 199
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Dem Urteil von Mommsen 1919, 165 Anm. 1 stimmten u. a. Walser 1951, 23 f. (mit weiteren Beispielen) und Meister 1955, 105 zu. Walker 1952, 192 führt Defizite militärischer Beschreibungen zurück auf „this tendency of Tacitus’ visual imagination towards what is vast and general rather than to the particular detail which accuracy would require.“ Mendell 1957, 166–188, konstatiert im 8. Kapitel über „Tacitus as historian of military affairs“ am Ende: „When the nature of the history that he was writing made it essential, he could and did write military history […]. When it was not required, he made the military events serve his general plan with a perfectly deliberate purpose not to permit any detail to ruin the proportions of the whole.“ Zeitgleich erfolgte durch Syme 1958, 157– 175, eine noch längere Apologie, die für die taciteischen Historiae noch partiell überzeugt – aber auch nur für diese. Die Zitate: Koestermann 1957, 431; Syme 1958, 157 und 276; Walker 1952, 58; Mendell 1957, 183 (dessen kurze Erwähnung der Germanicusfeldzüge für Tacitus’ Behandlung militärischer Sachverhalte gleich mehrfach mangelnde Sachkenntnis bezeugt und die Feldzüge 16 n. Chr. sogar auslässt). Zu Tacitus’ Vernachlässigung „des strategischen und geographischen Zusammenhangs“ beim Feldzug 16 n. Chr. bereits Delbrück 1921, 115. Ebenso Goodyear 1981, 228: Nichts bei Tacitus zum Kriegsziel 16 n. Chr.! Diese Arbeit folgt hier – gegen den erhaltenen Annalentext – der plausiblen Rückbildung des (als Idistaviso falsch latinisierten) Namens durch Bömers 1866 und Grimm 1875, 372. Vgl. die Kommentare Nipperdey 1851, 80 f.; Nipperdey 1874, 104; Müllenhoff 1900/1920, 205 u. 563/566 (wobei sich eher die Frage stellt, „ob Tacitus und seine vorgänger nicht richtiger Idisiovisa geschrieben haben“) Müller 1871, 280; 289 und Kessler 1905, 53. – Dagegen und für die Variante des codex u. a. Burchard 1870, 55 Anm. 2; Knoke 1987/1922 aus
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erkunden, verkleidet im Lager herumschleichenden Feldherrn, das absurde germanische Bestechungsangebot, die groteske Phantasie eines angeblich von den Germanen geplanten nächtlichen Überfalls (auf ein römisches Heerlager mit über 60.000 Mann?), dem der davon selbstverständlich unterrichtete idealtypische Feldherr selbstverständlich vorbeugte.203 Dem folgt dann eine nicht nur substanzlose, sondern inhaltlich geradezu absurde Ermunterungsrede, bei der man sich fragen muss, ob der senile Tacitus ein militärhistorischer Dilettant (geworden?) war oder hier eine meisterliche Persiflage historiographischer Feldherrnreden lieferte. Trefflicher als mit den Worten von Adolf Stahr lässt sich die Art des taciteischen Berichtes nicht charakterisieren: „Die Reden, die der allgeliebte prinzliche Feldherr dabei zu hören bekommt, der glückverheißende Traum, den er nachher zu träumen noch Zeit hat […], die Reden, mit welchen der römische wie der deutsche Oberbefehlshaber ihre Krieger am Morgen der Schlacht anfeuern, die Schilderung endlich der Schlacht selbst, das alles sind Meisterstücke Taciteischer Kunst, fesselnd, bezaubernd wie die gelungenste Romandichtung, deren Farben und Gepräge sie denn auch mit der ganzen übrigen 204 Darstellung dieses Feldzugs vorwiegend tragen.“
Statt nachvollziehbarer Verortung,205 Marschzielen, Ausrichtung, Verlaufsbeschreibung und verwertbarer Fakten bot Tacitus – neben einer völlig „mißvers-
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Gründen eigener (unhaltbarer) Etymologie und Lokalisierung (siehe Teil 6 Anhang). Goodyear 1981, 229 ad loc. räumt ein, „Idistauiso may be incorrect, but few today will share Grimm’s assurance (he conjectured Idisiauiso, Müllenhoff Idisiauisa[? Siehe oben]) that we can put such things right, or even that T(acitus) got them right initially.“ Schon Spengel 1904, 30 f. hat das ganze „Intermezzo“ mit dem verkleideten Germanicus, der von den belauschten Soldaten nur sein eigenes Lob hörte, als „bekannte Theatermache“ und Topos entlarvt und als kompositionelles Gegengewicht zur Haltung der Soldaten bei der Meuterei gewertet. Syme 1958, 392 f. rechnet sie zu Tacitus’ erfundenen Szenen. Und Borzsák 1982, 51 erkennt in dem auch hier topisch dargestellten Germanicus sogar einen „römischen Harun ar-Raschid (!).“ – Zur nur literarischfunktionalen ‚Phantasie‘ des nächtlichen Überfalls siehe schon Delbrück 1921, 124. Militärisch Sinn machen würde allenfalls die Demonstration einer kleinen germanischen Einheit, um den Römern vor der anstehenden Schlacht die Nachtruhe zu rauben. – Koestermann (1957, 455) meint demgegenüber gleichsam panegyrisch, „das Scheitern des nächtlichen Überfalls b e w e i s t , daß der Feldherr seine Truppe fest in der Hand hatte“ [meine Sperrung und syntaktische Umstellung], weshalb „sich die Germanen […] auf eine Demonstration beschränkten.“ Für Höfer 1885 überqueren die Germanen für diesen Überfall sogar eigens die Weser. Und beides wertet von Pflugk-Harttung 1886, 74 „als an sich aussichtsloses Beginnen, das der deutschen Heerführung wenig Ueberlegung zuweist.“ Stahr 1865, 231. Eine Ebene die zwischen Bergen und Fluss je nach deren Verlauf mal breiter mal enger ist, entspricht der Situation an etlichen Stellen im Weserbergland, aber auch der am Tiber
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Tacitus’ rhetorisch-dramatische Darstellungsabsicht
tandenen Marschordnung“ und einem unverständlichen Bergwald-Umgehungsmanöver der Kavallerie206 – zur Schlacht auf Idisiaviso selbst nur billige Sensationshistorie mit rhetorischen, romanhaften, bizarren, einmaligen, ergreifenden, unplausiblen, unlogischen oder in sich widersprüchlichen Szenen: Vorzeichen von Adlern,207 die in die Wälder fliegen – was Adler ja bekanntlich ständig tun; die bizarre Flucht der Feinde in verschiedene Richtungen: Germanen aus der Ebene auf bewaldete Höhen, während die zuvor dort positionierten sich in die Weser stürzen. Arminius entkommt verwundet, nachdem er sich mit Blut das Gesicht beschmiert hatte, um nicht erkannt zu werden: Wie nur gelang Tacitus’ Vorlage dann eine Identifikation? Es folgt massenhaftes Gemetzel. Viele im Fluss erschossene oder ertrunkene Feinde. Viele auf Bäume Geflüchtete werden von – bei einem Marschgefecht immer zu Spielereien und Zeitvertreib aufgelegten – Bogenschützen heruntergeschossen oder von Bäumen erschlagen, die auszureißen, sich römische Soldaten die Zeit nahmen. Neben etlichen weiteren rhetorischen Nichtigkeiten gibt es noch eine literarische Reminiszenz zu von Germanen für die erhofften römischen Gefangenen mitgeschleppte Ketten;208 aber selbstverständlich keine römischen Verluste bei diesem Marschgefecht über 16 km, dessen Zweck Tacitus nirgendwo enthüllt. Die taktischen Elemente dieser rein rhetorischen Schilderung sind so unentwirrbar verworren, dass der Quellenkritiker Kessler eine Vermengung zweier Vorlagen zu zwei verschiedenen Gefechten annahm.209 Dem Militär wie Historiker Delbrück ist „der innere Zusammenhang der Bewegungen so wenig deutlich, daß die Forscher nicht wissen, ob sie die Schlachten auf dem rechten oder linken Weserufer, die zweite Schlacht (sc. die am Angrivarierwall) im weiteren Vorrücken oder bereits auf dem Rückmarsch der Römer ansetzen sollen.“ Für ihn sind „die Einzelheiten der Schlachtschilderung nicht nur unklar und widerspruchsvoll, sondern auch taktisch geradezu unmöglich.“210 Selbst ein Tacitus-Apologet wie Koestermann211 muss bekennen: „Das Schlachtgeschehen selbst ist nur schwer zu enträtseln, da jede Möglichkeit fehlt, die einzelnen
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in Umbrien und an vielen anderen Orten, wodurch die Beschreibung vieldeutig und zur präzisen wie auch verlässlichen Lokalisierung gänzlich untauglich wird. Delbrück 1921, 125. Bereits Höfer 1885, 63, Anm. *, wies auf das Ungewöhnliche dieser Erwähnung hin, da „Tacitus in der übrigen Geschichtserzählung bis zum Jahre 51 (n. Chr.) überhaupt keine prodigia vorbringt und Tac. ann. 1,9 sich über diejenigen lustig macht, welche beim Tode des Augustus das seltsame Zusammentreffen gewisser Vorgänge bewundern (vana mirantes).“ Zu literarischen Vorlagen und Tacitus’ Verwendung gleichen Vokabulars u. a. Borzsák 1982, 54. Kessler 1905, 53 ff. Delbrück 1921, 113–118 und 125–126; beide Zitate hier 113. Selbst der sonst unkritische Seager 1972, 85 meint, „the battle defies reconstruction.“ Koestermann 1957, 456–459; Zitat Koestermann 1957, 456.
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Aktionen mit Sicherheit topographisch festzulegen.“ Gleichwohl, meinte er in sträflicher Verkennung der taciteischen Darstellungsabsicht, „muß in möglichst enger Anlehnung an den taciteischen Text versucht werden, den Verlauf der Schlacht zu rekonstruieren, wobei naturgemäß mancherlei problematisch bleibt.“ Letzteres ist eine handfeste Untertreibung, denn Koestermanns sog. Rekonstruktion ist zwar weit wortreicher als Tacitus, aber ebenso vage und ebenso wenig verständlich.212 Zudem unterschlägt sie die Widersprüche im Text und Tacitus’ Versatzstücke antiker Schlachtenrhetorik. Für den militärischen Fachmann steht demgegenüber fest: „Wir erkennen sofort, daß es verlorene Liebesmüh ist, in diese wechselnden Bilder einen militärischen Sinn hineintragen zu wollen.“ Sein Fazit lautet: „Wir haben es mit den Phantasien eines Poeten zu tun.“ Letztlich verweist Delbrück „daher die beiden großen Schlachten […] in das Reich der Fabel“ und formuliert zum Wert des TacitusBerichts eine ähnliche Einschätzung wie (der von ihm nicht benutzte) Stahr.213 Als Grundlage einer historischen Rekonstruktion taugt der taciteische Bericht also auch hier nicht. Immerhin konnten Delbrück, Spengel, Kessler und Norkus aus Tacitus’ Unverständlichkeiten noch den Charakter eines Marschbzw. Durchbruchgefechts herausanalysieren.214
4.7
Tacitusforschung und Angrivarierwall
Jeder sichere geographische Orientierungspunkt wäre der Rekonstruktion der Germanicusfeldzüge ungemein dienlich – wie zum Beispiel die wirkliche archäologische Ermittlung des Angrivarierwalls. Nach einigen früheren Ansetzungen an der uralten Gaugrenze in der Region bei Schlüsselburg zwischen dem alten Weserarm am Bollsee im Westen und den Moorflüsschen Meerbach und Fulde 212 213
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Was eine Skizze, die Koestermann wohl bewusst vermied, sofort offenbaren würde. Delbrück 1921, 126 (Zitat 1); 125 (Zitat 2); 115 (Zitat 3 zur bestrittenen Existenz); ähnlich 113. Resümierend Delbrück 1921, 115: „Die Erzählung ist voller Abenteuerlichkeiten und ausgemalter Szenen, wie sie so recht dem Dichter eines Kriegsepos anstehen: das Gespräch zwischen Arminius und seinem Bruder Flavus über den Fluß hinüber; die nächtliche Wanderung des Germanicus durch das Lager, wo er die Soldaten belauscht und sein Lob aus ihrem Munde hört; die Odysseus-Geschichten auf der Rückfahrt über den Ozean. Dagegen ist der strategische und geographische Zusammenhang auf eine Weise vernachlässigt, wie sie bei einem Prosa-Berichterstatter fast unmöglich erschein.“ Selbst an Tacitus’ Bericht zur Schlacht am Angrivarierwall ist für ihn (Delbrück 1921, 127) „kein wahres Wort.“ Delbrück 1921, 125 f.; Spengel 1904, 33 („glücklicher Durchbruch“); Kessler 1905, 53 („Marschgefecht, nicht etwa eine Feldschlacht“); ebenso Norkus 1963, 95 und 97 f. – Auf laienhaft naive Glaubensbekenntnisse zur vermeintlichen Güte dieser taciteischen Schlachtschilderungen (siehe Schuchardt 1926, 128; Bessell 1857) und diesbezügliche hermeneutische Zirkelschlüsse (Koestermann 1957, 462 Anm. 74a) wurde schon verwiesen (siehe Anm. 223).
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Tacitus’ rhetorisch-dramatische Darstellungsabsicht
sowie dem Rehburger Moor im Osten etwa auf der Höhe von Düsselburg215 plädierte Friedrich Knoke 1887 nach eigener Autopsie für eine Bodenerhebung bei Leese.216 1924 folgte die 1925 wieder modifizierte Entdeckung eines weiteren Walls bei Leese durch den heimatforschenden Fabrikanten Georg Heimbs.217 Und dort ermittelte eine fünftägige, von Gerhard Bersu geleitete Ausgrabung vom 21.–25. Juni 1925 wirklich einen Wall – allerdings ohne jedwede römische Artefakte (!). Diesen datierte dann Hans Lange mittels dreier (!) Scherben schlecht erhaltener germanischer Allerweltskeramik aus der Umgebung (!) – keine Scherbe stammte aus dem Wallkörper selbst (!) – in die Zeit um Christi Geburt,218 was in einem Allzeitvergleich wohl einen der gravierendsten Fälle von 215
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Siehe u. a. Fein 1750a, 64 mit Karte 103 (zw. Schlüsselburg u. Steinhuder Meer, inkl. Grabhügel zwischen Leese u. Landsbergen); von Müffling 1834, 476; W. von Hodenberg, Hoyer Urkundenbuch, Abt. VIII, Hannover 1854–1855, 4; Bessell 1857; F. L. Bömers, Campus Idisiavisus oder: die letzten Freiheitskämpfe der Germanen gegen die Römer, Gütersloh 1866, 39 (Grenzwall beiderseits der Weser und über diese hin, von Lemförde zum Weserufer bei Schlüsselburg bzw. bis zum Bollsee, dann rechts der Weser bis zur Landwehr bei Winzlar bzw. bis zum Steinhuder Meer), den auch Essellen 1868, 348 zitiert. Ähnl. Burchard 1870, 55–56 (Wall vom Bollsee, dem Rest der Alten Weser, Richtung Steinhuder Meer); J. H. Müller, Bericht über Alterthümer im Hannoverschen. Alte Umwallungen und Schanzen, Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen (1870), 369 ff.; 379ff. (der, Müller 1871, 292–296; ebd. 295 auf die militärische Autorität Oberst v. Cohausens gestützt, Bessells ‚Angrivarierwall‘ als Befestigung frühestens des dreißigjährigen Krieges auswies); vgl. A. von Oppermann, Der letzte römische Kriegszug nach Nordgermanien im Jahre 16 n. Chr., ebd. 1888, 33 ff.; (und jeweils zur Lage) von Stamford 1890, 110–118 und Langewiesche 1928, 47 f. Weitere ält. Pos. bei Knoke 1887/1922, 521–526/476-480 und Jungandreas 1944, 1–3. Knoke 1887, 526 ff. (mit Autopsiebericht, Skizze und Karte IV); ähnl. Knoke 1922, 480 ff. – worin ihm und seinen Vorgängern u. a. Cramer 1912, 42; Koepp 1912, 12; Müllenhoff 1920, 423 f.; Jacob-Friesen 1934, 137 folgten. Abgelehnt wurde Knokes Verortung u. a. schon durch von Stamford 1890, 114 ff. Weitere ält. Lit. bei Jungandreas 1944, 3. Heftig kritisiert wurde Knoke von Heimbs 1925, der 1924 für einen geringfügig anderen Verlauf plädierte, aber dann 1925 kurz vor der Grabung meinte, den ’endgültigen’ Verlauf entdeckt zu haben. Der in der vorletzten Anm. erwähnte Hinweis auf die Existenz neuzeitlicher Befestigungsanlagen gerade in dieser Gegend hatte offenkundig nicht gefruchtet. Mit Ausnahme der Scherben des 10./11. Jahrhunderts stammen alle vom sog. Marschberg und bezeugen für die Ausgräber eine „germanische Siedlung“ – angeblich „aus der Zeit um Christi Geburt“ (Heimbs 1925, 107), wofür man Beweise schuldig blieb. Die Bemühungen des Prähistorikers Lange mittels großräumiger Vergleiche seine Datierung zu stützen (Heimbs 1925,110 ff.), können sämtlich nicht überzeugen und drehen sich in hermeneutischen Kreisen, wenn über die Datierung von Vergleichsplätzen wie Arkeburg, Heidenstadt und Heidenschanze u. a. gemutmaßt wird: „Es scheint nicht ausgeschlossen, daß die erwähnten Burgen auch schon in augusteischer Zeit Verwendung fanden“ (Heimbs 1925, 114; ähnliche Zirkelschlüsse zur Frühdatierung der Düsselburg und Babilonie durch Schuchhardt, Heimbs 1925, 120; analoge Spekulationen zum sog. Nammer Lager Heimbs 1925, 121–122). – Siehe dazu u. a. die freundliche, aber fundamentale Kritik des befreundeten Friedrich Koepp an dieser sog. Datierung durch die „Scherbenwissenschaft“ (folgende Anm.).
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Dilettantismus der vor- und frühgeschichtlichen Archäologie Deutschlands darstellt. Gleichwohl propagierten Bersu, Heimbs, Lange und Carl Schuchhardt den vermeintlichen archäologischen ‚Nachweis‘ des gesuchten Angrivarierwalls zunächst enthusiastisch (Bersu et al. 1926). Aber ihre oberflächlichen Untersuchungen hüllten die Verantwortlichen angesichts schwerwiegender methodischer Kritik von Friedrich Koepp (1927)219 und wegen des Ausbleibens von Funden der augusteisch-tiberianischen Zeit ebenso schnell wieder in Schweigen. Obwohl die These der Lokalisierung des Angrivarierwalls bei Leese bis heute zahlreiche Anhänger fand,220 wurde sie mit berechtigten methodischen Argumenten von einigen Kundigen schon immer in Zweifel gezogen,221 bis sich 219
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Koepp 1927/1940, 38-40 methodisch geradezu vernichtend zu den „drei unscheinbaren Scherben“ der Prähistorie aus der Wallumgebung, ihrer höchst dubioser Datierung und Deutung – womit alles andere als ein Beweis für die Gleichsetzung des gefundenen Walls mit dem Angrivarierwall vorliegt; dementsprechend ist bei Koepp 1926, 44 von einer Verortung oder gar Identifizierung des Angrivarierwalls keine Rede mehr. Im anfänglichen Sinne noch Schuchhardt 1935, 236. Siehe u. a. Kramer 1930, 23; Koestermann 1957, 462 Anm. 74, für ihn „ist“ die „Lage bei Leese eindeutig durch das Ergebnis der Grabungen festgelegt,“ woraus sich als ein (von Kahrstedt [wie folgende Anm.] völlig abweichendes) Ergebnis gleich noch die Qualität des taciteischen Berichts erweise (siehe den Text zu Anm. 223). Dieselbe Identifikations-These vertritt uneingeschränkt noch sein Annalen-Kommentar (Koestermann 1963, 286). Zu den wohl letzten, die mangels Literaturkenntnis immer noch an den 1926er „Nachweis“ des Angrivarierwalls bei Leese glauben, zählt Wilm Brepohl, Arminius gegen Germanicus. Der Germanicus-Feldzug im Jahre 16 n. Chr. und seine Hintergründe, Münster 2008, 115 ff., der für eine weitere seiner durch nichts gestützten abstrusen Thesen zu den Römerkriegen in Norddeutschland die Funktion als Grenzwall ebenso wie die (nie ernsthaft vertretene) Auffassung als Fliehburg negiert, um für „eine möglicherweise vorgermanische Befestigungsanlage zum Schutz eines wichtigen Versammlungsplatzes“ (Münster 2008, 120) zu plädieren, woraus er dann „einen Kultplatz der Angrivarier“ macht, mit dessen Betreten die Römer „den Gottesfrieden“ brachen und „somit zugleich zu Gottesfrevlern“ wurden, so dass „Arminius und seine engsten Vertrauten alle Stammeskrieger zur Fortsetzung des heiligen Krieges gegen die römischen Gottesfrevler aufriefen.“ Soweit die jüngsten von jegliche Fakten und Nachrichten völlig losgelösten Phantasien, die Aschendorff (Münster) als seriöses Paperback-Geschichtswerk vermarkten. Für Langewiesche 1928, 47 blieb die Lokalisierung sehr passend, wenn auch archäologisch nicht bestätigt. Letzteres meinte auch Kahrstedt 1934/1967, 5/235 f. Anm. 4, widersprach aber ersterem, weil „der Wall zu Tacitus’ Schlachtschilderung sehr mangelhaft paßt. Letztere setzt [nämlich] voraus, daß der Wall nicht an den Fluß heranreicht.“ – Zu Ablehnungen der Lokalisierung bei Leese siehe neben Koepp 1927/1940 und Jungandreas 1944, 3–8 (mit weiteren Pos.) sowie von Petrikovits 1966/1976, hier 192 Anm. 37/436 und von Petrikovits 1976, 454 f. Anm. 5, wonach, laut Aussage des späteren Ausgräbers A. Genrich, der Leese-Wall eindeutig ein mittelalterliches Bauwerk ist, das sich westlich der Weser fortsetzte. Ihm folgte in seinen (u. a. auf anachronistische geographische Daten sowie einige aus älterer Ptolemaios-Literatur von 1937 ausgewählte willkürliche Namensdeutungen gestützten und nicht nur in Unkenntnis der Prinzipien römischer Stammesverortungen [auf den Seiten 58–61] extrem fehlerhaften) „Hypothesen zur
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Tacitus’ rhetorisch-dramatische Darstellungsabsicht
die ganze vorschnelle und wenig substantielle These von Bersu, Heimbs, Lange und Schuchhardt spätestens mit Ermittlung einer dortigen neuzeitlichen Landwehr erledig hat.222 Aber weil sie so symptomatisch, zeitlos und als warnendes Beispiel so lehrreich ist, sei hier noch kurz Erich Koestermanns Meinung zitiert, für den 1957 „die Lage des Angrivarierwalles bei Leese eindeutig durch das Ergebnis der Grabungen festgelegt ist.“ Dem folgte sein weitreichender, aber dank unhaltbarer Voraussetzungen fataler Zirkelschluss: „Da wir hier einmal in der glücklichen Lage sind, die Lokalität mit Sicherheit festlegen zu können, muß es sich erweisen, was der taciteische Bericht wert ist. Und da zeigt es sich, daß der Historiker 2,19 und 20,3 eine zwar sehr knappe, aber voll zutreffende Beschreibung des Geländes und seiner Umrahmung durch flumen montes paludes gegeben hat. Auch das Ineinandergreifen der einzelnen Operationen läßt sich anhand von Karten oder durch den eigenen Augenschein an Ort und Stelle gut verfolgen. Diese Feststellung berechtigt dazu, der taciteischen Darstellung auch sonst, wenn man ihre besondere 223 Eigenart scharf erfaßt hat, mit Vertrauen zu begegnen.“
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Stammesgliederung“ zu Recht B. Sicherl, Ansätze zu einer regionalen Gruppierung im Ravensberger Land und an der Mittelweser (3. Jh. v. Chr. – 1. Jh. n. Chr.), in: M. Zelle (Hrsg.), Terra incognita? Die nördlichen Mittelgebirge im Spannungsfeld römischer und germanischer Politik um Christi Geburt, Mainz 2008, 41–78, hier 59 f. Anm. 98–99. – Skepsis bekundeten u. a. schon Jacob-Friesen 1974, 610 und G. Mildenberger, Germanische Burgen, Münster 1978, 56 f.; 146 f. Weitere derartige Pos. notiert Kehne 2008 – 2011, 98 Anm. 44. Freese 1997, der auch andere Grabungs-, Prospektions- (vgl. die vorherige Anm.) und Luftbildbefunde bei Leese eindeutig als neuzeitliche erwies und somit das Quartett (Bersu et al. 1926) endgültig widerlegte. Das erste Zitate: Koestermann 1957, 462 Anm. 74; das zweite Koestermann 1957, 462 Anm. 74a. – Knoke (1887, 11) postulierte zur Wahrung seiner Interpretationsbasis, dass „die Aufzeichnungen“ des originären Berichterstatters „mit der größten Gewissenhaftigkeit vorgenommen sein müssen, so überraschend stimmen dieselben mit der Wirklichkeit überein.“ Folglich seien die „Örtlichkeiten selbst eine wichtige Quelle“, denn die „Hauptereignisse“ knüpft Tacitus „an eine solche Menge von lokalen Bedingungen, daß wir dadurch auf ganz bestimmte Gegenden und Punkte verwiesen sind“ (Knoke 1887, 14). Auch später verteidigt Knoke (1922, 14 f.) Tacitus gegen Vorwürfe geographischer Ungenauigkeit: So „wird“, Knoke 1922, 14, durch Tac. ann. 2,61 (zu den Pyramiden) „bewiesen, daß es wenigsten hier die Absicht des Schriftstellers war, uns ein wahrheitsgemäßes Bild der Örtlichkeit zu zeichnen.“ Knoke 1922, 15 argumentiert er damit, „daß die eingehenden und zumteil [sic] höchst eigentümliche Merkmale enthaltenden Schilderungen mit irgendeiner, und zwar nur mir dieser Örtlichkeit bis auf den kleinsten Punkt zusammentreffen.“ Ähnlich verfehlte Ansichten von Schuchardt 1926 und Bessel 1857 wurden schon erwähnt. Knoke (1887/1922, 10–12/12 f.) verstieg sich im Glauben an die Genauigkeit taciteischer Geländeschilderungen sogar zu der Annahme, Positionen und Positionswechsel des angenommenen „Augenzeugen“ ausweisen und im Gelände nachverfolgen zu können. – In völliger Realitätsverkennung erweiterte Knoke 1887, 15 sein o. g. Credo dahingehend, im unantastbaren Annalen-Text „jede geringste Kleinigkeit“ für „die Örtlichkeit zu beachten“, noch um den a priori unhaltbaren
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Wertet man dieses ‚Experten‘-Qualitätsurteil angeblicher topographischer Korrektheit bei Tacitus im Lichte der revidierten Verortung des Angrivarierwalls bei Leese, bedeutet es im Endeffekt erstens, dass Koestermann – zum Erstaunen aller Geographen – eine seit 16 n. Chr. unveränderte Landschaft in Augenschein hätte nehmen können. Zweitens, dass Tacitus’ Ortsbeschreibungen, entgegen Koestermann, so vage sind, dass sie auf mehrere Lokalitäten passen. Und drittens, dass man, wiederum entgegen Koestermann, der taciteischen Darstellung auch sonst nicht vertrauen darf. Abschließend kommen wir damit noch einmal zum Problem der Aussagekraft taciteischer Angaben zu Geographie und Topographie.
4.8
Weiteres zu Tacitus und Geographie
Tacitus’ grobe geographische Verortungen (Tac. ann. 1,60,3) reichen zwar aus, um in Kreisen altphilologisch Gebildeter Kalkriese als Stätte der Varusschlacht geographisch auszuschließen.224 Sie taugen aber nicht dazu, Germanicus’ Routen
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„Grundsatz“, dass „die geographischen Verhältnisse im allgemeinen so geblieben sind, wie sie zur Zeit der Römer waren.“ Zum Grundsätzlichen John 1963, 935 f.; 952 f.: „Für das Gelände der clades Variana kann die einzige und meines Erachtens eindeutige geographische Angabe Tac. ann. 1,60,3 – und das ist unser einziger Anhaltspunkt – nicht anders verstanden werden, als es oben John 1963, 935 gesagt ist: die Ortsangabe ad ultimos Bructerorum, quantumque Amisiam et Lupiam amnes inter vastatum, haud procul Teutoburgiensi saltu bezeichnen geographisch eine geschlossene Einheit.“ Und John 1963, 953: „Wir haben also nach Tacitus das Katastrophengelände zu suchen in dem großen Dreieck, das gebildet wird in dem Winkel zwischen den Oberläufen der Ems und der Lippe von ihren Quellen bis zu einer Verbindungslinie von Lippstadt bis Wiedenbrück, allerhöchstens von Hamm bis Münster.“ Siehe dazu Syme 1958, 393, der zur Lokalität zwar einräumt: „It is not defined adequately.“ Aber er stellte (Syme 1958, 393 Anm. 2) auch die für Tacitus’ Darstellungsabsicht relevante Frage: „Was it possible to be more precise – or necessary?“ Ersteres ist eindeutig positiv zu beantworten, da Tacitus weder zum Startpunkt in der oberen Lippe-Ems-Region Angaben macht, noch zur Entfernung bzw. Anzahl der Marschtage von dort bis zum ersten der aufgesuchten Varus-Lager. Literarisch nötig war dies jedoch keineswegs; zumal man mit Koestermann (1957, 431) zwingend davon ausgehen muss, dass Tacitus „eine weitgehende Kenntnis der Zusammenhänge voraus(setzt)“ und dieses angesichts vorliegender, weit detaillierterer Darstellungen auch durfte. Timpe 1970, 119 f. (mit Anm. 10) betont Tacitus’ relativ präzise geographische Bestimmung an dieser Stelle. Dazu Kehne 2009b, 172 f. mit Anm. 190. Für Tacitus’ relative Distanzangabe haud procul analysierte Hermann Neubourg 1887, 14 f. eine „Entfernung von höchstens 3–4 Stunden, meistens aber eine viel geringere (oft nur wenige Fuß weit)“; vgl. u. a. Knoke 1889, 21; Wilisch 1909, 347 f. und Kornemann 1922, 55, die dem jeweils zustimmen und die Gegend von Bramsche und Barenau mit dieser Entfernungsangabe völlig zu Recht für unvereinbar halten. – Koestermann 1957, 440 ff. ist wie alle übrigen, die hierzu mit den zeitlich noch nicht eindeutig bestimmten Funden von Barenau oder Kalkriese argumentieren,
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Tacitus’ rhetorisch-dramatische Darstellungsabsicht
auf einer Karte nachzuverfolgen – geschweige denn „im Gelände“, wo „Tacitus“, nach dem berufenen Urteil von Ulrich Kahrstedt, „eine faule Sache ist.“ Dasselbe gilt, wie schon von Pflugk-Harttung 1886 zeitlos gültig erkannte, für alle beschriebenen germanischen Lokalitäten: „Die Taciteischen Ortsbeschreibungen gewähren kein klares Bild“, zumal „wenn wir nicht wissen, ob links oder rechts von der Weser, nahe oder fern, nördlich oder südlich, so ist jede Mühe verloren, denn ungefähr passende Stellen kann man zu hunderten im Hannoverschen und Nordwestfälischen finden; jeder, wo er ungefähr eine gebraucht. Ausserdem ist es immer ein übel Ding, von jetziger Ortsbeschaffenheit auf die vor 1800 Jahren zurückzuschliessen, die gesamten Verhältnisse sind durchaus geändert, wo jetzt ein fruchtbares Kornfeld grünt, können damals unwegsame Sümpfe gewesen sein und wo jetzt alles kahl ist, können damals dichte Wälder geragt haben, von stärkeren Bodenveränderungen ganz abgesehen.“225
Und er fährt ebendort im direkten Anschluss überleitend fort: „Wie schlimm es mit solchen Ortsbestimmungen bestellt ist, beweist am besten die Thatsache, dass Mommsen ziemlich dieselbe Gegend, die Höfer [1885] für die Schlacht an Angrivarenwall in Anspruch nimmt, für die der Varusschlacht erklärt.“ Philologische Feinanalysen zum taciteischen Bericht über Germanicus an den „Stätten der Trauer“ und zum finalen Gefechtsfeld der nach wie vor unlokalisierten Varusschlacht – wie die von John, Lund und vielen anderen mehr226 – sind daher eo ipso zum Scheitern verurteilt, zumal Tacitus in seinen dramatischen Bildern, die die Zuhörerschaft ergreifen und erschüttern sollen, weniger andere Historiker als sich selbst zitiert227 – und natürlich Klassiker. Schon 1929 verstand Konrad Glaser die taciteische Beschreibung des Aufsuchens eines Schlachtfeldes, in diesem Falle die Erkundung des letzten Lagers und dann des finalen Feldes der Varusniederlage durch das Germanicusheer im Jahre 15 n. Chr. (Tac. ann. 1,61) als „eine genaue Parallele“ zu einer Schilderung von Vergil. Denn die Aeneis (2,27–30) erzählt, wie die Troer das dorische Lager, nun verödete Plätze, die verlassene Küste, die Schiffsländen und das bevorzugte Schlachtfeld besuchen, bevor sie das Holzpferd bestaunen. „Die Analogie der Situation, wie auch die große Verwandtschaft der sprachlichen Behandlung ist
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irrelevant. Nutzlos ist auch hierzu der Kommentar Goodyear 1981, 93 f. der die Formulierung haud procul nicht einmal erwähnt. Kahrstedt 1934/1967, 5/236 Anm. 4 (mit syntaktischer Wortumstellung des Verfassers). Skeptisch u. a. Essellen 1868, 345 („wieder nur dürftige geographische Nachrichten“); 349 („Tacitus Bericht über die beiden Schlachten am rechten Ufer scheint genau, im Allgemeinen auch wahrheitsgetreu. Zu einer völlig sicheren Ermittlung der Orte, an welchen gekämpft wurde, reicht er aber nicht aus.“); von Pflugk-Harttung 1886, 75; ähnl. Delbrück 1921, 113. John 1950 und John 1963, 935 ff.; A. A. Lund, Zur Deutung der Taciteischen Darstellung des Orts der Varus-Schlacht, Gymnasium 116 (2009), 275–283. Zur Selbst-Zitierung siehe besonders Woodman 1979/1998: Self-imitation and the substance of history (Annals 1. 61–5 and Histories 2. 70, 5. 14–15); hier 146/74-150/77. Die Zitate Woodman 1979/1998, 147/74, 148/75 u. 150/77.
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auffallend.“228 Anthony Woodman analysierte später zwei von Tacitus geschilderte Schlachtfeldbesuche, das der clades Variana durch Germanicus (15 n. Chr.) und das der ersten Schlacht von Cremona durch Kaiser Vitellius (69 n. Chr.). Nähere Übereinstimmungen in Motivation und Handlungen sind für ihn schon dadurch gegeben, dass beide, jeweils von der cupido nach Autopsie ergriffene Caesaren ehemals Beteiligte als Augenzeugen, Führer und Berichterstatter bei sich hatten. Literarische Parallelen sieht er nicht nur wie Glaser in Vergils Aeneis, sondern auch darin, wie Livius (22,51,6) Hannibals Besichtigung des Cannae-Schlachtfeldes schildert und vermutet: „perhaps there existed a literary prototype (for example, in a now lost passage of Ennius).“ Interessant ist vor allem, wie Tacitus seine zeitlich frühere Darstellung eines historisch späteren Ereignisses in Wortwahl und Satzbau variierte: „When in the ancient world a writer imitated another writer, he would take care to weld the imitated material into its new context, to vary it, and if possible, to improve it. That this practice also held good for self-imitation is shown by Tacitus here.“
Denn dieser ergänzte sein älteres Stimmungsbild durch Anleihen bei Vergil und deren ‚verbal echo‘.229 Das einzige was hierbei ansatzweise weiterhilft, ist demnach deduzierende Formallogik, die jedoch allen unmöglich ist, die bereits von eigenen Lokalisierungstheorien ausgehen. Immerhin ist es communis opinio, dass Tacitus niemals selbst im Innern Germaniens war. Bezüglich neuerer und zweifelsfrei römischer Bodenfunde ist noch ungewiss, ob man bei Barkhausen archäologisch eventuell das Basislager des Germanicus-Heeres vor (oder nach?) der Weserüberquerung ermittelt hat.230 Der Raum Minden wurde hierfür jedenfalls wiederholt schon wegen des dortigen Übergangs eines einstigen Fernhandelsweges ins Auge gefasst.231 Lediglich Haltern
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Glaser 1929, 35 f.; die Zitate Glaser 1929, 36. Vgl. Schanz/Hosius 1935, 635 und Woodman 1979/1998, 146/74, wo er auf dieselbe Vergil-Stelle verwies, aber den Beitrag von Glaser nicht kannte, und 148-150/76-77 (zu anderen Vergil-Stellen). – Zur Vielzahl „bewußter oder halb unbewußter Zitaten des ungemein belesenen Tacitus“ (so Borzsák 1970a, 57 f.), besonders aus Vergils Dichtung, siehe u. a. Syme 1958, 357; Sage 1990, 1026 und die Lit. in Anm. 78. Woodman 1979/1998, 148/75 u. 149/77. Vgl. dazu Woodman 2009, 5 zur Schilderung der Sturmfahrt 16 n. Chr. B. Tremmel, Augusteische Marschlager in Porta Westfalica-Barkhausen, Arch. Westfalen 2009 (2010), 45–47; Dies., Augusteische Marschlager „auf der Lake“, Arch. Westfalen 2010 (2011), 79–81. Siehe nur Knoke 1922, 365–375; bes. 368; wie Langewiesche 1928, 43 auch Schuchhardt 1926, 124 f.; Heimbs 1933; Heimbs 1942, 214 f. (Karte ebd. 213); Norkus 1953, 15 f.; 30 (zum Hellweg vor dem Sandforde vgl. Norkus 1953, 28); ähnlich Norkus 1963, 89–93; Koestermann 1957, 452.
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Tacitus’ rhetorisch-dramatische Darstellungsabsicht
kann berechtigte Ansprüche auf Identifikation mit dem in den Germanienkriegen unter Tiberius und Germanicus 10–16 n. Chr. weiter belegten Kastell Aliso geltend machen.232
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Fazit: Zur Unmöglichkeit einer verbindlichen Rekonstruktion der Germanicusfeldzüge aus Tacitus’ Annalen und zu einer historischen Gesamtbilanz der Germanicusfeldzüge
Von seiner politischen Wirkung her ist Germanicus irrelevant; und historisch würden wir kaum etwas vermissen, gäbe es Tacitus’ Panegyricus nicht. Roms immense Kraftanstrengungen und Rüstungen, die brachiale Vernichtungsstrategie mit der größten Truppenmacht, die Rom jemals in Germanien zum Einsatz brachte, zahlreiche Gefechte mit hohen Verlusten an Soldaten, Pferden, Zugtieren, Ausrüstung und Schiffen (siehe unten) – alles hatte im Endeffekt kaum zählbare Resultate gebracht. Immerhin hatte Germanicus Rom teilweise für die Varuskatastrophe gerächt, die römische Waffenehre wiederhergestellt, germanische Feinde getötet, besiegt, einschließlich einiger Stammesführer gefangen oder zur Kapitulation gezwungen. Dennoch waren die Verhältnisse an der Rheinfront politisch und völkerrechtlich am Ende fast dieselben wie zu Beginn. Germanicus konnte es nicht einmal als seinen Erfolg verbuchen, die Germanen von einer Invasion Galliens abgehalten zu haben. Denn entgegen späteren Sensationsberichten tragisch-rhetorischer Geschichtsschreiber hatte Arminius solches ohnehin nie beabsichtigt. Tacitus’ Darstellungsinteressen und die daraus resultierenden Informationsdefizite verstellten uns schon immer das Verständnis des ganzen Unternehmens. Das gilt sowohl für die übergeordnete strategische Zielsetzung – denn Tacitus bietet nur seine eigene, historisch inzwischen völlig anachronistische Wunschvorstellung einer unbeschränkten Reichsexpansion als Selbstzweck
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Dazu u. a. P. Kehne, Zur Datierung von Fundmünzen aus Kalkriese und zur Verlegung des Enddatums des Halterner Hauptlagers in die Zeit der Germanienkriege unter Tiberius und Germanicus, in: R. Wiegels (Hrsg.), Die Fundmünzen von Kalkriese und die frühkaiserzeitliche Münzprägung, Möhnesee 2000, 47–79; Kehne 2017, 93 und 96; Aßkamp 2010, 33 ff. und besonders Aßkamp 2017, 102–104. Vgl. Berke 2018 und Wolters 2018. Zur älteren Literatur siehe nur Essellen 1868, 228 f. (Aliso entweder von Germanen nach Varusschlacht nicht erobert – oder nur halb zerstört und unbewacht etc. zurückgelassen – oder von Römer sofort wieder besetzt (!) wofür Nachrichten fehlen); C. Schuchardt, Über Haltern = Aliso, Hannoversches Magazin 9 (1933), 49–50.
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römischer Außenpolitik233 – als auch für die jeweiligen operativen Ziele. Interpolierbar sind Versuche zur Aufspaltung der Kriegskoalition, zur Unterwerfung oder Vernichtung einzelner Stämme ebenso wie eine sukzessive Ausweitung der Operationen, was ganz der von Tiberius seit 10 n. Chr. angewandten Methodik entspricht. Insofern ist der wohlgeplante überraschende Terrorangriff auf einen weit unterlegenen Gegner nach dem bewährten Muster der Vorjahre eine konsequente Fortsetzung von Tiberius’ Strategie.234 Demnach wäre der Herbstfeldzug 14 n. Chr. gegen die Marser entgegen Timpes Auffassung nicht, wie Tacitus und Dio berichten, spontan zur Disziplinierung der Truppe nach der Meuterei durchgeführt worden. Der germanische Krieg wurde von Rom vielmehr Jahr für Jahr aktiv und erfolgreich geführt. 10–11 n. Chr. von Tiberius und Germanicus gemeinsam, 12 n. Chr. von Tiberius allein, da Germanicus das ganze Jahr über als consul in Rom amtierte; 13–16 n. Chr. von Germanicus allein.235 Diesen Duktus und die Aktionen vor dem Herbst 14 verschweigt Tacitus, damit keiner den verhassten Tiberius als Schöpfer der klugen Gesamtplanung einer langsamen und sicheren, aber stetigen sukzessiven Ausweitung der Operationen erkennt.236 Denn Germanicus Offensive soll als neue mutige Initiative erscheinen, die die beklagte Lethargie römischen Germanienpolitik am Ende von Augustus’ Regierung dynamisch aufbrechend auch allein seinem Helden zu Gute gehalten werden. Über die Kriegführung im Jahre 13 wissen wir daher nichts Sicheres. Dass 14 n. Chr. nur noch gegen Germanen Krieg geführt wurde, teilt Tacitus anlässlich Germanicus’ Kommando am Rhein gleich zu Beginn der Annales (1,3,6) mit, um sich zugleich über dessen limitierte Zielsetzung zu beklagen; eine etwas konkretere benennt Velleius Paterculus, für ihn wurde Germanicus von Augustus nach Germanien geschickt, um „die Reste des Krieges (Tac. ann. 2,123,1: reliqua belli patraturum). Gegen die Annahme völliger militärischer Untätigkeit vor dem Ableben des Augustus spricht – neben Hinweisen auf amphibische Operationen von Tiberius u n d Germanicus bei Velleius Paterculus (1,121,1), woraus die (erneute?) Botmäßigkeit der Chauken und der Umstand resultierte, dass bei ihnen im Spätsommer 14 Besatzungstruppen lagen (Tac. ann. 1,38), Dichternotizen und Spekulationen über eine imperatorische Akklamation für Germanicus im Jahre 13237 – eindeutig die in der Forschung 233 234 235
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Was Gallotta 1981, 301 korrekt als Tacitus’ persönliche Auffassung wertet. Dazu Kap. 4.5. Vell. 2,120–121; dazu Kehne 1998, 439–440 etc. wie in folgender Anm. Hierzu und zum Folgenden Kehne 1998, 439 f.; Kehne 2005, 561; Kehne 2006, 115 und Kehne 2017, 96. Tac. ann. 1,50,1: limitemque a Tiberio coeptum, d. h. die von Tiberius im Feindesland angelegte Vormarschtrasse (der sog. limes Tiberii) ist der einzige Hinweis darauf. – Verdienstvolle Bemühungen um die Rekonstruktion der Feldzüge 10–11 n. Chr. unternahm bereits Dederich 1869, 121–126. Dazu Mommsen 1919, 45 mit Anm. 1; Kehne 1998 und Wolters 2014 - 2015. Vgl. die in der vorletzten Anm. genannte Literatur.
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Tacitus’ rhetorisch-dramatische Darstellungsabsicht
bislang nicht zureichend gewertete Zusammenziehung der vier Legionen der niedergermanischen Heeresgruppen des exercitus Germanicus im Ubier-Gebiet (in finibus Ubiorum). Diese deutet nämlich nicht nur darauf hin, dass während der Sommerfeldzugssaison 14 n. Chr. im rechtsrheinische operiert wurde. Vielmehr muss der Umstand etwas zu bedeuten haben, dass diese Konzentration selbst nach Eintreffen der Trauerbotschaft von Augustus’ Ableben (am 19. August) nicht durch Dislozierung in die Standlager aufgelöst wurde. Tacitus’ Bericht vermittelt den Eindruck, das versammelte Heer würde auf etwas warten, während Germanicus die Zwischenzeit mit Zensus-Angelegenheiten in der Belgica sinnvoll ausfüllte. Erscheint es da nicht plausibel, eine Herbstoffensive, wie sie Germanicus auch in den Folgejahren regelmäßig unternahm, als bereits geplant anzunehmen? Und ist es nicht ebenso plausibel, darunter auch den längst vorbereiteten238 und später auf bekannten Trassen durch die Caesia silva wirklich durchgeführten Überfall auf die Istvaeonen-Amphiktyonie zum Zeitpunkt des kalendarisch vorbestimmten Tanfana-Festes zu subsumieren?239 Ein weiteres Indiz ist die Nachricht, dass die rd. 30.000 Mann starke Kampftruppe auf einer eigens dafür angefertigten Brücke den Rhein überquerte (Tac. ann. 1,49,4: iunctoque ponte240). Dementsprechend startete 15 n. Chr. auch keine 238
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Schon Schon Knoke 1887/1922, 19/23 wies zu Recht die irrige Annahme ab, „Germanicus habe sich lediglich durch die Vorgänge im Heer oder durch die Stimmung seiner Truppen zum Kampf gegen die Deutschen bewegen lassen. Vielmehr müssen wir annehmen, daß der Feldherrn bereits seit längerer Zeit sich mit dem Gedanken trug, den Krieg gegen die Deutschen wieder aufzunehmen.“ Jedoch war, obwohl Knoke unmittelbar zuvor über die militärischen Unternehmungen von Tiberius und Germanicus berichtete, seine TacitusVerhaftung zu stark, um sich von dessen Vorspiegelung eines neuen, von Germanicus initiierten und konzipierten bellum Germanicum zu lösen und den richtigen Grundgedanken mit Fakten zu implementieren. Zur Tanfana-Kultgemeinschaft siehe Schmidt 1970, 395 und 400. Ebd. auch zur ungefähren Verortung der Marser „südlich der Lippe an der mittleren und oberen Ruhr; zwischen ihnen und dem Rhein lag ein Waldgebiet (silva Caesia).“ Vgl. Knoke 1922, 27 ff. sowie Anm. 110 und 115. – Überlegungen zum Zeitpunkt des Tanfana-Festes bei J. D. Bishop, Dating in Tacitus by moonless nights, Classical Philology 55 (1960), 164–170. Obwohl der Beitrag methodisch mitunter fehlerhaft ist (Das Axiom Seite 164, nox sideribus illustris meint „stars without a moon“ bleibt unbewiesen, zumal Bishop sich noch selbst widerspricht!) und etliche seiner Deutungen (angeblicher Augenzeugenbericht als „outburst of joy over the discomfiture of the Roman arms“ und „celebrating the birth of a new era, one without peril from the Romans“) vollends spekulativ sind, bietet er einen Hinweis zur Zeitbestimmung. Plausibel wären m. E. der erste Neumond nach der Erntezeit oder das Herbst–Äquinoktium. Koestermann (1963, 183) meint: „Die Brücke wurde also offenbar erst jetzt geschlagen.“ Ebenso urteilen Goodyear 1972, 314 Anm. 1 („building his bridge“) und Woodman 2008, 26 („Caesar …, once a bridge had been connected, sent across …“). – Als Ausgangspunkt wurde schon der Raum Köln-Bonn und als Vormarschrouten die Ruhr, Wupper oder Agger erwogen. Schmidt 1970, 400 und seine Vorlage, Knoke 1887/1922, 23 ff./27 ff. liegen noch richtig, wenn sie den Zug – an dem trotz Zusammenziehung aller Legionen am Niederrhein (Tac. ann. 1,48,1: contracto exercitu), nur 12.000 Mann aus allen vier Legionen
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Neuoffensive in Germanien. Entgegen dem bewusst falschen Gesamteindruck, den Tacitus im ersten Buch der Annales zu Gunsten seines Helden Germanicus vermittelt, gab es im Rachekrieg für die clades Variana wahrscheinlich kein kriegsfreies Jahr. Die Überfälle auf die Marser 14 n. Chr. und die Chatten im folgenden Frühjahr knüpften nahtlos an die vorausgegangenen Offensiven an.241 Der Terrorangriff auf die Chatten im Frühjahr 15 n. Chr. verlief nach dem Erfolgsmuster der Vorjahre flankiert durch Caecinas Vorstoß Richtung Cherusker unter nochmaliger Bekriegung der Marser einschließlich eines erfolgreichen Gefechts (Tac. ann. 1,56,5). Es liegt nahe, darin eher eine Ablenkung, denn eine strategische Zangenbewegung gegen das obere Leinetal und Segestes zu sehen – wenngleich auch dieses bei Tacitus’ verzerrter und einseitiger Darstellung (lediglich 14 Worte zu Caecina) nicht auszuschließen ist, die Germanicus als situativ flexibel agierenden Feldherrn darstellen will. Die Eder wurde überquert, Friedensgesuche der Chatten waren vergeblich, ein Teil lief dennoch zu den Römern über. Germanicus brachte dem belagerten Segestes auf dessen Hilfegesuch hin Entsatz, nahm seine deditio an und evakuierte ihn mit Familie, Sippe und Gefolgschaft.242 Die politischen Folgen waren dadurch weitreichend, dass sich der Arminiuskoalition außer- und innerhalb des Cheruskerstammes neue Kräfte anschlossen, darunter der einflussreiche cheruskische Stammesfürst Inguiomerus.243 Demgegenüber hatte die römische Frühjahrs Offensive die Stämme der Chatten und Marser paralysiert, zudem eine wichtige Cheruskerfraktion ausgeschaltet, was Tiberius würdigte mit einer imperatorischen Akklamation für Germanicus würdigte. Der Sommerfeldzug beider Heeresgruppen von der Emsregion zur Lipperegion zielte auf die Nachbarn der Marser, nämlich die zuletzt von Tiberius im Jahre 12 n. Chr. erfolgreich bekriegten Brukterer. Sie waren der zweite Hauptgegner Roms im strategischen Dreieck Cherusker – Marser – Brukterer
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des exercitus Germanicus inferior (siehe Tac. ann. 1,51), aber wegen ihrer bei der Meuterei bezeugten Loyalität (Tac. ann. 1,49,4) wohl sämtliche rheinischen Hilfstruppen teilnahmen – von Vetera ausgehen lassen. Allerdings war die Brücke definitiv nicht die (Tac. ann. 1,69,1–2) dort erwähnte, wie u. a. auch die historisch wenig bewanderten Kommentatoren Goodyear (1972, 314 Anm. 1) und Heller (1982, 827 Anm. 103) meinten. Die im Herbst 14 im Raum Köln-Bonn neu angelegte Brücke war eine provisorische, nur für eine kurze Zeitspanne errichtete (laut Tac. ann. 1,45,2 war Germanicus mit allem, den restlichen sechs Legionen, den Auxilien und der Flotte nach castra Vetera unterwegs: Caesar arma classem socios demittere Rheno parat); während die Brücke am Anfang der Lippetrasse bei Vetera eine auf Dauer installierte war, über deren Bauart (fest-installiert oder auf Pontons bzw. über Schiffe) keine Aussagen vorliegen. Über den routinemäßigen Marsch von Vetera rheinaufwärts bis zur Brücke schweigt Tacitus. Anders noch Kehne 2017, 96 f. wegen des populärwissenschaftlichen Zuschnitts und der Umfangsbeschränkungen. Tac. ann. 1,57,5; 1,58,6-59,1. Zur völkerrechtlichen deditio Kehne 1989, 526; Kehne 1998, 443; Kehne 2017, 97. Tac. ann. 2,60,1; Kehne 2000, 429.
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mitsamt den Varusschlachtfeldern. Derartige römische Angriffe gewohnt entzogen sich die Brukterer, verbrannte Erde hinterlassend, dem Zugriff der römischen Armeen, die in viele Kampfgruppen aufgeteilt großflächig das ganze Bruktererland zwischen oberer Ems und Lippe verheerte, wobei Stertinius’ Truppe den Adler der legio XIX erbeutete. Anschließend suchte Germanicus in den oben genannten geographischen Grenzen das finale Gefechtsfeld der Varuskatastrophe auf, bestattete die Reste der Gefallenen in einem tumulus und verfolgte nach dieser militärischen Machtdemonstration den Heerbann des Arminius in avia , sehr wahrscheinlich in nördlich-nordöstlicher Richtung. Nachdem es in unentschiedenem Kampf einem von Arminius gelegten Hinterhalt entging, zog sich das Heer Richtung Ems zurück. Die obergermanische Heeresgruppe unter Germanicus und Silius zog zur Flotte an die untere Ems, die untergermanische unter Caecina erlitt auf dem Weg zur Ems, bei und nach den pontes longi schwere Verluste, wozu ein beträchtlicher Teil des Trosses zählte. Will man Tacitus’ längstem Schachtbericht in den Annales glauben, retteten nur Caecinas soldatische Erfahrung und Geistesgegenwart sowie germanisches Ungestüm den exercitus Germanicus inferior vor dem Schicksal der Varuslegionen. Germanicus Erkundungsfahrt zur Weser diente der Feldzugsvorbereitung für das nächste Jahr. Während die Chauken schon bei der Flottenlandung an der Ems angeschlossen wurden und zur Versicherung ihrer Loyalität Hilfstruppen in den römischen Heereszug einreihten (Tac. ann. 1,60,2), konnte Stertinius im Spätsommer oder Herbst 15 noch die bedingungslose Kapitulation (deditio) eines weiteren Teils des Cheruskerstammes, repräsentiert durch Segestes’ Bruder Segimer und dessen Sohn Segithancus, entgegennehmen.244 Entgegen direkter Aufforderungen des princeps zur Einstellung der Offensive rüstete Germanicus besessen für 16 n. Chr. zum erhofften entscheidenden Schlag, was streng genommen einer Insubordination gleichkam. Im Frühjahr 16 fiel ein leichtbewaffnetes Expeditionskorps des exercitus Germanicus superior unter C. Silius A. Caecina Largus erneut – auf einer von Tacitus unerwähnt gelassenen Trasse (Wetterau oder Lahn aufwärts?) – ins Chattengebiet ein und machte Beute, darunter Arpus, ein – in Strabos Triumphschilderung nicht namentlich erwähnter – princeps Chattorum nebst Gattin und Tochter (Tac. ann. 2,7,1–2), was das Erreichen des (oder eines weiteren) chattischen Siedlungszentrums impliziert. Wiederum erfolgte keine deditio der Feinde. Dieses mag aber im Kontext der von Germanicus befehligten Frühjahrsexpedition in die Lippe-Region der Fall gewesen sein, wo er u. a. dem von Germanen wieder einmal belagerten Kastell Aliso Entsatz brachte und die Verkehrsinfrastruktur der Lippetrasse von dort bis hin zum Rhein erneuerte.245 Denn für den Herbst des Jahres wird Mallovendus, der einzige namentlich 244
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Namen und Fakten bei Tac. ann. 1,71,1 und Strab. 7,1,4. Zur völkerrechtsförmlichen deditio Kehne 1989, 526; Kehne 1998, 443. Kehne 1998, 443; Kehne 2017, 97.
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bekannte dux Marsorum, von Tacitus als nuper in deditionem acceptus bezeichnet (Tac. ann. 2,25,1), was sich auf eine von Tacitus nicht erwähnte Begebenheit dieses Feldzugs oder des von Aulus Caecina im Frühjahr 15 gegen Teile der Marser geführten beziehen kann, bei dem es zu einem für Rom glücklichen Gefecht kam (Tac. ann. 1,56,1. 5: prospero proelio); jedoch ist auch ein von Tacitus für den Herbst 15 n. Chr. übergangenes Ereignis, analog der o. g. SegimerDedition, möglich.246 Die große amphibische Sommeroperation in die Weserregion sah römische Truppen erstmals wieder östlich der Weser, mehrere kleinere Gefechte, ein massives Durchbruchsgefecht bei Idisiaviso und eine eintägige Feldschlacht am Angrivarierwall, wo es Germanicus wiederum nicht gelang, den Heerbann der Cherusker-Koalition zu vernichten. Das einzige politisch relevante Resultat erzielte Stertinius, der mit seiner schnellen Einsatztruppe die zuvor abgefallenen Angrivarier zur förmlichen Kapitulation (deditio) nötigte (Tac. ann. 2,22,2: deditio = 2,24,3: nuper in fidem accepti), die sich nach der fatalen Flottenkatastrophe loyal und hilfsbereit zeigten.247 Der Spätherbst sah zur moralischen Kompensation der nicht einmal von Tacitus verschwiegenen, enormen Verluste des Sommerfeldzuges 16 (Tac. ann. 2,25,3)248 noch zwei römische Strafexpeditionen: C. Silius fiel mit dem dezimierten obergermanischen Heer – Tacitus (ann. 2,25,1, vgl. 1,56,1) nennt zur Verschleierung der Verluste die Sollstärke – zum dritten Mal ins Chattenland ein, dieses Mal allerdings ohne zählbare Erfolge. Während die untergermanische Heeresgruppe unter Germanicus zum dritten oder vierten Mal ins Marsergebiet eindrang, in dem es erstaunlicherweise immer noch Feindwiderstand gab. Der dux Marsorum Mallovendus, der (wie oben schon erwähnt) bereits zuvor mit einem Teil der Marser kapituliert hatte,249 verriet eventuell/vermutlich schon vorher das Versteck eines weiteren in der Varusschlacht verlorenen Legionsadlers. Die berichtete Ereignisfolge wird plausibler, wenn die Expedition primär dem Legionsadler galt, den die als geschickt taktierend dargestellten Römer in einem Überraschungscoup bergen konnten, bevor der eigentliche Vernichtungsfeldzug gegen Land und Leute begann, der Tacitus zum Schwanengesang des Unbesiegbarkeitsnimbus der Römer veranlasste (Tac. ann. 2,25). Für Germanicus’ Bilanz bedeutete der Adler nicht nur einen neuerlichen Prestigeerfolg, sondern jetzt auch ein Plus in der Teilrealisierung römischer Kriegsziele: Schmach der Varusschlacht getilgt, Gefallene bestattet, mehrfach
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249
Zur völkerrechtlichen deditio oben Anm. 243; vgl. Kehne 1998, 444; Kehne 2001a, 190. Zur Vorzeitigkeit: Marsh 1931/1959, 74. Timpe 1968, 48; Kehne 1989, 527 (und prinzipiell 141 ff. sowie Kehne 1998, 444.) Schätzungen beziffern die Verluste auf rd. ein Fünftel bis ein Viertel der in Germanien eingesetzten Soldaten von mindestens 80–100.000 Mann: Laederich 1991, 295–296; Kehne 1998, 444; Kehne 2015a, 65–66. Vgl. Mommsen 1919, 49; Knoke 1922, 509. Tac. ann. 2,25,1; Kehne 2001a, 190. Siehe die vorletzte Anm.
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Feinde besiegt, getötet und deren Land verheert, eine vollgültige Stammesdedition (Angrivarier) und drei deditiones von Stammesteilen (zwei Fraktionen der Cherusker und eine der Marser) entgegengenommen sowie zwei von den drei wichtigsten Feldzeichen zurückgewonnen (signa recepta). Andererseits war es ihm kein einziges Mal gelungen, Arminius’ Kampfverband zu überraschen. Stets musste er auf einem vom Gegner gewählten Feld antreten: 15 n. Chr. am Ende des Sommerfeldzuges an ungenanntem Ort; dasselbe galt für den exercitus Germanicus inferior unter Aulus Caecina bei den pontes longi. 16 n. Chr. beim Übergang über die Weser, beim anschließenden Reitergefecht, das den dux Batavorum das Leben kostete; auf Idisiaviso, beim anschließenden Vormarsch und beim Angrivarierwall. Und immer war er es, der unverrichteter Dinge wieder den Rückzug antreten musste. Bevor Tacitus den Germanienkriegsbericht mit der Depeschen-Debatte zwischen dem um noch ein Feldzugsjahr bittenden Germanicus und dem dagegen viele Vernunftgründe anführenden Tiberius schließt, sagt er noch etwas zur Nachrichten- und Stimmungslage im Spätherbst 16: Angeblich waren die Feinde, wie man (aus unüberprüfbaren Aussagen) von Gefangenen erfuhr (ut ex captivis cognitum est), niemals mehr verängstigt (nec umquam magis paventem: Tac. ann. 2,25,3). Und in den römischen Winterlagern kursierten Ende 16 n. Chr. laut angeblicher, von Tacitus referierter Meinungen gleichfalls eindeutig illusionistische Erfolgsspekulationen: Nec dubium habebatur labare hostes petendaeque pacis consilia sumere et, si proxima aestas adiceretur, posse bellum patrari. Mit anderen Worten: „Man hielt es für unzweifelhaft, dass die Feinde dem Untergang nahe wären und Pläne machten, um Frieden zu bitten, und dass, hinge man noch den nächsten Sommer dran, der Krieg (erfolgreich) beendet werden könne.“ Was angesichts der machtpolitischen Verhältnis völlig irreal war,250 wie auch Tacitus wusste, der so Germanicus’ Gesicht zu wahren und 250
Siehe Höfer 1885, 92–94; Dessau 1926, 11; Marsh 1931/1959, 74; Syme 1934, 378; vgl. 374 Anm. 1; Kehne 1998, 444; Kehne 2015a, 66 und Kehne 2017, 100 (vgl. Anm. 197) gegen die realitätsfernen, beschönigenden Meinungen von Tacitusgläubigern wie Knoke 1922, 507 f.; Koestermann 1957, 465 f. („So ist der Gesamtaspekt Ende 16 keineswegs als trübe anzusprechen. Jedenfalls kann man die Erwartungen, die Germanicus an einen neuen Feldzug knüpft, nicht von vornherein als illusionistisch verwerfen.“ [Aber nur genau dieses ist geschichtswissenschaftlich korrekt und erforderlich!]); Seager 1972, 87; Gallotta 1987, 117 ff.; 128–131; historisch noch absurder und ungefähr den Forschungsstand der Jahre 1887–1918 repräsentierend Werner Eck in: Aßkamp/Jansen 2017, 20-21 („wiesen die Erfolge darauf hin, dass Germanicus den rechtsrheinischen Teil Germaniens bald vollständig zurückgewonnen haben würde“ und „der Erfolg war greifbar nahe“ vgl. oben zu Anm. 186) – so urteilt nur jemand, der von der Materie römischer Germanienpolitik und deren Erforschung keine Ahnung hat. Selbst Knoke 1922, 509 bezweifelte die Möglichkeit, das „freie Germanien zur Unterwerfung zu bringen.“ Denn was Tacitus (Tac. ann. 2,26,1) verbreitete, entsprach puren Wunschvorstellungen und ähnelt den widersinnigen selbstbetrügerischen Illusionen, denen man sich in einem bestimmten Bunker des eingeschlossenen Berlin vor dem 30. April 1945 hingab.
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Tiberius die Schuld für den seines Erachtens verfrühten Abbruch der Offensiven zuzuweisen suchte.251 Denn die Geduld des Kaisers war, wie Tacitus am Ende seines Berichts zum Krieg in Germanien mitteilt, hinlänglich erschöpft. Und im Gegensatz zu Germanicus hatte Tiberius längst erkannt, dass der germanische Widerstand trotz punktueller Erfolge direkt proportional zur Intensität römischer Angriffe zunahm, Germanicus’ Brachialstrategie wenig Erfolg, aber hohe Verluste brachte und dessen Draufgängertum ständig die Gefahr einer zweiten Varuskatastrophe barg. Tiberius meinte, „es sei schon genug an Erfolgen, genug an Verlusten“ (satis iam eventuum, satis casuum), auch Roms Rache sei erfüllt, und beorderte seinen Sohn mit dem Hinweis auf die Untauglichkeit seiner Methoden, zur Abhaltung seines Triumphes nach Rom zurück (Tac. ann. 2,26). In der Quintessenz bleibt es fast genau bei dem, was man 19 n. Chr. in Rom Würdigungswertes zum Gedenken an diese dritte historische Sternschnuppe unter den kaiserlichen Prinzen zusammenklaubte: Germanen besiegt, weiter von Gallien abgedrängt, eine durch Verrat und Hinterhalt bewirkte römische Niederlage gerächt und Feldzeichen zurückgewonnen.252 Bemerkenswert ist dabei, dass die wenigen sonstigen erhaltenen antiken Quellenangaben in ihrer groben Gesamtbewertung der Germanicusfeldzüge überein stimmen, da sie einfach die offizielle und inzwischen kanonisierte Meinung des römischen Staates wiedergaben.253 Und zu beachten bleibt Cassius Dios bewusste Auslassung des Germanienkrieges in seinem Bericht zu den Jahren 15 und 16 n. Chr., da die Germanicusfeldzüge in seiner historischen Retrospektive vom Beginn des 3. Jahrhunderts nichts „Erinnerungswürdiges“ mehr hatten. Tacitus’ primär rhetorisch-darstellerische Zielsetzung hat nach dem Verschwinden der taciteischen Vorlagen, also der historisch genaueren frühkaiserzeitlichen Überlieferung zu den Germanicusfeldzügen, für alle an politischen Fakten interessierten Historiker eine fatale und irreparable Folge: Den unwiederbringlichen Faktenverlust. Die heute dringend benötigten Details der taciteischen Vorlagen fehlen vielfach in den Annalen. Stattdessen bietet Tacitus Unterhaltsames, Bizarres, Genreszenen, emotional Bewegendes, Anekdoten, erfundene Reden mit geradezu idiotischen Argumenten eines römischen Feldherrn, Topoi aller Art und etliches historisch Unnützes mehr. Alle seine geo- und topographischen Angaben sind unverbindlich und passen auf viele Lokalitäten. Säubert man den Bericht über die Germanicusfeldzüge von erfundenen oder primär rhetorischen Abschnitten ohne nennenswerten historischen Informationsgehalt, kann man über das wenige Übrige als Historiker bestürzt sein oder nur resignierend den Kopf schütteln. Was an
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So u. a. schon Höfer 1885, 194. Tab. Siar. 1; Kehne 1998, 444 f.; Kehne 2017, 96; 99 f. Dieses ist ein wichtiges Untersuchungsergebnis von Dieter Timpe 1968, 12; 16; 18; vgl. 20.
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Sachverhalten erhalten blieb, entspricht dem Beton-Rohbau eines dreigeschossigen Hauses ohne Dach: Die Etagen mit Fußböden und Decken sind da, vereinzelt steht eine Außenmauer, bisweilen mit einer Fensterhöhle, und hier und da eine Zimmerwand. Den Rest kann jeder Historiker und Laienforscher nach eigenen Vorstellungen frei, aber ohne Gewähr der Richtigkeit ergänzen,254 was auch zukünftig beliebig viele Theorien und Lokalisierungen möglich macht. Wären die anderen Abhandlungen zu den Germanicusfeldzügen noch überliefert, würden wir Tacitus’ Arbeitsweise besser verstehen und seine Darstellung als rhetorisches Kunstprodukt besser würdigen. Literaturgeschichten könnten präziser analysieren, wie er einen alten Stoff umschneiderte und neu drapierte, auch würden wir dann seine Gestaltungskunst und seine Arbeitstechnik bewundern, die die philologische Forschung seit der Mitte des letzten Jahrhunderts immer besser erfasst. Denn Tacitus’ Sicht auf den vererbten Prinzipat ist eine gänzlich andere als die der zeitgenössischen oder ereignisnah schreibenden römischen Historiker. Da wir jedoch für die Germanicusfeldzüge zunächst einmal auf Fakten angewiesen sind, die uns weder die Annales noch die äußerst spärliche Parallelüberlieferung bieten, sind rekonstruierende Historiker mit dem, was Tacitus berichtet, sehr unzufrieden. Denn viele strukturellen Defizite seiner Darstellung können wir inzwischen zwar erkennen, aber nicht kompensieren. Uns fehlen einfach die Fakten, die Tacitus in den Werken seiner Vorgänger vorlagen, die er aber aus stilistischen und kompositorischen Gründen nur unzureichend wiedergab.255 Warum auch? Die Werke existierten zu seiner Zeit ja noch und konnten jederzeit herangezogen werden. Erneute detaillierte Faktenwiedergabe war für den Historiker und Stilisten Tacitus unnötig, irrelevant und indiskutabel. Ihm ging es um ein neues Gesamtbild, in dem Germanicus auf ganz besondere Weise herausgestellt werden musste, um dem Anspruch der taciteischen Annalen zu erfüllen. Da wir im Endeffekt nichts weiter als Tacitus’ aus historischer Sicht mangelhaften Bericht besitzen, der weder eine Analyse von Strategie und Methodik römischer Germanienpolitik noch der Feldzüge unter Germanicus bietet noch diese nachvollziehbar beschreibt, ist ein ernüchterndes Fazit unvermeidlich: Eine wissenschaftlich verbindliche Rekonstruktion der Germanicusfeldzüge war, ist und bleibt unmöglich, was die eingangs geschilderte Aporie der Forschung erklärt.
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Siehe nur (oben Anm. 107) die ironische Sachstandsbeschreibung von Koepp 1926, 43 f. Vgl. Syme 1958, 392–394 zu Tacitus’ Defiziten und Darstellungsabsichten; siehe dazu u. a. Anm. 96, 104 u. 109-112.
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Anhang zur Systematisierung wissenschaftlicher Arbeiten über die Germanicusfeldzüge
Wie oben dargelegt reicht die Materialbasis der Quellen für eine Rekonstruktion der Germanicusfeldzüge nicht aus. Zu den grundsätzlichen Ursachen für den anhaltenden Dissens der Forschung kommen neben der Konjekturleidenschaften von Philologie, Tacitus’ rhetorisch-dramatischer Darstellungskunst, seiner nicht auf historische Sachberichte ausgerichteten Darstellungsabsicht und dem Fehlen einer seine Defizite kompensierenden Parallelüberlieferung noch zwei wichtige Faktoren hinzu. Erstens verstärken Tacitus’ Desinteresse an militärischen Vorgängen, seine mangelhaften Verortungen, zu vage oder topische Regions- und Ortsbeschreibungen, jegliches Fehlen von Entfernungs- oder Zeitangaben u. v. a. m. die Erkenntnisprobleme, wodurch sich Fachgelehrten und Laien gleichermaßen weite Spekulationsräume bieten. Zweitens wirken sich bei diesem Thema einige allgemeine Mechanismen der althistorischen und regionalen Forschung nachteilig aus. Vor nunmehr 135 Jahren zog bereits R. v. Stoltzenberg-Luttmersen256 eine bis heute gültige Bilanz zu dem „bis zur Erbitterung gesteigerten Kampf […] der sich entgegenstehenden Meinungen über die Feldzüge der Römer gegen die Germanen. Mit Ausnahme weniger hervorragender Arbeiten beschränkt sich der Inhalt derselben darauf, die römischen Schriftsteller in ihrem Urtext zu commentieren, um dann in Verbindung mit ungenügenden, selten passenden Terrainstudien zu Schlußfolgerungen zu gelangen, die in der Mehrheit kaum über die Grenze von irrthümlichen Muthmaßungen hervortreten. Dazu kommt, daß die Ziele dieser Forschung vielfach darauf gerichtet sind, die Ansichten Anderer zu kritisieren und zu widerlegen, – daß man niederreißt, ohne aufzubauen. Auf eine systematische Klarlegung der Situation haben nur wenige der zahlreichen Schriftsteller, welche uns auf diesem Gebiete begegnen, hingearbeitet; wir dürfen daher auch die Behauptung aufstellen, daß trotz der Massenproduction die Forschungen auf diesem Gebiete überall als noch nicht beendet anzusehen sind.“
In der Tat existiert keine einzige, als verbindlich anzusehende Theorie zur Gesamtanlage der Germanicusfeldzüge. Alles bleibt Stückwerk, da es sich an die unzureichende Quellenlage zu halten gezwungen fühlt. Die Unmöglichkeit einer plausiblen Rekonstruktion verführt viele zur bloßen Nacherzählung des taciteischen Sammelsuriums, einerlei ob es sich um Quellengläubige, Lokalisten, Regionalisten, Varusschlachtlokalisierungs-Fanatiker oder anders motivierte handelt. Angesichts höchst widersprüchlicher Theorien und der Fülle von derzeit über 600 ermittelten einschlägigen Arbeiten über die Germanicusfeldzüge, zu denen noch Hunderte von den mehr als 1.000 der Kontroverse über Verlauf und Verortung der von Germanicus aufgesuchten Schlachtfelder der clades Variana 256
von Stoltzenberg-Luttmersen 1883, 240.
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Tacitus’ rhetorisch-dramatische Darstellungsabsicht
hinzukommen, hat sich bislang niemals jemand der Mühe einer systematischen Sichtung unterzogen. Ein Forschungsüberblick über die Germanicusfeldzüge war und ist somit ein Desiderat. Da im forschungsgeschichtlichen Niemandsland zunächst einmal jede Systematisierung nützlich ist, sei hier ein erster Zugang vorgestellt, der sich aus der kritischen Sichtung der Literatur und ihrer jeweiligen primären Ansätze ergab. Der größere Teil der Beiträge zu den Germanicusfeldzügen lässt sich unter folgenden Kategorien subsumieren, die freilich nicht immer in reiner Form auftreten, sondern vielfach in vermischter: 1. Quellengläubige, die aus Bequemlichkeit oder der Einfachheit halber weitgehend reine Nacherzählungen der Quellen ohne Kritik, ohne eigene Ideen und vielfach ohne Rezeption relevanter Forschungspositionen oder Diskussionen produzieren (wie u. a. Marsh 1959; länger aber ähnlich gehaltlos Seager 1972 und 2005). Der – zur Veranschaulichung hier beispielhaft vorgestellte – gegenteilige Paradefall einer wissenschaftlich völlig sinnlosen Fleißarbeit zitiert dagegen in 1684 (!) meist wertlosen Anmerkungen eine Fülle ausgewählter neuerer Literatur bis hin zu dubiosen Vereinszeitungen wie dem Varus-Kurier, ohne dabei förderliche Argumente von unnützen oder unlogischen unterscheiden zu können. Ralf G. Jahn257 befleißigt sich in seiner Dissertation gegenüber dem auch von ihm ganz penibel nacherzählten Tacitus-Bericht einer derartigen Naivität wie man sie nur aus Arbeiten altertumskundlicher Laien des 19. Jahrhunderts kennt.258 Neues erfährt der Leser dabei in der Regel nicht. Nirgendwo werden Darstellungsinteressen der Autoren oder 257
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R. G. Jahn, Der Römisch-Germanische Krieg (9–16 n. Chr.), Bonn 2001, eine von Klaus Rosen und Hartmut Galsterer betreute Dissertation. Im Vergleich aller umfänglicheren Studien zur Varusschlacht und den Germanicusfeldzügen übertrifft hierin das Verhältnis von Aufwand und (Nicht-)Ertrag sogar noch die Dimensionen einiger Arbeiten der Zeitenwende vom 19. zum 20. Jh. Auch diese regionalgeschichtliche Detailuntersuchung beginnt – inzwischen leider schon traditionsgemäß – völlig überholten und längst als verfehlt erkannten (siehe u. a. Kehne 2002) Ansätzen folgend ab ove, d. h. bei Caesar und der clades Lolliana als vermeintlichem Anstoß für die Eroberung der Alpen und Germaniens bis zur Elbe (was ganzen Studierendengenerationen seit Konrad Kraft und den 1950er Jahren bis in die 1980er hinein als Stand der Altertumswissenschaft gelehrt wurde). Auf Inhalt und Zentralthesen dieser Anfängerarbeit weiter einzugehen erübrigt sich, weil die Verlautbarungen der Kalkrieser Public-Relations-Maschinerie Jahns jugendliches Erweckungserlebnis prägten und seine Teilrekonstruktion (wie schon die von K. Tausend, Wohin wollte Varus?, Klio 79 (1997), 372–382) in der a priori unhaltbaren und inzw. auch numismatisch wie archäologisch widerlegten Theorie von Kalkriese als Ort der Varusschlacht verankert ist. Wie diese meint auch Jahn 2001, 222–228 nach dem taciteischen Bericht bei den Kämpfen an den pontes longi einzelne Kampftage unterscheiden zu können (bei ihm nur drei). Zur „Schlacht in der Weserebene Idistaviso“ vermag er (ebd. 245–247) gleich drei Phasen, eine Zwischenphase und eine „Schlußphase“ zu unterscheiden.
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rhetorisch-dramatische Stilisierung reflektiert, geschweige denn Meinungen von Fakten geschieden oder wenigsten die auffälligsten Versatzstücke erkannt. Historische Hermeneutik und Methodik scheinen unbekannt, dafür offenbart sich allenthalben Unkenntnis in Themen und Verfahren der klassischen Philologie. Der taciteische Text wird auf Deutsch (mit eingeklammerten lateinischen Formulierungen) detailliert nacherzählt oder paraphrasiert, mit Anmerkungen gespickt, aber weder hinterfragt noch interpretiert. Dies geschieht allenfalls mittels Referats259 einiger ausgewählter Forschungsmeinungen. Diese Dissertation hätte niemals angenommen, geschweige den publiziert werden dürfen! Ihn wie auch die übrigen Tacitusgläubigen charakterisiert ferner, dass sie alle die in Tacitus’ ebenso zahlreichen wie frei erfundenen Reden enthaltenen Argumente, Meinungen, Mutmaßungen, Andeutungen etc. sämtlich als Fakten ansehen und darauf ihre Rekonstruktionen stützen.260 2. Quellengläubige Tacitus-Apologeten, für die der Autor und sein Annalentext unantastbar sind. Und die sich daher berufen fühlen, beide gegen jede Korrektur oder Kritik zu verteidigen. Die Gruppe beinhaltet überwiegend klassische Philologen (Brink, Koestermann, Meister, Heubner, Lund u. a. m.), aber auch Tacitus-Gläubige unter Gymnasiallehrern (allen voran Knoke) und solche mit lediglich gymnasialen Lateinkenntnissen, die von philologischen Tacitusverehrern beeinflusst wurden. 3. Textkritiker, die angesichts zahlreicher offenkundiger Ungereimtheiten und Brüche in der taciteischen Darstellung überwiegend durch Textkritik der Annales versuchen, zu neuen, besser verständlichen Rekonstruktionen zu gelangen. In dieser Gruppe finden sich echte Fachleute der Altertumskunde, aber auch viele althistorische und/oder philologische Laien, die den Text lediglich zu ihren Theorien passend machen wollen.
4. Generalisten. Die Angehörigen dieser zahlenmäßig eher kleinen Gruppe präsentieren in der Regel eigene Rekonstruktionen unter kritischer Berücksichtigung von Quellenangaben und Forschungspositionen (Höfer, Knoke, Delbrück, Dahm, Kramer, Schmidt 1970 u. a.). 5. Einfache Lokalisten. Diese Gruppe gliedert sich in zwei Untergruppen, von denen die erste ihre als Quelleninterpretationen verstandenen
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Die Diskrepanz zwischen Feldzugsplanung für 16 (Jahn 2001, 235 f.) und deren Nichtrealisierung bei einer Flottenlandung „am linken Flußufer der Ems“ (ebd. 238) [siehe oben Teil 4.4] bemerkt Jahn nicht einmal, trotz der Hinweise in den auch von ihm referierten Beiträgen. – Jahns Berichte zu Gefechten enthalten als Abschnitte meistens „Ausgangslage“, Kampfphasen bzw. -tage, ein (i. d. R. armseliges) Fazit und als besonderen geistigen Höhepunkt häufig eine „Militärische Analyse“ – bzw. das, was sich ein ehem. Fernmeldegefreiter darunter vorstellt. Siehe dazu bes. Teil 4.5: Tacitus und der Albis.
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Rekonstruktionen ihren jeweils schon a priori favorisierten Lokalisierung (Aliso, Angrivarierwall, Arnsberger Wald, Barenau, Dörenschlucht, Düsselburg, Idistaviso, Kalkriese, Mattium, Nammer Lager, pontes longi, Teutoburg etc.) lediglich anpassen (Mommsen, Wiegels u. a. m.). Die zweite Untergruppe erspart sich die Mühsale eigener Rekonstruktionsarbeit, indem sie die in der Forschungsliteratur postulierten Lokalisierungen nur bestreitet und durch vermeintlich bessere eigene ersetzt – oder auch nicht. Beide Kategorien arbeiten mit heimatgeschichtlichem Bezug, mit alten Karten, modernen Atlanten, willkürlichen Ausdeutungen (Brepohl 2008261) oder gänzlich aus der vorliegenden Literatur heraus und stützen sich wahlweise auf archäologische Funde, ohne deren Gesamtbild zu kennen oder zu ermitteln. 6. Lokalistische Topographen und Ortsnamenskundler. Die erste Abteilung dieser Sondergruppe stützt sich im Gegensatz zu den einfachen Schreibtisch-Lokalisten auf persönliche Autopsie und/oder altertumskundliche Erfahrung und konkret auf topographische Gegebenheiten, deren Identifikation zu neuen Rekonstruktionen führt. Hierher gehören z. B. Schuchardts Hellweg-Route262 via Bückeburg, Bad Nenndorf, Klein-Nenndorf, Gelenberg, Groß-Goltern, Leveste, Gehrden, Ronnenberg, Pattensen und Sarstedt zur Leine entlang postulierter Germanenburgen; ferner das vermeintliche Wiederfinden realer Geländeformationen in taciteischen Ortsbeschreibungen (Baehr 1888; Bessell 1857; Knoke 1885–1922; Koestermann 1957; von Stamford 1890 etc.) oder die Ermittlung vermeintlicher römischer Lagerstrukturen in erst vor wenigen Jahrhunderten gegründeten Dörfern (u. a. Giefers 1847, 63) oder sogar angebliche römerzeitliche Bauwerke in germanischen Siedlungen. Gipfel solch phantastischer Verstiegenheiten ist die These, der untere Teil des steinernen Westwerks vom Kloster Corvey sei die originale principia in der ehemaligen civitas Cheruscorum – und dortige Fresken der Weserrenaissance würden ebenso noch aus der Römerzeit stammen wie die Lettern der Inschrift.263 261
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So „spricht“ für den historischen Laienschreiber Brepohl 2008, 122 zum Angrivarierwall alles „dafür, dass es sich bei der mit einem Wall abgeriegelten Örtlichkeit in Leese um einen Kultplatz der Angrivarier gehandelt haben dürfte.“ Dass zum Zeitpunkt seiner Buchpublikation die Verortung des Walles bei Leese bereits seit zehn Jahren widerlegt war (siehe oben Anm. 222), war ihm wohl entgangen. Schuchhardt 1926, 124–125; vgl. Meineke/Schilp 1999 und die Literatur in Anm. 231. Wofür dann Bauingenieure, Archäologen, Archäometallurgen etc. als Gutachter bemüht und bezahlt werden. Siehe dazu u. a. R. Bökemeier, Die Varusschlacht. Der Untergang der
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In der zweiten Abteilung stützt man sich originär oder zur Ergänzung der eben genannten Platzbestimmungsmethode vornehmlich auf Identifikationen von Flurbezeichnungen wie „Totengrund“, „Totental“, „Blutbach“, „Blutwiese“, „Römerstieg“, „Römerheide“ etc. oder Ortsnamen, sei es aus Ptolemaios, Tacitus oder Cassius Dio. Zum Beispiel Tulisurgium = Tuliburgium = „‚Burg‘ im ‚Tuli‘ bzw. ‚Tili‘-Gebiet“ des Sachsengaus, wobei „nicht ausgeschlossen ist, daß die alte Burganlage ‚Brunsburg’ an der Nethemündung bei Höxter einst ‚Tuliburgium‘ (‚Tuli-Burg‘) geheißen hat“ (Bökemeier 2004, 128); oder Teutoburgiensis saltus (alles fußend auf Clostermeier 1822, 119–120, siehe auch Lüttgert 1873, 13264) = der „T e u t “, denn so hieß im „ganzen Mittelalter“ der Kegel der Grotenburg, „Mittelpunkt des karolingischen Gaues Theotmalli, an deren Fuße noch heute der Tötehof liegt und die Hauptstadt der ganzen Gegend Detmold“ (Schuchhardt 1934, 3; ähnl. Schuchhardt 1935, 234, 244 und anderenorts) = „der Dötehof, richtiger Teutehof, heißt 1390 ‚in dem Toyte‘“ (Kreye 1930, 17), aber für ihn ist (Kreye 1930, 13; 56 und 59) der Teutoburgiensis saltus das von Burgen gesäumte Sünteltal. Weitere Beispiele für derlei Namensableitungen sind: Die bei Knoke (1922, 29 mit Anm. 3) referierten vormaligen, aber irrigen Meinung, dass „die silva Caesia westlich von Münster sich befunden habe und der Name des Waldes in dem Namen Coesfeld wiederzuerkennen sei.“ Sodann: Amisia = Emden (wie u. a. von Stamford 1890, 101 ff. mit Anm. 3265) oder Amedorf (wie Norkus 1953,
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römischen Legionen im Teutoburger Wald, Tübingen 2000, 28 zu dem von H. Klabes, Corvey, Höxter 1997, initiierten Unfug meint, „daß die heutige Klosteranlage Corvey mitten in einer ehemaligen zur Römerzeit gegründeten Civitas steht“ – nämlich als steinernes Zeugnis der ehemaligen „cheruskischen Hauptstadt“ Tulisurgium. Zur Kritik (aus den eigenen Reihen) siehe u. a. R. Linde, Rolf Bökemeiers Thesen zur Örtlichkeit der Varusschlacht. Eine Kritik, Lippische Mitteilungen 72 (2003), 389–409; R. Bökemeier, Römer an Lippe und Weser. Neue Entdeckungen um die Varusschlacht im Teutoburger Wald, hrsg. v. Freundeskreis für Römerforschung im Weserbergland, Höxter 2004. Auch die definitive Widerlegung solcher anachronistischen Phantastereien durch die Materialforschung der Leibniz Universität Hannover – siehe R. Lehmann, Archäometrische Beiträge: Römische Buchstaben in Corvey?, Freundeskreis für Archäologie in Niedersachsen e. V. Post (2016), 13–14; R. Lehmann, Römischer Mörtel in Corvey?, Freundeskreis für Archäologie in Niedersachsen e. V. Post (2016), 14–15. – beendet sicher nicht diesbezügliche Glaubensbekenntnisse von Heimatforschern und Lokalisten. Mit einem der wenigen, für Publikationen seiner Zeit schon außergewöhnlich genauen Literaturverzeichnis. Ebs. Cramer 1912, 41 und Langewiesche 1928, 41 mit Anm. 1. Burchard 1870, 52: „das zweite Amisia […] wird in dem Sinne eines Landeplatzes, Hafenortes oder Kastells aufzufassen sein.“ Germanicus fuhr nicht in die Ems hinein oder hinauf, sondern überbrückte bei Emden die
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12–14); Mattium = Metze (Dorf südöstlich der Altenburg bei Niedenstein: Schuchhardt 1935, 235 und 246) oder etymologische Ableitungen: Fl. Alison = Alme; Aliso = Elsen bzw. Aliso = Alsum = Alsheim = Elsen (Giefers 1847 und 1856, 3–6); Alme = Alisa = Eller = Erle: „Zur Römerzeit also trug der heutige Hauptfluß ‚Alme‘ vermutlich den alten Namen ‚Alisa‘ des heutigen Nebenflusses ‚Eller‘ = ‚Erle‘. Die Römerbauten ihr Kastell am Fluß der ‚Erlen‘ = ‚Aliso‘. Das Kastell war das ’Erlen-Kastell’“ (Bökemeier 2004, 105); Aza/Asna/Ase/Artzene/ Arsene/Oersen/Oisone/Barsen/Barssen/Bersen/Bersna/Bersene/Byr sen/Bartzen/Berzen/Assen/Aisse/Aysen etc. = Ahse = Aliso (Essellen 1857, 44–46, der meint damit einen „diplomatischen“ Identitätsnachweis erbracht zu haben266); Idistaviso = „Wiesfläche“ (Barth 1841, 488 f.); Idistaviso = Eidista-wiso, d. h. eine Wiese nahe der Eidista-berge beim Ort Eisenbergen (Knoke 1922, 427–429); Idistaviso mit Id (siehe Ith) = Felsen + staviso = Stauwiese, ergo: „Felsenstauwiese“ (Kreye 1930, 58); Idisiaviso = „Elfenwiese“ (John 1951 wie schon andere mit Bezug auf Jacob Grimm 1875); Mattium = Maden, Mattium = Metze, Varenholz = Varuswald (Fein 1750a–b) etc. p. p. Wirkliche sprachwissenschaftliche Kenntnisse und eigene diesbezügliche Forschungen sind hierbei (fast schon absolut) seltene Ausnahmen. In der überwiegenden Mehrzahl setzt man sich mit subjektiven Empfindungen, Mutmaßungen („IULIA ist ziemlich übereinstimmend mit LUPIA, keineswegs mit LUPPIA“ – Essellen 1857, 50), willkürlichen Spekulationen, laienhaft-naiven Namensableitungen (siehe z. B. o. Knoke 1922) und Vereinnahmung fremder Ideen unbedenklich über alle Barrieren historischer Überlieferungs-Möglichkeiten und Unmöglichkeiten hinweg. Die durchweg bröckeligen Thesen sucht man mit allerlei herbeigezogenen Hinweisen zu untermauern, seien es Geländestrukturen, alte Plätze, Burgen, Landwehren, normale Fotos (1997 sogar vom „Schutzgraben des
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aestuaria. Weitere (bibliographisch höchst unzureichend angeführte und daher wohl irgendwo abgeschriebene) Literatur dazu bei Norkus 1953, 4 f. (siehe oben Anm. 112; 152). Zur weitverbreiteten Ansicht, Amisia hier als Ortsbezeichnung zu verstehen, siehe oben Teil 4.4. Zu danken ist ihm für die große Mühe der Recherche insofern, als diese seitenweise Auflistung zeitweise verbürgter Namensformen für ein und dasselbe Nebenflüsschen der Lippe alle jene „einfachen“ lokalistischen Ansätze angeblicher Namensidentität konterkarieren, die sich aus der Überlieferungsfülle nur auf einen, insbesondere den gegenwärtigen Namen stützen.
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Vorkastells“ Aliso: Bökemeier 2004, 109267), Luftbilder – neuerdings auch Satellitenbilder aller Art (einschließlich russischer) unter anderem von angeblichen römischen Lagern und vermeintlichen Gutshöfen im Weserbergland,268 vielfach angebliche, anonyme oder verschollene archäologische Funde aller Art (siehe unten) oder in Urkunden des 11. bis 16. Jahrhunderts enthaltene Namen (u. a. Essellen 1857), selbst wenn so bezeichnete Lokalitäten weit entfernt sind oder sich gar nicht genauer kartieren lassen. 7. Archäologische Funde, dafür Ausgegebenes und mehr oder weniger willkürliche Deutung bilden die zentralen Ansatzpunkte dieser Gruppe, in der jeder neue römerzeitliche Fund oder Befund mit gesicherter oder vermeintlich passender Zeitstellung (Haltern; Arnsberger Wald; Leese; Kneblinghausen; Kalkriese; Waldgirmes, Alteburg bei Oberbrechen; Niederweimar; Nordsaline Bad Nauheim269 etc.) zu neuen Rekonstruktionen führen konnte und kann. Alles wird hierbei verwertet: Neuzeitliche Landwehren bei Leese, mittelalterliche und frühneuzeitliche Landwehren im Lippischen Wald angesehen als germanische Sperrwälle, karolingische Burgen, Wälle und Bodenformationen jeder Art, angebliche Gräber oder Grabhügel, Steinpackungen oder -haufen, Münzfunde, „alte Hufeisen“ bzw. „Hufeisenreste mit antiken Formen“, Sandalen-, Wagen-, Kopf- oder Reibnägel, Riemenhaken, Knochen, Glasaugen u. v. a. m.270 Auf der Basis des solcherart alten oder neu erworbenen, scheinbar sicheren ’archäologischen’ Wissens zog man in 267
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Das Foto Bökemeier 2004, 111, Abb. 54. Siehe zu dieser von Bökemeier im Jahre 2000 noch massiv vertretenen These Kehne 2008c, 250. Bökemeier 2004, 81–97 (Geländestrukturen inkl. angeblich noch sichtbarer römischer Gräben), 208–225 (postulierte röm. Lager); 230–233 (vermeintliche röm. Gutshöfe). Wie unsicher hier die Fakten sind, zeigt schon, dass für einige Archäolog(in)en mit ungefähren Daten für 43 v., 6 v. und 87 n. Chr. gleich eine durchgehende Benutzung der dortigen Salinen belegt ist. Neues Sammelbecken für derartige Theorien von Lokalisten, Sondengängern, Raubgräbern wie W. Winkels und R. Bökemeier (der, Bökemeier 2004, 157, eine seiner erfolgreichen Raubgrabungen beschrieb) ist – neben dem Internet (siehe zur dortigen Selbstdarstellung von Schatzsuchern u. a. die vom Nds. Heimatbund e. V. publizierte Zeitschr. Niedersachsen Spezial 3 (2016): Amateur-Archäologie (2016) 25–27) – der vom Nds. Landesamt für Denkmalpflege (NLD) betreute und dessen Mitarbeiter Wilhelm Gebers geleitete „Freundeskreis für Archäologie in Niedersachsen e. V., F.A.N.“, der raubgräberischen Tätigkeiten inzw. einen wissenschaftlichen Anstrich gibt. In der Vereinspostille „Fan Post“ 2016, 6 posiert Heinz-Dieter Freese sogar als Luftbild-Endecker (2014) des römischen Marschlagers bei Wilkenburg, Stadt Hemmingen: „Bei der Jahreshauptversammlung des FAN am 15. März [2015] wurde das Geheimnis […] endlich gelüftet, und ich übergab das Römerlager für weitere Nachforschungen an das NLD und
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hermeneutischen Zirkeln schon immer falsche Schlüsse. Erich Koestermann bot dafür zum Angrivarierwall geradezu ein zeitloses Versatzstück: „Da wir hier einmal in der glücklichen Lage sind, die Lokalität mit Sicherheit festlegen zu können, muß es sich erweisen, was der taciteische Bericht wert ist.“271 Man braucht stattdessen nur „Dios“ einzusetzen, um das Problem zu kennzeichnen, das bis vor kurzem noch in Kalkriese die Deutung eigener Befunde beherrschte. 8. Strategische, operative oder taktische Überlegungen liegen den Rekonstruktionen aller drei hier ermittelbaren Untergruppen zugrunde, von denen sich die erste aus echten Militärstrategen wie Schmidt 1859; von Abendroth 1862; von Koeckeritz 1862; von Stamford 1890 & 1892; Dahm 1902; Delbrück 1921; Schaumann 1914 u. a. zusammensetzt. Die zweite umfasst ehemalige Berufsmilitärs ohne weitergehende strategische Ausbildung wie u. a. Norkus 1953 & 1963, Schöning 1963 und Hölzermann 1878, der seit den 1860er Jahren mit höherer Erlaubnis die erste systematische und bildlich dokumentierte Landesaufnahme zu römischen Straßen und Militärplätzen in Germanien bis 1870 fortsetzte.272 Das Hauptmanko derartiger Ansätze ist, dass der militärische Laie nur unzureichend die Sichtweise eines römischen Generals einnehmen kann, während moderne militärische Sachverständige fast immer Laien auf dem Gebiet antiker Verhältnisse und der Auslegung antiker Quellen sind. Die dritte Untergruppe bilden sog. Sesselstrategen und sonstige (nicht nur nach Meinung des Verfassers) militärhistorische Laien, egal ob sie wie Werner Eck, Gustav Adolf Lehmann oder Rainer Wiegels aus althistorischen oder aus archäologischen Kreisen stammen wie alle in Kalkriese, Hedemünden und am Harzhorn tätigen Ausgräber/innen. Dass dieses in früheren Jahrhunderten nicht anders war, mag – um im obigen Beispielskreis zu bleiben
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symbolisch an die Römer-AG im FAN.“ Dass diese angebliche Entdeckung auf Luftbildern von Otto Braasch aus den Jahren 1990–1992 beruht, wurde dort ebs. erwähnt wie „eine Ortsbegehung in den 90er Jahren“ – nur dass die von Horst Callies und dem Verfasser vertretene Alte Geschichte der Universität Hannover 1991–1993 nicht nur dieselben Luftbilder positiv begutachtete, mit dem damaligen Bezirksarchäologen Erhard Cosack zweimal vor Ort war und dieser sogar zwei (leider befundlose) Suchschnitte durch die im Luftbild deutlich erkennbaren Grabenlinien gelegt hatte, blieb bei Freeses „Entdeckerfreuden“ merkwürdigerweise unerwähnt. Nicht nur „Literaturstudium schütz vor Neuentdeckungen“ (Hermann Heimpel), sondern auch gründliche Recherche. Koestermann 1957, 462 Anm. 74a. Wiederabdruck seiner „Uebersichts Karte der Römischen und Germanischen Straßen und Lager an der Lippe“ bei Bökemeier 2004, 12–13; vgl. 66 ff.
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– das Urteil des seinerzeit hoch angesehenen, aber für die fatale Fehldatierung der Leese-Befunde273 mitverantwortlichen Archäologen Carl Schuchhardt zur taciteischen Schilderung der Idisiaviso-Schlacht zeigen: Was selbst für gestandene Philologen „nur schwer zu enträtseln ist,“274 und was neuzeitliche Militärhistoriker aus der taciteischen Darstellung nicht rekonstruieren können, hielt er für eine „ungemein anschauliche Schilderung der Aufstellung des Gegners und des Verlaufs der Schlacht, was auf gute Überlieferung schließen läßt.“275 Kein Wunder! Schon 1857 lobte der Lokalist und Tacitus-Apologet Wilhelm Bessell diese – obwohl er prinzipiell Tacitus’ Mangel an geographischer Anschauung erkannte – geradezu panegyrisch. Seine explizit als „historische“ betitelte „Untersuchung“ sollte nämlich „dazu dienen, die Genauigkeit der Taciteischen Darstellung auch hier in Anerkennung zu bringen.“276 So scheiden sich immer wieder die Geister zwischen nüchterner Quellenkritik, fachmilitärischer Analyse, laienhafter militärischer Auffassung und dem verklärtem Blick des Textgläubigen – insbesondere wenn er sich auch noch archäologischer Befunde bedient. Urteile echter Strategen werden gerne immer dann herangezogen, wenn sie der eigenen These nützlich sind; aber verschwiegen, sollte sich dieselbe Kapazität zu Meinungen oder Befunden anders geäußert haben. Inzwischen gibt es so viele Meinungen oder Rekonstruktionsversuche militärischer Experten, dass für jede Hypothese etwas dabei ist, wenn man in älterer Literatur nur lange genug sucht. 9. In die Rubrik Sonstiges fallen u. a. Analogiebildungen wie die Rekonstruktion der Römerfeldzüge augusteisch-tiberischer Zeit nach den Sachsenkriegen Karls des Großen.277 Vergleiche dieser Art sind allerdings wenig hilfreich, weil zum einen deren Quellenlage ebenso problembehaftet und damit nicht viel besser ist; zum anderen, weil man damals (auch) andere Trassen nutzte als die Römer – jedenfalls nachweislich nicht die entlang der Lippe, die die Römer aus logistischen Gründen bevorzugten.278 273 274 275 276
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Siehe oben Anm. 220–223 ausführlich zu Bersu et al. 1926 und Koepp 1927/1940, 37–40. Koestermann 1957, 456 ff. Schuchhardt 1926, 128. W. Bessell, Die Schlacht am Lokkumer Berge im Jahre 16 n. Chr. Geb. Eine historische Untersuchung, Göttingen 1857, 8. Siehe u. a. Schuchhardt 1926, 124–126. Vgl. dazu die einschlägige Literatur von Soekeland 1825 bis Krüger 1932 sowie Schilp, in Meineke/Schilp 1999, 316. Zu Vormarschtrassen prinzipiell Kehne 2008a.
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10. Einige nützliche Forschungsberichte existieren zur Schlacht im Teutoburger Wald und zur Varuskatastrophe, worin eine Vielzahl von Positionen und Argumenten zu auch hier relevanten Sachverhalten erfasst sind (u. a. Lüttgert 1873; Wilisch 1909; Henke/Lehmann 1910; Koepp 1925; Kolbe 1932; Timpe 2012; ferner einige Bibliographien in Gardthausen 1904, Koepp 1940, 85–109 von E. Thurmann, der Bibliotheca Lippiaca, in: Dahlmann/Waitz, Quellenkunde zur deutschen Geschichte, z. B. von 1894, 1919, 1932 etc.). Das gilt besonders für die Lokalisierung bzw. Identifizierung von Aliso und die Verortung der clades Variana, die weit genauer als aus Cassius Dio aus Tacitus’ Bericht über Germanicus’ Sommerfeldzug des Jahres 15 n. Chr. vorzunehmen ist. Bibliographien und Forschungsberichte zu Tacitus sind zahlreich (eine ausführliche Übersicht bei Suerbaum 1990, 1042–1049, ergänzt durch Benario 1995 - 1996 und 2004 - 2005), jedoch ist die Literatur noch weit umfangreicher als die zur Varusschlacht. Wenn einigermaßen gleichberechtigt topographische Ansätze, Lesarten von Quellentexten, archäologische Funde, namenkundliche oder strategische Überlegungen zu primären Ausgangspunkten neuer Theorien werden, ergeben sich zudem zahlreiche Überschneidungen und Mischformen.
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Tacitus’ rhetorisch-dramatische Darstellungsabsicht
Woodman, A. J. (Hrsg.), Tacitus, The Annals. Translated, with Introduction and Notes, Indianapolis – Cambridge 2004, ND Cambridge 2008. Woodman, A. J., Readers and Reception: A Text Case, in: J. Marincola (Hrsg.), A Companion to Greek and Roman Historiography Bd. 1, Oxford 2007, ND Oxford 2011, 133-144. Woodman A. J. (Hrsg.), The Cambridge Companion to Tacitus, Cambridge 2009. Zelle, M. (Hrsg.), Terra incognita? Die nördlichen Mittelgebirge im Spannungsfeld römischer und germanischer Politik um Christi Geburt, Mainz 2008.
„Niemand stirbt so kunstvoll“: Der Tod des Germanicus Florian Krüpe
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Trauerhysterie
Sollte die Szenerie viele Jahre später von Tacitus halbwegs authentisch wiedergegeben sein1 und stellt man sie sich vor dem geistigen Auge vor, ist sie ungemein beeindruckend: Tausende von Menschen eilen nach Brindisi, auf die bloße Nachricht hin, in Kürze werde Agrippina mit den sterblichen Überresten ihres Mannes italischen Boden betreten. Sie klettern auf die höchsten Punkte der Stadt, bevölkern den Strand, warten auf die Schiffe. Schweigend, trauernd.2 Die Meinungen gehen auseinander, wie man der Witwe gegenübertreten soll. Als die Schiffe anlanden und Agrippina mit ihren Kindern Iulia und Caligula3 von Bord geht, die Urne mit der Asche des Germanicus unter dem Arm, da erschallt unisono ein lauter Klageruf als Ausdruck kollektiver Trauer. Es ist die Wucht dieser tausendfachen Empathie, die in der Vergangenheit schon Maler wie Benjamin West (1738–1820) beeindruckt hat.4
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Für redaktionelle Arbeiten und ihr kritisches Korrektorat danke ich herzlich Fyona Fugensi (Marburg), für Literaturrecherchen vielfältiger Natur und die Erstellung der Karte (Abb. 2) ebenso herzlich Falk Ruttloh (Kassel). Immerhin beruft er sich auf Zeitzeugenberichte; deutlich vor allem an der Wendung (Tac. ann. 3,16,1): „doch durfte ich nicht verschweigen, was von Leuten erzählt worden ist, die bis zu meiner Jugendzeit gelebt haben“ (neque tamen occulere debui narratum ab iis qui nostram ad iuventam duraverunt). Dando-Collins 2008, 27: „[…] almost as if it would have been sacrilegious to speak.“ Dando-Collins (Dando-Collins 2008, 28) bestreitet die Anwesenheit von Caligula, da dieser nicht in Syrien gewesen sei. Bei dem bei Tacitus erwähnten zweiten Kind habe es sich daher um Drusilla gehandelt. Sueton (Cal. 2,2) und Tacitus (ann. 3,1,4) belegen jedoch seine Präsenz bei der Landung in Brindisi, es gibt wenig Grund, ihnen an dieser Stelle zu misstrauen. Das eine schließt das andere im Übrigen nicht aus, eine Familienzusammenführung im Kontext des Zwischenhalts auf Korfu ist nur eine von mehreren denkbaren Möglichkeiten. Es gilt als sein erstes ‚echtes‘ historisches Gemälde und Auftragsarbeit von Robert Hay Drummond, dem Erzbischof von York. Vgl. zu Motivwahl und potentiellen ‚Botschaften‘: Prown 1996, 39–41; Duffy 1995, 212; Caffey 2008, 135–138: „In the Herculean calculus of territorial conquest, Germanicus and Agrippina stood for imperial virtuousness and Tiberius and Piso for imperial viciousness. Some exhibition viewers might have
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Nicht ohne Grund spricht Werner Eck angesichts dieser Schilderungen von einer „Trauerhysterie“, die weite Teile Italiens und vor allem die Hauptstadt ergriffen habe – und zieht einen Vergleich mit den Ereignissen rund um den Tod von Lady Diana rund 2.000 Jahre später.5 Schon lange vor Eintreffen der sterblichen Überreste des Germanicus war Rom in kollektiver Trauer versunken. Die Gerüchteküche brodelte. Als sich dann die Nachricht über sein Ableben verbreitete und noch bevor Staatstrauer angeordnet wurde, schlossen die Gerichte, leerten sich die Märkte, man verriegelte die Haustüren und gab sich der Trauer hin – so zumindest Tacitus: „Allenthalben herrschte trauervolle Stille, nichts galt nur dem äußeren Scheine; kam die Trauer auch offen zum Ausdruck, so war doch der innere Schmerz noch größer.“6
Abb. 1: Benjamin West, Agrippina landing at Brundisium with the Ashes of Germanicus, 164 × 240 cm; Oil on canvas, c. 1768. Courtesy of the Yale University Art Gallery.
Das Kaiserhaus gab seinem prominenten Sohn zwar ein hochoffizielles letztes Geleit, übte sich jedoch in Person seiner höchsten Repräsentanten in ‚vornehmer Zurückhaltung‘:
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recognized themselves in the heroism of Germanicus and the filial devotion of Agrippina as they came to terms with their own modern British imperial identities.“ Eck 2015, 74–75: „Das sind sicherlich nur kärgliche Überreste dessen, was einst in einer Welle der Trauer über das Imperium dahingerollt war. Es war eine Emotion, manchmal auch Hysterie, die vielleicht mit der verglichen werden kann, die beim Tod von Lady Diana im Jahre 1997 nicht nur England erfasst hatte.“ Tac. ann. 2,82,2.
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„Der Kaiser hatte zwei prätorische Kohorten abgesandt und Befehl gegeben, es sollten die Behörden Calabriens, Apuliens und Campaniens dem Andenken seines Sohnes die letzten Ehren erweisen. So wurde denn die Aschenurne auf den Schultern von Tribunen und Centurionen getragen. Den Anfang des Zuges machten die Feldzeichen, aber ohne Schmuck, und die Fasces, aber zur Erde gekehrt. In den Städten, durch die man kam, stand das Volk in Trauerkleidung, die Ritter im Staatskleid, und je nach der Wohlhabenheit des Ortes verbrannte man (kostbare) Gewandstoffe, Wohlgerüche und was sonst bei Leichenbegängnissen üblich ist. Auch Leute, deren Städte ganz abseits lagen, eilten dennoch herbei, weihten den Manen des Verstorbenen Opfertiere und Altäre und bekundeten ihren Schmerz durch Tränen und Klagerufe. Drusus kam dem Zuge bis nach Tarracina entgegen, begleitet von Germanicus’ Bruder Claudius und von den Kindern des Germanicus, soweit sie in Rom geblieben waren. Die Konsuln M. Valerius und M. Aurelius […] der Senat und eine große Volksmenge füllte die Heeresstraße. Man stand ganz ordnungslos durcheinander und weinte, wie es jedem ums Herz war. […]“7
Gründe und Wucht dieser kollektiven Trauerhysterie lassen sich vielleicht dann nachempfinden, wenn man sich die Popularität des Germanicus vor Augen führt: Er war der Liebling der Massen, Hoffnungs- und Sympathieträger, Erfolgsgarant8 und Antithese zum manchmal etwas spröden Tiberius, zum „traurigen Kaiser“ wie ihn Zvi Yavetz einst titulierte.9 Just dieser Gegensatz ist auch bei Tacitus auffällig: Nur zwei Jahre vor diesen traurigen Ereignissen hatten Germanicus Tausende entlang der Straßen der urbs aeterna anlässlich seines Triumphes „über die Cherusker, Chatten und Angrivarier sowie über die anderen Volksstämme, die im Gebiet bis zur Elbe wohnen“10 zugejubelt. Jetzt erfolgte quasi eine Prozessionsumkehr, war doch das funus publicum quasi eine umgedrehte pompa
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Tac. ann. 3,2,1–3: miserat duas praetorias cohortes Caesar, addito ut magistratus Calabriae Apulique et Campani suprema erga memoriam filii sui munia fungerentur. igitur tribunorum centurionumque umeris cineres portabantur; praecedebant incompta signa, versi fasces; atque ubi colonias transgrederentur, atrata plebes, trabeati equites pro opibus loci vestem odores aliaque funerum sollemnia cremabant. etiam quorum diversa oppida, tarnen obvii et victimas atque aras dis Manibus statuentes lacrimis et conclamationibus dolorem testabantur. Drusus Tarracinam progressus est cum Claudio fratre liberisque Germanici, qui in urbe fuerant. consules M. Valerius et Μ. Aurelius – iam enim magistratum occeperant – et senatus ac magna pars populi viam complevere, disiecti et ut cuique libitum flentes. Bartels 2009, 2: „Entsprechend zogen die jungen männlichen Angehörigen des Kaiserhauses in besonderem Maße die Zuneigung vieler Untertanen, aber auch karriereorientierte Intrigen und verdeckte Ablehnung einflußreicher Senatoren auf sich.“ Yavetz 1999. Bei Tacitus wird dieser Gegensatz deutlich herausgehoben (Tac. ann. 2,43,5): „Tiberius begünstigte als den Abkömmling seines eigenen Blutes Drusus; dem Germanicus hatte die Abneigung des Onkels eine noch größere Liebe seitens der übrigen verschafft […].“ – Tiberius ut proprium et sui sanguinis Drusum fovebat; Germanico alienatio patrui amorem apud ceteros auxerat […]. Tac. ann. 2,41,2: […] de Cheruscis Chattisque et Angrivariis quaeque aliae nationes usque ad Albim colunt […].
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triumphalis.11 Um die Bedeutung des Verstorbenen noch weiter auf die Spitze zu treiben, packt Tacitus all diese Facetten in einen bemerkenswerten diachronen historischen Vergleich: „Auch gab es Leute, die sein Äußeres, sein Alter, seine Todesart, auch wegen der Nähe der Orte, in denen beide starben, mit des großen Alexander Lebensgeschick verglichen. Denn beide, von schöner Gestalt und hervorragender Abkunft, nicht viel mehr als dreißig Jahre alt, hätten durch einen Anschlag der eigenen Leute unter fremden Völkern den Tod gefunden […].“12
Untersucht man die Wendungen, die Tacitus zur Beschreibung des jungen Mannes einsetzt, wird die Besonderheit der Stellung des Germanicus deutlich, greift der Historiker doch zum Standardrepertoire zur Klassifizierung eines optimus princeps: voller pietas, pflichtbewusst, vorausschauend, bescheiden, freigiebig, klug, voller clementia, stets siegreich, kümmert sich um die Nöte seiner Leute, gehorsam gegenüber dem Kaiser, etc. 13 In diesen Duktus stimmt auch Sueton ein, der ihm körperliche und geistige Vorzüge in einem Maße attestiert, wie sie niemand vor ihm gehabt habe.14 In diesen fein nuancierten und an gleich mehreren Stellen dezidiert eingesetzten Lamenti wird deutlich, dass der Verstorbene nicht nur als Mitglied einer (zugegeben prominenten) Familie verstanden wurde, sondern als Mitglied des
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Der Triumphzug beginnt auf dem Marsfeld und zieht dann über die großen Foren, um schließlich auf dem Capitol zu enden, der Leichenzug nimmt mit Ausnahme des Capitols die umgekehrte Route. In seiner Trostschrift an Marcia betont Seneca diese Ähnlichkeit, wenn er die pompa des Drusus schildert und sie als „einem Triumph sehr ähnlich“ beschreibt (Sen. dial. 6,3,1 [Cons. ad Marc.]). Vgl. auch Wesch-Klein 1993, 21 f.; Arce 1988, 20–21; 35–59, der beide Züge grafisch wie auch deskriptiv gegenüberstellt; sowie grundsätzlich Künzl 1988, 30–44. Tac. ann. 2,73: et erant qui formam aetatem genus mortis, ob propinquitatem etiam locorum in quibus interiit, magni Alexandri fatis adaequarent. nam utrumque corpore decoro, genere insigni, haud multum triginta annos egressum, suorum insidiis externas inter gentes occidisse. pietas: Tac. ann. 2,7,2; 2,49,2; 2,81 – pflichtbewusst: Tac. ann. 2,11,1 – vorausschauend: Tac. ann. 2,14,1 – bescheiden: Tac. ann. 2,22,1; 2,73,2 – freigiebig: Tac. ann. 2,26,1 – klug: Tac. ann. 2,43,1; 2,64,1 – clementia: Tac. ann. 2,55,3; 2,57,2; 2,73,3. Suet. Cal. 3,1.
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Staates, als Mitglied in der Gemeinschaft römischer Bürger, die um diesen Verlust zu trauern hatten.15 Diese Trauer scheint bei Tacitus schrankenlos, allumfassend, bei Sueton sogar ekstatisch16 und beeindruckt in ihren Auswüchsen noch heute. Die Bewohner des Imperium Romanum, damals wohl rund 45 Millionen, werden als im Schmerz vereint dargestellt.17 Der Liebling der Massen wurde posthum mit Ehrungen überhäuft:18 Aufnahme seines Namens in das Salierlied; ein Ehrensessel für ihn auf den Plätzen der Augustalischen Priester, mit Eichenkränzen geschmückt; bei den circensischen Spielen sollte sein Bildnis in Elfenbein dem Zuge vorangetragen werden; kein Flamen oder Augur sollte an Germanicus’ Stelle gewählt werden, wenn er nicht dem iulischen Geschlecht entstamme; Triumphbögen in Rom, am Rheinufer und auf dem Amanusgebirge in Syrien sollten errichtet werden mit Inschriften, die seine Taten und seinen für den Staat erlittenen Tod verkündeten. In Antiochia sollte ein Grabmal errichtet werden, in Epidaphne ein Trauermonument. Ferner wurde die Errichtung unzähliger Ehrenstatuen beantragt, die Anlage dezidierter Erinnerungsorte, sowie die Anbringung eines goldenen Ehrenschildes in der Galerie berühmter Redner. Die Sitzreihe der Ritter im Theater sollte fortan den Namen des Germanicus tragen. Die uns dies alles berichtende Tabula Siarensis nennt 285 Anwesende bei der Abstimmung über diese Fülle von Ehrungen.19 Wie lange sie Bestand hatten, wissen wir nicht. Tacitus bilanziert rund drei Generationen später recht vage: „Vieles davon hat sich erhalten, manches verschwand sehr bald oder geriet im Laufe der Zeit in Vergessenheit.“20
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So auch Schoen 1998, 266. Deutlich wird dies in der bekannten Schilderung eines stadtrömischen Begräbnisses bei Polybios (6,53,3): „Das hat zur Folge, daß die Menge, die an die Taten erinnert wird und sie gleichsam vor Augen gestellt bekommt, […] so sehr in einen Zustand des Mitgefühls versetzt wird, daß der Verlust nicht nur eine Sache der trauernden Angehörigen zu sein, sondern das ganze Volk zu betreffen scheint.“ (Übers. nach Kierdorf 1980, 1–2). Text wie folgt: δι’ ὧν συμβαίνει τοὺς πολλοὺς ἀναμιμνησκομένους καὶ λαμβάνοντας ὑπὸ τὴν ὄψιν τὰ γεγονότα, μὴ μόνον τοὺς κεκοινωνηκότας τῶν ἔργων, ἀλλὰ καὶ τοὺς ἐκτός, ἐπὶ τοσοῦτον γίνεσθαι συμπαθεῖς ὥστε μὴ τῶν κηδευόντων ἴδιον, ἀλλὰ κοινὸν τοῦ δήμου φαίνεσθαι τὸ σύμπτωμα. Angeblich wurden sogar Altäre umgestürzt, Laren auf die Straßen geworfen, am Tag seines Todes geborene Kinder ausgesetzt, etc. (Suet. Cal. 5). Selbst die Feinde der Römer hätten ihren Respekt erwiesen, die Kämpfe eingestellt und ihre Trauer bekundet. So schreibt Werner Eck: „Überall dort, wo Römer lebten, sollte die Welt für einen Tag still stehen.“ (Eck 2015, 75). Tac. ann. 2,83,1–3; Tab. Siar. 9–21. Tab. Siar. 2,31. Tac. ann. 2,83,4: Pleraque manent: quaedam statim omissa sunt aut vetustas oblitteravit. Vgl. dazu Lebek 1988, passim; Lebek 1989, passim; Guilhembet 2013, passim; zuletzt auch Dreyer 2009, 152 ff. mit einer Übersicht über die einzelnen Ehrungen.
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Für Tiberius wurde der Umgang mit dem gärenden Zorn der Menschen21 und ihrer Frage nach dem „Wer und Warum?“, der Trauer und der gebotenen Pietät zu einer essentiellen Frage. Er stand unter Beobachtung22 und reagierte … unglücklich. Tacitus berichtet von einem Edikt, mit dem der princeps Schmerz und Trauer habe kanalisieren und eindämmen wollen und das in seiner Zusammenfassung so klingt, als hätte er es im Wortlaut vorliegen gehabt.23 Darin mahnte Tiberius eine ‚Rückkehr zur Normalität‘ an und erklärte die Trauerzeit kurzerhand für beendet – ob er damit erfolgreich war, sei hier dahingestellt und später nochmals untersucht.24 Für die Feindatierung spielt es eine nicht unerhebliche Rolle.
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Rückblende: Tod und Begräbnis
Wir springen in der Chronologie der Ereignisse einige Monate zurück. Tacitus leitet die Schilderungen vom Tod des Germanicus mit den literarisch fast üblichen Preliminarien ein, in diesem Fall einem Spruch des Apollon-Orakels in Klaros, in dem der lokale Priester in Versform und in dunklen Andeutungen dem 21
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Lt. Sueton habe man sogar Graffiti an öffentliche Gebäude angebracht und wiederholt nachts gebrüllt „Redde Germanicum!“ (Suet. Tib. 52,3). Tac. ann. 3,12,1. Tac. ann. 3,6,1–3: „[…] daß viele erlauchte Römer im Dienste des Staates den Tod gefunden hätten, keiner aber mit so heißer Sehnsucht verherrlicht worden sei. Dies sei für ihn persönlich wie für alle ehrenvoll, wenn man Maß zu halten wisse. Denn nicht das gleiche sei führenden Persönlichkeiten und einem Herrschervolk angemessen wie gewöhnlichen Familien oder Gemeinden. Angestanden hätten dem frischen Schmerz die Trauer und die Trostmittel, die man aus der Trauer schöpfe; aber jetzt müsse man zurückfinden zu einer festen Haltung, wie einst der göttliche Iulius nach dem Verlust seiner einzigen Tochter, wie der göttliche Augustus, als ihm seine Enkel entrissen wurden, ihre Trauer für sich behalten hätten. Man brauche keine Beispiele aus älterer Zeit, um zu zeigen, wie oft das römische Volk die Niederlagen seiner Heere, den Tod seiner Feldherrn, den völligen Untergang adliger Geschlechter standhaft aufgenommen habe. Auch Männer in höchster Stellung seien sterblich, das Staatswesen ewig. Darum sollten sie ihrer gewohnten Tätigkeit wieder nachgehen und, da ja die Schaustellung der Megalesischen Spiele bevorstand, sich auch Vergnügungen wieder zuwenden.“ – […] monuit edicto multos inlustrium Romanorum ob rem publicam obisse, neminem tam flagranti desiderio celebratum. idque et sibi et cunctis egregium si modus adiceretur. non enim eadem decora principibus viris et imperatori popolo quae modicis domibus aut civitatibus. convenisse recenti dolori luctum et ex maerore solacia; sed referendum iam animum ad firmitudinem, ut quondam divus Iulius amissa unica filia, ut divus Augustus ereptis nepotibus abstruserint tristitiam. nil opus vetustioribus exemplis, quotiens populus Romanus cladis exercituum, interitum ducum, funditus amissas nobilis familias constanter tulerit. principes mortalis, rem publicam aeternam esse. proin repeterent sollemnia, et quia ludorum Megalesium spectaculum suberat, etiam voluptates resumerent. Sueton (Cal. 6,2) verneint dies.
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jungen Mann einen frühen Tod geweissagt habe.25 Auf Basis der uns vorliegenden Quellen starb der ‚Putativ-Thronfolger‘ am 10. Oktober 19 n. Chr. in Daphne bei Antiochia26 nach einer „wilden und heftigen Krankheit“, von der er sich zwischenzeitlich aber immer wieder erholt habe.27 Noch auf dem Totenbett soll er Piso des Mordes an ihm beschuldigt haben – ein wichtiges Detail, das durch die Erwähnung im senatusconsultum im Kontext einer förmlichen renuntiatio amicitiae verifiziert erscheint, auch bei Tacitus Erwähnung findet und damit den Rang eines „historischen Faktums“ erhält.28 Bei Tacitus gipfelt das Ganze in einer wüsten Passage, in der er behauptet, man habe zahlreiche Verwünschungen und Todesflüche nachweisen können: „[…] und wirklich fanden sich, aus dem Fußboden und den Wänden herausgeholt, menschliche Leichenreste, Zaubersprüche mit Verwünschungen sowie der Name Germanicus, auf Bleitäfelchen eingeritzt, Asche halbverbrannter Körperteile, mit Jauche beschmiert, und andere Zaubermittel, durch die nach allgemeinem Glauben Seelen den Göttern der Unterwelt geweiht werden.“29
Über die eigentliche Todesursache ist vielfältig diskutiert, vor allem aber spekuliert worden, wobei sich moderne Historiker dahingehend einig sind, dass ohne ärztliches Bulletin, Zeugenaussagen und Obduktionsbericht verifizierte Erklärungen eigentlich kaum möglich sind. Dennoch wurde es versucht: Lindsay Powell30 lotet auf Basis der lediglich drei (!) diesbezüglich belastbare(re)n Hinweise eine ganze Palette von Möglichkeiten aus: Typhus, Influenza, Malaria, West-Nil-Fieber, Pneumonie, COPD und Embolien ebenso wie eine falsche Medikamentierung – oder eben eine Vergiftung. Letztere wird von Tacitus bezweifelt,31 Plinius der Ältere hingegen weiß davon zu berichten, dass das Herz 25 26 27 28
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Tac. ann. 2,54,2–3. Tab. Siar. 2,1,1–2; Tab. Hebana, Z. 57. Tac. ann. 2,69,3. s.c. Z. 27–29; so auch Tac. ann. 2,70,2. Eine Einschätzung, die nach Allan Lund durchaus einer tatsächlichen Selbsteinschätzung Germanicus’ entsprungen sein könnte (Lund 2009, 174) und dem Selbstverständnis der Römer entsprach: „[…] wie die Taciteische Darstellung von Germanicus’ Krankheit und Tod zeigt, war die (nach modernen Begriffen) abergläubische Auffassung weit verbreitet unter allen Angehörigen der römischen Gesellschaft – von oben nach unten –, dass plötzliche Unglücksfälle und Krankheiten auf einen Fluch (carmen magicum) bzw. eine Vergiftung (venenum malum bzw. veneficium) zurückzuführen seien, was auf dasselbe hinausläuft. Schon aus diesen knappen Vorbemerkungen leuchtet ein, dass die Überzeugung des erkrankten Germanicus, seine Krankheit sei durch magische Flüche verursacht, an sich nichts Außergewöhnliches ist […].“ Tac. ann. 2,69,3: et reperiebantur solo ac parietibus erutae humanorum corporum reliquiae, carmina et devotiones et nomen Germanici plumbeis tabulis insculptum, semusti cineres ac tabo obliti aliaque malefica, quis creditur animas numinibus infernis sacrari. Powell 2013, 157 ff. Jede Erwähnung einer Vergiftung steht in indirekter Rede (Tac. ann. 2,69,3; 2,70,1), bei der öffentlichen Aufbahrung fehlten entsprechende Merkmale (Tac. ann. 2,73,4) – obwohl
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des Germanicus die Verbrennung heil überstanden habe. Dies sei ein eindeutiges Zeichen für eine Vergiftung. Für deren Wahrheitsgehalt nennt er als Beleg die Anklage des Vitellius im Verfahren gegen Piso, diese scheint ihm vorgelegen zu haben.32 Sueton nimmt dann eine Generation später entsprechende Berichte als ‚wahr‘ an und weiß von Flecken, Schaum und eben jenem Herzen zu berichten, das die Verbrennung unversehrt überstanden habe – enthält sich jedoch einer eigenen Meinung über die Gründe.33 In der aktuellen Forschung wird eine Vergiftung eher verneint, auch wenn Lund die Möglichkeit nicht ausschließen möchte, dass das Vokabularium des senatusconsultum eine solche explizit miteinschloss.34 Flankiert wird diese geheimnisumflorte Sterbeszene bei Tacitus von einem letzten Monolog, finalen Worten an umstehende Freunde und Ehefrau, letzten rationalen Entscheidungen des Sterbenden – und einem Racheschwur seiner Freunde.35 Eine fast filmreife Szene. Germanicus erhielt lediglich ein einfaches Leichenbegängnis ohne Ahnenbilder und Trauergefolge, was nicht weiter verwunderlich ist, denn er starb nun einmal fern von Rom. Verbrannt wurde er auf dem Forum von Antiochia – nach einer öffentlichen Zurschaustellung, die offenbar Anhängern jedweder Seite die Möglichkeit zur Autopsie geben sollte.36 Während des funus sei lobend seiner virtutes gedacht worden, berichtet Tacitus, weshalb man vielleicht sogar eine förmliche laudatio funebris vor Ort vermuten könnte. Im folgenden Buch seiner Annalen schildert er aber, was das Volk alles bei dem Begräbnis des allseits beliebten Germanicus vermisst habe, und in der Aufzählung erscheinen neben dem
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man explizit danach gesucht habe, seien die Hinweise darauf nicht eindeutig gewesen. Vgl. Lund 2009, 178–179. Plin. nat. 11,187. Suet. Cal. 1,2. Die von ihm verwendeten Verben machen dies deutlich: suspicere, existimare. Lund 2009, 179. Tac. ann. 2,71,4–5. Lund 2009, 177.
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Vorwurf an die Adresse von Tiberius ob seines fehlenden Schmerzes ausdrücklich auch Lobreden.37 In der römischen Öffentlichkeit erregte dieses ‚Setting‘ offensichtlich Anstoß, man befand es, wenn man Tacitus als Wertmaßstab gelten lässt, mit Blick auf die Lichtgestalt Germanicus für zu wenig.38 In Rom wurden dann zwar Gedenkreden durch Tiberius und seinen Sohn Drusus gehalten – übrigens noch bevor Agrippina mit der Urne in Rom eingetroffen war –, jedoch keine Leichenreden.39 Die uns dank eines Bronzefragmentes40 in Teilen erhaltene Gedenkrede des Tiberius vor dem Senat beinhaltete Wirken, Leben und Werk des Adoptivsohnes, die des Drusus sei ein verlesener libellus zu Ehren seines Adoptivbruders gewesen, so Ute Schillinger-Häfele,41 die auf die besondere Konstellation hingewiesen hat: Wie einige Jahre zuvor beim funus des Augustus hielten auch in diesem Fall Vater und Sohn Reden, die durchaus ähnlichen Inhaltes waren. Tiberius sprach die öffentliche Würdigung aus, Drusus hingegen verlas einen libellus als Akt der pietas. Bei diesem ersten imperialen Todesfall nach dem des Augustus habe man sich, so Schillinger-Häfele und Dieter Lebek, also den Ablauf seines Begräbnisses zum Vorbild genommen.42 Zwar ist die Ähnlichkeit frappant, aber als Vorbild kommt das Augustus-Begräbnis nicht in Frage, da in Rom kein funus publicum mehr stattfand, weil man Germanicus ja bereits in Antiochia verbrannt hatte, und dort Reden gehalten worden waren. Das vergleichsweise bescheidene ‚Setting‘ ist also nicht allein auf die fraglos nachweisbare Antipathie des Tiberius gegenüber Germanicus zurückzuführen, ein doppeltes Staatsbegräbnis wäre zu diesem Zeitpunkt der Geschichte des Prinzipats wohl wirklich nicht zu vermitteln gewesen.43 37
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Tac. ann. 3,5,2. Das angebliche – und in der Forschung als solches bezeichnete! – Fragment einer Leichenrede ist aufgrund der Umstände strenggenommen nämlich keines; das muss selbst Ute Schillinger-Häfele (1988, 81) eingestehen und das wird an dem Text des Fragments ganz deutlich (Z. 13–15): „[…] da dies die aufrichtigen Worte des Tiberius Caesar Augustus sind und sie nicht so sehr eine Laudatio auf Germanicus Caesar, seinen Sohn, als vielmehr eine geordnete Darstellung von dessen gesamtem Leben und ein authentisches Zeugnis für seine Virtus enthalten […].“ – […] quod / [cum sermo is Ti.] Caesaris Aug. intumus et Germanici Caesaris f. eius non magis laudatio- / nem quam vitae totius ordinem et virtut eius verum testimonium contineret […]. Tac. ann. 2,73,1; 3,5,1–2: „Freilich habe man seine Leiche wegen der weiten Entfernung im fremden Land, so gut es eben ging, verbrennen müssen: aber umso mehr Ehren ihm nachher zu erweisen wäre angemessen gewesen, als das Geschick sie ihm zu Anfang versagt habe.“ – Sane corpus ob longinquitatem itinerum externis terris quoquo modo crematum: sed tanto plura decora mox tribui par fuisse, quanto prima fors negavisset. Schillinger-Häfele 1988, 79–81; Lebek 1990, 38 ff. Die sog. Tabula Siarensis: Tab. Siar. 2,2,13–19. Schillinger-Häfele 1988, 73 ff.; 80: libellus als Akt der pietas. Schillinger-Häfele 1988, 80–81; Lebek 1990, 38–39. Wesch-Klein 1993, 23 (mit Verweis auf Schillinger-Häfele 1988, 81): „So gesehen bestand gerade in den Augen des übermäßigen Ehrungen und Pompes abgeneigten Tiberius kein Anlaß, nochmals ein vollständiges funus publicum durchzuführen, vielmehr genügte die entsprechende, ehrenvolle Beisetzung im Mausoleum.“
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Moderne Historiker schwanken hier aber zwischen zwei unterschiedlichen Positionen, die einiges über ihr jeweiliges Bild des zweiten princeps verraten: Die einen werfen Tiberius vor, er habe eindeutig darin versagt, eine pompa zu organisieren. Da er aber ohnehin immer übertrieben penibel darauf geachtet habe, den üblichen Rahmen aufrechtzuerhalten, verwundere es nicht, dass er sich an das bei Cicero44 erwähnte Verbot der doppelten Bestattung ein- und derselben Person gehalten habe.45 Drusus dagegen sei erheblich angemessener bestattet worden. Andere hingegen betonen die Umstände des Todes des Germanicus: Da er mehrere hundert Kilometer entfernt verstorben war, sei es unmöglich gewesen, den Körper in die Hauptstadt zurückzuschaffen, woraus sich die logische Konsequenz ergeben habe, ein funus sive imaginibus et pompa außerhalb Roms abzuhalten.46 Wie noch zu zeigen sein wird, ist die Frage nach der Angemessenheit des funus nicht allein eine Frage der Pietät und der Referenz gegenüber früheren ‚Fällen‘, sondern insbesondere eine Frage der politischen Lagebewertung – und der Chronologie.
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Chronologie
Angesichts der nicht gerade wenigen Titel zur Geschichte der frühen Kaiserzeit und der iulisch-claudischen Familie muss es erstaunen, dass die Chronologie der Ereignisse doch relativ wenig hinterfragt wurde, obwohl sie letztlich auf vergleichsweise wenigen und allgemein bekannten Konstanten beruht. Ausgangspunkt aller Überlegungen ist der Tod des Germanicus am 10. Oktober 19 n. Chr. in Antiochia, dem Aufbahrung und Einäscherung vor Ort folgten. Natürlich musste sich dennoch – aus vielfältigen Gründen und Überlegungen – eine Überführung nach Rom anschließen. Der Aufbruch der Trauergemeinde via Schiff dürfte unter diesen Voraussetzungen nicht vor Ende Oktober erfolgt sein. Auf Basis der mittlerweile etablierten Geschwindigkeitstabellen, angesichts einer Zwischenstation auf Korfu und der Weiterfahrt nach Brindisi und damit einer Gesamtstrecke von deutlich über 2.000 km ist mit einer Gesamtreisezeit von rund zwei Wochen zu rechnen, da die Reise erst nach den oben erwähnten rituellen Handlungen angetreten werden 44 45
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Cic. leg. 2,60. Mit Verweis auf Suet. Tib. 18,2; 24,2; 38,2; 47,4; 64,4. Koestermann 1965–1968, 424: „Tacitus berichtet nichts von jenem Akt der Pietät des Tiberius, weil er ihm die ehrende Erwähnung nicht gönnte, obwohl diese geeignet gewesen wäre, die Vorgänge bei der Beisetzung des Germanicus in ein noch unvorteilhafteres Licht zu rücken.“ Siehe auch Furneaux 1956, 399. Ausdruck bei Tac. ann. 2,73,1. Vgl. hierzu Toynbee 1971, 55–59; 46 ff.; Woodman/Martin 1996, 98.
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konnte. Damit wäre Werner Eck in einer seiner älteren Darstellungen zu widersprechen, der davon ausgeht, dass Agrippina „in aller Eile, um den Prozess gegen Piso zu erleben“ aufgebrochen sei,47 denn dieser zeichnete sich noch lange nicht ab und sollte erst viel später beginnen.48 An anderer Stelle49 korrigiert er seine eigene Chronologie auf „Anfang 20“, auch Dando-Collins und Powell vermuten die Ankunft der Trauerflotte für den späten Januar.50 Es spricht jedoch einiges dafür, dass die Witwe schon Ende 19 wieder in Italien war, möglicherweise schon ab Ende November, und man deshalb eine gewisse Bringschuld verspürte den Verstorbenen massiv zu überhöhen. Die Gründe für diese frühe Datierung sind vielfältiger Natur: Am 08.12.19 kam es zu jener Senatssitzung in Rom, in deren Rahmen jene außerordentlichen Ehrungen beschlossen wurden, die oben Erwähnung fanden. Eine Ankunft des toten Germanicus in Italien hätte auf die Entscheidungsträger sicherlich einen enormen öffentlichen Druck ausgeübt, und just dieser steht angesichts der umfänglichen Ehrungen auch zu vermuten. Eine Reise noch später im Jahr, im fortgeschrittenen Winter gar, scheint nahezu ausgeschlossen, zumal sie mit zwei kleinen Kindern an Bord sehr gefährlich gewesen wäre.51 Zudem hätte Agrippina die Kontrolle über das Momentum verschenkt.
Abb. 2: Schematischer Verlauf der Reise der Agrippina; gesicherte Stationen benannt.
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Eck 2015, 75. Nämlich erst rund ein Jahr später (Eck 1996, 150). Eck 2000, 203. Dando-Collins 2008, 25; Powell 2013, XXVII. Gegen Eck 1998, 965 („die Asche brachte Agrippina im Winter 19/20 zu Schiff nach Italien zurück“).
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Was nämlich ferner für die frühe Datierung spricht ist die Persönlichkeit der Witwe. Wir wissen nicht genug über sie, um ihre Position und ihre Ambitionen vollumfänglich einschätzen zu können, aber Tacitus schreibt ihr einen so enormen Rachedurst zu, dass sie trotz „Trauer und Krankheit“ ein Warten vor Ort nicht habe ertragen können und ein Schiff bestiegen habe.52 Dando-Collins attestiert ihr enorme politische Ambitionen.53 Der Zwischenhalt auf Korfu könnte vor diesem Hintergrund gesundheitlichen Umständen54 geschuldet sein – oder politischem Kalkül. Auch tot war Germanicus von enormer Bedeutung, die Erinnerungshoheit wichtig für seine Witwe. Neben den Kindern war die Erinnerung an ihren Mann in den Folgejahren ein wertvolles Faustpfand im politischen Ringen im Hintergrund.55 Wenn Tacitus nicht übertreibt, waren die enormen Gunsterweisungen weiter Teile der Bevölkerung für Agrippina ein echtes Ärgernis für Tiberius,56 der in der Folge aus vermutlich taktischen Überlegungen ein faktisches Heiratsverbot für sie verhängte.57 Wir dürfen vermuten, dass ihr ihre Position durchaus bewusst war, und sie im Rahmen der Möglichkeiten versuchte, diese zu verbessern, wohingegen Tiberius auf vielerlei Weise versuchte, ihre Stellung in der Öffentlichkeit zu desavouieren.58 Mit Blick auf dieses Ringen um die Wucht des Moments, die öffentliche Meinung und die öffentliche Anteilnahme dürfen wir wohl die Präsenz von Witwe, Aschenurne und Kindern in Italien für Anfang Dezember vermuten. Noch ein weiteres Argument spielt eine Rolle in der Frage der Feindatierung: In der Schilderung des Tacitus rücken beide Ereignisse, die Landung der Witwe mit der Asche und die Beisetzung im Mausoleum eng zusammen. Mit Blick auf die Abläufe während des offenbar bewusst so inszenierten Leichenzugs und die Entfernung von mehr als 500 km zwischen Brindisi und Rom spricht jedoch viel dafür, dass die Beisetzung später, frühestens im Januar, spätestens aber im Februar 20 erfolgte.59 In dem bei Tacitus bemühten Vergleich mit dem Begräbnis des Drusus wird ein Vergleich zu einem Begräbnis zur selben Jahreszeit, aber eben 52 53 54
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Tac. ann. 2,75,1: quamquam defessa luctu et corpore aegro. Dando-Collins 2008, 224. Lt. Tac. ann. 3,1,1 „[…] um ihre Fassung wiederzugewinnen, hemmungslos in ihrem Schmerz und unfähig, ihn zu ertragen.“ – conponendo animo; violenta luctu et nescia tolerandi. Dando-Collins (2008, 29) vermutet zu Recht eine bewusste Entscheidung Agrippinas, die deutlich längere Trauerstrecke Brindisi-Rom zu wählen und eben nicht die Anlandung in Ostia. Es war in der Tat ein politisches Statement. Tac. ann. 3,4,2. Tac. ann. 4,53,2. Angeblich, weil er gewusst habe, welche Tragweite (sic!) für den Staat diese Bitte gehabt hätte – eine Information, die Tacitus dezidiert referenziert: nämlich aus den Erinnerungen der jüngeren Agrippina. Tac. ann. 4,12,1. Die Datierung bei Eck 1998, 965 („Im Jan./Feb. 20 wurde G. im Mausoleum Augusti beigesetzt“) wäre somit etwas zu präzisieren, wie er an anderer Stelle (Eck 2015, 77) getan hat; dort jedoch wird das Edikt mit „Anfang April“ m. E. etwas knapp angesetzt, musste es doch kommuniziert werden und Wirkung entfalten können.
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im „tiefsten Winter“ aufgemacht, der vermuten lässt, dass die Wetterlage bei Germanicus’ Begräbnis etwas günstiger war, dennoch mussten zahlreiche Fackeln die Szenerie am Tag des Beisetzung erleuchten.60 Gravierender noch als alle bereits geäußerten mehr oder minder spekulativen Überlegungen ist jedoch, dass wir einen echten terminus post und einen ante quem haben, mit denen wir operieren können: Dem sich aus Brindisi nähernden Trauerzug61 gingen die Konsuln M. Valerius und M. Aurelius bis Tarracina entgegen, schreibt Tacitus – und setzt hinzu, dass diese ihr Amt bereits (sic!) angetreten hatten.62 Dieser Zusatz macht nur dann Sinn, wenn das Jahr gerade erst begonnen hatte. Von Tarracina nach Rom sind es nur rund 90 km, wenn wir also das Eintreffen in Tarracina für Januar konstatieren, scheint eine Beisetzung für spätestens Februar wahrscheinlich und benennt damit den terminus post. Auch der terminus ante ergibt sich aus solchen Überlegungen im Zusammenhang mit einer konkreten Datumsangabe: Unmittelbar nach der Beisetzung im Mausoleum Augusti soll sich Tiberius über das fortdauernde Gerede der Leute so geärgert haben, dass er in einem Edikt kurzerhand ein Ende der Trauerzeit anordnete. Dies sei umso notwendiger als ja nun die Megalesischen Spiele anstünden, die gemeinhin auf Anfang April datiert werden.63 Die richtige Reihung der Ereignisse vorausgesetzt (Tacitus scheint den Text des Edikts offensichtlich zu kennen), würde dies das Eintreffen des Trauerzugs für den Januar vermuten lassen, eine Beisetzung für Februar, dann die Feststellung des fortschreitenden Geredes im März, dann das Edikt.64 Weitere Daten sind unstrittiger, andere dagegen vager: Im Laufe des Jahres 20 wurde der Prozess gegen Piso vorbereitet, der dann offenbar im Oktober/November nach Rom zurückkehrte.65 Eröffnet wurde das Verfahren schließlich Ende November. Anfang Dezember wählte Piso offensichtlich den Freitod, woraufhin am 10. Dezember 20 förmlich das Ende des Prozesses festgestellt und ein Urteil verkündet wurde. Für diese Ereignisse gibt es keine Erwähnung und keinen Hinweis, dass Agrippina noch eine besondere Rolle gespielt hätten, die Rolle des princeps in der Piso-Germanicus-Affäre war weitaus wichtiger, wie noch zu zeigen sein wird. Der Selbstmord Pisos hatte das Thema in bemerkenswerter und für Tiberius günstiger Weise beendet. Er wurde als Schuldeingeständnis 60 61
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Tac. ann. 3,4,1. Falls dies kein dramaturgischer Effekt des Historikers sein sollte. Bartels 2009, 8 vergleicht ihn zu Recht mit den vergleichbaren Zügen für Drusus, Lucius und Gaius Caesar. Tac. ann. 3,2,3. Liv. 29,14,13; Ov. Fast. 4,179–388. Die Fasti Maffeiani, Ostienses, Vaticani und Filocali, ferner auch der Kalender des Polemius Silvius (5. Jh. n. Chr.) nennen einen Zeitraum 4.– 10.4. Vgl. für diesen wichtigen Hinweis Rüpke 1994, 237, der auf die Zusammenstellung dieser Belege bei Degrassi 1937, Inscr. It. 13,2,435 verweist. Dando-Collins (2008, 26–27) vergisst, in seinen Überlegungen die Datierung über die Konsuln, die Wegstrecke, die exzessiven Trauerbekundungen, die vorzubereitende Beisetzung in Rom und die ‚Impact-Dauer‘ des Edikts miteinzukalkulieren. Eck 2015, 77.
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gewertet und beendete vorerst alle Spekulationen um eine kapitale Verschwörung innerhalb der kaiserlichen Familie.66 Das senatusconsultum in Pisonem schuf dann vermeintlich abschließende Fakten, mit dem Ziel Pisos Andenken zu manipulieren und Tiberius und Germanicus von allen eventuellen Vorwürfen zu entlasten. In der Übersicht stellt sich dies dann so dar:
Zeitplan: 10. Oktober 19 n. Chr. danach Frühestens Ende Oktober 19 Tendenziell daher eher Ende November bzw. Anfang Dezember 8. Dezember 19
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Tod des Germanicus Aufbahrung und Verbrennung in Antiochia; bescheidenes Leichenbegängnis; Trauerfrist Aufbruch Agrippina mit Kindern und Urne; zunächst nach Korfu (1.900 km), dann nach Brindisi (281 km): gemäß orbis.stanford.edu für den Herbst kalkuliert: 14 + 2 = 16 Tage Minimum Ankunft Agrippinas in Brindisi (nach einem nicht näher klassifizierten Zwischenstopp auf Korfu) Senatssitzung in Rom; Beschluss zahlreicher Ehrungen Fußweg Brindisi–Rom; unterwegs diverse Opfer und Trauerbekundungen: 539 km, 18–45 Tage = spätestens Ende Januar Ankunft in Rom Beisetzung Erlass des Tiberius („Traueredikt“): verordnetes Ende der Trauerzeit; „die Megalesischen Spiele standen bevor“ (Tac. ann. 3,6,3) 4.–11. April Warten auf Eintreffen Pisos; Anklageerhebung wohl Ende November 20 vermuteter Freitod Pisos67 Ende des Prozesses gegen Piso; Urteil
Siehe auch Tac. ann. 3,16,1; Kornemann 1960, 98–99; Eck 1996, 291: „Daß möglicherweise andere an dem Konflikt aktiv mitbeteiligt waren, daß sie zur Entwicklung der Spannungen mit all den Folgen beigetragen hatten, wird in dem s.c. mit keinem Wort erwähnt.“ Eck 1996, 76; 149–151 vermutet den Tod Pisos mit guten Gründen für diesen engen Zeitrahmen.
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Der Prozess
Das Verfahren gegen Piso ist, wie Werner Eck zu Recht festgestellt hat, vermutlich der spektakulärste Politprozess der römischen Kaiserzeit.68 Seine Ergebnisse wurden durch zahlreiche Abschriften des senatusconsultum in die römischen Provinzen kommuniziert, sind uns dank glücklicher Umstände und der Wahl der Schriftträger erhalten geblieben und dokumentieren insbesondere die offizielle Sicht auf die Ereignisse der Jahre 19 und 20 – nicht jedoch die echten ‚Fakten‘, welche auch immer diese im Einzelnen sein mögen. Neben der staatlichen Propaganda in Form dieses bewusst publizierten Senatsbeschlusses liegt uns mit den Annalen des Tacitus ein Bericht vor, der dezidiert in einigen Details abweicht und diesem Prozess mehr Raum gibt als jedem anderen der zahlreichen anderen Prozesse.69 In der Forschung wird angenommen, dass Tacitus aktiv Aktenrecherche im Senatsarchiv betrieben und dort Aussagen aller beteiligten Parteien gefunden habe.70 Etliche dieser Dokumente erschienen ihm offensichtlich als glaubwürdig; sie entlasteten Piso, minderten die Schwere einiger Anklagepunkte und konterkarierten die Darstellung des senatusconsultum in einigen Punkten.71 Seit der exzellenten Edition durch Werner Eck, Antonio Caballos und Fernando Fernández72 ist der Text vielfältig kommentiert und diskutiert worden, dies soll hier nicht wiederholt werden. Zudem ist er mit fast 180 Zeilen entschieden zu umfangreich für eine angemessene Würdigung, so dass hier im Folgenden im Kontext des Themas nur auf wenige Aspekte einzugehen sein wird: Den Tatbestand und die ‚Zeugen der Anklage‘, die Folgen für die Beteiligten sowie den Verbreitungsgrad des Prozessgeschehens.
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Eck 2000, 190. Eck 2000, 191–192. Mündliche Berichte von Augen- und Ohrenzeugen waren rund 60 Jahre nach den Ereignissen sicherlich nicht mehr zu erhalten, Berichte ‚vom Hörensagen‘ hingegen konnten kaum entlastende Details liefern. Es bleiben also nur die Senatsakten als Quelle übrig. Eck 1996, 295–296: „Damit aber blieb dort auch das bewahrt und dokumentiert, was nach dem so eindeutigen Ende des Prozesses keinen Eingang in die öffentliche Präsentation des Ergebnisses und in die Geschichtsschreibung der nachfolgenden Jahrhunderte gefunden hatte, vor allem das, was Piso selbst und andere zur Verteidigung vorgelegt hatten.“ Bestätigt von Flower 1998, 158. Bei Tacitus gewinnt man bspw. das Bild, daß Piso nicht freiwillig und wegen der Vorwürfe des Germanicus die ihm anvertraute Provinz verlassen hatte, sondern Germanicus ihm dies geheißen hatte bzw. Piso dies so verstehen mußte (Tac. ann. 2,70,2; 2,76,1–2; vgl. auch Eck 1996, 293–294). Kompetenzbeschneidung und renuntiatio amicitiae taten ihr Übriges und verschärften die Spannungen. Eck 1996.
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Mit Blick auf den oben rekonstruierten Zeitplan fällt auf, dass die Vertreter der Anklage die lange Zeit der Vorbereitung intensiv genutzt hatten: als Grundlage ihrer Anschuldigungen wurden epistulae, codicilli und Zeugenaussagen herangezogen,73 darunter ausdrücklich auch die des sterbenden Germanicus.74 Im Laufe des Verfahrens konnte dann zwar der Vorwurf der Vergiftung des Germanicus ausgeräumt werden, andere Vorwürfe indes wurden aufrechterhalten.75 Dass der ursprüngliche Vorwurf dann trotzdem noch relativ oft im senatusconsultum erwähnt wird, muss wohl als Beleg für die kaiserliche Propaganda bewertet werden.76 Tiberius hatte ein enormes persönliches und politisches Interesse an diesem Prozess, das zeigt sich an seinem Verhalten während des Verfahrens: Er eröffnete den Prozess mit einer Rede vor dem Senat, in der er einen ordentlichen Prozess verlangte, aber zugleich demonstrativ verlauten ließ, dass er für sich persönlich und zusätzlich die renuntiatio amicitiae als weitere Bestrafung in Betracht ziehe. Mit dieser Einlassung machte er unmissverständlich deutlich, dass ein Freispruch Pisos nahezu ausgeschlossen war – und er wohl nicht in Erwägung zog, zugunsten eines alten Freundes aktiv in das Verfahren einzugreifen.77 Ronald Syme hat das Verfahren daher vor allem als persönliche Tragödie interpretiert und erst in zweiter Linie als Ausdruck einer Krise des frühen Prinzipats.78 73
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s.c. Z. 23–25. Kopien von Briefwechseln zwischen Germanicus und Piso seien verwendet, Zeugen aller Stände befragt worden. Zu den verfahrensspezifischen Unterschieden zwischen epistulae und codicilli vgl. Eck 1996, 152. Die Herausgeber vermuten die Zeugen im Umfeld der amici und comites des Germanicus des Piso (Eck 1996, 153). s.c. Z. 27–29. Eck 1996, 146: „Mit dieser Formulierung bringt der Senat implizit auch zum Ausdruck, daß es nicht gelungen war, sonstige vorzeigbare, unbezweifelbare Beweise für diese Behauptung vorzulegen.“ Tac. ann. 3,14,1: solum veneni crimen visus est diluisse, quod ne accusatores quidem satis firmabant […]. Siehe auch Plin. nat. 11,187; Suet. Cal. 1,2; 2,1; 3,3; Suet. Vit. 2,3; Ios. ant. Iud. 18,54; Cass. Dio 57,18,9, welche allesamt die Vergiftung des Germanicus durch Piso als Fakt überliefern. So zu Recht Eck 1996, 146. Syme (1979, 741) sah eine Chance dazu: „In contrast to those favourites of Caesar Augustus, smooth and subservient men, stands the harsh and stubborn Cn. Piso, the friend of old days, in whom Tiberius saw and respected a Republican spirit congenial to his own. Each was an anachronism in the new order of things, each its victim. Tiberius was compelled to take over the burden of the empire, the ambiguous inheritance of Caesar Augustus; and, despite the aristocratic ideals of fides and amicitia, he was not able to save Piso.“ Von eben diesem amicitia-Aspekt sei Tiberius durch den Tod seines alten Freundes entbunden worden (so Eck 1996, 291) Diese „Opfer-Rolle“ des Tiberius, die auch durch Werke wie die Tiberius-Biographie von Ernst Kornemann (1960, 99–103) verfestigt wurde, hat bis in historische Romane hinein ihren Niederschlag gefunden; so z. B. Prinz zu Löwenstein 1977, 321. „It was more than a personal tragedy. These transactions had grave consequences for the further course of the reign“ (Syme 1986, 375).
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Für die Beteiligten waren die Folgen weit weniger dramatisch als sie hätten sein können: Nach einiger Zeit standen auch den Söhnen wieder die höchsten politischen Ämter offen, die ursprünglich mitangeklagte Gattin Pisos, Plancina, wurde in allen Punkten freigesprochen, die finanziellen Kollateralschäden hielten sich in Grenzen.79 Insbesondere Tiberius und Livia profitierten jedoch finanziell wie politisch von diesem Verfahren: Der Freitod Pisos zementierte die vermeintliche Schwere seiner Schuld und entlastete beide von dem Vorwurf einer Verschwörung gegen Germanicus.80 Vielleicht war es keine Krise der Monarchie, die der Tod des Germanicus ausgelöst hatte, doch es war auf jeden Fall eine des Herrscherhauses,81 und diese galt es zu bewältigen.82 In dieser aufgeheizten Gemengelage spielte Piso eine entscheidende Rolle: Ob er am Tod des Germanicus Schuld war, aus eigenem Antrieb handelte oder auf Anordnung (bspw. von Tiberius83), war unerheblich und wurde im Rahmen des Prozesses letztlich auch nicht entschieden. In den Augen zahlreicher Prozessbeobachter aber, Tacitus posthum eingeschlossen, stand seine Schuld unzweifelhaft fest.84 Schon allein Pisos langes Fernbleiben von Rom schien seine Schuld zu beweisen und seine Vorverurteilung zu rechtfertigen. Das senatusconsultum arbeitete an seinem posthumen Memorizid insofern, als es systematisch Begriffe wie nefaria consilia, scelus, fehlende humanitas, crudelitas unica, pessimum exemplum oder corruptus verwendet. Auch wenn der Bericht des Tacitus von dieser offiziellen Lesart in einigen Punkten abweicht,85 so charakterisiert doch auch er den Verstorbenen negativ, beschreibt ihn als ferox und seine Taten als scelera. Insbesondere die Art der Veröffentlichung des senatusconsultum sollte eines erreichen: die Erinnerung daran verdunkeln, dass Germanicus an den Ereignissen in Syrien möglicherweise nicht ganz unschuldig gewesen war, und Tiberius 79
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Flower 1998, 175: „After 20 both the community of the Romans and the family of the Calpurnii Pisones could continue as they were, as if Piso had never existed.“ – Flower 1998, 176: „Meanwhile, it becomes evident that even the severest disgrace imposed upon a traitor could leave his family’s position intact.“ Zvi Yavetz (1999, 60) bewertet den Personenkult um Tiberius und die julisch-claudische Familie in dem Verfahren gegen Piso als geschmacklos. Senatoren und andere beteiligte Personen hätten sich heuchlerisch benommen. Vgl. auch Flower 1998, 155. So Eck 2000, 203–204 – es habe ja kein Alternativmodell gegeben. So zu Recht Eck 1996, 289. Eck 1996, 289–290: „Doch die Inszenierung der Trauerfestlichkeiten in Antiochia, die Zurschaustellung des Leichnams mit den angeblichen Zeichen des Giftmordes auf dem Forum der syrischen Hauptstadt mußten den Verdacht auch auf den Princeps lenken. Denn es stand für alle aus der Umgebung des Germanicus fest, daß bei Cn. Piso keine lang zurückliegende Feindschaft mit Germanicus bestanden hatte. Ein Mord lediglich aus persönlichen Motiven konnte keinen Sinn ergeben. So mußte ein höherer Auftraggeber wirksam gewesen sein.“ Auch der Senat schien Zweifel an der Einzeltäter-Version Piso zu haben (vgl. auch Tac. ann. 3,2,3; 3,3,1; 3,16,1). Eck 1996, 289–290. Eck 1996, 293–296; Flower 1998, 158.
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vom Tod des strahlenden jungen Helden enorm profitierte. Sie manipulierte die Erinnerung an diese unglückselige Dreiecks-Konstellation.86 Durch die massenhafte Verbreitung der Ereignisse im Reich wirkte man zwar auf der einen Seite erinnernd, man arbeitete jedoch auch daran, eben diese Version, die offizielle herrschaftsstabilisierende Lesart, unters Volk zu bringen.87 Unter Tiberius unternahm danach wohl niemand mehr den Versuch, eine andere Meinung über Piso zu äußern oder diese Version offiziell anzuzweifeln. Das Bild von Germanicus und Piso war gewissermaßen kanonisiert worden.88 Alle Nachfolger der iulisch-claudischen Linie führten Germanicus fürderhin in ihrer Ahnenlinie als herausragendes Beispiel für die Großartigkeit der eigenen Familie. Erst nach deren Ende, frühestens mit Beginn der Dynastie der Flavier, hätte man an diesem historiographischen Denkmal rütteln können, doch das Interesse daran war weitgehend erloschen.89 Bis auf Tacitus hat diesen Versuch niemand unternommen, und auch er bewahrt in seiner Darstellung nur ein Echo der Widersprüche und Zweifel, die diesem Verfahren und seinem Ende bis heute anhaften.
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Fiktionale Geschichte
Der Begriff variiert: Man spricht von „virtueller Geschichte“, von „ungeschehener Geschichte“, von „fiktionaler“ oder eben von „kontrafaktischer“ und meint doch stets dasselbe: Die Frage nach dem „Was wäre gewesen, wenn …“. Diese beschäftigt die Menschen offensichtlich mehr denn je, denn der Markt für historische Romane, Verfilmungen und mediale Umsetzungen alternativer Welten und Szenarien scheint geradezu zu explodieren,90 von der Verwendung im Rahmen politisierter Debatten gar nicht erst zu reden. Die Konzeption ‚dahinter‘ ist in der Forschung nicht unumstritten – bewegt man sich doch weg von den vertrauten Pfaden wissenschaftlich fundierter Forschung, weg von der „Quellenbasis“ oder der „historischen Fragestellung“ und betritt ein Feld voller Risiken und Fußangeln. Und manchmal ist der Weg zur Science Fiction nicht mehr allzu weit. Dabei hat die fiktionale Geschichte sehr wohl beachtliche Potentiale zum Erkenntnisgewinn, sie hat aber auch ihre spezifischen Probleme und ihre Anforderungen. Vielleicht ist sie „nur“ eine mehr oder minder literarische Fingerübung, vielleicht hat Leszek Kolakowski Recht, wenn er ironisch 86
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Kornemann (1960, 101) hielt den princeps erstaunlicherweise für absolut unschuldig und kritisierte lediglich dessen Personalentscheidungen als etwas „unglücklich“. Tiberius sei in diesen Jahren voller Schicksalsschläge schwer gealtert, die Ereignisse hätten ihm „schwer zugesetzt“. So auch Bartels 2009, 9. Eck 1996, 295. So zu Recht Eck 1996, 295. Es sei nur verwiesen auf „The Man in the High Castle“, „Iron Sky“, u.ä.
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anmerkt, dass letztlich jede Erzählung, jede fabula mit der Einschränkung enden sollte: „Quod tamen potest esse aliter!“91 Wie auch immer man dazu stehen mag, Germanicus hat die Fantasien der Autoren angeregt: Seinen 1984er Roman „Procurator“ lässt Kirk Mitchell mit einem der Klassiker der „Ungeschehenen Geschichte“ beginnen:92 Auf Wunsch seiner Frau hin entscheidet sich Pontius Pilatus nach langem Grübeln dazu nicht dem Wüten des Volkes nachzugeben, sondern die Wachen zu verdoppeln – und Jesus freizulassen: „Der Statthalter gab viel auf seine Frau und ihre Träume.“ Die Folgen sind exorbitant, aus heutiger Perspektive: In dieser alternativen Zeitebene ist Jesus nicht gekreuzigt worden, die Germanen durch Varus besiegt, und das Römische Imperium niemals untergegangen. Es kontrolliert den Mittelmeerraum sowie große Teile Europas und Nordafrikas und gründet sogar in Nordamerika Kolonien. Es ist von weitem das, was schon Heinrich Heine in seinem „Deutschland, Wintermärchen“ beschrieben hatte.93 Germanicus Julius Agricola, der „Held“ dieses Romans, Procurator von Anatolien und entfernter Verwandter des amtierenden Kaisers, versucht die an den Reichsgrenzen immer wieder aufflackernden Aufstände niederzuschlagen und wird nach einer unheimlichen Todesserie im Kaiserhaus zum neuen Kaiser ausgerufen – als Hoffnungsträger all jener, die die politischen und gesellschaftlichen Verkrustungen des Systems zu überwinden trachten, um zur ‚alten Republik‘ zurück zu kehren.
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Kolakowski 1977, 61. Vgl. Demandt 2005, 101–108. „Wenn Hermann nicht die Schlacht gewann / Mit seinen blonden Horden, / So gäb es deutsche Freiheit nicht mehr, / Wir wären römisch geworden! / In unserem Vaterland herrschten jetzt / Nur römische Sprache und Sitten, / Vestalen gäb es in München sogar, / Die Schwaben hießen Quiriten!“ Vgl. Demandt 2005, 98–101.
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Abb. 3a/b: Cover der deutschen Ausgabe von Bd. 1 der „Germanicus-Trilogie“.
Mitchells Germanicus ist nur ein ferner Nachhall des antiken Namensvetters – aber er ist einer, denn er verkörpert eine Reihe jener guten Eigenschaften, die unsere Quellen dem historischen Germanicus nachsagen. Und er wirft eine Frage auf, die auch Werner Eck in den Raum gestellt hat,94 nämlich jene, wie sich der ‚echte‘ Germanicus denn als Kaiser gemacht hätte. Hätte er all die enormen Hoffnungen erfüllen können? Es ist anzunehmen, dass Dando-Collins Heine kennt, und vielleicht auch die Mitchellsche Science-Fiction, denn er greift dessen Idee auf und denkt sie weiter: In einem kurzen kontrafaktischen Gedankenspiel mit dem bezeichnenden Untertitel „How the Murder of Germanicus Led to the Fall of Rome“ bezwingt Rom erst die Germanen und wendet sich dann unter dem starken princeps Germanicus gen Osten, ehe das Imperium Romanum dann schließlich auf jedem Kontinent Fuß fasst. Von China bis Australien, von Afrika bis nach Nord- und Südamerika ein riesiges „echtes“ römisches Weltreich, mit Latein als Amtssprache. Diese glänzende Zukunft sei in dem Moment in sich zusammengefallen, als Germanicus starb – und mit ihm seine iulische Gründerfamilie. Danach habe es nur noch ‚zweitklassige‘ Kaiser gegeben: 94
Eck 2015, 78: „Germanicus […] hatte nie beweisen können, wie er die kaiserliche Macht ausgefüllt hätte.“
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„With the death of Germanicus, Rome was consigned to a future dominated by mostly second-rate rulers sitting on rocky foundations, men who were unable to cope with greedy neighbors battering at its doors. Rome never again saw the likes of the Caesar dynasty, or the like of Germanicus.“ 95
Der Tod des Germanicus bietet Literaten unterschiedlicher Provenienzen also vielfältige Angriffspunkte, neben der eben erwähnten „Was-wäre-wenn“ auch die klassische „Wer war’s“ Frage, die sich natürlich insbesondere in Kriminalromanen hervorragend verarbeiten lässt: David Wishart hatte nach einem Studium der Classics und einigen Jahren als Lehrer begonnen, eine Romanreihe rund um den jungen Römer Marcus Corvinus zu starten, dessen erster Auftrag darin besteht die Hintergründe der Ovid-Affäre aufzuarbeiten. Der zweite Fall ist nicht minder spektakulär: Livia, die Witwe des Augustus und Mutter des amtierenden Kaisers Tiberius, bittet ihn, die Ermordung des jungen Germanicus zu untersuchen – zu einem Zeitpunkt als sie in den Augen der Bevölkerung bereits zu den Hauptverdächtigen gehört – eine bemerkenswerte Reprise auf die Darstellungen des senatusconsultum und bei Tacitus. Je länger er recherchiert, letztlich rund vier Monate, desto mehr deckt Corvinus in Wisharts „Germanicus“ (1997; dt. 2006) eine Verschwörung epischer Ausmaße auf, in die neben Tiberius und Livia insbesondere Sejan und Agrippina verstrickt sind, ferner auch die Ankläger im Prozess. In einem Finale furioso im Stile Hercule Poirots erhält aber auch Germanicus’ Heldenstatus deutliche Schrammen: „Germanicus war ein Verräter. Er und Agrippina. Oder andersherum, um genau zu sein, da Agrippina die treibende Kraft war. Allerdings hätte keiner von beiden es so beschrieben. Agrippina würde es vermutlich so sehen, dass sie lediglich ein Unrecht wiedergutmachen wollte, das an ihrer Familie begangen worden wurde, während dein idealistischer Enkel sich als Erbe Marcus Antonius’ sah, der sich für die Zivilisation einsetzt, gegen Tiberius als langweiligen Octavian.“96
In Wisharts/Corvinus’ alternativer Welt dient jede Reise, jeder Auslandsaufenthalt des Germanicus dem Ziel, die neuralgischen Grenzlegionen unter seine Kontrolle zu bringen – ein Ziel für das ihm nur noch die in Syrien fehlen. Tiberius, misstrauisch geworden, installiert seinen guten Freund Piso als Strohmann und Saboteur – und gibt im Hintergrund Sejanus freie Hand zu tun, was eben nötig sei, um die Sicherheit im Reich und die des princeps zu gewährleisten. Sejan lässt Germanicus vergiften, doch dann verlieren sie die Kontrolle über Piso, der die Provinz mit Gewalt unter seine Kontrolle bringen möchte: „Nur hat Piso die Situation auf fatale Weise verkannt: Tiberius kann Germanicus’ Verrat unmöglich öffentlich publik machen, weil ihm niemand glauben würde. Livia nickte.
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Dando-Collins 2008, 3. Wishart 2006, 382.
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„Niemand stirbt so kunstvoll“: Der Tod des Germanicus ‚Traurig, aber wahr. Mein Sohn hat sich schon immer schwer damit getan, mit Menschen zu kommunizieren. Sogar – und vor allem – dann, wenn er die Wahrheit gesagt hat.‘“97
In diesem Szenario verweigert Tiberius opulente Begräbnisriten nicht aus Pietät oder Eifersucht, sondern als Verräter der Verräterin Agrippina, um ihr ihr politisches Kapital aus der Hand zu nehmen. Erst als das nicht reicht und er zunehmend als Verantwortlicher für den Tod von Volkes Liebling erscheint, wird der Prozess gegen Piso inszeniert, der in diesem Komplott keine Chance erhält, sein Wissen zu seinen Gunsten zu verwenden. Ein auch bei Tacitus erwähnter Brief des Piso wird abgefangen, der Verfasser zum Selbstmord gezwungen, der Prozess zu einem raschen Ende gebracht. Der vermeintliche Gewinner in diesem Komplott ist Sejanus, von dem Tiberius nun abhängiger ist denn je. Wishart müsste es gattungstechnisch gar nicht tun, aber er legitimiert seine Sicht der Dinge mit einem Zitat aus Tacitus: „Damit endete der Prozeß zur Ahndung des Todes des Germanicus, der nicht nur unter seinen Zeitgenossen, sondern auch in der Folgezeit aufgrund widersprüchlicher Gerüchte immer wieder erörtert wurde. So sehr liegen gerade die wichtigsten Geschehnisse im Ungewissen, weil die einen, was sie irgendwie gehört haben, für verbürgte Tatsachen nehmen, die anderen die Wahrheit ins Gegenteil verkehren, und beides wuchert bei der Nachwelt weiter.“98
In seinem Nachwort macht Wishart deutlich, dass für ihn der entscheidende Unterschied zwischen Historikern und Autoren historischer Romane darin besteht, dass letzterem Subjektivität, Spekulation und die Zuordnung von Motiven erlaubt sind. Und er legt Wert auf die Feststellung, dass seine Version eine plausible und denkbare ist. In seiner 2008er Monographie „Blood of the Caesars“ denkt Dando-Collins dieses Szenario konsequent weiter: Die Weigerung des Germanicus, den ihm seitens der germanischen Legionen angedienten Princeps-Titel im Jahre 14 n. Chr. anzunehmen und sein längerer Ägyptenaufenthalt hätten ihn von Agrippina entfremdet, die daraufhin in Alexandria eine Affäre mit Seneca begonnen habe.99 Seine Weigerung, die Macht an sich zu nehmen als sie ihm angeboten wurde, habe nicht nur ihn betroffen, sondern auch ihre gemeinsamen Kinder, die Agrippina nun von der Erbfolge ausgeschlossen wähnte. Der Tod ihres Gatten würde Tiberius von der Sorge um die öffentliche Akzeptanz und Popularität befreien – und dann den Weg zu einer Adoption freimachen, denn Drusus könne problemlos übergangen werden. Alternativ könne man Tiberius gezielt öffentlich die Schuld an den Ereignissen geben und dann darauf
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Wishart 2006, 384. Tac. ann. 3,19,2. Dando-Collins 2008, 224–225.
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vertrauen, dass Öffentlichkeit und Grenzlegionen so viel Druck aufbauten, dass die Herrschaft an die nächste Generation übergeben wurde:100 „According to Seneca’s plans, one way or the other, short-term or long-term, Agrippina would have a son in the Palatium. But for the second, much swifter scenario to be realized, it must be plainly obvious to the entire world that Germanicus has been murdered, so the means of securing his death was crucial. It must be clearly a case of homicide […].“101
Die Person, die für Germanicus frei von jedem Verdacht gewesen sei, habe ihn dann vergiftet: Agrippina. Piso und Plancina hätten lediglich perfekte Sündenböcke abgegeben. Seneca seinerseits habe ihren Auftritt nach dem Tode orchestriert, inklusive öffentlichkeitswirksamer Aufbahrung in Antiochia und dem monumentalen Leichenzug durch halb Italien.102 Eine wichtige Rolle hätten Senecas Bruder Gallius und Sejan gespielt, letzteren habe Seneca jedoch unterschätzt. Der Seneca von Dando-Collins ist ein durch und durch unsympathischer: ein bigotter Philosoph, dem Luxus zugetan, ein Kinderschänder und manipulativer Verführer, ein machtbesessener Emporkömmling. Für all das, was folgte, letztlich auch für den beginnenden Niedergang des römischen Reiches macht Dando-Collins ihn verantwortlich: „[…] for the vast majority of his life he was fueled by a desire for power that, combined with a brilliant mind and great oratorical powers, drove him relentlessly forward toward his objectives of wealth, influence, and notoriety. Emotionally and intellectually, he was perfectly capable of the murder of Germanicus. He had the opportunity and the motive, and he knew about poisons. Coldly and deliberately, Seneca conceived the murder of Germanicus, produced the poison that killed him, and seduced Agrippina into administering it.“103
Angesichts solcher Interpretationsspielräume könnte man frustriert sein:104 Wo endet die Historie, wo beginnt die Literatur? Fiktion und Fakten gehen Hand in Hand. Und Kolakowski hat Recht, wenn er sagt: „Quod tamen potest esse aliter!“ 100 101 102 103 104
Dando-Collins 2008, 225. Dando-Collins 2008, 226. Dando-Collins 2008, 228–229. Dando-Collins 2008, 232–233. So klingt es bei Werner Eck durch (2000, 192): „Was soll der moderne Historiker in solcher Situation tun: Wie soll er erkennen, wie die tatsächlichen Abläufe einst gewesen sind, die es ihm dann erlauben, das Geschehene zu verstehen und ein eigenständiges Urteil zu gewinnen?“ Dennoch werden diese Szenarien auch in der Historikerzunft immer mal wieder durchgesprochen, so z. B. von Holger Sonnabend im Rahmen seines Buches „Wenn die Römer damals gesiegt hätten: Die Legende der Schlacht am Teutoburger Wald und ihre wirkliche Bedeutung“ (Hohenheim 2009) sowie von Wilm Brepohl im jüngst erschienenen Sammelband „Triumph ohne Sieg. Roms Ende in Germanien“ (Aßkamp/ Jansen 2017): Er stellt das Szenario nochmals auf eine faktische, weniger eine kontrafaktische Grundlage, wenn er in seinem Beitrag „Wenn Germanicus gesiegt hätte…“ den Sieg über Arminius und die Einrichtung einer Provinz Germania postuliert und zum Ergebnis kommt, letztlich hätte es den Lauf der Geschichte und den Untergang des
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6
„Niemand stirbt so kunstvoll“: Der Tod des Germanicus
Fazit
Was bleibt? Die Person des Germanicus in antiken und modernen Texten dient als Projektionsfläche, für Wünsche, Hoffnungen, Kritik und alternative Realitäten. Ob sich Germanicus selbst darin wiedergefunden hätte? Ob er sich von den negativen und positiven Erwartungen an seine Person emanzipiert hätte? Fragen, die wir nicht seriös beantworten können, zumindest nicht im Rahmen historischer Analysen. Wie auch immer wir Germanicus heute bewerten möchten, als Mensch, als Ehemann und Familienvater, als Politiker im Krisengebiet des Nahen Ostens, in seinem Verhältnis zu Piso, gegenüber Tiberius und Livia, als Mittelpunkt einer Staatsaffäre und einer kollektiven, ja nationalen Trauer, wir stoßen auf eine Reihe bemerkenswerter, vereinzelt sogar einzigartiger Quellen. Diese erschließen uns einen Mikrokosmos von Personen, haben sich durch redaktionelle Durchgänge und Überlieferungsabsichten aber von der historischen Persönlichkeit weg entwickelt. Bei aller Begeisterung für die Überlieferungssituation des senatusconsultum in Pisonem und die archivalische Arbeit des Tacitus bleibt auch hier ein Filter zu konstatieren, den wir nicht vollends entfernen können. Sowohl in den historischen Darstellungen als auch in den biographischen Skizzen und gerade auch im senatusconsultum greifen wir einen literarisch überformten Germanicus, der zum Helden aufgebaut wird. Doch bei aller gebotenen Quellenkritik bleibt auch nach Abzug quellenimmanenter Kritik für seinen Tod im Jahre 19 fest zu stellen, dass es offenbar ein Missverhältnis gab zwischen der kollektiven Anteilnahme und der Inszenierung der Heimführung der Überreste und der vergleichsweise nüchternen Art und Weise, wie Tiberius damit umging. Tacitus zumindest hat den Tod des Germanicus in angemessener Breite gewürdigt. „If Germanicus was indeed inadequately mourned, Tacitus had made good the deficiency. No other character in his history dies so elaborately.“105 [Hervorh. durch Verf.]
Quellen Bömer, F. (Hrsg.), Publius Ovidus Naso, Fasti – Die Fasten Bd. 1–2, Heidelberg 1957 – 1958.
105
Weströmischen Reiches nicht verändert. Just dieses hatte Demandt (Demandt 2008) vor einigen Jahren bestritten: „Diese Horden wären abgeblockt und die Völkerwanderung im Keim erstickt worden. Und ohne diese zerstörerische Menschenflut hätte das Reich sicherlich überdauert – vielleicht bis heute. Die Völkervielfalt Europas wäre nicht entstanden. Ein absurder Gedanke, aber dann würden wir heute noch in der Spätantike leben.“ Zitat bei Walker 1960, 125; vgl. auch Shotter 1968, 210.
Florian Krüpe
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Traditionen der Inszenierung und der Wissenschaft: Porträts des Germanicus in Museen und Sammlungen1 Rüdiger Splitter
1
Einleitung: Das inszenierte Porträt
In den Jahren 2015 bis 2017 fanden in Deutschland mehrere große Ausstellungen zur römischen Geschichte statt, in denen zahlreiche antike Porträt-Skulpturen zu sehen waren. Auf die Ausstellungen „Agrippina – Kaiserin aus Köln“ (Köln) und „Nero – Kaiser, Künstler und Tyrann“ (Trier) wird hier nicht eingegangen.2 Dieser Beitrag konzentriert sich auf die Porträts des Germanicus und die beiden Ausstellungen „Ich Germanicus! Feldherr, Priester, Superstar“ (Kalkriese) sowie „Triumph ohne Sieg. Roms Ende in Germanien“ (Haltern).3 In allen genannten Ausstellungen waren antike Porträts in großformatige Inszenierungen (siehe unten Schluss) eingebunden, mit deren Hilfe aus den Gesichtern der Dargestellten deren Persönlichkeiten sowie Motive und Folgen ihres politischen und privaten Handelns ablesbar werden sollten, so wie sie bei Nero und Germanicus auch Teil des Ausstellungstitels waren. In derselben Absicht wird im Titelbild des Kataloges der Kalkrieser Ausstellung „Ich Germanicus!“ eine Zusammenfassung der mutmaßlichen Persönlichkeit des Germanicus („Feldherr, Priester, Superstar“) mit grafischvisuellen Mitteln unternommen (Abb. 1): Einem Wahl- oder Konzertplakat unserer Tage nicht unähnlich erscheint ein antikes Marmorporträt in farbiges, quasi überirdisches Licht getaucht. Linien einer militärischen Landkarte überziehen Stirn, Wangen und Hals.4 1
2
3
4
Der Titel des VHS-Vortrags am 1. September 2016 lautete „Germanicus in der römischen Kunst und darüber hinaus“. Der verschriftlichte Beitrag wiederholt nicht den dort gezeigten Überblick der Quellen und Bildzeugnisse zum Germanicus-Porträt, sondern stellt seitdem gewonnene Erkenntnisse dar. Römisch-Germanisches Museum Köln, 26.11.2015–29.3.2016; Rheinisches Landesmuseum Trier, 14.5.–16.10.2016. Museum und Park Kalkriese, 20.6.–1.11.2015; LWL-Römermuseum Haltern am See, 2.6.– 5.11.2017. Burmeister/Rottmann 2015, Titelbild.
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Traditionen der Inszenierung und der Wissenschaft
Abb. 1: Titelbild des Ausstellungskataloges „Ich Germanicus! Feldherr, Priester, Superstar“. – Museum und Park Kalkriese 2015.
Solcherart Manipulationen an digitalen Bildvorlagen sind seit Jahrzehnten möglich und dem heutigen Betrachter nicht fremd. Sie begegnen aber doch mehr im Bereich des Boulevards und der Politik als auf dem Gebiet der Wissenschaft.5 Sammelt man mit dem Ziel einer wissenschaftlichen Beschäftigung sämtliche antiken Porträts des Germanicus, so wird man auch das Exemplar des Titelbildes einbeziehen wollen. Hier stellt sich nun heraus, dass die Manipulation der Bildvorlage weiter ging, als zunächst angenommen: In dem inszenierten Porträt sind zwei antike Skulpturen verschmolzen worden. Ein Kopf der Ny Carlsberg Glyptothek (Kopenhagen) wurde auf eine Büste des Landesmuseums Württemberg (Stuttgart) montiert.6 Die letztgenannte Büste ist auch
5
6
Ich danke Gabriele Dlubatz (Museum Kalkriese) für die Beantwortung aller Fragen zu der von ihr vorgenommenen Bildmanipulation. Besprechungen der manipulierenden Titelbildgestaltung: http://www.histojournal.de/romane/buchbesprechungen/ich-germani cus-feldherr-priester-superstar/ [Letzter Zugriff: 09.11.2017] und http://www.spek trum.de/rezension/buchkritik-zu-ich-germanicus/1361840 [Letzter Zugriff: 09.11.2017]. Burmeister/Rottmann 2015, 92, Abb. 6 und 93, Abb. 7.
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auf dem Titelbild des aktuellen Katalogs der Stuttgarter Antikensammlung zu sehen, wie in Kalkriese vor tiefschwarzem Hintergrund (Abb. 2).7
Abb. 2: Titelbild des Sammlungsführers „Wahre Schätze. Antike“. – Landesmuseum Württemberg Stuttgart 2016.
Die „inszenierten Porträts“ auf dem Titelbild und in den Ausstellungen sind der Ausgangspunkt der folgenden Reihe von Bemerkungen zu verschiedenen archäologischen Traditionen der Porträtforschung, die speziell im Hinblick auf das Germanicus-Porträt betrachtet werden. Es sind teil subjektive Beobachtungen zu methodologischen und wissenschaftsgeschichtlichen Aspekten, die nicht als umfassende, systematische Analyse missverstanden werden wollen. Alle Traditionen werden hier beispielsweise ab der Mitte des 18. Jahrhunderts beschrieben. Sie reichen aber natürlich viel tiefer in die Wissenschaftsgeschichte zurück. Alle Traditionen existieren gleichzeitig, die Auflistung bedeutet keine chronologische Abfolge. Innerhalb der einzelnen Traditionen ist nicht chronologische Vollständigkeit, sondern knappe Beschreibung und Kritik der jeweiligen Methode das Ziel der Darstellung. Stets ergibt sich von selbst ein Bezug zu Museen und Sammlungen, denn dort befinden sich ja die teils
7
Willburger 2016, Titelbild.
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Traditionen der Inszenierung und der Wissenschaft
weltbekannten, von der Archäologie behandelten Artefakte. So werden auch Objekte der Kasseler Sammlungen behandelt.
2
Archäologische Traditionen: I. Physiognomik nach schriftlicher Überlieferung
Der in den genannten Ausstellungen und Publikationen angewandte Kunstgriff, mithilfe grafischer oder realer Inszenierungen plastischer Porträts die Persönlichkeit und den Charakter der dargestellten Menschen erfassen zu können, findet sich auch in jüngeren Ausstellungsprojekten und -katalogen, die andere Epochen thematisieren. Zu nennen sind etwa „Charakterköpfe: die Bildnisbüste in der Epoche der Aufklärung“ (Nürnberg) und „Charakterköpfe: Griechen und Römer im Porträt“ (München).8 Von hier aus führt ein Weg auf das weite Feld der Pseudo-Wissenschaft „Physiognomik“. Möglich ist dieser Weg im Falle des Germanicus-Porträts, weil schon aus der Antike Quellen vorliegen, die einen Zusammenhang zwischen dem Aussehen und Reden jenes Menschen und seinem Charakter herstellen: „Wer ihn sah, wer ihn reden hörte, musste ihn in gleicher Weise verehren; denn obgleich er die Hoheit und Würde seiner erhabenen Stellung behauptete, traf ihn nie der Vorwurf der Gehässigkeit und Anmaßung.“9 Schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts verknüpfte Philipp von Stosch diese Nachricht des Tacitus mit einem Porträtkopf im Profil auf einem Kameo, die sich heute im British Museum (London) befindet (Abb. 3).10 Von Stosch verwirft eine ältere Deutung als Marcellus und erklärt das Porträt zum Germanicus, was er im französischen Begleittext damit begründet, das Gesicht sei von „edlem und geistvollem“ Ausdruck (in der lateinischen Fassung: egregia forma und generoso vultu), was erläutert wird durch die oben zitierte Quelle. Als Heerführer und gebildeter Prinz habe Germanicus es verdient, dass sein Porträt von einem ebenso ausgezeichneten Gemmenschneider, dem Epitychnan, der Nachwelt überliefert worden sei.
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Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, 6.6.–6.10.2013; Glyptothek München, 12.7.2017–14.1.2018: Die Titelbilder der begleitenden Kataloge inszenieren ebenfalls einzelne Porträts vor dunklem Hintergrund. Tac. ann. 2,69–75: visuque et auditu iuxta venerabilis, cum magnitudinem et gravitatem summae fortunae retineret, invidiam et adrogantiam effugerat. Übersetzung nach G.F. Strodtbeck, bearbeitet von E. Gottwein: http://www.gottwein.de/Lat/tac/ann0269.php [Letzter Zugriff: 09.11.2017]. Vgl. auch Suet. Cal. 3. Stosch 1724, 42–43, Taf. XXXII. – Zur Geschichte der Gemmenkunde: Zwierlein-Diehl 2007; zur Londoner Gemme: Zwierlein-Diehl 2007, 160, Abb. 631.
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Porträts berühmter Persönlichkeiten der Antike zu kennen und zu besitzen, war einer der Gründe, warum vermögende Sammler seit der Renaissance geschnittene Steine zusammentrugen. Auch in Kassel gab es eine solche Sammlung von über 2.300 Gemmen, darunter „Germanicus, des Drusus und der Antonia Sohn achtmal“, wie Friedrich Stoltz im Museumskatalog von 1836 vermerkte. Vielleicht sind sogar alle acht Stücke noch heute vorhanden, aber sie sind nicht mehr eindeutig identifizierbar.11 Da nämlich die Bestimmung im 17. und 18. Jahrhundert noch ohne archäologische Methodik sondern mit Begründungen ähnlich derjenigen von Stoschs erfolgte, wechselte die Benennung der dargestellten Personen im Laufe der Zeit öfters. Namensbeischriften sind – wie auch bei der Londoner Gemme – nicht vorhanden. Noch heute sind deshalb auf dem Gebiet der Gemmenforschung viele Identifikationen umstritten.12 Physiognomische Argumente sind in der wissenschaftlichen Literatur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts noch in großem Umfang aufzufinden, etwa im RE-Artikel von Wilhelm Kroll (1919): „Die erhaltenen Porträts und die begeisterte Anhänglichkeit, die ihm im Leben und im Tode von allen Ständen zuteil wurde und die in der erhaltenen Tradition noch weiterlebt, bezeugen Germanicus eine glänzende äußere Erscheinung und eine seltene herzengewinnende Liebenswürdigkeit.“13 Die Gefahr eines Zirkelschlusses von der schriftlichen Überlieferung zu den überlieferten Artefakten und umgekehrt ist offensichtlich. Heute wird über die „physiognomische Tradition“ intensiv und kritisch reflektiert. Schon 1971 formulierte Klaus Fittschen: „Allgemein verbreitet ist die Ansicht, daß die Identifizierung von historischen Persönlichkeiten, zumal der römischen Kaiser und ihrer Angehörigen, unter den uns erhaltenen Porträts mit Hilfe physiognomischer Merkmale möglich sei. Diese zunächst so selbstverständliche Ansicht trifft dagegen nur zum Teil zu. Es sind nämlich in Wahrheit die bereits künstlerisch in einem bestimmten Typus geformten physiognomischen Merkmale, die die Benennung erlauben.“14 Die Analyse Patrick Schollmeyers von 2005 erläutert die „künstlerischen Merkmale“ in einem größeren methodologischen Zusammenhang: „Als wichtigstes Ergebnis [des] Bemühens um ein inhaltliches Verständnis römischer Bildnisse kann festgehalten werden, dass Gestik, Mimik sowie Tracht und Frisur einem ausgeklügelten semantischen System folgen, welches abhängig von damaligen moralischen und ideologischen Werten war, und folglich von den Zeitgenossen entsprechend als Zeichen gelesen werden konnten.“15
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Stoltz 1836, 58. Zur Kasseler Gemmensammlung: Splitter 2016, 176, Abb. 6 (Vergleich Graz, Joanneum). – Vgl. auch die Glaspaste der Sammlung Wallmoden: Zwierlein-Diehl 2007, 302, Abb. 951. Vgl. Jucker 1982; Bemerkungen dazu bei Fittschen 1987 und Boschung 1993a. Kroll 1919, 456. Fittschen 1971, 220. Schollmeyer 2005, 32–33.
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Traditionen der Inszenierung und der Wissenschaft
Von diesen Zitaten aus wäre ein Schwenk zur archäologischen Tradition der Bildniskritik (III.) möglich. Zuvor muss jedoch auf die Tradition der Münzporträts eingegangen werden, da diese einen noch stärkeren Einfluss auf die Behandlung der plastischen Porträts hat. Festzuhalten ist jedenfalls, dass eine physiognomische Methode in der Porträtforschung niemals – also auch nicht für das Beispiel Germanicus – zu gesicherten Erkenntnissen führen kann.
Abb. 3: Germanicus. Epitynchani opus. – P. von Stosch, Pierres antiques gravées, sur lesquelles les graveurs ont mis leurs noms …/Gemmae antiquae celatae, scalptorum nominibus insignitae …, Amsterdam 1724, Taf. XXXII.
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3
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Archäologische Traditionen: II. Benannte Bilder auf Münzen
Das Sammeln antiker Münzen ist ebenso traditionsreich wie das Sammeln antiker Gemmen. Aus der bereits zur Mitte des 18. Jahrhunderts enorm reichen Literatur sei hier exemplarisch auf die Vorlesung Johann Daniel Schöpflins verwiesen, in der er Münzbilder des Prinzen Germanicus abbildet und behandelt.16 Wie in der gleichzeitigen Gemmenliteratur und auch bei der Untersuchung plastischer Porträts werden auch hier die antiken Quellen zur Biographie und Physiognomik einbezogen. Dieselben nutzt auch Antoine Mongez (1821) bei der Behandlung der als Germanicus identifizierten Marmorstatue aus Gabii. Diese Statue sei – wegen der Übereinstimmung ihres Gesichtes mit den Münzbildern (Abb. 4) – als das einzige erhaltene plastische Bildnis des Germanicus zu identifizieren: „Le no. 3 de la planche XXIV présente une statue de marbre de Carare (jadis Luna dans l’Etrurie), que la conformité des traits du visage avec les medailles de Germanicus font, avec raison, attribuer à ce prince. Elle est […] peut-étre le seul portrait de Germanicus qui soit venu jusqu’à nous.“17 Auf eine gesicherte Übereinstimmung zwischen dem Porträtkopf der Statue aus Gabii18 und den Prägungen des Caligula berufen sich auch Dietrich Boschung und Matteo Cadario in ihrer Argumentation zum plastischen GermanicusPorträt.19 Fittschen steht dem kritischer gegenüber.20 Alle drei Autoren beziehen sich hierbei auf ein gut publiziertes Exemplar der Berliner Münzsammlung.21 Die Recherche in der Datenbank dieser Sammlung ergibt jedoch weitere 35 Münzbildnisse des Germanicus unter Caligula, die sich von dem publizierten Exemplar stark unterschieden.22 Alle müssten einer gründlichen, vergleichenden Revision unterzogen werden. Es existieren in anderen Sammlungen selbstverständlich weitere Exemplare, eines auch in Kassel (Abb. 5a/b).23 Zur kunsthistorischen Forschung zum plastischen Germanicus-Porträt kann das Kasseler Münzbild natürlich nichts beitragen, sondern nur historisch-didaktische Zwecke erfüllen.
16 17 18 19 20 21
22
23
Schöpflin 1717. – Zur Geschichte der Münzkunde: Alföldi 1978, 4–13. Mongez 1821, 125–126, Taf. XXIV. http://arachne.uni-koeln.de/item/objekt/14675 [Letzter Zugriff: 09.11.2017]. Boschung 1993a, 61; Boschung 2015, 92; Cadario 2011a. Fittschen 1987, 213–214, Taf. VIII, Abb. 31. Hirmer et al. 1978, Nr. 170, Taf. 45; Permalink zu diesem Exemplar: http://ikmk.smb. museum/object?id=18202630 [Letzter Zugriff: 09.11.2017]. http://ikmk.smb.museum: „erweiterte Suche“, Dargestellter: „Germanicus“, Münzherr: „Caligula“ [Letzter Zugriff: 09.11.2017]; zu den Provinizialprägungen vgl. Weisser 2015. MHK Antikensammlung Inv. Nr. Mü 488, unpubliziert.
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Traditionen der Inszenierung und der Wissenschaft
Abb. 4: Germanicus. – A. Mongez, Iconographie romaine. Planches, Rom 1824 (?), Taf. 24.
Abb. 5: Bronzemünze des Caligula für Germanicus. – Antikensammlung Kassel.
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In diesem Beitrag etwa dient es dem Zweck, die Chancen und Probleme der numismatischen Tradition zu illustrieren. Hierzu soll grundsätzlich und abschließend noch einmal Fittschen zitiert werden: „Weiter helfen im Grunde – wie man seit langem weiß – nur die Münzen, deren Bildnisse ja durch Beischriften benannt sind. Gerade sie aber liefern uns nun keine einzelnen physiognomischen, sondern die ebenfalls bereits typologisch fixierten Merkmale. Denn es läßt sich durch die ganze römische Kaiserzeit verfolgen, daß Münzbildnisse und plastische Bildnisse in ganz engen typologischen Beziehungen zueinander stehen […]. Wie diese Beziehungen entstanden sind, ist leicht zu erraten: Münzbildnisse und freiplastische Bildnisse gehen auf gemeinsame Vorlagen zurück. […] Natürlich ist dadurch, daß das Bestimmen von Bildnistypen fast immer nur mit Hilfe der Münzen möglich ist, diesem Zweig der Porträtforschung ein nur schmales Betätigungsfeld zugeteilt, das zudem oft nur sehr umständlich und mühselig zu bearbeiten ist. Es ist darum verständlich, wenn immer wieder der Versuch gemacht wird, diese engen Grenzen zu überschreiten. […] Solche Versuche sind jedoch immer zum Scheitern verurteilt, wenn nicht andere Indizien (Inschriften, evtl. Fundort) klare Beweise liefern.“24
Zum Porträt des Germanicus merkt Fittschen an anderer Stelle an: „Die Identifizierung des Bildnistypus mit Hilfe der Münzen hat also einiges für sich, ist allerdings angesichts der engen Verwandtschaft fast aller Bildnisse der männlichen Mitglieder der iulisch-claudischen Familie nicht völlig sicher. […] Diese Lage der Forschung darf nicht verwundern: Innerhalb einer klassizistischen idealisierenden Porträtauffassung war es den entwerfenden Künstlern kaum möglich, für die zahlreichen männlichen Mitglieder der iulisch-claudischen Familie leicht zu unterscheidende Bildnisse zu schaffen, zumal dann nicht, wenn für einzelne im Laufe der Zeit sogar mehrere Typen gewünscht wurden“.25
Die Unsicherheiten der numismatisch orientierten Tradition steigern sich also, sobald unter den plastischen Bildnissen mehrere Typen vorliegen. Die Definition dessen, was die archäologische Porträtforschung unter einem solchem „Typus“ versteht, leitet von den zweidimensionalen Bildern der Münzen über zur nächsten Tradition, derjenigen der Ordnung und Kritik dreidimensionaler Porträts.
4
Archäologische Traditionen: III. Kritik der plastischen Bildnisse
„Unter einem Typus wird in der deutschsprachigen Forschung seit Brendel die Gesamtheit aller Bildnisse verstanden, die auf dieselbe Vorlage zurückzuführen
24 25
Fittschen 1971, 220 und 223–224. Fittschen 1977, 52 und 53–54; ähnlich Fittschen 1971, 220.
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sind. Die einzelnen Porträts nach einem bestimmten Typus werden im Folgenden als Kopien oder Repliken bezeichnet.“26 „Der Entwurf eines Porträttypus mag zunächst in Form von Gipsabgüssen an lokale Bildhauerwerkstätten verteilt worden sein, die ihn mit einem einfachen, aber wirkungsvollen Kopierverfahren in Marmor ausarbeiten konnten."27 In seine Definitionen bezieht Boschung die frühere Forschung ein. Mit Fortschreiten der archäologischen Kunstwissenschaft während des 19. Jahrhunderts war das Corpus der antiken Porträts kontinuierlich angewachsen. Für Mongez (1821) war die Statue aus Gabii das einzig erhaltene Bildnis des Germanicus (siehe oben). Im „Ur-Pauly“ (1844) werden von einem unbekannten Verfasser vier weitere Werke genannt.28 Johann Jacob Bernoulli nennt in seinem für die Porträtforschung epochalen Werk (1886) sieben sichere Skulpturen und lehnt acht weitere ab.29 Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird die Tradition der Kopienkritik entscheidend weiterentwickelt.30 Heute ist sie selbst Gegenstand einer kritischen Forschung, denn wie Ortwin Dally feststellte, ergeben sich z. B. infolge der für die Reihe "Das römische Herrscherbild" formulierten Bedingungen und Prämissen methodische Probleme, die nicht zuletzt die physiognomische Tradition (I.) berühren. Man versuchte in den Porträts auch dem „Wesen“ der Dargestellten nachzuspüren und diese auf „das Paradigma der Klassischen Archäologie vor 1968, den Künstler, zurückzuführen. Wie der geniale Künstler sein Werk schuf, so formte und beeinflußte der römische Kaiser sein Reich."31 Lässt man diese grundsätzliche Kritik, die zur Tradition der kontextorientierten Archäologie (IV.) überleiten wird, zunächst beiseite, so ist nach derzeitigem Forschungsstand für die Bildnistypen des Germanicus Folgendes festzuhalten: Boschung hält drei Typen (in chronologischer Reihe: „Adoption“, „Béziers“, „Gabii“) für sicher nachgewiesen.32 Fittschen ist sich nur beim Typus „Bézier“ sicher und zieht außerdem nur den Typus „Gabii“ in Betracht.33 Als problematisch muss an dieser Stelle angesehen werden, dass die Kölner Bilddatenbank „Arachne“ die Typologie Boschungs nach Art eines gesicherten Handbuchwissens veröffentlicht.34 Der Beitrag von Fittschen bilanziert im Gegenteil eine offene Kontroverse.35 26 27 28 29 30 31 32 33 34
35
Boschung 1993b, 4; vgl. auch 8–10. Boschung 2009, 131. („Hkh.“) 1844, 848. Bernoulli 1886, 230–241 (Germanicus); 236–241 (Statuen). Zur Forschungsgeschichte: Boschung 1993a, 39; Schollmeyer 2005, 31–33. Dally 2007, 233; vgl. auch Schollmeyer 2005, 32. Boschung 1993a, 59–61; Boschung 2015, 90–92. Fittschen 1987, 218. http://arachne.uni-koeln.de [Letzter Zugriff: 09.11.2017]: „erweiterte Suche“, „Suche in Kategorien“, „Typus“, „Typusbezeichnung“: „Typus 229: Germanicus Adoptionstypus“, „Typus 230: Germanicus Béziers“, „Typus 231: Germanicus Gabii“. Fittschen 1987, 206.
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Es gilt hier wohl immer noch das, was Klaus Fittschen und Paul Zanker bereits 1985 konstatierten: „Wie so oft in der Erforschung der iulischclaudischen Bildniskunst ist auch hier eine sichere Erkenntnis noch nicht erreicht; es ist daher vorerst besser, sich die Unsicherheit einzugestehen, als durch apodiktische Behauptungen eine falsche Gewißheit vorzutäuschen.“36 Eine Erweiterung und Bereicherung der Tradition der Bildnistypen existiert in der kontextorientierten Tradition, die die Typologie der gesamten Statuen (und nicht nur der Bildnisköpfe) sowie deren Aufstellungsorte und -kontexte erforscht.
5
Archäologische Traditionen: IV. dynastische Gruppen und Fundkontexte
Eine angemessene Darstellung der aktuellen Forschungen zu den Statuengruppen des julisch-claudischen Kaiserhauses ist in dem vorliegenden Beitrag nicht leistbar.37 Die seinerzeit hitzige Kontroverse um die Funde aus Veleia belegt, wie kompliziert sich der Befund selbst langjährigen Experten darstellt.38 Hier sind Porträtstatuen und Inschriften gefunden worden, die kombiniert und entschlüsselt werden wollen. Eine ähnliche vergleichende Behandlung von Statuen gleichen Fundortes unternahm schon Bernoulli.39 An anderen Orten sind nur Inschriften belegt, jedoch keine Statuen.40 Die kontextorientierte Tradition untersucht neben dem ursprünglichen Aufstellungsort natürlich auch u. a. Material und Format von römischen Porträtstatuen oder -reliefs. Da bei solchen Statuen Kopf und Arme oft separat gearbeitet wurden, ergeben sich zusätzliche Herausforderungen.41 Das Gleiche gilt für die Umarbeitung von Porträts jener Herrscher, die der memoria damnata verfielen. Im Falle der bekannten Bronzestatue des Germanicus aus Amelia wurde vermutet, dass der Porträtkopf vielleicht in sekundärer Verwendung mit einer Panzerstatue verbunden wurde.42 Was die römischen Ehrenstatuen angeht, so wurden schon von Plinius (nat. 34) verschiedene Arten der Darstellung unterschieden. Gut dokumentiert sind 36 37 38
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Fittschen/Zanker 1985, 30; so auch Dally 2007, 232. Vgl. dazu Boschung 2002. http://arachne.uni-koeln.de [Letzter Zugriff: 09.11.2017]: „erweiterte Suche“, „Suche in Kategorien“, „Mehrteilige Denkmäler“: „Gruppe 400264: Statuengruppe aus der Basilika von Veleia“; Boschung 2002, 25–27. Bernoulli 1886, 236–239. Boschung 1993a, 59, Anm. 107. Vgl. Schollmeyer 2005, 34. Cadario 2011b.
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davon heute Toga-, Panzer- und Reiterstatuen. Seltener begegnen Ehrenstatuen im Wagen und Angleichungen an Heroen- und Götterdarstellungen.43 Die Bildmanipulation des Museums Kalkriese (Abb. 1) erschuf nach diesen Kategorien ein neues Exemplar des letztgenannten „heroischen Typus“. Wie Dally zu Recht kritisiert, verzichtet die Tradition der reinen Bildniskritik (III.) auf wertvolle Informationen zu ihrem Gegenstand, wenn sie die Methoden der kontextorientierten Archäologie auslässt und deren Erkenntnisse missachtet.44
6
Archäologische Traditionen: V. Komplexe Identifikationen und Interpretationen
Obwohl die hier aufgelisteten Werke der antiken Kunst andere, bereits besprochene Traditionen berühren, sollen sie doch separat behandelt werden. Es handelt sich um herausragende Einzelstücke, die Germanicus in besonders komplexen und umstrittenen Zusammenhängen zeigen. Die Erklärung dieser Denkmäler soll hier deshalb zu einer eigenen Tradition erklärt werden. Die „Ara Pacis“ in Rom überliefert wahrscheinlich eine Darstellung des Germanicus als Kleinkind an der Hand seiner Mutter Antonia minor vor seinem Vater Drusus maior.45 Das sogenannte „Schwert des Tiberius“ zeigt wahrscheinlich Germanicus vor dem sitzenden Tiberius.46 Unter den zahlreichen prachtvollen geschnittenen Steinen der Antike, die auch oben in der pysiognomischen Tradition (I.) schon behandelt wurden, ragen einige Kameen besonders hervor. Es handelt sich um die „Gemma Augustea“, den „Grand Camée de France“ und die „Gemma Claudia“.47 Die Deutungen dieser Kunstwerke können – trotz ihrer hohen Präsenz in der Germanicus-Literatur – nicht als vollständig gesichert gelten. Sicher ist, dass Germanicus auch hier als militärischer Befehlshaber und in dynastischen Kontexten erscheint, was einmal mehr die enge Verschränkung der Forschungstraditionen bezeugt. Am Schluss dieses Kapitels sei auf ein Artefakt hingewiesen, das sich von den anderen Werken, die alle das Bildnis oder die Gestalt des Germanicus zeigen, 43 44 45 46 47
Schollmeyer 2005, 36–43; 36 (Plinius); vgl. auch Cadario 2011c. Dally 2007, 240–244. Boschung 2015, 89, Abb. 2. Burmeister/Kehne 2015, 65, Abb. 5. „Gemma Augustea“: Burmeister/Kehne 2015, 61, Abb. 1; Kehne 2017, 94–95, Abb. 2; Zwierlein-Diehl 2007, 432–434, Abb. 610. – „Grand Camée de France“: Kunst 2015, 85, Abb. 8; Kehne 2017, 101, Abb. 5; Giuliani/Schmidt 2010; Zwierlein-Diehl 2007, 438–439, Abb. 633. – Gemma Claudia“: Boschung 2015, 95, Abb. 12; Zwierlein-Diehl 2007, 439–440, Abb. 635.
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grundsätzlich unterscheidet. Die Spiegel mehrerer römischer Tonlampen zeigen wahrscheinlich die Aschenurne des verstorbenen Germanicus. In übergroßem Maßstab steht das Gefäß auf einem Schiff mit zahllosen Rudern.48 Bekanntlich war Germanicus in Antiochia gestorben, seine Ehefrau und die Kinder brachten seine Asche nach Rom. Mit der Deutung dieser Bilder – zuerst auf dem Exemplar im Museum August Kestner (Hannover) – gelang Alexander Mlasowsky ein bemerkenswerter Forschungserfolg.49 Dass die römische Kultur in der Tat Bildwerke hervorbringen konnte, die heute von gelehrten Kennern entschlüsselt werden müssen und dies eine eigene Forschungstradition bedeutet, ist hier eindrucksvoll belegt.
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Schluss: Der inszenierte Kontext
Von den komplexen Bildchiffren der römischen Kunst soll der Schluss des Beitrags nun wieder zurück in die Museen der Gegenwart führen. Die Welt des Imperium Romanum und die von Germanicus angeführten Feldzüge in Germanien waren, wie eingangs geschildert, in mehreren großen Ausstellungen aufwendig dargestellt. Es fällt dabei auf, dass sich die Inszenierungen auf eigentümliche Weise sehr ähnlich sahen. Zu zwei Bildern aus Kalkriese und Haltern lässt sich ein drittes aus Trier stellen (Abb. 6–8). Im Mittelpunkt standen jeweils auf dunklen Sockeln montierte Porträtköpfe aus Marmor. Alle Inszenierungen waren dem oben beschriebenen Titelbild des Kalkrieser Katalogs insofern vergleichbar, als sie durch Farbe und Beleuchtung einen verfremdenden Effekt erzielen wollten. Kalkriese setzte hier sogar auf bewegte Bilder. In Haltern und Trier ergänzten weitere Objekte und groß gesetzte Texte diese und ähnliche Szenerien.
48 49
Eck 2015, 76, Abb. 2. Mlasowsky 1992.
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Abb. 6: Ausstellungsinszenierung „Ich Germanicus! Feldherr, Priester, Superstar“. – Museum und Park Kalkriese 2015.
Abb. 7: Ausstellungsinszenierung „Triumph ohne Sieg. Roms Ende in Germanien“. – LWL-Römermuseum Haltern 2017.
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Abb. 8: Ausstellungsinszenierung „Nero – Kaiser, Künstler und Tyrann“. – Rheinisches Landesmuseum Trier 2016.
Vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Traditionen und Herausforderungen der archäologischen Porträtforschung betrachtet, kann man diese Art des Umgangs mit den antiken Porträts des Germanicus (und anderer Protagonisten) als eingeschränkt und wenig anspruchsvoll ansehen. In der Nero-Ausstellung z. B. wurde die kritisch zu beurteilende physiognomische Tradition einerseits über die Maßen strapaziert und gleichzeitig die Tradition der kontextorientierten Archäologie beschädigt, indem der Museumsdirektor für eine Fotokampagne ein Marmorporträt zu Marketingzwecken und Selbstdarstellung einsetzte sowie andererseits ein Bronzeporträt in einem Raum voller digital projezierter Flammen „Neros Untergang“ inszenierte.50 Bei der Positionierung der in die Sümpfe Germaniens versetzten Bronzestatue des Tiberius aus dem Theater von Herculaneum erkaufte sich die Ausstellung in Haltern einen oberflächlichen Effekt durch Missachtung eines archäologisch besonders bedeutenden Fundkontextes. Es wurden für diese Ausstellungen neue Kontexte geschaffen, was nicht prinzipiell zu schelten ist. Jedoch bleibt der in den Inszenierungen vermittelte Inhalt gelegentlich hinter den wissenschaftlichen Möglichkeiten zurück. Eine „Blockbuster“-Sonderausstellung ist natürlich kein Proseminar. Und es müssen auch nicht die archäologischen Traditionen selbst zum Thema der Ausstellungen gemacht werden. Komplexe historische oder kunstgeschichtliche Inhalte, die aus bedeutenden Exponaten abgeleitet sind und mit ihrer Hilfe inszeniert werden, begegnen einem jedoch selten. Verlässt man die von Popkultur und Digitalisierung geprägte Gegenwart und sucht Halt in der jahrhundertealten europäischen Museumstradition, so ist 50
http://www.deutschlandfunkkultur.de/nero-ausstellung-in-trier-vom-muttermoerderzum-softporno.1001.de.html?dram:article_id=353649; http://www.trier-reporter.de/ nero-kuenstler-volksliebling-sadist-und-moerder/ [Letzter Zugriff: 09.11.2017]
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bemerkenswert, dass eine verwandte Inszenierung römischer Geschichte ja bereits in der Historienmalerei des 17. Jahrhunderts vorliegt. Die Kasseler Gemäldegalerie besitzt mit einem Werk von Gérard de Lairesse, das den sterbenden Germanicus im Kreis seiner Familie und Soldaten zeigt, ein bedeutendes Werk dieser Gattung (Abb. 9).51 Etwa 100 Jahre jünger ist ein Gemälde von Benjamin West in der Yale University Art Gallery (New Haven).52 Germanicus’ Witwe Agrippina maior betritt – im Arm die Urne mit der Asche ihres Mannes – mit ihren Kindern zu Schiff von Antiochia kommend in Brundisium italischen Boden (Abb. 10). Archäologisches und historisches Wissen fließen in diesen Bildern zusammen, indem hier aus den antiken Quellen gut bekannte Episoden dargestellt sind: einerseits in ihren antiquarischen Details korrekt inszeniert, aber andererseits auch auf einen dramatischen Effekt zielend. Zu ihrer Zeit fanden diese und andere Gemälde reichlich Absatz und Publikum.
Abb. 9: Gérard de Lairesse, Der Tod des Germanicus (um 1680). – Kassel, Gemäldegalerie Alte Meister.
51 52
MHK Gemäldegalerie Alte Meister Inv. Nr. GK 463; Weber 2005. http://artgallery.yale.edu/collections/objects/46131 [Letzter Zugriff: 09.11.2017].
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Abb. 10: Benjamin West, Agrippina Landing at Brundisium with the Ashes of Germanicus (1768). – Yale University Art Gallery.
Der zeitgenössische Betrachter ist das tertium comparationis meines Vergleichs mit den Ausstellungsinszenierungen unserer Gegenwart. Szenen aus dem Leben des Germanicus sollen und wollen beide Epochen zu sehen bekommen. Unsere Zeit setzt, wie oben beschrieben, zu diesem Zweck effektvolle moderne Lichttechnik, gedruckte Texte (Quellen oder Erläuterungen) sowie auch originale, aus der Antike überlieferte Artefakte ein. Es bleibt zu wünschen, dass diese Artefakte auch in den Museen des 21. Jahrhunderts stets nach Maßgabe der in diesem Beitrag skizzierten archäologischen Traditionen und Methoden der Porträtforschung behandelt werden.
Literatur Alföldi, M. R., Antike Numismatik. Teil 1: Theorie und Praxis, Mainz 1978. Aßkamp, R. u. Jansen, K. (Hrsgg.), Triumph ohne Sieg. Roms Ende in Germanien, Darmstadt 2017. Bernoulli, J. J., Römische Ikonographie Bd. 2/1. Die Bildnisse der römischen Kaiser: Das julischclaudische Kaiserhaus, Berlin 1886. Boschung, D., Die Bildnistypen der iulisch-claudischen Kaiserfamilie: ein kritischer Forschungsbericht, JRA 6 (1993), 39–79. Boschung, D., Gens Augusta. Untersuchungen zu Aufstellung, Wirkung und Bedeutung der Statuengruppen des julisch-claudischen Kaiserhauses, Mainz 2002.
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Traditionen der Inszenierung und der Wissenschaft
Boschung, D., Bilder des Germanicus. Die römische Staatskunst als Instrument kaiserlicher Selbstdarstellung, in: S. Burmeister u. J. Rottmann (Hrsgg.), Ich Germanicus. Feldherr, Priester, Superstar, Darmstadt 2015, 88–97. Burmeister, S. u. Kehne, P., Germanicus. Lehrling – Feldherr – Diplomat, in: Ders. u. J. Rottmann (Hrsgg.), Ich Germanicus. Feldherr, Priester, Superstar, Darmstadt 2015, 60–73. Burmeister, S. u. Rottmann, J. (Hrsgg.), Ich Germanicus. Feldherr, Priester, Superstar, Darmstadt 2015. Cadario, M., Statua eroica di Germanico, in: E. La Rocca (Hrsg.), Ritratti: le tante facce del potere, Rom 2011a, 226. Cadario, M., Statua loricata di Germanico, in: E. La Rocca (Hrsg.), Ritratti: le tante facce del potere, Rom 2011b, 228–229. Cadario, M., Il linguaccio dei corpi nel ritratto romano, in: E. La Rocca (Hrsg.), Ritratti: le tante facce del potere, Rom 2011c, 209–221. Eck, W., Tod des Germanicus. Trauerhysterie und der Prozess gegen Piso, in: S. Burmeister u. J. Rottmann (Hrsgg.), Ich Germanicus. Feldherr, Priester, Superstar, Darmstadt 2015, 74–78. Fittschen, K., Zum angeblichen Bildnis des Lucius Verus im Thermen-Museum, JdI 86 (1971), 214– 252. Fittschen, K., Katalog der antiken Skulpturen in Schloss Erbach, Berlin 1977. Fittschen, K., I ritratti di Germanico, in: G. Bonamente u. M. P. Segolini (Hrsgg.), Germanico. La persona, la personalità, il personaggio, Rom 1987, 205–218. Fittschen, K. u. Zanker, P., Katalog der römischen Porträts in den Capitolinischen Museen und den anderen kommunalen Sammlungen der Stadt Rom Bd. 1. Kaiser- und Prinzenbildnisse, Mainz 1985. Giuliani, L. u. Schmidt, G., Ein Geschenk für den Kaiser. Das Geheimnis des großen Kameo, München 2010. Jucker, H., Ikonographische Anmerkungen zu frühkaiserzeitlichen Porträtkameen, BABesch 57 (1982), 100–117 . Hirmer, M. et al., Die römische Münze, München 1973. („Hkh.“), N. N., Germanicus Caesar, RE 3 (1844), 838–848. Kehne, P., Germanicus und die Germanienfeldzüge 10–16 n. Chr., in: R. Aßkamp u. K. Jansen (Hrsgg.), Triumph ohne Sieg. Roms Ende in Germanien, Darmstadt 2017, 93–101. Kroll, W., Germanicus Iulius Caesar (138), RE 10 (1919), 435–464 Kunst, C., Patchworkfamilie und aristokratische Familienpolitik. Immer der große Ganze im Blick, in: S. Burmeister u. J. Rottmann (Hrsgg.), Ich Germanicus. Feldherr, Priester, Superstar, Darmstadt 2015, 79–87. La Rocca, E. (Hrsg.), Ritratti: le tante facce del potere, Rom 2011. Mlasowsky, A., Die Ascheurne des Germanicus. Deutungsvorschlag eines Lampenmotivs im KestnerMuseum Hannover, RM 98 (1992), 223–230. Mongez, A., Iconographie romaine. Tome seconde, Rom 1821. Schöpflin, J. D., Oratio qua sistitur Germanicus Rarum Principis ad spem Imperii nati exemplar …, Straßburg 1717. Splitter, R., Antikengalerie und Antikenzimmer des Museum Fridericianum in Kassel, in: A. Joachimides et al. (Hrsgg.), Auf dem Weg zum Museum. Sammlung und Präsentation antiker Kunst an deutschen Fürstenhöfen des 18. Jahrhunderts, Kassel 2016, 165–188. Stoltz, F., Beschreibung des Kurfürstlichen Museums zu Cassel im Jahre 1836, Kassel 1836. von Stosch, P., Pierres antiques gravées, sur lesquelles les graveurs ont mis leurs noms …/Gemmae antiquae celatae, scalptorum nominibus insignitae …, Amsterdam 1724. Weber, G. J. M., Gérard de Lairesse (1640–1711): Der Tod des Germanicus, in: M. Eissenhauer u. M. Heinz (Hrsgg.), 3 x Tischbein und die europäische Malerei um 1800, München 2005, 62–63. Weisser, B., Germanicus Caesar. Zur Inszenierung eines Nachkommen im Medium der Münzen zwischen 4 und 9 n. Chr., in: S. Burmeister u. J. Rottmann (Hrsgg.), Ich Germanicus. Feldherr, Priester, Superstar, Darmstadt 2015, 98–104. Willburger, N., Wahre Schätze – Antike. Landesmuseum Württemberg. Mit Beiträgen von S. Feickert und V. Lobe, Ulm 2016.
Rüdiger Splitter Zwierlein-Diehl, E., Antike Gemmen und ihr Nachleben, Berlin 2007.
Bildnachweise Abb. 1: © Grafik Gabriele Dlubatz, VARUSSCHLACHT im Osnabrücker Land GmbH. Museum und Park Kalkriese Abb. 2: © Hendrik Zwietasch, Landesmuseum Württemberg Stuttgart Abb. 3 und 4: © Forschungsarchiv für Antike Plastik, www.arachne.unikoeln.de Abb. 5: © Foto Museumslandschaft Hessen Kassel Abb. 6: © Foto Elvira Parton, VARUSSCHLACHT im Osnabrücker Land GmbH. Museum und Park Kalkriese Abb. 7: Foto: Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL), T. Arendt Abb. 8: Foto Thomas Zühmer, Rheinisches Landesmuseum Trier Abb. 9: © Foto Museumslandschaft Hessen Kassel Abb. 10: © Yale University Art Gallery, public domain.
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Rom und Germanien in der Erinnerungskultur der Frühen Neuzeit Ulrich Niggemann
Quid est enim aliud omnis historia, quam Romana laus? – „Was ist nämlich alle Geschichte anderes als das Lob Roms?“ Diese Frage warf Francesco Petrarca bereits im 14. Jahrhundert auf und brachte damit die Stimmung des frühen italienischen Humanismus auf den Punkt.1 Die Wiederentdeckung oder vielleicht besser: Die Neukonfiguration und Überhöhung der Antike wurde in der Folgezeit zur Programmatik der Renaissance. Sie ging einher mit der erklärten Abkehr von den „tenebrae“, den „Dunkelheiten“ der „medium tempus“, des von nun an so genannten Mittelalters.2 Die beginnende Neuzeit konstituierte sich also einerseits über die dezidierte Ablehnung der vorangegangenen, sprachlich vom Mittellateinischen und philosophisch von der Scholastik geprägten Jahrhunderte, und andererseits über die vermeintliche Rückkehr zur Goldenen Latinität Ciceros und zu den ästhetischen und philosophischen Idealen der Antike.3 Die beginnende Neuzeit – so könnte man auch sagen – definierte sich anhand der Antike, sie verstand sich als Wiedergeburt antiker Kunst und Gelehrsamkeit.4 Oder vielleicht noch zutreffender: Sie erfand die Antike, um sich selbst ein Ziel zu setzen. Erst im späten 17. Jahrhundert, als Charles Perrault in einem Lobgedicht auf König Ludwig XIV. von Frankreich, „Le siècle de Louis le Grand“, die Überlegenheit seines Zeitalters gegenüber der Antike betonte und damit die Querelle des Anciens et des Modernes auslöste,5 bekam diese an der Antike orientierte Selbstdefinition der Neuzeit erste Risse. Diese gelehrte Kontroverse zwischen den Alten und den Modernen wurde in Frankreich, aber auch in England intensiv
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Der ursprüngliche Vortragstext wurde weitgehend beibehalten und – ohne auch nur annähernden Anspruch auf Vollständigkeit – mit Literaturhinweisen versehen. Petrarca 2005, 62. Hinweis auf diese Stelle auch schon bei Niggemann/Ruffing 2013. Auch hier war Petrarca wegweisend; vgl. etwa Hinz 2000, 541 f.; Hirschi 2008, Sp. 610 f.; Stierle 2012, 274–288; Silk et al. 2014, 20 f. In der Form von Handbuchwissen etwa Schorn-Schütte 2009, 15f. Eher mit Blick auf die Selbstkonstitution der Epoche Günther 1975, 627; Jaeger 2009, Sp. 159–161. Der italienische Begriff des „rinascimento“ stammt wohl von Vasari; vgl. etwa Walther 2010, Sp. 1. Der Renaissance-Begriff wurde freilich erst im 19. Jh. von Jules Michelet und Jacob Burckhardt geprägt; vgl. Walther 2010, Sp. 2 f.; Silk et al. 2014, 14 mit Anm. 1. Aus der Fülle der Forschung zur Querelle etwa Jauß 1964; Kortum 1966; Gillot 1968; Levine 1991; Hoppit 2000, 200 f.; Schmitt 2002; Chihaia 2009. Ein Lesebuch der wichtigsten Texte und eine Einführung in die Querelle bietet Lecoq 2001.
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Rom und Germanien in der Erinnerungskultur der Frühen Neuzeit
geführt und fand – wenn auch etwas verspätet – auch in der deutschen Frühaufklärung einen Widerhall.6 Der Streit und die partielle Neuausrichtung der Neuzeit am aufklärerischen Fortschrittsdenken änderte indes kaum etwas daran, daß wesentliche philosophische, politische und künstlerische Positionen nach wie vor der Antike verpflichtet blieben bzw. ihre Axiome sprachlich, bildlich und symbolisch in antikisierende Gewänder kleideten.7 Ja, die Französische Revolution und der Neuhumanismus des 19. Jahrhunderts brachten in gewisser Hinsicht sogar Steigerungsformen dieses Phänomens mit sich.8 Mit diesen Überlegungen ist bereits angedeutet, daß es sich bei dem Thema, „Rom und Germanien in der Erinnerungskultur der Frühen Neuzeit“, wahrhaftig um ein Großthema handelt, das eine geradezu umfassende Bedeutung zumindest für die Frühe Neuzeit, also grob den Zeitraum seit der Mitte des 15. Jahrhunderts und bis ins frühe 19. Jahrhundert, beanspruchen kann. Geradezu die gesamte Kulturgeschichte dieses Zeitraums, und darüber hinaus, läßt sich in diesem Thema erfassen.9 Es geht um die Wahrnehmung temporaler Strukturen, um die vorherrschenden Geschichtsbilder, um Selbstverortungen, aber auch um Techniken und Praktiken der Kommunikation in nahezu allen Wissens- und Diskursfeldern. Insbesondere in politischen Zusammenhängen war Rom ein zentrales identitätsstiftendes und legitimierendes Referenzobjekt. So ließen sich aus der römischen Geschichte Legitimationstopoi und Repräsentationsfiguren für politisches Handeln und die Ausübung von Herrschaft gewinnen. Die politische Theorie der Frühen Neuzeit, und zwar gerade auch mit republikanischen Bezügen, bediente sich aus der römischen Geschichte, wie sie bei Livius, Plutarch und anderen überliefert war, sowie aus der römischen politischen Theorie.10 Über das römische Vorbild ließ sich imperiale Expansion legitimieren11, und kulturelle Blüte konnte in Anlehnung etwa an das Augusteische Rom thematisiert werden, man denke nur an die Rede vom Augustan Age im Großbritannien des ausgehenden 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts.12 Großbritannien feierte sich in dieser Zeit zunehmend als Empire römischen Zuschnitts und thematisierte die großbürgerliche und adelige Lebensführung, das Theater, die Literatur und Dichtung eben als Wiedergeburt eines Augusteischen Zeitalters,
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Pago 1989; Chihaia 2009, Sp. 589; Schmitt 2002, 611 f. Elm et al. 2009a. Etwa Hafner 2002; Landfester 2001. Dementsprechend zahlreich sind auch die Versuche, das Phänomen wissenschaftlich zu beschreiben; vgl. etwa Schuller 1985; Rahe 1992; Kallendorf 2007; Elm et al. 2009b; Niggemann/Ruffing 2011; Heinen 2011 und Silk et al. 2014. Vgl. etwa Millar 2002; Hannemann 2008; Zabel 2016; sowie Niggemann/Ruffing 2011. Etwa Hausteiner 2015; Huhnholz 2014. Vgl. etwa Weinbrot 1978; Johnson 1958; Baumann 2003, 811; Silk et al. 2014, 6.
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das sich – ganz im Sinne der Querelle des Anciens et des Modernes – durchaus mit dem alten Rom messen konnte oder es sogar übertraf.13 Während Rom – und seltener auch die griechischen poleis – Referenzpunkte für politische Ideen, Legitimationen und Argumentationsstrategien bildeten und als solche ein hohes Maß an Anerkennung genossen, spielte das antike Germanien offenbar eine andere, bisweilen konkurrierende Rolle, die freilich die Rombezüge nie ganz verdrängte. Typisch ist, daß Germanien vor allem im mittel-, west- und nordeuropäischen Raum Bezugspunkt früher nationaler Identitätsbildungs- und Kollektivierungsprozesse sein konnte. Es stellt sich indes die Frage, ob das Germanische im gleichen Maße als antik gelten kann wie das Römische. Für die Frühe Neuzeit war zweifellos klar, daß Rom und Griechenland mit dem normativen und positiv aufgeladenen Begriff des „Alten“, des „Antiken“ und „Klassischen“ identifiziert wurden. Bei den Germanen war das nicht so eindeutig – hier verschwamm anscheinend Antikes mit Mittelalterlichem bzw. wurde als unvordenklich konzipiert, als irgendwie uralt. Wir haben es also offenkundig mit unterschiedlichen Graden der historischen Konkretisierung zu tun, aber auch mit unterschiedlichen Wertigkeiten. Bevor versucht werden soll, diese Vorüberlegungen an einigen Beispielen zu konkretisieren, sollten noch ein paar theoretische Überlegungen zum Begriff „Erinnerungskultur“ sowie zum wissenschaftlichen Umgang mit Rezeptionsphänomenen vorangestellt werden. Beim Begriff „Erinnerungskultur“ handelt es sich um einen komplexen theoretischen Begriff, der insbesondere vom gleichnamigen Gießener Sonderforschungsbereich geprägt worden ist.14 Er impliziert zum einen die grundsätzliche Bedeutung von Erinnerung als kulturelles Phänomen par excellence. Wenn wir unter Kultur ein symbolisches System von Bedeutungszuschreibungen und Sinnstiftung verstehen, dann spielt Erinnerung darin eine zentrale Rolle, findet doch die Deutung der Welt wesentlich auf der Basis früherer individueller wie kollektiver Erfahrung statt.15 Das Erinnern, die Geschichte bietet also Orientierung und gibt dem Gegenwärtigen Sinn. Zugleich ist Erinnern aber nie das Abrufen einmal abgespeicherter und konstanter Informationen, sondern eher eine Art Neukonstituierung oder ReFiguration innerhalb jeweils aktueller Abruf- oder Erinnerungssituationen. Das heißt, wir schaffen unsere Erinnerungen stets neu, Erinnerung fluktuiert von Erinnerungsmoment zu Erinnerungsmoment. Zudem sind wir in der Lage, uns an Nicht-Selbst-Erlebtes zu erinnern, also fremde Erinnerungen in unsere eigenen zu integrieren.16 Das gilt für die individuelle Erinnerung, die als 13
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Zum Empire des 18. Jh.s Hoppit 2000, 242–277; Wende 2014, 1102–1107; und ausführlich Wende 2008, 35–122. Vgl. Erll 2011, 36–39. Sandl 2005. Zur Integration fremder Erinnerungen Berek 2009, 52–55; zur Erinnerung als Neukonstituierung und Refiguration Erll 2011, 7 f.; 36–39 u. ö.; Berek 2009; Assmann 1997, 29–48; und zusammenfassend auch Niggemann 2017, 32–42.
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neurologischer Vorgang beschrieben werden kann, ebenso wie für kollektive Erinnerung, die entweder oral oder medial, in jedem Fall aber kommunikativ funktioniert.17 Kann es vor diesem Hintergrund eine frühneuzeitliche Erinnerung an die Antike geben? Konnten frühneuzeitliche Gesellschaften über die zeitliche Distanz und umfassende sozio-kulturelle Transformationsprozesse hinweg eine kollektive Erinnerung an die Antike haben? Auf den ersten Blick erscheint das problematisch, doch wenn wir kollektive Erinnerung als mediale Erinnerung verstehen, die Fremdes einschließen kann, so können wir tatsächlich von einer europäisch-abendländischen Erinnerungskultur sprechen, die die Antike einschloß, in dem Sinne nämlich, daß sie in Texten, Bildern und Sachüberresten gespeichert war, die nicht als gänzlich fremd empfunden wurden, sondern immer noch als Teil einer gemeinsamen Vergangenheit konzeptualisiert wurden und werden. Dem steht keineswegs entgegen, daß die Abrufung oder Aneignung antiker Phänomene stets mit Bezug auf die eigene Gegenwart geschah, daß sie also mit einer Aktualisierung einherging. „Antike“, so läßt sich verallgemeinernd sagen, blieb stets aktuell, sie bildete eine Folie vor der – übrigens durchaus parallel zu den biblischen Geschichten des alten Israel – jede neue Entwicklung wahrgenommen und interpretiert werden konnte. Es ist ein häufiges Mißverständnis im Umgang mit Rezeptionsphänomenen, daß die Antike als etwas Faktisches gesehen wird, als etwas Feststehendes oder Konstantes, und daß Rezeption vor diesem Hintergrund als mehr oder weniger ausgeprägte Verfälschung, Verformung und instrumentalisierende Verzerrung gedeutet wird. Rezeptionsphänomene werden also als mehr oder weniger korrekte oder eben als falsche Aneignung der Antike bewertet. Demgegenüber soll hier noch einmal – wie an anderer Stelle bereits ausgeführt18 – der Ansatz verfolgt werden, daß Antike eben etwas Offenes, nicht Festgelegtes ist, daß sie Resultat von Aushandlungsprozessen, Imaginationen und stets neuen kulturellen Hervorbringungen ist. Daher ist die Frage berechtigt, ob „Rezeption“ überhaupt ein geeigneter Begriff ist, um die hier angesprochenen Phänomene auf den Punkt zu bringen.19 Vielleicht kann gerade der Begriff der „Erinnerungskultur“ dabei helfen, den Fokus stärker auf die aneignende, die erinnernde und imaginierende Kultur zu richten. Antike ist nicht einfach gegeben, sondern wird im Akt der Erinnerung oder Aneignung stets neu geschaffen bzw. re-figuriert. Sie bildet einen Pool an Bildern, Topoi und Argumenten, die offen für unterschiedliche Interpretationen waren und sind – und gerade darin besteht ihre Attraktivität für spätere Epochen. Antike konnte also je nach Situation angeeignet, verwendet und verargumentiert werden.
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Assmann 1997, 87–103; Assmann 2004; Erll 2011, 32f. Niggemann/Ruffing 2011; Niggemann/Ruffing 2013; Niggemann 2019. Ähnliche Ansätze aber auch bei Silk et al. 2014, 3–9; Heinen 2011. So auch der Einwand bei Silk et al. 2014, 12f.
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Das bedeutet indes nicht, daß ihre Verwendung beliebig war oder daß Antike geradezu fiktionalen Charakter erhielt. Stets kam es auch auf die Plausibilisierung der Verargumentierungen an. Diese Plausibilitäten waren freilich immer abhängig von bestimmten Rezeptions- und Interpretationstraditionen. Kein Aneignungs- oder Erinnerungsakt steht einfach für sich oder schöpft originär aus der antiken Überlieferung, sondern er steht immer im Kontext vorangegangener Aneignungen sowie von Lern- und Bildungshorizonten und von Wissenskulturen. Das heißt, die Lesart antiker Texte, Bilder und Realien war bis zu einem gewissen Grad vorgegeben bzw. begrenzt auf eine limitierte Anzahl möglicherweise konkurrierender Lesarten und Interpretationsoptionen.20 Darüber hinaus verliert die Antike dadurch nicht an Bedeutung, sondern ganz im Gegenteil: Viele Sachverhalte oder Positionen ließen sich in der Frühen Neuzeit nur mit Rekurs auf die Antike überhaupt ausdrücken und sprachlich/ bildlich fassen. Daher erlangte der Rekurs auf die Antike gerade in Krisensituationen, wenn neue, von der bisherigen Norm abweichende Phänomene auf den Punkt gebracht werden mußten, eine herausragende Bedeutung. Wir sollten daher weniger nach dem Realitätsgehalt von Antikerekursen und Rezeptionsphänomenen fragen als vielmehr nach der Situationsbedingtheit von Refigurationen und Erinnerungsakten. Welche Bedeutung besaßen sie in konkreten Aneignungssituationen, welche Funktionen nahmen sie an? Wenn wir Antike als grundsätzlich offenes Reservoir an Bildern, Texten, Sachen und Topoi betrachten, dann wirft das eben auch die Frage auf, welche Antike überhaupt in welchen Situationen rezipiert wurde.21 War es die griechische oder die römische Antike, oder vielleicht die germanische? Welche Beziehung hatten diese Antiken zur biblischen Antike? War es eine imperiale, monarchische Antike oder eine republikanische? Eine säkulare oder eine religiöse? Insofern müssen wir grundsätzlich von einer Pluralität von Antiken ausgehen, und damit auch von einer grundsätzlichen Umstrittenheit von Antike. Konkurrierende oder rivalisierende Positionen in der Gegenwart konnten eben auch über unterschiedliche Deutungen und Rekurse auf Antike oder eben auf unterschiedliche Antiken ausgefochten werden.22 Diese Pluralität von Antike wie auch die Pluralität und Situationsbedingtheit von Aneignungen ist stets im Hinterkopf zu behalten und führt gleich vorweg zu der Schlußfolgerung: Die Sicht der Frühen Neuzeit auf die Antike gibt es nicht! Man kann sich dementsprechend vorstellen, daß sich die zahlreichen und heterogenen Perzeptionen und Erinnerungsakte zwischen dem 15. und dem frühen 19. Jahrhundert mit Bezug auf Phänomene von Antike in einem einzigen Beitrag nicht adäquat abbilden lassen, schon gar nicht, wenn man mehr leisten 20 21 22
Niggemann/Ruffing 2011, 12–17. So schon im Titel bei Heinen 2011. Vgl. Walther 2011.
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will, als nur einen kursorischen Überblick zu bieten. Es stellt sich daher die Frage, welche Phänomene man thematisieren möchte. Insbesondere in gebildeten Milieus war der Umgang mit antiker Geschichte und mit antiken Mythen so selbstverständlich und zugleich so vielfältig, daß wir uns im Detail verlieren würden, würden wir versuchen, dieser Phänomene Herr zu werden.23 Theater, Dichtung, Musik, höfische Maskenbälle und Tanzveranstaltungen, politische Satire, propagandistische Medien wie Medaillen und vieles mehr waren durchdrungen von Anspielungen auf antike Geschichten und Mythologien. Allerorten finden sich die fasces als Dekorationselemente herrschaftlicher Architekturen, Herrscher selbst ließen sich seit dem 16. Jahrhundert verstärkt in römischer Rüstung darstellen und mit historischen und mythischen Figuren gleichsetzen. Um nicht in einer Aneinanderreihung von Phänomenen unterzugehen, soll im Folgenden versucht werden, zwei grundlegende Aspekte von Antikerekursen – auf Rom wie auch auf Germanien – herauszugreifen, die zugleich geeignet sind, die Krisenbezogenheit und grundsätzliche Umstrittenheit von Antikerekursen zu thematisieren, nämlich zum einen die kollektive Identitätsstiftung und zum anderen die politische Orientierungsfunktion in Momenten krisenhaften Wandels.
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Antike und humanistische frühnationale Identitätsstiftung
Der Beginn des Renaissance-Humanismus in Italien hat neben anderen Entwicklungen seine Ursachen sicher auch in der mit dem Fall Konstantinopels und des Byzantinischen Reiches 1453 einhergehenden Flucht zahlreicher Geistlicher und Gelehrter sowie ihrer Bibliotheken nach Italien. Dadurch wurden Teile der antiken, insbesondere griechischen Literatur dem lateinischen Westen auf breiter Basis zugänglich, die bis dahin kaum bekannt waren, so daß das Studium der antiken Sprachen und Literaturen einen neuen Impuls erhielt.24 Neben dieser eher medialen Dimension spielte indes auch die politische Entwicklung in Italien selbst eine wichtige Rolle. Im 15. Jahrhundert gerieten nämlich die florierenden mittelalterlichen Stadtrepubliken Norditaliens, allen voran Venedig, Florenz und Genua in eine tiefe Krise, die sich auch in militärischen Auseinandersetzungen niederschlug.25 Norditalien geriet darüber hinaus auch in den Sog der politisch-militärischen Auseinandersetzungen 23
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Eine Vielzahl solcher Felder des Umgangs mit Antike wird thematisiert bei Elm et al. 2009; und Heinen 2011. Überblick bei Niggemann 2019. Silk et al. 2014, 43; und kritisch abwägend Mondrain 2005. Nach wie vor wichtig Baron 1966, 3–46.
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zwischen dem Haus Habsburg und der französischen Herrscherdynastie der Valois. Italien wurde in den letzten Jahrzehnten des 15. und im gesamten 16. Jahrhundert zum Schlachtfeld der beiden Großmächte.26 Beide Entwicklungen, die hier nicht weiter ausgeführt werden können, haben mit dazu beigetragen, daß um die Wende zum 16. Jahrhundert in immenser Fülle politische und staatstheoretische Ideen formuliert wurden. Noch wichtiger für unseren Zusammenhang ist jedoch die Hinwendung zur Geschichte, die sicher auch als Identitätsstiftung und Selbstvergewisserung angesichts von empfundener oder als drohend empfundener Fremdherrschaft zu verstehen ist, und die zugleich „als Alternative zur eschatologisch-genealogischen Geschichtsschreibung des Adels“ eine national aufgeladene Historiographie für das Stadtbürgertum bot.27 Anknüpfend an Leonardo Brunis „Historia del popolo fiorentino“ von 1410 entstanden in Florenz etwa Francesco Guicciardinis „Storie fiorentine“ von 1508, der bereits seine „Storia d’Italia“ von 1492 vorausgegangen war. Niccolò Machiavelli publizierte 1525 seine „Historie fiorentine“, und Donato Gianotti fügte 1531 noch ein Werk mit dem Titel „Della repubblica fiorentina“ hinzu. Von Gianotti stammen auch die „Dialogi de Republica Venetorum“ von 1540.28 Auf dem ideologisch-medialen Schlachtfeld konnte die römische Vergangenheit die Anciennität der italienischen Stadtkommunen belegen. Das Postulat eines überlegenen römischen Erbes war somit nicht nur ein entscheidender Impetus von Antikerekursen, sondern prägte auch die Aneignung, die Lesart der Antike. Offenkundig spielte in diesem Zusammenhang eine generelle Hochschätzung des Alters, der Anciennität eine Rolle. So führten sich einzelne Kommunen nicht nur auf eine römische Gründung zurück, sondern versuchten, sich an Alter zu überbieten. Annius von Viterbo versuchte in seiner siebzehnbändigen „Antiquitatum variarum“ von 1498, seine Heimatstadt Viterbo auf die Nachfahren Noahs zurückzuführen und ihr eine Gründung noch vor der Gründung Roms zu attestieren.29 Auch die Flüchtlinge aus Troja waren beliebte Gründerväter von Städten, übrigens auch nördlich der Alpen – nicht nur die Habsburgerdynastie versuchte, sich auf Troja zurückzuführen (Maximilian I beschäftigte sogar eigens Historiker, die diese Abstammung beweisen sollten), sondern auch die Freie und Reichsstadt Augsburg nahm für sich eine Gründung durch geflohene Trojaner in Anspruch.30 Anciennität war also zweifellos ein wichtiger Faktor in der Aneignung und Rezeption von Antike. Sie stiftete Identität und unterstützte die jeweilige Gemeinschaft in einem symbolischen Wettstreit mit anderen Gemeinschaften in ihrem Anspruch auf Vorrang.
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Dazu etwa Reinhardt 2002, 16–43; Goez 2010, 227–273; Schulin 1999, 140–150. Vgl. dazu Maissen 2013. Vgl. etwa Völkel 2006, 209–213. Krebs 2012, 106–108. Hirschi 2012, 155f.; Krebs 2012, 108; 122–124; Laufhütte 2011. Generell zur Vielschichtigkeit von Anciennitätskonstruktionen Graf 2001.
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Im Zuge des Humanismus traten dabei zunehmend nationale Identitätsstiftungen in den Vordergrund.31 Ein besonders gutes Beispiel ist die Wiederentdeckung der „Germania“ des Tacitus, die gewissermaßen zum symbolischen Schlachtfeld wurde. Ihre Existenz war an der Wende zur Neuzeit zwar bekannt, doch der Text selbst galt als verschollen. Erst um 1450 tauchte er im sogenannten Hersfelder Codex auf, einer Sammlung frühmittelalterlicher Abschriften antiker Texte, die vermutlich in einem Kloster in Fulda entstanden war. Auf Wegen, die nicht mehr eindeutig rekonstruierbar sind, gelangte das Manuskript schließlich nach Rom, wo sich italienische Humanisten wie Giannantonio Campano und Enea Silvio Piccolomini eingehend damit befaßten.32 Interessant ist, wie unterschiedlich der Text genutzt werden konnte. Insbesondere Piccolomini berief sich in einem Aufruf an die deutschen Fürsten, sich am Kreuzzug gegen die Osmanen zu beteiligen, intensiv auf die „Germania“. Er appellierte an die kriegerischen Tugenden der alten Germanen, an ihre Tapferkeit und Treue, um auf diese Weise die deutschen Fürsten zur Beteiligung am Kreuzzug zu bewegen.33 Aus der durchaus ambivalenten Darstellung des Tacitus ließ sich also ein im positiven Sinne kriegerisches Bild der Germanen gewinnen. Derselbe Piccolomini verwendete indes in ganz anderem Kontext die antike Darstellung auch, um die Rohheit, die Unzivilisiertheit und Rückständigkeit der Germanen gegenüber den Römern zu betonen. In einer Beschreibung Deutschlands nutzte er Tacitus für den Nachweis, daß Deutschland von den Römern wie auch von der römischen Kirche profitiert habe, daß aus einem primitiven Volk ohne jede Kultur eine blühende Gesellschaft geworden sei. Die Germanen des Tacitus waren nun keine im positiven Sinne tapferen und treuen Krieger mehr, sondern Barbaren, die erst von Rom Kultur und Zivilisation gelernt hätten.34 Andere italienische Humanisten nutzten dasselbe Bild, um die Überlegenheit Italiens gegenüber Deutschland zu betonen, das heißt Tacitus’ „Germania“ wurde in der Hand italienischer Humanisten auch zu einem propagandistischen Instrument der Deutschlandkritik.35 Angesichts Habsburgischer Einflußnahme in Norditalien und den politischen Auseinandersetzungen zwischen Kaiser und Papst, die 1527
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Grundlegend für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Konzept der Nation in der Frühen Neuzeit Hirschi 2005. Vgl. Krapf 1979, 11–42; Kloft 2003, 199–201; Schmal 2005, 171–174; Krebs 2012, 56–85. Krebs 2005, 127–138; Krebs 2012, 90 f. Diese Perspektive erscheint sehr viel ausführlicher auch in der Regensburger Reichstagsrede von Giannantonio Campano; vgl. Krapf 1979, 53–60; und Krebs 2012, 99–104. So in seiner als Antwort auf den Kurmainzer Kanzler Martin Meyer verfaßte Deutschlandbeschreibung „De ritu, situ, moribus et conditone Germaniae“ (1458); vgl. Tiedemann 1913, 25 f.; Krapf 1979, 49–53; Kloft 2003, 202–207; Schmal 2005, 173 f.; Hirschi 2005, 246; Krebs 2005, 138–155; Krebs 2012, 91–99. Etwa Krebs 2005, 157–190; Krebs 2012, 104–106.
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bekanntlich im Sacco di Roma mündeten,36 liegt der politische Hintergrund sicher auf der Hand. Insbesondere die Publikation von Piccolominis Deutschlandbeschreibung rief bei den deutschsprachigen Humanisten indes eine scharfe Reaktion hervor, die nun auch nördlich der Alpen zu einer regen Tacitus-Rezeption führte. Die „Germania“ wurde im 16. Jahrhundert mehrfach nachgedruckt und seit der Mitte des Jahrhunderts auch in Übersetzungen vorgelegt. Wir können also durchaus davon ausgehen, daß der Text reges Interesse hervorrief und für damalige Verhältnisse große Verbreitung fand.37 Vor allem aber bemühten sich Humanisten wie Jakob Wimpfeling, Konrad Celtis und Ulrich von Hutten um ein positives Germanenbild, wobei sie intensiv aus der Germania schöpften.38 Neben den aus Tacitus gewonnenen kriegerischen Tugenden der Germanen wurde insbesondere ihre sittlich-moralische Überlegenheit gegenüber den zunehmend als dekadent, lasterhaft und sexuell verdorbenen Italienern hervorgehoben. Die von der italienischen Tacitus-Rezeption unterstellte Kulturlosigkeit der Germanen, die sich angesichts fehlender literarischer und künstlerischer Zeugnisse nur schwer widerlegen ließ, wurde in positive Einfachheit, Sittenstrenge und Ablehnung von Luxus umgedeutet. Die Germanen waren demnach fromm, einfach, ehrlich und treu, sie waren tapfer, und sie lehnten jedes fremde Joch bedingungslos ab.39 Dieses Germanenbild war somit eindeutig eine Antwort auf die Herausforderung durch italienische Humanisten und diente zugleich als Leitbild für die Herausbildung einer deutschen Identität. Zugleich war es geeignet, im Kontext vorreformatorischer Kirchenkritik sowie dann besonders in der Reformation die Kritik an der als dekadent, gierig und korrupt dargestellten römischen Kirche zu untermauern und ihr eine einfache germanische Frömmigkeit entgegenzustellen. Arminius, von Luther und anderen nun als „Hermann“ übersetzt, wurde zum Held der Deutschen, der die Römer zurückgeschlagen hatte.40 Insbesondere Ulrich von Hutten formte einen Arminius, den er als germanischen bzw. deutschen Helden den antiken Helden Alexander, Hannibal und Scipio gegenüberstelle, ja als überlegen charakterisierte.41
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Reinhard 2001, 309 f.; Schulin 1999, 147–149. Vgl. zum Wettkampf-Prinzip, das den deutschen Humanismus gegenüber dem italienischen prägte, Hirschi 2005, 253–301. Zur Aufnahme und Verbreitung der „Germania“ bei den deutschen Humanisten Schmal 2005, 174; Krebs 2012, 121 f. Zu Celtis vgl. Müller 2001; und Krebs 2005, 190–226. Vgl. ausführlich Krapf 1979, 68–116; Krebs 2012, 115–143; Schmal 2005, 175 f.; Hirschi 2006, Sp. 552; Hirschi 2012, 168 f.; Hirschi 2005, 323–326; 333–338. Es ist an dieser Stelle nicht möglich die umfangreiche und in die jeweiligen zeitgenössischen Konflikte eingebettete Arminius-Rezeption nachzuzeichnen; vgl. aber Winkler 2016, 56–65; Wolters 2009, 178–181; Kloft 2003; Roloff 2003; Ridé 2003. Hutten 1860. Vgl. dazu Krebs 2012, 134–136; Kloft 2003, 209 f.; Roloff 2003.
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In diesen Kontext gehört auch die Behauptung der Authochtonie der Germanen. Unter Berufung auf Tacitus konnte das Konstrukt eines Germanentums entwickelt werden, das schon immer auf demselben Boden gelebt und sich zudem kaum mit anderen Völkern vermischt habe. Während Rom sich schon in seiner Gründungsgeschichte als Stadt mit einer durch Einwanderung und Vermischung geprägten Bevölkerung offenbarte, waren die Germanen ein ‚reines‘ Volk.42 Die Konsequenz daraus war, daß die zeitgenössischen Deutschen problemlos als unmittelbare Nachfahren der Germanen präsentiert werden konnten. War der Germanenbegriff bei Tacitus wie auch bei Caesar und griechischen Schriftstellern ethnographisch stets unscharf geblieben, als Bezeichnung für die Völker und Stämme östlich des Rheins und nördlich der Donau, so wurde er nun in einen klaren ethnologischen Begriff umgemünzt, der zugleich eine direkte Kontinuität in die Gegenwart besaß.43 Der damit einhergehende Einheitsgedanke war auch politisch relevant, begann doch im Humanismus die Idee eines geeinten Deutschlands, eines Nationalstaats avant la lettre. Auch wenn das politisch nicht umsetzbar war und die humanistische Vision sicher ein Elitenphänomen blieb, das im weiteren Verlauf der Frühen Neuzeit auch wieder in den Hintergrund treten sollte44, so bot es doch je nach Perspektive propagandistische Munition sowohl für ein starkes Kaisertum und gegen Souveränitätsbestrebungen mächtiger Reichsfürsten als auch für eine antikaiserliche Politik.45 Als Identifikationsobjekt und positives Leitbild besaßen die Germanen jedoch auch ein kritisches Potential. So konnten sie den gegenwärtigen Deutschen entgegengehalten werden, um Negativentwicklungen anzuprangern und eine Rückkehr zu den Ursprüngen einzufordern. Insbesondere im 17. Jahrhundert wurde zunehmend die Übernahme fremder Sitten beklagt, die die einstmals tapferen, ehrlichen und sittenstrengen Deutschen zu Abbildern verweichlichter und lasterhafter Italiener und Franzosen machten. Der „Teutsch-Frantzösische Modengeist“ – so der Titel einer Flugschrift von 168946 – wurde als Abkehr von authochtonen Tugenden und als Hinwendung zu schlechten französischen Sitten beklagt, und in einem Theaterstück, das gegen Ende des Dreißigjährigen Kriegs aufgeführt wurde, trat Arminius selbst auf, um ungläubig die katastrophalen Verhältnisse in Deutschland zu beklagen und sich zu fragen, ob er die Römer etwa umsonst besiegt habe.47 Was hier in ganz groben Umrissen nachzuzeichnen versucht wurde, ist, wie über die Rezeption antiker Literatur konkurrierende Kollektivierungs- und Identitätsstiftungsprozesse in Gang gesetzt wurden, die zugleich einen 42 43 44 45 46 47
Hirschi 2005, 326–338; Hirschi 2012, 167–179; Krebs 2012, 122–129; Maissen 2013, 67–69. Zum Germanenbegriff der Antike sei hier nur knapp auf Krebs 2012, 12–14, verwiesen. Vgl. Maissen 2013, 74. Hirschi 2005, 381–488. Der Teutsch-Französische Moden-Geist 1689. Vgl. dazu etwa Niggemann 2008, 398 f. Vgl. Krebs 2012, 144f.
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normativen Gehalt hatten. Normativ insofern, als bestimmten antiken Völkern – Römern und Germanen zum Beispiel – zugeschriebene Eigenschaften positiv oder negativ aufgeladen und zu Leitbildern stilisiert werden konnten. Durch Gleichsetzung mit gegenwärtigen Gemeinschaften entstand eine nationale Aufladung, die wesentlicher Teil einer frühen Nationsbildung war. Im Zuge der Herausbildung einer italienischen und einer deutschen Nation kam Bezügen auf das antike Rom oder auf das antike Germanien eine erhebliche Bedeutung zu. Aber nicht nur in Deutschland wurden die Germanen zum Topos nationaler Identität. In den Niederlanden entwickelte im Zuge der Loslösung von der spanischen Herrschaft im 16. und 17. Jahrhundert der Batavermythos eine wichtige identitätsstiftende Bedeutung48, im Schweden des 17. Jahrhundert war es der Gotizismus, der als nationales Leitbild aufgebaut wurde,49 und auch in England erhielt der Rekurs auf die germanischen Angelsachsen eine wichtige legitimatorische Funktion und konnte dem französisch-romanischen Normannentum entgegengestellt werden.50 Frankreich ist vielleicht sogar ein besonders interessantes Beispiel, weil diese antikebezogenen Identitätskonstruktionen hier auch eine spaltende Funktion annehmen konnten. Hatte François Hotman in den 1570er Jahren, auf dem Höhepunkt der Religionskriege noch ein Wahlkönigtum der alten Gallier und Franken postuliert, um daraus ständische Partizipationsrechte auch für das gegenwärtige Frankreich abzuleiten51, so wurden die fränkischen Eroberer in Emmanuel Joseph Sièyes’ berühmter Rede „Qu’est-ce que le Tiers-Etat“ von 1789 zum Ursprung eines dekadenten und auf dem Rücken des Volkes lebenden Adels, während die eigentliche Nation gallischen Ursprungs sei und sich daher vom fränkischen Adel befreien müsse.52 Der zugrundeliegende soziale Konflikt wurde so mit Bezug auf antik-mittelalterliche Ethnographien ethnisiert. Die Französische Revolution, die in vielerlei Hinsicht vor allem der römischrepublikanischen Antike verpflichtet blieb, konstruierte zugleich auch einen Galliermythos, der im 19. Jahrhundert sehr wirkmächtig werden sollte.53 Der solcherart konstruierte Germanenmythos stand freilich stets in einem Spannungsverhältnis zur anhaltenden Orientierung am römischen Erbe. Bei aller nationalen Begeisterung und Romkritik hielten die Humanisten am Latein fest, und das Lateinische blieb im deutschsprachigen Raum länger als etwa in den westeuropäischen Staaten die Sprache der Gebildeten und des akademischen Lebens.54 Es dauerte noch bis ins 18. Jahrhundert, bis die ersten Vorlesungen an deutschen Universitäten in deutscher Sprache gehalten wurden, 48 49 50 51 52 53 54
Schöffer 1975; Kloek/Mijnhardt 2004, 193–195. Schmidt-Voges 2004. Etwa Hill 1997, 361–365; Chibnall 1999, 28–40. Bermbach 1985, 112–114; Weber 2004, 8; Schilling 2005, 188 f. Deutsche Ausgabe Sieyès 1988, hier 35 f. Vgl. Weber 2004, 9. Schubert 2004, 187–199. Stein 2008, Sp. 628.
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und selbst populäre Traktate blieben mit lateinischen Zitaten durchsetzt, um Gelehrsamkeit zu demonstrieren und dadurch eben auch das symbolische Kapital der Autoren zu erhöhen. Und die eingangs geschilderten herrschaftslegitimierenden Topoi, die politischen Ideen blieben der griechisch-römischen Antike verpflichtet. Ulrich Muhlack und Caspar Hirschi haben sogar argumentiert, daß dieser Bezug auf die antike römische Welt auch für die Konstituierung des Germanenmythos zentral blieb, und zwar nicht nur, weil mit dem Rekurs auf Tacitus immer schon die römische Sicht – die „interpretatio romana“ – mitgedacht war, sondern auch, weil sich der Germanenmythos nur so überhaupt in einen Wettkampf mit den italienischen Humanisten einbringen ließ.55 Es sind aber genau diese Ambivalenzen, diese Überlagerungen ganz unterschiedlicher Ebenen und Diskursstränge, die die Komplexität der Antikenrekurse ausmachen und die trotz der bereits geleisteten Forschungsarbeit immer noch Fragen offenlassen.
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Politische Orientierungsfunktion von Antike
Im zweiten Schritt soll nun die politische Orientierungsfunktion von Antike in Zeiten krisenhaften Wandels erörtert werden, und zwar soll eine ganz bestimmte Art von Krise im Fokus stehen, nämlich das Phänomen der politischen Revolution. Insbesondere England im 17. Jahrhundert bietet hier reichhaltiges Material zur Reflexion. Interessant sind dabei die verschiedenen Schichten der Antikenrezeption. Das zeigt sich etwa am Recht. Das Common Law, das nach 1066 die Stammesrechte ablöste, entwickelte sich im Laufe des Mittelalters zu einem äußerst komplexen System des Richter- und Fallrechts.56 Zu Beginn der Neuzeit gab es durchaus Bestrebungen zu einer Vereinfachung und einer Stärkung des Statutenrechts, und zwar über die Rezeption des römischen Rechts, von dem bereits Elemente aus dem kanonischen Recht in das weltliche Rechtssystem eingedrungen waren. Schon vor der Mitte des 17. Jahrhunderts war klar, daß eine Rezeption des römischen Rechts, wie sie sich im Spätmittelalter und im 16. Jahrhundert in den meisten Staaten des europäischen Kontinents, aber auch in Schottland vollzogen hatte, in England nicht durchsetzbar war. Einerseits war das Rechtssystem bereits sehr viel weiter entwickelt als in den meisten kontinentalen Ländern, andererseits ging es aber auch um die Wahrung von Privilegien und das Festhalten an einem System regionaler und gleichwohl von der Krone ausgehender Rechtsprechung in den Quarter Sessions und über die Friedensrichter, das verwurzelt war in der Common55 56
Muhlack 1989, 139 f.; Hirschi 2005, 323 f. Umfassend zur Geschichte des englischen Rechtssystems immer noch Holdsworth 1966; ganz knapp Reimann 2005.
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Law-Tradition. England blieb also dem mittelalterlichen Common Law verbunden, hier fand auf der Ebene des Rechts keine umfassende Rezeption der Antike statt.57 Das hatte aber möglicherweise Folgen für die sprachliche Erfassung der Konflikte zwischen Krone und Parlament seit den 1630er Jahren. Prinzipiell spielte die Idee einer „Ancient Constitution“ im England des 17. Jahrhunderts als Leitvorstellung gerade der parlamentarischen Kräfte eine erhebliche Rolle.58 Sie diente als Gegenentwurf zum „Feudal Law“, also der Idee, daß alle Rechtsverhältnisse in England letztlich auf die normannische Eroberung zurückgehen. Diese habe den Feudalismus eingeführt und die Krone als Quelle allen Rechts etabliert. Eine solche Interpretation der mittelalterlichen Geschichte stützte letztlich die Macht des Königs und seine Prärogativrechte, während das Parlament und insbesondere das House of Commons als Institutionen von Königs Gnaden präsentiert werden konnten. Die Idee der „Ancient Constitution“ hingegen lief darauf hinaus, die englische Verfassung einschließlich beider Häuser des Parlaments in eine unvordenkliche Vorzeit zurückzudatieren. Sie waren, so die Theorie, schon in angelsächsischer Zeit etabliert und gingen womöglich noch auf die Zeit vor der angelsächsischen Landnahme in Großbritannien zurück. Die normannische Eroberung hatte diese Verfassung intakt gelassen und stellte dementsprechend keine einschneidende Zäsur dar. Sowohl die Idee der „Ancient Constitution“ als auch jene des „Feudal Law“ kamen prinzipiell ohne Rekurse auf die klassische Antike aus, und auch der Bezug auf die Angelsachsen blieb zeitlich vage und ohne klare Epochenzuordnung. Eine nicht-römische, nordeuropäische Antike konnte damit ebenso gemeint sein, wie das frühe Mittelalter. Für die Verfechter der AncientConstitution-Doktrin kam es eben nicht darauf an, klare historische Bezüge herzustellen, sondern das Alter der englischen Verfassung zu betonen und sie vor 1066 zu datieren. Politische und konstitutionelle Konflikte wurden dementsprechend mit Bezug auf das Common Law, auf konkrete Fälle sowie auf die großen Rechtstheoretiker des Mittelalters wie etwa Henry de Bracton oder John Fortescue ausgefochten.59 Interessanterweise veränderte sich dieser Sprachmodus mit Ausbruch des Bürgerkriegs 1642 bzw. mit der Etablierung des Commonwealth 1649. Offenbar entzog sich die mit der Polarisierung in ein königliches und ein parlamentarisches Lager einhergehende Situation den bis dahin möglichen Beschreibungsmustern. Es war eine neue, völlig offene Situation entstanden, im Zuge derer eine Hinwendung zur politiktheoretischen Literatur Italiens, Frankreichs und der Niederlande stattfand, die wiederum auf die Literatur der griechischen und 57
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Zur Auseinandersetzung mit dem römischen Recht v. a. Holdsworth 1966, Bd. 4; Kelley 1993, 64–66; außerdem Reimann 2005, Sp. 804. Dazu nach wie vor Pocock 1987. Kelley 1993, 67–72; und v. a. Pocock 1987, der die Komplexität der Argumentationen konkurrierender Positionen ausbuchstabiert.
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römischen Antike verwiesen, wobei insbesondere Polybius und Livius enorme Bedeutung gewannen.60 Schon de Bracton und Fortescue hatten ja die englische Verfassung als eine Art Mischverfassungssystem beschrieben, in dem Herrschaft von König, Lords und Commons ausgeübt werde, doch die Situation des fundamentalen Konflikts zwischen der Krone und den beiden Häusern des Parlaments schien eine neue Sprache erforderlich zu machen.61 Und so war es der König selbst, der in seiner Antwort auf die Nineteen Propositions des Unterhauses folgende Formulierung fand: „There being three kindes of Government amongst men, Absolute Monarchy, Aristocracy and Democracy“. Und weiter: „In this Kingdom the Laws are jointly made by a King, by a House of Peers, and by a House of Commons chosen by the People, all having free Votes and particular Priviledges. The Government according to these Laws is trusted to the King, Power of Treaties of War and Peace, of making Peers, of chusing Officers and Councellors for State, Judges for Law, Commanders for Forts and Castles, giving Commissions for raising men to make War abroad, or to prevent or provide against Invasions or Insurrections at home, benefit of Confiscations, power of pardoning, and some more of the like kinde are placed in the King.“62
Die Nineteen Propositions, die das Unterhaus dem König am 1. Juni 1642 vorgelegt hatten, waren ein radikaler Entwurf der künftigen Verfassung Englands, die die Macht des Königs drastisch beschränken und das königliche Amt als repräsentatives Amt konzipieren sollte.63 Karl I. nutzte dagegen das Mischverfassungskonzept, um sich selbst als Wahrer der althergebrachten Verfassung zu präsentieren.64 Dabei konzipierten Karl und seine Berater das politische System Englands nun nicht mehr ausschließlich in der Sprache des Common Law, sondern verargumentierten eine vor allem vom italienischen Humanismus geprägte Lesart des Polybius, der in Anlehnung an die aristotelische Begrifflichkeit versucht hatte, den römischen Erfolg zu analysieren. Rom sei, so Polybius, ähnlich wie Sparta deshalb so stabil, weil es die negativen Seiten jeder reinen aristotelischen Verfassungsform durch eine kluge Mischung der Verfassungsformen vermieden habe. Diese Deutung war insbesondere von Machiavelli in seinen „Discorsi sopra la prima deca di Tito Livio“ übernommen und zugespitzt worden, um eine wehrhafte und expansive Republik zu
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Niggemann 2012. Zur Mischverfassung auch Nippel 1980. Der Text der „Nineteen Propositions“ und der „King’s Answer“ bei Kenyon 1966, 244–247 und 21–23. Vgl. dazu Pocock/Schochet 1993, 149 f. Für den Zusammenhang der vorliegenden Überlegungen spielt es keine Rolle, wer letztlich für den Wortlaut verantwortlich ist und ob der König ihn überhaupt vollständig zur Kenntnis genommen hat; vgl. dazu aber Mendle 1985, 5–7. Vgl. etwa von Greyerz 1994, 178; Pocock/Schochet 1993, 148 f. Vgl. Greyerz 1994, 178; Pocock/Schochet 1993, 149 f.
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beschreiben, die Florenz als Vorbild hatte dienen sollen.65 Zahlreiche moderate Schriften der englischen Bürgerkriegsphase griffen diese Interpretation der römischen Republik und der englischen Mischverfassung auf, um die Parallelen herauszustellen und das englische System durch den Rekurs auf die Antike zu untermauern und dem König darin eine bestimmte und eben auch begrenzte Rolle zuzuweisen.66 Zera Fink, John G. A. Pocock und andere haben deshalb von einem „klassischen Republikanismus“ gesprochen, der als politische Sprache in die Debatten eingebracht worden sei, und Quentin Skinner spricht von einer neo-römischen Theorie.67 Als schließlich der König hingerichtet und eine Republik eingeführt worden war, waren es genau diese präfigurierten Diskurse, die nun die Möglichkeit eröffneten, die Republik in ein in Teilen antikisierendes Gewand zu kleiden. Insbesondere der Ideenhistoriker John G. A. Pocock hat in seinem vielzitierten Werk „The Machiavellian Moment“ einen Traditionsstrang isoliert, der im Bürgerhumanismus im Florenz der Renaissance seine Wurzeln habe und der in der durch Livius vermittelten Rezeption der Römischen Republik bei Niccolò Machiavelli seine deutlichste Ausprägung gefunden habe.68 Es sei eben dieser Traditionsstrang gewesen, der von den englischen Publizisten der Commonwealth-Zeit, insbesondere Marchamond Nedham und James Harrington, aufgegriffen und auf die Verhältnisse Englands angewandt worden sei, was sich etwa in der Hochschätzung des Milizsystems und der Einteilung der Gesellschaft nach militärischen Gesichtspunkten wiederspiegelt. Das Milizsystem, das auf der Idee des wehrhaften, waffentragenden und freiheitsliebendenden Bürgers und Bauern beruhte, war in dieser Denkweise nicht nur einer Söldnerarmee, die nur gegen Geld kämpfte, überlegen, sondern war auch ein Hort bürgerlicher Tugend. Diese Tugend bestand im Gemeinsinn, in der Idee patriotischer Landesverteidigung bei dem gleichzeitigen Willen zur Mitgestaltung.69 Auch die Vermeidung einer direkten Demokratie durch den Einbezug eines aus einem „natürlichen Adel“ rekrutierten Senats ist Teil der spezifischen Mischverfassung, die Nedham und Harrington favorisierten. Dieses Element spiegelt sich
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Vgl. dazu Mendle 1985. Außerdem zur Rezeption der antiken Mischverfassungstheorie Nippel 1980, 258–265; und grundlegend zu dieser Deutung der Answer to the Nineteen Propositions Pocock 2003, 361–366. Vgl. zu durchaus ähnlichen Konzepten im Frankreich des 16. Jh.s Schilling 2005, 173–175. Vgl. etwa Skinner 1998. Fink 1962; Pocock 2003; Skinner 1998. Die Kritik am Konzept des „klassischen Republikanismus“ (etwa Nippel 1985; Nippel 2011) geht freilich m. E. etwas an der Sache vorbei, konzentriert sie sich doch auf die ‚realhistorische‘ Feststellung, daß die frühneuzeitliche Republikanismustheorie recht wenig mit antiken Ansätzen zu tun habe; entscheidend ist jedoch, daß es offenbar für wichtig gehalten wurde, sie über Antikenrekurse zu begründen; vgl. etwa Niggemann/Ruffing 2011, 9–14. Pocock 2003. Schwoerer 1974; Skinner 1998, 13–16; 59–99
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auch in der weitgehenden Beschränkung der politischen Berechtigung auf die landbesitzende Schicht.70 Harrington hat in seinem 1656 erschienenen Traktat „The Commonwealth of Oceana“ sicher den umfassendsten Entwurf einer republikanischen Verfassung vorlegt, indem er die Geschichte der Verfassungsgebung in einem fiktiven Inselreich namens Oceana beschrieb.71 Er verwarf das von ihm als „gotisch“ apostrophierte altenglische System, das einen Schwerpunkt bei der Aristokratie gehabt habe, und entwarf ein System bestehend aus zwei Versammlungen – einer ausschließlich beratenden kleinen Versammlung und einer ausschließlich entscheidenden großen Versammlung – sowie einem kollegial besetzten Exekutivorgan. Zugleich schuf er damit neue Traditionen, neue Diskursstränge, die in der Folgezeit sehr wirksam werden sollten. Oceana war ohne Schwierigkeiten als England zu identifizieren, und so prägte Harrington auch Erinnerungen, denn seine Interpretation der Englischen Revolution war ja nicht zuletzt auch ein zeithistorischer Rückblick auf die Ereignisse der vorangegangenen Jahre, die verglichen werden konnten mit den großen Veränderungen etwa in der Römischen Republik, in Sparta oder in Venedig. Harrington verpflichtete sich dabei dem Prinzip, historische Republiken zu analysieren und das Beste für Oceana/England zu übernehmen. Insbesondere die römische Republik spielte dabei eine herausragende Rolle als nahezu perfektes republikanisches System.72 Besonders interessant ist dabei, daß in diesem Denkmodell weniger die späte Römische Republik und die Tötung Caesars im Mittelpunkt standen, als vielmehr die frühe Republik, die Überwindung des letzten Königs, Tarquinius Suberbus, und die Schaffung einer Mischverfassung, in der monarchische, aristokratische und demokratische Elemente verbunden worden seien. Das war durchaus neu. Hatten widerstandsrechtlich argumentierende Texte, wie wir sie sowohl aus dem England der Bürgerkriegszeit wie auch etwa aus dem Kontext der französischen Religionskriege des 16. Jahrhunderts kennen, zumeist den Fokus auf die Begründung der Tötung Caesars gelegt, so stand nun nicht mehr der Tyrannenmord im Vordergrund, sondern der Aufbau einer Republik. Ganz offensichtlich wurde die Situation in England in der Gründungsphase des Commonwealth als identisch oder doch eng verwandt mit der Situation Roms nach der Vertreibung der Könige wahrgenommen. Die junge römische Republik wurde so zu einem Exempel, einem Vorbild sowohl für die Ausgestaltung der englischen Republik als auch für die virtus, die gemeinwohlorientierte Tugend ihrer Bürger. In der Sicht Harringtons und vieler anderer war das frühe republikanische Rom also vor allem gekennzeichnet durch Bürgertugend, durch Bescheidenheit 70 71 72
Etwa Niggemann 2012, 132 f. Harrington 1992. Harrington wies allerdings auch auf Schwächen hin, etwa die seiner Ansicht nach zu starke Stellung der Aristokratie; vgl. Riklin 1999; Niggemann 2012.
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und militärische Einfachheit, die jeglicher Korruption entgegenwirkte. Offenkundig entstammte dieses Idealbild der römischen Republik letztlich den zeitkritischen Schriften der späten Republik und des Prinzipats, die in der Frühen Neuzeit neu kontextualisiert wurden, so daß sie nicht mehr als Kritik an einem gänzlich anderen Ist-Zustand gelesen wurden, sondern als Darstellung der Realitäten im frührepublikanischen Rom, das somit vorbildhaften Charakter erhielt. In Figuren wie Cincinnatus und Cato Uticensis verkörperten sich die damit einhergehenden Ideale, die in der weiteren Diskussion, zunächst insbesondere in England, eine große Rolle spielten.73 Hinzuweisen ist hier nur auf die Wirkmacht von Joseph Addisons Theaterstück „Cato. A Tragedy“ von 1713 oder die unter dem Pseudonym Cato erschienene Artikelserie von John Trenchard und Thomas Gordon im London Journal in den frühen 1720er Jahren.74 Hier manifestierten sich die bereits in der Mitte des 17. Jahrhunderts etablierten Diskurse erneut als republikanische Gegenentwürfe zu den als korrupt wahrgenommenen politischen und gesellschaftlichen Realitäten des 18. Jahrhunderts. Als solche gelangten sie auch in den britischen Kolonien in Nordamerika in die Debatte und konnten im Zuge des Konflikts zwischen den Kolonien und dem Mutterland ab ca. 1765 aktiviert werden, um als Leitbilder für den Protest zu fungieren und schließlich sogar der 1776 gegründeten Republik der Vereinigten Staaten von Amerika Legitimität zu verschaffen.75 Harrington ist sicher das prominenteste Beispiel für die Sicht auf die römische Republik während der 1640er und 1650er Jahre mit Auswirkungen bis weit ins 18. Jahrhundert, ja bis in die Amerikanische Revolution hinein, aber auch bei Marchamont Nedham, John Milton und anderen finden sich solche Elemente, und sie setzten sich fort in der republikanischen Literatur des ausgehenden 17. Jahrhunderts, etwa bei Henry Neville oder Algernon Sidney.76 So ist England seit der Mitte des 17. Jahrhunderts sicher ein ganz wichtiger Ort einer spezifisch republikanischen Romrezeption, wo also Bilder und Vorstellung des republikanischen Rom – oft in enger Anlehnung an den italienischen Humanismus – kursierten, die wiederum in den zeitgenössischen politischen Debatten verargumentiert wurden. Die Situation in den 1630er und 1640er Jahren, als der Konflikt zwischen Parlament und Krone in einem erbitterten Bürgerkrieg und einer politischen Revolution eskalierten, stellte dabei den entscheidenden Katalysator dar, der die Hinwendung zum Rekurs auf die Antike zu einem vorrangigen Diskursmodus werden ließ. In der Forschung wird bisweilen die Frage aufgeworfen, ob die an der antiken Staatstheorie angelehnten Ideen erst zur Radikalisierung der Revolution und zur Gründung der Republik geführt hätten oder ob diese zur nachträglichen 73 74 75 76
Clark 2011; Niggemann 2011. Burtt 1992. Vgl. etwa Pocock 2003, 506–552; und differenzierend Hampsher-Monk 2009. Robbins 1969.
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Rechtfertigung herangezogen worden seien.77 Zeitgenössisch war es schon Thomas Hobbes, der die Universitäten als Brutstätten rebellischer Gedanken sah, hatten sie doch mit ihrer Vermittlung der klassischen Bildung, insbesondere der antiken Staatsphilosophie, den Zugang eröffnet zu einem ideologischen Arsenal, das – in Handlung umgemünzt – unmittelbar zu Königsmord und Anarchie führe.78 Doch so einfach ist es natürlich nicht. Vielmehr läßt sich feststellen, daß der Verfassungskonflikt im Laufe des Bürgerkriegs zunehmend in antikisierenden Sprachmustern ausgedrückt wurde. Das war nicht alternativlos, denn das Common Law hätte ebenfalls die Möglichkeit geboten, die Probleme zu formulieren. Die Darstellung dieser Referenzierungen und Rezeptionsmechanismen im Kontext des Bürgerkriegs und Interregnums ist bis heute sehr stark von der Denktradition der sogenannten Cambridge School her geprägt. Sie zeichnet sich ihrerseits durch eine starke Betonung der humanistischen Tradition aus, und der Blick auf die Antikenrekurse ergibt sich zum Teil konsequent aus diesem Blickwinkel. Entsprechend wichtig wäre es, diese per se sehr stark säkulare Perspektive zu ergänzen. Es gehört etwa zu den spannenden Fragen dieser Aneignungen und Anverwandlungen, wie sie zu anderen Modi des Sprechens standen, etwa zu biblizistischen und apokalyptisch-millenarischen. Wir dürfen uns die radikalen Kräfte innerhalb der Gentry, des Londoner Bürgertums, des Parlaments und nicht zuletzt des Militärs ja nicht als säkulare Kräfte vorstellen, denen es allein um politisch-soziale Veränderungen gegangen sei. Vielmehr war ein Großteil von ihnen durchdrungen von religiösen Anliegen und Motiven. Die Triebkraft der Revolution waren die radikal-religiösen Gruppierungen, die extremen Puritaner, die Fifth-Monarchy-Men, die Levellers, die Diggers und viele andere. Sie hatten nicht weniger als die Herrschaft Gottes im Sinn, eine Art Theokratie, die das Millenium oder den Jüngsten Tag vorbereiten sollte.79 Aus dieser Triebkraft leiteten sie das Recht ab, die Gesellschaft zu reinigen vom Unglauben, von der Amoral und von den Resten des „Papismus“. Der ‚Terror der Tugend‘ speiste sich aus dem radikal-religiösen Anliegen, aus dem Glauben an die totale Unterwerfung des Menschen unter ihre jeweiligen Interpretationen der Gebote Gottes. Die prophetischen Schriften des Alten Testaments, die Psalmen und die Offenbarung des Johannes waren die zentralen sprachlichen Referenzpunkte. Doch wie verhielt sich das zur Rezeption der griechischrömischen Antike? Ein Lösungsansatz könnte die Behauptung sein, daß jene Sprecher, die von apokalytisch-millenarischen Anliegen motiviert wurden, sich eher einer biblizistischen Sprache80 bedienten, während jene, die eher ein politisch77
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Vgl. Pocock 1992, XI; Pocock/Schochet 1993, 147 f.; Worden 1994; Worden 1990, 226; und mit Blick auf Milton Corns 1995, 25. Hobbes 1990, 58. Vgl. dazu Dzelzainis 1995, 3 f. Hill 1986; Walzer 1982. Dazu insbesondere Pečar 2011.
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konstitutionelles Anliegen verfolgten, in der römischen und – in geringerem Ausmaß – der griechischen Antike ihre Referenzpunkte sahen. Doch eine solche Trennung wäre künstlich und wohl auch zu einfach. Es ist ja kein Zufall, daß James Harrington, der Rom und Sparta zu ganz wichtigen Vorbildern seiner Republik erhob, doch vor allem das biblische Israel vor der Königsherrschaft als paradigmatische Republik stilisierte.81 Und es ist auch kein Zufall, daß Antikebezüge nicht selten sowohl politischer als auch moralischer Natur waren. Sie begründeten einen spezifischen Tugenddiskurs, der nicht zuletzt von der Stoa geprägt war und in seinem Rigorismus calvinistisch-biblizistischen Diskursen in nichts nachstand. Man könnte wahrscheinlich sogar sagen, daß der Calvinismus puritanischer Prägung dem Neustoizismus keineswegs fernstand, wie ja schon Gerhard Oestreich mit Blick auf Preußen und die Niederlande betont hat.82 Hier rückte der so alttestamentlich und moralistisch auftretende Calvinismus mit seiner strengen Sündenzucht, seinen Theater- und Tanzverboten, seiner ikonoklastischen Tendenz durchaus in die Nähe einer bestimmten Lesart der spartanischen und römischen Antike. Gleichwohl sind mehrere Beobachtungen auffällig. Erstens fehlt dieser intensive Rekurs auf die römische Republik in der Glorious Revolution von 1688/89, obwohl die sprachlichen Muster vorlagen und die Texte der Bürgerkriegs- und Commonwealth-Ära verfügbar waren.83 In den Jahren des Widerstands gegen Jakob II. und die ganze Ära Wilhelms III. hindurch spielte zwar das antike Rom als typisches Dekorum monarchischer Herrschaft eine ganz wichtige Rolle; Wilhelm wurde vielfach als römischer Imperator dargestellt, die fasces als Symbole der Macht tauchen immer wieder auf, und die Medaillen bedienten sich antiker Ikonographie. Keineswegs selten kamen daneben auch antike Freiheitssymbole, wie etwa die Freigelassenenmütze, bisweilen auch abgewandelt zum Freiheitshut, vor.84 Doch weitere Bezüge auf den sogenannten klassischen Republikanismus fehlten. Stattdessen dominierten biblizistische Sprachmuster, Rekurse auf das Alte Testament sowie auf die Johannes-Offenbarung. England erschien als erwähltes Volk, als neues Israel, das dem besonderen Schutz Gottes unterstand. Konfessionalistische Deutungen verwiesen auf die Bedrohung durch den Katholizismus und konstruierten das Bild des protestantischen Englands als „beleaguered Isle“.85 Nun war die Glorious Revolution keine republikanische Revolution. Die heterogenen Träger, die durchaus auch die konservativen, anglikanischen Tories einschlossen, bemühten sich um eine Deutung, die die Konflikte innerhalb des Lagers der Befürworter der Revolution nicht aufbrechen ließ, das heißt, eine republikanische Deutung, die die Glorious Revolution in die Nähe der 81 82 83 84 85
Riklin 1999, 90; Niggemann 2012, 137. Etwa in den Beiträgen zu Oestreich 1969. Vgl. zu dieser Beobachtung Niggemann 2017, 68. Niggemann 2017, 87–90; 178 f. Begriff bei Wiener 1971. Vgl. auch Claydon 1996; Ihalainen 2005.
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Ereignisse der Jahrhundertmitte gerückt hätte, kam nicht in Frage.86 Vielleicht war die Sprache des „klassischen Republikanismus“, der republikanische RomRekurs zu sehr mit Rebellion und Regicid konnotiert, als daß eine solche Konzeption möglich gewesen wäre. Auch der Tugenddiskurs wurde für einige Jahre ausschließlich religiös gefaßt, in der Form von Sündenbekenntnissen, Predigten in der Form von Jeremiaden und in der Programmatik der Reformation of Manners, die gewissermaßen die Reformationsära zum Leitbild erhob.87 Ob indes solche innerenglischen Entwicklungen als Erklärung genügen, ist fraglich, denn eine Tendenz zu einer Rekonfessionalisierung des Politischen läßt sich im Europa des ausgehenden 17. Jahrhunderts insgesamt erkennen.88 Die zweite Auffälligkeit ist, daß bei allem Rigorismus sowohl in England als auch in Amerika bestimmte Elemente der Erzählungen von der frühen römischen Republik nicht ins Zentrum rückten. Während die Französische Revolution ab 1789 einen ausgesprochenen Brutus-Kult betrieb, der etwa die Hinrichtung der eigenen Söhne wegen ihrer Verbindung zu den Tarquiniern ausdrücklich thematisierte und als glorreiche republikanische Tat hinstellte89, wurde diese Episode in England und Amerika kaum rezipiert. Offenbar ging die Französische Revolution im ‚Terror der Tugend‘ einen Schritt weiter als die Englische und Amerikanische, sie verlangte das ultimative Opfer für das Gemeinwohl und inszenierte in der Person des älteren Brutus diese Opferbereitschaft, diese Negierung des Eigeninteresses im Namen des Patriotismus. Hier wurde die national verstandene Gemeinschaft, die Gemeinschaft des revolutionären Frankreich, das sich von allen Seiten, von außen und von innen bedroht sah, zum höchsten Wert, und dieser Wert wurde über den Rekurs auf die römische Republik ausgedrückt und legitimiert.90
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Fazit
Zwei zentrale Aspekte von Antikerezeption in der Frühen Neuzeit wurden herausgegriffen, um zwei wichtige Funktionen aufzuzeigen, aber auch um die verschiedenen konkurrierenden Sichtweisen auf Römer und Germanen zu verdeutlichen. Bereits eingangs wurde deutlich, daß es die Sicht der Frühen Neuzeit auf die Antike nicht gibt. Vielmehr war Antikenrezeption stets situationsgebunden und abhängig von den Argumentationsstrategien und 86
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Zur Argumentationsstruktur Goldie 1980; und zur Herausbildung von Konsensnarrativen Niggemann 2017, 128–195. Claydon 1996. Vgl. etwa Onnekink/Rommelse 2011; Onnekink 2009. Vgl. Nippel 2013, 164 f.; Papenheim 1994. Niggemann 2009, 128.
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Sprecherintentionen. Antike wurde erst im Akt der Referenzierung konstruiert oder refiguriert und stellte somit stets einen offenen Pool an Imaginationen und Argumenten dar. Das heißt nicht, daß wir einfach von Verfälschungen und Instrumentalisierungen sprechen sollten, sondern daß wir uns klarmachen müssen, daß das Angebot an Topoi und Argumenten, das durch die Antike geboten wurde, eben sehr heterogen war. Zunächst haben wir uns die Rolle von Antike in der Entstehung und Stiftung kollektiver Identitäten angeschaut. Anciennität war dabei ein wichtiges Muster, ein Motiv zur Aneignung von Antike. Darüber hinaus besaß das römische Erbe das gesamte Mittelalter hindurch ein hohes Maß an Anerkennung, so daß die Berufung auf römische – bisweilen auch griechische Ursprünge – stets von hohem Symbolwert war. Im Streit der Humanisten gewann daneben das Germanentum eine gewisse Bedeutung, insbesondere nach der Wiederentdeckung der sogenannten „Germania“ des Tacitus. Dieses kleine Werk konnte indes ganz unterschiedlich gelesen werden, so daß sich gerade an der Konkurrenz italienischer und deutscher Humanisten zeigen ließ, welche verschiedenen Germanenbilder hier generiert wurden und wie hier Kontinuitäten konstruiert wurden zwischen den Germanen der antiken Literatur und den zeitgenössischen Deutschen. Darüber hinaus haben wir gesehen, wie antike Staatstheorie und Geschichtsschreibung Orientierung bot, insbesondere in Phasen krisenhaften Wandels, was wir anhand der Englischen Revolution der 1640er Jahre etwas ausführlicher uns angeschaut haben. Im Zuge einer völlig neuen Situation schienen die Begrifflichkeiten und Vorstellungen des mittelalterlichen Common Law nicht mehr auszureichen, um die Veränderungen zu beschreiben und zu legitimieren, so daß man begann, sich über die Machiavelli-Rezeption an der römischen Republik zu orientieren, eine Tendenz, die auch in der Amerikanischen und der Französischen Revolution zu beobachten ist. Die römische Republik wurde als besonders perfekt dargestellt, vor allem weil sie eine militärisch-stoische Bürgertugend erzeugt habe. Dieses strenge Ideal des Bürgersoldaten, prägte insbesondere die frühen USA und die Französische Republik. Es bleiben indes viele Fragen offen, die in dieser sehr groben Skizze nicht angesprochen, geschweige denn gelöst werden konnten. Insbesondere das Verhältnis von Säkularem und Religiösem und ihr Reflex im Umgang mit pluralen Antiken bedarf der weiteren Klärung. Damit ist aber bereits angedeutet, daß die Pluralität von Antikerekursen, die Vielschichtigkeit und Komplexität – insbesondere, aber nicht nur, wenn man über den ‚klassischen‘ griechischrömischen Raum hinausgeht – nur angedeutet. Angesichts dieser Heterogenität kann es nicht mehr darum gehen, einzelne Phänomene zu markieren und zu erörtern, sondern die Mechanismen selbst, die Bedeutung des Antiken für die
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Frühe Neuzeit selbst muß weitaus umfassender und grundsätzlicher thematisiert werden, nicht zuletzt auch, um über bestimmte Denkschulen, die bislang vorherrschend waren, hinauszugelangen.
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Der Chattenmythos in der Frühen Neuzeit – Geschichtsschreibung und Identitätsbildung in der Landgrafschaft Hessen-Kassel Holger Th. Gräf
Die Chatten blicken mittlerweile auf eine fast 500-jährige Karriere in der Chronistik bzw. der Geschichtsschreibung als postulierte antike Vorfahren der Hessen zurück. Da der Verfasser weder Althistoriker, noch Archäologe und schon gar nicht Anthropologe ist, geht es im Folgenden nicht um Sinn und Unsinn derartiger Herleitungen oder gar ethnischer Abstammungsfragen. Vielmehr soll erörtert werden, welche spezifischen Funktionen der Rückbezug auf die Chatten für die Chronisten des frühneuzeitlichen Fürstenstaates erfüllten – oder konkret: welche Rolle spielten die Chatten für die Ausbildung einer spezifischen, territorial fundierten Landesidentität? Dazu erscheint es notwendig, zunächst knapp und pointiert die Aporien in der Kontinuitätskonstruktion zwischen den Chatten zu Beginn unserer Zeitrechnung, den Untertanen der Landgrafen oder gar den gegenwärtigen Bewohnern des Bundeslandes aufzuzeigen (1). In einem zweiten Abschnitt wird der geradezu paradigmatische Wechsel in der hessischen Chronistik in der Mitte des 16. Jahrhunderts skizziert, der quasi mit der Entdeckung bzw. „Erfindung“ der Chatten als Ahnen einherging (2). Diese Vorgänge sind allerdings nur recht vor dem Hintergrund der humanistischen Antikenbegeisterung zu verstehen. Schließlich wird (3) die weitere Verbreitung des Chattenmythos bis in das frühe 19. Jahrhundert hinein betrachtet.1 Abschließend soll, gewissermaßen im Rekurs auf den ersten Abschnitt, problematisierend auf die gegenwärtig zu beobachtende „Chattenkonjunktur“ eingegangen werden (4).
1
Zur Rolle der Chatten in der Erinnerungskultur und Geschichtspolitik des 19. und 20. Jh.s vgl. Heppe 2006; Gräf/Jendorff 2013, 327–346; Gräf 2016.
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Der Chattenmythos in der Frühen Neuzeit
Abb. 1: Edmund E. Stengel: Das geschichtliche Recht der hessischen Landschaft, 1929 (Titelblatt).
1
Von den Chatten zu den Hessen – Aporien einer Kontinuitätskonstruktion
Während der Debatte um eine Länderneugliederung in der Weimarer Republik begründete der Marburger Historiker Edmund E. Stengel „das geschichtliche Recht der hessischen Landschaft“ aus einem „stammhaften Urgrund“2 heraus.3 Für ihn erfolgte die Ausbildung der frühen Grafschaften und die Etablierung der Landgrafschaft Hessen auf der Grundlage eines „inneren Kraftfeld[es] des 2 3
Stengel 1929, 5. Das Folgende nach Gräf 2010.
Holger Th. Gräf
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chattischen Stammes“ und einer „hessischen Kolonisation“.4 Diese Sichtweise brach nach 1945 keineswegs ab. So zog etwa Walter Kürschner in seinem Buch „Das Werden des Landes Hessen“5 aus dem Jahre 1950 wiederum Kontinuitätslinien von den Chatten im Altertum über den Stamm oder das Volk der Hessen im Mittelalter bis in seine eigene Gegenwart. Er konstatierte sogar eine „starke Einheit“ aller Glieder des heutigen Hessen unter fränkischer Führung an der Spitze Deutschlands, bevor eine „1000jährige Zerrissenheit in eine Menge Territorien“6 stattfand, die dann 1945, quasi mit einer hessischen Wiedervereinigung zu einem Ende kam.7 Und noch 2009 galten die Chatten als „Urhessen“, die ihr „Siedlungsgebiet bis in die Moderne beibehalten“8 hätten. Führt man sich indes vor Augen, dass die Chatten für das Jahr 213 ein letztes Mal gesichert in den römischen Schriftquellen genannt werden und danach „als politisch handelnde Gruppe nicht mehr auftreten“,9 die Hessi aber erst 738 – also gut 500 Jahre später – erstmals erwähnt werden, erscheinen dergleichen Kontinuitätslinien, gelinde gesagt, abenteuerlich. Insbesondere, wenn man bedenkt, dass Europa in diesen Jahrhunderten u. a. die sogenannte Völkerwanderung erlebte. Zudem geht die neuere archäologische und Frühmittelalterforschung von einem Stammesbegriff aus, der letztlich keine ethnischen, im weitesten Sinne bevölkerungsmäßigen Herleitungen mehr kennt.10 Es sei denn, man folgt weiter der bemerkenswerten Einschätzung Karl E. Demandts, der 1980 schrieb: „Die Geschichtsforschung [hat …] für die Übereinstimmung von Chatten und Hessen seit jeher ihre eigenen und schwerer wiegenden Gründe. Diese sind: der Nachweis der erscheinungsmäßigen Beständigkeit des niederhessischen Bevölkerungstyps [!]; [… und] die politisch überragende Rolle dieses Gebietes in der chattischen und der gesamten hessischen Geschichte […]. Sie […] lassen keinen Zweifel daran, dass hier eine einzigartige bevölkerungsmäßige, siedlungsgeschichtliche, politische, rechtliche und kultische Kontinuität und damit ein ununterbrochener Stammeszusammenhang gewahrt worden ist.“11
Angesichts der notorischen Quellenarmut und der von den allgemeinen Äußerungen der römischen Autoren auf die Chatten oft nur heruntergebrochenen Aussagen wüsste man gerne, worauf Demandt seine Feststellung einer „politischen und rechtlichen Kontinuität“ überhaupt aufbaut. Liegt es 4 5 6 7
8 9 10 11
Stengel 1929, 5. Kürschner 1950. Kürschner 1950, 122. Die Lesart der Gründung des Landes Hessen durch die amerikanische Besatzungsmacht im September 1945 als Wiedervereinigung, spielte auch in dem master narrative zum Landesjubiläum 2005 eine gewisse Rolle, wenngleich ohne ethnisch-volktumsmäßigen Rückgriff auf die Chatten (Kroll 2006, 8 und 34). Reutzel 2009, 8. Becker 1992, 346. Springer/Steuer 2005; Castritius 2005. Demandt 1980, 93–94.
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Der Chattenmythos in der Frühen Neuzeit
angesichts des – im Gegensatz zu den Alemannen, Thüringern, Burgundern und Sachsen – stillschweigenden Aufgehens der Bevölkerung des heute nordhessischen Raumes im Frankenreich nicht eher nahe, gerade von einem massiven Defizit in der politischen und rechtlichen Verfasstheit eben dieser Bevölkerung auszugehen? Schließlich drängen sich mit der Formulierung einer „erscheinungsmäßige[n] Beständigkeit des niederhessischen Bevölkerungstyps“ einige Frage auf, von denen die harmloseste lautet: Woher wusste Demandt eigentlich, wie die Chatten aussahen – etwa von Erna LendvaiDircksen, die in ihrem Fotoband zum „Deutschen Volksgesicht“ noch 1943 „im ganzen Hessenland“ neben dem „fälischen Gepräge“ auch das „chattische Sondergesicht“12 fand? Die erste bekannte bildliche Darstellung eines „alten Chatten“ von der Hand Wilhelm Dilichs vom Anfang des 17. Jahrhunderts wird er wohl kaum gemeint haben. Kurzum, im Folgenden wird mit Armin Becker davon ausgegangen, dass ein „profilierter Stamm der ‚Hessen‘ […] auch im Früh- und Hochmittelalter nicht [existierte]. Maßgebend waren in Nordhessen zunächst das fränkische Königtum, später die dominierenden Adelsgeschlechter. Erst der politische Aufstieg der ‚hessischen‘ Landgrafen während des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit schuf in jenem Raum wieder ein territoriales und politisches Zentrum; [und] erst seit dieser Zeit finden sich gelehrte Rückgriffe auf die Chatten.“13 Um diesen Zusammenhang zwischen machtpolitischer Großwetterlage und Geschichtsschreibung soll es im Folgenden gehen.
12
13
Lendvai-Dircksen 1943 (Bildunterschrift einer ungezählten Tafel); zur Fotografin zuletzt Schmölders 2006. Becker 1992, 346.
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Abb. 2: „Alter Catte“, aus Wilhelm Dilich: Hessische Chronica, 1605, 2. Teil, nach Seite 11 (Ausschnitt).
2
Die (Er-)findung der Chatten als Ahnen
Die Entdeckung oder vielleicht besser „Erfindung“ der Chatten durch die hessische Chronistik ist im Grunde eine Facette des „Germanenmythos“, den die deutschen Humanisten zu Beginn des 16. Jahrhunderts wesentlich auf der Basis der Germania des Tacitus entwickelten.14 Die damit einsetzende Identifikation der Germanen des Altertums als Vorläufer der „Deutschen“ wurde dann im 19. und 20. Jahrhundert national bis chauvinistisch und rassistisch aufgeladen und ist bis in die Gegenwart virulent geblieben.15 Der Rückgriff auf antike Völker bzw. 14 15
Mertens 2004. Wiwjorra 2006; Brückner 2009; Münkler 2009; und vor allem Losemann 2008.
370
Der Chattenmythos in der Frühen Neuzeit
Stämme als präsumtive Vorfahren war indes ebenso wenig ein deutsches Spezifikum wie die Instrumentalisierung dieser mythischen Ahnen für gegenwartspolitische Belange oder ihre Rolle als Stereotypen bei der Wahrnehmung anderer Völker.16 Besonders prononciert wurden entsprechende „fundierende Erzählungen“17 in jenen politischen Gemeinwesen formuliert, die erst im Begriff standen, eine Eigenstaatlichkeit zu entwickeln. Der in die Vorzeit verlängerte Herkunftsmythos diente ihnen gleichermaßen als identitätsstiftender Garant für den innerstaatlichen Zusammenhalt wie zur Begründung ihrer Positionierung im europäischen Mächtesystem, sei sie eher aggressiv-expansionistisch oder eher defensiv-isolationistisch gewesen. So entwickelte sich der „Gotizismus“ unter den Wasakönigen in Schweden zu einem „politischen Programm“ der werdenden nordischen Hegemonialmacht.18 Der Bezug auf die Bataver und Helvetier diente hingegen in den Vereinigten Niederlanden bzw. in der Schweizer Eidgenossenschaft zur mythisch-historischen Begründung ihres Widerstandes gegen Tyrannenherrschaft und ihres republikanisch-genossenschaftlichen Politikmodells.19 Die Gallier und ihr legendärer Führer Vercingetorix wurden in Frankreich schließlich von den Kritikern der Monarchie als antike Vorläufer bzw. Einiger der Franzosen entdeckt. Die Begründung Frankreichs durch den Frankenkönig Chlodewig wurde so relativiert. Diese Perspektive führte u. a. dazu, dass die geflohenen Nachfahren des „fränkischen Adels“ nach 1789 bei ihren „germanischen Verwandten“ rechts des Rheins Zuflucht vor den „aufbegehrenden Galliern suchten.“20 In den beiden in ihrer Anlage noch der spätmittelalterlichen Chronistik verpflichteten Darstellungen zur hessischen Geschichte von Johannes Nuhn21 und Wigand Gerstenberg22 stehen noch das Herkommen und die Legitimität der Landgrafen zentral im Vordergrund. Die in diesen Chroniken gepflegte Erinnerung begründete und verwirklichte die Herrschaftsansprüche der Dynastie. Das heißt, die zeitgenössischen herrschaftspolitischen Gegebenheiten wurden in der Vergangenheit fundiert – je weiter zurück, desto besser. Insbesondere mit den meist abenteuerlichen genealogischen Herleitungen von Karl dem Großen, den Thüringer Königen, den römischen Cäsaren oder gar den Trojanern, im Falle der Landgrafen aber vor allem mit dem tatsächlichen Herkommen von der Heiligen Ahnfrau Elisabeth, hoben die Chronisten ihre mutmaßlichen Auftraggeber deutlich über den Adel der Region hinaus.23 16
17 18 19 20 21 22 23
Zur Rolle der Taciteischen Germania für die Wahrnehmung der „Deutschen“ durch die päpstlichen Legaten und Nuntien vgl. z. B. Braun 2014, 33; 86; 566; 593–594; 664; 757. Assmann 1992. Schmidt-Voges 2004. Mörke 1996. Schubert 2004, 119–120. Nuhn 1735; Breul 2003. Diemar 1909; Schneider 2007. Fuchs 1998, 66–72.
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In den zunehmenden Auseinandersetzungen der deutschen Fürsten mit dem römischen Papst wurde der Rückbezug der humanistischen Geschichtsschreiber auf die germanischen Vorfahren gewissermaßen proto-national aufgeladen.24 Diese Tendenz kulminierte dann während der Reformationszeit in den u. a. Ulrich von Hutten formulierten Forderungen eines Nationalkonzils und schließlich einer deutschen Nationalkirche.25 Indes ließ der staatlich-politische Partikularismus, der sich – durch das reformatorische Geschehen wesentlich beschleunigt – gegen jedweden kaiserlichen Zentralismus stemmte, diese Appelle ins Leere laufen. Dementsprechend konstruierten in den größeren, nach Emanzipation von Kaiser und Reich drängenden Territorien die Chronisten gewissermaßen „national-territorial fundierende Erzählungen.“26 Nicht mehr die römischen Adligen oder Cäsaren mussten nun als antike Vorfahren herhalten. Vielmehr wurden genealogische Brücken von der jeweiligen zeitgenössischen Herrscherdynastie zu mehr oder minder erfundenen oder zumindest in den antiken Quellen genannten germanischen Königen entworfen. Gleichsam programmatisch zu lesen, sind die dabei oft bemühten Bezüge auf die griechischen Heldenfiguren oder antirömischen Protagonisten des Altertums, auch wenn keine direkten genealogischen Bezüge hergestellt wurden, etwa auf Herkules, Achilles oder Hannibal.27 Dies leisteten beispielsweise Martin Crusius für Württemberg, Johannes Aventinus für Bayern, Petrus Albinus für Meißen, Georg Spalatin für Sachsen, Cyriakus Spangenberg für Mansfeld und nicht zuletzt Wigand Lauze28 für Hessen. Mit seiner um 1565 verfassten „Hessischen Chronik“ ging ein Paradigmenwechsel in der Geschichtsbetrachtung einher.29 Zum einen – dies hat Thomas Fuchs ausführlich dargelegt und sei daher an dieser Stelle nur knapp erwähnt – deutete Lauze den auf der Germania des Tacitus basierenden germanischen Gründungsmythos um. „Ausgehend von der biblischen Schöpfungsgeschichte als einem Mythos des absoluten Anfangs in kosmologischer Perspektive deutete er den Askenas-Mythos als Anfangsmythos der deutschen Geschichte in einem lutherischen und hessischen Kontext.“30
Nach ihm wurde „Ascenas, den man nennet mit seinem zunamen Thuisco“ nach der Sintflut im Jahr 2044 v. Chr. von seinem Großvater Japhet oder noch Noah selbst nach Deutschland geschickt. Er war damit nicht nur „Ertzvatter vnd 24 25 26 27 28 29
30
Borchhardt 1971. Fuchs 1977, 159–160. Fuchs 2002, 118. Vgl. beispielsweise Wolter-von dem Knesebeck 2004, 276–277. Zu ihm und seiner Geschichtsschreibung Krafft 2008. Die Edition des älteren, bis 1509 reichenden Bandes dieses Werkes ist ein dringendes Desiderat; Universitäts-, Landes- und Murhardsche Bibliothek Kassel, Sign. 2° Ms. Hass. 2/1 (vgl. Fuchs 1998, 72–74). Fuchs 2002, 88.
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anfenger aller Teutschen, [sondern] von deme [haben] auch die Hessen iren vrsprung vnd herkommen.“31 Vor allem ordnete Askenas deren gesellschaftliches Zusammenleben, begründete das patriarchalische Familienmodell und stiftete so etwas wie eine germanisch-lutherische Urreligion, die eben in seiner, Lauzes, Gegenwart durch die Reformation und insbesondere durch Landgraf Philipp wiederhergestellt worden sei. Damit wurde die chattisch-hessische Geschichte von ihrem Anfang her Teil einer heilsgeschichtlichen Betrachtung. Zum anderen wurden nun die antiken Chatten gewissermaßen zum ethnischen Substrat und mit den zeitgenössischen Hessen in Eins gesetzt. Die vom Darmstädter Chronisten Wilhelm Buch stammende Formulierung in seiner Chronik aus dem Jahre 1587 kanonisierte dies dann für die nächsten Jahrhunderte: „Der Name aber Catten oder Hessen ist eynerlei“ und „die Hessen seyend nichts anders als die Catti und die Völcker Cattinorum seynd eben die Hessen.“32 Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass beispielsweise kein geringerer als Philipp Melanchthon Landgraf Philipp in einem Brief im Spätsommer 1526 als „Philippo principi duci Cattorum“33 adressierte. Dies mag angesichts der turbulenten Zeitläufte auf den ersten Blick als etwas bizarrer humanistischer Eskapismus erscheinen. Indes hatte diese Terminologie ganz unmittelbare handfeste gegenwartspolitische Bedeutung. In der „vor-taciteischen“ Geschichtsschreibung, also beispielsweise bei Nuhn und Gerstenberg, wurde Hessen als geographischer Raum begriffen und weitgehend mit der Landgrafschaft, also dem gegenwärtigen Herrschaftsgebiet der Landgrafen, identisch gesehen. Mit der Gleichsetzung der Chatten mit den Hessen und von deren Königen mit den Landgrafen, wurde nun eine ethnische Perspektive eingeführt, die mehr oder minder explizit unterstellte, dass „der hessische Landgraf […] idealiter das Gebiet der alten Chatten [beherrschen sollte].“34 Die enorme machtpolitische Sprengkraft in dieser Sichtweise war bereits Lauze deutlich bewusst. Entsprechend zweischneidig formulierte er bei der Beschreibung der Grenzen Hessens, dass er damit selbstverständlich nicht anregen wolle, „des Hessen lands bezirck vnd grentze, […] weder zuerweitern, noch andern zu nachteil einzuziehen, [aber] so ist dennoch war [!], das, was zwischen dem Rhein, der Weser biß an der Engern marck35 vnd die Saal gelegen, alles zum Hessen Lande gehöret hat.“36 Damit versuchte er, gegenüber den Nachbarn den Verdacht auf Expansionsgelüste zu vermeiden. 31 32
33 34 35
36
Lauze (wie Anm. 29), fol. 15v. Hessisches Staatsarchiv Darmstadt (HStAD), Best. C 1 C, Nr. 29: Wilhelm Buch: Chroniken, fol. 18v und 29r. Melanchthon 1995, 472. Fuchs 2002, 127–128. Damit ist der Grenzraum zum Siedlungsgebiet der Sachsen in der Gegend von Rinteln gemeint. Lauze (wie Anm. 29), fol. 40v.
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Allerdings bot ein „über die Landgrafschaft hinausreichendes Hessenland auf der Grundlage der chattischen Wohngebiete“37 in der hessischen Chronistik stets ein nicht zu widerlegendes Argument in Konfliktfällen mit den Nachbarn. So lieferten die Namen der Burgen „Alt Catzenelnbogen“ (Katzenelnbogen, südlich von Limburg) und „Nuw Catzenelnbogen“ (Burg Katz, St. Goarshausen am Rhein) für Lauze den Beleg, „das doselbst fur alten zeiten die Chatten, Hatten vnd Hessen mussen gewohnet haben.“38 Diese Deklaration der 1479 ererbten Grafschaft Katzenelnbogen zum urhessischen Siedlungsgebiet stellte für ihn daher im Grunde die Herrschaftsgeographie entsprechend seines chattischhessisch-germanischen Ursprungsmythos wieder her: „Vnd alhie hat nu das Hessen land seinen vralten bezirck, den es vor etlichen hundert jaren gehabt, wiederum in seiner besitzung gebracht.“39 Das heißt, mit Lauzes Geschichtsschreibung wurde „der Spitzenahn der Herrschaftslegitimierung und Identitätsstiftung, die Heilige Elisabeth, durch einen kollektiven Spitzenahn, die Chatten ersetzt. [… Gleichzeitig] wurde der auf Lehensbeziehungen aufgebaute [Landgrafen-] ‚Staat‘ Gerstenbergs und Nuhns zum ethnisch fundierten Flächenstaat.“40
Das „Hessen land“ als Geschichtssubjekt hat also „seinen vralten bezirck, […] in seiner besitzung gebracht“. Bei Lauze blieb die ethnische Begründung von Herrschaftsansprüchen im Falle von Katzenelnbogen aber gewissermaßen noch ein zusätzliches Argument für einen, im Zuge eines dynastischen Erbfalles neu erworbenen Besitz. Insofern entwickelte er zwar ein neues Narrativ der hessischen Geschichte, stellte damit allerdings nicht das auf erb- und lehnsrechtlichen Regelungen basierende System der dynastischen Territorialstaaten in Frage. Dies geschah in gewisser Hinsicht ein halbes Jahrhundert später in der „Hessischen Chronica“ von Wilhelm Dilich. Dilich hatte bereits 1591 im Auftrag Landgraf Wilhelms IV. die Arbeit an einer „Synopsis descriptionis totius Hassiae“, also einer Gesamtbeschreibung von ganz Hessen, aufgenommen.41 Für die neuere Zeit sah die Forschung bislang Wigand Lauzes Chronik als seine Quelle, während bei der Darstellung der Frühgeschichte des Landes der Einfluss Pirkheimers festgestellt wurde, nach dem Dilich „erstmals die Chatten als Ureinwohner des Landes“42 37 38 39 40
41
42
Fuchs 2002, 127. Lauze (wie Anm. 29), fol. 40r–40v. Lauze, Herkommen (wie Anm. 29), fol. 282v. Fuchs 2002, 130; 134. Allerdings gibt Krafft 2013, 47; 55; 127, zurecht zu bedenken, dass Nuhn den hessischen Adel als von Cäsar eingesetzt sieht, also nicht unbedingt als einheimisch begreift und letztlich als Chronist des Adels und nicht des Landes verstanden werden müsse. Vgl. nun die faksimilierte Edition mit Einleitung, Transkription und Übersetzung von Rener/Lange 2012. Niemeyer 1961, 12.
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betrachtet habe. Indes scheint er auch hier eher auf den erwähnten umfangreichen ersten Band der Chronik Wigand Lauzes zurückgegriffen zu haben. Bemerkenswerterweise ließ er aber den Askenas-Tuisco-Mythos von Lauze unberücksichtigt. Des Weiteren reklamierte er die Chatten zwar als Vorläufer der Hessen, die Landgrafengenealogie und deren Herrschaft führte er aber auf die thüringischen Ludowinger bzw. wieder auf die Hl. Elisabeth zurück. Auch die Widmung richtet sich an Moritz, dessen Vater Wilhelm war kurz zuvor verstorben, als Landgraf von Hessen, Graf von Katzenelnbogen, Diez, Ziegenhain und Nidda usw. Lediglich in den von Dilichs Wittenberger Lehrer und damals in Kassel als Hofastronom beschäftigten Johannes Hartmann stammenden Lobgedichten gerät Moritz zur „Zier des Chattenstammes“, zum schönen „Gestirn aus dem Herrscherhaus des Chattenstammes“ und schließlich zum „Fürst der Chatten.“43 Was sich hier ankündigt ist im Grunde eine gewisse Trennung von Bevölkerungssubstrat, wenn man es etwas anachronistisch ausdrücken will, von der staatstragenden Nation, und der Fürstenfamilie. Dies sollte nachhaltig Bedeutung für die Entwicklung einer territorialstaatlichen Identität entwickeln. Damit wurde der im weiten Sinne auf dem Reichs- und Lehnsrecht gründende Herrschaftsanspruch der Fürsten selbstverständlich nicht in Frage gestellt. Er konnte aber bei Bedarf auch auf chattische Untertanen anderer Territorien ausgeweitet und damit zu einer ideellen Begründung militärischer Expansionsbestrebungen werden.44 Dies wurde etwa 1621 versucht, insofern die militärische Besetzung Waldecks durch die kasselischen Truppen nicht nur mit einer Lehenshoheit der Landgrafen über Waldeck begründet, also dessen Reichsunmittelbarkeit in Frage gestellt wurde, sondern mit einer landesfürstlichen Hoheit über die Untertanen.45 Auf der Grundlage der „Synopsis descriptionis“ erschien 1605 Dilichs „Hessische Chronica“. Darin wird nicht nur der den Chatten zugeschriebene Siedlungsraum und damit prätendierte Herrschaftsraum der Landgrafen quasi vom Rhein bis zur Saale und von der westfälischen Grenze bis zum Neckar beschrieben. Vielmehr werden die ausführlich geschilderten Tugenden der Chatten bis hin zu ihren Siedlungs- und Lebensweisen – in quasi funktionaler Äquivalenz zu Tacitus’ „Sittenspiegel“ für das antike Rom, also der Germania – auf die zeitgenössischen Hessen übertragen.46 Bemerkenswerterweise rückt Dilich von der reinen Abstammungslehre von den biblischen Erzvätern wie bei Lauze ebenso ab, wie von einer frühen stammesmäßigen Einheit der Chatten. Vielmehr stellt er fast im Sinne der in der neueren Forschung diskutierten 43 44
45 46
Rener/Lange 2012, 85; 87; 89. Auf die daraus resultierenden Konflikte mit den Wetterauer Grafen kann hier nicht weiter eingegangen werden; vgl. dazu Menk 2003, 147–184. Kurtze doch wohlgegründte Außführung 1622. Dazu ausführlich Menk 1987, 95; 137–138. Dilich 1961, Teil 2, 6–21. Dazu Fuchs 2002, 159–165; Menk 2003; zuletzt zu den Quellen seiner Geschichtsschreibung Gräf 2012, IX–XXXVIII; zur Zeitgebundenheit der Germania Timpe 2008.
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Stammesbildung47 heraus, dass „die Catten auß vielen Teutschen völckern / als Schawen / Ascenern / Hessen / Sachsen oder Cautzen vnd andern entsprossen.“48 Was dieses, sozusagen germanische Mischvolk auszeichnete, waren nach Dilichs Auffassung seine hervorragende „Dapfferkeit vnd Standtfeste“49, die in zahlreichen heldenhaften „Thaten vnd kriegen“ zum Ausdruck kamen, beginnend mit ihrer Beteiligung an der Eroberung Roms durch die „andern Celtis“ im Jahre 387 v. Chr.50 Diese „Krigsthugent vnd erfahrenheit der hessen“51 nutzte Landgraf Moritz gewissermaßen als normativen Referenzhorizont für sein großes Landesdefensionswerk.
Abb. 3/4: „Ein Catte in seiner Krigßrüstung“, aus Wilhelm Dilich: Hessische Chronica, 1605, 2. Teil, nach Seite 11 (Ausschnitt) und „Landsknecht“, aus Wilhelm Dilich: Synopsis Decriptionis totius Hassiae (1591), HStAM H 58, fol. 68.
Mit diesem militärischen Reformvorhaben vor dem Hintergrund der oranischen Heeresreform sollte die Verteidigungsfähigkeit der gesamten Einwohnerschaft mobilisiert werden. Im Rückgriff auf die säkular-antike Tradition – Ovid, Platon 47 48 49 50 51
Castritius 2005. Dilich 1961, Teil 2, 4–5. Dilich 1961, Teil 2, 14. Dilich 1961, Teil 2, 27. Dilich 1961, Teil 2, 17.
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und Homer – wurde dabei „die Liebe und Treue zum Vaterland als höchste Lebensnorm eingeführt, gipfelnd in dem Beispiel‚ vieler Helden / so aus inbrünstiger affection sich ihres Vatterlandts wohlfahrt vnd rettung halber in todt begeben“ hatten.52 Diese Vaterlandsliebe, gekoppelt mit der „Krigsthugent“, machte im Grunde den identifikatorischen Kern der Hessen aus und daraus sollte auch gleichermaßen die Treue der Hessen zu ihren Fürsten erwachsen, die selbstverständlich ebenfalls nur zum Wohl und Gedeihen des Landes beitrugen. „Der Chattenfürst befehligt in Gestalt des Landgrafen das Volksheer seiner ihm unterstehenden Chatten, die Haus und Hof verteidigen.“53 Dass sich die Darstellung des Landsknechts in zeitgenössischer Tracht um 1600 in der Synopsis von Dilich dem Typus der „Catten in […] krigßrüstung“ in der Hessischen Chronica“ als stark verwandt erweist, mag diese im Wortsinne imaginierte Traditionslinie illustrieren (Abb. 3 und 4). Nach Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges wurden diese Verbindungen von alten chattischen Tugenden, kriegerischem Mut und landgräflichen Führungspersönlichkeiten immer wieder abgerufen, aber eben nicht mehr allein im Zusammenhang mit der gelehrt-humanistischen Geschichtsschreibung, sondern auch verstärkt in den politischen Diskussionen, Gelegenheitsschriften und in der Epigraphik. Als sich die Stände auf einem Landtag in Kassel im Jahre 1622 wenig kriegslustig zeigten, hielt ihnen Moritz „die alte löbliche unitas Cattorum vnd virules animi Hessorum“ vor Augen, die es angesichts der Bedrohung durch den spanischen Feldherrn Spinola zu beherzigen gelte, um sich mit „ehr, leib, guet und bluets“54 für das Wohl des Vaterlandes und der evangelischen Sache einzusetzen. Geradezu in taciteischer Manier ist der Rekurs auf die chattischen Tugenden auf dem Epitaph in Kassel zu lesen, den der mittlerweile zur Abdankung gezwungene Moritz im Jahre 1629 für seinen drei Jahre zuvor in der Schlacht bei Lutter am Barenberge gefallenen Sohn Philipp errichten ließ.55 Unbelassen seines tatsächlichen Schmerzes über den Verlust seines Sohnes, ist das an der Südwand des Chorraums der Kasseler Martinskirche errichtete Epitaph eine politische Kundgebung par excellence. Durch die Anbringung der Ahnenwappen und Fahnen mit den hessischen Löwen und Farben wird zwar eher der dynastische Anspruch visualisiert. Indes werden die entscheidenden Aussagen über die lateinischen Inschriften vermittelt. Neben dem Bildungsgang wird der Militärdienst des Prinzen im niederländischen Heer unter den Oraniern hervorgehoben. Vor allem wird Philipp aber als heldenhaftes Vorbild für die lebenden Angehörigen und künftigen Nachkommen 52 53 54
55
Fuchs 2002, 162; Dilich 1961, Teil 1, 1. Fuchs 2002, 176; Fuchs 2001, 28–31. Hessisches Staatsarchiv Marburg (StAM) 73, Nr. 208: Landtage zu Kassel Januar 1621 (Proposition und ständische Resolutionen), Oktober 1621 (Proposition und Voten) und Februar 1622 (ständische und fürstliche Erklärungen) und zu Treysa Dezember 1622 (ständische Resolution), hier die Fürstliche Erklärung datiert Witzenhausen, 24. Feb. 1622. Vgl. dazu Gräf 2013, 37–39.
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entworfen, das die alte chattische Tugend des Mutes im Kampf für die gerechte Sache verkörperte.56 Schließlich gibt der Spruch Pro lege et grege (Für Gesetz und Volk) unter der Zweidrittelbüste des Landgrafen in Harnisch und mit Befehlsstab seinem Tod einen letzten Sinn. Zwei Jahre später schrieb Landgraf Wilhelm V. einen Landtag auf der Mader Heide bei Gudensberg aus – in diesem Zusammenhang ein höchst symbolträchtiger Ort, der bereits damals als Zentrum der Chatten galt. Bereits im Ausschreiben rief er die Landstände zu Zusammenhalt und zur Unterstützung „deß höchst bedrangten Vatterlandes“57 auf.58 Im Jahre 1637 bezeichnete Johann Peter Dauber, Professor für Dichtkunst und Geschichte in Kassel, den verstorbenen Landgrafen Wilhelm V. in seinem panegyrischen Gedicht als „dux Cattidos“, der die katholischen Fürsten in Westfalen und in Fulda die „Catti Vis“59, die Kraft der Chatten, habe spüren lassen. Binnen eines Jahrhunderts von Lauzes Chronik an gerechnet hatte sich also eine völlig neue Lesart der Kategorien Volk, Raum und Herrschaft zumindest bei den gelehrten Eliten durchgesetzt. „Es waren dies: 1. der Gedanke einer Staatsnation, eines ethnisch bestimmten Volkes als imaginierte Gemeinschaft, 2. eines bestimmten geographischen Raumes, in dem dieses Volk existiert und der historisch ableitbar ist, und 3. einer legitimierten Herrschaft über das im konkreten Raum lebende Nationalvolk.“60
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Die entscheidende Schlusspassage der Inschrift lautet: „Dignus omninovita longere; quo porro / perfidis istis ostenderet, Cattorum virtutem / antiquam nondum plane emortua: / Hic autem ad majorum sepulchra, ut pricipem/ et strenuum / belli ducem decet, sepositus, laetam resurrectionem / expectat / id quod, ne esset nescia (si qua futura) posterits, / Serenissimi et illustrissimi parentes / Contra votum pietatis, turbato mortalitatis ordine / Huic monumento inscribi voluerunt.“ (In der Tat/gänzlich [war er] eines längeren Lebens würdig; umso mehr als er gerade diesen Barbaren und Treulosen zeigte, dass die alte Tugend der Chatten noch nicht völlig ausgestorben ist: Hier jedoch ist er zu den Gräbern der Vorfahren – wie es sich auch für einen zähen/gewissenhaften [et strenuum] Fürsten [und] Kriegsherrn ziemt – begraben, und erwartet die frohe Wiederauferstehung. Damit nicht die Nachwelt/Nachkommenschaft [posteritas] – wenn es sie denn zukünftig geben wird – unwissend ihres erhabendsten und denkwürdigsten Vorfahrens/Vaters sei, haben wir deshalb gegen den Wunsch der Pietät gewollt, dass diesem – nachdem die Ordnung der Sterblichkeit verwirrt wurde – ein Monument beschrieben wird.) StAM 73, Nr. 37: Drohender Einfall kaiserlicher Truppen; Landkommunikationstage am Mader Holz 1631 und zu Kassel 1631 (Bündnis mit Gustav Adolf von Schweden) und 1632, hier Ausschreiben vom 28. Mai 1631. Fuchs 2002, 178–179. Dauber 1637, 23; 26. Fuchs 2002, 181.
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Der Chattenmythos bis in das frühe 19. Jahrhundert
Freilich bleibt die zentrale Frage offen, wie weit bzw. wie tief sich eine Identifikation mit den antiken Chatten in der hessischen Bevölkerung verbreitet bzw. eingepflanzt hat? In seiner 1697 gedruckten und den hessischen Landgrafen dedizierten „Beschreibung der Fürstenthümer Hessen und Hersfeld“ stellte Johann Just Winckelmann zwar heraus, dass sich die „gedachte[n] Einwohner zu den Chatten sich mehrentheils erkennen.“61 Dennoch wird diese Frage jedoch kaum gültig beantwortet werden können, da man letztlich zumeist auf Schriftquellen angewiesen ist, die zum ganz überwiegenden Teil von den mehr oder minder gebildeten Eliten stammen. Allerdings ist die Tendenz zu konstatieren, dass der Bezug zu den Chatten praktisch ständig und immer öfter und in immer unterschiedlicheren Zusammenhängen im öffentlichen Diskurs im weitesten Sinne auftaucht. Das heißt, man darf vermuten, dass das Wissen um bzw. die Identifikation mit den antiken Ahnen gleichsam die gesamte Gesellschaft nach und nach durchdrang. Dem begrenzten Raum geschuldet soll dies abschließend an wenigen Beispielen skizziert werden, wobei bewusst auf ganz unterschiedliche Quellengattungen zurückgegriffen wird. Zunächst ist auf die Nutzung des Chattenbegriffs bei den Herkunftsbezeichnungen von Studenten wie bei den Druckorten zu verweisen. Schon um 1600 wurden Marburg, Gießen und Kassel durch die Bezeichnung „Marburgi Cattorum“, „Giessae Cattorum“ oder „Casselae Cattorum“ als Verlags- bzw. Druckorte angegeben.62 Der Schwerpunkt liegt hier ganz eindeutig bei Marburg, was nicht weiter verwunderlich ist, da am Sitz der Landesuniversität nicht nur die meisten Druckwerke erschienen, sondern die Hochschule selbst spätestens ab 1586 als „Academia cattorum“63 firmierte. Insbesondere bei akademischen Drucken in lateinischer Sprache setzte sich dies bis in das frühe 20. Jahrhundert fort.64 Ebenso wurde es üblich, dass Promovenden in den Dissertationsdrucken bzw. Respondenten bei Disputationen ihren Herkunftsort mit dem ChattenZusatz näher bestimmten – etwa „Catto-Borcan“65 für Borken. Dabei – und dies 61 62 63
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Winkelmann 1754, Teil 1, 14. Fuchs 2002, 135. So in der Disputation über Themata quaedam philosophica, Marburg 1586 unter dem Vorsitz von Rudolf Goclenius „[…] Physicae in inclyta Cattorum Academia Professoris ordinarii […].“ Vgl. auch Kirchner 1604. Vgl. beispielsweise Grundgreiffer 1701; Merck 1784 oder Iber 1914. – Die Eingabe „Cattorum“ im Suchfeld „Verlag“ im Karlsruher Virtuellen Katalog (KVK) unter den Rubriken „VD 17“ sowie „Digitale Medien“ liefert weit über eintausend einschlägige Beispiele. Vgl. die zahlreichen Beispiele im Schriftenverzeichnis des Marburger und Kasseler Bibliothekars Johann Combach (1585–1651) bei Strieder 1782, 247–262; Zitat 259.
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ist im Zusammenhang mit der Frage nach der Identifizierung mit den antiken Ahnen entscheidend – „handelte es sich nicht einfach nur um eine lateinische Übersetzung des Wortes ‚Hessen‘, da die Näherbezeichnung mit ‚Hassus‘ ebenfalls begegnet.“66 So lässt sich die Selbstbezeichnung als Chatte durchaus als eine genealogische Identifikation mit den antiken Bewohnern seiner Patria interpretieren, wie z. B. 1593 im Falle von Bernhard Praetorius, der sich auf dem Titelblatt seines Trauergedichts auf den verstorbenen Landgrafen Wilhelm IV. als „Iespurgensi Catto“ zu erkennen gab.67 Und der später mit dem bedeutenden Orientalisten Johann Heinrich Hottinger in Verbindung stehende Johann Philipp Hepp immatrikulierte sich am 22. Oktober 1657 an der Universität Altdorf als „CattoCassellanus“.68 Man darf wohl davon ausgehen, dass die Pfarrer und Beamten, die spätestens in dem reformatorisch-späthumanistischen Milieu der Universitäten, wahrscheinlich aber auch schon in den höheren Schulen mit dem Chattenmythos vertraut wurden, dann auch an ihren Wirkungsstätten auf dem „flachen Land“ entsprechend als Multiplikatoren für das Wissen um die antike Herkunft fungierten. Spätestens mit den Fragebogenaktionen die Johann Hermann Schmincke in Hessen-Kassel und von ihm angeregt Christoph Friedrich Ayrmann für HessenDarmstadt zwischen 1711 und 1720 durchführen ließen, wurde das Interesse an den antiken Vorfahren auch in den Dörfern geweckt. In der von Ayrmann verfassten Leitlinie zu den Fragebögen wurden die Ortspfarrer nicht nur nach den materiellen und schriftlichen Überresten in ihrer jeweiligen Kirche und Gemarkung der Gemeinde befragt, sondern ausdrücklich aufgefordert, „Sepulcreta veterum Romanorum, Hassorum et Cattorum“ zu öffnen, um die darin befindlichen „vielerley antiquitäten von Urnis“ und dergleichen zu sichern.69 Hintergrund für diese gezielte Suche nach materiellen Hinterlassenschaften waren die Ausgrabung, die Schmincke im Auftrag Landgraf Carls 1709 auf der Mader Heide durchgeführt hatte, und die entsprechenden Funde, die er als „Urnae Sepulchrales et Arma lapidea Cattorum“70 1714 publizierte. Dass diese Funde tatsächlich der Jungsteinzeit bzw. der älteren Eisenzeit angehören, also hunderte, wenn nicht tausende Jahre vor Ankunft der Chatten im betreffenden
66 67 68
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Fuchs 2002, 135. Praetorius 1593. Steinmeyer 1912, 311. Zu Hepp und seiner 1660 geplanten Reise nach Äthiopien Loop 2013, 87–90. StAD, R 1 A, Nr. 41/155: Fürstliche Aufforderung, alte historische Namen von Städten, Dörfern, Wäldern, Feldern, Wegen, Flüssen etc. zur Fortsetzung der ‚Hessischen Historie‘ zu sammeln, zu registrieren und einzusenden, Zitat fol. 1v–2r. – Zur den „Befragungen“ vgl. Fuchs 2006, 137–162. Schmicke/Österling 1714.
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Raum bereits existierten, konnte Schmincke bei dem damaligen Wissensstand freilich noch nicht wissen und es sei deshalb nur am Rande erwähnt.71
Abb. 5: Medaille auf den Entsatz der Festung Rheinfels, MHK: Inv. Nr. KP MK 463/5.
Als weiteres Beispiel sei auf eine Spottmedaille aus dem Jahr 1693 auf den Entsatz der Festung Rheinfels im Jahr zuvor verwiesen.72 Hervorragende Taten eines Herrschers in Medaillen festzuhalten war eine weit verbreitete und bereits seit Jahrzehnten geübte Praxis, um den Ruhm eines Fürsten zu verewigen. Landgraf Carl ließ die erfolgreiche Verteidigung der Festung Rheinfels bei St. Goar gegen französische Belagerungstruppen unter Marschall Tallard während des Pfälzischen Erbfolgekriegs (1688–1697) in vier Medaillen festhalten. Eine zeigt auf der Vorderseite die Burg Neu-Katzenelnbogen, im Volksmund „die Katz“ genannt, sowie die Festung Rheinfels. Auf der Rückseite ist eine Katze zu sehen, die den gallischen Hahn rupft. Da die Namen der Burgen Alt- und NeuCatzenelnbogen für Lauze als Beleg dienten, dass dort „fur alten zeiten die Chatten, Hatten vnd Hessen mussen gewohnet haben,“73 und es sich somit um urhessisches Siedlungsgebiet handelte, kann man die Katze durchaus als Symboltier für die Chatten/Hessen verstehen, die nicht nur das Reich vor seinem Feind beschützt haben, sondern eben auch ihre Patria, sozusagen Haus und Hof. Ein weiteres Beispiel liefert das Chattenthema in den Briefen der hessischen Offiziere aus dem Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg. An einigen Stellen 71 72 73
Görner 2006,116; Görner 2016, 74–75. Berens 2018, 229–231. Lauze (wie Anm. 29), fol. 40r–40v.
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wird darin deutlich, dass sich die Autoren nicht nur in die militärische Tradition der alten Chatten stellten, sondern den gemeinsamen Kampf mit den Briten gegen die Amerikaner und ab 1778 auch gegen Frankreich gewissermaßen als germanische Waffenbrüderschaft gegen die Gallier sahen, die mit den Franzosen gleichgesetzt wurden. So etwa in dem, einem Schreiben von Johann Ludwig Friedrich von Stamford an den hessischen Kriegsrat Georg Ernst von und zu Gilsa im August 1776 beigelegten Gedicht über die „Gedancken eines hessischen Grenadiers während der sehr langen und beschwerlichen Schiffarth nach America“74: Man bezog sich aber nicht allein auf die kriegerischen Tugenden der Chatten, sondern bestimmte gleichsam seine emotionale Beziehung zum Herrscherhaus aus seinem Bekenntnis zum Chatte-Sein heraus. Im Juni 1783, also bereits als der Krieg gegen Amerika verloren war, schrieb Christian Friedrich von Urff aus New York an seinen Freund Gilsa zur Beilegung des Konfliktes zwischen Landgraf Friedrich und seinem Sohn Wilhelm: „Zu gleicher Zeit habe ich […] erfahren, daß endlich die erwünschte Versöhnung mit unßern theursten Erbprinz erfolgt ist. Daß es mir lieb geweßen, kann man leichte dencken, denn dabey gleichgültig zu seyn, verdient wahrhaftig nicht, ein Catte zu heißen.“75 „[….] In das Land davor die Britten Oft mit tapfrem Muth gestritten Wieder Franckreichs Kriegesschaar. Davor Wolff sein Blut vergossen, Der bey Quebeck ward erschossen, Als er Galliens Sieger war. [….] England bleibt es unvergessen, Welche Tapferkeit die Hessen, Seit Jahrhunderten gezeigt. Noch weiß es wie brav die Catten, davor es gefochten hatten, Als es Franckreichs Stoltz gebeugt. Hessens Friedrich zu dem Ende, daß er seine Truppen sende, Wird von Georg darum ersucht. Catten sind zum Krieg erzogen; Friedrich winckt – und alle zogen Schnell dahin, wo Ruhm sie sucht. […]“
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Es dürfte sich um das Manuskript des noch im gleichen Jahr in der Waisenhausbuchdruckerei in Kassel erschienenen „Liedes“ handeln, das am 1. Februar 1777 in den „Gothaischen gelehrten Zeitungen“, Seite 80 annonciert wurde. Vgl. dazu auch Preser 1900, 59–60. Gräf et al. 2010, 369–370.
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Der Chattenmythos in der Frühen Neuzeit
Abb. 6: Auguste von Hessen-Kassel: Hessische Bauern empfangen den hessischen Erbprinzen 1813 bei Netra, Museumslandschaft Hessen Kassel, Neue Galerie, Städtischer Kunstbesitz.
Das letzte Beispiel stammt von der Hand von Kurfürstin Auguste. Das im Jahre 1815 entstandene Bild zeigt hessische Bauern beim Empfang des jungen Kurprinzen nach der Rückkehr aus dem Exil 1813. Es mag auf den ersten Blick wenig mit der geschilderten Rolle des Chattenmythos zu tun haben. Indes wird darin die im Zuge der chattischen Identitätsbildung beobachtete Imagination des Staatsvolkes und dessen Verbindung zu ihrer Herrscherfamilie sozusagen in die Gegenwart übersetzt. Man kann dieses Bild daher durchaus vor dem Hintergrund einer Auffassung einer chattisch-hessischen Nation auf territorialer Basis lesen. Es wäre damit der Endpunkt einer Entwicklung erreicht, die mit den imaginierten Herkunftsmythen des 16. Jahrhunderts, vor allem dem Werk Wigand
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Lauzes, einsetzte. Selbstverständlich waren diese Chatten/Hessen das Gegenteil einer politischen Nation im neuzeitlichen Sinne. Vielmehr sollten sie sich als treue Untertanen gegenüber ihrer Herrscherfamilie definieren, mit der sie gemeinsam ihre „angestammte“ Patria gegen Feinde von außen zu verteidigen hatten. Ganz in diesem Sinne begann Kurfürst Wilhelm I. mit dem Bau einer Chattenburg und wollte auf dem Wiener Kongress seine Krönung zum „König der Chatten“ durchsetzen.76
4
Die Chatten in der gesamthessischen Landesidentität
Der zwangsläufig oberflächliche Durchgang durch die Chronistik und die frühe Landesgeschichtsschreibung hat deren erheblichen Einfluss auf die Ausbildung einer sozusagen territorial fundierten „Nationalidentität“ in der Landgrafschaft Hessen-Kassel bzw. dem Kurfürstentum sichtbar werden lassen. Angesichts der einleitend skizzierten Referenzen auf die Chatten als Ahnen der Hessen und als Keimzelle des modernen Hessen in den landeshistorischen master narratives des 20. Jahrhunderts stellt sich indes die Frage, welche Rolle die Chatten in einer gegenwärtigen gesamthessischen Landesidentität spielen, sofern es eine solche überhaupt gibt?77 Googelt man den Begriff „Chattengau“ findet man unter den mehr als 30.000 Einträgen Hinweise zu nordhessischen Gemeinden, Sport- und Musikvereinen, Volks- und Raiffeisenbanken, Hospizdiensten, Radwanderwegen, Gartenmessen etc., die die Bezeichnung „Chattengau“ gewissermaßen als Markennamen nutzen. Im Juni 2016 schlossen sich sogar die Jungsozialisten in der SPD von Edermünde, Gudensberg und Niedenstein zu den „Jusos Chattengau“78 zusammen; eine Namensnennung, die die evangelische Jugend im Kirchenkreis Fritzlar-Homberg bereits zuvor vollzogen hatte.79 Also „Chatten“, wohin man schaut!? Eines scheint vor diesem Befund sicher: Offenbar funktioniert die Identifikation mit den Chatten auch ohne Fürsten und ohne obrigkeitsnahe Geschichtsschreiber. Indes macht ein Blick in den einschlägigen Artikel in das 76 77
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Ottomeyer/Lukatis 1999, 226–235. Mit dieser Frage setzte sich auch die Tagung „70 Jahre Hessen: Hesse ist, wer Hesse sein will …? Landesbewusstsein und Identitätspolitik seit 1945“ im Hessischen Landtag vom 17.–18. November 2016 auseinander. Vgl. dazu auch Hedwig 2009; Hedwig 2016. http://www.spdgudensberg.de/meldungen/32234/212180/Jusos-Chattengaugegruendet.html [Letzter Zugriff: 24.08.2016]. http://www.evjugend-fritzlar-homberg.de/index.php/wir-ueber-uns/regionfritzlar/chattengau-ost [Letzter Zugriff: 24.08.2016].
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Der Chattenmythos in der Frühen Neuzeit
von der HNA (Hessisch Niedersächsische Allgemeine) betriebene „regio-Wiki“ die begrenzte identifikatorische Reichweite des Begriffs deutlich. Darin heißt es: „Erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts kam die Bezeichnung Chattengau auf, die den Begriff Hessengau ersetzte. Wer zuerst wann den Namen Chattengau benutzte, ist ungewiss. Wahrscheinlich sollte durch die Verwendung des Chattennamens eine Verwechslung mit dem Bundesland Hessen vermieden werden, welches ja ein ähnliches Alter hat wie das Wort ‚Chattengau‘“.80
Den leider unbekannten „Erfindern“ des Begriffs ging es demnach ganz gezielt um die Stiftung einer regionalen Identität für den Raum zwischen Kassel und Fritzlar, da man sich offensichtlich in dem vom Rhein-Main-Gebiet in mehrerlei Hinsicht dominierten Bundesland Hessen nicht so recht heimisch fühlen konnte oder wollte. Neben dem „wiedergängerischen“ Kurhessen-Begriff81 scheinen die „Chatten“ also durchaus ein zentraler Baustein einer nordhessischen Regionalidentität geworden zu sein. Im Übrigen, eine von vielen stark ausgeprägten Regionalidentitäten im Bundesland, die aus historischen und kulturellen „Eigentümlichkeiten“ heraus erklärt werden können, man denke etwa an Waldeck, das Fuldaer Land, Nassau oder Frankfurt.82 Davon abzusetzen wäre eine, die Grenzen der historischen Territorien wie der Bundesländer überschreitende Regionalidentität, wie sie sich für „Rhein-Main“83 zu entwickeln begonnen hat. Angesichts der starken Zuwanderung nach Hessen, beginnend mit den Flüchtlingen und Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg, den sogenannten Gastarbeitern seit den 1960er Jahren bis hin zu den aktuellen Kriegsflüchtlingen ist indes leicht nachzuvollziehen, dass die „Chatten“ als Baustein einer zeitgemäßen gesamthessischen Landesidentität letztlich auch untauglich sind. Allerdings sollten sich die Nordhessen aber auch gründlich überlegen, ob sie den Rekurs auf einen antiken Volksstamm für ihre Identität unbedingt nötig haben. Zudem hätte man auf jeden Fall die Begriffsgeschichte des Chattengaus etwas besser erforschen sollen. Denn bei näherem Hinsehen erweist er sich als deutlich völkisch bis nationalsozialistisch kontaminiert. In regio-wiki datiert man – wie gerade zitiert – die Herkunft in die Nachkriegszeit, was so schlechterdings nicht stimmt. Tatsächlich wies bereits Georg Landau um die Mitte des 19. Jahrhunderts im Rückgriff auf Jakob Grimm darauf hin, „daß das chattische Volk von jeher in jenen Gränzen“84 des Hessengaus gehabt hätte. Der Militärhistoriker und völkische Schriftsteller Hermann von Pfister bramarbasierte dann 1880 in seiner „chattischen Stammeskunde“ über „sechs chattische Gaue“.85 Beide benutzten aber den Begriff „Chattengau“ als solchen noch 80 81 82 83 84 85
http://regiowiki.hna.de/Chattengau [Letzter Zugriff: 24.08.2016]. Vgl. dazu Hollenberg 2003. Vgl. dazu Gräf/Jendorff 2020. Scheller 1998; Langhagen-Rohrbach 2004. Landau 1866, 6. Pfister 1880; Puschner 2001.
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nicht. Noch unproblematisch scheint seine Nutzung durch Hans Jürgen von der Wense, das „Universalgenie“86, das durch eine Tagung in Kassel im Jahre 2008 wieder einem breiteren Publikum bekannt gemacht worden ist. Er durchwanderte 1932 den „Chattengau“, erfuhr ihn als „urheiligen und erlebten Boden mit tiefsten Erinnerungen“ und trug ihn sogar in eine handgezeichnete Karte zum Hellweg ein.87 Leider weiß man nicht, wo er diesen Begriff kennengelernt hat. Auf jeden Fall taucht er in dem erstmals 1933 gedruckten Werk „Heimatkarte für den Gau Kurhessen“ auf, das in erster Linie für den Schulunterricht gedacht war.88 Schließlich gab die Kreisleitung der NSDAP Fritzlar-Homberg zwischen 1939 und 1944/45 die Zeitschrift „Heimatgruß aus dem Chattengau“ heraus, die sich an die Soldaten im Fronteinsatz richtete.89 Und selbstverständlich nutzt auch Erna Lendvai-Dircksen den Begriff des Chattengaus in ihrem Fotoband zum „Deutschen Volksgesicht“.90 In Anbetracht dieses begriffsgeschichtlich äußerst bedenklichen Umfeldes kippt die eigentlich bezweckte regionale Identitätsstiftung mit Hilfe dieses Begriffs fast schon in Geschichtsvergessenheit.91 Nordhessen hat ein solch reiches historisches Erbe, dass man nicht unbedingt die Chatten zur Fundierung einer regionalen Identität bemühen muss, die seit ihrer „Entdeckung“ im 16. Jahrhundert – dies sollte dieser Beitrag deutlich machen – als historischpolitisches Argument gebraucht bzw. phasenweise missbraucht wurden.
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Caes. Gall. 1,35,3 43 Caes. Gall. 1,40,2 42 Caes. Gall. 1,40,5 42 Caes. Gall. 1,43,4 42 Caes. Gall. 1,43,8 42 Caes. Gall. 1,43,9 43 Caes. Gall. 2,4,1 42 Caes. Gall. 2,4,10 41 Caes. Gall. 3,1,1ff. 55 Caes. Gall. 3,11,1 41 Caes. Gall. 3,11,1f. 43 Caes. Gall. 3,11,2 45 Caes. Gall. 4,1 43 Caes. Gall. 4,1,3–4,3,4 40 Caes. Gall. 4,1,7 44 Caes. Gall. 4,1,8 25 Caes. Gall. 4,4 43 Caes. Gall. 4,4,1f. 41 Caes. Gall. 4,7f. 43 Caes. Gall. 4,13,6–4,14,2 43 Caes. Gall. 4,15,3 43 Caes. Gall. 4,16,5 44 Caes. Gall. 4,17f. 44 Caes. Gall. 4,19 43 Caes. Gall. 5,2,4 45 Caes. Gall. 5,32–37 44 Caes. Gall. 5,55,1 45 Caes. Gall. 6,2,1 45 Caes. Gall. 6,2,1f. 46 Caes. Gall. 6,2,3 41 Caes. Gall. 6,5,4 45 Caes. Gall. 6,7,3 45 Caes. Gall. 6,8,7 46 Caes. Gall. 6,9,1 45 Caes. Gall. 6,9,1f. 43 Caes. Gall. 6,11–28 40, 42 Caes. Gall. 6,22,1 25 Caes. Gall. 6,22,1–3 44 Caes. Gall. 6,29,1 44 Caes. Gall. 6,32,1 42 Caes. Gall. 6,34,8 44
Register Caes. Gall. 6,35,4 44 Caes. Gall. 6,35,7 44 Caes. Gall. 7,63,7 44 Caes. Gall. 8,45,1 45 Caes. Gall. 8,52,1 44 Cass. Dio 26,23,1 92 Cass. Dio 39,49,1–2 28 Cass. Dio 48,49,3 46 Cass. Dio 51,20,5 46, 47 Cass. Dio 51,21,5 47 Cass. Dio 51,21,6 47 Cass. Dio 51,22,6 125 Cass. Dio 52,25,5 55 Cass. Dio 53,12,5f. 28 Cass. Dio 53,22,5 48 Cass. Dio 53,25,3f. 55 Cass. Dio 53,26,4 48 Cass. Dio 53,26,4f. 28 Cass. Dio 53,26,5 58 Cass. Dio 54,8,3 50 Cass. Dio 54,20 49 Cass. Dio 54,20,1f. 56 Cass. Dio 54,20,4 89 Cass. Dio 54,20,4–6 49, 50 Cass. Dio 54,20,6 50 Cass. Dio 54,22,1 56 Cass. Dio 54,22,1ff. 56 Cass. Dio 54,22,3 56 Cass. Dio 54,22,4 56 Cass. Dio 54,22,5 58 Cass. Dio 54,25,1 51 Cass. Dio 54,32,1 52 Cass. Dio 54,32,2 48, 154 Cass. Dio 54,32,3f. 61 Cass. Dio 54,33,4 65, 75 Cass. Dio 54,36,3 63, 76 Cass. Dio 55,1,2 63 Cass. Dio 55,1,2f. 63 Cass. Dio 55,1,3–5 64 Cass. Dio 55,6,1 69 Cass. Dio 55,6,1–3 70 Cass. Dio 55,6,5 69 Cass. Dio 55,6,6 69
391 Cass. Dio 55,8,2 69 Cass. Dio 55,8,3 69 Cass. Dio 55,10a,2 78 Cass. Dio 55,10a,2ff. 78 Cass. Dio 55,10a,3 78, 88 Cass. Dio 55,13,2 96 Cass. Dio 55,28,5 80 Cass. Dio 55,32,4 96 Cass. Dio 56,11,1 96 Cass. Dio 56,15 96 Cass. Dio 56,17 96 Cass. Dio 56,18,1 71, 77, 110 Cass. Dio 56,18,2 75, 91, 110, 111, 112 Cass. Dio 56,18,3 91 Cass. Dio 56,18,4–22 89 Cass. Dio 56,19f. 112 Cass. Dio 56,19,3 88 Cass. Dio 56,22 92, 93 Cass. Dio 56,22,2 92 Cass. Dio 56,22,2a–3 163 Cass. Dio 56,23,3 93 Cass. Dio 56,23,4 93 Cass. Dio 56,24,1 92, 95 Cass. Dio 56,24,4 94 Cass. Dio 56,25,2f. 94, 157 Cass. Dio 56,26 96 Cass. Dio 57,3,1 204 Cass. Dio 57,5 97 Cass. Dio 57,5,4 93 Cass. Dio 57,5,6f. 97 Cass. Dio 57,6,1 97, 198 Cass. Dio 57,14 223 Cass. Dio 57,18 202 Cass. Dio 57,18,9 306 Cass. Dio 60,8,7 102 Cassiod. chron. a. u. c. 746 245 Cassiod. chron. min. 2,135 70 Catull. 1,8–9 7 CIA III 584 84 Cic. leg. 2,60 300 Cic. orat. 65 213 Cic. orat. 66 213, 217, 219 CIL V 532 56
392 CIL V 2499 95 CIL V 5027 55 CIL V 7231 55 CIL V 7817 57 CIL V 8002f. 57 CIL VI 386 84 CIL VI 3530 95 CIL VI 4330 64 CIL IX 2443a–c 82 CIL XI 348 95 CIL XI 877 49 CIL XI 1420f. 79 CIL XI 5218 95 CIL XI 6056 95 CIL XI 32323f. 49 CIL XII 647 57 CIL XIII 2942 79 CIL XIII 3254 79 CIL XIII 6796 105 CIL XIII 7088 104 CIL XIII 8648 95 CIL XIII,2 3671 79 CIL XIV 2950 95 Codex Laurentianus Mediceus 68,1 193 CSIR Deutschland III,1, Nr. 1. 95 Diod. 5,32,1 27 Diod. 5,32,3 25 Dion. Hal. 14,1,1 62 Flor. epit. 1,45,17 43 Flor. epit. 2,22,4f. 56 Flor. epit. 2,30 54, 67, 88, 89, 91, 92, 110, 112 Flor. epit. 2,30,24f. 89 Flor. epit. 2,30,26f. 70 FrgGrHist. 87 F 22 40 Frontin. strat. 2,9,4 163 Frontin. strat. 3,15,4 94, 163 Frontin. strat. 4,7,8 94, 95, 163 Greg. Tur. Franc. 2,9 32 Hdt. 2,50,1 17 Hdt. 2,57,1 17 Hdt. 2,77,1 17
Register Hdt. 4,2 40 Hdt. 4,4,196–197 18 Hdt. 4,5–82 20 Hdt. 4,23 40 Hdt. 4,26 40 Hdt. 4,61 40 Hdt. 4,172 40 Hdt. 8,144,2 17 Hier. Vita Hilarii 22, PL 23,39 31 Hom. Il. 2,867 17 Hom. Od. 4,85 18 Hom. Od. 11,247 40 Hom. Od. 11,293 40 Hom. Od. 11,297 40 Hom. Od. 11,308 40 Hom. Od. 11,374 40 Hom. Od. 14,295 18 Hor. ars 438ff. 83 Hor. carm. 1,18,1f. 83 Hor. carm. 1,18,24 83 Hor. carm. 4,2,36 49 Hor. carm. 4,4 57 Hor. carm. 4,14 57 Hor. carm. 4,14,14f. 56 Hor. carm. 4,15,4ff. 50 Hor. epist. 1,15,1 87 Hor. epist. 1,15,21 87 Hor. epist. 1,15,45 87 Hyg. de mun. Castr. 55 66 IG III,1 584a 84 IG XII,5 940 84 IGR IV 419 84 ILS 86 55 ILS 88 84 ILS 94 55 ILS 147 82 ILS 2244 95 ILS 2689 59 ILS 5050 49 ILS 6680 56 ILS 8812 84 Inscr. It. 13,2 107ff. 106 Inscr. It. 13,2,435 303
Register Ios. ant. Iud. 17,89ff. 86 Ios. ant. Iud. 17,206ff. 86 Ios. ant. Iud. 18,54 306 Ios. bell. Iud. 1,617ff. 86 Ios. bell. Iud. 2,1ff. 86 Iul. Obseq. 131 49 Laurentianus 68,1 191 Liv. 22,51,6 261 Liv. 29,14,13 303 Liv. per. 105 43 Liv. per. 107 43 Liv. per. 135 55 Liv. per. 139 52 Liv. per. 142 63, 64 Lukian. hist. conscr. 45 217, 219 Manil. 1,896–900 91 Mediceus I 191 MGH Epistolae selectae 1,30,68 33 MGH Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi 12,28 33 Mon. Ancy., 26 154 Nikolaos von Damaskus 1,1 110 OGIS II 463f. 84 Oros. 5,24,6 31 Oros. 6,21,15–17 64 Oros. 6,21,24 69 Oros. 6,21,26 91 Oros. 7,29,15 31 Oros. 7,32,12 32 Oros. 7,35,4 31 Oros. 7,41,2 31 Ov. fast. 4,179–388 303 Ov. fast. 5,579ff. 50 Ov. fast. 6,465ff. 50 Ov. trist. 3,12,45ff. 94 Ov. trist. 4,2,1f. 94 Ov. trist. 4,2,34f. 89 Ov. trist. 4,2,37ff. 94 P.Köln 6/249 85 P.Oxy 2435 208 PIR² Q 28 83 Plin. nat. 2,167 81
393 Plin. nat. 3,123 55 Plin. nat. 3,136f. 57 Plin. nat. 4,97 61 Plin. nat. 4,101 48 Plin. nat. 4,106 69 Plin. nat. 7,84 64 Plin. nat. 7,149 93 Plin. nat. 11,55 63 Plin. nat. 11,187 298, 306 Plin. nat. 34 327 Plut. Caes. 22f. 43 Polyb. 6,53,3 295 Poseid. fr. 22 (Athen. 4,39, p. 153e) 25 Prok. BG 1,11,29 32 Prop. 5,6,79 50 Ptol. 2,11,12 61 Ptol. 2,11,13 238 Ptol. 2,11,14 75, 163 Ptol. 2,9,2 32 Quint. 10,1,103 70, 196 R. Gest. div. Aug. 12 84 R. Gest. div. Aug. 26 26, 81, 108 R. Gest. div. Aug. 29 50 R. Gest. div. Aug. 32 69 RIC Aug. 16f. 50 RIC Aug. 46ff. 50 RIC Aug. 98ff. 50 RIC Aug. 256 50 RIC Aug. 281ff. 50 RIC Aug. 302ff. 50 RIC Aug. 311f. 50 RIC I 69 64 RIC I 71 64 RIC I 119 102 RIC I² 51 59 RIC I² 57 58 RIC I² 74 59 RIC I² 93f., Nr. 5–22 102 RIC I² 112, Nr. 57 102 RIC I² 164a 57 RIC I² 165a 57 RIC I² 201a 71 RIC I² 416 50
394 RPC 775 85 RPC 776 85 RPC 798 85 RPC 4242 86 RPC 4252 86 RPC 4535 86 RPC 5245 86 Sall. hist. 3,89 62 Sen. brev. vit. 13,8 69 Sen. contr. 1,3,10 91 Sen. dial. 6 [Cons. ad Marc.],3,1 294 Strab. 1,2,1 62 Strab. 4,195 25 Strab. 4,3,4 61 Strab. 4,6,7 55 Strab. 4,6,8f. 56 Strab. 4,6,11 51 Strab. 7,1,2 28, 40 Strab. 7,1,3 61, 64, 69, 81 Strab. 7,1,3ff. 64 Strab. 7,1,4 52, 80, 91, 101, 109, 154, 227, 266 Strab. 7,1,4 p. 291 C. 242, 245 Strab. 7,1,5 56, 59 Strab. 7,290 25 Suet. Aug. 21 55 Suet. Aug. 21,1 69, 243 Suet. Aug. 23 92 Suet. Aug. 23,1 49, 50 Suet. Aug. 23,2 93 Suet. Aug. 24,2 93 Suet. Aug. 25,4 92 Suet. Aug. 49,1 93 Suet. Cal. 1,2 298, 306 Suet. Cal. 2,1 306 Suet. Cal. 2,2 291 Suet. Cal. 3 320 Suet. Cal. 3,1 294 Suet. Cal. 3,3 306 Suet. Cal. 5 295 Suet. Cal. 6,2 296 Suet. Claud. 1 154 Suet. Claud. 1,1 61
Register Suet. Claud. 1,2f. 64 Suet. Dom. 20 197 Suet. Gaius 3 202 Suet. Nero 4 78 Suet. Tib. 7,3 64 Suet. Tib. 9,2 69 Suet. Tib. 18 101 Suet. Tib. 18f. 94 Suet. Tib. 18,2 300 Suet. Tib. 19 101 Suet. Tib. 24,2 300 Suet. Tib. 25,1 97 Suet. Tib. 25,2 204 Suet. Tib. 38,2 300 Suet. Tib. 47,4 300 Suet. Tib. 52,3 296 Suet. Tib. 61 197 Suet. Tib. 64,4 300 Suet. Vit. 2,3 306 Suet. vita Hor. 57 Tab. Hebana, Z. 57 297 Tab. Siar. 1 269 Tab. Siar. 1,1,12 ff. 101 Tab. Siar. 1,1,29 f. 110 Tab. Siar. 2,1,1–2 297 Tab. Siar. 2,2,13–19 299 Tab. Siar. 2,31 295 Tab. Siar. 9–21 295 Tac. Agr. 21 111 Tac. Agr. 39,1 206 Tac. ann. 1,3,5 96 Tac. ann. 1,3,6 101, 108, 110, 263 Tac. ann. 1,7,6 204 Tac. ann. 1,8 160 Tac. ann. 1,9 254 Tac. ann. 1,11 108 Tac. ann. 1,31,2 51 Tac. ann. 1,33 201 Tac. ann. 1,33,1 51 Tac. ann. 1,38 157, 263 Tac. ann. 1,39,1 88, 111 Tac. ann. 1,41 217 Tac. ann. 1,45,2 222, 265
Register Tac. ann. 1,48,1 222, 227, 264 Tac. ann. 1,48,3 222 Tac. ann. 1,48–49 222 Tac. ann. 1,49 222 Tac. ann. 1,49,3 222 Tac. ann. 1,49,3–51,4 97 Tac. ann. 1,49,4 264, 265 Tac. ann. 1,50 242 Tac. ann. 1,50,1 226, 263 Tac. ann. 1,50,1ff. 97 Tac. ann. 1,50,2 226 Tac. ann. 1,51 98, 265 Tac. ann. 1,51,2 98 Tac. ann. 1,52 204 Tac. ann. 1,55 223 Tac. ann. 1,55,1 99, 105, 227 Tac. ann. 1,55,1–72,1 98 Tac. ann. 1,55,3 88 Tac. ann. 1,56,1 75, 98, 104, 267 Tac. ann. 1,56,1–5 158 Tac. ann. 1,56,5 265 Tac. ann. 1,56–57 227 Tac. ann. 1,57,1 88, 111 Tac. ann. 1,57,5 265 Tac. ann. 1,57–58 129, 159 Tac. ann. 1,58,1 88 Tac. ann. 1,58,1ff. 105 Tac. ann. 1,58,5 227 Tac. ann. 1,58,6-59,1 265 Tac. ann. 1,60 87, 159 Tac. ann. 1,60,1 88 Tac. ann. 1,60,2 98, 233, 266 Tac. ann. 1,60,3 99, 159, 259 Tac. ann. 1,61 98, 260 Tac. ann. 1,61f. 96, 221 Tac. ann. 1,61,3 89 Tac. ann. 1,62 98 Tac. ann. 1,63 98 Tac. ann. 1,63f. 99 Tac. ann. 1,63,1f. 219 Tac. ann. 1,63,2 232 Tac. ann. 1,63,3 232 Tac. ann. 1,63,3f. 78
395 Tac. ann. 1,63,4 78 Tac. ann. 1,63–68 159 Tac. ann. 1,64f. 221 Tac. ann. 1,65,2 221 Tac. ann. 1,66 221 Tac. ann. 1,68,1 159 Tac. ann. 1,69 64, 99 Tac. ann. 1,69,1 234 Tac. ann. 1,69,1f. 265 Tac. ann. 1,69,2 197 Tac. ann. 1,70 195, 221, 236, 240 Tac. ann. 1,70,5 235 Tac. ann. 1,71,1 89, 210, 266 Tac. ann. 1,71,3 210 Tac. ann. 1,72,1 99, 104, 227 Tac. ann. 2,5 195 Tac. ann. 2,5,2 242 Tac. ann. 2,5,2–4 242 Tac. ann. 2,5,4 240 Tac. ann. 2,6,1f. 100 Tac. ann. 2,7 92, 100, 113, 162, 169 Tac. ann. 2,7,1–2 266 Tac. ann. 2,7,2 294 Tac. ann. 2,7,2f. 96 Tac. ann. 2,8 154, 195, 240 Tac. ann. 2,8,1 61, 100, 239, 240, 242 Tac. ann. 2,8,2 237, 241 Tac. ann. 2,8,4 241 Tac. ann. 2,9 240 Tac. ann. 2,9f. 105 Tac. ann. 2,10,1 105 Tac. ann. 2,10,3 88 Tac. ann. 2,10–23 100 Tac. ann. 2,11,1 227, 294 Tac. ann. 2,12,1 227 Tac. ann. 2,14,1 294 Tac. ann. 2,14,4 242 Tac. ann. 2,15,2 240 Tac. ann. 2,17,6–18,1 250 Tac. ann. 2,19,1 243, 244, 250 Tac. ann. 2,21,2 98 Tac. ann. 2,21,2–22,1 250 Tac. ann. 2,22 109
396 Tac. ann. 2,22,1 205, 244, 245, 294 Tac. ann. 2,22,2 267 Tac. ann. 2,23,1 227, 241 Tac. ann. 2,24 100, 160 Tac. ann. 2,24f. 100 Tac. ann. 2,24,3 267 Tac. ann. 2,24,3f. 160 Tac. ann. 2,25 100, 160, 267 Tac. ann. 2,25,1 267 Tac. ann. 2,25,1f. 160 Tac. ann. 2,25,3 250, 267, 268 Tac. ann. 2,26 101, 104, 109, 160, 269 Tac. ann. 2,26,1 244, 250, 268, 294 Tac. ann. 2,41 102, 154 Tac. ann. 2,41,1 102 Tac. ann. 2,41,2 245, 246, 293 Tac. ann. 2,41,2f. 101 Tac. ann. 2,43,1 294 Tac. ann. 2,43,5 293 Tac. ann. 2,44,3 105 Tac. ann. 2,45 129 Tac. ann. 2,45,1f. 159 Tac. ann. 2,45,3ff. 105 Tac. ann. 2,46,1ff. 105 Tac. ann. 2,46,5 104 Tac. ann. 2,49,2 294 Tac. ann. 2,54,2–3 297 Tac. ann. 2,55,3 294 Tac. ann. 2,57,2 294 Tac. ann. 2,57,4 209 Tac. ann. 2,60,1 265 Tac. ann. 2,61 258 Tac. ann. 2,62f. 105 Tac. ann. 2,64,1 294 Tac. ann. 2,68 227 Tac. ann. 2,69 227 Tac. ann. 2,69,3 297 Tac. ann. 2,69–75 320 Tac. ann. 2,70,1 297 Tac. ann. 2,70,2 297, 305 Tac. ann. 2,72 96, 201, 202 Tac. ann. 2,73 207, 294 Tac. ann. 2,73,1 299, 300
Register Tac. ann. 2,73,2 294 Tac. ann. 2,73,3 294 Tac. ann. 2,73,4 297 Tac. ann. 2,75,1 302 Tac. ann. 2,76,1–2 305 Tac. ann. 2,81 294 Tac. ann. 2,82 96 Tac. ann. 2,83 101 Tac. ann. 2,83,1–3 295 Tac. ann. 2,83,4 295 Tac. ann. 2,88,1–3 105 Tac. ann. 2,88,2f. 220 Tac. ann. 2,88,3 105 Tac. ann. 2,123,1 263 Tac. ann. 3,1,1 302 Tac. ann. 3,1,4 291 Tac. ann. 3,2,1–3 293 Tac. ann. 3,2,3 303, 307 Tac. ann. 3,3,1 307 Tac. ann. 3,4,1 303 Tac. ann. 3,4,2 302 Tac. ann. 3,5,1 64 Tac. ann. 3,5,1f. 299 Tac. ann. 3,5,2 299 Tac. ann. 3,6,1–3 296 Tac. ann. 3,6,3 304 Tac. ann. 3,12,1 296 Tac. ann. 3,14,1 306 Tac. ann. 3,16,1 291, 304, 307 Tac. ann. 3,19,2 312 Tac. ann. 3,40–46 103 Tac. ann. 3,65 214 Tac. ann. 3,65,1 214, 216 Tac. ann. 4,12,1 302 Tac. ann. 4,32 219 Tac. ann. 4,33,2f. 219, 230 Tac. ann. 4,33,3 219, 230 Tac. ann. 4,44,2 78 Tac. ann. 4,53 197 Tac. ann. 4,53,2 302 Tac. ann. 4,71,3 206 Tac. ann. 4,71,4 206 Tac. ann. 6,30,2 104
Register Tac. ann. 6,38,1 219 Tac. ann. 12,23,2 69 Tac. ann. 12,27,3 90 Tac. ann. 13,31,1 223 Tac. ann. 13,55,1 241 Tac. ann. 72–81 223 Tac. Germ. 1,1 40 Tac. Germ. 2,1 29 Tac. Germ. 2,3 40, 125 Tac. Germ. 4,1 29 Tac. Germ. 28 41, 61, 69 Tac. Germ. 29 48 Tac. Germ. 31 129 Tac. Germ. 31,5 129 Tac. Germ. 33,1 242 Tac. Germ. 34 62 Tac. Germ. 41 78 Tac. Germ. 45,2 238, 239 Tac. hist. 2,50,1 214 Tac. hist. 3,51,2 214 Tac. hist. 4,12,2 48 Tac. hist. 5,16 69 Vell. 1,13,5 79 Vell. 1,104,1 79 Vell. 1,119,4 87 Vell. 1,121,1 263 Vell. 2,11,4 91 Vell. 2,71,3 83 Vell. 2,95,1f. 56 Vell. 2,95,2 56 Vell. 2,97 49 Vell. 2,97,1 49, 50 Vell. 2,97,3 64 Vell. 2,97,4 70, 92, 113 Vell. 2,100,1 72 Vell. 2,101,3 79 Vell. 2,103,1 79 Vell. 2,104,2 77, 79 Vell. 2,104,3 81 Vell. 2,104,3f. 81 Vell. 2,105,1 79, 88 Vell. 2,105,1–3 79 Vell. 2,105,3 80
397 Vell. 2,106,1 79 Vell. 2,106,2f. 80 Vell. 2,107,3 80, 81 Vell. 2,108,1 81 Vell. 2,109,5 81 Vell. 2,110 81 Vell. 2,113,1 79, 87 Vell. 2,116,1 96 Vell. 2,117,1 89 Vell. 2,117,2 86, 91 Vell. 2,118,1 91 Vell. 2,118,2 88 Vell. 2,118,4 88 Vell. 2,119,3f. 89 Vell. 2,119,4 95 Vell. 2,119,5 89 Vell. 2,120,1 93 Vell. 2,120,4 92, 94, 95, 162, 163 Vell. 2,121,2 106 Vell. 2,122,2 94 Vell. 2,123,1 96 Vell. 2,125,1f. 97 Vell. 2,125,2 97 Vell. 2,125,2–4 97 Vell. 2,129,3 103 Vell. 2,130,4 79 Verg. Aen. 2,27ff. 217 Verg. Aen. 2,27–30 260 Verg. Aen. 6,792 50 Xiphilinos 77,14,1–2 134 Zon. 10,37 92, 94
Ortsregister Achulla 85 Actium 46 Adrana 132 Adria 57 Africa proconsularis 85 Afrika 86, 310 Agger 264 Ägypten 46, 207, 209, 312
398 Ahse 276 Aix-en-Provence 26 Albis 199 Alesia 44 Alexandria 210, 312 Alisa 276 Aliso 92, 94, 99, 100, 162, 163, 165, 166, 167, 183, 191, 262, 266, 274, 276, 277, 280 Alme 276 Alpen 23, 25, 28, 30, 41, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 62, 69, 84, 107, 272, 343, 345 Alsfeld 144 Alsheim 276 Alsum 276 Altdorf 379 Alteburg 277 Altenburg 148, 276 Amanusgebirge 295 Amedorf 238, 275 Amelia 327 Amerika 356, 381 Amisia 238, 239, 241, 275, 276 Amöneburg 144 Amöneburger Becken 133 Amöneburg-Rüdigheim 144 Anatolien 309 Ancona 30 Angrivarierwall 100, 205, 211, 219, 230, 231, 243, 244, 249, 250, 254, 255, 256, 257, 258, 259, 260, 267, 268, 274, 278 Annaberg 65, 73, 171 Anreppen 63, 65, 80, 110, 164, 179, 182 Antiochia 86, 295, 297, 298, 299, 300, 304, 307, 313, 329, 332 Aosta 55, 57 Apameia 25 Apulien 293 Aquae Sextiae 26 ara Lugdunensis 53, 88, 111 ara Pacis 84 ara Ubiorum 88, 111
Register Arausio 25 Arbalo 63 Arelate 57 Arkeburg 256 Arles 57 Armenien 72 Arnsberger Wald 274, 277 Artaunon 75 Asberg 67 Asciburgium 60 Athen 84 Äthiopien 379 Auf der Hofestatt 65, 73 Augsburg 57, 343 Augsburg-Oberhausen 126, 167 Augst 52, 55 Augusta Praetoria 55 Augusta Raurica 52 Augusta Taurinorum 55, 57 Augusta Trevererorum 110 Augusta Treverorum 51, 52, 53, 54, 77 Augusta Vindelicum 57 Australien 310 Babilonie 256 Bad Nauheim 63, 123 Bad Nenndorf 274 Bad Sooden-Allendorf 144 Bad Wildungen 144 Balkan 87 Barbaricum 16, 22 Barenau 259, 274 Barenberge 376 Barkhause 261 Basilika Julia 156 Baunatal-Altenbauna 144 Baunatal-Großenritte 144 Bebra-Solz 144 Beckinghausen 63, 65, 66 Belgica 248, 264 Bentumersiel 80, 81, 168 Berytos 86 Beselich-Niedertiefenbach 145 Biebertal-Fellinghausen 145
Register Bielefeld 67 Bitburg 51 Blutbach 275 Blutwiese 275 Bodensee 56, 59 Böhmen 41, 78, 81, 246 Bollsee 255, 256 Bologna 95 Bonn 60, 264, 265 Bonna 60 Bononia 95, 96 Borken 378 Borken-Arnsbach 145 Borken-Gombeth 145 Borken-Haarhausen 145 Borken-Singlis 145 Boscoreale 69 Braunfels 145 Bremen 241 Brenner 57 Briançon 57 Brigantio 57 Brindisi 291, 300, 302, 303, 304 Britannien 20, 48, 231 Brundisium 292, 332 Brunsburg 275 Bückeburg 274 Bundenbach 54 Büraberg 146 Burcana 61 Burg Katz 373 Burghöfe 57 Butzbach-Kirch-Göns 145 Byrchanis 61 Byzantinisches Reich 342 Cadiz 154 Caesia silva 226, 227, 264, 275 Calabrien 293 Calden 145 Campanien 293 Cannae 261 Carnuntum 81 Carpentras 82, 83
399 Carrhae 50 castra Vetera 222, 265 Châlons-sur-Marne 31 Chattengau 10, 12 China 18, 310 Chur 57, 79 clavicula-Tor 66 Coesfeld 275 Comer See 56 Como 55 Comum 55 Corfinium 83 Corvey 274, 275 Crap-Ses-Schlucht 57 Cremona 83, 261 Curia 57 Dalmatien 68, 106 Damme 235 Dänemark 103 Dangstetten 49, 56, 58, 59, 60 Daphne 297 Darmstadt 379 Detmold 10, 275 Deutschland 11, 30, 252, 317, 344, 346, 371 Devin 127 Diez 374 Donau 9, 15, 16, 18, 20, 31, 32, 41, 54, 55, 56, 57, 58, 62, 81, 127, 128, 133, 346 Dörenschlucht 274 Dorlar 63, 67, 75, 76 Dötehof 275 Drusus-Altar 100 Dünsberg 41, 76, 91, 110, 123, 145 Durance 57 Düsselburg 256, 274 Ebsdorfergrund-Ebsdorf 145 Ebsdorfergrund-Wittelsberg 145 Eder 124, 132, 134, 158, 227, 265 Edermünde 383 Edermünde-Besse 145, 149 Edermünde-Holzhausen 145
400 Edertal-Bergheim 145 Edertal-Wellen 145 Elbe 16, 32, 62, 63, 66, 67, 68, 70, 71, 78, 80, 81, 82, 101, 106, 107, 108, 109, 110, 127, 134, 153, 154, 242, 243, 244, 245, 246, 247, 248, 249, 250, 272, 293 Elison 65 Eller 276 Ellerode 67 Elsen 276 Elsfleht-Hogenkamp 168 Elz 145 Emden 238, 275 Emmaus 86 Ems 61, 62, 67, 78, 80, 82, 90, 96, 98, 100, 108, 159, 160, 163, 225, 226, 232, 233, 234, 236, 237, 238, 239, 240, 241, 242, 259, 265, 266, 273, 275 Emsland 232 Emstal-Sand 145 England 337, 347, 348, 349, 350, 351, 352, 353, 355, 356 Epidaphne 295 Erle 276 Eschwege 145 Eschwege-Eltmannshausen 145 Eschwege-Niederdünzebach 145 Eschwege-Niederhone 145 Eschwege-Oberhone 145 Euphrat 18, 27 Europa 26, 32, 309, 356, 367 Fectio 61 Felsberg-Beuern 145 Felsberg-Gensungen 146 Felsberg-Neuenbrunslar 146 Felsberg-Rhünda 146 Felsberg-Wolfershausen 146 Fernwald-Annerod 146 Fischbach 54 Florenz 342, 343, 351 Forum Romanum 50, 102 Franken 81
Register Frankfurt 384 Frankreich 23, 337, 346, 347, 349, 351, 356, 370, 381 Friedberg 63 Fritzlar 11, 146, 383, 384 Fritzlar-Geismar 123, 125, 146 Fritzlar-Haddamar 146 Fritzlar-Ungedanken 146 Fritzlar-Wehren 146 Fritzlar-Werkel 146 Fritzlar-Züschen 146 Fulda 30, 66, 146, 344, 377, 384 Fuldatal-Ihringshausen 146 Fuldatal-Rothwesten 146 Fuldatal-Simmershausen 146 Fulde 255 Gabii 323, 326 Gades 154 Galatia 26 Gallia 32, 33 Gallia Narbonensis 25, 42, 52, 55 Gallia Transalpina 52, 55 Gallien 25, 26, 27, 28, 32, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 58, 60, 61, 62, 82, 83, 84, 85, 88, 92, 94, 101, 106, 107, 108, 109, 112, 154, 156, 158, 248, 262, 269, 381 Gardasee 56 Gehrden 274 Geinsheim 81 Gelenberg 274 Genfer See 43, 56 Genua 342 Germania 22, 28, 31, 32, 33, 129, 153, 243, 247, 313 Germania (magna) 32 Germania inferior 32 Germania interior 32 Germania libera 32 Germania megale 32 Germania prima 32 Germania secunda 32 Germania superior 32, 134
Register Germanien 7, 9, 10, 12, 15, 16, 29, 32, 33, 39, 40, 46, 48, 53, 55, 58, 59, 62, 63, 64, 68, 69, 70, 71, 72, 75, 77, 78, 79, 81, 82, 87, 94, 96, 99, 100, 101, 102, 104, 105, 106, 107, 108, 109, 110, 113, 154, 156, 157, 158, 169, 205, 213, 223, 225, 228, 231, 240, 242, 243, 244, 246, 247, 248, 249, 263, 265, 267, 268, 269, 272, 278, 317, 329, 331, 337, 338, 339, 342, 347 Gießen 76, 134, 146, 378 Gießen-Kleinlinden 146 Gießen-Lützellinden 146 Griechenland 339 Großbritannien 338, 349 Großenlüder-Lütterz 146 Groß-Goltern 274 Grotenburg 275 Gudensberg 11, 146, 377, 383 Gudensberg-Dissen 146 Gudensberg-Gleichen 146 Gudensberg-Obervorschütz 147 Guxhagen-Grebenau 146 Hachelbich 123, 124 Hadamar-Niederhadamar 147 Hadrians-Wall 11 Hadrumentum 85 Haltern 10, 12, 49, 63, 64, 65, 66, 67, 69, 71, 72, 73, 75, 76, 80, 81, 87, 94, 110, 153, 161, 163, 165, 166, 167, 168, 169, 170, 171, 172, 173, 177, 179, 180, 181, 182, 183, 234, 247, 261, 277, 317, 329, 331 Hameln 243 Hamm 259 Hannover 79, 260, 329 Harzhorn 123, 124, 278 Hatzfeld-Lindenhof 147 Hedemünden 10, 66, 67, 71, 123, 124, 127, 278 Heidenschanze 256 Heidenstadt 256 Helvetien 56
401 Herborn-Sinn 147 Herculaneum 331 Heringen 147 Herkynischen Wald 26 Herleshausen-Wommen 147 Hermeskeil 45 Hersfeld 30, 378 Heserwald 226 Hessen 7, 8, 10, 11, 12, 41, 48, 63, 123, 131, 135, 150, 365, 366, 367, 371, 372, 373, 374, 376, 378, 379, 380, 381, 382, 383, 384 Hessengau 11 Heuchelheim 147 Hispania 32 Hispanien 108, 109 Hoby 103 Höchst 63, 67 Hochtaunuskreis 148 Hofgeismar 147 Hofgeismar-Carlsdorf 147 Hofgeismar-Hümme 147 Hofgeismar-Kelze 147 Hofgeismar-Schöneberg 147 Hofheim 131 Holsterhausen 63, 64, 65, 110, 180 Homberg 383, 385 Homberg (Efze)-Berge 147 Hoppstädten-Weiersbach 54 Höxter 275 Hunerberg 49, 52, 59, 60 Hünfeld-Mackenzell 147 Hunnenring 45 Hunse 235, 236 Hunteburg 235 Idistaviso 100, 160, 199, 216, 219, 230, 231, 242, 243, 244, 250, 251, 252, 254, 267, 268, 272, 274, 276, 279 Ijsselmeer 60 Illyricum 96 Immenhausen 147
402 Imperium Romanum 11, 16, 19, 20, 22, 23, 92, 144, 157, 205, 247, 295, 309, 310, 313, 329 Indien 18 Ingolstadt 23 Inntal 57 Israel 340, 355 Italia 32 Italien 9, 23, 30, 42, 64, 92, 238, 301, 313, 342, 343, 345, 346, 349 Iudäa 86, 87 Jerusalem 86 Judäa 20 Julierpass 57 Jünkerath 51 Jura 43 Jütland 81 Kalkriese 10, 90, 91, 98, 168, 169, 177, 182, 183, 234, 235, 259, 272, 274, 277, 278, 317, 318, 328, 329 Kalkrieser 329 Kapitol 50, 294 Kassel 320, 321, 323, 324, 332, 365, 374, 376, 377, 378, 379, 381, 382, 383, 384 Kassel-Oberzwehren 147 Kassel-Wehlheiden 147 Katzenelnbogen 373, 374, 380 Kelfkenbos 155 Keltike 18, 26, 27 Kempten 79 Kirchhain-Betziesdorf 147 Klaros 296 Kleinasien 41 Klein-Nenndorf 274 Kneblinghausen 66, 67, 277 Köln 48, 51, 61, 87, 264, 265, 317 Konstantinopel 342 Kopenhagen 318 Kops Plateau 60 Korfu 291, 300, 302, 304 Kr. Fulda 146, 147 Kr. Gießen 145, 146, 147, 148, 149
Register Kr. Hersfeld-Rotenburg 144, 147, 148, 149 Kr. Kassel 144, 145, 146, 147, 148, 149 Kr. Limburg-Weilburg 145, 147, 148 Kr. Marburg-Biedenkopf 144, 149 Kr. Waldeck-Frankenberg 144, 145, 147, 148 Krefeld 69 Kreis Lippe 10 Kreis Marburg-Biedenkopf 145, 147, 148 Kreis Trier-Saarburg 45 Kring 67, 89 La Turbie 57 Lahn 63, 67, 74, 76, 77, 82, 107, 108, 109, 110, 112, 113, 123, 130, 227, 266 Lahnau-Atzbach 147 Lahn-Dill-Kreis 145, 147, 148, 149 Lahntal 77, 130, 131, 133, 144 Landsbergen 256 Laubach-Wetterfeld 147 Leese 256, 257, 258, 259, 274, 277, 279 Leine 67 Leinetal 265 Lemförde 256 Lenderscheid-Verna 147 Leveste 274 Lichtenfels-Goddelsheim 147 Liebenau 147 Liebenau-Haueda 147 Limburg 373 Limburg-Dietkirchen 148 Linden-Großenlinden 148 Linden-Leihgestern 148 Lippe 60, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 69, 71, 72, 73, 77, 80, 82, 95, 97, 99, 100, 107, 108, 109, 110, 112, 113, 127, 130, 160, 163, 164, 165, 169, 171, 226, 227, 234, 247, 259, 264, 265, 266, 276, 279 Lippstadt 259 Lohra-Altenvers 148 London 320, 354
Register Lugdunensis 52 Lugdunum 74 Lutter 376 Luxemburg 47, 54 Lyon 51, 52, 57, 79, 102 Maas 67 Maden 11, 147, 276 Mader Heide 377, 379 Mader Holz 377 Magdeburg 243 Main 60, 63, 67, 108, 133, 247 Mainfranken 132 Mainz 60, 63, 64, 68, 73, 81, 94, 98, 99, 101, 103, 104, 105, 110, 126, 155, 158 Marburg 378 Marburg-Schröck 148 Mardorf 123, 125, 144, 147 Marktbreit 67, 81, 126, 127 Mars Ultor-Tempel 50 Marschberg 256 Marsfeld 64, 84, 294 Martigny 56 Mattiacum 132 Mattium 98, 132, 230, 274, 276 Mausoleum Augusti 64 Meerbach 255 Meinhard-Grebendorf 148 Meinhard-Jestädt 148 Meinhard-Schwebda 148 Metz 51 Metze 11, 276 Mitteleuropa 16, 41, 244 Mittelgebirge 41, 229, 230 Mittelhessen 150, 151 Mittelmeer 21, 27, 29, 309 Mittelrhein 49, 60, 72 Mittelweser 258 Moers-Asberg 60 Mogontiacum 60, 227 Moldau 127 Mont Cenis 55 Mont Genèvre 55 Mosel 41, 46, 52, 54
403 München 320 Münster 259, 275 Münsterland 230 Mutina 46 Naher Osten 314 Narbo 57 Narbonne 57 Nassau 384 Naumburg-Altendorf 148 Neckar 374 Nemausus 47, 58, 66, 67, 74 Nethe 275 Neufchâteau 385 Neukirchen-Riebelsdorf 148 Neuss 49, 51, 52, 59, 60, 69 New Haven 332 New York 381 Nidda 374 Niedenstein 276, 383 Niedenstein-Kirchberg 148 Niedenstein-Metze 148 Niederbieber 106 Niedergermanien 156 Niederlande 32, 155, 168, 182, 347, 349, 355, 370 Niederrhein 47, 48, 92, 94, 157, 159, 264 Niedersachen 78 Niedersachsen 10 Niederweimar 125, 277 Nijmegen 49, 52, 59, 60, 106, 155 Nordafrika 85, 309 Nordamerika 309, 310, 353 Norddeutschland 257 Nordgermanien 256 Nordhessen 10, 11, 12, 125, 127, 130, 132, 134, 135, 150, 151, 368, 384, 385 Norditalien 55, 342, 344 Nordmeer 236 Nordostgallien 44, 45 Nordrhein-Westfalen 10 Nordsaline Bad Nauheim 277
404 Nordsee 60, 61, 63, 81, 99, 100, 109, 157, 160, 168, 211, 224, 231, 237, 239 Nordwestdeutschland 63, 182 Nordwestfalen 260 Noreia 25 Novaesium 49, 60 Noviodunum 52 Noviomagus Batavodurum 49, 60 Nürnberg 30, 320 Nyon 52, 55 Oberaden 63, 65, 66, 67, 68, 69, 71, 72, 80, 127, 166, 179, 180, 182 Oberammergau 56, 57, 59 Oberbrechen 63, 277 Obergermanien 131, 133, 134 Oberhausen 167 Oberitalien 26 Oberode 67, 89 Oberrhein 60 Octodurus 56 Orient 82, 84, 101, 201, 207 Orontes 25 Osimo 30 Osnabrücker Land 168 Ostgallien 45 Ostia 302 Ostsee 16, 32, 239 Otzenhausen 45 Pannonien 68, 88, 92, 106, 157, 158 Paris 24 Partherreich 86 Passau 127 Pattensen 274 Pavia 79 Pergamon 84 Persisches Reich 18 Petrisberg 47, 110 Philippi 46, 83 Piemont 26 Plateau von Langres 51 Pont Flavien 57
Register pontes longi 78, 99, 159, 199, 219, 221, 230, 231, 233, 234, 235, 237, 266, 268, 272, 274 Porta Westfalica 243 Preußen 355 Prüm 54 Quintiliolum 83 Raetien 59 Ravenna 105 Ravensberger Land 258 Regensburg 73, 344 Rehburger Moor 256 Reims 79 Reschenpass 57 Rhein 9, 11, 15, 16, 18, 20, 23, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 64, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 76, 77, 78, 79, 81, 92, 93, 94, 95, 96, 98, 99, 100, 101, 103, 106, 107, 108, 109, 110, 111, 113, 126, 132, 133, 153, 156, 157, 158, 159, 162, 165, 167, 168, 169, 180, 195, 226, 227, 233, 234, 236, 239, 242, 243, 244, 245, 246, 247, 248, 250, 262, 263, 264, 266, 295, 346, 370, 372, 373, 374 Rheinfels 380 Rheinland 76 Rhein-Main Gebiet 127, 130, 131, 132, 384 Rhenus 110 Rhodos 72, 85 Rhône 43, 52 Rinteln 372 Rödgen 63, 71, 75, 127 Rom 9, 10, 12, 18, 19, 22, 25, 27, 30, 31, 39, 42, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 61, 62, 64, 66, 68, 69, 71, 72, 73, 76, 77, 78, 79, 81, 82, 83, 84, 86, 87, 88, 91, 92, 93, 94, 95, 99, 100, 101, 102, 105, 107, 108, 109, 110, 111, 112, 113, 130,
Register 132, 133, 135, 153, 156, 157, 158, 160, 169, 196, 211, 213, 225, 234, 245, 246, 247, 248, 249, 262, 263, 265, 267, 269, 292, 293, 295, 298, 299, 300, 301, 302, 303, 304, 310, 311, 317, 328, 329, 337, 338, 339, 342, 343, 344, 346, 347, 350, 352, 353, 355, 356, 374, 375 Römerheide 275 Römerstieg 275 Ronnenberg 274 Ruhr 60, 66, 67, 97, 98, 226, 264 Runkel-Ennerich 148 Saale 64, 132, 134, 374 Saepinum 82, 83 Sahara 18 Saint-Chamas 57 Saône 52 Sarstedt 274 Schauenburg-Hoof 144 Schenklengsfeld-Unterweisenborn 148 Schlüsselburg 255, 256 Schwalm 124, 134 Schwalm-Eder-Kreis 145, 146, 147, 148, 149 Schwarzes Meer 31 Schwarzwald 59 Schweden 347 Schweiz 52, 67, 167 Seealpen 57 Segusio 55, 57 Selters (Taunus)-Niederselters 148 Sens 79 Sepphoris 86 Septimerpass 57 Sieg 60 Siegenegge 67 Silverberg 169, 171, 172 Skythike 18, 26, 27 Solms-Burgsolms 148 Spanien 23, 154 Sparrenberger Egge 67, 89
405 Sparta 350, 352, 355 St. Bernhardpass 55, 56, 57 St. Goar 380 St. Goarshausen 373 St. Maurice 79 St. Maximin 53 Steinhuder Meer 256 Stuttgart 318, 319 Submuntorium 57 Südamerika 310 Süddeutschland 11, 134 Sünteltal 275 Susa 55, 57 Syria 86 Syrien 25, 86, 291, 295, 311 Tanais (Don) 18 Tarracina 293, 303 Taunus 75, 131 Tenos 84 Tergeste 56 Teutehof 275 Teutoburger Wald 67, 87, 157, 163, 191, 210, 274, 275, 280 Theotmalli 275 Thüringen 131, 132 Tiber 253 Tibur 83 Ticinum 64 Tigris 18 Titelberg 47, 54, 110 Tivoli 83, 84 Toloubre 57 Tötehof 275 Totengrund 275 Totental 275 Trendelburg-Eberschütz 148 Tres Galliae 51 Treysa 376 Tridentum 55 Trient 55, 56, 57 Trier 47, 51, 52, 53, 79, 111, 112, 317, 329 Triest 56
406 Troja 343 Tropaeum Alpinum 57 Tuliburgium 275 Turin 55, 57 Umbrien 254 USA 238, 353, 357 Usingen 148 Usingen-Kransberg 148 Valais 58 Varenholz 276 Vechten 60, 61 Veleia 327 Vellmar-Niedervellmar 148 Venedig 23, 30, 342, 352 Vercellae 26 Vercelli 26 Vetera 60, 64, 222, 227, 234, 265 Vetera I 60 Via Claudia Augusta 57 Via Domitia 57 Via Iulia Augusta 57 Vindonissa 156, 167 Visurgis 160, 235, 236, 240, 241 Vltav 127 Vogelsbergkreis 144 Volkmarsen-Külte 148 Waal 48, 61 Wabern-Harle 148 Waldeck 374, 384 Waldeck-Netze 148 Waldgirmes 39, 65, 67, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 91, 110, 112, 123, 130, 143, 147, 169, 179, 180, 182, 183, 277 Walensee 67 Wanfried-Aue 149 Wattenmeer 153 Wehretal-Reichensachsen 149 Weimarer Republik 366 Weimar-Niederweimar 149
Register Werra 66, 67 Werra-Meißner-Kreis 144, 145, 147, 148, 149 Wesel 64, 226 Weser 61, 62, 63, 66, 67, 68, 78, 79, 80, 82, 89, 90, 96, 98, 100, 108, 159, 160, 195, 219, 225, 226, 227, 231, 232, 234, 235, 236, 237, 238, 239, 241, 242, 244, 247, 252, 253, 254, 255, 256, 257, 260, 261, 266, 267, 268, 272, 372 Weserbergland 228, 253, 277 Westalpen 56 Westeuropa 16 Westfalen 10, 161, 374, 377 Westfalen-Lippe 10 Wettenberg-Krofdorf-Gleiberg 149 Wettenberg-Wißmar 149 Wetterau 11, 63, 130, 131, 132, 133, 144, 227, 266, 374 Wetzlar 149 Wetzlar-Dahlheim 149 Wetzlar-Dutenhofen 149 Wetzlar-Garbenheim 149 Wetzlar-Naunheim 149 Wiedenbrück 259 Wien 30 Wiesbaden 60 Wildeck-Richelsdorf 149 Wilkenburg 66, 67, 79, 123, 124, 277 Willingshausen-Leimbach 149 Winsum 168 Winzlar 256 Witzenhausen 376 Witzenhausen-Unterrieden 149 Wolfhagen 149 Wupper 264 Xanten 60, 69, 73, 94, 95, 99 Ziegenhain 148, 374